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Full text of "Neue Musik Zeitung 35 Jg 1914"

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MUSIK?ZEITUHG 



xxxv. Jahrgang 
1914 



Verlag von Carl örüninger, Stuttgart-Leipzig 




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K. Hofbuchdruckerei Zu Gutenberg Carl Grüninger (Klett & Hartmann}, Stuttgart. 




NEUE 
MtlSIK?ZEITOlM& 

XXXV. I VERLAG VON CARL GRÜN1NGER, STUTTGART-LEIPZIG I 1914 

Jahrgang I Preis des Jahrgangs (Oktober 1913 bis September 1914) 8 Mark. I Heft 1 

Erscheint vierteljährlich in 6 Heften (mit Mimikbella :en, Knnsi beilage und „Batka, illustrierte Geschichte der Musik")* Abonnementpreis a M. vierteljährlich, 8 M. jährlich. 
Einzelne Hefte 50 Pf. — Bestellungen durch alle Buch- und Musikalienhandlungen sowie durch sämtliche Postanstalten. Bei Kreuzbandversand ab Stuttgart im deutsch- 
österreichischen Postgebiet M. 10.40* im übrigen Weltpostverein M. 13.— jährlich. 


Inhalt * ^ er Verband Deutscher Musikkritiker. — Tonsetzer der Gegenwart. Georg Schumann, biographische Skizze. — Richard Wagner ln Moskau 1863. Erlnne- 
III llall • rungsblatt eines Ueberlebenden für das Jubiläumsjahr 1913. — Soziale Tagesfragen aus dem Musikerstande. Eine Pensionskasse der Organisten. — Wie ein 
„Walzer“ entsteht. Plauderei in Briefen an eine Freundin. — Fürst Albert von Thum und Taxis. Ein fürstlicher Mäzen. — Unsere Künstler. Eleanor Pointer, bio- 
graphische Skizze. - ■ Amatl. Erzählung aus dem Künstlerleben. — Prager musikalische Nachrichten. (Bemerkungen zu neueren Tonsetzern.) — Kritische Rundschau: 
Aachen, Christiania, Zürich. — Kunst und Künstler. - 'Besprechungen: Neue Weder und Bücher. —.Neue Musikalien. — Briefkasten. — Dur und Moll. — Musikbeilage. 




Der Verband Deutscher Musikkritiker. 

Von PAUL BEKKER (Frankfurt). 

E twa Ende .April d. J. ging durch die Tages- und 
musikalischen Fachblätter die Mitteilung, daß sich 
ein „Verband Deutscher Musikkritiker“ mit dem gericht- 
lichen Sitz in Leipzig konstituiert habe. Als Gründer 
wurden die Herren Ehlers (München), . Heuß (Leipzig), 
Klatte (Berlin), Kamienski (Königsberg i. Pr.), Springer 
(Berlin), Thari (Dresden) und Bekker (Frankfurt) genannt. 
Zweck der Gründung sollte der Zusammenschluß solcher 
Musikschriftsteller sein, die durch Bildungsgang und 
künstlerisch wie moralisch einwandfreie Ausübung ihres 
Berufes als vollwertige Vertreter des deutschen Kritiker- 
standes angesehen werden können. Als Ziel des Ver- 
bandes wurde die Hebung des Kritikerstandes in künst- 
lerischer, wirtschaftlicher und sozialer Beziehung bezeichnet. 
Aus dieser Zweck- und Zielbestimmung ergab sich als 
Folge die Forderung, daß als Mitglieder nur solche Musik- 
schriftsteller in Betracht kommen dürften, die ihrem 
Charakter und ihrer bisherigen Betätigung nach geeignet 
schienen, an der Hebung des Standes mitzuarbeiten. 
Diese Bestimmung wurde in der Satzung dadurch zum 
Ausdruck gebracht, daß für die Aufnahmemeldungen die 
Einsendung eines kurzgefaßten Lebenslaufes mit Angabe 
des Bildungsganges, sowie einiger veröffentlichter Arbeiten 
verlangt wurde. Die Aufnahme selbst durfte nur unter 
Zustimmung von */« aller Mitglieder erfolgen. 

Das war, kurzgefaßt, das Programm, mit dem der Ver- 
band an die Oeffentlicbkeit trat, indem er unbescheiden 
genug war, es ihr nicht als einer allgewaltigen Oberbehörde 
mit der Bitte um wohlwollende Begutachtung zu unter- 
breiten, sondern sie mit der Tatsache seiner darauf bereits 
begründeten Existenz zu überraschen. Es hat Gutmeinende 
gegeben, die nachträglich die Ansicht aussprachen, man 
hätte den Vorschlag einer solchen Gründung erst zur 
öffentlichen Diskussion stellen und die Verbandssatzung 
sich aus dem allgemeinen Meinungsaustausch heraus- 
kristallisieren lassen sollen. Eine recht hübsche Idee, 
die aber bei einem Verwirklichungsversuch zu einem kläg- 
lichen Fiasko. der ganzen Sache geführt hätte. Sie wäre 
zu Fall gebracht worden zunächst durch die Unterminier- 
arbeit aller derer, die instinktiv ihre Existenz durch eine 
auf dem Grundsatz strenger Reinlichkeit und Sachlichkeit 
aufgebaute Standesorganisation bedroht fühlen mußten. 
Wer die Verhältnisse in der Musikkritik kennt, weiß, daß 
diese Klasse der „Kollegen“ keineswegs eine unbedeutende 


Minderheit repräsentiert und manchen l>erühmten und 
einflußreichen Mann zu sich zählt. Aber selbst, wenn man 
nur mit Gutmeinenden zu rechnen gehabt hätte, wäre eine 
Diskussion auf so problematischer Basis vermutlich aus- 
gelaufen, wie das Hornberger Schießen. Schon das Wann 
und Wo der öffentlichen Gründung hätte erhebliche 
Schwierigkeiten mit sich gebracht und wie die vielen 
technischen Schwierigkeiten einer Satzungsformulierung 
hätten überwunden werden sollen, ist nicht auszudenken. 
Es blieb somit für jeden, der die schon so oft theoretisch 
erörterte Idee einer Kritikerorganisation aus dem Dämmer 
einer ideologischen Phantasterei in die Wirklichkeit über- 
tragen wollte, nur eine Erkenntnis: Im Anfang war die 
Tat. Eine solche Tat konnte nur von Wenigen vollzogen 
werden, sollte sie in der Wirkung nicht abgeschwächt 
werden. Das Gesetz selbst gab für die Zahl der Gründer 
die Grenze nach unten auf sieben an und diese sieben 
unternahmen im Hinblick auf den reinen Zweck der Grün- 
dung und im Bewußtsein ihrer persönlichen Uneigen- 
nützigkeit das Wagnis. Sie einigten sich über die Grund- 
züge der Satzung unter dem Vorbehalt einer eingehenden 
Nachprüfung der zunächst nur skizzierten Einzelheiten 
und veranlagten die gerichtliche Eintragung des Verbandes. 
Ein Wagnis war es nicht nur deshalb, weil jeder von uns 
wußte, daß das durch rein sachliche Erwägungen bedingte 
entschlossene Handeln uns von seiten der mißgünstig 
Gesinnten den Vorwurf der Anmaßlichkeit eintragen 
würde, sondern vor allem, weil wir, indem wir ein fait 
accompli schufen, die Existenz der ganzen Idee riskierten. 
Hatten wir mit den von uns entworfenen und endgültig 
festgelegten Grundzügen nicht das erfaßt und getroffen, 
was den Kollegen, deren zu erhoffender Beistand für den 
Verband Lebensbedingung war, nötig und erstrebenswert 
erschien, so mußte unsere Gründung an der allgemeinen 
Teilnahmslosigkeit elend scheitern. Und damit wäre 
nicht nur dieser Verband erledigt, sondern jeder andere 
ähnliche Versuch zur Schaffung einer Standesorganisation 
der Kritiker wäre auf Jahre hinaus diskreditiert gewesen. 
Wir waren uns also der Verantwortung, die wir auf uns 
nahmen, wohl bewußt, aber wir mußten sie auf uns 
nehmen, weil die Dinge nicht so weiter gehen durften, 
wie sie bis jetzt gingen und weil sonst niemand Miene 
machte, die Initiative zu ergreifen. 

Der Erfolg hat unser Vorgehen gerechtfertigt und uns 
damit für unser Vorgehen Indemnität erteilt. Die Zahl der 
Mitglieder ist innerhalb von vier Monaten von sieben auf 
nahezu das Fünffache gestiegen — in Anbetracht des 
kleinen Interessentenkreises und des bei der Aufnahme 


I 









streng beobachteten Ausleseprinzips ein Resultat, das von 
den Gründern wohl selbst die > optimistisch Gesinnten 
nicht erwartet hatten. Die erste Hauptversammlung 
in Jena, bei der bereits 22 Mitglieder dem Verband an- 
gehörten, hat alle Grundzüge der Satzung bestätigt, sie 
dadurch jeder eigenmächtigen Nebenbedeutung entkleidet 
und sie zur Willenskundgebung der repräsentativen Kri- 
tikervereinigung erhoben. Die durchweg einstimmig an- 
genommenen Aenderungen sind teils redaktioneller Art, 
teils betreffen sie eine dem provisorischen Entwurf gegen- 
über sprachlich genauere Fassung, die Mißdeutungen Vor- 
beugen soll. So wurde die Bestimmung „einheitliches Vor- 
gehen in wichtigen Fragen der Musikpolitik“ durch 
„Stellungnahme zu wichtigen organisatorischen und sozialen 
Fragen des Musiklebens“ ersetzt. Eine bemerkenswerte 
Aenderung betrifft auch das Aufnahmeverfahren, an dem 
sich jetzt, der stark vermehrten Mitgliederzahl wegen, 
nicht mehr sämtliche Mitgüeder direkt beteiligen, sondern, 
nach erfolgter Mitteilung der Bewerbemamen nur je nach 
Befinden empfehlen oder widersprechen, während eine 
sechsköpfige Kommission die Durchsicht des Materials 
vomimmt und die Entscheidung fällt. 

Der unerwartete Erfolg gibt auch die beste Antwort 
auf die Frage, ob denn eine Organisation der Kritiker 
neben den bestehenden Pressevereinigungen überhaupt not- 
wendig oder zweckmäßig sei. Man könnte demgegenüber 
einfach erwidern, daß sich kaum eine so beträchtliche 
Anzahl von Kritikern bereit finden würde, einen verhältnis- 
mäßig hohen Jahresbeitrag zu opfern, wenn sie nicht das 
Bedürfnis nach -einer besonderen Organisation empfände. 
Dieses Bedürfnis ist keineswegs als überflüssiges Sentiment 
abzuweisen, sondern erklärt sich aus der besonderen Stellung 
des Musikkritikers im publizistischen Leben. Soweit er 
nur Journalist ist, kann ihm die allgemeine Presseorgani- 
sation als Standesvertretung gelten und genügen. Diese 
Ansicht kommt auch darin zum Ausdruck, daß auf der 
Hauptversammlung in Jena der Anschluß des Kritiker- 
verbandes an den Reichsverband deutscher Presse angeregt 
wurde, eine Anregung, die, sobald es die Verhältnisse ge- 
statten, befolgt werden soll. Der Musikkritiker ist aber 
nicht nur Jommalist mit dem Spezialressort „Musik“, 
sondern er ist der publizistische Anwalt einer Kunst, 
deren Interessenvertretung mit den Aufgaben des reinen 
Journalismus an sich nichts gemeinsam hat, ihnen zuweüen 
sogar direkt entgegengesetzt ist. Die Kunstbetrachtung 
zielt ihrem Wesen nach auf sachlich eindringende Erkennt- 
nis und Wertung, der moderne Journalismus auf eine 
möglichst schnelle und getreue Reproduktion des äußerlich 
erfaßbaren Geschehens. In der Tat findet man, namentlich 
in Großstädten, viele Kritiker, die an der Zwiespältigkeit der 
ihnen gestellten Berufsaufgabe gescheitert sind, sich heut 
nur noch als Journalisten ansehen und in ihren Leistungen 
Musikreporter mit kritischer Nuancierung geworden sind. 
Nun meine ich nicht, daß der Kritiker nur absoluter Fach- 
mann sein soll, denn dadurch würde er sich der außerordent- 
lichen Wirkungsmittel begeben, die ihm der Journalismus 
bietet. Aber er soll sich der Technik des Journalismus nur 
im Interesse der Kunst bedienen, als deren Vertreter 
er sich inersterLinie anzusehen hat. Diese Erkennt- 
nis der ideellen Spezialmission des Musikkritikers wird 
durch den Kritikerverband hervorgehoben, indem er von 
seinen Mitgliedern die fachliche Qualifikation fordert, 
die ein allgemeiner Joumalistenverband nicht verlangen 
kann, weil die Frage der fachlichen Kompetenz, die für 
den Musikkritiker die Grundlage seiner moralischen Existenz 
bildet, für den reinen Journalismus überhaupt nicht in 
Betracht kommt. Von gleicher Wichtigkeit ist die Frage 
nach den persönlichen Charaktereigenschaften des Musik- 
kritikers. Gerade er, dessen Amt in erster Linie nicht die 
Wiedergabe äußerer Tatsachen, sondern die persönliche 
Wertung ästhetischer Eindrücke ist, hat die fast unum- 
schränkte Möglichkeit willkürlichen Schaltens, das vom 
großen Teil seines Publikums kaum kontrolliert werden 


kann. Er bekleidet eine Vertrauensstellung, und die 
Frage nach der Zuverlässigkeit seines Charakters ist da- 
her um so wichtiger, als der Fehltritt eines Einzelnen, 
wenn er einmal zufällig der Oeffentlichkeit bekannt wird, 
gerade der Unkontrollierbarkeit und Unübersehbarkeit des 
kritischen Arbeitsgebietes wegen sofort vom Publikum zu 
verallgemeinernden Rückschlüssen auf den ganzen Stand 
ausgebeutet wird. Es liegt also im Interesse dieses Standes, 
darauf zu achten, daß derartige Fälle nicht erst durch 
äußeren Zufall bekannt werden, sondern daß die Standes- 
organisation sich von vornherein gegen jeden abschließt, 
auf dem der Verdacht einer nicht durchaus unanfechtbaren 
Amtsführung ruht. Ob und wieweit sich daraus die Ver- 
pflichtung zur direkten Anklage gegen den Betreffenden 
ergibt, das hängt von der juristischen Bedeutung des vor- 
handenen Materials ab. Für den Verband genügt es zu- 
nächst, daß er irgendwie zweifelhafte Persönlichkeiten von 
sich abweist, also die Frage der persönlichen Zuverlässig- 
keit der Kandidaten von vornherein einer besonderen, 
aus der Natur des Kritikeramtes sich ergebenden Prüfung 
unterzieht. Diese Prüfung durch den Verband ist umso 
wichtiger, als Verleger und Redaktionen als äußerlich 
nächstberechtigte und interessierte Instanzen meist nicht 
befähigt sind, dem Musikkritiker gegenüber eine Kon- 
trolle zu üben. 

Es kommen noch einige Gesichtspunkte äußerer Art in 
Betracht. Die künstlerischen und wirtschaftlichen Arbeits- 
bedingungen der Musikkritiker sind von denen der übrigen 
Journalisten grundverschieden. Aus dieser Sonderstellung 
des Musikkritikers ergibt sich, daß seine Wünsche und 
Forderungen nur zum Teil in denen der journalistischen 
Vereinigungen enthalten sein können. In allen Fällen 
jedoch wo spezielle Berufsinteressen in Frage kommen, 
wird er an den bestehenden Organisationen keine Stütze 
finden, da diese sich nicht kompetent fühlen werden, über 
Dinge aus einer ihnen fremden Fachmaterie zu urteüen. 
Ein interlokaler Kritikerverband ist daher die notwendige 
Ergänzung der allgemeinen Presseorganisationen. Er 
identifiziert sich mit ihren Bestrebungen, soweit diese 
wirtschaftliche und allgemeine Standesangelegenheiten be- 
treffen. Er geht aber über diese allgemein journalistische 
Interessenvertretung hinaus, indem er aus den besonderen 
Anforderungen, die für den Musikkritiker gelten, be- 
sondere Standesinteressen ableitet. Er vertritt diese 
Standesinteressen seinen Mitgliedern gegenüber durch die 
erwähnten einschränkenden Aufnahmevorschriften, nach 
außen hin hat er gemäß § 2 der Satzung seine Tätigkeit 
zu richten 

1. auf die Hebung des Kritikerstandes, insbesondere 
durch Stellungnahme gegen Mißstände in der Musik- 
kritik und im Berufsleben der Musikkritiker, 

2. auf die Stärkung des Einflusses der musikalischen 
Kritik durch Stellungnahme zu wichtigen organi- 
satorischen und sozialen Fragen des Musiklebens, 

3. auf die Kontrolle und Besserung der wirtschaftlichen 
und künstlerischen Arbeitsbedingungen der Musik- 
kritiker, 

4. auf die Besetzung von Musikkritikerstellen, indem 
der Verband mit Verlegern und Redaktionen Fühlung 
zu nehmen sucht und ihnen geeignete Kräfte unent- 
geltlich in Vorschlag bringt. 

Wenn man diesen Tätigkeitsplan auf seine Tendenz 
hin prüft, wird man sehen, daß diese eine rein or- 
ganisatorische ist und sich von allem femhält, was 
auch nur im mindesten die Freiheit des Einzelnen in 
bezug auf künstlerische Anschauungen behindern könnte. 
Ein dahingehender Versuch wäre geradezu eine Absurdität, 
denn wie es praktisch zu ermöglichen sein sollte, Ueberein- 
stimmungen in kritischen Werturteilen unter den Mit- 
gliedern eines Verbandes herzustellen, von denen einige 
in Zürich, andere in Königsberg, noch andere in Paris 
und die übrigen an den verschiedensten Orten Deutschlands 
wohnen, das ist selbst im Zeitalter der drahtlosen Tele- 


2 



graphie schwer auszudenken. Eine einheitliche Stellung- 
nahme kann nur erfolgen in allgemeinen Berufs- 
angelegenheiten, bei denen der Einzelne nicht als 
Individuum, sondern als Standesangehöriger interessiert 
ist. Nehmen wir z. B. an, daß ein namhafter Kritiker 
einen Kompositionsabend schroff ablehnend bespricht und 
der Komponist nachher öffentlich unter Schmähungen 
gegen den ganzen Stand feststellt, daß jener Kritiker nur 
einen kleinen Teil der Kompositionen gehört hat, so kann 
der Verband zwischen dem Kritiker und sich eine scharfe 
Grenze ziehen und gleichzeitig dem Komponisten wegen 
seiner Verallgemeinerungen auf die Finger klopfen. Wie 
sich die Mitglieder im übrigen zu den Kompositionen 
stellen, ob sie Anhänger oder Gegner des Komponisten 
sind, geht den Verband nichts an und wird ihm auch sehr 
gleichgültig sein. 

Es ist nun die Frage aufgeworfen worden, nach welchem 
Prinzip oder Maßstab der Verband über die Aufnahme 
neuer Mitglieder entscheidet. Darauf kann es nur eine 
Antwort geben: nach gar keinem, das sich in bestimmte 
Regeln fassen läßt. Der Verband weiß sehr wohl, daß es 
kein Normalmaß für Kritiker gibt, sondern daß hier, wie 
Überall in der Kunst, die Wertbestimmung stets nur der 
Persönlichkeit zu entnehmen ist. Es ist also nicht 
Aufgabe der Aufnahmekommission, das vorgelegte Material 
auf bestimmte, technisch fixierbare Gesichtspunkte hin zu 
untersuchen, sondern daraus ein Bild der Persönlich- 
keit des Bewerbers zu gewinnen. Diesem Zweck soll 
auch in erster Dinie der biographische Abriß dienen, bei 
dessen BeurteÜung wir uns durchaus im klaren darüber 
sind, daß die Kunst der Kritik der Hauptsache nach Sache 
des Talentes ist, das sich auf die mannigfaltigste Art 
heranbilden kann. Gerade die Mannigfaltigkeit der Ent- 
wicklungsmöglichkeiten macht es wünschenswert, daß wir 
alle, gleichviel von welchem Ausgangspunkt wir kommen, 
uns über die ideelle Einheitlichkeit unseres 
Zieles klar werden, anstatt, wie es bisher häufig ge- 
schehen ist, uns nach der Verschiedenheit der angewandten 
Mittel zu klassifizieren oder gar dementsprechend Partei- 
stellungen zu bilden. Der Historiker und Theoretiker, der 
seine Wissenschaft praktisch anzuwenden sucht, der Prak- 
tiker, der seine Kenntnisse wissenschaftlich fundiert, der 
Journalist, der sich in ehrlicher Arbeit auf musikalischem 
Gebiet heimisch macht, der Psychologe, der nach künstle- 
rischer Anwendung seiner Erkenntnisse sucht, das sind — 
um nur einige Beispiele zu nennen — sämtlich Typen des 
modernen Musikschriftstellers und keiner von ihnen kann be- 
haupten, er allein sei befugt, Musikkritiken zu schreiben und 
dieser oder jener andere sei seiner Herkunft wegen ein 
schlechter Kerl. Das, was den Maßstab der Beurteilung ein- 
zig geben kann, ist die Art, wie der Bewerber mit seinem 
Material arbeitet, wie er es anwendet. Das festzustellen, ist 
Sache der Aufnahmekommission. Um einseitige Urteile nach 
Möglichkeit zu verhindern, ist sie aus sechs Mitgliedern 
zusammengesetzt. Selbstverständlich können auch diese 
sechs in der Ablehnung wie in der Annahme fehlgreifen, 
aber solange wir kein besseres Mittel wissen, das einen 
Zunftzwang ausschließt und doch eine Auslese ermöglicht, 
müssen wir die Einrichtung der Kommission beibehalten i . 

Im übrigen scheint mir gerade in der Vereinigung wesens- 
verschiedener, aber doch gleichstrebender Elemente ein 
wichtiger Gewinn der Verbandsgründung zu liegen und in 
diesem Punkt darf sogar die Tendenz einer gegenseitigen 
Beeinflussung zugegeben werden: insofern nämlich, als wir 
erkennen lernen, daß das ideell Gemeinsame unseres Strebens, 
das sich in den organisatorischen Ideen des Verbandes 
ausspricht, bedeutungsvoller ist, als die Mittel, deren wir 
uns je nach Neigung und Bildung bedienen, also daß es 
auf das Ziel, nicht aber auf die Methode der Kritik 

1 Der Kommission gehören an Dr. Neitzel, Max Hasse, 
Dr. Wolffheim, Dr. Heuß, Paul Ehlers, Paul Bekker. Die 
drei letztgenannten nebst Dr. Kamienski und Dr. Springer 
bilden den Vorstand. 


ankommt. Diese ist persönliches Eigentum des Einzelnen 
und gibt ihm seinen individuellen Wert, das Ziel aber 
ergibt sich aus der Auffassung vom Wesen der Kritik und 
in dieser Auffassung müssen wir, wenn wir sachliche Diener 
der Kunst sein wollen, übereinstimmen — gleichviel, ob 
wir Strauß, Reger, Mahler anhängen oder ob wir sie 
bekämpfen. Wenn man auf Grund einer solchen An- 
schauung hin den Verband einer einseitigen Interessen- 
pflege beschuldigen will, so mag man es tun. Der Be- 
urteiler aber, der in der Gründung irgendeine Parteikonsti- 
tuierung im hergebrachten Sinn zu erblicken vermeint 
oder glaubt, daß der Verband auf eine solche hinsteuere, 
gibt damit nur die Engherzigkeit seiner eigenen An- 
schauungen vom Wesen der Kritik zu erkennen. 

Man hat gefragt: was kann der Verband erreichen? 
Wenn er zunächst nur erreicht, daß die konventionellen 
Begriffe über Kritik und Kritiker im Publikum wie in 
Fachkreisen freieren Anschauungen weichen und daß die 
Vertreter der einzelnen kritischen Disziplinen voneinander 
lernen anstatt sich zu befehden, so wäre damit schon eine 
sehr wertvolle innerorganisatorische Arbeit getan. Im 
übrigen kann er durch die Tatsache seines Vorhandenseins 
manchem Schwachen den Rücken steifen und manchem 
nach außen hin Starken — unbequem werden. Es kommt 
gar nicht darauf an, daß der Verband möglichst viele 
Mitglieder zählt — im Gegenteil, er soll kein Massenbund 
sein, sondern eine Vereinigung der Wenigen. Nur ein 
Gewissen, keine äußerlich imposante Heeresmacht. 
Deshalb ist es schwer zu begreifen, wie eine „Zeitschrift 
für die Reform des Musiklebens" bemerken kann, daß der 
Verband kaum großen Einfluß erlangen würde, da die 
Grenzen für die Aufnahme zu eng gezogen seien. Tat- 
sächlich verlangt der Verband nur sachlich und moralisch 
einwandfreie Mitglieder. Weniger kann er beim besten 
Willen nicht verlangen, sonst wäre die ganze Gründung 
eine Farce. Einen Einfluß aber im Sinne äußerer Macht 
will er gar nicht haben. Er ist im Grunde kein Kampf-, 
sondern ein Interessenschutz - Verband, ein pas- 
sives Regulativ, das aktiv nur da erscheint, wo die Ver- 
hältnisse ein Eingreifen erfordern. Auch dieses Eingreifen 
wird sich darauf beschränken, den Widerspruch zwischen 
Wirklichkeit und Verbandsanschauung scharf und ver- 
nehmlich zu bezeichnen. Welche Konsequenzen die davon 
Betroffenen, seien sie Verleger, Redaktionen oder Schrift- 
steller daraus ziehen wollen, das bleibt ganz ihrem Er- 
messen überlassen und hängt letzten Endes von dem Grade 
ihres sachlichen Verantwortlichkeitsgefühls ab. Aufgabe 
des Verbandes ist es nur, dieses Gefühl, das zuweilen 
schlummert, zu wecken und es ihnen deutlich zum Bewußt- 
sein zu bringen. Um das zu erreichen, bedarf er nicht 
einer äußerlich imposanten Quantität, sondern nur der 
unantastbaren Qualität der Mitglieder. 

Das Mittel, dessen der Verband sich für seine Weckarbeit 
bedient, werden die in zwangloser Folge je nach Bedarf 
erscheinenden Mitteilungen sein. Indem der Verband 
sich zu ihrer Herausgabe entschloß, hat er sich auch außer- 
halb der Protektionszone der Musikzeitungen begeben und 
überläßt es diesen, ihr Verhalten zu ihm ganz nach redak- 
tionellem Ermessen ohne jede private Verbindlichkeit zu 
regeln. Es ist der Beschluß gefaßt worden, Kritiker, die 
Eigentümer von Fachzeitschriften sind, nicht aufzunehmen. 
Bei der Festsetzung dieses Beschlusses waren nicht im 
mindesten persönlich sachliche, sondern rein prinzipielle 
Erwägungen maßgebend. Wenn der Verband gegen einen 
Kritiker etwas einzuwenden hat, wird er den Mut haben, 
dies klar auszusprechen — gleichviel ob dieser Kritiker 
Zeitungseigentümer ist oder nicht. Hier aber handelt es 
sich nur um die grundsätzliche Wahrung der gegenseitigen 
Unabhängigkeit. Im gemeinen Sinn klüger wäre es ge- 
wesen, man hätte den Häuptern der Fachblätter den 
Beitritt so leicht wie möglich gemacht, um dann in den 
Zeitungen bequem agitieren und propagieren zu können. 
Da der Verband indessen kein Agitations- oder Propaganda- 


3 



klub sein will, sondern es den einzelnen Mitgliedern überläßt, 
in der ihnen geeignet scheinenden Weise zu werben, so 
glaubte er, auf diese Art Klugheit verzichten zu dürfen und 
sich von jeder direkten Verbindung mit Fachblättern frei- 
halten zu müssen. Die Kritiker-Verleger, die Sinn und 
Charakter der Gründung verstehen, werden es begreifen, 
daß der gefaßte Beschluß nicht im mindesten eine Kränkung 
in sich schließt, sondern die unvermeidliche logische Folge 
der Organisationsidee ist. Der Verband steht den Fach- 
blättern grundsätzlich keineswegs feindlich gegenüber, er 
darf aber auch nicht in den Verdacht der Abhängigkeit 
oder der Dienstbarkeit kommen. Sie können mit ihm 
sympathisieren und, wenn sie seine Bestrebungen billigen 
und ihn ohne falsche Voreingenommenheit beurteilen, 
werden sie dies eigentlich tun müssen, freiwillig, 
aus sachlichen Gründen. Der Verband aber will 
und darf niemandem zu Dank verpflichtet sein. Er muß 
frei sein — frei vor allem von den Fesseln der Freundschaft. 

Nach diesen Darlegungen darf ich es mir versagen, aus- 
führlich auf einige öffentliche Angriffe gegen den Verband 
einzugehen, um so mehr, als sachliche Einwände, 
die ohne Entstellungsversuche arbeiten und die dem Ver- 
band in Wahrheit zugrunde liegende Idee oder deren Aus- 
führung treffen, bisher nicht laut geworden sind. Der Ver- 
band wird voraussichtlich auch weiterhin weniger mit dem 
offenen, als mit dem heimlichen Widerstand jener zu 
kämpfen haben, denen seine Existenz nicht behagt, weil 
sie ahnen, daß er ihnen gelegentlich lästig werden 
könnte. Ob er diesen Widerstand niede'rzwingen wird oder 
nicht, wird die Zukunft erweisen. Die Entscheidung liegt 
bei seiner eigenen Tüchtigkeit. Geht er zu Grunde, so 
war ein Fehler in dem Organismus und der Untergang war 
verdient. Setzt er sich durch — nun, so werden wir sehen, 
was er zu leisten vermag. Die Zeichen deuten, das darf 
man heut schon sagen, auf ein gutes Gedeihen und wenn 
die, die er zu sammeln strebt, immer das Interesse an der 
Sache über das an der Person setzen, so werden bald alle 
beisammen sein, auf die er zählen zu dürfen glaubt. 

Ich möchte diese Zeilen nicht schließen, ohne zu betonen, 
daß das, was ich darin gesagt habe, eben meine persön- 
liche Ansicht von dem Verband ist. Wer sich über die 
einzig authentischen Grundsätze der Organisation unter- 
richten will, mag die Satzungen nachlesen, die ebenso wie 
die „Mitteilungen“ jedem, der sich dafür interessiert, auf 
Wunsch zur Verfügung stehen. Wir treiben keine Ge- 
heimniskrämerei, aber wir bieten uns auch nicht an. Wir 
werden unseren Weg ganz ruhig weiter gehen — im Be- 
wußtsein, frei von allen Nebenabsichten einer guten Sache 
zu dienen. 

* * 

* 

Nachschrift der Redaktion. Wir können diese 
Zeilen nicht hinausgehen lassen, ohne ihnen ein paar Worte 
als Geleit mit auf den Weg zu geben. In der Zeit, wo 
sich alles, „organisiert“, wo die Zusammenschlüsse nicht 
bloß auf die bürgerlichen Berufe beschränkt bleiben, sondern 
mehr und mehr auf das bisher als „frei“ geltende künstlerische 
Gebiet hinübergreifen, konnte schließlich der Kritikerständ 
auch nicht abseits stehen. Ein Musikkritikerverband war 
aber umso nötiger, als die Zustände in der Musikkritik 
noch immer der Verbesserung bedürfen. Die Art der 
Gründung des Verbandes ist freilich mehrfach sogleich 
auf Widerspruch gestoßen. Doch darauf mußte man bei 
ihrer Exklusivität gefaßt sein. Immerhin werden sich 
auch sachliche Einwände regen: Bekker sagt z. B., daß 
die Standesorganisation sich von vornherein gegen jeden 
abschließt , „auf dem der Verdacht einer nicht 
durchaus unanfechtbaren Amtsführung ruht“. Genügt 
denn der „Verdacht“ allein? Wenn man bedenkt, daß 
jede Abweisung eines Aufnahmegesuches zum mindesten 
ein Befremden beim Betroffenen hervorruft, in den meisten 
Fällen eine Kränkung bedeutet ; daß schließlich , bei 
genügendem Einfluß des Verbandes, solche Ablehnungen 
schwere wirtschaftliche Schädigungen, unter Umständen 


die Gefährdung der Existenz nach sich ziehen könnten, 
so wird dieser Verdachts-Passus nicht aufrecht zu halten 
sein, er könnte unter Umständen auch dem Verband Un- 
annehmlichkeiten bereiten. Doch wir wollen am Einzelnen 
heute nicht kritisieren, es vielmehr mit Genugtuung be- 
grüßen, daß der „Verband Deutscher Musikkritiker“ das 
Licht der Welt erblickt hat. Wir haben das Vertrauen 
zu seinen Mitgliedern, daß sie Mißstände, die sich in der 
Praxis als solche herausstellen sollten, rückhaltlos 
beseitigen würden. Und es genügte tatsächlich nicht, durch 
die Auswahl bloß einen musikkritischen Areopag in Deutsch- 
land zu schaffen ; das Ziel soll so weit wie möglich 
gesteckt werden; der Arbeit gibt es viel, und mehr als 
eine Frage ist zu lösen. Wünschen wir dem neuen Ver- 
band für seine schwierige und heikle Aufgabe alles Glück. 
Inwieweit wir mit ihm bei Lösung der vielseitigen Auf- 
gaben gemeinsame Arbeit machen, das hangt von der 
Stellung ab, die der Verband den Fachzeitschriften gegen- 
über einnehmen wird. Man braucht sich noch nicht „an- 
zubieten“, wenn man für hohe Ziele zuverlässige Bundes- 
genossen sucht! 


Tonsetzer der Gegenwart. 

Georg Schumann. 

L äßt man einmal die kritischen Stimmen des Tages 
vor seinem Geiste vorüberziehen, so vernimmt man 
gewöhnlich ein drohendes Rauschen, wie von einem 
fern tobenden und brandenden Meere, das seine Wellen der 
steilen Küste mit Zorn und Groll ins Angesicht wirft. Bei 
näherem Zuhören löst sich als immer wiederkehrende Melodie, 
bald im schreienden Unisono, bald in qualvoller Vielstimmig- 
keit, bald im Brummstimmenchor oder in hohl pathe- 
tischer Heldenhaftigkeit einherschreitend, die ewige Klage um 
den Verfall der Musik in unserer Zeit los. Ewig ist sie; denn 
zu allen Zeiten ist sie erschallt und wird auch in Zukunft 
nie enden. Ist denn nun unsere Zeit wirklich so schlimm ? 
Stammen unsere Modernen wirklich unmittelbar vom Teufel 



GEORG SCHUMANN. 


4 


ab ? Sind nur die Toten die Engel ? Ich meine, es ist geradezu 
undankbar und ein Frevel an dem Rufe unserer Zeit, wenn 
man angesichts bedeutender Charakterköpfe , wie z. B. Strauß 
und Reger, immer nur Klagen und nichts als Klagen vorzu- 
bringen weiß. Freilich, es gibt eben Leute, in denen das 
physikalische Gesetz der Trägheit in seiner größten Vollendung 
wirksam ist, denen schon der Gedanke an eine Rotation 
Schwindel verursacht, denen der nächste Zaun das Ende der 
Welt bedeutet, und die sich eben nur „in der Gewohnheit 
trägem Gleise“ behaglich fühlen. 

Ein Tonstück mißt man in erster Linie nach seinerii 
poetischen Gehalte, und so muß man folgerichtig eine Musik- 
periode nach dem Verhältnisse messen, in dem sie zur Poesie, 
d. h. zum poetischen Empfinden steht. Und nach dieser Seite 
hin brauchen wir unsere Zeit wahrlich nicht zu verdammen; 
denn wir haben doch eine Reihe hervorragender .Tonpoeten, 
ja, das ganze Streben unserer besten Köpfe geht nach Ver- 


zuforschen, wo die Angebetete wohnt, man sucht nach ver- 
schiedenen Seiten, ruft, antwortet sich gegenseitig. Dieses 
kurze Zwischenspiel ist von intimer Schönheit. Endlich ist 


ist. Hier brachte er in das in der Tradition etwas erstarrte 
Institut durch Aufführung moderner Werke neues Leben. 

Um nun den Komponisten musikalisch deutlich zu charakte- 
risieren, halte ich es für zweckmäßig, einige Werke einer 
Analyse zu unterziehen, die für seine Bedeutung am meisten 
ausschlaggebend sind. Auf diese Weise wird hoffentlich der 
Leser am ehesten die Anregung gewinnen, sich mit dem Kom- 


ponisten zu beschäftigen, und solchem Zwecke soll ja eine 
Arbeit wie. diese nur menen. 

Greifen wir zuerst nach op. 34, der Serenade für großes 
Orchester I 

Dem Gebiete der Programmusik angehörend, zeigt sie uns 
den Komponisten von der volkstümlichen und von der humori- 
stischen Seite. Schon die „Variationen über ein lustiges 
Thema“ (op. 30) hatten die Begabung Schumanns für die 
letztere ins hellste Licht gestellt. In der Serenade waltet 
ebenfalls wieder ein gesunder, urwüchsiger Humor, der aber 
hier nicht Selbstzweck ist, sondern zu der gemütlich-senti- 
mentalen Seite einen Gegensatz schafft, wie er nicht wirk- 
samer gedacht werden kann. Dadurch bekommt die ganze, 
im Grunde genommen höchst einfache „Handlung“ oder 
Begebenheit einen originellen Anstrich. Man kann hier von 
Handlung reden, da, wie gesagt, die Serenade Programm- 
musik bietet. Jeder Satz trägt als Richtschnur seine Ueber- 
schrift. Die Themen sind volkstümlich gehalten. Als fremder 
Bestandteil tritt der Anfang des Volksliedes „Der Edelmann 
im Habersack“ auf. 

Erster Satz: Fröhlicher Auszug der Teilnehmer, in denen 
sich schon die Gegner und Spötter bemerkbar machen. Nach 
zwei einleitenden Takten (Horn- und Trompetenrufe) setzt 
. das volle Orchester, das, nebenbei gesagt, die übliche Besetzung 
nicht überschreitet, mit dem gemütlichen, volkstümlichen 
ersten Thema ein (F dur- Allegro) 


der Ort gefunden, man sammelt sich und nimmt Aufstellung. 
Da künden scharfe Akkorde die Anwesenheit der Spötter an. 
Mit einer grotesken Cellofigur beginnt der Spott. Fagott und 
Kontrafagott machen einen burlesken Witz:. 


* 

pp f 

der gehörig belacht wird. Holz und Streicher wollen sich 
gegenseitig in der Neckerei überbieten. Dazwischen hinein 
ertönt, zuerst gedämpft, später offen, in der Trompete der 
Anfang des Volksliedthemas. Die Szene ist voll köstlichsten 
Humors. Bisher haben die Teilnehmer geschwiegen. Als 
aber die GescMchte zu toll wird, rücken sie den Spöttern mit 


Zu diesen Tonpoeten ist auch der Berliner Singakademie- 
direktor Georg Schumann zu zählen, dem die folgenden Zeilen 
gelten sollen. 

Sein Lebensgang ist kurz folgender: Er ist 1866 als der 
Sohn des Stadtmusikdirektors in Königstein an der Elbe 
geboren. Von seinem Vater erMelt er schon frühzeitig die 
erste technische Ausbildung, so daß er bereits mit neun Jahren 
unter den ersten Geigern im Orchester seines Vaters mit- 
wirken konnte. Dadurch hatte er den Vorteil, schon im 
frühesten Kindesalter mit dem Orchester bekannt zu werden, 
wodurch die Grundlage zu seiner meisterhaften Behandlung 
gelegt wurde. Von seinem Großvater erlernte er das Orgel- 
spiel, und schon mit dem zwölften Lebensjahre konnte er das 
Organistenamt in seiner Vaterstadt ausuben. Später war 
er Schüler von C. A. Fischer, B. Rollfuß und Fr. Baumfelder 
in Dresden. 1881 trat er zum erstenmal öffentlich als Pianist 
auf. Der Erfolg seines Spiels gewann Meister Reineckes 
Interesse, und so bezog er 1882 das Leipziger Konservatorium, 
wo er zu den „sieben Raben“ des Holsteinstifts gehörte. Hier 
widmete er sich nachdrücklich der Komposition und bereitete 
sich auf den Dirigentenberuf vor. 1888 verließ er das Leipziger 
Konservatorium, war von 1890 bis zum Herbst. 1896 Dirigent 
des „Gesangvereins“ in Danzig, 1896 — 1899 Dirigent der 
Bremer Philharmonie und wurde dann auf den bedeutsamen 


mischer Steigerung). Mit einem langen Hornruf, der aus den 
ersten zwei Takten des ersten Themas herauswächst, endet 
der Satz. 

Zweiter Satz: Nächtlicher Spuk. Ein gehaltener fismoll- 
Akkord in hoher Lage. Vorsichtiges Spähen. Dann nimmt 
die Klarinette in tiefer Lage den Fagottwitz aus dem ersten 
Satze auf, worauf sofort die Spötter aus allen Ecken hervor- 
huschen und ihrer Laune die Zügel scMeßen lassen. Weiter- 
hin singt die Klarinette eine karikierte Liebesmelodie, die 
wieder sehr belacht wird. Erste Violinen und Bratschen 
bringen den Anfang der Karikatur in der Vergrößerung, was 
zuerst wirklich für eine Liebesmelodie gehalten wird; denn 
der Spott schweigt, bis sich Fagott und Klarinette doch nicht 
halten können und ihre Witze machen, worauf zuerst die Flöte, 
dann alles reagiert. Ein köstlicher Spaß, ein Schrecken aller 
Philister, findet sich dort, wo die Flöten kurz vor der .Wieder- 
holung zusammen in kleinen Sekunden über eine Oktave in 
die Höhe gehen, nur von der Klarinette begleitet. Am Schlüsse 
noch einmal leise der burleske Witz, gedämpfter Hornruf, 
Hinauf flattern der Harfe: Der Spuk ist verschwunden. Eine 
große Rolle spielt im ganzen Satze die Chromatik, mit deren 
Hilfe der Komponist den Humor wirkungsvoll zu steigern 
weiß. Das Ganze ist von einem übersprudelnden Lebens- 
gefühl, von einer Grazie des Humors, die den Sinn unweiger- 
lich gefangen nimmt. Die Orchesterfarben sind äußerst 
gescMckt aufgetragen, namentlich die Holzbläser mit Virtuosi- 
tät behandelt. 

Dritter Satz: Ständchen. Adagio. .Nach ein paar prä- 
ludierenden Harfenakkorden singt die Klarinette eine süße, 
sehnsuchtsvolle Liebesmelodie (Edur), für deren akkordliche 
Grundlage außer der Harfe in der Hauptsache Hörner und 
Fagotte sorgen. Unterbrochen wird die Melodie von einem 
innigen kurzen Satz der Streicher. 

Vierter Satz: Intermezzo. Absage. Das Ständchen hat 
leider nicht den erwünschten Erfolg gehabt. Die Oboe bringt 
in wiegendem %-Takt (atnoll) die Absage. Im Mittelsatz 
nochmals Bitten jetzt beider Klarinetten. Alles vergebens. 
Die Absage wird wiederholt, und zwar jetzt ernster vom 
Horn eingeleitet. Mit einem ergebungsvollen, entsagenden 
Seufzer der Klarinette schließt der Satz. 

Fünfter Satz: Finale: Die Liebhaber ziehen grollend unter 
Hohn und Spott der Gegner ab. In einem von den Streichern 
unisono angeführten presto-f moll-Satze lassen die Liebhaber 
ihren Zorn über die Absage aus. Voll Wut steigert sich das 
Zomthema bis zum ff. Da setzen spottend die Holzbläser 
mit dem Volksliedthema ein, zur Erhöhung des Spottes ge- 
stalten sie den Rhythmus im Anfang jetzt = m Dazu 

später die Zomausbrüche der Liebhaber in den Streichern! 
Das ist eine Situation, die imwillkürlich zum Lachen reizt. 
Als lyrisches Moment, aber ironisch gemeint, bringen die 
Holzbläser: 



dem nach 20 Takten ein zweites ebenfalls in F dur folgt, das 
sich im zehnten Takte überraschend nach Adur wendet. 
Dieses bringt innigere lyrische Momente in die harmlose 
Fröhlichkeit des Anfangs. Der Anfang des zweiten Themas 
gewinnt weiterhin größere Bedeutung. In freundlicher Weise 
entwickelt sich der Satz, unter Scherzen und fröhlichen Ge- 
sprächen marschieren die Teilnehmer weiter. Eine kurze 
Zusammenführung von Teilen beider Themen: Sie sind am 
Ziele. Vorsichtige Homrufe. Man zerstreut sich, um aus- 



das später zu einem hübschen Zwischensatz im a /*-Takt ver- 
wendet wird, der, breiter ausgeführt, auch in der Wiederholung 
eine Rolle spielt. Die Reibereien werden immer heftiger. 
Dazwischen hinein noch ein launiges Thema in amoll, nach 
dessen Ausführung das Volkslied Trumpf wird. Die Motive 
fallen immer dichter zusammen, bis der Spektakel seine 


5 




äußersten Grenzen erreicht hat. Fermate. Klarinetten und 
Fagott bringen eine volkstümliche Bemerkung! Ihr nehmt 
alles viel zu schwer. Es ist es aber doch auch, sagen die 
Streicher mit dem Anfangsmotiv, lassen sich jedoch bekehren 
und stimmen endlich zum Schluß selbst mit in das spottende 
Volksliedthema ein. Großer Jubel. Schluß. 

Die Serenade ist ein Werk von ungewöhnlichem Klangreiz, 
spannend bis zun; Ende, in ihrer glücklichen Vermischung von 
Innigkeit und Humor ein Meisterwerk, dabei äußerst klar in 
der Form, so daß der Zuhörer den Genuß nicht teuer zu er- 
kaufen braucht. 

Der volkstümlichen, gemütvoll-humoristischen Serenade 
entgegengesetzt ist die mit größtem Emst und tiefster Leiden- 
schaft erfüllte „Ouvertüre zu einem Drama“ (op. 45) dmoll. 

Nächst den Orchesterwerken steht an größeren Arbeiten 
op. 40 „Sehnsucht“ (Schiller), für gemischten Chor mit Or- 
chester. Die thematische Arbeit liegt hier lediglich im Or- 
chester. Die erste Strophe des Gedichts bringt der Chor ohne 
Begleitung als Einleitung, wie präludierend, sinnend, an- 
schauend. Das Tempo ist hier abwechslungsreich, etwa 
rezitativähnlich zu gestalten. Dann vier Takte Wogen im 
Orchester auf D 1 4° , worauf das stimmungsvolle Hauptthema 
einsetzt: 



das ungemein zart und anmutig den ewigen Frühling schildert, 
der „in dieses Tales Gründen“ nicht zu finden ist. Lauschend, 
wie um die Schönheit nicht zu stören, setzt der Chor ein: 
„Harmonien hör’ ich klingen.“ Leichtwallend wehen leichte 
Winde, gold’ne Früchte winken zwischen Laub und Blumen! 
Alles wird sehnsuchtsvoll angeschaut, und im Anschauen stei- 
gert sich der Wunsch, es zu besitzen. Doch vergeblich. Stiller 
und stiller wird es. Ergebungsvolle Seufzer steigen auf und 
zer flattern. Es ist erstaunlich, wie in dem ganzen breiten 
Satze bis hierher das erste Thema ausgebeutet ist. Alles atmet 
Stimmung, Wohlklang, Schönheit. Da beginnt in scharfem 
Allegro, 4 / 4 -Takt, ein Orchesterzwischenspiel: 



In höchsten dynamischen Akzenten und festen Rhythmen 
bringt der Chor: „Doch mir wehrt des Stromes Toben“, vom 
Orchester mit stürmender Macht begleitet. Die Sturm- 
schilderung erhebt sich im Nachspiel dieses Satzes zu wildester 
Gewalt. Scharfe Akkorde enden plötzlich im pp Andante 
Fisdur. Das Horn beginnt: 



Fortsetzung im Englischhorn, in den Streichern wogendes 
Weben, im Chor: „Emen Nachen seh’ ich schwanken.“ Dieser 
wieder außerordentlich stimmungsreiche Zwischensatz führt in 
das erste Thema hinein, das jetzt unter den Worten: „Frisch 
hinein! Du mußt glauben, du mußt wagen“ usw. seine größte 
Steigerung erfährt. Die Sehnsucht wird sich dessen gewiß, 
daß das Wunder kommen muß, das sie in das schöne Wunder- 
land führt. In dieser seligen Gewißheit schließt das Ganze 
verklärend ab. Die Stimmung des Gedichts ist vom an- 
schauenden Standpunkt aus erschöpfend wiedergegeben. Die 
klare Form erleichtert das Verständnis des Werkes ungemein. 

Einen außerordentlichen Erfolg hat Schumann mit seinem 
fünfzigsten Werke gehabt, der „Ruth“. Das Werk ist durch 
zahlreiche Aufführungen so bekannt geworden, daß sich ein 
ausführliches Eingehen darauf erübrigt. Es ist eins von jenen 
Werken, die man lieb gewinnen muß und zwar je mehr, je 
länger man sich damit beschäftigt. Ist schon der im Grunde 
genommen höchst einfache Stoff vor allem uns Deutschen 
sehr sympathisch, so erhöht sich diese Sympathie noch durch 
die Axt und Weise, wie ihn Schumann erweitert und vertieft 
hat und zwar nach der lyrischen Seite hin. Streng sachliche 
Beurteiler werden ja manches „hineingetragen“ finden, wie den 
dramatisierenden Chor bei der Rückkehr der Naemi und der 
Ruth und den Chor der Nachtgeister, aber der Musiker wird 
diese „dramatischen“ Bedenken gern zurückstoßen, da es 
sich um musikalisch ganz hervorragende Dinge handelt. Den 
angeführten ersten Chor charakterisiert eine außergewöhnlich 
, scharfe packende Deklamation, die in Verbindung mit der 
Rhythmik den Eindruck freier, aufgeregter Gespräche hervor- 
ruft. Treffender kann die grollende Menge kaum gezeichnet 
sein als durch den Anfang: 

6 


Bässe 



^ , -5=f-f=4-t5 *= 

la 

: J—LJZ 5 y 2f__J 

t das Na - e - ml? Ist das Na- 

A 3 3 

ä 1 1 1 1 

1-4-1' 11 ■■ 1 > Z 

F-Jr F F — J r - — s — - »z — r *-F %. i 

uZ r r 1 1 p 1 p 5* t — r-r — n-n s. -I 

1 f- 3 



e - ml? Sehl dort E - 11 - me - lech* Weib! 


Man beachte hier die jüdelnde letzte Phrase, ebenso wie später 
das geschwätzige 


Fs 



/— — 


Gott der Ge - rech - te 


Es steckt etwas von Straußscher Schärfe in dieser ruck- 
weisen Deklamation. Wer denkt hierbei nicht an die charakte- 
ristischen Sprachakzente in der „Salome“! Auch die in- 
strumentale Grundlage steht hier in rhetorischem Lichte. Der 
ganze Chor ist ein Meisterstück musikalischer Charakteri- 
sierungskunst. 

Der Chor der Nachtgeister gehört ebenfalls in dieses Gebiet. 
Durch die auf der Verwendung der Chromatik beruhende 
Freizügigkeit der Tonarten ist in der Schilderung von spuk- 
haften Gestalten und unfaßbaren Nebelerscheinungen gegen- 
über der Mendels sohnschen Sommemachtstraumpoesie ein 
großer Umschwung eingetreten. Durch die Unbestimmtheit 
der Tonart wird diesen Gestalten noch mehr von einer greif- 
baren Wesenheit genommen. Rechnet man hierzu das Un- 
stete der chromatischen Melodien, die ausgiebige Verwendung 
verminderter, übermäßiger und alterierter Akkorde, sowie 
den reichen, schillernden Farbenwechsel moderner Instru-, 
mentationskunst, so ergibt sich ein Bild, wie es in der Feinheit 
der Gliederung und der Charakteristik wohl nicht zu über- 
treffen ist. Mag sein, daß anderen Geschlechtern mit anderen 
Nerven eine andere Darstellung besser zusagt, für die Empfind- 
lichkeit des moderneren Menschen ist jedenfalls somit das 
Vollkommenste geschaffen worden, was möglich erscheint. 

In dem Nachtgeisterchor spielt der übermäßige Dreiklang 
mit seinen Umkehrungen eine große Rolle. In seiner Ver- 
zerrung läßt gerade er der Phantasie in der Büdung von Vor- 
stellungen einen weiten Spielraum, gleichzeitig ein leises 
Grauen vor den Schemen erweckend, die auf- und abwärts 
schweben, unbestimmt, ob sie Glück oder Unglück bringen. 

Auf dem Gebiete der Kammermusik hat sich Schumann 
einen großen Erfolg errungen mit dem Klavierquintett op. 49 
(Fdur). 

Der erste Satz bringt nach zwei einleitenden Takten unter 
lauschender, welliger Bewegung des Klaviers, der Bratsche 
und dem Pizzikato der beiden Violinen das erste Thema im 
Cello, einen beinahe volkstümlich zu nennenden idyllischen 
Gesang voll zufriedener Lebensfreude! 

commodo 



mm 








Diesem nun weiter ausgeführten Idyll wird ein jähes Ende 
bereitet durch scharfe Schläge vom Klavier, denen lebhafte 
Bewegung in den Streichern folgt. Der energischen, kurzen 
Ueberleitung folgt am Klavier em Seitenthema, schwankend, 
zögernd, rhythmisch verändert, in dmoll beginnend, aber 
bald unstet umherirrend. Bald flammen in I. VI. und Vc. 
leidenschaftliche Motive auf, die den Anstoß zu äußerst auf- 
geregtem Musizieren geben. Mild beschwichtigend ertönt das 
erste Thema in den Strudel hinein, ohne daß es ihm gelingt, 
die Wellen auf die Dauer zu glätten. Hart fallen die erwähnten 
Schläge, jedoch wird bald ihr Charakter gemildert, und nach 
einer breit ausgespopnenen Durchführung erscheint, mit 
glänzender- Steigerung eingeführt, in strahlendem Unisono der 
Streicher unter jubelnder Begleitung des Klaviers das erste 
Thema (Wiederholung). Dem ersten Satz folgen als zweiter 
Variationen über ein zuerst vom Klavier allem aufgestelltes 
Thema, das in seiner Naivetät auf das frohe Hauptthema 
des ersten Satzes hinweist. 

Der dritte Satz beginnt in lustiger Laune mit dem auf die 
F dur-Tonleiter gestutzten, staccatierten Hauptthema, dem 
nach gesprächiger Ausarbeitung ein etwas keckeres, zweites 
Thema folgt, das den Uebermut noch steigert. 

Die Durchführung verwertet in überaus launiger Weise Mo- 
tive der beiden Hauptthemen. Der ganze Satz ist sehr klar 
und durchsichtig und von unmittelbarer Wirkung. 




Der vierte Satz bringt nach ein paar kurzen Anläufen als 
erstes ein Thema in fmoll, das den objektiv musikalischen 
Charakter eines Fugenthemas an sich trägt und einige Erwar- 
tung erweckt. Ins Leidenschaftliche hinüber weist ein Seiten- 


thema mit seinem Anfänge 



dem ein überaus 


schönes, ruhiges Thema in Des dur folgt: 


Strch. con graziöse 




Nach diesem beginnt tonartenlos ein frei musikalischer, phan- 
tasieartiger, sehr klang- und empfindungsvoller Teil, dem in 
gedrängter Kürze die Wiederholung der drei Themen in F dur 
folgt, worauf sehr schwungvoll in großem Aufstieg der Schluß 
herbeigeführt wird. 

* • * 

Das Gebiet der Liedkomposition ist vom Komponisten zu- 
letzt durch op. 44 (sieben) Lieder der Liebe (Karl Henckell), 
op. 46 zwei Gesänge und op. 48 vier Lieder befruchtet worden. 
Will man die Lieder kurz charakterisieren, so kann man sie 
als Stimmungsbilder bezeichnen. Allgemein herrscht in der 
Singstimme eine satte, schwungvolle Melodik vor, die schon 
für sich allein oft gewichtige Steigerungen bringt, wie in op. 48 
No. 4 am Schlüsse, op. 44 No. 5 bei den Worten „ich liebe 
dich“. In der Klavierstimme erkennt man leicht den spezi- 
fischen Orchesterkomponisten. Vollgriffig, akkordlich kühn, 
rhythmisch interessant gibt sich der Klaviersatz. Op. 48 und 
op. 46 halte ich für die wertvollsten Lieder des Komponisten. 

Wenn ich schließlich den Liedern op. 44 gegenüber 
meine persönliche Meinung aussprechen soll, so mochte dies 
dahin gehen, daß sich der Komponist durch die teilweise zu 
„süßen“ Texte auch musikalisch zu ähnlichem Ausdruck 
verleiten ließ, daß die. melodische Kraft der übrigen Lieder 
hier nicht erreicht, manches auch, wie No. 1 und 4, etwas 
zu leicht erfunden ist. Unsere Beilage bringt eines aus op. 35. 

Kurz sei noch einiger unbegleiteter Chöre gedacht, der 
Männerchöre op. 41, der geistlichen Lieder op. 51 und der 
drei Motetten op. 52 für gemischten Chor. 

Die Männerchore sind besonders in harmonischer Beziehung 
außerordentlich fesselnd, für die Ausführung allerdings sehr 
schwer, wie alles, was harmonisch nicht im gewöhnlichen 
Gleise bleibt. 

Originell ist das „Ständchen“ (Kawerau), dessen eigen- 
. artiger Rhythmus sicher von einem Instrumentalgedanken 
hervorgerufen worden ist. Die „Liebestrauer“ trägt ein edel 
volkstümliches Gewand, das in den einzelnen Strophen ver- 
schiedenen Schmuck erhält. Schwer in der Stimmung ist 
„Sei still“ (Schorn), glühend berauschend das Rhemlied 
(Fr. Schanz), das eine glänzende musikalische Steigerung 
enthält. Und wie ist die vorbereitet! 

Hochpoetische Sachen sind die gemischtchörigen Werke 
op. 51 und 52. Stimmenführung und Verwertung des Chor- 
klanges stehen gleichhoch. Aus op. 51 ist als besonders zart 
in der Stimmung und gemütbewegend in der Wirkung „Mariä 
Wiegenlied“ mit seinem glaubensfrohen Sopransolo zu nennen, 
ferner „Wo ist Gott?“ und „Huldigung beim Jesuskinde“, 
für reinsingende Chöre sehr dankbare Aufgaben. Op. 52 gibt 
zuerst den achtstimmigen, innigen Gebetchor „Komm, henger 
Geist“, der in der Zusammenstellung der Stimmengruppen 
sehr glücklich ist (wie feine Wirkung erzielt z. B. der Schluß!), 
dann den vierstimmigen, sehr natürlich erfundenen, dank- 
freudigen „Es ist ein köstliches Ding“ und den aus tiefster 
Not demütig und schmerzbewegt bittenden „Herr erhöre 
meine Worte“ mit seinem stimmungschweren, harmonisch 
überaus tiefschürfenden Anfangsteil (Darstellung höchster 
Not) und dem innig melodischen zweiten Teil. 


Hiermit sei die Skizze beendet. Wenn sie dem oder jenen 
die Anregung gibt, sich eingehender mit dem Komponisten 
zu beschäftigen, so ist ihre Aufgabe erfüllt. Anregen, auf- 
muntem, weiter können ja schriftliche Arbeiten dieser Art 
nichts. Dem Praktiker bleibt dann das weit Wichtigere 
Vorbehalten, die Anregungen in die Tat umzusetzen, und das 
ist dann das eigentlich Fruchtbare und Wirksame. 

* * * 

Zum Schlüsse erfolge noch eine Zusammenstellung der in 
dieser Skizze noch nicht genannten Werke Schumanns : 

1. Orchesterwerke: op. 22 „Zur Kamevalszeit“, Suite; op. 24 
Symphonische Variationen über den Choral „Wer nur den 
lieben Gott läßt walten“; op. 42 Symphonie fmoll, Ouver- 
türe „Lebensfreude“, op. 54. 

2. Größere Chorwerke : op. 3 „Amor und Psyche“ für ge- 
mischten Chor, Orchester und Orgel; op. 33 „Totenklage“ 
für gemischten Chor und Orchester; op. 47 Festkantate für 
gemischten Chor, Soli und Orchester; op. 57 „Das Tränen- 
krüglein“ für gemischten Chor, Soli, Klavier, Harmonium und 
Harfe. 

3. Kammermusikwerke: op. 12 Violinsonate in dsmoll; 
op. 18 Klavierquintett; op. 19 Cellosonate; op. 25 Klaviertrio 
in F dur; op. 29 Streichquartett in f moll; op. 55 Violinsonate. 

4. Klavierstücke : op. 6 Zwei Klavierstücke; op. 7 Improvi- 
sationen; op. 8 Thema mit Variationen; op. 9 Zwei Klavier- 
stücke; op. 20 Musette; op. 21 Intermezzi; op. 26 Fantasie- 
etüde; op. 27 Harzbilder, Fantasie; op. 36 Fantasie; op. 37 
Vier Klavierstücke. 

5. Orgel : op. 39 Passacaglia und Finale über B-A-C-H. 

6. Lieder mit Klavier: op. io, 11, 13, 14, 15, 16, 17, 37, 38, 56. 

7. Gemischter Chor ohne Begleitung: op. 31 Drei geistliche 
Gesänge. 

8 . Op. 53 Zwei geistliche Gesänge für 1 Singst, mit Orgel. 

Es liegt an Umständen, die hier nicht erörtert werden 

können, daß von den Werken nach op. 52 keins eingehender 
erwähnt werden konnte. Vielleicht ist das an geeigneter 
Stelle nachzuholen. Artur Schlegel (Leipzig). 


Richard Wagner in Moskau 1863. 

Erinnerungsblatt eines Ueberiebenden für das 
Jubiläumsjahr 1913. 

V or fünfzig Jahren war Wagner in Rußland kaum ge- 
kannt, jedoch hatte er schon zu der Zeit begeisterte 
Anhänger in Moskau. Sie gehörten dem engen Kreise 
von gebildeten Musikern an, die dazu berufen waren, musika- 
lische Kultur im Lande zu verbreiten. Sie waren an der 
Kaiserl. Russischen Musikgesellschaft tätig, mit deren Er- 
öffnung (Filiale in Moskau 1860) eine intensive musikalische 
Bewegung in Rußland erwachte. — Als erster stand Nikolai 
Rubinstein, der Wagner, den Großen im Reiche der Ton- 
kunst, erkannt hatte, und in seinem ersten Symphoniekonzert, 
dem allerersten der Kaiserl. Russischen Musikgesellschaft in 
Moskau, das Spinnerlied aus dem „Fliegenden Holländer“ 
vorgeführt hatte. Es gefiel dermaßen, daß es wiederholt 
werden mußte. Ihm zur Seite stand Karl Albrecht (nachher 
Inspektor am Konservatorium), der Rübinstein in allen seinen 
kühnen Plänen unterstützte; begeisterter Wagnerianer, der 
tiefgründig dessen Partituren studierte. Ihnen schloß sich 
Ed. Langer, Klavierlehrer, an, der späterhin zum Professor 
des Konservatoriums ernannt wurde. Er hatte seine musika- 
lische Ausbildung in Leipzig erhalten und dort Gelegenheit 
gehabt, Wagners Tonsprache kennen zu lernen. Als vierter 
ist Nikolai Kaschkin zu nennen, Pianist, gründlicher Theo- 
retiker und Musikschriftsteller, der späterhin das Amt eines 
Professors am Konservatorium bekleidete. Er trug warme 
Begeisterung dem kühnen Bahnbrecher des musikalischen 
Fortschritts entgegen. Seinen, des noch lebenden Augen- 
zeugen Erinnerungen haben wir es zu verdanken, über den 
Besuch Wagners zu Moskau Intimeres zu erfahren; welche 
musikalischen Verhältnisse der Meister in Moskau vorgefunden 
und welch einen Eindruck er damals hinterlassen hatte. Die 
Erinnerungen sind kürzlich in dem in Moskau erscheinenden 
Musikalischen Wochenblatt, verantwortlicher Redakteur Wladi- 
mir Derschanowsky, erschienen, wonach sie zum erstenmal in 
deutscher Sprache veröffentlicht werden. 

Die Philharmonische Gesellschaft in Petersburg, die älteste 
der musikausübenden Institutionen in Rußland, hatte Wagner 
zum Dirigenten von drei Symphoniekonzerten in Petersburg 
engagiert. Der glänzende Erfolg seines Auftretens in Peters- 
burg hatte die Direktion des Kaiserl. Theaters bewogen, 
Wagner nach Moskau zur Wiederholung der Konzerte mit 
demselben Programm aufzufordem. Die Einnahmen sollten 
zur Hälfte geteilt der Theaterverwaltung und Wagner zu- 
kommen. Wagner hatte seine Zustimmung dazu gegeben. 


7 



Der Direktor der Kaiserl. Theater von damals, L. Lwow 
(Bruder des Komponisten der Nationalhymne, die auf Befehl 
des Kaisers Nikolaus I. erstand), war ein engherziger Bureau- 
krat, Dilettant in der Musik, Anhänger der italienischen 
Oper. Die Fühlung mit der Tonsprache Wagners ging ihm 
gänzlich ab! Aber die Aussicht auf materiellen Erfolg hatte 
den Ausschlag gegeben, und Wagners Konzerte sollten in 
Moskau wiederholt werden mid die Aufführungen im Großen 
Kaiserl. Opernhause vor sich gehen. 

Im März 1863 langte Wagner in Moskau an und beeilte sich, 
Nik. Rubinstein, dem Repräsentanten der Kaiserl. Russischen 
Musikgesellschaft, seinen Besuch abzustatten. 

Die obengenannten begeisterten Wagnerianer hatten sich 
frühzeitig zur ersten Probe im Kaiserl. Opernhause eingefunden 
und waren Augenzeugen einer herzlich-freudigen Begegnung 
Wagners mit dem Violoncellisten Lützau, der einst unter 
seiner Leitung im Orchester in Riga gespielt hatte. Auf dem 
Programm standen Beethovens Fünfte und Wagners Werke. 

Etwas ganz Neues, Uner- 
wartetes war für die Anwesen- 
den das Auftreten Wagners 
auf dem Podium mit dem Ge- 
sicht zum Orchester gewandt! 

Rubinstein hatte es ihm bei 
der ersten Gelegenheit nach- 
gemacht und von der Zeit 
ab haben es die Dirigenten 
in Moskau nicht anders ge- 
halten. Das Orchester der 
Kaiserl. Oper von damals 
hatte ausgezeichnete Kräfte 
für die Solisteninstrumente, 
in den weiteren Reihen je- 
doch stand es anders: die 
Streicher waren nicht immer 
die besten und mit den Blä- 
sern war es erst recht schwach 
bestellt. Aber der Dirigenten- 
stab Wagners bewirkte Wun- 
der: Beethovens Fünfte wurde 
kaum für wenige Anweisungen 
von ihm unterbrochen. Seine 
Leitung des Orchesters hatte 
etwas Großartiges an sich. 

Die Gestaltung des Crescendo 
führte er mit der rechten 
Hand durch, während die 
linke den Takt innehielt. '.Das 
Gewaltsame der Modulation 
trat hervor. Der Dirigent 
und die Ausübenden schienen 
sich zur Lösung einer hohen 
Aufgabe vereinigt zu haben. 

Das Orchester war wie von 
einem Geiste beseelt und 
spielte ganz vorzüglich. 

Die „Tannhäuser“ - Ouver- 
türe wurde in der ersten 
Probe durchgenommen. Wag- 
ner sah die Partitur durch 
und trug etliche Verände- 
rungen mit dem Bleistift in 
die Notenhefte ein, die aus 
der Musikalienhandlung von 
Jiirgenson geholt worden wa- 
ren. Nikolai Rubinstein hatte 
die „Tannhäuser“ -Ouvertüre schon vorher in einem seiner Sym- 
phoniekonzerte aufgeführt, so daß sie von den Orchesteraus- 
übenden gründlich einstudiert war. Die Probe ging glatt vor sich. 
Die Kontraste im Tempo wurden von Wagner stark hervor- 

f ehoben und das Ganze mit Glanz durchgeführt. Das Lied an 
en Abendstern sollte von Finokki, einem Sänger an der Kaiserl. 
Oper, gesungen werden. Infolge einer Erkältung versagte 
ihm aber die Stimme und er konnte an der Probe nicht teil- 
nehmen, hoffte jedoch am nächsten Tage im Konzerte auf- 
treten und singen zu können. Wagner nahm dennoch die 
Begleitung zum Abendstern durch und sang selbst die Melodie 
im Rezitativeton dazu, wobei sogar Wagnerianer zugeben 
mußten, daß er hin und wieder leicht detonierte, womit be- 
wiesen ist, daß selbst das schärfste Gehör vor einem derartigen 
Uebel nicht immer retten kann. 

Von den hohen Herren der Theaterdirektion war niemand 
zur Probe gekommen, eine Nichtachtung Wagner gegenüber, 
die sich kaum erklären ließ. N. Rubinstein dagegen, der 
feinfühlende Künstler mit den feinsten gesellschaftlichen Um- 
gangsformen, war die Liebenswürdigkeit selbst, stellte Wagner 
seine Freunde und etliche der Orchesterausübenden vor, was 
Wagner angenehm zu berühren schien. 

Im zweiten Konzerte führte Wagner Gesangsstücke aus 
dem „Siegfried“ auf, die noch nicht im Druck erschienen 
waren. Wladislawlew, ein geübter, intelligenter Sänger der 


Kaiserl. Oper, übernahm die Singstimme. Leider war ihm 
die deutsche Sprache gänzlich fremd. Die deutschen Worte 
wurden mit russischen Buchstaben in sein Notenheft ein- 
getragen. Aber es half wenig (das kann man sich denken! 
Red.), er konnte den Text nicht fassen. Wagner war in Ver- 
zweiflung und Wladislawlew ebenfalls, der als musikalisch 
anerkannter Sänger sein Prestige nicht fallen lassen wollte. 

Nikolai Kaschkin half aus der Verlegenheit: er schlug vor, 
die Uebersetzung des Textes ins Russische vorzunehmen und 
ging sogleich mit Beihilfe von Nik. Rubinstein an die Arbeit. 
Die Notaufgabe war bald gelöst, die russischen Worte wurden 
ins Notenheft eingetragen und Wladislawlew versprach zum 
nächsten Tage, die Vorarbeit fertigzustellen. Er hielt Wort 
und sang den russischen Text vollkommen rein mit wahrem 
Künstlersinn zur größten Befriedigung • Wagners, der dem 
Sänger, Kaschkin und Rubinstein seinen wärmsten Dank 
ausdrückte. — Die Konzerte unter Wagner erfreuten sich eines 
glänzenden Erfolgs, die Einnahmen hatten die kühnsten Er- 
wartungen übertroffen, und 
Wagner nahm ein Täschchen 
voll blanken Goldes mit auf 
den Weg nach Deutschland. 
„Da ist Rußland!“ soll er aus- 
gerufen haben, als er es seinen 
Freunden in Deutschland 
zeigte. 

Der intime Kreis der Wag- 
nerianer war tief empört über 
das Benehmen jder Herren der 
Theaterdirektion, die Wagner 
kaum zu bemerken schienen. 
Es fiel das um so mehr auf, 
als kurz vorher Verdi, der 
Moskau besucht hatte, von 
denselben Herren mit Auf- 
merksamkeiten geradezu über- 
schüttet und in jeder Weise 
gefeiert | worden war. Man 
hatte ein glänzendes Bankett 
für den italienischen Meister 
veranstaltet. Die Musiker 
wurden aber sonderbarer- 
weise von den Festlich- 
keiten ausgeschlossen. . Als 
Gegensatz dazu faßte Rubin- 
stein den Plan, ein Diner an- 
derer Art für Wagner zu geben, 
er wollte gerade die Musiker 
und insbesondere die Mitglie- 
der des Orchesters dazu ge- 
winnen. Ihr Gehalt war ge- 
ring, die Auslagen des Ban- 
ketts mußten daher ihren 
schmalen Taschen angemessen 
sein. Rubinstein in seiner 
Handlungsweise immer hoch- 
gesinnt und taktvoll, hatte 
alles vorhergesehen und das 
Fest mit großer Sorgfalt ein- 
geleitet. Das Diner war zu 
einer frühen Stunde im Re- 
staurant „Labodie“ festge- 
setzt. Die Orchestermitglie- 
der, gegen vierzig an der 
Zahl, hatten sich frühzeitig 
eingefunden. Fürst Odoewski 
und Fürst Troubetzkoi, Mitglieder der Direktion der Kaiserl. 
Russischen Musikgesellschaft, nahmen ebenfalls an der Mahlzeit 
teil. Das Menü bestand aus einfachen, aber schmackhaft berei- 
teten Speisen. Als Getränk figurierte die russische „Wodka“, 
Bier und Rotwein. Rubipsteiri hatte auf eigene Kosten den 
schönsten Rheinwein für Wagner bestellt, aber es erwies sich, 
daß Wagner dem französischen Rotwein den Vorzug gab und 
somit ging der Rheinwein in andere Hände über und erfreute 
andere Gemüter. Die erste Festrede hielt Fürst Odoewski 
in französischer Sprache. Wagner antwortete ebenfalls 
französisch mit stark ausgesprochenem deutschem Akzente. 
Seine Antworten auf die vielen Ansprachen waren voll Witz 
und Humor. 

Nach der Mahlzeit mußten Rubinstein und Fürst Odoewski 
in geschäftlicher Angelegenheit die muntere Gesellschaft 
verlassen, die jedoch ungestört sich den Freuden des Festes 
weiter hingab. Es ging bunt her, jedoch schien Wagner sich 
dabei sehr wohl zu fühlen und war, vom Rotwein erwärmt, 
in bester Laune. Er demonstrierte gewandte Turnübungen 
und der Fünfzigjährige sprang sogar über einen Tisch, was 
viel zur Heiterkeit der Gesellschaft beitrug. Immer lauter 
wurde es um ihn herum. P. Jiirgenson (Inhaber der Musi- 
kalienhandlung, intimer Freund Rubinsteins) machte Wagner 
den Vorschlag, zu ihm in seine Wohnung herüberzufahren. 
Wagner nahm das Anerbieten an und Nik. Kaschkin schloß 



JOHANN SEBASTIAN BACH. 

Nach dem im Bach-Museum 2U Eisenach befindlichen Originalgemälde von J. J. Ihle. 
Aus dem „Mustkbuch“ von Breitlcopf & Härtel, (Text siehe S. 20.J 


8 


sich ihnen an. Die erregte Stimmung bei S CX 

Wagner hielt noch lange vor ; er war sehr \ » «t-* 

gesprächig, machte Scherze, trank noch 
etliche Gläschen Rotwein, bis er endlich /Ti ^4. . 

in einer Sofaecke sanft eingeschlummert jjTj ^ 

war. Gegen Abend begleitete ihn Jürgen- — ' — 

son in sem Hotel. / ~Ti 

Wagner hatte" allen Mitbeteiligten an der 
Mahlzeit seine Photographie mit Unterzeich- S ~ 
nung seines Namens geschenkt. Er war den 'jl «| 

Orchesterausübenden gegenüber die Liebens- U y 

Würdigkeit selbst und hatte manches freimd- * 

liehe Wort zu ihnen gesprochen. So ganz 
zufrieden konnte er mit deren Leistungen - — — — 

allerdings nicht sein. Wie wir schon oben I * 1 

angegeben, standen etliche von den Spielen- Q . 

den im Orchester nicht auf der gewünschten J _ — 1-. 

Höhe. Karl Albrecht, der auch im Or- I' * 

ehester spielte und mit Wagner Freundschaft 
geschlossen hatte, fragte ihn, ob er mit den 
Leistungen des Orchesters zufriedengestellt 
sei. Wagner gab darauf folgende auswei- 
chende Antwort: „Sie haben hier einen aus- 
gezeichneten Hoboisten.“ 

Wagner hatte in Moskau Verwandte, die 
er öfters besuchte, einen Vetter seiner Frau, Handschr 

Minna Planer, W. A. Gringmut, der Re- 
dakteur der Zeitung „Moskowskija Wedo- 
mosti" war. — Wie die Abreise Wagners aus Moskau sich ge- 
staltete, dessen konnte Nik. Kaschkin sich nicht entsinnen. 
Der große Meister Richard Wagner und seine begeisterten 
Anhänger von damals sind, mit Ausnahme des stark ergrauten 
Kaschkin, alle auf ewig dahingegangen ! Eilen v. Tldeböhl. 




JLL cu-*-— «-'»v. 








Handschriften berühmter Musiker: Das Original des Donau-Walzers von Johann Strauß. 
Aus dem „Murlkbuch" von Breitkopf & Härtel. (Text siehe S. so.) 


Organisten ein Jahresgehalt von 120, 150M. und dergleichen 
zahlen; ein größerer westfälischer Ort wagte seinen Organisten 
für den Gottesdienst 3.50 M. anzubieten. Im Geschäftsbezirk 
einer rheinischen Synode versahen Arbeiter und Arbeiterinnen 
das Organistenamt, da berufsmäßig vorgebildete Kräfte nicht 
zu haben waren. Völlig ungeregelt, von ganz wenigen Aus- 
nahmen abgesehen, sind die Relikten- und Pensionsverhält- 
nisse. Nur einzelne Städte, hier im Westen, z. B. Essen und 


Soziale Tagesfragen aus dem Musikerstande. 

Eine Pensionskasse der Organisten. 

D ie soziale Lage der Kirchenmusiker, insbesondere der 
Organisten, hat sich trotz der Bemühungen der Be- 
hörden und der Organistenvereine nur wenig gebessert. 
Oft fehlte es an den nötigen Mitteln, noch häufiger am guten 
Willen, sowie auch am Verständnis und Interesse für kir chen- 
musikalische Fragen, um helfend einzugreifen. Es ist daher 
auch nicht auffallend, wenn geradezu ein fühlbarer Mangel an 
guten Organisten in allen Landesteilen sich geltend macht. 
Gibt es] doch noch viele ländliche Gemeinden, die dem 


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Handschriften berühmter Musiker 

Erster Brief Robert Schumanns an Breitkopf & Härtel (185a), worin er der_Firma die 
„Fantasle&bung“ zum Verlag anbietet. 




Rüttenscheid, bewilligen dem Organisten eine Pension. Der 
evangelische Organistenverein von Rheinland und Westfalen 
hat nun durch Gründung einer von der König! Regierung in 
Düsseldorf genehmigten „Pensionskasse mit Rechtsanspruch“, 
an die eine Witwen- und Waisenkasse angeschlossen wird, 
den Weg der Selbsthilfe gewählt. Im nachfolgenden sei diese 
Kasse in Kürze charakterisiert. 

Die Pensionskasse gewährt, den Mitgliedern im höheren 
Alter oder bei vorzeitiger Erwerbsunfähigkeit eine fortlaufende 
Unterstützung. Zum Eintritt sind zunächst alle Mitglieder 
benannten Vereins im Alter von 20 — 50 Jahren berechtigt. 
Andere Gebiete und Provinzen können mit Genehmigung 
der Hauptversammlung angeschlossen werden. Die Gründer 
zahlen 2 M. Eintrittsgeld. Die im Laufe des Gründungsjahres 
und im ersten Jahre ihrer Anstellung im Kassenbezirk Ein- 
tretenden s M.; dieses steigert sich um jedes weitere Jahr 
der Verzögerung um 5 M. Die Prämienberechnung findet auf 
Grund eines Tarifes nach Lebensalter, Dienstzeit als Organist 
und Höhe des Gehaltes statt. 

Für die Pensionierung ist das Lehrerbesoldungsgesetz maß- 
gebend: Nach dreijähriger Dienstzeit als Organist werden 
“/eo gezahlt, jedes Jahr um “/• 0 steigend, so daß nach 10 Jahren 
ao /«Q erreicht sind; vom 10. — 30. Dienstjahre beträgt die 
Steigerung je Veo» . vom 31. — 40. Dienstjahre jährlich 1 / 1S0 . 
Die Pensionierung beginnt auf Antrag oder — bei Lelirer- 
organisten — mit der Pensionierung als Lehrer. Für die 
Gründer beträgt die Wartezeit 2 Jahre, für alle später Ein- 
tretenden 4 Jahre. 

Hinterbliebene von während der Amtszeit sterbenden 
Organisten erhalten als Sterbegeld den vierten Teil der dem 
Mitgliede beim Ableben zustehenden Jahrespension. 

Organe der Kasse sind: Mitgliederversammlung, Vorstand 
und Revisoren. 

In der Regel von 5 zu ; Jahren muß der Vorstand auf Er- 
fordern der Aufsichtsbehörde durch einen sachverständigen 
Versicherungsmathematiker prüfen lassen, ob hinsichtlich der 
Lebensfähigkeit der Kasse eine Veränderung eingetreten ist, 
sowie, ob und welche Aenderungen der Satzungen hinsichtlich 
der Höhe der Beiträge oder der Kassenleistungen etwa er- 
forderlich erscheinen. Etwaige Beschlüsse unterliegen der 
Genehmigung der Aufsichtsbehörde. Die Revisoren haben 
die Verwaltung des Kassenvermögens nach allen Richtungen 
hin sorgfältig und stetig zu beaufsichtigen. Die Verwaltung 
der Kasse unterliegt, soweit es sich um die laufende Verwaltung 
handelt, der Aufsicht des Oberbürgermeisters in Elberfeld, 
wo die Kasse ihren vorläufigen Sitz hat, im übrigen der Auf- 
sicht des Regierungspräsidenten in Düsseldorf. 

Die Satzung ist mit großer Gründlichkeit und Sachkenntnis 
beraten worden, so daß die neu gegründete Kasse in jeder 
Hinsicht auf gesicherter, solider Grundlage steht. Um mög- 
lichst vielen, vor allem Organisten jüngeren Alters, die ver- 
hältnismäßig wenig Prämien zu zahlen haben, den Eintritt 
in die Kasse zu erleichtern, hat die Generalversammlung 
beschlossen, denjenigen Organisten, welche bis zum 31. De- 
zember 1913 ihren Beitritt erklären, die Vergünstigungen der 


9 


Gründer zu gewähren: 2 M. Eintrittsgeld und zweijährige 
Wartezeit, beginnend mit dem Tage der Gründung der Kasse, 
die auf den 1. Januar 1912 zurückdatiert ist. 

Schon haben verschiedene Kirchenkassen für den Or- 
ganisten die Prämienzahlung übernommen, was hoffentlich 
reichliche Nachahmung finden wird, nachdem die Vorsitzenden 
der Provinzialsynoden von Rheinland und Westfalen gebeten 
worden sind, die Pensionskasse zu unterstützen und sie den 
Gemeinden zu empfehlen. 

Sache der Kircnenmusiker (Organisten) vor allem ist es, 
der neuen Kasse, die einen Versuch zur sozialen Hebung ihrer 
mißlichen wirtschaftlichen Lage darstellt, Beachtung und 
Interesse zuzuwenden. H. Oehlerklng (Elberfeld). 


Wie ein „Walzer“ entsteht. 

Plauderei in Briefen an eine Freundin. 

Von E. SÖCHTING (Magdeburg). 

I. 

Meine liebe Freundin! 

Deine mir neulich übersandte neue kleine Komposition 
(op. 3: ein Walzer für Klavier) hat mir viel Freude bereitet; 
ich bemerkte bei der Durchsicht, daß Du wieder Fortschritte 
gemacht hast. Da ich aber noch einige kleine Fehler (in be- 
zug auf Tonart und Satzbau) entdeckte, so will ich Dir in 
den folgenden Briefen einmal erklären und zeigen, wie ein 
kleiner Walzer entsteht. 

Zuvor muß man sich über die Form einer zu schaffenden 
Komposition ganz klar sein. Der Walzer gehört zu den Tanz- 
formen im %-Takt (Walzer, Mazurka, Ländler, Menuett), 
und hat ein lebhaftes Tempo. Die kleinen Tänze bestehen 
gewöhnlich aus 3 Teilen von je 8 — 16 Takten. 

NB. Deine Komposition hat auch 3 Teile, doch zeigt 
Teil I = 15 Takte. 

H h “l6 „ | 

). HI = 3^ 1J 

Demnach fehlt im Teil I ein Takt. Der Auftakt wird nicht 
mitgezählt. Teil II ist Dir am besten gelungen. Eine un- 
gerade Anzahl von Takten (7, p, 11, 13, 23, 31) ist falsch. 
Der taktfeste, an gute Tanzmusik gewöhnte Tänzer fühlt am 
Schlüsse eines solchen Teils (mit ungerader Anzahl von Takten), 
daß er sich einmal zu wemg oder zu viel herumgedreht hat. 

Beim Aufbau eines solchen musikalischen Satzes ist es also 
Regel und Gesetz, daß man stets 2 und 2, 4 und 4, 8 und 8 
oder 16 und 16 Takte zusammenfügt. So entsteht durch 
Aneinanderreihen je zweier der kleinsten Notengruppen 
(Motive) ein Abschnitt oder Phrase (4 Takte), und durch Zu- 
sammenfassen je zweier Abschnitte die Periode und der ein- 
fache Satz (8 Takte); z. B. das kleine 8taktige Volkslied, und 
die einzelnen Teile der Tänze, Märsche usw. usw. Uebrigens 
keine Regel ohne Ausnahme; es gibt Volkslieder mit Teilen 
von 6 und 12 Takten; dieser Verstoß gegen die Regel liegt an 
den Liedversen mit 6 Zeilen, welche sich schwer in 8 Takten 
bringen lassen, wenn man sie als einfache Volksweise mit 
richtiger Deklamation vertonen will. Am besten eignen sich 
daher zu einem Volksliede die „Vierzeüer“. Bei Tänzen und 
Märschen darf der einfache und zusammengesetzte Satz (Teil) 
genau nur 8 oder 16 Takte enthalten. Der Aufbau eines 
8taktigen Sätzchens (oder einer einfachen Periode) müßte 
nun so aussehen: 


8taktige Palode 


.taktige Phrase 


.taktige Phrase 


Abschnitt I 


"l r 


Abschnitt II 


' ' Abschnitt III ' Abschnitt IV 


Motiv I Motiv II Sequenz- Wlcderholg. Mot. V Mot. VI M.VII Mot. VIII 
, I u. II od. : neue Mot, 

III IV 




zAz 


Modell 


Sequenz 


im 

, M #/ 


4 neue Motive oder freie Sequenz 


Es soll also ein Walzer komponiert (erfunden) werden. 
Da wäre das erste, nach einem Thema zu suchen, indem ich 
von den mir zu Gebote stehenden Tönen (c, d, e, f, g, a, h 
und deren Ableitungstönen cis, dis, eis) einige wähle, und 
diese zum %-Takt m Beziehung setze, d. h. sie rhythmisch 
ordne. 

Da kommt mir z. B. schon Dein Vorname zustatten, indem 
ich die ersten beiden Buchstaben (f, a ) daraus nehme und diese 
als Noten für den %-Takt verwende. Dies kann nun durch 
rhythmische Veränderung auf mannigfache Art geschehen, 
z. B.: 


1 . Motiv I oder: II oder: III oder: IV 


| — J- X 

— 


~ 1 

* 1 

-1 

1 T 1 1 



LJ 

1 



\ ! 9 1 



r ° i 

_ * Jk 

1 

: 1 M Al 

I-VT7 □ 

L 1 

. 1 

: 4 =*"- .. d 


oder: usw. 


Das erste Motiv (Halbe — Mertel, Beispiel 1) ist schon sehr 
häufig bearbeitet und verbraucht; wählen wir daher einmal 
das zweite (Viertel — Halbe) und nennen es Motiv I. Beide 
Töne können verschiedenen Tonleitern und Tonarten an- 
gehören, z. B. C dur, d moll und F dur. Als erstes oder Haupt- 
motiv darf es aber nur der d moll- oder F dur-Tonart angehören. 
Der Walzer soll also in F dur komponiert werden und notieren 
wir: 

2. 


Man könnte nun das erste Motiv beliebig wiederholen (strenge 
Sequenz), wie es bei den echten, volkstümlichen Tänzen 
geschieht, oder mit andern Tonstufen nachahmen .(freie 
Sequenz), was aber sehr monoton wirken würde. Um die 
Walzermelodie interessanter zu gestalten, wollen wir jedoch 
noch ein zweites Motiv hinzu erfinden, das eine bewegtere 
Figur in Achteln zeigt (Beispiel 3): 
a. 



u 1 r ft 


(mV a ' Bf... J 7 


LE2 — 4 1 



(Motiv I) . (Motiv II) 

Abschnitt I 

I ) 

Motiv II besteht aus der Achtelgruppe c d c a f mit voran- 
gehender Achtelpause; so haben wir den ersten Abschnitt. 
Der zweite Abschnitt könnte die Wiederholung des ersten 
darstellen als strenge Sequenz, was wir wiederum nicht für 
gut heißen, und erfinden ein neues drittes, diesmal 2taktiges, 
Motiv (e g b d) — Beispiel 4: 

*. 


» Q '■ «1 E I - “T Ä T ! 

IJUh- U 

I J T ft 



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r—| 

[ 1 

( 


Motiv I Motiv n 

1 11 11 

Motiv III 

1 

Abschnitt I 

L ! 1 

Abschnitt II 

. 1 

Phrase I 


so daß dadurch der zweite Abschnitt oder die erste Phrase 
entstanden ist. 

Durch Transposition (Versetzen) der ersten Phrase um 
etwa einen Ganzton aufwärts (freie Sequenz) gewinnen wir 
die zweite Phrase (Beispiel 5): 


I. Phrase 


;§ÜEl=!§ 


mmm. 


1 

II. Phrase 


r-ö-r-d 



I- 1 

-4 


^ — n 

l-JLrb L . U \ n T - r — m T i l r t P' □ 

r fm " 1 r t T l L c - 1 a l i 


K f— J 









und haben somit die einfache Periode oder ein 8taktiges Sätz- 
chen gewonnen. Um mm zu einem iötaktigen Satze (oder 
zusammengesetzten Periode) zu gelangen, • könnte man die 
8 Takte bis zum vorletzten (dem 6.) Takte streng wiederholen 
und etwa schließen (Beispiel 6): 
e. 






— I U 


Wir sind aber natürlich unerschöpflich in der Erfindung neuer 
Motive und nehmen zur zweiten Periode wiederum neue 
Themen. Eine gute Melodie muß einen Aufschwung und 
einen Rückgang haben, mit andern Worten — steigen und 
fallen. Sie gewinnt an Reiz und Ausdruck, wenn man sie 
bis etwa zur letzten Phrase (im iötaktigen Sätzchen die 4. 
oder der 13. Takt) steigert und dann plötzlich durch einen 
fallenden Gang (Passage) dem Ende züführt. 

Das neue (vierte) Motiv ist wieder ein 2taktiges, beginnt 
mit dem Grundton (f) und bildet den Abschnitt 3 (Beispiel 7) : 



Phrase HI 



Motiv IV 
Abschnitt IV 


J l 
J L 



Sequenz 
Abschnitt V 


IO 






Abschnitt 5 bildet die Sequenz des vierten Motivs, indem der 
Sextensprung in einen Oktavsprung verwandelt wurde; so 
haben wir die dritte Phrase gefunden. 

Zur letzten Phrase (der vierten) des ersten Teils benutzen 
wir das zweite Motiv, und bilden es um zu einem vom f“ 
(dreigestrichenen f) aus fallenden Gange (Passage); der sich 
im vorletzten Takte noch einmal zu einem rhythmischen 
Motiv (J** J) aufschwingt, um dann in der Tonika / zu enden 
(Beispiel 8): 






Abschnitt V 


{Schlußmotiv) Abschnitt VI 
_J 1 I 


Phrase IV 


II. 

Es soll nun die Harmonie oder die Begleitung für die Me- 
lodie gefunden werden. 

Aus der Harmonielehre ist Dir bekannt, daß man eine 
einfache Melodie mit den 3 Hauptakkorden der zugrunde 
liegenden Tonart, den Dreiklängen der I., IV. und V. Stufe, 
harmonisieren kann, wie es bei den Tänzen üblich ist. 

Will man die Begleitung kunstgemäßer gestalten, so stehen 
uns noch viele Wege zur Verfügung, z. B.: die Nebendrei- 
klänge auf der H„ III. und VI. Stufe, sowie der Septimen- 
akkord der V. Stufe ; endlich auch die Umkehrungen der Grund- 
harmonien, der Sext-, Quartsext-, Quintsext-, Terzquart- und 
-Sekundakkord. Auch kann man an geeigneten Stellen einzelne 
Motive der Melodie in der Begleitung verwenden, wodurch 
dann die Komposition ein kunstvolleres Gepräge erhält; 
man spricht dann von einer Durcharbeitung oder Durchfüh- 
rung. 

Hinsichtlich der Verschiedenheit der Begleitungsformen hat 
man dem „Walzer“ verschiedene Attribute — sie beziehen 
sich natürlich auch auf die Melodie — beigelegt, z. B.: Petite 
Valse, Valse gracieuse, Valse lente, Valse rustique, Valse 
triste, Valse burlesque, Valse brillante usw. usw. 

Um wenigstens einige von den vielen Harmonisierungs- 
möglichkeiten im Notenbüde zu zeigen, wollen wir unserer 
Walzermelodie 3 Arten von Begleitungsformen unterlegen ; 
eine ganz einfache und leichte im Sinne der volkstümlichen 
Tanzwalzer (Beispiel A), dann eine etwas schwierigere, wobei 
der Grundbaß schon eine Stimme für sich bildet und als Gegen- 
melodie behandelt wird (Beispiel B), drittens eine künstlichere 
Form mit Verwendung von Motiven (Beispiel C). 

Unsere Melodie in F dur würde also mit den 3 Haupt- 
dreiklängen F dur, B dur und C dur imd dem Septakkord 
(c e gb) zu begleiten sein; im Notenbilde (Beispiel 9): 



Im Tanzrhythmus schreitet stets ein Ton des Dreiklangs 
(Grundton, Terz oder Quinte) auf dem betonten Taktteil 
(dem ersten Viertel) vorauf, während die übrigen Akkordtöne 
auf dem zweiten und dritten Viertel nachfolgen (Beispiel 10) : 





5 m — 1— g— ?— 1 

cra». r 1 







1 ff I _1_ J 

1 v ■ 4 1 - -ri- 




usw. 


Soll der Baßton einmal besonders wichtig tun und hervor- 
treten, so gibt man ihm einen größeren Notenwert, wodurch 
er eine Stimme (Melodie) für sich büdet 1 (Beispiel 1 1) : 


11 . 1 II 

t f 1 

4 4 

i J 

J 

l JJ 





J ff ff 11 












= 

[-1 -J-.-l— □ 


1 Mit den Regeln der Akkordverbindung bist Du doch 
vertraut und weißt, daß die Akkorde nicht sprungweise auf- 
einander folgen dürfen wie: 






sondern eine regelrechte Verbindung eingehen müssen wie: 

f tr? 




Welcher von den Akkorden nun für den jeweiligen Takt 
oder für die einzelnen Motive zu verwenden ist und am passend- 
sten erscheint, das sagt uns der musikalische Sinn, der durch 
vieles Spielen und Anhören von Tanzstücken erworben werden 
kann. 

Doch haben wir auch Merkmale, um den richtigen Akkord 
finden zu können, denn aus den Noten eines Motivs, einer 
Figur, kann man leicht den Dreiklang herauslesen. Z. B.: 

Würdest Du nicht aus dem ersten Motiv (f a) sofort auf 
den Dreiklang f a c schließen ? Auch dem zweiten Motiv 
fcdcaf) liegt der F dur-Dreiklang zugrunde, Motiv III 
{Takt 3 und 4) kann mit dem Dreiklang der V. Stufe (c e g) 
gesetzt werden. Durch die Oberstimme (d ) bildet sich dann 
ein Nonenakkord (c e g b d). In ähnlicher Weise versucht 
man nun zu jedem folgenden Takte die richtige Harmonie 
und den passenden Dreiklang zu finden. Wenn nun an ge- 
eigneter Stelle einmal ein Umkehrungsakkord (Sext-, Quart- 
sext-, Quintsext usw.) verwendet wird, so ist die Begleitung 
interessanter und wirkt nicht so monoton, wie wenn lauter 
Grundakkorde verwendet werden. 

Beispiel 12 zeigt uns mm den ersten Teil unseres Walzers 
in den dreierlei Harmonisierungsformen fertiggestellt: 







w" 


sie 


cresc. 

fg^^yigifep^ 


m 


lU 




£=riS=S 


:: £fEE£ 


=£= 




-t—p 




ilMdlliNliil 


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J l J i'* - !* f # "J 

f ¥ t T As 


— 2 (p==i^_p±af ± 

T =^F 1 4 


In Reihe A wurde die Melodie mit einer einfachen leichten 
Tanzwalzerbegleitung gesetzt. 

In Reihe B sehen wir den Grundbaß selbständig behandelt. 

In C wurden beide Arten, sowie auch noch das Motiv II 
zur Durchführung benutzt, was dem Ganzen einen schwung- 
volleren Klang gibt. 

Spiele nun die Melodie in den 3 Formen und versuche ähn- 
liche Arbeiten anzufertigen, um Dir Uebung zu verschaffen. 

(Fortsetzung folgt.) 


Fürst Albert von Thurn und Taxis. 

Ein fürstlicher Mäzen. 

R egensburg, die an der blauen Donau anmutig ge- 
legene, zweimal fünfzigtausend musikalische und un- 
musikalische Ohren zählende ehemalige deutsche Reichs- 
stadt, von Goethe anläßlich seiner Durchreise nach Italien 
lobend erwähnt, kann sich rühmen, daß sein Stadttheater 
mit jedem mittleren Hoftheater ruhig die Konkurrenz aus- 
halten kann. Wer in Ratisbonas Musentempel die monu- 



FÜRST ALBERT VON THURN UND TAXIS. 
Adolf Ecksteins Verlag, BerUn-Charlottenburg. 


mentalen Werke Richard Wagners hört, der muß immer und 
immer sich fragen: Wie kommt es, daß eine Stadt, die der 
Einwohnerzahl nach noch einen Riesenschritt zur modernen 
Großstadt zu machen hat, derart Künstlerisches und dem 
Geiste ewig Eindrucksvolles schaffen kann ? Wie kommt es, 
daß die sonst lieber hinter Bockbier und Rettig sitzenden 
gemütlichen Regensburger die schöne Gelegenheit haben, 
Größen am musikalischen Himmel in ihrer idealen Kunst zu 
hören ? Der das ermöglicht, ist ein Sprosse aus dem alten 
Geschlechte derer von Thurn und Taxis : Fürst Albert von Thurn 
und Taxis, Herzog von und zu Wörth. Nur seiner tatkräftigen 
Initiative in künstlerischer und finanzieller Beziehung ist es 
zu verdanken, daß Regensburg in Dingen der Kunst, besonders 
der Musik, einen Ruf in der musikalischen Welt sich erworben 
hat. Was einstens die Könige Ludwig I. und Ludwig II. 
für München waren, das ist jetzt mutatis mutandis Fürst 
Albert für Regensburg. Schöngeist durch und durch, fördert 
er Kunst und Wissenschaft, wo es angängig ist und er weiß, 
daß seine Unterstützung auf fruchtbaren Boden fällt. Vielen 
Kunstjüngem ist es nur durch ihn ermöglicht worden, jetzt 
im Reiche der Musen zu schaffen und zu wirken. Der Fürst 
war stets ein Protektor von Musikveranstaltungen größeren 
Stils und er versteht es, die bedeutendsten Künstler an seinen 
Hof zu ziehen. Durch seine Vorliebe für Musik und deren 
praktische Pflege drückt er der alten Kaiserstadt den Stempel 
eines Musikzentrums im kleinen auf. Ich erinnere nur an aas 
zweite bayerische Musikfest, das in den Mauern Regensburgs 
abgehalten wurde. Im Herbste 1912 wurde Siegfried Wagners 
Oper „Der Bärenhäuter“ aufgeführt. Die Namen Knote, 
Dr. Bary, um nur die zu nennen, sind eng verknüpft mit der 
Musikpflege des Hauses Thurn und Taxis. Eines der letzten 
Werke des Fürsten Albert war bekanntlich die Stiftung der 
Büste Richard Wagners für den deutschen Ruhmestempel 
Walhalla bei Regensburg. 

Wie es heißt, geht man mit dem Gedanken um, das jetzige 
Stadttheater in Regensburg in „Fürstlich Thurn und Taxis- 
sches Hoftheater“ umzutaufen, ein begrüßenswertes Projekt. 
Wie man aus der Chronik Ratisbonas ersehen kann, bestand 
in früherer Zeit bereits ein derartiges Hoftheater, als eben 
noch kein städtisches Theater existierte. Im Jahre 1748 ließ 
Fürst Alexander Ferdinand von Thurn und Taxis im so- 
genannten Ballhaus zu Regensburg ein Theater mit 24 Schau- 
spielern eröffnen, das den Gesandten des damaligen Reichs- 
tages zur Unterhaltung diente. Engagiert waren zunächst 
französische und italienische Ensembles. Die Schauspieler 
unterstanden der Jurisdiktion der Stadt. Als sich im Jahre 
1778 das Engagement der französischen und italienischen 
Schauspielertruppen erledigte, nahm der Fürst eine Aenderung 
vor und schloß mit Andreas Schopf, dem Direktor einer 
deutschen Truppe, einen Vertrag ab, der bis 1780 dauerte. 
Dieser Direktor erhielt vom Fürstlichen Hause ein in Monats-- 
raten von 500 Gulden zahlbares jährliches Fixum von 6000 Gul- 
den und dazu ein persönliches „Salarime“ von 1500 Gulden. 
Es mußten dafür „wöchentlich dreimal nach dem Höchsten 
und des Publici Geschmack eingerichtete, teils tragische, 
teils komische Vorstellungen mit abwechselnden Ballets“ 
gegeben werden. Alle Unkosten, wie Gagen, Beleuchtung 
und Garderobe mußte der Direktor auf sich nehmen, ebenso 
die entsprechenden Abgaben an den Magistrat entrichten. 
Hatte er ein Defizit, so war ihm Entschädigung zugesichert. 
Freien Eintritt in das Theater hatten „Die Durchlauchtigsten 
Herrschaften, die zum Hof gehörigen Dames, Hofchargen und 
Cavaliere, der letzteren Familien, ferner das Kanzlei- und 
Oberpostamtspersonal für sich, ihre Weiber und Kinder, 
endlich die subalternen Chefs der Departements“. Der da- 
malige Hoftheaterintendant war der fürstliche Geheimrat 
Freih. v. Berberich, dem an jedem Quartalsschluß Rechnung 
vorzulegen und überhaupt über alles, was das Hoftheater 
betraf, Bericht zu erstatten war. Br war die Mittelsperson 
zwischen Fürst und Direktor. Das Mitgliederverzeichnis der 
Schopfschen Truppe existiert noch. Darin ist die Rede von 
„heftigen, heroischen und. Charakterrollen“, welche Madame 
Schimane inne hatte und die höchste Gage mit 1200 Gulden 
jährlich erhielt. Die übrigen Gagen gingen von dieser Summe 
bis zu 240 Gulden jährlich herab. Das Orchester bestand 
aus dem Kapellmeister und 16 Mann: nämlich 3 erste Violinen, 

3 zweite Violinen, 1 Viola, 3 Bässe, 2 Flöten, 2 Oboen und 
2 Hörner. Daß auch damals schon unsere Klassikervorstel- 
limgen von dem Publikum vernachlässigt wurden, bezeugt 
die Kassenrechnung über die Aufführung des ersten deutschen 
„bürgerlichen Trauerspieles“ von Lessing, die nur 32 Gulden 
und 48 Kreuzer eintrug. Also wahrlich für einen Theater- 
direktor „zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel“. — 

Der Fürst von Thurn und Taxis scheut nun keine Midie, 
um jeder Oper eine überaus würdige und über das „Provinz- 
niveau“ hinausgehende Aufführung zu sichern. Diese Ver- 
dienste sollen auch in der breiten Oeffentlichkeit des In- und 
Auslandes gebührend gewürdigt werden. Es hat wohl keinen 
aus dem Hause Thum und Taxis gegeben, als gerade den jetzigen 
Fürsten Albert, der so für die Hebung und Förderung der 
Kunst und des Theaters Sorge trägt. Er gibt dem breiten 


12 




Volke Gelegenheit, um billiges Geld an den „mit Schweiß 
geleimten“ ernsten großen Werken unserer Klassiker und 
neuzeitlichen Dichter und Musiker sich zu erfreuen und zu 
bilden. Und die Regensburger sind dem Fürsten hierfür 
dankbar. Sie wissen, daß die prunkvolle Residenz der Taxis 
zu dem jetzigen Ansehen der Stadt viel beigetragen hat. 

Ludwig Weiß. 


Unsere Künstler. 

Eleanor Painter. 

M an mag sich zum Deutschen Opernhaus in Charlotten- 
burg stellen wie man will, eine Tatsache muß man 
anerkennen: Direktor Hartmann hat eine Gruppe 
junger Bühnentalente nach Berlin gebracht, die in Zukunft 
etwas Bedeutendes werden können. Eines dieser Talente ist 
ohne Frage Eleanor Painter, die als Soubrette sich mit einem 
Schlage in Berlin populär gemacht hat. Kaum hatte sie in 
„Figaros Hochzeit*' den Cherubin gesungen, so war sie auch 
schon bekannt, denn seit J ahren hatte man liier keinen so 
anmutigen, reizend verliebten, treuherzig-überschwenglichen 
und lieblich singenden Pagen gehört. Und dann kam ihre 
entzückende Fatime in „Oberon“, die eine neue Sensation 
war. Aber ganz und gar gewinnend nahm sie sich als Jum- 
Jum im „Mikado“ aus, jener Glanzaufführung der Charlotten- 
burger Oper, die den alten Sullivan auf einmal wieder auf eine 
Menge Bühnen gebracht hat. 

Alles, was Frl. Painter tut, hat einen reizenden Charme. 
Ihre Stimme ist lieblich, wie die einer Schwalbe; nicht groß, 
aber hübsch sauber und technisch famos sicher. Ihr Spiel 
ist die verkörperte Anmut; nichts Geschmackloses oder Un- 

t ekonntes sieht man da von ihr. Und nicht zuletzt ist. sie eine 
er graziösesten Tänzerinnen, die man sich denken kann. 
Man merkt gar bald, daß ihr nichts Schwierigkeiten macht. 
Aber dennoch entgeht es einem auch nicht, daß sie an ihrer 
Auffassung tüchtig arbeitet. Sie bietet nie eine undurchdachte 
Leistung dar. Ihr Cherubin ist aus einem Guß. ohne Lücken 
in dem psychologischen Kreis dieser Figur. Nur eins fällt 
ihr noch etwas schwer, nämlich eine fehlerlose Aussprache 
des Deutschen — Eleanor Painter ist nämlich Amerikanerin. 

Die junge Künstlerin hat eine Karriere gemacht, um die 
sie viele beneiden müssen. Sie kam vor knapp vier Jahren 
von Colorado, wo sie ihre ersten Gesangstunden gehabt hatte, 
herüber, um bei Richard Löwe Gesang und Bühne zu studieren. 
Ihr eigentlicher Entdecker ist kein Geringerer als Richard 
Strauß. Als der Meister nämlich vor einiger Zeit die Künstler 
auswählte für die (nicht zustande gekommene) Rosenkavalier- 
Toumee durch Amerika, wurde ihm, frisch von Löwes Unter- 
richt weg, Eleanor Painter vorgestellt, und sie gefiel so sehr, 
daß sie sofort den Oktavian zugeteilt bekam! Ein seltener 
Sprung! Hierauf gastierte sie in Essen bei Hartmann für das 
Deutsche Opernhaus als Butterfly. Die „Rheinisch-West- 
fälische Zeitung“ schrieb darüber ganz imgläubig: „Es sollte 
sich um ein Erstauftreten handeln; wir glauben nicht an 
dieses Gerücht. Diese .Anfängerin' müßte denn ein Talent 
allerersten Ranges sein.“ Und doch war es das Erstauftreten ! 

Leider kann Frl. Painter eine Reihe Rollen, die ihr be- 
sonders gut liegen, nicht in Charlottenburg singen, weil die 
Königl. Oper die betreffenden Werke allein nur in Berlin 
aufführen darf. Aber dennoch gibt es Rollen genug am 
Deutschen Opernhause, an denen sich dieses „Talent aller- 
ersten Ranges“ weiter entwickeln und bilden kann. 

^ H. W, Draber. 


Amati. 

Erzählung aus dem Künstlerleben. 

Von LEONHARD SCHRICKEL (Dresden-Klotzsche). 

T ag und Nacht saß er über seiner kunstvollen Arbeit, 
die ihm seit J ahr zehnten das Liebste war, das er auf Erden 
hatte, zumal ihm Kinder versagt geblieben. Unermüd- 
lich und voll freudigen Eifers baute er seine Geigen, immer 
darüber grübelnd und tüftelnd, wie er noch Besseres, Köst- 
licheres könnte zustande bringen, ob sein Ruhm auch schon 
in ganz Italien und weit hinaus über die Grenzen lebendig war. 

In der wohlverschlosserten Lade lagen Handschreiben des 
heiligen Vaters Urban VIII. und seiner Nachfolger, von welt- 
lichen und geistlichen Fürsten aus aller Herren Länder ; lagen 
Geschenke zuhauf aus kostbaren Metallen, mit wertvollen 
Steinen geschmückt, was alles ihm seine Kunst erworben. 


Aber der höchste Lolin war ihm doch, wenn Cremonas 
Bürger unter seinem Fenster zusammenliefen, so er ein neu- 
vollendet Instrument erprobte. 

Er war ein schlechter Spieler, der Meister Nicola, aber wenn 
er mit seinem Bogen über die Saiten strich, gab seiner Kunst 
wundersame Schöpfung so süßen Klang, saug so allbestrickend, 
daß nichts Schöneres, Bezwingenderes zu denken war. 

Wie er's zuwege brachte, solch unvergleichliche Werke zu 
schaffen, die ihm kein anderer Geigenmacher in Cremona, 
keiner in der ganzen weiten Welt nachmachte, das war sein 
Geheimnis; und das wollte er sein Geheimnis bleiben lassen 
in alle Ewigkeit, weshalb er denn auch keine Schüler in seine 
Werkstatt nahm, so viel manch ehrlicher Mann ilun Lehr- 
geld bot. 

Da kam eines Tages Alessandro Stradivari zu ihm, ein gar 
reicher und hochangesehener Mann aus altem, vornehmem 
Geschlecht. Und der kam nicht, sich ein Meisterwerk Nicolas 
teuer zu erkaufen oder sonst mit einem Anliegen, dergleichen 
die Vornehmen Cremonas bisweilen veranlaßte, Amati auf- 
zusuchen, nein, der hohe Gast erschien, um für seinen Sohn 
zu erlangen, was Meister Nicola den Söhnen auch der ein- 
flußreichsten und bedeutendsten Handwerker verweigerte. 

„Nehmt ihn als Lehrling an, er will nim einmal Eure Kunst 
studieren." 

Das kam Amati unverhofft und ungelegen, aber die an- 
getragene Ehre war zu groß, als daß er sie hätte ablehnen 
können, ohne sich mächtige Feinde zu machen und einer 
groben Beschimpfung und Selbstüberhebung verdächtig oder 
gar schuldig zu werden. Und schließlich, du lieber Gott, 
was war denn weiter von solch einem Muttersöhnchen zu 
befürchten. Der Junker Antonio würde halt ein wenig im 
Handwerk herumpfuschen, einer jähen Laune genugzutun, 
und sich nach kurzer Zeit wieder zu seinesgleichen trollen, 
um seine Tage mit den Reit- und Fechtspielen der vornehmen 
Jugend und derlei ritterlicher Kurzweil zu verbringen. 

Also willigte er ein. 

Aber der junge Stradivari, ein Bürschlein von knapp fünf- 
zehn Jahren, ging mit Feuereifer an die Arbeit; saß und ließ 
sich unterweisen und war unermüdlich, zu lernen und zu er- 
proben; saß alsbald und hämmerte und bog und glättete und 
feilte, grübelte und sann und spionierte, schaffte und trieb’s 
wie einer, der nichts Lustigeres in der Welt kennt, als Geigen 
bauen, oder ums liebe Brot einen sauerverdienten Lohn sucht. 

Kaum ein Jahr währte es, da machte der Lehrling auf 
eigene Faust seine erste Geige. Es war ein Schülerwerk, es 
war voller Mängel und gröblicher Fehler, aber es war doch 
nicht so schlecht, wie Amati erwartet hatte. 



EI.EANOR PAINTER. 
Verlag Hermann Reiser, Berlin. 


13 



Von Stund an ward der Meister die bisher mit verschwiege- 
nem Hohn und Spott gebändigte Unrast nicht mehr los, maßen 
Antonio unverdrossen drauflos arbeitete, besserte und er- 
neuerte, zerschlug und von vorne begann. O, es war ihm 
anzusehen, daß er es ernst meinte mit seinem Streben. 

Und Geige auf Geige ward mit den Monden vollendet. 
Noch immer nichts Ganzes, bewahre. Noch lange nichts 
Vollgültiges. Unfertig und gleichsam erst aus dem Rohen 
heraus war das alles noch — - aber seine Werklein hatten einen 
eigenen Klang. Es war ein geheimnisvolles Schwingen in 
ihnen; es sang da etwas leise mit wie ein Stürmen überdeckter 
Tiefen und war wie eine gefesselte Gewalt. 

Der Meister merkte scharf auf. 

Wenn es dem Lehrling jemals gelang, diese fremde Gewalt 
zu befreien — 

Der Gedanke machte Amati Pein, nahm ihm die Ruhe 
mehr und mehr und raubte ihm die Sicherheit der Hand. 

Bei Gott, er wünschte den Schüler loszuwerden; manchmal 
ertrug er ihn kaum mit seinem stillen Fleiß, seinem rastlosen 
Schaßen, dem selbstsicheren Gehaben des künftigen Meisters 
— und Nebenbuhlers. 

Aber schließlich zwang er die Torheit, maßen er just dabei 
war, eine Geige zu vollenden, von der er todgewiß wußte, 
daß sie alle bisher geschaffenen himmelhoch überragen werde. 
Da brauchte er Ruhe und Freude. 

Und als er sein Werk blank und vollkommen in Händen 
hielt, wich aller Groll und alles schmähliche Verzagen, alle 
Mißgunst und was Häßliches noch sonst aus seiner Brust 
und eitel Jubel und stolze Zuversicht breiteten sich in ihm 
aus. Und als er das in langen Monden geschaffene Instrument 
endlich zum Tönen brachte, voll seines Glaubens an die Voll- 
kommenheit des Werkes und ohne Furcht vor möglicher Ent- 
täuschung, und halb Cremona sich vor seiner Türe drängte, 
in Andacht lauschend, in Verzückung schwelgend, da bat er 
heimlich seinem Lehrling ab, was er ihm im Verschwiegenen 
mit seiner Abgunst angetan. Ja, als Antonio sich ihm, von 
der zauberhaften Macht der Töne hingerissen, wie ein armer 
Sünder einem Heiligen zu Füßen warf und in Begeisterung 
und ehrlicher Liebe ihn umschlang, da neigte sich der Meister 
zu ihm nieder und zog ihn an seine Brust. 

Am andern Morgen schickte der Podestä und ließ Amati 
fragen, ob ihm das Wunderinstrument feil wäre, für das der 
Meister einen nicht zu kleinen Preis bestimmen solle. 

Aber der bat, ihm seine Geige noch zu lassen und sich noch 
eine Weile zu gedulden, denn er vermochte es nicht über sich, 
sie schon jetzt dahinzugeben. Und als der Stadtgewaltige 
alsbald abermals einen Edelmann als Böten sandte und ein 
gar stattlich Angebot machte, dringlicher um die Geige bittend, 
verlegte sich der hartbedrängte Meister auf Ausflüchte, vor- 
gebend, daß das Instrument noch nicht in allen Teilen gleich 
vollendet sei und daß es ein betrüglich Unternehmen wäre, 
so er es dem ersten Mann Cremonas jetzt verkaufe. 

Genug, er ließ sich auf keine Weise bereden, das Werk 
auszulietem, an dem er selbst mit Liebe hing und dessen er 
sich selbst noch ein Weilchen zu erfreuen wünschte. 

Wenige Wochen danach hatte auch Antonio ein neues In- 
strument vollendet, das er seinem Meister eines Tages darbot, 
daß der es mustere und prüfe und aburteile. 

Amati sah auf einen Blick, daß es noch immer kein Meister- 
stück geworden. Da stand manches wider die Regel und den 
guten Handwerksbrauch. Der Bau als Ganzes ließ zu wünschen 
vielerlei übrig. Die Zargen waren für die schwach gewölbte 
Decke zu hoch, das Maß der Seitenausschweifungen war um 
ein Merkliches zu weit, und erst der Lack — an dem war sicher- 
lich nicht gar viel Gutes. 

Doch wie er nun prüfend über die Saiten strich, entsank 
ihm schier der Bogen. Er setzte ab . . . und hob von neuem 
an . . . und hielt zum zweiten Male inne. 

Allew’ger! Was war das für ein Klingen . . . Was für ein 
unergründlich tiefes Schwingen der klaren, glockenreinen 
Töne . . . Da war sie, die entfesselte Gewalt, die Unerhörtes 
über ihn vermochte und alle Welt bezwingen mußte . . . 

Und wieder strich er die Saiten an und spielte ungeschickt, 
was seine Finger wußten — und bäumte sich gegen die Ueber- 
macht des Klanges auf und widerstrebte der Gewalt des Tones, 
und konnte doch nicht enden mit dem Spiel. 

In seiner Seele aber hob ein Stürmen an, wie er’s noch nie 
erlebt. War 's Hingebung und Liebe — oder Haß ? War’s 
Jubel — oder Jammer ? Und was ihm dieses Wunderding 
von Geige in die Hand schmiedete, daß er’s nicht lassen konnte, 
war es die Lust am überirdisch schönen Klange oder die boh- 
rende Gier, das Werk zu nehmen und an der Wand zu zer- 
trümmern ? Den drohenden Ueberwinder zu vernichten ? 

Doch noch ehe er darüber entschieden, riß er sich jählings 
das Instrument von der Wange und drückte es Antonio hastig 
und schier angstvoll in die Hände. 

„Fort damit! Flieh mich, du, und bring dies Teufelswerk 
in Sicherheit. Ich will dich nicht mehr hier und — kann dich 
nichts mehr lehren!“ 

Fortan ließ er weder den Schüler noch den edeln Alessandro 
Stradivari über seine Schwelle. Und niemand sonst bekam 


ihn zu Gesicht. Tagelang blieben die Türen verschlossen, 
das Haus lag still und in dumpfem Schweigen, als herberge 
es einen Toten. 

Amati litt. O, er brachte schlimme Tage zu. Holte zwar 
sein eigen Werk, um das ihn der Gewaltige Cremonas be- 
drängt, hervor, und besah’s und spürte emsiglich der Schön- 
heit und Kunstfertigkeit, Sauberkeit und Feinheit der fehler- 
losen Arbeit nach, liebkoste es mit schmeichelnden Händen 
und prüfte es dann wieder scharf und unbestechlich, bis er es 
makellos und alles Lobes wert erfunden — und ward doch 
seiner hohen Kunst nicht froh. 

Am dritten Abend trieb es ihn zum Haus hinaus; vorsichtig 
schlich er durch die stillsten und dunkelsten Gassen bis an 
den alten Palazzo der Stradivari. Dort kroch er hinter eine 
Säule und stand und lauschte, ob Antonio spiele. 

So. trieb er’s Abend um Abend, ruhelos und ohne Frieden. 

Wenn aber oben hinter einem der tiefen Fenster die Geige 
des Schülers zu singen anhob und das Klingen und Schwingen 
hinauszog in die stemenübersäte Nacht, dann mußte Meister 
Nicola sich heimlich in die alten Fäuste beißen, daß oft genug 
das Blut hemiederrann, um nicht laut aufzustöhnen oder gar 
zu klagen und zu schreien in Weh und Lust, in Jubel und 
Verzweiflung. 

Kam er dann heim, bedrückt und mit wunder Seele, setzte 
er sich wohl in jäh aufbrausender Willenskraft an die Arbeit 
und hämmerte und bog und glättete und feilte in fieberheißem, 
hastigem Eifer bis an den hellen Morgen, um noch Gewaltigeres 
zu vollbringen, als er bereits vollbracht, und als Antonio je 
sollte vollbringen können. 

Doch danach überkam ihn der alte Kleinmut wieder und 
die Bitternis, und sobald es Abend ward, strich er wieder durch 
Cremonas finstere Winkel und kroch hinter seine Säule und 
stand . . . und stand . . . und lauschte . . . 

Da geschah es denn bald, daß er mit keiner Arbeit mehr 
zu Rande kam; ließ, was er angefangen, unvollendet liegen, 
oder verwarf und zerstörte es, bis er über all dem Mißlingen 
schier den Mut verlor. 

Aber noch hatte er ja sein Meisterstück, für das ihm der 
Podestä die Schätze halb Indiens geboten. Das sollte nun 
doch hinaus in die Welt, sollte lebendig werden und den Men- 
schen Gewalt antun mit seiner Töne Süßigkeit und Adel, 
und alle Antonios triumphierend überstrahlen. 

Also ging Amati eines Tages in den Palast des Gebieters 
von Cremona, dem sein gehütet Kleinod zuzutragen und sich 
Genugtuung und reichsten Trost zu holen für sein Alter. 

Doch wie er über die Schwelle des Saales trat, dahin ihn 
der Erhabene beschieden, klang ihm einer Geige Gesang ent- 
gegen, daß ihm der Fuß nicht mehr gehorchte und er dastand, 
wie aufs Herz geschlagen. 

„Kennst du das Werk ?“ fragte der Podestä herüber, ihn zu 
sich winkend und auf das Instrument weisend, das einer der 
besoldeten Geiger des Gebieters spielte. 

„Ja“ stammelte der Meister, mit allen Sinnen an den Tönen 
hangend. „Das ist Antonios Kunst. So singen auf der Erde 
nur Stradivaris Wunderwerke, Herr.“ 

Und wie er’s mit erblaßten Lippen in zitternder Erregung 
Sprach, sank ihm das Kinn schwer auf die Brust. 

„Kopfhänger du . . .“ schält ihn da der Mächtige gutmütig, 
der dem Graukopf ansah, daß er heimlich litt und überschwer 
trug, weil da ein Junger gekommen war, der ihn an Kunst- 
fertigkeit beinahe Übertrag den Kranz der höchsten Meister- 
schaft ihm streitig machte und seinen Ruhm, der so un- 
erschütterlich als wie die Welt geschienen, ins Wanken brachte; 
daß da ein Junger war, gegen den die alten Hände Meister 
Nicolas nicht mehr aufkamen. 

„Kopfhänger du. Mir gefällt die Fiedel nicht. Drum 
auf den Boden damit!“ befahl er seinem Spielmann. „Zer- 
tritt sie und spiel Nicolas Geige.“ 

Stand Amati mit stockendem Atem und hob langsam 
und scheu die Augen unter der gesenkten Stirn und starrte 
auf den Dienstfertigen, wie der die Geige Stradivaris auf die 
Marmorfliesen legte und gehorsam den Fuß hob, das Werk 
mit einem Tritt zu zerstören. 

Da riß es den Meister gewaltsam hin und er sprang zu, die 
Untat zu hindern. 

„Halt ein I“ und schrie's in wahrem Entsetzen, als wär’s ein 
lebendig Kind aus seinem eigenen Blut, über dem da ein 
fürchterliches Gericht walte. 

Doch der Podestä rief ihn zurück. 

„Laß! Der Küchenjunge braucht just Holz“ — und zu 
dem Diener gewandt,, wiederholte er: „Zertritt sie.“ 

Da ließ sich Meister Nicola ohne Besinnen auf ein Knie 
nieder und bog den grauen Kopf. 

- „Herr, wenn es denn sein muß — zertretet diese“ — und 
bot sein eigen Instrument. 

Sah ihn der Podestä überrascht und in Verwunderung an, 
und meinte nach geraumer Zeit: 

„Seltsamer Mann — Doch gut, ich nehme, was du bietest. 
Nimm du den Ring dafür und deines Schülers Machwerk 
dort; ich schenk es dir.“ 

In großer Hast und Verwirrung eilte Amati heim. Dort 


14 



schloß er sich in seine Werkstatt ein, zog hurtig Antonios 
Geige unter dem Mantel hervor, wie in Freude, daß sie un- 
verletzt geblieben; drehte sie in den Händen und beschaute 
sie staunend; hielt sie von sich ab und betrachtete sie prü- 
fend, ward nachdenklich und musterte sie voll Argwohn und 
Abgunst; legte sie von sich und schritt lange durchs Zimmer; 
stand und sah sich nach dem „Machwerk Stradivaris“ um, 
langte es sich wieder, hielt es zögernd in der Hand und rührte 
leise an die Saiten, ganz leise und zaghaft — und biß sich in 
qualvollem Ringen die Lippen, das Meisterstück Antonios in 
schlaffen Händen sinken lassend . . . 


wollten, heim und starb in Lust und Sclunerz, in Glück und 
Kümmernis, in Jubel und tiefgeheimer Klage . . . 

Der Herbergsmusikant aber war ein Genueser mit Namen 
Costa, dessen Enkelkind nachmalen Lehrer Paganinis ward, 
der dann die Wundergeige Stradivaris erbte und mit ihr alle 
Welt berückte 1 . 


Prager musikalische Nachrichten. 


So trieb er’s Tage hindurch. 

Zum vollen Erklingen jedoch brachte er die Geige nicht, 
ob all sein Verlangen auch danach stand. Mein! wer wußte 
denn, ob sie an Kraft und schmeichelnder Gewalt nicht längst 
verloren ? Ob sie nicht jetzt schon viel geringer war an Ton- 
fülle und Reinheit; weniger kostbar, als er sich vorredete und 
einbildete ? Und wenn ihr falscher Glanz dahingeschwunden, 
wozu dann sein Tun 

und Treiben ? sein 

töricht Leiden und 
Vergrämen? Mit allen 
Sinnen sehnte er sich 
danach und lechzte er 
danach, die Saiten an- 
zuschwingen, die Tie- 

fen dieses Werkes auf- JEnMEfBfSm 

zuschließen und den _ j B gyw* ■ ' y j> 

Ton zu wecken. Aber r'fäj&lF' 

er wagte es nicht. Er 

mochte das Geschick «Bp" 

nicht versuchen. Und 
wenn die Leute kämen 

und das Spiel er- yjBpP 

lauschten, zusammen- ' 

liefen wie sonst und 
meinten, es wäre s e i- 

ner Kunst Gesang .. ? | ■..$ 

Und wenn er dann ge- 
stehen müßte . . . ? 

Schmach! Sie würden 
ihn des Betruges 
zeihen. 

So hielt er den Be- 
sitz verborgen Wochen 
tun Wochen und schlug \ 

sich ehrlich mit seiner . J 

Not herum. •• ' ' ■’ 

Da kam der Tod jB 

und mahnte ihn ans jUR 

Scheiden. Was nun ? JBM 

Antonios Werk zu- 
rücklassen — nein, - 

das durfte er nicht. ’vk -jBmB ^mL 1 l ü‘ 

Wie? Hätten die Fin- - % ;F * 

der nicht argwöhnen ‘jB^t 

können, daß er es als - IBt" • L ’* . fc v *• 

Modell benutzt ? Daß ' '^>%}>* , 

der Meister noch sei- 
nes Schülers Lehrling - JB » 

geworden ? — Nein ! 
solch schlimmen Ver- 

dacht sich auszu- : L >• ' ■ 

setzen, das litt sein * 

Stolz nicht. 

Die Geige Stradi- 

Varis mußte fort Ein seltenes Bildnis Nicolo Paganinis. Nach einer alten?lischen Lithographie. (Text siehe S/19.) 


(Bemerkungen zu neueren Tonsetzern.) 

Gustav Mahler. 

Alexander von Zemlinsky hat im vorletzten Philharmo- 
nischen Konzerte im Neuen Deutschen Theater Gustav Mahlers 
„Lied von der Erde“ (Universal-Edition) aufgeführt. Stil- 
einförmigkeit ist diesem Werke vorgeworfen worden. Ab- 
wechslungs-Reichtum, 

. eine vielfarbige, oft 

symbolische Poesie 
kennzeichnet tatsäch- 
lich die Komposition, 
die erst durch ein 
synthetisches Erfas- 
sen die Erkenntnis der 
HpjBM. Einheit ins Licht tre- 

ten läßt. — I. Das 
Trinklied vom Jam- 
mer der Erde. Un- 
ruhe, angsterfüllte Er- 
I regung zeichnen die 

Instrumente im Vor- 
spiel. Man vermeint 
' erwartmigsvolle Men- 

■JE&mf sehen zu sehen, Men- 

jB sehen mit fiebernden 

Sinnen. Ein Einsamer 
p} 8 lt singt ein Lied voll 

melancholischen Tief- 
sinns. Bei jedem Stro- 
. phenausklang feier- 

- liehe, in me Tiefe 

. schreitende Tonschrit- 

: te. Sie sind die Träger 

der Musik. Sie geben 
dem Gedichte die 
Weihe. Ein zu Her- 
* *£m'- * zen gehendes Liclit- 

Ä* werden der Grund- 

»F •” «S* zSwtl > '' t° nart i- n einer Ver- 

zierung, dann ein Zu- 
«W *<!§»* , „ &. <B! rücksinken ins Hoff- 

Ifl'v.J ti *J-i 1 ’ nungslose. Nach kur- 

| VV*-«i i; .i(<- >i ' ' zera freudigem Auf 

'xjf -.- > '■ ' stieg melancholische 

•|fc***i und wiederholt zu- 

- > v . \ » • rückfallende Sekun- 

■ deninderSingstimme. 

' Das ist Mahlersche 

‘j r, \ .. • Art. Im Orchester 

r: vr rufende Hörner und ra- 

/ saute aufpeitschende 

T ■ I Glissandi der Harfen, 

4 - ■ ' \ gefolgt von faunisch 

wilden Holzbläsertril- 
alten.?lisehen I.ilhographie. (Text siehe S.^19.) • lern: Dort WO der VO- 


Vernichten . . . ? kale Gedanke zu Ende 

Er rang mit dem Versucher manche schlimme, fürchterliche ist, oder — wie eingangs — als Vorbereitung zu diesem, der in 
Nacht — und warf ihn. gleicher Form, doch in leiser gedanklicher Variation wieder- 

Solch ein Wunderwerk zerstören, ging denn doch weit über kehrt. — II. Der Einsame im Herbst. Noch grauer und 
seine Kraft. Dazu war er nicht geschaffen, dies Heiligtum vergrämter ist’s hier. Eine nebelumhüllte Landschaft. Schlei- 
wie eine hohle Nuß zu zertrümmern. Und also raffte er sich chende Stille in den Instrumenten, darüber eine weltverlorene 
eines Abends spät vom Siechenbett und tappte auf unsichem rustikale Weise, die skalenmäßig, einförmig steigt und sinkt 
Füßen, halb schon im Arm des Todes, durch Cremonas schla- und weint und klagt. Ein leichter Aufschwung, und wieder 
fende Gassen, weit hinaus in die Herberge am Tor, wo zwischen zurück zu trauerndem Weltschmerz: Die Mahlersche Ge- 
wüstem Gesindel und viel unehrlich’ Volk so mancher land- fühlslinie über einem großem Bogen. — III. Von der Jugend, 
fahrende Spielmann zu nächtigen pflegte, Vaganten, die heute Das einzige Stück, das durch exotische Allüren auf die zugrunde 
hier und morgen dort kampierten und ihn nicht kannten. liegende Gesamtdichtung deutet. Die Melodie leiernd, tän- 
Zu ihnen trug er unterm Mantel Stradivaris Meisterwerk, delnd, immer in sich zurückkehrend; gebunden von starren 
„Heda!“ sprach er den Fiedler bei guter Gelegenheit an, Orgelpunkten; oft bourdonmäßig in Oktaven und Quinten, 
der just dem wilden Pack zum Tanz aufspielte. „Heda, wir Die Horizontale stark auf Pentatonik hinweisend. Durch 
wollen mitsammen tauschen. Mir paßt meine Fiedel nicht die feine Rhythmik wird frohgemute Heiterkeit in die orna- 

in den Griff, nimm du sie und gib mir deine.“ 

Der Bursche stutzte, nahm die Dargebotene kurzentschlossen 1 Der nachsichtige Leser wird über der wohlvorgetragenen 

und strich sie prüfend an Geschichte vom großen Amati und seinem größeren Schüler 

Da hielt die wilde Jagd der Männer und Weiber mit einem den Umstand mit in den Kauf nehmen, daß es nicht be- 
Schlage inne, der Lärm rundum verstummte — und der kannt ist, daß Paganini eine Straduarius gespielt habe. Er 
Spielmann fiedelte, als sängen alle Himmel in den Saiten, spielte eine Guarneri aus dem Jahre 1743, die im Municipio 
Der Alte aber, Meister Nicola, deß niemand weiter achtete, zu Genua, wohl verwahrt und behütet, als Heiligtum auf- 
wankte davon und schleppte sich, so schnell die müden Beine gehoben wird. Red. 


15 



mentalen Linien getragen. Die Simultanharmonik erinnert 
hin und wieder an orientalische Molltypen. Das Lied hat 
keinen Vollschluß. Auch das ist exotisch. — IV. Von der 
Schönheit. Im Orchester noch ein Nachklingen stereotyper 
Tonreihen aus dem Vorangehenden mit der chinesischen Geste. 
Der beginnende Gesang gehört zu den edelsten melodischen 
Erfindungen Mahlers; er ist mit Herzensgüte geadelt und voll 
volkstümlicher gesunder Kraft. In einer vorüberjagenden 
Episode wird ein spielerisch-naturalistischer Rhythmus hör- 
bar: Das Traben und Tummeln von Rossen; drastisches 
Orchesterkolorit unterstützt diese Vorstellung von Helden- 
getümmel und kriegerischem Lärm. In beziehungsvoller 
Symmetrie kehrt im Nachspiel der weiche Anfang wieder. 
Jungfräuliche Zärtlichkeit und unbändiger Mannesmut sind 
hier vereint. Eine Allegorie der Jugend. — V. Der Trunkene 
im Frühling. Ein toller Scherz. Oft glaubt man den Schatten- 
riß des Dahinschwankenden, überall Haltsuchenden zu sehen 
(Triolenfiguren) . Oder mit heitergemütlichen Einfällen, mit 
der vergnügt belebten Laune eines bacchusfrohen Jünglings 
lachen zu müssen. Karikierende Tonschritte am Ende fast 
jeder Vokalphrase geben wohl die unsichere Sprachmelodie 
des weinseligen Zechers. In den Instrumenten singt es fröh- 
lich und lallt unmögliches Begehr, um gleich wieder wunschlos 
und glückselig zu sein. Symbole. — VI. Der Abschied. Die 
Orchesterrhythmik läßt uns aufhorchen. Es sind die rasch 
verschleiften Verzierungen am Taktbeginn — ein Umgehen 
des Taktschwerpunktes — , denen langgedehnte liegende 
Harmonien auf dem schlechten Taktteil folgen: Ein Prinzip, 
das. der Tongruppierung von Zigeunerweisen entspricht. Die 
Harmonien sind als Unisonoklang mit Kontrafagott, Violon- 
cello, Kontrabaß, Tamtam und Harfen instrumentiert, oder 
es sind die einzelnen Instrumente mit der Harfe verbunden. 
Dieser Klang ist weltfremd, diabolisch, wuchtend-schwer wie 
die Hand des Schicksals. Triolengänge in auf- und absteigen- 
den Terzen, abgesetzte Tremoli geben geisterliches Sinnen, 
dumpfe Angst, schauervolles Bangen, Drohen. Abwärts- 
gleitende Glissandi: Das Verschmachten . Die Vokalmelodik 
ist melancholisch angstvoll (wieder mit Rückfallssekunden) 
oder pastoral-naiv wie im Volkston. Die obstinate Wieder- 
kehr gleichtoniger Reihen im Orchester wirkt als Steigerung. 
Zwischendurch, in vokalen und instrumentalen Interludien : 
Naturstimmungen, Schubertsche Sonnenblicke, schmeichelnde 
Melismen, Trostesworte und Hoffnungen. Ein Stück Ro- 
mantik! Dann das Abschiednehmen, ein seraphisch ver- 
glühendes Ende. Der Stimmung nach grenzt dieser tragische 
Satz an den zweiten, einsam in sich verschlossenen Teil. Das 
zage Trauern aber ist der Ergebenheit in ein unabwendbares 
Schicksal gewichen, aus der Erdenmüdigkeit wurde über- 
irdische Ruhe in ewigen imbekannten Femen. Es ist wieder 
Philosophie, es sind wieder Gleichnisse, und wieder meta- 
physische Beziehungen. Wie einstmals schon zwischen der 
alten Hymne des Hrabanus Maurus und der Anachoreten- 
szene im Faust. — Die beiden Gesangsparte wurden von Frl. 
Philipbi und Herrn Miller in durchgeistigter Art vermittelt 
und ohne merkliche Anstrengung zu Ende geführt. Das 
Orchester war klar in allen Gruppen. A. v. Zemlinsky hat 
durch sein inspiriertes Nachschaffen wiederum gezeigt, daß er 
zu d.en berufensten Mahler-Interpreten von heute gehört. 

Eine denkwürdige Bearbeitung von Gustav Mahler brachte 
der nächste Abend. Alma Maria Mahler, die Witwe Mahlers, 
lieh Zemlinsky die von Mahler mit prinzipiellen Retouchen 
versehene Orchesterpartitur der Beethovenschen Neunten zur 
Aufführung im Schlußkonzert der Deutschen Philharmonischen 
Konzerte; es war die zweite Wiedergabe in dieser Fassung. 
Die Veränderungen beziehen sich auf stellenweise Verstärkung 
des Bläserorchesters, der Holzharmonie, der Hörner, Trom- 
peten und Pauken, eine Baßtuba ist neu hinzugekommen. 
Von formalen Korrekturen ist der Strich der zwölf Einleitungs- 
takte bei der Repetition des Scherzos zu erwähnen. In der 
Dynamik und Phrasierung sind Anweisungen bis ins kleinste 
getroffen. Zweck der ganzen Operationen, des Verdoppelns 
oder Weglassens oder des Transponierens von Orchester- 
stimmen ist es, eine Verdeutlichung des Klangbildes zu ge- 
winnen, die Beethoven, hätte er von unseren instrumentalen 
Mitteln gewußt, zweifellos als notwendig anerkannt hätte. 
Die aufsteigenden Bedenken zerstreute die elementare Wir- 
kung, und der Gedanke daran, daß Richard Wagner Mahler 
in gleicher Richtung vorgearbeitet hatte. Orchester, Chöre, 
von den Solisten vor allem Frl. Debicka, boten unter der 
unvergeßlichen Interpretation Zemlinskys Außerordentliches. 

A. v. Zemlinsky. C. Scott. 

Zemlinsky liebt Mahler. Auch am schaffenden Künstler 
ist Mahler nicht spurlos vorübergegangen. Zemlinsky ist es 
gegeben — das wissen wir aus seinem Jugendquartett, aus 
seiner symphonischen Dichtung „Die Seejungfrau“, aus 
seiner Oper „Es war einmal“ u. a. — , sich unterschiedlichen 
Stilen anzupassen, ohne seine Eigenart auf zugeben. Hatten 
es ihm früher die Romantiker, dann die Jungfranzosen an- 
getan, so sind seine letzten Lieder und der 23. Psalm (Universal- 

16 


Edition), den der Deutsche Singverein und der Deutsche 
Männergesangverein mit dem Orchester des Deutschen Landes- 
theaters herausbrachte, dem Stile nach fraglos zwischen Mahler 
und Schoenberg zu steilen. Der Psalm ist eine Weiterentwick- 
lung und Vereinfachung des Mahler-Stils in motiv- und formal- 
technischer Hinsicht und von einem parallelen volkstümlichen 
Empfinden belebt;. zugleich eine Klärung und ein Abstrahieren 
aus Schoenbergscher Art: Man sehe die Quartenharmonien, 
die grotesken Kadenzen und die klangtechnische Behand- 
lung! Wenn nicht alles trügt, wird Zemlinsky die Schoenberg- 
schen Besonderheiten auch in formaler Richtung stilisieren 
und ausgestalten können. Die Komposition strotzt von 
Schwierigkeiten und ist in ihrer Verkettung mit diesem Text 
nicht ohne weiteres verständlich. Die Wiedergabe unter 
G. v. Keußler hätte ich mir weniger getragen gewünscht. Das 
Publikum bereitete Zemlinsky Ovationen. Im selben Kon- 
zerte wurden u. a. noch Chorwerke von Hausegger, Schreker 
und Schillings gesungen. 

Cyril Scott, dessen Klavier- Violinsonate op. 59 (Schotts 
Söhne) im Deutschen Kammermusikverein gespielt wurde, ist 
ein Kind unserer Zeit. Er spricht die Sprache einer inter- 
nationalen Moderne. Die Marner, vorsätzlich mit schwierigen 
Rhythmen zu arbeiten und diese taktweise ein ganzes Werk 
hindurch zu wechseln, hat er bei Skrjabine gesehen. In der 
Melodik des scherzhaften Satzes wird sich die indianische 
Abstammung nachweisen lassen. Auffallend ist die voll- 
kommene Tonalitätsauflösung. Die Modulation zeigt nach 
dem Süden. Die Tonbilder sind scharf umrissen, werden meist 
nur in der Rhythmik variiert oder figuriert und periodenweise 
nebeneinandergestellt. Bei raschem Zeitmaß ergibt sich eine 
kaleidoskopmäßige Wirkung. Es ist eine trotz der schwierigen 
Aus drucks weise} primitive Kunst. 

Arnold’Schoenberg. 

Eine untersten Eindruck primitive, tatsächlich aber sehr 
komplizierte Musik ist die ars nova Schoenbergs, sein Pierrot 
Lunaire. Wenn die Wiener Aufführung von Schoenbergs 
romantischen Gurreliedem auch die konservativsten Musiker 
überzeugt hatte, wenn man über die märchenhafte Phantasie, 
über das technische Vermögen, über die stilreine Klarheit 
seiner Sprache gestaunt hat, so brachte der folgende Tag die 
Abkühlung. 

Tags darauf erlebte „Pierrot Lunaire“ im Deutschen Kammer- 
musikverein in Prag turbulente Szenen. „Pierrot Lunaire“ 
— eine Serie von Melodramen — , denen Schoenberg Töne 
beigefügt hat, zu deren Natur ein aufrichtiger Beurteiler ein 
Gefühlsverhältnis nicht finden kann. Das ist ein Eingeständ- 
nis, aber keine Kritik. „Pierrot Lunaire“, eine typische 
Arbeit der Dekadence, muß als ein für den Tonsetzer selbst 
wertvolles, musikalisch-physikalisches Experiment bezeichnet 
werden. Aber auch als ein konsequent durchgefühlter Ausbau 
einer in primitiven Keimen und einigen seltenen Fällen bereits 
vorhandenen Musik, der wir in dieser ausgestalteten Form 
mit dem musikalischen Verstand nicht zu folgen vermögen. 
Eine Begründung des Verlaufes der Tonlinie und ihrer Rhyth- 
men, der Tonstärke und der Tonfarbe, besonders in den In- 
strumenten, ist bei angestrengtem Nachdenken und Mit- 
gehenwollen nicht zu geben. Das Zeitmaß der Sprechstimme 
hat Schoenberg, wie mir scheint, bald nach der Schwere 
der Rhythmik, bald nach dem gefühlsmäßigen Inhalt jedes 
einzelnen Wortes geregelt. Aber auch diese Beobachtung 
kann trügen. Als Ahnen zur Deklamationsstruktur der 
Sprechstimme glaube ich einige Stellen der „Salome“-Partitur 
mit parallelen Bildungen nachweisen zu können: die Ver- 
tonung des Wortes „Jochanaan“ (Kl.A. mit T. S. 181, 182, 
193, 202) und des Befehles „töte“ im letzten Wortsatze des 
Werkes „Man töte dieses Weib“. Zur Wiedergabe der Kom- 
positionen haben die Mitwirkenden eine eigene Technik sich 
zurechtlegen müssen. Frau Zehme und die Herren E. Steuer- 
mann, J. Malinidk, H. Kindler, H. W . de Vries und K. Eß- 
berger sind bedeutende Künstler. — Und die Wirkung ? Die 
einen bedienten sich affektuierter Mißfallsäußerungen (selbst 
während des Spieles), andere stark unterstrichener Beifalls- 
kundgebungen. Beide Gruppen aber waren wie rasend, 
maßai einander mit feindlichen Blicken und drohten hand- 
gemein zu werden. Wüßte man nicht, daß die Aeußerlichkeit 
eines großen Teiles einer modernen Zuhörerschaft eines tieferen 
musikalischen Eindruckes fast unfähig ist, so könnte man 
an mehr als zweitausend Jahre alte Ideen erinnert werden, 
die mm durch die moderne Kunstpraxis . bestätigt worden 
wären: An die Ansichten von den Reflexwirkungen 
einer Musik (Melodien und Rhythmen), die 
imstande wäre, das normale Bewußtsein 
zeitweise zu trüben, W a hr n e hm ungs - und 
Willensmöglichkeiten zeitweilig auszu- 
schalten und pathologische Zustände im 
Menschen hervorzurufen, die an Wahnsinn 
gemahnen. Das ist ein Gedanke, der von 
Plato stammt. Ich halte — wie schon betont — die 
Sache im großen und ganzen für harmloser. Ein paar im- 
musikalische Snobs, die durch ihr ostentatives Applaudieren 



unendlich komisch wirken. Und konservative Musiker, die 
sich mit Erfahrungsweisheit gürten, durch den Beifall zum 
Bachen gereizt werden, und dann wütend pfeifen. Item — 
Ausnahmen mag’s ja geben und dafür ist es nötig, unverzüg- 
lich Vorsichtsmaßregeln zu treffen: In Hinkunft mögen vor 
Konzerten die aufzuführenden Symphonien, Kammermusik- 
werke usw. einem musikalischen Zensor vorgelegt 
werden. Der wird die Partitur vorsichtig zu untersuchen 
haben und entscheiden müssen, ob nicht beunruhigende 
Rhythmen verschoben, bösartig aussehende Melodien ab- 
gebrochen werden sollen, ob nicht aufreizende Chromatik 
und verdächtige Enharmonik, unethische Ganztonreihen und 
wüste Quartenakkorde geeignet wären, Verbalinjurien, und 
welchen Grades hervorzurufen. Ob man nicht doch am 
Ende bei den Tremoli der Bässe und den Staccati der Pikkolo- 
flöte mit ärgeren Wirkungen, bei wahnsinnigen Bangen etwa 
mit Tätlichkeiten zu rechnen habe, und ob bei diesen oder 
jenen eben besprochenen musikalischen Aeußerungen Polizei 
mit dem Säbel oder Gendarmerie durch Zielen mit dem Schieß- 
knüppel die ominösen Wirkungen der Musik zu beschwichtigen 
vermöchten oder nicht. Es lebe die neue Zensur! 

Oper. 

Das „Neue Deutsche Theater“ hatte diesmal mit Neu- 
erwerbungen wenig Glück, doch haben Neueinstudierungen 
besonders von solchen Werken, welche die Wagner-Aera und 
die ihr folgende Periode ängstlich vermied, gezeigt, daß sie 
mit modernem Geist gesehen, noch heute unmittelbar packen 
können. — Pierre Maurice war mit seiner „Mise Brun“ (Bote 
& Bock) nur ein blasser Erfolg beschieden. Er ist durchaus 
kein Dramatiker, und seine Byrik zu unselbständig, um für 
längere Zeit interessieren zu können. Das fein Humoristische 
liegt ihm am besten und • beweist guten Geschmack. Da 
könnte man ihn beinahe der Gruppe d’ Albert, Blech zu- 
gesellen. Erl. Finger bemühte sich mit ihren prächtigen 
Mitteln um die Titelrolle, Kapellmeister v. Stermich dirigierte 
fürsorglich. — „Stella“, eine Oper ' des hiesigen Orchester- 
mitgliedes J. Kohout, trug dem Komponisten laute Ehrungen 
ein. — Eine Großtat Zemlinskys war die Neueinstudierung der 
„Salome“. Frl. Körner schuf eine ihrer Eigenart entsprechende 
neue Gestalt. Sie idealisierte die Salome, sie gab verhaltene 
Erregung, veredelte Konturen. Auch stimmlich nichts Reali- 
stisches, keine Wildheit, kein Schreien, nur wohllautender 
Gesang — dazu gehört freilich ihr Riesenorgan. Ins feinste 
durchdacht war der Herodes Winkelmanns, der Jochanaan 
Schützendorfs, die Herodias der Frau Hoy. Gerboth erdichtete 
eine sinnenschwere orientalische Nacht. Zemlinsky musizierte 
mit feierlicher Beidenschaft. Im . Zeichen „Ariadnes“ begann 
die Spielzeit, „Salome“ war der Beschluß. — Vom „National- 
theater“ Außerordentliches zu berichten, ist diesmal kein 
Anlaß vorhanden. „Die verkaufte Braut“ übersiedelte in 
das 12 ooo Personen fassende Freilufttheater in der Scharkä. 
Aus Gründen, die sich begreifen lassen, aber schwer zu ent- 
schuldigen sind. Es war eine Sensation, aber noch lange 
kein kimstierisches Ereignis. Das Theater selbst ist herrlich. 
In Bergeinsamkeit verborgen, Poesie umwoben, vom scheiden- 


den Abendsonnenschein verklärt. Ferne Gebirge dienen noch 
als Kulissen. Selbst wenn das Milieu der Handlung die Wahl 
des Bergtheaters zu rechtfertigen scheint, das musikalische 
Werk als solches ist für einen intimen Raum geschaffen und 
beansprucht auch nur intime Wirkungen. Der Smneneiudruck, 
insbesondere der farbigen Bewegungen einer slowakisch- 
bunten Riesenkomparserie war bedeutend, und mit dem 
Kassenerfolg werden die Herren zufrieden gewesen sein. — 

Dr. Erich Steinhard. 



Aachen. Aus der Reihe der sommerlichen Philharmonischen 
Konzerte, die seitens der Kurdirektion veranstaltet wurden, 
ragt vor allem ein ausschließlich Kompositionen von Karl 
Bleyle umfassendes Konzert hervor. Mit den Werken stellte 
sich gleichzeitig der Komponist auch als Dirigent vor. 
In Bleyle ergänzen und verstärken sich diese beiden, nicht 
immer freundschaftlich zueinander verhaltenden Möglichkeiten 
zur Einheit. Bleyles erfrischende, ungesuchte und un- 
gekränkelte Eigenart seiner fast alle Gebiete der Konzert- 
musik umfassenden Kunst zieht den Zuhörer unwillkürlich 
in ihren Bann, insbesondere die blühende, nie versiegende 
Melodik macht ihn uns zum Schubert der Gegenwart. Ein 
besonderes Meisterstück vollführte Kapellmeister Dietrich 
insofern, als er an Stelle des zwei Tage vor dem Konzert ab- 
sagenden Solocellisten sich an das ihm bis dalün gänzlich 
imbekannte und recht schwere Violinkonzert von Bleyle 
heranmachte und es am Konzertabende in blendendem Glanze 
vollendeter technischer und völliger geistiger Durchdringung 
erstrahlen ließ. St. 

Christiania. Ueber die geplante „Ring“-Aufführung im 
nächsten Sommer verlautet noch nichts Bestimmteres, 
vielmehr hüllen sich die maßgebenden Personen in Schweigen 
und man muß abwarten, wie alles, werden wird. — Als vor- 
läufig einzige Neuheit für die neue Saison wird d’Alberts 
„Tiefland“ einstudiert, wahrscheinlich mit Wilhelm Herold 
(Kopenhagen) als Gast. — Das Nationaltheater veröffentlichte 
sein Winter-Symphonieprogramm und es wird vielleicht 
manchen deutschen Beser interessieren, was hier zumersten 
Male einstudiert und geboten werden soll: Schubert: C dur- 
Symphonie; Kalikinow: Erste Symphonie gmoll; Sindings 
D dur und die Pastorale von Beethoven, Berlioz’ Symphonie 
fantastique; Svendsen: „Romeo und Julia“; Tschaikowsky: 
„Francesca da Rimini“ sowie kleinere Werke von Mozart, 
Biszt, Rimsky-Korsakow und Debussy (natürlich). — Im 
ersten Saisonkonzert wurde außerdem unter Johan Halvorsen 
Brahmsens c moll-Symphonie zum ersten Male aufgeführt. — 
Im übrigen stand unsere Stadt letzter Tage im Zeichen 
Tschaikowskys. Wassili Safonoff dirigierte am 14. September 



Hugo Uhers Modell für das Beethoven-Denkmal ln Karlsbad. (Text siehe S. 19.) 


r 7 



■unter Mitwirkung des Cellisten Ewsei Beloousoff (der die 
bekannten „Rokokovariationen“ spielte) die Vierte Symphonie 
und „Francesca da Rimini“. ein wundervoller Abend, der 
allen Zuhörern lange in schöner Erinnerung bleiben wird. Am 
15. September hatten wir dann Gelegenheit, den Meister am 
Flügel bewundern zu dürfen, wo er im Verein mit genanntem 
Cellisten und seinem Sohne Iwan Safonoff Tschaikowskys 
Grand Trio (zur Erinnerung an Rubinstein) bot. Hätten die 
beiden Streicher auf der gleichen Höhe gestanden wie Safonoff, 
so wäre es ein musikalisches Ereignis ersten Ranges gewesen. 
Sein wunderbares Pedalspiel, seine perlenden Läufe, aber vor 
allem die Art und Weise, wie er die zartesten Pianissimi heraus- 
zuholen verstand, entfachten Stürme der Begeisterung. H. M. 

Zürich. Die „Parsifal“ -Festspiele des Stadttheaters, die 
vom 31. August bis 15. September eine achtmalige Aufführung 
des Bühnenweihfestspieles brachten, durften sich eines schönen 
künstlerischen Erfolges freuen. Sie übten eine große An- 
ziehung auf das Fremdenpublikum aus. Das zeigte sich 
deutlich in den Pausen der Aufführungen, während deren sich 
in den Gängen und im Foyer des Theaters, sowie in dessen 
nächster Umgebung ein interessantes Leben internationaler 
Vielsprachigkeit entwickelte. Große Beachtung fanden die 
Aufführungen auch in der gesamten Musik- und Theaterwelt, 
wie die zahlreichen ' Besuche leitender Persönlichkeiten be- 
wiesen. Unter andern waren erschienen der Generalintendant 
der Königl. Schauspiele und der Königl. Hofmmik Exzellenz 
Graf Hülsen, der Münchner Maschineriedirektor Hofrat Klein, 


Direktor Markus von der Budapester Hofoper, der Kapell- 
meister der Mailänder Scala Tullio Serafin, Opemdireitor 
Kowarowic vom böhmischen Nationaltheater in Prag, Ober- 
regisseur Krähmer von der Frankfurter Oper und eine ganze 
Reihe von Direktoren größerer deutscher und italienischer 
Opembühnen. — Die Aufführungen als solche, die sämtlich 
Kapellmeister Dr. Kempter mit musikalischem Feinsinn 
leitete, haben an Geschlossenheit und Abrundung gewonnen, 
da die Träger der Hauptpartien mit den Wiederholungen mehr 
und mehr in ihre Aufgaben hineinwuchsen. Dies gilt nicht 
nur von dem in Spiel und Gesang ausgezeichneten Vertreter 
der Titelpartie Willy Ulmer und der temperamentvollen 
Kundry, Emmy Krüger, sondern auch von dem stimmschönen 
Gurnemanz des Herrn C. Gritzbach. Für den Amfortas 
hatte man neben dem schon gelegentlich der Erstaufführung 
hier gewürdigten W. Bockholt einen zweiten ebenbürtigen 
Darsteller in Aug. Stier, der hauptsächlich nach der Seite 
tiefdurchdachten Ausdrucks eine vorzügliche Leistung bot. 
Im übrigen waren auch alle weiteren Hauptpartien doppelt 
besetzt. So sang den Parsifal mit schönem Erfolg zweimal 
der lyrische Tenor Artur Schwarz, während der Gurnemanz . 
ebenfalls zweimal dem Heldenbariton Otto Janesch, der sich 
auch als Klingsor vortrefflich bewährte, übertragen war. 
Die Kundry wurde dreimal erfolgreich von Johanna König 
gesungen. Die wie bei den Aufführungen im Frühjahr er- 
heblich verstärkten Chöre lösten in der Hauptsache ihre Auf- 
gabe befriedigend, nur in einigen Aufführungen traten störende 
harmonische Schwankungen zutage. E. Trp. 


* 






Neuaufführungen und Notizen. 

— In Rio de Janeiro hat Parsifal“ durch die Truppe' des 
Costanzitheaters aus Rom die erste Aufführung in Brasüien 
erlebt. — In Barcelona soll die „Parsifal“-Auffuhrung bereits 
am 31. Dezember, und zwar um 1 1 Uhr abends, stattfinden. 
Die Spanier erklären nämlich, der ,, Parsifal“ wird nach mittel- 
europäischer Zeit am 1. Januar mitternachts frei. Diese Zeit 
entspricht, der elften Abendstunde nach westeuropäischer 
Zeit, also kann der „Parsifal“ bei uns bereits am 31. Dezember, 
abends 1 1 Uhr, in Szene gehen. (Derartige Menschen scheinen 
gar nicht zu wissen, wie sehr sie sich durch solche törichte Mani- 
pulationen bloßstellen.) 

— „Oberst Chabert“, Musiktragödie von Waltershausen, hat 
im Stuttgarter Hoftheater bei idealer Darstellung unter Bands 
musikalischer und Gerhäusers szenischer Leitung tiefgehende 
Eindrücke erzielt. Der Komponist wurde oft gerufen. 

— Das Kasseler Hoftheater wird außer dem „Parsifal“ 
eine deutsche Uraufführung bringen, die Oper „Der Cobzar“, 
lyrisches Drama in zwei Akten von Helene Vacaresco und Paul 
Milliet, Musik von Gdbrielli Ferrari (deutsch von Prof. Otto 
Neitzel). 

— Die Intendanz der Frankfurter Oper hat eine neue Oper 
von Otto Taubmann „Porzia“ zur Uraufführung für die Spiel- 
zeit angenommen. Dem Text der Oper liegt Shakespeares 
„Kaufmann von Venedig“ zugrunde. 

— Das Herzogi. Hoftheater in Dessau kündigt die Auf- 
führung des „Benvenuto Cellini“ von Berlioz, des „Cid“ von 
Cornelius und der „Barbarina“ von 0 . Neitzel an. In neuer 
Besetzung und Einstudierung soll „Orpheus“ von Gluck zum 
200. Geburtstag des Meisters wieder erscheinen. Des 100. Ge- 
burtstages von Verdi wird mit einigen seiner Werke („Trou- 
badour , „Violetta“) gedacht. Mozart wird mit „Figaros Hoch- 
zeit“, „Cosi fan tutte“ und „Zauberflöte“ verrieten sein. 


18 


Das W agner -Repertoire soll durch eine Wiederaufnahme des 
„Rienzi“ erweitert werden. 

— Zu „Palesriina“, der neuen Oper von Hans Pfitzner, 
hat der Komponist, wie schon berichtet, selber den Text ge- 
dichtet. Den Inhalt bildet das Leben Palestrinas. Pfltzners 
Werk erscheint im Verlage der Firma Adolf Fürstner (Berlin- 
Paris), die es zuerst in Paris veröffentlichen wird. Pfitzner 
genießt auf diese Weise für „Palesriina“ die 50jährige Schutz- 
frist in den Ländern, die diesen erweiterten Urheberrechts- 
schutz eingeführt haben. 

— Richard Straußens neues Ballett ist ausschließlich für die 
Aufführung durch die „Russen“ bestimmt und wird voraus- 
sichtlich im Frühjahr nächsten Jahres aufgeführt werden. 

— Ueber die neue Oper Engelbert Humperdincks, nach einem 
Text von Robert Misch, wird geschrieben: Die Oper wird den 
Titel führen: „Die Marketenderin“ , eine deutsche Spieloper 
in zwei Aufzügen. Der erste Akt spielt im November 1813 
in Blüchers Hauptquartier zu Höchst a. M., der letzte in der 
Süvestemacht 1813/14 in Caub. Blücher und Gneisenau 
sind Sprechrollen, die elsässische Marketenderin, Blüchers 
Stabskoch und ein Urberliner Feldwebel dagegen sind die 
Vertreter der Gesangspartien der Spieloper und die eigent- 
lichen Träger der Handlung. Das Werk wird voraussichtlich 
noch in dieser Saison zur Uraufführung kommen. 


— Der Verband der konzertierenden Künstler Deutsch- 
lands, E. V., veranstaltet zurzeit in Berlin neun Konzerte im 
Künstlerhause. Von allen Städten des Deutschen Reiches 
sind die Künstler zusammengekommen, um nun auch der 
breiten Oeffentlichkeit gegenüber Zeugnis abzulegen von ihrem 
Können, das sie vor strengen Richtern betätigt haben. 

— Die Abonnementskonzerte der Königl. Hofkapelle in 
Stuttgart, die Max Schillings leitet (eines von den zenn Hof- 
kapellmeister Band), bringen neben den Klassikern folgende 
Namen moderner Tonsetzer: Ernst Boehe, Walter Braunfels, 
Fr. Delius, Herrn, v. Glenck, Siegm. v. Hausegger, Gustav Mahler, 
Max Reger, Philipp Rufer, August Scharrer, F. H. Schaub, 
Georg Schumann, Bernhard Sekles, Rudic Stephan, Richard 
Stöhr, Richard Strauß, Hugo Wolf, Kurt v. Wolfurt. 

— Kapellmeister H. Wetzlar m Halle a. S. hat für die 

Symphomekonzerte des Stadttheaterorchesters stilvolle und 
interessante Programme aufgestellt: Beethoven-Brahms- Abend, 
Berlioz-Stiauß-Abend, Bach-Mozart-Abend, Moderner Abend 
(u. a. Mahlers „Wunderhom“-Symphonie, Stücke von Sichil- 
lings, Boehe, Busoni), Wagner-Liszt- Abend. Die Solisten 
— Karl Flesch, Franz Steiner, Adr. v. Kraus, LUly Hofmann- 
Onegin, Ossip Gabrilowitsch — haben sich mit dar Auswahl 
ihrer Vorträge den einzelnen Programmgedanken unterordnen 
müssen. Kl. 

— Für die Konzerte des Konzertvereins in Wernigerode 
hat Musikdirektor Ehrhardt folgende Kräfte verpflichtet: 
Pianist Fischer und Frl. Bostroem (Alt, Berlin), Kammer- 
sänger W. Kirchhof f (Berlin), das Ehepaar Petschnikoff 
(Berlin), das Brüsseler Streichquartett und das Winderstein- 
Orchester (Leipzig). 

— Der Gesangverein Mülheim-Ruhr kündigt u. a. für die 
Konzertspielzeit an: Strauß: „Wanderers Sturmlied“, Solo- 
stücke für Klavier; Händel: „Acis und Galathea“; Bach: 
„Der zufriedengestellte Aeolus“; August Bungert : „Mysterium“. 
Dirigent der Abonnementskonzerte ist Karl Diehl. 

— Friedr. Gernsheim hat ein neues Violinkonzert (F dur) 
geschrieben, die Erstaufführung soll durch Henri Marteau 
in Hamburg (Philharmonisches Konzert) unter Leitung des 
Komponisten stattfinden. (Verlag von Jul. Heinr. Zimmer- 
mann in Leipzig.) 

— Joseph Marx hat eine Triofantasie für Klavier, Violine 
und Cello vollendet, die in Wien zur Uraufführung kommen 
wird. (Verlag der Universal-Edition Wien-Leipzig, die das 
Verlagseigentum sämtlicher bisher erschienenen Komposi- 
tionen von Marx aus dem Schuberthaus- Verlag erworben hat.) 

— Die Verdi-Feiern scheinen in Italien zu nationalen Festen 
werden zu wollen (anders als bei uns die Wagner-Feier). 
In Mailand haben sich als Dirigenten Toscanini, Serafin und. 
Mugnone zur Verfügung gestellt. „Nabucco“ (eine Oper, die 
bereits 73 Jahre fit ist), „Aida“, „Otello“, „Falstaff“ und 
das „Requiem“ werden aufgeführt. Es wirken die besten 
italienischen Sänger in diesen Fes tauf führungen mit. Nur 
Caruso fehlt! Er singt in Stuttgart zur Verdi-Feier! 

— In den Symphoniekonzerten im Kursaal in Ostende 
ist unter Leitung von Leon Rinskopf der „Carin-Walzer“ der 
Stuttgarter Komponistin Alice Danziger zweimal aufgeführt 
worden. 

— Der Pianist Joseph Hoffmann hat in Petersburg nicht 
weniger als 20 Konzerte gegeben und dafür 315 895 M. ver- 
einnahmt. (Also mehr als 15 000 M. für den Abend.) Ein 
Rekord! 





— Ein seltenes Bildnis Nicolo Paganinis. Paganini gegenüber 

kommt man mit den landläufigen Begriffen von Begabung 
und Genie nicht aus; seine Stellung in der Kunstgeschichte 
ist eine ganz exzeptionelle, und es kann nicht überraschen, 
daß man bei seinen unerklärlichen Leistungen ein Walten 
übernatürlicher Kräfte angenommen hat. Mehr als 70 Jahre 
sind seit Paganinis Tode verflossen, sein Andenken dauert 
jedoch in ungeschwächtem Maße fort, wenngleich wahrschein- 
lich keiner von denen mehr am Leben ist, welchen es vergönnt 
war, ihn zu hören. Das Spiel Paganinis muß von geradezu 
faszinierender Wirkung gewesen sein: ich kannte z. B. einen 
nun schon lange gestorbenen Juristen, der, trotzdem er nicht 
zu den eigentlich musikalischen Leuten gehörte, dennoch das 
Ueberwältigende der Kunst des unerreichten Virtuosen in 
vollstem Maße an sich selbst erfahren hat. Daß aber auch 
Männer wie Robert Schumann und Franz Liszt zu Paganinis 
enthusiastischen Bewunderern zählten, bedeutet schließlich 
mehr als alle Sensation, die er beim großen Publikum hervor- 
rief. Das Bild auf S. 15 ist die Wiedergabe einer in meinem 
Besitz befindlichen altenglischen Lithographie, und offenbar 
entstanden, bevor die Keime des Kehlkopfleidens sich ent- 
wickeln konnten, dem der Künstler, nur 56 Jahre alt, zum 
Opfer fiel. William Hepworth (Chemnitz). 

— Ein Beethoven-Denkmalprojekt für Karlsbad. Aus Anlaß 

der zweimaligen Anwesenheit Ludwig van Beethovens in 
Karlsbad vor 100 Jahren hatten die musikalischen Vereine 
Karlsbads im Jahre 1912 den Plan gefaßt, ihm ein Denkmal 
zu setzen. An die Spitze des Komitees stellte . sich der 
k. k. Statthaltereirat Ritter v. Jordan und der Bürgermeister 
Dr. Pfeifer. An eine Anzahl bekannter Bildhauer wurde im 
Herbste des Vorjahres mit dem Ersuchen herangetreten, 
Modelle für das Beethoven-Denkmal zu schaffen. Diese 
Modelle wurden in einem dafür gebauten Ausstellungshause 
aufgestellt und der öffentlichen Besichtigung freigegeben. 
Modelle hatten geliefert die Herren: Opitz (Wien), Jäger 
(Dresden), Prof. Grath — gezeichneter Entwurf — (Wien), 
Karl Wilfert (Eger), J. A. Mayerl (Eger), Prof. Eugen Boermel 
(Berlin), Hiller (Geislingen) und (drei Entwürfe) Hugo Uher. 
In den Temovorschlag wurden gebracht die Modelle von Uher 
(No. 3), Wilfert und Mayerl. Zur Ausführung wurde Uhers 
Modell No. 3, das im Büde auf Seite 17 vorgeführt wird, 
angenommen. Der Uhersche Beethoven stellt den Gefeierten 
in sich gekehrt gegen den Wind dahinschreitend dar. Es soll 
das weltentrückte Gemüt und der Kampf mit dem harten 
Geschicke zum Ausdrucke kommen. Diese Charakterisierung 
ist dem Schöpfer des Modells in künstlerischer Art gelungen. 
In der Mitte einer feinarchitektonisch ausgeführten Balustrade 
erhebt sich der die Figur Beethovens tragende Sockel, auf 
dem noch ein Relief angebracht wird, welches das berühmt 
gewordene „Armenkonzert“, das Beethoven in Karlsbad gab. 
versinnbildlicht. M. Kaufmann (Karlsbad). 

— Vom Münchner Konzertverein. Wie es jetzt feststeht, 
sind die Abonnementskonzerte des Konzertvereins in München 
für den kommenden Winter gesichert. Die „Münchner Neuesten 
Nachrichten“ bemerken dazu: Die Sache der Münchner Musik- 
freunde wird es mm sein, durch ihre Teilnahme an dem Verein 
zu dokumentieren, daß sie an seinem Weiterbestehen ein wirk- 
liches Interesse haben. — Nun wollen wir sehen! 

- — Städtische Musikpflege. Der hamburgische Staat hat 
beschlossen, dem Orchester des Vereins Hamburgischer Musik- 
freunde, das ausgezeichnete populäre Konzerte zu niedrigen 
Eintrittepreisen veranstaltet, außer dem ihm ständig ge- 
währten Zuschuß von jährlich 94 000 M. einen weiteren Zu- 
schuß von jährlich so 000 M. zunächst auf die Dauer von 
drei Jahren zu gewähren. — Das klingt etwas anders als die 
Münchner Meldungen über das Konzertvereinsorchester. 

— Von den Konservatorien. Die Opemschule des Groß- 
herzogl. Hof- und Nationaltheaters in Mannheim ist am 
15. September eröffnet worden. Die Oberleitung hat Hof- 
kapellmeister Artur Bodanzky. 

— Musikpddagogisckes. Ein Quartalskursus für Schul- 
gesang (Repetitionskursus zur staatlichen Prüfung) findet vom 
6. Oktober bis Ende Dezember im Seminar für Schulgesang 
zu Berlin statt. In 15 Fächern und insgesamt 200 Stunden 
unterrichten hervorragende Dozenten, die bereite ihr staat- 
liches Examen als Gesanglehrer gemacht haben. Die Leitung 
des Kursus liegt in den Händen des bekannten Musikpädagogen 
Ma\ Batike, dessen Werke bereite an vielen Schulen eingeführt 
sind. — Das Seminar der Musikgruppe Berlin, E. V., beginnt 
am 1 . Oktober seinen dritten Kursus. Es bestehen Abteilungen 
für Schulgesang, Klavier und Violine, die auf die staatliche 
Prüfung bezw. das Examen des Verbandes der Deutschen 
Musiklehrerinnen vorbereiten. Hospitanten können an ein- 


zelnen Fächern teilnehmen; eine eigene Uebungsschule ist 
angeschlossen. Die Anstalt war im letzten Jahr von 44 Se- 
minaristinnen besucht. Eine neue Klasse für Organistinnen 
(staatliche Prüfung) ist im Entstehen begriffen. Ausführliche 
Prospekte sind kostenfrei durch das Sekretariat des Seminars, 
Berlin W. 57, Pallsstr. 12, zu beziehen. — Als erster seiner 
Art wird demnächst in Königsberg i, Pr. (während der Oktober- 
ferien) ein Ostdeutscher Fortbildungskursus für Gesanglehrer 
und -lehrerinnen an höheren und Volksschulen stattfinden. 
Die neue Methode des Schulgesanges, die seit einiger Zeit 
vom Königl. Unterrichtsministerium in den höheren Schulen 
eingeführt ist, soll auch den Weg in die Volksschule finden. 
Der Schöpfer dieser neuen Methode des Schulgesanges, Prof. 
Georg Roller vom Königl. Akademischen Institut für Kirchen- 
musik in Berlin, wird zu diesem Kursus nach Königsberg 
kommen und Vorträge darüber halten. 

— Wagneri ana. In Guatemala hat sich unter starker Be- 
teiligung ein Richard-Wagner-Verein gebildet. In welcher 
Sprache Wagners Werke dort aufgeiührt werden sollen, 
darüber verlautet noch nichts. 

— Die 'Gitarre. In Nürnberg hat der „ Erste deutschsprachige 
Mandolinisten- und Gitarristenkongreß “ getagt. Die Tagung 
hatte eine große Anzahl deutscher wie ausländischer, öster- 
reichischer und schweizerischer Vereine beschickt. Die De- 
legierten hatten die Aufgabe, neben einer offenen Aussprache 
über die derzeitige internationale Mandolinen- und Gitarre- 
bewegung zu der Kardinalfrage „Gründung eines Zentral- 
verbandes aller deutschen Sprachgebiete“ Stellung zu nehmen 
bezw. denselben ins Leben zu rufen. Der Zweck der Gründung 
sollte sein: „Hebung des Saitenspiels durch Zusammenschluß 
und regen Gedankenaustausch der interessierten Vereine, 
Kongresse und Kongreßkonzerte, Wettspiele usw.“, ferner dem 
Vorurteil weitester Kreise, als ob das seit alters her so ge- 
schätzte Saitenspiel nicht geeignet sei, hohen musikalischen 
Anforderungen zu genügen, nachdrücklichst zu begegnen. 
Mit dem Kongreß waren zwei Festkonzerte verbunden. In 
Zürich erscheint ein Fachblatt , Moderne Musik“. O. M. 

— Memoiren. Die Königl. preußische Kammersängerin 
Frau Lilli Lehmann'l&Qt ihre Memoiren unter dem Titel „Mein 
Weg“ im Oktober im Verlag von S. Hirzel in Leipzig erscheinen. 

— Stiftungen. Der verstorbene Seniorchef des Hotels Mar- 
quardt, Hermann Marquardt, hat dem Stuttgarter Lieder- 
kranz, dessen Ehrenmitglied er war, 100 000 Mark vermacht. 


Personalnachrichten. 

— Auszeichnungen. Der Großherzog von Hessen hat dem 
Prof. Siegfried Ochs in Berlin das Ritterkreuz I. Klasse des 
Ordens Philipps des Großmütigen verliehen. — Der Erbauer 
des Perzinasnales in Schwerin, Daniel Huß, ist vom Groß- 
herzog von Mecklenburg zum Ritter des Greifenordens er- 
nannt worden. — Dem Komponisten, norwegischen Arinee- 
Musikinspektor Major Oie Olsen in Kristiania ist der Rote 
Adlerorden 3. Klas*e verliehen worden. — Der Königliche 
Kammermusiker H. Kruse in Altona hat vom Fürsten von 
Waldeck und Pyrmont die Goldene Medaille für Kunst und 
Wissenschaft erhalten. 

— Aus Dresden wird gemeldet: Dem Tonkünstler und 
Komponisten Prof. Schulz- Beuthen haben die städtischen 
Kollegien aus Anlaß seines 75 • Geburtstages einen jährlichen 
Ehrensold von 1200 M. bewüligt. Nach Draeseke ist Schulz- 
Beuthen der zweite Ehrensoldempfänger Dresdens. Hoffent- 
lich findet das löbliche Verfahren weitere Verbreitung. 

— Aus München wird uns geschrieben: Im Gärtner-Theater 
am Gärtner-Platz hat sich am 8. September Kapellmeister 
Karl Horak, der 32 Jahre an dieser Statte gewirkt hatte, ver- 
abschiedet. Er hatte seine künstlerische Laufbahn 1871 in 
Graz begonnen und wurde 1881 als Dirigent an das Gärtner- 
Theater nach München berufen, wo er die Operette zu hoher 
Blüte brachte. Bei seinem Abschied wurden ihm große 
Ehrungen bereitet, vom Publikum wie von der Direktion. R. 

— In Leipzig ist der Kunstschriftsteller, Biograph und 
Komponist Dr. phil. R. Paul Sakolowski im Alter von nur 
41 Jahren gestörten. 

— Der Musjkschriftsteller, Komponist (und Reuter- Vorleser) 
Prof. Georg Riemenschneider in Breslau ist im Alter von 65 Jahren 
gestorben. Er war Theaterkapellmeister in Lübeck und 
Danzig gewesen und dann in Breslau Dirigent der Konzert- 
kapelle geworden. Riemenschneider hat Orchesterwerke und 
eine Oper „Mondeszauber“ geschrieben. 

— In Straßburg ist der ehemalige Intendant August Wilhelmi 
im Alter von nur 51 Jahren gestorben. Wilhelmi, im histo- 
rischen Kunersdorf bei Frankfurt a. O. geboren, war Schau- 
spieler in Thorn, Halle, Elberfeld, Nürnberg, Bremen usw., 
ehe er in das Ensemble des Straßburger Stadttheaters eintrat. 
1903 wurde er Direktor, 1910 Intendant. Wilhelmi hat den 
Ruf des Straßburger Stadttheaters erweitert, bis er in diesem 
April von seinem Amte zurücktrat. 


19 



Anzeigen tflr di« dgetptltane 
Nonpareille-Zeile 75 Pfennig. 
Unter der Rubrik „Kleiner 
Anzeiger“ 65 Pfennig :::::: 


Besprechungen und Anzeigen 


Alleinige Annahme von An- 
zeigen durch die Firma Rndolt 
Moese, Stuttgart, Berlin. Leip- 
zig und deren statt. Filialen 


Neue Lieder und Bücher. 

H. Rücklos: Lieder mit Klavier. 4 Hefte zu je 4 Liedern, 
pro Heft 2 M. Heft I Gedichte von Goethe, II von Eichen- 
dorff, III von Dehmel, IV Im Volkston. Verlag Heinrichs- 
hofen. Der Name des Autors ist unsem Lesern wohl bekannt, 
und zwei von den hübschen Liedern, die in diesem Blättern 
erstmals erschienen, „Nach Sesenheim“ und „Liebesklage“, 
finden sich in dieser Sammlung wieder. Diese beiden sind 
Beispiele für die volkstümliche, klare und leichteingängliche, 
alles Gequälte und Gemachte vermeidende Schreibweise des 
liebenswürdigen Lyrikers, dessen Melodien in so natürlichen 
Linien und Rhythmen dahinfließen und schnell sich aller 
Herzen erobern. Da fast alle Lieder für Mittellage ge- 
schrieben sind, so kommen sie dem Bedürfnis und Stimm- 
umfang eines weiten Kreises von Gesangsfreunden entgegen. 
Auch von den Begleitungen ist Aehnliches zu sagen. Sie 
sind einfach gehalten (wenngleich unter sich mannigfaltig), 
mit wenigen Ausnahmen leicht ausführbar und für die Sing- 
stimme eine willkommene Stütze, dabei harmonisch oft reiz- 
voll und folgen charakteristisch den Textworten und der 
Stimmung. Bisweilen dürften die Farben noch stärker auf- 
getragen werden. Wir können uns nicht versagen, in einigen 
Einzelbemerkungen auf die intimen Reize der Gesänge hinzu- 
weisen. Im Goethe-Heft No. 2 (Klagegesang) wird eine eigen- 
artige „irische“ Färbung durch bestimmte Melismen und 
Akkordfolgen angestrebt. In „St. Nepomuks Vorabend“ (I, 3) 
bildet die gleichförmige Begleitung mit ihrem “/«-Rhythmus 
einen hübsdien Gegensatz zum ‘/»-Takt der psalmodierenden 
Melodie. Im „Elfenliedchen“ (I, 4) eint sich mit einer hüb- 
schen Melodie ein graziöser, selbständig gehaltener Elfentanz 
in der Begleitung. Die Tonart ist natürlich emoll. Im 
Eichendorff-Heft and der „Schifferspruch“ (II, 1) und „Auf 
meines Kindes Tod No. 1“ (II, 2) tiefempfundene Ausdrucks- 
musik. Auf meines Kindes Tod No. 2“ (II, 3) ist in Me- 
lodie und Begleitung weniger originell, kann aber durch seine 
weiche Melodik und seine bequeme Arpeggienbegleitung bald 
beliebt werden. -Wie das I. Heft schlieLit auch dieses mit 
einem zarten Elfenliedchen (II, 4). Das III. Heft enthält 
Vertonungen Dehmelscher Gedichte. Zum Glück hat sich 
Rücklos an keine der seltsamen und verstiegenen Poesien 
dieses modernen Dichters gewagt, sondern hat sich an die 
einfacheren gehalten, und so and ihm einige abgerundete, 
farbige Stimmungsbilder gelungen. No. 1: „Sehet, welch ein 
Wortl“ fesselt durch eigenen Rhythmus, No. 2: „Stimme im 
Dunkeln“ durch eindringliche Chromatik und starken Gefühls- 
ausdruck. In No. 3: „Der stillen Stadt“ wird mit zarten und 
primitiven Mitteln der Untergrund gemalt. No. 4: „Aufblick“ 
ist wohl die Perle der Sammlung, melodisch und harmonisch 
gleich interessant In Heft IV fesselt das „Biwak“ (IV, 2) 
durch Frische der Erfindung und charakteristischen Ueber- 
gang vom Scherz zum Emst. Das oft komponierte „Lied 
des Harfenmädchens“ (IV, 3) ist ausdrucksvoll, und „Maria 
auf dem Berge“ (IV, 4) trifft den Volkston gut. Nur ein 
bestimmter Vorhaltsakkord (c d e b) kommt in diesem Heft 
zu oft vor. Die Sammlung eignet sich auch vorzüglich für 
das häusliche Musizieren. C. Kn. 

Loui8-Thuille: Harmonielehre (Verlag Carl Grüninger. Stutt- 
gart). Der Gesamtauflage dieses Heftes ist ein Prospekt über die 
Harmonielehre von Louis und Thuille beigefügt, welcher der 
besonderen Beachtung unserer Leser empfohlen sei. Die 
über das epochemachende Werk in seltener Einmütigkeit 
abgegebenen Gutachten mögen für sich selbst sprechen. 
Einige Bemerkungen seien an dieser Stelle gestattet: Die 
Harmonielehre hat zwei Aufgaben zu erfüllen. Sie ist einer- 
seits Theorie und als solche soll sie zum Verstehen der 
harmonischen Verhältnisse und Zusammenhänge anleiten. 
Andererseits ist sie aber auch eine praktische Disziplin, 
Lehre des einfachen musikalischen Satzes, der elementaren 
Stimmführung und als solche Vorstufe des Kontrapunktes. 
Einer der größten Vorzüge der Harmonielehre t von Rudolf 
Louis und Ludwig Thuille hegt nun darin, daß sie es in so aus- 
gezeichneter Weise versteht, diesen beiden Zwecken, dem 
theoretischen und dem praktischen, zugleich gerecht zu werden. 
Und wie sie Theorie und Praxis dadurch versöhnt, daß sie eine 
Theorie lehrt, die aus der Praxis herausgewachsen ist und 
auch wieder zur Praxis als zu ihrem eigentlichen Endziele 
hinleitet, so weiß sie weiterhin zwei anderen, scheinbar wider- 
streitenden Forderungen in nicht minder idealer Weise zu 
entsprechen, insofern nämlich der Geist der Louis-Thuilleschen 
Harmonielehre, die den Entwicklungsgang der neueren Musik 
bis zu seinen modernsten Ergebnissen verfolgt, fort- 
schrittlich und doch zugleich auch wieder im besten 
Sinne des Wortes konservativ genannt werden darf: 
konservativ, weil die Verfasser mit Eifer und Glück sich 


bemüht zeigen, nicht das Geringste von dem preiszugeben, 
was die ältere Lehre wirklich Brauchbares und Erhaltenswertes 
überliefert hat. Dazu kommt dann noch, daß Louis nach 
Thuilles Tod durch seine verschiedenen weiteren Veröffent- 
lichungen (Grundriß der Harmonielehre, Aufgabenbuch, 
Schlüssel zur Harmonielehre) das nunmehr in 4. Auflage 
vorliegende Lehrbuch so vervollständigt und ergänzt hat, 
daß die Methode nun die verschiedenst gearteten Bedürfnisse 
befriedigen kann, die des Anfängers so gut wie die des Fort- 
geschritteneren, die 'des Fachmusikers nicht minder als die 
des ernstliche Belehrung suchenden Dilettanten, die Forde- 
rungen dessen, der Harmonielehre unter der Anleitung eines 
Lehrers studiert, und ebenso auch die desjenigen, der sich 
durch Selbststudium zu vervollkommnen sucht. 

Max Kowalski, op. 1: Sechs Lieder für eine Singstimme und 
Klavier. (Berlin, Raabe & Plothow, zus. 3 M.) Die Lieder 
verraten eine gute Begabung. „Die schwarze Laute“ und 
„Helle Nacht“ sind in der Stimmung gut getroffen, während 
„Wiegenlied“ und „Tanzlied“ in der Begleitung etwas zu 
massig sind. 

Cherubini, L.: Theorie des Kontrapunkts und der Fuge, neu 
bearbeitet von Rieh. Heuberger. (Verlag von Leuckart, Leipzig; 
Preis brosch. 4 M.) Für alle, die die stramme Zucht des 
strengen Kontrapunktes durchmachen wollen (zugleich eine 
der besten Uebungen im Lesen der alten Schlüssel und damit 
im Partiturlesen), wird das Buch ein wertvolles Hilfsmittel 
sein. Wenn Kleinigkeiten erwähnt werden dürfen, so würden 
wir in Beispiel 119 a und 121 je die Synkope des ersten Taktes 
durch eine ganze Note ersetzen. Der Orgelpunkt (137 ff.) 
würde besser nicht als eine mit andern gleich geltende Regel 
behandelt, sondern als etwas für sich Stehendes, das schein- 
bar den behandelten Regeln Hohn spricht. Sehr gewinn- 
bringend ist der Abschnitt über die Nachahmung; bei der 
rückgängigen Nachahmung würde vielleicht eine noch kürzere 
Erwähnung genügen; solche Krebsgänge gehören schon mehr 
zu den Spielereien. Vortrefflich in Text und Beispielen ist 
das Kapitel über doppelten Kontrapunkt und Fuge. Der 
Preis des Werkes ist nn Vergleich zu dem Gebotenen billig 
zu nennen. . A. F. 

Breitkopf & Härtels „Musikbuch“. Das Leipziger Verlags- 
haus hat die musikalische Welt mit einer neuen interessanten 
Publikation beschenkt, die sich „Das Musikbuch“ betitelt: 
eine nach Gruppen und Gattungen geordnete Zusammen- 
stellung von Büchern über die Musiker, die Musik und Instru- 
mente mit erläuternden Einführungen. Es wird darin zum 
erstenmal eine Gesamtübersicht gegeben über das, was der 
Buchverlag Breitkopf & Härtel seit der zweiten Hälfte des 
vorigen Jahrhunderts geleistet hat. Wir haben es hier nicht 
mit einem alltäglichen Katalog zu tun, sondern dies ge- 
schmackvoll und mit einer ganzen Reihe von Bildern ge- 
schmückte Musikbuch bringt eine Zusammenfassung der 
wichtigsten Werke zeitgenössischer Musikliteratur, die die 
Tätigkeit des großen Verlagshauses vor jeder Augen in das 
rechte Licht setzen. Wir bringen im heutigen Hefte ein paar 
Illustrationen aus dem Musikbuche, das wir jedem Kunst- 
freund empfehlen können. Es bringt eine Menge inter- 
essanten Stoffes und es ist lehrreich, darin zu blättern. Un- 
sere Leser, die an Büchern über Musik und Musiker Freude 
haben, erhalten von der Firma Breitkopf & Härtel unter 
Bezugnahme auf dies Referat das 400 Seiten starke Musik- 
buch gegen Portoeinsendung (30 Pf. im Inland, 1 M. im 
Ausland) gratis geliefert. 


Unsere Musikbeilage zu Heft 1 bringt an erster Stelle ein 
Lied: „Mir träumte von einem Myrtenbaum“, das Georg 
Schumann in Berlin zum Verfasser hat. Es ist dem Zyklus 
„Mädchenlieder“ entnommen, die bei Leuckart in Leipzig er- 
schienen sind. Georg Schumann, über den die heutige kri- 
tisch-biographische Skizze eingehender berichtet, hat den 
innig-schlichten, volkstümlichen Ton des schönen Gedichtes 
von Paul Heyse getroffen; die leise, schwärmerische, sinnende 
Art (am unmittelbarsten am Schluß) gibt dem Liede noch 
seinen eigenen Reiz. — An zweiter Steile steht ein Klavier- 
stück „Bagatelle“ (Auf sanften Wogen) eines jungen begabten 
Münchner Komponisten, Gottfried Rüdinger, der mit einer 
seiner aparten Skizzen schon einmal in der Beilage der „N. 
M.-Z.“ vertreten war. Alle Freunde einer feineren Kunst 
werden an dem Stück Gefallen haben, das noch dabei den 
Vorzug leichter Spielbarkeit hat. 


Verantwortlicher Redakteur: Oswald Kühn in Stuttgart. 
Schluß der Redaktion am SO. September, Ausgabe dieses Heftes 
am 2 . Oktober, des nächsten Heftes am 16 . Oktober. 


20 






Neue Musikalien. 

(Spiteri Besprechung Vorbehalten.) 

Klaviermusik. 

Parlow, Edmund : Stille Nacht, 
heilige Nacht. Kleine Fan- 
tasie für Klavier zu 2 Hän- 
den 1 M. C. F. Kahut Nach- 
folger, Leipzig. 

Koch, Friedr. E., op. 36: Heilige 
Nacht für Klavier zu 2 Hän- 
den 1.20 M. Ebenda. 

Frey, .Martin, op. 39 a und b: 
Sechs leichte instruktive 
Klavierstücke. Heft 1 und 2 
ä r M. J. Schuberth & Co., 
Leipzig. 

Lazarus, Gustav, op. 161: Zwölf 
leichte Vortragsstiieke in 
Etüdenform ä 2 111s. Ebenda. 

Bach, J. S. : Brandenburgisehes 
Konzert No. i in F dur für 
Pianoforte 2 ms, bearbeitet 
von Aug. Stradal 3 M. Ebda. 

Schubert, Franz : Symphonie 

h moll für Orchester, für 
Pianoforte zu 2 ms., be- 
arbeitet von Aug. Stradal 
2 M. Ebenda. 

Zilcher, Paul, op. 1 16: Wandern 
im Mai, sechs leichte Stücke 
für Klavier 2 111s. ä 75 Pf. 
Ebenda. 

Wahlström , Irene : Rhapsodie 
für Klavier 60 Pf. Sülze 

& Galler, Stuttgart. 

Czerny- Petzet : Vierzig tägliche 
Studien auf dem Pianoforte, 
brosch. 1.80 M., geb. 3 M. 

Chr. Friedr. Vieweg, G. m. 

b. H., Berlin-Lichterfelde. 

Vlolinmusik. 

Küchler, Ferdinand : Prak- 

tische Molinschule mit Ver- 
wendung- von Uebungs- 
stücken älterer berühmter 
Pädagogen, Bd. I 4 M. 

Hug & Co., Basel. 

Bücher. 

Reimann, Heinrich : Joh. Seb. 
Bach, geb. 5 M., Liebhaber- 
ausgabe 7.50 M.; Prochdzka, 
Rudolf, Freiherr: Johann 

Strauß, geb. 5 M., Liebhaber- 
ausgabe 7.50 M. ; Perinello, 
Carlo : Verdi, Giuseppe. Be- 
rühmte Musiker, Lebens- und 
Charakterbilder nebst Ein- 
führung in die Werke der 
Meister. Schlesische Ver- 
lagsanstalt Berlin W. 35. 

A nton, Karl : Beiträge zur Bio- 
graphie Carl Löwes 6 M. 
Max Niemeyer, Halle. 

Paulstich, D. : Chorgesang- 

buch II, eine Sammlung vier- 
stimmiger Gesänge 3 M. 
Friedr. Lometscli, Kassel. 

Gregory, Julia : Catalogue of 
Early Bookson Music 60 Cts. 
Government Printing Office 
Washington. 

Max Hesses Deutscher Musiker- 
kalender 1914. Max Hesses 
Verlag, Leipzig. 


Königliche akademische Hoch- 
schule für Musik in Berlin. 

Xeu organisiert ist die Opsrnschule, in 
der diu Studierenden außer dem nötigen 
Unterricht in den cinscblagcndcn Fächern 
Gelegenheit erhallen, wöchentlich zweimul 
mit Orchester u. auf der ISiihne zu singen. 
Xeu eingerichtet sind die Kurse für Be- 
arbeitung allerer Musik (Herr Prof. Dr, Max 
Seifferl), für Cembalo (Frau Wauda Lan- 
dowska) und für die Dolcroze-Methode 
(Frl. Keusche!, Herr Fischer). 


F. fl. STEINHflUSEN 

Die physiologischen Fehler und die 
Umgestaltung der Klavier "Technik 

Zweite Auflage bearbeitet von Ludwig Riemann- Essen 

Geheftet 6 M., gebunden 7.50 M. 


D as epochemachende Werk des allzufrüh verstorbenen Gelehrten hat mit 
Rücksicht auf die seit dem Erscheinen der i. Auflage angewaehsene 
Literatur der klaviertechnischen Gebiete eine teilweise neue Bearbeitung erfahren. 
Vergleiche mit den Neuerscheinungen haben bewiesen, daß die Fundamentalsätze 
Steinhausens an Kraft und Wert nicht allein nichts eingebüßt, sondern auch in 
ihrer Anwendung auf die Praxis und in ihrer zahlreichen Benutzung bei fast 
allen klaviertechnischen Werken von neuem gezeigt haben, woraus die wahre 
natürliche Anschlagskunst herzuholen ist. Das Studium dieser Schrift wird 
besonders in seiner klaren Auseinanderhaltung und Gegenüberstellung mit den 
abweichenden Lehren reiche Früchte bringen. Die weit vorausschauende Lehre 
Steinhausens in ihrer umfassenden Vereinigung von Gewichts- und Muskelkraft 
wird und muß die „natürliche“ Anschlagsweise einst zu vollem Siege führen. 


Breitkopf ft Härtel In Leipzig 



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und Phrasierungszeichen versehen von 

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Erste Reihe (6 Hefte): I Zweite Reihe (6 Hefte): 

Heft I. F. J. Zeltberg, Kinderfest- Heft i. C. H. v. Weber, a) Sonatine, 


marsch. Ad. Qelbel, Weiter sinn 
(leicht) 30 Pf. n. 


b) Menuette, 4h. (Prlmo leicht, Se- 
condo mlttelschw. unt. St.) ;o Pf. n. 


Heft 1, Franz Schobert, Zwei Scherzi Heft z. L. Stelnmann, a) Des Morgens, 


(mlttelschw, untere Stufe) 30 Pf. n. 
Heft 3. Henry Housefey, Air de Ballet 
(mlttelschw. untere Stufe) 30 Pf. n. 
Heft 4. Beethoven, Albumblatt (mittel- 
schw. untere Stute) 30 Pf. n. 

Heft 5. Georg Eggeling, Zwei Kla- 


b) Gang in den Wald, c) Wie das 
gefangene Vögelchen gesungen hat, 
d) Wie die Dorfmusikanten znm 
Tanz anfgespielt haben ( 1 .) 30 Pf. n. 

Heft 3. Georg Eggeling, Gnomentanz 
(mittelschwer untere St.) 30 Pf. n. 


vlerstüclce. a) Arabeske, bj Moto Heft 4. R. Gördeler, Maiköuigin, Ga- 


■ perpetuo (mlttelschw. obere Stufe) votte (mlttelschw. u. St ) 30 Pf. u. 

■ 30 Pt. n. Heft 3. L. Steinmann, a) Spinucrlied, 

■ Heft 6. Kalkbrenner, Rondo, prfeddi b) Jagdlied (m schw. ob. St.) 30 Pf. n. 

■ d’une introduclion, Es dur (mittel- Heft 6. I. N, Hummel, Rondeau favori 

■ schwer obere Stufe) 1 M. n. (mlttelschw. ob. St.) 60 Pf. n. 

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Briefkasten 


Für unaufgefordert eingehende Manu- 
skripte jeder Art übernimmt die Redaktion 
keine Garantie. Wir bitten vorher an- 
zufragen, ob ein Manuskript (schriftstelle- 
rische oder musikalische Beiträge) Aus- 
sicht auf Annahme habe; bei der Fülle 
des uns zugeschickten Materials Ist eine 
rasche Erledigung sonst ausgeschlossen. 
Rücksendung erfolgt nur, nenn genügend 
Porto dem Manuskripte beilag. 

Anfragen für den Briefkasten, denen 
der Abonnementsausweis fehlt, sowie ano- 
nyme Anfragen werden nicht beantwortet. 

B. H. Wir bedauern. Ihnen aus prin- 
zipiellen Gründen diese Frage nicht beant- 
worten zu können. Wenden Sie sich an 


einen Arzt Wir bitten auch im neuen 
Jahrgänge, den Abonnementsauswels nicht 
zu vergessen. 

Alaska. Sie machen uns neugierig. Wo 
findet denn die PremWre statt? Natürlich 
Ist das üblich. Die Kritik ladet am 
besten die Theaterdirektion ein, wobei es 
Ihnen natürlich unbenommen bleibt, sich 
persönlich an den oder jenen Rezensenten 
zu Wenden. Auch die Leiter anderer Bühnen 
einzuladen, ist Sache des Theaters. 

A. L. Der Schulen gibt es genug. Wenn 
Sie „ausgebUdeter" Cellist sind, wird Ihnen 
die Sache nicht zu schwer fallen. Versuchen 
Sie es zunächst mit der Klavierschule von 
Breslaur; sie hat die 26. Auflage, ein un- 
trüglicher Beweis für ihre Qualität 

K. 0. Der strenge Satz von Ludwig 
Bußler, sowie Kontrapunkt und Fuge im 
freien Tonsatz von demselben. (Verlag 
C. Habel, Berlin SW.) 


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4 Violoncell. Op. 14 . . M. 9. — no. 7 

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| Ottmar sdfoefh i 

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X Kleine Partitur (i6 # ) M. 1.50 no. 4 

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aus dem Verlage 

P. Pabst, Leipzig. 


1. Klavier-Musik. 

A. Für Klavier zu 2 Händen. 

1. Studienwerke. 

Caspar. Helene. Die modern« Bewegung*- and AniohUpl.hr, im 

Tonleiter- und Akkord-Studium 3.— 

— FnktUebor Lehrgang dM KUviertpltli für den Hementnr-Unterrteht mit 
Anwendung der modernen Bewegung»- und Anschlagslehre. Ausgabe 

für die Hand des Schülers. Heft 1, 2 je n. 1.30 

— Technisch* Studien, für d. mod. Klavierunterricht zusammengestellt n. z.30 

Nestlar, Amadeus. 1« Staden aiu Carl Cserny’s Schule der Geläufig- 
keit, zur Ausbildung der linken Hand eingerichtet n. 2 . — 

— IS Staden aus Henri Bertlni'a op. 29 und op. 32 für die linke Hand 

eingerichtet nnd mit Anmerkg. versehen 1.30 

— KUvUrteehnlk. Neue, bedeutend vermehrte Ausgabe n. 2.30 

2. Für Unterricht und Vortrag. 

a) Deicht bis mittelschwer. 

Baeker, Emst, op. 33, Frohe Jagend. 10 kleine Stücke. 

Heft I. z. Wanderfreude. 2. MorgenHed. 3. Händler. 4. Im Kahn. 

5. Kitt auf dem Steckenpferd 1.80 

Heft n. 6. Beim alten Schäfer. 7. Die Wache zieht auf. 8. Müde 

bin ich, geh zur Ruh. 9. Mailiedchen. 10. Froher Sinn . * x.8o 

— op. 36. Aus Lehen« tagen. 6 kleine Klavierstücke. 1. Ballade (C moll). 

3. Frohsinn (Adur). 3. Studie (Gmoll). 4. Walzer (Fdur). 5. I4cd 

(Adur). 6. In der Dorfscbänke, Burleske (Es dar) n. z.30 

— op. 37. Stimmungsbilder. 8 Klavierstücke, z. Walzer (Emoll). 
a. Tapferer Soldat (Bdur). 3. Aus alter Zeit (Gdur). 4. Trübe 
Stunde (B dur). 5- Am Sonntag (C dur). 6. Beim Schlafengehen (F dur). 

7. In guter Laune (Cdur). 8. Herbsttag (Gmoll) n. z.30 

b) Mittelschwer. 

Baeker, Ernst, op. 38. Ast itillen Standen. 6 Klavierstücke. 1. Früh- 
lingsstimmung (B dur). 3. Im Walde (Es dur). 3. Im Regen (A moll). 

4. Am Abend (Ddur). 3. Herbstklage (Dmoll). 6. Sterne, goldne 

Sterne (A dur) . . . n. 1.30 

Martini, Hugo, op. X25. Lyrische Episoden. 8 Klavierstfioke. 
z. Papilion (D dur). 3. Mazurka (H moll). 3. Lied im Volkston (E moll). 

4. Libelle (Ffdur). 3. Canzonetta (Edor). 6. Scherzet to (Gdur). 

7. Tarantella (Emoll). 8. Abendfriede (Asaur) n. 1.30 

c) Ziemlich schwer. 

Leeder, Fritz, op. io. Ttniwolzon Im Ltndl.rztiL 

Heft I. (1. Cdur). 2. Gdur. 3. H moll. +7 Adur. 5. Edur. 6. Gis moll) t.30 
Heft II. (7. Fi. moll. 8. Da dur. 9. As dur. 10. Es dur. ti. Bdur. 

is. Fdur) 1.30 

— op. 12. Koniert-Welier (Ei dur) 1.50 

Peters, Max, op. 36. An der Riviera. Tonbild. (Es dur) 1.80 

Pilz, Eduard, op. 12. S klein. Walzer. Nr. r. (As dur). Nr. 2. (A dur) je 1.20 
Reckendorf, A., op. 26. Charakterstück, in Tamform. 

Nr. 1. Polonaise (Cmoll) . . 1.20 Nr. 4. Walzer-Caprice (Cdur) . 1.20 

Nr. 2. Mazurka (H moll) . . .80 Nr. 3. Czardas (G moll, G dur) . 1. — 

Nr. 3. Polka (Adur) .... r.zo 

Schweizer, Riols., bp. 1. Soherio (Bdur) 1.30 

— op. 3». Vl.r Klavlentücke. 

Nr. 1. Etüde (Edur) .... 1.50 Nr. 3. Präludium (Emoll) . ■ ■ r.zo 

Nr. 2. Capriccio (D moll) . . 1.20 Nr. 4. Novellette (C dur) ... 1.80 

— op. 5b. Romanze (F dur) . . . 1.30 

8. Salon-Musik (Mittelschwer). 

Moritz, Franz, op. 100. Im wogend.n Tanz«. 

Kleiner Walzer (As dur) 1.20 

— Frühlingiwslier (Es dur) 1.20 

B. Für Pianoforte zu 4 Händen. 

Pilz, Eduard, op. II. Soehs Klarlsntüeks. 

Nr. i. Berceuse (Ddur) . . . x.30 Nr. 4. Reigen (Fdur) 1.20 

Nr. 3. Bolero (Hmoll) . . . x.30 Nr. 3. Nocturne» (Bdur) .... 1.20 

Nr. 3. Intermezzo (Edur) . . 1.20 Nr. 6. Zingarese (Dmoll) . . . x.20 

II. Ffir Violine und Klavier. 

Bote, Julia von. Drei leiehte Stücke. 

z. Romanze (F dur). 2. Menuett (G dur). 3. Melodie (F dur) .... 1.80 

III. Fflr Violoncell nnd Klavier. 

Kelper, Herrn., op. 9. Für Anfänger. Zwei kleine Stücke. 

Legende (Fdnr). Gavotte (Cdur) 1.S0 

— op. 10. Bar ezrc!« and lianuoU im altenlSUle. (Fdur, Gdur) .... 1.80 

IV. Fflr eine Slngstlmme. 

(Wenn nichts anderes vermerkt, mit Begleitung von Klavier allein.) 
HQbner, Otto R. Heue Volkslieder nach Gedichten aus Hermann 

Löns' Rosengarten 1.60 

Loezch, Albert. Chineeizebet KuBlied. „Brich nicht durch meine 
Weiden.“ 1. — 

— „Ueber allen Gipfeln Ist Ruh“ (Goethe) — 

Paul, Emil, op. 21. Tranungslled. „Herr mit innigem Vertrauen“ 

(Rob. Wiedemann) 1. — 

Peters, Max, op. 45- Fünf Dichtungen rusalsoh-baltiseher Autoren. 

Nr. 1. MoUtwa (Das Gebet) „Quält mich ein Leid“ (M. J. v. LermontoM) —.50 
Nr. 2. Verlassen. „Der Abend ist gekommen“ (Carl Hunniue) .... —.30 
Nr. 3. Schlummerlied. „Schlummre, du leidende Seele“ (Baronin Lilly 

von Bistram) — .80 

Nr. 4. WeiBe and rot« Kosen. „Duftend glüb’n im Sonnenlicht“ (Ba- 
ronin Lilly von Bistram) —.80 

Nr. 3. Smaragdgrün. „Im Weltehall ein grünet Dämmern“ (Notah 

Schmidt-Jürgensohn) 1.20 

Zeidler, Karl, op. 9. Znm Abschied. „So mache dich auf." Mit 
Orgel «der Klavier 


22 






Kompositionen 


Sollen Kompositionen im Briefkasten 
beurteilt werden, so ist eine Anfrage nicht 
«forderlich. Solche Manuskripte können 
jederzeit an uns gesendet werden, doch darf 
der Abonnementsauswels nicht fehlen. 

(RedaktlonsschluB am 18. September.) 

Br. I., A. Der mollmäßige Aufstieg im 
zweiten Teil Ihres Sängerspruchs sagt den 
Sängern nicht besonders zu; es wäre besser, 
Sie ließen das Anfangsmotiv auf der Do- 
minante von Ddur etnaetzen. Sonst gut. 

B— M. Mit Ihrem Opus i bieten Sie 
sieben ausdrucks- und abwechslungsreiche 
Unterhaltungsstilcke für Klavierschüler der 
Mittelstufe. Die Stücke sind nicht durch- 
aus originell. Dadurch, daß sie das Ohr 
des Schülers an das moderne Thema ge- 
wöhnen, sind sie von besonders Instruk- 
tivem Wert. Gründliche Durchfeilung wäre 
angezeigt. Ihre großzügigen Männerchöre 
vermögen dauerndes Interesse nicht zu 
fesseln. Die schwungvolle Wirkung, auf 
die sie, am Klavier gespielt, berechnet zu 
sein scheinen, bliebe aus wegen mangelnd« 
Rücksichtnahme auf die man cherlei Eigen- 
tümlichkeiten eines guten Vokalsatzes, die 
man eben nur durch die Praxis kennen 
lernt. Ihr Talent müßte sich zunächst bei 
einfacheren Liedformen bewähren. 

Wiegenlied. Die Melodie Ihres Wiegen- 
lieds ist hübsch; nur die Begleitung hat 
allerhand Mängel, auf die Sie bei einiger 
Schulung Ihres Talents bald von selber 
kämen. 

Max B., R. Sie haben also unsern Rat 
befolgt und fühlen sich nach zweijährigem 
mustkakademischen Studium üb« Ihren 
Erfolg sehr beglückt. Hätten Sie ab« zu 
. Ihrer weiteren Förderung nicht noch läng« 
in M., vielleicht als Privatlehr«, verweilen 
können? Denn was wollen z Jahre Studium 
bedeuten? Nur den Kampf mit dem Leben 
nicht gescheut. — Die natürliche Auffassung 
Ist Omen treu geblieben. Wir haben ab« 
den Eindruck, als wären Sie bei «höhten 
Ansprüchen all d« künstlerischen Mittel 
noch nicht mächtig genug, die nötig sind 
zur erschöpfenden B eh a n d lung poetisch« 


Neuerscheinungen 

SHMtütscbtr 
miuikwrlag 

6. m. b. B. 

Stramnra, €». 



Klingenkerg, Hans. Klavierkompo- 
sitionen op. z No. i, I 4 ed ohne Worte, 
No. 3 Capriccio M. 3. — 

— op. 3, Zwei Skizzen . , M. i.JO 

■erschall, Laar*. Drei Skizzen für 

Klavi« M. x.30 

Popp, Frddörie Charles. Renondatlon, 
Valse triste M. 1.30 

— La belia Otäke, Intermide japo- 
nals et Two Step . • . . M. 0.80 

Ptehcldl, F. In Frack-Claque-Lack, 
Valse brillante f. Klav. *. rH. M. 3.— 
Bieveling, Dr. W. Nachts, Lied für eine 
tiefere Stimme mit Klavbgl. M. 1. — 
Reich»;, Anton. Elf Gesänge für eine 
Singstimme mit Klavürrbegleitung. 
Heft I No. r, Wund« (Anna Ritter), 
No. a. Ich sah Dich Freund (Otto 
Erich Hartleben) No. 3, Die Mütt« 
(Faul Barsch), No. 4, Brud« Au- 
gustin (E. Bauernfeld) . . M. 3. — 
Fickers, Theodor. Lied zur feierlichen 
Einsegnung des ptenß. Freikorps. 
Ged. v. Tn. Körner für Männerchor 
mit Orgel, Harmonium oder Klavi«. 
Partitur M. 1.30, Summen M. 0.60 
Härterer, Albert. Chorwerke für Män- 
nerchor, Scheiden (Lied Im Volks- 
ton) Part. M. 1. — , Stimmen M. 0.60 

— An den Abendwind (Erich Lang«), 
Partitur M. 1,— , Stimmen M. 0.60 

OUekh, Rudolf, op. 37, Soldaten kom- 
men (Gedicht v. Alexis Aar), für 
gemischten Chor mit Begleitung v. 
4 Hörnern, 3 Piccolos, 1 Trommel, 
oder Klavi« zu 4 Händen, Partitur 
K. 3. — , Stimmen M. x.30, Inatru- 

mentalstimmen M. x.30 

Korb, Fxam Anton. Helmatluft f. Min- 
nerchor, Part. M. 0.80, St. M. 0.60. 




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Dramaturgie. Von R. Prölß. 3. A. M. 4.— 
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Gesangs kan et. Von F. Heb« s. A. M. a.jo 
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7. Auflage von Rieh. Hofmnnn M. 3.30 
Mimik and GeMrdeaiprtehe. Von Karl 

8kxnnp. 2. Auflage M. 3.30 

■usik. Von I. C. Lobe. 39. A. M. 1.30 
HssUc-flMehisato.' Von Robert Mutlol. 

3. Auflage Von Rieh. Hofmann M. 4.30 
MuslUnstnnuate. Von Richard Hofnuum. 

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Orgel. Von E. F. Rieht«. 4. Aufl. M. 3.— 
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lage M. 1.30 

Die Konst der Rede and des Vortrags. Von 
Karl Skraup. Ja Leinwand geb. M. 6.— 
Oimnußk der Bjlaune. Von O. Guttmann. 

7. Auflage M. 3.30 

Violine and Vtollupiel. von Rdnhohl 

Jocklsch. 3. Auflage M. 3.30 

Der mündliche Vortrag. Von Roderlch 
Benedlx. Britor Teil: 11. Aufl. M. x.30 

Iweltor Teil 1 3. Auflage M. 3.— 

Dritter TeD : 3. Anflage M. 3.30 
Zitatenlexikon. Von Daniel Senden. 3. Aufl. 

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Die apraehe des Körten. Von Dr. Karl 
Michel M, xo.— 

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Bageepielti D. R.-PatonL fgß 

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Leipzig und Zürich' 

Volkmar Aodreae 

Op. 20. Sechs Klavierstücke 
kompl. no. M. 4.— ■ 

Br. 1 . Fnetadhrn M. 1 .— 
Mt. S. Bacchant lieber Tun . M. 1 JO 
Br. S. Frage . N.-.S 0 

Br. *. O s t el enise hee StAndehen ■• 1 .— 

Br. S. Adagio . M.T.- 

Br. Ö. Unruhige* Batet ■ . . . M. 1 JO 

Io Kürze erscheint: 


. i. Erb 


Op. 8 z. Sechs Klavierstücke 

Br. 1. Vale* d l’ertoatal* . - 1J0 

Br.S.DMlsor bered» .... BL t JO 

Br. S. BetdMhes Meanett ■ . M. 1.S0 

Br.d.Betauno ■. 

Br.B. LSadlet am Abend . . M. 1JS 

Br. 6. Hnmere ake ■. 1JS 

(Paal Möckel za eigen.) 












Motive. lassen Sie gelegentlich Ihre Orgel- 
fantasie sehen! Oder vielleicht lernen 
wir ein Klavierstück oder noch einige 
Lieder, die Sic selber für die besten halten, 
kennen. Wir wollten Ihnen gern gefällig 
sein. 


Westermanns „Monatshefte“, 

die mit ihrem reichen, vielsei- 
tigen Inhalte mit Recht die 
Fanlilienzeitschrift der gebilde- 
ten Kreise genannt werden, be- 
ginnen soeben ihren 58. Jahr- 
gang. Auf die vorzüglichen 
„Monatshefte“ seien unsere 
Leser ganz besonders hingewie- 
sen. Ein hübsch ausgestatteter 
Prospekt ist diesem Heft bei- 
gefügt. 


W er gute und gediegene Musik spielen 
und singen will, lasse sich die 
Klavier-Auszüge zu den Opern- 
werken des 1808 in Dresden ge- 
borenen und 1883 in Oldeslohe in 
Holstein verstorbenen Kgl. Musikdirektor? 

Heinr. Aug. Schultze 

kommen. Die Werke eignen sich vorzüg- 
lich wegen des Reichtums an fein durch- 
gearbeiteten Chören und Ensemble-Sachen 
zu Aufführungen in Gesangvereinen. :: 
z. ltitslru, 4er featifcerttöte j. teil. Oper 
in 3 Akten. Dichtung von Dr. Martin 

Schultze M. 8. — 

2. Die Üarfemitter (Ludwig der Römer). 
Oper in 5 Akten. Text nach den In- 
tentionen des Komponisten v. Dr. Martin 

Schultze M. 6. — 

3. Die Sirene. Oper in 4 Akten. Text 
von Dr. Martin Schultze . . M. 6. — 
4 - Der Hbiunrlna (Roßtrappe). Musi- 
kalisch- dramatisches Märchen in 3 Akten. 
Text vom Komponisten, mit einem Vor- 
spiel von Dr. Martin Schultze M. 6.—. 
Die Ouvertüren u. die Textbücher zu den 
4 Opernwerken stehen gratis zur Verfügung. 
Ferner werden die schon ln weiten Kreisen 
bekannten und 'geschätzten dankbaren, 
leicht ausführbar. Chorwerke v. Dr. Martin 
Schultze Schulen und Gesangvereinen zur 
freundlichen Berücksichtigung empfohlen: 
Der Spaziergang von Schiller, lyrisch 
erweitert von Dr. Adolf Prowe; 

König trojan, ein Märchen, von Martin 
Schultze; 

Hl - Süd, Phantasiebild aus Kanaans 
Heldenzelt, von Martin Schultze; 

Da t SabresmSreben. epische Dichtung m. 
Begleitung des Klaviers od. Orchesters, 
von Martin Schultze; 

Der Kinfler-Krenzzug, Kantate von Adolf 
Prowe (H. Litolff, Braunschweig). 
Ansichtssendungen stehen gern zur 
Verffigung. :: Zu beziehen durch: 

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Giuseppe Verdi. 


Neue Musik-Zeitung 
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XXXV. I VERLAG VON CARL GRÜNINGER, STUTTGART-LEIPZIG I 1914 
Jahrgang I Preis des Jahrgangs (Oktober 1913 bis September 1914) 8 Mark. I Heft 2 

Erscheint vierteljährlich ln 6 Heften (mit Musikbei lasen, Kunstbeilage und *Batka, illustrierte Geschichte der Musik* 4 ). Abonnementpreis 2 M. vierteljährlich» 8 M. jährlich. 
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österreichischen Postgebiet M. 10.40» im übrigen Weltpostverein M. 12. — jährlich. 


I fl Half * Ztt Verdis 100. Geburtstage. — Verdi als Tondichter der nationalen Auferstehung Italiens. — Aus der Heimat Verdis. — Verdis Persönlichkeit und künst- 
111 Hall • ierische Anschauungen in seinen Briefen. — O, wie so trügerisch . . . Musikalische Novellette. — Was verlangt der Staat vom geprüften Gesanglehrer. — 
Wiener Konzerte» Rück- und Ausblick. — Kritische Rundschau: Wiesbaden. — Kunst und Künstler. — Besprechungen: Bücher. — Dur und Moll. — Briefkasten. — 

Neue Musikalien. — Musikbeilage. 




Zu Verdis 100. Geburtstage. 

Von OSWALD KÜHN. 

iuseppe Verdi war ein Genie! 

Mit. dieser Erkenntnis kommen wir unfehlbar 
seinem Wesen und seinem Werke nahe, indem wir ihnen 
folgen! 

Verdi ein Genie ! Ist es nötig, das festzustellen, zu ver- 
künden ? — Ganz gewiß. Es gab eine lange Zeit im musika- 
lischen Deutschland, wo man mit dieser Charakterisierung 
einfach ausgelacht worden wäre. In jenen Dezennien, 
da das Wagner-Epigonentum seine Jünger als alleinige 
Verkünder des musikalischen Schaffens aussandte und die 
verzückte Schar der Wagnerianer durch den deutschen 
Blätterwald raste. Wo jedes Talent und Talentchen 
glaubte, es bedürfe nur der Ideen, der Weltanschauung, 
der Stoffgebiete des Bayreuther Meisters, um Kunstwerke 
zu schaffen. Wo man vergaß, daß Kunst mit all diesen 
Dingen gar nichts gemein zu haben braucht, daß Kunst 
Können, Vermögen, Schaffen in jedem höchsten Sinne 
bedeutet. 

Damals sah man herab auf die seichten Melodienschreiber 
und ihre „sinnlichen" Werke. Und übersah es, wie 
ungeheuer man ein gutgläubiges Publikum im Grunde 
mit seiner „Tiefe“ langweilte. Eine Reihe von Leichen- 
steinen, deren Zahl melancholisch stimmen kann, bezeichnet 
diese Epoche der Musikgeschichte und ihrer Werke. 

Richard Wagner hat ein häßliches Wort geprägt, das 
vom „welschen“ Tand. 

Anstatt diese nationale Uebertreibung dadurch zu berich- 
tigen, daß man’ sie, ihrem notwendigen Entstehungs- 
motiv nach erkennend, auf das rechte Maß zurückschraubte, 
und sie so als relativ berechtigt, als „gerecht“ kennzeich- 
nete, wurde das Wort von schwärmenden Dilettanten in 
Berufs- und Laienkreisen zum Feldgeschrei, und es wurde 
in seinem Namen ein barbarischer Ausrottungskrieg gegen 
alles, was nicht „deutsch und echt“ war, geführt. Werke 
wie der „Troubadour“, soweit sie überhaupt gekannt waren 
(ich weiß mehr als einen namhaften Musiker und Musik- 
schriftsteller, der die Oper gar nicht kannte oder erst sehr 
spät kennen lernte), waren Lückenbüßer im Repertoire 
der großen deutschen Bühnen, und beinahe noch mehr 
verachtet als die „Hugenotten“. 

Es war eine trostlose Zeit — trotz des ungeheuren Auf- 
schwungs, die Wagners Werke hatten — , die Melodie 
war zum Aschenbrödel degradiert. Aber sie lebte doch 
weiter und blieb jung und schön. — 


In Brunnen am Vierwaldstättersee hörte ich, von Italien 
kommend, eine bekannte und beliebte Banda aus Napoli, 
deren Echtheit freilich durch die Schweizer Fremden- 
kultur schon etwas gelitten hat. Es war ein milder Sommer- 
abend und die Leute saßen im Garten am See, lachend, 
schwatzend. Draußen gafften die Zaungäste. Da begann 
einer jener schmelzenden Tenöre den Troubadour zu 
singen; das Orchester, war klein, ein paar Instrumente, 
und spielte — sonderbarerweise — nicht mal durchaus 
korrekt. Aber bald wurde es still, und stiller in der be- 
lebten Runde. Rede und Lachen hörte auf, die Zaungäste 
lauschten bewundernd, die Omnibusse hielten auf der Straße 
an und in die Nacht hinaus zogen die Töne „Schon naht 
die Todesstunde“ — hinüber über den See bis zum Schiller- 
stein. Und als der Sänger geendet, brach ein Beifalls- 
sturm los, das Publikum war hingerissen. Das ist ein 
lebendiges Beispiel für die Macht der Verdischen Melodie! 

Doch die Melodie ist nicht Herrscherin im Reiche der 
Tonkunst. Andere Ausdruckselemente sind ihr nicht 
subordiniert, sondern koordiniert. 

Friedrich Nietzsche hat die Melodie die Blüte einer 
langen musikalischen Entwicklung genannt. Die Deu- 
tung in seinem Sinne ist ebenso wahr wie einseitig, 
wie der ganze Fall Wagner einseitig ist. Wie die Behaup- 
tung einseitig ist, daß die Kunst, die Musik der Schön- 
heit zu dienen habe. Ganz gewiß schafft sie im Dienst 
der Schönheit, erkennt sie aber nicht als einzige 
Herrin an. Die Wahrheit ist ihr ebenbürtig und die ist 
leider nicht immer schön. Die Wucht des Ausdruckes, 
die Schärfe der Charakteristik sind für die musikdramatische 
Kunst imentbehrlich. Durch sie entsteht eine andere 
„Schönheit“ : das Erhabene, das Furchtbare, Erschütternde, 
das Tragische. Der schönheitsdurstige Melodiker, der 
Italiener Verdi, ist charakteristisch-tragisch in seiner 
Musik. Er weiß mit ganz simplen Mitteln, einer Oboe im 
„Rigoletto“, das Herz zu beklemmen. Er hat im Miserere 
des „Troubadours“ Töne von ergreifender Trauer an- 
geschlagen. Er versteht es durch seine Rhythmen un- 
widerstehlich fortzureißen; und wieder rührt er zu Tränen 
in seiner Einleitung zur „Traviata“; er ist Tonmaler in der 
Erzählung der Azucena („Troubadour“); er hat im Liede 
von der Weide („Othello“) ohne großen orchestralen Ap- 
parat ein Stimmungsbild geschaffen, das uns sehen, er- 
schauern macht; und im „Othello“ ist ein Duett, so schön, 
wie es sonst nur Berlioz in den „Trojanern“ geschrieben 
(auch ein Welscher!), wie beide überhaupt verwandte 
Seiten zeigen. Verdi geht als Dramatiker gerade aufs 
Ziel los. Epische Breiten, rein lyrische Ruhepunkte sind 



25 









ihm fremd. Verdi ist heftig in seinen Aeußerungen, er 
bevorzugt „Höhepunkte“, Schlager, aber im dramatischen 
Sinne. Sein südliches Blut wallt zu heiß für trauliche 
Betrachtungen oder phüosophische Vertiefungen. Sollen 
wir ihn aber deshalb schmälen, und nicht vielmehr loben, 
weil er eben als Romane anders ist, als wir Germanen ? 
Erst die Fülle der Gesichte macht das Beben lebens- 
wert. Und bis auf jene Periode des Ueberwagnertums 
ist es stets ein Vorzug der Deutschen gewesen, fremde 
musikalische Kunst hochzuschätzen, ja von ihren Besten 
in sich aufzunehmen. Mozart ! — Es ist dies ein Vorrecht 
der Reichen, ja eine Verpflichtung: Noblesse oblige! 

Die Italiener sehen in Giuseppe Verdi ihren größten 
Musikdramatiker. Wir in Richard Wagner. Beide haben 
recht. Nicht aufs Wollen, nicht aufs „Ethische", nicht 
auf die Weltanschauung kommt es letzten Endes in der 
Kunst an, sondern darauf, ob einem, um es populär zu 
sagen, etwas einfällt. Folgen wir dem Genie, das Natur 
uns gab, und wir werden recht tun. 

Von den Völkern und Rassen stehen die Romanen der 
Natur noch unmittelbarer näher, als die übrigen. Gerade 
wie die Frau stärker in ihr wurzelt, als der Mann. Und 
von allen großen Künstlern war Verdi vielleicht der naivste. 
Verdi und Wagner — die beiden Großen des Gedenkjahres 
1913 ! Welch ein Unterschied im Leben, in seinem äußeren 
wie inneren Gange, im Wollen, in den letzten Zielen: Verdi 
wird als Bauernsohn in einem norditalischen Neste (Ron- 
cole) geboren. Sein guter Genius wacht schon über dem 
kleinen Giuseppe; die Mutter und ihr Söhnchen sind fast die 
einzigen, die in ihrem Versteck im Glockenturm dem allge- 
meinen Massaker durch die österreichisch-russische Koalitions- 
armee entgehen. Wegen Unachtsamkeit im Gottesdienst 
bekommt der Knabe einmal eine schallende Ohrfeige und 
als Schmerzensgeld dafür vom Vater endlich das lang- 
ersehnte Musikinstrument, ein altes klappriges Spinett. 
Und nun geht's ans „Studieren“ ! Mit elf J ahren ist Giuseppe 
besoldeter Organist in Busseto. Gönner finden sich, die 
der bitteren Armut, die auch hier wieder mal das Geschick 
dem Genie als weltliches Patengeschenk mitgegeben hat, 
steuern, sich des Kindes annehmen: ein Kaufmann vor 
allem, Antonio Barezzi, der Direktor der „Societä Filarmo- 
nica di Busseto" (und spätere Schwiegervater Verdis). 
Dann geht der Jüngling mit achtzehn Jahren nach Mai- 
land und meldet sich zum Eintritt ins Konservatorium, 
nachdem der wackere Ferdinando Provesi erklärt hatte, 
er könne seinem Schüler nun nichts mehr beibringen. 

Hier trifft ihn der erste schwere Schlag seines Lebens; 
ihm wird die Aufnahme verweigert. Weshalb, ist heute 
noch nicht recht aufgeklärt; die Direktoren von damals 
haben die schärfste Kritik (vor allem von Fetis) über sich 
ergehen lassen müssen. Und doch soll man ihnen nicht 
zürnen, sie vielmehr als Vollzieher einer höheren Macht 
ansprechen. 

Die Konservatorien sind Anstalten, dazu geschaffen und 
bestimmt, talentvolle junge Menschen zu tüchtigen Bürgern 
im Reiche der Kunst heranzubilden. Das ist ihr Zweck 
und ihr Sinn. Mit. dem Genie aber haben sie nichts 
zu tun, und kein großer Komponist ist aus ihnen hervor- 
gegangen. Die Konservatorien müssen bei ihren Lehr- 
plänen auf den Durchschnitt der künstlerischen Begabung 
Rücksicht nehmen. Damit sind sie aber für den Aus- 
erwählten von vornherein unnütz. E r bedarf des Aus- 
reifens der eigenen Persönlichkeit, der Unterweisung und 
Deutung bei einem ihn verstehenden Meister, der dem 
raschen Fluge seines Geistes zu folgen vermag. Verdi, fand 
ihn in dem Kapellmeister am Teatro Füarmonico Lavigna. 
Der Biograph Perinello gibt folgendes treffendes Cha- 
rakteristikum: „Lavigna war vorzugsweise praktischer 
Lehrer, dem es mehr an der richtigen Auffassung 
der Musiktheorie gelegen war, als an der gewissenhaften 
Befolgung von Axiomen und Grundsätzen, die in vielen 
Fällen kaum mehr als den Wert des Konventionellen, des 
Traditionellen in sich tragen.“ — Also die praktische 


Anwendung des eigentlichen „Selbstverständ- 
liche n“. Denn die Musiktheorie ist kein Buch mit 
sieben Siegeln, keine Geheimwissenschaft, auf die sich 
unsere Gelehrten gar so viel zugute zu halten hätten, daß 
sie glauben, sie allein hätten den Schlüssel zur Wahrheit 
in der Hand. Je größer die Begabung, desto rascher 
wird das logische Erkennen dessen vor sich gehen, was 
in einer musikalischen Seele von Anfang an vorhanden 
war. Ein Ordnen der Begriffe, kein Neuschaffen ist die 
musikwissenschaftliche Lehre. „Musik ist nicht eine Ver- 
bindung von Tönen, die nach gewissen Gesetzen 
sich zu einem harmonischen Ganzen vereinigen, sondern 
der Ausdruck bestimmter, durch bestimmte Empfindungen 
wachgerufener Gefühle!“ — Dies war Verdis, des 
Genius künstlerischer Wahrspruch. — Der junge Verdi 
machte bei seinem Lehrer natürlich glänzende Fortschritte. 
Aber als sich ihm die Wege in eine verheißungsvolle Oeffent- 
lichkeit zu ebnen anfingen, starb in Busseto sein ehemaliger 
Lehrer Provesi. Die Bürger meinten, man hätte doch 
viel für den jungen armen Musiker getan und nun könne 
er ja dafür Organist in Busseto werden. Und Verdi folgte, 
ein glänzender Zug seines menschlichen Charakters, diesem 
Rufe der Pflicht. Der künstlerische Charakter 
war wohl noch nicht reif genug, der ihm sein Nein hätte 
zurufen müssen. Von 1835 — 38 war Verdi in Busseto 
tätig. Hier führte er seine Margherita Barezzi heim. 
Lustig berührt der musikalische Kleinkrieg zwischen den 
„Verdianem“ und den „Ferrarianem", den Anhängern des 
andern Organisten des Städtchens, die sich bei ihrer Wahl 
auf das „mißglückte“ Aufnahmeexamen Verdis am Mai- 
länder Konservatorium beriefen. Dafür wurde er aber 
von seinen Freunden zum „Maestro di Musica della Soeietä 
Filarmonica e del monte di Pietä di Busseto" ernannt. 
Das ist gewiß ein schöner Titel, der manche Unbilden 
aufwog! Inzwischen wurde auch seine erste Oper „Oberto" 
in Mailand aufgeführt, die ihm Erfolg und 3000 Lire 
einbrachte und gleich eine Bestellung auf drei weitere 
Opern mit einem Honorar von 4000 Lire. Der Anfang 
war also gut. Da traf ihn der zweite harte Schlag seines 
Lebens: Frau und zwei Kinder starben ihm in jungen 
Jahren kurz hintereinander weg. Er stand allein, voll 
Verzweiflung — und hatte kontraktlich die Verpflichtung, 
eine komische Oper fertigzustellen. „Einen Tag lang 
König“ war denn auch ein Mißerfolg, und zwar war er von 
solcher Tragweite, daß der 27jährige Verdi, der in dieser 
Zeit völlig gebrochen war und an sich und seiner Kunst 
verzweifelte, nicht mehr die Hand an ein Werk komischer 
Gattung anlegte, bis der 80jährige Meister die Welt mit 
dem „Falstaff“ überraschte. — 1842 erschien dann der 
„Nabucco“ in Mailand und damit begann die Reihe der 
Erfolge. Verdis Leben unterschied sich äußerlich von 
nun an nicht mehr viel von dem anderer italienischer 
Komponisten. Er schrieb — verhältnismäßig wenig — 
seine 31 Opern (Umarbeitungen eingerechnet) auf Be- 
stellung oder aus eigenem Antriebe. Mißerfolge blieben 
ihm freilich nicht erspart, aber er hatte auch Ehren und 
Anerkennung genug und wurde ein reicher Mann. Be- 
zahlte doch der Khedive allein für die „Aida“ ein Honorar 
von 200 000 Franken. — Verdi führte als zweite Gattin 
1849 die ausgezeichnete Sängerin Strepponi heim, der 
Giuseppe die Giuseppine, für die er die Rolle der Abigail 
im „Nabucco“ geschrieben hatte. Verdi steht als Künstler 
aufrecht, mutig, überzeugungstreu, gewissenhaft da. Er 
wich nicht zurück, wo es die künstlerische Ueberzeugung 
galt, er war viel selbstkritischer, als gemeinhin angenom- 
men wird. Er hat eine Reihe seiner Werke Umarbei- 
tungen unterzogen. Und als Mensch war er nicht weniger 
liebenswert: einfach in seinem berechtigten Selbstbewußt- 
sein, ein feiner, nobler Charakter, und bescheidenen Sinns. 
Auf seinem Refugium Sant’ Agata pflegte . er fleißig die 
Landwirtschaft. Allein das Musikerheim für erholungs- 
bedürftige Tonkünstler hat dem Menschen Verdi ein schö- 
neres Denkmal gesetzt, als alle andern aus Erz und Stein. 


26 



Wie anders verlief das Leben des deutschen Musik- 
dramatikers Richard Wagner! Analog der Revolution, 
die er auf musikdramatischem Gebiete hervorrief. Wagners 
Sprung war denn doch ein ganz anderer, als gewisse Musik- 
gelehrten es heute gelten lassen wollen. Uncf während 
Verdis Reformwerk mehr gradueller als prinzipieller Art 
war, während bei ihm der unbewußte Künstler am Werke war, 
stritt Wagner als Propagandist, Revolutionär, Redner, 
Theoretiker, als Dichter und Musiker für seine neue Welt, 
die er zum Siege führte. Zweifellos hat Wagner auf Verdi 
künstlerisch eingewirkt, wie es die letzten Opern, vor allem 
der „Falstaff“, bezeugen. Der „Nationalheld“ aber in dem 
Sinne wie Verdi ist der Bayreuther Meister nicht geworden. 
Wir ersehen das nicht bloß aus den Zentenarfeiern nördlich 
und südlich der Alpen. 

Bei uns alles „offiziell“, 
dort eine Beteiligung des 
gesamten Volkes. Verdi 
gilt in ganz Italien als ein 
Führer im Kampfe um 
die Freiheit. Seine Mu- 
sik, seine Rhythmen be- 
geisterten die Italiener, 
sie schienen der sinnfäl- 
ligste Ausdruck ihrer tief- 
sten, heißesten Gefühle. 

Und sie hypnotisierten 
die Menge. Der Ruf Viva 
Verdi galt dem damals 
verbotenen Viva lTtalia 
gleich. Wo hat ein Künst- 
ler, ein Musiker Solches 
je erlebt ? Mit all seinen 
Schriften, Programmen, 
auch mit seinen Dramen 
hat Wagner hier hinter 
dem naiveren Genie Zu- 
rückbleiben müssen , s e i n e 
nationale Bedeutung liegt 
auf anderem Gebiete. 

Ganz verstehen können 
ihren Verdi nur die Ita- 
liener. Und nur wer un- 
ter Italiens Himmel ge- 
weilt, weiß die süßen 
Klänge der Terzen- und 
Sextenmelodien recht ein- 
zuschätzen; nur wer ein 
italienisches Publikum im 
Theater erlebt hat, wird 
die nationale Bedeutung 
der Verdischen Dramatik 
erfassen können. Er lä- 
chelt auch nicht mehr über 
die angeblichen Galopp - 
rhythmen bei tragischen Situationen. Giuseppe Verdi, 
der in einem langen Leben voll reicher Entwicklung 
die italienische Musik zu einem Höhepunkt gebracht 
hat, ist aber auch von internationaler Bedeutung. 
Für uns Deutsche gilt es, seine Hauptwerke nicht mehr 
als Lückenbüßer zu betrachten, sondern sie so aufzuführen, 
wie sie es verdienen. („Im Anfang war der R h y t h m u s ! “) 
Dann werden sie nicht bloß bei Caruso-Gastspielen, sondern 
auch im Repertoire die gebührende Rolle spielen. Dieses 
Ergebnis sollte das Jubiläumsjahr zeitigen, und ein anderes 
noch: Die allgemeine Beachtung des „Falstaff“! Ihn auf- 
zuführen, ist Ehrenpflicht der deutschen Bühnen, die sich 
auf Wagner berufen,, selbst wenn die Musikgeschichte dies 
feine Werk an ursprünglicher Bedeutung hinter Rhythmen 
stellen sollte, wie in der Stretta aus dem „Troubadour“. 

„Lodern die Flammen, seh’ ich zum Himmel!" 

Das ist echtester Verdi! 


Verdi als Tondichter der nationalen 
Auferstehung Italiens. 

V erdis Jugend fällt in jene gewaltige Zeit, in der ganz 
Italien von einer mächtigen Bewegung erfüllt war. Der 
revolutionäre Hauch war von Frankreich gekommen, 
durch die napoleonisclie Herrschaft genährt worden und dank 
den Philosophen und Dichtern immer kräftiger angewachsen. 
Das italienische Nationalbewußtsein war erwacht und strebte 
mit aller Energie, das Land von der Fremdherrschaft zu be- 
freien. Italien den Italienern! So lautete die Losung. Hun- 
derte von Männern mußten ihr Leben auf dem Schafott lassen, 
in den Gefängnissen des Spielbergs schmachten, auf den 
Schlachtfeldern bluten, bis das Ideal der ' Selbständigkeit 
Italiens erreicht war. — Wie konnte der junge Mann, der in 

Mailand seine musikalische 
Ausbildung erhielt, diesen 
Bestrebungen fremd blei- 
ben, er, dessen Seele für 
alles Große und Hohe stets 
empfänglich war? Aber 
auch in Busseto, das zum 
Herzogtum Parma gehörte, 
herrschte eine tiefgehende 
Unzufriedenheit mit dem 
glänzenden Despotismus 
des kleinen Staates, der 
bei allem äußerlichen Glanz 
jede freiheitliche Regung 
strenge unterdrückte. So 
lernte Verdi die heiße Sehn- 
sucht nach der Einigung 
Italiens früh empfinden. 

Besonders begeisterte er 
sich für die Lehren Giu- 
seppe Mazzinis, des großen 
Apostels der italienischen 
Freiheit. Als dieser im 
Jahre 1836 im philoso- 
phischen Sinne über Musik 
schrieb und von einem 
jungen, noch unbekannten 
Musikideal sprach, das viel- 
leicht im geheimen die Aera 
einer neuen Tonkunst zei- 
tige, da mag wohl in dem 
„Maestrino“ der Gedanke 
aufgeblitzt sein, seine Ga- 
ben in den Dienst der Un- 
abhängigkeitsidee zu stel- 
len und so sein Scherflein 
zu ihrer Erreichung beizu- 
tragen. 

Zwar sangen die Dichter 
Italiens in geflügelten Stro- 
phen den Triumph der Re- 
volution. Aber der Rhyth- 
mus der Sprache genügte 
nicht. Die Melodie sollte 
ihn unterstützen, damit das 
Volk die ganze Macht sei- 
ner Seele in jene Kampf- 
gesänge legte, die wie ein 
einstimmiger Ruf zur 
, Schlacht von den Alpen 
bis nach Sizilien brausten. 
Verdi war jener italienische Tondichter, der zuerst seine 
Begabung dem Dienst der nationalen Sache weihte. In einer 
stattlichen Zahl seiner Opern, besonders der ersten Periode, 
weht der Geist der Empörung gegen“ die Unterdrückung des 
allen Italienern heiligen Vaterlandes, das ein österreichischer 
Staatsmann spöttisch als einen geographischen Begriff be- 
zeichnet hatte. Aber nicht nur durch die Vertonung von 
nationalen Hymnen hat Verdi seine Begeisterung für die 
nationale Auferstehung bewiesen, sondern durch die Einflech- 
tung von Chören in seine Opern wußte er die patriotischen 
Gefühle der Zuhörer aufzurutteln und der Unabhängigkeit 
Italiens vorzuarbeiten. 

Die ersten zwei Opern Verdis („Conte Oberto di San Boni- 
facio“ und „II finto Stanislao“) enthielten keine Stelle, die 
als Anspielung auf die Sehnsucht der Italiener nach Befreiung 
gedeutet werden konnte. Dagegen wußte „Nabucco“ mit 
seinem herrlichen Chor der Hebräer diese empfindliche Saite 
im Herzen der Italiener anzuschlagen. Die Hebräer sind in 
Assyrien als Gefangene des Königs Nebukadnezar. Schwere 
Ketten tragend, müssen sie an den Ufern des Euphrat harte 
Fronarbeit verrichten. Da erheben sie, zuerst leise, ihren 
Gesang, der als ein schmachtend weiches Gedenken der fernen 



. v . 


GIUSEPPE VERDI. 

Aus Kalbecks Opernabend :n, mit Bewilligung der Schlesischen Verlagsanstalt (vormals 
Schottlander), Berlin. 


27 




GIUSBPPEJVERDI (mit etwa 40 Jahren). 
Stich von Geoffroy. 


Heimat beginnt. Dann aber bricht es wie eine herzzerreißende 
Klage ungestüm hervor: 

„0 mia patria perduta! 

O membranza si cara e fatal! 

Le memorie nel petto raccendi, 

Ci favella del tempo che fu! 

<0 du mein verlorenes Vaterland! 0 Andenken, das so teuer 
und so verhängnisvoll ! Du läßt die Erinnerungen in der Brust 
entbrennen und sprichst zu uns von der Vergangenheit!) 

Man stelle sich vor, daß Zuhörer, in denen die Sehnsucht 
nach einem großen Vaterlande alle anderen Gefühle unter- 
drückte, solche Worte vernehmen, noch dazu von einer hin- 
reißenden Melodie, unterstützt, und man wird begreifen, daß 
jeder von ihnen diese Klage der Hebräer als seine eigene 
empfand und daß dieser Gesang die Begeisterung aller Italiener 
feurig ermunterte. 

Natürlich war Verdi durch diesen Chor der österreichischen 
Polizeibehörde verdächtig geworden, und seine nächste Oper 
„Die Lombarden im ersten Kreuzzug“ begegnete denn auch 
unerhörten Schwierigkeiten von seiten der Z ens ur Kardinal 
Gaisruck kam dieser noch zu Hilfe. Er hatte nämlich 
gehört, daß es in dieser Oper Umzüge, geistliche Gesänge 
und sogar das Tal des Josaphat gebe, und schrieb an den 
Polizeidirektor Torresani, daß er gegen die Aufführung des 
Werkes wegen der in ihm enthaltenen Verletzung der relimösen 
Gefühle sein Veto einlege. Dieser ließ den Impresario Merelli, 
Verdi und den Textdichter Solera rufen und äußerte den 
Wunsch, daß das Buch entsprechend verändert werde. Aber 
Verdi war unnachgiebig und erklärte, die Oper zurückzuziehen, 
wenn die Polizei auf ihrer Forderung bestehe. Merelli setzte 
■dem Allmächtigen der Mailänder Polizei den ungeheuren 
Schaden auseinander, den er durch das Verbot erlitte, und wies 
darauf hin, daß die Oper ja das religiöse Gefühl verherrliche. 
Torresani zeigte sich anfangs widerstrebend, dann aber sagte 
■er: „Ich will einem jungen hoffnungsvollen Talente nicht die 
Flügel stutzen!“ und gewährte die Aufführung. Nur die Worte 
„Ave, Maria!“ mußten in „Salve, Maria!“ umgewandelt werden. 

So ging die Oper in Szene. Alles verlief gut bis zur dritten 
Szene des letzten Aufzugs. Sie stellt das Zeltlager der Lom- 
barden bei Rahels Grabmal dar. Die Kreuzritter singen: 

»9 Signore, dal tetto natio 
Ci chiamasti con sante proinessa, 

Noi siam corsi all’invito d'un pio 
Giubilando per l’aspro sentier. 

Ma la fronte awilita e dimessa 
Hanno i servi giä baldi e valenti! 

Deh! Non far che ludibrio alle genti • 

Sieno, Cristo, i tuoi fidi guerrier! 

28 


(0 Herr, von der Heimat fort riefst du uns mit heiligem Ver- 
sprechen, und wir folgten dir begeisterungsvoll auf rauhem 
Pfad. Aber Gottes Diener, die früher mutig und stark waren, 
tragen jetzt die Stirne gedemütigt und gebeugt! O Christus, 
laß deine treuen Krieger nicht zum Gespött der Welt werden !) 

Diese Verse, die wie der innige Ausdruck ergebener Gottes- 
liebe klingen, lösten in den Italienern, die sie hörten, ganz 
andere Gefühle aus. Ihr Kampf gegen die Fremdherrschaft 
schien ihnen ebenso heilig wie jener der Kreuzfahrer gegen 
die Ungläubigen, und diese Gedankenverknüpfung bewirkte, 
daß dieser Chor wie ein inbrünstiges Gebet zur höchsten 
Macht um Sieg in der Sache der italienischen Unabhängigkeit 
aufgefaßt und bejubelt wurde. 

Aber die Begeisterung nahm noch zu, als dann in der nächsten 
Szene der Ruf „Krieg!“ viermal wiederholt von der Bühne 
erscholl. Nach dem Textbuch war der Krieg gegen die Moham- 
medaner gemeint, aber die Lombarden des 19. Jahrhunderts 
verstanden den Krieg gegen die ausländischen Unterdrücker. 

Noch besser eignete sich Verdis nächste Oper „Hemani“ 
für die Auslegung im Sinne des Kampfes für die nationale 
Einigung. Die kastilischen Ritter verkünden in der vierten 
Szene des dritten Aktes den Feldzug gegen die Mauren und 
singen dann: 

„Siamo tutti una sola famiglia, 

Pugnerem colle braccia, co’petti; 

Schiavi inulti piü a lungo negletti 
Non sarem finchö vita abbia il cor. 

Sia che morte ne aspetti, o vittoria, 

Pugnerem, ed il sangue de’spenti 
Nuovo ardir ai figliuoli viventi, 

Forze nuove a pugnare darä. 

Sorga alfine radiante di gloria, 

Sorga un giorno a brillare su noi . . . 

E immortal fra i piü splendidi eroi 
Col loro nome anene il nostro sarä. 

(Wir alle sind eine Familie und werden Brust an Brust kämpfen. 
Nicht mehr werden wir, solange unser Herz noch schlägt, 
ungerächt getretene Sklaven sein. Ob uns nun Tod oder Sieg 
erwartet, wir werden kämpfen, und das Blut der Erschlagenen 
wird den Lebenden neue Kühnheit und neuen Kampfesmut 
verleihen. Endlich erscheine, strahlend von Ruhm, ein neuer 
Tag, und unter den herrlichen Helden wird unsterblich auch 
unser Name glänzen.) 

Diese Worte wurden am 9. März 1844 im Teatro Alla Fenice 
von Venedig gesungen, in der Lagunenstadt, die das öster- 
reichische Joch so schwer fühlte. Was Wunder, wenn ein 
Sturm nichtendenwollenden Beifalls ausbrach und die Polizei 
die Oper verbot. In den italienischen Gebieten Oesterreichs 
besteht dieses Verbot bis auf den heutigen Tag. 

In derselben Oper gibt es auch einen Chor: „A Carlo Magno 
sia gloria ed onor!“ (Karl dem Großen Ruhm und Ehre!), 
der im Laufe der nationalen Kämpfe Italiens verschiedene 
Variationen erfuhr. Als im Jahre 1846 Papst Pius IX. die 
nationale Bewegung nicht nur zu erfassen und zu begünstigen 



GIUSEPPE VERDI. 




NEUE 
MUSIKZEITUN& 

XXXV. I VERLAG VON CARL GRÜNINGER, STUTTGART-LEIPZIG I 1914 
Jahrgang I Preis des Jahrgangs (Oktober 1913 bis September 1914) 8 Mark. I Heft 2 

Erscheint vierteljährlich ln 6 Heften (mit Musikbei lasen, Kunstbeilage und *Batka, illustrierte Geschichte der Musik* 4 ). Abonnementpreis 2 M. vierteljährlich» 8 M. jährlich. 
Einzelne Hefte 50 Pf. — Bestellungen durch alle Buch- und Musikalienhandlungen sowie durch sämtliche Postanstalten. Bei Kreuzbandversand ab Stuttgart Im deutsch- 

österreichischen Postgebiet M. 10.40» im übrigen Weltpostverein M. 12. — jährlich. 


I fl Half * Ztt Verdis 100. Geburtstage. — Verdi als Tondichter der nationalen Auferstehung Italiens. — Aus der Heimat Verdis. — Verdis Persönlichkeit und künst- 
111 Hall • ierische Anschauungen in seinen Briefen. — O, wie so trügerisch . . . Musikalische Novellette. — Was verlangt der Staat vom geprüften Gesanglehrer. — 
Wiener Konzerte» Rück- und Ausblick. — Kritische Rundschau: Wiesbaden. — Kunst und Künstler. — Besprechungen: Bücher. — Dur und Moll. — Briefkasten. — 

Neue Musikalien. — Musikbeilage. 




Zu Verdis 100. Geburtstage. 

Von OSWALD KÜHN. 

iuseppe Verdi war ein Genie! 

Mit. dieser Erkenntnis kommen wir unfehlbar 
seinem Wesen und seinem Werke nahe, indem wir ihnen 
folgen! 

Verdi ein Genie ! Ist es nötig, das festzustellen, zu ver- 
künden ? — Ganz gewiß. Es gab eine lange Zeit im musika- 
lischen Deutschland, wo man mit dieser Charakterisierung 
einfach ausgelacht worden wäre. In jenen Dezennien, 
da das Wagner-Epigonentum seine Jünger als alleinige 
Verkünder des musikalischen Schaffens aussandte und die 
verzückte Schar der Wagnerianer durch den deutschen 
Blätterwald raste. Wo jedes Talent und Talentchen 
glaubte, es bedürfe nur der Ideen, der Weltanschauung, 
der Stoffgebiete des Bayreuther Meisters, um Kunstwerke 
zu schaffen. Wo man vergaß, daß Kunst mit all diesen 
Dingen gar nichts gemein zu haben braucht, daß Kunst 
Können, Vermögen, Schaffen in jedem höchsten Sinne 
bedeutet. 

Damals sah man herab auf die seichten Melodienschreiber 
und ihre „sinnlichen" Werke. Und übersah es, wie 
ungeheuer man ein gutgläubiges Publikum im Grunde 
mit seiner „Tiefe“ langweilte. Eine Reihe von Leichen- 
steinen, deren Zahl melancholisch stimmen kann, bezeichnet 
diese Epoche der Musikgeschichte und ihrer Werke. 

Richard Wagner hat ein häßliches Wort geprägt, das 
vom „welschen“ Tand. 

Anstatt diese nationale Uebertreibung dadurch zu berich- 
tigen, daß man’ sie, ihrem notwendigen Entstehungs- 
motiv nach erkennend, auf das rechte Maß zurückschraubte, 
und sie so als relativ berechtigt, als „gerecht“ kennzeich- 
nete, wurde das Wort von schwärmenden Dilettanten in 
Berufs- und Laienkreisen zum Feldgeschrei, und es wurde 
in seinem Namen ein barbarischer Ausrottungskrieg gegen 
alles, was nicht „deutsch und echt“ war, geführt. Werke 
wie der „Troubadour“, soweit sie überhaupt gekannt waren 
(ich weiß mehr als einen namhaften Musiker und Musik- 
schriftsteller, der die Oper gar nicht kannte oder erst sehr 
spät kennen lernte), waren Lückenbüßer im Repertoire 
der großen deutschen Bühnen, und beinahe noch mehr 
verachtet als die „Hugenotten“. 

Es war eine trostlose Zeit — trotz des ungeheuren Auf- 
schwungs, die Wagners Werke hatten — , die Melodie 
war zum Aschenbrödel degradiert. Aber sie lebte doch 
weiter und blieb jung und schön. — 


In Brunnen am Vierwaldstättersee hörte ich, von Italien 
kommend, eine bekannte und beliebte Banda aus Napoli, 
deren Echtheit freilich durch die Schweizer Fremden- 
kultur schon etwas gelitten hat. Es war ein milder Sommer- 
abend und die Leute saßen im Garten am See, lachend, 
schwatzend. Draußen gafften die Zaungäste. Da begann 
einer jener schmelzenden Tenöre den Troubadour zu 
singen; das Orchester, war klein, ein paar Instrumente, 
und spielte — sonderbarerweise — nicht mal durchaus 
korrekt. Aber bald wurde es still, und stiller in der be- 
lebten Runde. Rede und Lachen hörte auf, die Zaungäste 
lauschten bewundernd, die Omnibusse hielten auf der Straße 
an und in die Nacht hinaus zogen die Töne „Schon naht 
die Todesstunde“ — hinüber über den See bis zum Schiller- 
stein. Und als der Sänger geendet, brach ein Beifalls- 
sturm los, das Publikum war hingerissen. Das ist ein 
lebendiges Beispiel für die Macht der Verdischen Melodie! 

Doch die Melodie ist nicht Herrscherin im Reiche der 
Tonkunst. Andere Ausdruckselemente sind ihr nicht 
subordiniert, sondern koordiniert. 

Friedrich Nietzsche hat die Melodie die Blüte einer 
langen musikalischen Entwicklung genannt. Die Deu- 
tung in seinem Sinne ist ebenso wahr wie einseitig, 
wie der ganze Fall Wagner einseitig ist. Wie die Behaup- 
tung einseitig ist, daß die Kunst, die Musik der Schön- 
heit zu dienen habe. Ganz gewiß schafft sie im Dienst 
der Schönheit, erkennt sie aber nicht als einzige 
Herrin an. Die Wahrheit ist ihr ebenbürtig und die ist 
leider nicht immer schön. Die Wucht des Ausdruckes, 
die Schärfe der Charakteristik sind für die musikdramatische 
Kunst imentbehrlich. Durch sie entsteht eine andere 
„Schönheit“ : das Erhabene, das Furchtbare, Erschütternde, 
das Tragische. Der schönheitsdurstige Melodiker, der 
Italiener Verdi, ist charakteristisch-tragisch in seiner 
Musik. Er weiß mit ganz simplen Mitteln, einer Oboe im 
„Rigoletto“, das Herz zu beklemmen. Er hat im Miserere 
des „Troubadours“ Töne von ergreifender Trauer an- 
geschlagen. Er versteht es durch seine Rhythmen un- 
widerstehlich fortzureißen; und wieder rührt er zu Tränen 
in seiner Einleitung zur „Traviata“; er ist Tonmaler in der 
Erzählung der Azucena („Troubadour“); er hat im Liede 
von der Weide („Othello“) ohne großen orchestralen Ap- 
parat ein Stimmungsbild geschaffen, das uns sehen, er- 
schauern macht; und im „Othello“ ist ein Duett, so schön, 
wie es sonst nur Berlioz in den „Trojanern“ geschrieben 
(auch ein Welscher!), wie beide überhaupt verwandte 
Seiten zeigen. Verdi geht als Dramatiker gerade aufs 
Ziel los. Epische Breiten, rein lyrische Ruhepunkte sind 



25 









ihm fremd. Verdi ist heftig in seinen Aeußerungen, er 
bevorzugt „Höhepunkte“, Schlager, aber im dramatischen 
Sinne. Sein südliches Blut wallt zu heiß für trauliche 
Betrachtungen oder phüosophische Vertiefungen. Sollen 
wir ihn aber deshalb schmälen, und nicht vielmehr loben, 
weil er eben als Romane anders ist, als wir Germanen ? 
Erst die Fülle der Gesichte macht das Beben lebens- 
wert. Und bis auf jene Periode des Ueberwagnertums 
ist es stets ein Vorzug der Deutschen gewesen, fremde 
musikalische Kunst hochzuschätzen, ja von ihren Besten 
in sich aufzunehmen. Mozart ! — Es ist dies ein Vorrecht 
der Reichen, ja eine Verpflichtung: Noblesse oblige! 

Die Italiener sehen in Giuseppe Verdi ihren größten 
Musikdramatiker. Wir in Richard Wagner. Beide haben 
recht. Nicht aufs Wollen, nicht aufs „Ethische", nicht 
auf die Weltanschauung kommt es letzten Endes in der 
Kunst an, sondern darauf, ob einem, um es populär zu 
sagen, etwas einfällt. Folgen wir dem Genie, das Natur 
uns gab, und wir werden recht tun. 

Von den Völkern und Rassen stehen die Romanen der 
Natur noch unmittelbarer näher, als die übrigen. Gerade 
wie die Frau stärker in ihr wurzelt, als der Mann. Und 
von allen großen Künstlern war Verdi vielleicht der naivste. 
Verdi und Wagner — die beiden Großen des Gedenkjahres 
1913 ! Welch ein Unterschied im Leben, in seinem äußeren 
wie inneren Gange, im Wollen, in den letzten Zielen: Verdi 
wird als Bauernsohn in einem norditalischen Neste (Ron- 
cole) geboren. Sein guter Genius wacht schon über dem 
kleinen Giuseppe; die Mutter und ihr Söhnchen sind fast die 
einzigen, die in ihrem Versteck im Glockenturm dem allge- 
meinen Massaker durch die österreichisch-russische Koalitions- 
armee entgehen. Wegen Unachtsamkeit im Gottesdienst 
bekommt der Knabe einmal eine schallende Ohrfeige und 
als Schmerzensgeld dafür vom Vater endlich das lang- 
ersehnte Musikinstrument, ein altes klappriges Spinett. 
Und nun geht's ans „Studieren“ ! Mit elf J ahren ist Giuseppe 
besoldeter Organist in Busseto. Gönner finden sich, die 
der bitteren Armut, die auch hier wieder mal das Geschick 
dem Genie als weltliches Patengeschenk mitgegeben hat, 
steuern, sich des Kindes annehmen: ein Kaufmann vor 
allem, Antonio Barezzi, der Direktor der „Societä Filarmo- 
nica di Busseto" (und spätere Schwiegervater Verdis). 
Dann geht der Jüngling mit achtzehn Jahren nach Mai- 
land und meldet sich zum Eintritt ins Konservatorium, 
nachdem der wackere Ferdinando Provesi erklärt hatte, 
er könne seinem Schüler nun nichts mehr beibringen. 

Hier trifft ihn der erste schwere Schlag seines Lebens; 
ihm wird die Aufnahme verweigert. Weshalb, ist heute 
noch nicht recht aufgeklärt; die Direktoren von damals 
haben die schärfste Kritik (vor allem von Fetis) über sich 
ergehen lassen müssen. Und doch soll man ihnen nicht 
zürnen, sie vielmehr als Vollzieher einer höheren Macht 
ansprechen. 

Die Konservatorien sind Anstalten, dazu geschaffen und 
bestimmt, talentvolle junge Menschen zu tüchtigen Bürgern 
im Reiche der Kunst heranzubilden. Das ist ihr Zweck 
und ihr Sinn. Mit. dem Genie aber haben sie nichts 
zu tun, und kein großer Komponist ist aus ihnen hervor- 
gegangen. Die Konservatorien müssen bei ihren Lehr- 
plänen auf den Durchschnitt der künstlerischen Begabung 
Rücksicht nehmen. Damit sind sie aber für den Aus- 
erwählten von vornherein unnütz. E r bedarf des Aus- 
reifens der eigenen Persönlichkeit, der Unterweisung und 
Deutung bei einem ihn verstehenden Meister, der dem 
raschen Fluge seines Geistes zu folgen vermag. Verdi, fand 
ihn in dem Kapellmeister am Teatro Füarmonico Lavigna. 
Der Biograph Perinello gibt folgendes treffendes Cha- 
rakteristikum: „Lavigna war vorzugsweise praktischer 
Lehrer, dem es mehr an der richtigen Auffassung 
der Musiktheorie gelegen war, als an der gewissenhaften 
Befolgung von Axiomen und Grundsätzen, die in vielen 
Fällen kaum mehr als den Wert des Konventionellen, des 
Traditionellen in sich tragen.“ — Also die praktische 


Anwendung des eigentlichen „Selbstverständ- 
liche n“. Denn die Musiktheorie ist kein Buch mit 
sieben Siegeln, keine Geheimwissenschaft, auf die sich 
unsere Gelehrten gar so viel zugute zu halten hätten, daß 
sie glauben, sie allein hätten den Schlüssel zur Wahrheit 
in der Hand. Je größer die Begabung, desto rascher 
wird das logische Erkennen dessen vor sich gehen, was 
in einer musikalischen Seele von Anfang an vorhanden 
war. Ein Ordnen der Begriffe, kein Neuschaffen ist die 
musikwissenschaftliche Lehre. „Musik ist nicht eine Ver- 
bindung von Tönen, die nach gewissen Gesetzen 
sich zu einem harmonischen Ganzen vereinigen, sondern 
der Ausdruck bestimmter, durch bestimmte Empfindungen 
wachgerufener Gefühle!“ — Dies war Verdis, des 
Genius künstlerischer Wahrspruch. — Der junge Verdi 
machte bei seinem Lehrer natürlich glänzende Fortschritte. 
Aber als sich ihm die Wege in eine verheißungsvolle Oeffent- 
lichkeit zu ebnen anfingen, starb in Busseto sein ehemaliger 
Lehrer Provesi. Die Bürger meinten, man hätte doch 
viel für den jungen armen Musiker getan und nun könne 
er ja dafür Organist in Busseto werden. Und Verdi folgte, 
ein glänzender Zug seines menschlichen Charakters, diesem 
Rufe der Pflicht. Der künstlerische Charakter 
war wohl noch nicht reif genug, der ihm sein Nein hätte 
zurufen müssen. Von 1835 — 38 war Verdi in Busseto 
tätig. Hier führte er seine Margherita Barezzi heim. 
Lustig berührt der musikalische Kleinkrieg zwischen den 
„Verdianem“ und den „Ferrarianem", den Anhängern des 
andern Organisten des Städtchens, die sich bei ihrer Wahl 
auf das „mißglückte“ Aufnahmeexamen Verdis am Mai- 
länder Konservatorium beriefen. Dafür wurde er aber 
von seinen Freunden zum „Maestro di Musica della Soeietä 
Filarmonica e del monte di Pietä di Busseto" ernannt. 
Das ist gewiß ein schöner Titel, der manche Unbilden 
aufwog! Inzwischen wurde auch seine erste Oper „Oberto" 
in Mailand aufgeführt, die ihm Erfolg und 3000 Lire 
einbrachte und gleich eine Bestellung auf drei weitere 
Opern mit einem Honorar von 4000 Lire. Der Anfang 
war also gut. Da traf ihn der zweite harte Schlag seines 
Lebens: Frau und zwei Kinder starben ihm in jungen 
Jahren kurz hintereinander weg. Er stand allein, voll 
Verzweiflung — und hatte kontraktlich die Verpflichtung, 
eine komische Oper fertigzustellen. „Einen Tag lang 
König“ war denn auch ein Mißerfolg, und zwar war er von 
solcher Tragweite, daß der 27jährige Verdi, der in dieser 
Zeit völlig gebrochen war und an sich und seiner Kunst 
verzweifelte, nicht mehr die Hand an ein Werk komischer 
Gattung anlegte, bis der 80jährige Meister die Welt mit 
dem „Falstaff“ überraschte. — 1842 erschien dann der 
„Nabucco“ in Mailand und damit begann die Reihe der 
Erfolge. Verdis Leben unterschied sich äußerlich von 
nun an nicht mehr viel von dem anderer italienischer 
Komponisten. Er schrieb — verhältnismäßig wenig — 
seine 31 Opern (Umarbeitungen eingerechnet) auf Be- 
stellung oder aus eigenem Antriebe. Mißerfolge blieben 
ihm freilich nicht erspart, aber er hatte auch Ehren und 
Anerkennung genug und wurde ein reicher Mann. Be- 
zahlte doch der Khedive allein für die „Aida“ ein Honorar 
von 200 000 Franken. — Verdi führte als zweite Gattin 
1849 die ausgezeichnete Sängerin Strepponi heim, der 
Giuseppe die Giuseppine, für die er die Rolle der Abigail 
im „Nabucco“ geschrieben hatte. Verdi steht als Künstler 
aufrecht, mutig, überzeugungstreu, gewissenhaft da. Er 
wich nicht zurück, wo es die künstlerische Ueberzeugung 
galt, er war viel selbstkritischer, als gemeinhin angenom- 
men wird. Er hat eine Reihe seiner Werke Umarbei- 
tungen unterzogen. Und als Mensch war er nicht weniger 
liebenswert: einfach in seinem berechtigten Selbstbewußt- 
sein, ein feiner, nobler Charakter, und bescheidenen Sinns. 
Auf seinem Refugium Sant’ Agata pflegte . er fleißig die 
Landwirtschaft. Allein das Musikerheim für erholungs- 
bedürftige Tonkünstler hat dem Menschen Verdi ein schö- 
neres Denkmal gesetzt, als alle andern aus Erz und Stein. 


26 



Wie anders verlief das Leben des deutschen Musik- 
dramatikers Richard Wagner! Analog der Revolution, 
die er auf musikdramatischem Gebiete hervorrief. Wagners 
Sprung war denn doch ein ganz anderer, als gewisse Musik- 
gelehrten es heute gelten lassen wollen. Uncf während 
Verdis Reformwerk mehr gradueller als prinzipieller Art 
war, während bei ihm der unbewußte Künstler am Werke war, 
stritt Wagner als Propagandist, Revolutionär, Redner, 
Theoretiker, als Dichter und Musiker für seine neue Welt, 
die er zum Siege führte. Zweifellos hat Wagner auf Verdi 
künstlerisch eingewirkt, wie es die letzten Opern, vor allem 
der „Falstaff“, bezeugen. Der „Nationalheld“ aber in dem 
Sinne wie Verdi ist der Bayreuther Meister nicht geworden. 
Wir ersehen das nicht bloß aus den Zentenarfeiern nördlich 
und südlich der Alpen. 

Bei uns alles „offiziell“, 
dort eine Beteiligung des 
gesamten Volkes. Verdi 
gilt in ganz Italien als ein 
Führer im Kampfe um 
die Freiheit. Seine Mu- 
sik, seine Rhythmen be- 
geisterten die Italiener, 
sie schienen der sinnfäl- 
ligste Ausdruck ihrer tief- 
sten, heißesten Gefühle. 

Und sie hypnotisierten 
die Menge. Der Ruf Viva 
Verdi galt dem damals 
verbotenen Viva lTtalia 
gleich. Wo hat ein Künst- 
ler, ein Musiker Solches 
je erlebt ? Mit all seinen 
Schriften, Programmen, 
auch mit seinen Dramen 
hat Wagner hier hinter 
dem naiveren Genie Zu- 
rückbleiben müssen , s e i n e 
nationale Bedeutung liegt 
auf anderem Gebiete. 

Ganz verstehen können 
ihren Verdi nur die Ita- 
liener. Und nur wer un- 
ter Italiens Himmel ge- 
weilt, weiß die süßen 
Klänge der Terzen- und 
Sextenmelodien recht ein- 
zuschätzen; nur wer ein 
italienisches Publikum im 
Theater erlebt hat, wird 
die nationale Bedeutung 
der Verdischen Dramatik 
erfassen können. Er lä- 
chelt auch nicht mehr über 
die angeblichen Galopp - 
rhythmen bei tragischen Situationen. Giuseppe Verdi, 
der in einem langen Leben voll reicher Entwicklung 
die italienische Musik zu einem Höhepunkt gebracht 
hat, ist aber auch von internationaler Bedeutung. 
Für uns Deutsche gilt es, seine Hauptwerke nicht mehr 
als Lückenbüßer zu betrachten, sondern sie so aufzuführen, 
wie sie es verdienen. („Im Anfang war der R h y t h m u s ! “) 
Dann werden sie nicht bloß bei Caruso-Gastspielen, sondern 
auch im Repertoire die gebührende Rolle spielen. Dieses 
Ergebnis sollte das Jubiläumsjahr zeitigen, und ein anderes 
noch: Die allgemeine Beachtung des „Falstaff“! Ihn auf- 
zuführen, ist Ehrenpflicht der deutschen Bühnen, die sich 
auf Wagner berufen,, selbst wenn die Musikgeschichte dies 
feine Werk an ursprünglicher Bedeutung hinter Rhythmen 
stellen sollte, wie in der Stretta aus dem „Troubadour“. 

„Lodern die Flammen, seh’ ich zum Himmel!" 

Das ist echtester Verdi! 


Verdi als Tondichter der nationalen 
Auferstehung Italiens. 

V erdis Jugend fällt in jene gewaltige Zeit, in der ganz 
Italien von einer mächtigen Bewegung erfüllt war. Der 
revolutionäre Hauch war von Frankreich gekommen, 
durch die napoleonisclie Herrschaft genährt worden und dank 
den Philosophen und Dichtern immer kräftiger angewachsen. 
Das italienische Nationalbewußtsein war erwacht und strebte 
mit aller Energie, das Land von der Fremdherrschaft zu be- 
freien. Italien den Italienern! So lautete die Losung. Hun- 
derte von Männern mußten ihr Leben auf dem Schafott lassen, 
in den Gefängnissen des Spielbergs schmachten, auf den 
Schlachtfeldern bluten, bis das Ideal der ' Selbständigkeit 
Italiens erreicht war. — Wie konnte der junge Mann, der in 

Mailand seine musikalische 
Ausbildung erhielt, diesen 
Bestrebungen fremd blei- 
ben, er, dessen Seele für 
alles Große und Hohe stets 
empfänglich war? Aber 
auch in Busseto, das zum 
Herzogtum Parma gehörte, 
herrschte eine tiefgehende 
Unzufriedenheit mit dem 
glänzenden Despotismus 
des kleinen Staates, der 
bei allem äußerlichen Glanz 
jede freiheitliche Regung 
strenge unterdrückte. So 
lernte Verdi die heiße Sehn- 
sucht nach der Einigung 
Italiens früh empfinden. 

Besonders begeisterte er 
sich für die Lehren Giu- 
seppe Mazzinis, des großen 
Apostels der italienischen 
Freiheit. Als dieser im 
Jahre 1836 im philoso- 
phischen Sinne über Musik 
schrieb und von einem 
jungen, noch unbekannten 
Musikideal sprach, das viel- 
leicht im geheimen die Aera 
einer neuen Tonkunst zei- 
tige, da mag wohl in dem 
„Maestrino“ der Gedanke 
aufgeblitzt sein, seine Ga- 
ben in den Dienst der Un- 
abhängigkeitsidee zu stel- 
len und so sein Scherflein 
zu ihrer Erreichung beizu- 
tragen. 

Zwar sangen die Dichter 
Italiens in geflügelten Stro- 
phen den Triumph der Re- 
volution. Aber der Rhyth- 
mus der Sprache genügte 
nicht. Die Melodie sollte 
ihn unterstützen, damit das 
Volk die ganze Macht sei- 
ner Seele in jene Kampf- 
gesänge legte, die wie ein 
einstimmiger Ruf zur 
, Schlacht von den Alpen 
bis nach Sizilien brausten. 
Verdi war jener italienische Tondichter, der zuerst seine 
Begabung dem Dienst der nationalen Sache weihte. In einer 
stattlichen Zahl seiner Opern, besonders der ersten Periode, 
weht der Geist der Empörung gegen“ die Unterdrückung des 
allen Italienern heiligen Vaterlandes, das ein österreichischer 
Staatsmann spöttisch als einen geographischen Begriff be- 
zeichnet hatte. Aber nicht nur durch die Vertonung von 
nationalen Hymnen hat Verdi seine Begeisterung für die 
nationale Auferstehung bewiesen, sondern durch die Einflech- 
tung von Chören in seine Opern wußte er die patriotischen 
Gefühle der Zuhörer aufzurutteln und der Unabhängigkeit 
Italiens vorzuarbeiten. 

Die ersten zwei Opern Verdis („Conte Oberto di San Boni- 
facio“ und „II finto Stanislao“) enthielten keine Stelle, die 
als Anspielung auf die Sehnsucht der Italiener nach Befreiung 
gedeutet werden konnte. Dagegen wußte „Nabucco“ mit 
seinem herrlichen Chor der Hebräer diese empfindliche Saite 
im Herzen der Italiener anzuschlagen. Die Hebräer sind in 
Assyrien als Gefangene des Königs Nebukadnezar. Schwere 
Ketten tragend, müssen sie an den Ufern des Euphrat harte 
Fronarbeit verrichten. Da erheben sie, zuerst leise, ihren 
Gesang, der als ein schmachtend weiches Gedenken der fernen 



. v . 


GIUSEPPE VERDI. 

Aus Kalbecks Opernabend :n, mit Bewilligung der Schlesischen Verlagsanstalt (vormals 
Schottlander), Berlin. 


27 




GIUSBPPEJVERDI (mit etwa 40 Jahren). 
Stich von Geoffroy. 


Heimat beginnt. Dann aber bricht es wie eine herzzerreißende 
Klage ungestüm hervor: 

„0 mia patria perduta! 

O membranza si cara e fatal! 

Le memorie nel petto raccendi, 

Ci favella del tempo che fu! 

<0 du mein verlorenes Vaterland! 0 Andenken, das so teuer 
und so verhängnisvoll ! Du läßt die Erinnerungen in der Brust 
entbrennen und sprichst zu uns von der Vergangenheit!) 

Man stelle sich vor, daß Zuhörer, in denen die Sehnsucht 
nach einem großen Vaterlande alle anderen Gefühle unter- 
drückte, solche Worte vernehmen, noch dazu von einer hin- 
reißenden Melodie, unterstützt, und man wird begreifen, daß 
jeder von ihnen diese Klage der Hebräer als seine eigene 
empfand und daß dieser Gesang die Begeisterung aller Italiener 
feurig ermunterte. 

Natürlich war Verdi durch diesen Chor der österreichischen 
Polizeibehörde verdächtig geworden, und seine nächste Oper 
„Die Lombarden im ersten Kreuzzug“ begegnete denn auch 
unerhörten Schwierigkeiten von seiten der Z ens ur Kardinal 
Gaisruck kam dieser noch zu Hilfe. Er hatte nämlich 
gehört, daß es in dieser Oper Umzüge, geistliche Gesänge 
und sogar das Tal des Josaphat gebe, und schrieb an den 
Polizeidirektor Torresani, daß er gegen die Aufführung des 
Werkes wegen der in ihm enthaltenen Verletzung der relimösen 
Gefühle sein Veto einlege. Dieser ließ den Impresario Merelli, 
Verdi und den Textdichter Solera rufen und äußerte den 
Wunsch, daß das Buch entsprechend verändert werde. Aber 
Verdi war unnachgiebig und erklärte, die Oper zurückzuziehen, 
wenn die Polizei auf ihrer Forderung bestehe. Merelli setzte 
■dem Allmächtigen der Mailänder Polizei den ungeheuren 
Schaden auseinander, den er durch das Verbot erlitte, und wies 
darauf hin, daß die Oper ja das religiöse Gefühl verherrliche. 
Torresani zeigte sich anfangs widerstrebend, dann aber sagte 
■er: „Ich will einem jungen hoffnungsvollen Talente nicht die 
Flügel stutzen!“ und gewährte die Aufführung. Nur die Worte 
„Ave, Maria!“ mußten in „Salve, Maria!“ umgewandelt werden. 

So ging die Oper in Szene. Alles verlief gut bis zur dritten 
Szene des letzten Aufzugs. Sie stellt das Zeltlager der Lom- 
barden bei Rahels Grabmal dar. Die Kreuzritter singen: 

»9 Signore, dal tetto natio 
Ci chiamasti con sante proinessa, 

Noi siam corsi all’invito d'un pio 
Giubilando per l’aspro sentier. 

Ma la fronte awilita e dimessa 
Hanno i servi giä baldi e valenti! 

Deh! Non far che ludibrio alle genti • 

Sieno, Cristo, i tuoi fidi guerrier! 

28 


(0 Herr, von der Heimat fort riefst du uns mit heiligem Ver- 
sprechen, und wir folgten dir begeisterungsvoll auf rauhem 
Pfad. Aber Gottes Diener, die früher mutig und stark waren, 
tragen jetzt die Stirne gedemütigt und gebeugt! O Christus, 
laß deine treuen Krieger nicht zum Gespött der Welt werden !) 

Diese Verse, die wie der innige Ausdruck ergebener Gottes- 
liebe klingen, lösten in den Italienern, die sie hörten, ganz 
andere Gefühle aus. Ihr Kampf gegen die Fremdherrschaft 
schien ihnen ebenso heilig wie jener der Kreuzfahrer gegen 
die Ungläubigen, und diese Gedankenverknüpfung bewirkte, 
daß dieser Chor wie ein inbrünstiges Gebet zur höchsten 
Macht um Sieg in der Sache der italienischen Unabhängigkeit 
aufgefaßt und bejubelt wurde. 

Aber die Begeisterung nahm noch zu, als dann in der nächsten 
Szene der Ruf „Krieg!“ viermal wiederholt von der Bühne 
erscholl. Nach dem Textbuch war der Krieg gegen die Moham- 
medaner gemeint, aber die Lombarden des 19. Jahrhunderts 
verstanden den Krieg gegen die ausländischen Unterdrücker. 

Noch besser eignete sich Verdis nächste Oper „Hemani“ 
für die Auslegung im Sinne des Kampfes für die nationale 
Einigung. Die kastilischen Ritter verkünden in der vierten 
Szene des dritten Aktes den Feldzug gegen die Mauren und 
singen dann: 

„Siamo tutti una sola famiglia, 

Pugnerem colle braccia, co’petti; 

Schiavi inulti piü a lungo negletti 
Non sarem finchö vita abbia il cor. 

Sia che morte ne aspetti, o vittoria, 

Pugnerem, ed il sangue de’spenti 
Nuovo ardir ai figliuoli viventi, 

Forze nuove a pugnare darä. 

Sorga alfine radiante di gloria, 

Sorga un giorno a brillare su noi . . . 

E immortal fra i piü splendidi eroi 
Col loro nome anene il nostro sarä. 

(Wir alle sind eine Familie und werden Brust an Brust kämpfen. 
Nicht mehr werden wir, solange unser Herz noch schlägt, 
ungerächt getretene Sklaven sein. Ob uns nun Tod oder Sieg 
erwartet, wir werden kämpfen, und das Blut der Erschlagenen 
wird den Lebenden neue Kühnheit und neuen Kampfesmut 
verleihen. Endlich erscheine, strahlend von Ruhm, ein neuer 
Tag, und unter den herrlichen Helden wird unsterblich auch 
unser Name glänzen.) 

Diese Worte wurden am 9. März 1844 im Teatro Alla Fenice 
von Venedig gesungen, in der Lagunenstadt, die das öster- 
reichische Joch so schwer fühlte. Was Wunder, wenn ein 
Sturm nichtendenwollenden Beifalls ausbrach und die Polizei 
die Oper verbot. In den italienischen Gebieten Oesterreichs 
besteht dieses Verbot bis auf den heutigen Tag. 

In derselben Oper gibt es auch einen Chor: „A Carlo Magno 
sia gloria ed onor!“ (Karl dem Großen Ruhm und Ehre!), 
der im Laufe der nationalen Kämpfe Italiens verschiedene 
Variationen erfuhr. Als im Jahre 1846 Papst Pius IX. die 
nationale Bewegung nicht nur zu erfassen und zu begünstigen 



GIUSEPPE VERDI. 




schien, sondern sogar die Idee eines unter seiner Herrschaft 
geeinigten Italiens auftauchte, da hieß es: „A Pio Nono sia 
gloria ed onor !“ Als aber dann diese Erwartungen enttäuscht 
wurden und die savoyische Königsdynastie immer deutlicher 
als die Erlöserin von der Fremdherrschaft auftrat, da wurde 
der Chor mit den Worten „A Carlo Alberto sia gloria ed onor !“ 
in ganz Italien gesungen. 

Auch „Die beiden Foscari“ und „Die Jungfrau von Orleans“! 
zwei längst vergessene Opern Verdis, unterstützten die Bestre- 
bungen nach der Befreiung Italiens, und endlich war es noch 
die im Jahre 1846 in Venedig das erstemal gegebene Oper 
„Attila“, die das italienische Nationalgefühl mächtig weckte. 
Als Ezio sang, gegen Attila gewendet: 

„Avrai tu l’universo, 

Resti l’Italia a me . , , 

(Mögest du das Weltall haben, bleibt Italien nur für juiich . . .) 
da brach das Publikum in Jubelrufe aus und wiederholte mit 
lauter Stimme: „Italien für uns! Italien für uns!“ Und dieser 
Ruf widerhallte bald in hundert Theatern der Halbinsel. 

In derselben Oper heißt es dann als Beteuerung der Oda- 
bella, der Heldin von Aquileia: 

„Ma noi, noi donne italiche, 

Cinto di ferro il seno, 

Sul fulgido terreno 
Sempre vedrai pugnar . . , 

(Doch uns, italische Frauen, die Brust mit Eisen umgürtet, 
wirst du auf dem herrlichen Boden immer kämpfen sehen . . .) 
Und später besingt Foresto die Leiden des Vaterlandes: 

„Cara patria, giä madre e reina 
Di possenti magnanimi figli, 

Or macerie, deserto, ruina, 

Su cui regna silenzio e squallor. 

Ma dall’alghe di questi marosi, 

Qual risorta fenice novella, 

Rivivrai piü superba, piü bella 
Deila terra e dell’orbe stupor! 

(Teures Vaterland, ehemals Mutter und Königin mächtiger 
hochherziger Söhne, jetzt Schutt, Wüste, Ruine in des düsteren 
Schweigens Verzweiflung ! Aber aus dem Sumpfe wirst du 
als neuer Phönix steigen und stolzer und schöner Wieder- 
aufleben, der ganzen Welt zum Staunen.) 

. Solche Prophezeiungen mußten die Italiener des „Risor- 
gimento“ freudig vernehmen. Sie mußten ihnen neuen 
Kampfesmut und Ausdauer schenken. Und so ist es wohl 
vollkommen berechtigt, wenn Italien in diesem seinem hun- 
dertsten Geburtsjahr nicht nur seiner genialen Schöpfungen 
auf dem Gebiete der Oper, sondern auch seiner als des Ton- 
dichters der nationalen Auferstehung dankbar gedenkt. 

„Viva V. E. R. D. I.!“ war der Kampfesruf der Italiener, 
die sich um die Fahne des piemontesischen Herrscher- 
geschlechtes, um König Viktor Emanuel scharten und das 
„Viva Verdi!“ als „Viva Vittorio Emanuele Re D'Italia!“ 
deuteten. Jetzt ist Italien geeinigt, stark und mächtig ge- 
worden, und so klingt das „Viva Verdi“ in diesen Tagen als 
Huldigung der Erkenntlichkeit für alles das Herrliche, das 
Italien dem Meister von Busseto schuldet. 


Aus der Heimat Verdis. 

Von EMIL THIEßEN (Mailand). 

I n dem Jahre, in dem nicht nur ganz Italien, sondern die 
gesamte musikalische Welt den 100. Geburtstag Verdis 
feiert, richten sich die Blicke aller Verehrer des großen 
Meisters der Melodie imwillkürlich nach jenem abseits von 
der breiten Heerstraße gelegenen Erdenwinkel, wo er das 
Licht der Welt erblickt hat, wohin er sich zurückzuziehen 
pflegte, wenn er Ruhe und Sammlung zu neuem Schaffen 
benötigte. 

Auf den gewöhnlichen Landkarten der Apenninenhalbinsel 
wird der Leser wohl vergeblich das Städtchen Busseto suchen, 
in dessen Bezirk, das Geburtsdorf Verdis Roncole und die 
Villa Sant’ Agata, der Landsitz des Tondichters, gelegen ist 
und das selbst für seine Entwicklung von so außerordentlicher 
Bedeutung gewesen ist. Denn hier empfing der kleine Giuseppe 
bei Ferdinando Provesi seine musikalische Ausbildung, hier 
fand er in dem Kaufmann Antonio Barezzi einen wahrhaft 
väterlichen Freund und Beschützer, der später sein Schwieger- 
vater wurde, von hier unternahm er im Jahre 1839 den kühnen 
Schritt, nach Mailand zu übersiedeln und die Aufführung 
seiner ersten Oper zu betreiben. 

Busseto ist eben viel zu klein, als daß es auf der in großem 
Maßstab ausgeführten Landkarte Italiens Platz finden könnte. 
Ein Städtchen, das jetzt gegen 3000 Einwohner zählt und zu 


Beginn des vorigen Jahr- 
hunderts nicht mehr als 
1000 Seelen gefaßt haben 
wird, kann man nur auf 
einer Spezialkarte von 
Norditalien auf treiben . Wer 
den Po von seiner Mün- 
dung gegen seinen Ursprung 
hin verfolgt, kommt an 
vielen kleinen Orten wie 
Ostiglia , Casalmaggiore, 

Viaaana vorbei und end- 
lich nach Cremona, wo ein- 
stens die berühmten Mei- 
ster der Geigenbaukunst 
ihre kleinen Wunderwerke 
schnitzten. Genau süd- 
lich von Cremona, in der 
Luftlinie etwa 1 5 km ent- 
fernt, in der fruchtbaren 
Ebene der Emilia,. liegt 
Busseto, im Mittelalter der 
Hauptort der Grafschaft 
des Geschlechtes der Pal- 
lavidni, in dessen Ge- Verdi, der Komponist der „Aida“ (1871). 
schichte es an blutigen 

Fehden und grausamen Kämpfen, an ränke vollen Verschwö- 
rungen imd mitleidslosen Plünderungen nicht mangelt . . . 

Jetzt ist es aber ein friedlicher Stapelplatz für die landwirt- 
schaftlichen Erzeugnisse seiner Umgebung geworden, und seit 
wenigen Jahren hat eine von Borgo San Donnino ausgehende 
Zweigbahn es dem großen Verkehre angeschlossen. Und doch 
zog ich es vor, die Dampftramway Parma — Busseto zu be- 
nutzen, als ich an einem schönen Maientage dieses Jahres 
beschlossen hatte, in die Heimat Verdis zu wallfahren. Demi 
die gemächlich dahinfahrende Straßenbahn, die fast immer 
der Chaussee nachgeht, bald zwischen grünen Feldern und 
üppigen Wiesen einherschleicht, bald ndtten in einem Dorfe 
halt, bietet dem Reisenden, der keine Eile hat, einen^viel 
interessanteren Einblick in die durchfahrene Gegend, als die 
Eisenbahn, die doch immer etwas außerhalb der Ortschaften 
ihren Schienenstrang gezogen hat. 

So fuhr ich denn erst nach Parma, der Hauptstadt jener 
Provinz, in der die Heimat Verdis liegt, und von dort mit 
dem kurzen Ziiglein der Dampftramway gegen Nordwesten, 
vorbei an sorgsam gepflegten Weizen- und Maisfeldern, in 



Der alte Meister Verdi. 
Verlag Hermann Reiser, Berlin. 



29 





der erste Stock drei Fenster. Die Mauern haben den Verputz 
beinahe völlig verloren, und so wird der Eindruck des Elends, 
das hier geherrscht haben muß, noch verschärft. Die Zimmer 
sind mit Ausnahme eines einzigen, wo der Hüter des Hauses 
wohnt, fast leer. Wir steigen die schmale Treppe hinauf und 
treten in ein Bodetlzimmer. Hier hat Verdi aas Eicht der 
Welt erblickt. Auf einem Tisch liegt ein Album für die Namen 
der Besucher. Ein paar welke Kränze, mit denen dem An- 
denken des Großen, der aus dieser niederen Hütte hervor- 
gegangen ist, gehuldigt werden sollte, hängen an den nackten 
Wänden, die gar nichts Charakteristisches zeigen. Von der 
Wohnungseinrichtung des Ehepaares Carlo und Euigia Verdi 
ist gar nichts erhalten geblieben ... 

So muß die Einbildungskraft nachhelfen und daran er- 
innern, wie zu Beginn des vorigen Jahrhunderts das junge 
Ehepaar in diesem Häuschen ein Wirtsgeschäft führte, m 
dem es auch Mehl, Zucker, Kaffee und andere Lebensmittel 
verkaufte, wie ihnen am io. Oktober 1813 ein Söhnlein be- 
schert wurde, das in der Taufe den Namen Giuseppe Fortunino 
Francesco erhielt, wie der kleine Verdi seinen Eltern in ihrem 
Gewerbe half und da unten in der Gaststube dem Spiele 
eines herumziehenden Geigers lauschte. Hier stand wohl das 
alte Spinett, das Verdis Vater in einem Nachbardorfe er- 
standen hatte und auf dem der Knabe so fleißig übte, daß 
der Klavierstimmer Stefano Cavaletti aus Busseto für die 
Ausbesserung des Instrumentes kein Geld annehmen wollte, 
als er ihn hatte spielen hören. 

Während aber die Gedanken in die Vergangenheit zurück- 
fliegen, mahnt das Pfeifen der I/okomotive an die Gegenwart. 
Wir werfen noch einen Blick auf das Gotteshaus, auf dessen 


Verdis zweite Gattin, die ehemalige berühmte Sängerin 
Giuseppina Strepponio. 

deren Mitte Maulbeerbäume grünen, durch nette Dörfer, 
von denen sich eines, Fontanellato, einer Wallfahrtskirche 
rühmt, zu der Leute von weit und breit her pilgern . . . Der 
Fahrgäste gibt es nicht viele, und die beiden Schaffner mischen 
sich vertraulich unter sie und plaudern gemütlich über die 
kleinen Sorgen des Lebens. Aber auch auf Verdi fällt das 
Gespräch. Der alte Oberschaffner hat den Meister noch 
persönlich gekannt und erzählt von seiner Schlichtheit und 
Herzensgüte, von seiner Tüchtigkeit als Landwirt und von 
seiner Abneigung gegen die Leute von Busseto, die gegen ihn 
eine unwürdige Hetze veranstaltet hatten, als der Meister 
mit Giuseppina Strepponi schon vor ihrer Ehe in Villa Sant’ 
Agata zusammenlebte, was den Frommen der Stadt ein fluch- 
würdiger Greuel zu sein schien. 

So vergeht die zweistündige Fahrzeit recht rasch, und fast 
unmittelbar vor dem Geburtshaus Verdis hält der Zug. Es 
ist ein recht ärmliches Dörfchen, dieses Roncole. Eine sehr 
bescheidene Kirche und ein paar Häuser, im ganzen vielleicht 
100 Einwohner! Der freundliche Zugführer setzt sich über 
die Pedanterie des Fahrplanes hinweg, Maschine und Wagen 
warten geduldig, während wir das Häuschen besichtigen, 
das vor einigen Jahren zum Nationaldenkmal erklärt worden 
ist. Ein Heckenzaun umgibt es, den ein paar Weidenbäume 
überragen. Das Erdgeschoß zeigt_drei^Fenster und eine Türe, 


Orgel der Knabe ein paar Jahre lang jeden Sonntag gespielt 
hatte, und dann geht’s weiter nach Busseto. Das freundliche 
Landstädtchen hat nicht viel Besonderes zu zeigen. Die 
Straßen sind breit und reinlich, die Häuser haben vielfach 
die gemütlichen Lauben mitteldeutscher Städte. Trotzig 
ragt von einem Hügel die Burg der Pallavicini empor, und 
Reste von Stadtmauern gemahnen an die bewegte kriegerische 
Vergangenheit von Busseto. Ein „Teatro Verdi“ gibt es auf 
dem Hauptplatz des Städtchens. Von außen gesehen macht 
es aber, mit seinen Zinnen und Türmen, den Eindruck eines 
feudalen Schlosses und nicht den einer Kunststätte. Hier 
wird dem Meister, den italienische Musikschriftsteller auch 
den Schwan von Busseto genannt haben, ein Denkmal er- 
richtet . . . 

Dort, wo die letzten Häuser des Ortes stehen, ist in einem 
freundlichen Garten eine Villa verborgen. Verdis Großnichte. 
Frau Maria Carrara- Verdi, wohnt hier, und liebenswürdig 
empfängt sie den Fremden, der um die Erlaubnis bittet, des 
Meisters Tuskulum Sant’ Agata besichtigen zu können. Ein 
Wagen bringt mich in einer schwachen halben Stunde dahin, 
und ein sympathischer Alter öffnet mir die Pforte. 

Die Natur hat dieser Gegend keinen besonderen Reiz ver- 
liehen. Die Ebene ist eintönig und bietet eigentlich nur dem . 
Landmanne, der die Fruchtbarkeit des Bodens zu schätzen 
weiß, ein besonderes Interesse. Weizen- und Maisfelder, 
Maulbeerbäume dazwischen, hier und da Weinreben, die sich 
an Bäumen hinaufranken, lange Pappelreihen. Das ist das 
Landschaftsbild, das der ganzen Emiha gemeinsam ist. Aber 
Verdi hat von diesem Ackerland im Jahre 1849 ein ansehn- 
liches Stück erworben, auf ihm eine- Villa erbaut und einen 



Park gepflanzt, dessen Bäume in den 64 
Jahren seines Bestandes herrlich empor- 
gewachsen sind. Die ganze Anlage er- 
innert an jene prächtigen Edelsitze Alt-Eng- 
lands, auf denen der britische Aristokrat 
haust, um selbst die Leitung der Feld- 
arbeiten zu überwachen. Verdi hat eben 
seine Abstammung von 'Landleuten nie ver- 
leugnet. Die Freude am Grundbesitz und 
seiner Bewirtschaftung, die Befriedigung 
über den guten Ausfall der Ernte blieben 
Verdi treu, auch nachdem er schon die un- 
geheuren Erfolge als Komponist des „Rigo- 
letto“ und des „Troubadour“ davongetragen 
hatte. 

Der praktische Sinn, der den Landwirt 
auszeichnet, kommt in der Außenarchitek- 
tur der Villa und in ihrer Inneneinrichtung 
zur Geltung. Schmucklas ist die Fassade 
und die Möbel sind einfach. Wären nicht 
die zahlreichen Noten- und Bücherschränke, 
könnte man glauben, in dem Landhause 
eines wohlhabenden Bürgers zu sein. Im 
Erdgeschosse befinden sich die Schlafzim- 
mer Verdis und seiner Gemahlin, die vier 
Jahre vor ihm gestorben war. In Verdis 
Schlafzimmer steht noch der Schreibtisch, 
an dem er mit Vorhebe zu arbeiten pflegte. 
Ein Baldachin aus gelber Seide überragt 
das Bett, an das sich ein Bücherschrank 


Verdis Geburtshaus im Dorfe Roncole bei Busseto. Nach einer Zeichnung" der Seena iilustrala. lehnt, der Verdis Lieblingsbücher enthält. 


30 


Dantes Göttliche Komödie, die Bibel, Shakespeares Dra- 
men, Miltons Verlorenes Paradies, Schillers Werke, Wagners 
Prosaschriften und andere Bücher, die hier vereinigt sind, 
mögen den Meister gar oft unterhalten haben, wenn er es nicht 
vorzog, sich an seinen Flügel zu setzen, der auch in diesem 
geräumigen Zimmer seinen Platz gefunden hat. Pis fehlt 
hier auch nicht an interessanten Kunstgegenständen, an 
Gemälden, Handzeichnungen und plastischen Werken. Am. 
meisten fesselt wohl die Verdi-Buste des neapolitanischen 
Bildhauers Gemito, die etwas Monumentales an sich hat . . . 

Neben dem Schlafzimmer befindet sich die Garderobe, in 
der auch Glasschränke mit einer reichen musikalischen Biblio- 
thek stehen. Nicht nur Beethoven und Mozart, auch Wagner, 
Goldmark, Mascagni, Puccini, Leoncavallo sind in ihr ver- 
treten. Dann gibt es einen eleganten Salon, ein gemütliches 
Speisezimmer, einen Billardsaal, ein Bibliothekszimmer und 
eine kleine Kapelle, wo Meister Verdi jeden Sonntag Messe 
lesen ließ. Ueberall atmet der Geist der Einfachheit und der 
Harmonie, und man fühlt es, daß hier ein Mann geweilt hat, 
der trotz den großen äußeren Ehren, die ihm zuteil geworden 
waren, immer bescheiden geblieben ist. 

Tritt man dann hinaus in den ausgedehnten Park mit seinen 
schattigen Alleen, mit seinen Grotten und Teichen, da glaubt 
man ihn vor sich zu sehen, den stattlichen alten Mann in 
seinem bequemen Anzug, den demokratischen Schlapphut auf 
dem Kopfe, dem so viele herrliche Melodien entsprungen sind, 
die die Herzen von Millionen Menschen heute noch ebenso 
lebhaft erfreuen wie damals, als sie zum ersten Male gesungen 
winden. Und man empfindet tiefe Dankbarkeit gegenüber 
dem Genius, der sie geschaffen, und verläßt bewegt die Stätte, 
wo seine Pleimat gewesen, an der er mit rührender Treue hing, 
zu der er immer wieder zurückkehrte, wenn er sich nach dem 
friedlichen Leben des Dorfes, nach der Berührung mit der 
Natur sehnte, wenn er sich zu neuer schöpferischer Tätigkeit 
sammeln wollte. 


Verdis Persönlichkeit und künstlerische 
Anschauungen in seinen Briefen. 

D ie Stadt Mailand, in der Verdi seine höhere musikalische 
Ausbildung erhalten hat, in deren Scalatheater seine 
erste Oper aufgeführt worden ist, die dem großen Ton- 
dichter eine zweite Heimat wurde, hat ihm nicht nur ein herr- 
liches Denkmal getürmt, sondern bei seinem ioo. Wiegenfeste 
eine Sammlung bisher zum allergrößten Teile unveröffent- 
lichter Verdi-Briefe herausgegeben, die des Meisters Person- 
lichkeit und künstlerische Anschauungen getreulich wider - 
spiegeln. Es sind dies nicht Briefe, die sich durch einen reinen 
Zufall erhalten haben, sondern solche, die Verdi selbst der 
Eintragung in ein eigens für diesen Zweck angelegtes Buch 
würdig erachtet hatte. Fünf solcher Bücher haben sich im 
Nachlaß des Meisters gefunden, deren Inhalt von 1844—1901 
reicht, also 57 Jahre seines Lebens umfaßt. In gewisser Weise 
hat also Verdi seinen Briefwechsel für die. Herausgabe schon 
vorbereitet. — Vor Verdis Tode wußten 
nur wenige seiner Vertrauten von der 
Existenz dieser „Copialettere“, und es 
ist das Verdienst des Mailänder Advo- 
katen Umberto Campanari, des Testa- 
mentsvollstreckers' des Tondichters, die 
Anregung gegeben zu- haben, die inter- 
essantesten dieser Briefe zu einem statt- 
lichen Bande zu vereinigen und sie zur 
Feier des heurigen Jahres als willkom- 
mene wertvolle Gabe dem großen Publi- 
kum zu bieten. Die Kosten der Her- 
ausgabe trägt die Stadt Mailand, die 
musikgeschiditliche Sichtung des so 
überreichen Materials, das fünf Bände 
füllen würde, hat der Schriftsteller Gae- 
tano Cesari besorgt. . 

Erst am 10. Oktober wird der 600 Sei- 
ten starke Band der Oeffentlichkeit über- 
geben werden- (diese Zeilen wurden Ende 
September geschrieben, Red.). Aber 
Alessandro Luzio, der bekannte Histo- 
riker des „Risorgimento“, hat schon 
dieser Tage im „Corriere della Sera“ 
einige interessante Indiskretionen über 
das zu erwartende Buch enthüllt, die 
den Schluß erlauben, daß sich Verdis 
Persönlichkeit und künstlerische An- 
schauungen in seinen Briefen getreulich 
spiegeln, daß der Blick in seine Intimi- 
tät, den sie gewähren werden, sicher- 
lich dazu beitragen wird, den Meister von 


Busseto noch höher zu schätzen und tiefer zu verehren. Wir 
lernen Verdi in der Lektüre seiner Briefe als mutigen Käm- 
fer kennen, als Mann von Rückgrat, der seinen Kopf nicht 
eugt, als zärtlichen Freund, als Verächter des augenblick- 
lichen Erfolges, als feinsinnigen Künstler, dem seine Kunst 
weit höher steht als alles andere. 

Einer der ersten Briefe des Buches stammt aus dem Jahre 
1845 uttd beginnt mit einer Art Aufschrei „Uns Künstlern ist 
es niemals gestattet, krank zu sein!“ Es war die Zeit, in der 
die Theaterdirektoren von dem Komponisten mit derselben 
Barschheit die Lieferung der Partitur verlangten, mit der 
der Kunde eines Schuhmachers die Fertigstellung eines Paars 
Stiefel betreibt. Verdi mußte sich damals ein ärztliches 
Zeugnis ausstellen lassen, das besagte, er sei so krank gewesen, 
daß er ohne Lebensgefahr an der Vertonung eines Opern- 
buches nicht hätte arbeiten können. 

Mit seiner zunehmenden künstlerischen Reife vertiefte sich 
Verdi immer gründlicher in den Charakter seiner Gestalten, 
um seine Musik ihnen genau anzupassen. Bezeichnend hierfür 
ist ein Brief, worin Verdi seine Lady Macbeth charakterisierte. 
In einer Zeit, in der das Publikum von den Sängern nichts 
als die Schönheit des Gesanges verlangte, wollte der Meister 
diese Rolle nicht der Sängerin Tadolini anvertrauen, weil 
sie zu vollkommen singe. Ihre Stimme habe etwas Himm- 
lisches, während die Mörderin Königs Duncan eine rauhe, 
düstere, halb erstickte, ja geradezu teuflische Stimme haben 
solle. Und während der Stürme der Revolution des Jahres 
1848 schreibt er aus Paris Betrachtungen über die Bühnen- 
darstellung des Jago, die beweisen, wie ihn schon damals 
jenes Drama Shakespeares fesselte, das er so viele Jahre 
später in Musik setzte. 

Einen breiten Platz in den Briefen nimmt der Kampf gegen 
die Zensur ein, die nicht nur in Venedig und Mailand, sondern 
auch in Neapel und Rom mit der klaren Absicht ausgeübt 
wurde, jede revolutionäre oder als solche verdächtige Wen- 
dung zu unterdrücken. „Rigoletto“ sollte im Herbst 185g 
in dem venezianischen Teatro La Fenice aufgeführt werden. 
Natürlich war der österreichischen Zensur schon die Tatsache 
verdächtig, daß die Grundidee des Buches dem Drama „Le 
roi s'amuse“ von Victor Hugo entnommen war. Die Prüfung 
des Textes bestätigte die vorgefaßte Meinung, und in dem 
ablehnenden Bescheid des Militärgouverneurs von Venedig 
hieß es, es sei höchst bedauerlich, daß der Dichter Piave 
qnd der berühmte Meister Verdi kein besseres Feld für ihre 
Talente hätten finden können, als in 'einer abstoßenden Un- 
sittliehkeit und unzüchtigen Plattheit, wie sie der Inhalt des 
Buches „Die Verwünschung“ darstelle. Nun kam es zu lang- 
wierigen Unterhandlungen zwischen Zensurbehörde und den 
beiden Urhebern der Oper, und endlich wurde, wie bekannt, 
Franz I. in einen anonymen Herzog von Mantua und der Titel 
der Oper in „Rigoletto“ verwandelt. Aber den Schriftrichtern 
kamen noch im letzten Augenblicke ästhetische Bedenken 
wegen der buckligen Gestalt des Titelhelden und wegen des 
Sackes mit dem blutigen Leichnam, vor dem Rigoletto im 
letzten Aufzug zu singen hat. Auch diese Schwierigkeiten 
wurden besiegt, als plötzlich der Gatte der Primadonna, die 
die Gilda zu singen hatte, verlangte, daß Verdi ihrer Partie 
eine Bravourarie hinzufüge. Da gab aber Verdi nicht nach, 
und alle waren zufrieden, als der Triumph das Werk krönte. 



Verdis Villa Sant’ Agata. . Nach einer Zeichnung der Seena illustrata. 


31 



Sine V«rdi-Büste in Trient. 

Bildhauer Davide Rigatti. {Text siehe S* 41.) 

Auch sonst zeigte Verdi stets, wieviel ihm an der Würde 
der Kunst gelegen sei, und über dieses Kapitel geriet er wieder- 
holt in Streit mit seinem Verleger, dem er zum Beispiel in 
einem Briefe des Jahres 1874 ernstlich vorwarf, die würdige 
Aufführung seiner Opern nicht genügend überwacht zu haben. 
Er schrieb ihm: „Du solltest nicht ausschließlich die Material- 
miete, den Gewinn im Auge haben, weißt Du es ja nur zu gut, 
daß ich gegen jede Herabsetzung der Kunst Einspruch erhebe. 
Täte ich aas nicht, was wäre ich ? Ein Arbeiter, ein Tag- 
löhner, der seine Ware zum Besteller trägt, der ihn nach 
Belieben ausbeutet. Nein, das will ich nicht. Hätte ich den 
Musikkaufmann machen wollen, so hätte mich niemand 

f ehindert, nach der „Traviata“ alljährlich eine Oper zu schrei- 
en und mir ein dreimal größeres Vermögen, als ich es habe, 
zu erwerben! Aber ich habe andere Anschauungen von der 
Kunst (das beweist die Sorgfalt, mit der ich meine' letzten 
Opern ausgeführt habe) und hätte etwas Vollkommenes ge- 
leistet, wenn ich nicht Widerstand oder wenigstens Gleich- 
gültigkeit überall und bei allen begegnet wäre.“ 

Sogar noch während der Vorbereitung seines letzten Werkes, 
des „Falstaff“, hatte Verdi gegen die Vernachlässigung seiner 
szenischen und musikalischen Vorschriften zu kämpfen. Er 
mußte der Leitung des Mailänder Scalatheaters geradezu mit 
der Zurückziehung der Aufführungsermächtigung drohen, um 
durchzusetzen, daß „Falstaff“ ungestrichen aufgeführt werde. 

Verdi besaß ein stark ausgebildetes italienisches National- 
gefühl und vertrat immer wieder den Standpunkt, daß Italien 
auch in der Musik seinen eigenen Weg gehen solle, den ihm 
Palestrina und Marcello gewiesen hätten. So schreibt er an 
Hans v. Bülow, der ihm seine aufrichtige Bewunderung aus- 

f esprochen hatte, daß Italien einst eine große Schule gehabt 
abe, die sich aber jetzt nicht mehr rein erhalten habe und 
zugrunde zu gehen drohe. Palestrina sei der wahre Vater der 
italienischen Musik ... 

Aber Verdi ist gegen die reformatorische Tätigkeit Richard 
Wagners absolut nicht eingenommen. In einem Briefe vom 
10. Juli 1871 erkennt er die Nützlichkeit der szenischen Neue- 
rungen des Meisters von Bayreuth an und tritt auch für die 
Unsichtbarkeit des Orchesters ein. Auch gegen die Ein- 
richtung der Proszeniumslogen plädiert er, sei es doch ein 
lächerliches Schauspiel, neben Herren in schwarzem Frack 
und weißer Krawatte ägyptische, assyrische, römische Trachten 
auf der Btilme zu sehen. Dieser Ruf des Komponisten der 
„Aida“ könnte aber auch heute noch ertönen, da die Unsitte, 
die er tadelt, noch immer weiter besteht, da eben die italienischen 
Operntheater aus einer Zeit herrühren, in der man an solchen 
„Kleinigkeiten“ keinen Anstoß nahm. 


Ein herrliches Denkmal der Pietät gegen Verdis großen 
Nebenbuhler ist der Brief, den Verdi einem seiner besten 
Freunde im Februar 1 883 unter dem Eindrücke der Nachricht 
vom Tode Wagners schreibt. Er lautet: 

„Trauer, Trauer, Trauer! 

Wagner ist tot! Als ich gestern die Depesche las, war ich 
geradezu erschreckt. Keine Diskussion! Eine große Indi- 
vidualität verschwindet! Ein Name, der eine mächtige Spur 
in der Geschichte der Kunst zurückläßt!“ 

Ganz anders wirkt die französische Schule auf ihn ein. 
Einem Franzosen gesteht er offen: „Ich bin kein Tondichter 
für Paris. Ich weiß es nicht, ob ich dazu die Begabung habe, 
aber das weiß ich, daß meine Ansichten über die Kunst von 
den euren grundverschieden sind. Ich glaube an die Eingebung, 
ihr glaubt an die Mache. Euren Maßstab lasse ich für die 
Erörterung zu, aber ich will die Begeisterung, die euch fehlt, 
um zu fühlen und zu urteilen. Ich will die Kunst in allen ihren 
Aeußerungen, nicht die Unterhaltung, den Kunstgriff und das 
System, dem ihr den Vorzug gebet. Habe ich unrecht oder 
recht. Wie dem auch sei, habe ich die Berechtigung zu sagen, 
daß meine Anschauungen von den euren grundverschieden 
seien, und ich füge noch hinzu, daß ich kein so geschmeidiges 
Rückgrat habe, um nachzugeben und meine tief eingewurzelten 
Ueberzeugungen zu verleugnen.“ 

Andere Briefe zeigen uns Verdi als nachsichtigen und dank- 
baren Freund, der imstande ist, seiner Freundschaft wirkliche 
Opfer zu bringen. Auch seinem Verleger Ricordi ist er in 
schweren Zeiten durch die Gewährung bedeutender Darlehen 
beigesprungen, wie er der Witwe seines französischen „Editeur“ 
selbstlos eine bedeutende Unterstützung zukommen läßt, 
obgleich ihn die Nachlässigkeit des Verstorbenen in einen 
sehr peinlichen Prozeß verwickelt hatte. 

Aut dem Gebiete der Wohltätigkeit kannte aber Verdi nur 
ein großes Ziel, die Schaffung des Altersheims für Musiker, 
dem er so freigebige Zuwendungen machte, daß er für die 
unzähligen Bettelbriefe, die er täglich erhielt, grundsätzlich 
kein Geld hatte. Er beantwortete sie seit dem Jahre 1895 
mit einem gedruckten Rundschreiben : „Wegen Verpflich- 
tungen, die ich in meinem Orte und auswärts auf mich ge- 
nommen habe, erlauben mir meine Einkünfte nicht, weitere 
Ausgaben zu machen.“ Trotzdem liefen aber immer noch 
Bittgesuche ein. So verlangte ein florentinisches Komitee 
einen Beitrag für die Erneuerung der Kirche S. Maria del 
Fiore und für die Errichtung eines Dante-Denkmals in diesem 
herrlichen Gotteshause. Verdi antwortete: „Mein Herr! 

Sie verlangen, ich solle das Versäumte gutmachen, das heißt 
meinen Beitrag für • ein Dante-Denkmal senden ? Dante hat 
sich selbst ein Denkmal errichtet von solcher Höhe, daß ihn 
niemand erreicht. Erniedrigen wir ihn nicht mit Kundgebungen, 
die ihn auf die Stufe von so viel anderen, auch Mittelmäßigen 
stellen. Jenem Namen gegenüber wage ich keine Hymnen 
anzustimmen: ich neige mein Haupt und verehre schweigend.“ 

Diese schlichte, allen Ueberschwänglichkeiten abgeneigte 
Natur würde sich, könnte sie es, gegen alle die prunkvollen 
Festlichkeiten und Denkmalsenthüllungen mit aller Ent- 
schiedenheit wehren. Aber die Veröffentlichung seiner Briefe 
als würdige Art, sein Andenken zu feiern, würde Verdi sicher- 
lich gutheißen. Denn sie bringt den großen Meister der Melodie 
unserem Herzen näher, indem sie zugleich unsere Bewunderung 
seiner Begabung und seiner Genialität verstärkt. M — e. 


O, wie so trügerisch . . . 

Musikalische Novellette von LEONHARD SCHRICKEL. 

E s war ein rechter Herbsttag voll sonniger Pracht und 
Strömen yerglühender Farben, der unter dem hohen, 
klarblauen Novemberhimmel Oberitaliens durch das 
Land zog. Tausende fröhlicher Gesellen und lachender Dirnen 
hätten nicht übel zu ihm gepaßt, aber die Wege waren gar 
still und verlassen und selbst auf der malten Heerstraße, die 
von Mailand nach Piacenza führt, marschierte meilenweit 
nur ein einzelner Wanderer. Ihm freilich schien die Einsam- 
keit zu behagen oder völlig unbemerkt zu bleiben; eine derbe 
Ledertasche umgehängt, aus der eine Notemolle steif hervor- 
stand, und den breitkrämpigen Hut in der Hand, zog er leicht- 
bepackt genug fürbaß und ließ sich die Welt so recht aus dem 
Fundament gefallen. Genoß inmitten des Unfriedens und 
Aufruhrs der Welt — es hatte 1850 geschlagen! — den Frieden 
der Stunde und den Glanz des hellen, lusttrunkenen Tags, 
wie es nur einer vermag, der selber die Seele voll Frieden 
und Heiterkeit hat. Und daran fehlte es dem frohgestimmten 
Manne scheinbar nicht, der niemand anders war als — Giuseppe 
Verdi. 

Gestern noch hatte ihm eine schwere, grausame Last auf 
dem Herzen gelegen. Immer, arbeitsam von Jugend auf, 
immer schaffensbereit, hatte er von seinem getreuen Piave 


32 


einen neuen Operntext erhalten: „Rigoletto.“ Ein Werk, 
das verheißungsvoller, gewaltiger war als alle, denen er bisher 
den rauschenden, glühenden Odem seiner Kunst eingehaucht. 
Aber mit so viel Lust und Hingabe er das Libretto auch ge- 
lesen, in ihm war es totenstill geblieben. Nichts, nichts hatte 
sich in seiner Brust geregt und kein einziger voller Akkord 
war aufgeklungen. 

Als wäre seine Seele tot. Als wäre seine Kraft verbraucht; 
der springende Quell seiner Melodien jählings versiegt . . . 

Doch Manzoni, Italiens Dichter, den er für ein Stündchen 
in seinem schmucken, weinumrankten Landhaus besucht, 
hatte ihm seine Schwermut und aufkeimende Verzweiflung 
alsbald weggelacht. 

„Was!“ hatte der fünfundsechzigjährige, das Leben noch 
immer so überlegen meisternde Meister ausgerufeu. „Mit 
37 Jahren wegen einer unfruchtbaren Stunde den Mut 
verlieren ? Der Mann, der sich vom Dorforganistenlehrling 
emporgearbeitet, daß ihm ganz Rom noch vor einem Jahr 
zu Füßen gelegen, seine .Battaglia di Legnano' imerhört be- 
jubelnd ? Hinaus in den Herbst, Maestro ! Gewandert, ge- 
wandert! und wir werden in wenigen Monden den Rigoletto 
haben." 

Und zuversichtlich und leichtbeschwingt war Verdi von 
dem jugendstürmischen, ergrauten Meister geschieden. 

Nun also war er jener Last ledig und doppelt dem prunken- 
den Tage hingegeben. 

Sein Ziel war Busseto, jenseits Piacenza, nach Parma 
hinunter. Busseto, in dessen Nähe sein kleines, enges Heimat- 
dörfchen Roncole lag, wo sein Vater vordem eine armselige 
Herberge betrieben. Das war lange her — und von seinen 
Lieben niemand mehr am Leben. Auch sein Weib und seine 
beiden Kinder lagen längst in der kühlen Erde, dahingerafft 
alle drei in wenigen Wochen nach einem viel zu kurzen Glück. 

Ihnen galt sein Weg. Seinen Toten wollte er in Busseto, 
der Heimat seines Weibes, eine Grabstätte erwerben, wie die 
Heimgegangene es auf dem Sterbelager von ihm erbeten. 

Fünfzehn Jahre — ihn schauderte mitten in seinem heiteren 
Wandern, wie er’s jetzt überdachte — , fünfzehn lange, ehr- 
lich durchkämpfte Jahre hatte er den Wunsch unerfüllt ge- 
lassen. Lassen müssen! Hatte geschafft und geschafft 
ohne Rast, gespart und gespart ohn’ Erbarmen, hatte sich 
Erfolge erzwungen und hatte Niederlagen erduldet — und 
endlich, jetzt endlich war er der Mann, der die Kosten der 
Ueberführung von Mailand nach Busseto und der würdigen 
Beisetzung zu bezahlen vermochte. Es ward eine späte Er- 
füllung, aber es ward doch eine! Und auch das stimmte 
ihn froh. 

Eine halbe Tagereise vor Piacenza lag hart an der Straße 
eins jener echt italienischen Wirtshäuser, die immer aussehen, 
als seien sie verlassen und dem Verfall preisgegeben. Da er 
müde und durstig war, trat er durch die niedrige Tür in den 
dunkeln, kühlen Flur, in dem ein steinerner Tisch und zwei 
altertümliche Holzstühle der einkehrenden Fuhrleute oder 


sonstigen Gäste harrten. 

Verdi hing seine Ledertasche ab, sorgfältig die Notenrolle 
schonend, und klatschte in die Hände. 

„Holla! Heda!“ 

Rief ’s, daß es im Hause widerhallte, und rief ’s vergeblich. 
Schritt er zur nächsten Tür und klopfte kräftig dagegen. 
Umsonst. Das Haus lag wie ausgestorben. Er versuchte die 
Tür aufzustoßen, gewaltsam aufzudrücken. Vergebens. Da 
langte er mißgestimmt wieder nach seiner Tasche, als ihm 
beifiel, daß er auch unterwegs keiner Seele begegnet, was 
ihm jetzt denn doch seltsam erschien. Und wie um sich das 
Rätsel lösen zu lassen, rief er mit schallender Stimme aber- 
mals in die Stille: 

„Heda! Hoioo!“ 

„Signore ?“ . 

Eine menschliche Stimme. Und hinter ihr her: ein wohl- 

f estalt Mädchen von 17, 1 8 Jahren etwa. Scheu trat es aus 
em Dunkel hervor, Schritt um Schritt in einer Haltung, als 
verberge es eine wohlerprobte Klinge in den Falten des zwar 
ärmlichen, aber sauberen Rockes. 

Der Durstige, der sie herbeigelärmt, schaute sie überrascht 
an, ohne auf ihre Frage gleich eine Antwort zu finden oder 
auch nur zu suchen, denn er war vollauf damit beschäftigt, 
die Schöne zu betrachten und sich ihrer Anwesenheit zu ver- 
sichern, vielleicht auch, sich arf der schlanken, ebenmäßigen 
Gestalt und dem offenen, ernsten Gesicht mit den tiefscliwarzen 
Augen und den vollen, kirschroten Lippen zu erfreuen. 

Sie aber schien voller Ungeduld und frug fast barsch: 
„Was soll’s mit Buch hier, Signore ?“ 

„Komm ich als Gast ungelegen ?“ gab der Befragte auch 
nicht eben höflich zurück. 

Indessen schien sie sich nicht aufs Antworten entlassen zu 
wollen, musterte ihren Mann vielmehr eine Weile schweigend 
von oben bis unten, und als sie dabei seine auf dem Tisch 
liegende Tasche gewahrte und die Notenrolle dazu, spielte 
ein leises Lächeln um den erst so strengen Mund.. 

„Italiener ?“ frug sie alsbald gar artig und gar nicht menr 
feindselig. Statt aller Antwort zog er seine Notenrolle aus 


der Ledertasche und reichte sie ihr hin, deren Argwohn ihm 
jetzt erklärt war. Sie mochte ihn für einen Spion oder land- 
streichendeu Toskaner gehalten haben, derlei Leute das Land 
durchschlichen als abgesagte Feinde des freien Italien. 

Als sie mm aber das Blatt überflogen hatte und dabei auf 
seinen Namen gestoßen war, schaute sie ihn mit hellen 
Blicken an. 

„Seid Ihr . . . ?“ 

„Verdi !“ 

Da faßte sie jählings seine Rechte, küßte sie stürmisch und 
zog ihn, seine Tasche ergreifend, hastig mit sich fort. 

Durch den Flur ging's hastduniehtgeselien ins Dunkel eines 
fensterlosen, engen Raumes und von da durch eine schmale 
Tür über eine schlechtgezimmerte Treppe in eine stille, nur 
durch ein kleines Dachfenster erhellte Kammer, in der sich 
nichts befand als ein notdürftiges Lager. 

Hier erst hielt sie ein, nachdem sie die Tür sorgfältig ver- 
riegelt, und ließ den Ueberrumpelten zu Atem kommen. 

„Still, still!“ warnte sie jedoch, als er mm den Mund auftat, 
seinem Staunen und Wissensbedürfnis Worte zu leihen. „Dem 
Himmel sei Dank und Lob tausend mal tausendmal, daß er 
Euch wie den Blinden über das Brückenseil bis in dies Haus 

f efiihrt hat. Die Straße ist seit Morgengrauen von streifenden 
Sariditen umlungert, die alles verschleppen, was sie greifen 
können. Still! Leise, leise!“ — Sie brach ab und lauschte 
mit angehaltenem Atem und fuhr dann hastig fort: „Wo sie 
einen Italiener fassen, werfen sie ihn auf ihre Wagen oder 
Pferde und liefern ilm den Feinden unserer heiligen Sache 
in ihre grausamen Gefängnisse.“ 

Und nun kam eine bittere Klage über die Not des Landes 
und ein flammend begeistertes Hoffen und Sehnen, Wollen 
und Wünschen zutage, eine unerschöpflich quellende Liebe 
und ein starker, undämmlicher Haß, kurz: all das glühende 
Leben, das in den Herzen der Vaterländischen jener Jahre 
wogte und brauste. 

Das Mädchen, das als Giovanna in jener Gegend bekannt 
war, setzte Leben und Gut aufs Spiel, Seele und Seligkeit 
für ihr Italien. Was Wunder, wenn sie Verdi jetzt mit fort- 
riß, der ja auch ein „Italiener“ war, wie die Losung damals 
hieß. Und einer, dessen Name von Mund zu Munde flog in 
den Reihen der Treuen, war der Ruf: „Viva Verdi!“ doch 
zur Parole aller Kämpfenden geworden. 

Vom Strom ihrer lodernden Begeisterung ergriffen, umarmte 
er Giovanna brüderlich, die sich fest an seine Brust schmiegte. 



Statue Verdis itn Scala-Theater zu Mailand. 
Aus Perinellös Biographie. 


33 



FRANCESCO TAMAGNO, der erste Othello. 


„Viva Verdi!“ und sie verstanden beide, was es bedeuten 
sollte 1 . 

Seiner so frühen und für die Ränkespinner so gefährlichen 
Volkstümlichkeit wegen hätte Verdi eine Begegnung mit 
denjnie zu fassenden Banditen verhängnisvoll werden müssen, 
denn daß die Feinde Italiens für den „Maestro della rivoluzione 
italiana“, wie er öffentlich gepriesen wurde, eine besonders 
gute Kopfsteuer zahlen würden, wer hätte es bezweifeln 
mögen ? 

Drum verbarg ihn Giovanna jetzt auch doppelt achtsam. 

Verdi trug die Haft mit Widerstreben zwar, jedoch nicht 
aufbegehrend, denn die holdeste Gesellschafterin teilte ja 
diese Abgeschiedenheit mit ihm; saß neben ihm auf dem 
dürftigen Lager, erzählte und prophezeite, lachte und weinte, 
war sanft und zügellos wild und sorglich, sorglich wie . ein 
Mütterchen. Und in allem war sie schön. Weiß Gott, der 
Häftling, der sie bald beschwichtigte, bald in ihren Jubel 
einstimmte, ihre kleinen, energischen Hände liebkoste und 
die vor Leidenschaft glühenden Wangen küßte, hätte am lieb- 
sten selber als ein Bandit auftreten und das tapfere, liebliche 
Kind in sein häusliches Gefängnis nach Mailand entführen 
mögen. 

Aber an Liebschaften dachte Giovanna nicht. Als die 
ersten Sterne über ihnen herauf zogen, verließ sie ihn. 

„Ich will hinab und aus der Türe spähen. Ein Stück Wegs 
bis zur Brücke lauf ich auch erst noch hinunter. Gewahr 
ich nichts, mögt Ihr reisen.“ 

Umsonst suchte Verdi sie zurückzuhalten, ihr alle möglichen 
Gefahren ausmalend und sie mit den Spähern schreckend. 
Sie schlug seine Befürchtungen in den Wind, denn: 

„Ich verstehe mich auf Pirschgänge besser als sie und hab 
schon manchen der Unsern durch ihre Postenkette gepascht.“ 

„Und wenn sie dich dennoch erhaschten, Giovanna ?“ 

„Sie werden längst wieder in ihre Löcher gekrochen sein, 
denn jetzt müssen sie nun schon unsre Soldaten fürchten, 
die man den Schändlichen inzwischen wohl auf die Spur 
gesetzt haben wird.“ Winkte ihm zu und war davon. 

Verdi fand sich allein und nun hatte er Zeit und Anlaß 
seiner seltsamen, nie vorgeahnten Lage inne zu werden. Gott 
ja, er hatte schon mancherlei erlebt und viel krauses Zeug 
erfahren, aber nichts schien ihm dem Gegenwärtigen vergleich- 
bar. Freilich waren die Zustände im Lande auch schlimmer 
denn je, die Fäden der Tage liefen wirr durcheinander, nichts 
war vorauszusehen,, nichts abzuwenden. Man mußte den 
Schritt auf gut Glück wagen und das Seine tun, gleichviel, 
ob man die Flinte schulterte oder auf andere Art dem Italien 
der Zukunft diente. 

Und auch er wollte sich als ein Sohn seines Volkes be- 
währen! Und nicht nur als „Musikant“! 

Entschlossen erhob er sich und ergriff die Reisetasche, 
bereit, Giovanna zu folgen; sie zurückzuschicken und sich 
selber seinen Weg zu suchen, Vorwärts zu dringen und — 

Da schrak er auf. 


1 Siehe darüber den Schluß des Artikels: „Verdi als Ton- 
dichter der nationalen Auferstehung Italiens“. (S. 29.) 

34 


Ein gellender Schrei zerriß die Stille der Nacht. 

Giovanna. 

Und nun hob ein vielstimmiges Fluchen und Schelten 
draußen an, ein Durcheinander von Befehl und Gejohle, 
Gekreisch und Gewieher. — Die Banda. 

Mit ein paar Sätzen war er die stockfinstere Treppe hinab, 
mehr stürzend als laufend, schlug hart gegen die Tür, zerstieß 
sich die vorgestreckten, tastenden Hände an den Steinmauern 
und langte endlich auf der .Straße an, die ein schmaler Mond 
imgenügend erhellte; 

Da war alles wieder totenstill. Meilenweit schien alles 
Leben erloschen. — Ein paar Schritte lief er vor und lauschte. 
Nichts. Lief nach der anderen Seite und horchte ins blei- 
schwere Dunkel. Nichts. Legte die hohlen Hände an den 
Mund und schrie in die Nacht, daß es weither widerhallte: 
„Hilfe! Zu HU — fe!“ — Stand und lauschte; lief wieder 
eine Strecke den Weg entlang, schrie abermals, und stand 
und lauschte. 

Da . . . Ein Röcheln. Er eüte der Spur nach und fand 
neben der Straße, im Schatten der Böschung, einen Kerl, 
zusammengekrümmt vor Schmerz und Angst; wehrlos; blutend. 

Nicht lange und Verdi hatte ihm das Geständnis abgerungen, 
das er brauchte. Giovanna, deren Klinge den Verräter ge- 
zeichnet, war gefaßt worden. Weil sie geheime Botschaften 
empfing und weitergab, weil sie Sendlinge der Piemontesen 
verbarg und auf alle Weise der Sache Viktor Emanuels diente, 
mußte sie unschädlich gemacht werden. 

Doch Verdi verzagte darob noch nicht, er wußte, daß diese 
Burschen mit sich handeln ließen. 

„Heute bringt ihr sie nirgends mehr über die Grenze. Morgen 
ist Weg und Steg von unsern Regimentern gesperrt, dafür 
sorge ich. Nenn einen Preis, ich will sie loskaufen — und 
schweigen.“ — Und handelte um das Mädchen wie ein Nea- 
politaner um einen Maulesel. 

Endlich erhob sich der Verwundete ächzend und schleppte 
sich ins Gebüsch; Verdi wartete, wie er versprochen, im Hause 
auf Antwort. 

Eine Stunde verrann und noch eine, die dem Harrenden zu 
Ewigkeiten wurden. Immer wieder hielt er Ausschau, vom 
kleinen Steinbalkon aus, vom Dach aus, denn die Türen hatte 
er verrammelt, saß auf das Lager in der Kammer nieder, in 
die der Mond sein bleiches Leuchten goß, und überzählte 
seine Barschaft. 

Er trug fast alles bei sich, was er in jenen fünfzehn Jahren 
unermüdlichen Schaffens und Ringens zusammengespart ; 
alles, was er brauchte, seinen Toten endlich Wort zu halten. 

Und das wollte er nun hinwerfen für eine Fremde ? Um 
eines Weibes willen, das an der Straße wohnte und mit allerlei 
Volk Freundschaft hielt und Geheimnisse teilte, wollte er 
seine Toten betrügen ? Die beiden Kleinen . . . und ihre 
Mutter ? 

Wie mit Fäusten packte es ihn, schüttelte ihn und stieß ihn 
von seinem Vorhaben zurück. Doch er verwand das Grauen. 
War er nicht Verdi ? Der Mann, der „Ernani“ geschaffen und 



ROMlr.DA PANTALEON I, die erste Desdemona. 


„La Battaglia di Legnano“, Schöpfungen, geboren aus dem 
Geiste des Befreiungskampfes, erfüllt mit der glühenden Sehn- 
sucht Italiens ? Werke, die wie lodernde Flammen ins Herz 
des Volkes gebraust und Leidenschaft und Mut und Hoffnung 
in den Seelen entzündet zu himnielanrauschenden Bränden ? 

Opferten nicht alle? Hätten Weib und Kinder sich jetzt 
nicht treulich an seine Seite gestellt und mit ihm geopfert? 
Sich, selbst, wenn es hätte sein müssen, und alles und alles — 
wie Giovanna ? Ach, er war nicht gemacht, im Felde den 
Feind zu schlagen ; war nicht reich und mächtig genug, Heere 
auf die Beine zu stellen; aber jetzt vermochte er etwas, was 
auch nicht wenig war: eine Mitkämpferin konnte er dem 
heimgesuchten Vaterland zurückgewinnen, die hundert Arme 
ersetzte. 

Und als das Gesindel das Mädchen brachte, schüttete er 
dem Häscher sein Geld in die Fäuste bis auf die letzten Soldi. 
Dann zog er Giovanna mit ins Haus, die ihm in ihrer stürmi- 
schen Art zu danken anhob; er aber wehrte ihr liebkosend 
und riet zum Aufbruch. 

„Denn hier laß ich dich nicht. Du gehst mit mir.“ 

„Nach Busseto ?“ frug sie, denn er hatte ihr von seinem 
Wanderziel erzählt. 

„Nein !“ entgegnete er,, nun doch wieder ein wenig bedrückt 
und trübe. „Nach Mailand zurück.“ 

Doch davon wollte sie nichts wissen. Nein! Sie blieb in 
ihrem Haus. Hier war ihr Platz. Hier wurde sie gebraucht. 
Hier gesucht von den heimlichen, umlauerten Boten der 
Freunde. 

Umsonst, daß Verdi ihr die Gefahren von neuem schilderte, 
die ihr hier drohten; umsonst, daß er sie bat, inständig und 
bedrängend: 

„Sieh, ich gab alles für dich, um dich dem Leben zu er- 
halten.“ Sie bestand auf ihrem Willen. 

„Ich bleibe. Wozu auch sonst das Opfer ?“ 

Da senkte der Mann die Stirn und gestand: 

„Ich hab dich lieb, Giovanna!" 

Warf sie sich ihm an den Hals und küßte ihn mit heißen, 
saugenden Lippen; nur einen Atem lang, einen flüchtigen 
Atem lang. Noch ehe er, überschauert von Lust und Glücks- 
gefühl, seine Arme um sie geschlungen, sein köstlich Eigen 
zu fassen und zu halten fürs ganze, lockende Leben, war sie 
wieder davon und stand im ersten blassen Morgendämmer auf 
der Türschwelle, die gefalteten Hände abwehrend gegen ihn 
ausgestreckt. 

„Hab Erbarmen mit mir und laß mich! Vergib mir, aber 
ich kann nicht mit dir. Hier muß ich stehn, hier! Und 
du dort in deiner Stadt, groß, umjubelt, bekränzt. Geh, geh, 
geh, ich flehe dich an. Italien braucht dich und — auch mich 
ein wenig. Und ich kann nur hier ihm dienen. Du dort. 
Drum erbarm dich und laß mich!“ schlug die Hände vors 
Gesicht, weinte laut auf und entlief. — 

Zwei Tage später kam der Wandersmann in seinem Mai- 
länder Stübchen an. Müde und traurig und voller Verzagen. 

Welche Wege er gezogen, er wußte es nicht. Wie lange 
er marschiert, — er wußte es nicht. Wie er losgekommen 
von jener Schwelle und sich heimgefunden, war ihm alles 
verborgen. Nun saß er mit schwerschlagendem Puls und 
ringendem Herzen und starrte trübe in den trübseligen No- 
vembertag, der durch Maüands Gassen schlich wie der 
Werber Tod. 

Und mitten aus diesem leid vollen Brüten und mitten aus 
dieser Dumpfheit hob sich leise, leise eine ferne Melodie, die 
stärker in ihm aufklang und stärker, in machtvollen Akkorden 
ihn überflutete und jählings hervorbrauste unter seinen 
Händen, die in die Tasten gegriffen: 

„O, wie so trügerisch sind Weiberherzen, 

Mögen sie klagen, mögen sie scherzen, 

Oft spielt ein Lächeln um ihre Züge, 

Oft fließen Tränen — alles ist Lüge! 

Habt ihr auch Schwüre zum Unterpfande, 

Auf flücht’gem Sande 
Habt ihr gebaut!“ 

— und nun strömte sein Ringen und Hoffen, Leiden und 
Sehnen, wie aller Fesseln und Dämme ledig, in Tönen aus. 

Und als die ersten Märzenblüten an den Sträuchern in die 
Sonne krochen, feierte Venedig den Meister und sein meister- 
lich Werk: „Rigoletto“. 

* * * 

Zwanzig Jahre später, als Verdis Name in aller Welt klang 
und Italien groß und frei geworden war und über Rom die 
Königsflagge wehte, fuhr Verdi wieder einmal jene Straße 
von Mailand, wo er den kränklichen Manzoni besucht, nach 
seinem Heimatdörfchen Roncole, und fand unterwegs das 
alte Wirtshaus, klein, unansehnlich, grau — wie einst. 

Da stieg er aus dem Wagen und brat in den Flur, wo eine 
stattliche, einarmige Wirtin ihm freundlich einen Gruß bot. 

Giovanna. 

Er erkannte sie wohl, aber sie erkannte ihn nicht. 

Sein Diener, den er bei sich hatte, verwickelte auf sein Ge- 
heiß die Frau alsbald in ein geruhiges Gespräch, wobei man 


erfuhr, daß sie — in Mannskleidem ! — eine Zeitlang unter 
den Fahnen Garibaldis gefochten, das Leben hundertmal für 
Italien in die Schale werfend, und daß ihr dabei der Arm 
zerschossen worden. 

Verdi war während des Zwiegesprächs aufgestanden und 
ans Fenster getreten, um nicht sehen zu lassen, was für Mühe 
er hatte, seine Bewegung zu verbergen. In diesem Augenblick 
aber vergab er ihr erst ganz und bat ihr im stillen ab, daß er 
gegrollt und sie damals so schlimm verkannt. 

Ueber alledem waren neue Gäste gekommen, denn ihr 
Geschäft blühte; sie war flink und bediente heiter und scher- 
zend. Da umfaßt ein Bursch sie keck. 

„Sing uns eins!“ drängte er. 

„Was ?“ frug sie ohne viel Umstände, denn sie mochte 
gewohnt sein, ihre Gäste derart zu unterhalten. 

„Egal!“ hieß es. 

„Von Giuseppe eins!“ entschied sie kurz und bündig. 

Verdi horchte hoch auf. Und da klang’s auch schon voll 
und tönend durch den Flur: 

„Ach, wie so trügerisch . . .“ 

Den Meister faßt es mit heftiger Gewalt; schmerzhaft drang • 
das Lied auf ihn ein, so trefflich sie es sang; ja, gerade weil sie 
es so aus der Seele quellen ließ. Drum wandte er sich und eilte 
hinaus, dem Diener das Begleichen der Zeche überlassend. 
Aber noch lange, lange hallte es ihm aus dem alten, lieben 
Hause nach: 

„• .§AOft spielt ein Lächeln um ihre Züge, 

Oft fließen Tränen — alles ist Lüge . . .“ 

’f Am’selbigenJTage noch schrieb er unter seine Noten einen 
andern Text und schickte ihn Giovanna. 

Und sie hat ihn wohl als Heiligtum verwahrt bis an den 
Tod, still und treu, und mit ins Grab hinabgenommen als 
köstlichsten Schatz, denn die Welt hat ihn nie wieder auf- 
gefunden. 


Was verlangt der Staat vom geprüften 
Gesanglehrer. 

Von MAX BATTKE (Berlin). 

I m Jahre 1897 übernahm ich an einer privaten höheren 
Mädchenschule in Berlin eine Anstellung als Gesang- 
lehrer. Die Schulvorstelierin erklärte mir, daß ich zu- 
vörderst einen „Unterrichtserlaubnisschein“ brauche. Nach- 
dem ich bei der Stadt mein Curriculum vitae eingereicht 
hatte nebst der Bescheinigung eines Professors der Berliner 
Königl. Hochschule, der mein Lehrer gewesen war, daß ich 
bereite einige Lieder komponiert hätte, wurde mir offiziell 
die Erlaubnis gegeben, mit den Schülerinnen meine unter- 
richtlichen Experimente vorzunehmen. Denn ein Experi- 
mentieren in des Wortes verwegenster Bedeutung mußte 
dieses Unterrichten natürlich werden. Ich mühte, mich aber 
redlich, meine Schar wirklich musikalisch und gesanglich zu 
fördern, freilich mit oft wechselndem Kriegsglück. Es lastete 
schwer auf mir, daß sicher neben mir noch viele andere tüchtige 
und ernste Männer dazu verdammt waren, jahrelang im 
Dunkel umherzutappen, ehe sie einen gangbaren Pfad aus 
Eigenem gefunden, und daß andererseits wieder große Scharen 
von Schillern und Schülerinnen ausgeschlossen wurden aus 
der Zahl der sorgsam Geführten, wenn ihr Gesangsmeister 
zufällig nicht von einem edlen Wollen, sondern nur von dem 
Wunsche durchdrungen war, die Stunde möglichst ohne zu 
großen Verbrauch von Gehirntätigkeit zum Ende zu bringen. 
So arbeitete ich denn nach bestem Wissen und Gewissen einen 
Lemplan aus, was ein Schulgesanglehrer alles studieren müsse, 
ehe er mit ehrlichem Bewußtsein vor die Klasse treten dürfe. 
Ich erhielt 1900 eine Audienz beim preußischen Kultus- 
minister, dem ich mündlich mein beladenes Herze ausschüttete 
und meine Gewissensnöte der ersten Unterrichtejahre beichtete. 
Eine wohlausgear beitete Denkschrift legte ich auf den Tisch 
des Hauses nieder. Und ich bekam wirklich eine Antwort, 
sogar nach ganz wenig Wochen, nämlich, daß der Königl. 
Senat der Künste der Ansicht sei, daß ein Bedürfnis für eine 
Vorbildung der G.esanglehrer nicht vorläge. Da ging ich 
denn auf eigene Faust ans Werk, gründete eine Schule für 
theoretischen Unterricht und schrieb ein Buch nach dem 
andern, wozu mir meine Schulklassen — ich war inzwischen 
Gesanglehrer an drei verschiedenen höheren Mädchenschulen 
Berlins geworden — Modell standen. 

Am 24. Juni 1910 erließ dann das Kultusministerium eine 
„Ordnung der Prüfung für Gesanglehrer und -lehrerinnen an 
höheren Lehranstalten in Preußen“, die sich mit meinen 
Ansprüchen in der Denkschrift 1900 ungefähr deckte. — Der 
Mensch, der es allen seinen Mitmenschen recht macht, soll 
aber erst noch geboren werden. So wurde denn auch fleißig 


35 


an der Prüfungsordnung herumkritisiert. Das war nicht 
recht: jeder mußte wissen, daß zu Beginn dieser neuen Aera 
im Schulgesangunterricht zunächst eine große Unsicherheit 
herrschen mußte sowohl über das, was ein wohlbestallter 
Gesanglehrer können kann, wie auch darüber, was er können 
muß: alle Parteien mußten sich erst hineindenken in die 
veränderten Tatsachen, Sechs Prüfungen, glaube ich, sind 
inzwischen abgehalten worden, und die Situation hat sich 
geklärt, wenigstens in großen Zügen. 

Wenn man nun aber anniinmt, daß die Kenntnisse, die der 
Staat von den Gesanglehrern verlangt, sobald sie vor ihrer 
Klasse stehen, sich identifizieren lassen mit den Kenntnissen, 
die das Examenskollegium von den Gesanglehrern verlangt, 
die vor ihm stehen, um ihre Prüfung abzulegen, so hat man 
etwas Falsches angenommen. Aber auch dagegen braucht 
man nicht zu polemisieren, denn die Examenskommission 
verlangt in keinem Fach weniger, in den meisten aber mehr, 
als der Gesanglehrer nachher in der Praxis braucht. Das hat 
einen sehr triftigen Grund: man wünscht augenscheinlich 
nicht, daß gar zu viel Herren und Damen mit dem staatlichen 
Diplom bewaffnet in preußischen Landen einhergehen, damit 
nicht eine Ueberfüllung in dem neugeschaffenen Beruf des 
„staatlich geprüften Gesanglehrers“ eintritt, schon ehe er so 
recht im Betrieb ist. 

Um nun ab ovo anzufangen, sehen wir uns zunächst die 
Vorbedingungen an, die jeder zu erfüllen hat, ehe er überhaupt 
zum Examen zugelassen wird. Wissenschaftlich wird ver- 
langt von Herren die zweite Lehrerprüfung oder das Reife- 
zeugnis einer höheren Lehranstalt mit sechsjährigem Lehr- 
gang bezw. das Zeugnis der Versetzung in die Obersekunda 
einer neunstufigen höheren I Lehranstalt ; von Damen wird 
verlangt die Berechtigung zur endgültigen Anstellung als 


Lehrerin oder das Abgangszeugnis einer höheren Mädchen- 
schule. Alle Xichtlehrer haben sich darüber eingehend auszu- 
weisen, welche Studien sie nach Erlangung des berechtigenden 
wissenschaftlichen Zeugnisses sonst noch getrieben haben. — 
Alle Bewerber und Bewerberinnen haben sich über eine zwei- 
jährige musikalische und gesangspädagogische Ausbildung 
auszuweisen, und zwar zählt dabei nicht mit die musikalische 
Arbeit in einem Lehrerseminar, auch nicht autodidaktische 
Studien. 

Wie man klar ersieht, sind es zwei grundverschiedene Ka- 
tegorien von Menschen, auf die der Staat seine Hoffnung als 
künftige Gesanglehrer setzt: Lehrer, die nebenbei Musik 
studiert haben, und Musiker, die Befähigung zum Lehrfach 
in sich verspüren. Prof. Georg Rolle sagt in seiner „Didaktik 
und Methodik des Schulgesangunterrichts“ : „Nach meiner 
Meinung gehört zum guten Gesanglehrer dreierlei: er muß 
tüchtig sein als Lehrer, Sänger und Musiker; päd- 
agogische Bildung allein tut’s nicht, auch nicht gesangliche 
und auch nicht musikalische: alle drei Faktoren müssen in 
glücklicher Mischung' vorhanden sein, das gibt einen guten 
Gesanglehrer.“ Kurz vorher schreibt er (nach Erwähnung 
der Prüfungsordnungen in Preußen, Bayern und Sachsen): 
„Mit dem Bestehen der Prüfung ist eine Gewähr gegeben, 
daß nicht völlig Unberufenen der Gesangunterricht an einer 
höheren Schule übertragen wird, wie es früher oft geschehen 
ist. Es kann jemand ein tüchtiger Lehrer, ein illustrer Kom- 
ponist, ein großer Künstler auf irgendeinem Instrument, ein 
feinfühliger und energischer Chorleiter, ja selbst ein hervor- 
ragender Sänger und, noch mehr, ein vorzüglicher Pädagoge 
auf dem Gebiet des Sologesangs sein, ohne als Schulgesang- 
lehrer etwas zu taugen, Nach diesen Gesichtspunkten ist 
früher bei der Besetzung von Gesanglehrerstellen verfahren 
worden; die Prüfungsordnung macht die- 
sem haltlosen Zustande ein Ende. Ich 



Verdi aut den Falstaff-Proben. 

Nach der Natur gezeichnet von M. Maurice Fcuillct, Paris. Aus dem Fr. Nicolas Jlanskopfschen musik- 
historischen Museum; Besitzer Weinhändler Nicolas Manskopf, Frankfurt a. M. 


will damit nicht sagen, daß nun alles gut 
ist, daß alle, die ihre Gesanglehrerprüfung 
bestanden haben, auch wirklich gute Ge- 
sanglehrer sein werden.“ Ich muß Herrn 
Rolle, der als Mitglied der Examenskom- 
mission gewiß seine Erfahrungen hat, 
hierin völlig recht geben. Unbeabsich- 
tigte Härten und Ungerechtigkeiten lassen 
sich bei Examina kaum vermeiden. Was 
half ’s, als kürzlich einer der Herren Exa- 
minatoren einer vor Aufregung und 
Schreck sprachlos gewordenen jungen 
Sängerin mit gutmütigstem Tone sagte: 
„Aber liebes Fräulein, ich tue Ihnen doch 
gar nichts; sehen Sie, ich bin ja selber 
Familienvater!“ Die Sprachlosigkeit blieb, 
und die junge, sonst sehr tüchtige Dame 
bekam ein Zeugnis, das so weit unter 
dem Nullpunkt stand, als ihre Leistungen 
unter normalen Umständen über dem Null- 
punkt zu verzeichnen waren. 

Die Prüfung zerfällt in einen schrift- 
lichen und einen mündlichen Teil und er- 
streckt sich auf die allgemeine musika- 
lische Bildung und auf die besondere Be- 
fähigung zum Erteilen des Gesangunter- 
richts. 

Die Klausurarbeit dauert sechs Stunden 
und scheint mir mehr eine Prüfung auf 
die Ausdauer und Kaltblütigkeit des 
Examinanden, als auf sein ästhetisches 
Wissen und Wollen zu sein. Man erzählt 
von der Entstehung der russischen Kaiser- 
hymne, daß Lwow eingesperrt wurde und 
den Auftrag bekam, in einer bestimmten 
Zeit die Hymne zu komponieren, widrigen- 
falls — Kopf ab ! In der heutigen Praxis 
wird sich der Gesanglehrer — NB. der in 
Freiheit befindliche — in den seltensten 
Fällen die Aufgabe stellen: ich muß jetzt 
schnell eine Inspiration bekommen und 
in zwei Stunden — ohne Benützung des 
Instruments — einen mustergültig klingen- 
den Gesang für meine Schüler schreiben. 
Ich meine, es wird im Examen zu viel und 
zu wenig verlangt: es könnten sehr wohl 
größere, fertige Kompositionen gefordert 
werden, die der Examinand genau wie 
em Doktorand unter ehrenwörtlicher Er- 
klarung, daß er sie ohne fremde Hilfe ge- 
arbeitet hat, der Examenskommission vor- 
weg einzureichen hat. Ich bin sicher einer 
der ersten, die dem Musikunterricht in der 
Schule einen größeren Raum und mehr 
Bewegung wünschen, und ich bin auch 
dafür, daß der Gesanglehrer seinen Schü- 
lern gelegentlich gute, selbstverfertigte 


36 



Hausmannskost vorsetzt. Aber die im Examen verlangte Aus- 
setzung eines alten Arienbasses oder die Skizze der ersten Durch- 
führung einer Vokalfuge scheinen mir noch keine Gewähr dafür 
zu bieten, daß der Examinand nun auch ein modernes Gedicht 
in ein geschmackvolles musikalisches Kleid zu hüllen versteht, 
und daß er z. B . für das sehr erstrebenswerte und warm zu be- 
fürwortende Schülerstreichorchester sich seine Melodien oder 
Chorbegleitungen zu setzen vermag, Ueberhaupt scheint mir 
das Instrumentale für die Herren Gesanglehrer, die später an 
„höheren Lehranstalten für die männliche Jugend“ zu tun haben 
werden, nicht genügend betont. — Die auch von den Damen 
verlangte Umarbeitung eines Sololiedes in ein Chorstück oder 
die Umarbeitung aus einer Chorbesetzung in eine andere, ist 
sicherlich eine Forderung, die jedem logisch Denkenden ein- 
leuchtet. 

Nun die mündliche Prüfung. Ein Herr Rektor, der sich 
viel um die Vorbildung des pädagogischen Examensteiles 
müht, sagte mir einmal: „Ich bin überzeugt davon, daß von 
den Herren Examinatoren, wenn einer den andern prüfte, 
jeder beim andern durchfallen würde.“ Das ist natürlich 
übertrieben. Jedenfalls werden sehr viele Spezialkenntnisse 
verlangt, und die einzelnen Fächer haben im Laufe der ver- 
flossenen Examina noch eine Wandlung zum Schwereren 
durchgemacht. In Musikgeschichte wurde bei den ersten 
Prüfungen nicht gar so viel verlangt; als man aber sah, daß 
es auch Gesanglehrer und -lehrerinnen gab, die recht viel 
auf ^diesem Gebiet wußten, winden die Anforderungen im 
Examen auch höher gestellt, ohne daß der Wortlaut der 
Prüfungsordnung geändert zu werden brauchte. Ich möchte 
die Anforderungen etwa so normieren: Es ist notwendig ein 
Ueberblick über die Entwicklung der älteren Musik bis zur 
Entstehung der Mehrstimmigkeit, im besonderen muß ge- 
kannt werden das Musiksystem des Mittelalters, die Kirchen- 
tonarten, die Solmisation, die Entwicklung der Notenschrift. 
Die Geschichte der Vokalmusik von 1400 an muß ziemlich 
genau beherrscht werden. Auf etwa hundert Namen der 
bedeutendsten Meister der a capella-Kunst und die Kenntnis 
ihrer wichtigsten Werke (einige davon auswendig zu spielen 
oder zum mindesten die Anfänge zu kennen) muß sich der 
Examinand schon vorbereiten; auch über Stil, Form, Vor- 
trag (Tempo und Nuancierung) muß er gründlichen Aufschluß 
geben können. Natürlich muß er diese Werke in den alten 
Schlüsseln vom Blatt spielen (wozu dieser alte Zopf für das 
praktische Musikleben unserer Zeit ? Red.) und auch 
transponieren können; ferner muß er den gegebenen Basso 
contänuo stilgerecht und geschmackvoll auszusetzen ver- 
stehen, und er muß es auch verstehen, solch eine alte Kom- 
position für seine neuerlichen Bedürfnisse herzurichten. Ich 
glaube wohl, daß gerade dieses Fach den meisten Prüflingen 
viele Sorgen bereitet, und ein „bestandener Herr“ teilte mir 
mit, daß er sich nun Mühe gäbe, all das Gelernte so schnell 
wie möglich wieder zu vergessen. Auch Prof. G. Rolle warnt 
in seiner vorhin zitierten Schrift davor, daß der Gesanglehrer 
zum „Musiktheoretiker“ oder gar zum „Gesangsantiquar“ 
werde. Meiner Meinung nach wird hier wieder zu viel und 
zu wenig verlangt. Für die ältere Musik wäre die in der 
Prüfungsordnung verlangte „Kenntnis der Sammelwerke, 
der Gesamtausgaben und weiteren Hilfsmittel zur Orientierimg“ 
als Hauptsache anzusehen, daneben würde aber ein gründ- 
liches Kennen und Können unseres reichen Volkslieder- 
schatzes unentbehrlich sein. Ebenso wäre eine Kenntnis der 
begleitenden Instrumentalmusik und das Partiturspielen eines 
langsamen Streichquartettsatzes oder einer leichteren Sym- 
phonie von den Herren wohl zu verlangen, die später die 
Schülerorchester unter sich haben und für deren künst- 
lerischen, weiteren Ausbau Sorge tragen wollen. 

Jedenfalls ist es sehr freudig zu begrüßen, daß der Staat 
— durch staatlich schwer-gepriifte Gesanglehrer — sich end- 
lich der musikalischen Volkserziehung annimmt, denn jedem 
Sehenden ist es klar, daß die musikalische Volksbildung 
einen Tiefstand erreicht hatte, der kaum noch als Kultur 
anzusprechen war. Hält man dagegen die hochmusikalische 
Zeit eines Johann Sebastian Bach, in der jeder bessere Dorf- 
kantor sich seine Sonntagsmotetten selbst schreiben konnte, 
und in der jeder Kirchenchor die schwersten polyphonen 
Werke, an denen sich unsere Konzertchöre oft in monate- 
langem Ringen die Zähne ausbeißen, mit wenigen Proben 
zum Gottesdienst absang, so wird man gerne eingestehen, 
daß die Anforderungen gar nicht hoch genug gestellt werden 
können, damit endlich gründlicher Wandel in unserer musika- 
lischen Volkserziehung eintreten könne, und damit Deutsch- 
land den Ruhm behält, in rebus musicis die Führung zu haben. 

Doch gehen wir weiter in der Prüfungsordnung. Um guten 
Gesangunterricht erteilen zu können, ist natürlich die Kenntnis 
der Stimm- und Atmungsorgane, ihrer Funktionen und ihrer 
Behandlung notwendig. In Ton- und Lautbildungslehre 
muß der Examinand theoretisch imd praktisch bewandert 
sein, und wenn es ihm seine Stimmittel auch nicht erlauben, 
als Konzertsänger aufzutreten, so muß er doch wenigstens 
eine genaue Vorstellung von einem idealschönen Ton haben, 
so daß er imstande ist, „ein Lied verständig und mit 



Verdi-Karikatur von G6d6on. 


guter Tonbilduug und Aussprache vorzu tragen“. Daß er auch 
schwierigere Chorstimmen vom Blatt singen und ebensolche 
im Musikdiktat aufschreiben können muß, ist selbstverständ- 
lich. 

In den instrumentalen Anforderungen wird auch weniger 
verlangt, als die meisten besseren Gesanglelirer in Wirklich- 
keit bereits leisten. In 
§ 7 der Prüfungsordnung 
heißt es: „Nicht vollge- 
nügende Leistungen 1111 
Klavier- und Violinspiel 
können durch hervorra- 
gende Leistungen in ge- 
sanglicher Beziehung aus- 
geglichen werden.“ Man 
ersieht daraus die Milde 
der Richter und den guten 
Willen, ernste, arbeits- 
willige Menschen dem 
Schulbetrieb nicht zu ent- 
ziehen. Vielleicht wird 
bei einer späteren Prü- 
fungsordnung darauf 
Rücksicht genommen, 
daß sich um den staat- 
lich geprüften Gesang- 
lehrer in einer kleineren 
Stadt das gesamte Mu- 
sikleben des Ortes und 
der ganzen Umgegend 

zu konzentrieren pflegt, daß er die Musiklichtquelle für 
seine ganze Umgebung sein muß. Und dann werden auch 
die Instrumentalanforderungen in der Prüfungsordnung wohl 
etwas höher geschraubt werden können. Freilich hat ja der 
Staat nicht die Verpflichtung, den Städten Musikgrößen zu 
liefern — aber sehr schön wäre es doch. Vielleicht auch 
ginge es so, daß — ähnlich wie eine zweite Lehrerprüfung 
existiert, auch eine spätere höhere Gesanglehrerprüfung 
abgelegt werden könnte. Zurzeit wird laut Ordnung im 
Klavierspiel — außer dem Partiturspiel und dem Trans- 
ponieren — nur verlangt, daß der Examinand ein Volkslied 
oder einen Choral frei begleiten oder eine Chorbegleitung 
einigermaßen rhythmisch genau abspielen könne. Auf der 
Violine soll er ein Lied oder eine Chorstimme richtig und rein 
vom Blatte, sowie eine Anzahl von Melodien auswendig in 
jeder Tonart spielen können. 

Nun kommen wir aber zu dem Hauptpunkt, der schon 
manchem musikalisch durchaus Beschlagenen das zu prüfende 
Genick gebrochen hat: die Lehrprobe. Da soll der werdende 
Lehrer zunächst zeigen, wie er der Klasse irgendeine musika- 
lische Aufgabe erklären würde, z. B. Einführung in eine noch 
fremde Durtonleiter, Entwicklung der Molltonleiter, Erklärung 
der punktierten Achtelnote usw.; zweitens soll er eine kurze 
Probe im Einstudieren und Dirigieren eines Chorsatzes geben. 
Die Prüfungsordnung besagt: „Der ungenügende Ausfall der 
Lehrproben kann nicht durch bessere Leistungen in anderen 
Fächern ausgeglichen werden.“ Und allerdings ist es wohl 
das Wichtigste, daß der 
zukünftige Gesänglehrer 
in allererster Reihe seine 
Lehrbefähigung nach- 
weisen muß. Fast 
möchte ich diese Lehr- 
probe eine Probe auf die 
Kaltblütigkeit, auf die 
Geistesgegenwart des 
Examinanden nennen. 

Da kam es in einer der 
letzten Prüfungen vor, 
daß eine der zu prüfen- 
den Damen vom Herrn 
Examinator in einer Art 
angefahren wurde, daß 
nunmehr alle übrigen 
Kandidaten mit schlot- 
ternden Knien dastan- 
den; und die nächste 
junge Dame, die sonst 
über ein durchaus zu- 
verlässiges absolutes 
Tonbewußtsein ver- 
fügte, war nicht im- 
stande, das a', welches 
sie sich selbst mit der 
Stimmgabel angab, der 

Chorklasse weiterzugeben. Trotz außerordentlich guter Ge- 
sangsleistungen und genügender theoretischer Vorbildung wurde 
der jungen Dame eröffnet, daß sie glatt durchgefallen sei wegen 
der schlechten Probelektion. Denn das fehlende a' hatte 
seinen Schatten auf die ganze Lektion geworfen. Eigenartig 
ist es, daß gerade in diesem Fach oft ernste Männer durch- 



Karikatur Verdis von M. I*uc, Paris. 


37 




Handschriften berühmter Musiker: Verdis Notenhandschrift aus dem Jahre 1838. 
Eigentum von G. RicordI & Comp, in Mailand. 


Schulwesen in Preußen setzen als allge- 
meines Lehrziel: „Sicherheit in der Auf- 
fassung der Höhenunterschiede der 
Töne, ihrer rhythmischen und harmo- 
nischen Verhältnisse, sowie des Baues 
gehörter Melodien, Ein gesanglich reiner 
und wohlklingender , im Ausdruck sinn- 
gemäßer, sprachlich korrekter Vortrag, 
Fertigkeit im Vomblattsingen einfacher 
Lieder; Beherrschung der wichtigsten 
Choräle und Volkslieder in Wort und 
Ton. Bekanntschaft mit den Haupt- 
formen und den Ausdrucksmitteln der 
Musik, mit ihren Stilarten und mit den 
bedeutsamsten Daten ihrer Geschichte.“ 
Es ist leicht zu übersehen, daß ein Leh- 
rer oder eine Lehrerin, die das recht 
schwere Staatsexamen abgelegt hat, allen 
diesen billigen Forderungen gut wird 
nachkommen können, zumal die metho- 
dischen Bemerkungen, besonders die für 
höhere I^liranstalten für die männliche 
Tugend in zehn sorgsam ausgearbeiteten 
Leitsätzen noch Winke von unschätz- 
barem Wert für den noch ungeübten, 
aber mit gutem Willen bewaffneten 
Anfängerlehrer bringen. Wörtlich möchte 
ieh"noch den wirklich klassischen ersten 
Abschnitt dieser methodischen Bemer- 


kungen zitieren: „Der Lehrer des Ge- 
sanges hat sich stets zu vergegenwär- 
tigen, daß der Zweck des Gesangunter- 
richts an den höheren Lehranstalten 
sich nicht in der Mitwirkung des Chors 
bei feierlichen Anlässen erschöpft, son- 
dern daß der Schulgesang vor allem eine 
durchs Leben dauernde Liebe zum Ge- 
sänge erwecken und die Grundlage des 
Verständnisses musikalischer Mittel und 
Formen geben soll. Dazu hat der Ge- 
sangunterricht die Aufgabe, an der all- 
gemeinen geistigen und ästhetischen Aus- 
bildung der Schüler und auch an ihrer 
gesundheitlichen Entwicklung mitzu- 
wirken.“ 


Die übrigen Punkte seien wenigstens 
durch Schlagworte gekennzeichnet: Aus- 
bildung von Gehör und Stimme; Treff- 
und Zählübungen; wenig theoretische 
Belehrungen ; dialektfreie Aussprache; 
richtiges Atmen; auch Einzelgesang pfle- 
gen; Volkslieder und Choräle fest ein- 
prägen; ein wenig Harmonie- und For- 
menlehre; Tonbildung, Aussprache, At- 
mung, Phrasierung und straffe Rhyth- 
mik bei allen Chorübungen stets im 
Auge behalten; die Stimmen nicht über- 
anstrengen, besonders nicht zur Zeit 
der Mutation ; Benützung eines Instru- 
ments beim Einstudieren möglichst zu 
vermeiden, vor kommendenf alles der Geige 
den Vorzug vor dem Klavier geben. 

So tut der Staat viel, um der Musik- 


fallen, die schon jahrelang nach bestem Wissen Gesangunter- 
richt erteilt haben. Das Lehren läßt sich eben nicht gut 
lernen. Vielleicht wird auch an den älteren Gesanglehrer 
ein höherer Maßstab angelegt, als an den Neuling, der sich 
die Routine des Unterrichtens erst noch aneignen will. 

Sehr segensreich werden hier die neuerdings ernannten 
Gesangsinspektoren wirken, deren Inspektionen 
gewissermaßen den späteren Prüfungen eines bereits staat- 
lich Geprüften entsprechen und die dem leistungsfähigen, 
beruflich begabten Gesanglehrer sicher die bessere Karriere 
eröffnen, als einem andern, der vielleicht im Examen besser 
war, der sich aber nicht in dem erhofften Sinne weiter ent- 
wickelt hat. 

So hätten wir nun in großen Zügen gesehen, was der Staat 
von den Prüflingen erwartet; sehen wir jetzt einmal, was er 
von den Geprüften verlangt. In dem ministeriellen „Lehr- 
plan des Gesangunterrichts an den höheren Lehranstalten 
für die männliche Tugend“ ist das allgemeine Lehrziel: „Auf 
planmäßiger Ausbildung des Gehöres und der Stimme be- 
ruhende Fertigkeit, einfachere Melodien und namentlich auch 
die Unter- und Mittelstimmen im mehrstimmigen Satze vom 
Blatte zu singen, sowie verständnisvoller Vortrag guter 
Volkslieder und anderer für die Schule geeigneter Gesang- 
stücke anerkannter, besonders deutscher Meister älterer und 
neuer Zeit; dadurch Einführung in das Verständnis der musi- 
kalischen Kunst überhaupt.“ 

Die ministeriellen Bestimmungen über das höhere Mädchen- 


Übung im Volke wieder neues Leben zu- 
zuführen. Mögen jetzt die Gesanglehrer und -lehrerinnen das 
Ihrige dazu beitragen, daß es nicht beim guten Willen bleibt, 
sondern daß das Wort in die Tat umgesetzt werde. 

Zum Abschluß meiner Abhandlung möchte ich noch die 
goldenen Worte bringen, die Georg Goehler in einem Aufsatz 
„Ueber musikalische Erziehung“ im „Kunstwart“ schrieb: 
„Das Grundübel, dem bisher der schlotterige Betrieb dieses 
Unterrichtszweiges zuzuschreiben war, ist ganz anderer als 
musikalischer Natur. Es ist die Verachtung, mit der viele 
Rektoren und Lehrer dem Gesangunterricht, ja selbst dem 
Kollegen, der ihn erteilt, gegenüberstehen. Das merken die 
Schüler sehr bald und wissen sich danach einzurichten. So- 
bald man den Schüler von Anfang an erzieht, auch diese Stun- 
den für voll anzusehen, sobald er durch die lebendige Art 
des Unterrichts fühlen lernt, daß es sich hier zwar nicht um 
a + b =• x wohl aber um viel höhere, um Lebensdinge 
handelt, geht er auch mit.“ 


Wiener Konzerte, Rück- und Ausblick. 

D reimal habe ich während der vergangenen Spielzeit über 
das Wiener Konzertwesen berichtet, jedesmal an ein 
bedeutsames Ereignis anknüpfend: zuletzt an die Zer- 
störung des Bösendorfer-Saales, und dem wenig Tröstlichen 
von damals läßt sich aus der sonst verklärenden Ferienfeme 


38 



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Verdis Handschrift in späteren Jahren. (Aus Perinellos Biographie.) 


nicht viel Besseres anfügen. Ueberblickt man diese letzte 
Saison, so fällt vor allem eines auf, was sie noch deutlicher 
als die früheren Konzertzeiten kennzeichnet: ihre Ereignis- 
und Bedeutungslosigkeit im Sinne eines Herz und Nerven 
packenden, atemlosen, jubelnd bejahten Fortsclireitens, aber 
auch die mangelnde Kraft, das bewährte Alte eifersüchtig zu 
hüten. Wäre nicht die Uraufführung der Gurrelieder Schön- 
bergs gewesen, ich fragte mich vergebens, was die frühere 
Hauptstadt der Musik unserer Zeit zu schenken hatte. Denn 
alles Uebrige hat sie selbst als schon erprobtes oder doch 
geprüftes Gut empfangen, Mahlers „Lied von der Erde“ zum 
Beispiel oder die Oper Schrekers; und von allen Mittelstädten 
des deutschen Musikgebiets hat sie es allein zuwege gebracht, 
Straußens „Ariadne“ bloß in Bruchstücken im Konzertsaal, 
nicht aber auf der Bühne zu geben. Wo freilich eine Direktion 
Gregor ohne musikalischen Berater möglich und am ersten 
Kunstinstitut möglich ist, da bleibt nichts übrig, als betrübt 
zu schweigen. 

Falsch wäre es aber, auch von unseren „Philharmonischen 
Konzerten“ zu schweigen, in denen immer noch der Schnell- 
zugsdirigent Weingartner aus Hamburg amtet und amten 
wird. Ein Publikum von Gesellschaftsmenschen füllt den 
Saal und duldet es, daß Neuheiten vorüberflimmem, die diesem 
Regime kongenial sind und daß Beethoven und ähnliche 
Götzen — denn diesen Deuten sind die großen Meister nichts 
anderes — mit der Geschwindigkeit, die der Eisenbahnfahr- 
plan und mit der „Feschheit“, die der Kino- und Heurigen- 
Geist vorschreibt, heruntergehudelt werden. Natürlich, da 
die Herrschaften samt und sonders unmusikalisch sind, schadet 
das nichts, und da jeder mit jedem Beziehungen hat und das 
Aussprechen aller dieser Dinge nur zwecklos verhaßt macht, 
wird Herr v. Weingartner weiter der große Verderber aller 
Gläubigen bleiben. Ich werde mich aber nicht hindern lassen, 
jährlich einmal festzustellen, daß diese ganze Musikmacherei 
nur deswegen nicht der Teufel holt, weil es in der Hölle ein 
Ueberfüllungsverbot gibt. 

„Konzertverein“ und „Tonkünstlerorchester“ halten sich 
brav, kommen vorwärts, nehmen aber an Klangschönheit 
und Disziplin nicht genügend zu, als daß man der mit Blind- 
heit geschlagenen Philharmoniker völlig entraten könnte. 
Gelänge es, die Vereinspolitik beiseite zu schieben und aus 
den beiden ein einziges Orchester' mit den tüchtigsten Di- 
rigenten, etwa für vier Abonnentenkreise, zu bilden, so wäre 
der komischen Konkurrenz abgeholfen und man könnte es 
sich leisten, auch Werke aufzufuhren, die das Publikum noch 
boykottiert: nämlich neue. Die Herren vom Vorstand des 
Konzertvereins sind jetzt entsetzt, weil sie nicht so „aus- 
abonniert“ sind wie das Tonkünstlerorchester . Bei diesem 
aber hat man die größte Angst, die überkonservativen Abon- 
nenten durch eine, daß Gott verhüte, Komposition, die über 
Wagner hinausreicht, zu roten Rebellen und Fahnenflücht- 
lingen zu machen. Die Dirigenten sind trostlos (zum mindesten 
sagen sie es): aber die meist sehr vermögenden Herren von 





der Leitung wissen, was sie ihrer Stellung schuldig sind. Könnte 
ich hier die Abrechnung vorlegen, die das Komitee zur Ver- 
anstaltung des Gurreliederkonzerts (daß es so etwas geben 
mußte!) etliche Male vorgelegt bekam, könnte ich sagen, wie 
oft das Ganze an etlichen, nicht etwa tausend, sondern hun- 
dert Kronen zu scheitern drohte, mitteilen, wie arme Klavier- 
lehrer fünfzig und hundert, die reichen Leute der „Gesell- 
schaft“ aber nichts hergaben, wie man immer dieselben, 
schließlich doch auch einmal erschöpften Geber nachbesteuem 
mußte: ich glaube, selbst die Musikstadt Wien würde sich 
schämen. 

Die Neuheiten teilt man in erfolgversprechende und in bloß 
mühevolle. Die ersten, wie überhaupt beliebte Komponisten 
und Stücke, nehmen die einzelnen Herrschaften einander 
förmlich weg; gegenüber den anderen entwickelt sich der 
gleiche Ehrgeiz, negative Kompetenzkonflikte hervorzurufen. 
Das ist manchmal vielleicht bloße Gedankenlosigkeit. Aber 
was soll man dazu sagen, wenn man auf zwei oder drei Jahres- 
programmen die fünfte Symphonie Bruckners, sonst aber 
nichts von diesem Komponisten findet? 

Den „Gesellschaftskonzerten“ wünschte ich den gleichen 
Idealismus in der Ausführung wie in ihren Programmen. 
Freuen wir uns wenigstens über die! Ohne doch allzu genüg- 
sam zu werden, wie das, zumal in der Wiener Kritik, Sitte ist. 

Ueber die Solistenkonzerte weitere Worte zu verlieren, 
überlassen wir hier einem Fachblatt für Statistik und Sozial- 
politik, Die Kammermusik gedeiht in Wien, zum mindesten 

g enießt das Ros6- Quartett endlich die späten Wiener Triumphe 
eimischer Genialität. An seinen Abenden wird, das darf 
man ruhig behaupten, die beste Musik in Wien gemacht, 
eine Musik, die ferne Tage wieder heraufbeschwört. Daß 
Rose, angewidert vom Zank der Cliquen, am liebsten Beet- 
hoven und etwa noch Brahms schenken will, ist verständlich. 
Leider entbehren so die Jüngsten dauernd ihren mutigsten 
Fürsprecher. 

Die Saison wird heuer mit der Weihe eines neuen Konzert- 
hauses eröffnet, das drei Säle enthält; davon soll der eine 
die hingemeuchelte Schönheit des Bösendorfer-Saales ersetzen, 
der zweite den größten Konzertsaal Wiens vorstellen. In 
sachlicher Beziehung bietet das neue Unternehmen gute 
Gewähr. Sein geistiger Leiter und Sekretär ist der längst 
bekannte Dr. Hugo Botstiber. Wird er imstande sein, sich 
von den Umklammerungen des Wienertums freizuhalten, die 
ihm sicher nahe genug kommen dürften, so kann man wieder 
hoffen. Richard Strauß schenkt dem Hause ein „Festliches 
Präludium“. — Möge das ein Omen sein! Ich möchte so gern 
wieder einmal loben und lobend folgen können. 

Dr. Paul Stefan. 



Wiesbaden. Im Kurhaus ist die Saison in festlicher Weise 
eröffnet worden: Mahlers 8. Symphonie gelangte mit einem 
Personal von 6oo Mitwirkenden unter Karl Schurichts be- 
geisterter Führung zu Gehör. Die Ausgleichung der Kräfte 
war vorzüglich, die Klangwirkung voll Schönheit, der Ge- 
samteindruck von tiefgehender Gewalt. Im Chor wirkten 
hauptsächlich auch Frankfurter Vereine (Rühlscher und Neeb- 
scher Chor) mit; die Kurkapelle (auf ioo Mann verstärkt) 
hielt sich vortrefflich. Gertruds Foerstel entzückte in der hoch- 
liegenden Sopranpartie. Trotz mancherlei Schwächen in der 
Erfindung imponierte das Werk durch das artistische Können, 
den Ernst der Empfindung und die bewegliche Phantasie, die 
daraus hervorleucnteten. Der Beifall des Publikums war 
enthusiasmiert. 0. D. 


Neuaufführungen und Notizen. 

— Die Bühnenfestspiele in Bayreuth 1914’ umfassen „Par- 
sifal“, den „Ring des Nibelungen“ und den „Fliegenden Hol- 
länder“. Die Festspiele beginnen am 22. Juli 1914 mit einer 
Aufführung des „Fliegenden Holländers“, der im ganzen fünf- 
mal gespielt werden wird (22., 31. Juli, 5., 1 1 ., 19. August). 
Der „Ring“ wird zweimal aufgefülirt (25. bis 29. Juli und 
13. bis 17. August), „Parsifal“ soll siebenmal dargestellt werden 
(23. Juli, 1., 4., 7., 8., 10. und 20. August). Mit der letzten 
Parsifal- Aufführung schließen die Bayreuther Festspiele 1914. 
Die Aufführungen von „Rheingold“ und „Fliegender Holländer“ 
beginnen um 5 Uhr nachmittags, diejenigen der übrigen Werke 
um 4 Uhr. 

— Von den Parsifal-Aufführungen wird weiter berichtet: 
Direktor Gabriel Astruc, der im Thöätre des Champs Elys6es 
in Paris den „Parsifal“ zur Aufführung bringen wird, will 
sich die Bayreuther Aufführung des Werks in allen Einzel- 


39 




Das Scala-Theater in Mailand, die Stätte von Verdis Triumphen. 


heiten zum Vorbild nehmen und dem „Parsifal“ im Februar 
eine Aufführung von „Tristan und Isolde“, ebenfalls nach 
Bayreuther Muster, folgen lassen. Die Regie wird Emst 
van Dyck übernehmen, die musikalische Leitung Camille 
Chevillard. Die Rollen werden ausschließlich von deutschen 
Künstlern dargestellt, und zwar von den Sängern und Sänge- 
rinnen, die auch bei der Bayreuther Aufführung mitgewirkt 
haben. Zu diesem Zwecke hat Astruc folgende Künstler 
bereits fest verpflichtet: die Damen Leffler-Burckhard, Morena, 
Wittich, Kraus-Osborne, die Herren Bender, Dawison, Fein- 
hals, Hadwiger, F. v. Kraus, Perron, Vogelstrom, Sistermans 
und Vilmos-Beck. — Die königl. Oper in Budapest teilt mit, 
daß sie den „Parsifal“ im nächsten Jahre nicht aufführen werde. 
— In Elberfeld haben, gleich Halle,, die Stadtverordneten 
den Betrag von 25 000 M. für die Parsifal- Aufführung abgelehnt. 
Darauf hat sie ein Privater zur Verfügung gestellt. 

— Verdi-Feiern melden eine große Zahl deutscher Bühnen. 

Die königl. Oper in Berlin gibt einen Zyklus in nachstehender 
Reihenfolge: „Violetta“ (mit italienischem Text); „Don 

Carlos“; „Aida“ (Gastspiel Caruso)'; „Rigoletto“, „Ein Masken- 
ball“, „Otello“ und „Falstaff“. 

— In Karlsruhe wird im November Richard Strauß ah vier 
Abenden (Erigieren, und zwar im Hoftheater den „Rosen- 
kavalier“, die „Ariadne“ und die für Karlsruhe neuerworbene 
„Elektra“ und in der Festhalle ein Symphoniekonzert, in dem 
zwei bisher hier nicht bekannte Kompositionen aufgeführt 
werden. Endlich also hat sich das früher eine führende Rolle 
spielende Karlsruher Hoftheater zur Aufführung der „Elektra“ 
entschlossen. 

— Von einem amerikanisch-italienischen Opemgastspiel, 
das Andreas Dippel unternehmen will, melden die Zeitungen: 
Am Berliner Opernhaus sind im Mai und Juni drei Vorstel- 
lungen geplant. Am Münchner Hof- 
theater soll die Trappe ebenfalls an drei 
Abenden, und zwar im Juni, gastieren. 

Die Tournee wird sich ferner erstrecken 
auf die Städte Frankfurt am Main, Karls- 
ruhe und Köln, wo die Vorstellungen im 
Rahmen der rheinischen Festspiele statt- 
finden werden. Außerdem ist ein Be- 
such von Wien, Prag und eventuell auch 
Warschau geplant. 

— Im Stadttheater zu Bern ist „Die 
Hoffnung auf Segen“, Musikdrama von 
Charles Grelinger, zum erstenmal aufge- 
führt worden. Der Komponist hat das 
soziale Drama von Hermann Heijer- 
mans’ mit erheblichen Kürzungen des 
Textes zum Sujet einer Oper gemacht. 

— August Enna hat eine neue Oper 
„Gloria Arsena“ geschrieben, die in 
Kopenhagen die Uraufführung erleben 
soll. Für Deutschland hat Direktor Al- 
ving in Kiel die erste Aufführung er- 
worben. Der Text ist vom Kompo- 
nisten nach einer Novelle von Alexan- 
der Dumas. Olaf Hansen hat ihn in 
Verse gebracht, deutsche Uebersetzerin 
ist Klara Wechselmann. 

— Gustave Charpentier ist mit der Kom- 
position eines neuen lyrischen Werkes 
beschäftigt, das den Titel „L’Amour au 
Faubourg“ führen wird. Die Oper, die 
in Montmartre Quartier spielt, wird sich 


insofern dem Rahmen der alten komischen Oper nähern, als 
sie auch mehrere Sprechpartien enthalten soll. Die Erstauf- 
führung soll im nächsten Frühjahr an der Pariser Opera 
Comique stattfinden. 

. — Die englische Komponistin Dr. Ethel Smyth ist mit der 
Komposition einer dreiaktigen komisch-phantastischen Oper, 
nach einem Libretto Hugo v. Hofmannsthals, beschäftigt, 
die bereits zur Erstaufführung am Münchener Opernhaus 
angenommen wurde. (Bild und Biographie der Komponistin 
brachte die „N. M.-Z.“ in Heft 19 des vorigen Jahrgangs.) 

— Max Regers Tondichtung für die Breslauer Jahrhundert- 
halle hob der Leipziger Organist Prof. Karl Straube aus der 
Taufe. Das Orgeistück war im Aufträge des Breslauer Magi- 
strats geschrieben und trägt die Opuszahl 127. 

— En Leipziger Gewandhaus werden zwei Stimmungsbilder 
für kleines Orchester, „Erster Kuckucksruf im Frühling“ und 
„Sommernacht am Flusse“ von Frederik Delius unter Arthur 
Nikisch die Uraufführung erleben. 

— Bei den Einweihungsfeierlichkeiten des Völkerschlacht- 
denkmals in Leipzig veranstaltet in Anwesenheit des Königs 
von Sachsen und der Bundesfürsten in der Alberthalle des 
Kristallpalastes die Leipziger Singakademie (gegr. 1802) unter 
Leitung des königl. Musikdirektors Gustav Wohlgemuth im 
Rahmen des offiziellen .Festprogramms ein Festkonzert. Die 
Konzertkantate „Aus Deutschlands großer Zeit“ von dem 
Stuttgarter Komponisten Prof. Ernst H. Seyffardt wird dabei 
aufgeführt. 

— Von Felix Draeseke wird demnächst ein bisher noch nicht 
gespieltes Werk in Dresden unter Ernst v. Schuch zur Auf- 
führung kommen. Es ist eine Sinfonia Comica; sie stellt das 
Gegenstück zu Draesekes Sinfonia Tragica dar. 

— Im Herzoglichen Hoftheater in Dessau finden injder 
Saison 1913/14 7 Konzerte der Herzoglichen Hofkapelle unter 
Leitung des Generalmusikdirektors Mikorey statt. Es werden 
u. a. aufgeführt: Mahlers vierte Symphonie mit Sopransolo, 
Paul Juons Klavierfantasie, Richard Straußens Waldhorn- 
konzert, Jean Sibelius’ zweite Symphonie und Bernh'. Dessaus 
Violinkonzert (Uraufführung); ferner an Neuheiten in der 
Kammermusik: Paul Juon, Rhapsodie für Violine, Bratsche, 
Violoncello und Klavier, Fritz Volbach, Klavierquintett 
dmoll, Mojsisovics, Streichtrio (Serenade), P. Scheinpflug, 
Streichquartett c moll. 

— Für die städtischen Abonnementskonzerte in Aachen 
hat Musikdirektor Fritz Busch an neuen Werken folgende 
vorgesehen: „Stabat mater“ von B. Moor; „Franz von Assisi“ 
für Chor, Orchester, Soli und Kinderchor von G. Pieme; 
„Motette a cappella: Ach Herr strafe mich nicht“ von Max 
Reger. 

— In Kattowitz finden am 22. und 23. November zwei 
Richard Strauß- Tage statt, bei denen der Komponist selbst 
dirigieren wird. Das Orchester ist das verstärkte Blüthner- 
Or chester. Solisten: Lola Ar tot de Padilla, Alfred Witten- 
berg (Violine) und Otto Wynen (Klavier), der dieses bedeutungs- 
volle Musikfest veranstaltet hat. Auf diese Weise wird es 
möglich, daß auch Provinzstädte in vollwertigen Aufführungen 
die Schöpfungen unserer modernen Meister kennen lernen. 
Das Programm ist das gleiche für beide Tage (auch gut!). 
Eulenspiegel, Tod und Verklärung, Orchestergesänge, Violin- 


Das Innere der „Scala“ zu Mailand. 



40 



konzert (das in den Musikzentren völlig unbekannt ist), Lieder, 
Suite für 13 Blasinstrumente. 

— Wie rege das Musikleben im kleinen Heidelberg ist, 

zeigt wieder die Kammermusik: das Ros6- Quartett, die 

Brüsseler, die Böhmen, das Klingler- Quartett spielen dort. 
Stuttgart z. B. bekommt nur die Böhmen zu hören, und die 
beinahe fast zu viel. 

— Dr. Carl Ludwig Lauenstein (München), Tenor, wird in 
dieser Saison u. a. in Düsseldorf, Bonn, Kiel, Berlin, Hannover, 
Krefeld (Verdi, Requiem), Königsberg (Mahler, VIII. Symph.), 
Hamburg, Münster (Matthäus- Passion) singen. In Nürnberg 
und Aachen wurde er für die Titelpartie in Piemes „Franz 
von Assisi“ verpflichtet. 

— I. v. Raatz-Brockmann singt in Berlin zum erstenmal 
die große Ballade „Rahab, die Jenchonitin“, Text von Börries 
von Münchhausen, die Victor v. Woikowsky-Biedau, der Kom- 
ponist der Oper „Das Nothemd“, vertont hat. 

— Wilhelm Backhaus hat das Klavierkonzert von Otto 
Neitzel in sein Repertoire aufgenommen. 

— Jean Louis Nicodi hat seinen Volksgesang „Deutsches 
Gebet“ für die bevorstehenden Jahrhundertfeiern auch als 
Unisono-Massengesang mit Orchester (Orgel und Tambour- 
korps ad lib.) erscheinen lassen. Auch als Frauen- oder 
Knabenchor, mit und ohne Begleitung ist das Stück erschienen. 

— Die Wiener Musikgesellschaft „Ziehrer- Bund“ hat ein 
Ziehrer- Orchester anläßlich des 50jährigen Berufsjubiläums 
C. M. Ziehrers im Einvernehmen mit ihm und der Vereinigung 
der Wiener Musiker gegründet. In Verwirklichung einer von 
Hofballmusikdirektor Ziehrer gehegten Lieblingsidee hat sich 
das Orchester neben der Veranstaltung regelmäßiger Gesell- 
schaftskonzerte insbesondere auch die Pflege stilgerechter 
Wiener Ballmusik zur Aufgabe gemacht. 

— Für die 24 Symphonie-Konzerte, die im kommenden 
Winter in Paris veranstaltet werden, hat Astruc als Dirigenten 
neben Debussy und Dukas gewonnen: Weingartner, Lohse, 
Walter, Hausegger, Schillings, Busoni, Mengelberg, Rinskopf 
und Inghelbrecht. 

— Im Londoner Kristallpalast haben kürzlich 200 Musik- 
chöre mit 6000 Musikern um die musikalische Championschaft 
von Großbritannien, Irland und den Kolonien gekämpft. Die 
Gewinner erhielten als Preis 21 000 M. Als Aufgabe war die 
Vorführung eines Musikstückes „Arbeit und Liebe“ von dem 
englischen Komponisten P. E. Fetscher gestellt. — Arme 
Preisrichterl 



— Verdi-Feier in Italien. Die Feiern des 100. Geburtstages 
des italienischen Meisters haben einen außerordentlichen Um- 
fang . angenommen. Am 10. Oktober ist auf der Fiazzole 
Buonarotti in Mailand das große vom Bildhauer Butti geschaf- 
fene Verdi-Denkmal enthüllt worden. Besonders lebhaft geht 
es in der Provinz Parma zu, wo Verdis Geburtsort liegt. Emil 
Thieben (Maüand) schreibt uns darüber: In diesem Jahre 
steht Parma, die alte Herzogsstadt der Farnese, völlig im 
Zeichen Giuseppe Verdis, der im Dörfchen Roncole der gleich- 
namigen Provinz vor hundert Jahren das Licht der Welt 
erblickt hat. Da gibt es verschiedene Ausstellungen zu Ehren 
Verdis: eine historische Theaterausstellung feiert ihn als 

den großen Tondichter, eine landwirtschaftliche Ausstellung 
als den treifen Sohn seiner Heimat, eine Ausstellung der bil- 
denden Künste soll deren Entwicklung seit der Geburt Verdis 
bis heute zeigen. Unweit des Bahnhofes ist ein Verdi-Denk- 
mal in ganz gewaltigen Abmessungen errichtet worden. Die 
schönste Huldigung bringt aber Parma dem Meister von 
Busseto durch die Veranstaltung von Verdi-Festspielen dar, 
deren Leitung der berühmte Kapellmeister Cleofonte Cam- 
panini, selbst ein Parmenser, übernommen hat. Campanini 
wählte aus den dreißig Opern Verdis sieben aus, die in ihrer 
Gesamtheit ein umfassendes Bild der schöpferischen Tätigkeit 
des Meisters geben. Mit der allerersten Oper Verdis, dem 
„Oberto Conte di San Bonifado“ beginnend, läßt er „Na- 
b'ucco“, seine dritte Oper, folgen, das erste Werk, das auch 
außerhalb Italiens aufgeführt worden war. „Rigoletto“, „Der 
Maskenball“, „Don Carlos“, „Aida“ und „Falstaff“ vervoll- 
ständigen die mit wdser Hand getroffene Auswahl Campaninis, 
der eine erlesene Schar von Gesangskräften um sich versammelt 
hat, um wahre Musterdarstellungen der Verdischen Opern zu 
bieten. Für die bedeutenden Kosten hat die Stadt Parma 
und das Ausstellungskomitee namhafte Opfer gebracht, mußten 
doch alle Dekorationen und Kostüme für diese Verdi-Fest- 
spiele eigens angefertigt werden. — Es war eine Stimmung 
der Weihe, die in dem Zuschauerraum des Teatro Regio herrschte, 
als die ersten Akkorde der Ouvertüre zu „Oberto“ erklangen. 
Das Publikum, das aus allen Teilen Italiens zusammengestromt 


war, um der Eröffnung der Verdi-Festspiele beizuwohnen, 
fühlte den eigentümlichen Reiz, der darin liegt, den ersten 
Versuch eines unsterblichen Genius mit den vollkommenen 
Schöpfungen seiner Reifezeit vergleichen zu können. Dem 
„Oberto“ folgte das Vorspiel zur Oper „Die sizilianische Vesper“ 
und das Ballett aus derselben Oper, von ersten Tänzerinnen 
der Mailänder Scala getanzt, schloß den Abend, der die Verdi- 
Festspiele von Parma großartig einleitete. 

— Ein Verdi-Denkmal in Trient. Dem Altmeister Verdi 

ist in der historisch berühmten, früher italienischen, jetzt 
österreichischen Stadt Trient ein vornehm würdiges Denkmal 
errichtet worden. (Abb. S. 32.) In der dem Bahnhofe gegenüber- 
liegenden weitausgedehnten Gartenanlage fand das von 
dem bedeutenden Bildhauer Davide Rigatti in Trient 
modellierte Denkmal Aufstellung. Eine überlebensgroße in 
Carraramarmor hergestellte Büste ist es, die in Halbfigur in 
größter Lebenswahrheit und Porträtähnlichkeit Giuseppe Verdi 
so vorführt, wie er, der Nimmerschaffensmüde, in späteren 
Jahren bei Ausübung seiner großen Kirnst sich der großen 
Zahl seiner Verehrer und Freunde gezeigt. Ungezwungen, 
natürlich die Arme ineinander verschlungen, das Haupt leicht 
vomübergeneigt, erscheint hier der berühmte Tondichter. 
Tiefe Furchen haben bereits Alter und Geistesarbeit in die 
stark hervortretende, hohe Denkerstime gegraben, Falten 
sich über das von Wohlwollen und Gutmütigkeit beschattete 
Antlitz gebreitet. Sinnend und wie nach innen gekehrt blicken 
die weitgeöffneten Augen. — Ein schlichter Sockel aus Marmor, 
dem nur die Inschrift „Verdi“ eingemeißelt ist, trägt dies 
stimmungsvolle Monument, das den besten Darstellungen des 
Maestro zuzuzählen ist. Sofie Frank (Nürnberg ). 

— Berufsverein ausübender Künstler. In Berlin ist ein 
Berufsverein ausübender Künstler gegründet worden, der alle 
konzertierenden Künstler, Rezitatoren usw. umfassen soll. 
Geladen war zur Versammlung auch der Verwaltungsrat des 
„Düsseldorfer Verbands der konzertierenden Künstler“ Deutsch- 
lands. Die drei von diesem Verwaltungsrat erschienenen Herren 
gaben die Erklärung ab, daß die Organisation des Düssel- 
dorfer Vereins, gegen den lebhafte Klagen laut geworden sind, 
einer gründlichen Reform unterzogen werden soll. In einer 
für den 25. Oktober nach Berlin einberufenen außerordent- 
lichen Hauptversammlung soll namentlich den Mitgliedern 
ein weitgehendes Mitbestimmungsrecht eingeräumt werden 
und Verbandsdirektor Süße von seinem Amte zurücktreten. 
Die Gründung eines neuen Vereins sei deshalb nicht not- 
wendig. Dieser Auffassung widersprach Dr. Osterrieth. Ein 
Vorschlag Prof. Scharwenkas, die Gründung des Vereins unter 
den gegebenen Verhältnissen nach der Generalversammlung 
des Düsseldorfer Verbandes zu verschieben, wird nach längerer 
Debatte abgelehnt und einstimmig der Beschluß gefaßt, einen 
neuen Verein unter dem Namen „Berufsverein ausübender 
Künstler“ mit dem Sitz in Berlin zu gründen. Dr. Osterrieth 
erstattete dann das Referat über die Statuten. Zweck des 
Vereins ist danach die Wahrung und Förderung der Standes- 
und Berufsinteressen der Mitglieder, insbesondere der Organi- 
sation des Geschäftsverkehrs mit den Konzertagenturen und 
den Konzertgebem, sowie die Schaffung eines ausreichenden 
Rechtsschutzes. — Soweit die Meldung über den neuen Berufs- 
verein. Von den Zuständen des Düsseldorfer Verbandes der 
konzertierenden Künstler hat sich wohl noch kein Mensch 
ein klares Bild machen können. — Musikschriftsteller A. 
Eccarius-Sieber schreibt uns, daß er vom Vorstande und von 
der Redaktion des Verbandes der konzertierenden Künstler 
Deutschlands E. V. zurückgetreten sei. Man darf auf die wei- 
tere Entwicklung dieser ganzen Angelegenheit gespannt sein. 


Personalnachrichten. 

— In Halle a. S. ist an Stelle des kürzlich gestorbenen 
Prof. Otto Reubke Musikdirektor Alfred Rahlwes zum Uni- 
versitätsmusikdirektor ernannt worden. 

— Der Heldentenor Otfried Hagen an der Oper in Frank- 
furt ist ab 1. September 1914 wieder an das Hoftheater in 
Braunschweig, wo er vorher tätig war, verpflichtet worden. 
Ein etwas sonderbares Hinüber- und Herüberwechseln! 

— Richard Fischer, der bekannte Berliner Konzerttenorist, 
hat einen Ruf als Lehrer für Sologesang an das König! Kon- 
servatorium zu Würzburg als Nachfolger von Prof. Schultze 
erhalten. 

— Einen weiblichen Organisten besitzt die Synagogen- 
gemeinde in Elberfeld ; es ist eine erst neunzehnjährige Dame, 
Erna Zivi, die Tochter des dortigen Oberkantors. Fr! Zivi 
hat zunächst probeweise das Amt anderthalb Jahre verwaltet; 
nun ist ihr die Organistenstelle definitiv übertragen worden. 

— In Köln ist der Komponist Musikdirektor Ottemar Neubner 
gestorben. Er trat Ende der achtziger Jahre als Männerchor- 
dirigent des Kölner Sängerkreises hervor und führte ihn auf 
Gesangswettstreiten zu Ruhm und Ehren. 


41 



Anieieen fflr dl« 4 gespalten« 
Nonpareille-Zeile 75 Pfennig. 
Unter der Rubrik „Kleiner 
Anzeiger* 53 Pfennig :::::: 


Besprechungen und Anzeigen 



Bücher. 

C. Perinello: Giuseppe Verdi. Die Sammlung „Berühmte 
Musiker“, die Heinrich Reimann früher in der „Harmonie“ 
herausgegeben hat, erscheint nunmehr in der Schlesischen 
Verlagsanstalt (vormals Schottländer) in Berlin. Auf die 
bereits vorliegenden Neu ausgaben, die gegen früher noch 
erheblich gewonnen haben, kommen wir noch zu sprechen. 
Heute wollen wir der Ferrfi'-Biographie von Perinello einige 
empfehlende Worte mit auf den Weg geben, die dieses nut 
Bildern gut ausgestattete, aber nicht überladene Werk ver- 
dient. (Einige Reproduktionen unserer Verdi-Nummer sind 
ihm entnommen.) Der italienische Musikschriftsteller gibt 
ein vortrefflich gelungenes Porträt des Menschen und Künstlers 
Verdi. Mit echter Begeisterung, die hie und da nur mühsam 
hinter den Schranken zurückgehalten, die auch dem rückhalt- 
losen Bewunderer einer künstlerischen Heldengestalt gezogen 
sind, ist Perinello am Werke. Seine allgemeinen Bemerkungen 
sind treffend, wie die Besprechung der einzelnen Werke den 
genauen Kenner der Vertuschen Muse zeigt, der bei seiner 
Arbeit selbständig zu Werke geht. Er weiß auch zu tadeln, 
aber dieser Tadel unterscheidet sich sehr vorteilhaft von dem' 
hochfahrenden Ton so manches deutschen Kritikers über 
deutsche Tonkünstler von Bedeutung. Es liegt etwas wie 
Schmerz über solchen Stellen. Und sympathisch berührt 
auch die naive Art, wie Perinello Angriffe auf Verdi zurück- 
weist, Angriffe, die so töricht sind, daß man sie am besten 
mit Stillschweigen übergehen sollte. Eine Ergänzung der 
Biographie wäre zu wünschen. Auch sollte die Uebersetzung 
die vielen Relativsätze mit welcher, welche, welches in einer 
Neuauflage ausmerzen. Wer ein wahrheitsgetreues Bild von 
Verdis Leben und Schaffen haben will, der lese die (wohlfeile) 
Biographie Perinellos. 

Max Chop: Giuseppe Verdi. Musikerbiographien von 

Reclams Umversalbibliothek. Die gelben 20-Pfennig-Hefte 
bringen mehr und mehr auch Darstellungen des Lebens unserer 
Tonmeister wie auch Erläuterungen von einzelnen bedeutenden 
Werken. Daß Max Chop offenbar zum musikalischen Haus- 
kritiker der Umversalbibliothek ernannt worden ist, kann nicht 
in jedem Falle befriedigen. Eine solche Bibliothek sollte jeden 
Verdacht der Einseitigkeit vermeiden, zumal wenn diese 
im Gewände des Reaktionären einhersclneitet. Max Chop hat 
unzweifelhafte Verdienste als Musikschriftsteller, und die will 
ihm auch gewiß niemand nehmen. Aber wenn man seine 
Einleitung zur Verdi-Biographie liest, so wird man es bedauern, 
daß derartige Tiraden 5 n großen Publikum weiter ver- 
breitet werden. Der musikalisch Gebildete weiß, daß Leit- 
sätze, wie die hier, so und so oft widerlegt worden sind, er 
lächelt über solche Phrasen. Wie ist es möglich, daß ein Max 
Chop den Verdischen Wahlspruch „Tornato all’ antico e sarä 
un progresso (Kehrt zu den Alten zurück, das wird ein Fort- 
Schnitt sein) im Sinne unserer steifen Biedermänner deutet, 
die fortwährend „zu irgend einem zurück“ schreien ? Schätzt 
Chop einen Geist wie Verdi wirklich so gering ein ? Nun ich 
will Herrn Chop mit dem Verdi-Biographen Perinello ant- 
worten (die Stelle findet sich in einem aus Genua datierten 
Brief vom 5. Januar 1871, worin Verdi den angebotenen 
Posten eines Direktors am Konservatorium zu Neapel ablehnt) : 
„Diese letzten Worte des Briefes wurden sehr viel und mannig- 
faltig gedeutet und mit ihnen wurde alles zu beweisen gesucht. 
Wenn man aber den Inhalt des ganzen Briefes 
genau erfaßt hat, kann man über den Sinn nicht mehr im 
unklaren sein: kehrt zurück zu den Alten, studiert die Alten 
genau, bildet euch in ihrer strengen Schule, lernt eure Phantasie 
zügeln, ein richtiges Ebenmaß in allen euren künstlerischen 
Manifestationen halten und übertragt dann diese so erworbene 
Bildung auf euch selbst, die ihr modern angelegt seid, 
und bleibet eurer Modernität, euren natür- 
lichen künstlerischen Anlagen treu; damit werdet ihr jenen 
Fortschritt erreichen, der euch und eure Kunst ehren wird.“ 
Ich weiß es nicht, ob Max Chop den Brief kennt, der den Satz 
enthält, auf den er sein neuerliches Urteil gegen die Modernen 
stützt. 0 . K. 

G. Elllnger: E. T. A. Hoffmanns Werke in 15 Teilen (5 Bän- 
den). Deutsches Verlagshaus Bong & Co. (Goldene Klassiker- 
bibliothek.) Preis geb. 10 M. Während die Versuche, den selt- 
samen Romantiker Jean Paul dem heutigen Geschlechte 
nahezubringen, fast aussichtslos sind, wächst das Interesse 
für den andern wunderlichen Heiligen, den „Teufelshoff mann“, 
zusehends, und diese Tatsache findet ihren Ausdruck vor 
allem in den zahlreichen Veranstaltungen von Neudrucken 
seiner musikalischen und literarischen Schriften. Kein Ge- 
ringerer als H. Pftlener hat seine Oper „Undine“, von der 
C, M. v. Weber nachweislich stark beeinflußt wurde, neu be- 
arbeitet. Dr. Istel hat Hoffmanns wichtigste musikalische 


Schriften in der Sammlung „Bücher der Weisheit und Schön- 
heit“ (Greiner & Pfeiffer) und seine musikalischen Novellen 
bei Reclam neu herausgegeben. Zahllose Einzelausgaben, 
sogar solche für die Jugend, suchen das Interesse teils der 
musikalischen, teils der literarischen Kreise für den phan- 
tastischen Poeten, den einstigen preußischen Regierungsrat, 
zu erregen, der in seiner Doppelbegabung ein einzigartiger 
Vorläufer Wagners war, der gleich Goethe den Zwiespalt 
zwischen Leben und Kirnst zu überbrücken vermochte, der 
gar nodi eine dritte Kunst, die des Zeichnens und Malens, 
so weit beherrschte, daß er die Dekorationen zu seiner Oper 
selbst ausführen konnte. Auch als Dirigent, Chor- und 
Theaterkapellmeister war er längere Zeit tätig. Wie stark 
Hoffmanus phantastisches Wesen, seine Kunstanschauungen 
und seine Gestalten (Kreisler) auf Schumann und Wagner 
wirkten, ist bekannt. Des ersteren Kreisleriana, Nachtstucke 
und viele Stellen seiner „Gesammelten Schriften über Musik 
und Musiker“ sind des Zeuge. Wagner hatte in der Jugend 
„Gesichte, in denen ihm Tonika, Terz und Quint personifiziert 
erschienen“, und beschäftigte sich lange mit den „Bergwerken 
zu Falun“, um sie zu einem Libretto zu verarbeiten. Auch 
Offenbach, einige „Puppen“komponisten, in neuerer Zeit Braun- 
fels ( Brambilla) , Busom u .a . wurden durch den Zauber Hoffmann- 
scher Phantasien und Gestalten zu neuem Schaffen inspiriert. 
Hoffmanns musikkritische Abhandlungen, die sich in der 
vorliegenden prächtigen Ausgabe vollständig finden, verraten 
den hohen Ernst, mit dem er der Kunst diente, und zeigen 
ihn als weitschauenden Kenner und auf der Höhe seiner Zeit 
stehenden oder ihr (z. B. im Verständnis Beethovens) voraus- 
eilenden Fachmann. Nicht minder intensiv beschäftigen sich 
neuerdings die Literaturforscher mit dem wunderbaren Mann, 
der den ersten Detektivroman schrieb, die Doppelgängeridee 
und die Schilderung der Nachtseiten des Lebens und eine 
eigenartige Verquickung von Wirklichkeit und Märchenhaftem 
in das deutsche Schrifttum einführte und in dem Amerikaner 
Allan Poe einen würdigen Nachfolger fand. Immer wieder 
lockt es einen Forscher, das „Problem“ Hoffmann zu ergrün- 
den und sein genialisches Wesen, das besonders im Zustand 
bacchischer Begeisterung auflebte, zu enthüllen. Nach Heine- 
mann ist er auch im Ausland, hauptsächlich bei den Fran- 
zosen, bekannter und beliebter, als die meisten andern deut- 
schen Dichter. Die vorliegende Ausgabe nimmt eine hervor- 
ragende Stelle ein, denn sie ist von einem der besten Kenner 
und Biographen Hoffmanns, G. Ellinger, besorgt und steht 
in der Sorgfalt der Textwiedergabe und in der Schönheit der 
Ausstattung unübertroffen da. Das 127 Seiten starke Lebens- 
bild und die Anmerkungen aus der Feder des Herausgebers, 
sowie die beigegebenen Illustrationen, darunter Hoffmanns 
eigene Zeichnungen, erhöhen den Wert der Ausgabe und er- 
leichtern vielfach das Verständnis. Jeder, der Hoffmanns 
Bedeutung erfaßt und ihn liebgewonnen hat, wird freudig 
nach dieser vollständigen und den Schrank zierenden Aus- 
gabe seiner Schriften greifen. C. Knayer. 


Unsere Musikbeilage zu Heft 2, dem „FW*VHeft“, bringt 
zwei Szenen aus des Meisters Schwanengesang, der lyrischen 
Komödie „Falstaff“. Die erste versetzt uns in das Zimmer 
der Frau Alice Ford (Frau Flut). Falstaff ist von den „Lusti- 
gen Weibern“ zum Stelldichein geladen worden. Wie die 
Sache ausgeht, weiß jeder, wenn nicht aus Shakespeare, so 
doch aus Nicolais Oper. Der dicke Sir John wird im Wasch- 
korb hinau* getragen und in den Bach geworfen. Verdi und 
sein Textbearbeiter Boito lehnen sich allerdings mehr an das 
Original an. Szene und Duett geben ein Bild von Verdis 
Charakterisierungskunst, Falstaff ist mit derben Strichen ge- 
zeichnet. der Dialog ist sehr fein und reizend (z. B. die Stellen 
„bei solcher Pracht“ und „daß Euer Herz nur allzuleicht 
verwundbar“). Dabei ist die Musik wieder durchaus melodiös. 
Das entzückende Elfenstücklein ist dem letzten Akte, der 
Szenerie des Jägers Herne, wo Falstaff mit dem Hirschgeweih 
erscheint, entnommen. Der Klavierauszug gibt ein Bild 
dieses schönen, reifen Werkes des 80jährigen Verdi. Große 
Ensemble- und Chorsätze finden wir darin, den Schluß krönt 
eine prächtige Fuge! Der deutsche Text stammt von Max 
Kalbeck. Der Klavierauszug ist bei Ricordi in Mailand er- 
schienen und kostet 16 Mark. 

* * * 

Als Kunstbeilage überreichen wir unseren Lesern heute ein 
Bild von Giuseppe Verdi. 


Verantwortlicher Redakteur: Oswald Kühn ln Stuttgart. 
Schluß der Redaktion am 4. Oktober, Ausgabe dieses Heftes 
am 16. Oktober, des nächsten Heftes am 30. Oktober. 


42 





Dur und Moll 


— Verdi als Lehrer des Selbst- 
mordes. In den Erinnerungen 
an die Uraufführung von Verdis 
„Othello“ (am 5 . Februar 1887 ), 
die Verdis Biograph Monaldi im 
„Emporium“ veröffentlicht, ist 
eine reizende Geschichte von 
Verdi als Lehrer des Selbst- 
mordes enthalten. Tamagno 
war bis zur Uraufführung des 
„Othello“ immer nur der stimm- 
gewaltige Tenor gewesen, an 
diesem Abend aber lernte man 
auch seine große Schauspiel- 
kunst kennen, und das trat 
besonders in der Selbstmord- 
szene zutage. Dies ging auf 
Verdi zurück. Bei den Proben 
hatte er sich immer die größte 
Mühe gegeben, Tamagnos Spiel 
zu verbessern, und fast alles 
führte Tamagno auch zu Verdis 
Zufriedenheit aus, nur nicht den 
Selbstmord. Eine Tages ver- 
lor Verdi bei der Probe die Ge- 
duld: er machte Tamagno den 
Selbstmord vor, und die Mit- 
spieler sahen mit Staunen, wie 
der 75 jährige Verdi nach dem 
Selbstmorde röchelnd die drei 
Stufen hinunterrollte, die zum 
Bette Desdemonas führten. 
Verdi starb' so natürlich, daß 
alle Anwesenden glaubten, er 
sei einem plötzlichen Herz- 
schlage erlegen! 


Briefkasten 


A. H. Wenden Sie sich direkt an den 
Komponisten selber, Richard Kügcle, kgL 
Seminarlehrer, Görlitz. 

P. Kr. in H. Dank für die „Erinne- 
rung“. Bei der immerhin nicht grollen 
Zahl von Cellospielern können Cellostücke 
für die Musikbeilage nicht oft in Betracht 
kommen. Rechnen Sie die Trios nicht mit? 
Wir wollen sehen, was sich machen läßt. 

0 . M. Herr Max Battke in Berlin, von 
dem auch der Aufsatz in heutiger Num- 
mer stammt, wird Ihnen gern die ge- 
wünschte Auskunft geben. Seine Adresse 
ist: Berlin W. 30, Neue Winterfeldtstr. 48. 

J, H. 1. Die Tonsatziebre von Koch er- 
scheint bisher noch nicht in Heften. 2. Als 
Flageolettou nicht denkbar. 3. Durch loses 
Aufsetzen des ersten Fingers (dritte Lage) 
und Trillern mit dem zweiten Finger. 4» Im 
vorliegenden Fall wohl als Doppeltriole. 
Ein besonderes Kennzeichen bleibt nur 
das Betonungszeichen (>-), oder Triolen- 
zeichen (3}, die jedoch meistens fehlen und 
es der Auffassung des Spielers überlassen 
bleibt, das Richtige zu finden. In dem 
von Ihnen angegebenen Takt könnten nur 
Sexlolen in Betracht kommen, wenn am 
Anfang eine Achteltriole stünde. 



@1 Böhmflöten @ 


J. Mollenhauer & Söhne, FULDA 

Hoflieferanten Gegr. 1832 


[elodiebildungs-Lehre 


M l 

von Prof. E. Breslaur. 

brosch M. 2.40 

geb. ....... 3.- 

Verlag Carl Grüninger, Stuttgart. 


J. C. Lobe * Katechismus der Musik 


Durchgesehen und bearbeitet von H. Leichtentritt 

===== Geheftet 1 M., gebunden 1.50 M. = 


D ieser kleine Katechismus der Musik wurde bereits vor einigen Jahrzehnten von 
seinem Verfasser J. C. Lobe, der sich durch seine zahlreichen theoretischen 
Schriften einen großen Ruf erworben hat, veröffentlicht. Das Büchlein hat sich 
seinen Weg durch die Welt gebahnt und ist eines der beliebtesten Lehrbücher der 
elementaren Musiklehre geworden, für dessen Brauchbarkeit Dutzende von Auflagen 
sprechen. Mit vorliegendem Werke ist den Musiklehrern ein bequemer Leitfaden bei 
ihrem Unterricht, den Schülern ein leicht verständliches Repetierbüchlein geboten; 
es will aber auch den Dilettanten zum Nachschlagen dienen, um etwaige Wissens- 
lücken ergänzen, dunkle oder zweifelhafte Begriffe aufklären, falsche berichtigen zu 
helfen.- Die neue Auflage hält sich in Anordnung des Stoffes und Art der Behand- 
lung an Lobes weitverbreitetes Büchlein. Nur ist den modernen Anschauungen Rech- 
nung getragen, vieles Veraltete, kleine Irrtümer sind beseitigt, dafür ist manches neu 
hinzugefügt worden, den Definitionen ist eine möglichst präzise Form gegeben. :: 


Vorschule der Harmonielehre 

von Heinr. Wohlfahrt 


Eine leichtfaßliche Anleitung zu 
schriftlicher Bearbeitung der Ton- 
stufen, Tonleitern, Intervalle, Akkorde 
usw. 11. Auflage. Geheftet 1 M., 
gebunden 1.50 M. 


Wegweiser zum Komponieren 

von Heinr. Wohlfahrt 

Für Musik-Dilettanten, welche sich in kurzer 
Zeit und ohne Hilfe eines Lehrers befähigen 
wollen, Melodien zu bilden und mit passender 
Begleitung zu versehen, überhaupt leichtere 
Arten von Musikstücken zu komponieren. 
6 . Auflage. Geheftet 1 M., gebunden 1.50 M. 


Verlag von Breltkopf & Hirtel In Leipzig 



ASPRENGER 

STUTTGART 


1 


Cefes-Edition. 


Kammermusik. 


no.M. 


Fark&9, Oed 6 n/ Streichquartett c-moll (Allegro' 1 ';— Andante canta- ■*) j 
bile — AUegretto scherzando — Allegro) 4 «“ * 

— Serenade für 2 Violinen, Viola, Cello, BaB : 

Satz I. Moderato pastorale. Partitur und Stimmen i.8o 

Satz II. Romanze für Vtolin-Soto mit Stretchquintettbgltg. Part. »t. St. i.8o 

Satz III. Andante con moto. Partitur und Stimmen x.üo 

Satz IV. Allegro. Partitur und Stimmen I -®° 

Satz I — IV zusammen, Partitur und Stimmen . . . 5 - — 

Hahn, A., Sonate Es-dur für Violine mit Pianoforte (Allegro — I<ar- 

ghetto — Menuett Allegro — Finale. Vivace) 3 - — 

Heidrfch, M., op. i2. Sonate g-moll für Violine mit Pianotorte 
(Allegro con fuoco — Adagio — Presto aJla Tarantella) 2 - 5 ° 

— op. 4. Sonate fls-moli für Cello mit Pianolorte (Molto moderato — 

Allegro molto — TranquUio — Allegro) 2.50 

— op. 24. Streichquartett in e-moll 2. — 

— op. 2g. Streichquartett in g-moll 3 - — 

— op. 33. Trio für Klarinette, Viola und Cello i- 5 ® 

— dito, für Violine, Viola und Cello i-J° 

— dilo. Partitur (Taschenausgabe) 1 - 5 ° 

Helm, M., Quintett Es-dur für Flöte, Oboe, Horn, Klarinette u.Fagott 

(Allegro vivace über ein Ungar. Thema — Andante — Rondo presto) 4. 
Scherrer, H., op. 11. Altfranzösische Tänze für Flöte, Oboe, 2 Klari- 
netten, Hern und Fagott (Bourrde I, II — Sarabande — Menuett — 

Gavotte-Musette). Partitur und Stimmen 5 - 

Sommer, W., op. 3. Streichquartett g-moll (Allegro moderato — 
Adagio molto — Al'eero — Kleine Fuge. AUegretto — Allegro mod.) 4. 

— op. 4. Trio G-dur für Violine, Viola, CeUo (Allegro — IdyU. Adagio 

— Intermezzo. Vivace — Allegro) 3 - 

— op 5. Trio D-moU für Violine, Viola, Cello (Allegro moderato — 
Adagio. Menuett — AUegretto — Adagio — AJlegro) ....... 3 

— op. 8. Trio F-dur für VioUne, Viola, Cello (AUegretto — Adagio — 
AUegretto — Eine freie Fughette. AUegretto — Finale. AUegretto mod.) 3 -— 

— op. 12. Streiehqnintett B-dur für 2 Violinen, Viola und 2 Celli (Allegro 
non tauto — • Adagio non tanto — Allegro — Adagio AUegro mod.) 4. 

Stark, R., Sonate Es-dur für 2 Klarinetten (AUegro risoluto — Adagio 

— AUegro assai — AUegro vivace) ; ■ • •.v; 1 

— Sonate g-moll für 2 Klarinetten u. Fagott (Allegro maestoso — Adagio ^ 

— AUegro molto quasi presto) 

— dito für 2 Klarinetten und Bassetthorn 2 — 

Wagner-Loeberschtttz, Th., op. 15- Streichquartett B-dur (Al- 
legro brioso — Adagio doioroso — AUegretto grazioso — AUegro 
furioso). Partitur Stimmen .’ .' 4 - 

OOOQQ Bei Voreinsendung des Betrage» portofreie Zusendung. OOOOO 

C. F. Schmidt, Heilbronn a. N. 


50 



'FW0LFFX50H11’ 5 ) 

ODONTfl 

•ZAHM - PRÄPARATE- 



43 













Kompositionen 


( Redak tlonsschluß am 2. Oktober.) 

Ohlif. Ihre Darstellungswel^e leidet 
immer noch an Verschwommenheit. Statt 
einen Grundgedanken in sinngemäßer 
Plastik durchzuführen, bieten Sie lose zu- 
sammenhängende Bruchstücke manchmal 
recht exotischen Charakteis. 

F. S. M. G. .Sie lassen uns mit Ihren 
freimütigen selbstkritischen Aeußerungen 
wissen, daß Sic sich über die Bedeutung 
und die Grenzen Ihres schöpferischen 
Könnens nicht im unklaren sind. Kürze , 
ist des Witzes Würze. Die Sonatensatze 
sind zu breit gesponnen. Das motivische 
Material darin zeugt von einem gesunden 
Empfinden; nur der Aufbau mit den 
typischen Gegensätzen klassischer Gliede- 
rung will nicht gelingen. Durph analytische 
Studien an der Hand z. B. der Sonaten- 
ausgaben von Lebert und Stark (Cotta) 
könnten Sie Ihr gediegenes Talent wesent- 
lich fördern. Siod Sie nicht ein Schwabe 
von Geburt? 

J. K. G. Ihre Jubiläumskantate läßt 
manchen Wunsch offen. Von dem tüch- 
tigen Quarteltkomponisten hätten wir 
etwas Besseres erwartet. Das Ganze trägt 
nur zu deutlich den Stempel der Gelegen- 
heit smache, ist, von einigen guten An- 
läufen abgesehen, erfindungsann, ohne 
wahre Kraft und mitreißenden Schwung. 
Auch „Der eifrige Jäger“ enttäuscht. Wo 
fehlt’s? Einem guten Dilettanten konnte 
man die Produkte noch hingehen lassen, 
wenn es aber Ihr musikalisches Prestige 
gilt, so raten wir zur Vorsicht. 

Retfnng. Mit den aufgewendeten Mit- 
teln ist die Stimmung einigermaßen an- 
gedeutet. Als Illustrationsprobe macht 
das Ganze einen malten Eindruck. Ihr 
künstlerisches Empfinden müßte sich noch 
mehr entwickeln. 

Al. R— gl., PI. Ihr Hebevoll geschrie- 
bener Kommentar vermochte uns Ihr 
„Lied des Einsamen“ nicht näher zu 
rücken. Die Stärke Ihres hübschen Ta- 
lents zeigt sich in der lyrischen Tonpoesie 
volkstümlicher Richtung; sobald Sie sich 
darüber hinausbegeben, verfallen Sie ins 
Manierierte, wie z. B. am Schluß Ihres 
sonsC nicht üblen Lieds. 

Walter, Lübeck. Abschreckend an Ihrer 
Fantasie für Harmoulum wirkt der vorn 
stehende Vermerk : 25 Minuten. Ein doch 
gar zu langes Trum! Zwar wollen wir die 
Spiel8cligkeit, aus der das Stück geflossen 
ist, doch nicht ganz verachten. Man be- 
gegnet mitunter ganz manierlichen Ein- 
fällen. Auch die Lieder stellen bei aller 
Einfachheit die Natürlichkeit Ihres musi- 
kalischen Empfindens außer Zweifel, und 
wir wollen hoffen, daß Ihr freundliches 
Musizieren noch zu guten Erfolgen führen 
wird. 


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XXXV. VERLAG VON CARL GRÜNINGER, STUTTGART-LEIPZIG 1914 

Jahrgang Preis des Jahrgangs (Oktober 1913 bis September 1914) 8 Mark. Heft 3 

Erscheint vierteljährlich ln 6 Heften (mit Mualkbeilaeen, Ktmalbdlage und „Batka, illustrierte Geschichte der Musik* 4 ). Abonnementpreis t M. vierteljährlich, 8 M. jährlich. 
Einzelne Hefte 50 Pf. — Bestellungen durch alle Buch- und Musikalienhandlungen sowie durch sämtliche Postanstalten. Bei Kreuzbandversand ab Stuttgart im deutsch- 

österreichischen Postgebiet M. 10.40, Im übrigen Weltpostverein M. 12. — jährlich. 


Inhalt* Eine moderne Gluck- Bewegung. I. Die Gluck- Gemeinde an die deutschen Opern bühnen. II. Die Gluck -Gesellschaft an die Zeilnngsredaktionen. — KapelL» 
111 11 Oll • me ister-Sorgen und -Hoffnungen. (Zur Lehrerfrage.) Entgegnung. Erklärung des Verbandes Deutscher Orchester- und Chorleiter. — Moderne Geiger. Karl 
Flesch, biographische Skizze. — Wie ein „Walzer* 4 entsteht. Plauderei in Briefen an eine Freundin, (Fortsetzung.) — Max Regers Böcklln-Sulte. — Bernhard Sekles: 
Der Zwerg und die Infantin. Tanzspiel in 2 Bildern nach Oscar Wilde. — Berliner Opernbrlef. — Rückblicke auf die Breslauer Jublläumsmusik. — Dem Gedächtnis einer 
Sängerin. — Das neue Stadttheater in Hellbronn. — Kritische Rundschau: Bremerhaven, Königsberg i. Pr. — Kunst und Künstler. — Besprechungen: Klaviermusik und 
Lieder. Männerchöre. Verschiedenes. — Briefkasten. — Neue Musikalien. — Dur und Moll. — Musikbeilage. 


Eine moderne Gluck-Bewegung. 

I. Die Gluck -Gemeinde an die deutschen OpernbOhnen. 

D aß ein Meister wie Gluck ganzen Generationen so 
gut wie unbekannt sein konnte, ist eins der wenig 
erfreulichen Kapitel der künstlerischen Entwicklungen, 
woran freilich die Musikgeschichte nicht gerade arm ist. 
Die reine Schönheit, der Adel seiner Musik, ihr drama- 
tischer Atem, ihre Melodiösität sind ganz danach angetan, 
einer Epoche, die nach Kultur und vielseitiger Kunst- 
äußerung mehr und mehr strebt, neue Quellen hierfür zu 
erschließen. Aber immer noch sind zu einseitige An- 
schauungen und Richtungslinien das große Hemmnis der 
reichsten Entwicklungsmöglichkeiten. Wir haben z. B. 
eine BacA-Bewegung, die, so wertvoll sie ist, heute schon 
anfängt, bedenklich in die Breite zu gehen. Und relativ 
gesehen würde sie bei weiterem Hochdrucksbetrieb noch 
bedenklicher, da durch ihre Expansion die Möglichkeiten 
für andere, nicht minder wichtige Regenerationsbestre- 
bungen weggenommen würden. Der Name Bach ertönt 
an allen Ecken und Enden, der Name Gluck war ver- 
gessen. Wir brauchen aber beide Meister im Sinne einer 
modernen, nachwagnerischen Musikkultur. In diesem Mo- 
ment treten nun zwei Förderer. Gluckscher Musik auf den 
Plan. Zwei! Sonst wäre es ja nicht „deutsch". Es 
scheint unmöglich zu sein, gemeinsam zu marschieren. 
Nun, so sollte man wenigstens gemeinsam schlagen. 
Und sich nicht etwa entzweit befehden. Die Gluck- 
Gemeinde vertritt in der Person ihres Gründers, Dr. Max 
Arend in Dresden, die ältere Vereinigung. Die Gluck- 
Gesellschaft hat die „Wissenschaftler“ vereinigt. Wir ent- 
halten uns heute naturgemäß jeder Kritik, wir werden 
die Bewegung an sich kräftig unterstützen, wie wir es 
seit einiger Zeit schon beschlossen hatten, selbs tändi g 
für Glucks Wiedergeburt zu wirken. (Nur an einem 
können wir auch heute nicht vorübergehen: an der For- 
derung, daß an Glucks Orchester nichts geändert wer- 
den dürfe. Wer allein Bearbeitungen Mottls kennt, kann 
dem nicht beipflichten. Die Beilage zu diesem Heft 
enthält eine Glucksche Komposition.) Red. d. „N. M.-Z 

* « 

* 

Am 2. Juli 1914 jährt sich züm zweihundertsten Male 
der Geburtstag Glucks, des Großmeisters der klassischen 
Musiktragödie. Paris rüstet sich zu einer großartigen 
Ehrung unseres deutschen Meisters. In Deutschland 
aber fürchten nur allzuviele, die Bühnenpraktiker, Re- 
gisseure, Sänger, Dirigenten möchten den Gluckschen 


Stil kaum noch kennen, der eine so wahrhaft unerschöpf- 
liche Fülle birgt und zu dessen vollendeter Beherrschung 
eine sehr intensive und lange Beschäftigung mit der Kunst 
Glucks gehört. Wie sollte sich auch zu ihm in unserer Zeit 
ein inneres Verhältnis gebildet haben, die ihn seit Jahr- 
zehnten fast vollkommen vernachlässigt? Und doch! eine 
Gluck- Aufführung im Jahre 1914 bedeutet mehr als die 
Erfüllung einer Anstandspflicht einem großen Meister 
gegenüber. Sie bedeutet vielmehr oder kann doch bedeuten 
die Wiedergeburt einer verlorenen, wahrhaft großen Kunst. 
Und die Bedeutung einer solchen Möglichkeit kann wohl 
in dieser suchenden Zeit kaum überschätzt werden! 

Praktisch am wichtigsten ist die Frage: Welches Werk 
Glucks soll aufgeführt werden ? Wir raten, tun eine genuß- 
volle und nachhaltige Einstimmung in Glucks Kunst zu 
erwirken, zur Aufführung von mindestens drei Werken, 
unter denen sich befinden müssen: die „Iphigenie auf 
Tauris“, die „Alceste“ und ein komisches Werk, etwa 
die „Pilger von Mekka“ oder der „Zauberbaum“. Mit 
einem Werk ist es nicht getan. Wir nennen nicht den 
„Orpheus“, das Werk, dessen außerordentliche Schön- 
heiten am ehesten heute noch bekannt sind. Wir meinen, 
neben den genannten Werken könne auch „Orpheus“ 
gegeben werden, nicht aber als einziges Werk, denn die 
Sonderart des „Orpheus“ läßt den großen tragischen Stil 
des Meisters minder deutlich erkennen. Besonders 
empfohlen wird die unvergleichlich erhabene „Alceste“, 
das Werk Glucks, das sein eigentliches Reformwerk ist, 
in dem die Kastraten verschwinden, und mit dem der 
letzte Stil Glucks gewonnen ist, das Werk, das ästhetisch 
betrachtet, auf dem äußersten Punkte tragischer Erhaben- 
heit steht l . Neben „Alceste“ ist die „Iphigenie auf Tauris“ 
deshalb zu empfehlen, weil sie unbestritten das schönste 
harmonischste Werk Glucks ist. Großen Reichtum der 
Kunstmittel, insbesondere auch große choreographische 
Mittel fordert „Armida“. Ein reckenhaftes gewaltiges 
Werk ist die „Iphigenie in Aulis“, deren Ouvertüre fast 
das einzige allgemein bekannte Musikstück von Gluck ist. 


1 Es mag erwähnt sein, daß Felix Mottl sich kurz vor seinem 
Tode mit der Absicht trug, die „Alceste“ in München zu geben. 
Das hatte bereits im Winter vor seinem Tode geschehen sollen, 
Mottl kam aber wegen seines angegriffenen Gesundheits- 
zustandes nicht dazu. Der Mitunterzeichnete Dr. Arend be- 
sitzt einen köstlichen Brief des großen Gluck-Dirigenten, 
worin dieser schreibt, die Saison sei jetzt für etwas so Ernstes 
zu weit vorgeschritten, aber „im Herbst kommt .Alceste' 
bestimmt!“ Sie kam nicht: am 2. Juli 1911, am Geburts- 
tage Glucks, entfiel der Dirigentenstab für immer der Hand 
Mottls. 


45 









Diese „Iphigenie in Aulis" liegt in einer Bearbeitung von 
Richard Wagner vor. Es gilt, grundsätzlich Stellung zu 
Bearbeitungen Gluckscher Werke zu nehmen. Wer immer 
Wert auf Stilreinheit legt, kann diese nur imbedingt ab- 
lehnen. Sinn für Stilreinheit ist hier nun gewiß kein 
philologischer, wissenschaftlich gefärbter Purismus, son- 
dern die tiefe Ueberzeugung, daß ein Meister wie Gluck 
in seinen Hauptwerken nicht veraltet, und daß unsere 
vielempfängliche Zeit mit einiger Anstrengung und Liebe, 
wie sie alle große Kunst erfordert, den Weg zu ihm selbst 
finden wird. Wagners Bearbeitung stammt aus den vier- 
ziger Jahren des 19. Jahrhunderts, aus der Stilperiode des 
„Tannhäuser“. Man kann ruhig sagen: der Stil dieser 
Bearbeitung ist weit mehr verblaßt als das höchst originelle 
Glucksche Werk. Außerdem hört man überall Wagner: in 
der Verwendung der Holzbläser, in dem Erlösungsmotiv 
des dritten Aktes, in den Uebergängen. Dazu war Wagner 
durch die Unzulänglichkeit seines Personals gezwungen, 
das 'dramatisch hochwirksame Ballett, das so reiche und 
prächtige Büder gibt und Stimmungen farbenstark aus- 
klingen läßt, fast ganz zu streichen, die Rolle des Achilles 
aber in einer Weise zu verstümmeln, daß der Gesangstil 
vernichtet ist. Die moderne Instrumentierung verhindert 
die Singstimme, die bei Gluck durchaus Trägerin der 
Musik ist, sich zu entfalten. Kurz, diese Wagnersche Be- 
arbeitung macht Gluck mehr oder weniger unkenntlich. 
Damit wird der musikalische Wert der Wagnerschen 
Bearbeitung natürlich nicht berührt; aber eine Bearbeitung, 
die Gluck zerstört, muß in jedem Falle für eine Ehrung 
Glucks völlig außer Betracht bleiben. Noch weit mehr 
gilt dies von der Bearbeitung, die Prof. Schlar der „Armida“ 
gegeben hat (der sogenannten „Wiesbadner Bearbeitung") : 
sie ist kaum noch ein Glucksches Werk, sondern müßte 
eher als Oper von Schlar mit Benutzung Gluckscher Motive 
bezeichnet werden. Auch die Bearbeitung der „Iphigenie 
auf Tauris“ von Richard Strauß muß von diesem Stand- 
punkt aus abgelehnt werden. 

Alle diese Bearbeitungen enthalten aber auch einen wert- 
vollen Gedanken: mit den hundert Jahre alten schlechten 
deutschen Uebersetzungen von Sander geht es wirklich 
nicht mehrl Es wird darum dringend empfohlen, die guten 
neuen Uebersetzungen von Peter Cornelius und anderen 
zu benützen, die der sogenannten Pelletan-Partiturausgabe 
zugrunde liegen. Die „Gluck-Gemeinde“ erteüt auf An- 
frage (kostenlos) Auskunft über ihre Beschaffung. 

Die Schwierigkeit, Glucksche Gesangrollen zweckmäßig 
zu besetzen, beruht darauf, daß auf unserer Bühne Wagner 
herrscht, und daß darum die Sänger — noch vor etwa 
dreißig Jahren wurden sie mit Rücksicht auf Mozartsche 
und Glucksche Rollen angestellt! — heute nur noch ver- 
einzelt Glucksche Rollen studieren und in der Regel des- 
halb deren Gesangstil kaum kennen. Dieser Stil erfordert 
zwei Fähigkeiten: Gesang im altitalienischen Sinne und 
eine jede musikalische Gebärde treu verdeutlichende Kunst 
des Vortrages. 

Es versteht sich von selbst, daß nur der erste Kapell- 
meister mit der Leitung von Ghick-Aufführungen betraut 
werden darf, ja daß man vielleicht . gut tun wird, einen 
Spezialisten als Gastdirigenten zu gewinnen, und daß im 
übrigen, was Chor, Ballett und Dekorationen anlangt, 
alles getan sein muß, um Gluck gerecht zu werden. Die 
großen Gluckschen Werke sind für den Apparat der größten 
Bühne der Welt: der Großen Oper in Paris, konzipiert 
und nützen diesen Apparat voll aus! 

Die erwähnten großen tragischen Opern, nämlich „Or- 
pheus“, „Alceste“, „Armida", „Iphigenie in Aulis“ und 
„Iphigenie auf Tauris“ stehen ja noch hier und da in 
deutschen Spielplänen. Dagegen sind die komischen 
Opern, mit Ausnahme des „Betrogenen Kadi“, überhaupt 
nicht bekannt 1 . Wir empfehlen die „Pilger von Mekka“ 

1 Von vornherein auszuscheiden ist die „Maienkönigin“ , 
ein Werk, das bekanntlich nicht von Gluck herrührt. Eine 
Bühne, die Gluck mit einer Aufführung der „Maienkönigin“ 

46 


und den „Zauberbaum“; die „Pilger“ sind" eine reiche 
dreiaktige Oper, die nicht nur komische, sondern auch 
innig-gemütvolle Teile aufweist, der „Zauberbaum" ein 
einaktiger Schwank mit köstlichen Melodien, geeignet, die 
„Maienkönigin“ zu ersetzen durch einen echten Gluck. 

Die „G luck-Gemeinde“ gibt auf An- 
fragen an die Unterzeichnete Geschäfts- 
stelle kostenlos Auskunft über die Be- 
schaffung des Auf f ü h r un g s m a t e r i al s 
aller hier genannten und auch der hier 
nicht genannten Gluckschen Werke und 
besorgt von ungedruckten Partituren 
zum Selbstkostenpreise Abschriften. 

Wie diese komischen Opern, so gibt es noch eine Reihe 
von unbekannten Meisterwerken Glucks, deren Aufführung 
für das Jubeljahr empfohlen werden kann. Hierher ge- 
hören zunächst die beiden großen Opern aus Glucks letzter 
Stilperiode „Paris und Helena“ und „Echo und Narciß“. 
„Paris und Helena“ wird außer durch seine großartige 
Chor- und Ballettmusik besonders d a wirken, wo die 
beiden Hauptrollen mit psychologischer Vertiefung von 
ihren Darstellern herausgearbeitet werden können. „Echo 
und Narciß“ aber ist ein mythologisches Spiel von außer- 
ordentlicher Feinheit, das in einem aparten, ihm an- 
gemessenen künstlerischen Rahmen erscheinen muß, 
dann aber durch die elegische Feinheit und den Adel seiner 
Musik eine außerordentliche Wirkung macht. Neue Auf- 
gaben stellt die Ballettpantomime „Don Juan“ von Gluck, 
von der neben der Musik das Scenarium, d. h. die auszu- 
drückende Handlung, erhalten ist, nicht aber anscheinend 
das choreographische Material. Dieses Ballett zeigt in 
vier Szenen Ständchen und Zweikampf, Gastmahl, Kirch- 
hofsszene und Don Juans Höllenfahrt. Während das 
Ständchen und das Gastmahl eine reiche Fülle musika- 
lischer Schönheiten enthalten, erschüttert die Kirchhofs- 
szene und Don Juans Höllenfahrt durch großartige Kraft. 
Stets aber übt diese Pantomimenmusik eine zwingende 
dramatische Bannwirkung. 

Mit Rücksicht auf die Größe und Neuheit der vor- 
liegenden Aufgaben ist wohl eine gewisse Beschränkung 
geboten: Daß sämtliche zehn oben genannten Werke von 
einer Bühne gegeben werden, ist heute noch so wenig 
ästhetisch möglich, wie vor vierzig Jahren ein Wagner- 
Zyklus mit zehn Werken möglich gewesen wäre. Viel- 
mehr wird sich zweckmäßigerweise die künstlerische Arbeit 
der einzelnen Bühnen auf einige wenige Werke konzen- 
trieren, damit diese vollendet herauskommen. Bei der 
Wichtigkeit der Sache muß ja immer wieder auf eine 
hervorspringende Eigentümlichkeit der Gluckschen Kunst 
hingewiesen werden: daß sie nämlich gegen minderwertige 
und stillose Aufführungen weit empfindlicher ist als fast 
alle anderen Werke. Das ist die Folge der hohen künst- 
lerischen Oekonomie dieser Werke, die alles 
verschmähen, was auf den Effekt abzielt. Eine Gluck- 
Aufführung muß außerordentlich sorgfältig einstudiert 
sein, und alle Teile, Gesang, Orchester, Dekorationen, 
Ballett, müssen mit vollem Verständnis der dramatischen 
Aufgabe ineinandergreifen. Eine schlechte Gluck-Auf- 
führung — und das ist schon eine mittelmäßige Auffüh- 
rung — schadet der Sache und macht niemanden Freude. 
Bei sehr guter Darstellung aber geht von diesen Werken, 
wie wir oft in Paris, aber auch unter Mahler in Wien und 
unter Mottl in München erleben konnten, eine außerordent- 
liche Wirkung aus, eine Wirkung, die nur von den höchsten 
Höhen der Kunst ausgehen kann. Nur mit solchen 
Aufführungen haben Gluck-Ehrungen einen Sinn, und nur 
mit solchen Aufführungen können sie auch einen 
Kassenerfolg bringen. 


zu ehren unternehmen wollte, würde gut tun, lieber diese 
Ehrung völlig zu unterlassen, als das Publikum über den 
Stil des großäi Meisters irre zu führen. Völlig unbrauchbar 
durch die moderne Bearbeitung von Fuchs ist leider auch 
der „Betrogene Kadi“. 



Auf Gluck-Auffiihnmgen rechtzeitig vorher hinzuweisen 
und das Publikum, das auf diese Kunst infolge der dar- 
gelegten Umstände natürlich nicht eingestimmt ist, vor- 
zubereiten, dazu wird sich die anständige Presse ohne 
Zweifel ebenfalls gewinnen lassen. Und man schrecke 
nicht bei dem Gedanken zurück: Was sollen wir Aufwen- 
dungen an künstlerischer Kraft und Geld machen für ein 
Publikum, das voraussichtlich undankbar ist ? Das zahllose 
Publikum von heute enthält für alles wahrhaft Große eine 
Gemeinde in sich. Es muß sich auch für Gluck-Auffüh- 
rungen eine solche bilden und gewinnen lassen; bei 
vollendeter künstlerischer Durcharbeitung und nachdrück- 
licher öffentlicher Arbeit für die große Sache ist der Erfolg 
unzweifelhaft. Die „Gluck-Gemeinde“ wird Bühnen, die 
gute Gluck-Aufführungen bringen wollen, durch geeignete 
Propaganda, soweit sie möglich und zweckmäßig erscheint, 
nach Kräften unterstützen! 

Dresden 1913, Mathildenstr. 46. 

Der Gesamtvorstand der „Gluck-Gemeinde“: 

Dr. Max Arend, Dr. Ferdinand Avenarius, Prof. Friedrich 
Brandes, Prof. Dr. Hermann Freiherr v. d. Pfordten, 
Redakteur Wolf Schumann, Kapellmeiser Josef Stransky. 


II. Die Gluck-Gesellschaft an die Zeitungsredaktionen. 

Die andere Vereinigung, die Gluck-Gesellschaft, im Gegen- 
satz zur „Gluck-Gemeinde“, versendet folgende Mitteilungen 
an die Redaktionen: 

Die Gluck-Gesellschaft hat in ihrer letzten Mitglieder- 
versammlung eingreifende Satzungsänderungen beschlossen, 
nachdem durch die der Musikwissenschaft angehörigen Ver- 
treter des Direktoriums festgestellt worden war, daß eine 
in den Satzungen in Aussicht genommene Gesamtaus- 
gabe der Gluckschen Werke undurchführbar sei und nur 
eine wohl getroffene große Auswahl wissenschaftliche Be- 
rechtigung habe. Durch Uebereinkommen zwischen dem 
Direktorium und den Kommissionen für die Herausgabe 
der „Denkmäler der Tonkunst in Oesterreich“ und den 
„Denkmälern der Tonkunst in Bayern“ haben diese die 
Herausgabe Gluckscher Werke nunmehr ausgiebig in ihren 
Arbeitsplan aufgenommen. Die „Oesterreichischen Denk- 
mäler“ nahmen in Aussicht: Orfeo, Alceste, Paride et 
Elena, Telemacco, Ezio, Seiniramide, Antigono, Sofonisbe, 
De Chinese, sechs französische Singspiele, Instrumental- 
musik und Ballette, Gesangstücke und Dieder; auch alle 
für Wien (den kaiserlichen Hof) und andere österreichische 
Städte geschriebenen Werke. Die „Bayerischen Denk- 
mäler“ haben zunächst die Herausgabe einer Auswahl der 
Jugendkompositionen, „Nozze d’Ercole" und „Cythere 
assiegee“, sowie einer der beiden Iphigenien vorgesehen. 
Die großen von Gluck für Paris, die Stätte seiner Triumphe, 
geschaffenen oder neu gestalteten Werke liegen ergänzend 
in einer großen Partiturausgabe, besorgt von Fanny Pelletan, 
B. Damcke und Camille St. Saens, im Verlage von Breit- 
kopf & Härtel in Leipzig vor. Die Gluck-Gesellschaft 
widmet sich nunmehr der durch die neuen Satzungen ge- 
stellten Aufgaben: Der Herausgabe von praktischen Aus- 
gaben der Hauptwerke Glucks und der ihm gleichgesinnten 
Italiener. Weiter soll sie literarisch das Verständnis für 
die Art und Bedeutung des großen Tragikers wecken und 
fördern. In diesem Sinne ist die Begründung eines Gluck- 
Jahrbuches beschlossen worden, dessen Redaktion und 
Herausgabe Prof. Dr. Hermann Albert in Halle a. S. über- 
nommen hat, der auch eine große Biographie des Meisters 
vorbereitet. Der erste Jahrgang soll den Mitgliedern noch 
in diesem Jahre als Gesellschaftsgabe zugehen. 

Die von der „Gluck-Gemeinde“ beabsichtigten Veröffent- 
lichungen haben weder mit der Gluck-Gesellschaft noch 
mit den „Denkmälern der Tonkunst in Oesterreich" und 
„Denkmälern deutscher Tonkunst", 2. Folge (Bayern), Zu- 
sammenhang. 


Kapellmeister-Sorgen und -Hoffnungen. 1 

(Zur Lehrerfrage.) 

Entgegnung von HERMANN LANG, Tonkünstler (Dresden). 

D ie Ausführungen des Herrn Mittelschullehrer Meyer 
gelegentlich der in der „N. M.-Z.“ zur Aussprache ge- 
brachten Tagesfrage (vergl. No. 22 des vorigen Jahrg.) 
sind für den Musikerstand nicht gerade schmeichelhaft, 
sie berühren wunde Stellen, an deren Beseitigung seit Jahren 
eifrig gearbeitet wird von Stand und Staat in immerhin be- 
deutenden Ansätzen. Erkannt and sie also von Berufenen 
sehr wohl. Aber die erwähnten Gedankengänge sind auch 
vielfach etwas willkürlich und können nicht unwidersprochen 
bleiben. Wenn nach Herrn Meyer nur eine freie Konkurrenz 
im freien künstlerischen Berufe des Dirigenten und Kritikers 
der Kunst förderlich sein kann, die rein künstlerischen Berufe 
freie Berufe sein und bleiben müssen, so wäre es doch nur 
logisch, wenn die in Frage kommenden Lehrer ihr sicheres 
Brot, ihre Lebensexistenz aufgeben möchten, um im freien 
Berufe der Kunst zu dienen. Im allgemeinen hat ein Fest- 
besoldeter wenig Verständnis für die pekuniären und seelischen 
Nöte, für die Lebensverhältnisse eines im freien Berufe stehen- 
den Künstlers und Kunstpädagogen. Wenn nur die künst- 
lerische Leistung, der Erfolg, nicht der schriftliche Befähigungs- 
nachweis in der Kunst maßgebend sein soll — ja, warum 
soll es dann in der Pädagogik nicht ebenso sein ? Pochen die 
Lehrer auf ihren Beiämgungsnachweis, so mögen sie das 
gleiche uns Musikern gestatten; soll bei ihnen nicht die päd- 
agogische Leistung, der persönliche Augenblickserfolg maß- 
gebend sein für eine zum Teil fremden Ständen angehörige 
Kritik und als Grundlage für den Aufbau einer Lebensexistenz, 
so . mute man uns dies auch nicht mehr zu. Vielzulange, 
einige Generationen hindurch, hat der deutsche Musiker über- 
sehen, daß berufliches Künstlertum und Lebensexistenz völlig 
getrennte Dinge sind und alle Welt hat ihn in diesem Irrwahn 
erhalten und bestärkt. Was hat Nahrung, Kleidung, Woh- 
nung, Zukunftssicherung der Familie mit Idealen, mit Kirnst 
zu tun? Bei jedem andern Berufe findet man es selbst- 
verständlich, daß der geleisteten Arbeit der Lohn entspreche, 
nur der Künstler, voran der Musiker wird immer wieder mit 
dem Hinweis auf seine ideale Kunst besonders karg bemessen 
beim Verteilen der Lebensgüter. „Wie schwer es ist, unter 
materiellen Sorgen künstlerisch zu arbeiten, kann nur der 
erfahren, der selbst die Kunst, deren Würde unser ganzes 
Geschlecht erhöht, ausübt. Gerade die Musik bedarf viel 
mehr als ein anderer Zweig menschlicher Geistesbildung des 
Schutzes von seiten des Staates und der einzelnen Städte“ 
(Prof. Hermann Ritter: Ueber musikalische Erziehung). 

Wenn Herr Meyer in 25 jähriger Teilnahme am Vereins- 
und Konzertleben viele freie Musiker und Musiklehrer kennen 
lernte, die dem Idealbilde eines Priesters der Kunst nicht 
entsprachen, so müssen wir bekennen, auch unter den Lehrern 
nicht nur lauter Musterpädagogen und -jugenderzieher ge- 
funden zu haben. Wir kennen recht gut selbst die Mängel 
unseres Standes, unserer Fachbildung und Berufsorganisation 
und arbeiten ebenso an ihrer Beseitigung, wie die Lehrer 
unausgesetzt reformieren an Schule, Seminar und Stand. 
Wie aus meinen Ausführungen hervorgehen wird, sind die 
Musiker, die eine günstige Welle nicht in eine der, ach, so dünn 
gesäten, besseren Stellen hineihhob, nicht zu verurteilen oder 
gar zu verachten, sondern zu bedauern. „Was ist nun an 
Stelle der nunmehr unerfüllten Jugendträume getreten und 
was ist der Lohn für die unsägliche Arbeit, die das Studium 
der Technik auf einem Musikinstrumente notwendigerweise 
mit sich bringt? Enttäuschung und häufig noch Not und 
Elend als natürliche Folge einer mangelhaften materiellen 
Existenz“ (Herrn. Ritter, a. a. O.). Dunkle, unfähige Elemente 
aber gibt’s hüben wie drüben, darüber zu reden ist zwecklos, 
wir kommen mit solchen — Pardon — Gemeinplätzen nicht 
zu einer Klärung der Kernfrage. 

Die staatliche Verpflichtung ( !) zur Betätigung der Lehrer 
in der Oeffenthchkeit (!) führt Herr Meyer zurück auf die 
über die Schulbediirfmsse hinausgehende Freigebigkeit des 


1 Anm. der Red. Unseren neuen Abonnenten zur Nach- 
richt, daß die „N. M.-Z.“ die brennende „Lehrerfrage“ (Be- 
rufsmusiker — Lehrer als Musiker im Nebenamt) in letzter Zeit 
zum Gegenstand einer besonderen Aussprache gemacht hat. 
Die „N. M.-Z.“ hat bisher nicht in den heftigen Streit der 
Meinungen eingegriffen, jedem Berufenen aber volle Rede- 
freiheit gewährt. Die Aufsätze hierüber finden sich in den 
Heften 13, 18, 20, 22 des vorigen Jahrgangs. Auch Marsops 
Aufsatz Hellerau -Augsburg in Heft 24 gehört hieher. Heute 
lassen wir einen Vertreter des Musikerstandes sowie den Vor- 
stand des Verbandes Deutscher Orchester- und Chorleiter mit 
einer Erklärung zu Worte kommen. In einem der nächsten 
Hefte folgt ein Aufsatz, dessen Verfasser außerhalb der Par- 
teien steht und die Frage mehr von allgemeinen als von 
beruflichen Gesichtspunkten aus beleuchten wird. 


47 



Staates im seminaristischen Musikunterricht. Darauf habe 
ich folgendes zu erwidern: Klavier- und Harmonielehre gehen 
keinesfalls über die für den Schulgesangunterricht notwendigen 
Fächer hinaus. Schon für die oberen Klassen ist Einführung 
der Schüler in die Grundlagen der Harmonielehre heute amt- 
liche Vorschrift und vom Lehrer darf etwas Kenntnis des 
melodischen, harmonischen und formalen Baues eines ein- 
zustudierenden Chorales oder Volksliedes füglich mit dem- 
selben Rechte verlangt werden, wie er imstande sein muß, 
Reim, Rhythmus und Versbau eines Gedichtes zu erklären. 
Erst hinter der Beherrschung all des eben erwähnten Tech- 
nischen liegt, Bildungsfähigkeit beim Vortragenden voraus- 
gesetzt, die Möglichkeit künstlerischen Wiedergebens und 
Wirkens und damit die Aussicht, erziehlich anzuregen, zu 
begeistern, Kräfte und sittliche Werte im Schüler zu wecken 
und zu fördern, kurz: zu lehren, zu bilden. Wir können also 
die möglichst gründliche und vielseitige musikalische Bildung 
auch eines Volksschullehrers als unbedingt nötig hinstellen, 
wenn er berechtigt sein will, Schulgesangunterricht zu er- 
teilen. Das Klavierspiel ist bei der rhythmischen und har- 
monischen Führung eines Schulchores unentbehrlich, also 
unbedingte Notwendigkeit im seminaristischen Lehrplan. 
Bleibt die Orgel, die fortbleiben könnte, wenn nicht her- 
kömmlich jeder Seminarist zum Kirchendienst mitausgebildet 
werden müßte. Dieser Zopf ist erfreulicherweise im Schwinden 
begriffen. Dafür aber, und das kann nicht hoch genug be- 
wertet werden, ist Unterricht in Stimmbildung — sprachliche 
und gesangliche — eingezogen ins Seminar, um nach dem 
schönen Ziele des bekannten Dresdner Stimmbüdners Prof. 
Eduard Engel ihre Segnungen durch die Schule dem gesamten 
Volke zu vermitteln. Seit Jahrzehnten ist die Lehrerschaft 
auf ihre Pflicht hingewiesen worden, Stimmbildung, -pflege, 
-Schonung in der Schule zu treiben. Stehen die Lehrer heut 
nun durchgängig auf der Höhe? Wie oft kann man noch 
Choräle und Lieder mit Violinbegleitung aus dem Schulhause 
herüberklingen hören, gesungen, nein gequält geschrien von 
zarten Stimmen in der viel zu hoch gelegenen zweigestrichenen 
Oktave bis f und g 2 . Noch immer weiß es ein großer Teil 
der Lehrer nicht, daß die Choräle, so wie sie notiert sind, 
ausgesprochene Sopranlage im gemischten Chor darstellen, 
daß sie unisono von Kindern bis zu einer Quarte oder Quinte 
tiefer angestimmt werden müssen. Der Musiker transponiert 
ohne weiteres, den Musiker schmerzt das' feiner empfindende 
Ohr — und das Herz bei dieser Stimmaltraitierung. „Sollen“ 
die Lehrer nun auch als Rezitatoren, Sänger, als Schauspieler 
öffentlich wirken ? 

Ein „R echt', ja die P f 1 i c h t“ zur musikalischen Be- 
tätigung in der Oeffentlichkeit herzuleiten daraus, daß der 
Lehrer auf Staatskosten theoretisch und praktisch für seine 
Aufgaben als Jugendbildner vorbereitet wird, das geht wirk- 
lich zu weit 1 Volks erzieher soll jeder Gebüdete sein, 
jeder trägt dazu die moralische Verpflichtung in sich. Und 
wenn Staat und Gemeinde dem Geistlichen, dem Lehrer, 
Beamten eine auskömmliche Existenz garantieren, ihn sicher- 
stellen vor Not in Gegenwart und Zukunft für sich und die 
Seinen, so wächst dafür die moralische Verpflichtung einfach 
zur amtlichen um so mehr, wenn eine solche Amtsperson 
hinausgestellt wird aufs Land, in kleine Gemeinden. Ist 
nicht der Apotheker, obwohl nicht Amtsperson, dort ebenso 
Volks lehrer und -erzieher ? Und der Atzt, der Forstbeamte ? 

Herr Mittelschullehrer Meyer spricht von den Zensuren in 
den fünf Musikfächem seines Abiturientenzeugnisses, eines 
staatlich beglaubigten Befähigungsnachweises, der ihm „er- 
laubt, Musikunterricht zu geben“. Auch diese Ansicht muß 
zurückgewiesen werden, es muß heißen: der ihn dazu be- 
fähigt, Schulgesangunterricht zu erteilen und Kirchschuldienst 
zu versehen. Ob die angegebenen Zensuren auch genügen 
zur Erteilung von Seminarmusikunterricht ? Doch wohl 
nicht; in Sachsen wenigstens bedarf’s dazu noch jahrelanger 
Sonderstudien am Konservatorium und der Ablegung eines 
umfassenden Fachlehrerexamens. Wo in aller Welt gibt es 
eine staatliche Verpflichtung der Lehrer, daß sie mit ihren 
„Pfunden wuchern und die erworbenen Kenntnisse und Fertig- 
keiten in Gemeinde und Kirche nutzbar machen sollen“, 
die also Privatmusikunterricht erteilen, Organisten- und 
Kantoren-, Dirigenten-, Kritikerposten, Lehrerstellen an 
Musikschulen annehmen sollen? Der Staat „verlangt für 
seine Bemühungen also wohl“ auch, daß der Lehrer Privat- 
unterricht erteile in den einzelnen Disziplinen fremder Sprachen 
und sich beruflich betätige als kaufmännischer Korrespondent 
und Dolmetscher, daß er Aemter bekleide als Techniker, 
Ingenieur, Geometer, Chemiker, Gärtner, Landwirt, Steno- 
graph usw. und entsprechende Lehrersteilen annehme, daß 
er Seelsorger, Arzt, Förster sei ? Denn mit den Grundkennt- 
nissen zu all diesen Berufen wird ja der Lehrer vom Staate 
ausgestattet! Mir ist von diesem Staatsverlangen nichts 
bekannt, im Gegenteil, das Wohl des Staates beruht darauf, 
daß ein Stand aem andern Licht und Luft lasse, ihn unter- 
stütze, und daß der staatlich Festbesoldete den Wirkungskreis 
der freien Berufe achte. Nach Herrn Meyers Darstellung ist 
dafür gesorgt, daß der Lehrer voll und ganz seine Schuldig- 

48 


keit tut — heißt das, daß er seiner Pflicht nachkommt oder 
daß er seine ganze Zeit und Kraft dem Amte widmet ? Weiter: 
die Lehrer seien durch ihre geringe Besoldung auf Neben- 
beschäftigung angewiesen. 

Untersuchen wir die Berechtigung dieser Klage nach den 
statistischen Angaben des Kalenders des sächsischen Pestalozzi- 
Vereins für 1913. In den 100 größten Städten Deutsch- 
lands, herab bis Gera mit etwa 50 000 Einwohnern, bewegt 
sich das Lehrergehalt vor der festen Anstellung, ohne Woh- 
nungszulage, zwischen rund 1100 bis 1500 M. Ist diese Be- 
soldung für einen jungen Anfänger zu gering und wo winkt 
sie dem Musikanfänger ? Die feste Anstellung erfolgt durch- 
schnittlich im 25. Lebensjahre. Anfangs- und Endgehalt 
(ohne Wohnungszulage) schwanken sehr in den verschiedenen 
Orten, z. B. in Bielefeld 1620 — 3770 M„ erreicht im 52. Lebens- 
jahre, so daß ein Gesamtbezug von 78 800 M. ausschließlich 
Wohnungsgeld, p6 010 M. einschließlich Wohnungsgeld heraus- 
springt in 30 Dienstjahren vom 24. bis 53- Lebensjahre. Das 
smd, ähnlich Dresden, etwa mittlere Verhältnisse für ganz 
Deutschland. Nun herrscht periodenweise Ueberfluß und 
Fehlbedarf der Seminarabiturienten gegenüber den erledigten 
Stellen. Die Höchstzahlen der letzten 30 Jahre in Sachsen 
sind: Ostern 1902 fehlten 260 Lehrkräfte, Ostern 1909 fehlten 
244 Amtsstellen. Meist handelt es sich jedoch nur um zwei- 
oder einstellige Zahlen. Man sieht, durchschnittlich kann 
jeder Seminarist sicher darauf rechnen, sofort eine Stelle 
und damit wohlgeordnete Gehaltsverhältnisse zu finden 
(Ostern 1912 in Sachsen 780 bestandene Kandidatenprüfungen). 
Seiner Tüchtigkeit, seinem Streben stehen Tür und Tor offen: 
Oberlehrer, Direktor, Fachlehrer an höheren Schulen kann 
er werden, die Universität besuchen, seine Existenz also 
wesentlich heben und verbessern. Dann die Unkündbarkeit, 
Krankheit?-, Alters- und Hinterbliebenenversorgung usw., das 
Gehalt ist also so gut wie zum Verbrauche verwendbar. Weiter 
besitzt er wirksame Vertretung und Schutz in Staat und Ge- 
meinde. 1 

Wie steht es nun mit dem Musikerstand ? O weh, wo an- 
fangen, wo aufhören ? Darüber ist schon so unendlich viel 
geschrieben, geredet — und berufenen Ortes geschwiegen 
worden. Ich empfehle den Musikern und auch den Lehrern 
dringend, Altmeister Hermann Kreteschmars Musikalische 
Zeitfragen (Leipzig, C. F. Peters, Volksausgabe 2 M.) zu lesen 
und zu beherzigen. Dort heißt es u. a.: „Am letzten Ende 
hängt aber nicht bloß die Weiterbildung, sondern die Lei- 
stungsfähigkeit des Musikerstandes überhaupt eng mit seinen 
Erwerbsverhältnissen zusammen. Mens sana in corpore sano! 
Frische des Geistes setzt Sorgenfreiheit voraus, und es fragt 
sich, ob dies dem tüchtigen Musiker im gleichen Grade ge- 
sichert ist, wie den Angehörigen anderer Stände. Da muß 
zunächst entschieden werden, mit welchen Ständen sich der 
musikalische vergleichen darf. Seiner Bedeutung und seinem 
Wesen nach gehört er zu den privilegierten Berufsarten, denn 
er verrichtet eine Kulturarbeit, die wie die der Kirche und der 
Schule geschützt und geregelt sein will. Er hat diesen Schutz 
in der Zeit der Zünfte genossen, ist aber im 19. Jahrhundert 
mit andern Leidensgefährten in das Experiment der Ge- 
werbefreiheit hineingezogen worden und der neuen Lage 
außerordentlich viel schuldig geblieben . . .“ „Die Kunst 
braucht selbstlose Begeisterung, gelegentlich auch ein 
Märtyrertum. Aber sie ist gefährdet, wenn sie ihre Vertreter 
vorzugsweise auf den idealen Ertrag verweisen muß . . . Von 
den mindestens 5000 Dirigentenstellen, die sich mit Aus- 
schluß der Liedertafeln in deutschen Musikkalendern nach- 
rechnen lassen, ist kaum der 100. Teil so dotiert, daß ihre 
Inhaber auf Nebenerwerb verzichten können, bei der Mehrzahl 
ist die Direktion das Nebenamt. Das scheint in der Ordnung, 
wo es sich um wenige Aufführungen handelt, ist’s aber selbst 
da nicht. Das Amt verlangt überall einen starken Einsatz 
von persönlicher Begabung, Schule und Vorbereitung. Jedem, 
der am Vormittag eine mehrstündige Orchesterprobe ge- 
leitet, ist für den Rest des Tages Ruhe zu gönnen, wer abends 
auch nur den Uebungen eines schlichten Männerchors vorzu- 
stehen hat, darf seine Frische nicht in Lektionen verausgaben. 
Diesem Punkt wird besonders, bis auf eine einzige Ausnahme, 
an sämtlichen deutschen Chorvereinen keine , Rechnung ge- 
tragen, und daran krankt das deutsche Chorwesen mit . . . 
Auf dem Wege, die Einkommenfrage günstig zu lösen, sind 
die Musiklehrer und die Orchestermusiker, die einzigen Gruppen 
des Musikerstandes, die gemeinsamen Interessen gemeinsam 
nachzugehen begonnen haben, vielleicht weil in ihnen die Not 
am drückendsten war. Auch heute leiden beide noch an 
Ueberfüllung des Berufs, die Orchestermusiker so sehr, daß 
ein Anfänger froh ist, wenn er nach langer, mit einem drei- 
jährigen Konservatoriumskursus beendeten Lehrzeit einen 
Jahresgehalt von 1000 M. erreicht. Die Mitglieder an- 

f esehener Kapellen stehen in ihrem Fixum ungefähr den 
olksschullehrem gleich, ihre Konzertmeister den Schul- 
direktoren, in der Mitte die Vertreter wichtiger Soloinstrumente 
— bei der aufreibenden, zu frühem Alter führenden Arbeit 
eine immerhin bescheidene Lage.“ 

Soweit Kretzschmar. Wo bleiben nun dem Musiker, noch 



mehr dem Musiklehrer — bis auf sehr wenige Ausnahmen — 
Anerkennung und gerechte Schätzung der geleisteten Arbeit, 
geordnete Gehaltsstaffeln, geregeltes Avancement, Ständigkeit, 
eigene und Relikten Versorgung , Schutz, Vertretung und Gehör 
in Staat und Gemeinde, alles dem eben flügge gewordenen 
Hilfslehrer selbstverständliche Dinge ? Etwa vor Jahresfrist 
drang ein Notschrei aus Graz zu uns herüber. Die dortige 
Musikschule des steiermärkischen Musikvereihs, von öffent- 
lichen Behörden und Korporationen reichlich subventioniert, 
zufolge ihrer Entwicklung und Bedeutung die erste des Kron- 
landes, hatte ihre sämtlichen I/ehr er weder mit Vertrag, noch 
mit dem Anrecht auf Altersversorgung angestellt und entließ 
mit einvierteljähriger Kündigung plötzlich Mitglieder, die 
22 und 25 Jahre hindurch in provisorischer Stellung mit dem 
jährlichen, fürstlichen Gehalte von 600 bezw. 700 Kronen 
für 12 Wochenstunden gearbeitet hatten. Zum Glück hatte 
sich eben ein Oesterreichischer Musikpädagogischer Verband 
gebildet, der die Sache an die Oeffentlichkeit brachte. „In 
der Musik liegen jetzt die Verhältnisse auf allen Gebieten 
trostlos. Man weiß wirklich nicht, wo man mit der Schilde- 
rung des Notzustandes beginnen soll. Jammer bei den Vir- 
tuosen, Depression bei den Komponisten, Unglück bei den 
Musiklehrern — kein Zweig, welcher nicht verdorrt wäre . . . 
Der Musikausübende findet ja auch nirgends Schutz. Ihm 
kann in seinem Beruf geschehen, was will, niemand kümmert 
sich darum; er ist so gut wie vogelfrei. Wo man hinsieht in 
Handel und Gewerbe, allüberall wacht eine staatliche, eine 


sehr Wissenschaft als Kunst und man könnte wohl einen jeden 
von uns akademisch gebildeten Musikern Jahr und Tag mit 
dem nötigen Schreibmaterial einsperren, ehe er das, was er 
von positivem Wissen beim Ausüben seiner .Kunst' benutzt, 
auch nur im Umriß zu Papier gebracht hätte“ (Musikalische 
Strafpredigten). Der Erbauer der Viola alta, Hermann Ritter, 
hat recht, wenn er a. a. O. sagt: „Solange der ausübende 
Musiker in den besten Stellungen in bezug auf Gehaltsbezug 
mit dem Handlungskommis und mit dem Subaltembeamten 
gleichgestellt ist, ja von diesen sogar oft noch im Einkommen 
ubertroffen wird, ist Eltern nicht zu raten, ihre Söhne zu 
Musikern ausbilden zu lassen. Für das, was ein tüchtiger 
Organist an Zeit, Geld und Kraft notwendig hat zu opfern, 
um sein Instrument meisterlich zu spielen, kann er auch 
Pfarrer werden. Dieser ist selbstverständlich besser honoriert 
und ist Vorstand der Kirche, während ein Organist sein Leben 
lang eine dienende Stellung einnimmt.“ Ja, die vielen Or- 
gamstenstellen im Lande! Wenn sie doch dem tüchtigen 
Musiker erreichbar wären! Kürzlich erst ist in Loschwitz, 
einem herrlichen Villenvorort Dresdens von ungefähr 
7000 Seelen, der neue — Kirchschullehrer gewählt worden. 
Ein Musiker hätte hier sicher als Organist, Kantor und Musik- 
pädagog eine schöne Lebensstellung gefunden. Aber auch in 
Dresden selbst sind viele Lehrer nebenamtlich im Kirchen- 
musikdienste und in Dirigentenstellen tätig, das Erteilen von 
Privatmusikunterricht bleibt auch nicht ganz aus. Was also 
in der Großstadt immer noch vielfach das Herkömmliche, 


städtische Behörde, damit nichts Unrechtes geschieht. Mit 
Strenge werden allerorten die Kurpfuscher verfolgt. Nur in 
der Musik läßt man alle Pfuscher, alle Charlatane sich un- 
gestört betätigen. Für die Musik wirft der Staat im wesent- 
lichen keine Mittel aus“ ( Stephan Krehl : Musikerelend). 

Den 2359 Volksschulen und 1943 Fortbildungsschulen 
(Summa 4302) in Sachsen — mittlere und höhere Schulen 
mögen unberücksichtigt bleiben — entsptechen vielleicht nur 
drei Orchester: die Königl. Hofkapelle zu Dresden und die 
beiden städtischen Orchester in Deipzig und Chemnitz mit 
zusammen 266 Mitgliedern, darunter 6 — 7 Konzertmeistern. 
Ob alle diese Stellen,, das Höchsterreichbare für Sachsens 
Orchestermusiker darstellend, sämtlich in jeder Beziehung 
ebenso ausgestattet sind wie die oben geschilderten Lehrer- 
ämter ? Em Nachschlagewerk steht mir nicht zur Verfügung 
und ich bezweifle es stark. Der innere Ausbau nur weniger 
Musikerstellen in Orchester und Lehramt entspricht berech- 
tigten Anforderungen, meist ist er kärglich und direkt auf 
Nebenerwerb zugeschnitten und zwar in ganz Deutschland. 
Konzertieren und Komponieren wird wenig oder nicht honoriert, 
kostet wohl gar, somit bleibt das Stundengeben. „Gut“ 
bezahlte Stunden pflegen aber selbst tüchtige Musiklehrer 
durchschnittlich auch nicht zu erhalten. Wegen der Dirigenten- 
posten vergleiche oben Kretzschmar. Was würden. wohl die 
Lehrer sagen, wollte ein geprüfter Musiklehrer, dem auch 
Pädagogik und Psychologie nicht fremd sind und der auch 
einst Abiturientenzensuren hatte im Lesen, Schreiben und 
Rechnen und sich dieser Kenntnisse und Fertigkeiten täglich 
bedient, nebenbei Kinder in diesen Fächern unterweisen und 
womöglich darin Schulanstellung nachsuchen ? Nicht währ, 
dann würde es heißen: Hände weg! erst die hierhergehörigen 
Sonderstudien und dann Abschlußprüfung bestehen! Genau 
so verhält sich’s mit den einzelnen Fächern des Musikunter- 
richts. Das Durcharbeiten eines herkömmlichen Harmonie- 
lehrbuches (womöglich eines für Seminare und Präparanden- 
anstalten) befähigt nicht zum Musiktheorieunterricht, sondern 
hierhergehörige Methodik, Geschichte und Literaturkenntnis, 
dann Kontrapunkt, Fuge und Kanon, freie Komposition, 
Instrumentation, aber auch Klavierspiel (Bach: Wohltempe- 
riertes Klavier), Vomblattspielen und -begleiten. Trans- 
ponieren und Modulieren, Partiturspiel usw. — kurz, ein 

f anzer, vielseitig und vor allem auch theoretisch gebildeter 
Komponist ist notwendig. Beim Klavier-, Violin-, Gesangs- 
unterricht liegen die Dinge ähnlich. Wer beispielsweise am 
Dresdner Königl. Konservatorium das Reifezeugnis zur Er- 
teilung von Klavierunterricht auf der Unterstufe (außerdem 
gibt’s noch Mittel- und Oberstufe) erwerben will, muß tech- 
nisch etwa auf der Höhe von Chopins Etüden stehen. Ein 
Seminarist lernt nicht im Klavier- und Violinspiel unter- 
richten. sondern sich der Instrumente im Schulbetriebe, 
soweit nötig, zu bedienen. Ein gar vielseitiges Wissensstudium 
macht der Musiker durch. Darüber schreibt Max Steinitzer 
sehr hübsch an Herrn Theophil Severin Allweis, Lehrer: 
„Ja freilich, Du kannst auf der Violine, auf der Orgel 
spielen, den Takt so schlagen, daß andere dazu singen können. . 
Du kannst, wenn andere Klavier spielen, Zwischenbemerkungen 
machen, welche sie veranlassen, die betreffende Stelle zu 
wiederholen, welchen Vbrgang in gehäufter Form Du .Stunde 
geben' nennst. Du kannst auch selbst .darauf spielen'. Aber 
daß zu jeder Deiner hier angeführten fünf Spezialitäten, um 
sie mit Vernunft zu betreiben, eine ganz heillose Menge von 
Dingen gewußt werden muß, das ahnst Du nicht. Wenn 
es mehr Menschen gäbe, d i e es ahnen, wäre die Achtung vor 
der Musik viel größer. Sie ist in der Tat mindestens ebenso- 


ist in kleineren Städten das Selbstverständliche: der Nur- 
musiker hat das Nachsehen, er wird gar oft vom Lehrer ver- 
drängt. 

Und doch könnte es anders sein. Eine mir bekannte Dresdner 
Klavierlehrerin mit Reifezeugnis vom Königl. Konservatorium 
fährt wöchentlich zweimal über Land. Entfernung in einer 
Richtung eine halbe Stunde elektrische Straßenbahn und 
eine Stunde Eisenbahnfahrt. In dem Kirchdorf geht sie 
ihrem Berufe nach im Hause des Pfarrers, Arztes, Fabrik- 
besitzers und kehrt spät abends zurück. Entschieden mit 
weniger Zeitverlust und Kostenaufwand, aber mehr Verdienst 
wäre es verknüpft, könnte die Dame sich am Orte seßhaft 
machen. Hier hegt ein Fall vor, der mir bisher einzig vor- 
gekommen ist. Offenbar gibt der Lehrer (Kirchschullehrer !) 
aus irgendwelchen Gründen keinen Klavierunterricht — und 
sofort findet sich für einen Musiker eine Existenz. Daß diese 
dauernd sein kann, dafür sorgen die innerhalb weniger Jahre 
immer neu heranwaclisenden Schülergenerationen. Würde 
diesem Musiker auch der Kirchenmusikdienst und etwaige 
Gesangvereinsleitung übertragen, eine Familie könnte danut 
ernährt werden. Dem Schullehrer aber würde keineswegs 
seine Existenz entzogen oder geschmälert werden. Staat und 
Gemeinde bezahlen ihre Lehrer heute ausreichend, dafür 
sorgt die allgemeine Ordnung in Verwaltungsdingen und ebenso 
die mustergültige Organisation des Lehrerstandes, seine 
Mittel, gehört zu werden. Meines Erachtens beschränkt sich 
die Konkurrenz der Lehrer keineswegs, wie Herr Meyer meint, 
auf die größeren Städte. Aus dem eben berührten Beispiel 
geht- hervor, daß gerade kleinere und mittlere Gemeinden 
so gut wie völlig dem Musiklehrer verschlossen sind. 

Es ist bekannt, daß der Verkehr wächst mit dem Schaffen 
von Verkehrsmöglichkeiten, so auch hier. Schafft dem Mu- 
siker, dem Musikpädagogen die ihm zukommenden Betätigungs- 
felder, doch nein, sie sind ja vorhanden — gebt sie ihm 
frei! Wie dankbar wären die Musiker den Lehrern, würden 
sie von ihnen nicht zu ersetzen versucht, sondern heran- 
gezogen und unterstützt. Oder tut dies der Lehrer nicht dem 
Geistlichen, Arzt und Apotheker gegenüber ? „Wie der 


Religion und der Wissenschaft die höchsten Aufgaben mensch- 
licher Kulturarbeit gestellt sind, so haben nicht minder die 
Künste dieselbe Aufgabe, und unter ihnen hat die Musik 


einen nicht geringen Anteil an der großen gemeinsamen Arbeit, 
deren eigentliches Ziel und leitender Grundgedanke die Sitt- 
lichkeit, die allgemeine menschliche Bildung ist“ (Ritter, 
a. a. O.). 

Ich weiß mich frei von Voreingenommenheit gegen die 
Lehrer, habe liebe Freunde unter ihnen, auch musikalisch 
tüchtige, und drei meiner nächsten Verwandten gehören 
diesem Stande, der mir also ■ nicht fremd ist, mit ganzer Seele 
an. Die Rührigkeit der Lehrer auf der gesamten, weiten 
Linie ist hoch anzuerkennen, ich verfolge dies mit ganz be- 
sonderer Freude. Wie mm die Lehrer in anderen Lagern 
freudig willkommen geheißen werden zur gemeinsamen Arbeit 
— ich erinnere z. B. an die von drei Leipziger Lehrern geleitete 
Pädagogische Literaturgesellschaft Neue Bahnen, zu deren 
Mitarbeitern auch ein Karl Lamprecht und Wilhelm Wundt 
zählen und an das vom Leipziger Lehrerverein gegründete 
Institut für experimentelle Pädagogik und Psychologie, was 
internationalen Ruf besitzt — , so kann auch aus der gemein- 
schaftlichen Arbeit von Musikern und Lehrern Segen erblühen 
für unsere Kunst. Nichts bedauerlicher, als gereiztes Gegen- 
überstehen der beiden. Und der Grund zu letzterem ? Herr 
Mittelschullehrer Meyer spricht es am Schlüsse seines Artikels 
selbst aus: Wird es erst einen wirklichen 


49 



Musikerstand geben, „dann wird auch die 
Konkurrenz des Lehrerstandes von selbst 
auf hören“. Das ist es, hier fehlt es uns Musikern. 

Durch die Ausführungen des Herrn Meyer, die in dieser 
Beziehung für uns Musiker recht beherzigenswert sind, zieht 
sich wie ein roter Faden der überlegene Hinweis auf das Fehlen 
eines „fest umgrenzten Musikerstandes“ mit gemeinschaft- 
lichen Standesinteressen . In Zeitschriften, Zeitungen, Bro- 
schüren, wie oft und eindringlich wurden dem deutschen 
Musikerstand seine Interesselosigkeit und Ohnmacht in 
Organisationsfragen vorgehalten 1 ! Aber immer noch, wenige 
Ausnahmen abgerechnet, „steht der deutsche Musiker mit 
seinen Plänen und seinen Nöten, jeder für sich allein . . . Diese 
Organisationslosigkeit hat Machtlosigkeit nach sich gezogen 
und was noch schlimmer ist: Resignation und Gleichgültig- 
keit.“ Die Mehrzahl der Musiker hat sich „unbequemer und 
aussichtsloser Agitation abhold, daran gewöhnt, geschlossenen 
Auges an ihnen vorbeizugehen, sich auf den engen Kreis 
individueller Pflichten und Neigungen zu beschranken und 
alles, was diese nicht unmittelbar berührt, sich selbst oder 
der Schriftstellerei von Fach zu überlassen“ (Kretzschmar, 
a. a. O.). Was dem Musiker bitter nottut, ist Organisation. 
„Hs muß Pflicht für jeden sein, als dienendes Glied einem 
Ganzen sich anzuschheßen. Der Musiker nehme sich ein 
Beispiel an dem deutschen Lehrer stände. Er zeigt es uns 
am besten, was erreichbar ist durch Zusammenschluß, durch 
gemeinsame Arbeit im Streben nach klar gefaßtem Ziel. Dem 
Musiker geht das Verständnis ab für die Bedürfnisse des realen 
Bebens. Er hat keinen Sinn für Politik. Thtn fehlt die staats- 
bürgerliche Erziehung . . . Weshalb sichern wir uns als Gruppen - 
gemeinschaft bei Wahlen usw. nicht einen wort- und feier- 
gewandten Kopf, der unsere Interessen in Gemeinde und Staat 
vertritt ? Eine kaum glaubliche Gleichgültigkeit legt in dieser 
Hinsicht der Musikerstand an den Tag . . . Bei unserer Passi- 
vität kommen wir aus dem Elend nicht heraus. Gründet 
Genossenschaften, Verbände, die für Schaffung staatlich 
anerkannter Bildungsquellen eintreten, für Gründung von 
Musikkammern, für Vertretung durch bewährte Fachleute 
mit Fernblick in den Unterrichtsministerien!“ (Monats- 
schrift für Schulgesang VII, 6.) Ein „wirklicher Musiker- 
stand“ zum Schutze, zur pfleglichen Entwicklung der realen 
und geistigen Bedürfnisse seiner Angehörigen muß entstehen, 
muß auszugleichen suchen, was drei Generationen versäumten 
und sündigten. Und gelangt er an den „Punkt, wo die Ein- 
sicht und der gute Wille des Standes am Ende seiner Macht 
steht, wo er ohne Unterstützung des Staates nichts ausrichtet“ 
(Kretzschmar), dann werden sich einer gesunden Standes- 
organisation durch behördliche Handreichung die weiteren 
Wege öffnen. Darum rufen wir mit Kretzschmar: „Stand 
und Staat!“ und wünschen, daß die hier gepflogene Dis- 
kussion beitrage zur Sammlung, zur Erstarkung der Musiker 
und zur endlichen, festen Besitznahme der ihnen von Rechts 
wegen zukommenden Arbeitsfelder und Wirkungskreise. Eine 
neue, tüchtig geschulte und auch staatsbürgerlich selbst- 
bewußtere Generation ist im Werden. Sie wird, davon bin 
ich überzeugt, sich in kurzem bemerkbar machen und heilsam 
einwirken auf Stand und Staat. Das Verdienst dafür aber, 
diese Aenderung herbeigeführt, ermöglicht zu haben, darf 
die gegenwärtige Generation für sich in Anspruch nehmen. 
Dann werden die Musiker endlich in die ihnen zukommenden, 
dann aber auch nach neuen Gesichtspunkten ausgestatteten 
Aemter und Funktionen einziehen und vielleicht wird dann 
das schöne Ende sein ein wohltuend kameradschaftliches 
Handinhandarbeiten von Musikern und Gelehrten, Aerzten usw. 
und — Lehrern! 


Erklärung des Verbandes Deutscher Orchester- und Chorleiter. 

In Heft 13 des vorigen Jahrgangs der „N. M.-Z.“ hat August 
Richard in Heilbronn a. N. mit Zustimmung der Re- 
daktion dieser Zeitung, wie einer vom Vorstand unseres 
Verbandes ausgehenden Anregung folgend, unter dem Titel 
„Kapellmeister-Sorgen und -Hoffnungen“ einen Bericht über 
die von unserem Verband herausgegebene Broschüre, 
tun für die zahlreichen darin enthaltenen Aufsätze unserer 
Mitglieder hinsichtlich der künstlerischen und sozialen Stellung 
des Kapellmeisters allgemeines Interesse zu gewinnen. Ueber 
die Lage der Theaterkapellmeister, Chor- und Orchester- 
dirigenten, über die Bedeutung der Kritik, über die Kon- 
kurrenz der Lehrer im Musikerberuf und einige andere Fragen 
führt Richards Bericht größtenteils die betreffenden Aufsätze 
aus unserer Broschüre wörtlich an und deutlich heben sich 
dabei die „Zitate", wie stets üblich in Anführungszeichen 
gesetzt und damit genau kenntlich gemacht, von den kurzen, 


1 Wenn die Musiker nur erst mal anfangen möchten, sich 
für ihre Fachzeitschriften mehr zu interessieren. Wir sprechen 
aus Erfahrung, wenn wir sagen, wie gering die Teilnahme 
andern Ständen, besonders auch dem Lehrerstande gegenüber, 
ist. Red. 


eingangs und am Schluß stehenden, mehr allgemein gehaltenen 
Ausführungen des Berichterstatters ab. 

Unsere Stellungnahme gegen die Konkurrenz der Lehrer 
stieß begreiflicherweise bei der Lehrerschaft auf Widerspruch, 
der zunächst in einigen Lehrerzeitschriften zum Ausdruck 
kam, dann auch in der „N. M.-Z.“ selbst, die ihre Spalten 
bereitwilligst einer Aussprache über diese wichtige Frage 
geöffnet hatte. Indessen richteten sich aber die Entgeg- 
nungen und Erwiderungen aus dem Lehrerstand nicht gegen 
unseren Verband, sondern gegen Herrn Richard 
persönlich, obgleich dessen Aufsatz, wie schon oben 
gesagt, nicht so sehr eine durchaus selbständige kritische 
Arbeit über unsere Broschüre bildet, als vielmehr größten- 
teils nur einen wortgetreuen Auszug daraus; da Richards 
Bericht zu den einzelnen Fragen selbst keine weitere sub- 
jektive Stellung nimmt, durften die Entgegnungen auch nicht 
gegen ihn persönlich gerichtet sein, sondern mußten sich 
füglich an unseren Verband selbst wenden als an den tat- 
sächlichen Urheber des Kampfes gegen die unberech- 
tigte Konkurrenz der Lehrer. 

Zur Sache selbst möchten wir unseren Standpunkt zu 
dieser Frage kurz noch einmal dahin zusammenfassen: Der 
Musiker betreibt die Musik als seinen Beruf im Haupt- 
amt und als Hauptverdienst, der Lehrer aber 
nur im Nebenamt und als Nebenverdienst; 
darin erblicken wir Musiker gewiß nicht mit Unrecht einen 
uns gefährlich drohenden Wettbewerb. Wenn der Lehrer mit 
seiner gesicherten staatlichen oder städtischen Anstellung, 
mit seiner bestimmten Anwartschaft auf ein gesetzlich fest- 
gelegtes Ruhegehalt und ähnlichen sehr bedeutungsvollen 
Vorzügen, vermöge des allgemeinen Ansehens seiner äußeren 
Stellung, dem schwer und hart um sein Dasein kämpfenden 
Berufsmusiker, der diese Vorzüge zumeist entbehren muß, 
Dirigentenstellen und Musikstunden wegnimmt, so muß dies 
— wie auch Prof. Urbach in Dresden in No. 20 der „N. M.-Z.“ 
sehr treffend ausführt — eine tiefgehende Erbitterung unter 
den Musikern hervorrufen und den Kampf gegen solche als 
ungerecht empfundene Mißstände entfachen. 

Zur Hälfte fast wäre dieser Kampf schon gewonnen, wenn 
sich nur erst der Staat seiner Pflicht , der Musik gegenüber 
bewußt würde und ihr, die trotz ihrer anerkannten hohen 
kulturellen Bedeutung bisher „das Sti efkin d der staatlichen 
Fürsorge“ war, den gleichen Schutz ihrer berechtigten Inter- 
essen m künstlicher und sozialer Hinsicht zukommen ließe, 
wie er anderen Berufen schon längst zugestanden ist. 

Der Verband Deutscher Orchester- und 
Chorleiter erachtet es als sein Recht und seine Pflicht, 
diese Interessen der Musik und der Musiker nachdrücklich zu 
vertreten und an einer Aenderung und Besserung der be- 
stehenden Verhältnisse tatkräftig mitzuarbeiten. 

. Verband Deutscher Orchester- und Chorleiter: 

I. A.: Ferd. Meister, Vorsitzender. 


Moderne Geiger. 

Karl Flesch. 

D as Ungarland, das uns eine ganze Reihe namhafter 
Geiger, darunter allererste Großen wie Joachim und 
Singer, geschenkt hat, ist auch die Wiege von Karl Flesch. 
Er schließt sich seinen beiden ebengenannten Landsleuten 
würdig an. Auch er ist eine in sich abgeschlossene scharf- 
umrissene Geigeroer sönlichkeit, bei der sich das spezifisch 
Geigerische mit dem echtesten Musikertum zu einer in der 
Geschichte des Violinspiels seltenen Einheitlichkeit und Voll- 
endung zusammengeschlossen hat. Seine Veranlagung und 
sein Können als Geiger sind so allseitig und gleichmäßig, 
daß er gewissermaßen den Normaltyp des Geigers im besten 
Sinn darstellt. Diese gleichmäßige Abrundung, die, wenn sie 
in geringerem Umfang vorhanden ist, leicht nach unten hin 
nivellierend für eine Künstlererscheinung wirkt im Vergleich 
mit Fachgenossen, die durch besonders glänzende Ausbildung 
einzelner Sonderzüge einen erhöhten Glanz ausstrahlen, diese 
Abrundung ist bei ihm so groß und umfassend, daß sie ihn 
unter den Geigern der Extraklasse eine Sonderstellung ein- 
nehmen läßt und ihm eine besonders scharfe Profilierung gibt. 
Wenn ich ihm einen Beinamen verleihen soll, so weiß ich nichts 
Besseres, als den Ehrentitel, den der ritterlichste der Ritter, 
Bayard, führte, analog auf ihn anzuwenden: Er ist für mich 
der Violinist sans peur et sans reproche, der Geiger ohne 
Fehl, der Untadelige. 

Karl Flesch ist am 9. Oktober 1873 zu Moson in Ungarn 
(im gleichen Distrikt, dem auch Joachim entstammte) als 
Sohn eines Arztes geboren. Wer m seiner Familie und bei 
seinen Vorfahren nach der Bestätigung des Gesetzes der 
Vererbung forscht, wird nicht auf seme Rechnung kommen. 


50 



Seine Eltern waren nicht musikalisch und auch bei seinen 
entfernteren Vorfahren, die zumeist dem Stand der Aerzte 
’ und Apotheker angehörten, läßt sich keine besondere musika- 
lische Veranlagung nachweisen. Um so bemerkenswerter ist, 
daß seine fünf Geschwister alle musikalisch sind (übrigens alle 
Nichtberufsmusiker und auch wieder dem Stand der Vor- 
fahren treu bleibend). Den ersten Geigenunterricht erhielt er 
als Sechsjähriger von einem Dorfschulmeister. Mit neun 
Jahren, 1883, kam er nach Wien zum Besuch des Gymnasiums 
und bekam gleichzeitig auch einen besseren Violinunterricht. 
Wirklich gute Vorbereitung erhielt er indes erst zwei Jahre 
später durch Maxintsak. Im Jahr 1886, also zwölfjährig, 
wurde er in die Geigenausbildungsklasse des Prof. Grün am 
Wiener Konservatorium aufgenommen, das . er nach drei 
Jahren mit dem ersten Preis ausgezeichnet verließ. Von der 
Wiener Schule trieb es ihn in die Arme der französischen und 
1890 wird er am Conservatoire in Paris Schüler von Baillots 
Schwiegersohn Sauzai, der mit seinen 82 Jahren noch als 
Ueberbleibsel einer vergangenen Epoche in die damalige 
Gegenwart hineinragte. Gleichzeitig wurde er aber auch 
Schüler von Marsick und in diesem trefflichen Künstler sah 
und sieht Flesch seinen eigentlichen hehrer , dessen Unterricht 
er vier Jahre lang (1890 bis 
1894) genoß. 1892 trat Mar- 
sick an Sauzais Stelle im Con- 
servatoire und als sein Schüler 
ging Flesch 1 894 mit dem ihm 
einstimmig zuerkannten ersten 
Preise ab. Mit dem Jahr 1895 
setzt seine Konzertlaufbahn 
ein. Er debütierte in Wien 
mit glänzendem Erfolg, der 
sich in Berlin 1 896 in drei 
Konzerten noch steigerte und 
seinen Namen mit hellstrah- 
lendem jungem Ruhm um- 
gab. Im Jahr darauf nahm 
er eine Lehrerstelle als Pro- 
fessor am Königl. Konser- 
vatorium in Bukarest an und 
wurde zugleich mit der Lei- 
tung des Streichquartetts der 
Königin betraut. Nach fünf- 
jähriger Tätigkeit verließ er, 
der auch mit dem Titel eines 
Kgl. Kammervirtuosen aus- 
gezeichnet worden war, Ru- 
mänien im Jahr 1902 und 
widmete sich in diesem und 
dem folgenden Jahre wieder 
ausschließlich der Konzert- 
tätigkeit, vornehmlich in 
Deutschland, und zwar wie- 
derum mit dem größten Er- 
folg. Zur Ausübung pädago- 
gischer wie solistischer Be- 
tätigung gleichermaßen hin- 
neigend und berufen, folgte karl i 

er 1903 einem Rufe an das photogr, Hanse 

Amsterdamer Konservatorium 


Schülern. Aber wohl am stärksten nimmt ihn naturgemäß 
seine immer mehr sich steigernde Konzerttätigkeit in An- 
spruch. Er gibt alljährlich etwa 50—60 Konzerte und seine 
Konzertreisen erstrecken sich vornehmlich über Deutschland, 
Holland und die Schweiz, dehnen sich aber allmählich über 
den ganzen Kontinent aus. Ab Januar 1914 wird er in Amerika 
konzertieren. Eine Zeitlang reiste er mit dem Pianisten 
Roentgen und in der letzten Zeit hat er sich mit dem famos 
zu ihm passenden ausgezeichneten Klavierspieler Artur Schna- 
bel zu Sonatenabenden zusammengetan. Mit Schnabel und 
dem trefflichen Cellisten Gerardy bildet er ein auserwähltes 
Trio. 

Der Künstler ist verheiratet und hat drei Kinder, darunter 
Zwillinge, die seine besondere Freude sind. 

Schon aus seiner ganzen Kopfbildung, namentlich aus seinen 
Gesichtszügen, spricht eine scharfe Intelligenz und dieser 
Eindruck befestigte und verstärkte sich sogleich, nachdem 
ich mit dem Künstler nähere Bekanntschaft geschlossen hatte. 
Scharfer Intellekt und ein starker Wille sind die Urzüge 
seiner Persönlichkeit wie seines Künstlertums. Dazu kommt 
bei ihm ein natürliches, aus tiefsten Quellen kommendes und 
der Tiefe und Wahrheit zustrebendes Empfinden. Sein In- 
tellekt wie sein Gefülil gehen 
dem Wesen der Dinge, der 
Musik nach; an den Schein, 
an Aeußerlichkeiten können 
sie sich nie verlieren, da diese 
ihnen wesensfremd sind. Er 
geht als Analytiker an seine 
Kunst heran, verarbeitet sie 
in Gehirn und Herzen, bis er 
sie mit seiner Persönlichkeit 
durchtränkt hat, und gibt sie 
als Synthetiker von sich. 
Darum wirkt sein Musizieren 
so unmittelbar lauter, so wahr 
in der Schönheit und so schön 
in der Wahrheit. Seine Kunst 
ist ein Ganzes und ein Eige- 
nes, das sich zum vollkomme- 
nen Kreis rundet. Es gibt 
Geiger, die einzelne Seiten 
spezieller, schärfer, stärker 
ausgebildet haben, z. B. das 
Temperament. Aber es gibt 
zurzeit keinen, der Fleschs 
gleichmäßige Rundung in sich 
selbst hat. Er ist der meister- 
lichste von allen. So viel über 
seine Musikalität im allge- 
meinen. 

Fleschs ganzem Wesen, der 
Gleichspannung von Intellekt 
und Empfindung, entspricht 
auch sein Geigenton, dessen 
Charakteristikum eirie Axt 
spirituelle Schönheit ist. Er 
flesch. ist strahlend klar und para- 

Herrmann, Berlin. dox ausgedrückt von einer 

kühlen Wärme ; spirituell. 



an Stelle des nach Köln abgegangenen Bram Eldering und blieb 
dort in dieser doppelten Wirkungsweise bis zum Jahr 1908. 
In Amsterdam reifte in ihm der durch Rubinsteins Vorbild 
auf pianistischem Gebiet eingegebene Entschluß, in einer Reihe 
von Konzerten einen historischen Ueberblick über die Ent- 
wicklung der Violinliteratur zu geben. Die fünf Abende, an 
denen er in Berlin -in der Zeit vom 20. Oktober bis 1 . De- 
zember 1905 diesen Gedanken in die Tat umsetzte, erregten 
das größte Aufsehen des Publikums, der Presse und ins- 
besondere auch seiner Fachgenossen, das durch ein Auftreten 
im Philharmonischen Konzert unter Nikisch mit dem Beet- 
hoven-Konzert rege erhalten wurde. Von Interesse ist es, 
die Namen der Komponisten, die mit größeren oder kleineren 
Werken an diesen fünf Geigenabenden zu Worte kamen, fest- 
zuhalten. Es sind: Corelli, F. M. Veracini, Locatelli, Tartini, 
Genüniani, Somis, Nardini, Pugnani, Fiorillo, Lolli, Biber, 
Bach, Händel, Telemann, J. K. Stamitz, F. W. Rust, Fr. Benda, 
Aubert, Francoeur, Mondonville, Leclair, Viotti, Mozart, 
Beethoven, Spohr, David, Alard, de Beriot, Paganini, H. W. 
Ernst, Vieuxtemps, Faure, Godard, Saint-Saens, Joachim, 
Bruch, Cui, Dvoräk, Wieniawsky, Sinding, Juon, Tor Aulin, 
Bössi, Sinigaglia, Schillings, Jaques-Dalcroze, Reger, Sarasate, 
Hubay. Nunmehr war er anerkanntermaßen ein Geigerstern 
erster Größe und die Folge war eine außerordentliche Aus- 
dehnung seiner Konzerttätigkeit. Amsterdam konnte schon 
seiner Lage wegen nicht mehr den Mittelpunkt seines Wirkens 
bilden und so siedelte er 1908 dauernd nach Berlin über. 
Seine pädagogische Tätigkeit, zu der er besondere Anlage 
und Neigung hat, gab er nicht auf. Der Züricher Konzert- 
meister de Boer und die beiden Violinvirtuosen v. Melsa und 
Franc Gittelson zählen unter anderen zu seinen bekanntesten 


nicht sensitiv; imgemein ausdrucksvoll und lebendig, aber 
mehr geistig als sinnlich belebt; in seiner Art völlig ein- 
zig. Er ist nicht das, was man gemeinhin unter großem 
Ton versteht (wie man ihn Burmester beispielsweise nach- 
zurühmen pflegt); er ist nämlich viel mehr und darum 
viel größer : Es ist der schlackenfreieste Geigenton, den ich je 
hörte, und deshalb der tragendste, der mit der Entfernung 
vom Spieler wächst und vollkommen entmaterialisiert über 
allem schwebt, wie der Geist Gottes über den Wassern. Ich 
• erscheine überschwänglich. Aber ich bin ganz ruhig und sicher. 
Es ist nur die Freude an dem vollkommen Apollinischen dieses 
Tones. Ja, apollinisch ist der beste Ausdruck für diese ruhig 
strahlende und dabei wundersam zu Herzen gehende Schön- 
heit, die sich von sinnlicher Süße wie von sensitiver oder 
nervöser Leidenschaftlichkeit gleichweit entfernt hält. Dieser 
wahrhaft klassische Geigenton befähigt ihn auch mehr als 
jeden andern zum Spieler klassischer Musik. Wer einen 
solchen Ton zu erzeugen versteht, ist natürlich ein Techniker 
höchster Grade und Fleschs Technik beider Hände ist in der 
Tat untadelig, leicht und frei. Seine Intonation ist von einer 
fast unerhörten Reinheit. Er bewegt sich in den höchsten 
Lagen mit einer Sicherheit und Tonschönheit, die man nicht 
genug bewundern kann. Und das schönste an dieser Höhen- 
technik ist, daß sie immer und einzig nur Mittel zum Zweck 
ist. Darum blendet sie auch nie. Man merkt sie gar nicht. 
Man hat ja auf Anderes, Höheres zu hören. So ist er sozu- 
sagen der Geiger in Reinkultur. — Nun ein Wort über den 
Musiker Fiesen im besonderen. Wes Geistes Kind der ist, 
das ersieht man gleich an seiner Phrasierung. Da ist die- 
selbe lichtvolle und unmittelbar einleuchtende Art, die von 
diesem starken und tiefen Intellektmenschen überall ausgeht. 


51 



Seine logisch ästhetische Weise, die doch nie ins trocken 
Akademische verfällt, spricht zwingend aus seiner Inter- 

S retation. Sie ist das nervorleuchtendste daran und war 
as früher in noch höherem Grade als heute. Daher kommt es 
auch, daß man früher Urteile hören konnte, die ihn kühl 
nannten. Es war freilich nie seine Art, sein Gefühl breitzu- 
treten, sein Empfindungsvermögen in einer Masse von Scheide- 
münzen auszugeben. Er verschwendet nicht nach Art so 
mancher Temperamentsspieler, die sich in dionysischem 
Ueberschwang ausschütten. Er ist auch in dem Punkt Apol- 
liniker, der die Würde nie vergißt. Heute, wo dieser Meister 
im Zenit steht, hat er den aus seiner individuellen Veranlagung 
sich ergebenden Einklang von Intellekt und Empfindung 
erreicht. Die zwingende Logik ist durchsättigt mit innerem 
Leben, das bei ihm seiner Art nach von lauterer Schlichtheit, 
Klarheit und Wärme ist. Dunkeltiefe Unterströmungen, aus 
dem Unbewußten kommend, die das Spiel je nach Augen- 
blicksstimmung zum Guten oder zum Bösen beeinflussen, 
gibt es bei ihm nicht. 

Solchermaßen ausgestattet ist Karl Flesch der auserwählte 
Gestalter alles Klassischen. Bach, Mozart, Beethoven, Brahms 
finden in ihm einen Ausdeuter, der die Größe mit der Schön- 
heit vermählt. Vor kurzem hörte ich von ihm wieder das 
Beethoven-Konzert und muß sagen, daß ich es noch nie so 
allseitig vollendet gehört habe. Kein Stäubchen lag auf der 
sonnigen Linienschönheit des ersten Satzes; ein tief samt- 
blauer Nachthimmel wölbte sich über dem Mittelsatz, in dem 
die Nachtigallen so wonnig schlugen, und beim Schlußsatz 
vergaß man fast, daß er in der Inspiration des Komponisten 
hinter den Vordersätzen zurücksteht. 

Als Solist wie als Kammermusikspieler steht er auf gleich 
ragender Höhe. Daß seine Tätigkeit als Solist noch uber- 
wiegt, ist ohne weiteres klar. Ueberall will man' ihn eben in 
den großen Werken der Konzertliteratur seines Instrumentes 
hören. Neben den klassischen Konzerten wird übrigens sein 
Vortrag des „Konzerts in ungarischer Weise“ von Joachim 
besonders gerühmt. Daß er als Magyare damit wirklich 
etwas anzufangen weiß, leuchtet allerdings auch ein. Er 
mit seinem ausgeprägten Stilgefühl kann überhaupt alles 
spielen. Er steht auch in positivem Verhältnis zur modernen 
Musik. So war er einer der ersten, welche die Solosonaten für 
Geige von Max Reger öffentlich vortrugen. Von neuen Werken 
für Violine mit Orchester trat er für die Fantasie von Suk 
ein, kreierte die Konzerte von Emanuel Moor (seinem Lands- 
mann) und Karl Bleyle, sowie das Capriccio von Laurischkus. 
Auch den Uraufführungen von Sonaten von Leo Weiner, 
Leander Schlegel, Schäfer u. a. kam seine große Kunst zugute. 

Den Geigern hat er ein kaum hoch genug zu schätzendes 
Geschenk gemacht mit seinen „Urstucuen für Violine“ (bei 
Ries & Erler, Berlin), die auf eine Zeitdauer von einer halben 
Stunde zusammengepreßt die gesamten Elemente der Violin- 
technik enthalten und das tägliche Brot bezw. Morgengebet 
für jeden Geiger, der sich seine Technik erhalten will, bilden 
sollen. Es liegt bereits die vierte Auflage vor. An weiterem 
Studienmaterial haben wir von ihm herausgegeben 19 Etüden 
von Kreutzer (bei Simrock) und 20 Etüden von Paganini 
(bei Kahnt). Vorzüglich ist seine Ausgabe des Mendelssohn- 
Konzerts und der beiden Beethovenschen Violinromanzen, 
ebenso seine in Gemeinschaft mit Schnabel verfaßte Ausgabe 
der Mozartschen Violinkla viersonaten. 

Seine Geige ist eine sehr schöne Stradivari aus dem Jahre 
1725, genannt die „Brancacdo“. 

Fleschs allseitige Vollendung wäre wohl kaum denkbar 
ohne eine umfassende Allgemeinbildung. Auch ist klar, daß 
ein so scharfer Denker nicht bei seinem Instrument allein 
stehen bleibt. Seine Sonderliebhaberei sind Bücher. Er ist 
Bibliophile und besitzt eine schöne Büchersammlung. Haupt- 
sächlich beschäftigt ihn die französische Literatur. 

Ich glaube des allgemeinen Interesses sicher zu sein, wenn 
ich im folgenden einige Thesen wiedergebe, die sein Verhältnis 
zum Violmspiel, seine Anforderungen und seine Ideale be- 
zeichnen. 

Das ideale Prinzip des Geigens besteht für 
Flesch in der Gleichmäßigkeit der Eigenschaften, die den 
Geiger ausmachen. Dieses ideale Geigenspiel setzt sich zu- 
sammen aus drei Faktoren: 

1. aus den Mitteln im weitesten Sinn (Ton, Technik); 

2. aus der Anwendung dieser Mittel auf das zu spie- 
lende Stück; 

3. aus der Interpretation selbst, in welcher 
Ziffer 1 und 2 einem höheren, Geist dienstbar gemacht 
werden sollen. 

Da dieses System auf den Mitteln ruht, so sind unter den 
erwerbungsfähigen Sachen die Mittel die wichtigsten, da die 
Individualität gegeben ist. Die Mittel kann jeder, der über- 
haupt an sich zum Geigenspiel talentiert ist, bis zum Ideal 
vervollkommnen. 

Was sind gute Mittel auf die einfachsten Bestandteile 
zurückgeführt ? Reinheit in der Intonation und in der Ton- 
gebung; also die Fähigkeit, im gegebenen Tempo jeden Ton 
rein und tonschön zu spielen. Dem Pädagogen wie dem Spieler 

52 


ist damit ein Dogma gegeben, ein Leitstern, der ihn nie auf 
Abwege geraten läßt. Die Mittel sind für den Geiger das, 
was aas durchgebildete Organ für den Sänger ist. 

Ueber die Wege, zu idealen Mitteln zu gelangen, sagt 
Flesch: Es ist unmöglich, im akustischen Sinne rein zu spielen, 
d. h. jedem Ton die ihm zukommende Schwingungsanzahl zu 
geben. Reinspielen ist eine Fiktion. Wenn es Geiger 
gibt, allerdings nur wenige, die den Eindruck der absoluten 
Reinheit hervorrufen, so kommt dies daher, da j sie die Un- 
reinheit des Tones, den sie spielen, im Bruchteil einer Sekunde 
hören und verbessern. Darum läßt Flesch jeden Schüler 
vor allen Dingen Gehörstudien und Korrekturstudien für die 
Intonation machen. Es handelt sich bei dieser Sache also 
in erster Linie um eine Vervollkommnung des Gehörs und in 
zweiter Linie um eine gewisse manuelle Geschicklichkeit im 
Korrigieren. Hat der Schüler das zustande gebracht, was 
bei dem einen acht Tage, bei dem andern zwei Jahre dauert, 
so hat er damit eine feste Basis gewonnen. 

Was die Tonschönheit betrifft, so beruht sie im 
allerengsten Sinn darauf, daß die Saite von dem Bogen ohne 
Nebengeräusche zur Vibration gebracht wird. Das Ideal 
ist der vollkommen schlackenfreie Ton. Alles Kratzen, Pfeifen, 
Wischen ist im technischen Sinn nichts anderes, als daß die 
Saite an der freien Entfaltung der Schwingungen verhindert 
wird. Die Verhinderungen können sein zu starker .oder zu 
schwacher Druck und m der Hauptsache unrichtige Lage 
des Bogens auf der Saite, zu nahe am Steg oder zu nahe am 
Griffbrett. Die Lage des Bogens auf der Saite hängt sehr 
eng mit der Dauer des Bogenstrichs, mit dessen Stärke und 
mit der Tonhöhe zusammen, muß also fortwährend wechseln 
bezw. sich anpassen. Die vollkommene Bogentechnik 
beruht in allererster Linie auf vollständiger und gleichmäßiger 
Durchbildung der Gelenke, d. h. der Finger-, Hand-, Ellbogen- 
und Schultergelenke. 

Bezüglich des Vibrato sagt Flesch, daß es nach seinen 
speziellen Erfahrungen dem Nachahmungstrieb verdankt 
wird. Jeder Schüler nimmt das Vibrato des Lehrers an, bei 
dem er gerade gelernt hat um die Zeit, in der sich das Be- 
dürfnis nach Vibrato bei ihm fühlbar macht. Von einer allein- 
seligmachenden Methode kann man nicht sprechen. Es ist 
schließlich instinktive Temperamentssache. Schlecht ist das 
Vibrato, wenn es ausschließlich aus dem Ellbogengelenk 
kommt und das Handgel enk dabei versteift wird. Nicht als 
ob es weniger schön wäre, sondern weil durch das steife Hand- 
gelenk die Technik des Lagenwechsels in übler Weise beeinflußt 
wird. Das Vibrato nur aus dem Handgelenk, ist häufig etwas 
zu langsam. Das schönste und beste Vibrato ist nach Flesch 
eine Kombination einer Unterarmbewegung mit einer Hand- 
und Fingerbewegung aus dem Handgelenk. 

Bezüglich der Interpretation verlangt Flesch, daß sie 
ehrlich die Empfindungen des Interpretierenden in Verbindung 
mit dem Empfindungsgehalt des Stückes wiedergeben muß. 
Objektive Interpretation ist Phrase. Interpretation ist die 
Wiedergabe der Komposition, gesehen durch ein Temperament. 
Damit der Hörer mitempfindet, muß der Spieler vollkommen 
durchempfinden; jedes Stück muß im Moment der Wieder- 
gabe ein persönliches Erlebnis des Künstlers sein. 

Schließen wir mit einigen aphoristischen Aus- 
lassungen dieses herrlichen Künstlers, den sein Kollege 
Goby Eberhardt den „Bülow des Violinspiels“ nennt: 
„Tonschwelgerei ist Geigerei als Selbstzweck und minder- 
wertige Kunst. Geigenspiel ist nur Mittel zum Zweck, Aus- 
drucksmittel für die Komposition.“ 

„Wer das Beethoven- oder Brahms-Konzert öffentlich 
spielt, muß das Bewußtsein haben, eine Mission zu erfüllen.“ 
„Zum künstlerischen Geigenspiel bedarf es der Logik und 
der Impulsivität zu gleichen Teilen.“ 

„Der Künstler kann sich nur dann dem Höchsten nähern, 
wenn er die Technik seiner Kunst in so hohem Maße be- 
herrscht, daß er sich den Luxus erlauben darf, diese Technik 
zu vergessen.“ 

„Wenn der Künstler studiert, muß er immer denken; spielt 
er öffentlich, so darf er nur fühlen.“ 

„Schön spielen ist eine Kunst, gut studieren eine Wissen- 
schaft.“ 

„Handwerk hat einen goldenen Boden — die Kunst.“ 
„,Hört mir auf mit all dem technischen Firlefanz', sagen 
die Füchse, denen die Trauben zu sauer sind, vergessen aber, 
daß Joachim, um das Beethoven-Konzert der Menschheit 
neu zu erschließen, erst die Othello-Fantasie von Emst tech- 
nisch vollkommen spielen mußte. Und wo wäre die Technik 
des modernen Orchesters ohne Paganini?“ 

„Der Mensch erkrankt gewöhnlich an den Organen, die 
durch Schwäche dazu disponiert sind. Auch beim Künstler 
erfahren wir seine schwachen Eigenschaften durch die Wir- 
kungen des Lampenfiebers.“ 

„Französische Schule und deutsche Empfindung gibt den 
besten Klang.“ Eugen Honold (Düsseldorf). 



Wie ein „Walzer" entsteht. 

Plauderei io Briefen an eine Freundin. 

Von E. SÖCHTING (Magdeburg). 

(Fortsetzung.) 

III. 

I n Deinem C dur-Walzer war der Zweite Teil auch in C dur 
gesetzt. Diese Gleichförmigkeit der Tonarten muß man ver- 
meiden. Die einzelnen Teile müssen mit den Tonarten wech- 
seln, sonst übt die Komposition keine Wirkung auf den Hörer, 
sie schläfert ein durch die Eintönigkeit. Der Tonartenwechsel 
gibt dem Ganzen eine Frische, die neben originellen und an- 
mutigen Motiven den Hörer in Spannung erhält, so daß er 
nicht müde wird, zuzuhören. 

Auch in der Wahl der Tonarten soll eine Anordnung herrschen. 
Die Tonart des ersten Teils nennt man die Haupttonart, 
nach dieser werden die Tonarten der übrigen Teile regelgemäß 
bestimmt. Die Tonart des zweiten Teils ist gewöhnlich die, 
welche die Dominante der Haupttonart (d. i. die V. Stufe) 
zum Grundton hat. Die Tonart des dritten Teils hat stets 
die Unterdominante der Haupttonart (IV. Stufe) zum Grund- 
ton. 

NB. Zu einem vierten und fünften Teile würde man die 
Tonarten der übrigen Stufen II., III. VI.) wählen müssen, 
damit stets eine Abwechselung herrscht. 

* 

Die Haupttonart unseres Walzers ist F dur, folglich ist der 
zweite Teil in C dur zu erfinden. 

Sollen die folgenden Teile Interesse erregen, so müssen auch 
seine Motive beziehentlich zu den Motiven des ersten Teils 
verschieden gestaltet sein; sie müssen im Rhythmus (d. h. An- 
ordnung der Notenwerte) kontrastieren. 

Das erste Motiv des zweiten Teils soll daher auch noch 
zweistimmig gestaltet werden und soll so aussehen (Bei- 
spiel 13): 



Die Oberstimme bildet die rhythmische Walzerfigur e dis e, 
die Unterstimme c als Halbe mit Punkt. 

Im zweiten Takte (Sequenz, Beispiel 14) sind die Rollen 
vertauscht, hier hat die Unterstimme die rhythmische Figur 
und die Oberstimme die Halbe punktiert. 



(Motiv I) (Sequenz) 

Abschnitt I 

1 I 


Takt 3 (Beispiel 15) ist die Nachahmung (Wieder holung) 
des „Motives I“ um eine große Terz tiefer. Im vierten Takte 
(dem Schlußtakte der ersten Phrase) ruhen beide Stimmen 
auf langer Note: 


16. 

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1 

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E? 1 

*) I 

r 

Motiv I Motiv II 


| ' ' I 

Abschnitt II 

U_ I 

Ein solcher Melodietakt gibt Gelegenheit, einmal in der 
Begleitung das Motiv zu verwenden 1 . 

Phrase II (Beispiel 16) zeigt im fünften und siebenten Takt 
das erste Motiv, während im sechsten und achten Takte neue 
•Motive verwendet wurden: 


l 

16. 

PI 

irasc II 

Motiv I 

1 1 

L-H-Ö 

Motiv III 

* 1 

Motiv I Motiv IV 

L_ II 1 


Takt 4 der Phrase II (der Höhepunkt der achttaktigen Periode) 
zeigt einen in den Tönen des C dur-Septakkordes fallenden 
Lauf, welcher zur dritten Phrase (Beispiel 17) überleitet. 

Diese ist eine genaue Nachahmung (strenge Sequenz) der 
ersten Phrase: 


1 Siehe Beispiel 12, Takt 4, 8, 10, 12 der Reihe C und Bei- 
spiel 19, Takt 4 der Reihe C. 


17. 


Phrase UI 


rjj— jfe-fA-" ~ j f— T~ 

rH-"* 






Im vierten Takte jedoch nimmt die Oberstimme (anstatt der 
Halben punktiert) einen Aufschwung mittels der Schritte 
des C dur- Dreiklanges bis zur Oktave (c w ), mit welchem Tone 
der erste Takt der Phrase IV (Beispiel 18) beginnt: 


18. 




Phrase IV 


IN 


-* — — t— » ff • • * - 




Motiv VI 


~4-t- 


Motlv V 


J l_ 


Sequenz 


Schluß 


Dieser Takt (der dreizehnte), der das neue Motiv V bringt, 
bildet den Höhepunkt des ganzen Teils II. 

Mit dem folgenden vierzehnten Takte (einer freien Sequenz 
des Motivs V) fällt die Melodie. 

Im fünfzehnten Takte schreiten beide Stimmen (als Motiv VI) 
in Sextenintervallen stufenweise abwärts bis zur Tonika c 
(Takt 16). 

Die Begleitung der Melodie des zweiten Teils (Beispiel 19) 
zeigt dieselben 3 Formen wie im ersten Teil. 

Reihe A: im leichten Tanzwalzerstil. 

„ B: der Baß ist als besondere Stimme behandelt. 

„ C: Durcharbeitung der Harmonie mit Staccatogängen 
(Takte 1, 3, 5, 7 usw.), sowie teilweise Verwendung 
des Motivs I (Takt 4). 

1». 


iiais! 


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’JBll 


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-P- +■ ■+■ it -Pr 


i 4 1 1 4 i - 




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cresc. 














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53 





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-p- 


rJ^Eg 


D. C. TWf 7 . 


Vorstehendes Beispiel 19 zeigt uns die Harmonisierung des 
zweiten Teils. 

Ein C dur-Satz ist mit den 3 Hauptakkorden der Stufen I, 
IV, V (C, F, G) und mit dem Dominantseptakkord von 
C dur (g h d f) zu setzen und diese Akkorde wurden auch in 
unserem zweiten Teile verwendet. In Takt 13, dem Höhe- 
punkte der Melodie, wurde jedoch eine besondere Harmonie 
gebraucht, der sogenannte verminderte S e p timen- 
akkord 1 , mittels welchem man leicht einen Abschluß zur 
Tonika herbeiführen kann, indem er sich regelmäßig in die 
zweite Umkehrung (Quartsextakkord) des Tonikadreiklangs 
auflöst, wie in unserem Beispiel 19 ersichtlich. 

Nach der üblichen Wiederholung des ersten Teils könnte die 
Komposition in dieser Gestaltung als „kleiner zweiteiliger 
Walzer“ (Petite Valse) gelten und abschließen *. 

Wir wollen aber in dem Folgenden noch einen dritten Teil 
erfinden, der Dir, liebe Freundin, ein Trio (oder dritter Teil 
eines Tanzstückes) vor Augen führen soll. 


IV. 

Das Trio wird gewöhnlich in der Tonart, welche die Unter- 
dominante der Haupttonart (Stufe IV) zum Grandton hat, 
gesetzt. 

So wie man nämlich in der Melodiebildung einen Aufschwung 
und Zurückgang wahmehmen muß, so hat man auch in der 
harmonischen Anordnung (Tonartenfolge) der einzelnen Teile 
eine Regel zu beachten, um dem Hörer eine angenehme und 
nicht schroffe Abwechselung in der Steigerung zu bieten. 
Es wäre, wie man zu sagen pflegt, ein „schreiender Gegensatz“, 
wollte man nach C dur einen Teil in Cis- oder Fis dur bringen. 

Man wählt daher für die folgenden Teile der Reihe nach 
die der Haupttonart am nächsten stehenden (sogenannten 
verwandten) Tonarten. 

Bringt man z. B. die Haupttonart in Cdur, so wäre die 
zunächst verwandte die Tonart der V. Stufe (G dur), in welcher 
der zweite Teil zu setzen ist. Die Tonart der V. Stufe bildet 
die Höhe der Harmoniefolge, sie bleibt in der jeweiligen Kom- 
position die dominierende oder vorherrschende. 

Da wir einen nur dreiteüigen Walzer erfinden wollen, und 
die Harmonie im zweiten Teile schon den Höhepunkt erreichte, 
so muß das Trio (oder der dritte Teil) in wieder absteigender 
Harmonie gesetzt werden; Melodie wie Harmonie muß daher 
in der Tonart der IV. Stufe (Unterdominantentonart), der 
demnächst verwandten, erscheinen. Die richtige Tonarten- 
folge eines dreiteiligen Tanzstückes zeigt uns am besten die 
bekannte Kadenz mit den Stufen I, V, I, IV, I, V, I. Z. B. 
in Cdur (als Haupttonart) i- Beispiel 20: 

20. Wiederholung 



1 NB. Der verminderte Septakkord steht auf der siebenten 
Stufe der Molltonleiter; man kann ihn auch bilden, indem 
man den Grundton des Hauptseptimenakkordes um eine 
halbe Stufe erhöht. Wegen seiner mannigfachen Auflösungs- 
möglichkeiten wird er zu Modulationszwecken gern verwendet. 

* Siehe Söchting op. 108 No. 12 Moment de Valse (C. F. Kahnt 
Nachf.). 

54 


Auf die Tonart unseres Walzers übertragen (transponiert): 
Haupttonart Fdur (Beispiel 21): 


81. Wiederholung 



Die Melodie des Trio soll nun mit den vorigen beiden Teilen 
dadurch kontrastieren, daß es eine sogenannte Kantilene oder 
gesangvolles Thema bringt, welche in einigen Phrasen wenig- 
stens in langen Noten (gegenüber den kürzeren Motiven der 
vorigen Teile) besteht, wodurch ihm eine weichere Stimmung 
zugrunde gelegt wird. 

Nach voriger Regel wäre also unser Trio in B dur (der 
Unterdominantentonart) zu setzen. 

In der ersten Phrase (Beispiel 22, Takt 1 — 4) zeige ich Dir, 
liebe Freundin, wieder eine neue Variante, indem ich dem 
Basse die Melodie zuteile und dem Diskant oder Oberstimme 
die Begleitung überlasse, wodurch die weiche Stimmung 
noch bedeutend erhöht wird (Beispiel 22): 


23. 


— t — J — J— 

-f im > 


A • * 

* •W— 


öi§= 

■p-' 1®. 

i = &= 


Die zweite Phrase (Beispiel 23) beginnt mit einer Viertel- 
pause ; die Melodie schreitet dann in Viertelnoten des g moll- 
Dreiklanges aufwärts und in den Intervallen des Septakkordes 
von B dur (mit Durchgangstönen c und d) abwärts: 


1 

28. 
A_ 1 


Phrase II 

_ u 

1 




ir-tedi . — _ — ö q 

— *- • - 

:-h=± 




Phrase III beginnt mit dem ersten Takte der Phrase I 
und bringt dann ein neues zweitaktiges Motiv (cis d d"‘-b), 
welches den letzten Ton (b) noch bis zum vierten Takte aus- 
hält (Beispiel 24): 



Phrase HI 

£ , 

" \ 



\- 

| 

i 

ffrr .1 _ 



=#* — s — 




aj- — 1 — 

- 


[ 74. r 1 


L I 

L 


Phrase IV beginnt schon im letzten Takte der Phrase III 
als ein Auftakt (fis g). Ein in den folgenden 3 Takten auf- 
tretendes neues Motiv führt die Melodie abwärts bis zur Do- 
minante (F). Der vierte Takt bringt eine Figur in den Tönen 
des F dur-Dreiklangs (Beispiel 25): 


26. Phrase IV 



Die Melodie fällt also hier nicht wie im ersten und zweiten 
Teile im sechzehnten Takte in die Tonika, sondern steht erst 
auf der Höhe (der Dominante). 

Du kannst mm schon erraten, liebe Freundin, daß unser 
Trio doppelt so lang wird, wie die beiden ersten Teile, und 
wir sind erst zur ersten Hälfte gelangt. Es wird demnach 
aus 8 Phrasen (zu je 4 Takten) oder aus 4 Perioden (zu je 
8 Takten) bestehen müssen, wie uns Beispiel 30 veranschaulicht. 

Phrase V (Beispiel 26) und Phrase VI (Beispiel 27) sind 
Wiederholungen der Phrasen I und II mit Varianten (Ver- 
änderungen) im Diskant. In Phrase V ist die Melodie im 
Diskant in arpeggierter Form (gebrochene Harmonie) ge- 
setzt (Beispiel 26): 


US. Phrase V 




JL 

« 

r r==-g 1 





rrmz r m 




L w — - — 


1 * . ^ 

^ 1 


während in Phrase VI die Melodie in Oktaven notiert ist 
(Beispiel 27): 





t 

27. 

r-fi — b 7 — ß — 

r.f f i 

Phrase VI 


N 

i_ 

Pr — □ 


1 — 1— fc — i» — 

— f-f- 3 

~ T — — 


ar— , 

Erd 


m — r w 

L n 

L 1 


L [_ J 

b w f— 


— 


• — 1 


Die siebte Phrase ist eine Wiederholung der Phrase III 
mit Umwandlung der letzten Note (,') in. eine Halbe punktiert 
(Beispiel 28) : 


28. Phrase VII 



: 



Li _ 





u «» . . r 






F ' - 

tsüz 

— t Y. =d 

... 



Die letzte (achte) Phrase endlich ist wieder zweistimmig 
gesetzt, wobei die Oberstimme, ein Seufzermotiv 1 anstimmend, 
in Achteln, die Unterstimme dagegen in halben Noten bis 
zur Tonika fortschreiten (Beispiel 29): 


Phrase VIII 




PE2 


iF^^^-rrrr^r 


TT^ 


HE 


1 NB. Seufzermotiv nennt man eine Sequenz von zwei 
stufen weis abwärtsschreitenden Achteln oder Vierteln; auch 
mit voranstehender Pause (wie in Phrase VIII), welches man 
in Sonaten von Haydn und Mozart häufig antrifft. 

Siehe Mozart-Sonate in D dur (Peters, Ausgabe No. 3): 


r-e-ia— 

p-rwlt— T-D^=r— 

t Tr 

ES 2 »— 


— - L II 


ZdZ ^ 1 _i- irr* t tt 



nr»u /» r r r~i m. r 

u sr 

11 T K 

k: r ge. j 

riTTvn — 0 7 1 


[■ J 2 J 

*&=*=== ^ K = 


Haydn-Sonate in E dur: 



! — r~ f — 

==*s — 

1 JL 

9 - r 'I C 



r -0—m c 




= 


mR 


(Fortsetzung folgt.) 


Obwohl seine Harmonik die gleiche geblieben, verteilt er ihre 
Wirkungen bewußter und schreibt einen Orchestersatz von 
entzückender Leichtigkeit, auf dem auch die duftigste Klang- 
perle sich glitzernd verrät. Die Thematik geht wieder auf 
die feste Linie aus: statt der Akkordballen sehen wir vielfach 
geschwungene Bogen. Reger besinnt sich auf sein starkes 
melodisches Talent. 

Am Anfang der Suite steht gleich deren stimmungsreichstes 
und in der Form glücklichstes Stück: der geigende 
Eremit. Ein in Inbrunst versunkenes Ave Maria, das der 
alte Einsiedler sich und der Gottesmutter singt. Die Kirchen- 
tonart gibt ihm aparte Reize der Harmonie und eine Stimmung 
des Weltentrücktseins. Wie Heiligenschein liegen die Klänge 
des Orchesters über dem zarten Idyll und umrahmen den 
Gesang der Sologeige. Ein Musterstück modern klangvollen 
Orchestersatzes, der das Instrument trägt und es niemals 
erdrückt. 

Dann das Spiel der Wellen, mit behäbiger Lustigkeit, ver- 
traulichen Scherzen und manchem nassen Spaß eine fröhliche 
Nachdichtung des Bildes, wenn auch ohne die dort erklingende 
erotische Note. Plötzlich ist alles wie weggewischt: im Nebel 
vergehen die Gestalten und der sonnige Spuk hat ein Ende. 

Die Toteninsel, erhaben feierlich des Lebens letztes Ge- 
heimnis bergend, die Stätte tiefen Schauers und wildauf- 
zuckenden Schmerzes — und doch der milden, alles Leid zu 
seligem Ende tragenden Versöhnung. Ein Satz voll starker 
Eindrücke, doch der Form lösenden Stimmungsseligkeit solcher 
Vorwürfe nicht ganz entgangen. 

Im Schlußstück, dem Bacnanal, geht Reger auf ein wenig 
bekanntes Bild zurück, das ausgelassenste und derbste, was 
Böcklin gemalt. Es hängt im Hause Knorr zu München. 
Betrunkene, torkelnde Soldaten und kreischende Weiber, 
durcheinandergeratenes Viehzeug und Menschenpack, eine 
Orgie in der letzten Auflösung. Man merkt es an der Musik, 
die in atemloser Betriebsamkeit vor nichts zurückschreckt, 
und Naturlaute, Geschrei und Zoten in wildem Getümmel 
durcheinander wirft. Ein musikalischer Bauembreughel, 
dem in der das Bild umrahmenden Thematik allerdings eine 

S untere Note von Vorteil gewesen wäre. Jetzt wird der 
mehr auf die Auswüchse als die Gruppen selbst gelenkt, 
und dem Höllenlärm fehlt das Gegengewicht rhythmisch und 
melodisch kraftvoller Episoden. 

Der grandiose Humor des Bildes ist nicht auf die Musik 
übergegangen; sie ist mehr Breughel als Böcklin. Doch führt 
das Stuck die Suite zu flottem und rauschendem Ende. Die 
Aufnahme war herzlich, und die von Hermann Abendroth vor- 
bereitete Aufführung ersten Ranges. Max Hehemann. 


Max Regers Böcklin-Suite. 

D er Essener Musikverein hat Max Regers neuestes Werk, 
die vier Tondichtungen nach Bildern von Arnold Böcklin 
aus der Taufe gehoben, an der gleichen Stelle, wo vor 
acht Jahren des Komponisten erstes Orchesterkind, die „Sin- 
fonietta“, ihre ersten Schritte tat. 

Die Kunde vom Böcklin- Werk hörten viele mit Mißtrauen, 
denn alles andern glaubten sie sich bei Reger, dem aller- 
persönlichsten Ichmusiker, versehen zu können, als einer 
solchen Tondichtung. Eines Stückes, das von Gemälden 
angeregt, sich auf eine breitere Basis der Empfindungen 
stellte und mit Regers bisherigen Mitteln nicht zu schaffen 
war. Denn diese Suite ist über seine romantische hinaus ein 
Frontwechsel und ein Fortschritt, dem Inhalt wie der Form 
nach. Doch ändert Reger trotzdem sein Inneres nicht. Wenn- 
gleich, auf den ersten Blick gesehen, der Anschluß an die 
malende Programmusik vollzogen scheint — Reger bleibt im 
Grunde, was er war: ein Empfindungsmusiker, und er wird 
zum Schilder er nur dort, wo es der Rahmen fordert. Auch 
geht er nicht daran, Böcklins Farbenträume mit der Orchester- 
palette nachzudichten — trotz des klanglichen Reizes dieser 
Stücke sind sie durchaus in der Manier des Zeichners ent- 
worfen; er zieht die melodischen Linien der Empfindungen, 
wie Böcklins Bilder sie in ihm erweckten. 

In der Form sind diese vier Stücke knapper und glücklicher 
wie das meiste von Reger, und sie bedeuten zugleich ein Auf- 
hellen der Palette wie der Stimmung. Er schrieb zeitweise 
eine recht unliebenswürdige, verbissene und dabei nicht grade 
kurze Musik — er komponierte gewissermaßen schlecht 
Wetter — , hier aber scheint die Sonne und das Ganze zeigt 
den Willen zu größerer Oekonomie. Reger, der wilde Stürmer 
und Dränger, ist ruhiger geworden und hält Haus mit seinen 
Mitteln. So ist er denn vom äußersten linken Flügel der 
modernen Musik, wo jetzt die Anarchisten toben, schon recht 
nahe zur Mitte gerückt, und in einigen Jahren wird man sich 
vielleicht wundem, daß er ein „Inferno“ dichten konnte. 


Bernhard Sekles: Der Zwerg und 
die Infantin. 

Tanzspiel in 2 Bildern nach OSCAR WILDE. 

A m Frankfurter Opernhaus hat ein Werk von Bernhard 
ZA Sekles die Uraufführung erlebt, dem die musikalischen 
* A Kreise seit längerem schon mit Spannung entgegensahen. 
Unsere auch für das musikalische Drama nach neuen Formen 
und Ausdrucksmöglichkeiten suchende Zeit konnte an der 
Pantomime, dem Tanzspiel, nicht vorübergehen. Bernhard 
Sekles, der durch seine Serenade beim Dresdner Tonkünstler- 
fest zuerst der großen Oeffentlichkeit bekannt geworden ist, 
hat nun nach längerer Zeit wieder ein Werk geschrieben, das 
dazu berufen scheint, weitere Kreise für diese Art von feiner, 
moderner Kirnst zu interessieren, und sie von ihrer Berech- 
tigung zu überzeugen, wenn ihm die notwendigen stilistischen 
Lebensbedingungen gegeben werden. „Der Zwerg und die In- 
fantin“ ist nach Wildes ergreifendem Märchen „Der Geburts- 
tag der Infantin“ von Karlheine Martin, dem Frankfurter 
Regisseur, für die Szene bearbeitet worden. Wir geben die 
kurze Inhaltsangabe nach dem Textbuch wieder: 

Den Geburtstag der zwölfjährigen Infantin durch kindliche 
Spiele zu feiern, findet sich der Hof auf der Terrasse des 
Schlosses ein. 

Ein Stierkampf, von Gespielen der Infantin dargestellt, 
macht den Beginn — dann tanzen die Tänzerknaben das 
geistliche Menuett „Unsrer Frauen Tanz“ — und ein Spiel 
folgt von jungen J ägern, zu dessen Beschluß die erlegte Beute 
vor die Infantin gebracht wird: im Weidenkorb ein seltsamer 
kleiner Zwerg, der das Entzücken der Künder erweckt. 

Der Zwerg, in völliger Unkenntnis seiner grotesken Er- 
scheinung, ist beglückt durch den Beifall, den sein Tanzen 
und Springen bei den Kindern findet, und als ihm gar die 
Infantin eine Rose zuwirft, erwacht in ihm eine seltsam innige 
Liebe. 

Mit dem Zug des Hofes in die Schloßkapelle schließt das 
erste Bild. 


55 



Suchend durchstreift im zweiten Bild der Zwerg das Schloß, 
um die Infantin wiederzusehen. Er tritt in ihr Gemach — aufs 
äußerste verwirrt von der Pracht der ihm neuen Dinge. Da 
erblickt er sich iin mächtigen Spiegel — die fremde Erscheinung 
belustigt ihn, der ja um seine eigene Häßlichkeit gar nicht 
weiß, aufs höchste; aber als er sich selbst im Spiegelbild er- 
kennt, gerät er im Gedenken an den Spott der Kinder und der 
geliebten Infantin in tolles Rasen und stürzt sich in den Spiegel, 
vor dem er zusammeasinkt. 

Die Infantin kehrt mit den Gespielen vom Fest zurück, 
und beim lustigen Reigen stößt sie an den leblosen kleinen 
Körper — innehaltend versteht sie sein grauses Schicksal — 
doch schon wirbelt zu Ende der Tanz — verklingt das 
Märchen. — 

Bernhard Sekles ist der gegebene Komponist für diesen 
Stoff. Er hat uns ein Werk geschenkt von höchstem Reiz 
und vollkommener Eigenart in jeder Beziehung: ein musika- 
lisches Kammerspiel. Gleich das „Pastorale* 1 am Anfang 
verspricht uns ein Fest in doppelter Bedeutung und wir sind 
vom ersten Augenblick an gefesselt. Von den Szenen, die 
folgen, ist eine jede ungemein charakteristisch in sich, und 
doch sind alle organisch innig miteinander verbunden. 

Durchleuchtet von der spanischen Sonne, getränkt mit 
Farben, aber zugleich schon mit einer ganz leisen Schwermut, 
ziehen die Kinderspiele an uns vorbei, darunter, als besondere 
Kostbarkeit der Partitur, „Der Marientanz“ in glühend-reiner, 
asketischer Musik. Das Stück, das im Klavierauszug diesem 
Heft beigegeben, wird im Orchester nur vom Streichquartett 
(ohne Kontrabässe) gespielt — der Refrain jedesmal von den 
Holzbläsern. Wunderschön ist am Anfang und Schluß die 
Huldigung an die Infantin ausgedrückt. Das Ganze ist 
äußerst kunstvoll. An das hierauf folgende „Furioso der 
Jäger“ schließt „Der Tanz des Zwergen“. Dieser Tanz und 
ein zum zweiten Teil überleitendes Orchesterzwischenspiel 
sind Stücke meisterhafter Charakterisierungskunst, sowohl 
in musikalischer Erfindung wie in Rhythmik und Instru- 
mentation. In der Durchführung des zweiten Teiles aber 
(„Der Zwerg und sein Spiegelbild“) mit dem tragischen Finale 
erreicht der Komponist den Höhepunkt an Ausdrucksfähigkeit. 
Jedoch bei aller Kompliziertheit der Form und der kontra- 
punktischen Durcharbeitung, bei allem Reichtum der Aus- 
schmückung, bleibt sein Werk beseelt von Wärme, selbst- 
verständlich und notwendig. Nirgends ist Künstelei — 
immer aber Kunst. Deshalb winde uns Sekles’ Stück zum 
Erlebnis reinster Art. 

Ueber die Aufführung folgendes: . Das Orchester unter 
Dr. Rottenbergs Leitung klang im ganzen schön, stellenweise 
in der Auffassung etwas matt. Die Rolle des Zwergen gab 
Frl. Einzig mit viel Verständnis, augenscheinlich jedoch be- 
drückt durch die mangelhafte Inszenierung, die eigentlich 
alles zu wünschen übrig ließ. Es ist wirklich rätselhaft, wie 
ein Regisseur vom Rufe Karlheinz Martins so versagen konnte. 
Die Dekorationen, für die Ottomar Starke zeichnet, sind indisku- 
tabel. Wo waren die mannigfaltigen Farben und der könig- 
liche Prunk, wovon das Märchen dichterisch und musikalisch 
durchdrungen ? Das Tanzspiel wurde übrigens, weil es nicht 
sogenannt „abendfüllend“ ist (es dauert eine knappe Stunde), 
vor dem „Barbier von Sevilla“ gegeben. Das Richtige wäre, 
es als einziges Stück des Abends, aber zweimal hinter einander, 
spielen zu lassen, oder auch nach einem feinen kleinen Schau- 
spiel. Die Stuttgarter Hofbühnenleitung, die immer so viel 
Sinn für das Besondere beweist, könnte auch diesmal wieder 
zeigen, wie man sich eines solchen Werkes annimmt! — 

Noch ein paar Worte über den Lebensgang des Künstlers: 
Bernhard Sekles wurde am 20. Juni 1872 zu Frankfurt a. M. 
geboren. Nach beendigter Schulzeit studierte er am Dr. Hoch- 
schen Konservatorium, und zwar Komposition bei Iwan Knorr 
und Bernhard Scholz und Klavier bei Lazzaro Uzielli. Nach- 
dem er das Konservatorium verlassen hatte, betrat Sekles 
seine dornenvolle Laufbahn als Kapellmeister an den Stadt- 
theatern zu Heidelberg und Mainz. Nach zweijährigem Wirken 
sagte er der Dirigentenkarriere aber Valet; sie gab ilim nicht 
genügend innere Ruhe zur Komposition. Sekles folgte einem 
Ruf als Nachfolger Engelbert Humperdincks ans Dr. Hochsche 
Konservatorium, wo er noch heute in Komposition und allen 
einschlägigen theoretischen Fächern unterrichtet. — Als Kom- 
ponist ist Sekles niemals von irgend einer Partei ins Schlepptau 
genommen worden; was er bis heute erreicht hat, verdankt 
er beinahe ausschließlich seiner Kunst selbst. Der Ton- 
künstler, der sich von Anfang an für seine Musik ernstlich 
ins Zeug gelegt hat, ist Hans Pfitzner. Seiner gedenkt Sekles 
in Dankbarkeit, wobei er das Entgegenkommen des „Allge- 
meinen deutschen Musikvereins“ nicht vergißt. ' Straßburg 
wird auch das neue Tanzspiel als eine der ersten Bühnen nach 
Frankfurt aufführen. Auch Musiker wie Generalmusikdirektor 
Wolfrum in Heidelberg, Hofopemdirektor Bodansky in Mann- 
heim und Hofopemkapellmeister Kutzsclibach in Dresden 
beginnen sich für Sekles zu interessieren; und wieder ist es, 
wie neuerdings öfters, ein Engländer, der treffliche Sir 
Stanford in London, der für den deutschen Komponisten ein- 
tritt. Im großen und ganzen lastet heute wie früher auf 

56 


Sekles noch der Fluch des „Unetikettierten“, und dies ist für 
einen Künstler in Deutschland wirklich ein Fluch! Sekles’ 
Musik hat sich weder an Richard Strauß noch an Max Reger 
entzündet, er gehört erfreulicherweise nicht zu den Nach- 
ahmern dieser beiden Meister. Woran sie sich entzündet hat, 
das fühlen nur wenige in unserer so schnellen und materiellen 
Zeit! ■ Johanna Haustein. 


Berliner Opernbrief. 

Z um Präludium der kommenden Wintersaison haben un- 
sere Berliner Opernbühnen einige Neueinstudierungen 
und Auffrischungen berühmter (Opern aus alter und 
neuer Zeit gebracht. Die „königliche Oper“ begann ihr Ar- 
beitspensum mit einer Aufführung von Aubers „Fra Diavolo“, 
die recht sorgfältig vorbereitet und durcligearbeitet war. Am 
Dirigentenpult saß Herr Laugs, unser neu engagierter Hof- 
kapellmeister. Im ganzen fand sich Herr Laugs mit der 
Einstudierung ganz gut ab. Seine Direktion war nicht ge- 
rade eigen in der Tempoführung und Nuancierung, aber doch 
sicher und wirkungsvoll,, zumal wenn man bedenkt, daß Herr 
Jadlowker, der die Titelrolle übernehmen sollte, im letzten 
Augenblick al gesagt hatte und durch Herrn Hensel aus Ham- 
burg ersetzt werden mußte. Herr Hensel, ein tüchtiger, den 
Glanzpunkten der Partie allerdings nicht gewachsener Diavolo, 
sang ohne vorherige Probe, so daß es genug auszugleichen 
und zu verbessern gab. Prächtig war das Banditenpaar be- 
setzt. Herr Knüpfer (Giacomo) und Herr Henke (Beppo) 
überboten sich in lustigen Einfällen und sorgten für eine 
hübsche Unterhaltung des Publikums. Sonst standen die 
Leistungen der Mitwirkenden auf mittlerem Niveau. Auch 
bei der Neueinstudierung von Wagners „Tristan und Isolde“ 
hielten sich gute und mittelmäßige Leistungen die Wage. 
Ausgezeichnet war die Isolde der Frau Leffler-Burkard, die in 
dieser Saison in den Verband der königlichen Oper eingetreten 
ist. Ihre Stimme klingt bis auf kleine Unebenheiten glänzend 
und kräftig. Und dann ist Frau Burkard auch eine tempe- 
ramentvolle Schauspielerin, die den Wagner-Stil vortrefflich 
beherrscht. Die Brangäne von Frau Arndt-Ober und Herrn 
Knüpfers König Marke sind als vortreffliche Leistungen seit 
Jahren bekannt. Weniger gefiel Herr Kraus (Tristan). Seine 
Stimme hat viel von ihrem früheren Glanz verloren und sein 
Spiel an Kraft und Eigenheit kaum gewonnen. Die Auf- 
führung leitete Generalmusikdirektor Leo Blech, der eine 
schön durchgearbeitete Wiedergabe bot, aber den einheitlichen 
Zug und die große Linie der Musik in der Ausführung nicht 
erreichte. In der Inszenierung gab es manches Neue. So 
nahm das Schiffszelt nicht mehr den ganzen Raum der Bühne 
ein, es ließ einen Ausblick auf das Meer offen und wirkte so 
natürlicher als die frühere Einrichtung. Etwas armselig sahen 
die leichten Zeltbehänge und die Schiffsausstattung aus. Auch 
die Beleuchtung der Nachtszene war nicht gelungen. Die 
Bühne war zu Beginn der Szene viel zu hell. Im dritten Akt 
hatte man dem verwundeten Tristan das Ruhebett genommen. 
Er mußte auf harter Lagerstatt, an einen Baum gelehnt, 
leiden. All das sind Neuerungen, mit denen man sich ebenso- 
wenig abfinden kann, wie mit der über der Aufführung liegen- 
den Schwere in der Darstellung. 

Interessanter ging es im „Deutschen Opernhaus“ zu. Die 
Bühne hat in Frau Kurt, die bisher am königlichen Opern- 
haus wirkte, eine tüchtige dramatische Sängerin gewonnen 
und durch weitere Neueinstellungen das Solistenensemble er- 
heblich verbessert. Der Spielplan bringt in der Hauptsache 
Werke der Klassiker und mehr öder weniger bekannte Stücke 
der älteren Spieloper und der großen Oper. Den Haupterfolg 
erzielte die Bühne mit der Neueinstudierung von Hal6vys 
großer Oper „Die Jüdin“. Man hatte der Aufführung die 
Originalpartitur zugrunde gelegt, traditionell gewordene Striche 
beseitigt und Dichtung und Musik überarbeitet, ohne dem 
Werk Gewalt anzntun. So kam das Grelle in der Farben- 
zeichnung, das Aufeinanderprallen der Kontraste, die „schauer- 
liche Erhabenheit“ der Musik, die, wie Wagner sagt, von 
„einem gewissen elegischen Hauch“ verklärt wird, zu präch- 
tiger Wirkung. Und in der Ausstattung und Inszenierung 
wurde ein Glanz und eine Pracht entfaltet, wie man sie sonst 
nur von einem Hoftheater erwarten kann. Mit dieser schönen 
Aufführung, in der Frau Kurt die Recha sang, ist das Werk 
dem Spielplan endgültig gewonnen. — • Als zweite Premiere 
brachte die Deutsche Oper Ludwig Thuilles Märchenspiel 
„Lobetanz“. Dieser Sang von Spielmannslust und -leid 
machte auf die Zuhörer emen tiefen, lange nachklingenden 
Eindruck. Niemand denkt bei diesem Marchenspiel an die 
dramatischen Forderungen Wagners. Mit der Marchenprin- 
zessin und dem fahrenden Spielmann, der die Prinzessin zu 
zu neuem Leben weckt, mit all dem Wundersamen, was Bier- 
baum zu sagen weiß, sind wir im Lande der Märchenoper, 



die allein durch Stimmungsreize wirken will. Diese Märchen- 
stimmung erhält durch die schmiegsame Lyrik Thuilles einen 
herrlichen Klangzauber. Alles ist in der Partitur so fein- 
sinnig. durchsichtig und liedmäßig entworfen, daß es eine 
Freude ist, dieser „undramatischen“ Bühnenkunst zu lauschen. 
Die Oper erschien in einem schönen, stimmungsreichen, sze- 
nischen Rahmen. Vielleicht gelingt es dieser trefflichen Ein- 
studierung, das Werk allgemein bekannt zu machen und im 
Spielplan länger zu halten, als es vor Jahren im königlichen 
Opernhaus der Fall war. Dr. Georg Schünemann. 


Rückblicke auf die Breslauer 
Jubiläumsmusik. 

D ie städtische „Jahrhunderthalle“ auf dem Gelände 
der Breslauer Ausstellung zur Erinnerung an das auch 
Schlesiens Geschichte sehr wichtige Jahr 1813 ist die 
Stätte bemerkenswerter künstlerischer Veranstaltungen ge- 
wesen. Bemerkenswert als unerfreuliches Ereignis von ne- 
gativer Bedeutung war Gerhart Hauptmanns Festspiel. Die 
„zur Handlung gehörende Musik“ von Einar Nüson hat nur 
wenig Gelegenheit, besondere Beachtung zu wecken. Der 
Ort dieser Aufführungen ist ein kolossaler Zentral- und Kuppel- 
bau, den der hiesige Stadtbaurat Berg aus Eisenbeton, dem 
„Baumaterial der Zukunft“, geschaffen hat. Der äußere 
Eindruck ist nicht günstig, erst im Innern kommt die mit 
einem Durchmesser von 67 m „größte Kuppel der Welt“ zu 
erhabenster Wirkung. Der Riesenbau gibt gewiß 10 000 Per- 
sonen bequeme Unterkunft. Auf der Ostseite erhebt sich 
die „größte Orgel der Welt“, ein Werk von Sauer (Inhaber 
Walcker) in Frankfurt a. O. Die Akustik der gigantischen 
Rotunde ist sicherlich nicht „die beste der Welt“, sondern der 
Verbesserung sehr bedürftig. Der Orgelklang war bisher 
stets ausgezeichnet, und fast immer wirkte auch der Chor- 
und Sologesang sehr gut, aber das gesprochene Wort forderte 
manchmal, je nach der Stellung des Redners, ein mehr oder 
minder starkes Echo heraus. Ganz unzulänglich war die 
Akustik bei Instrumentalmusik. Im „Meistersinger“-Vorspiel 
waren die Blechinstrumente tyrannische Herren, die Streicher 
widerwillige Sklaven, die Paukenschläge hörte man immer 
erst eine halbe Sekunde später, als man sie sah, und ein viel- 
stimmiger Widerhall leitete des Hörers rhythmisches Gefühl 
und des Partiturlesers achtsame Augen vollends auf Abwege. 
Gründliche akustische Experimente werden sehr nötig sein. 

Am besten kam bisher der Männer chorgesang zur Geltung. 
Davon überzeugte man sich bei der akademischen Feier des 
Regentenjubiläums des Kaisers, bei der von der Breslauer 
Studentenschaft einberufenen Festversammluhg zum Ge- 
dächtnis der Freiheitskriege und bei den Konzerten zum 
50jährigen Jubiläum des Schlesischen Sängerbundes, in dem 
die Breslauer Sängerschaft durch die von den Herren M. Krause, 
Gulbins, Fiebig und Lindner geleiteten Vereine würdig ver- 
treten war. Die bedeutendste musikalische Veranstaltung 
verdankte man dem „Musikausschuß“ der Breslauer Jahr- 
hundertausstellung. Die verstärkten Kapellen des Stadt- 
theaters und des Orchester Vereins versammelten sich zu 
löblichem Tun in der Festhalle. Auf dem Stufenpodium, das 
der Standort für Gerhart Hauptmanns Festspiel gewesen ist, 
saßen 142 Musiker; aber selbst bei den größten Steigerungen 
und den klanglich stärksten Höhepunkten hätte man glauben 
können, daß nur 42 Instrumente den Klangkörper bildeten. 
Darum blieb dem zur Einleitung dienenden Kaisermarsch 
von Wagner die volle Wirkung versagt. Daß die Akustik 
für die Geigen vorteilhaft ist, erkannte man bei den hier 
zum ersten Male gespielten „Intermezzi Goldoniani“ von 
Enrico Bossi, einer durch Zartheit und Zierlichkeit anheimeln- 
den Suite von Tanz- und Traumstücken. Tanzrhythmen, 
aber rassigere, im Nationalkolorit stärkere als die des Italieners, 
machen auch den Wesenskern der „Scheherazade“ von Rimsky- 
Korsakow aus. Der morgenländische Märchenzauber ist durch 
instrumentale und thematische Mittel gut getroffen, der 
orientalische Charakter zeigt sich aber auch in der uferlosen 
Lust zu fabulieren. 

Im „Zarathustra“ von Richard Strauß kamen die kontra- 
punktischen Feinheiten nicht immer genügend zur Geltung. 
Julius Prüwers hervorragende Begabung verstand dann in 
Liszts „Präludien“ die physischen Schwierigkeiten restlos zu 
überwinden. Dieses Festkonzert erfüllte vier meiner hier 
schon geäußerten Wünsche: Es fand ohne Solisten statt, 
spendete nur moderne Tonwerke, wahrte Stileinheit in der 
Vortragsfolge und bot zum ersten Male in Breslau den Konzert- 
besuchem Programmbücher dar. Del Verfasser der Erläute- 
rungsschrift. ist Herr Dr. Martin Ehrenhaus. Ein Rückfall 
ins Kleinstädtische war nur die Tatsache, daß in Scheherazades 
Erzählung und Zarathustras Gedankenwelt durch ein offenes 


Fenster der Halle rücksichtslose Gartenmusik hineintönte. 
Das war wieder eine von den vielen Ungeschicklichkeiten 
unserer „Verantwortlichen“. 

Eine nur äußerlich festliche Veranstaltung war das Fest- 
konzert zum Regierungsjubiläum des Kaisers. Mit einer für 
Breslau neuen Kantate von Hugo Kaun wurde es wirkungs- 
und verheißungsvoll eingeleitet, den pomphaften .Schluß 
bildete eine sehr wenig bekannte Komposition von Richard 
Strauß, die „Dem Friedensfiirsten“ gewidmete Hymne für 
einstimmigen Chor, Orchester und Orgel. Was dazwischen 
lag, war teils vom Uebel, teils anständiger Durchschnitt. 
Die rhythmischen Meinungsverschiedenheiten zwischen Frau 
Dux von der Berliner Hofoper und dem Orchester vermochte 
der dirigierende Herr Pieper nicht auszugleichen. Bachs 
Suite in D dur ließ er ohne Grazie, ohne dynamische und 
rhythmische Nuancen wie eine musikalische Strafarbeit 
herunterspielen. Der Pianist Dr. F. Rosenthal behandelte 
Chopins „Große brillante Polonaise“ weder groß noch brillant. 
Seine riilmiens werten Musiker fügenden zu zeigen, gab ihm 
Graf Hochbergs Klavierkonzert in. c moll Gelegenheit. Das 
ist gewiß eine liebenswürdige, geschmackvolle Eklektiker- 
arbeit, aber sie rechtfertigt nicht den Beifallsorkan, der dem 
anwesenden Komponisten auf einen Wink des Dirigenten (!) 
vom Chorpodium entgegenbrauste. 

Ueber aas Konzert zum „Schlesiertage“ kann ich mich 
nicht äußern; doch es sei erwähnt, daß Kompositionen auf 
Texte in schlesischer Mundart und andere volkstümliche 
Kompositionen von Paul Mittmann als Proben musikalischer 
.Heimatskunst geboten wurden. Mittmanns kleinbürgerlicher 
Liedertafelgesang „Mein Schlesierland“ bildete den Schluß 
der Kindermassenchöre in der Jahrhunderthalle, die sich 
trotz ihrer riesenhaften Größe dreimal bei diesen Konzerten 
von 2800 Knaben und Mädchen ganz füllte. Der Orgelkoloß 
erwies sich noch als etwas widerspenstig. Um so williger 
folgten die Mitglieder der sangeskundigen Breslauer Volks- 
schuljugend den großen, teils von künstlerischer Einsicht und 
pädagogischem Geschick zeugenden Winken ihrer Lehrer und 
Leiter, der Herren P. Marx und Ä. Zobel. 

Dieser Symphonie der . 2800 folgt das größte musikalische 
Ereignis der Breslauer Festzeit: Mahlers „Symphonie der 
Tausend“; womit zugleich eine Breslauer Musikfestwoche 
eingeleitet wurde. Das. Werk ist also verhältnismäßig spät 
nach dem Osten Deutschlands gekommen. Abscheulich 
ist der amerikanisch reklamehafte Titel, dem zuliebe man 
auch bei uns spaßigerweise „insgesamt 1000 Mitwirkende“ 
aufgeboten hat. Aber nomen ist hier kein omen, denn die 



BERNHARD SEKI.ES. 
Photogr. Hans Fohr, Frankfurt a. M. 


57 




Das neue Heilbronner Stadt llieater von Theodor Fischer. 
Hofphotogr. Brandt, Heilbronn. 


Symphonie ist frei von Amerikanismus und Materialismus, 
sie ist das Werk eines Idealisten; auch in ihren Schwächen. 
In der Aufführung belohnte sich die große Mühe, die Prof. 
Dr. Dohm auf die Einübung verwendet hat, reichlich. Er 
beherrschte das Riesenspielzeug — Chor, Soli und Instrumente 
jeder möglichen Gattung — vollkommen und zeigte die Stärke 
seiner Begabung wieder in der Schulung der Chöre. Zur 
Verstärkung des heimischen Orchesters war das Berliner 
„Blüthner -Orchester“ herangezogen worden. — Seinen Auf- 
enthalt in Breslau benutzte das jetzt auf achtbarer Höhe 
stehende Orchester unter der tüchtigen Leitung des noch 
jungen und noch nicht genügend selbstischen Herrn Max 
Wachsmann außerdem zu einem eigenen Konzert mit einem 
viel zu langen Programm, das nur gute alte Bekannte enthielt. 
Herr Wittenberg spielte das Konzert von Brahms in reifer 
Auffassung und technischer Gediegenheit. — 

Ueber cue neue Breslauer Riesenorgel und ihre Ein- 
weihung durch Reger und Straube wird in einem besonderen 
Artikel berichtet. Die Gelegenheit, die unangenehme Eigen- 
schaft eines „Echos“ in unserer „Jahrhunderthalle“ zu be- 
obachten, bot sich abermals in dem nur teilweise anregenden 
Konzert des mit Recht berühmten „Leipziger Männerchors“ 
unter Gustav WoMgemuths ausgezeichneter Führung bei den 
Sologesängen des Herrn A. Käse. Auf den Kehrreim „Der 
Husar, trara ! was ist die Gefahr ?“ gab von dem westlichen 
Teil des Kuppelraumes jedesmal ein Echo laut Antwort. Die 
Akustik erweist sich am besten, wenn die Schallerreger von 
der Höhe des Orgelpodiums ans Gehör dringen. Dort befand 
sich das von Herrn Ejnar Nilson geleitete Orchester in den 
Aufführungen des V ollmöller sehen Gebärdenspiels „Das 

Mirakel“. 

In Humperdinchs Musik erkennt man keine Spuren, der 
Krankheit, in die der Komponist während oder nach ihrer 
Beendigung verfiel. Sie ist kerngesund und frisch, liebens- 
würdig und fein, volkstümlich und einfach. Die schlichten 
Weisen des Kinder- und Volksliedes sind bevorzugt. Große 
Gedanken und starke, eigenartige Prägungen fallen nicht auf, 
doch von reizvoller Eigenart ist die Durchführung des Spiel- 
mannsmotivs in der vorletzten Szene. Die Stimmungs- 
vermittlung, die der Komponist mit natürlichen Mitteln 
beifallswürdig übernimmt, hat Max Reinhardt durch Künste- 
leien, wie z. B. Glockengeläute bei allen Stockungen des 
wirkungsvollen dramatischen Prozesses, fördern wollen, wahr- 
scheinlich um den Eindruck des Aufenthalts in einem Münster 
zu erreichen. Doch selbst die kühnste Phantasie wird sich 
unser Jubiläums- Amphitheater nicht zu einer Stätte roman- 
tischen Zaubers umbilden können. Dr. Paul Riesenfeld. 


Leisinger einst begeistert auf den Lippen trugen 
als den. einer Großen im Reiche der Sanges- 
kunst, als einer jener „leuchtenden Sterne“, 
die um die Mitte des vorigen Jahrhunderts am 
Stuttgarter Kunsthimmel glänzten: der feurige 
Johann Baptist Pischek, der ernste, stimm- 
gewaltige Franz Joseph Schütky, der phäno- 
menale Heinrich Sontheim mit dem berücken- 
den Glanz der Koloraturen und Wohllaut der 
Stimme, die unvergleichliche Mathilde Marlow. 
Sie alle waren zu gleicher Zeit Mitglieder der 
Stuttgarter Hofoper, der sie damals einen euro- 
päischen Ruf verschafft haben; kaum eine an- 
dere Bühne konnte sich des Besitzes gleicher 
Gesangsgrößen, von denen jede eine Speziali- 
tät seltenster Art war, für jedes einzelne Rollen- 
fach rühmen. Das wußte aber auch das Stutt- 
garter Publikum nach seinem vollen Werte zu 
schätzen, denn wenn z. B. in Meyerbeers „Huge- 
notten“ in dem großen Finale des 2. Aktes die 
Genannten als Raoul, Saint Bris, Nevers, Mar- 
garete von Valois und Valentine nebeneinander 
auf der Bühne standen, im edlen Wettstreit 
ihrer Kunst, da lag’s wie feierliche Andacht 
über dem ganzen Hause, das Schönste an Har- 
monie und Wohlklang der Stimmen wurde hier 
gehört. 

Berta Leisinger entstammte einer echten 
Künstler- und Musikerfamilie; sie war im Jahre 
1828 zu Königsberg i. Pr. als Tochter des 
dortigen Musikdirektors und Kapellmeisters 
Würst geboren. Gleich ihr, haben sich fast alle ihre Ge- 
schwister der Bühne gewidmet. Nach Königsberg, Stettin, 
Leipzig debütierte sie 1849 als Lucretia Borgia am Hoftheater 
zu Stuttgart; weitere Gastspiele als Valentine in den Huge- 
• notten, Fidelio und Romeo führten zu ihrem Engagement 
an dieser Bühne, an der sie zunächst drei Jahre lang, bis 
1854, erfolgreich wirkte. Dann verpflichtete sie sich für 
2 J ahre an das Hoftheater zu Braunschweig. An der Stutt- 
arter Holbühne aber wurde man bald gewahr, welch großen 
'erlust ihr Weggang bedeutete, so daß 1854 ihre Zurück- 
berufung erfolgte. Und solcherart wußte die damalige Hof- 
theater-Intendanz die Wiedergewonnene an dieses Knnst- 
institut zu fesseln, daß sie, deren Bedeutung als hochdrama- 
tische Sängerin man in ganz Deutschland kannte, trotz der 
verlockendsten Anträge sich für keine andere Bühne mehr 
gewinnen ließ, sondern nur noch gelegentlich an großen aus- 
wärtigen Kunstinstituten gastierte. Verhältnismäßig frühe, 
schon 1866, trat sie in den Ruhestand. 

Berta Leisinger war eine Schönheit, eine stolze, königliche 
Erscheinung, und ihrer imponierenden Wesensart entsprachen 
auch die Gestalten, die sie auf der Bühne schuf. Alle waren 
von einer erhabenen Größe und von einem gewaltigen Atem 
der Leidenschaft beseelt. Ihre Glanzrollen Valentine, Fides, 
Recha, Norma, Fidelio, Donna Anna, Iphigenie sprachen da- 
von. Die Künstlerin war verheiratet mit dem Kgl. Württemb. 
Oberstabsarzt Dr. Leisinger, und sie hatte das Glück und 
die Frende, in ihrer Tochter Elisabeth , die sich ebenfalls der 
Bühne widmete, nicht nur eine kongeniale Künstlerin, son- 
dern eine sie selbst noch überragende Sängerin emporblühen 
und Triumphe feiern zu sehen. Es war ein schmerzlicher 
Verlust für das ganze musikalische Deutschland, als auch 
Elisabeth Leisinger, als gefeiertstes Mitglied an der Berliner 
Hofoper wirkend, im Zenit ihres Ruhmes von der Bühne 
schied, um dem Oberbürgermeister von Eßlingen, Dr. Mül- 
berger, die Hand zum Ehebund zu reichen. Im Hause ihres 
Schwiegersohns war der Mutter, Berta Leisinger, umsorgt 
von inniger Kindesliebe, ein langer, schöner und sonnenheller 
Lebensabend beschieden. Mit Berta Leisinger ist das letzte 
Glied aus der Reihe berühmter Stuttgarter Bühnenkünstler 
eines vergangenen Jahrhunderts ins Grab gesunken. C. J 


Das neue Stadttheater in Heilbronn. 


Dem Gedächtnis einer Sängerin. 

I n der alten, rebenumkränzteu Neckarstadt Eßlingen ist 
am 12. Oktober im hohen Alter von 89 Jahren Berta 
Leisinger, geb, Würst, aus dem Leben geschieden. Wer 
war die Verstorbene? — wird mancher fragen, der vielleicht 
zum ersten Male den Namen in diesem Blatte liest. Die Zahl 
derer ist allmählich klein geworden, die den Namen Berta 


IV I J cht nur, weil es im Schwabenlande' liegt, Vmöchte di« 
l\ Stuttgarter „N. M.-Z.“ auf diesen neum Theaterbav 
fi, na a er elng « h en.. Der Baumeister, Theodor Fischer 
f u a e * b I? ^u ZU auf ' ™, le «Beßlich die Tatsache des nur 
voHendeten Heilbronner Theaters der Erwähnung sicher wert 
ist. Fischer, der früher in Stuttgart wirkte, ab« erst, nach 
dem er fort war (das ist bezeichnend), für Württemberg mehl 

Wechpn 9 mit S u- n f m Kunst gebäude in der Schwä- 
f« he !, H re adt zu , sc harfstem Widerspruch herausgefor- 
dert, und die Stimmen der Begeisterung klaiigen demgegenübei 
d ™. n ' ^nn auch öfter mehr als laut Man sagt, die Eigen 
Willigkeit des Architekten habe einen der schönsten Plätze 
deutscher Residenzen durch seine rücksichtslose Art iibei 


58 



die Bedingungen der U m g e b u n g \ hinwegzusehen, ver- 
dorben. Außerdem wirke der äußere Anblick des Kunst- 
gebäudes selber nichts weniger als einheitlich und schön. 
Trotzdem haben die Heilbronner den Mut gehabt, Theodor 
Fischer ihren Theater bau anzuvertrauen. 

Die Frage tauchte sofort auf: wie wird sich ein Architekt, 
der nicht zu den abgestempelten deutschen Theaterbau- 
meistern gehört, mit der Aufgabe abfinden ? — Zunächst ist 
Fischer auch hier wieder seinem Eigenwillen gefolgt und hat 
einen Musentempel hingestellt, der natürlich empfindenden 
Menschen wider den Strich gehen muß. Nur hat er es diesmal 
im Gegensatz zu Stuttgart verstanden, sich der „Situation“, 
dem gegebenen Stadtbilde anzupassen. Der Bau sieht so 
aus, wie man sich Heilbronn vorstellt. Aber er sieht nicht 
so aus, wie man sich ein Theater vorstellt. Der Eingang 
allein gibt den Eindruck hierfür noch nicht, und erst das 
notwendigerweise höher nach hinten gelegene Bühnenhaus 

— wenn es anders zu machen gewesen wäre, hätte es Fischer 
sicher „anders“ gemacht — läßt den Zweck erkennen. Was 
hat solch Gebaren aber für einen Sinn ? In der Hauptfront 
Wohnhäuserfenster ! Und das Ganze, das gewiß schöne Einzel- 
heiten hat, entspricht in seiner äußeren Form der inneren 
nicht in allem. Kein Mensch ahnt diesen Zuschauerraum, wenn 
er draußen als Betrachter weilt, sondern er denkt sich ganz 
etwas anderes im Innern. Ist es aber nicht bisher das Kenn- 
zeichen der Kunst gewesen, daß Inneres und Aeußeres, Inhalt 
und Form sich decken ? Pellegrinis Fassadengeniälde 

— ruhende Figuren — sind eigenartig und haben natürlich 
Widerspruch bei der Bevölkerung erweckt. (So grob wie 
in Stuttgart, wo Pellegrinis Jüngüng am Kunstgebaude mit 
Tinte besudelt wurde, äußert sich das Mißfallen der Heilbronner 
freilich nicht.) Im allgemeinen: der Maler ist dem Laien 
gegenüber für die Richtigkeit oder Möglichkeit der Darstellung 
verantwortlich, wie der moderne Musiker für seine „Kako- 
phonien“, bis das Ohr des Minderbegabten sich an die fremden 
Harmoniewelten gewöhnt hat. Den inneren Raum nun 
möchte ich ' als einen der schönsten und bestgelungensten 
Theaterräume bezeichnen. Die elliptische Form des Zu- 
schauerraums geht in idealer Weise zur Bühne über, deren 
Proszeniumsrechteck glänzend „drinsteht“. Die beiden Ga- 
lerien bringen die viel umstrittene Frage des „Amphitheaters“ 
der weiteren Lösung nahe. Die braune, mahagoniartige 
Täfelung ist von wohltuendster Wärme, die schwarzen Linien 
darin, der alte Reichsadler mit dem hübschen Spruch (!) 
über dem Vorhang, die grotesken Tiergestalten wirken überaus 
lustig. Hier fühlt man sich wohl und kommt in Stimmung, 
hier ist man „beieinander“ und doch nicht so eng zusammen 
wie z. B. im Kleinen Haus in Stuttgart. Die Akustik ist so 
warm und deutlich, daß selbst das viel zu schmal gehaltene 
und etagenförmig aufgestellte Orchester noch gut klingt. 
Die Bühne ist, wie gesagt, eine vorzügliche Fortsetzung dieses 
schönen, noblen Zuschauerraums; der Vorhang mit seinem 
silbernen Plättchenbeschlag wirkt wie in einem Märchen. 
Wäre das Aeußere an Wahrheit des Ausdrucks und des Zwecks 
dem Inneren entsprechend, so hätte Heilbronn eines der schön- 
sten neuen Theater! 

Die Mittel für den Bau — um 720 000 — 750 000 M. ist hier 
etwas hingestellt worden, woran sich die teuren Protzen- 
bauten in Nürnberg, Freiburg usw. ein Beispiel nehmen 
könnten — , die Mittel für ihr Theater haben die Heilbronner 
selber aufgebracht. Und daß sie darauf stolz 
sind, wird man ihnen nachfühlen können. Als 
die Seele des Ganzen gilt Hofrat Bruckmann; 
er hat auch ein Festspiel, sogar ein „Weihe- 
festspiel“, gedichtet, das gar nicht schlecht 
für den Zweck war. Der festspielübliche Pathos 
war durch realistische Figuren und einen Narren 
gedämpft. Die Heilbronner Spießer, die auf- 
traten, um über den neuen Bau zu schimpfen, 
bis sie sich bekehren ließen (obgleich sie nicht in 
allem unrecht hatten) , stellten eine lustige Gruppe 
dar, und die Selbstpersiflage des Theaterdirek- 
tors mit dem Wahlspruch ä la Kniese „Wir 
machen alles“: „Hamlet“, „Lustige Witwe“, 

„Richard Strauß und Parsifal“, war wirklich 
alles mögliche. Daneben gab’s dann Reigen, 
einen Thespiskarren, tanzende, singende, schrei- 
tende Mädchen, und was sonst noch zu einem 
richtigen Festspiel gehört. Mit Ausnahme von 
ein paar Schauspielern wirkten nur Dilettanten 
mit, wodurch der Zweck der Sache am voll- 
kommensten erreicht und der der Gelegenheit 
entsprechende Eindruck erzielt wurde. August 
Richards Musik ist feine Arbeit und wertvoll. 

Und nun kam nach einer langen Pause, wäh- 
rend der das Theater besichtigt wurde, der ganze 
dritte Akt der „Meistersinger“ von Richard 
Wagner an die Reihe: „Wir machen alles!“ 

Aber bald schlug die etwas bängliche Stim- 
mung in Staunen um, namentlich als es aus der 
(dekorativ unmöglichen) Schusterstube auf die 


Festwiese ging. — Vor nicht zu langer Zeit noch galten 
die „Meistersinger“ für unüberwindbar an Schwierigkeiten, 
heute führen sie Städte mit 40 000 Einwohnern vor einem 
kritischen, geladenen Publikum auf. Allerdings war für die 
Vorstellung ganz außerordentlich gearbeitet worden. Voran 
das Orchester (Kapelle des 122. Regiments), die ihr Dirigent 
Eschrich vorzüglich einstudiert hatte. Dann hatten sich die 
Gesangvereine für die Chöre zur Verfügung gestellt. Und die 
Solisten hatten auch bis ins kleinste studiert und brachten 
zum Teil Leistungen heraus, die bereits höheren Ansprüchen 
genügten. Kapellmeister Nähren dirigierte mit Temperament 
und war den Mitwirkenden ein sicherer Führer. Die Freude 
darüber, daß man eine von offenbarem künstlerischem Willen 
getragene anspruchsvolle Vorstellung zustande brachte, an der 
sozusagen ganz Heilbronn beteiligt war, erfüllte die Fest- 
versammlung. Die Heilbronner haben Opfersinn bewiesen, 
als sie ihr Theater bauten, Direktoren und Schauspieler sollen 
dessen stets eingedenk sein und sich der neuen Stätte in Aus- 
wahl der Stücke wie im Spiel würdig zeigen. O. K. 



Bremerhaven. Unser junges Theater hat die dritte Spiel- 
zeit begonnen. Als man den großen Wechsel im Opern- und 
Operettenpersonal sah, fragte man sich, ob die Höhe, die am 
Ende der zweiten Spielzeit erreicht worden war, wohl noch 
gehalten werden würde. Nun, wenn man von dem bis jetzt 
Geleisteten auf die Zukunft schließen darf, so wird man auch 
weiterhin eine aufsteigende Linie Voraussagen können! Das 
neue Operettenpersonal hat sich im „Vogelhändler“, von 
Richard Fritsch dirigiert, gleich auf sehr vorteilhafte Weise 
vorgestellt. Mit gespannter Erwartung sah man der „Aida“- 
Aunührung zur Feier des 100jährigen Geburtstages von 
Giuseppe Verdi entgegen. Es war eine Aufführung, die dem 
regiefuhrenden Direktor Burchard, sowie Darstellern und 
Musikern, Dirigent Heinz Berlhold, alle Ehre machte, und einen 
tiefen Eindruck; hinterließ. Wenn man noch dazu bedenkt, 
daß fast alle Sängerinnen und Sänger ihre Rollen zum erstenmal 
sangen, und daß die kleine Bühne den Volksszenen manche 
Schranke zog, so ist das Geleistete doppelt einzuschätzen. 
Erna Bauer sang die Aida, Stephanie Rose die Amneris, 
Wilhelm Rode den Amonasro, Emil Bär den Radames, den 
König Karl Brandes, den Oberpriester Lino Vesco. Die 
„AIda“-Aufführung war für unsere Stadt ein Ereignis, das 
noch lange nachwirken wird. Dr. Fr. Oeding. 

Königsberg i. Pr. Die konzertmäßigen Aufführungen haben 
einen erfreulichen Anfang mit einem Kammermusikabend 
genommen, an dem das früher in Königsberg heimische Ehe- 
paar Schennich- Braun musizierte. Gespielt wurden hier u. a. 
Julius Weismanns, vom Danziger Tonkünstlerfest her be- 
kannte und geschätzte „Variationen und Fuge über ein altes 
Ave Maria“. Eine aus altbekannten Kräften gebildete neue 
Kammermusikvereinigung (erste Violine: Herr Becker) führte 
sich mit einem klassischen Programm verheißend ein. Reinsten 



Das Innere des neuen Heilbronner Stadt lheaters. 
Hofphotogr. Brandt, Heilbronn. 


59 


Genuß brachte uns ein Besuch des von Rudel geleiteten Ber- 
liner Hof- und Domchors. Die Aufführung des sechzehn- 
stimmigen Crucifixus von Caldam, der achtstimmigen Motette 
von J. S. Bach wirkten geradezu als Offenbarungen. Neu 
waren für Königsberg R. Str äußern sechzehnstimmige Hymne 
(die ist nicht bloß für Königsberg „neu“, Red.) und 
W. v. Baußnerns herrliche „Weihe der Nacht“. — Das Königs- 
berger Stadttheater trat mit einer Reihe von Neueinübungen 
altbekannter Opern hervor, die die Brauchbarkeit des En- 
sembles erwiesen, über die neuen technischen Errungenschaften 
aber noch kein abschließendes Urteil erlauben. Dr. E. Kroll. 


Neuaufffihrungen und Notizen. 

— Im Königl. Opernhause injBerlin ist Wagners „Lohen- 
grin“ zum 600. Male in Szene gegangen. Dazu schreibt das 
„Berl. Tagebl.“: Die Erstaufführung fand am 23. Januar 
1859 statt; die Hauptrollen waren mit den Damen Wippern, 
Wagner, den Herren Formes, Krause, Fricke, Phister besetzt. 
Langsam nur brach die Anerkennung sich Bahn, das Jahr 
1866 verzeichnet erst die 25. Wiederholung, die mit den Herren 
Niemann und Betz neubesetzt worden war. Nach seiner 
Rückkehr aus dem französischen Feldzuge, im Jahre 1871, 
besuchte Kaiser Wilhelm I. die 50. Aufführung und im Jahre 
1876 war das erste Hundert erreicht, Frau Mallinger, Frau 
Brandt, die Herren Niemann, Betz waren im Besitz der Haupt- 
rollen, das zweite Hundert folgte 1885, das fünfte im Jahre 
1906. — Nur zwei andere deutsche Werke haben dieses Höchst- 
maß von Wiederholungen bisher überschritten: „Don Juan“ 
mit 654. und „Der Freischütz“ mit 693 Aufführungen. — In 
Hamburg ist soeben der „Lohengrin“ zum 500. Male auf- 
geführt worden. 

— Die Oper „Marcella“, die den jungen italienischen Kom- 
ponisten Umberto Giordano zum Musikautor hat, ist nun auch 
von der neuen Hamburger Oper angenommen worden. Das 
Hoftheater Stuttgart bringt die Uraufführung. 

— „Der Abenteurer“, ein Spiel in vier Akten von Julius 
Bittner, soll am 30. Oktober am Kölner Stadttheater die Ur- 
aufführung erleben. 

— Andrt Messager arbeitet gegenwärtig an der Kom- 

r 'tion eines vieraktigen Bühnenwerkes, „Beatrice“, zu dem 
bekannten Schriftsteller de Flers und de Caillavet den 
Text verfaßt haben. Die Uraufführung des Werkes soll An- 
fang März in Nizza stattfinden. 

* • * 

— In München hat Emmeran Stoeber in seinem Abschieds- 
konzert „Sommermärchen“, Divertissement für Violoncell 
allein, op. 30, von Joseph Haas, gespielt und als Uraufführung 
die Symphonie für Violoncell und Orchester, op. 11, von 
Gottfried Rüdinger. (Von Rüdinger brachte die „N. M.-Z.“ 
erst kürzlich wieder ein Klavierstück in Heft 1.) 

— Man hält es für angebracht, schon heute folgende Notiz 
der Oeffentlichkeit zu übergeben: Arthur Nikisch tritt, wie 
aus Leipzig berichtet wird, Ende Februar eine größere Konzert- 
reise ins Ausland an. An seiner Stelle wird Hans Pfitzner 
das auf den 5. März fallende Gewandhauskonzert dirigieren. 
— Krisengerüchte aus Straßburg stehen wohl kaum im Zu- 
sammenhänge mit dieser Meldung. Doch auch für Karls- 
ruhe wurde seinerzeit Pfitzner an einflußreicher Stelle stark 
befürwortet. 

— Das Chor- und Orchesterwerk Arnold Schönbergs, „Gurre- 
lieder“, soll nach seiner Uraufführung in Wien zunächst in 
Leipzig aufgeführt werden und zwar durch das verstärkte 
Winderstein-Orchester, den Leipziger Männerchor und die 
Leipziger Singakademie. Danach sollen Aufführungen in 
der Leipziger Besetzung in Berlin, Dresden und anderen Orten 
stattfinden. Der Komponist selbst wird sein Werk dirigieren. 
Die Aufführungen werden ermöglicht durch ein Komitee, 
an dessen Spitze Frau Albertine Zehme steht, die Gattin des 
Leipziger Justizrats Zehme. 

— Aus Leipzig wird weiter berichtet: Der Erfolg des im 
ahre 1911 hier veranstalteten letzten großen BacA-Festes 
at die Stadt ermutigt, künftig alle großen Bach-Feste bei 
sich abzuhalten, nachdem die maßgebenden Körperschaften 
auf Antrag hin sich bereit erklärt hatten, eine Ueberschreitung ' 
der Kosten bis zu 5000 M. übernehmen zu wollen. Leipzig 
wird erstmalig wieder 1914 und dann alle drei Jahre ein Bach- 
Fest veranstalten. Für nächstes Jahr sind die letzten drei 
Tage der Pfingstwoche in Aussicht genommen. 

— Pater Hartmann von an der Lan-Hochbrunn hat kürz- 
lich ein Tedeum vollendet. Die Uraufführung Soll am 12. De- 
zember in der Münchner Tonhalle unter Leitung des Kom- 
ponisten stattfinden. 

— „Sinfonia engiadina" betitelt sich ein neues Werk für 
großes Orchester, zwei gemischte Chöre, zwei Knabenchöre, 
vier Soli und Orgel, das Franz Mikorey vollendet hat. Die 
Symphonie ist ein Hymnus auf die Berge des Engadin, die 
Welt Segantinis. Dem Schlußsatz liegen die Verse „Und 
wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete . . .“ 
aus Paulus Kor. I, 13 zugrunde. Die erste Aufführung des 

60 


Werkes soll im Frühjahr unter Leitung des Komponisten mit 
dem Philharmonischen Orchester in Berlin stattfinden. 

— Die unter Leitung von Fritz Busch stattfindenden städti- 
schen Abonnementskonzerte in Aachen bringen an Novitäten: 

E. Moor, Stabat mater für Frauenchor und Altsolo mit kleinem 
Orchester; Max Reger, Motette für fünfstimmigen gemischten 
Chor a cappella; D. F. Tovey, Symphonie D dur, Uraufführung ; 

F. Delius, Lebenstanz für großes Orchester ; W. A. Mozart, 
„Venite populi“ für achtstimmigen gemischten Chor, Or- 
chester und Orgel. Die acht städtischen Symphoniekonzerte: 
A . Somerwell, Konzertstück für Violine (Uraufführung) ; 
A. Dvorak, Heldenlied für Orchester; Erich Wolfg. Korngold, 
Sinfonie tta für Orchester; Otto Neitzel, Klavierkonzert; Claude 
Debussy, Printemps, Suite symphonique; Max Reger, Sym- 
phonischer Prolog. 

— Der Wiener Konzertverein kündigt folgende Novitäten 
an: Max Reger, Tondichtungen nach Bildern von Böcklin; 
Novak, „Pan“; Suk, Fantasie für Violine und Orchester; 
Eigar, „Falstaff“; Herrn. Grädener, Cellokonzert. 

— Die Wiener Philharmoniker wollen unter Felix Wein- 

f artner in dieser Saison folgende Novitäten zur Aufführung 
ringen: Debussy, „Der Lilienhof“ und „Das Zaubergemach“; 
J. Haydn, Symphonie „Der Philosoph“; E. W. Korngold, 
Sinfometta (Uraufführung); J. Manen, Concerto grosso für 
Orchester, Klavier und zwei Violinen; Novak, Serenade; 
E. N. Reznicek, „Schlemihl“; Franz Schreker, Einleitung zu 
einem Drama (Uraufführung). 



— Zum Gluck- Jubiläum. In Wien hat sich ein Ausschuß 
gebildet, der Christoph Willibald Gluck ein Denkmal in der 
österreichischen Hauptstadt errichten will. In Wien hat 
Gluck als Kapellmeister am Hoftheater, von 1748 an, ein 
Vierteljahrhundert lang gewirkt. Es ist geplant, am 200. Ge- 
burtstage des Meisters, am 2. Juli des nächsten Jahres, den 
Grundstein für das Denkmal zu legen. Präsident des vor- 
bereitenden Komitees ist Karl Goldmark. 

— Von den Theatern. Aus Nürnberg wird eine schwere 
Theaterkrise gemeldet. Der Pächter und Direktor, Hofrat 
Richard Balder, der seit 1905 an der Spitze des Theaters steht 
und einen noch länger laufenden Vertrag mit der Stadtver- 
waltung hatte, ist schwer erkrankt und mußte schleunigst in 
eine Nervenheilanstalt gebracht werden, so daß das Theater 
ohne Leitung war. Das Amtsgericht Nürnberg hat nun zu- 
nächst Herrn Balder einen Vormund ernannt in der Person 
des Rechtsanwalts Df. Aal, der vor allem eine notwendige 
Verwaltung des Theaters ins Leben zu rufen hatte. Natür- 
lich ist diese nur provisorisch. Näheres über die Ursachen 
der Krise ist dem Fernstehenden vorerst verborgen. Unter 
Hofrat Balder war es, wo in einem Stadttheater wie Nürnberg 
das Publikum aufgefordert wurde, den blödsinnigen Refrain 
„Das haben die Mädchen so gerne“ mitzu — singen! Es kam 
dieserhalb zu scharfen Konflikten mit der Stadtverwaltung 
und ihrem früheren Oberhaupt, v. Schuh, die damit' endeten, 
daß Herr Hofrat Balder — wiedergewählt wurde! Natürlich 
haben sich schon eine ganze Zahl für den Posten gemeldet. 
Es muß zu schön sein, heute den Theaterdirektor zu spielen. 
— Aus Paris wird geschrieben: Die Regierung hat die neue 
Leitung der K o m 1 sehen Oper, die der Ministerrat 
offiziell bestätigte, einem Konsortium 'übertragen, das aus den 
Brüdern Isola und dem Schriftsteller und Deputierten Gheusi 
besteht. Die Brüder Isola leiteten seit mehreren Jahren das 
von der Stadt Paris subventionierte Opernhaus Gaitä Lyrique. 
Bei der letzten Neubesetzung der Direktion der Großen Oper 
waren sie bereits als ernsthafte Kandidaten aufgetreten. Da 
sie im Theaterleben sozusagen von der Pike auf gedient haben, 
begegnete man ihnen in manchen Kreisen mit einer gewissen 
Voreingenommenheit. Sie sind italienischer Abkunft und be- 
gannen ihre Tätigkeit in gewöhnlichen Cafe-Konzerten. Sie 
stiegen rasch empor. Ihr Mitarbeiter Gheusi hatte bereits 
gemeinsam mit Pedro Gailhard die Große Oper dirigiert. Er 
ist der Herausgeber der „Nouvelle Revue“ und gilt als ein 
Mann von vornehmem Geschmack und feiner künstlerischer 
Bildung. — In New York hat die Saison der „Century Opera 
Company“ begonnen. Dieses Unternehmen beabsichtigt, zu 
mäßigen Preisen Operaaufführungen zu veranstalten, die in 
keiner Weise denen größerer Bühnen in Europa nachstehen 
sollen. Eines der hervorragenderen Mitglieder der „Metro- 
politan Opera Company“, Otto Kahn, ist zugleich der geistige 
Urheber und- eifrigste Förderer der „Volksoper“. Die neue 
Kunststätte sucht sich dem Amerikaner näherzubringeu, in- 
dem sie fast nur Opern in englischer Sprache aufführt. Man 
sieht der Zukunft dieser Volksoper in New York mit Spannung 
entgegen. 



— Städtische Musikpflege. Unter, diesem Kennwort ver- 
öffentlichen wir die Bestrebungen deutscher Stadtverwaltungen 
im Dienste der Kunst. Daß diese Verwaltungen aber auch 
direkt kunstfeindlich handeln können, zeigt wieder 
ein Fall, der aus Elbing gemeldet wird. Dort kämpft Musik- 
direktor Rosenberger seit Jahren mit Erfolg für die Ermög- 
lichung von Chor- und Orchesterkonzerten. Nun liest man 
aber in einer Elbinger Zeitung folgende Anzeige: „Der Elbinger 
Kirchenchor und der Waldopemchor beschlossen in ihrer 
letzten Versammlung einstimmig, von jedem öffentlichen Auf- 
treten so lange Abstand zu nehmen, bis die jede künstlerische 
Bestrebung hindernde Fessel der Lustbarkeitssteuer gefallen 
ist. Anlaß zu diesem Beschluß gab die über die diesjährige 
W aldopem- Auf führungen verhängte Lustbarkeitssteuer. Der 
Kirchenchor und sein Dirigent werden sich auf die beiden 
von der Lustbarkeitssteuer befreiten Kirchenkonzerte am 
Totenfest und Karfreitag beschränken. Da auch die Sym- 

S honiekonzerte „lustbarkeitssteuerpflichtig“ sind, wird Miisik- 
irektor Rasenberger die früher gepflegten klassischen Sym- 
phoniekonzerte nicht mehr geben.“ 

— Von den Konservatorien. Der Komponist Ernst Toch 
ist in die Hochschule für Musik in Mannheim als Lehrer für 
höhere Musiktheorie eingetreten. 

— Vom Münchner Konzertverein. Heute auch eine freudige 
Nachricht aus München: Dort soll ein unbekannt bleiben 
wollender Kunstfreund eine halbe Million Mark gestiftet 
haben, um das Fortbestehen des Konzertvereinsorchesters zu 
ermöglichen. Die stiftenden Unbekannten sind jetzt an der 
Tagesordnung, kein schlechtes Zeichen der Zeit! 

— Deutsche Musikspiele. Unter diesem Titel will Prof. 
Oskar Fleischer in Berlin und möglichst vielen Städten des 
Deutschen Reiches „Musikalische Bilder aus Deutschlands 
Vergangenheit“ zur Aufführung bringen. Ein erfolgreicher 
Versuch dieser Art, der im letzten Januar in Berlin gemacht 
worden war, hat die Anregung zu einer Erweiterung der Vor- 
führungen gegeben. Es hat sich eine Gesellschaft gebildet, 
der außer einigen hervorragenden Musikern auch Herren des 
hohen Adels, der Armee, der Marine, des Staatsdienstes, der 
Medizin und der Literatur angehören. 

— Künstler contra Kritiker. Zu diesem nicht gerade erfreu- 
lichen Thema hat unlängst München einen weiteren Beitrag 
gelieftrt. Darüber wird berichtet: In einer vor dem Schöffen- 

f ericht zum Austrag gekommenen Beleidigungsklage, die der 
iritiker der „M. Neuest. Nachr.", Dr. Rudolf Louis, gegen 
den Schriftsteller Dr. Michael Georg Conrad als Herausgeber 
der in Würzburg erscheinenden Deutschen Literaturzeitung 
und gegen den Konzertsänger Hans Werner-Koffka angestrengt 
hatte, sind die beiden Privatbeklagten zur Geldstrafe von je 
ioo M. oder io Tage Haft verurteilt worden. In der ge- 
nannten Monatsschrift gab Dr. Conrad einem Artikel Raum, 
der sehr scharfe Angriffe gegen Dr. Louis enthielt. So wurde 
gesagt, einer der Hauptgrundsätze zielbewußter Kritik scheine 
für Dr. Louis nur dann erfüllbar, wenn es sich um befreundete 
Kreise handelt. Der Konzertsänger Hans Werner-Koffka 
schrieb am 3. April zwei Briefe, einen an den Privatkläger 
und einen an die Redaktion der Neuest. Nachr. In dem 
Brief, an Louis hieß es u. a. : „Ihr Referat macht nicht den 
Eindruck einer sachlichen Kritik, sondern überschritt die 
Grenzen anständiger Form in unglaublichster Weise.“ Dr. Con- 
rad erklärte, daß er dem genannten Artikel keine besondere 
literarische Bedeutung beigemessen habe, was schon aus seiner 
Unterbringung vor dem Inseratenteil hervorgehe. Die ganze 
Aktion stelle einen sozialen Notschrei dar. Dr. Louis führe 
in München als Konzertreferent ein wahres Schreckensregi- 
ment. In der Urteilsbegründung heißt es, die Beweisauf- 
nahme habe den Wahrheitsbeweis der Dr. Louis unterstellten 
Behauptungen nicht erbracht. Als strafmildernd stehe den 
Beklagten, der Schutz des § 193 zur Seite. — In der Ver- 
handlung standen sich die Anschauungen wie immer in musi- 
kalischen Dingen schroff gegenüber. Jedenfalls ist es un- 
möglich, Dr. Louis Parteilichkeit aus „Freundschaft“ vorzu- 
werfen. Im übrigen ist die größere oder geringere Partei- 
nahme schließlich Sache des Temperaments, und Dr. Louis 
ist ein sehr „temperamentvoller“ Kritiker. Im allgemeinen: 
es darf von einem durch Erfahrung geläuterten Geschmack 
erwartet werden, daß der Ton der Kritiken ausübenden 
Künstlern gegenüber verletzende Schärfe oder Aburteilen von 
oben herab vermeidet. 

— ( Schuberts „ Unvollendete “. In den Berliner „Signalen“ 
schreibt ein ~Herf 'Dr. St'.': „Den Lesern einer süddeutschen 
Musikzeitung teilte kürzlich ihr Straßburger Referent Dr. med. 
Gustav Altmann mit, daß Schuberts .Unvollendete* seines 
Erachtens stark; überschätzt wird. Ja, ist nicht schön nach 
Goethe der Geist der Medizin leicht zu fassen, jedenfalls 
leichter als jener der klassischen Musik? Wenn nun ein 
Musiker findet, daß man VirchoW stark überschätzt ?“ — 
Wir hatten obige Bemerkung Dr. Altmanns, der übrigens 
neben seiner Eigenschaft als Arzt ein sehr tüchtiger Musiker 
ist, als persönliche Anschauung passieren lassen. Es 
sei bemerkt, daß noch ein viel besserer Musiker in Dr. Alt- 
manns Nähe eine ähnliche Aeußerung über Schuberts Sym- 


S honie getan hat, womit nicht gesagt sein soll, daß damit 
em Werke Schaden zugefügt worden wäre. 

— Preiserteilung. Das Berliner Mendelssohn - B arthol dy- 
Stipendium für Komponisten ist in diesem Jahre nicht ver- 
liehen worden. Den Preis für ausübende Tonkünstler hat 
Erwin Schulhoff, ein Klavierschüler des Kölner Konserva- 
toriums, bekommen. 

• • * 

Personalnachrichten. 

— Robert Laugs, bisher städtischer Musikdirektor in 
Hagen i. W., wird trotz der neuen Tätigkeit an der Königl. 
Hofoper in Berlin die städtischen Symphoniekonzerte in 
Hagen weiter dirigieren. 

— Dr. Edgar Istel in München ist als Nachfolger des ver- 
storbenen Prof. William Wolf zum Dozenten der Musik- 
ästhetik an der Berliner Humboldt-Akademie ernannt worden. 

— Eine traurige Nachricht kommt aus Berlin : Der Kammer- 
sänger Felix Senius ist dort nach langem Leiden gestorben. 
Er war einer der bekanntesten unter den jüngeren Konzert- 
sängern. Ende vorigen Jahres hatte Senius, der seit einigen 
Jahren mit der Sopranistin Klara Erler vermählt war, eine 
Berufung als Professor der Gesangs- und Vortragskunst an 
die Königl. Akademie in München erhalten, der er jedoch 
mit Rücksicht auf seine zahlreichen Konzertverpflichtungen 
nicht Folge leisten konnte. 

— In München ist anfang Oktober der königl. Musikdirektor 
Theodor Podbertsky, ein Meister auf dem Gebiete der Männer- 
chorkomposition, gestorben. Podbertsky war Münchner, und 
von Rheinberger und Wüllner erhielt er seine musikalische 
Ausbildung. Lange Jahre betätigte er sich selbst als Dirigent 
von Männergesangvereinen und deshalb besaß er auch ein 
klares Urteil, wie weit er bei seinen Kompositionen in den 
Anforderungen an die Leistungsfähigkeit aer Sänger gehen 
durfte. Er schrieb keine schwierigen Chöre wie Hegar oder 
Curti, aber was er schrieb, war schon und gut und erhob sich 
weit über den Rahmen der gewöhnlichen Liedertafelmusik. 
Von dem Schaffenseifer und der Fruchtbarkeit des Kom- 

S onisten bekommt man einen Begriff, wenn man erfährt, 
aß die Opuszahl seiner Werke wert über 200 beträgt. Zu 
den bedeutendsten seiner Kompositionen gehören: „Friedrich 
Rotbart“ (op. 22), „Am Chiemsee“ (op. 38), „Wittekind“ 
(op. 45), „An das Meer“ (op. 50) — wohl das trefflichste Werk 
des Komponisten — , „Zollern und Staufen“ (op. 71), „Alt- 
germanischer Siegesgesang“ (op. 100), „Kaiser Karl in der 
Johannisnacht“ (op. 108), „Die tausendjährige Linde“ (op. 114), 
„Landsknechtslieder“ (op. 128) und „Auf Siegespfaden , 
Kriegsbilder aus 1813 (op. 200). Auch mehrere drei- und 
vierstimmige Frauenchöre hat Podbertsky geschrieben und 
eine Anzahl gemischter Chorwerke. Dazu gehören auch 
mehrere „Weihnachtsspiele“, die erst in den letzten Jahren 
entstanden sind. (Der Hauptverleger von Podbertskys Kom- 
positionen ist Siegel in Leipzig.) Das Ansehen, das Podbertsky 
in Münchner Sängerkreisen genoß, zeigte sich bei der Aus- 
segnung seiner Leiche, die nach Ulm übergeführt wurde. Die 
Vorstandschaft des Bayrischen Sängerbundes, die großen 
Münchner Männergesangvereine und auswärtige Korporationen 
ließen Kränze niederlegen. Alle Redner bekundeten, daß der 
Name Podbertsky in seinen Liedern fortleben werde. L. R. 
— Ueber den am 25 . August in Dresden nach schwerem Leiden 

f estorbenen Prof. Ferdinand Braunroth, Hochschullehrer am 
iönigl. Konservatorium, wird uns geschrieben: Braunroths 
Bedeutung als Mensch sowohl wie als Künstler lassen seinen 
Heimgang weit über den Kreis der ihm Nahestehenden hinaus 
als herben Verlust beklagen. In ländlichen Verhältnissen, in ver- 
traulichem Verkehr mit der Natur, die er zeitlebens so liebte, 
auf gewachsen, entdeckte sein Schullehrer die ungewöhnliche 
Intelligenz und hervorragende musikalische Befähigung des 
Knaben und riet dringend zur Ausbüdung seines Talentes. 
So kam Ferd. Braunroth als Jüngling nach Dresden und trat 
als Schüler ins Konservatorium ein, wo Döring und Rietz 
seine Hauptlehrer wurden. Mit eisernem Fleiß betrieb er 
nicht allein seine Fachstudien, sondern er arbeitete unablässig 
unter Zuhilfenahme der Nachtstunden daran, die Lücken in 
seiner Allgemeinbildung auszufüllen und eignete sich auto- 
didaktisch gediegene, umfassende Kenntnisse in Sprachen, 
Geschichte, Literatur und anderen Fächern an. Erst achtzehn- 
jährig, trat er bereits in den Lehrkörper des Konservatoriums 
ein, dem er seitdem imunterbrochen bis zu seinem Tode, 
nahezu 42 J ahre, als einer der bedeutendsten und geschätztesten 
Pädagogen dieses Institutes angehört hatte. Eine Harmonie- 
lehre, ferner ein anderes theoretisches Werk, „Ursache und 
Wirkung“, der Akkordbestimmung (Modulation] und Recht- 
schreibung der Harmonik gewidmet, trugen ihm wärmste 
Anerkennung maßgebender Persönlichkeiten ein. Auch als 
Komponist ist FercL Braunroth hervorgetreten mit stimmungs- 
vollen Liedern, Chören und Kammermusikwerken. J. G. 

— In Braunschweig ist der frühere Hofkapellmeister Her- 
mann Riedel, der sich auch als Komponist, besonders durch 
die „Trompeterlieder“, einen Namen gemacht hatte,- gestorben. 

61 







Briefkasten 


Für unaufgefordert eingehende Manu- 
skripte jeder Art übernimmt die Redaktion 
keine Garantie. Wir bitten vorher an- 
zufragen, ob ein Manuskript (schriftstelle- 
rische oder musikalische Beiträge) Aus- 
sicht auf Annahme habe ; bei der Fülle 
de? uns 2ugeschickten Materials ist eine 
rasche Erledigung sonst ausgeschlossen. 
Rücksendung erfolgt nur, wenn genügend 
Porto dein Manuskripte beilag. 

Anfragen für den Briefkasten» denen 
der Abonnementsausweis fehlt, sowie ano- 
nyme Anfragen werden nicht beantwortet. 

Hannover. Wir bitten um Angabe, 
wann ungefähr die Besprechung von WüU- 
ners Variationen erfolgt ist. 

An Otto Urbach in Dresden. Der ver- 
ehrte Professor wird ita Namen vieler 
Eeser wiederum gebeten, seinen „Führer 
durch die KlavierJiteratar“ fottzusetzen. 
Die Redaktion der „N. M.-Z.“ sieht sich 
dazu veranlaßt, diesen zweiten „Notschrei“ 
aus ihrem Leserkreise öffentlich an den 
Verfasser bekannt zu geben. Vielleicht 
hilft’s diesmal. Unser Mitarbeiter möge 
daraus ersehen, wie eifrig seine Aufsätze 
auf diesem Gebiete begehrt werden. Er 
ist dazu berufen, mit seinen Aufsätzen 
eine „Lücke auszufüllen“. 

R. F. Der Verlag ist 190a gegründet 
und hat zahlreiche Werke herausgegeben. 
Wir bitten eventuell um nähere Angaben, 
um was für eine Art von Publikationen 
es sich handelt. 

E. F. in K. Sind die Nietzsche-Lieder 
für den Briefkasten bestimmt? Im andern 
Falle hätte es eines besonderen Abonue- 
mentsausweises nicht bedurft, da wir grund- 
sätzlich Musikwerke, die für die Oeffent- 
lichkeit bestimmt sind, als absolut unab- 
hängig von dem Verhältnis ihrer Autoren 
zur „N. M.-Z,“ ansehen. Die Besprechung 
wird erfolgen; wann, können wir allerdings 
bei der Unmenge von Einläufen nicht sagen. 

Verleger (England). Sie schreiben uns: 
„Wie fängt man es an, einen Verleger für 
musikschriftstellerische Arbeiten zu be- 
kommen, ohne dabei die Druckkosten selbst 
tragen zu müssen? Die meisten Verleger 
senden einem das Manuskript postwendend 
zurück, ohne überhaupt einen Blick hinein- 
getan zu haben.“ Es freut uns, diese 
Zeiten aus Abonnenten kreisen ver- 
öffentlichen zu können. Vielleicht helfen 
sie mehr, als unsere fortwährenden Er- 
mahnungen, den ioofach überzeichneten 
Markt nicht noch mit mehr Geistespro- 
dukten vermehren zu wollen. Wenn Sie 
einem unwiderstehlichen Drange folgen 
müssen, so sind Sie auf einem ganz rich- 
tigen Wege. Versuchen Sie es, „bekannt“ 
zu werden, einen Namen zu bekommen. 
Dann werden Ihre Einsendungen auch er- 
ledigt. Aufsätze in Zeitschriften und Zei- 
tungen helfen auch dazu. Aber auch hier 
ist das Angebot so groß, daß man oft an 
Dutzenden von Türen vergeblich anklopfen 
muß, bis einem mal eine aufgetan wird. 
In jedem anderen Berufe regelt sich An- 
gebot und Nachfrage, nur iu dem künst- 
lerischen wird wild drauf losgestürmt, ob- 
gleich das Feld mit „gefallenen Kränzen“ 
besät ist. Wenn Sie etwas erreichen wol- 
len, dann Geduld. Und wenn man Ihre 
Manuskripte nicht herausgeben will, ohne 
daß Sie die Kosten tragen, so zahlen Sie, 
wenn Sie die Herausgabe für eine absolute 
Notwendigkeit halten. — Alle Einläufe 
werden in der „N. M.-Z.“ angezeigt. Be- 
sprechung erfolgt, wenn irgend möglich. 
Es lagern noch viel Bücher und Noten, 
deren Verfasser auf Besprechung warten. 
W i r können’ s nicht ändern. 


Fritz von Bose: Drei Klavierstücke 


1. Präludium 2. Intermezzo 

Op. 10 

Edition Breitkopf Nr. 3930. Preis 


3. Rhapsodie 


2 Mark 


Z um ersten Male ist Fritz von Bose, Professor am Königlichen Konservatorium der 
Musik in Leipzig, mit einem Werke in unserm Verlage vertreten. Seine drei 
Klavierstücke eignen sich für den Konzertgebrauch wie für fortgeschrittene Schüler 
und dürften umso willkommener sein, als sie vornehm Erfunden, feinsinnig ausgestaltet, 
klar in der Form und gut spielbar sind. :: :: 


Julius Weismann: Ans meinem Garten 

Acht Klavierstücke. Op. 48 


Heft I 

Edition Breitkopf Nr. 3901 
Preis 2 M. 

1. Blumen Im Wind 

2. Aprilschauer 

3. Unterm Laubdach 

4. Blühende Wiese 


Heft II 

Edition Breitkopf Nr. 3902 
Preis 2 M. 

6. Nächtlicher Garten 

6. Um die Fledermausstunde 

7. Zug der Schmetterlinge 

8. Wiegenlied im Grünen 


D iese feinsinnigen musikalischen Gedichte stellen, wie mau vielleicht nach dem 
Titel urteilen könnte, keineswegs Unterhaltungsmusik dar, sondern gehören zu 
den besten Erzeugnissen neuerer Klaviermusik und sind in bezug auf innere Gestal- 
tung wie äußerliche Wirkung wahre Kabinettstücke moderner Programmusik. :: 


EDITION BREITKOPF 



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63 











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erfährt in der zweiten Reihe eine etwas Juon, Kapellmeister J. L. Nicod6, Hofkonzertmfeister Prof. Petri, KVirt. Ritter Bearbeit, v. Komp. Dictnimeiitatlonen. 
gewagte modulatorische Steigerung und Schmidt und Direktor Hans Schneider. 1912— 13: 794 Schüler, 52 Aufführungen. Fros P‘ gratis. Leipzig, Konlgstr. 10. 
läuft in einen komisch wirkenden Schluß- Lehrfachfrcquene 1566 Schüler. 68 Lehrer, erste Kräfte Frosp., Auskunft und Auf- « , v i |,, 

satz aus, dem es zudem nicht gelingt, nahmCT i edgrzelt Düehtox Hang Setmeider. j}^ Uri-LüQWlfi LB.Q 6 US 16111 

wieder befriedigend in die Haupttonart — ^ „ _ _ . 

H dur zurückzulühren. |4 |t| . . AI444JI1 ^ 4 ||/l| A 44 CT eno O Konzert. Oratorium 

lieh" pöte^^^™usdra«* n ^rkt I1 va»tte- RWWCnCCDmR-5UlflK!l München, Hüteiisberg erstr.491- 

mend, well die Absicht dabei denn doch „Fingerübungen ln Etüdenform“ von lei. «21«. 

gar zu deutlich hervortritt. Im übrigen Präl pro Halt Tollt Preis pro Heft ^ ^ ^ 

verdient Ihr Können hohe Achtung. Dem IHM«. 1 «•«>«. Irfo Ppnnpr - Srhfiplinn 

zweiten Chor möchten wir gegenüber dem elngefuhrt in Malvine Br6e’s Leschetitzky-Kursen, beheben ,u “ rB HH Br OWIurilliy 
ersten, der durch die Unruhe des figurie. die allgemein beklagte Schwäche des 4. und 5. Fingers. Konzert- und Oratoriensingerin 

Mwjtwibj P. RflUrliäi. Wim IV. Bz., Prassgassa 17 . | 19 . 

H. R. 1 . Es wäre verfrüht, wenn Sie ■ . 

wollten. Der Marsch ist belanglos; er er- flr Qoihol’c Vorbereitungs-Kurse Professor Emanuel von Hegyi 

geht sich in lauter verbrauchten Motiven. Ull Hilf das glayicrrixtiiow 

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im Nachsatz einen Takt zu wenig. Fühlen Anmeldungen und Anfragen an den Direktor. Geigerin 

“Jr « Leipzig, Br. Seibel. eiilsohersieinstr. 45 . Eu^Rnh Welft 

deuten keine Offenbarung; Phantasie lassen — — “ ~~ T~ itYl.,Hlrl.«r Anhalt Kammersänger, Belcanto-Schule, 

Sie völlig vermissen. Sie verlaufen trost- OttO BrOmme, L.u 2 ’ r .. . . ...... ■ . 4 > 4 > Düsseldorf, BurgmüllerstraOc 17. &■$> 

los eintönig In den Liedern haben Sie UntettiCllt \W tlOf MUSiktilOOrje _ » . « . . 

X-SSÄSSSu-S ISrrSÄSÄ'tKS'SS: Drel un 9 ansche Tanze 

ÄfSr* — Irene voj^rennerberg Organist Joh. Winkler, v0 \Ä"S^“ r 2 V -“ n< ’ 

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1 


XXXV. 

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Preis des Jahrgangs (Oktober 1913 bis September 1914) 8 Mark. 

1914 
Heft 4 

Etschetat vierteljährlich In 6 Helten (mit MasQcbeQagen, Kunst bellage und „Batka, Illustrierte Geschichte der Musik“). Abonnementpreis a M. viert 
Einzelne Hefte 50 Pf. — Bestellungen durch alle Buch- und Musikalienhandlungen sowie durch sämtliche Poetanstalten. Bel Kreuzbandversand a 

österreichischen Postgebiet M. 10.40, im übrigen Weltpostverein M. rz. — jährlich. 

Inhalt • Zur Aesthetik der Programmusik. Richard Strauß gewidmet. — Modulationslehre. Diatonische Modulationen von Moll aus. (Po 
111 Hall • Kreutzer und Ludwig Spohr. — Tonsetzer der Gegenwart. Vitezslav Novdk, biographische Skizze. — Der Verband Deutscher Mtu 
für Aesthetik und allgemeine Kunstwissenschaft (Berlin). — Vom zweiten kleinen Bach-Fest. — Das neue Konzerthaus in Wien. „Festliches Fri 
Breslauer Riesenorgel und ihre Einweihung. — Kritische Rundschau: Kassel. — Kunst und Künstler. — Besprechungen: Für Violine und Kla 

Dur und Moli. — Briefkasten. — Neue Muaikalien. — Musikbeilage. 

djährUch, 8 M. jährlich, 
b Stuttgart im deutsch- 

rtsetzung.) — Konradin 
dkkrltlker. — Kongreß 
Uudium." — Die neue 
der. Verschiedenes. — 


Zur Aesthetik der Programmusik. 1 

Richard Strauß gewidmet. 

M an hat die Programmusik bis jetzt als jene Kunst- 
gattung gewertet, die sich aus der symphonischen 
Musik infolge ihrer Tendenz entwickelte, ein poetisches 
Programm auszudrücken. Diese landläufige Ansicht hat 
viel von dem Widerstand der sogenannten absoluten 
Musiker gegen alles Programmatische verschuldet. Ihr 
gegenüber wird im folgenden eine neue Wertung der Pro- 
grammusik unternommen. 

Die Programmusik iat eine Abart der 
mannigfaltigenVerbindungen von Dicht- 
kunst und Musik. 

Also nicht bloße Musik mit der ausdrücklichen oder 
imeingestandenen heimlichen Bitte an den Zuhörer, sich 
dabei „etwas zu denken“, sondern eine in der Zusammen- 
setzung dem Lied oder dem Melodram verwandte Kunst- 
gattung. Sie steht in der Mitte zwischen Lied und Melo- 
dram. Jene Verbindung von Dichtkunst und Musik, 
die die Elemente beider Künste, Wort und Ton, aufs innigste 
einander vermählt, ist das Lied. Jene Verbindung, 
welche den Elementen ihre Selbständigkeit beläßt, ergibt 
das Melodram. 

Nimmt man dem Wort den realen sinnlichen Klang 
und benützt nur seine Funktion als Symbol für eine poetische 
Idee, so kann sich die Musik, der Fesseln des Wortklanges 
ledig, ungehemmter entfalten. — Diese Gestaltung büdet 
die Grundlage der Programmusik. Die Tonkunst ist hier 
freier als im Lied, so daß das Wesen des Melodrams ge- 
streift wird; andererseits tritt hier das Wort nicht so selb- 
ständig in die Erscheinung wie im Melodram, daher der 
Programmusik gleich dem Liede jenes viel angefeindete 
zweifache Hören des Melodrams erspart ist. 

Die Dichtkunst liefert also bloß die 
Idee. Daher genügen dem Programmusiker Schlagworte, 
Bruchstücke aus poetischen Werken. Daß die Idee jetzt 
Kraft erhalte und zu voller Eindrucksfähigkeit empor- 
steige, dafür hat die Musik zu sorgen. In dieser Verbindung 

1 Anm. der Red. Der Verfasser wünscht seine Ausführungen 
zur Diskussion zu stellen. Bei der Bedeutung der ästhetischen 
Frage der Programmusik, über die sich ja die Meinungen 
noch nicht einig sind, schließen wir uns dem Wunsche an; 
umsomehr als Richard Strauß die Widmung zwar angenommen 
hat, sich aber mit dem Inhalt des Aufsatzes durchaus nicht 
in allem einverstanden erklärt. Vergleiche dazu auch den 
Artikel von Heim Tießeni „Die reine Wirkung der Straußi- 
schen Programm-Symphonie“ in Heft 8 des vorigen Jahrg. 


gehen die Funktionen der beiden Künste auf das Elementare 
in ihrem Wesen zurück. Der K 1 a n g ln seiner höchsten 
Steigerung auf der einen Seite, die Bedeutung als 
eigenstes Gut der Poesie auf der anderen. 

In welches Verhältnis treten die beiden Elemente zu- 
einander ? 

Man stritt sich bis jetzt um die Frage, ob die Musik eine 
dichterische Idee ausdrücken könne und überhaupt 
dürfe, und leitete aus der Verneinung einer derartigen 
Fähigkeit und Berechtigung seinen Widerstand gegen die 
Programmusik ab. Diese Frage beruhte auf dem Irrtum, 
das Charakteristische der Programmusik sei ein Ersatz 
der Worte eine? Dichtwerkes durch Töne; die Pro- 
grammusik wolle die Wirkung eines Dichtwerkes hervor- 
rufen, nämlich eine poetische Idee veranschaulichen, 
wobei sie sich aber der Tonsprache an Stelle der Wort- 
sprache bediene. So wie aus einer bestimmten Ver- 
bindung von Worten eine bestimmte poetische Idee 
hervorgeht, so müsse in der Programmusik eine bestimmte 
Tonverbindung gleichfalls als der Ausdruck einer bestimmten 
poetischen Idee von jedem Hörer verstanden werden können. 
Man übersah hier die gänzlich verschiedenen Funktionen 
der Wortverbindung in der Poesie und der Tonverbindung 
in der Musik. In der Poesie liegt die Idee außerhalb der 
Wortverbindung; sie ist mit den im besonderen Falle 
gebrauchten Worten nicht so eng verknüpft, daß sie nicht 
auch durch andere Wortverbindungen dargestellt werden 
könnte. Der Tongedanke hingegen wird durch eine be- 
stimmte Verbindung von . Tönen repräsentiert, 
schon geringfügige Aenderungen an den Tönen bedingen 
eine neue Melodie oder Harmonie, einen neuen Gedanken; 
die beiden Begriffe sind geradezu identisch. Wenn man 
daher, wie im Falle der Programmusik, an. Stelle der Wort- 
verbindung eine Tonverbindung setzt, so ist schon mit 
dieser Tonverbindung eine bestimmte musikalische Idee 
gegeben. Daß aber eine Idee eine andere aus- 
drück e (musikalische Idee = poetische Idee), ist logisch 
imvorstellbar. Die Musik gelangt also in der Programmusik 
gar nicht dazu, eine poetische Idee auszudrücken. 
Daher ist die Frage, ob dies in ihrer Macht stehe und ihrem 
Wesen angemessen sei, müßig. Mit anderen. Worten: 
Die Verbindung beider Künste stellt sich nicht als Ab- 
sorption der einen durch die andere dar, sondern ergibt 
sich vielmehr dadurch, daß zu der selbständig 
bleibenden poetischen Idee die musika- 
lische hinzutritt. 

Wie im Melodram Wort und Ton nebeneinander bestehen, 
so hier die musikalische und die poetische Idee. Wie im 

65 








Melodram Wort und Ton Annäherungspunkte aufsuchen 
müssen, um eine gleichzeitige Rezeption der beiden Kü ns te 
zu ermöglichen, so ergibt sich naturgemäß die gleiche 
Forderung für die Programmusik. 

Die Mittel, die der Erfüllung dieser Forderung dienen, 
zerfallen in zwei Hauptgruppen. Die eine umfaßt alle 
Arten motivischer Veränderungen. Ein prä- 
gnantes, entwicklungsfähiges Klanggebilde, das sich mit 
einer bestimmten poetischen Vorstellung ungezwungen ver- 
einigen läßt, das Motiv, findet in Wiederholungen, Variatio- 
nen, Kombinationen mit anderen Motiven Treffpunkte mit 
der entsprechenden Entwicklung der poetischen Idee. Das 
Motiv spielt hier ästhetisch und praktisch die gleiche Rolle 
wie in den alten Formen das Thema bei Durchführungen. 
Aesthetisch, denn der Schritt von der Erkenntnis des 
Zuhörers: Dies ist das Hauptthema und dies ist der Seiten- 
satz, zur Erkenntnis: Dies betrifft den Haupthelden und 
jenes sein Widerspiel, ist nicht sehr groß. Praktisch vertritt 
das Motiv die Rolle des ehemaligen Durchführungsthemas, 
da es formerzeugend wirkt. Die dichterische Vorlage 
schreibt hier die Form vor, das Motiv ist das Mittel, sie 
zu erfüllen. Der Dienst, den die poetische Idee durch 
ihre Mitwirkung dem formellen Aufbau leistet, wird erst 
ermessen, wenn man sich vorhält, wie nunmehr die Aus- 
weitung der Themen, ihre Kombinationen und Ueberlei- 
tungen nicht jenen typischen Wendungen zu verfallen 
brauchen, deren selbst die größten Meister der Symphonie 
nicht entraten konnten. Anderseits wird die Programm- 
musik sich hüten, mit einer in sich nicht zusammen- 
hängenden Wort- oder Stimmungsmalerei den Gedanken- 
gang der Dichtung zu verfolgen. Es wurde ja oben 
gesagt, die poetische Idee soll durch die Musik Kraft 
erhalten und zu voller Eindrucksfähigkeit emporsteigen. 
Dies ist aber offenbar nur möglich, wenn sich die Musik 
ihres ureigenen Wesens, durch das sie eben am kräftigsten, 
ursprünglichsten wirkt, nicht entäußert. Dieses Wesen 
ist „Form", denn erst durch Form wird Musik überhaupt 
vom Hörer erfaßt. Somit wird auch jede Programm- 
musik nach Form streben, zumal hier die Klangkunst in 
der sinnlichen Wirkung ganz auf sich angewiesen ist und 
nicht mit der ablenkenden oder konzentrierenden Unter- 
stützung des Wortes rechnen kann wie Melodram und 
Oper. Dieses Streben nach Form darf aber beileibe nicht 
in eine Zurechtboss elung eines sogenannten Programmes 
ausarten, das bloß eine poetische Umschreibung einer 
konventionellen und rein musikalisch verständlichen Form 
wäre. (Viel Verwirrung hat hier der Brauch geschaffen, 
die Werke älterer Meister poetisch zu erklären, um sie 
einem musiktheoretisch ungebildeten Publikum schmack- 
hafter zu machen.) Die Grenze, bis zu welcher die Musik 
im Aufgeben alter Formen gehen darf, kann unmöglich 
gezogen werden; die Schöpferkraft des Komponisten wird 
der jeweilige Regulator sein. Hier hegt ein Schatz an 
neuer Musik noch imgehoben. 

Eine zweite Gruppe von Beziehungen zwischen Musik 
und Poesie stellen die assoziativen Mittel der 
Musik. Durch Herausheben dessen, was ein Wortbegriff 
an musikalischen Elementen enthält, weckt die Musik die 
Erinnerung an diesen Begriff: sogenannte Tonmalerei. 
Die moderne Instrümentationstechnik hat hier ein reiches 
Feld erschlossen. Nur ist festzuhalten, daß derartige 
Mittel, die am ehesten der Funktion des Wortes: „auszu- 
drücken“, „zu bedeuten", nahekommen, leicht zu kon- 
ventionellen Zeichen werden, gleich den Worten. (Siehe 
die musikalische Illustration der Ideen: Reiter, Jagd, 

Bütz durch Anwendung des m Rhythmus, der Wald- 
hörner, aufwärtsstrebender Geigen- oder Flötenfiguren 
durch alle Epochen der Musik!) Deshalb kann diesen 
Mitteln nur nebensächliche Bedeutung in der Programm- 
musik zukommen. Die konventionellen Zeichen der Musik 
sind ja die einzelnen Töne ; konventionelle Tonverbindungen 
aber (nach dem Früheren so viel wie konventionelle musika- 

66 


lische Ideen) müßten als Plattheit und Beweis von Ge- 
dankenarmut gelten. 

Außerhalb der beiden Gruppen entlehnt die Programm- 
musik zuweilen von anderen Kunstgattungen poetische 
Mittel. So lernte sie vom Drama, sich die Raum- 
dimensionalität, den Gehalt an poetischen Vor- 
stellungen, welche die räumlichen Beziehungen der Dinge 
erwecken, zunutze zu machen. Bisher handhabte man 
dieses Mittel durch Aufstellung zweier verschiedener Or- 
chester, von denen das eine hinter verschlossenen Türen, 
wie aus der Feme, oder aber aus der Höhe herab in die 
„Handlung“ eingriff. Denn zur Handlung wird die Musik 
durch Wahl eines, wenn auch abstrakten Schauplatzes. 
Beispiel: Nicodes „Gloria“. Das entferntere Orchester 
schildert den Kampf, der unten im Tale weitertobt, indes 
das andere den Helden auf einsame Bergeshöhe empor- 
geleitet. Ein anderes dem Drama entlehntes Mittel ist das 
Rezitativ. Doch darf es nicht wie in der Oper als 
bloßes Bindeglied zwischen lyrischen Stellen, also nicht 
aus formellen Gründen angewendet werden; man müßte 
darin eine recht primitive Kompositionstechnik erblicken x , 
da ja die Satzbaukunst ganz andere, auf der polyphonen 
Entwicklung vorhandener Themen basierende Kunstgriffe 
zur Verfügung stellt. Vielmehr mag das Rezitativ als 
assoziatives Mittel gelten. Man verknüpft vom Drama 
her mit dem Begriff des Rezitativs die Vorstellung von 
epischen Auseinandersetzungen gegenüber den sonstigen 
Gefühlsergüssen; auf dieser Assoziation fußend, kann die 
Programmusik durch rezitativischen Vortrag auf eine im 
poetischen Vorwurf erscheinende Rede Bezug nehmen. 
Die rezitativische Einleitung zum letzten Satz der Beet- 
hovenschen „Neunten“ mag als Musterbeispiel hierfür 
gelten, wenn man auch in diesem Werke wegen des Mangels 
einer vom Tondichter selbst durchgeführten Fixierung 
des Programmes nur einen Vorläufer unserer erst später 
aufblühenden Kunstgattung erblicken kann. — An Stellen, 
wo ein völliges Ineinandertauchen von Wort und Ton 
am Platze schien, wurde das L i e d der Programmusik 
dienstbar gemacht. (Ich rechne das „Urlicht“ in Mahlers 
c moll-Symphonie hierher.) Neben dieser Art der Ver- 
wendung des Gesanges tritt die menschliche Stimme bis- 
weilen als bloßes Instrument zu den Orchesterinstrumenten 
hinzu. Das Wort dient hier in der Hauptsache der Vokali- 
sation; durch oftmalige Wiederholungen oder durch fremd- 
sprachige Farblosigkeit (Latein) ist ihm die hier nur störende 
Bedeutsamkeit genommen. Eine dritte Art der Heran- 
ziehung des Gesanges ergibt sich, wenn schon der poetische 
Vorwurf einen Gesang enthält und, anstatt daß die ent- 
sprechende musikalische Darstellung dem Orchester als 
dem Organ der Programmusik anvertraut wird, die Stimme 
in Wirklichkeit ertönt. Wollte man beispielsweise die 
Sage von Richard Löwenherz symphonisch verwerten, so 
läßt sich an jener Stelle, wo in den dumpfen Kerkerraum 
plötzlich Blondels Lied hereinklingt, die Wirkung erhöhen, 
wenn das dumpfe Klagen der Orchesterinstrumente durch 
den lebensvollen Klang der menschlichen Stimme selbst 
unterbrochen wird. 

Nicht ohne Wichtigkeit ist die Frage der Stoffwahl. 
Nimmt die Programmusik ein Drama zum poetischen 
Vorwurf, so vermag sie kaum mehr als eine musikalische 
Paraphrase des Dramas zu liefern. Psychologische Mo- 
tivierungen, logische Folgerungen, die ja die dramatische 
Verknüpfung ergeben, sind der Musik versagt. Daher 
kann die „ästhetische Befreiung des Mitgefühls“, die Wir- 
kung des Dramas, nicht eintreten. Welche Musik könnte 
es beispielsweise begreiflich machen, daß der Glocken- 
gießer Heinrich sein Familienleben verlieren muß, weil er 
in den Bann Rautendeleins gerät? Das Programm kann 
hier bloß die beiden Tatsachen als gegeben hinstellen, 
wahrlich ein kümmerlicher Ersatz für ihr Erleben durch 

1 Von diesbezüglichen Verdächtigungen kann man sich an- 
gesichts mancher Rezitative in Liszlschen Tondichtungen 
schwer befreien. 



den Zuschauer im Theater. Die Programmusik vermag 
eben nur eine Reihe von Begebenheiten in einem Drama, 
das Epische in ihm, zu verwerten. Ganz auf eigenem 
Boden steht sie daher, wenn sie einen epischen Stoff 
ergreift. Das Epos kommt der Musik insofeme entgegen, 
als es weniger den Charakter des Helden, als sein Verhält- 
nis zur Welt betont, indes das Drama mit Charakteren 
operiert, deren feinen Abstufungen die Musik nicht folgen 
kann. Richard Strauß wählt, gleichgültig, ob mit oder 
ohne Absicht, fast ausschließlich epische Stoffe, während 
andere, die nicht aus innerer Notwendigkeit schaffen, 
sondern nur eben Moden mitmachen, der Versuchung er- 
liegen, Hauptmanns „Armen Heinrich“ zur Programm- 
musik umzuarbeiten. Selbst eine Tondichtung nach Anzen- 
grubers „Das vierte Gebot“ (I!) fehlt nicht in der großen 
Masse beschriebenen oder bedruckten Notenpapiers. — 
Mehr als andere musikalische Gattungen gönnt die Pro- 
grammusik dem Humor freies Spiel. Der Humor der rein 
symphonischen Musik ist wohl ein wenig allgemein und 
abstrakt. Erst die Verbindung mit der Poesie, also die 
Hereinziehung des Verstandes, schafft die Grundlage zu 
intensiveren Heiterkeitswirkungen. Im Gesang wie im 
Melodram wirkt nun der Wort- und Gedankenwitz infolge 
seiner Geistigkeit oft störend auf den musikalischen Witz, 
da er diesen plump erscheinen läßt. Der Wort- und Ge- 
dankenwitz ist hier eben, da er nicht erst auf die Unter- 
stützung durch die Musik Anspruch macht, von vornherein 
in eine endgültige Form gebracht, die ihn f ü r s i c h wirk- 
sam macht. In der Programmusik hingegen ergibt die 
Beschränkung auf die bloße poetische Idee das rechte 
Mittelmaß für die Heranziehung gedanklicher Vorstellungen 
zur allgemeinen Gefühlsheiterkeit der Musik. Hier wirkt 
der von Natur aus pathetische Charakter der Musik, an 
realistische Dinge als poetischen Vorwurf gefesselt, an 
sich schon komisch. Um diesen Vorteil der Programm- 
musik vor anderen musikalischen Kunstgattungen zu er- 
messen, vergleiche man die komische Verwendung der alt- 
ehrwürdigen Fuge im ersten Finale des „Postillon von 
Lonjumeau“, mit jener in der ehelichen Streitszene der 
„Sinfonia domestica“. Dort Plumpheit trotz Aufmarsches 
der Männer in Nachtmützen und der Frauen in tiefstem 
Neglige, hier trotz der Alltäglichkeit des Bildes zweier 
streitenden Ehegatten eine wirkliche Ergötzlichkeit der 
Wirkung, die ihren Höhepunkt anläßlich der Schilderung 
eines Bombardements mit Tellern und Töpfen erreicht. 

Endlich wäre den Programmusikem nahezulegen, mutiger 
mit der ewigen Bedachtnahme auf Gefühlsergüsse auf- 
zuräumen. Ist denn die Erkenntnis noch nicht zur an- 
erkannten Wahrheit geworden, daß Stoff der Musik keines- 
wegs lediglich die Gefü hl e seien? Wie ein Liebesgedicht 
ein erotisches Gefühl darstellt, das Drama aber durchaus 
nicht Mitleid und Furcht, so drückt ein Notturno weiche 
melancholische Stimmung aus, der Gefühlsschematismus 
muß aber schon bei der Sonate versagen. Sollte es wirk- 
lich noch Leute geben, die einer Sonate beizukommen 
glauben, wenn sie in ihr nichts anderes als den Ausdruck 
einer Reihe von Gefühlen sehen ? Daß die Sonate anderes 
bedeutet, hat Hanslick auseinandergesetzt'; seine Erkennt- 
nis aber dient nun, wie man sieht, seiner Gegenpartei. 

* * 

* 

Die Praxis, durch die uns der Genuß der Programm- 
musik vermittelt wird, hat ihre endgültige Gestalt ohne 
Zweifel noch nicht gefunden. Es muß darauf als Haupt- 
ziel hingesteuert werden, die Relationen zwischen dem 
musikalischen und dem poetischen Teil dem Zuhörer 
möglichst klar und ohne Mühe für ihn vor Augen zu führen. 
Am nächsten käme dieser Forderung eine Reproduktion 
des Textes in elektrischen Lichtbuchstaben oder durch 
Projektion im Zusammenhang mit der musikalischen 
Aufführung, wenn nicht der großen Deutlichkeit dieses 
Mittels seine Ungewohntheit gegenüberstünde, so daß es 
leicht Anlaß zur Ablenkung geben könnte. Neben der 


Sprache ist eben nur noch die Hand- und Druckschrift 
ein dermaßen ins Geistesleben übergegangenes Verständi- 
gungsmittel, daß man darin den bloßen Ausdruck des 
Gedanken sieht und alle Materialwirkung außer acht läßt. 
— Gegenwärtig besteht der Brauch, die zur Musik ge- 
hörige Dichtung an das Publikum in sogenannten Pro- 
grammbüchem zu verteilen. Diese Gepflogenheit trägt 
zur Verkeimung der Programmusik als einer Verbin- 
dung zweier Künste bei. Denn eine Programmschrift 
ist etwas außerhalb des Kunstwerkes Stehendes, eine 
Anleitung für das Publikum zur leichteren Orientierung; 
sie dient nur der Bequemlichkeit des Genießenden und 
darf keine zum Verständnis notwendige Ergänzung 
des Kunstwerkes sein x . Insofeme unser Programmbuch 
Themenanalysen, Verweisungen des Textes auf die kor- 
rekten Notenstellen enthält, verdient es also seinen Namen. 
Als eigentliches Organ der an dem Gesamtwerke beteiligten 
Dichtkunst aber gehört es zum Kunstwerk, es ist durchaus 
keine Skizzierung der Absichten des Komponisten; es hat 
eine ähnliche Aufgabe wie das Textbuch in der Oper. 
Die Forderung, daß Programmusik ohne Programm ver- 
ständlich sei, verrät daher eine Zugehörigkeit zur Richtung, 
die auch einstens vom Lied verlangte, daß es ohne Text, 
also rein musikalisch begriffen werden könne. Ihre höchste 
Erfüllung fand diese Forderung in der eine Zeitlang be- 
liebten Modegattung der „Lieder ohne Worte“. Dagegen 
Richard Wagner. 

Nach alledem ist es offenbar, daß die Aesthetik bei der 
Wertung der Programmusik zum Teil gewissenlos beiseite 
gestanden ist, zum Teil sich mit oberflächlicher Verdammung 
begnügt hat. Kein Wunder, daß auch die Schaffenden 
an der Programmusik irre wurden. Sie legten nachgerade 
eine merkwürdige Scheu vor authentischen Erläuterungen 
ihrer Werke an den Tag. Vielleicht weil sie fürchteten, 
man könne in ihren Angaben das Eingeständnis einer 
Unfähigkeit sehen, ihre Absichten durch die Musik allein 
genügend klar auszusprechen (was nach dem Vorher- 
gehenden nicht mehr als Zweck der Programmusik er- 
scheinen kann). Wer zweifelt noch daran, daß Mahler 
ein heimlicher Programmusiker ist? Und wer zweifelt 
daran, daß „Till Eulenspiegel“ uns viel mehr lachen machte, 
wenn uns sein Autor nicht zwänge, ernst und nachdenklich 
zu werden, um aus unseren Jugenderinnerungen auszu- 
kramen, was wir etwa von Tills Streichen gehört haben 
und was davon zur Musik passen möchte. 

Das Gegenstück dieser verkappten Programmusiker 
sind jene Komponisten, die ihren Werken erhöhte Be- 
deutsamkeit dadurch zu geben suchen, daß sie ihnen ein 
„Programm“ unterlegen. Sie verbinden beispielsweise 
mehrere sogenannte Charakterstücke schlecht und recht 
durch einen leitenden Gedanken. „Romeo und Julie“ 
und manch anderer Berlioz leiden unter der skrupellosen 
Anwendung dieses Verfahrens, das auch den Einfall erklärt, 
Faust nach Ungarn zu transferieren. Auf diese einfache 
Art ließ sich eben in der „Damnation de Faust" ein unga- 
rischer Nationalmarsch anbringen. Durch dieses Ver- 
fahren kommt man der wahren Programmusik durchaus 
nicht näher. Denn jene Charakterstücke nehmen ein 
stehendes Bild zum Vorwurf (oder vielmehr das 
musikalische Element darin, das Springbrunnengeplätscher, 
das Pochen der Schmiedehämmer, den schwebenden 
Rhythmus des Elfentanzes), so daß sie absolut musi- 
kalisch bleiben können. Dieses Bild hat demnach 
mit der Erkenntnis der musikalischen Form durchaus 
nichts zu tun, während die Form eines Werkes 
der Programmusik ohne Beziehung auf 
die Dichtung nicht verstanden werden 
kann. 

Wenn die Gegner der Programmusik behaupten, daß 
wir mit dieser Theorie aus der Not eine Tugend machen, 


1 Daß sonach auch die Bezeichnung „Programmusik“ keine 
glückliche ist, bedarf keiner Argumentation. 


67 



so trösten wir uns damit, daß man Richard Wagner nach- 
sagte, er habe das Leitmotiv erfunden, weil es ihm an 
Melodienfluß gebrach. 

* # 

* 

Nachwort: Das gegenwärtige Mißverhältnis zwischen der 
immerhin großen Produktion an Programmusik und der 
schwankenden Haltung des Publikums gegenüber dieser 
Kunstgattung gibt den vorausstehenden Darlegungen ihre 
praktische Berechtigung. Sie mag verstärkt werden durch 
die Mitteilung über die Entstehung dieser Ausführungen. 
Nicht a priori wurden sie gesetzt, noch aus der historischen 
Betrachtung deduziert; vielmehr sind sie Ausdruck eines 
innerlich Gefühlten, das schon vorhanden war, ehe die 
entsprechende Verstandestätigkeit begann. Ich hatte es 
oft erlebt, daß meine Aufnahmsfähigkeit plötzlich ge- 
steigert, der Genuß erhöht wurde, wenn ich es aufgab, 
Werke, die mit Poesie durchtränkt waren, musikalisch- 
geometrisch verstehen zu. wollen, wenn meine Phantasie 
an der Rezeption des Kunstwerkes nicht weniger beteiligt 
sein durfte, als es die des Tondichters an seiner Schöpfung 
war; da drängte es mich, dem, was ich nur selten und wie 
eine Sünde genoß, eine Grundlage zu schaffen, die vor 
aller Welt zu Recht bestehen konnte, und, auf die ge- 
stützt, ich mich von vornherein der uneingeschränkten 
Wirksamkeit eines Kunstwerkes hingeben durfte. Ich 
fand diese Grundlage, indem ich einfach die Eigenart 
meines Genusses analysierte, indem ich ihren Ursachen 
nachging. Und da mußte ich voll Staunen sehen, daß 
wir mit verbundenen Augen die Herrlichkeit einer Früh- 
lingslandschaft hatten ergründen wollen. Meine Ver- 
wunderung aber legte sich, als ich das Wesen einer Zeit 
bedachte, die noch immer Opemauszüge ohne Text verlegt 
und kauft. Wenn nun der Schöpfer der Pro- 
grammusik ihr Wesen keineswegs so ins Auge gefaßt 
hat, wie es im Vorausstehenden geschehen ist, so folgt 
daraus noch nicht die mangelnde Berechtigung jener 
Ausführungen. Vielmehr hatte die Musikgeschichte nur 
eben ihren Kolumbus geboren, der ein Indien zu entdecken 
glaubte und uns ein Amerika erschlossen hat. 

Alfred Wolf. 


Modulationslehre. 

Von M. KOCH, Kgl. Musikdirektor (Stuttgart). 

(Fortsetzung.) 

Diatonische Modulationen von Moll aus. 

N achdem wir nun über die Forderungen einer voll- 
ständigen diatonischen Modulation genau unterrichtet 
sind, auch die ausweichenden Leitakkorde kennen, können 
wir uns im folgenden kürzer fassen. 

Als nächstverwandte Tonarten kommen der schema- 
tischen Darstellung auf Seite 426 (Heft 21 des vorigen 
Jahrgangs) gemäß für die a moll-Tonart, die die Ausgangs- 
tonart der folgenden Beispiele ist, in Betracht: 
a — e (DT) 
a— d (UDT) 
a— C (PT) 
a— G (DPT) 
a— F (UDPT) 


a) Kürzeste Fassung (ohne Feststellung der Aus- 
gangstonart) mit je zwei Beispielen: 
a— e. 



a— d. 



Vermittelnde Uebergänge vorstehender Art können in 
solchen Fällen praktische Verwendung finden, wo sich die 
Notwendigkeit herausstellt, das Ohr des Sängers in eine 
neue Tonart einzustellen. 

b) Erweiterte Fassung (mit Feststellung der Aus- 
gangstonart), gezeigt auch an anderen Molltonarten. 

1. Modulation in die DT (c — g). 



2. in die UDT (e — a). 



3. in die PT (h — D). 



68 


4- in die DPT (e— D). 



5. in die UDPT (d— B). 



Aufgabe. Memoriere und transponiere diese Sätze und 
übe dich im Nachbilden ähnli cher Modulationsbeispiele. 

Wer den bisherigen Unterrichtsstoff aus der Modulations- 
lehre durch eingehende Beschäftigung mit demselben nun 
zu beherrschen glaubt, dem sei anheimgestellt, seine Bei- 
spiele zu folgender Prüfungsaufgabe zur Korrektur (mit 
Porto) an die Redaktion einzusenden: es sind Modulationen 
erweiterter Form von Es dur und h moll aus in die nächst- 
verwandten Tonarten (Schema voranstellen I) auszuführen. 

(Fortsetzung folgt.) 


Konradin Kreutzer und Ludwig Spohr. 

Von Dr. ERNST RYCHNOVSKY (Prag). 

I n der „N. M.-Z.“ (33. Jahrgang, Heft 14 ff.) hat Adolf 
Prümers aus dem Nachlaß Ernst Pasquäs eine Reihe 
musikhistorisch interessanter Briefe Konradin Kreutzers 
herausgegeben. Da es immer von Vorteü ist, wenn das Ma- 
terial zur Lebensgeschichte eines Meisters womöglich an einem 
Orte zusammengetragen wird (von großem Nutzen erweist 
sich dadurch z. B. das Beethoven- Jahrbuch), da übrigens, 
wie aus einer anderen Notiz der „N. M.-Z.“ hervorgeht, eine 
umfassende Biographie Konradin Kreutzers vorbereitet wird, 
so ist es vielleicht nicht ohne Wert, wenn ich hier die mir 
bekannten Briefe des Schöpfers des „Nachtlagers von Gra- 
nada“ an den bekannten Violinisten und langjährigen Kasseler 
Hofkapellmeister Ludwig Spohr gerade in diesen Blättern 
mitteile. Die bisher ungedruckten Briefe büden zudem einen 
wertvollen Beitrag zur deutschen Operngeschichte, 
da sie in die Zeit fallen, als in Wien die erbitterten Kämpfe 
der jungen deutschen romantischen Oper gegen den welschen 
Dunst und welschen Tand der italienischen Oper ausgefochten 
wurden, in die Zeit, als die Wiener an der Schönheit der 
Weberschen „Euryanthe“ sich die Zähne stumpf bissen, weil 
für sie der höchste der musikalischen Genüsse „di tanti pal- 
piti“ .war. 

Die Briefe habe ich seinerzeit in der Sammlung Donebauer 
mit freundlicher Erlaubnis des damaligen Besitzers wortgetreu 
kopiert. Sie umfassen die Zeit von Anfang 1823 bis zum Mai 
1836, büden also ein beachtenswertes Zwischenglied in der 
Reihe der von Prümers veröffentlichten Briefe. 

Die Beziehungen Ludwig Spohrs zu Konradin Kreutzer 
datieren schon aus früher Zeit. Spohr hatte den damaligen 
Stuttgarter Kapellmeister im August des Jahres 1816 in 
Freiburg in der Schweiz bei einem Konzerte der Schweizer 
Musikgesellschaft kennen gelernt (vergl. Ludwig Spohrs 
Selbstbiographie, Band I, S. 263 ff.), das sich mehr durch 
die Quantität der Darbietungen als durch deren Qualität 
auszeichnete. „Kapellmeister Konradin Kreutzer aus Stutt- 
gart und seine' Frau, eine Züricherin,“ so erzählt Spohr, „deren 
Bekanntschaft wir hier gemacht hatten, saßen bei den Auf- 
führungen neben uns, und es war uns angenehm, mit ihnen 
unsere Urteüe über das Gehörte aus tauschen zu können. 
Doch mußten wir dabei sehr über unsere Mienen wachen, 
denn wir wurden fortwährend von den Umsitzenden beobachtet, 
die den Eindruck, den ihre Musik auf uns mache, in unseren 
Zügen lesen wollten. Wurden wir nun um unser Urteü be- 
fragt, was nicht selten und immer mit hervortretendem 
.Nationalstolze geschah, so hielten wir uns vorsichtig in der 
Mitte zwischen Wahrheit und Schmeichelei, und kamen so, 
ohne Anstoß zu erregen, glücklich durch. Kreutzer ver- 
traute mir, daß er nicht nach Stuttgart zurückkehren werde, 


weü ihm die dortige Despotie völlig imerträglich geworden 
sei . . . Mit Kreutzer und seiner Frau verlebten wir <fie meiste 
Zeit unseres Aufenthaltes in '•< Freiburg. Wir aßen mittags 
und abends zusammen und 'machten bei dem fortwährend 
schönen Wetter häufige Spaziergänge in die reizende Um- 
gebung. Zwar hatte die Gesellschaft auch einen Vereinigungs- 
unkt im Schützenhause, wo die meisten Mitglieder aßen; 
a aber die Frauenzimmer ausgeschlossen waren, weü die 
Gesellschaft imverheiratete geistliche Herren unter sich 
hatte, so besuchten wir diesen Ort nicht ein einzigesmal. Es 
soü dort aber auch ganz an der Geselligkeit und Heiterkeit 
gefehlt haben . . . Kreutzer war eigentlich nur in der Absicht 
gekommen, um zum Schluß des Musikfestes ein Konzert für 
seine Rechnung zu geben, da man ihm in Zürich gesagt hatte, 
die Gesellschaft werde in diesem Jahre nur eine Aufführung 
veranstalten. Er schien bei mir eine gleiche Absicht voraus- 
zusetzen, denn er schlug mir vor, gemeinsame Sache zu machen. 
Ich hatte aber nicht daran gedacht, hier zu konzertieren 
und nicht einmal meine Geige mitgebracht. Aber auch sein 
Konzert kam nicht zustande, da die Gesellschaft selbst ein 
zweites gab, und so hatten wir keine Gelegenheit, das Spiel 
und die Kompositionen dieses berühmten Künstlers zu hören.“ 
Ueber die Beziehungen der beiden Künstler während der 
folgenden sieben Jahre Din ich im einzelnen nicht unterrichtet. 
Sicher ist, daß sie aufrecht erhalten geblieben sind, wahr- 
scheinlich durch die eine oder die andere Begegnung, die 
Spohr als reisenden Virtuosen in die Nähe Kreutzers brachte, 
Kreutzer selbst hat tatsächlich schon ein Jahr nach der Be- 
kanntschaft mit Spohr seine Stellung in Stuttgart aufgegeben 
und ist in die Dienste des kunstsinnigen Fürsten Fürstenberg 
in Donaueschingen getreten. Dann hat er auf Jahre hinaus 
in Wien als Kapellmeister am Kämtnertortheater (1822 bis 
1827, 1829 — 1832, 1836 [nicht wie bei Riemann 1837] bis 
1840) und (1833—1837) am Josephstädtertheater erfolgreich 
als Komponist und Dirigent gewirkt. 

Auf die Fortdauer der Beziehungen, über die uns vieüeicht 
die künftige Kreutzer-Biographie aufklären wird, deutet 
schon der intime Ton des ersten (nicht datierten) Briefes. 
Dies» lautet: 

I. 

Mein hochgeehrtester Freund und 

Herzlich soll es mich freuen, wenn Sie sich mit ihrer lieben 
Familie recht wohl befinden, und sich in Ihrem neuen Etablisse- 
ment gemüthlich fühlen. Auch mir geht es, dem Himmel 
Dank, recht nach Wunsche. — Meine neue Oper, Libussa 1 , 
hat hier allgemein gefallen, solche wurde binnen 4 Wochen 
schon zum i2ten mal bey voüem Hause gegeben! ich fühle 
mich durch das Gelingen meines ersten Werkes, mit dem ich 
hier auftrette, recht glücklich, und hege selbst die Hoffnung 
daß meine folgende nicht viel minder glücklich seyn sollten. — 
Daß es nun in meinem Wunsche liegen muß, meine Libussa 
auf aü die vorzüglichsten Theater zu verpflanzen, das ge- 
stehe ich recht gerne, und schon bin ich auch von München, 
Stuttgart, und besonders dem Grosherzog von Darmstatt 
aufgefordert die Partitur einzusenden. — Woüten Sie daher 
auch mein vereintester Freund Sorge tragen, daß die Libussa 
für das Chur fürs tl. Hoftheater acqmriert würde. — Ich denke 
ein Honorar von 40 # in Golde ist keine übertriebene Forde- 
rung, ein Gleiches erhalte ich auch von Darmstatt. — - 
Ich bin hier wirklich in Unterhandlungen mit der Admini- 
stration des Kärtner-Thortheaters — mit Weigl* geht es 
nun zimlich beigab — ein Glück für all die jungem deutschen 
Componisten ! — 

Uebrigens finde ich aber dennoch Wien in Vergleich mit 
den frühem Jahren, groß und zum Nachtheil verändert 
— achter Kunstsinn ist hier gar nirgends mehr zu Hause — 
besonders der hohe Adel ist selbst für musik ganz todt — es 
ist keine Spur mehr von einem Lobkowitz *, Lychnovsky 4 etc. 
Der deutsche Theater Componist hat gar ein gefährliches 
Feld — man will in meiner Libussa vorzüglich zu loben finden 
„als hätte ich die Mittelstraße getroffen“ — wenn es wahr 
ist, so soü es mich freuen. — 

Darf ich Sie bitten mein geehrtes ter, mir bald ein paar 


‘ Vergl. „N. M.-Z.“ Jahrgang 33, Heft 14, S..298, zweite 
Spalte. 

* Weigl, Joseph ( 1766 — 1 846) , der Komponist der „Schweizer- 
familie“, wurde nach dem Tode Salieris 1825 Hofkapellmeister 
am Kämtnertortheater. 

* Lobkowitz, Fürst Franz Maximilian (1772 — 1816), der 
bekannte Protektor Beethovens, dem der Meister die Quartette 
op. 18, die dritte, fünfte und sechste Symphonie, das Tripel- 
konzert op. $6 und den Liederkreäs „An die ferne Geliebte“ 
gewidmet hat. 

4 Lichnowsky, Fürst Karl (1773 — 1814), war ebenso wie 
Graf Moritz lichnowsky einer der adeligen Gönner Beet- 
hovens. Welchen von baden Kreutzer in diesem Zusammen- 
hang meint, geht aus der Briefsteüe nicht ..hervor. 


69 



Zeilen Antwort zu schreiben; indessen genehmigen Sie die 
Versicherung meiner Hochachtung und Freundschaft 

«• 1 * * 4 * ‘ Ihr ergebenster Freund Con. Kreutzer Kapelm. 

Grüßen ' Sie mir auch Wiele \ und Haseman 1 ! 

(Auf der Adreßseite:) 

Beherzigen Sie auch beykommenden Preiscourant der 
Fa. Goll \ meines Protege. — Diese Cla viere werden eine 
große Sensation machen, sie übertreffen die besten Wiener 
weit — und dürfen sich im Ton mit den Englischen messen. 

Haben Sie auch die Güte beyliegendes Schreiben nach Gotha 
retour zu senden. 

Seiner Wohlgebohren 
dem Herrn Herrn 
Louis Spohr 

Churfürstl. Hofkapellmeister in 

Hessen Caßel. 

Das folgende Schreiben beschäftigt sich wieder mit der 
„Libussa“, erhält aber durch die Berichte über das Musik- 
leben Wiens eine kunsthistorisch höhere Bedeutung. Von 
Beethoven, Schubert, Weber, Grillparzer, Rossini u. a. ist 
darin die Rede. Das Tempo des Berichtes hat etwas vom 
heißen Atem jener bewegten Tage. 

II. 

Wien den löten 7bre 1823 
Nro. 30 im Reimanschen Hause auf der Wieden. 

Mein vereintester Freund und College! 

Ihr Aufruf an die deutschen Componisten in der Leipziger 
•Zeitung erinnerte mich, daß ich Ihnen wohl vor vielen Mo- 
natlien geschrieben, und meine Libußa für Ihr Hoftheater 
angetragen, aber seitdem noch keine Antwort von Ihnen er- 
halten habe, was mich um so mehr befremdet, da ich nicht 
nur von mehreren Directionen und Kapellmeistern mit Gegen- 
antwort beehrt wurde, sondern auch dieße,Oper an 15 der 
vorzüglichsten Theater verkauft habe, wie z. B. in Berlin, 
Dresden, Weimar, Darmstatt, München, Franckfurt, Leipzick, 
Amsterdam, Pest, Prag etc. etc. 

Sollte allenfalls mein festgesetztes Honorar von 40 # ein 
Hindemiß der Anschaffung seyn, was mir dennoch die Theater 
von Dresden, Darmstatt, München, und Pest, gaben — so 
will ich, nur um meine Oper bald auch auf dem Hoftheater 
von Caßel zu haben — das Honorar auf 30 # in Gold stellen. — 

Ich bin sehr begierig Nachrichten über die Aufführung 
und Aufnahme ih[rerl neuesten Oper 4 zu erhalten — sobald 
solche gegeben ist, so haben Sie [diej Güte mir es zu berichten, 
und zugleich das Honorar zu bestimmen, w[elches] Sie für 
die Partitur haben wollen. 

Von Carl Maria Weber erhalten wir bis Ende dieses Monaths 
seine Eureanthe ( !), worauf ganz Wien sehr gespannt ist 
— und die, hoffe ich, der Italienischen Oper einen ordent- 
lichen Gnadenstoß geben soll — nach der Eureanthe kommt 
wieder eine Oper von mir, von der ich mir einen guten Erfolg 
verspreche -r- wir haben dann noch ein paar neue original 
deutsche Opern — eine von Halm 6 eine andere von Schu- 
bert * — auch schreibt Beethoven die schöne Melusine von 
Grillparzer. — Weigl hat seit seinem totalen Sturz in der 
eisernen Pforte sich selber das Thor der Composition 
verschloßen und zum Glüke all Inh- und Ausländischen Com- 
ponisten wenig Einfluß mehr bey der Theaterdirection, was 
nur wohlthätig für das Ganze seyn kann! — 

Gestern war das große Machwerk Roßinis, Semiramis, 
zum iten mal — das in 2 Ackten von halb 7 Uhr bis 1 1 Uhr 
dauerte, worin mehr die Quantitaet als Qualitaet der Musik- 
stücke beachtet ist. — Madam Fodor 7 sang aber himlisch 
darinn — und nur Ihr hats Roßini zu verdanken — daß diese 
Oper, voll der Reminicenzen und abgeschmakten Floskeln 
nicht ganz durchfiel — denn der Applause nach dem iten 
Ackt war sehr klein! — 

In Erwartung einer gefälligen Antwort habe ich die Ehre 
mich zuTnennen Ihr ergebenster Freund 

C. Kreutzer. 

Seiner Wohlgebohren 
dem Herrn L. Spohr 
Chur fr. Hessischem Hofkapellmeister 

in 

Caßel. 


1 Wiele war der Sologeiger der Hofkapelle in Kassel. 

* Hasemann, der erste Kasseler Solocellist. Mit Wiele, 
Bambeck und Hasemann gab Spohr seine berühmten Quartett- 
soireen in Kassel. 

8 Vergl. das ausführliche Schreiben Kreutzers an Pasqu6, 
1 . c. S. 299. 

4 Jessonda. 

8 Halm, Anton (1789 — 1872), der bekannte, auch von 
Beethoven geschätzte Wiener Musiklehrer. 

* Alfonso und Estrella. 

7 Fodor, Josephine, die Tochter des Violinisten Joseph 

Fodor (1793 bis nach 1833), berühmte Koloratursängerin in 
Paris, London und Wien. 


Ein Empfehlungsschreiben für den Hornisten Eduard 
Lewi ist der folgende Brief. Seine Bedeutung steckt aber 
wieder in der Schilderung der fürfden deutschen Musiker 
trostlosen Wiener Verhältnisse. 


HI. 


Mein vereintester Freund! 

Ich nehme mir die Freyheit Ihnen in dem Herrn Lewi 1 
— ersten Waldhomisten des k. k. Hoftheaters am Kärtner 
Thor einen ausgezeichneten Künstler, und Mann zu empfehlen, 
der bei gegenwärtigen ungewißen Theaterverhältnißen gerne 
eine sicherere Anstellung zu erhalten wünschte, die er auch 
in vollen Maße verdient; so wie ich überzeugt bin, daß ich 
mit meiner Empfehlung große Ehre einlegen, und Sie selbst, 
mein Freund, mir verbindlich, dafür seyn werden: — er ist 
in der Manier, wie der in Stuttgart gestorbene Schunke*. 

Wie elend es mit unser deutschen Oper unter der italienischen 
Direction hier steht, werden Sie wohl schon wissen — seit 
fast einem Jahre existiert nun gar keine deutsche Oper mehr 
im k. k. Hoftheater — die wenigen Sängerinnen als wie Son- 
tag 8 und Unger 4 werden auch in der Italienischen Opern 
verwendet, und die Sänger sind theils auf Reisen, theils anders- 
wo engagiert: — wie fatal das für einen Componisten ist, 
versteht sich von selber: — doch hoffen wir [zu] Gott, daß 
nun — nach dem gänzlichen Abgang des H. Barbaya 8 der d: 
20ten Merz seyn wird — sich doch wieder etwas Neues for- 
mieren wird! — 

Diese Verhältnisse waren auch Schuld, daß ich für ihre 
Oper, Jeßonda — von der ich aller Orten so viel Gutes und 
rühmliches höhrte — gar nichts thun konnte, weil die admini- 
stration des Theaters durchaus allen Ausgaben für deutsche 
Werke auszuweichen suchte, höchstens das annahm, zu was 
sie vermög Contracte gebunden war! — Sobald sich aber 
nun die Sachen wieder zum Beßem wenden, so soll es gewiß 
mein erstes seyn, mich durch Verwendung für Ihre Werke 
mich Ihres Vertrauens würdig zu machen — der ich mit aus- 
gezeichneter Hochachtung bin 

Ihr ergebenster Freund 

Conradin Kreutzer 

Wien den i5ten Jener 1825 Kapellmeister. 

Seiner 


Hochwohlgebohren 
dem Herrn Luis v. Spohr 
Hofkapelhneister 

in 

Heßen Caßel 

Was Kreutzer als junger Kapellmeister am Josephstädter 
Theater für die deutsche Oper zu tun beabsichtigte, erfahren 
wir aus folgendem^Schreiben : 


IV. 

Mein vereintester Freund und Collega! 

Aus öffentl. Blättern werden Sie ohne Zweifel vemohmen 
haben, daß nach Abgang des H. Theaterdirectors Stoegers 6 
mit seiner Opemgesellschaft nach Prag in dem hiesigen Joseph- 
städter Theater seit 3 Monathen keine Oper mehr statt fand. 

— Doch ist es mir gelungen in dieser kurzen Zeitfrist wieder 
eine Opemgesellschaft zusammen zu stellen, und zwar mit 
sehr günstigem Erfolg — obgleich solche meist aus Anfängern 
besteht, — unsere erste Oper war der Schwur von Auber 

— die vom Publicum recht günstig aufgenohmen wurde, 
obwohl solche nicht zu den vorzüglichsten Arbeiten d. H. 
Aubers gehört — binnen 14 Tagen haben wir Ludoisca von 
Herold — . Da ich nun von der neuen Unternehmung dieses 
Theaters — d. H: und Madam Hoch als Kapell und Opem- 


1 Lewi, Eduard Konstantin (1796 — 1846), war nach großen 
Konzertreisen seit 1822 erster Hornist der Wiener Hofoper 
und Lehrer am Konservatorium. 

* Schunke, Michael (1780 — 1821). 

8 Sontag, Henriette (1806 — 1854), später verehelichte Gräfin 
Rossi, die berühmte »Koloraturdiva. War 1820 — 1823 an 
der Wiener Oper engagiert. 

4 Ungher-Sabatier, Karoline (1803 — 1877), die mit Beet- 
hoven bekannte beriihmte Sängerin. 

8 Der italienische Impresario der Wiener Oper. 

8 Stöger, Johann August, recte Althaller, war bis 1834 Direktor 
des Josephstädter Theaters in Wien. Sein Regime zeichnete 
sich dadurch aus, daß er stets ;aufs'f eifrigste .bedacht war, 
alle neuen Erscheinungen dem Repertoire seines Theaters 
einzufügen. So führte er Meyerbeers „Robert“ auf, Kreutzers 
„Nachtlager“, an seiner Bühne feierte Raimunds „Verschwen- 
der“ seine sensationellen Triumphe. Der größte Teil seiner 
ausgezeichneten Künstlerschaft folgte ihm nach Prag, wo 
Stöger die Direktion des Ständischen Theaters übernahm 
und zuerst von 1834 — 1846 und dann von 1852 — 1858 führte. 
Die Prager Premiere der „Jessonda“ fand am 18. März 1834 
zum Vorteil der beliebten Sängerin Katharina Podhorsky 
statt. Diese sang die Amazili, wahrend sich die junge Jenny 
Lutzer (die nachmalige Baronin Dingelstedt) als Jessonda 
die höchsten Triumphe holte. 


70 



director mit unumschränkter Vollmacht angestellt bin — und 
H: Duport in dem Kärtner Thortheater für die deutsche 
Muse gar nichts thut — im Gegentheil solche auf alle mög- 
liche Weise zu unter drüken sucht — so will ich nach Kräften 
trachten, die Werke unserer deutschen Componisten auf 
diese Bühne zu verpflanzen. — 

Ich wende mich daher allererst an Sie mein Verehrtester 
mir die Erlaubniß schriftlich einzusenden, vermög der ich 
befugt wäre die Partitur und Buch der Oper Jeßonda von 
Prag zum Gebrauche für unser Theater kommen zu lassen. 
Hinsicht des Honorars bitte ich gefälligst um Ihre Be- 
stimmung, doch muß ich Sie zu gunsten der Direction bitten, 
solches für jetzt, da solche beym Beginn dieses neuen Unter- 
nehmens — und dem für alle Theater so erschreklich heißen 
Sommer — ganz an Geld erschöpft ist — so billig wie mög- 
lich zu stellen. — Ich würde solche im Laufe des Winters 
sicher in die Szene bringen. — unter heutigem dato habe 
ich auch an Kapell. Marschner 1 * * * * * * um den Templer geschrieben 

— doch wird da leider das Buch wegen der hiesigen Censur 
ganz geändert werden müßen! — Können Sie mir keine 
nähern Nachrichten über Lobes 8 Musik zu der Prinzessin 
in Grenade geben ? — wurde solche — außer in Weimar schon 
irgend auf einem andern Theater aufgeführt — und 'mit Bey- 

Von meinen Opern wird in künftigem wieder meine neueste, 

— das Nachtlager in Granada in die Szene gehen — da der 
beliebte Sänger Poeck 8 auf Gastrollen von Prag hieher kommt — 
wenn Sie einen braven Baßbariton haben, so darf ich Ihnen 
mit Zuversicht des Gelingens diese Oper für Ihr Theater 
empfehlen in Dresden hat solche ebenfalls durch H: Waechter 
allgemein gefallen. 

In Erwartung einer baldigen gefälligen Antwort bin ich 
mit aller Hochachtung und Freundschaft 
Ihr ganz ergebenster 

Conradin Kreutzer 
Kapell- und Opemdirector 
am k. k. priv: Theater in der Josephstadt. 
Wien am i9en Aug 1834 
Alservorstadt Hauptgaße No 149 

Seiner Wohlgebohren 
dem Herrn L. Spohr 
Hofkapellmeister 

in 

franco Gränze. Caßel 

Energisch betreibt Kreutzer, wieder Kapellmeister, am 
Kämtnertortheater, die Erwerbung der Spohrscnen „Jessonda“ 
für das Hoftheater. 

V. 

Mein theurster Freund und Collega! 

Es wird Ihnen wohl schon bekannt seyn, daß ich seith 
Ostern wieder am Kärtner Thor Theater unter den neuen 
Pächtern dieses Hoftheaters den H. Ballochino und Merelli 
als iter und bis jezt einziger Kapellmeister angestellt bin, 
und endlich wieder einmal in den langst ersehnten Wirkungs- 
kreis eingetretten bin. — 

Wir haben für die Monathe Aprill, May, Juny und July 
ausschließend nur ital: Opemvorstellungen mit einer ital: 
Gesellschaft die außer einer vortrefflichen Sängerin, Madam 
Tadolini, nichts ausgezeichnetes aufzuweisen hat — dahero 
der Beyfall sehr mäßig ist, und der Enthusiasmus für die 
Italienische Oper ziemlich abnimmt. — Erst mit Mitte August 
beginnen die deutschen Opern — und ich habe hiezu Ihr 
vortreffliches allgemein geschäztes Werk, Jeßonda, vor- 
geschlagen — und ersuche Sie deßhalb aus. Gründen, die ich 
Ihnen sogleich detailliren werde, die Güte zu haben, mir 
ohne allen Verzug, wo möglich mit umgehender Post zu schrei- 
ben, welch ein Honorar Sie von der Administration des Kärtner 
Thor Theaters verlangen — und zugleich auch die Versendung 
der Partitur an mich zu besorgen. — 

Soviel ich mich entsinne haben Sie für das Joseph- 
städter - Theater — auf meine Anfrage im verfloßenen 
Jahre 6 Louisd’or — verlangt — so können Sie jetzt für dieses 


1 Marschners „Templer und Jüdin“, 1829 in Leipzig kom- 
poniert. 

‘ Lobe, Johann Christian (179 7 — 1881), der bekannte Theo- 
retiker. Komponierte neben vielen anderen Sachen auch 

fünf Opern, darunter „Die Fürstin von Granada“. 

8 Mit Stöger war auch der Baritonist Joseph Poeck (1812 
bis 1869) aus Wien nach Prag gekommen. Hier erfreute sich 
sein imposanter, durch seltene Tonfülle ausgezeichneter 

Bariton einer ungeheuren Beliebtheit. Es war daher für Stöger 
ein schwerer Verlust, als Poeck am 14. Juli 1837 in Braun- 
schweig ein längeres Gastspiel mit dem Jäger in Kreutzers 

„Nachtlager von Granada" begann, einer Rolle, die der Kom- 
ponist eigens für Poecks Stimmlage geschrieben hatte. Der 
Enthusiasmus in Braunschweig war so groß, daß Poeck sofort 

auf Lebenszeit an diese Hofbühne verpflichtet wurde und 

Prag verließ. (Siehe Teuber, Geschichte des Prager Theaters III, 
S. 258 ff.) 


Theater wohl das doppelte oder 15 Louisd’or verlangen, was 

die Administration auch willig bezahlen wird. 

Zugleich muß ich Ihnen aber nun mittheilen daß ich gestern 
vernahm, daß der Baß Sänger Pöck aus Prag noch im Laufe 
dieses Monathes hieher kommen soll, um in dem Josephstädter 
Theater Gastrollen zu singen — und soll die Idee haben — 
die ganze Oper Jeßonda von Prag mitzubringen, und 
solche in diesem Theater zu seiner Gastvorstellung ebenfalls 
verwenden zu wollen — um nun dieses Ihnen sehr nachtheilige 
Unternehmen verhindern zu können — ersuche ich Sie mir 
sogleich eine Vollmacht zuzusenden — um gegen die 
Aufführung der Jeßonda in diesem Theater in ihrem Namen 
gerichtlich protestieren zu können — denn Sie begreifen 
wohl selbst, wenn jetzt diese Oper in dem Vorstadttheater 
zur Aufführung käme — so könnten wir solche im Hoftheater 
vor Jahr und Tag — oder vielleicht nie mehr zur Aufführung 
bringen. — 

Sie könnten vielleicht deßhalb auch an den Geschäfts- 
träger oder Gesandten ihres Hofes — hieher schreiben — 
daß ich mich im Nothfalle mit Ihm darüber ins Einvernehmen 
setzen könnte! — das Josephstädter Theater besitzt diese 
Oper nicht — hat solche niemals erkauft — also auch kein 
Recht solche zur Aufführung zu bringen — und 13 Louisd’or 
Honorar zu bezahlen ist solche in der Zeit gar nicht im Stande — 
und soviel müßten Sie nun doch wenigstens von ihm verlangen. 

In der Erwartung einer baldigen Antwort habe ich die Ehre 
mit aller Hochachtung mich zu nennen 

Ihren ergebensten Freund 
C. Kreutzer 

Hoftheater Kapellmeister 

Wien am löten May 1836 
Alsergasse No 149 

Seiner Wohlgeboren 
dem Herrn L. Spohr 
Hofkapellmeister 

franco Gränze in Caßel 

Auf der Rückseite eigenhändiger Vermerk Spohrs: 

15 Friedrichsd'or Honorar für Buch und Partitur. 

VI. 

Mein theurer Freund! 

Zu meinem Vergnügen habe ich Ihre werthe Zuschrieft 
sambt der Vollmacht gestern erhalten, die um so nothwendiger 
war, weil H. Poeck heute von Prag angekommen ist, und 
wirklich Partitur und Orchesterstimen von Jeßonda mit- 
gebracht hat, in der Absicht diese Oper zu seiner Benefice 
zu geben. — Ich habe Ihr Schreiben Freund Haßlinger 1 
mitgetheilt, der sich sogleich angeboten, die nöthigen maß- 
regln zu treffen, und die Aufführung in dem Josephstädter 
Theater zu verhindern. — 

Der Administration des kk. Kärtnerthor Theaters habe 
ich Ihre Proposition das Honorar von 15 Fr— d’ors betreffend, 
eröffnet — die Ihnen durch mich 100 fl. in Conv-Münze — also 
eine kleine Verringerung antragen läßt — jedoch bin ich 
überzeugt, daß wenn Sie geradezu auf den 15 Fr. festhalten 
wollen Sie solche ebenfalls erhalten werden. 

Ich bitte nur — die Versendung der Partitur und 
des Buches wo möglichst zu bescheunigen — da ich gerne 
im July schon die Proben beginnen möchte — um [= und] 
gleich nach Abgang der Ital: Oper im August damit ans Licht 
tretten könnte. — Das Honorar werde ich zur Zeit dem H. 
Haßlinger zu Händen stellen. — Nun habe ich in Bezug Ihres 
herrlichen Werkes fürWien — nur einen einzigen Wunsch — 
den ich gegen Sie auszusprechen wage — ohne Furcht, daß 
Sie mit mir darüber zürnen werden — und das betrifft — die 
Introduction des iten Acktes — könnte solche nicht auf eine 
fügliche Weise abgekürzt werden — vieleicht selbst 
in der Szene eine klone Aenderung vorgenohmen werden ? — 
ein Todenopfer zu Anfang einer Oper macht einen widrig 
traurigen Eindruck besonders wenn ein Todter auf der Bahre 
liegen soll — es ließe sich vieleicht etwas mildem und schneller 
über diese Trauer Function wegschreiten ? — auf mich selbst 
als ich diese Oper in Berlin das erstemal sah, hat diese Ein- 
leitung einen unangenehmen Eindruck gemacht und mich 
für den ganzen iten Ackt verstimmt! — Selbst im Verein 
mit einem Ballet will es mir nicht munden 1 — 

Denken Sie also, mein lieber Freund, über diese Sache nach, 
und geben Sie mir gefälligst Ihre Ansicht dar. — 

Ich hoffe, daß selbst bei dem verdorbenen Geschmack der 
Wiener — nach dem vielen Ital: den Magen verderbenden 
Zuckerln Ihre Composition sehr gefallen wird — das gesambt 
Personale mit sambt dem Kapellmeister werden sich alle 
Mühe geben, dessen können Sie im Vorhinein überzeugt seyn. — 
Die Administration wird die Oper sehr brillant, was Costumes 
und Decoration etc. betrifft, ausstatten. 


1 Haßlinger, Tobias (1787 — 1842), der namhafte Wiener 
Musikalienverleger, bei dem u. a. auch die große dreibändige 
Violinschule von Spohr erschienen . ist. Bekannt sind Haß- 
lingers freundschaftliche, in der Folge allerdings getrübte 
Beziehungen zu Beethoven. 


71 



Haben Sie die Gefälligkeit das Packet mit der Partitur 
und dem Buch an den H. ' Kunsthändler Haßlinger zu 
addresiren und zu versenden — und Ihn zur Erhebung des 
Honorars zu ermächtigen. — 

Vieleicht findet sich für künftigen Herbst auch Gelegenheit 
mein Nachtlager auf dem Großherzoglichen Theater in 
Caßel zur Aufführung zu bringen, wenn es sich thun läßt, so 
empfehle ich es Ihrer Freundschaft. 

Ich grüße Sie freundlichst 

Ihr mit all Achtung 
bereitwilligster Freund 

Kreutzer 

Wien am 3ien May 1836 

Seiner Wohlgeboren 
dem Herrn L: Spohr 
Hofkapellmeister 


in 


franco Gränze 


Caßel. 


Tonsetzer der Gegenwart. 

Vitezslav Noväk. 

I n Böhmen, dem „Konservatorium Europas“, wie einst 
Charles Burney treffend eines unserer musikalischesten 
Kronländer bezeichnet hat, tobt derzeit ein harter, 
erbitterter und ganz merkwürdiger Kulturkampf: man 
streitet darüber, wem von den beiden bisher bedeutendsten 
tschechischen Komponisten, Friedrich Smetana oder Anton 
Dvorak , der Vorrang zustehe, ob der geniale Autor der „Ver- 
kauften Braut“ und des gewaltigen symphonischen Zyklus 
„Ma Vlast“ („Mein Vaterland“) oder aber aer jüngere Dvofäk 
mit seinen Symphonien und Kammermusikwerken die Palme, 
als „erster“ tschechischer Komponist zu gelten, für sich 
beanspruchen kann. Während also diese Meinungsverschie- 
denheit. die weder nach der einen oder anderen Richtung 
hin bisher entschieden ist, die erhitzten Gemüter unseres 


engeren Vaterlandes beispiellos erregt, bereitet sich bereits 
ein zweiter, womöglich * noch mehr interessierender 
Kampf vor, der von den beiden anerkannt besten lebenden 
Komponisten Böhmens seinen Ausgang nimmt: Jos. 

B. Foerster oder V U&zslav Noväk. Es ist kein Zweifel, daß 
in nächster Zeit auch Deutschland, woselbst der 
erstere längere Zeit gelebt und gewirkt hat und letzterer 
voraussichtlich recht bald mit seinem bedeutendsten Werke, 
der Chorfantasie „Sturm“ zu Worte kommen wird (Leipzig), 
von diesen beiden vorzüglichen Meistern wird «Kenntnis 
nehmen müssen. Mögen nachstehende Zeilen, die'„VitSzslav 
Noväk gewidmet sind — eine Skizze über Jos. B. Foerster 
behalten wir uns vor — dazu beitragen, Interesse nicht nur 
für einen hervorragenden Musiker, sondern für eine der 
markantesten Künstlererscheinungen Jung- 
Oesterreichs überhaupt zu wecken. 

Tief im Böhmerlande und fern jeglichem musikalischen 
Weltgetriebe, wurde Vitäzslav Noväk am 5. Dezember 1870 
zu Kamenice a. d. Linde geboren. Seinen Gymnasialstudien 
oblag er 1881 — 1889 in der südböhmischen Stadt Neuhaus 
und liefert schon in dieser frühen Zeit die ersten Beweise 
seiner musikalischen Begabung. Zur Komposition wurde 
der trotzige, wildromantisch veranlagte Jüngling durch 
seinen Klavierlehrer angeeifert. Als Jurist bezieht Noväk 
die alte Prager Universität, verläßt jedoch bald die Juristen- 
fakultät, um durch philosophische Studien sein stets nach 
den höchsten geistigen Idealen gerichtetes Streben zu be- 
friedigen. Zuerst ist es Musikgeschichte, Aesthetik, Literatur 
und dann endlich das strengste Musikstudium: Klavierspiel 
bei dem hervorragenden Prager Pädagogen Prof. Joseph 
Jiranek, Komposition bei Karl Knittl und Karl Stecker. 
Von Stecker wurde Vit. Noväk an Anton Dvoräk empfohlen, 
dessen Lehrmethode und Einfluß es gelang, das oft in den 
wildesten Bahnen dahinstürmende Künstlertemperament des 
Jungen zu formen und zu veredeln. Nach Absolvierung 
seiner Lehrzeit blieb Noväk in Prag und schuf nun mit 
unglaublichem Fleiße Werk auf Werk. Vier Jahre nach 
Dvoräks Tode übernahm er auch die Leitung der Kom- 
positionsklasse am Prager Konservatorium und erwarb sich 
allmählich auch in pädagogischer Beziehung Ruf und Rulun. 
VitSzslav Noväk ist heute ein vollreifer Künstler. Seine 



»cnanenstaugKen isr aui einem recn- 
nischen, oft ans Unglaubliche grenzen- 
den Können wohl fundiert. All seine 
Werke, mag es sich nun um lyrische 
Produkte, symphonische Fantasien oder 
Kammermusik handeln, sind weniger 
der.: Ausdruck eines sinnigen, in sich 
gekehrten Gemütes, als vielmehr einer un- 
gestümen Lebensbejahung, einer mann- 
haften Niederzwingung jeder schwäch- 
lichen Aeußerung, und wenn sie auch 
nicht alle überzeugend wirken, so reißen 
sie doch fort durch unerhörten Schwung 
und bewunderungswürdige Kraft. So 
wie er örtlich seinem Heimatslande treu 
geblieben ist, hat er seiner auch künst- 
lerisch nicht vergessen — und gerade 
jene Werke wirken am elementarsten, 
die seinen nationalen Charakter in der 
einen oder anderen Weise widerspiegeln. 
Wenn wir im nachfolgenden nun den 
Versuch unternehmen, Noväks Schaffen 
etwas näher ins Auge zu fassen, müs- 
sen wir von vornherein jede auch nur 
annähernde Vollständigkeit ausschlies- 
sen. Zu dieser besteht aber auch im vor- 
liegenden Falle keine zwingende Not- 
wendigkeit: Noväk mag uns in dem 
einen oder anderen Werke reifer oder 
selbständiger erscheinen; seine Rich- 
tung hat er keineswegs geändert und 
ist sein künstlerischer Charakter in je- 
dem seiner erfindungsreichen Opera 
gleich prägnant ausgeprägt. 

Novi ks Klaviermusik ist Kraft, Geist 
Un< L^ th ™; s ; Eine Kraft, die sich 
an Machtentfaltung nicht genug sättigen 
kann und dem Instrumente oft Auf- 
gaben stellt, die auch bei großtmög- 
lichster Beherrschung der Technik nicht 
mehr zu losen sind. Und dies mag 
wohl auch der Grund sein, daß Noväk 
mehrere seiner Klavierwerke ' selbst für 
Orchester bearbeitete, wie z. B. seine 
„Slowakische Suite“ oder seine gewal- 
tige funfsatzige Tondichtung ,^?an“. 
zuerst wurde er in pianistischen Krei- 
sen durch seine „Sonata Eroika“ op. 27 
f moll bekannt, die in Ignaz Friedman 
bisher einen ausgezeichneten Interpreten 


72 


gefunden hat. Novdks Sonate ist echtes, kühnstes Helden- 
tum vom ersten bis zum letzten Takte, das sich an seiner 
eigenen Kühnheit berauscht und wie ein unbarmherziger 
Sturmwind mit sich reißt. Novdks „Pan“, eines seiner letzten 
Werke, hat durch den tschechischen Virtuosen SlSpan Eingang 
in den Konzertsaal erlangt. Ueber die letzte Aufführung 
dieser Tondichtung berichtet die Prager „Union“: „Man hat 
das Gefühl der musikalischen Offenbarung eines erleuchteten, 
von kühner Phantasie beschwungenen Geistes, der seine 
eigene Welt der Ideen und seine eigene Art des Sichäußems 
besitzt. Die Originalität des neuen Werkes Novdks besie- 
gelt seinen Wert und akzentuiert seine Wirkung.“ 

Auf dem Gebiete der Kammermusik hat sich Novdk noch 
nicht zu jener Popularität durchgerungen, die ihm als 
Orchester- und Chorkomponisten von dem Konzertpublikum 
nicht mehr versagt wird. Und doch sind seine Kammer- 
musik-Kompositionen Meisterwerke ihrer Art, auf die wir 
unsere höher strebenden Kammermusik- Vereinigungen nicht 
eindringlich genug verweisen können: ein Klaviertno op. i, 
ausgezeichnet mit einem Preis der Böhmischen Akademie, 
bestechend durch jugendliches Temperament und Unmittel- 
barkeit der Erfindung; das einsatzige „Trio quasi una 
ballata“ op. 27, das künstlerisch abgeklarte Bekenntnis eines 
in höchster Verzweiflung und zersetzender Selbstironie 
ringenden Menschen; ein Streichquartett op. 22 mit reicher 
Verarbeitung slovakischer Motive; ein Klavierquartett op. 7 
und ein Klavierquintett op. 12, deren polyphone Schreibart 
uns Novdk auf der vollen Höhe seiner Kunst zeigen. 

Die größten Erfolge hatte Novdk bisher mit seiner ge- 
waltigen Chorfantasie „Der Sturm“ (der Brünner „Beseda“ 
gewidmet) eingeheimst, die ihre Uraufführung am 4. April 
1910 in Brünn durch den Philharmonischen Verein erlebte 
und seither unter nicht endendem Jubel mehrmals bereits 
in Prag zur Aufführung kam. Vor nicht zu langer Zeit 
haben wir das grandiose ^Werk auch in Wien gehört, wo es 
durch den tschechischen Gesangverein „Lumir‘, durch das 
Wiener Tonkünstlerorchester und einige Solisten des Prager 
tschechischen Nationaltheaters aufgefiihrt wurde. Diesem 
für uns und viele andere unvergeßlichen Konzerte wohnte 
auch der Komponist Franz Schreker bei, der die Chorfantasie 
in nächster Zeit mit seinem „Philharmonischen Chore“ 
bringen wird. Für eine Leipziger Aufführung des „Sturmes“ 
bemüht sich in anerkennenswerter Weise Karl Straube 
— voraussichtlich mit dem von allen Freunden Novdks 

f e wünschten Erfolge. „Der Sturm“ ist eine geniale Ver- 
anung der Meeresfantasie des bedeutenden tschechischen 
Dichters Svatopluk Cech und für großes Orchester (nebst 
Klavier und Orgel!), Soli und gemischten Chor geschrieben. 
Merkwürdig, daß sich vorher schon der eingangs erwähnte 
Jos. B. Foerster an die Komposition dieses Stoffes gemacht, 
ihn jedoch später als seiner sensitiven Natur nicht mehr 
entsprechend fallen lassen hat. Eine eingehende Besprechung 
dieses in der Chorliteratur ganz vereinsamt stehenden Werkes 
ist wohl in diesem Rahmen nicht möglich. Diese hymnische 
Apostrophe der gewaltigen Naturphänomene, diese monu- 
mentale Apotheose der 'Unergründlichen Tiefe des Meeres 
und der Liebe verträgt nicht einige wenige, nur die Ober- 
fläche berührende Zeilen. Wir verweisen daher auf die 
geistvolle Novdk-Studie des tschechischen Musikschrift- 
stellers Dr. Jan Löwenbach und eine etwas gedrängtere 
Darstellung, die wir selbst in der „Musikpädagogischen Zeit- 
schrift“ (2. Jahrgang, Heft 3, S. 33/34) gegeben haben. 

Von rein orchestralen Werken wollen wir schließlich 
Novdks symphonische Dichtungen „In der Tatra“ op. 26 
(vom Wiener Tonkünstlerorchester mit großem Erfolge in 
vergangener Saison aufgeführt), „Von ewiger Sehnsucht“ 
op. 33 und „Toman und die Waldfee“ op. 40 wenigstens 
dem Namen nach anführen. 

Dr. Jur. et phil. (tnus.) H. R. Fleischmann (Wien). 


Der Verband Deutscher Musikkritiker. 

A u f den Artikel in Heft 1 sind folgende Zeilen von Herrn 
yLJL Dr. Richard H. Stein mit der Bitte um Veröffentlichung 
A JL eingetroffen: 

Herr Paul Bekker sagt in seinen Ausführungen über den 
„Verband Deutscher Musikkritiker “ („N. M.-Z.“, 35. Jahrgang, 
Heft 1), es seien bisher „sachliche Einwände, die ohne 
Entstellungsversuche arbeiten“, gegen den Ver- 
band „nicht laut geworden“. Er beschuldigt damit alle die- 
jenigen, die sich bisher gegen die Art der Gründung, gegen 
Mängel der Statuten und der ganzen Organisation, gegen 
gewisse Tendenzen des Verbandes usw. ausgesprochen haben, 
der Unsachlichkeit, ja der absichtlichenFälschung. 

Demgegenüber möchte ich nur bemerken, daß von „ nur 
(wie auch von Anderen) eine ganze Reihe sehr erheb- 
licher Einwände aus gewichtigen Gründen, und zwar 


sine ira et studio, geäußert worden ist. Beweis: „Die Musik“- 
12. Jahrgang, Heft 19, S. 17 ff. und Heft 22, S. 230 ff. Da 
der Vorsitzende ides ^ Verbandes, Herr Dr. Heuß, bei dem 
(nicht sine ira, aber sine studio unternommenen) Versuch 
einer Widerlegung meiner Ausführungen einige dieser Ein- 
wände als berechtigt hat anerkennen müssen („Die Musik“, 
12. Jahrgang, Heft 22, S. 226 ff., vergl. auch Heft 17, S. 316 ff.), 
und da Herrn Bekker diese Tatsache bekannt war, so muß 
man schon deshalb leider feststellen, daß ein Vorstandsmitglied 
gegen einen der wesentlichsten Grundsätze seines eigenen 
Verbandes verstoßen hat. Gewiß steht es Herrn Bekker frei, 
all das, was gegen den Verband geschrieben worden ist, jetzt 
und immerdar für unrichtig zu erklären. Sobald er aber von 
„Entstellungsversuchen“ redet, überschreitet er die Grenzen 
berechtigter Antikritik und verdächtigt die Motive der Gegner, 
statt ihre Einwendungen mit Gründen zu bekämpfen. Auf 
diesem Wege kann und mag ich ihm nicht folgen. Wo kämen 
wir hin, wenn auch ich nunmehr das, was die Gründer' über 
ihre Absichten und Ziele publiziert haben, als „Entstellungs- 
versuche“ bezeichnen würde? Im übrigen: 

„Der Worte sind genug gewechselt. 

Laßt mich auch endlich Taten sehn.“ 

Bisher ist es dem Verbände weder gelungen, die Mehrzahl der 
Besten zu gewinnen, noch irgendeinen der Schlechtesten un- 
schädlich zu machen. Sobald er etwas leistet, werde ich mich 
gern aus einem Saulus in einen Paulus verwandeln. 

Dr. Richard H. Stein (Berlin). 

* • 

* 

Darauf antwortet Herr Paul Bekker: 

Es ist mir nicht bekannt, daß irgendwer irgendwann irgendwo 
den Wunsch ausgesprochen hätte, Herrn Dr. Stein aus einem 
Saulus in einen Paulus verwandelt zu sehen. Vielmehr scheint 
mir, Herr Dr. Stein nimm t, sich und die Frage nach der Art 
seiner Stellungnahme dem Verband gegenüber für viel ernst- 
hafter und bedrohlich wichtiger, als es die Bedeutung seiner 
Persönlichkeit und seiner Angriffe nötig macht. Er verkennt 
daher auch die Natur der Gründe, die mich veranlaßten, 
über seine Kritik des Verbandes mit rücksichtsvoll schonender 
Milde zur Tagesordnung überzugehen. Ich nahm an, er 
würde mir dafür dankbar sein. Dachte ich doch, es müßte 
Herrn Dr. Stein genügen, daß im zweiten Septemberheft der 
„Musik“ (dieses Heft vergißt er zu zitieren, der Hinweis sei 
daher von mir hiermit nachgetragen) unter genauer Darlegung 
des Sachverhalts seine Kritik der V erbandsbestrebungen vom 
Vorstand sehr nachdrücklich als „irreführend“ 
zurückgewiesen worden ist. Nach der stillschweigenden 
Entgegennahme dieser Erklärung durch Harn Dr. Stein lag 
für mich um so weniger Veranlassung vor, seinen Auslassungen 
sachliche Bedeutung beizumessen, als ich persönlich bereits 
in einem früheren Fall die Erfahrung gemacht hatte, daß 
Herr Dr. Stein in seiner Eigenschaft als Referent öffentlich 
Behauptungen auszusprechen wagt, für deren Richtigkeit er 
nicht die Spur eines Beweises zu erbringen vermag, die viel- 
mehr mit dem wahrheitsgemäßen Sachverhalt in denkbar 
schärfstem Widerspruch stehen. 

Ich stelle es Herrn Dr. Stein anheim, von mir öffentlich 
den Beweis dafür zu fordern. Bis dahin entfällt für mich 
jede Veranlassung, mich mit seinen publizistischen Kund- 
gebungen zu beschäftigen. Gewiß sind — ausdrücklich kon- 
statiere ich: n i c h t auf Veranlassung der Verbandsmitglieder — 
Worte genug gewechselt. Immerhin hat dieser Wortwechsel 
manches Gute zur Folge gehabt. So kann z. B. über die 
Stellung des Verbandes zu Musikschriftstellern von der oben 

f ekennzeichneten Art des Herrn Dr. Stein kein Zweifel mehr 
errschen. Und dieses Ergebnis möchte ich, nicht der Per- 
sönlichkeit des Herrn Dr. Stein, wohl aber der durch sie be- 
wirkten grundsätzlichen Scheidung der Geister wegen, fast 
schon als eine Tat, und zwar als eine recht erfreuliche, be- 
werten. Vivant sequentes. Paul Bekker (Frankfurt). 


Kongreß für Aesthetik und allgemeine 
Kunstwissenschaft (Berlin). 

W enn sonst Kongresse von wissenschaftlichen Erörte- 
rungen nicht gerade erdrückt werden, vielmehr das 
Gesellige und Persönliche im Vordergrund steht, so 
war es diesmal anders. Der Teilnehmer, der das Programm 
mit seinen nahezu 50 Vorträgen (die sich in Sektionen im 
Verlaufe von drei Tagen hintereinander und nebeneinander 
drängten) überflog, mußte gewiß die Stirne runzeln. Immer- 
hin handelte es sich bei diesem Kongreß ja im wesentlichen 
darum, zunächst einmal die Mitarbeiter einer in zahlreiche 
Einzelwissenschaften zersplitterten Disziplin zu vereinigen. 
Und so mochte von diesem Gesichtspunkte aus der Kongreß 


73 


entschieden begrüßt werden. Ob auch seine Resultate in 
diesem Sinne waren, wird dem freilich zweifelhaft, der mit- 
ansah, wie viel — trotz allem ehrlichem Bemühen zur Ge- 
meinsamkeit — noch aneinander vorbeigeredet wurde. Schließ- 
lich aber ist es klar, daß bei einer solchen Fülle von Ver- 
anstaltungen, wie sie hier vorlag, ein einheitlicher Eindruck 
nicht, zu erlangen war, waren doch alle möglichen Spielarten 
wissenschaftlicher — und unwissenschaftlicher Erörterungen 
vertreten ! 

Die musikalische Sektion hatte den Vorzug, von den 
eigentlichen ästhetischen Grunderörterungen verschont zu 
bleiben. Eine Menge interessanter Fragen wurden hier auf- 

f erollt, die gerade dadurch, daß sie mehr den Rand und die 
Jmgebung des Aesthetischen betrafen, zu wertvoller, wenn 
auch schlichter Arbeit führten. Im Mittelpunkt der Referate 
standen Demonstrationen von Geheimrat Sievers über „Klang- 
liche Konstanten in Rede und Musik“. Allgemein erwartete 
man den Vortrag mit gros- 
ser Spannung. Waren doch 
dem bekannten Gelehrten 
drei volle Vormittagsstun 
den eingeräumt worden, 
ein Zeitraum, der sonst 
keinem Vortragenden zur 
Verfügung stand! Sievers 
schickte voraus, daß er 
sich als „musikalisch un- 
zurechnungsfähig“ fühle 
und betonte, daß die fol- 
genden Versuche in keiner 
Korrelation zum eigentlich 
Musikalischen stehen soll- 
ten, vielmehr nur äußere 
Klang werte beträfen. Wie 
Sievers gefunden zu haben 
glaubt, ist jedes Klang- 
werk, ob Rede oder Musik, 
an bestimmte klangliche 
Konstanten gebunden, die 
z. B. bei der Reproduk- 
tion eines Klang Werkes — 
meist unbewußt natürlich 
— in Erscheinung treten. 

Für die rein sprachlichen 
Erscheinungen lautet die 
Formulierung, zu der Sie- 
vers zunächst gelangte, 
folgendermaßen: „Alle ge- 
sprochene Rede, Poesie 
und Prosa, weist be- 
stimmte melodische Kon- 
stanten auf, die ohne 
Schädigung des Gesamt- 
charakters des Stückes 
nicht gestört werden kön- 
nen.“ Nun aber weisen 
zahlreiche Texte derartige 
Störungen auf. Wenn man 
sie vortragen hört, so spürt 
man gewisse U n s ti m m i g- 
keiten,*sei es, .daß man 
die Sprachmelodie als zu 
hoch, als zu tief, als schlep- 
pend u. a. m. empfindet. 

Hier, so schließt Sievers, liegt stets eine Aende- 
rung des ursprünglichen Wortlautes zu- 
grunde. Das Experiment, zu dem eine beliebige Versuchs- 
person aus dem Kreise der Zuhörer genommen wurde, knüpfte 
er an ein Gedicht von Goethe. Soweit der mehr philologische 
Teil der Sieversschen Ausführungen! Der Vortragende ging 
nunmehr zu dem mehr musikalischen Teil seines Referates 
über, wobei er sich auf die vielberufenen Untersuchungen 
der Münchner Familie Rutz stützte. In dem Problem der 
Klanggebung habe die „Rutzsche Typenlehre“ den Bann für 
weitere wissenschaftliche Untersuchungen gebrochen, Wenn 
auch ihre Theorien noch nicht spruchreif seien, so seien doch 
die Tatsachen außerordentlich. Als Hauptgrundlage stellte 
Sievers die Beobachtung auf: Jedem Satz kommt eine spezi- 
fische Klanggebung zu. Diese Klanggebung hinwider ist von 
einer bestimmten Muskelnebenarbeit (besonders in der Bauch- 
partie) begleitet. Und zwar liege nicht nur der Schalltätig- 
keit, sondern jeder anderen Tätigkeit eine solche spezifische 
Rumpfmuskeleinstellung zugrunde. Beispielsweise also passe 
zu einem bestimmten Komponisten auch nur ein nach- 
schaffender Künstler von gleichem Typus. Jener sei also ein 
Mozart-, dieser ein Schubert-Spieler. Eine solche Ent- 
sprechung könne nun gestört werden, wenn die Muskel- 
emstellung gestört würde, was sich durch bestimmte Gesten, 
sogar nur durch die gesehene, erreichen ließe. Ja schließlich 
genügten auch bestimmte schematische Formen. So wurden 
denn einige Versuchspersonen aufgefordert, ein Schubertsches 


Stück wiederzugeben, und zwar legte ihnen Sievers bestimmte 
Drahtformen vor, die teils dem Sehubertschen, Brahnis- 
schen usw. Typus entsprechen sollten. Durch starke Hingabe 
ah diese Formen sollte der Spieler es erreichen, je nachdem 
einem vorgelegten Sehubertschen Stücke den Sehubertschen, 
eventuell auch einen nichtentsprechenden, sagen wir den 
Brahmsschen Typus aufzuprägen. Hier sollte zunächst das 
Auditorium feststellen, daß tatsächlich ein Unterschied 
zwischen solch verschieden beeinflußten Spielweisen vorliege 
und weiterhin, daß Unstimmigkeiten (in der Klang- 
farbe, der Freiheit der Stimmführung usw.) sich heraushören 
ließen, wo eine nicht dem Charakter des Kom- 
ponisten entsprechende Spielweise ge- 
wählt würde. Infolge der zahllosen Fehlerquellen, die 
bei diesen Versuchen unbeobachtet gelassen wurden, infolge 
einer ganz ungeordneten Abstimmung, schließlich auch infolge 
einer gewissen Suggestion, die der berühmte Gelehrte auf 



Zuhörerschaft aus- 
gingen die Demon- 


FRläDERIC 

Nach Ary Scheffer gemalt von Sattler. 


seine 
übte, 

strationeiT unter starken 
Widersprüchen und Be- 
denken zu Ende. 

Dies veranlaßte am fol- 
genden Tage Guttmann, der 
eigentlich seinem Vor trage 
das Thema „Kunst und 
Wissenschaft im Gesang“ 
zugrunde gelegt hatte, bei 
dieser Gelegenheit seine 
Bedenken gegen die Rutz- 
schen Untersuchungen zu- 
sammenzufassen. Unter 
seinen Einwänden hob 
Guttmann u. a. hervor, 
daß Goethe, der nach den 
Rutzschen Feststellungen 
im Typus mit Schubert 
übereinstimme, dessen Ver- 
tonungen ablehnte, wohl 
aber Zelters und Reichards 
Vertonungen seiner Lieder 
(die nicht dem Goetheschen 
Typus entsprechen) beson- 
ders liebte. Interessant 
waren Guttmanns Erklä- 
rungsversuche, warum ein 
System, das so viel Fehler- 
quellen unbeachtet lasse, 
noch eine derartige Revo- 
lutionierung habe hervor- 
rufen können. Er setze 
dies auf Rechnung einer 
mangelnden naturwissen- 
schaftlichen Schulung von 
Rutz. Auch daß der so 
geschätzte und bedeutende 
Gelehrte Sievers sich als 
unmusikalisch bezeichnete, 
gebe eine gewisse Erklä- 
rung für den Fall. Schließ- 
lich winden auch noch in 
der Diskussion zahlreiche 
Bedenken laut gegen die 
Art der Rutzschen Pro- 
paganda, die zahlreiche Persönlichkeiten als „Freunde der 
Sache“ ausgebe, die es kaum oder nur teilweise seien. 


CHOPIN. 

Aus Breitkopf & Härtels Musikbuch, 


Es ist eigentlich zu bedauern, daß diese noch so ungeklärten 
Versuche im Mittelpunkt des Interesses standen. Zwar un- 
bemerkt aber um so wertvoller war dafür manche Arbeit, 
die auf diese Weise in den Hintergrund gedrängt wurde. Zu- 
nächst erwähnt seien die Ausführungen von Paul Moos der 
durch seine Vorarbeiten verdient, sieh der undankbaren’ Auf- 
gabe eines zusammenfassenden Berichtes „Ueber den gegen- 
wärtigen Stand der Musikästhetik“ in gediegenster Weise 
entledigte. Das Referat entließ den Hörer mit dem Gefühl 
daß es vergebene Liebesmühe sein würde, all die Richtungen 
verwerten zu wollen, die den augenblicklichen Bestand unserer 
musikästheüschen Meinungen ausmachcn. Die Ausführungen, 
von Moos waren ziemlich die einzigen, die, wenn auch nur in 
entsagungsvoller objektiver Weise, sich mit allgemeineren 
ästhetischen Erörterungen abgaben. Und es war ^zeichnend 
für den Charakter des Kongresses und die Art der hier ver- 
handelten Themen daß em weiteres, allgemein ästhetisches 
Referat, das von Dr. H. Wetzel angekündigte Thema: „Er- 
gebmsse der neuesten Musiktheorie für die Aesthetik“ gleich 
einigen andern Vorträgen in andern Abteilungen, zugunsten 
emes mehr kunstwissenschaftlichen Sonderproblemes be- 
Setzei bot statt dessen Beiträge zum „Dur- 
Moll- Problem . Er kam, nachdem er auf die Gegensätze 
Riemann-Oettingen einerseits und Helmholtz andererseits 
hingewiesen hatte, im wesentlichen zu dem Ergebnis, den 


74 


Dur -Moll-Gegensatz aus dem Bedürfnis nach Schaffung ton- 
räumlicher Kontraste zu erklären. Bemerkenswert war es, 
daß der Vortragende die Kontrastwerte der Dominant- und 
Subdominanteebilde dem Dur-Moll-Gegensatz als Parallele an 
die Seite steilen zu müssen glaubte. 

Von bedeutsamen Einzelleistungen seien noch hervor- 
gehoben Ohmanns Beiträge zur Frage von „Melodie und 
Akzent“, experimental-psychologische Untersuchungen, die 
in der Richtung des Psychologen Stumpf gehalten waren, 
sodann die launigen Vorführungen von Alfred Heuß über 
den „Geistigen Zusammenhang von Text und Musik im 
Strophenlied“, die u. a. das Resultat zutage förderten, daß 
zwischen Text und Melodie bisweilen köstliche Unstimmig- 
keiten herrschen, daß z. B. die Melodie keineswegs immer 
entsprechend der ersten Strophe komponiert worden sei. 
Weitere Themen, die auf der Tagesordnung standen, waren: 
„Witz und Humor in der Musik“ ( Peukert ), „Zur Grundlegung 
der musikalischen Hermeneutik“ (Schering). 

Die Frage nach den Anfängen der einzelnen Künste stand 
in mehreren Abteilungen zur Verhandlung. Hier wurde in 
der musikalischen Abteilung vielleicht der wertvollste Beitrag 
geliefert. Es waren dies die Untersuchungen von CA. S. Myers, 
des Leiters des Institutes für Experimentelle Psychologie zu 
Cambridge. Myers, ein „Mann des Lebens, nicht nur der 
Feder“, wie der Psychologe Stumpf nachher in der Diskussion 
bemerkte, stützte seine Ausführungen auf eigenhändige Phono- 
grammaufnahmen, die er auf Forschungsreisen auf Borneo, 
Ceylon und den Murrayinseln gemacht hatte. Als eines der 
wesentlichsten Erkenntnisse ergab sich, daß höchstwahrschein- 
lich Abs.tiege in ganzen Tönen das ursprüng- 
liche Material. der primitiven. Musik ge- 
bildet haben. So bei der Musik der Mahlzeremonien auf den 
Murrayinseln, bei denen überdies auch das Gedächtnis der 
absoluten Tonhöhe der Anfangsnote eine wichtige Rolle spielt. 
Zur Frage des Rhythmus entschied sich der Wirtragende so, 
daß er diesen nicht als wesentliches Charakteristikum primi- 
tiver Musik ansah. Nur die Musik der Weddas auf Ceylon 
zeigt scharf markierte Rhythmen. Bei diesen letzten „Liedern“ 
ist noch ganz besonders auffallend, daß ihr Umfang aus kaum 
mehr als zwei bis drei Tönen besteht. Auch kennt die Wedda- 
musik keine konsonanten Intervalle, vielmehr sind ausschließ- 
lich kleine Tondistanzen gebräuchlich. Die Musik des dritten 
Stammes endlich, den Myers untersucht hatte, fußt auf dem 
Prinzip des Abstieges in Quarten und enthält vorwiegend die 
merkwürdige Kadenz C B G. Hinsichtlich des Textes war 
Myers aufgefallen,' daß er bisweilen ganz archaisch und selbst 
den Eingeborenen fast unverständlich war. Höchst inter- 
essant war auch die Beobachtung, daß er auf keinem seiner 
Forschungsgebiete ein eigentliches Liebeslied angetroffen habe. 
Zu der These, daß Abstiege in ganzen Tönen ein wichtiger 
Ausgangspunkt für alle Musik waren, gab Moser in der darauf 
folgenden Diskussion die Anregung, daß vielleicht hier die 
Erklärung in einer gewissen Spannungsauslösung, die vom 


höchsten Tone decrescendierend nach abwärts führt, zu 
suchen sei. 

Als ein Verlust für die musikalische Abteilung wurde es em- 
pfunden, daß Hugo Riemann seinen Vortrag über „Werdendes 
und Gewordenes beim Musikhören“ abgesagt hatte. 

Arne Schmidkunz. 


Vom zweiten kleinen Bach-Fest. 

Von Prof. OTTO URBACH (Dresden). 

E in echtes und rechtes Fest ist es gewesen, dieses zweite 
kleine Bach- Fest! Aus allen Gauen deutscher Zunge 
war die Bach- Gemeinde herbeigeeilt, stark war der 
Norden und Osten vertreten, man traf österreichische und 
Schweizer Freunde, ja solche aus London und Petersburg, 
und die eigentümliche Familienähnlichkeit der Musiker, 
insbesondere der Kantoren und Organisten, brachte schnell 
das den Bach-Festen eigene trauliche Gefühl des Zuhause- 
seins mit sich. Und der heilige Boden, auf dem man wan- 
delte, war vom leuchtenden Golde des Herbstes geschmückt 
— vom tiefblauen Himmel strahlte die klare Herbstsonne 
über der Geburtsstadt Johann Sebastian Bachs, über 
Eisenach. 

Der Gedanke Hermann Kretzschmars, neben den „großen“ 
Bach-Festen auch „kleine“ zu veranstalten, hat sich wieder 
als überaus fruchtbar erwiesen: man hörte weder die hohe 
Messe noch eine der Passionen, aber man hörte den Bach 
der kleineren Formen, der uns so unendlich viel zu sagen 
hat, ja der wohl immer mehr der Ausgangspunkt neuer Wege 
in der Musik werden wird; man hörte, den Worten Kretzsch- 
mars entsprechend, „unbekanntere und selten gehörte Werke 
des Meisters“ und wurde „bekannt gemacht nut dem Boden, 
auf dem seine Kunst erwuchs“ ; man hörte in einem Kirchen- 
konzert, einer „kleinen“ (ohne Orchester) und einer „großen“ 
(mit Orchester) Kammermusik, von insgesamt 7 y. Stunden 
Dauer, eine berauschende Fülle edelster, wohlklingendster 
und formvollendeter Musik; man schwelgte im Klange 
herrlichen Einzelgesanges (Eva Leßmann und Rudolf Lauben- 
thal, daneben Paula Werner- Jensen und Hermann Weißen- 
born ) und Chorgesanges (der Madrigalchor des Akademischen 
Instituts für Kirchenmusik in Berlin unter Leitung von 
Karl Thiel und der Duisburger a capella-Chor unter Leitung 
von Walter Josephson), lauschte ergriffen dem sinnlichen 
Zauber von emer bis vier Soloviolinen (Karl Klingler, Reitz, 
Artur Brandenburg, Kurt Hering, Joseph Rywkina), weitere 
Kreise hörten zum ersten Male die dem phantastisch er- 
regten Sinn wie klanggewordenes _ Goldbrokat erscheinende 
Viola d’amore (Niel Vogel) und die schon bekanntere Viola 
da gamba ( Christian Döbereiner und 
Eugen Albini)', Viola, Violoncello, 
Kontrabaß und Flöte waren solistisch 
vertreten durch Bernhard Unken- 
stein, F. Heintzsch, Max Kießling, 
Albert Wolschhe und Maximilian 
Schwedler, bekanntlich Zierden des 
Gewandhausorchesters, das auch in 
seiner bekannten strahlenden Klang- 
schönheit im Kirchenkonzert und der 

f roßen Kammermusik in Wirksam- 
eit trat. Von Meisterhand wurde die 
Orgel gespielt ( Bernhard Irrgang und 
Camillo Schumann ), am Klaviere 
saßen (zuletzt auch gleichzeitig!) 
Wanda Landowska, Georg und Camillo 
Schumann, C. A. Martienßen und 
Max Seiffert und das Cembalo war 
seiner bewährten Beherrscherin 
Wanda Landowska anvertraut. Herr 
und Meister dieser erlesenen Künst- 
lerschar war Hermann Kretzschmar, 
dem wohl auch die so anziehende 
Zusammenstellung des Programmes 
zu danken ist. Niemand hat wohl 
mehr beklagt, daß die Vorbereitung 
in so kurzer Zeit erfolgen mußte 
und daß durch die geringe Anzahl 
der Proben manche Aufführung mehr 
einer Probe glich; rhythmische Un- 
ruhe und Derbheit war leider an der 
Tagesordnung und meistens erklangen 
gerade nur die Noten — aber gerade 
dadurch wurde auch wieder so recht 
klar, wie groß Bach "in unsere Zeit 
hineinragt, wenn man erkannte, wie 
er aus der poetischen Stimmung her- 
aus geschaffen hat und wie manch- 



Handschxiften berühmter Musiker: Chopin, Lento. 

Nach der Handschrift Chopins in getreuer Nachbildung ln: Maria, ein Lfcbesidyll In TSnen. 
Chopin an Maria Wodzinslca. Aus Breitkopf & Härtels Musikbuch. 


75 



mal selbst die genaue Wiedergabe des begleitenden Stimmen- 
gewebes ungenügend erscheint, wenn sie rein musikalisch 
erfolgt. Solche kritischen Erwägungen vermochten an- 
gesichts der überwältigenden Fülle des Gebotenen die Fest- 
stimmung natürlich nicht zu stören, im Gegenteil, auf allen 
Gesichtern herrschte gerechterweise Begeisterung' und Ge- 
nugtuung und gar mancher kritische Kopf-, dessen Feder 
so scharf ist, daß „wo er hinschreibt, kein Gras mehr wächst“, 
bewunderte unverhohlen den Willen zur Tat und gab sich 
den mächtigen Eindrücken dieser Bachschen Musik hin, 
dieser Musik, die so gar nicht auf Wirkung ausgeht, aber 
ihre Wirkung in sich trägt, dieser Musik, in der so treu und 
lauter das deutsche Gemüt zu uns spricht, alle Sehnsucht, 
alle Schwermut imd alles Glück unserer Jugend. 

Das Kirchenkonzert fand in der St. Georgenkirche statt, 
jener ehrwürdigen Stätte, an der ein Pachelbel und der große 
Oheim Johann Sebastians, Johann Christoph Bach, gewirkt 
haben (1665 — 1703). Bernhard Irrgang aus Berlin führte 
die leider unter vollständiger Ausmerzung aller alten Stimmen 
neuerbaute Orgel mit dem prachtvollen e moll-Präludium 
und der in Organistenkreisen ihres in Sprüngen auf- und 
absteigenden Themas wegen scherzhafterweise „Staketen- 
fuge“ genannten Fuge vor und führte im weiteren Verlaufe 
noch die wohlbekannte Passacaglia in c moll auf, die ihm 
reiche Gelegenheit gab, seine Meisterschaft im Orgelspiel 
und auch in der Orgelspielerei zu zeigen. Von den beiden 
Bachschen Kirchenkantaten „Selig ist der Mann“ und 
„Widerstehe doch der Sünde“ ist die letztere eines von den 
Werken, in denen man zum Augenblicke sagen möchte: 
Verweile doch, du bist so schön! so ganz in Wohllaut ge- 
taucht erscheinen die symphonischen Zwischenspiele des 
Orchesters, ja in Tonart, Melodie und Harmonie gemahnen 
sie unmittelbar an den süßen Zauber des langsamen Satzes 
der Mozartschen Es dur-Symphonie. Die Bachsche Cha- 
rakteristik geht hier bis zum Klang der Vokale. Daß er 
sie nicht erfunden hat, bewies die ebenfalls sprechende 
prachtvolle Charakteristik in der fünfstimmigen unbeglei- 
teteti Motette Joh. Christoph Bachs (1642 — 1703), des oben- 
erwähnten Eisenacher Hoforganisten, „Der Gerechte, ob er 
gleich stirbt“, von den Duisburgern ungleich besser vor- 
getragen als der gleichfalls unbegleitete fünfstimmige Chor 
des Jacobus Gallus (Jakob Handl — 155° — 1591), „Mi- 
rabile mysterium", dessen sehr erhebliche Intonations- 
schwierigkeiten leider zu bedenklichen Intonationsschwan- 
kungen führten. — Daß Albert Schweitzer, der verdienst- 
volle Bach-Forscher, aus der Partitur der in Wohlklang 
dahinrauschenden Kantate „Widerstehe doch der Sünde“ 
das „Grauen des Sündenfluchs“ und „Harmonische Härten 
ohne Zahl“ herausgelesen hat (siehe sein Werk über Bach) 
sei zur Erheiterung hier verraten. — Von Johann Sebastian 
kamen noch zu Gehör: Präludium und Fuge aus der Sonate 


des weiland kursächsischen Hofkapellmeisters Heinrich 
Schütz (1585 — 1672) mit Eva Leßmanns glänzendem und 
ausdrucksvollem Sopran als Jesus; die rührend schöne und 
edle Tonsprache entzückte auch diejenigen, die nicht wußten, 
daß die Zeitgenossen in Schütz eins der drei großen S ver- 
ehrten (die beiden anderen Schein und Scheidt). 

Die beiden Kammermusiken fanden in den prunkvollen 
Räumen des „Fürstenhofs“ statt ; die kleine, 1 1 Uhr vor- 
mittags, brachte nach der Es dur-Sonate für Flöte und 
Klavier Bachs, von zwei so vortrefflichen Künstlern wie 
Max Schweiler und Georg Schumann, wie es sich von selbst 
versteht, hervorragend gut, übrigens in F, aufgeführt, „drei 
mehrstimmige Gesänge“ des großen Vorgängers Bachs im 
Thomaskantorate, Johann Hermann Schein (1586 — 1630), 
das achtstimmige „Ich will nun fröhlich singen“ aus dem 
„Venuskränzlein“, das fünfstimmige bekannte „Wenn Filii 
ihre Diebesstrahl“ aus „Diletti pastorali“ mit seinen humor- 
vollen Gegensätzen und das- köstliche Trinklied „Holla, 
gut G’sell“ (fünfstimmig) aus „Studentenschmaus“, in 
prachtvoller Frische und Reinheit vom Madrigalchor des 
Akademischen Instituts für Kirchenmusik in Berlin unter 
Leitung von Prof. Karl Thiel gesungen. Derselbe bestens 
bekannte Chor machte sich verdient um die Madrigale 
Hans Deo Häßlers (1564 — 1612), des Vorgängers Schützens 
als kursächsischer Hofkapellmeister,* dessen unvergängliche 
Melodien allen Deutschen in unseren schönsten Chorälen 
ans Herz gewachsen sind, Die drei mehrstimmigen Gesänge: 
„Das Herz tut mir aufspringen“ (vierstimmig), „Feinslieb, 
du hast mich g’fangen“ (vierstimmig) und „Ihr Musici, 
frisch auf“ (sechsstimmig) erregten denn auch trotz der 
Fremdartigkeit ihrer harmonischen und rhythmischen Grund- 
lage stürmischen Beifall. Der Gesang war noch vertreten 
in „Vier Duetten mit Klavierbegleitung“ des Neffen Heinrich 
Schützens, Heinrich Albert (1604 — 1651), bei deren Aus- 
führung außer den bereits genannten Eva Deßmann und 
Hermann Weißenborn der ausgezeichnete Tenor Rudolf 
Daubenthal aus Berlin mitwirkte. Von den Duetten er- 
schienen die beiden ersten „Gespräch einer Jungfrau mit 
einem verdorrten Rosenstock“ und „Keine Nacht, kein Tag 
vergehet“, wohl etwas hausbacken, fesselten aber die beiden 
anderen „Jetzund heben Wald und Feld“ und namentlich 
das kanonisch gehaltene, durch frische Rhythmen und gut- 

f elaunten Taktwechsel sich hervorhebende „Wer fragt 
arnach“ um so mehr. — Die Instrumentalmusik war ver- 
treten durch die bedeutende ernste Sonate in D dur für 
Violine, Viola da Gämba und Basso Continuo von Dietrich 
Buxtehude (1637 — 1707), dem großen Lehrmeister Johann 
Sebastians im Orgelspiel, dessenwegen der junge Thüringer 
von Arnstadt nach Lübeck gepilgert war und seinen Urlaub 
ungebührlich überschritten hatte und dessen Nachfolger an 
St. Marien zu Lübeck er hätte werden können, wenn ihm 


für Violine (Solo) in C dur, von Prof. Klingler aus Berlin Frl. Buxtehude begehrenswerter 


ausgezeichnet in prachtvoller Reinheit gespielt, und die 
beiden herrlichen Choräle „Gib dich zufrieden“ (aus dem 
Notenbuch von Anna Magdalena Bach) und „So wünsch’ 
ich mir zu guter Letzt“ (aus Schemellis Gesangbuch, be- 
arbeitet von * Karl Thiel) , mit* denen die Duisburger ihre 
Scharte wieder auswetzten. Zuvor aber gab es noch ein 
wundervolles Erlebnis: „Den zwölfjährigen Jesus im Tempel“ 






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- * V 





, Matthäus Schiestl: Minnesänger. 
Aus Breitkopf & Härtels Musikbuch, 


vw, x» uAituuur, ov.iu\,uv.j,i waiv, W1C Cö III 

Karl Söhles „Bach in Arnstadt“ ergötzlich nachzulesen ist. 
Für Herrn Prof. Klingler, der durch den plötzlichen Tod 
seiner Mutter an weiterer Mitwirkung verhindert war, sprang 
der sehr musikalische und geschickte Weimarische Konzert- 
meister Reilz ein, die Gambe meisterte Herr Döbereiner aus 
München, den Continuo (das die Harmonien ausfüllende 
Klavier) Herr Prof.. Georg Schumann. Eine ebenfalls wert- 
volle Gabe der Kammermusik, diesmal a quattro, 
boten die genannten Künstler zusammen mit 
Herrn Joseph Rywkind aus Berlin an der zwei- 
ten Geige mit der Sonate für zwei Violinen, 
Violoncell und Klavier in h moll von dall’ Abacö 
(1675— 1742). die alle die oft gerühmten Vor- 
züge dieses bedeutendsten Italieners der Kammer- 
sonate aufwies. Johann Sebastians unerschöpf- 
lich schönes sechstes Brandenburgisches Konzert 
für zwei Bratschen, zwei Gamben, Violoncell 
Baß und Continuo, in Solobesetzung ohne Diri- 
genten (der erste Bratscher, Herr Unkenstein 
war dadurch gezwungen, mit seinem Instru- 
mente während des Spielens zu dirigieren und 
gewalttätige Einsätze zu geben) beschloß die 
Kieme Kammermusik und entließ die Hörer mit 
dem ganzen Reichtum an Musik, mit dem uns 
dies reife und blühende Werk überschüttet Bei 
mehrfacher Besetzung kommt die Fülle' dem 
seihst in Kunstlerhanden leicht spröden Klange 
der Bratschen zu Hilfe, und so, als Concerto gros- 
so, ist es ja auch gedacht ' • 

1 PiSt^ erkUn ! Hermann Kretzschmars in der 
Einführung zum Programmbuch ist geneigt, in 

Ä/oTÄ 1 ! 4 . Streitfrage, obmolemer 
ugel, ob Cembalo für den Vortrag Badischer 

Dpr V K^ US / k ^ a | a lein . Geeignete ist, aufzurollen. 

^ r< L.£ e , ra . de von der Cembalopartei 
PrL t Heftigkeit geführt — so erklärt 
Frau Landowska, man dürfe „Bach“ auf dem 

Äm etl r F T spielen, aber man s o 1 1 e ihn 
auf dem Cembalo spielen, und eine Stimme aus 


76 



dem Osten wirft sogar den „Gegnern“ des Cembalo vor, 
„Unwissenheit, Trägheit und Voreingenommenheit“ 
hätten sich gegen die Wiedererweckung dieses Instru- 
mentes verschworen — daß man glauben könnte, das 
Cembalo mit seinem gleichmäßig harten Anschlag aller 
Tasten, seinem fast gänzlichen Mangel an Abstufungs- 
fähigkeitinnerhalb einer Melodie, seinen tonlosen Bässen 
und seinen klirrenden Nebengeräuschen sei überhaupt 
das einzige Instrument der Bachschen und Vor-Bach- 
schen Zeit gewesen, als hätte es kein Clavichord gegeben 
und als sei nicht durch das ganze Jahrhundert Bachs 
eine tiefe Sehnsucht nach klangvolleren und aus- 
drucksfähigeren, seelenvolleren Instrumenten, nach dem 
Pianoforte, gegangen, die ja auch ihre Erfüllung 
in der Erfindung des Hammerklavieres fand. Ich 
möchte wissen, wie viele von den als „Gegner“ des 
Cembalos Verunglimpften wirkliche Gegner dieses vom 
historischen Standpunkt aus doch allemal schätzbaren 
Instrumentes sind — wenn es sich um Musik han- 
delt, die wirklich für das Cembalo gedacht ist, 
was bei vielen Werken, die dafür geschrieben sind, 
erst noch zu beweisen ist — selbst Rieh. Buchmayer , . 
der dem Cembalo in einem der Bach- Jahrbücher so 
gründlich zu Leibe geht, hat zu seinen historischen 
Konzerten das Cembalo benützt. — Es wäre ja ein 
Segen, wenn durch das Cembalo die Klangarmut des 
modernen Konzertsaales mit seiner Alleinherrschaft 
von Klavier und Violine in etwas gemindert werden 
könnte, aber ich kann die Befürchtung nicht unter- 
drücken, daß wir uns den Weg zu Bach, den uns 
das Hammerklavier mit seiner unendlichen Ausdrucks- 
fähigkeit wieder hat finden lassen, mit der Ueberschätzung des 
Cembalos selbst wieder verrammeln und muß mich also zur 
Partei jener Dummen, Faulen und Voreingenommenen beken- 
nen. Die Kleine Kammermusik vermochte auch hierin keinen 
Wandel zu schaffen, denn obgleich ich noch lange nicht in der 
Mitte des .Fürstenhofsaales saß, wäre es mir nicht möglich 
gewesen, dem Stimmengewebe der von Frau Landowska und 
Herrn Reitz gespielten E dur-Sonate für Cembalo und Violine 
zu folgen, wenn ich diese Sonate nicht zufällig auswendig ge- 
wußt hätte. So deckt der Strich der Violine und die Neben- 
geräusche des Cembalo die Stimmführung zu. Auch der ernst- 
hafteste Zuhörer mußte es übrigens als einen etwas lächer- 
lichen Gegensatz empfinden, wenn das Cembalo, um nur nicht 
unterdrückt zu werden, auch bei sanften Stellen mit aller 
Kraft gepaukt wurde. Es versagt eben in solch großen 
Sälen. 

In der „Großen Kammermusi k“, die abends 
6 Uhr in denselben Räumen stattfand, führte Frau Landowska 
das Cembalo als Soloinstrument vor mit all dem technischen 
Glanz, der rhythmischen Straffheit — o wie so wohltuend 
innerhalb dieser Kammermusik ! — der künstlerischen Ueber- 
legung und der genauen Kenntnis aller Vorteile ihres In- 
strumentes. die das Cembalospiel dieser wirklich außerordent- 
lichen Künstlerin auszeichnet, in der den „Biblischen Histo- 
• rien“ Johann Kuhnaus (1660 — 1722), des unmittelbaren Vor- 
gängers Bachs im Thomaskantorate, entnommenen Sonate 
„Der Streit zwischen David und Goliath“. Kuhnau malt 
geistreich, treffend und in musikalischer, dabei wohlgeformter 
Weise „das Pochen und Trotzen des Goliaths“, „das Zittern 
der Israeliten und ihr Gebet zu Gott bei dem Anblicke dieses 
abscheulichen Feindes,“ „die Herzhaftigkeit Davids, dessen 
Begierde, dem Riesen den stolzen Mut zu brechen, und das 
kindliche Vertrauen auf Gottes Hilfe“ usw. in 8 Sätzen die 
ganze wohlbekannte „Biblische Historie“, worunter besonders 
„die Flucht der Philister“ mit ihren flinken Passagen behag- 
liches Schmunzeln erregte. Das vergnügliche und anregende 
Stück fand in der glänzenden Wiedergabe stürmischen Beifall. 
Ist es nun wirklich für das Cembalo gedacht ? Ich habe die 
Behauptung Buchmajers nicht nachprüfen können, Kuhnau, 
der ja auch sonst nicht allzu begeistert über das Cembalo 
spricht, habe in diesem Stücke das Bebungs Zeichen 
verwandt, das ja allein dem Clavichord zukommt. 

Eingeleitet wurde die Große Kammermusik durch das 
9. Concerto grosso in F, Arcangelo Corellis {1653 — 1713), das 
bei aller Bedeutsamkeit das herrliche Weihnachtskonzert 
Corellis vom ersten kleinen Bach-Fest nicht vergessen macht; 
das Concertino (die Soloinstrumente) wurde durch die Herren 
Reitz. Brandenburg und Döbereiner ausgeführt, das Continuo, 
'dieser bei Orchesterwerken aus Gründen der Intonation un- 
erträgliche musikhistorische Zopf, wurde durch Prof. Dr. Max 
Seiffert und den Eisenacher Großh. Musikdirektor Camillo 
Schumann ausgeführt. Eine fröhliche Auferstehung (wohl 
nur für kurze Zeit) • feierte der erste Teil der Bachschen 
„Serenate auf das Geburtsfest Leopolds, Fürsten zu Anhalt- 
Cöthen, Durchlaucht’ster Leopold* 1 für Sopran (Eva Leß- 
mann) und Baß (Hermann Weißenbom) mit Orchester und 
Continuo (Seiffert), eine vergnügte Musik, merkwürdigerweise 
in Moll; der gänzlich geschmack- und sinnlose Text soll nach 
Schweitzer von Bach sein (Schopenhauer hätte wohl gesagt: 
„Der Kerl ist kein Dichter“). In eine gänzlich verschiedene 


Welt wurde man durch das darauf folgende ernste, ja herbe 
Bachsclie a moll-Konzert für Violine und Orchester geführt, 
von dem das Andante ein echter, seine Zeit überragender 
Bach ist. Reitz spielte es ausgezeichnet; leider schwankte 
gerade bei diesem Werke das „Tempo im Orchester ganz be- 
denklich. Einen erlesenen Genuß bereitete das Carlo Stamitz- 
sche (1746 — 1801) Konzert für Viola d’amore mit Orchester, 
von Herrn Dr. Niel Vogelhaus Amsterdam gespielt. Das 
herrliche Instrument verliert im großen Saale unzweifelhaft 
von seiner außerordentlichen süßen Klangschönheit, an der 
wir uns z. B. im Dresdener Tonkünstlerverem erfreuen durften, 
zu bewundern blieb immer sein merkwürdiger ^Klang, die 
Meisterschaft, mit der, es Dr. Vogel behandelt und das 
Stamitzsche Konzert, das im Rondo Beethovensche Züge 
(Violinkonzert !) aufweist. Auf die Lieblichkeit der Viola d’a- 
more folgten zwei Arien aus Handels „Jephta“: „Schreckens- 
bilder, groß und bleich“ für Alt, von Paula Werner- Jensen, 
und „Birg dein verhaßtes Licht, o Sonn“ für Tenor, von 
Herrn Rudolf Laubenthal gesungen, die beide durch ihren 
dramatischen Zug und ihre ergreifende Einfachheit auffielen 
und den Beschluß machte ein einzigartiges Experiment: eine 
Gegenüberstellung des Vivaldischen (1680 — 1743) Konzertes 
für vier Violinen und Orchester (h moll) mit der Bachschen 
Bearbeitung desselben für vier Klaviere (a moll) . Vielen ge- 
fiel das Original besser — eigentlich selbstverständlich — 
die Bachsche Bearbeitung ist in ihrer Art eine Neuschöpfung, 
aber von dem klugen Gruppenaufbau Vivaldis hat Bach 
sicher manches zu seinem Vorteil verwendet. Die Kgl. 
Oeffentliche Bibliothek in Dresden bewahrt übrigens 80 
— achtzig — Violinkonzerte Vivaldis auf: mag er noch ein 
so arger Vielschreiber gewesen sein, vor einer Unterschätzung, 
wie sie Hermann Kretzschmar andeutet, mag man sich wohl 
hüten ! 

Herzliche, nicht endenwollende Kundgebungen für Kretzsch- 
mar und seine wackeren Künstler, die wirklich an Anspan- 
nung aller Kräfte das Menschenmöglichste geleistet und mit 
voller Seele einen solchen Reichtum an Musik gespendet 
hatten, beschlossen die Große Kammermusik und damit das 
Zweite kleine Bach- Fest, das in Wahrheit an Fülle der Ein- 
drücke ein wahrhaft groß'es gewesen ist! Einen Gedanken 
möchte ich noch aussprechen: wozu brauchen Orchesterleiter, 
Kantoren, Organisten und andere Solisten auf die Neue Bach- 
Gesellschaft zu warten, um kleine Bach-Feste zu veranstalten ! 
Es brächte doch unermeßlichen Segen, wenn die heimischen 
Musiker auch kleiner Orte ihre Kräfte an Bachscher Kunst 
stählten und ihren Ehrgeiz darein setzten, sich und ihren 
Mitbürgern durch Aufführungen seiner Werke den Alltag 
zum Festtag zu machen, einen Tag im Jahre, womöglich 
seinen Geburtstag, aber durch ein Bach-Fest im angemessenen 
Rahmen festtäglich zu begehen! Die kleinen Bach- Feste 
der Neuen Bach- Gesellschaft haben vortrefflich den Weg ge- 
wiesen, nun geht ihn selber! 



77 



Das neue Konzerthaus in Wien. 

„Festliches Präludium/* 

G leich am Anfang der Konzertspielzeit gab es also heuer 
ein Ereignis. Das neue Konzerthaus wurde eröffnet. 
Wien hat damit nun drei Konzertsäle mehr. Allerdings 
hatte es seit dem Frühjahr-',einen, denjfjB ösendorfer Saal, 
weniger. Bleiben zwei weitere Säle, \ „ . 

Zur Einweihung gab es vier Festkonzerte.' Im größten der 
drei Säle zwei; bei dem ersten wurde das neue „Festliche 
Präludium“ von Richard Strauß und Beethovens Neunte 
gespielt, bei dem anderen, dem vierten in der Reihe, Bruckners 
Tedeiim, Schuberts Messe in Es nebst anderen Werken; eine 
Orgelkomposition von Bach sollte das schöne mächtige neue 
Orgelwerk, das größte in Oesterreich, hören lassen. In dem 
sogenannten mittleren Saal traten der Geiger Busch und 
Eugen d’ Albert als Konzertsolisten auf. Den kleinen Saal 
hat Messchaert mit einem Schubert- Abend eingeweiht. 

Von allen diesen Abenden habe ich nur — der Generalprobe 
zum ersten beiwohnen können. Dabei wurde das „Festliche 
Präludium“ ganz und ohne Unterbrechung, die Neunte Sym- 
phonie teilweise und mit Unterbrechungen, Schuberts Messe 
stückweise und die österreichische Volkshymne geprobt, weil 
man mit dieser den Kaiser, der die Schlußsteinlegung vor- 
nahm, zu empfangen hatte. Die Eintrittspreise waren näm- 
lich an allen Abenden sehr hoch. Die üblichen Referenten- 
karten waren mir aber nicht zugesendet worden. Ich erhielt 
bloß Karten zu der Schlußstemlegung, die ich mit Dank 
zurücksandte. Auch zu einer Besichtigung des Gebäudes war 
ich nicht geladen worden. 

Nim meine ich selbstverständlich, daß es für alle Teile das 
beste wäre, wenn die Zusendung unbezahlter Referenten- 
karten immer und überall grundsätzlich unterbliebe. Da 
aber die wenigsten Redaktionen (auch die der größten Tages- 
blätter nicht) für die Karten ihres Referenten aufkommen, 
da es ferner allgemein üblich ist, solche Karten zu versenden 
und ich sie in Wien und insbesondere außerhalb Wiens bisher 
überall ohne weiteres erhalten habe, so konnte ich auch dies- 
mal die große Ausgabe von etwa ioo Kronen nicht auf mich 
nehmen und wollte das auch nicht; denn wie ihr Vorgehen in 
einem ähnlichen Falle beweist, schien der veranstaltenden 
Gesellschaft an den Berichten für das Ausland nichts zu 
liegen. Sie ist im Inlande genug gelobt worden. Außerdem 
war das erste der vier Festkonzerte tatsächlich ausverkauft. 
Zu den anderen, mit Ausnahme des Liederabends Messchaert. 
wären wohl noch genügend Karten zu haben gewesen. Daß 
ich die erwähnte Generalprobe besuchen konnte, verdanke 
ich einem zufälligen Zusammentreffen mit einem Vorstands- 
mitgliede des Konzertvereines, dessen Orchester bei den 
Konzerten mitwirkte. Andere Schritte zu tun, verbot mir 
mein Stolz. Es wäre mir allerdings hart geworden, der Ur- 
aufführung eines neuen Werkes von Richard Strauß gerade 
in Wien nicht beiwohnen zu können. 

Gewisse Wiener Leser und wer sonst will, möge mich dem- 
nach für voreingenommen halten, wenn ich in den allgemeinen 
Chorus der Begeisterung über das neue Haus nicht mit- 
einstimme. Die Leser der „N. M.-Z.“ werden wissen, daß 
ich nicht das erstemal allein stehe. Nachträglich habe ich 
dann schon manchmal recht bekommen. 

Doch zuvor von dem „Festlichen Präludium“, dessen schön 
ausgestattete Partitur (wie nicht minder Klavierauszüge zu 
zwei und zu vier Händen) im Verlage Fiirstner rechtzeitig 
erschienen sind. Das Präludium wird ja. überall und bald 
aufgeführt werden; ja, es haben auch schon Aufführungen 
stattgefunden. Trotzdem möge es mir gestattet sein, es 
herzhchst zu begrüßen und meiner Freude Worte zu geben, 
daß diese Komposition einer Wiener Gelegenheit ihre Ent- 
stehung verdankt. Richard Strauß um ein solches Werk zu 
bitten, war sicher ein guter Gedanke der Konzerthausgesell- 
schaft. Das Werk ist für sehr stark besetztes Orchester mit 
Orgel gedacht. Zum Schluß treten noch sechs bis zwölf Trom- 
peten außerhalb des Saales zur Verstärkung hinzu. Ein 
feierliches Thema braust, nach kurzem Orgelvorspiel, nur so 
einher, erweitert und vergrößert sich mächtig, wird eingehend 
abgewandelt und erklingt schließlich in voller strahlender 
Pracht. Wenn dies auch „nur“ eine Gelegenheitskompo- 
sition ist, so zeigt sie doch die große Kunst eines großen 
Meisters und siegt vor allem durch ihren unwiderstehlichen 
Schwung; ein Sieg, den jede Aufführung wiederholen wird. 
Das Präludium wurde hier unter Loewe sehr gut gespielt und 
entfesselte schon in der Generalprobe starken Beifall. Was 
ich in dieser Generalprobe sonst gehört habe, hat mir viel 
weniger gefallen; ich hatte den Eindruck, daß es an Präzision 
der Wiedergabe, wahrscheinlich auch des Studiums gefehlt 
hat, namentlich bei dem Gesangschor. Beethovens Neunte 
Symphonie wird in Wien leider mehr eine Gewohnheit als 
ein Fest. 

Vielleicht ist übrigens manches Bedenken auf die noch un- 
gewohnte und sicher nicht bloß dem Hörer noch ungewohnte 


Akustik des Saales zurückzuführen. Zwar läßt sich keine 
konkrete Beschwerde erheben und die wiederholt aus- 
gesprochenen Befürchtungen waren durchaus widerlegt. Aber 
es wird in diesem Saale noch fleißig versucht, geprobt und 
viel abgewartet werden müssen. 

Und nun einige Worte über das Aeußere des Saales und, 
soweit ich es bis jetzt kenne, des ganzen Gebäudes. Es gehört 
der bekannten Type Fellner & Hellmer an. Selbstverständlich 
sind die Forderungen und Erfahrungen der Zeit berücksichtigt. 
Es gibt schöne, geräumige und praktische Garderoben, Treppen 
und Aufgänge. Die Gelegenheit aber, in einem zeitgemäßen 
Monumentalbau, etwa von Otto Wagner, Adolf Loos oder 
oseph Hoffmann den Willen einer Stadt, einer Bürgerschaft 
undzugeben, hat man versäumt. Ed macht denn alles Archi- 
tektonische den Eindruck des Dagewesenen, Müden, Mehl- 
speismäßigen, um ein Wort von Alfred Kerr zu gebrauchen. 
Sanfte, allzugoldene Ornamente flimmern einem Vor den 
Augen. Vielleicht muß das so sein. Aber ich kann mir einen 
Konzertsaal denken, in dem man durch keine Palmetten und 
durch kein Gold abgelenkt wird. Ich glaube, daß in zehn 
oder zwanzig Jahren alle Welt einen solchen Konzertsaal 
verlangen wird. Und ich weiß, daß ein solcher ruhiger Konzert- 
saal bei uns schon da war: der Bösendorfer Saal. Was wäre 
erst an Malerei und Skulptur geleistet worden, wenn die 
Bauherren das nötige Geld gehabt hätten ? Wie die Trümmer 
von solchen Absichten erheben sich die Säulen des großen 
Saales. Was sie sonst für eine Funktion haben, konnte ich 
nicht ermitteln. Es ist schade. Wir haben nun wieder einen 
Festsaal. Und wieder einen, in dem man sich zuerst allerlei 
wegdenken muß, ehe man der Musik folgen kann. Vor allem: 
den Saal selbst. 

Gegen die Raumeinteilung der Säle habe ich mein Bedenken. 
Der große Saal des neuen Hauses faßt nur 200 Menschen mehr 
als der bestehende große Musikvereinssaal. Das ist zu wenig. 
Auch der Kleine Saal scheint mir allzuklein. Kammermusik, 
die über die Vierzahl der Instrumente hinaus Ansprüche 
stellt, oder das Klavier verwendet, wird dahin vielleicht 
doch nicht die richtige Distanz zum Hörer finden. Ich habe 
bisher nur einen Liederabend des Sängers Robert Korst dort 
gehört, der Mahlers Kindertotenlieder und manches andere 
mit viel Geschmack und schöner Stimme vortrug. Hier 
bewährte sich der Saal. Es soll mich freuen, wenn man auch 
sonst darin heimisch werden kann. Die innere Ausstattung 
dieses Raumes ist am besten gelungen; ein Zuviel an Licht, 
noch dazu an reflektiertem, ängstigte mich auch hier. 

Im mittleren Saal hörte ich einen Sonatenabend, den die 
Cellistin Beatrice Harrison gemeinsam mit d’Albert gab. 
Dieser spielte grandios, aber allzu selbstherrlich. Von der 
Cellistin, deren schöner Ton mir bekannt ist, hörte ich wenig 
mehr als das Schaben des Instrumentes. Hier muß die 
Akustik schuld gewesen sein. 

Auch außerhalb des Konzerthauses, dem übrigens ein sehr 
gutes Restaurant den gemütlichen Titel eines Konzertbräus 
verschafft hat, regt sich schon der Unternehmungsgeist der 
Veranstalter. Im Großen Musikvereinssaal sprach Dr. Leopold 
Schmidt über die Entwicklung der Symphonie und führte, 
selbst dirigierend, Proben vor. Das erste Gesellschaftskonzert 
brachte die Uraufführung des von der österreichischen Re- 
gierung preisgekrönten Chorwerks „Frühlingsfeier“ (nach 
Klopstock) von Karl Prohaska. Es erfreuet alle Akademiker. 
Etwas so Sauberes und Schulgerechtes, etwas so Flüssiges, 
so Hochachtbares ist noch kaum geschrieben worden. Schalk 
dirigierte, Frl. Forstel und das Ehepaar Kraus waren für die 
Soli aufgeboten, der Gesellschaftschor sang und war entzückt. 
Das Publikum auch. Es gibt noch Richter in Oesterreich. 

Dr. Paul Stefan. 


Die neue Breslauer Riesenorgel 
und ihre Einweihung. 

E inen Tag nach der Aufführung der Mahlerschen Sym- 
phonie hat der Magistrat der Stadt Breslau zu Straubes 
„Abnahme der Orgel in der Jahrhunderthalle“ ein- 
geladen. Ungleich besser als der mit Lichtbildern zu er- 
läuternde Vortrag des Orgelbauers Herrn Walker über „Die 
Einrichtung und die Verwendungsmöglichkeit der größten 
und mit den vielseitigsten Klangfarben ausgestatteten Orgel“ 
ist der aus seiner Werkstatt in Frankfurt a. 0 . hervorgegangene 
Orgelkoloß, quantitativ wie qualitativ einzig in seiner Art. 
Ein Bild von der Quantität konnten dem Leser die folgenden 
Angaben machen: der Hauptorgel und der 80 m von ihr ent- 
fernten, 25 m hoch stehenden Gegenorgel sind 200 Stimmen 
einverleibt. Die Mutterorgel hat bei 5 Manualen und einem 
Pedal 196 Manual- und 33 Pedalregister, die Tochterorgel 
23 bezw. 8. Haupt- und Femwerk haben zusammen 
15 120 Pfeifen von 8 mm bis 10 % m Länge. 29 Koppelungen, 


337 Tasten, 91 1 Gruppenzugknöpfe, 156 Druckknöpfe zwischen 
den Manualen, 4 Jalousiescnweuer, 4 Schwelltritte, 25 Pedal- 
tritte, ferner Walzen, Hebel, viele Registerwipper, Gruppen- 
züge u. a. bieten sich den Augen, Händen und Füßen des 
Organisten — und seinem fast unentbehrlichen Assistenten — 
dar. Wollte man den gesamten Aufwand von Drähten in 
eine gerade Richtung legen, so käme eine Entfernung von 
ungefähr 90 km heraus. Zur Erzeugung des Windstroms 
würden 12 Männer am Blasebalg noch nicht ganz ausreichen. 
Die Elektrizität leistet hier alles. Unsere Orgel ist die 
Verwirklichung eines ganz und gar elektrischen Systems ohne 
die Mitarbeit des mechanischen oder pneumatischen Systems. 
Wenn ich nicht irre, kann die höchst leistungsfähige Firma 
Sauer, deren Eeiter Baumeister Walker ist, als Erfinderin 
des „direkten“ (rein elektrischen) Systems gelten. In Prof. 
Karl Straube war ein Ratgeber mit gewichtigem Urteil offiziell 
gewonnen worden. Bei seiner Abnahme der Orgel konnte 
man sich zum ersten Male von der qualitativen Besonderheit 
des in 60 5 00 Lohnstunden hergestellten Instrumentes über- 
zeugen. Man bewunderte die dynamische Wandlungsfähig- 
keit des Tons, der sich fast so ausdrucksvoll bilden läßt wie 
bei anderen Blasinstrumenten, man hört Glöckchen wie von 
einer Spieluhr, Harfenklänge, Pizzikati, liebliches Flöten- 
geplauder, erhabene Mahnungen und Warnungen der Tuba 
mirabilis, das innige Melos der Vox humana, das Echo der 
sogenannten Gegenorgel und Tuttiklänge von einer fabel- 
halten Pracht. Vom leisesten Piano konnte man aber beim 
besten Willen nichts hören, zumal wenn sich freche Außen- 
geräusche Zutritt in den akustisch so schwer zu behandelnden 
Kuppelbau der Festhalle verschaffen, und den Zusammen- 
klang des tiefsten und höchsten Orgeltons empfindet das 
Gehör nicht mehr als musikalische Kunsttöne. 

Zur öffentlichen Erprobung der mannigfachen Spiel- und 
Stilmöglichkeiten fanden zwei Orgelkonzerte statt. Am 
zweiten Straube-Abend erlebte man das 'Seltene Ereignis einer 
Breslauer Uraufführung, der Einleitung, Passacaglia 
und Fuge von Max Reger, der dieses sein Opus 127 auf Wunsch 
des Breslauer Magistrats für die Einweihung unserer neuen 
Orgel komponiert hat. Regers neuestes Werk bewies aber 
wieder mal, daß sich die Inspiration nicht kommandieren 
läßt. Die Passacaglia gibt einen „dankbaren“ Basso 
ostinato dem Pedal, aber die imdankbaren Hände wissen 
nicht, was die Füße tun. Die Fuge hat ein sehr brauchbare 
Thema, dessen kontrapunktische Verbindung mit dem Motiv 
der Passacaglia zum Äüfhorchen zwingt. Was sich zwischen 
dem Beginn der Fuge und der Engführung nebst dem Orgel- 
punkt auf der Tonika (wenn man von Tonika bei Reger über- 
haupt sprechen darf!) sonst noch abspielt, läßt sich schwer 
gliedern und verfolgen. Das ganze Werk hat nur sehr wenig 
von den interessanten Wendungen und anderen Feinheiten, 
die viele Kompositionen Regers aufweisen, dafür aber seines 
Schöpfers Eigenart und deren Nachteile in Reinkultur: der 
Tonfluß ist uferlos, des Modulierens und Variierens ist kein 
Ende; es fehlen die ästhetischen Gegensätze und die ruhenden 
Pole in der Erscheinungen Flucht. Davon, daß Karl Straube 
dieses Opus 127 seines Freundes Reger dem Komponisten 
zu Dank gespielt hat, darf man überzeugt sein. Das glanzende 
Spiel des Leipziger Meisters schien in den anderen Stücken 
nicht ganz frei zu sein, sondern abhängig von dem Vorsatz, 
die Orgel in ihrer ganzen virtuosen Leistungsfähigkeit, mit 
ihren vielen und verschiedenen Effekten dem Publikum 
vorzuführen. So erklären sich Uebertreibungen in der An- 
wendung des Pianissimo, in der Wahl der Glöckchen und in 
der Mitwirkung der „Femorgel“, die gar nicht immer wie aus 
der Feme klingt, da sie ja über den Köpfen der Hörer, also 
näher zu ihnen steht als die Hauptorgel. Aber der „größten 
Orgel der Welt“ stellte sein Spiel aas beste Zeugnis aus. 

P. R. 



Kassel. Das Hoftheater hat zur 100. Wiederkehr des Ge- 
burtstages von Giuseppe Verdi einen Zyklus seiner Werke 
aufgeführt, der „Rigoletto“, „Troubadour“, „Aida“ und 
„Traviata“ umfaßte. Es gereicht unserer Oper zur besonderen 
Ehre, daß diese Festvorstellungen nur mit heimischen Solisten 
herausgebracht wurden, wenngleich sich auch die Mängel 
einiger neuengagierten Mitglieder recht bemerkbar machten. 
So ist der neue Heldentenor Richter, ein Sohn Hans Richters, 
für die Kasseler Hofbühne noch nicht ausreichend. Sein 
Radames steht in gar keinem Verhältnis zur Aida unserer 
neuen Hochdramatischen Else Kronacher, die zwar noch jung 
auf der Bühne ist, aber mit ihren prächtigen Stimmitteln 
eine Größe in ihrem Fache werden wird. Besonders glanz- 
voll war die Schlußaufführung („Traviata“), die durch die 


Violetta der wiederengagierten, früheren Koloratursängerin 
Lude Gates zum Höhepunkt der gesamten Vorstellungen 
wurde. Ebenso verdienstvoll sangen der lyrische Tenor 
Windgassen, dessen Stimme bedeutend größer geworden ist, 
Karl Groß als ausgezeichneter Rigoletto und Hans Wuzel 
in seinen Heldenbaritonpartien. — Die Königl. Hofkapelle 
eröffnete die Reihe ihrer Abonnementskonzerte mit einem 
Richard-Wagner-Abend. Der Kasseler Lehrergesangverein 
sang das „Liebesmahl der Apostel“, während die Kapelle 
unter der verdienstvollen Leitung Prof. Dr. Beiers neben der 
Faust-Ouvertüre zum ersten Male Ouvertüre, Bacchanale 
und Venus-Tann häuser- S zene aus „Tannhäuser“ spielte, wie 
sie Wagner 1861 eigens für die Pariser Aufführung kom- 
poniert hatte. Else Kronacher (Venus) und Kammersänger 
Walter Kirchhoff (Tannhäuser) verhalfen dem Werk zu einer 
überaus warmherzigen Aufnahme. — Der bekannte „deutsche 
Balladensänger“ Karl Götz hat in seinem Kasseler Konzert 
enttäuscht und deshalb fielen auch die uraufgeführten Lieder 
Karl zur Lindes ab. Von den Manuskriptliedem erzielte 
„Nach Jahren“ den stärksten Beifall. Im allgemeinen lassen 
diese Arbeiten auf Besseres schließen, was der Komponist 
noch schaffen wird. Georg Otto Kahse. 


Neuaufführungen und Notizen. 

— Für Boieldieus komische Oper „Les voitures versöes“ 
haben sich, wie gemeldet, mehrere Bühnen interessiert. 
Der Schlesingersche Verlag schreibt zur Frage der Be- 
arbeitungen: Weder die Münchner noch die Berliner Hof- 
biihne kann den Anspruch erheben, dieses historisch inter- 
essante Werk aufgedeckt zu haben; denn schon vor zehn 
Jahren hat Dr. Kleefeld, der bekannte Musikforscher, der 
m unserem Verlage unter dem Titel „Opemrenaissance“ 
eine' Folge neubearbeiteter Opera- herausgibt, das Werk 
aufgefunden und Vorbereitungen getroffen, es neu zu ge- 
stalten. Nur aus technischen Grimden war damals davon 
Abstand genommen worden. — Das klingt freilich etwas 

? ro domo. Und wie steht’s mit der Aufführung in Breslau ? 
m übrigen ist ja die Frage, wer das Werk wieder „entdeckt“, 
nicht so wichtig wie die der besten Bearbeitung. 

— „Coeur-As“, die neue Oper des Berliner Komponisten 
Künneke, hat in der Dresdner Hofoper unter Leitung des 
Kapellmeisters Kutzschbach die Uraufführung erlebt. 

— Julius Bittners „Abenteurer“ hat am Kölner Stadttheater 
die Uraufführung erlebt. 

— Verdis „Falstaff“ ist in München neu einstndiert gegeben 
worden, wo die Oper seit 20 Jahren nicht mehr gehört wurde. 

— Am Hoftheater zu Wiesbaden ist H. v. Kleists Drama 
„Die Hermannschlacht“ mit der zur Handlung gehörigen 
Musik (Ouvertüre, Römerzug, Bardenchor usw.) von Otto 
Dorn in glänzender Neueinstudierung aufgeführt worden. 

— Das Stadttheater zu Breslau hat die Oper „Boris Go- 
dunow“ von M. P. Mussorgsky aufgeführt. — Der neue 
Breslauer Intendant rührt sich! 

— Die Hamburger Neue Oper hat als Beitrag zu den 
patriotischen Feiern A. Franchettis in Deutschland kaum 

f espielte Oper „Germania“ aufgeführt. Das Textbuch, das 
er Italiener Luigi Illica geschrieben hat, behandelt die 
Ereignisse der Befreiungskriege. 

— Das Stadttheater in Magdeburg hat das Musikdrama 
„Aphrodite“ von Max Oberleithner (nach dem Roman von 
Pierre Louys) nach der Wiener Hofoper als zweite Bühne 
aufgeführt. Der Stoff behandelt das Demetrios- und Chrysis- 
Drama. 

— Am. Stadttheater in Konstanz ist, wie man uns schreibt, 
„Ekkehard“, in zwölf Bildern nach Scheffels Erzählung, 
Musik und Dichtung von Dr. Ernst Dycke, unter großem 
Beifäll zur Aufführung gebracht worden. 

— „Der Sturm auf die Mühle“, Oper in drei Akten von • 
Karl Weis, wird im November als deutsche Uraufführung an 
der Wiener Volksoper herauskommen. 

— „Julien“ von G. Charpentier soll im Königl. böhmischen 
Nationaltheater zu Prag zum ersten Male gebracht werden. 

— Raymond Roze hat die Londoner Opernsaison mit seinem 
eigenen Musikdrama „Joan of Are“ begonnen. 

— Die Fortführung des Denhofschen Opern Unternehmens 
in England ist durch die Opferwilligkeit des Herrn Thomas 
Beecham gesichert. — Beechams Verdienste uni das englische 
Musikleben sind außerordentlich ! 

— Hans Pfitzner ist vom Königl. Theater in Madrid 
eingeladen worden, die erste Aufführung von Wagners 
„Parsifal“ in spanischer Sprache zu leiten. 

— Puccini arbeitet an einem Einakter „La houppelande“, 
einem Bilde aus dem Pariser Volksleben, und an einer neuen 
dreiaktigen Oper nach einer englischen Komödie im Stile 
der „Boheme . 

* 

— Das Programm der „Musikalischen Akademie“ in 
München enthält folgende Novitäten — wenigstens Novitäten 
für München: eine „Sinfonia“ von Friedemann Bach, die 


79 



Dritte Symphonie von Mahler, „Herr Oluf“, Ballade für 
Bariton und Orchester von Pfitzner, „Einsamkeit“, sym- 
phonische Dichtung von Fr. Mauke (9. Februar), Arnold 
Schönbergs „Gurreheder“ (diese bilden die einzige Nummer 
des Konzertes am 16. Februar) und ein symphonisches Werk 
des italienischen Komponisten Alb. Glasco : „Presso il Cli- 
tmnno, preludio pastorale“, „L’orgia, poema sinfonio“ 
(16. März). Die Reihe der Konzerte ist mit dem „Requiem“ 
von Verdi eröffnet worden, das im Anschluß an den Verdi- 
Zyklus im Hoftheater aufgeführt wurde. M, 

' — Ein schwedisches Musikfest ist für Berlin im Frühling 
1915 auf Veranlassung Marteaus in Aussicht genommen. 

— Die Abonnementskonzerte der zwölf unter Ferdinand 
Löwe stattfindenden Konzerte des „Konzertvereins“ in 
München bringen an Werken von Tondichtern der Gegen- 
wart (ein Teil davon ist inzwischen schon aufgeführt worden) : 
Karl Bleyle, Siegesouvertüre zur Gedenkfeier der Völker- 
schlacht bei Leipzig (erste Aufführung in München) ; Walter 
Braunfels, Serenade; Friedrich Klose, Elfenreigen; Erich 
W. Korngold, Symphonietta (erste Aufführung in München) ; 
Max Reger, Ballettsuite; Gottfried Rüdinger, Serenade für 
kleines Orchester; Adolf Sandberger, „Ricdo“; Jos. Schmid, 
Sommemachtsmusik (erste Aufführung); Richard Strauß, 
„Festliches Präludium“, „Zarathustra“; Felix Weingartner, 
Lustige Ouvertüre; Hermann Zilcher, „Hölderlin“, sympho- 
nischer Zyklus für Tenorsolo und Orchester. 

— Am 24. Oktober fand in einem Symphonie-Konzert im 
Kgl. Opernhaus in Dresden die Uraufführung einer neuen 
Symphonie von Kurt Striegler statt. 

— In einem Philharmonischen Konzert in Hamburg hat 
Henri Marteau zum ersten Male das neue Violinkonzert 
No. 2 Fdur von Friedrich Gernsheim gespielt. 

— Von E. Wolf-Ferrari wird ein geistliches Mysterium 
für gemischten Chor, Soli und Orchester, eins seiner Erst- 
lingswerke (Verlag Rahter), in der bevorstehenden Spielzeit 
in San Franzisko, St. Gallen und Hannover aufgeführt 
werden: „Talitha Kumi, Die Tochter des Jairus“. 

— In Halle a. S. ist Karl Klinglers fis moÜ-Streichquartett 

bei seiner Uraufführung überaus beifällig aufgenommen 
worden. Das viersätzige Werk, das sich formell an klassische 
Vorbilder anlehnt, verrät viel satztechnisches Können, 
nützt die instrumentalen Mittel klanglich äußerst glücklich 
aus und bietet musikalisch höchst edle Gedanken. Prof. 
Klingler selbst hob mit seinen Genossen J. Rywkind, F. Kling- 
ler und A. Williams in vollendeter Wiedergabe das Werk 
aus der Taufe. Kl. 

— In dem zweiten Konzerte der Städtischen Konzert- 
Gesellschaft in Düren soll am 1. Dezember die aufgefundene 
Ballade „Scholastika", für Chor und Orchester, von Karl 
Löwe, zur Uraufführung kommen. 

— Prof. Emst Wendel in Bremen wird u. a. eine sympho- 
nische Burleske. „Die Bremer Stadtmusikant< n", von V. Reif- 
ner als Uraufführung herausbringen. Daß Regers Ballettsuite 
dort zum erstenmal gespielt werden soll, ist bekannt. 

— Der Gesangverein Mülheim-Ruhr, Dirigent Karl Diehl, 
kündigt u. a. an: Strauß, „Wanderers Sturmlied“; Händel, 
„ Acis und Galathea“ ; Bach, „Der zufrieden gestellte Aeolus“ ; 
August Bungert, „Mysterium“. 

— Von Anton Bruckner ist ein nachgelassenes Intermezzo 
für Streichquintett soeben in Druck erschienen, das thema- 
tisch in engem Zusammenhang mit dem Finale des Fdur- 
Quintetts steht und von Bruckner wohl zugunsten des 
Scherzos ausgeschieden wurde. 

— Karl Prohaskas „Frühlingsfeier“, auf die gleichbetitelte 
Ode von Klopstock für Soli, gemischten Chor, Orchester und 
Orgel komponiert, die den Jnbiläumspreis der k k. Gesell- 
schaft der Musikfreunde erhalten hatte, ist im ersten Gesell- 
schaftskonzert dieser Saison aufeefiihrt worden. 

— In Gzör (Raab-Ungarn) hat der Philharmonische Verein 
und der Domchor Pater Hartmanns neuestes Oratorium 
„Septem ultima verba Christi in cruce“ aufgeführt. Als So- 
listen fungierten: Frau E. Kaiser-Schuster aus Wien und die 
Herren Spal und Forstmeyer. Die I>itnng war in Händen 
des Domkapellmeisters und Veremsdirektors Gabriel Frdnek. 

— Ein neues Werk von Camille Saint-Saens, das biblische 
Oratorium „La tcre promile“, für Soli, Doppelchor, Orgel 
und Orchester, soll im Rahmen eines Musikfestes in Glou- 
cester (England) seine Uraufführung erleben. 

— Das „Quartetto Triestino“ (Jancovich, Viezzoli, Du- 
dovich, Baraldi) kündigt an Novitäten an: Roger-Ducas 
(in sol minore) ; Reger (op. 109) ; Sztll, Quintett (in do minore) ; 
Klavier: Pugnani- Kreisler, Preludioe Allegro ; Thuille, Sonate 
(in emoll); d’Indy,' Sonate in Cdur; Grieg (in cmoll). 

— Gustav Mahlers „Lied von 1 der Erde“ ist mit dem Or- 
chester der „Concertgebouw“ unter Wilhelm Mengelberg 
im Haag und in Amsterdam dreimal aufgeführt worden. 

— Alexander Siloti will in seinen Petersburger Konzerten 
folgende Novitäten auf führen: „Jeux“ von Debussy, „Die 
Glocken“ (nach Poe) von Rachmaninoff \ Ballettsuite von 
Reger-, Ballettmusik zu, „Orpheus“ von \Roger-Ducas. 



— Von den Theatern. Die Nürnberger Theaterkrise bringt 
etwas überraschende Tatsachen. Die „Frkf. Ztg.“ schreibt 
darüber: „Die Krisis im Stadttheater, die durch die Er- 
krankung des Theaterpächters Hofrat Balder zum Ausbruch 
kam, ist eine sehr verwickelte Erscheinung, über deren 
Ursachen und Folgeerscheinungen noch keine absolute 
Klarheit zu gewinnen ist, da man auch an denjenigen Stellen, 
die ' als eingeweiht gelten dürfen, sehr verschiedenen Auf- 
fassungen begegnet. So viel scheint festzustehen, daß sich 
hier ein Uebel fortgepflanzt hat, das in dem Pachtverträge, 
durch den Hofrat Balder im Jahre 1905 das nenerbaute 
Stadttheater übernahm, seinen Nährboden hat. Er über- 
nahm damals einen vollständig' ungenügenden Fundus und 
mußte schon im ersten Spieliahre ein ganzes Vermögen zu 
dessen Vervollständigung auiwenden. Dazu kam für ihn 
ein sehr ungünstiger Vertrag mit der Stadt, 
durch den er sich verpflichtete, letztere am Brutto- 
gewinn teilnehmen zu lassen, und einen Minimalbetrag 
zusicherte. (I) Auf diese Weise konnten selbst die guten 
Kasseneinnahmen der ersten Jahre dem Unternehmen kaum 
eine die aufzubringenden Zinsen übersteigende Rentabilität 
verschaffen. Besser wurde es seit 1910, wo die Stadt auf 
die Beteiligung am Bruttogewinn verzichtete und nur (!) 
die Hälfte des 20 000 M. übersteigenden Reinerträgnisses 
für sich in Anspruch nahm. Trotz im allgemeinen schlechteren 
Besuches konnten durch diese Modifikation des Vertrages 
alljährlich- mehr oder weniger große Reingewinne erübrigt 
werden und sicher ist, daß das letzte Spiel jahr September 
1912/13 infolge des für den Theaterbetrieb sehr vorteil- 
haften Wetters im letzten Sommer sogar einen ganz er- 
heblichen Reingewinn ergab. Dennoch steht man zurzeit, 
abgesehen von einem Posten laufender Schulden, vor einer 
Ebbe in der Theaterkasse, obgleich noch nicht allzu lange 
Zeit seit dem Eingang der ersten Hälfte der Winterabonne- 
mentsgelder verstrichen ist. Gegenstand der augenblick- 
lichen Verhandlungen ist, wer diese Zuschüsse leisten soll: 
die Stadt oder der neue Pächter Pennarini, oder beide 
zusammen. An die Uebemahme des Theaters in städtische 
Regie und Leitung durch einen städtischen Intendanten 
hat man nicht gedacht, da das finanzielle Risiko der Stadt 
als nicht imbedenklich angesehen wurde.“ — Von den 
größeren Städten Deutschlands werden wohl wenig sich in 
den Ruhm Nürnbergs teilen, das, anstatt für sein Theater 
Zuschuß zu leisten, auch noch Geld aus dem Kunst- 
institut ziehen will. Nim erklärt sich freilich manches! 
— Die Neubesetzung des Direktorpostens der Pariser Großen 
Oper scheint mit nicht geringen Schwierigkeiten verknüpft ge- 
wesen zu sein. Der bisherige Leiter Andrö Messager hat erklärt, 
seine Demission vor Ablauf des Kontraktes (im Dezember 
1914) schon jetzt zu nehmen, da es ihm nicht möglich sei, mit 
seinem Musikdirektor Brousson noch im Amte zu bleiben, er 
ist zurückgetreten. Der neue Direktor Rouche (früher au dem 
den modernen Stil pflegenden Thfeätre des Ans) ist vom 
französischen Ministerrat bereits ernannt worden. Rouche 
erklärte den Journalisten, sein Hauptzweck sei der, am Wieder- 
erstarken der französischen Kunst zu arbeiten. Frankreich 
sei überschwemmt mit Münchner Kunst, die nach Frankreich 
verfälscht und verunstaltet komme. Frankreich müsse be- 
strebt sein, seiner Kunst Ruhm und Prestige wiederzugeben, 
und d : e Oper französischer Musik, französischen Sängern und 
französischen ‘ Dekorationen einzuräumen. Die Akustik des 
Saales solle verbessert, die Logen auf der Szene sollen be- 
seitigt werden usw. 

— Musikalische Zeitschriften.. In Düsseldorf erscheint 
eine neue Musikzeitung unter dem Namen „Musikalische 
Rundschau“. Für die Schriftleitung zeichnet Dr. Guido 
Bagier. Das Blatt wird von der „Gesellschaft der Musik- 
freunde am Rhein und in Westfalen“ wöchentlich heraus- 
gegeben und soll einen vornehmlich wissenschaftlichen und 
kritischen Charakter haben. 

. — Zur Dirigentenfrage. Der Bundesvorstand des christ- 
lichen Sängerbundes deutscher Zunge (1200 Vereine mit 
30000 Mitgliedern) hat beschlossen, zur Fortbildung seiner 
Dirigenten in den verschiedenen Kreisen Dirigenten- 
kurse einzurichten. Ein solcher wurde bereits iri Königs- 
berg und Stuttgart abgehalten. Ein weiterer findet in 
Essen statt. Zum Leiter wurde Musikdirektor E. Par low 
(Frankfurt! gewählt. — Die Dirigenten rühren sich! Es 
ist auch die Gründung eines Vereins der Lehrerdirigenten 
geplant. Davon noch später! 

— Preisausschreiben. Die Akademie der Künste in Berlin 
schreibt einen Wettbewerb für Musiker um den Preis der 
Michael Beerschen Stiftung aus. Als Aufgabe ist eine Sym 


80 



phonie gestellt. Die Arbeiten müssen ;bis zum i . Februar 
ipi4 in Berlin eingeliefert werden. Der Preis besteht in 
einem Stipendium von 2250 M. zu einer einjährigen Studien- 
reise. 


Personalnachrichten. 

— Auszeichnungen. Dem Grafen Bolko von Hochberg, frühe- 
ren Generalintendanten der königl. Schauspiele in Berlin, dem 
Begründer und Förderer der Schlesischen Musikfeste, hat der 
Kaiser zu seinem 70. Geburtstage den Professortitel verliehen. 
— Der Komponist der „Deutschen Messe“, Prof. Otto Taub- 
mann, hat vom Herzog von Anhalt den Verdienstorden für 
Wissenschaft und Kunst erhalten. — Hauptmann O. Putsch, 
Königl. Rumänischer Kapellmeister im 16. Infanterie-Regi- 
ment, hat vom König Karl die Bene-Merenti-Medaille erhalten. 
Diese Medaille wird vom König nur proprio motu verliehen 
und gilt als schönste Auszeichnung fiir Künstler. 

— Der Bach-Biograph Dr. Albert Schweitzer, Privatdozent 
für neutestamentliche Theologie an der Straßburger Universi- 
tät, ist zum Professor ernannt worden. 

— Die mit der Berliner Akademie der Künste verbundene 
Meisterschule für musikalische Komposition, deren Leitung Pro- 
fessor Dr. Max Bruch, der jetzige Ehrensenator der Akademie, 
am 1. April 1911 bei seinem Uebertritt in den Ruhestand 
niederlegte, hat nun (nach 2 1 /» Jahren!) einen neuen Leiter 
erhalten. Ernannt wurde Professor Georg Schumann, der 
Direktor der Berliner Singakademie. Professor Schumann 
hat s in neues Amt am 1. November dieses Jahres angetreten 
und ist gleichzeitig Mitglied des Senats der Akademie gewor- 
den. Die beiden anderen Meisterschulen unterstehen Fried- 
rich Gernsheim und Engelbert Humperdinck. (Unsere Leser 
finden in Heft 1 dieses Jahrgangs eine ausführlichere bio- 
graphisch-kritische Skizze von Schumann. Es sei hierbei mit- 

f eteilt, daß in dem Aufsatze die im Verlage von Breitkopf 
: Härtel erschienenen drei Kompositionen Schumanns: op. 28, 
Liebesfrühling, Ouvertüre für großes Orchester, op. 4, Traum- 
bilder, acht charakteristische Stücke für Pianoforte und op. 5, 
Reigen, zehn Charakterstücke in Walzerform für Pianoforte 
vierhändig, unerwähnt geblieben sind.) 

— Eine sehr merkwurd ge Nachricht kommt aus Görlitz. 
Dort sollte Julia Culp im Evangelischen Vereinshause ein 
Konzert geben, das ein Unternehmer namens Fiedler veran- 
staltet hatte. Die Künstlerin kam auch, aber — sie sang 
nicht, sondern fuhr mit dem nächsten Zuge nach Berlin zu- 
rück, weil der Saal nicht ausverkauft war! „Es ist 
unter meiner Würde“, so «‘klärte sie, „in einem nicht aus- 
verkauften Saale zu singen !“ In der „Neuen Görlitzer Ztg.“ 
wird freilich behauptet, Julia Culp hätte deswegen nicht ge- 
sungen, weil sich nur ein Reinuberschuß von 500 Mk. 
(für 13 Lieder) ergeben hatte .... Dazu erklärt das Kon- 
zertbureau von Fritz Fiedler in Görlitzer Zeitungen folgen- 
des: „Frau Culp war mit ihrem Begleiter, Herrn V. Bos, 
Sonntag nachmittag, bereits in Görlitz — Hotel vier Jahres- 
zeiten — eingetroffen. Bald darauf überraschte sie mich 
durch die Mitteilung, daß sie am Abend nicht singen werde, 
weü der zu erwartende Konzertbesuch ihrem künstlerischen 
Renommee nicht entspreche. Alle meine dringenden Vor- 
stellungen, daß es unmöglich sei, die Konzertbesucher, ins- 
besondere die zahlreichen von auswärts, von ihrem Entschluß 
zu benachrichtigen, und daß aus dieser Tatsache sehr fatale 
Konsequenzen resultieren müßten, sowie a. m., blieben er- 
folglos, so daß ich nach 7 Uhr das Konzert als endgültig 
aufgegeben betrachten mußte. Ich stehe nicht an, dieses 
über alle Maßen rücksichtslose Verhalten der 
Künstlerin hiermit zur Kenntnis aller von diesem Fall 
Betroffenen zu bringen und lehne meinerseits jede Verant- 
wortung für dieses bedauerliche Vorkommnis ab.“ — Singt 
Frau Julia Culp anderswo auch nur vor ausverkaulten Häusern ? 
Dann wird sie ihre Tätigkeit im Konzertsaal wohl etwas ein- 
schränken müssen. Hat die Sängerin auch an die eventuellen 
rechtlichen Folgen ihrer seltsamen Weigerung gedacht, 
die ihr erwachsen können, falls die Darstellung des Konflikts 
in allen Teilen entsprechend ist? 

— Hans v. Bronsart, einer der letzten, wenn nicht über- 
haupt der letzte. Veteran von Namen aus großer Zeit, ist im 
84. Lebensjahr in München gestorben. (Nach Schluß der 
Redaktion.) 

— In München ist nach jahrelangem Leiden der Musi- 
kalienhändler Max Hiebet im Alter von 57 Jahren gestorben. 

— In Leipzig ist Paul Pabst im 73. Lebensjahre gestorben. 
Er galt als einer der verdientesten Senioren des Leipziger 
Musikalienhandels. 1871 übernahm er die bis dahin von 
seinem Schwager Emst Wilhelm Fritzsch innegehabte Musi- 
kalienhandlung und Leihanstalt am Neumarkt und brachte 
durch seine kaufmännische Tüchtigkeit das anfangs nur kleine 
Geschäft so zur Blüte, daß die Firma heute einen Weltruf hat. 

— In Schwerin ist der Hofmusikdirektor, Direktor des 
Schloßkirchenchors, Bernhard Romberg, gestorben. 



Für Violine und Klavier. 


Emil Kronke, op. 56: Chant Napolitain und Danse Polo- 
naise für Klavier und Violine. (Leuckart, Leipzig, je 1.80 M.) 
Das einlache napoütanische Lied ist hier der \ lohne zuliebe 
von As nach A übertragen. Besser gelungen ist die Polonaise, 
allerdings auch bedeutend schwieriger. 

R. Wiegandt, op. 4: Frühlingsahnen, Romanze für Violine 
und Klavierbegleitung. (Leipzig, Pabst, 1 .20 M.) Ein hübsch 
klingendes, leichtes Vortragsstuck. 

Paul Scheinpflug: Notturno für Violine mit Begleitung des 
Klaviers (Bremen, A.E. Fischer, 2 M.). Ein stimmungsvolles 
Nachtstück von mittlerer Schwierigkeit; die Begleitung ist 
ziemlich selbständig gehalten. 

Cesare Barlson, op. 7: Deux morceaux pour Violen et Piano. 
( Schmidt , Leipzig, a 2 M.) 1. Mazurka-Caprice, nicht be- 

sonders schwierig, doch in der Erfindung etwas dürftig (dünn 
klingende Unisono-Stellen); 2. op. 8: Impromptu hongrots, 
schwieriger und mit wirksamen Effekten ausgestattet. Sch. 

Willy Herrniann, op. 34: Vier Vortragsstücke für Violine 
und Klavier ( Zimmermann , Leipzig, ä 80 Pf. bezw. 1.20 M.). 
Die vier Stücke gehen über die erste Lage nicht hinaus, auch 
die vorkommenden Doppelgriffe sind einfach zu bewältigen. 
Die Begleitung beschränkt sich meist darauf, die harmonische 
Grundluge zu geben. So sind die Stückchen auch schwächeren 
Spielern zugänglich und werden bei reinem Vortrag Beifall finden. 

Ant. Gills: Sept petites fantaisies für Klavier und Violine 
(Leipzig, Otto Junne, ä 2 30 Fr.). Die drei uns vorliegenden 
Fantasien sind auf einfachen Themen aufgebaut und ganz 
im Stil der Opernfantasien von Singelöe gehalten, Der Vio- 
linspieler, der die dritte Lage beherrscht und über einige 
Finger- und Bogentechnik verfügt, wird sich erfolgreich da- 
mit produzieren. Die Klavierbegleitung ist leicht. F. 

Verschiedenes. 

Beethoven! ana. Die Erinnerungen an Beethoven von 140 
seiner Zeitgenossen sind von dem Musikschriftsteller Friedrich 
Kerst neu gesammelt worden und sollen demnächst im Ver- 
lage von Julius Hoffmann in Stuttgart erscheinen. Wie uns 
mitgeteilt wird, hat der Herausgeber neben bekannten Quellen 
viele unbekannte oder vergessene aufzufinden gewußt, so daß 
wir einen äußerst wertvollen Beitrag zur Beethoven-Literatur 
erwarten dürfen. 

Katalog. Der durch seine Pflege der Hausmusik be- 
kannte Musikverlag D. Rahter in Leipzig, versendet einen 
Katalognachtrag, umfassend die Neuerscheinungen der Jahre 
iqio — 1913. Das 52 Oktavseiten starke Verzeichnis zeigt 
die genauen Titel der Werke sowohl in alphabetischer Reihen- 
folge wie in systematischer Anordnung. Die beliebten Haus- 
musikbände sind wieder bereichert worden durch Beiträge 
von Alfred Tofft, Richard Wickenh ausser, Ernst Heuser, 
Eduard Poldini, Joseph Weiß, Paul Zilcher, Nikolai von Wilm, 
Leo Norden, August Nölck, Richard Würz, Bernhard Sekles, 
Emil Kronke u. a. Namen wie Carolus Agghäzy (Klavier), 
Wilhelm Berger (Balladen) , S. Bortkiewicz (Klavier), Karl 
Ehrenberg (Streichorchester), E. Jaques-Dalcroze (Klavier), 
Friedrich E. Koch (das Oratorium „Die Sündflut“), G. Fran- 
cesco Malipiero (Orchester), B. Sekles (Orchester - Suite), 
Tschaikowsky (Neu-Ausgaben und Bearbeitungen) zeigen, 
daß der Verlag aber auch in der Pflege der Konzertmusik 
leistungsfähig ist. 

Jubiläumsausgabe. Zimmers Violinschule hat eine seltene Auf- 
lagenzahl erreicht.. Die Jubiläumsausgabe verzeichnet das 
100000. Exemplar I Die Violinschule ist bekanntlich bei Chr. 
Friedrich Vieweg in Berlin-Großlichterfelde erschienen. 

* * * 

Unsere Musikbellage zu Heft 4 bringt ein Violinstück. Der 
Komponist der gefühlsinnigen „Elegie“, Ferdinand Krauß, 
geb. am 13. Februar 1836, gest. am 3. September 1887, be- 
rechtigte als hervorragendes Musiktalent zu den schönsten 
Hoffnungen. Seine Lehrer am Stuttgarter Konservatorium, 
das er von 1874 — 1880 besuchte und mit glänzendem Erfolg 
absolvierte, waren u. a. Faißt (Orgel und Komposition) und 
Pruckner. (Klavier). Krauß entstammte einem schwäbischen 
Pfarrhaus. Er hinterließ namentlich wertvolle Stücke für 
Orgel. Von seinen gefälligen Liedern erschienen vor einigen 
Jahren drei hübsche Kiuderlieder in Türmers Hausmusik. 
Sein Vater Friedrich Krauß hat sich durch die bekannte 
Liedersammlung Weeber und Krauß als Schulgesangsmetho- 
diker einen Namen gemacht 

Verantwortlicher Redakteur: Oswald Kühn in Stuttgart. 
Schluß der Redaktion am 1. November, Ausgabe dieses Heftes 

am 18. November, des nächsten Heftes am 27. November. 


81 



Dur und Moll 


— Saint-Saens, Verdi und 
Napoleon III. Camille Saint- 
Saens bekennt in einem Auf- 
satz, wie die Florentiner Zei- 
tung „Nazione“ berichtet, daß 
er einst ein Gegner der Verdi- 
schen Musik war, die ihm zu 
gewaltsam erschien. Er änderte 
indessen seine Ansicht, als er 
den „Rigoletto“ kennen lernte, 
dessen dritten Akt er für die 
Offenbarung eines Genies an- 
sah. Von diesem Augenblick 
an fand er keine Ruhe, bis es 
ihm gelang, in Paris ein Verdi- 
Konzert zu veranstalten, das 
die Bewunderung für den gro- 
ßen italienischen Meister wach- 
rief. Saint-Saens erinnert zu- 
gleich daran, daß die Hymne 
der Nationen, die Verdi für die 
Weltausstellung in London 
komponiert hatte, nicht den 
verdienten Erfolg fand, und 
gibt hierfür folgenden Grund 
an: „Der Kaiser Napoleon III. 
wohnte der Aufführung bei. 
In der Hymne der Nationen 
ist jedes Land Europas mit 
seiner eigenen Volkshymne ver- 
treten — Frankreich mit der 
Marseillaise, die damals ver- 
boten war. Hieran hatte Verdi 
indessen nicht gedacht. Als 
der Kaiser die Melodie der 
Marseillaise hörte, wurde er 
bleich, und auch das Publikum 
erschrak, und am Schluß der 
Komposition wagte niemand 
Beifall zu klatschen. Ich allein 
applaudierte unter den unzäh- 
ligen Zuhörern. Der Kaiser 
erhob mit einer heftigen Be- 
wegung sein Opernglas und 
richtete es auf mich - ich rich- 
tete mein Glas auf ihn und 
stand so einige Zeit, entschlos- 
sen, mich nicht zu zeigen, da 
der empörte Kaiser mich zu 
erkennen begehrte. Schließlich 
beruhigte sich Napoleon III. 
und verließ das Konzert in 
großer Hast.“ 


EDITION BREITKOPF 


Julius Weismann 

Sonate in Fis moll für Violine und Klavier 
Op. 47. Edition Breitkopf Nr. 3909. Preis 5 m. 


Der Name JULIUS WEISMANN ist schon vorteilhaft bekannt als 
der eines modernen Tonsetzers, dessen ausgereifte Werke von einem 
starken Können zeugen, die sich in der Musikwelt bald durchzusetzen 
wußten und überall Anerkennung gefunden haben. Die Sonate ist 
Catharina Bosch gewidmet, die sie in kommender Konzertzeit 
in einer Reihe von Städten zur Aufführung bringen wird. Auch der 
Hamburger Geiger Max Menge bat die Sonate bereits auf genommen. 

Die „Kölnische Zeitung“ schreibt über die Uraufführung dieses Werkes 
unter anderem: „Man tut bei allem, was dieser hochbegabte Tonsetzer 
schreibt, gut. die Ohren zu spitzen; vielmehr man kann es gar nicht anders, 
weil alles, was er sagt, interessiert: das Banale haßt er wie die Todsünde. 
Er besitzt fließende, gewinnende Erfindung ; welch reizvollen Einfall läßt 
er gleich im Seitenthema des ersten Satzes hören, und wie fein leitet er 
am Orgelpunkt Es in der Höhe wieder zu Sturm und Drang zurück.“ 



ASPRENGER 

STUTTGART 


Cefes-Edition. 



Weihnachtsmusik 

Bloß, C. 0 sanctissima, für Streichquartett M. — .80 no. 

Triebei, B. Santa Notte! Heilige Nacht! 

TTaraphrase über Wethnachtslleder für 

netto M. I netto M. 

Violine mit Pianof 1.20 I Pür Streichquartett. Viel. I und 


Violine erleicht., 1 .— 112 . P- sition 


II, Viola, Cello 1.20 


mit Pianof 1.20 Für Streich quin tet t, Viol. I und 

Violoncello mit Pianof 1.20 II, Viola. Cello, Baß 1.50 

Flöte mit Pianof 1.20 Für Streichquartett mit Pianof. a. — 

2 Violinen mit Pianof 1.50 Für Viol. solo m. Streichquart. 1.50 

Violine, Viola mit Pianof. ... 1 50 Für Flöte solo m. Streichquart, r.50 

Violine, Cello mit Pianof. . . . 1.50 Für Violoncello solo m. Streich- 


Flöte, Violine II mit Pianof. . . 1.50 quartett 1.50 

Flöte, Viola mit Pianof 1.50 Für 2 Viol.', Viola mit Pianof. . 1.80 

Flöte, Cello mit Pianof. -, . . . 1.50 Für 2 Viol., Cello mit Pianof. . 1.80 


Flöte solo, Viol. II, Viola, Cello 1.20 Für Flöte, Viol. II, Viola m. Pfte. 1 80 
Cello solo, Viol. II, Viola, Cello 1.20 | Für Flöte, VioLlI, Cello m.Pfte. 1.80 
PldftOfOrt* XU 2 Händen in brillantem, leicht ausführb. Sakmsttl no. x.ao 
Pak] Santa Notte! Heilige Naoht! Opus 35. 
r«wi» jl Paraphrase über brttebte Qleihnachtsiieder für 


Streichquintelt (2 Violinen, 
Viola, Cello, Baß) . . . 


nieder für 

n. M. 1.20 
„ 1.20 


Violine mit Pianof. . . . n. M. 1.— I 2 Violinen mit Pianof. . . n. M. 1.20 
Flöte mit Pianof „ 1.— | Flöte, Violine m. Pianof. „ 1.20 

fflttzatr Paul °p us * 6 - ni - ro<nutaci)t>ii<d«r, 

rtMH. ffl r viol. m. Pianof. (I. Position sehr leicht u. M. — .80 
UifitVftcr Paul Opus 37. GroßmüUerchen’s Weihnaehtstraum. €fn 
SSlSllI rau»» ifimmtingibnd am heiligen Hbeud. Für streich- 
quintett mit Harfe und Glocken ad lib. n. M. 2. — 
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Violine mit Pianof „ 1.20 Flöte mit Pianof. . . . . „ „ x. 20 

Violine, Cello mit Pianof. „ „ 1.50 Flöte, Viol., Cello m. Pfte. „ „ 1.80 


Flöte, Violine mit Pianof. 
n. M. 1.30 2 Violinen mit Pianof. . . 


Streichquartett m. Pianof. „ „ 3. — | Pianoforte zu 2 Händen „ „ 1,20 

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Für unaufgefordert eingehende Manu- 
skripte jeder Art übernimmt die Redaktion 
keine Garantie. Wir bitten vorher an- 
zufragen, ob ein Manuskript (schriftstelle- 
rische oder musikalische Beiträge) Aus- 
sicht auf Annahme habe ; bei der Fülle 
de? uns zugeschickten Materials ist eine 
rasche Erledigung 9onst ausgeschlossen. 
Rücksendung erfolgt nur, wenn genügend 
Porto dem Manuskripte beilag. 

Anfragen für den Briefkasten, denen 
der Abonnementsausweis fehlt, sowie ano- 
nyme Anfragen werden nicht beantwortet. 

R. R„ Fr. Besten Dank für Ihre Mit- 
teilung. Sie haben leider in mehr als 
einem Punkte recht. — Sie haben keine 
Nachricht erhalten? Wir haben Ihnen im 
Sommer an den Vierwaldstättersee ge- 
schrieben ! 

W. S., Wiesbaden, i. Sie dürfen ohne 
weiteres Privatunterricht erteilen, a. We- 
gen der Frage 2 wenden Sie sich am besten 
an das Steueramt oder an einen Advokaten 

E. K., D- Musikdirektor darf sich heute 
noch in Deutschland jeder nennen, aber 
nicht königlicher Musikdirektor. Der 
Doktor der deutschen Musiker ist, 
wenn er nicht honoris causa verliehen 
wird, meist ein philosophischer. Den 
Mus.-Dr. hat England und jetzt auch 
Amerika. — Der Professor-Titel wird meist 
von den regierenden Fürsten'verllehen. An 
den Universitäten gibt es ordent- 
liche Professuren in Deutschland nur ganz 
vereinzelt, außerordentliche mehr. 

Seminarist PI. Ein Komponist zum 
Filmdrama „Quo vadis“ ist uns nicht 
bekannt. Wie wir uns erinnern, sind Telle 
aus dem Oratorium von Nowowiejski für 
die Aufführung verwendet worden. Doch 
wissen wir nicht, ob die Musik für alle 
Film-Aufführungen obligatorisch ist. 

W. F. 20 . Verein der deutschen Musi- 
kalienhändler, Geschäftsstelle Leipzig, 
Buchgewerbehaus. Sie bekommen dort die 
Adressen zur Versendung zurechtgemacht. 
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Sollen Kompositionen im Briefkasten 
beurteilt werden, so ist eine Anfrage nicht 
erforderlich. Solche Manuskripte können 
jederzeit an uns gesendet werden, doch darf 
der Abonnementsausweis nicht fehlen. 


(Redaktionsschluß am 30. Oktober.) 


R. H., Bresl. Ihr Talent verdient Be- 
achtung. Trotz der bescheidenen Grund- 
lage, über die Sie verfügen, läßt sich ein 
gutes musikalisches Empfinden nicht ver- 
kennen. Ihr Gestalten geht auf Schwung 
und beseelte Anmut aus. 

D — ringer, M. „Noch einmal möcht’ 
ich gehn“ atmet innige Wärme. Wozu 
aber den höhnenden Kuckucksruf am 
Schluß? In „Waldvögel“ ist der lockere 
Ton des Gedichts gut getroffen. 

Ave Maria. Die zweite Zeile sollte nicht 
wieder in Adur ausmünden. Geben Sie 
dieser Zeile eine andere Fassung mit Ver- 
meidung des angemerkten Querstands. 

Jul. Cäs. Sehr gefühlvoll und den Cha- 
rakter eines Wiegenlieds fein zum Aus- 
druck bringend. Abonnent? 

Baryton. Ihre Klänge würden, so sehr 
sie ja dem Sujet des Gedichts angepaßt 
erscheinen, in unsrem Leserkreis Wider- 
spruch erregen. Mit Dank zurück. 

E. G. f E. Der „Frühlingsreigen“ wirkt 
bei seiner verschwommenen Durchführung 
wie eine' nicht enden wollende Introduk- 
tion. Das weitschweifige Stück müßte ge- 
kürzt werden. Da Sie in satzlechmsctaer 
Hinsicht nicht unerfahren zu sein schei- 
nen, müßte Ihnen auch etwas gelingen, 
das sich durch künstlerische Gediegenheit 
auszeichnet. 

Br. Z A. Das in seiner äußeren Faktur 
nicht uninteressante Scherzo macht einen 
teilweise erzwungenen, verschrobenen Ein- 
druck. 

W. B., Hldt. Ein „Wandervogel“ soll 
singen dürfen, wie ihm der Schnabel ge- 
wachsen ist. Ihre Lieder wollen wir da- 
her nicht unter die kritische Lupe nehmen. 
Die urwüchsige Frische, wie sie auch Ihrem 
Marsch als dilettantischem Produkt eigen 
ist, sei getn anerkannt. 

E. J— söhn, B. Ihr« 3 Lieder sind nicht 
ohne Gehalt und Eigenart. Gegen eine 
Veröffentlichufag Im Druck wüßten wir 
vom kritischen Standpunkt aus nichts 
vorzubringen. 

H. K. Der „Kaisergruß“ nimmt sich in 
den 3 Satzarten schwungvoll aus. 


Eingesandt. 

Ein Brillant, ob groß oder klein, 
aber echt und von feiner Qualität, ist eiue 
gute Kapitalanlage, zumal bei den stetig 
steigenden Diamantpreisen, besonders bei 
den schönen und reinen Steinen trifft dies 
zu. Das Publikum sollte deshalb beim 
Einkauf von Schmuck mit Brillanten vor 
allem darauf achten, daß ihm nur erst- 
klassige reine Steine angeboten werden, 
denn nur diese behalten oder erhöhen 
ihren Wert und bereiten ihrem Besitzer 
damit stete Freude. Eine Firma die sich 
mit der Verarbeitung und dem Vertrieb 
feinster Edelsteine befaßt und ihr Haupt- 
augenmerk auf schöne erstklassige Steine 
legt, ist das altbegründete, seit 1854 be- 
stehende Haus: F. Todt, Königl., Großher- 
zog'. u. Fürst!. Hoflieferant, Pforzheim. 
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arbeitung alter Schmuckstücke, sowie der 
Anfertigung künstlerisch ausgeführter 
Luxusgegenstände. Der neueste illuslr. 
Katalog steht Interessenten gratis u. franko 
zut Verfügung. 


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deren Beachtung unserer Leser 
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XXXV. VERLAG VON CARL GRÜNINGER, STUTTGART-LEIPZIG 1914 
Jahrgang Preis des Jahrgangs (Oktober 1913 bis September 1914) 8 Mark. Heft 5 

Erscheint vierteljährlich in 6 Heften (mit Musikbei lasen, Kunat bei läge and „Batka, iUnatrlerte Geschichte der Musik“). Abonnementpreis a M. vierteljährlich, 8 M. jährlich. 
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Vfl half • Klaviersonaten von Joh. Brahms. Technisch-ästhetische Analysen. Sonate in fmoll, Opus 5. — Nachklänge zum Verdi-Jubiläum. 1 . Die Kopierbücher 
111 II all • Giuseppe Verdis. II. Die Muster-Theaterausstellung zu Parma. III. „Falstaff* 4 in München. IV. Verdi lm Urteil heutiger Musiker. — Hans v, Bronsart, 
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Die Klaviersonaten von Joh. Brahms. 

Technisch-ästhetische Analysen 1 . 

Von Professor Dr. WILIBALD NAGEL. 

Sonate in fmoll, Opus 6. 

I n Brahms’ Kompositionsverzeichnis steht bei der 
dritten Klaviersonate bemerkt: „Oktober 1853 Düssel- 
dorf, Andante und Intermezzo früher." Kalbeck nimmt 
an, daß diese beiden innerlich aufs engste zusammen ge- 
hörenden Sätze noch in Hamburg oder auf der Rhein- 
reise entstanden seien und nennt die letztere Annahme 
die wahrscheinlichere. Ist sie das wirklich? Auf der 
„köstlichen“ Rheinreise, so bezeichnet Brahms sie selbst, 
waren ihm’ die trüben Gedanken, die den „Rückblick"* 
das Intermezzo in der Sonate, hervorgerufen hatten, in 
nichts zerronnen; die selige Traumwelt junger Liebe, aus 
der das Andante emporgeblüht, war hellem Tage und der 
Lust, sich fröhlich mit dem Leben herumzuschlagen, 
gewichen. Aber die Vergangenheit war nicht tot, wie 
auch das nicht vergessen wurde, was sie an künstlerischen 
Taten hatte reifen sehen. Es fand jetzt in der f moll- 
Sonate eine willkommene Stätte. 

Nicht nur deren beide langsame Sätze, das ganze Werk 
ist ein persönliches Bekenntnis. Brahms hatte in Ham- 
burg eine junge Künstlerin verehrt. Für das, was ihm das 
Herz bewegte, fand er den entsprechenden Ausdruck in 
einigen Dichtungen Stemaus; er zeichnete sie auf, um sie 
ganz in Musik zu setzen. Was ihn davon abhielt, wissen 
wir nicht. Die Eingangsverse des einen Gedichtes setzte 
er dem Andante als Motto bei, und aus dem „Rückblick“ 
tönt es uns entgegen wie Klage über den trüben Tag, an 
dem, wie es bei dem Dichter heißt, des Herzens glücklicher 
Schlag verstummte. 

Wie die beiden ersten Sonaten hat also auch diese, die 
unter dem Titel: „Sonate (Fmoll) für das Pianoforte com- 
poniert und der Frau Gräfin Ida von Hohenthal geh. 
Gräfin von Scherr-Thoß zugeeignet" als op. 5 in Leipzig 
bei Barthold Senff 1854 erschien, eine dichterische Grund- 
lage. Aber diese ist nicht selbst der erste Ausgangspunkt. 
Man weiß, daß die Jungdeutschen sich bewogen fühlten, 
in Brahms einen der Ihrigen zu sehen — nicht gerade zu 
dessen besonderer Freude. In Brahms’ Werken, das 
übersah der sich um Liszt scharende Kreis, waren nur 
Stimmungsmomente gegeben, für die sich in einigen litera- 

1 Vergleiche die Aufsätze über die Sonaten in C dur und in 
fismoll in Heft 14, 15, 18, 20, 22 und 24 des vorigen Jahrg. 


rischen Schöpfungen der entsprechende Ausdruck fand; 
Brahms hatte nicht etwa versucht, das, was er in den 
Dichtungen fand, zu objektivieren und als ein anempfun- 
denes in Tönen nachzuschildem. Wer die Stemausehen 
Verse Zug um Zug mit dem Andante vergleichen wollte, 
würde bald das Vergebliche des Versuches einsehen. Noch 
etwas anderes ist über die erwähnte Einschätzung von 
Brahms’ Kunst zu sagen: wir verstehen sie besonders 
deshalb nicht, weil in seiner Musik auch nicht das geringste 
von der sinnlich erregten Weise der Neudeutschen zu 
verspüren ist, nichts von der jäh auflohenden, alles ver- 
zehrenden Leidenschaft, wie sie, um heterogene Bildungen 
zu nennen, Wagners Venusbergmusik oder Liszts Liebes- 
träume durchzieht: ganz im Gegenteil bestimmt sich der 
Ausdruck der Liebe bei Brahms in einer überaus bezeich- 
nenden Weise durch ein merkliches Sich-Bescheiden in 
der Verwendung der Tonmittel, das man vielleicht am besten 
mit dem mittelalterlichen Begriffe der „Maße“ bezeichnet. 
Ueber der Liebe hat Brahms das Leben nicht vergessen: 
auch aus dem Andante spricht jener Grundzug aller seiner 
Kirnst, das Bewußtsein der eigenen Kraft; und so sehr 
ihn der Verlust der Geliebten traf, er erlag dem Schlage 
nicht. So zeigt auch das „Intermezzo“ trotz aller tiefen 
Klagelaute aufrechten Sinn, männliche Haltung, kein 
Vergehen im Schmerz, keine weltscbmerelerische Stimmung, 
die im eigenen Ich das Zentrum alles Lebenden sieht und 
in der Störung seines Gleichgewichtes ein namenloses 
Unglück für das gesamte Universum . . . Mißt man eine 
Tondichtung, wie den „Rückblick“, an den größenwahn- 
sinnigen Erzeugnissen weltschmerzlerischer Literatur, so 
wird vielleicht ihre Ausdruckskraft als wenig bedeutend 
erscheinen. Vielleicht auch als gar nicht „interessant“. Be- 
sitzt man aber das Organ für die rechte Wertung dieses 
Tongedichtes, so wächst es dem Beurteiler geradezu in 
die Sphäre früher Goethescher Lyrik hinein: dieselbe 
wundersame Einfachheit der Sprache, dieselbe Klarheit 
des Gedankenganges, dieselbe Bildsamkeit des Ausdruckes 
und dieselbe schlagende Kürze. 

Nicht die Wirklichkeit nachzuschildem, war die Auf- 
gabe von Brahms' Kunst. In der f moll-Sonate ward ihm 
ein Erlebnis oder vielleicht auch nur der jugendliche Traum 
eines Erlebnisses zum Quell seines Schaffens. Liebes- 
glück und Leid wurden aber nur der scheinbare Mittel- 
punkt des Werkes, wie sie auch dem Meister nur einen 
flüchtigen Augenblick bedeuten, zu dem das Leben selbst 
ihn hingeleitet hatte, wie es ihn auch, neuen Zielen ent- 
gegen, von ihm wegführte. 

I. Satz. Allegro maestoso. — Was wir besonders bei 










der ersten Sonate, zu bemerken Gelegenheit hatten, das 
sehen wir auch hier wieder: Brahms nutzt die äußersten 
Klanggrenzen des Klaviers in einem ins gewaltigste ge- 
steigerten Maße aus. Man hört oft, und das ganz besonders 
von klugen Leuten, fragen, ob solche Massigkeit der Ton- 
gebung, die fast gleichzeitige Benutzung der entlegensten 
Oktaven „notwendig“ seien, ob sich „die Idee“ eines Werkes 
nicht mit minder starken Mitteln ausdrücken lasse ? Han- 
delt es sich um Bravourmusik, so ist’s am Ende ganz gleich- 
gültig, ob eine Phrase durch eine Oktave mehr oder weniger 
gehetzt wird und ein Akkord aus 7 oder 10 Tönen besteht. 
Wie sollte sich aber hier eine „Vereinfachung“ erzielen 
lassen, ohne gleichzeitig dem Sinne des Ganzen empfind- 
lich zu schaden ? Das gewaltige innere Leben des Werkes, 
wie es sich andeutend in dem mit dem Eingänge er- 
scheinenden Hauptmotive zeigt, verlangt gebieterisch den 
großen Tonumfang. Aber wir begreifen auch, daß Brahms 
diesen unbegleiteten Klaviersatz nicht mehr zu steigern 
vermochte und so gezwungen wurde, die großen, selb- 
ständigen Klavierformen für die Zukunft zu meiden. Auch 
die umfangreichsten der späteren Klavierschöpfungen 
wiederholen im allgemeinen den wahrhaft gigantischen 
Tonapparat der Sonaten nicht mehr; nur gelegentlich wird 
man, so in der h moll-Rhapsodie, in den B dur-Varia- 
tionen usw. wieder an ihn erinnert. 

Was uns Brahms im führenden Gedanken des ersten 
Satzes : 



entgegenschleudert, das ist in der elementaren Wucht 
seiner Tonsprache in der früheren Musik ohnegleichen 
gewesen. Nichts von Leidenschaft, aber eine Bestimmt- 
heit und trotzige Energie des Ausdruckes, die stärker gar 
nicht gedacht werden kann. Titanenkraft, die sich auf- 
bäumt, ohne zu zertrümmern. Die Bewegung des Satzes 
ist ruhig, das Hauptmotiv in seiner gedrungenen Gestalt 
wechselt dreimal die Lage und strebt der Höhe zu, um in 
einer ebenen Linie mit kraft jauchzender Fülle zu enden; 
die Tonschritte des Basses führen währenddem in chroma- 
tischem Gange abwärts von der Tonika zur Dominant- 
harmonie. 

Der Abschnitt stellt sich als Vordersatz eines Gedankens 
dar, dem der Spieler nicht einen Augenblick lang ein Mo- 
ment der Unruhe beimischen darf, will er das Rechte 
treffen; er muß auch festhalten, daß dieser Absatz durchaus 
einheitlich gestaltet ist und daß sich nicht in dem breit- 
gefügten Abschlüsse ein Gegensatz zu dem punktierten 
Rhythmus des Beginnes zeigt: beides gehört zusammen 
wie das Atemschöpfen nach gewaltigen Hammerschlägen, 
das Glück der Ruhe nach schwerer Arbeit. 

Zu dem C dur-Abschlusse setzt sich ein in c nioll auf- 
tretendes Motiv in den denkbar schärfsten Gegensatz: 



Nicht Aktivität ist sein Wesen, sondern Beschaulichkeit; 
ja, man möchte der sich in engen Grenzen bewegenden 
Figur geradezu den Charakter des Grüblerischen, Bohrenden 
beilegen. Daß das Motiv aus dem Hauptmotive selbst 

86 


hervorgegangen ist, erkennt man unschwer: der punktierte 
Rhythmus ist gefallen wie der Schlag des Einganges, und 
statt zur sprungweise erreichten Höhe biegt die neue 
Fassung zum m ittleren Tone zurück: 



Das zweite Motiv ruht über der leeren Quinte des Basses 
(also auch da ein diametraler Gegensatz zum Anfänge), 
steigt in diatonischer Linienführung aufwärts und erfährt 
im Takte 3 ff: eine seine eindringliche Wirkung stark 
steigernde, rhythmische Umbildung (immer unter Anleh- 
nung an das Hauptmotiv) bis zum Abschlüsse des Halb- 
satzes in G dur, der neutralen Dominante. Also haben 
wir hier abermals einen sogenannten Vordersatz, und wir 
sehen, wie der gleichen Wurzel das äußerlich Entgegen- 
gesetzte entkeimte, die Motive in f- und in c moll, deren 
innere Verwandtschaft aber unvertrennbar ist: dort die 
titanische Kraft, die sich selbst bändigt, hier das ernste 
Sinnen und Erwägen . . . 

Wie oben neben Cdur die Molltonart gleicher Höhe 
trat, so auch hier, wo auf den G dur-Plagalschluß sogleich 
die Wiederholung des Halbsatzes in g moll folgt. Man 
beachte jedoch, daß dieser Wiederholung sich ein neues 
Moment beigesellt, eine in auffallenden Synkopierungen 
erscheinende Oberstimme auf d“, die Oberquinte des 
Gründtones, die wie ein mahnender Homklang in die ruhigen 
Gänge des Motives hinein ruft: 



Wir werden die Bedeutung der Stelle an dem Durchfüh- 
rungsteile erkennen. Dieser Absatz leitet wieder zur 
Unterdominantharmonie (Cdur). um das Hauptmotiv über 
den Gang: 


1 1 



1 


einzuführen, der späterhin eine ausgedehnte Verwendung 
findet, ohne freilich (als eine ziemlich äußerliche Bildung) 
für die Oekonomie des Satzes tiefere Geltung und Be- 
deutung zu erlangen. 

Die Steigerung des Ausdruckes ergibt sich durch die 
Wiederholung des punktierten Rhythmus in der Ober- 
stimme, wodurch auch die motivische Bindung vom dritten 
zum ersten Viertel jedes Taktes herbeigeführt wird, ferner 
und insbesondere dadurch, daß das Hauptmotiv jetzt 
durch 5 statt durch die im Anfänge berührten 3 Takte 
verwendet wird. Auch hier herrscht kein Zeichen von 
Unruhe, nur die Energie der Tonsprache ist wesentlich 
erhöht worden. 

Wir haben also hier diese formale Einteilung: an einen 
Vordersatz von 6 Takten schließen sich ein Gegensatz 
von 2x5 Takten und die zunächst als Nachsatz er- 
scheinende Wiederholung des ersten Gedankens, der sich 
aber auch an dieser Stelle nicht tonal schließt. 

Welch ein Unterschied gegen die Welt der ersten und 
zweiten Sonate offenbart sich in allem dem! Nichts mehr 
vom phantastischen Ueberschwange dieser, nichts mehr 
vom wilden, ungebändigten Jugendtreiben jener: ein 
eherner Wille spricht sich hier aus, eine Kraft, die sich 
selbst zu zügeln vermag. Konnten wir früher gewisse 
bildliche Vorstellungen als mögliche Grundlagen der Brahms- 



sehen Musik erkennen, so ist das hier ganz ausgeschlossen; 
diese Bildungen sind Ausfluß innersten Musikerlebens 
und nur so zu verstehen. Was hülfe es z. B., wenn sich 
irgend jemand beim Anfänge des Satzes eine Zyklopen- 
schmiede vorstellen würde ? Die Gleichmäßigkeit des 
Rhythmus, die im Musikdrama als die primäre der Musik- 
vorstellungen solche Bildungen schafft, fehlt hier, und 
selbst wenn man die drei ersten Takte unter einem 
Bilde begreifen und dies durch die nachfolgenden drei 
ergänzen könnte: mit dem siebenten Takte müßte doch 
die ganze Vorstellungsreihe ausgeschaltet werden. 

Wir haben gesehen, daß die beiden ersten Motive der- 
selben Wurzel entkeimten und haben somit die inneren 
Beziehungen des gesamten ersten Abschnittes erkannt. 
Diese Einheit der führenden Gedanken bleibt dem Satze 
weiter gewahrt. Zunächst zwar tritt nach dem C dur- 
Schlusse ein durch den ruhigen Gang seiner Führung 
kontrastierendes Motiv auf, das ganz anderen Sphären 
zu entstammen scheint und doch aus dem Hauptmotive 
gewonnen wurde: 






wie auch seine Begleitfigur diesem entstammt: 


• • 

auch die Beziehungen zum zweiten, dem c moll-Abschnitte 
sind ganz klar: 



(vergl. Takt 9 des Anfanges), wobei abermals auf 
das Hauptmotiv als den Urgrund auch dieser Bildungen 
zu verweisen ist: 



Die formale Gestaltung des ganzen Absatzes ist klar; 
die erste Hälfte moduliert von As- nach F dur in 8 Takten, 
an deren Schlüsse man die motivischen Verkürzungen 
nicht übersehen wolle ; die zweite Hälfte beginnt in B dur 
und ändert ihren zweiten Teil so ab, daß sie durch dessen 
gleichmäßig ruhigen Gang den nächsten Einsatz vor- 
bereitet. Der Abschnitt wird durch einen Anhang auf 
6x2 Takte gebracht. 

Haben wir in ihm das sogenannte zweite Thema 
zu sehen? Schwerlich. Nicht wegen der motivischen 
Verwandtschaft zum Hauptmotive ist das der Fall, son- 
dern wegen der geringen Rolle, die der in seinem Charakter 
aufrechte, gerade, stolze Gedanke für den Aufbau des 
ganzen Satzes spielt. Er ist nicht eigentlich, wie das 
zweite Thema gewöhnlich ist, als Widerpart des ersten 
anzusehen, ist zu wenig lyrisch-beschaulicher Art, als daß 
aus ihm ein voller Gegensatz zum ersten Thema hergeleitet 
werden könnte. 

Das ist aber in vollem Umfange der Fall mit dem als 
Seitensatze anzusprechenden Gedanken: 



Hier herrscht eine ganz andere Empfindungswelt, als sie 
sich im vorhergehenden äußerte; der Satz ist weich, ruhig 
strömend bis dahin, wo nach der Modulation nach Ges dur 
die Oberstimmen in gerader Linie zur Höhe steigen: hier 
zeigt sich in Takt 3 ein Moment der Unruhe in der rhyth- 
mischen Verschiebung: 


0 b-L f J 


häJ =*■ J 

ph 

/kfr 1 ft— r~ r1 

Tnrr bi 




— ■ 

r 


'■—i / — 


I I T I I 


das zwar sogleich durch die nachfolgenden dreizeitigen 
Rhythmen paralysiert wird, jedoch die innere Verbindung 
mit dem bei „accelerando“ beginnenden neuen Abschnitte 
herstellen hilft. Das Motiv des Seitensatzes ist selbst- 
redend gleichfalls als aus dem Hauptmotive hervorgegangen 
anzusehen, so daß wir in dem thematischen Materiale 
der Sonate (auch der Schlußsatz gehört, wie wir sehen 
werden, in den gleichen Kreis) die denkbar engste Ver- 
knüpfung und Einheitlichkeit, nicht die der Stimmungen, 
sondern von deren Ausgangspunkt, zu erkennen haben. 
Der formale Aufbau der Stelle ergibt 8x8 Takte, also 
dies Bild: 


Thema 



nicht etwa die Abteilung in 3 x 3 Takte, worauf ein ober- 
flächlicher Beurteiler leicht geraten könnte. Ueberall sind 
die Beziehungen zum Hauptmotive zu erkennen, z. B. bei: 




Die schöne, warme Harmonik dieses Satzes, die weichen 
akkordischen Bindungen, die bei aller Einfachheit tiefe 
Eindringlichkeit der Melodik, deren Wesen ernst und vor- 
nehm ist — alles webt sich zu einem wundervollen Ganzen 
zusammen. Gewiß: wem Kunst nichts als Ausdruck 
von Leidenschaft und Sinnlichkeit ist, der wird hier nicht 
allzuviel Gefallen äußern, wird vielleicht sogar von einer 
gewissen asketischen Haltung sprechen und dies wohl 
gar bei einem jungen Manne von 20 Jahren unnatürlich 
finden. Wer so urteilt, der wird sicherlich auch das 
„sostenuto" beanstanden, das Brahms da vorschreibt, 
wo die Akkordgänge der oberen Stimme aufwärts schreitend 
einsetzen. Wie leicht wäre es, den metaphysischen Grund 
für diese Vorzeichnung verkennend, den tiefen Sinn des 
Satzes in sein Gegenteil zu verkehren und das Ganze zu 
einem äußerlich wirkenden Spiele zu gestalten! Wenn 
Brahms hier die Bezeichnung „sostenuto“ angibt, so er- 
kennen wir daran gerade ein Grundgesetz seines Kunst- 
schaffens, das, sich nie im Stofflichen zu verlieren, sich 
nicht von ihm meistern zu lassen: die aufwärtsstrebenden 
Akkordsäulen bedeuten an sich (in ihrer Richtung) ein 
Anwachsen der Energie des Ausdruckes; dessen Stärke- 
grad muß in einem inneren Verhältnisse zu der gesamten 
Ausdruckssphäre des Werkes stehen. Das will Brahms 
mit dem einen Worte sagen. Uns fällt auch da wieder 
Beethoven ein, von dem berichtet wird, er habe derartige 
crescendo-Linien mit strengster Einhaltung des Tempos, 
wohl gar mit einer gewissen Zurückhaltung, auf jeden Fall 
aber niemals mit Beschleunigung des Schnelligkeitsgrades 
gespielt. 

Der Vortrag der zuletzt herausgehobenen Stelle erfordert 
kein geringes Maß von Kraft; aus dem Kreise wohligen 
Behagens, das der Seitensatz in seinem Beginne ausströmt, 
herauszukommen, aber Ausdruckszonen zu erreichen, aus 
denen einmal die Stimmung des Anfanges als eine un- 

87 



vorbereitete auf uns wirken könne (das geschieht, indem 
Brahms das Hauptmotiv selbst aus dem Schlußsätze 
vollständig ausschaltet), zweitens aber der Fortgang der 
Sonate sich vorbereitet. Dies letztere erreicht Brahms 
durch Einführung eines dem Satze bis dahin fremden 
Elementes, eines auffallenden accelerando, dem sich ein 
starkes Auf- und Abwogen chromatischer Linien eint: 



usw. 


Man sieht, auch dies Motiv resp. die Motivverbindung 
stellt sich als dem Boden des Hauptmotives entsproßt 
dar. In 2 X 2 sich wiederholenden Taktgliedem moduliert 
der Schlußsatz nach Des dur. Gelegentlich bemerken 
wir hier wieder einmal Brahms’ Vorliebe für Terz- und 
Sextparallelen. Das Moment der Ruhe, das nötig ist, 
um das Hauptmotiv in seiner Wirkung aufs nachhaltigste 
zu unterstreichen, steigert Brahms durch das lange Aus- 
tönenlassen der Des dur-Dreiklänge. Die Einführung der 
schon früher gebrauchten Figur: 



beeinträchtigt die Schlagkraft des nachfolgenden Haupt- 
motives. Brahms glaubte aber wohl, die Figur ins Ge- 
dächtnis des Spielers zurückrufen zu müssen, da er zunächst 
aus ihr den Durchführungssatz bildet: 



Dieser trägt das angeführte Nebenmotiv kadenzierend 
nach cismoll. Hier tritt in einer dem Anfänge gleich- 
gestalteten Weise das Hauptmotiv dreimal auf, so daß 
im vierten Takte die Dominantseptharmonie erreicht ist. 
Das Satzglied hier, wie in seiner ersten Fassung, sich breit 
ausströmen zu lassen, hätte keinen rechten Zweck gehabt, 
da das im zweiten Motive verborgene Material noch keinerlei 
Verwendung gefunden hat. So setzt denn nun, nachdem 
die sozusagen antizipierenden Homklänge: 


3 



3 


eine neue Erscheinung angekündigt haben, im Basse das zu- 
erst in cmoll erschienene Motiv ein, von dem Triolen- 
motive flankiert: 



Man erkennt jetzt die tiefere Bedeutung der rhythmischen 
Rückung aus den Takten 12 und 13 des Beginnes, wo 
die Quinte der Harmonie gleichfalls als freie Oberstimme 
beigegeben war: in den Triolen pocht als Gegengewicht 
gegen die bohrende, man dürfte fast sagen nagende Figur 
des führenden Motives, dem sich leicht nachahmende und 

88 


stützende Konsonanzen in der Oberstimme einen, ein 
leicht dräuendes, nach neuer Lebensregung verlangendes 
Empfinden, das, nachdem der Teilsatz sich von der Sext- 
harmonie h-dis-gis aus wiederholt hat, bei dieser Stelle 
in den synkopierten Büdungen der Unterstimme: 


„ - fr — r 1 tcSr-i— r-p 


einen neuen Ausdruck erfährt; dieser stellt sich gleich- 
zeitig als rhythmische Steigerung dar. 

Bei dem Einsätze der Melodie (man sehe das vorige 
und das nächste Beispiel) ist eine besondere Feinheit des 
Ausdruckes zu bemerken:, die unterhalb der liegenden 
Stimmen c-es erscheinende kleine und große Sekundharmonie 
löst, wie in allen ähnlichen Fällen, das Moment der Er- 


wartung aus. Brahms beginnt nun die neue Gesangs- 
linie im Basse mit der gleichen Harmonie zum unmittelbar 
Voraufgegangenen, so daß die Lösung ziemlich lange in 
der Schwebe bleibt und erst auf dem dritten Viertel von 


Takt 4 erreicht wird — ein ganz wundervolles klangliches 
Spiel! Sodann bemerke man die .Phrasierung und die 
öftere Wiederholung der Sekundwirkung. Jene läßt als 
rhythmisch zusammengehörige Takte dies erkennen: 



der dann folgende Ton b ist nicht als „Auflösung“ des 
ces, vielmehr als mit dem ersten as des voraufgehenden 
Beispieles korrespondierender Auftaktanfang anzusehen, 
so daß also auch hier wieder der Ausdruck des Schwebenden 
erreicht wird. Dasselbe Spiel wiederholt sich von c-f als 
Auftakt aus, die Melodie wendet sich dann (wir kennen 
diese allen Romantikern und auch dem jungen Brahms 
geläufige Art, eine Melodie durch Terzschritte zu weiten 
und ihre Ausdruckskraft zu steigern) in energischer Aus- 
buchtung nach oben, die Begleitstimmen verdoppeln sich 
in einer uns an Brahms schon bekannten Weise, die einen 
Umschlag der Stimmung anzeigt. Dessen Eintritt wird* 
auch dadurch vorbereitet, daß Brahms in einigen ein- 
geschobenen Takten: 




nach der Durharmonie a-c-f ausweicht, um auf diesem 
Umwege nach Des dur zurückzukehren, wo mm der Satz 
leise zu verklingen scheint; die in gerader Linienführung 






aufwärtsgehenden, harmonisch schwer bedachten, syn- 
kopierten Oberstimmen lassen jedoch das unter der ruhigen 
Oberfläche pulsierende innere Leben des Satzes erkennen: 
in jähem Aufbäumen („ma sostenuto“ : man erinnere sich 
des oben über die Leidenschaftslosigkeit der Sonate Ge- 
sagten!) geht es jedoch ins Eingangsmotiv zurück. Um 
das noch nachzuholen: auch die melodische Bildung: 



geht auf das Hauptmotiv des Satzes zurück. 

Wie in plötzlichem wildem Aufschreie beginnt dies 
seinen Gang in der von Brahms gerne verwendeten Nonen- 
harmonie des-f-as-ces-es. Aber hier zeigt sich wieder die 
auch soeben schon beobachtete Erscheinung : die Gedanken 
verlieren sich nicht in fantastische Weiten ; aus dem strengen 
rhythmischen Gefüge spricht eine gewaltig^ Kraft zu uns, 
die den Stoff nach dem Maße ihres mächtigen Willens 
leitet. Eine etwas starre Größe offenbart sich da wohl, 
aber doch eine Größe, die uns in ihre Kreise bannt und 
nicht mehr losläßt. In diesen machtvollen, jeden problema- 
tischen oder spekulativen Zug meidenden, in ihrem Gange 
unbeirrbaren und einfach harmonisierten Klängen, aus denen 
es uns wie ein Hymnus auf Kraft und Leben entgegentönt, 
haben wir, wenn auch in keiner sehr reichen Form, ein 
Beispiel der tiefen ethischen Macht von Brahms’ Musik, 
die die Seele mit hohen Gedanken füllt, aber den Zu- 
sammenhang mit dem Boden reiner Menschlichkeit nie 
verliert, in der Berührung mit ihr vielmehr stets den Quell 
ihrer Größe, Reinheit und Schönheit findet. Man spiele 
unter diesen Gesichtspunkten den Abschnitt auf Seite 7, 
drittes System von dem Noneneinsatze des Hauptinotives 
und dem in kurzen energischen Skalengängen erreichten 
„maestoso“ an bis zum pp im ersten Takte des fünften 
Systemes: wer wollte da von bloßem Tonspiele reden und 
nicht vielmehr darin den tiefsten künstlerischen Ausdruck 
ernster Männlichkeit sehen, die, wie sie aus reinstem 
Empfinden quillt, reinstes Empfinden auslöst? 

Das kontemplative Element hat in der Durchführung 
eine gewisse, wenn auch keineswegs eine absolut herrschende 
Stelle behauptet: die „aktiven“ Satzelemente, Triolen und 
Synkopen, kamen nie ganz zur Ruhe. Dies fortwährende 
Gegenspiel von Gedanken läßt es auch begreiflich erscheinen, 
daß Brahms jetzt nach dem Ausbruche sieggewissen Kraft- 
gefühls wie in leisem Reflexe die Wiederholung gewisser- 
maßen in abgebrochenen Sätzen folgen läßt; nichts kann 
charakteristischer sein, als diese rfeie suchend und fragend 
sich gebende Kürzung des Motives: 



das nach 4 Takten in der ursprünglichen rhythmischen 
Form, aber melodisch weiter gespannt erscheint. Damit 
festet sich die Stimmung und leicht ergibt sich der formale 
Uebergang zur Reprise. 

Man weiß, wie in der klassischen Sonate der Durch- 
führungssatz den Höhepunkt der Form des ersten Sonaten- 
satzes abgibt. Schon bei Mozart. Es genüge, daß wir 
uns flüchtig des wundersamen thematischen Spieles in 
seiner großen Fdur-Sonate erinnern. Mehr noch war 
das der Fall in den Werken Beethovens, der die thema- 
tischen Gegensätze in ihre äußersten Konsequenzen bei 
seinen Durchführungen verfolgte und dem einen „Prinzipe“ 
über das andere, je nach der Grundrichtung der Sonate, 
zum Siege verhalf. Eine solche dialektische Zergliederung 
der führenden Gedanken war für Brahms schon um des- 


willen hier ausgeschlossen, weil er ja den leitenden Ge- 
danken und sein Gegenspiel von vornherein als innerlich 
verwandt dargestellt hatte. So ist diese Durchführung 
etwas ganz Besonderes geworden, ein Gebilde, das, fast 
möchte man sagen, mit ängstlicher Scheu jeden äußerlichen 
Zug vermeidet. Das wird immer dem Beurteiler von 
Brahms’ Leben und Wirken etwas Erstaunliches bleiben, 
wie sehr er schön in der Frühzeit seines Schaffens Herr 
seiner Stoffe war. Die Betrachtung der f moll-Sonate 
zeigt ihn da auf einer Höhe, die nicht genug zu bewundern 
ist. Was ihm die Hypermodernen vorwerfen, jenes Sich- 
Selbst-Bescheiden-Können, jene Fähigkeit, ausschließlich 
aus musikalischem Empfinden heraus geborene Gedanken 
rein musikalisch fortzuführen und auszugestalten, ohne 
bei andern Künsten unausgesetzt Anleihen aufzunehmen — 
dieser Vorwurf wird ihm, je länger je mehr, zum Ruhmes- 
titel werden. Denn die Entwicklung der Musik geht allem 
Anscheine nach wohl nicht ganz so weiter, wie die Neuesten 
der Führer meinen . . . 

Wer dem Durchführungssatze unserer Sonate noch 
allerlei anderes an möglichen Kombinationen der führenden 
Themen beifügen wollte, hätte leichtes Spiel. Eine nahe- 
liegende hatte Brahms offenbar absichtlich beiseite ge- 
lassen: sie stellte sich ihm als willkommenes Mittel dar, 
der Reprise bei ihrem Be ginn e eine äußerst wirksame 
Einführung zu geben, eine solche, die gleichzeitig eine 
möglichste Steigerung der Ausdruckskraft herbeiführen 
könne. Es war dies die Verbindung der geheimnisvoll 
pochenden Triolen mit dem Hauptmotive selbst. Durch 
deren Zusämmenschweißung ließ sich der' Satz leicht zu 
der gewaltigen Kraftentladung führen, die seiner künst- 
lerischen Grundrichtung entsprach. So sehen wir denn 
am Beginne des dritten Teiles des Satzes: 



das Hauptmotiv über die ursprüngliche Baßlinie geleitet 
in geheimnisvollem Drängen sich immer energischer be- 
tätigen, während die Triolengruppen sich mehr und mehr 
verdichten. Das alles bedingt die Erweiterung der Satz- 
gruppe von 6 auf 7 Takte. Mit dieseir kolossalen dyna- 
mischen Steigerung entscheidet sich ein anderes. Zu- 
nächst muß — seine Beibehaltung wäre als eine reine 
Formsache etwas Ueberflüssiges — der grübelnde cmoll- 
Satz des Beginnes ausgemerzt werden: der Hauptsatz 
kehrt in abermaliger, durch Stimmverdoppelungen und 
unausgesetzte Wiederholung des Motivs in gerader und 
umgekehrter Richtung hervorgerufener Ausdrucksverschär- 
fung wieder, um die aktive Tendenz des Satzes noch mehr 
hervorzukehren; jetzt aber wird die neutrale Dominant- 
tonart Cdur zur Führerin in die heitere Tonwelt von 
F dur, in der sich nun in den durch den ersten Teil vor- 
gezeichneten Bahnen die Fortsetzung des Allegro voll- 
zieht, bis sich im Schlußabsatze eine plötzliche Ausweichung 
einstellt: 





Der Grund ist klar: der Schlußsatz selbst ist trotz des 
„piü vivo e rubato“ und trotz des accelerando nicht so be- 
schwingt im Ausdrucke, daß er das nach Dur gewendete 
Hauptmotiv aus sich selbst einführen könnte; darum also 
die durch Terzenschritte aufwärts steigende Wiederholung 
des kurzen, energischen Motives und die kräftig breite 
Kadenzierung vor dem Eintritte des Hauptmotives in 
F dur. 

Dieses wiederholt sich im Basse, von wuchtigen Akkord- 
schlägen getragen; das Motiv erscheint als Wechselklang 
in Des dur, der Tonart der großen Unterterz, dreimal in 
einem Takte, und von hier aus bildet sich ein kurzer, har- 
monisch kräftiger, aber keineswegs überladener Ueber- 
gang zur Dominantseptharmonie von B dur, mit der ein 
„Piü animato“ einsetzt: kraftvolle Synkopierungen einfacher 
Harmoniefolgen (jede harmonisch überladene Füllung würde 
die Krönung des Gedankenganges stören) reihen sich zu- 
sammen; sie münden in gegeneinander strebende gerade 
Linien akkordischer Gänge, und in leuchtender Klarheit 
geht der in breiter Fülle ausströmende Satz zu Ende. 

Auch seiner künstlerischen Ausgestaltung wird man das 
Beiwort tiefsinnig nicht geben dürfen. Schwere polyphone 
Arbeit und harmonische Reizmittel fehlen ihm durchaus. 
Er ist voll von jugendlicher Elastizität in der Entwicklung 
seiner Gedankengänge, aber die Gefühlssphäre, die uns 
Brahms in ihm enthüllt, ist die eines gereiften Mannes, 
dem das Leben schon seine dunkeln Rätselfragen gestellt 
hat. Die Form des Satzes ist eine gedrungene, aber durch- 
aus geschlossene; sie gestaltet sich in freier Anlehnung 
an das klassische Vorbild, die Zahl der thematischen Gegen- 
bilder vermehrend. Diese entnimmt sie einem zentralen 
Gedanken, der sich nicht als ein breites Thema mit Vorder- 
und Nachsatz, vielmehr in der Hauptsache als ein einziges 
Motiv darstellt. Das ganze Gebilde ist von einzigartiger 
Schärfe des Ausdruckes; es ist nichts Ueberflüssiges in 
ihm, keine leere Floskel, kein bloßes Spielwerk. Der 
Dichter, der den Stoff zu seinem Werke in der eigenen 
Brust fand, ist in ihm zu voller Größe erwachsen. 

Will man den „Inhalt" des Satzes in knappe Worte 
kleiden, so kann man von der Ueberwindung innerer Wider- 
stände gegen treibende Kräfte des Lebens sprechen, und 
vom thematischen Kernpunkte und dem, was aus ihm 
wird, sagen, in ihm zeige sich der Mensch und .Künstler 
mit seinem Widerspruche. Man darf freilich das Wort 
nicht in dem Sinne anwenden, in dem es Konrad Ferdinand 
Meyer auf seinen Helden, Ulrich von Hutten, anwendet. 
Keine Vielheit der Erscheinungsformen, nicht unvereinbare 
Gegensätze zeigen sich hier. Wenn einem modernen 
Werke die rühmende Bezeichnung der vollendeten Einheit 
seiner Gestaltung zukommt, so ist es der erste Satz der 
f moll-Sonate. Was in ihm an gegensätzlichen Gedanken 
lebt, das entkeimt alles Brahms’ Innenleben selbst, das 
sind Einwände, Gegenbilder, die er sich selbst schuf, nicht 
die Außenwelt. Ein Leben in Ideen, wie es Schiller, wie 
es Beethoven lebte. 

Spreche man doch nicht halb mitleidig, halb verächtlich 
vom „Schema" der Sonatenform! Was der Romantiker 
Hoff mann von der Instrumentalmusik sagte, daß sie die 
höchsten Kunstformen biete, weil nur das Unendliche _ 
ihr Vorwurf sei, das erfüllt sich am tiefsten in der Sonaten- 
form. Was ihr den unendlich reichen Gehalt gibt, das 
ist der Kampf gegen das Leben, der Kampf um ideale Güter, 
der Weg aus der Nacht des Zweifeis zur Klarheit des be- 


freienden Lichtes. Ist die Kunst Ausdruck höchsten 
geistigen Seins, welches „Schema“ könnte eine erhabenere 
Aufgabe bieten als das der Sonatenform? Der Kampf 
selbst bleibt für jeden von uns Staubgeborenen zu kämpfen, 
aber die Mittel sind verschieden und nicht jedem win k t 
der Sieg. Was Brahms im ersten Satze seiner dritten’ 
Klaviersonate geschaffen hat, das gehört zu den höchsten 
Leistungen der nachbeethovenschen Literatur. 

(Fortsetzung folgt.) 

Nachklänge zum Verdi-Jubiläum. 

tftnl I. Die Kopierbücher Giuseppe Verdis. 

Am 21. Juni 1895 schrieb Giuseppe Verdi an die Deutsche 
ZA Verlagsanstalt in Stuttgart: „Niemals, niemals werde 
-A V ich meine Lebenserinnerungen schreiben I Es war schon 
gerade genug für die musikalische Welt, so lange meine 
Noten ertragen zu haben! . . . Niemals werde ich sie dazu 
verurteilen, auch noch meine Prosa lesen zu müssen.“ 

Es ist aber anders gekommen: ein 750 Seiten zählender 
Band, der zum allergrößten Teile Verdische Prosa enthält, 
liegt vor mir. Die Stadtgemeinde Mailand hat ihn der 
Welt als willkommene Jubiläumsgabe geschenkt. Es sind 
die Briefe, die der Meister vom 21. März 1844 bis zum 17. Ja- 
nuar 1901 vor ihrer Absendung abgeschrieben hatte und die 
so erhalten geblieben sind. Fünf in dicke Pappe gebundene 
Bücher, die 18 cm breit und 24 cm lang sind, wurden von 
Verdi fortlaufend numeriert und zwar jedes Blatt sowohl 
auf der rechten wie auf der verkehrten Seite. Ferner hatte 
Verdi in diesen Büchern gegen 90 Briefe, die an ihn gerichtet 
waren und die ihm von besonderer Wichtigkeit schienen, 
aufbewahrt. Außerdem haben aber die Herausgeber der 
Briefesammlung teils in Noten, teils in einem fast die Hälfte 
des Bandes einnehmenden Anhang zahlreiche Briefe Verdis 
beigefügt, die ihnen von der Mailänder Verlagsfirma Ricordi, 
von Gräfin Giuseppina Negroni-Prato-Morosini und von den 
Erben des Verdi-Biographen Giuseppe Mazzatinti zur Ver- 
fügung gestellt worden waren. Dem Geschichtschreiber 
Alessandro Luzio und dem Musikgelehrten Dr. Gaetano 
Cesari gebührt das Verdienst, die Zusammenstellung des 
Werkes besorgt und durch sorgfältig gearbeitete Fußnoten 
dem Verständnis der Briefe wesentlich nachgeholfen zu 
haben. ■ ■ ... • 

So ist zwar keine vollständige Sammlung der Briefe Verdis 
zustande gekommen, aber immerhin ein bedeutungsvoller 
Beitrag zur Biographie des Meisters geliefert worden, da 
uns die Briefe viele interessante Einzelheiten über seine 
künstlerischen Ansichten mitteilen, uns seinen Charakter 
mit allen seinen guten und den wenigen, nicht ganz sym- 
pathischen Eigenschaften klar ausprägen und so manche 
bemerkenswerte Episode seines Lebens beleuchten. 

Ich glaube, daß die deutschen Leser des Buches vor allem 
Verdis Ansichten über Musik im allgemeinen und das musika- 
lische Schaffen seiner Zeitgenossen anziehen werden, und 
darum will ich mit jenen Briefen, die sich darauf beziehen, 
in erster Linie beschäftigen. 

Verdis Anschauungen über Musik hatten unzweifelhaft 
einen gewissen nationalistischen Zug. Er ging immer wieder 
von der Ueberzeugung aus, daß der moderne italienische 
Tondichter auf den Ueberlieferungen der alten italienischen 
Musik fußen müsse, und wollte sein Vaterland gegen das 
Eindringen der Theorien der nordischen Meister schützen. 

So schreibt er am 4. April 1879 an die Orchestergesell- 
schaft des Scalatheaters, die ihm den Titel des Ehren- 
präsidenten angeboten hatte: 

„Meine Herren! 

Ich bedaure es lebhaft, den mir angebotenen ehrenvollen 
Titel nicht annehmen zu können. Wie Sie selbst sagen, 
bin ich wegen meines Temperamentes für solche Obliegen- 
heiten nicht geeignet, und um so weniger jetzt, in diesem 
Chaos von Ideen, in das Tendenzen und Strebungen gegen 
unsere Eigenart die italienische Tonkunst gestoßen haben. 
An diesem Chaos, aus dem sich vielleicht ganz gut eine 
neue Welt, aber nicht mehr die unselige, entwickeln kann, 
das aber auch viel wahrscheinlicher eine Leere erzeugen 
wird, wünsche ich in keiner Weise teilzunehmen. Ich spreche 
aber meine heißesten Wünsche aus, daß die Orchesterkunst 
glücklich gelinge, wobei ich aber die ebenso lebhafte Sehn- 
sucht hege, daß auch der andere Teil der Musik gleichfalls 
gepflegt werde, damit Italien jene Kunst wiedergeschenkt 
werde, die unser war und sich früher von der Instrumental- 
kunst unterschied. 


90 



Es ist recht schön, das Publikum, wie die Gelehrten sagen, 
für die große Kunst erziehen zu wollen, aber mir däucht es, 
daß auch Palestrinas und Marcellos Kunst groß . . . und 
dabei die unserige sei.“ 

In einem Briefentwurfe vom April 1878, der sich in den 
nachgelassenen Papieren Verdis gefunden hat, dessen Em- 
pfänger aber nicht bekannt ist, behandelt er dasselbe Thema, 

„Wir alle tragen unwillkürlich zum Ruin unseres Theaters 
bei, und wollte ich etwas aussprechen, das anscheinend 
keinen Sinn hat, so müßte ich sagen, daß die Quartett- 
gesellschaften die erste Ursache des Verfalles der italienischen 
Oper waren. Es würde zu weit führen, wollte ich dies ein- 
gehend begründen. Ich frage nur in Teufels Namen, warum 
wir in Italien deutsche Kunst betreiben. Warum gründet 
man nicht Gesellschaften für vierstimmigen Gesang ? Das 
wäre italienische Art! So könnten die Werke Palestrinas 
und seiner besten Zeitgenossen aufgeführt werden und würden 
in uns die Liebe zum Gesänge wachhalten, deren höchster 
Ausdruck die Oper ist. Jetzt streben alle danach, zu in- 
strumentieren, zu harmonisieren. Das Alpha und Omega 
ist die Neunte Symphonie Beethovens, die in den ersten 
drei Zeitmaßen herrlich, aber im letzten Teile sehr schlecht 
in der Ausarbeitung ist. Die Höhe des ersten Teiles werden 
sie niemals erreichen, dagegen die sehr schlechte Einrichtung 
des Gesanges in ihrem letzten Teil leicht nachahmen und 
dann mit Berufung auf die Autorität Beethovens schreien: 
so muß man es machen . . . 

Meinetwegen möge es so geschehen! Es wird vielleicht 
so besser sein; aber dieses .besser' bedeutet zweifellos den 
Untergang der Oper. Die Kunst ist universell, niemand ist 
hiervon überzeugter als ich. Aber es sind doch Einzelwesen, 
die sie ausüben, und da die Deutschen von den unseren 
verschiedene Mittel besitzen, so muß auch eine innere Ver- 
schiedenheit bestehen. Wir können, ja ich möchte sagen, 
wir dürfen nicht so schreiben wie die Deutschen und die 
Deutschen nicht so wie wir. Mag man zugeben, daß sich 
die Deutschen unsere Eigenschaften aneignen, wie dies zu 
ihrer Zeit Haydn und Mozart getan haben, wobei sie aber 
doch immer der Vierstimmigkeit treu blieben. Ebenso ist 
es sicher, daß Rossini einige Formen Mozarts annahm, 
ohne dabei die Melodik aufzugeben. Aber dann man der 
Mode halber, aus Neuigkeitswut, in Gelehrtheitsdünkel auf 
unsere Kunst verzichtet, die mit sicherem Instinkt und 
natürlicher Empfindung strahlende Höhen erreicht, ist un- 
gereimt und töricht.“ 

Aehnlich schreibt Verdi am 20. März an seinen vertrauten 
Freund, den Grafen Arrivabene: 

„Wir alle, Meister, Kritiker, Publikum haben alles Mög- 
liche getan, um auf unsere musikalische Eigenheit zu ver- 
zichten. Jetzt sind wir auf gutem Wege; noch ein Schritt 
und wir werden auch auf diesem Gebiete wie auf so vielen 
anderen germanisiert werden. Es ist ein Trost, überall 
Quartett- und Orchestergesellschaften entstehen zu sehen, 
die A das Publikum für die .große Kunst' erziehen sollen, 
wie die Kritiker sagen. Dann steigt aber in mir manchmal 
ein dummer Gedanke auf, der mir leise zuflüstert: ,Wie 
wäre es, wenn wir in Italien Gesangsquartette einrichteten, 
um Palestrina und seine -Zeitgenossen, Marcello und andere 
aufzuführen ? Wäre das nicht auch die große Kunst ?' 
Und es wäre italienische Kunst, während es die andere 
nicht ist! . . . Doch stille, daß mich niemand höre!“ 

Und an denselben Freund schreibt er am 17. März 1882: 

„In den Ansichten über Musik muß man einen weiten 
Spielraum lassen. Ich wenigstens bin im höchsten Maße 
tolerant. Ich gebe die Melodiker, die Harmoniker als be- 
rechtigt zu. Ich huldige der Vergangenheit, der Gegenwart 
und würde auch der Zukunft huldigen, wenn ich sie kennte 
und gut -fände. Mit einem Wort: Melodie, Harmonie, Sprech- 
gesang, Ziergesang, Orchesterwirkungen, Lokalfarbe (ein 
Wort, das man jetzt gebraucht und das häufig nur die Ge- 
dankenarmut verschleiert) sind aber nur Mittel. Macht 
mit diesen Mitteln gute Musik und ich lasse alle Gat- 
tungen zu.“ 

Bezeichnend sind auch die Worte, die er am 26. Dezem- 
ber 1883 an Giulio Ricordi schreibt: 

„Sie wissen, daß es Menschen gibt, die gute Augen haben 
und die starken und entschiedenen Farben lieben. Andere 
haben eine Art Sehschwache und ziehen die unbestimmten, 
schmutzigen Farben vor. Diese sind jetzt in der Mode, und 
ich mißbfllige es nicht, wenn man der Mode folgt, aber etwas 
Urteilskraft und Vernunft sollte doch immer dabei sein ! Also 
weder Vergangenheit, noch Zukunit! Ich habe zwar gesagt: 
.Kehren vnx zum Alten zurück!' Aber ich verstehe das Alte 
als Grundlage, als festen Unterbau. Ich meine jenes Alte, 
das von den modernen Auswüchsen beiseite geschoben wird 
und zu dem man über kurz oder lang unfehlbar wird zurück- 
kehren müssen. Doch einstweilen lassen wir den Wildbach 
überschäumen. Die Dämme werden nachher errichtet wer- 
den müssen.“ 

Dieses Thema variiert der Meister auch in einem an die 
Gräfin ClarinaMaffei am 17. Dezember i884gerichteten Briefe: 


„Der Dilettantismus, der für alle Künste ein Verhängnis 
ist, läuft aus Neuheitswahn und der Mode, zuliebe dem Un- 
bestimmten, dem Seltsamen nach und heuchelt Begeisterung 
für die ausländische Musik, die er klassisch nennt, und lang- 
weilt sich dabei. Warum diese hochtrabenden Bezeichnungen 
.klassische und große Musik' ? . . . Der Journalismus, eine 
andere Geißel unserer Zeit, rühmt diese Musik, um die Auf- 
merksamkeit zu erregen und den Anschein zu erwecken, als 
würde er begreifen, was die anderen nicht begreifen. Und 
die Menge schweigt ratlös und läuft dann auch nach. Trotz- 
dem verzage ich nicht und bin überzeugt davon, daß diese 
so künstliche Kunst, die absichtlich nach dem Seltsamen 
greift, unserem Charakter nicht entspricht. Wir sind zu 
positiv und gleichzeitig skeptisch veranlagt. Und so werden 
wir nicht lange an diese Phantastereien einer fremden Kunst, 
der es an Natürlichkeit und Einfachheit fehlt, glauben. Eine 
Kirnst, die solche Mängel hat, ist nicht Kunst! Die künst- 
lerische Eingebung besteht im Einfachen. Früher oder später 
wird ein genialer Junge aufstehen, der all dieses Zeug aus- 
kehren und uns cue Musik unserer schönen Zeiten wieder - 
schenken wird, indem er gleichzeitig ihre Fehler ausmerzt 
und sich der modernen Erfindungen bedient. Aber natür- 
lich . . . nur der guten Erfindungen!“ 

Und in einem Briefe Verdis an Hans v. Bülow vom Jahre 
1892 finden wir ein ähnliches Glaubensbekenntnis: 

„Wenn die Künstler des Nordens und Südens verschiedene 
Richtungen verfolgen, ist dies ein Gutes! .Alle sollten den 
Charakter der eigenen Nation bewahren, wie dies Wagner 
so richtig sagte. — Glücklich ihr, die ihr die Söhne Bachs 
geblieben seid! Wir aber? Wir, Söhne Palestrinas, hatten 
einmal eine große Schule, die unser war! Jetzt hat sie sich 
vermischt und droht zugrunde zu gehen!“ 

Interessant ist es auch, Verdi über seine Berufsgenossen 
urteilen zu hören. Da lesen wir in einem Briefe an den 
französischen Musikgelehrten Bellaigue: 

„Ich klatsche mit Ihnen den drei Kolossen Palestrina, 
Bach und Beethoven Beifall. Denke ich an die Spärlichkeit 
der Melodie und den Mangel an Harmonie jener Zeiten, so 
scheint mir Palestrina geradezu ein Wunder. 

Alle denken wie Sie über Gluck, aber ich kann nicht umhin, 
zu glauben, daß er trotz seines starken dramatischen Ge- 
fühles viel höher gestanden sei als die Besten seiner Zeit- 
genossen. Als Musiker stelle ich ihn unter Händel. 

Ueber Rossini und Bellini sagen Sie viel Wahres, aber ich 
gestehe Ihnen, daß ich daran festhalte, der .Barbier von 
Sevilla’ sei wegen seiner Fülle von echten musikalischen Ein- 
fällen, wegen seiner komischen Kraft und wegen der Wahr- 
heit der Sprechgesangsstellen die schönste komische Oper. 
Ich bewundere mit Ihnen den .Teil', aber wie viele herrliche 
Stellen finden sich auch in seinen anderen Opern. — Bellini 
ist zwar arm in der Instrumentierung und Harmonie, aber 
reich an Empfindung und von einer ihm eigentümlichen 
Melancholie! Auch in seinen weniger bekannten Opern wie 
in der .Fremden', im .Seeräuber' gibt es lange Melodien, so 
ausgedehnt, wie sie niemand vor ihm jemals gemacht hatte. 
Und was für Wahrheit und Kraft ist zum Beispiel in dem 
Duett zwischen Pollio und Norma ! Und was für Gedanken- 
höhe drückt sich in der ersten Phrase des Vorspieles zur 
, Norma' aus, das trotz seiner mangelhaften Instrumentation 
zu dem Himmlischesten gehört, was je geschaffen wurde.“ 
Ueber Berlioz schreibt Verdi äm 5. Juni 1882 an den 
Grafen Arrivabene: 

„Berlioz war ein armer Kranker, der, gegen alle wütend, 
seinen boshaften Angriffen "keine Zügel amegte. Er hatte 
viel Geist und Scharfsinn und ging Wagner in vielen Orchester- 
wirkungen voraus, wenn dies auch die Wagnerianer nicht 
anerkennen wollen. Er kannte aber kein Maß, und es fehlte 
ihm jene Ruhe, ich möchte sagen, jenes Gleichgewicht, die 
notwendig sind, um vollkommene Kunstwerke zu schaffen. 
Er ging stets über das Diesseits hinaus, auch wenn er Lobens- 
wertes ausführte.“ 

Amilcare Ponchielli finden wir nur ein einzigesmal in 
einem Briefe an die Gräfin Maffei erwähnt, in welchem es 
heißt: 

„Ich höre mit Vergnügen Ihre Nachrichten über die Oper 
.Lituani' Ponchiellis. Um so besser für alle! Zu bedauern 
ist nur er, da er Trauriges erleben wird, wenn er auf der 
Brust schwach ist. . . . 

Schließen wir für heute die Blütenlese aus den Verdi- 
Briefen mit einigen Zeilen, die Verdi am 10. Juni 1884 an 
den Grafen Arrivabene richtete, in denen ein Tondichter be- 
urteilt wird, der heute als der beste Vertreter italienischer 
Musik in der ganzen Welt betrachtet wird. 

„Ueber den jungen Musiker Puccini habe ich Günstiges 
sagen hören. Ich sah neulich einen Brief, der ihn sehr lobte. 
Er folgt der modernen Richtung, und das ist natürlich, aber 
er bleibt auch der Melodie treu, die weder modern, noch 
alt ist. Es scheint aber, daß in ihm das symphonische Ele- 
ment vorherrscht. Auch darin liegt nichts Böses. Allein, 
man muß in diesem vorsichtig sein. Die Symphonie ist die 
Symphonie, und ich glaube nicht, daß es schön sei, in einer 


9t 



Oper ein symphonisches Stück unterzubringen, bloß um das 
Orchester tanzen zu lassen. 

Ich sage, was ich sage, ohne ihm Wichtigkeit beizumessen, 
ohne die Gewißheit, etwas Richtiges gesagt zu haben, ja 
eher mit der Sicherheit, etwas behauptet zu haben, das der 
modernen Richtung widerspricht. Jede Zeit trägt ja ihren 
Stempel! Erst die Nachwelt wird entscheiden, welches die gute, 
welches die schlechte Epoche gewesen sei. Wer weiß, wie 
viele im siebzehnten Jahrhundert die Sonette Achillinis mehr 
als die Gesänge Dantes bewundert haben!“ i 

Emil Thieben (Mailand). 


* * 

* 

II. Die Muster-Theater- Ausstellung zu Parma. 

Nicht ohne Ueberraschung und wohl auch nicht immer 
ganz ohne Bitterkeit hat man konstatieren müssen, daß es 
mit der Richard- Wagner -Zentenarfeier in Deutschland in 
diesem Jahre lange nicht so grandios zugegangen ist, als man 
dies bei dem in gewissen deutschen Kreisen herrschenden 
Wagner-Fanatismus hätte annehmen sollen. Ein Denkmal 
mehr, ein paar der konventionellen Wagner-Zyklen in den 
Opernhäusern und Hof- und Stadttheatern, eine mehr hoch- 
als tiefgehende Flut von neuer Wagner-Literatur — voilä 
tout! . . . Wie nahe hätte es gelegen, grade etwa in seiner 
Geburtsstadt Leipzig oder auch in München, der angeblich 
echtesten deutschen Wagner-Kulturstadt, nicht bloß einen 
erschöpfenden Wagner-Zyklus zu veranstalten, sondern auch 
Richard Wagner als den großen Anknüpfer an die Opem- 
tradition bis Gluck und zugleich als den großen Reformator 
in Gestalt einer Opernausstellung zu feiern, bei der man, in 
solchem Zusammenhänge wohl zum ersten Male, ersehen hätte, 
warum Wagner in Wahrheit der Gipfel einer langen Entwick- 
lung werden mußte. Nichts dergleichen ist auch nur andeu- 
tungsweise versucht worden! Liegt es nun nicht gefährlich 
nahe, zu sehen, wie es unser Bundesgenosse und Freund- 
nachbar, unser langjähriger Vor- und Mitkämpfer in der Ton- 
kunst, wie es der Italiener angestellt hat, für den es ja 
gerade in diesem gleichen Feier jahre 1913 gegolten hat, seines 
größten neueren Tonkünstlers Gedenken zu ehren ? Nichts 
hegt mir ferner, als hier etwa Wagner gegen Verdi ausspielen 
und als „alter Italienbummler“ (wie mich der verehrte Re- 
dakteur dieses Blattes zu nennen liebt!) womöglich gar vor- 
eilige Schlüsse aus der innigen Volksverehrung ziehen zu 
wollen, die sich in den Verdi -Feiern Italiens in diesem Jahre 
dokumentiert hat. Ich mußte vielfach zu meinem Schmerze 
erkennen, daß auch bei den italienischen Verdi-Feiern, soweit 
ich sie — in Mailand und namentlich in Parma — persönlich 
besuchen konnte, das Wollen hier und da recht bedenklich 
hinter dem Können zurückgetreten ist. Aber eins habe ich 
freilich auch bei Gelegenheit dieser italienischen Verdi-Feiern 
wieder in wundervollster, aber für die deutschen Musikfreimde 
nicht eben stolz machender Weise ersehen: in der gemein- 
samen Einigkeit der Huldigung an den großen Sohn 
ihres Landes und vor allem in der warmen, ungeheuchel- 
tenLiebezu ihrem Verdi waren die Italiener den Deutschen 
bei weitem überlegen, und ich möchte es hier einmal klar und 
deutlich aussprechen, was meines Wissens bisher noch nicht 
gesagt worden ist: daß sich nämlich in dem trocken offiziellen 
Hurrahton der deutschen Wagner-Feiern wider Willen ge- 
zeigt hat, daß es trotz gegenteiligen Protestes, sei es nun 
„noch immer“ oder „schon wieder“, Wagnerianer und Anti- 
Wagnerianer bei uns gibt, während alle italienischen Kunst- 
freunde in allen Schichten des Volkes sich einig waren, daß 
es gelte, den 100. Geburtstag Verdis als eine Art von National- 
feiertag mit fröhlicher, herzlichster Festlichkeit zu begehen. 
Ich halte mich wohlweislich zurück, die politischen Kon- 
sequenzen aus dieser Tatsache zu ziehen, aber ich muß doch 
daran erinnern, daß ja gerade Verdi bei Lebzeiten, sei es nun 
mit oder ohne Willen, die Höheentwicklung seines schönen 



Sala Verdi mit Büste des Meisters in der Theaterausstellung zu Parma. 


Heimatlandes in seinen Werken illustriert hat, so daß man 
ihn nicht bloß als den eigentlichen Schöpfer der italienischen 
neueren Nationaloper, sondern geradezu als den Meister der 
italienischen Revolution zu bezeichnen gewagt hat. 

Dies alles mußte ich vorausschicken, um den Titel dieses 
Aufsatzes nicht etwa als Ausdruck vaterlandsverräterischer 
Gesinnung erscheinen zu lassen, sondern um anzudeuten, 
was ich unter einer solchen „Muster“-Theaterausstellung 
verstehe und warum ich gerade die parmiggianische „mostra 
del teatro“ als eine solche Musterschau streng nationalen 
Charakters betrachte. Es ist jene von uns merkwürdiger- 
. weise noch immer beneidete Selbstverständlichkeit, mit der 
hier der Italiener seine Landestheaterschau fast stillschweigend 
schon auch als Theaterausstellung schlechthin aufgefaßt 
wissen will. Warum immer „internationale“ Ausstellungen ? 
Wozu dieser angeblich so gesunde Wettstreit der Kräfte, bei 
dem ein gerechtes Verteilen des ungeheuren Stoffes auf alle 
Nationen (wie dies die Genter Weltausstellung wieder be- 
wiesen hat!) unmöglich ist und bei dem eine gewisse heimliche 
Eifersucht der Nationen aufeinander doch stets latent bleibt ? 
Ich nenne die Parmiggianer Theaterschau mustergültig in 
ihrer national-stolzen Intimität, mustergültig in der Diskretion, 
womit Giuseppe Verdi nicht etwa zum protzig schützenfest- 
lichen Helden erhoben ward, so daß die Vorarbeiter seines 
Lebenswerkes von ihm „anläßlich seines Ehrentages“ an die 
Wand gedrückt worden wären! Nein! Gerade das Gegenteil 
zeigte sich hier und straft alle diejenigen Lügen, die gerade 
bei den „Welschen“ so oft von „einseitigem Chauvinismus“ 
und von blinder Personen Vergötterung sprechen. Vielmehr 
hat die Leitung der Theaterausstellung von Parma sich be- 
müht, Verdis Leitspruch wahr zu machen, der bekanntlich 
lautete: „Vergeßt mir die Meister der Vergangenheit nicht!“ 
(Vielleicht nebenbei gesagt der einzige Berührungspunkt 
seines Charakters mit demjenigen Wagners!) Und noch in 
einem dritten Punkte erscheint mir die Theaterausstellung 
von Parma vorbildlich: in dem fabelhaften Geschick, Theorie 
und Praxis zu einer so festverschmolzenen Einheit darzu- 
stellen, daß der Beschauer keine langweiligen Museumsschätze 
bestaunt, sondern mitten hineingreift ins volle Menschenleben 
des Theaters! So ward diese Theaterschau im schönsten 
Sinne volkstümlich, ohne doch kitschig zu sein. Es ist daher 
nicht verwunderlich, wenn sich gerade das Volk Parmas 
nicht sattsehen konnte an den prächtigen Zeugnissen seiner 
ruhmvollen Vergangenheit, die nier scheinbar mühelos zu- 
sammengebracht worden sind. 

Und doch hatte es einer ganz gewaltigen Vorarbeit bedurft, 
um die neun Abteilungen der Ausstellung möglichst gleich- 
mäßig zu gestalten. Schon die bloße Aufzählung dieser neun 
Sektionen der Theaterschau von Parma wird den Leser ahnen 
lassen, eine wie stattliche Anzahl von „Theatralia“ die wenigen 
Säle des relativ kleinen Pavillons erfüllt hat, der sich gleich 
am Eingänge der schönen Gärten von Parma erhob, Garten, 
wie geschaffen zur Erinnerungsfeier an den überzeugten 
Naturfreund Verdi! 

Die erste Abteilung umfaßte die Ikonographie: in Zeich- 
nungen, Lithographien, Photographien, Oelbildnissen, Karika- 
turen, Statuetten usw. waren die bedeutendsten Persönlich- 
keiten aus dem italienischen Theater alter und • neuer Zeit 
vereinigt; die bibliographische Abteilung zeigte alte Drucke 
von Opernlibrettos und Partituren und von Schauspielen; 
daran schloß sich von selbst die Gruppe der Autographen 
von schaffenden und reproduzierenden Künstlern des Theaters ; 
besonders reich ausgestattet war die Abteilung für Theater- 
dekorationen, die nicht nur in Abbildungen, sondern auch in 
Modellen ausgestellt waren; die Geschichte des Kostümes 
ging aus gut gestellten Figurinen hervor ; die Theatermaschine- 
nen alter und neuer Zeit waren gleichfalls in alten Stichen 
und in instruktiven Modellen vereinigt; dazu traten .Theater- 
plakate und Zettel aus alter und neuer Zeit; ferner Musik- 
instrumente in Originalen und trefflichen Nachbildungen 
den Höhepunkt aber bezeichneten die kleinen Theaterchen’ 
in denen szenische Reproduktionen etlicher Hauptwerke aus 
der Geschichte des italienischen Theaters vom k. Jahrhundert 
bis auf den heutigen Tag zu sehen waren. 

Schon aus dieser trockenen Aufstellung wird 'man ersehen 
daß es den Leitern dieser schönen Ausstellung nicht etwa 
darum zu tun war, pompös, doktrinär und streng chronologisch 
aufzuzeigen, wie sich der Gang der italienischen Thelter- 
geschichte seit dem Mittelalter Schritt für Schritt vollzogen 
hat Man wollte nur einige Licht- und Wendepunkte heraus- 
greifen, diese aber so vollständig wie möglich beleuchten. 
G era de in diesem impulsiven, improvisatonschen Skizzieren 
des Theaterwesens hegt wohl das Geheimnis, warum man 
so ganz undgar nicht ermüdet ward beim Durchschreiten 
der Sale. Charaktenstischerweise verweilte ich gleich im 
ersten Saale, den man sonst feist unwillkürlich nur als Ein- 
leitung zu betrachten pflegt, geraume Zeit und stand sinnend 
vor den alten Theaterplakaten und ich mußte lächeln, als ich 
5 e ?rv ruhr ™ en Aufwand bemerkte, den da so ein kleines 
fleißiges Theater von Colorno oder von Spoleto oder von 
bmigaglia oderjvon Treviso noch vor 100 Jahren getrieben 


92 





Eines der kleinen Szenenbilder, aus dem Mysterium Abraham und Isaak. 


hat, wenn es die neuen Opern der Maestri Bellini oder Rossini 
anpreisen wollte. Im Jahre 1800 wurden derartige Plakate 
schon aus Seide angefertigt, so daß das Wiener Theater- 
programm aus den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, 
das ein Auftreten Eleonora Duses anzeigte, nur an diese hundert- 
jährige Tradition angekniipft hat. Schon in diesem ersten 
Saale konnten wir bereits Instrumentenkunde treiben. Ein 
Cembalo aus dem Jahre 1600, Bologneser Fabrikat, fesselt 
den Betrachter durch seine für die Zeit so typischen allegorisch- 
symbolischen Ornamente und hat auch im Ton schon viel 
Kraft. Der Clou der ganzen Ausstellung — abgesehen von 
den Miniatur theatern — ist jedoch unstreitig das in Wachs 
ausgeführte Orchester aus dem Jahre 1600 (siehe Abbildung) . 
Dieses florentinische Musterorchester wurde auf Grund ge- 
nauer, von den Gelehrten G. Melü, Prof. Gasperini und 
G. G. Bemardi angestellter Forschungen in numerisch etwas 
reduzierter Form aufgestellt. In Wahrheit setzte sich Monte- 
verdis Orchester aus 32 Musikern zusammen; da es aber 
allzuschwer war, alle Instrumente der damaligen Zeit auf- 
zutreiben, so begnügte’ man sich mit etwa der Hälfte an 
Musikern, zeigte aber einen ganz seltenen Takt sowohl in der 
Kostümierung wie in der Verteilung der Instrumente, unter 
denen sowohl bei den Streichern wie bei den Bläsern wie bei 
den Cembalo- und Organumspielern die hauptsächlichsten 
Musikertypen nicht vergessen sind. Besonders fesselnd wirkt 
die Leitung des Orchesters durch den naturgetreu dargestellten 
alternden Monteverdi, der mit der Linken das Cembalo rührt 
und mit der leise erhobenen Rechten einen Andantetakt zu 
dirigieren scheint. Auch der Organumspieler mit seinem 
alten „Windmacher“ ist eine köstlich echt wirkende Gruppe, 
Man bedauert nur, daß es nicht lebende Musiker sind, die uns 
da ein Madrigal aus der Wende des 17. Jahrhunderts auf den 
Originalinstrumenten vorzuspielen Lust verspürten. Dieser 
lebendige Kontakt mit den Ausstellungsgegenständen, die 
Lebewesen zu sein scheinen, ist das Wertvollste an dem Ganzen. 
Alles Verstaubte, Nurhistorische scheint von den Persönlich- 
keiten gewichen zu sein, die da in getreuen Porträts an der 
Wand hängen oder unter Vitrinen schweigend und doch 
beredt auf uns blicken. Am schönsten sind in dieser Hinsicht 
die Sammel vitrinen, in denen Kollektivausstellungen der 
einzelnen italienischen Meister der Oper und des Schauspieles 
veranstaltet sind. Diese „mostre individuale“ werfen leichte, 
aber vernehmliche Streiflichter auf Leben _ und Schaffen 
Spontinis, Bellinis, Cimarosas, Donizettis, Rossinis und Paers; 
und wer sich für die Schauspielbühne interessiert, kann aus 
einer recht vollständigen Goldoni- Vitrine einen prächtigen 
Ueberblick über die Komödien des großen Venezianers er- 
halten. So wird das Porträt der Großmeister nicht nur in 
der Anschauung, sondern auch im Herzen des Beschauers 
lebendig, und sicherlich wird mehr als ein Besucher durch 
diese liebenswürdig angeordnete Ausstellung erst zum Be- 
wußtsein seines schlummernden Interesses an den lockenden 
Scheinschätzen des Theaters gebracht worden sein ! Dazu tritt 
dann natürlich eine kleine, aber hochinteressante Verdi- 
Ausstellung. Es ist nur der heimlich lauschige Winkel eines 
der Säle, der dem Meister eingeräumt ist. Seine P«J s o n 
überwiegt liier, wie sich dies für eine volkstümliche Theater- 
schau gebührt, sein Werk: der Pelz samt Mütze, den er wäh- 
rend seiner Reise in Rußland im Jahre 1862, wo seine Oper 
„La Forza del Destino“ aufgeführt worden ist, trug, nebst 
sonstigen Kleidungsstücken bildet die Hauptanziehungskraft 
für die biederen Provinzler, die nach einem Besuch der Halle 
für Ackerbau (die ja gleichfalls auf dieser Verdi- Ausstellung 
zu sehen war) nun doch auch „ihrem“ Verdi die schuldige 
Reverenz erweisen wollen. Bei all meinen Besuchen der 
Ausstellung bemerkte ich stets mehr Leute aus dem Volk 
denn „obere Zehntausend“ ! Ein Zeichen, wessen Herz hoher 
für Musik in Italien schlägt! — Ganz köstlich in ihrer spiele- 


rischen Grazie, aus der doch zugleich' innigste Begeisterung 
für die Sache spricht, ist eine Sammlung kleiner Statuetten, 
die uns den Werdegang der Typen der Commedia dell’ arte 
zeigen: Arlecchino, Truffaldino, Scaramuccia, Brighella, Puli- 
einello, Pantalone, Stenterello und wie sie sonst heißen mögen, 
lösen sich aus dem untrennbaren Ensemble los, in dem sie 
sich unserem Theatergefühl gewöhnlich einprägen, imd ge- 
winnen individuelles Eigenleben. Zu diesen außerhalb Italiens 
mehr oder weniger bekannt gewordenen Typen der Harlekins- 
komödie treten noch Gestalten wie der „Sguerguinguelo“, 
eine Art von Michelfigur mit Kropf und Laute, also wohl 
der unerhört bleibende Liebhaber, oder wie der Notario, der 
Capitano (ein selbstbewußter Offizier), der Buffo Barelotto 
(komischer Diener) nebst einer kleinen Reihe von weiblichen 
Typen, wie die trauernd fröhliche Witwe Marinetta mit Witwen- 
schleier und Witwenlächeln, oder wie die verliebt kokettierende 
Franceschina, die uns die ungeheure Beliebtheit dieser Stil- 
gattung beweisen und zugleich zeigen, wie stark die theatra- 
lische Grundlage der herkömmlichsten Theatertypen gerade 
in Italien ist; aufs schönste lernen wir daraus, warum gerade 
aus diesem Lande alle Theaterkunst stammen und sich über 
das übrige Europa verbreiten mußte. 

Unbedingt die Bekrönung des Ganzen aber bildet die schon 
gestreifte Szenenbilderausstellung, die nichts Geringeres dar- 
stellt als eine in die lebende Bildhaftigkeit übertragene Ge- 
schichte des italienischen Theaters in Schauspiel und Oper. 
Eine vollständige Geschichte des Theaters hätte, wie 
der Leiter dieses Glanzpunktes der Ausstellung, Prof. Luigi 
Rasi (Florenz), in dem Einleitungswort des Kataloges sagt, 
mindestens etwa je fünfzig Miniaturbühnen umfaßt. Man 
mußte sich aus Raumrücksichten auf siebenundzwanzig be- 
schränken, ist aber dabei so geschickt verfahren, daß wir in 
Wahrheit die Entwicklung des italienischen Theaters und 
damit des Theaters schlechthin von der Mysterienbühne des 
Mittelalters an bis auf das Salonschauspiel unserer Tage 
und von den Intermedien und Pastorales der Peri, Caccini 
und Monteverdi bis auf die Oper der Bellini, Donizetti, Rossini 
und Verdi an einigen der hervorragendsten Musterbeispiele 
vor uns sich abrollen sehen. Die Leser dieser Musikzeitung 
werden sich zumal für die Opernszenen interessieren ; wir 
sahen da eine Szene (die Unterwelt) aus Peris „Euridice“, 
schritten dann an Monteverdis „Arianna“ vorüber, waren 
erstaunt über die Dramatik einer Szene aus Ferdinand Scar- 
lattis Oper „La Caduta dei .Decemviri“, zu der die Szene aus 
„L'Olimpiade“ von Pergolesi einen lieblichen Gegensatz 
bildete, entzückten uns an Szenen aus für uns unbekannten 
Opern der Meister Piccini, Cimarosa und Paer, um dann in 
Rossinis „Barbier“ und Bellinis „Norma“ wieder vertrautere 
Gefilde zu betreten und um angesichts einer reizvollen Szene 
aus Donizettis heiterer Oper „Anna Bolena“ wieder einmal 
die eigensinnig geschäftsängstliche Monotonie unserer deutschen 
Opernhäuser tief zu beklagen, die noch immer so selten den 
Wagemut zeigen, das Repertoire aufzufrischen und damit 
die Opernhäuser endlich aus mehr oder minder ausschließ- 
lichen Brutanstalten für amerikahungrige Gesangsstars zu 
echten musikalischen Bildungs- und Unterhaltungsstätten für 
das Volk zu gestalten! Ich hätte am liebsten telegraphisch 
eine Reihe der deutschen Opemdirektoren in das Zauber- 
kabinett dieser lebenden Szenenbüder berufen, um wenigstens 
einen oder den anderen der Herren zu ermuntern, verschollene 
alte Opernherrlichkeiten wieder zum Leben zu erwecken! 
Hier war in Dekor, Kostüm, Maschinerie und Typisierung 
der kleinen Statuettenkünstler das denkbar Instruktivste 
zusammengestellt worden, und es wäre vielleicht eine noch 



Ein italienisches Orchester aus dem Jahre 1600 unter Leitung des Maestro 
Claudio Monteverdi. 


93 




echtere Verdi-Feier zustande gekommen, wenn man hier in 
Parma im Teatro regio statt des etwas amerikanistischen 
Opemzyklus unter Campanini lieber diese Miniaturtheater 
hatte Tat werden lassen. Auf diese Weise wäre ein historischer 
Opernzyklus zustande gekommen, wie ihn die Musikwelt 
noch nirgendwo so vollständig gesehen hätte. Doch auch 
die Anregungen aus dieser schonen Muster-Theaterausstellung 
in Parma sind hoffentlich nicht ganz auf dürren Boden ge- 
fallen, und man muß sich ihre Erfahrungen wohl auch bei der 
nächsten deutschen Theaterausstellung zunut ze zu machen 
suchen, Arthur Nelßer. 


III. „Falstaff“ in München. 

f Es darf ^unserer Bühnenleitung zum besonderen '4 Ver- 
dienste angerechnet werden, daß auch sie des 100jährigen 
Geburtstages Giuseppe Verdis in würdiger Weise gedacht 
hat, denn Verdi zählt zu den Großen im Reiche der Tonkunst. 
In sieben Abenden wurden die Hauptwerke seines Schaffens 
aufgeführt, sozusagen die Marksteine, nämlich „Rigoletto“, 
„Traviata“, „Trovatore“, „Maskenball“, „Aida“, „Otello“ und 
„Falstaff“, mit Ausnahme der beiden letztgenannten lauter 
Werke, die zu dem eisernen Bestand unserer Bühne, überhaupt 
jeder Bühne zählen. Erfreulicherweise hatten jedoch gerade 
die „Otello“- und die „Falstaff“-Aufführung das Interesse 
der kunstbegeisterten Kreise in hohem Maße erregt und be- 
sonders der „Falstaff“, dessen Erstaufführung an unserer 
Bühne etliche 16 Jahre 'zurückliegt, wirkte wie eine Novität. 
Damals gab der unvergessene Eugen Gura die Titelpartie. 
Aber merkwürdigerweise, die Oper verschwand nach einigen 
Aufführungen ins Archiv. Denn, das kann man nun ruhig 
aussprechen, das Publikum verstand damals nicht die musika- 
lischen Feinheiten dieses Werkes, begriff nicht, daß der Kom- 
ponist des „Trovatore“ in hohen Jahren als ein Umgewandelter 
sich neu vorstellte und verwechselte des Künstlers weise 
Mäßigung im Gebrauche der Mittel mit durch das Alter be- 
dingter Erfindungslosigkeit. „Erfindungslos“! sprachen die 
allezeit besorgten Kunstfreunde, nein, den können wir nicht 
brauchen, solche haben wir schon genug im eigenen Lande. 
Ungefähr 30 Jahre vorher ist es einem anderen Großen ähnlich 
ergangen. Für die breite Welt lebte Verdi nur im „Trovatore“ 
und war mit der „Aida“ abgeschlossen, den Musiker begann 
er erst von da an zu interessieren, denn von „Aida“ über 
„Otello“ bis „Falstaff“ hat Verdi den bedeutendsten Teil 
seiner künstlerischen Entwicklung zurückgelegt. Auffallender- 
weise also erst in reifem Alter. In der mit freier Benützung 
der „Lustigen Weiber von Windsor“ und einiger Stellen aus 
„Heinrich IV.“ dem Maestro zur Verfügung gestellten lyrischen 
Komödie „Falstaff“ hat nun Verdi die italienische Oper zu 
einer reinen Höhe emporgehoben, die sie vorher trotz Rossini, 
Donizetti und Bellini nie erreicht hatte. An Stelle eines frühe- 
ren, mitunter gar skrupellosen Musizierens war die künst- 
lerische Einsicht getreten, die es sich angelegen sein ließ, den 
Vorgängen der Szene adäquaten musikalischen Ausdruck zu 
verleihen. Der vollblütige Musiker Verdi hatte sich im Laufe 
einer erstaunlich reichen Entwicklung in den vornehmen 
Künstler verwandelt, der in weiser Selbstkritik den Bahnen 
folgte, die ein Größerer denn er der dramatischen Kunst 
vorgeschrieben. Zu seinem Vorteile. Denn Verdi hat in 
seiner Läuterung eben nur jene Seiten abgestreift, die nament- 
lich dem deutschen Kunstfreunde als Ungeheuerlichkeiten 
erscheinen mußten. An Stelle von' Konzessionen an den Ge- 
schmack seines italienischen Publikums trat mm die Wahrheit 
des Ausdruckes, die er, ohne von seiner impulsiven reichen 
Originalität zu opfern, dem Bayreuther Meister gleich als 
Grundbedingung der dramatischen Komposition betrachtete. 
Diese Forderung ist zwar schon so alt, als die Opemkompo- 
sition überhaupt, sonderbarerweise aber wurde sie im Laufe 
der Zeiten wiederholt vergessen oder dem äußeren Effekt 
zuliebe umgestoßen und mißachtet. Im „Falstaff“, auch 
schon im „Otello“ hat Verdi eine Geschlossenheit und Einheit 
der Fassung erreicht, die Staunen erregen muß. Kaum eine 
Stelle ist in dem Werke enthalten, die aus dem „neuen Stile“ 
fiele oder die einem äußeren Effekte zuliebe geschrieben sei. 
An vielen Beispielen' oder besser gesagt aus der ganzen Par- 
titur ließe sich vielmehr die innige Durchdringung von Dich- 
tung und Musik beweisen. Der Einfluß Wagners, dessen 
„Ring“ und „Parsifal“ mm erschienen, waren, ist überhaupt 
unverkennbar, wenn auch nicht in der Polyphonie des in- 
strumentalen Teiles, davon war Verdi stets weit entfernt, so 
doch in der Gesamtanlage des Werkes, in der Behandlung des 
Parlandogesanges, Ausschaltung der Aria usw. Ganz be- 
sonders auch in der Instrumentation, von der Verdi mit Recht 
sagt, daß sie, wenn sie gut sein solle, stets etwas zu bedeuten 
habe. Und nun prüfe man die Instrumentation des „Falstaff“, 
ob sie etwas bedeute. Mit „Falstaff“ hat der italienische 
Maestro der Welt seinen Schwanengesang gesungen und 
darin ein Werk von höchster Vollendung geschaffen, das mit 
? ,Le nozze di Figaro“ und „H barbiere cfi Seviglia“ bestimmt 
ist, für alle Zeiten die strahlende Trias der komischen Oper 


zu bilden. Als aber Mozart und Rossini ihre Werke vollendeten, 
standen sie in jungen Jahren, Verdi dagegen war bereits ein 
Greis, von dem man nach den ernsten Klangen seines Requiem 
nimmermehr einen Exkurs in das Komische erwartet hätte. 
Daß dieser nicht als Parergon zu gelten habe, sondern ein 
Meisterwerk erstehen ließ, beweist einerseits die dem Genie 
eigene rüstige Schaffenskraft bis ins hohe Alter — auch Haydn 
kann hier angeführt werden — , wie auch die unerbittliche 
strenge Selbstzucht, die Verdi seinen letzten Arbeiten unter- 
warf. Dem blutlosen Paare Aennchen-Fenton, das dazu 
verdammt ist, nur zu lieben, kann freilich auch ein Genie 
nicht Leben einhauchen. Zum Schlüsse seines an genialen 
Blitzen reichen köstlichen Werkes überrascht uns der Meister 
mit einer veritablen Fuge, die er gar prächtig aufbaut und die 
vor vielen ihrer gelehrten Schwestern den großen Vorzug hat, 
daß sie auch wirklich gut klingt. Ein höchst prägnantes 
Thema über den Text „Alles ist Spaß auf Erden“, von Falstaff 
zuerst angestimmt, ist mit jenem vollendeten Geschick durch- 
geführt, aas man, wie Michelangelo sagt, erst am Gipfel des 
Lebens und der Kunst besitze; mit seinem erheiternd-tröst- 
lichen Schlußtone „Lauter Gefoppte“ gelangt das Werk zu 
dem einzig möglichen und wirksamsten Ausklange. 

Die Aufführung unter Walters Leitung mit Feinhals in der 
Titelrolle war prächtig. Prof. Heinrich Schwartz. 


IV. Verdi im Urteil heutiger Musiker. 

Das „Berliner Tageblatt“ hatte zur Verdi -Feier eine 
Rundfrage an hervorragende Musiker und Fachleute ge- 
richtet, um Meinungsäußerungen über Verdi zu sammeln. 
Leopold v. Auer, Leo Blech, Fi. Gernsheim, Dr. E. Humper- 
dinck, Hermann Kretzschmar, Hans Pfitzner, Giacomo 
Pucdni, E. N. v. Reznicek, G. Sgambati, Felix Weingartner 
haben darauf geantwortet. Leo Blech schreibt unter anderem: 
„Verdi gehört zum Hauptinhalt meines musik-dramatischen 
Glaubensbekenntnisses. Er ist einer meiner Hausgötter, 
denn er erscheint mir ganz groß — ganz gut und ganz ver- 
ehrungswürdig. Ich denke an Mozart bei der Wahrnehmung, 
daß seine Musik jedem Lebensalter etwas gibt; wie bei 
Mozart erkennt man ihre Tiefen um so mehr, je reifer man 
wird.“ — Hermann Kretzschmar meint: „Der volle Verdi 
kommt erst zum Vorschein im Bunde mit Ghislanzoni und 
anderen dramatisch sachlich gerichteten Dichtem, und von 
der sforza del destino ab beginnt jener bewundernswerte 
Aufstieg, der bald zu .Aida' führt und bei welchem der an 
Lorbeeren reiche Meister sich ähnlich in die Schule Wagners 
begibt, wie sich hundert Jahre früher Piccini zu Gluck 
bekehrt hatte. Dieser Neuorientierung von Verdis Kunst 
verdanken wir .Othello' und .Falstaff' mit ihren Alters- 
spuren in der musikalischen Erfindung und ihrem mächtigen 
Gebt im Entwurf und der Methode; rührende und erstaun- 
liche Dokumente einer bb zum Ende dauernden und wachsen- 
den Selbstzucht, eines exemplarischen Strebens nach Ver- 
vollkommnung.“ — Weingartner bt, wie Heinrich Schwarte, 
in vorstehendem Artikel für die letzten Opern, für den 
„Fabtaff“, besonders eingenommen: „Verdi ist einer der 
größten dramatischen Komponisten, die je gelebt haben. 
Ich glaube, daß die Gegenwart noch immer nicht weiß, 
was er uns mit seinen letzten Werken, dem .Othello' und 
dem , Fabtaff', geschenkt hat. Ich erblicke in ihnen das 
musikalische Drama und die musikalische Komödie in ihrer 
reinsten Gestalt.“ Es zeigt sich eben wieder mal, daß sich 
selbst über eine schon zurückliegende Erscheinung wie Verdi 
die Gelehrten noch nicht einig sind. Interessant schreibt 
Hans Pfitzner: „Abgesehen von der aphoristischen Form, 
kann man wohl in ein paar Zeilen ein ernstes Urteil über 
einen genialen Komponisten wie Verdi nicht abgeben. So 
will ich denn, nachdem ich im obigen Beiwort schon meine 
Meinung über die Gesamterscheinung - Verdis eigentlich ab- 
gegeben habe, nur noch das sagen, worin sich vermutlich 
mein Urteil von dem der meisten meiner Zeitgenossen unter- 
scheidet: daß ich nämlich den ersten und mittleren Verdi 
für den größeren, produktiveren halte. Ich schätze die 
unerlembare Potenz und Inspiration höher ein, ab die er- 
lernbare feine Arbeit. Das, was die letzten Werke Verdis 
scheinbar über die früheren erhebt, bt bloß die viel sorg- 
fältigere Faktur; da diese aber Hand in Hand geht mit fast 
völligem Erblassen der Erfindung — abgesehen von der 
greulichen Verballhornung Shakespearescher Mebterdramen 
ab Texte — , stehen sie meines Erachtens weit unter seinen 
alten, echten, wahrhaft genial inspirierten italienbchen 
Opern, unter denen ich .Rigoletto' für sein Meisterwerk 
halte: kaum bt jemab mit so wenig Mitteln soviel Stimmung 
erreicht, wie in diesem dritten Akt; ein Wunder von Wirkung 
dramatischer Musik.“ 

Diese Meinung deckt sich im Grunde mit der, die die 
„N. M.-Z.“ in ihrem Verdi-Artikel ausgesprochen hatte. 


94 



Hans v. Bronsart. 

H ans Bronsart v. Schellendorff ist, wie schon kurz gemeldet, 
im Alter von 83 Jahren in München gestorben. — 
Geboren am n. Februar 1830 in Berlin als Sohn des 
Generalleutnants Bronsart v. Schellendorff, widmete sich 
der Verstorbene schon in jungen Jahren der Musik, studierte 
aber gleichzeitig an der Berliner Universität. Dann kon- 
zertierte er, der von Bülow und A. Ritter als Pianist höher 
eingeschätzt wurde, als sich Bülow selbst einschätzte (Liszt 
hat ihm sein A dur-Konzert gewidmet), in Paris, Petersburg 
und in den Hauptstädten Deutschlands, dirigierte 1860 — 62 
die Euterpe-Konzerte in Leipzig, 1865 — 66 als Nachfolger 
Bülows die Konzerte der Gesellschaft der Musikfreunde von 
Berlin, wurde 1867 Intendant in Hannover und 1887 Ge- 
neralintendant der Hoftheater zu Weimar. 1895 trat er 
in den Ruhestand und erhielt den Titel eines Wirklichen 
Geheimrates. Seit 1898 lebte er am Achensee und widmete 
sich allein der Komposition. Das fis moll-Klavierkonzert, 
das Klaviertrio in g moll und das Streichsextett sind davon 
bekannt geworden. Klavierwerke, Cha- 
rakterstücke, die Frühlingsfantasie, die 
Symphonie mit Chor „In den Alpen“, 
und die Zweite Symphonie in c moll 
sind weiter zu nennen. 

Was aber dem Namen Bronsart in 
der Musikgeschichte dauernden Wert 
verleihen wird, ist die Persönlich- 
keit dieses vornehmen Menschen und 
Künstlers. Er war ein Idealist in des 
Wortes wahrer und schöner Bedeutung. 

Und was er für die neudeutsche Musik 
getan hat, wie er sich unerschrocken 
auch unter den schwierigsten Umstän- 
den für deren Vertreter eingesetzt hat, 
das ist in der Tat ein seltenes Stück. Die 
interessanteste Zeit seines Lebens ist 
wohl die, als er mit Hans v. Bülow 
am Hannoverschen Hoftheater wirkte. 

Der Briefwechsel zwischen den beiden 
(in Bülows Briefen, Breitkopf & Härtel) 
gibt darüber Aufschluß. Außerdem ver- 
öffentlicht jetzt Frau Marie v. Bülow 
einen Artikel in der „Frankfurter Zei- 
tung“, der das Verhältnis der beiden 
Männer und Künstler aus erster Quelle 
charakterisiert. Marie v. Bülow sagt 
über Bronsart : „I11 Hans v. Bronsart 
ist ein Mann von Charakter, ein hoch- 
begabter Künstler dahingegangen, einer 
der letzten Geistesangehörigen der 
Wagner-Liszt-Gruppe, der letzte aus 
Hans v. Bülows Umkreis, sein Jugend - 
und Kampfgenosse, einer, der sich nicht 
nur, wie so mancher, sein Freund ge- 
nannt, solange dies eigenen Vorteil 
brachte, sondern der sich auch als sol- 
cher bewährt hat ein Leben hindurch und übers Grab hinaus. 
Und eine bedeutende, wenn auch nur kurze Blüteepoche im 
Musikleben der alten Weifenstadt Hannover ist aus dieser 
Freundschaft hervorgegangen. Begründet wurde sie ,auf 
dem festen Granit der Altenburg', des denkwürdigen Musen- 
hofs in Weimar. Gemeinschaftliche Ideale, eine glühende 
Liebe zu Liszt waren die Parole für ,Hans I.‘ und ,Hans II.' 
Bronsart fühlte sich als II. und Unterzeichnete so seine 
Briefe an den Meister. .Aber es gehörte auch ein Franz 
Liszt dazu' — so schrieb mir Bronsart im Jahre 1898 — , 
.um solch reine und thatkräftige Begeisterung in unseren 
Herzen zu wecken, und es gehörte ein Hans v. Bülow dazu, 
um so Hand in Hand mit dem älteren Meister im Siegeslauf 
gegen die Bollwerke einherzustürmen, die hartnäckiger wie 
je von den Feinden der neuen Aera in der Kunstgeschichte 
verteidigt wurden.“ 

Und sie schreibt über Bülows Einzug als Hofkapellmeister 
in Hannover: „Ein wahrer Kunstfrühling scheint an- 

gebrochen. Das Publikum, der Intendant, der neue Kapell- 
meister, die Sänger — alles ist wie in einem Flitterwochen- 
rausch. Die äußerste Anspannung aller Kräfte, wie sie nur 
der Enthusiasmus zeitigt, liefert erstaunliche Resultate, 
läßt die künstlerischen unter den Mitgliedern .über sich selbst 
hinauswachsen, während die mehr handwerklichen zu murren 
beginnen. .Ich konnte einen Augenblick davon träumen, 
daß in einigen Jahren Hannover der Mittelpunkt des musika- 
lischen Lebens in Deutschland werden würde — aber 1 , so 
schreibt Bronsart dem Neugewonnenen im Juni 1877. Also 
. noch vor Beginn des ständigen Zusammenwirkens ein ahnungs- 
schweres .aber'. In der Tat traten schon nach den ersten 
Wochen kleine Wölkchen in die Himmelsbläue, und der 
glückstrahlende Chef ist genötigt, seine vorerst diskret 
warnende Stimme zu erheben: ,Du hast Dir die Sympathie 


und Bewunderung des ganzen Personals im Sturm erobert 
es gibt nur eine Gefahr, die mich, ich leugne es nicht, 
nüt der größten Herzensangst erfüllt.' Nämlich die Frage, 
ob Bülow der Sache zuliebe sein Temperament würde zügeln 
können.“ 

Daß das eine Unmöglichkeit war, ist bekannt. Und so 
ließ Bülow den Freund bald allein in Hannover. Ueber 
den Charakter Bronsarts möge folgende Aeußerung Marie 
v. Bülows hier noch Platz finden: „Verschont von körper- 
lichen Leiden durfte er die voll gemessene Zahl seiner Lebens- 
jahre zurücklegen, in nie unterbrochener Zugehörigkeit zum 
Neudeutschtum der Musiker verharren, seinem 


J [ ugend- 
blicken 



HANS v. BRONSART. 


ideal Liszt treu -bleiben, in ehrfurchtsvollem Aufblicken 
persönliche Fühlung mit ihm behalten. Auch seine Be- 
wunderung für den Titanen Wagner erlitt keine Einbuße, 
trotzdem ihn das für Biilow schicksalsschwere Scheidüngs- 
jahr 1869 auf jede persönliche Wieder begegnung mit Wagner 
verzichten hieß. Bin puritanisch sittenstrenger Zug in 
seinem Wesen, wie er unter Künstlern selten vorkommt, 
hatte an dieser Abkehr - gewiß ebensoviel Anteil wie seine 
Beziehung zu Bülow, den er ,als Menschen vereinte wie 
wenige, als Künstler bewunderte wie 
keinen'. Im Jahre 1875 will ein han- 
noverscher Verein Wagner ein Bankett 
geben: .Ich werde dafür danken und 
dem Vorstande erwidern, daß ich Dein 
Freund bin. Zu einer Feier des größten 
Componisten unserer Zeit bin ich jeder- 
zeit mit Enthusiasmus bereit, sobald 
derselbe dabei durch seine persönliche 
Abwesenheit glänzt.' Darauf Bülow: 
.Verehrter Mitschüler, Freund, Inten- 
dant ! Ich bitte Dich aufs Inständigste . . . 
erscheine im Künstlerverein! Thu mir 
die Liebe ! Nicht obgleich, son- 
dern weil mein Freund ! Wäre Liszt 
in Hannover, es würde ihm sicher ge- 
lingen, Dich umzustimmen!' — .Daß 
Du diese Forderung an mich stellst, 
sieht Dir ähnlich,' erwidert Bronsart. . 
Ging aber dennoch nicht hin. Welchen 
Wert jedoch er darauf legte, dies per- 
sönlich-menschliche Moment von seinem 
Verhältnis zu Wagners Werk zu tren- 
nen, beweist folgende Stelle eines Briefes 
an mich vom 21. Dezember 1898: .Eben 
erinnere ich mich, daß Weingartner in 
einer Broschüre geäußert hat, Bülow, 
der ihn mir als seinen Nachfolger in 
Hannover empfohlen, habe ihm gesagt, 
Weingartner sei mir zu sehr Wagneria- 
ner! Das ist offenbar von Weingartner 
mißverstanden worden, denn das kann 
ihm Bülow nicht gesagt haben. Wohl 
aber hatte mir nach Bülows Rücktritt 
Herr v. Hülsen kategorisch erklärt, er 
werde keinesfalls die Anstellung eines 
Wagnerianers am Hoftheater in Han- 
nover genehmigen . . ., es ist wunderlich, was alles zusammen- 
gestellt wird, um mich als Anti- Wagnerianer zu denunciren ! ‘ “ — 
„Hannover ist mir unersetzlich in der Welt“, schreibt Bü- 
low, „weil . . , Du mir für 78 — 79 den .Cellini' zugesagt hast. 
Für dessen Aufführung gebe ich aber gern mein letztes Herz- 
blut . . . .Fesselt' nicht ,uns Beide' ,Ein Band' der Verehrung 
und Sympathie für den großen Toten?“ Und Bronsart ant- 
wortet nach der Aufführung mit folgendem, seine Geistes- 
richtung bezeichnenden Sonett: 

Du hast, o Freund, zu Deinem Ruhmeskranze 
Ein neues stolzes Lorbeerblatt geschlungen; 

Um hohen Kampfespreis hast Du gerungen, 

Wir grüßen Dich als Held im Siegesglanze. 

Für Hector Berlioz brachst Du eine Lanze, . 

Für den schon Liszt den Zauberstab geschwungen, 

Und wie Cellini Perseus Guß gelungen, 

Gelang auch Dir aus einem Guß das Ganze. 

Ein Perseus selber schlägst Du im Triumphe, 

Vom dumpfen Bann erlösend alle Geister, 

Der falschen Muse starres Haupt vom Rumpfe. 

Du wahrer Kunst Vorkämpfer, kühnster, freister, 
Siegreichster Spieler — stets die Hand voll Trumpfe, 
Und allen ben venuto, Freund und Meister. 

Die „N. M.-Z.“ hatte (in Heft 9 des Jahrgangs 1910) in 
ihren Aufsätzen aus Weimars nachklassischer Zeit die drei 
ältesten überlebenden Mitglieder des ehemaligen „Neu-Weimar- 
Vereins“ im Bilde gebracht: Bernhard Coßmann, Edmund 
Singer, Hans v. Bronsart. Nun ist auch Bronsart den beiden 
Freunden ins Grab gefolgt, der letzte lebende Zeuge einer 
großen Kunstepoche ! Die Menschen sind von uns weggegangen, 
aber ihre Taten und ihre Namen werden bleiben. 


95 


Walter Braunfels: „Ulenspiegel“. 

(Uraufführung am Stuttgarter Hoftheater. 

D ie Wege der Kunst "sind 'den Blicken der Zeitgenossen 
schwer erkennbar. „Nicht prophezeien, es kommt immer 
anders.“ Dies Wort von Richard Strauß hat für den 
Vorwärtsschauenden volle Gültigkeit; und erst der Rück- 
wärtsschauende sieht den Sinn der Dinge, warum es 
anders kommen mußte. Ich hatte bei der „Ariadne“-Be- 
sprechung in der „N. M.-Z.“ gefragt, ob nun als nächstes Werk 
Straußens konsequenterweise die Pantomime folgen würde? 
Darauf antwortete er mit dem erwähnten Satz. Und nun ? 
Wie das „Ballett“ Madame Potiphar aussehen wird, wissen 
wir freilich noch nicht. Aber diesmal war wohl ausnahms- 
weise der Kritiker der richtigere Prophet. Alle Welt er- 
wartete seinerzeit als komische Oper von Strauß den „Eulen- 
spiegel“, oder doch — da ja der dramatische Vorwurf hinter 
dem der symphonischen Dichtung schon zurückgestellt 
worden war — einen ähnlichen Stoff. Und einzelne Kritiker 


angezogen werden kann. Beide neuen Opern aber haben wie- 
der den großen historischen Hintergrund.) Die Volksszenen 
sind wieder musikalisch sehr wirkungsvoll ausgestattet. 
Kämpfe wären dagegen szenisch lieber nur anzudeuten. Sie 
„kommen nicht“ in realistischer Darstellung. Im Textdichter 
des „Ulenspiegels“, der schon deshalb hervorsticht, weil 
er andere Wege geht, erkennen wir einen mit starkem Willen 
und umfassendem Gesichtskreis, mit lebhafter Phantasie Be- 

f abten, der es unternommen hat, große Ereignisse in ein 
reiaktiges Bühnenstück zu konzentrieren. Und Braunfels 
hat, im Gegensatz zu Kienzl, das Recht dazu, sollte ihm 
der große Wurf auch noch nicht in allem gelungen sein. 
Aber in der Idee steckt etwas, und das ist das Besondere 
des neuen Werkes. 

Ich wähle bloß ein Beispiel: das Erscheinen Albas (stumme 
Rolle). Eine wild-bewegte aufgeregte Volksmenge. Till 
treibt seinen Spott mit den Bürgern, der spanische Marsch 
(musikalisch vorzüglich) ertönt von ferne. Die Furcht 
geht vor ihm her, die Gassen werden leer. Die Soldaten 
marschieren auf, machen Front; Alba reitet, im schwarzen 
Mantel tief verhüllt, stumm über die Szene. Das ist drama- 


sprachen denn . auch ihr unverhohlenes Erstaunen darüber 
aus, daß der so gänzlich anders geartete „ Rosenkavalier “ 
an die Stelle des derben Volksepos getreten war. Und nun 
hat den „Eulenspiegel“ doch einer der jüngeren Modernen 
(der ältere Rezmcek scheidet in diesem Falle aus) nach 
Straußens symphonischer Dichtung (womit der dem deutschen 
Volk, ja der Welt diese Gestalt zum zweiten Male geschenkt 
hat) auf die Bühne gebracht: Walter Braunfels, der Kom- 
ponist der „Prinzessin Brambilla“. Er aber wieder nicht 
unseren Till, der in Mölln begraben liegt, sondern den Ulen- 
spiegel des vlämischen Romanes von de Coster. Walter 
Braunfels ist als Textdichter seiner „Prinzessin Brambilla“ 
im Grunde treu geblieben. Man hat ihn getadelt darum, 
wie er seinen Stoff dramatisch gestaltete. Aber man darf 
doch auch nicht übersehen, daß Braunfels nicht etwa aus 
mangelndem Geschick, einen guten Operntext zu schreiben, 
so wie im „Ulenspiegel“ gestaltet, sondern daß eben auch 
wie bei der ersten Oper „Brambilla“ eine besondere Absicht 
vorlag. Ob er die in jedem Punkte völlig erreicht hat, das 
ist dann die zweite Frage. Braunfels erstrebt zweifellos 
etwas, das man mit „Milieuoper“ bezeichnen könnte. Er 
gibt weniger eine psychologisch vertiefte und groß angelegte 
Entwicklung seines Helden, als daß er ihn in den Mittelpunkt 
der Geschehnisse, die einen bedeutenden Raum einnehmen 
(siehe die vielen Chorszenen wie in der „Brambilla“), stellt. 
Ulenspiegel entwickelt seinen Charakter freilich, er wird, 
wenn man so sagen darf, ein ganz anderer. Aus dem über- 
mütigen, zu Streichen aufgelegten Burschen, aus dem 
Träumer wird der „Held“, der die in ihm liegenden, auch 
im ersten Akte in der Szene mit den Ablaßmönchen schon 
angedeuteten Fähigkeiten in die Wirklichkeit umsetzt und 
zum Befreier seines Vaterlandes wird. Nun aber müssen 
wir dieser Evolution mehr glauben, als daß sie uns zwingend 
vor Augen geführt würde. Und hierin liegt wohl ein schwacher 
Punkt des Textbuches. Till „interessiert“ zu wenig. Der 
Anfang ist glänzend, dann läßt die Wirkung im zweiten 
Bilde nach; im dritten, an der See, wo wir den Träumer 
Till sehen, steigt sie wieder. Aber der Held selber ist 
dann nicht so günstig in die Szene, in die Ereignisse hinein- 
gestellt, daß er zum „Führer“ würde. Er wird vielmehr 

„geschoben“, Und 
den Beweis, daß 
ein musikdrama- 
tisches Werk nur 
durch die Gescheh- 
nisse selber, also 
ohne . eigentliche 
Helden durch- 
geführt werden 
könnte, hat der 
„Ulenspiegel“ noch 
nicht voll erbracht. 
Ich weiß es nicht, 
wieweit Braunfels 
diese Absicht ver- 
folgte. — Ihm 
schwebte offenbar 
eine Mischung der 
beiden Stilarten 
vor. (Ich verweise 
auf Batka-Kienzls 
„Kuhreigen“, der 
textlich sehr ge- 
schickt gemacht 
ist. Nur hat er 
mit Kunst so we- 
nig zu tun, daß 
er leider nicht in 
Betracht kommen, 
WA i, TER braunfees. zum Vergleich her- 



risch gesehen und gestaltet. Auch die Nele, die Pflegetochter 
von Tills Vater Klas, ist gut gezeichnet. Ein musikalisches 
Klärchen, wie sie die Geusen zum Kampf enthusiasmiert. 
(Für einzelne Volksszenen hat der „Egmont“ tatsächlich 
das Vorbild abgegeben.) Ihr Tod kommt freilich über- 
raschend, nicht weil er kommt, das ist Notwendigkeit für 
Till, den Befreier, sondern wie er kommt. Das äußere 
Ereignis für die Wandlung Tills ist der Tod des Vaters, der 
verbrannt wird, weil er dem Sohn zur Flucht verhalf. 

Die Musik ist mit der Handlung und den inneren Ereig- 
nissen eng verbunden und teilt damit die Vorzüge der Dich- 
tung; ihre Schwächen sind jedoch auch nicht ganz ohne 
Einfluß auf sie geblieben, weis man beinahe als gutes Zeichen 
für den dramatischen Komponisten Braunfels bezeichnen 
möchte. Im übrigen ist die Musik derart, daß sie ihre Wir- 
kung beim öfteren Hören verstärkt. Und wenn man den 
Klavierauszug durchschaut, ist man nicht selten entzückt. 
(Wir behalten es uns vor, einige Seiten mit Genehmigung 
des Verlags daraus abzudrucken, Red.) Eine künstlerische 
Hand ist hier am Gestalten, und sie gestaltet sehr fein im 
polyphonen Stil. Der sich neuerdings bemerkbar machende 
Zug. nach größerer Einfachheit kommt auch in Braunfels' 
Partitur zum Ausdruck. Wo er aber die Wucht der modernen 
Polyphonie braucht, zeigt er sich als stilsicherer Komponist. 
Ich sprach schon von den Chören und Massenszenen. Diese 
Bilder sind musikalisch scharf gesehen und anschaulich 
gestaltet. Es ist Charakter darin; in der Art des Dialogs 
der Bürger, in den Kämpfen, Straßenaufläufen, Frauen- 
chören (wird gleich ein ganzes Dutzend auf den Scheiter- 
haufen geschleppt), Fischerszenen. Und die Braunfelssche 
Lyrik ist warm, liebenswürdig schlicht, ergreifend, aber nicht 
billig oder verschwommen. Eine wunderschöne Szene ist 
die, wo der im Turme gefangene Ulenspiegel sein Leben 
an sich vorüberziehen läßt. Von malerischem Reiz ist die 
Musik am Meeresstrande; in die Fischerweisen (ein Kanon 
kommt darin vor) klingen die Träumereien Tills. Das alles 
hat Farbe und Stimmung. Am überzeugendsten wirkt 
Braunfels zunächst in den symphonischen Zwischenspielen. 
Das ist moderne Musik im besten Sinne des Worts. Von 
einschneidender Bedeutung scheint mir schließlich die Be- 
handlung des Orchesters zu sein, das anders „klingt“, 
als das der Strauß-Epigonen. Daß Strauß der Lehrmeister 
der jüngeren Generation ist, daran besteht kein Zweifel. 
Braunfels ist es offenbar gelungen, sich von der Schule, der 
bloßen Nachahmung freizumachen. Jedenfalls in weit 
stärkerem Maße als in der „Brambilla“. Wir haben in 
Braunfels eine Begabung, die imbedingt auffällt. Das 
Künstlerische in ihm fesselt und hat unsere Be- 
achtung zu finden auch da, wo ihm rein objektiv noch nicht 
alles gelingt. Und dies Empfinden sprach sich auch in der 
Aufnahme des Werkes aus Dei denen, die für Kunst im 
Theater überhaupt noch zu haben sind. Es war eine ehren- 
volle Aufnahme. Und das gleiche klang auch in der wissenden 
Kritik durch, mochte sie sich sonst zu dem Werke stellen 
wie immer. 

Die Anforderungen der Aufführung sind groß, dem Or- 
chester wie auch den Chören werden rein physische Auf- 
gaben gestellt, die wahrlich nicht gering sind. Sie wurden 
unter Schillings , vortrefflich gelöst. Gerhäuser hatte die 


leicht ließe sich von der Seite des Darstellers noch mehr 
aus der Rolle machen. Marga Junker-Burchardt gab der 
Nele warme, überzeugende Töne, entsprach aber in ihrem 
Aeußeren nicht dem Bilde dieses warmblütigen jungen 
Mädchens, Helgers als Vater Klas wirkte vor allem stimm- 
v Von den übrigen zahlreichen Episodenrollen seien 
Swoboda, Decken, Müfler, Fritz, Engelke erwähnt. Dekorativ 
interessierte das Bild am Meer. Das wäre, mit mehr künst- 
lerischen Mitteln ausgeführt, eine moderne Dekoration, wie 


96 




wir sie wünschen! Die Frage wurde erörtert, ob der „Ulen- 
spiegel“ musikalisch einen Fortschritt gegenüber der „Bram- 
billa“ bedeute ? Mir scheinen die oben gegebenen Erörte- 
rungen nicht minder wichtig. Denn sie fallen in die Sphäre 
der Entwicklung der deutschen dramatischen Kunst. 
Die Uraufführung war deshalb eine Tat des Stuttgarter 
Hoftheaters und seines musikalischen Leiters Max v. Schil- 
lings. Die großen Bühnen sollten ihm folgen ; alle die Theater, 
die sich noch nicht mit Haut und Haaren dem Geschäfte 
verschrieben haben, die noch nicht Sklaven des Kassierers 
geworden sind, sondern sich auch mehr oder weniger als 
Stätten betrachten, wo der Kunst und ihren Jüngern ge- 
dient wird! Oswald Kühn. 


Vom Deutschen Symphoniehaus. 

I n Stuttgart hat der Ehrenausschuß für das Deutsche 
Symphoniehaus unter dem Vorsitz des Generalinten- 
danten Baron zu Putlitz getagt. (Vergleiche dazu den 
Aufsatz „Ein deutsches Symphoniehaus“ von Paul Ehlers in 
Heft 12 des Jahrg. 1912 der „N.M.-Z.“) Auch Herzog Albrecht 
von Württemberg war zugegen. Baron zu Putlitz gab zu- 
nächst eine Uebersicht über das Wesen des Plans und die 
bisherige Arbeit zu seiner Verwirklichung. Im Dezember 
191 1 traten in Koblenz eine Anzahl Herren mit dem Archi- 
tekten Haiger zu einer ersten Besprechung zusammen. Die 
nächste Beratung sollte in Frankfurt a. M. sein. Indessen 
zeigte sich, namentlich infolge der Bemühungen Prof. Habichs, 
daß in Stuttgart ein besonderes Interesse für den Gedanken 
vorhanden war, und so wurde auf Veranlassung von Prof. 
Dr. v. Schillings Ende Dezember 191 1 Jeine erste Sitzung in 
Stuttgart gehalten. Am 23. März 1912 wurde dann in einer 
unter dem Vorsitz des Freih. Alexander v. Gleichen-Ruß- 
wurm in Stuttgart abgehaltenen Versammlung die Gründung 
eines Vereins „ Deutsches Symphoniehaus “ beschlossen. Im 
April 1912 wurde dem Verein seine end- 
gültige Gestalt gegeben. Er hat seinen 
Sitz in Stuttgart. Generalintendant Ba- 
ron zu Putlitz ist Vorsitzender, Freih. 
v. Gleichen-Rußwurm (München) stell- 
vertretender Vorsitzender, Kaufmann 
Hans Schickhardt erster Schriftführer. 

Im Oktober 1912 wurde an die Stadt 
Stuttgart die vorläufige Anfrage gestellt, 
ob für den Fall, daß Stuttgart als Ort des 
Symphoniehauses gewählt werden sollte, 

Aussicht bestünde, hier einen Platz zu 
erhalten. Ein größerer Ehrenausschuß 
wurde gebildet, dem zurzeit 160 Personen 
angehören. 25 000 Adressen aus ganz 
Deutschland liegen zur Versendung eines 
Aufrufs bereit. L- * • 

Musikschriftsteller Paul Ehlers (Miin- 


Das württembergische Königspaar bringt dem Plane leb- 
haftes Interesse entgegen und eine Reihe hervorragender 
Männer haben sich unermüdlich und zielbewußt in den 
Dienst der Sache gestellt. Dazu kommt, daß das musi- 
kalisch-künstlerische Leben in Stuttgart in erfreulichem Auf- 
schwung ist und so dem Deutschen Symphoniehaus einen 
guten Boden gibt. 

Baron Putlitz betonte im Anschluß an den Vortrag des 
Herrn Ehlers, daß die Schaffung des Symphoniehauses 
durchaus den Haigerschen Plan zur Vor- 
aussetzung habe. Niemals sei der Gedanke ge- 
kommen, etwa einen Wettbewerb auszuschreiben. Die 
ganze weitere Arbeit müsse von dem Haigerschen Entwurf 
ausgehen. Einzelheiten, wie die Frage, ob offenes oder 
unsichtbares Orchester, bleibe weiteren Erörterungen Vor- 
behalten. 

Prof. Bonatz erläuterte an den ausgestellten Plänen und 
Modellen die baukünstlerischen Fragen. Der Haigersche 
Entwurf sei ein weihevolles Haus, wie es der Begriff „Tempel“ 
ausspreche. Der Festsaal ist von einer Wandelhalle mit den 
Garderoben und von Räumen für die Mitwirkenden umgeben. 
Die Plätze für die Hörer befinden sich auf gleicher Höhe, 
indessen kann auch ein leichtes Ansteigen der Sitzreihen er- 
möglicht werden, ohne den Gesamteindruck zu beeinträchti- 
gen. Der Raum für das Orchester ist tiefer gelegt, um die 
Musiker dem Publikum unsichtbar zu machen. Der Chor 
dagegen soll sichtbar sein; die Sitzreihen sind in der Apsis 
amphitheatralisch aufgebaut. Das Licht erhält der Raum 
durch Seitenfenster, und zwar ist vorgesehen, zur Dämpfung 
statt Glas dünne verschiedenfarbige Marmorscheiben zu be- 
nutzen. Das Symphoniehaus ist 23 Meter breit. Die archi- 
tektonische Entwicklung ist durchaus von innen heraus ge- 
staltet. Das Symphoniehaus kann nach der ganzen Art des 
Haigerschen Plans nur auf einem Hügel stehen. 

Baron Putlitz stellt fest, es sei der einmütige Wunsch der 
versammelten Mitglieder des Ehrenausschusses, daß das 
Symphoniehaus in Stuttgart errichtet werden möge. Im 
Namen der Stadt Stuttgart sprach Oberbürgermeister Lauten- 
schlager seine Freude über diesen Beschluß aus. Die weiteren 
Arbeiten werden sich mit der Finanzierung des 
Unternehmens, dann mit der Bauausführung und 
endlich mit der Eröffnung und dem Betrieb zu befassen 
haben. Für diese Arbeiten wird dem Vorstand ein Beirat 
an die Seite gegeben, in den eine Reihe namhafter Persön- 
lichkeiten aus ganz Deutschland gewählt wurden. General- 
musikdirektor Dr. Max v. Schillings (Stuttgart) ist Vor- 
sitzender. 

Soweit der Bericht. Dazu ist zunächst zu bemerken, 
daß es doch etwas sonderbar anmutet, wenn den Stuttgartern 
und weiter hinaus ganz Deutschland kategorisch gesagt wird: 
nur den Haigerschen Tempel oder nichts! Bekommen wir 
nun ein deutsches Symphoniehaus oder ein Haigersches 
Symphoniehaus? Wir bringen unseren Lesern eine Ab- 
bildung des Baus in einer Ideal landschaft. Hier wirkt 
der Tempel. Wie aber ist die Wirkung in der schwäbischen 
Hügellandschaft ? Wie stellt man sich einen völlig aus dem 
Stadtbild herausfallenden, einsamen Tempel vor, wie will 
man ihn künstlerisch rechtfertigen ? Hat unsere Zeit 
nichts zu sagen, wenn man ein Symphoniehaus bauen will, 
zu dem ganz Deutschland die Mittel bewilligen soll ? Prof. 



pries 

Bau sei aus 


Haigerschen 

dem Geiste der Musik her- 
ausgewachsen, und nur so könne die er- 
strebte Lösung sein. Es soll ein Tempel 
sein, in dem die Symphonie die höchste 
Weihe findet. Hier in Stuttgart scheint 
sich alles aufs glücklichste zu vereinen, 
um den Gedanken zu verwirklichen. 
Auch andere Orte, namentlich am Rhein, 
haben sich uni das Symphoniehaus be- - 
müht, aber der Vorzug gebührt^ Stuttgart. 



Das für Stuttgart bestimmte Deutsche Symphoniehaus nach dem Entwuife' von Haiger. 


97 



Bonatz hat in seiner Begründung auch den Ausdruck 
gebraucht: Haigers Entwurf stehe als gute Schöpfung der 
Antike da, befreit von aller „Qual der Erfindung“. Wir 
würden es begrüßen, wenn Herr Prof. Bonatz auf unsere 
oben gestellten Fragen als Fachmann uns eine Antwort 
zukommen ließe. Es scheint uns bei der Bedeutung der 
Idee nicht ganz richtig, daß man in Stuttgart über diese 
durchaus wichtige Stißrage offenbar hinweggeht und nur 
zur Wahl der Höne, auf der der Tempel thronen soll, Stellung 
genommen hat. 


Was bringen die deutschen Universitäten 
an musikwissenschafti. Vorlesungen? 

E ine interessante Zusammenstellung der an unseren 
Universitäten veranstalteten musikwissenschaftlichen 
Vorlesungen und Uebungen gibt uns Frl. M. Beling, 
Hilfsarbeiterin an der Königl. Universitätsbibliothek in Göt- 
tingen. (Die Zahlen hinter dem Thema bezeichnen die 
wöchentliche Stundenanzahl, ein g dahinter bedeutet unentgelt- 
lich, pr ist privatissime, pg ist privatissime und unentgeltlich, 
die Vorlesungen ohne jegliche Bezeichnung sind entgeltliche.) 

Berlin. Fleischer: Die klassische Musikperiode Deutsch- 
lands 2. Musikgeschichte Deutschlands im 19. Jahrhundert 
1 g. Musikwissenschaftliche Uebungen 2 g. — M. Friedländer : 
Geschichte des I/iedes II 2. Musikwissenschaftliche Uebungen 
2 g. Chorübungen für Stimmbegabte 1 % g. — Kretzschmar : 
Geschichte der Oper 4. Einführung in das Studium der 
Musikgeschichte 1 g. Musikwissenschaftliche Uebungen 2 g. 
— J. Wolf: Geschichte der Kontrapunktik im Mittelalter 2. 
Grundzüge der evangelischen Kirchenmusik seit Bach 1 g. 
Lektüre musiktheoretischer Traktate des Mittelalters H 
1 y 2 g. Uebungen zur musikalischen Schriftenkunde 1 y 2 g. 

Bonn. Schiedermair : Geschichte der Symphonie 2. Der 
junge Beethoven 1. Harmonielehre 1. Musikwissenschaftliche 
Uebungen 2. — Wolff : Oper im 19. Jahrhundert 2 g. Orgel- 
unterricht. 

Breslau. Cichy : Gesangübungen im gemischten Chor 1 g. 
— Kinkeldey : Harmonielehre, 2. Teil, 2 g. Orgelkursus $ g. 
Geschichte der Klaviermusik 2 g. Musikwissenschaftliche 
Uebungen 1 K pr. 

Erlangen. "Oechsler : Liturgischer Gesang 1 g. Orgelspiel 
16. Theorie der Musik 2. Für Geübtere: Kontrapunk tische 
Uebungen, die Theorie der Kirchentonarten . Die Musik der 
alten Kirche, das evangelische Kirchenlied in musikalischer 
Beziehung 1. 

Freiburg i. Br. Götze : Das deutsche Volkslied 2. — Hoppe : 
Harmonielehre für Anfänger und Fortgeschrittene, Elementar- 
Instrumentationslehre, Instrumentalkurse in Form von Einzel- 
unterricht, Ensembleübungen, Universitätschor. 

Essen. Trautmann : Jon. Seb. Bach und seine Werke mit 
Beispielen am Klavier 1. Uebungen in Harmonielehre und 
Kontrapunkt, 3 Kurse je 1. 

Göttingen. Freiberg: Ensemblespiel 1. Violin-, Klavier - 
und Orgelspiel. Harmonielehre und Kontrapunkt 2 g. 
Uebungen im gemischten Chor 3 ' g. 

Greifswald. Zingel : Musikgeschichte : Wagner und Strauß 1. 
Theorie der Musik 1. Praktisch-liturgische Uebungen 1 g. 

Halle. Abert : Mozart 1 g. Joh. Seb. Bach und sein Zeit- 
alter 3. Musikwissenschaftliches Seminar 2 pg. Collegium 
musicüm (historische Kammer- und Orchestermusikübungen), 
alle 14 Tage 1 V? pg- — Rahlwes : Harmonielehre, 1 . Tefl, 2 ; 
2. Teil, 1; 3. Teil, x. Kontrapunkt, 1. Teil, 1. 

Heidelberg. Wolfrum : Evangelisches Kirchenlied in musika- 
lischer Beziehung, 2. Teil, 1. Harmonielehre in 3 Abteilungen 
je 1. Kontrapunktische Uebungen 2. Orgel 2 g. 

Jena. Stein : Musikalische Formenlehre : die musikalischen 
Hauptformen in ihrer historischen Entwicklung mit Demon- 
stration am Klavier, Teil I, 1. Harmonielehre I und II je 1 %. 

Kiel. Mayer-Reinach : Einführung in die Musikwissenschaft 
2. Geschichte des Oratoriums 1 g. — Stange : Harmonielehre 
für Anfänger x g; für Fortgeschrittenere 1 g. Kammermusik- 
übungen 2 g. 

Königsberg. Brode : Harmonielehre. Musikgeschichtliche 
Vorträge. — Fiebach: Orgelbaulehre g. Orgelübungen g. 
Kontrapunktische Uebungen. Geschichte des Tanzes. 

Leipzig. Prüfer: Zur Vorbereitung auf die Bühnenfest- 
spiele in Bayreuth im Sommer 1914, I.: „Der Ring des 
Nibelungen" von Richard Wagner 3. Die hervorragenden 
musikalischen Gestaltungen des „Faust“ 1 g. Musikwissen- 
schaftliche Uebungen g. — Riemann : Musikalische Grammatik 
und Syntaxis auf historischer und ästhetischer Grundlage 2. 
Musikwissenschaftliches Seminar (Colloquium musicum), A. 
ältere Abteilung, B. neuere Abteilung, je 1 y 2 g. Historische 
Kammermusikimungen (unter Leitung von Dr. Schering) 2 g. 
— Schering: Die Oper im 18. Jahrhundert 2. Johannes 

98 


Brahms 1. Stilkritische Uebungen 2 g. — Seydel : Gesang - 
Übungen (Stimmbildung, Lieder, Arien) 1. 

Marburg. Jenner: Franz Schubert und sein Lied. Har- 
monielehre und praktische Uebungen 1. Orgelunterricht 1. 

München. Kroyer : Führende Geister der Tonkunst vom 
16. — 18. Jahrhundert 4. Einführung in die spekulative 
Musiktheorie 1 . — v. d. Pfordten : Die Oper von Gluck bis 
Wagner 4. — Sandberger: Musiktheoretische Kurse je 2. — 
Schmitz: Richard Wagners Leben und Werke 4. Die Musik 
der Troubadours, Trouveres, Minne- und Meistersinger 2. 
Uebungen zur Aesthetik der Instrumentalmusik 1 pr. Ein- 
führung in die Musikgeschichte der Antike x pr. 

Münster i. W. Nießen : Musiktheoretische Uebungen für 
Anfänger 1 g. Musiktheoretische Uebungen für Fort- 
geschrittenere 1 g. Chorgesangübungen 2 g. 

Rostock. Thierfelder : Geschichte der Sonate 1. Harmonie- 
lehre 2. Liturgische Uebungen 2. 

Straßburg. Spitta : Das Kirchenlied im Zeitalter der Re- 
formation 1 g. Evangelische Kirchenmusik 2 pg. — Mathias : 
Kirchenmusikalische Literatur der Neuzeit 2. Edgar Tinel 
und die Kirchenmusik 1 . Kirchenmusikalische Stilistik 
(Uebungen). — Ludwig : Quellenkunde und Geschichte der 
Notenschrift 3. 

Tübingen. Volbach : Die Oper und das musikalische Drama 
der Gegenwart 1. Die Kunst der Sprache 1. Harmonielehre 1. 



Halle a. S. In unserer Oper (Direktion: Geh. Hofrat 
Richards) ist seit Beginn der Saison fleißig gearbeitet worden. 
U. a. kamen bisher „Tannhäuser“, „Tnstan“, „Fliegender 
Holländer“, „Siegfried“, „Freischütz“, „Figaros Hochzeit“, 
„Carmen“ in neuer Einstudierung heraus, und nebenher lief 
ein Verdi-Zyklus. Der neue erste Kapellmeister Hermann 
Hans Wetzler erwies sich bei der Leitung der genannten 
Werke als ein gediegener Musiker und eine bedeutende Per- 
sönlichkeit. Sein Einfluß macht sich überall bemerkbar, 
vornehmlich aber beim Orchester und Chor. Im Personal- 
bestand der Oper hat sich gegen das Vorjahr wenig geändert. 
Zwei junge Stimmen, Hedwig Nolte und Margarete Wrycza, 
entwickeln sich zusehends. — Die Symphomekonzerte des 
Stadttheaterorchesters wurden mit einem Beethoven- Brahms- 
Aberjd unter Wetzlers hinreißender Leitung glänzend eröffnet. 
— Im Lehrergesangverein stellte sich der neue Chormeister 
Max Ludwig als ein ausgezeichneter a cappella-Dirigent vor. 
Auf dem Programm standen u. a. die beiden Frankfurter 
Preischöre. Die hiesige Ortsgruppe des Wagner- Verbandes 
deutscher Frauen hatte zu einer Wagner-Hundertjahrfeier 
die illustre Dessauer Hofkapelle (Leitung: F, Mikorey) ent- 
boten. Paul Klariert. 

Jena. Die erste Kammermusik des Jenaischen Streich- 
quartettes (Al. Schaichel und Genossen) hat zwei Neuigkeiten 
gebracht. Zuerst ein hinterlassenes Werk von Ernst Nau- 
mann, eine im Jahre 1906 vorgenommene leichte Ueber- 
arbeitüng seines Jugendwerkes, das einst Robert Schumann 
auf ihn aufmerksam machte. Trotz unverkennbarer Anleh- 
nung an Beethoven und Schumann verriet das Werk in Er- 
findung und Form eine so sichere Hand, daß Schumanns 
Urteil begreiflich erscheint. Lebhaften Beifall weckten be- 
sonders der zweite und letzte Satz (vergl. den Artikel über 
Naumann in Heft 9 des vor. Jahrg! Die Red.). Ebenfalls 
als Manuskript gespielt wurde ein Quartett von Karl Ehren- 
berg, das bei aller orchestralen Wirkung doch sehr dankbar 
für die einzelnen Instrumente geschrieben ist, dabei aber 
durch den Anstieg der Empfindung von der Melancholie des 
ersten Satzes über den Emst und inneren Frieden des zweiten 
zur humorvollen Lebensbejahung im dritten seiner Wirkung 
überall sicher sein wird. Die Wiedergabe des schwierigen 
Werkes war eine Meisterleistung. M.-W. 

Malmö. Unter großer Beteiligung der deutschen Kolonie 
hat hier in der St. Petrikirche ein deutsches Wohltätigkeits- 
konzert stattgefunden, das im Zeichen Bachs stand, um 
dessen Zustandekommen sich Hauptpastor Lampe (Kopen- 
hagen) verdient gemacht hat. Una was Prof. Dr. Max 
Seiffert, der Bach-Forscher, dem Auditorium bot, fand den 
lebhaftesten Beifall. Hans Seeber van der Floe (Berlin) stand 
am Dirigentenpult. Als Solisten wirkten mit: Prof. Dr. Max 
Seiffert (Berlin), Frl. Irene Frauberger (Düsseldorf), Frl. 
Becher (London), Konzertmeister Hans Bassermann (Berlin), 
Max Frauler (Kopenhagen) und zwanzig Berliner Künstler. 
Sämtlichen Äfitwirkenden gab der deutsche Konsul zu Ehren 
der Bach-Gesellschaft ein Festessen in seiner Villa. — Leider 
hat sich in Kopenhagen ein Parallelkonzert nicht ermög- 
lichen lassen, obgleich die deutsche St. Petrikirche, selbst 
eine Zeugin aus alten Tagen, infolge ihrer wundervollen 



Akustik sich bestens dazu geeignet hätte. Aber infolge der 
vor zwei Jahren bei den „Parsifal“- Aufführungen geschehenen 
chauvinistischen Angriffe durch die dänischen Musikvereine 
hat sich der Künstler einer Aufführung in Kopenhagen 
ostentativ entgegengestellt, um nicht ebenso wie sein Vor- 
gänger sich erneut unkünstlerischen Angriffen auszusetzen. 

— ». 


Neuaufführungen und Notizen. 

— Es heißt, daß nicht weniger als 50 Bühnen den „Parsifal“ 
am 1. Januar herausbringen wollen. Dies Rekordrennen 
ist freilich beschämend und gibt denen Wasser auf die Mühle, 
die f ü r die Schutzfrist waren. Der „Parsifal“ wird übrigens 
in diesem Winter, auch in Petersburg aufgeführt werden, 
da der Zensor das vor kurzem erlassene Verbot aufgehoben 
hat. Das Werk wird an zwei Theatern gegeben werden: 
im Dezember in der „Oper des Volkshauses“ und im Februar 
nächsten Jahres im „Theater des Musikhauses“. 

— Viktor v. Woikowsky-Biedaus Bühnenspiel „Das Not- 
hemd“, das die Uraufführung in Dessau erlebt hatte, ist 
nun auch im Deutschen Opernhaus in Charlottenburg ge- 
geben worden. 

— Paul von Klenaus „Sulamith“, ein Opemakt in sechs 
Büdem nach den Worten der heiligen Schrift (übersetzt von 
Herder), hat in München die Uraufführung erlebt. 

— Mit Weingartners Oper „Genesius“ ist nun auch ein 
Versuch im Bremer Stadttheater gemacht worden. 

— Einen Aufruf zur würdigen Aufführung und Vorbereitung 
des Mysteriums „Mahadeva“ von Felix Gotthelf versendet 
der Musikschriftsteller Eccarius-Sieber an die heiter der 
deutschen Opembühnen und beruft sich dabei auf Urteile 
Wolzogens, Humperdincks, die Aufführung von Bruchstücken 
des Werkes im Allgemeinen Deutschen Musikverein und die 
anerkennende Besprechung durch die Presse. Daß Gott- 
helfs Mysterium bühnenwirksam ist, ist nach den bekannten 
Bruchstücken anzunehmen. 

— In Malmö ist das Musikdrama „Amljof“ von Peterson- 
Berger (Stockholm) in melodramatischer Form zum ersten 
Male aufgeführt worden. Das Werk präsentiert sich als 
ein Anlauf zur Bildung eines national-schwedischen Stils. 

— Enrico Bossi hat ein neues Werk „Johanna d'Arc“ 
beendet, das sowohl für die Bühne als auch für den Konzert- 
saal bestimmt ist. Es soll im Januar 1914 im Kölner Gürze- 
nich zur Uraufführung kommen. 

— Ermanno Wolf-Ferrari, dessen Oper „Der Arzt als 
Liebhaber“ in Dresden die Uraufführung erlebt, hat bereits 
eine weitere Oper „Honny soit“ vollendet. 

— Der von der Stadt Rom ausgeschriebene Nationalpreis 
für die beste neue Oper ist unter 55 eingereichten Arbeiten 
auf die Oper „Canossa“ des venezianischen Komponisten 
Francesco Malipiero gefallen. Malipiero hatte im vorigen 
Jahre auch den Symphoniepreis der Akademie S. Cecüia 
erhalten. Das Libretto, das die geschichtliche . Episode 
Heinrichs IV. mehr lyrisch und als Hintergrund eines Iaebes- 
idylls benutzt, stammt von dem Triestiner Silvio Benco. 

— Aus Paris wird berichtet: Im Opernhaus Astruc ist 
das Hauptwerk Mussorgskis „Boris Godunow“, das schon 
mehrmals von russischen Kräften in russischer Sprache 
vorgeführt wurde, zum ersten Male in Paris in der franzö- 
sischen Textbearbeitung von Michel Delines gegeben worden. 
Die Titelpartie sang Schaljapin. 

— Richard Straußens neuestes Werk, op. 62, „Deutsche 
Motette“ nach Worten von Friedrich Rückert für sechzehn- 
stimmigen gemischten Chor a capella und vier Solostimmen, 
wird am 2. Dezember in der Philharmonie zu Berlin ge- 
legentlich eines vom Königl. Opernchor veranstalteten 
Richard-Strauß-Abends seine Uraufführung erleben. 

— Das ehemalige „Halir- Quartett“, an dessen Spitze seit 
dem Tode Halirs Prof. Willy Heß stand, wird nicht mehr 
konzertieren, 

— Der Musiksalon von Bertrand Roth in Dresden hat die 
174. Aufführung zeitgenössischer Tonsetzer als Gedächtnis- 
feier für Felix Draeseke gegeben. Die „Sonata quasi Fantasia“ 
für Klavier (op. 6), die Sonate für Klavier und Violoncello 
(op. 51) und Gesänge waren das Programm. 

— In Straßburg soll im J anuar eine Symphonie in G dur 

von M. H. Erb unter Pfitzners Leitung die Uraufführung 
erleben. .. , ?! • -■ 

— In Dortmund wird Musikdirektor T Hüttner folgende 
Novitäten heraus bringen : Debussy, „Lamer“; Peter son- Berger, 
„Symphonie“; Rimsky-Korsakow, „Antar“; Glasunow, 
„Dritte Symphonie“; Tschaikowsky, „Der Sturm“. — Das 
erste Vereinskonzert der Musikalischen Gesellschaft (E. Holt- 
schneider) brachte einen Vortrag Max Friedldnders über 
das deutsche Volkslied und daran anschließend Chorgesänge 
von Volksliedern. 

— Ein Adagio von Beethoven, das seinerzeit als Hand- 
schrift in Berlin wiedergefunden wurde, ist jetzt von Sieg- 


fried Blumann für Symphonieorchester instrumentiert und 
in dieser Einrichtung vom städtischen Orchester in Magde- 
burg zum ersten Male aufgeführt worden. 

— In Bremen hat im zweiten Philharmonischen Konzert 
unter Prof. Emst Wendeis Leitung ein neues Werk von 
Max Reger die Uraufführung erlebt. „Eine Ballettsuite“ 
(op. 130), sechs kleine Sätze, entzückend fein und farben- 
reich instrumentiert, reizvoll besonders im Spiel und Wider- 
spiel der Instrumente des vierten Satzes, „Pierrot und 
Herrette“ überschrieben, wie auch im fein gesetzten Valse 
d’amour (fünfter Satz). Das Werk wurde bei feinster Aus- 
führung gut aufgenommen. J. B. 

— Der altenburgische Hofkapellmeister Groß hat zwei 
Orchesterlieder Schönbergs zur Uraufführung gebracht: „Na- 
tur“ und „Wenn Vöglein klagen“. Die Lieder hatten einen 
vollen Erfolg. 

— Der Verein der Musikfreunde in Kiel hat in diesem 
Winter unter der Leitung von Dr. Ernst Kunsemüller u. a. 
folgende neue Werke angekündigt: Reger, Serenade für zwei 
Orchester, op. 95; Debussy, Orchestermusik „Iberia“ und 
„L’apres-midi d’un faun“ ; Hausegger, „Wieland, der Schmied“ 
Sinigaglia, Orchestersuite „Hemonte“ und „Lustspiel- 
Ouvertüre“; Dukas, „Zauberlehrling“; Bossi, „Intermezzi 
Goldoniani“ für Streichorchester; Scheinpflug, „Lustspiel- 
Ouvertüre“; Woikowsky-Biedau, „Die Mette von Marien- 
burg“. Der Rahmen dieser Veranstaltungen sind die Kon- 
zerte des Vereins der Musikfreunde, Abonnements- und 
Volkskonzerte. 

— In einem Volksabend der Mainzer Liedertafel hat 
Dr. Hans Fischer-Hohenhausen aus Wiesbaden einen Vortrag 
über die „Ritterviolen“ gehalten, an den sich ein Kammer- 
musikkonzert in sogenannter „Ritterbesetzung“ anschloß 

S üoline, Viola alta, Tenorgeige, Cello). Die Klangfülle 
eser Quartettbesetzung wurde bemerkt. 

— In Zittau hat der verdienstvolle Karl Thiessen wieder 
seine winterliche Serie ernster Kammermusikabende be- 
gonnen. 

— Ein Tonkünstlerabend für Friedrich Albert Köhler hat 
in Plauen i. V. stattgefunden. Programm; Vorspiel zu der 
Oper „Die Hochzeit“ ; Symphonie in dmoll; Lieder mit 
Streichorchester; Vorspiel zur Oper „Schatzhauser“; Ba- 
gatelle für Streichorchester; Herbststimmung; Lieder mit 
Orchester; Ballettszene aus der Pantomime „Die Engel- 
apotheke“; Ouvertüre zur Oper „Der Zerrissene“. Diese 
Werke zeigen die Vielseitigkeit eines ungemein fruchtbaren 
Komponisten, dem es offenbar nicht gelungen ist, weitere 
Kreise bisher zu interessieren. Denn alle Werke waren Ur- 
aufführungen ! Ein Kapitel zum Nachdenken für die Vielen, 
die als Komponisten Ruhm erhoffen. 

— Starke Nachfrage ist nach der Geigerin Jeanne Vogel- 
sang aus Utrecht. Für die Tage vom 20. Oktober zum 
1. November ist sie für nicht weniger als sieben Konzerte 
verpflichtet gewesen: nach Berlin (Gesellschaft zur Pflege 
altklassischer Musik), nach Amsterdam, Haag, Harlem, 
Meppel (Bach- Abende: Tournee G. A. Walter) und für zwei 
Konzerte mit der Sopranistin Minny de Jonge in Harlem 
und Utrecht. 

— In Basel ist im ersten Symphoniekonzerte Schumanns 
d moll-Symphonie gespielt worden und zwar erfreulicherweise 
in ihrer ersten Fassung vom Jahre 1841, die Brahms und 
Fr. Wüllner Unter dem Protest der Frau Clara neu heraus- 
gaben. Eine Cellosonate von Hans Huber und eine Violin- 
sonate von Meyer repräsentierten die heimische Kammer- 
musik. B. 

— In Winterthur sind in einem Sonatenabend von Karl 
Pecsi und Otto Uhlmann drei neue Werke gespielt worden: 
Sonate (g moll), op. 8 von Max Lewandowsky, Sonate (D dur), 
op. 9 von Leo Weiner; Sonate (Edur), op. 24 von Sylvto 
Lazzari. 

— Der Wiener Tondichter Kamillo Horn hat bei einem 
Gastkonzerte des „Wiener Tonkünstlerorchesters“ in Graz 
mit den beiden letzten Sätzen seiner f moll-Symphonie 
außergewöhnlichen Erfolg gehabt. Der Dirigent Oskar 
Nedbal, die einstige Seele des „Böhmischen Streich- 
quartettes“, hatte den vom modern-romantischen Geiste 
erfüllten Sätzen der prächtigen Symphonie, die Horn in 
die erste Reihe unserer deutschen Symphoniker stellt, be- 
sondere Sorgfalt angedeihen lassen. Sch. 

— Für die Philharmonische Saison in Karlsbad in Böhmen 
sind folgende Werke zur örtlichen Erstaufführung bestimmt 
worden: E. v. Dohndny, Suite für Orchester, op. 19; H. Pfitz- 
ner, Ouvertüre zum Weihnachtsmärchen „Das Christ-Blflein“ ; 
L. Sinigaglia, Suite „Hemonte“ ; A . Scharrer, Symphonie in 
dmoll „Per aspera ad astra“; H. Kaun, „Am Rhein , Ouver- 
türe für großes Orchester; Rachmaninoff , Klavierkonzert 
No. 2. Für die fünf Konzerte wurden verpflichtet: Hof- 
opemsänger W. Kertesz, Prof. Eugen d’Albert, Kammer- 
sängerin A. Kämpfert, Violinvirtuose Arrigo Serato und 
die Hanistin Susanne Godenne. Leiter der Konzerte ist 
Musikdirektor Robert Manzer. 


99 




— Orchesterschule. Die der Opfer Willigkeit des Fürsten 
Adolf zu Schaumburg-Lippe ihre Entstehung verdankende 
Orchesterhochschule des „Verbandes Deutscher Orchester- 
und Chorleiter“ wird am i. Oktober 1914 zu Bückeburg 
eröffnet werden. Die Schule steht unter der gemeinschaft- 
lichen Verwaltung 'des Bückeburger Hofmarschallamtes und 
der des Vorstandes des Verbandes Deutscher Orchester- und 
Chorleiter. Als Direktor wurde Hofkapellmeister Prof. 
Richard Sahla gewählt, den Unterricht erteilen ein hervor- 
ragender Opern- und ein bekannter Konzertdirigent. Der 
Unterricht ist vollständig kostenlos und es erhält jeder 
Studierende noch einen Zuschuß von 180 M. für das Semester. 
Es sind bereits 40 Stipendien gezeichnet und in Aussicht 
gestellt und zwar u. a. von der Königin Charlotte von Würt- 
temberg' Prinzessin Adolf und Prinz Wolrad zu Schaumburg- 
Lippe, Prinz Karl Anton von Hohenzollern ; den Ministerien 
von Braunschweig und Koburg; den Städten Braunschweig, 
Bückeburg, Hannover und Minden und von verschiedenen 
mildtätigen Stiftungen, sowie bekannten Kunstmäcenen. 
Der Allgemeine Deutsche Bühnenverein, der Allgemeine 
Deutsche Musikverein und die Genossenschaft Deutscher 
Tonsetzer fehlen selbstverständlich nicht in der Reihe der 
Vorbenannten. — Musiker, die mindestens das 16. Lebens- 
jahr erreicht haben, und durch den Besuch der Anstalt sich 
in der Kunst des Orchesterspieles (Oper und Konzert) festigen 
wollen, mögen sich bei dem Vorsitzenden des Verbandes 
Deutscher Orchester- und Chorleiter, Hofkapellmeister Ferd. 
Meister, Nürnberg, Adlerstr. 21, melden und erhalten sie 
dann Satzungen und alles Wissenswerte. 

— Von den Konservatorien. Prof. Heinrich Kiefer, bisher 
Lehrer an der Königl. Akademie der Tonkunst in München, 
ist als Lehrer einer Violoncello-Ausbildungsklasse für das 
Stemsche Konservatorium in Berlin verpflichtet worden 
und wird seine Tätigkeit am 1. Dezember beginnen. — Dem 
Pianisten John Petrie Dünn, dessen Vertrag mit dem Kon- 
servatorium der Musik in Kiel bis zum Jahre 1919 verlängert 
wurde, sind gleichzeitig die Funktionen eines stellvertretenden 
Studiendirektors für dieses Institut übertragen worden. 

— Denkmalpflege, Vom Ausschuß für ein Massenet-Denkmal 
in St.-Etienne geht uns folgender nicht uninteressanter Aufruf 
zu: „Ein Großer im Reiche der Töne hat uns verlassen, der 
Schöpfer des Cid, von Manon und Werther ist nicht mehr 
unter den LebendenI Nun gilt es, eine Dankespflicht abzu- 
tragen für alle die genußreichen Stunden, die uns der Ton- 
dichter gegeben hat und die er der Nachwelt noch spenden 
wird. Seine Werke folgen ihm nachl Massenet war ein Kind 
von St.-Etienne, die jetzt ihren großen Sohn durch ein Denk- 
mal ehren will. Ehrt sie sich damit nicht selbst ? So haben 
wir Deutsche vielfach Ursache, unseren bescheidenen An- 
teil an diesem Werke beizutragen. Dank dem Tondichter und 
Dank der arbeitsamen Stadt, die uns so freigebig Gastfreund- 
schaft gewährt. Dank aber auch dem Volke, das unseres 
Beethoven in der Landeshauptstadt gedachte. Hier gilt es, 
eine Ehrenpflicht zu erfüllen! Kein Deutscher fehle ! Freunde 
und Verehrer Massenets von allen Nationen haben 
einen Ausschuß gebildet, sein Andenken durch ein würdiges 
Denkmal wachzuhalten. Geldspenden bittet man zu richten 
an den Herrn 1 Präsidenten des Massenet- Ausschusses, 14 rue 
Buisson, St.-Etienne (Loire), Frankreich.“ 

— Verdi- Biographie. Graf Monaldi gibt unter dem Titel 
„Taggio di una iconografia di Giuseppe Verdi“ eine neue Verdi- 
Biographie heraus. In dem Pracntwerke finden sich alle 
Bilder Verdis, seiner Angehörigen, sowie der Sängerinnen 
und Sänger. 

— Beethoveniana. Alexander Siloti hat in einem Aufsatz 
in den „Signalen“ für den */« b 31 Scherzo der Siebten Sym- 
phonie plädiert. Dazu schreibt jetzt Siloti aus Petersburg: 
„Ich schrieb meinen Aufsatz betreffs des ‘/«-Taktes im 
Scherzo der Siebten Symphonie von Beethoven, ohne es 
so gehört zu haben; mm habe ich die Symphonie aufgeführt 
und das Scherzo in •/« dirigiert. Heute kann ich auf Grund 
dieser Erfahrung sagen: möge die ganze musikalische Welt 
dagegen sein, dennoch behaupte ich als gewissenhafter 
Musiker, daß dieses Scherzo in */« gespielt werden muß. 
Ich habe es zum ersten Male scherzo-artig gehört!“ 

— Musikhistorisches Museum. Die Instrumenten- und 
Handschriftensammlungen des verstorbenen Wilhelm Heyer 
in Köln sind dort als „Musikhistorisches Museum“ in einem 
eigenen Gebäude untergebracht worden, wo sie an zwei Wochen- 
tagen dem Publiktun zugänglich sind. 

— Von den Tonkünstlervereinen. Seinen Bericht über 
das 46. Vereinsjahr sendet uns der „Hamburger Tonkünstler- 
verein“. 


— Direktor und Kritiker. Aus Genf wird eine sonderbare 
Nachricht gemeldet: Der Direktor des Theätre Moderne, 
Berger, hat sich das Leben genommen. In einem nach- 

f elassenen Briefe erklärt er, daß er infolge der persönlichen 
'eindschaft der Kritiker der großen Genfer Tageszeitungen 
gegen ihn des Lebens überdrüssig geworden sei. Die feind- 
selige Haltung der Kritiker habe auch seine Teilhaber ver- 
anlaßt, ihn im entscheidenden Augenblick im Stich zu lassen. 

— Metallviolinen. In einem Konzert des Philharmonischen 
Orchesters in Nürnberg hat Kapellmeister Wilhelm Bruch 
ein Stück für Streichorchester und Solovioline von Saint- 
Saens auf Metallviolinen spielen lassen, eine Erfindung des 
Nürnberger Fabrikanten Heinrich Wachwitz. Die In- 
strumente sind aus einem von ihm kombinierten Metall 
(in der Hauptsache Aluminium) hergestellt. 

— Erfindungen. Ein neues Musikinstrument, das „Albi- 
siphon“, das als Baßflöte beschrieben wird, ist dem Berliner 
Publikum in einem Konzert des Herrn Ary van Leeuwen 
vorgeführt worden. 

— Schuberts Nichte in- Not. Wie aus Wien gemeldet wird, 
lebt dort die Nichte des großen liederkomponisten Franz 
Schubert in äußerst schlimmer Notlage. Ihre Lage ist so 
schlimm, daß bereits mehrfach die öffentliche Wohltätigkeit 
für sie in Anspruch genommen werden mußte. Erst vor 
kurzem hat der Wiener Freundschaftsbund, ein seit dem 
Jahre 1868 bestehender, humanitär wirkender Theaterverein, 
zum Besten der Bedauernswerten einen Theaterabend ver- 
anstaltet. Es bedarf wohl nur dieser Mitteilung, um vor 
allem die Verleger, die durch Schuberts Genie Unsummen 
verdienten, zu veranlassen, diesem Notzustand dauernd ein 
Ende zu machen. 

— Preisausschreiben. Der „Hamburger Lehrergesang- 
verein“ (Männerchor) setzt einen Preis von 100 M. aus für 
die beste Komposition seines Wahlspruchs: 

„Wie unser Meer, so stolz und hehr tön unser Sang!“ 
Einsendungen, die nur mit Kennwort versehen sein dürfen, 
sind bis 31. Dezember d. J. an den ersten Vorsitzenden 
A. Vorbeck, Hamburg 23, Mittelstraße 32, zu richten. Ein 
beiliegender Briefumschlag muß den Namen des Komponisten 
enthalten. 


Personalnachrichten. 

— Auszeichnungen. Dem Musikdirektor Richard Hoff in 
Sigmaringen ist vom Fürsten von Hohenzollern die Goldene 
Medaille für Kunst und Wissenschaft verliehen worden. 

— In Schwerin ist der Generalintendant des Hoftheaters, 
Karl Freih. v. Ledebur, nach längerer Krankheit gestorben. 
Er wurde am 13. Februar 1840 in Berlin als Sohn eines 
Offiziers geboren und widmete sich zunächst selbst dem 
militärischen Berufe. Aber bereits im Jahre 1869 wurde er 
Intendant des Wiesbadener Hoftheaters und, nach Beendi- 
gung des Krieges gegen Frankreich, an dem er teilgenommen, 
Direktor der Genossenschaft dramatischer Autoren und Kom- 
ponisten in Leipzig. Diese Stellung vertauschte er mit der 
Leitung des Stadttheaters in Riga. Im Herbst 1883 wurde 
er zum Intendanten des Schweriner Hoftheaters berufen, das 
er bis zu seinem Tode ununterbrochen geleitet hat. Im 
Jahre 1894 erhielt er den Titel Generalintendant. Der Ver- 
storbene, der ein außerordentlich tüchtiger Theaterfachmann 
war, hat sich um das Schweriner Hoftheater, namentlich 
auf musikalischem Gebiet, große Verdienste erworben. 

— Die Neue Bach- Gesellschaft in Leipzig hat den eifrigen 
Förderer ihrer Bestrebungen, den Prinzen Dr. Friedrich 
Wilhelm von Preußen, in ihren Ausschuß gewählt. 

— In Breslau ist der erste Kapellmeister des Stadttheaters, 
Julius Prüwer, auf zehn Jahre zum städtischen Kapellmeister 
gewählt worden. 

— Der Dirigent des Lehrergesangvereins in Wiesbaden, 
Musikdirektor H. Spangenberg, hat das Jubiläum seiner 
25jährigen Amtstätigkeit gefeiert. 

— In seiner Heimatstadt Graz hat am 7. November der 
älteste Sangwart der grünen Mark, Leopold Weyschaider, das 
Fest seines 75. Geburtstages begangen. Dem Jubilar, der 
durch Jahrzehnte Chormeister des „Grazer Singvereines“ 
und „Männergesangvereines“ war, an dessen Spitze er einst 
beim Wiesbadener Preissingen den Sieg errang, gingen aus den 
musikalischen Kreisen des Heimatlandes Ehrungen zu. J. Sch. 

— Der holländische Komponist Leander Schlegel ist im 
Alter von nahezu siebzig Jahren gestorben. In Deutschland 
ist Schlegel namentlich durch ein Violinkonzert bekannt ge- 
worden, das Henri Marteau spielte. 

— Aus Kassel wird berichtet: Die Nichte des Komponisten 
und Geigers Louis Spohr, die frühere Konzertsängerin Frl. 
Emma Spohr, ist hier in dem hohen Alter von nahezu 83 Jaliren 
gestorben. Ihr Vater war ein Bruder des Altmeisters Spohr 
und ebenfalls Violinspieler; er war früher lange Jahre, vom 
Jahre 1822 an, also bald vor 100 Jahren, Mitglied der Kapelle 
des Kasseler Hoftheaters. Die Verstorbene war in ihren 
jungen Jahren als Konzertsängerin sehr beliebt. 


100 








Briefkasten 


Für unaufgefordert eingehende Manu- 
skripte jeder Art übernimmt die Redaktion 
keine Garantie. Wir bitten vorher an- 
zufragen, ob ein Manuskript (schriftstelle- 
rische oder musikalische Beiträge) Aus- 
sicht auf Annahme habe : bei der Fülle 
des uns zugeschickten Materials ist eine 
rasche Erledigung sonst ausgeschlossen. 
Rücksendung erfolgt nur, wenn genügeud 
Porto dem Manuskripte beiiag. 

Anfragen für den Briefkasten, denen 
der A b on nementsaus weis fehlt, sowie ano- 
nyme Anfragen werden nicht beantwortet. 


Fr. Chopin: Klavierwerhe 

ooooooo Neue Ausgabe von IGNAZ FRIEDMAN ooöoooo 

M it der Herausgabe der Friedmanschen Chopin- Ausgabe unternehmen Breitkopf 8? 

Härtel einen bedeutsamen Schritt, Ignaz Friedman, der Landsmann des großen 
Polen, hat sich durch seine Chopin- Abende einen glänzenden Namen geschaffen und 
gilt als der Chopin-Spieler und -Kenner par excellence. Entsprechend dem inneren 
Wert der neuen Ausgabe, in der Ignaz Friedman die Erfahrungen und Ergebnisse 
jahrelangen Studiums niedergelegt hat, ist die äußere Ausstattung eine äußerst ge- 
diegene. Auf großen deutlichen Stich ist großer Wert gelegt worden, Druck und 
Papier sind erstklassig. Als besonderen Vorzug erwähnen wir die Kunstbeilagen, die 
jedem Band beigegeben sind; als Originalverleger Chopins waren Breitkopf & Härtel 
in der Lage, einige höchst interessante Faksimiles von den ihnen seinerzeit von Chopin 
übergebenen Originalmanuskripten herzustellen. :: :: 


M. i.— 

Bd. 

VII. Etüden 

. M. 

1.50 

„ 2 — 

Bd. VIII. Preludes und Rondos 


1.50 

„ i-5° 

Bd. 

IX. Sonaten 


1.50 

„ 1.50 

Bd. 

X. Verschiedene Stücke 


1.50 

„ 1-50 

Bd. 

XI. Konzerte 


1.50 

„ 1-50 

Bd. 

XII. Konzertstücke . . . 


2. — 


Bd. V. Balladen u. Impromptus „ 1.50 Bd. XI. Konzerte 

Bd. VI. Scherzos und Phantasie „ 1.50 Bd. XII. Konzertstücke .... 

In schönem biegsamen Einbande kostet jeder Band 1 Mark mehr 

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die Musikweit, r. und 2 . Bändchen übergebenen Originalmanuskripten herzustellen. :: :: 

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des Klavierlehrers von c. r. Hennig. Die Einteilung ist die folgende; 

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Gesanglehrer am Gymnasium zu Essena.R., ,,, , , . 

wird Ihnen Näheres über Ihr Thema an- Bd. I. Walzer M. I.— Bd. VII. Etüden ...... M. I. SO 

geben können. Bd. II. Mazurkas 2 . — Bd. VIII. Preludes und Rondos . „ i.JO U 

H. z. Es geht leider nicht, daß wir Bd. III. Polonaisen 1.50 Bd. IX. Sonaten 1.50 

über Konzerte, die zunächst nur den eng- Bd. IV. Nocturnes 1.50 Bd. X. Verschiedene Stücke . „ 1.50 

steu Kreis interessieren, berichten. Wie Bd. V. Balladen U. Impromptus „ I.jO Bd. XI. Konzerte I .50 

wir früher schon oit mitgeteilt haben, Bd. VI. Scherzos und Phantasie „ 1.50 Bd. XII. Konzertstücke . ... „ 2 . — 

Ä» e 'w“ In schönem biegsamen Einbande kostet jeder Band 1 Mark mehr 

Ihnen in diesem Falle nicht gefällig sein ‘ 

“wTwir empfehlen Ihnen für Ihren AUSgabe Itl 3 Bänden. Edit.OH BreitkO P f Nr. 3881/3883 

Zweck die „Sammlung berühmter Musi- Jeder Band 4 Mark , n Liebhaber-Leinenband 6 Mark 

ker“, die früher von Reim arm heraus- 
gegeben wurde und jetzt in der Scblesi- ' " 

sehen Verlagsanstalt (vormals Schottliinder) Band I: Band II: Band III: H 

in Berlin erscheint. Liszt erscheint dem- TT7 , -nnj j. 0 , 

nächst, die übrigen von Ihnen genannten Walzer Balladen und Impromptus Sonaten 

Meister sind vorhanden, im übrigen ver- Mazurkas Scherzos und Phantasie Verschiedene Stucke 

weisen wir auf unsere Be sprechungen, Polonaisen Etüden Konzerte 

die unsere Leser über alles wissenswerte Nocturnes Preludes und Rondos Konzertstücke 

ln fortlaufender Reihenfolge aufklären. .. — , , 

Siehe Wagner-Heft. _ — 

E. i. in K. Sie möchten einen dies- EultlOII BFßif K ODl 

bezüglichen Bescheid? Wir können Ihnen mmMwmm VI VKlKlv|PI 

nur wiederholen, daß wir es zu unserem — — — i ^ I 

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Band I: 

Walzer 

Mazurkas 

Polonaisen 

Nocturnes 


Band II: 

Balladen und Impromptus 
Scherzos und Phantasie 
Etüden 

Preludes und Rondos 

Edition Breitkopf 


Band III: 

Sonaten 

Verschiedene Stücke 

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Konzertstücke 






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einwandfreien Handel bürgen. Grosse Zahl von Anerkennungen aus 
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rühmter alter Meisterwerke bestätigen, dass die Unterzeichnete Firma eine 
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Bedauern nicht anders ein richten, die ein- 
lau fenden Werke der Reihe nach tu be- 
sprechen. Alle Einläufe werden unter 
den Neuerscheinungen zunächst dem Titel 
nach' usw. aufgeführt. Es Hegen ganze 
Stöße von Liedern bei uns. Wir raten 
bei Herausgabe gerade von Liedern zu be- 
sonderer Vorsicht. Der Markt ist über- 
schwemmt. 

K. L. r R. Von neueren Biographien 
Beethovens ist die von W. A. Thomas- 
Satt Galll zu nennen, die bei Piper & Co. 
in München erschienen ist, ein größeres 
Werk (Preis 5 MJ. Von älteren käme für 
Sie wohl die vojti B. Marx in Betracht. 
Die G dur-Sonate für Violine und Klavier 
von Rust ist bei Schweers & Haake ln 
Bremen erschienen. Natürlich nur in 
Originalbesetzung. — Mälzeis Metronom 
bekommen Sie ln jeder Musikalienhandlung. 

Pastor "M. Tr. Von dieser Ausgabe ist 
uns nichts bekannt. Oder sollte sie uns 
entfallen sein? Bei Peters in Leipzig wer- 
den Sie Auskunft erhalleu. Wenn Sie 
sich gedulden können, vielleicht. Zunächst 
freilich sind wir versehen. 

A. R. M et ronombezc Löhnungen finden 
sich für diese Stücke nicht. Wozu diente 
das Rückporto? 

E. K. An Literatur ist zu nennen: 
Kalkbreaner : Die Organisation der Mili- 
tärmusikkorps aller Länder (1884); Wie- 
precht: Die Militärmusik; Rott : Der Dienst 
im Heere als Militärmusiker (1898). Ueber 
Verlag usw. werden Bucfahandlungett gern 
Auskunft geben. In No. 17 des Jahrgangs 
1889 ist eine militärgeschichtliche Skizze 
erschienen; außerdem hat Max Chop eine 
größere Studie: Zur Entwicklung der 

deutschen Militärmusik, Heft 21 und 22 
des Jahrgangs 1909 der ,.N. M.-Z.“ ver- 
öffentlicht. 


Kompositionen 


Sollen Kompositionen im Briefkasten 
beurteilt werden, so ist eine Anfrage nicht 
eriorderlich. Solche Manuskripte können 
jederzeit an uns gesendet werden, doch darf 
der Abonnementsausweis nicht fehlen. 


(Redaktionsschluß am 13. November.) 


W. T— dort, Zw. Die Gemüter Ihrer 
„Büßenden Pilger“ sind schwer bedrückt, 
das fühlt man. Die Melodik ist erstarrt. 
Der ganze Seelen jamm er gibt sich in heu- 
lender Chromatik kund. Ihre „Berceuse“ 
in Gdur geht geflissentlich dem Gdur- 
Akkord aus dem Weg: orgeipunk (artig 
klebt sie vom ersten bis zum letzten Takt 
an dem Ton g, ohne in etwas melodischen 
Schwung zu geraten. Vielleicht hängen 
Sie noch ein bewegliche? Trio an. 

K. Grö — er, R. Ihr Traumbild „Herbst“ 
ist zu skizzenhaft, als daß sich etwas da- 
mit anfangen ließe. Schlecht wirken die 
Lcittonverdopplungen darin. 

„ou — 17 . ** Für einen Seminaristen 
eine ungewöhnliche Leistung. Das Unzu- 
längliche an Ihrer Choralphantasie werden 
Sie bei späterem Studium selber einsehen. 
Bilden Sie Ihr Talent an guten Vorbildern 
weiter, daß später einmal ein tüchtiger 
Orgelspieler aus Ihnen werde. Ihre Spiel- 
technik scheint schon gut entwickelt zu sein. 

Cy. Ihre spezielle Begabung fürs volks- 
tümliche Genre haben wir schon früher 
anerkannt. Sie sollten einen erfahrenen 
Musikmeister zum Berater haben, der mit 
Ihnen die Chorsätze am Instrument durch- 
spräche und dann die Spreu von dem 
Weizen sonderte. Wir können uns hier 
unmöglich auf die 15 MännerchÖre näher 
einlassen. Schon „Der Rosengarten“ böte 
Gelegenheit zu verschiedenen Ausstellungen. 
Daß die Sätze denn doch gar zu häufig 
sich an Bekanntes antelmen, muß Beden- 
ken verursachen. 

A. L., W. „Vergiß, mein Volk“ ist ein 
dilettantisches Produkt mittlerer Güte. 
Flotter ist der Walzer ausgefallen. 

J. H — dl, Br. Das gemütvoll« Abend- 
Ürd zeigt, daß Sie bei ernstem Willen 
In der Liedkomposition schon etwas er- 
reichen können. Der Umfang Ihre* Lie- 
des beansptucht eine Tenorstimme (nicht i 
Bariton). 


Roh. Sch— er, Schw. Sie sind ein ge- 
wiegter Vertoner, der den Linien des 
Textes folgt und artig gestaltet. 

E. H. Ihr mit bescheidenen Mitteln ge- 
setztes Wiegenlied ist nicht ohne Wirkung. 
Der dritte Vers ist klug und fein behan- 
delt. Auf die Triolen und Sechzehntel in 
der Begleitung könnte verzichtet werden. 

S. L., R. Sie sind uns noch in guter 
Erinnerung. Der eigenartige Impressionis- 
mus Ihrer Darstellungs weise sagt nicht 
jedem Empfinden zu. In der Harmonik 
der Begleilsätze werden Ihre Illustrationen 
den Naturstimmungen noch am ehesten 
gerecht. Oftmals machen die Bilder einen 
erzwungenen, herben Eindruck, der zu der 
Grundstiramung der prächtigen Verse von 
Dr. Owlglaß nicht passen will; sie sind zu 
wenig intuitiv erfaßt. Man gewinnt den 
Eindruck von der gedankenschweren, aber 
nicht immer überzeugenden Sprache eines 
philosophischen Kopfes. Hätten Sie nicht 
Gelegenheit, die Lieder in einem öffent- 
lichen Konzert Probe bestehen zu lassen? 
Im übrigen allen Respekt vor Ihrer künst- 
lerischen Bildung. 

< 25 ©- 

Besprechungen. 

Karl Wezel, op. i : Zwei geist- 
liche Lieder fiir mittlere Sing- 
stimme mit Orgel- oder Kla- 
vierbegleitung. 1 M. 1. Laß, o 
Welt, o laß mich' sein (Mörike). 
2. Herr, schicke mir ein Streif- 
lein Sonne (Schänzlin). — Op. 2: 
Zwei Lieder für eine Stimme 
mit Klavierbegleitung. 1.50 M. 

1. Mein Mütterlein (L. Wetzel). 

2. An den Mond (Goethe). — 
Op. 3 : Zwei Duette für Sopran 
und Alt mit Klavierbegleitung. 
1.50M. 1 . Vorfrühling (P, Barth). 
2. Maienwünsche (Talmon- 
Gros). (Verlag A Auer. Stutt- 
gart.) Sechs anmutige Ge- 
sänge volkstümlichen Gepräges, 
schlicht, aber wann empfun- 
den. Für häusliche Musik, 
kleine Vereinsaufführungen, in 
denen Banalitäten ausgeschlos- 
sen sind, sehr zu empfehlen. 

M. K. 


Unserem heutigen Hefte liegen 
Prospekte der Finnen B. Schott 
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in Kopenhagen und Leipzig sowie 
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wir der besondereil Beachtung 
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„In ther far West“ for 
String Orchestra, komplett 

6 M. Breitkopf & Hartei, 
Leipzig. 

Sibelius, Jean: Scenes' histo- 
riques, Suite für großes Or- 
chester; op. 25: No. I — III 
ä 6 M., komplett 15 M. ; 
o£. 66: No. IV und VI 
ä 6 M„ No. V 3 M., kompl. 
12 M. Ebenda. 

Aubert, Louis, op. 6: Suite 
Brdve, Partition d’Orchestre 

7 Frcs. A. Durand & Fils, 
Paris. 

Pommer, W. H., op. 21: Quin- 
tett in d moll für Piano- 
forte, 2 Violinen, Viola und 
Violoncell 10 M. D. Rahter, 
Leipzig. 

Ferrata, Giuseppe, op. 28: 
String Quartett in G major 
Score netto 1.50 $, Parts 
netto 2 *. J. Fischer & Bro, 
New- York. 

Wuthmann, L. : 150 Choral- 
melodien zum Studium, für 
Harmoniumschüler 1.60 M. 
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sind leicht Spielker und daher su Vortrsgsiweeken gut geeignet. 


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Jahrg. No. 

Aseber, R, Welhnachts träume 1884 34 

Bartel, G, Weflmachtsluet :89a 33 

BurgmUler, Fr„ Am Wdhnachtabaum 1883 34 

Brbaeh, L. v„ Weihnachtspastorale 1891 33 

Gelds, P, Weihnachtstraum 1886 34 

Graf, E, In WeDmachtseUmmung 1899 34 

Hauaar, E, Weihnachtamorgen 1901 33 

Kämmerer, C, Weihnachtslied da Gcmdollen . . 1893 33 

Koeh, M„ WeUmachtsstück für Harmonium . . . *>904 3 

— Fest-Präludium über den Choral „Vom Himmel 
hoch, da komm' Ich her“, für Harmonium od. Orgel *1903 3 


Jahrg. No 

Lazarux, G., Wdhnachtaeehnsucht 1893 34 

Liest, Fr, Hirtengesang a. d. Oratorium „Christus“ *1909 3 

■rihfexsd, A. G„ Weihnachtsabend ; 1881 34 

M.j.r, Louis H„ Unter Hirten 1887 *3 


Reiter, A„ Mein Christtnum 1886 33 


. . 1881 

*4 

. . 1887 

«3 

. . 1883 

«4 

. . • 1903 

% 

. . 1886 

*3 

. . 1888 

«4 

. . 1889 

*3 

. . 1896 

«4 

. . 1898 

«3 


Bartel, G, Zwei WdhnachtsHeder: 1. Alle Jahre Kutjer, C„ Altdeutsches Weihnachtslied (Es blühen 

wieder. 3. O heiliges Kind 1896 33 die Malen) *1908 6 

Cornelius, Polar, Christbaum (Wie schön geschmückt) *1906 6 Lazarus, Gustav, Christfest (Der Schnee fällt leis’ 

— Christkind (Das einst ein Kind auf Erden war) *1907 6 zur Eide nieder) *1908 * 

. Gluth, V- Die heilige Nacht (Die Glocken klingen) 1890 34 Laehnor, Fr., Die stille Nacht (Es zieht herauf die 

Grieben, L, Weihnachtslied (Es wehrt tun uns die stille Nacht) 1883 * 

Schwingen) 1891 33 Löwin, Gnotov, Christsacht (Nach trübem Wintertag) 1909 5 

Heiser, Weihnachtslied (Tausend kleine Lichtchen Llobo, L-, Christnacht (HcU'gc Nacht auf Engels- 
sprühen) 1883 34 schwingen) 1889 33 

— (Wadi auf, du lieb« Schelmemug) 1884 33 8e befer, H. A„ Am Wdbnaditsahcnd (Sternhell 

— (Nun bricht die hdl’ge Nacht herdn) ..... 18S6 33 strahlen goldne Uchtldn) 1887 33 

c) Lieder, zwei- und dreistimmig, mit Klavierbegleitung. 

ber (Duett): Sagt an, Dir Heuser, E, Weihnacht (Duett): Wunderbare hdl’ge 

. 1886 34 Nacht 1894 34 

I (Duett): Süßer die Glocken Karg-Hert, Sigfrid, Ein geistliches Weihnachtslied 

• -LjVA, ' ’ 1999 * 4 *1 1 Musst, mit Harm. u. Violine od. 3. Stimme 

,89s 33 (Ich rieh' an deiner Krippe hier) .,907 * 

Duett): Hdl’geNachL du • Sehsfar, H„ WdhnschtsglöckcAga und Wdhnaditx- 

, ™ ' jgg, J4 mann (Duett): Wdhnachtsglöckchen, ach so läute 1887 33 

1 für Sopran, Tenor und Zieren, Fr„ Weihnachten (Duett): Es flammen die 

cht die hdl’ge Nacht herein) 1807 S4 Kerzen am Wdhnachtsbanm 1893 S4 


b) Lieder, einstimmig mit Klavierbegleitung. 


Abt, Fr, Weihnachtszauber (Duett): Sagt an, Dir Homer, E, Weihnacht (Duett): I 

goldnen Sterne 1886 34 Nacht 

Bortri. O, WdhnachtsHed (Duett): Süßer die Glocken Karg-Dert, Sigfrid, Kn geistlich 

nie kfingen. 1899 34 fß, , angst, mit Harm. u. Vlo 

Bistta scher. Geweihte Nacht (für 3 Mädchen- oder (ja, u hii 

Knabenstimmen) : Geweihte Nacht, da Engel sangen 1898 13 ' 

Htlsor, W„ Weihnacht (Duett): HeU’ge Nacht, du ■ Sehtfer, H, Wdhnachtsglöck^a 

kehrest wieder 1883 34 mann (Duett): Wdhnachtsglöcl 

HoB, 0 „ WeUisachtaUed für Sopran, Tenor und Zieren, Fr,. Weihnachten (Duett) 

Bariton (BaB) : Nun bricht die heü’ge Nacht herein) 1807 34 Kerzen am Wdhnachtsbanm , 

d) Vlolin- und Cellostücke mit Klavierbegleitung. 

Btohl, A-, Wdhnachtsromanze (Viel.) 1886 34 I Kimmoror, 0 ., Trio für ein Hauskonzert za Wdh- 

Bohm, C, Weflmachtstraum (VloL) 1883 x3 nachten (Viel. nnd_Cdlo) . . 1894 *4 


_ vT- .< a imJt — Weihnaditsfeier (VioL u. Cello) ... ..... 1901 *3 

Zum heiHgen Abend (Vkä.) 1884 33 _ wdhnachts-Trto (Vioi. und Cello) 1899 as 

Immonhofer, C., Weßmachts-Trio (3 VioL) .... 1898 33 Zitran, Fr, WdhnachtsHed (Vlol.) 1893 «4 

Jede Nummer ist einzeln käutUcb. Zu beziehen durch jede Buch- und Musikalienhandlung. 

Keine AnaiehtssondangoB bei dom büligon Prols, dn jodos Risiko snsxhiloBL 
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Verlas der „Heuen musIk-Zeltnnfl“. 


Verantwortlicher Redakteur: Oswald Kühn in Stuttgart — Druck und Verlag von Carl Orüninger In Stuttgart. — (Kommissionsverlag in Leipzig: F. Volchmar.) 
















neue 

MUgjjgZEngjg& 

XXXV. I VERLAG VON CARL GRÜNINGER, STUTTGART-LEIPZIG I 1914 
Jahrgang I Preis des Jahrgangs (Oktober 1913 bis September 1914) 8 Mark. I Heft 6 

Erscheint vierteljährlich in 6 Heften (mit Musikbeilagen, Kanal bdlage und „Batka, illustrierte Geschichte der Musik“). Abonnementpreis a M. vierteljährlich, 8 M. jährlich. 
Einzelne Hefte 50 Pf. — Bestellungen durch alle Buch- und Musikalienhandlungen sowie durch sämtliche Postanstalten. Bei Kreuzbandveraand ab Stuttgart Im deutsch - 

österreichischen Postgebiet M. 10.40» im übrigen Weltpostverein M. xa. — jährlich. 


Inhalt • Psychologie der Kunst. — Wie ein „Walzer“ entsteht Plauderei in Briefen an eine Freundin. (Fortsetzling.) — Kapellmeister-Sorgen und -Hoffnungen. 
111 11 All • (zur Lehrerfrage.) Zweite Entgegnung von Wilh. Meyer, Mittelschullehrer in Bielefeld. — Unbekannte Briefe aus der Familie Schubert. — Eine jubilierende 
Mozart-Stiftung. — Von der Strauß-Woche in Karlsruhe. — Fritz Volbach: „König Laurins Rosengarten". Das I. polnische Sängerfest in Lemberg. (8. bis zo. Nov.) — 
Von der Dresdner Hofoper. — Kritische Rundschau: Chemnitz. — Kunst und Künstler. — Besprechungen: Verschiedenes. — Briefkasten. — Neue Musikallen. — 
Dur und Moll. — Musikbeilage. ' — Als Gratisbeilage: Batka, Geschichte der Musik, Bogen 8 vom dritten Band. 




Psychologie der Kunst. 

Von SEMI MEYER (Danzig). 

D ie Psychologie ist eine begehrliche Wissenschaft. 

Sie reckt ihren Arm nach allem, was in den Gesichts- 
kreis menschlichen seelischen Erlebens fallen kann, und 
sie zieht sich leicht den Vorwurf des Uebergreifens von 
allen denen zu, die eine saubere Abgrenzung der wissen- 
schaftlichen Forschungsgebiete für möglich oder gar für 
notwendig halten. Kein Geringerer als Kant hat einmal 
geäußert, die Vermischung der Wissenschaften bringe nur 
Verwirrung. Aber das Leben der Wissenschaft ist über 
solche Engherzigkeit hinweggeschritten, man hat sich gar 
überzeugen müssen, daß die Einzelwissenschaften gerade 
an ihren Grenzgebieten am fruchtbarsten sind, wo sie 
miteinander in Berührung treten. Die Psychologie aber 
als die Gnmdlehre vom geistigen Sein und Werden findet 
überall Anknüpfungen und -ihr Gebiet läßt sich schlechter- 
dings nicht abgrenzen, das liegt einmal in der Natur der 
Sache. Das Schelten aber über Verwirrung und Ueber- 
griff hat nur in einem Vorurteil seinen Grund, das eigent- 
lich jeder Schritt des Lebens Lügen straft, in der selt- 
samen Ansicht nämlich, daß es am Platze sei, jede Art 
Geschehen nur von einem Gesichtspunkt zu betrachten, 
als nähme jemand dem andern etwas fort, wenn er von 
den zahllosen Seiten, die in Wirklichkeit jeder Gegenstand 
bietet, den Angriff von einer zweiten unternimmt. 

So vieler Worte bedarf es tatsächlich, um der Rede von 
einer Psychologie der Kirnst bei all denen ein Ohr zu werben, 
die alle wissenschaftliche Einsicht über die Kunst von 
grundsätzlich anderen Ausgangspunkten zu erwarten sich 
gewöhnt haben, als von einer Betrachtungsweise, die die 
Kunst zunächst als eine Tatsache des menschlichen Seelen- 
lebens neben zahllosen anderen in ihrer Verbreitung und 
in ihren Bedingungen festzustellen versucht, um sie in 
die Gesamtheit des geistigen Geschehens einzureihen. 
Eine Psychologie der Kunst muß in erster Linie das Er- 
lebnis ins Auge fassen, das wir Kunstgenuß nennen, sie 
verlegt damit den Schwerpunkt ihrer Betrachtung aus dem 
Werk der Kunst in das kunstauf nehmende Bewußtsein, 
und wenn sie schließlich auf ihrem Wege zu einem nicht 
weiter erklärbaren Werte gelangt, so hat sie eine solche 
nicht weiter auflösbare Wirklichkeit eines Wertes immerhin 
in einen ganz anderen Zusammenhang gestellt, als wenn 
von einem Grundwert der Schönheit oder einer Norm des 
Schönheitswertes der Ausgang genommen wird, von dem 
zum Kunsterlebnis selbst herabzusteigen sich immer wieder 


als eine mißliche und nur gezwungen lösbare Aufgabe 
erwiesen hat. Es wird niemand einfallen, der anderen 
Betrachtungsweise, die das Ganze der Kunst in einem 
Angriff erobern will, einer Aesthetik von oben, wie man 
gesagt hat, ihr Recht zu bestreiten und auch nur das Leben 
zu verkümmern, jeder versuche es auf seine Weise, aber 
er lasse auch dem Mitstrebenden freie Bahn. 

Die Ansätze zu einer Psychologie des Schönheitserleb- 
nisses sind bereits einige Jahrzehnte alt, aber zu einer 
Wissenschaft wollten sich die spärlich bleibenden Versuche 
nicht recht runden, es blieben imzusammenhängende 
Einzeltatsachen. Da ist im vorigen Jahre ein Buch er- 
schienen, das zum mindesten das große Verdienst hat, 
einen Ueberblick über das ganze Gebiet der Probleme 
einer Psychologie der Kunst zu ermöglichen. Daß die 
eigentliche Kunst nur ein Teilgebiet des Schönen ist, daß 
die Kunst nur das Schöne sucht und mit Absicht gibt, 
das wir, wenn auch minder rein, so doch gewiß nicht minder 
tief überall erleben können in der Natur wie im Kultur- 
dasein, das wird es selbstverständlich nicht verhindern 
können, daß der Ausgangspunkt für wissenschaftliche 
Untersuchungen, in erster Linie immer das Kunsterlebnis 
bleiben muß, das wir in unserer Hand haben und das wir 
deshalb in seinem Verlaufe eher verfolgen können. 

Der schon durch zahlreiche Arbeiten über Kunstfragen 
wohl bekannte Richard Müller-Freienfels veröffentlicht im 
Verlage von Teubner ein Werk „Psychologie der Kunst“, 
auf das die Aufmerksamkeit der Musikwelt zu richten 
schon deswegen nahe gelegt wird, weil in dem Buche im 
Gegensatz zu fast allen Werken, die eine Aesthetik geben 
wollen, der Musik der Platz gegeben wird, der ihr gebührt. 
Die Musik ist ein Zweig der Kunst, der sich nicht jedem 
eröffnet. 

Daß aber jemand sich mit allgemeinen Kunstfragen 
zu befassen für berechtigt hält,* daß jemand das Wesen 
der Kunst ergründen zu können sich einbildet, dem 
der Sinn für die tiefstwirkende aller Künste abgeht, das 
ist schon ein verdächtiges Mißverhältnis und gestattet 
wohl über den Wert mancher Leistungen ein Kopfschütteln 
von vornherein. Ein Kant mußte für den Ausbau seines 
Systems auch über Schönheit und Erhabenheit ein Wört- 
lein sagen. Er hat es gewiß ungern getan, denn der Denker 
hatte zur Kunst offenbar überhaupt kein Verhältnis, er 
kannte kaum etwas Rechtes und seine Bemerkungen 
machen auf jeden Unbefangenen den Eindruck des Un- 
belebten, der große Mann redet von etwas, was ihm ganz 
fern lag und im Grunde des Herzens wahrscheinlich recht 
gleichgültig blieb. 


105 









Er. hat seine Nachfolger gefunden in unserem Vaterland, 
das nicht ohne Grund in der ganzen Welt als das Land 
der Leute gilt, die alles, was man sie fragt, aus der Tiefe 
ihrer reinen Vernunft zu beantworten versuchen. Bekannt 
ist das Scherzwort, daß wenn man einen Franzosen fragt, 
was ein Kamel ist, er in seinen Pariser zoologischen Garten 
gehe, während der Engländer eine Forschungsreise unter- 
nehme, der Deutsche aber frage bei seinem Vemunftprinzip 
an. So haben sie dort auch von wegen der Kunst bei uns 
zu Lande immer wieder sich Rats holen wollen, während 
die Nachbarn schon längst bescheidener die Kunst dort 
gesucht haben, wo man sie findet, sei es von Natur ge- 
wachsen, sei es hingepflanzt oder künstlich aufgezogen 
und als ein Stück der standesgemäßen Lebensart ins Pro- 
gramm der Lebensführung auf genommen. Als ein Stück 
des Geisteslebens kann die Kunst nur dort Wurzeln haben, 
wo sie geistiges Bedürfnis und eigentlichstes __ geistiges 
Erleben ist oder doch wird. 

So ist die Vielseitigkeit der Angriffspunkte mit Händen 
zu greifen. Kunstgeschichte und Kunstbeschreibung greifen 
ineinander mit der Zergliederung des Kunsterlebnisses und 
nur gerade von dem hohen Roß der letzten Begriffe führt 
keine Brücke mehr zu den Einzeltatsachen. Die philo- 
sophische Betrachtung der Kunst dient nur den eigentlich 
philosophischen Zwecken, sie erfüllt ihre eigenen Bedürf- 
nisse mit der Gewinnung letzter Prinzipien. Daß aber 
kein Mensch, der mit lebendiger Kunst zu schaffen hat, 
Lust hat, in die hohen Regionen des reinen Denkens zu 
folgen, das kann man niemand verargen, das muß aber 
um so mehr auffordern, jede andere wissenschaftliche Be- 
trachtungsweise einer größeren Schicht zugänglich zu 
machen. Die Aesthetik verweist für alle ins einzelne 
gehenden Fragen auf die Geschichte der Kunst, die allen- 
falls durch eine vergleichende Kulturwissenschaft zu er- 
gänzen wäre, die die Kirnst besonders bei niederen Völkern 
aufsucht. Aber damit kann unmöglich alles getan sein. 

Die Geschichte der Kunst ist uns nicht überliefert, wie 
die Taten der großen Menschen unter bekannter Verschwei- 
gung der Leiden, die sie mit ihrem Tun meist den andern 
gebracht haben, sondern die Werke der Kunst selbst liegen 
uns vor, und sie erzählen uns nicht, wie sich die Menschen 
einst, als sie entstanden, zu ihnen gestellt haben, sondern 
da hängen die Bilder schön eingereiht in üppigen Museen, 
da stehen die alten Bauwerke rings umgeben von dem 
Neuen, was das Lebensbedürfnis unserer Zeit schafft, da 
liegen die alten Dichtungen mitten zwischen modernen 
Romanen, und da sind die Werke der Musik, zugänglich 
gemacht für jeden Liebhaber und ausgeführt nicht von 
den Menschen, für die sie gemacht worden sind, sondern 
von Kindern einer anderen Zeit, mit einem anderen Lebens- 
tempo und einem anderen Lebensbedürfnis. Wir kennen 
gar nicht die Geschichte der Kunst, wenn wir von den 
Werken nicht auch hinblicken zur Kunstwirkung auf die 
Menschen, zu denen jene überlieferten Werke sprachen. 

Die geschichtliche Betrachtung verwickelt sich demnach 
schon mit dem Kunstleben der eigenen Zeit. Wir stehen 
als genießende Menschen mehr und dazu meist mit weit 
größerer Aufmerksamkeit vor dem Kunstwerk, das gar 
nicht für uns geschaffen ist, vor den Leistungen einer an- 
deren Zeit als vor denen unserer Zeitgenossen, und es be- 
darf keines Beweises, daß darin schon ein Moment erscheint 
und stark hineingreift in das Kunstleben, das an sich 
nichts weniger ist als ein zum reinen ästhetischen Erleben 
gehöriges Stück des Kunstgenusses. Die Leute stehen 
alle mit Andacht vor dem Alten, schon weil es alt ist. 
Die Sixtinische Madonna in Dresden anzuschauen, mag 
manchem vielleicht wirklich eine Kunstandacht sein. Daß 
andere tiefer und mehr unserer deutschen Art nach Fühlende 
bei der benachbarten Holbeinschen mehr finden, ist ganz 
gewiß. Aber für den Kunstpsychologen ist der Besuch 
bei dem prahlerischen Italiener um so lohnender. Denn 
da stehen Menschen herum mit allen Arten, Graden und 
Formen von Begeisterung, die man sich nur zusammen 

106 


- wünschen kann: Stille und. Laute, Aufgeregte und Ruhige, 
Verzückte und Kühle, Versunkene und den Standpunkt 
Suchende, vor allem aber nur Wissende, höchstens einige 
Alte, die von den Jungen aufgeklärt werden. Gemalt 
hat der Mann das Bild für eine Kirche, für andächtige 
Leute eines eigenen Volkes und einer eigenen Zeit, deren 
Andacht ein Bild braucht und ein Büd, wie es da vor 
uns hängt, das, wenn wir ehrlich sein wollen, uns von 
nichts erzählt, als wie äußerlich doch auch eine Andacht 
sein kann. 

Es gibt kein reines Schönheitserlebnis, weil der mensch- 
liche Geist sich nicht zerstückelt, sondern bei allem Wechsel 
der Eindrücke und bei allem Reichtum des eigenen Wirkens 
eine Einheit festgehalten wird, die das Entfernteste zu 
verschmelzen gestattet. Der Schönheitseindruck steht 
sogar vielen anderen an Geschlossenheit bei weitem nach, 
er verlangt eine Aufnahme, in das Innerste der geistigen 
Persönlichkeit, um überhaupt voll ergriffen zu werden, 
er bleibt ein äußerliches Ereignis oder nur ein wesens- 
fremdes Stückchen Genuß, solange er nicht in der Auf- 
nahme in das wirkliche Eigentum der Person seine Ver- 
tiefung erhält. Als geistige Persönlichkeiten aber führen 
wir unser Leben, nicht um uns vor jedem und allem unserer 
Eigenart zu entledigen, sondern um die Eindrücke in 
unsere Persönlichkeit hineinzuarbeiten, und wenn wir uns 
beeinflussen lassen, doch immerhin unser Wesen jedem 
fremden entgegenzustellen ünd aufzunehmen, wo und wie 
wir aufzunehmen begabt sind. 

Deswegen muß eine Psychologie der Kunst ihren Aus- 
gang nehmen von der Aufnahme des künstlerischen Er- 
lebnisses. Das tut der Verfasser des oben genannten 
Buches folgerichtig, er versucht zum ersten Male eine 
Psychologie des Kunstgenusses durchzuführen, und wie 
stark entgegengesetzt der Standpunkt, der hier die Be- 
trachtung eröffnet, dem der reinen Aesthetik sein muß, 
das zeigt sich allerdings auf der Stelle in der Hervorhebung 
der Abhängigkeit und unvermeidlichen Gebundenheit des 
künstlerischen Erlebnisses mit allerlei Seiten des mensch- 
lichen Geistes, die zum Teil recht weit abliegen von Formen- 
sinn und Urteilskraft. Die alte Aesthetik reißt das Schön-, 
heitserlebnis heraus aus einem notwendigen Zusammen- 
hang und versucht es auf eigene Füße zu stellen. Ein 
solch harter Eingriff in das Gewebe seelischen Geschehens 
ist seines Mißerfolges im voraus sicher. Es gibt kein reines 
Schönheitserlebnis, in der Natur schon gewiß nicht, aber 
auch nicht vor dem aufs feinste auf die Wirkung berech- 
neten Kunstwerk. Es ist auch gar nicht von vornherein 
ausgemacht, daß das Ideal des Kunstschaffens sein müsse, 
zu reinen ästhetischen Erlebnissen zu führen; wir stehen 
ja mitten in einer Strömung, die die Kunst wieder mehr 
ins Leben hineinstellen, sie mehr hineingießen will als 
eine veredelnde Form und eine erhöhende Zugabe in alles, 
was uns für die Bedürfnisse des Tages umgibt. Zu jeder 
Stunde aber bringen wir doch gewiß nicht die Sammlung 
für einen Schönheitskult auf. 

Die Musik ist gewiß unter allen Künsten noch die, die 
sich am reinsten hält und Nebenzwecke zu einem guten 
Teil ausschließt. Aber zu erinnern ist doch als für die 
Psychologie besonders wichtig, welche Bedeutung die 
Musik in den religiösen Kulten aller Zeiten und Völker 
von je gehabt hat, wie sie wohl in allen Kulturkreisen 
eine fast unentbehrliche Hilfe bei festlichen Veranstaltungen 
jeder Art ist, wie sie als Reiz benutzt wird, um Begeisterung 
zu erzeugen und zu unterhalten. Also auch unsere Kunst 
entfaltet allerhand Wirkungen, die im geistigen Leben 
von reiner Kunstandacht weit genug abliegen. 

Die Aesthetik nennt das Kunstwerk schön, sie gibt ihm 
einen ästhetischen Wert, ohne von dem Schönheitserlebnis 
der aufnehmenden Person zu sprechen. Der Aufnehmende 
aber ist nicht immer derselbe und im wirklichen Kunst- 
leben ist noch nicht einmal eine stetige Annäherung an 
irgendein Ideal erkennbar, vielmehr steht seine Gesamtheit 
unter genau denselben mannigfaltigen Einwirkungen wie 



alle geistige Kultur und die Kunst ist heute in einem Zeit- 
alter der Ausschüttung ihres heiligen Geistes über Kreise, 
die zu ihrer Aufnahme gar nicht vorbereitet sind, unvermeid- 
lich zu einem guten Teil dem alles Eigengeistige zermalmen- 
den Modeteufel verfallen. Die Kunst anderer Zeiten 
gehörte einem engen, dafür aber sicherer aufnahmefähigen 
und gleichartigen Kreise, sie konnte im Zeitalter unserer 
Klassiker die ganze Lebensanschauung von sich aus zu 
gestalten unternehmen. Die Nachteile der Abgeschlossen- 
heit liegen wohl auf der Hand, aber wie furchtbar sich die 
einer Verallgemeinerung des Kunstbedürfnisses bemerkbar 
machen würden, das hat wohl niemand geahnt. Die Masse 
bleibt als solche geistig stumpf, der Geist regt sich nicht 
in jedem und seine feinsten Blüten sind nicht für jeder- 
mann. Nicht jede Geistesschöpfung kann hinausgetragen 
werden in die bunte Menge, die auch das Höchste zu 
sich herabzuziehen verstehen wird, wenn man es ihm 
aufdrängt. 

Gäbe es ein reines Kunsterlebnis, das in der Tiefe der 
Menschennatur angelegt, nur der Gelegenheit bedürfte, 
um sich in seiner reinen Herrlichkeit zu offenbaren, so 
wäre es ein leichtes, die Menschen zur Kunst zu erziehen. 
Niemand wird die Bestrebungen tadeln, das Kunstbedürf- 
nis, wo es sich zeigt, zu veredeln, aber man hüte sich vor 
einer Verwechslung mit einem bloßen Unterhaltungsbedürf- 
nis. Entschieden zu widersprechen aber ist einer Be- 
wegung, die mit der künstlerischen Erziehung bei der Wiege 
anfangen will. Beim Kinde sind die Voraussetzungen der 
Vertiefung in ein Kunstwerk samt und sonders nicht 
erfüllt, und umgibt man es vom ersten Schritt mit einer 
künstlerisch verfeinerten Lebensführung, so zieht man 
nichts groß als ein gedankenloses Bedürfnis, das gänzlich 
mechanisiert die Kunst schließlich hinnehmen muß. Die 
Kunst nicht dem Kinde, sondern den Mündigen! 

Man muß sich verwundern, daß gerade jene, die im 
Kunstgenuß nichts Geringeres sehen wollen als ein Nach- 
erleben des künstlerischen Schaffens, so schnell bereit 
sind, allen und jedem, dem unmündigen Kinde wie der 
gedankenlosen Masse ein solches doch wahrhaftig nicht 
leicht zu findendes Nacherleben zuzutrauen. Da zeigt der 
psychologische Standpunkt doch viel mehr Lebensnähe, die 
er aus der kühlen Tatsachenforschung gewinnt. Müller- 
Freienfels widmet sein zweites Kapitel dem künstlerischen 
Schaffen, er versucht, so gut das heute angängig ist, einen 
Einblick in das innere Getriebe der Künstlerarbeit zu 
gewinnen. Er kann uns nicht in die Geisteswerkstätte 
hineinführen, ohne auch hier die vielen Seiten der Sache 
in einer Art zu beleuchten, die manchem nüchtern er- 
scheinen wird, die aber dafür den Vorzug der Lebenswahrheit 
besitzt gegenüber vielen geradezu kindischen Vorstellungen 
vom Künstlertum, die vielfach im Umlauf sind. Der 
Künstler ist ein Arbeiter, so gut wie jeder andere Kopf- 
arbeiter. 

Vielleicht sogar hebt der Verfasser noch gar nicht 
zur Genüge hervor, was heute in der Psychologie all- 
gemein anerkannt ist, daß der Bereich der Phantasie 
sich weithin ausdehnt über das gesamte Geistesschaffen, 
über alle Seiten des so weit verzweigten Wirkens an der 
Mehrung der Geistesgüter, daß der Forscher so wenig ihrer 
entbehren kann, wenn seine Leistung wirklich vorwärts 
führen soll, wie der Erfinder oder der schöpferische Staats- 
mann. Aber von der Befruchtung durch die Phantasie 
bis zur Vollendung eines Meisterwerkes ist ein weiter Weg 
und Schweiß muß es sich jeder kosten lassen. Daß dann 
allerdings der unvermeidliche Troß der Nachahmer, der 
Armen an Schöpferkraft der Phantasie, wenn sie ihre 
Arbeit sauber machen, in Selbstüberschätzung verfallen, 
daß die sogenannten Sachverständigen immer wieder vor 
dem Neuen, das die Lieblinge der Muse ihnen vorsetzen, 
erschrecken, das alles liegt nun einmal im Lauf der Welt, 
das ist zu tief in der Natur des menschlichen Geistes be- 
gründet, als daß es je anders werden könnte. 

Nach solcher Vorbereitung erst eröffnet das Buch die 


Betrachtung der Kunstmittel selbst und es widmet den 
Kunstformen der Musik vor allen andern eine recht aus- 
führliche Darstellung, der ein Interesse abgewinnen muß, 
auch wer auf ganz andere Betrachtungsarten eingeschworen 
ist. Nach einer wohl nur als Versuch gedachten Behand- 
lung des Problems der Wertung vom psychologischen 
Standpunkte, also einer wirklichen Eroberung des letzten 
Standpunktes von unten her, gibt das Buch als Schluß 
eine leider zu kurz ausgefallene Beurteilung der Beziehungen 
der Kunst zum Gesamtleben. Der Forderung einer rein 
ästhetischen Kultur ist der Verfasser naturgemäß abhold, 
da ihm die Verwebung der Kunst mit allen Seiten des 
Geisteslebens vor Augen steht. 

Ist auch das Werk noch lange keine Vollendung einer 
Wissenschaft, so eröffnet es doch mit einem Schlage einen 
Ausblick über die Vielseitigkeit der Aufgaben und die 
Schwierigkeit der Fragen, die sich hier auftun. An der 
Hand dieses Führers wird es ein vielversprechendes Unter- 
nehmen sein, die schwebenden Fragen anzugreifen. Das 
Buch sei jedem empfohlen, der noch nicht alles zu wissen 
glaubt, wenn er ein Schlagwort hat, an das er sich halten 
kann, und ein Prinzip, bei dem er sich in jeder Verlegenheit 
Rat holt. 


Wie ein „Walzer“ entsteht. 

Plauderei ln Briefen an eine Freundin. 

Von E. SÖCHTING (Magdeburg). 

(Fortsetzung.) 

Die Melodie des Trio wäre nun fertig erfunden, und ich 
glaube, daß es Dir, liebe Freundin, jetzt gelingen würde, die 
richtige Harmonie dazu zu finden. 


80. Trio 


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Phrase V 

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Phrase VI 


Wegen einiger besonders zu wählenden Harmonien im 
Triosatze möchte ich aber dennoch einige Bemerkungen 
machen. 

Wie schon erwähnt, ist in unserem Trio und zwar in den 
Phrasen I und V die Melodie dem Basse zugeteilt (Beispiel 30), 
so daß wir an diesen Stellen die Begleitung dem Diskant oder 
Oberstimme geben müssen. 

Die 3 Hauptakkorde, mittels welcher unser B dur-Teil 
zu harmonisieren wäre, sind die B-, P- und Es-Dreiklänge sowie 
der Septakkord (f a c es) mit allen Umkehrungen. 

Die erste Phrase mit der Melodie im Basse kann in jedem 
Takte mit dem B dur-Akkorde begleitet werden, da die Me- 
lodietöne diejenigen des B dur-Dreiklangs enthalten, mit Aus- 
nahme des zweiten Tones c 1 . 

Die zweite und die parallele sechste Phrase kann in den 
ersten beiden Takten mit B dur, im dritten und vierten mit 
dem Hauptseptakkord gesetzt werden. 

In Phrase HI und der parallelen Phrase VII konnte einmal 
der B dur verwandte g moll-Dreiklang mit einleitendem 
Septakkord (dfisac) Verwendung finden. 

Phrase IV mit den bis zur Dominante absteigenden Motiven 
bildet die Ueberleitung zur ersten Phrase und kann daher 
durchweg mit dem Septakkord von B dur (f a c es) har- 
monisiert werden. 

Phrase V, in welcher der Baß wieder die Melodie hat, wurde 
die B dur-Harmonie dem Diskant (diesmal als Akkordbrechung) 
zugeteüt. 

Die letzte Phrase (VHI) mit dem Seufzermotiv darf (da die 
Melodie zur Tonika führt) nur mit dem üblichen Ganzschluß I, 
V, I (B dur — F dm — B dm) gesetzt werden. 

NB. Daß der Baßton im ersten Takte der Phrase VIII 
nicht den Grundton (b ) nimmt, sondern die Quinte (f ) — wo- 
durch der Quartsextakkord (f b d) entsteht — ist die Folge 
des im vorigen Takte (Phrase VHI Takt 4) benützten ver- 
minderten Septakkords (e g b cis), welcher sich nicht in den 
Grundton (b), sondern besser in den Quartsextakkord (f b d) 
auflöst. 

Durch Einführung des Trio in unserem Walzer hast Du, 
liebe Freundin, mm die am meisten übliche Form des Tanz- 
stückes kennen gelernt. 


1 NB. Das nicht zum Akkord gehörende c des »weiten 
Taktes wird, als sogenannter Durchgang betrachtet, gleich- 
falls mit B dur gesetzt. 


Z08 







Mit dem Trio sind wir aber noch nicht am Schlüsse der 
Komposition angelangt. Diese darf nur in der Haupttonart 
(hier in Fdur) schließen. 

Daher ist es üblich, nach dem Trio die beiden ersten Teile 
in der Folge: erster, zweiter und nochmals erster Teü, zu 
wiederholen, so daß der erste Teil mit der Haupttonart im 
ganzen viermal auftritt l . 


V. 


Die 3 Teile unseres Walzers reihen sich infolge der richtig 
gewählten Tonarten lose aneinander, wie es bei den sogenannten 
Tanzsuiten ’ üblich ist. 

Man kann nun dem Ganzen noch ein Vorspiel (Introduktion), 
Zwischenspiele oder Ueberleitungen (Gänge), welche die Teile 
miteinander verbinden, sowie ein Nachspiel (Coda) geben; 
hierdurch wird die Komposition eine mehr vollkommene, und 
man spricht dann von einem „Valse de Salon“, „Valse brillante“, 
„Valse de Concert“ usw. 

Ich will Dir nun, liebe Freundin, betreffs der Erfindung 
solcher Vor-, Zwischen- und Nachspiele in dem Folgenden 
noch einige Winke geben. 

Für das Vorspiel oder die Introduktion genügen 8 Takte, 
und es wird am besten mit dem Hauptmotive und viel- 
leicht noch mit einem beliebigen andern gebildet. 

Für unseren Walzer würde folgendes Vorspiel (Beispiel 31) 
passend sein: 


si. Introduktion 




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rarraHaMMMlH 
1 ■■ mm 

ia* hihi— JTP f :*m m BrSBSJBjS'U! ü 



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Das Vorspiel steht in der Haupttonart und muß mit dem 
Dominan tseptakkord, als Uebeneitungsharmonie, schließen. 
Statt eines Akkordes dient auch eine Tonleiter- oder Akkord- 
figur, welche die Töne des Septakkordes enthält, wie Takt 8 
zeigt. Wir benützten hier zur Introduktion das Hauptmotiv 
(f a) und gaben es dem Diskant im ersten Takte auf dem 
ersten und zweiten Viertel, während es von dem Baß auf dem 
zweiten und dritten Viertel eine Oktave tiefer nachgeahmt 
wird. Der zweite Takt bringt nur die Dominante (0) im 
Basse, so daß den beiden ersten Takten (erster Abschnitt) 
die F dur-Harmonie (in der Quartsextakkordlage) zugrunde 
liegt. 

Der dritte und vierte Takt (zweiter Abschnitt) bringt das 
Motiv H (Achtelfigur c d c a f) und schließt wieder mit der 
Dominante (c) ab. Die Harmonie bleibt also dieselbe wie 
im ersten Abschnitt, also Fdur. 

Takt 5 und 6 (Abschnitt III) bringt das erste Motiv in freier 
Sequenz mit den Intervallen des C dur- Akkordes. Beiden 
Takten liegt also der Akkord der fünften Stufe (C dur) zu- 
grunde. 

Takt 7 und 8 (Abschnitt IV) bringen eine Achtelfigur mit 
den Tönen des Septakkordes (in zweiter Umkehrung = Quint- 
sextakkord = gb c e), welche mit den Durchgangstönen 
d-dis-e in der Oberstimme gut in das Hauptmotiv des Teü I 
einleitet. 


1 NB. Anstatt des nochmaligen Druckes der ersten Teüe 
hinter dem Trio wird der Abkürzung wegen häufig am Schlüsse 
des Trio der Hinweis: Walzer D. C. al me (Da Capo al Fine) 
gesetzt. 

* NB. Tänze mit mehr als 3 Teilen nennt man Tanzsuiten. 
Schubert schenkte uns eine Anzahl solcher Tanzsuiten, von 
welchen op. 33 „Deutsche Tänze“, mit 16 Doppelteilen, die 
berühmteste ist. R. Schumann hat dieses Werk einer vor- 
trefflichen Kritik gewürdigt („Gesammelte Schriften“ Reclam). 
Schumann nahm sich diese Suitenform zum Muster; die 
meisten seiner Klavierwerke zeigen diese lose zusammen- 
hängenden kleinen achttaktigen Sätzchen, welche indessen 
kunstvollere Tongebüde poetischen Inhalts darstellen, z. B.: 
op. 2 Papillons, op. 6 Davidsbündler Tänze, op. 9 Karneval, 
op. 15 Kinderszenen, op. 18 Arabeske, op. 19 Blumenstücke, 
op. 21 Novelletten. Als Beispiel für die Tanzsuite dienen 
noch Chopin, sämtliche Walzer; Söchting op. 91 Schmetter- 
linge (eine Walzersuite). 


Du wirst verwundert sein, liebe Freundin, daß ich bei der 
Besprechung der Introduktion gleich die Harmonie erwähnte. 

Die Einleitung ist nämlich „figuriert“ gehalten, das Ganze 
ist einstimmig gedacht, doch liegen den Figuren oder Passagen 
bereits die Harmonien zugrunde, welche zur Einführung in 
den Teü I nötig sind, nämlich die F dur- und C dur-Harmonie 
nebst Septakkord von C dur. 

Die Figuren sind beim Spielen auf beide Hände verteüt. 
Man nennt diese Satzweise den Klavierstil. Da beide Hände 
beim Ausfuhren bereits tätig sind, so fehlt eben eine dritte 
Hand, um die Begleitung zu übernehmen; auch würde eine 
solche bei der Einleitung und bei den Zwischenspielen als 
schwülstig erscheinen und ohne Wirkung sein. Introduktion 
und Zwischenspiele soüen kadenzierend gehalten sein (d. h. als 
Verzierung dienen und von einer Stimme gespielt), um so mehr 
tritt dann die rhythmische Walzer begleitung, welche während- 
dem pausierte, beim Einsatz des jeweiligen Teüs hervor. 

Zwischen dem ersten und zweiten Teüe bringt man kein 
Zwischenspiel, da die Tonarten der Stufen I und V als nächst- 
verwandte sich direkt verbinden lassen; auch soll man des 
Guten nicht zu viel tun und diese Ueberleitungen oder Gänge 
nur an geeigneten Stehen verwenden. 

Eine solch passende Stelle wäre der Moment vor der Wieder- 
holung des ersten Teils nach Schluß des zweiten Teüs. Bei- 
spiel 32 soll uns ein Zwischenspiel oder den Gang veranschau- 
lichen : 




Zur Abwechselung führen wir in dem Beispiel 32 einmal ein 
mehrstimmiges (polyphones) Zwischenspiel vor. 

In der ersten Phrase (Takt 1 — 4) wurde das Hauptmotiv 
des zweiten Teils, in der zweiten Phrase (Takt 5 — 8) die freie 
Nachahmung des Hauptmotivs vom Teü I benützt. 

Welche Harmonien den einzelnen Takten zugrunde liegen, 
das herauszufinden will ich Dir, liebe Freundin, nun über- 
lassen. Bezüglich der 3 letzten Töne c mit Oktave möchte 
ich noch bemerken, daß man ein solches Motiv ein sogenanntes 
Hommotiv nennt. 

Warum wurde hier gerade der Ton c gewählt? 

C ist die Dominante von dem nun folgenden Teüe Fdur, 
daher Grundton des Ueberleitungsakkordes (Septakkord 
c e g b), der schon in der voranstehenden Passage erklungen 
war, und deren Harmonie wir beim Anhören noch im Gedächt- 
nis haben. 

Das Trio in B kann sofort nach dem ersten Teü (Fdur) 
anschließen. Folgende kleine zweitaktige Einleitung (Bei- 
spiel 33) würde indessen die Baßmelodie besser, einführen: 


88. Trio 


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JLb: Irr# 4 


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J 1 1 1 



1 cantando 


Nach dem Trio würde die Introduktion (Beispiel 3i)'*'die 
beste Ueberleitung zur Wiederholung der beiden ersten Teile 
sein. 

Es wird nun noch eine Coda, der den Walzer abschließende 
Satz, zu erfinden sein. Darüber, sowie über die wichtige 
Dynamik, soll in einem Schlußbriefe noch die Rede sein. 

(Schluß folgt.) 



IOQ 




Kapellmeister-Sorgen und -Hoffnungen. 

(Zur Lehrerfrage.) 

Zweite Entgegnung von WILH. MEYER, Mittelschullehrer 
ln Bielefeld. 

D ie Redaktion der „N. M.-Z.“ gestattet mir noch eine 
kurze Entgegnung in der vielumstrittenen „Lehrer- 
frage“. Ich werde mich auf das Wichtigste beschränken. 
Der Verband Deutscher Orchester- und Chorleiter handelt 
gewiß mannhaft, wenn er seinen Schild schützend über 
Herrn Richard hält und die eigene Brust den feindlichen 
Geschossen dar bietet; aber wenn sein Schützling auch zum 
größten Teil nur referierend den Inhalt der Broschüre des 
Verbandes mitteilte, so ergaben doch seine eigenen Aus- 
führungen sein volles Einverständnis mit den m dem Re- 
ferate niedergelegten Anschauungen, Herr Richard war 
Sprachrohr und Vertreter des Verbandes, und mit einer 
faßbaren Persönlichkeit verhandelt es sich leichter, als mit 
einem ganzen Verein. Unsere Entgegnungen richteten sich 
also direkt gegen den Vertreter, indirekt gegen den 
Verband als den intellektuellen Urheber der imgerecht- 
fertigten Angriffe und Herabsetzungen, durch die nament- 
lich die Lehrerschaft auf den Plan gerufen wurde. 

Ich kann dem Verbände den Vorwurf nicht ersparen, 
daß er sich nicht darauf beschränkt hat, in streng sachlicher 
Weise durch den Hinweis auf die musikalische Betätigung 
der Lehrer im Neben amt den Kampf in der Konkurrenz- 
frage eröffnet zu haben. Sein gewiß gerechtfertigtes Be- 
streben, den Musikerstand zu heben, ließ ihn zu dem nicht 
einwandfreien Mittel greifen, ohne innere Berechtigung 
durch kränkende Aburteilung und Herabsetzung des Lehrer- 
musikers diesen zu mißkreditieren, um sich selbst zu heben. 
Dagegen mußte ein Stand protestieren, der bis jetzt mit 
großer Liebe und Hingabe, mit Selbstlosigkeit unter oft 
schwierigen Verhältnissen der Kunst auch in den ent- 
ferntesten Winkeln unseres Vaterlandes erfolgreich eine 
Stätte bereitet hat. Unser Gegner Prof. Urbach schreibt 
in Heft 17: „Ich muß gestehen, daß ich bei zahlreichen Volks- 
schullehrem eine Summe von methodischem Denken, gründ- 
licher musikalischer Durchbildung, inniger Liebe zur Musik 
und staunenswerte Begabung vorgefunden habe, wie sie im 
Musikerstande nicht alltäglich ist.“ Das 
Recht, die Musiker unter den Lehrern „unberufene Dilettanten“ 
oder „ganz mangelhaft vorgebildete Leute“ zu nennen, haben 
die Musiker erst dann, wenn alle Angehörige des Musiker- 
standes tatsächlich auf dem hohen Niveau der Ausbildung 
stehen, auf das sie auch Herr Lang hebt. Daß ein nicht 
geringer Teil der Berufsmusiker, und gerade die, die von 
der Konkurrenz der Lehrer betroffen werden, das nicht 
können, was Herr Lang ihnen zuschreibt, läßt sich nach- 
weisen. In bezug auf den immer wieder hervorgehobenen 
Dilettantismus der Lehrer und das hohe Wissen und Können 
der Musiker empfehle ich Herrn Lang angelegentlich, 
nachzulesen, was Prof. Urbach in den Heften 17 und 20 
über Musiklehrer von Ruf und Künstler schreibt. — • Bei 
Heranziehung der Bildungsvergleiche bleibt die Erörterung 
unfruchtbar und wird nicht zur Klärung führen; denn bei 
den „verworrenen musikalischen Verhältnissen“ (Urbach) 
ist es unmöglich, die Interessen sämtlicher, in bezug auf 
musikalische Bildung, Bedeutung und künstlerische Be- 
tätigung so außerordentlich verschiedenen Gruppen inner- 
halb des großen „Musikerstandes“ gleichmäßig zu vertreten 
und zu verfechten. Man denke sich Richard Strauß und 
Nikisch Arm in Arm mit ihrem „Kollegen“, dem Bassisten 
einer Dorfkapelle ! Ganze Gruppen des Musikerstandes 
scheiden doch bei der zur Erörterung stehenden Frage von 
vornherein aus! Wie beim Gesamtlehrerstand die einzelnen 
Gruppen (Hochschullehrer, Gymnasiallehrer, Volksschul- 
lehrer usw.) scharf gesondert ihre Angelegenheiten ver- 
treten, so wird auch wirklich Greifbares nur durch den 
festen Zusammenschluß der einzelnen Kategorien innerhalb 
des Musikerstandes herauskommen. Wenn die drei Herren, 
die bis jetzt zu der Lehrerfrage das Wort ergriffen haben, 
die hohe Büdung des Musikerstandes hervorheben, wenn 
sie vom Musikerelend im allgemeinen reden, so kann 
man mit vollem Recht ihre Behauptungen ab unzutreffend 
zurückweisen. 

Bei der Beurteilung unserer Frage wird es von den Ver- 
tretern des Musikerstandes nicht genügend beachtet, daß 
es sich bei der Erteilung von Musikunterricht, bei der Leitung 
von Gesangvereinen usw. fast ausschließlich um private 
Tätigkeit handelt. Der Privat unterricht aber ist — nicht 
nur in der Musik — vogelfrei. Es ist jedem gestattet, in 
welchem Fache, in welcher Wissenschaft oder Kunst es auch 
sei, ohne jeden Befähigungsnachweis privat zu unter- 
richten. Das Urteil über die Leistungen hat nur das be- 
teiligte Publikum. Herr Lang befindet sich also im Irrtum, 
wenn er meint, es würde bei uns heißen: „Hände weg!“. 


falls er „ohne hierhergehörige Sonderstudien und Abschluß- 
prüfungen“ in den Schulwissenschaften Privatunterricht 
erteilte. Dazu haben wir gar kein Recht. Es wird uns 
also auch keine Privatperson daran hindern können, mit 
unserem Befähigungsnachweis Privatunterricht in Musik zu 
erteilen. Nur die Behörde kann uns jede derartige Be- 
schäftigung untersagen, aber dann allen Lehrern über- 
haupt. Ick glaube nicht, daß sich der Staat unter den 
jetzigen Verhältnissen zu dieser tief einschneidenden Maß- 
nahme entschließen wird. Auf ihre Konsequenzen habe ich 
schon im ersten Artikel hingewiesen. Bei der Anstellung an 
öffentlichen Unterrichtsanstalten, die der Aufsicht des 
Staates unterstehen, muß die Behörde einen Befähigungs- 
nachweis fordern, ob in musikalischer oder wissenschaftlicher 
Beziehung. Ich werde ebensowenig als Musiklehrer an eine 
höhere Schule berufen, als Herr Lang als Lehrer an eine 
Volksschule. 

An meine Behauptung, „daß die rein künstlerischen 
Berufe freie Berufe sein und bleiben müssen“, knüpft 
Herr Lang die frappierende Schlußfolgerung, daß nun „in 
logischer Konsequenz die in Frage kommenden Lehrer ihr 
sicheres Brot aufgeben müßten, um im freien Berufe der 
Kunst zu dienen“. Die schönen Künste aller Art brauchen 
zu ihrer Entfaltung volle Freiheit; jede innungsmäßige 
Beschränkung auf einen privilegierten Stand, jede behörd- 
liche Einmischung und Beeinflussung, jedes Gebundensein 
an staatliche Verordnungen und Prüfungen hemmen ihre 
freie Entwicklung. Anders liegt die Sache bei der kunst- 
ädagogiscnen, also auch musik-p ä d a g o g i s c he n 
ätigkeit an öffentlichen, der staatlichen Aufsicht unter- 
stehenden Anstalten; hier muß natürlich durch Ablegung 
von Prüfungen der Nachweis erbracht werden, daß der Be- 
werber für die Anforderungen des Lehramts befähigt ist. 

Ich habe es den Musikern nicht verwehrt, „auf ihren 
Befähigungsnachweis zu pochen“, sondern nur konstatiert, 
daß wir für unsere musikalische Betätigung einen Be- 
fähigungsnachweis erbringen können, was bei einem großen 
Teil der freien Musiker nicht der Fall ist. Wenn in dieser 
Beziehung die Musiker nach Herrn Lang „recht gut die 
Mängel ihres Standes und ihrer Fachbildung kennen“, so 
hätten sie zuerst diese Mängel beseitigen sollen, ehe sie „mit 
einem höhnischen Seitenblick auf die Schulmeister“ (Urbach) 
etwas reichlich von oben herab die musikalische Tätigkeit 
der Lehrer beurteilten und herabsetzten. Und wenn ich 

f egen diese imgerechte Beurteilung protestierte und den 
lusikem die Schäden im eigenen Stande nachwies, so sind 
das keine „Gemeinplätze“. Wie man in den Wald hinein- 
ruft, so schallt’s zurück. 

Herr Lang irrt, wenn er behauptet, „daß Klavier- und 
Harmonielehre beim Musikunterricht im Seminar keines- 
falls über die Bedürfnisse des Schulgesangunterrichts 
(d. h. des Volks schulgesangunterrichts) hinausgehen“. 
Von behördlichen Bestimmungen, daß die oberen Klassen 
der Volksschulen in die Grundlagen der Harmonielehre ein- 
geführt werden sollen, ist mir (in Preußen) nichts bekannt. 
Oder meint Herr Lang mit diesen „Grundlagen“ die Kenntnis 
der gebräuchlichsten Tonleitern ? Die Bestimmung gilt für 
höhere Schulen, für die der Musiklehrer aber wieder eine 
besondere Prüfung ablegen muß. Nicht keinesfalls, 
sondern jedenfalls können fleißige und begabte Se- 
minaristen bedeutend mehr lernen, als sie für den Gesang- 
unterricht der Volksschule nötig haben: Wie wäre es sonst 
möglich, daß aus den Lehrerbildungsanstalten Musiker 
hervorgegangen sind, die sich in der Musikerwelt einen ge- 
achteten, ja hochberühmten Namen erworben haben ! Ich 
nenne nur: Schubert, Raff, Reger, Zumpe, Kistler, Wolfram, 
K. Hirsch, Gottschalg, C. A. Fischer, Tappert, Wohlfahrt, 
Th, Krause, Merkel, Graben-Hoffmann, Büed, R. Meister, 
H. Mohr, Reimann, C. F. Urbach, Haas. Den Unterricht 
im Orgelspiel nennt Herr Lang „einen alten Zopf, der bald 
verschwinden wird“. Ich glaube das nicht! Ob Herr Lang 
die praktischen Konsequenzen gezogen und sich klar ge- 
macht hat, welche Folgen das Abschneiden dieses Zopfes 
nach sich zöge! Die Bedürfnisse der Wirklichkeit setzen 
seinem radikalen Vorgehen hier unüberwindliche Schranken. 
Das Wohl der Allgemeinheit steht höher als das eines ein- 
zelnen Standes! — Daß die Zensuren meines Abiturienten- 
zeugnisses ausreichen, um Seminarmusiklehrer zu werden, 
habe ich doch nicht behauptet! 

Herr Lang behauptet, „daß die Choräle, so wie sie notiert 
sind, ausgesprochene Sopranlage im gemischten Chor dar- 
stellen“, und daß viele Lehrer diese viel zu hohe Notierung 
bei der Einübung benutzen. Das ist nicht ganz klar! Als 
Grundlage für den Gesang der einstimmigen Choräle 
dient doch wohl nicht ein Choralbuch für gemischten 
Chor, sondern das für den Kirchengesang, das doch für 
mittlere Stimmlage gesetzt ist. Ein Kirchengesang in der 
Sopranlage ! ! Vor mir liegt ein Liederheft mit 80 für Schulen 
zusammengestellten Choralmelodien; unter diesen sind nur 
drei, die wegen ihres großen Tonumfangs bis zum /* hinauf- 
gehen, die meisten bis d und es. Wenn wirklich einige Lehrer 


zio 



die Choräle in zu hoher Stimmlage einüben, so sind das eben 
Einzelfälle, die man nicht ver allgemeinem kann. Das gilt 
auch für die Ausstellung, daß manche Lehrer zu wenig 
Stimmbildung und -Schonung treiben. Auch dem musika- 
lischen Lehrer schmerzt bei schreiendem Gesang das 
feiner empfindende Ohr und — das Herz! 

Herr Lang verkennt doch wohl die Sachlage, wenn er 

S i Gebildeten als Volkserzieher in eine Reihe mit dem 
er stellt, der vom Staat auf seine Kosten eigens 
für diesen Zweck mit ausgebildet wird. Durch 
die über die Bedürfnisse der Volksschule hinausgehende 
musikalische Bildung, durch theoretische und praktische 
Unterweisung in Gartenbau und Obstbaumzucht legt er 
ihm doch wohl die — natürlich moralische — Verpflichtung 
auf, in ganz besonderer Weise die erworbenen 
Kenntnisse und Fertigkeiten in Gemeinde und Kirche nutz- 
bar zu machen. Daß der Lehrer dazu nicht durch Gesetze 
und Strafen gezwungen werden kann, ist selbstver- 
ständlich. Er kann ja auch jederzeit sein Lehramt niederlegen. 

In bezug auf das Einkommen der Lehrer hat Herr Lang 
sich ja genau informiert, über das Einkommen „d e r“ freien 
Musiker schweigt er sich vollständig aus und begnügt sich 
damit, über das Elend „der“ Musiker im allgemeinen zu 
klagen. Hier zeigt sich wieder, wie unklar das Bild wird, 
wenn man von der Notlage „d e s“ Musikerstandes redet. 
Der zweifellos vorhandenen Not einzelner Gruppen des 
Musikerstandes kann man wahrhaft glänzende Einnahmen 
hervorragender Dirigenten, Instrumentalisten , Sänger und 
Sängerinnen, die doch alle auch zum Musikerstande gehören, 
gegenüberstellen. Berechtigung hat nur ein Vergleich 
zwischen den Volksschullehrem und den festangestellten 
Musiklehrern an öffentlichen Lehranstalten. 

Die „eben flügge gewordenen“ Musiklehrer an den höheren 
Lehranstalten beginnen mit 2100 M. und erreichen in 24 
Dienstjahren 4500 M. Dazu kommt noch Wohnungsgeld, 
nach den Servisklassen verschieden. Die Musiklehrer an 
den Seminaren steigen von 2400 M. Anfangsgehalt bis 4830 M. 
in 21 Dienstjahren. Dazu noch Wohnungsgeld. Ich bitte 
Herrn Lang, sich die Gesamtsumme auszurechnen und mit 
dem Gehalt der Lehrer zu vergleichen. Unkündbarkeit, 
Alters- und Hinterbliebenenversorgung besteht wie bei den 
Lehrern. Dazu genieren sich diese Angehörigen des Musiker- 
standes gar nicht, durch ausgedehnte Privattätigkeit den 
freien Musikern das Brot zu kürzen. % B 

Herr Lang behauptet, daß gerade kleinere und'mittlere 
Orte dem Musiklemer so gut wie völlig verschlossen sind. 
Wer verschließt sie ihm denn? In diesen Plätzen besteht 
keine Konkurrenz zwischen freien Musikern und Lehrern, 
weil kein Berufsmusiker sich hier niederläßt, in der richtigen 
Erkenntnis, daß bei den kleinlichen, musikalischen Verhält- 
nissen — besonders im Punkte des Honorars - keine Einzel- 
person, geschweige denn eine Familie ihr Auskommen fände. 
Herr Lang scheint mit den Verhältnissen der unzähligen 
Dörfer und Landstädtchen nicht genügend vertraut zu sein. 
Sein angeführtes Beispiel ist eine Ausnahme und hat wenig 
Beweiskraft. Jedenfalls würde sein Optimismus, falls er 
sich in einem solchen weltfernen Städtchen als Berufsmusiker 
niederlassen wollte, an der rauhen Wirklichkeit kläglich 
Schiffbruch leiden. Und wenn die Verhältnisse wirklich so 
günstig liegen, warum in aller Welt stehen die Musiker 
abseits, ballen die Fäuste und räsonieren über die Kon- 
kurrenz der Lehrer?! Warum sprengen sie nicht die ge- 
schlossenen Tore und reißen diese Betätigungsfelder an sich ? 
Es wird ihnen vermöge ihrer hohen Qualifikation doch ein 
leichtes sein, die minderwertigen Lehrer imschädlich zu 
machen! Das Publikum ist nicht so einfältig, daß es nicht 
das Bessere wählte. Das Ansehen seiner äußeren Stellung 
kommt bei dem Volks Schullehrer wenig in Betracht, 
da nur ein verschwindend kleiner Teil der Volks schüler 
Musikunterricht bekommt. 

Die zur Besprechung stehende Frage betrifft außerordent- 
lich verwickelte Verhältnisse und läßt sich durch einfache 
Freigabe sämtlicher Betätigungsfelder an die Berufsmusiker, 
wie Herr Lang es fordert, ohne große Schädigungen der 
musikalischen Bildung unseres Volkes, ohne große Störungen 
des gottesdienstlichen Lebens nicht lösen. Wie die Ver- 
hältnisse jetzt noch liegen, kann uns bei der allgemeinen 
Freiheit jedes Privatunterrichts keiner daran hindern, von 
einem Rechte Gebrauch zu machen, das alle haben, zumal 
uns die Behörde im allgemeinen Interesse die Uebernahme 
von Dirigentenposten und Organistenämtem gestattet. Die 
Konkurrenz kann nur freiwillig von unserer Seite 
aufgehoben werden, dazu wird aber umso weniger Neigung 
bestehen, wenn man unsere musikalische Bildung und unsere 
Leistungen herabzusetzen sucht. Das beste Mittel gegen 
die Konkurrenz der Lehrer bleibt immer, daß der Musiker- 
stand sich von allen unfähigen und zweifelhaften Elementen 
reinigt und die Mitglieder auf ein solch hohes Niveau allge- 
meiner und musikalischer Bildung hebt, daß wir Lehrer 
überhaupt nicht mehr konkurrenzfähig sind. 


Unbekannte Briefe aus der Familie 
Schubert. 

Mitgeteilt von OTTO ERICH DEUTSCH (Wien). 

I n dem nächstens erscheinenden Dokumentenbande meiner 
mehrteiligen Schubert-Biographie 1 werden unter den 1500, 
zum großen Teü ungedruckten Zeugnissen von Schuberts 
Leben auch einige Familien briefe aus dem Sommer 1818 und 
1824 veröffentlicht; aus der Zeit des ersten und zweiten 
Aufenthaltes in Schloß Zseliz an der Waag, wo Schubert 
bekanntlich als Musiklehrer bei der Familie des Grafen Johann 
Karl Ester häzy tätig war. Die hier als Proben mitgeteilten 
Briefe haben sich im Original oder in Abschriften erhalten, 
bei Frl. Marie Schubert, einer Großnichte des Meisters, im 
Nachlaß des ersten Schubert-Biographen Heinrich v. Kreißle, 
und im musikhistorischen Museum Wilhelm Heyers zu Köln. 
Die verschollenen Originale gehörten früher wohl alle zu der 
Wiener Autographensammlung Alexander Posonyis. 

Im Sommer des Jahres 1818 war Schubert, der seine 
kärgliche Stelle als sechster Schulgehilfe der ABC-Klasse bei 
seinem Vater aufgegeben hatte, das erstemal nach Zseliz 
gegangen. Einige Briefe von ihm, an seine Freunde und 
Geschwister, bezeugen, daß er glücklich war, der Schul- 
fron entronnen zu sein, daß er aber auf dem kleinen 
ungarischen Landgute bei aller Freundlichkeit doch nur 
als zum Gesinde gehörig behandelt wurde; ähnlich wie vor- 
dem Mozart beim Erzbischof . von Salzburg. Der älteste 
Bruder Ignaz, Schullehrer wie Ferdinand (der zweite und 
bedeutendste), schrieb am 10. August dieses Jahres an seinen 
jüngsten Bruder Karl, den Zeichenlehrer, der eben eine 
Reise durch Oberösterreich machte: „Herzallerliebster 

Bruder! . . . Vom Franz muß ich Dir melden, daß er ge- 
schrieben hat, und daß er seines Schreibens nach sich wie 
ein Gott befindet, und daß er besonders an Dich, als D e i n e n 
zweifachen Bruder, wie er sich ausdrückt, seinen 
Gruß zu melden uns anbefohlen hat. Das Nähere von ihm 
wirst Du in Wien erfahren.“ Wenn Schubert sich als den 
zweifachen Bruder Karls bezeichnet, der ein geschickter 
Landschaftsmaler war, so heißt das natürlich: in Apoll. 
Karl bestellte damals an Franz auch die Bitte des Kauf- 
manns Ferdinand Traweger in Gmunden, bei dem Schubert 
später in der Badgasse zu Gaste war, seiner zu gedenken, 
wenn er „vier- oder achtstimmige Männersingstücke“ hätte. 
Es war zu dieser Zeit noch keine solche Komposition von 
Schubert öffentlich aufgeführt worden. 

Den verloren gegangenen Brief Schuberts an das Eltern- 
haus in der Grünentorgasse erwähnte auch der Vater in 
einem Schreiben an Karl vom 27. August: „Lieber Sohn! 
. . . Den 10. dies, erhielt ich wieder einen Brief von Deinem 
Bruder Franz; es geht ihm so gut, daß er sich sehr glücklich 
schätzt; er spricht in einem recht herzlichen Tone voll 
Empfindung und Liebe; und grüßt jedes von uns allen 
namentlich. 

Der folgende Brief Ferdinands an Franz bedarf einiger 
Erklärung. Das undatierte Schreiben ging, wie aus der 
Antwort Schuberts vom 2p. Oktober 1818 erhellt, zugleich 
mit einem schon seit Kreißle bekannten Briefe von Ignaz 
und einem verlorenen der Schwester Therese am 12. Oktober 
von Wien ab. Schubert hatte schon am 24. August aus 
Zseliz an Ferdinand geschrieben und ihm eine „Trauer- 
messe“ geschickt, die im Oeuvre Schuberts fehlt und mit 
der es eine eigene Bewandtnis gehabt haben muß. Ohne 
hier näher darauf einzugehen und von den erhaltenen Werken 
Ferdinands zu sprechen, möchte ich doch die Vermutung 
nicht zurückhalten, daß Schubert für Ferdinand, der im 
Waisenhause Lehrer war, eine Messe geschrieben, die dieser 
unter seinem Namen aufführte, obgleich er nur wenig daran 
ergänzt und geändert hatte. Der Anfang des folgenden 
Briefes, der offenbar das Geständnis enthielt, fehlt leider 


1 Franz Schubert, Die Dokumente seines Lebens und Schaf- 
fens, herausgegeben von Otto Erich Deutsch. Verlag Georg 
Müller in München. Bd. I. Einleitende Biographie nach 
George Grove, übersetzt und bearbeitet von Hans Effenberger 
und Ludwig Scheibler, mit einer Bibliographie von Ludwig 
Scheibler und Otto Erich Deutsch. — Bef II. Die Dokumente 
von Schuberts Leben, herausgegeben von Otto Erich Deutsch. 
1. Teil: Aus Schuberts Leben, 2, Teil: Nachklang, Parerga, 
Erinnerungen, Nachruhm. — Bd. III. Schuberts Leben in 
Büdem, herausgegeben von Otto Erich Deutsch. — Bd. IV. 
Thematisches Verzeichnis der Werke Schuberts, von Ludwig 
Scheibler. — Bd. II/i, enthaltend 1183 Dokumente von Schu- 
berts Geburt bis zu seinem Tode, und Bd. III, mit etwa 
800 Bildern, sind eben erschienen. Die nachfolgenden Bilder 
sind mit freundlicher Bewilligung des Verlegers dem Werke 
Schuberts Leben in Bildern entnommen. — Wir werden auf 
die einzelnen Bände nach ihrem Erscheinen ausführlich zu 
sprechen kommen. Red. der „N. M.-Z.“ 


in 



in Kreißles Abschrift. Aber wir können ihn aus der darauf, 
bezüglichen Antwort Schuberts erraten: „Die Sünde der 
Zueignung war Dir schon im ersten Briefe [der Ferdinand 
volle Freiheit im Arrangement der Messe gab] verziehen. 
Du hattest also keine andere Ursache, so lange mit Deinem 
Schreiben zu säumen, als höchstens Dein zartes Gewissen. 
Die Trauermesse gefiel Dir, Du weintest dabei, und /vielleicht 
bei dem nämlichen Wort, wo ich weinte; lieber Bruder, 
das ist mir der schönste Lohn für dieses Geschenk, laß ja 
von keinem andern was hören.“ Zu welchem Anlaß Fer- 
dinand diese Trauermesse benötigte, die Schubert „aus voller 
Seele“ gesungen hatte und die ihn selbst „traurig machte“, 
ist nicht bekannt. Ferdinand schreibt also nach jenem 
fehlenden Bekenntnis, das auch ein Angebot von materieller 
Entschädigung enthalten haben muß, weiter: 

„Lieber Bruder Franz! 

. . . Daß es Dir recht gut geht, freut mich von Herzen / Mache 
■nur, daß Du bald kommst, denn alles fragt mich, wie lange 
Du denn noch ausbleibst. Unser guter Vater sagte mir, 
daß sogar Deinen kleinen Schwestern (Marie und Bebi) die 
Zeit schon lang wird, und [sie] täglich sich erkundigen: 
Wann kommt denn einmal der Franz ? — Und so machen 
es denn auch alle Deine Lieder freunde. Wenn Du den Tag 
Deiner Ankunft bestimmen kannst, so tue es. 

Deine Stadtfreunde konnten nicht gesucht werden, weil 
sie alle auf dem Lande waren. Deinen letzten Brief hat 
aber unser Papa dem Mayrhofer lesen lassen, und das Ge- 
heimnis, daß Schober sich der Landschaftskunst weihet, 
ist erloschen. 

Unter andern muß ich Dir noch einige musikalische Vor- 
fälle erzählen: Deine Ouvertüre aus Claudine, welche schon 
früher bei einem Jaellschen Konzert in Baden aufgeführt 
werden sollte, unterliegt, wie mir Doppler sagt, vieler Kritik. 
Sie soll für die Harmonie so schwer gesetzt sein, daß sie 
besonders für Oboen u. Fagott unausführbar wäre. " Andere 
sagen (so auch Radecki), sie sei nur für das Badner Orchester 
zu schwer. Nun sollte sie am u. Okt. d. J. im landständ- 
schen Saal in Wien aufgeführt werden, denn die öffentlichen 
Anschlagzettel sagten es, u. doch wurde nichts daraus. 
Dies ist nach meiner Ansicht für Dich gewiß unangenehm; 
Du könntest Dich deshalb beim Doppler bedanken. Man 
sagte nun auch hier das nämliche von derselben, wie oben, 
u. ein gewisser Scheidei, so hörte ich aus Jaells Munde, 
wollte behaupten, daß der Effekt nicht gehörig berechnet 
sei, u. einige bekannte Stellen vorkämen. 

Nun was anders: Im Waisenhause wurde bei der Prämien- 



FRANZ SCHUBERT. 

Aquarell von Josei Teltscher? Ihre Durchlaucht Frau Marie Herzogin v. Ratibor 
Schloß Qiafenegg (früher in Zsellz). 


Verteilung Deine Ouvertüre aus Hoheisels Kantate mit vielem 
Beifall aufgeführt, u. dann mein Prüfungslied recht gut 
abgesungen. Hierauf folgte die Verteilung der Schulpreise 
u. 12 silberner Medaillen; drei davon waren Ehrenzeichen 
mit Shawl [ ?] u. Band, welche, nachdem sie eine gewisse 
Zeit von den ausgezeichneten Schülern getragen wurden, 
wieder abgegeben werden müssen, aber die übrigen 9 blieben 
den betreffenden Zöglingen als Eigentum; überdies wurde 
auch einer mit einer Uhr beschenkt. Zum Schlüsse wurde 
Gott erhalte Franz den Kaiser abgesungen, 
h Das Namensfest unseres Direktors wollte ich mit einer 

f roßen Musik feiern. Allein da es mir an Sängern und 
'inanzen fehlt, wurde eine sehr kleine daraus. Das ganze 
Orchester, welches außer den Geigen-Instrumenten nur mit 
Oboen u. Corno besetzt war, bestand aus 13 Individuen. 
Die Grob Theres schlug mir den Gesang ab; sie wollte dies 
mal bloß Zuhörerin sein. Ich wollte aus Deinem Prometheus 
die Ouvertüre samt dem darauf folgenden Chor u. andere 
große Werke machen; so aber bestand die Musik aus folgenden 
Stücken. 1. Ouvertüre von Mozart aus L'Idomeneo, 2. 2 Ge- 
sänge der Waisen von Ferd. Schubert, 3. Polonaise in B für 
die Violine von Franz Schubert, gespielt von Ferd. Schubert, 
4. Erstes Stück einer Rosettischen Symphonie, 5. Ouvertüre 
von Mozart aus Figaro, u. hiemit Punctum, 
k Jetzt noch Eines: Mein Fortepiano wird verkauft u. nun 
möchte ich das Deinige an mich ziehen. Bist Du damit 
einverstanden, so bestimme den Preis u. die baare Bezahlung 
wird folgen. 

** Und nun sei 1 000 mal geküßt, u. wenn Du nach Wien 
kommst, so lasse mich nicht den Letzten sein. Bei mir 
bist Du in jedem Falle willkommen, u. doppelt willkommen, 
wenn Du in meinem Hause überwintern wolltest. Mit wahrer 
Liebe Dein 

Von den Meinigen, von treuer, aufrichtiger Bruder 

Vater, Mutter, Geschwistern Ferdinand, 

u. Freunden herzlicher Gruß. 

Anm. Der Vater läßt Dich warnen, kein Geld ohne 
Rezepisse einzusenden, weil die Erhaltung desselben meistens 
ungewiß ist.“ 

> Ein zweiter Brief Schuberts an den Vater, von Mitte 
September 1818 etwa, scheint also auch verloren zu sein. 
Der Bohemien Schober, von dessen Versuchen in der Land- 
schaftskunst nur eine (von Mohn radierte und von Schwind 
staffierte) Ansicht des Schlosses Atzenbrugg und die seines 
schwedischen Heimes Torup (auf Kupelwiesers Schober- 
Porträt) zeugen, ist nach mehreren mißglückten Ausflügen 
in andere Kunstgebiete später dauernd zur Schriftstellerei 
zurückgekehrt, ohne daß er viel mehr als ein Bändchen 
Gedichte in seinem langen Leben produziert hätte. Die 
Musik Schuberts zu dem Goetheschen Liederspiel „Claudine 
von Villa Bella“ war 1815 entstanden. In einer Akademie 
des Violinspielers Eduard Jaell war am 1. März 1818 als 
erstes Werk Schuberts eine andere Ouvertüre im Konzert- 
saal (beim römischen Kaiser auf der Freyung) aufgeführt 
worden. • Josef Doppler und Friedrich Hraaezky waren 
musikalische Bekannte Schuberts. Bei der genannten 
Mittagsunterhaltung, die der ehemalige Opernmusiker Josef 
Scheidei im Landhaus gab, wurde statt Schuberts Ouvertüre 
die zu Mozarts „Cosi fan tutte“ gespielt. Die auf Hoheisels 
Text komponierte Kantate von Schubert war nicht lange 
vorher zu Ehren Josef Spendous, des Oberaufsehers der 
deutschen Schulen Wiens, aufgeführt worden. Direktor des 
Waisenhauses war damals der Historiker Michael , Vierthaler. 
Therese Grob ist die Herzensfreundin Schuberts gewesen, 
die schon in seiner F-Messe am Liechtentaler Chor mitgewirkt 
hatte und die er wegen seiner prekären Lage später nicht 
heiraten konnte. Die verschollene „Prometheus“-Kantate 
von Schubert war 1816 in einem Erdberger Garten aufgeführt 
worden, wurde aber niemals öffentlich in Wien vorgetragen. 
Die erwähnte Polonaise scheint mit einem noch ungedruckten 
Werke identisch zu sein. Sein Klavier hat Schubert tat- 
sächlich Ferdinand überlassen, aber das Ansinnen eines 
Verkaufes entschieden abgelehnt. Erst in den letzten Wochen 
seines Lebens hat er übrigens bei diesem Lieblingsbruder 
gewohnt. 3 

* ♦ * 

Im Mai 1824 fuhr Schubert wieder nach Zseliz. Es ist 
kein Zufall, daß auch aus dieser Zeit ein kleiner Brief- 
wechsel mit seinen Angehörigen erhalten ist, da er ja nur 
noch im Sommer 1825 längere Zeit von Wien abwesend war. 
Der erste Brief, vom frommen Vater und der guten Stief- 
mutter an den schon berühmteren Sohn gerichtet, ist wieder 
nicht datiert und dürfte Ende Juni abgeschickt worden 
sein.- Ihm war ein verlorenes Schreiben Schuberts an das 
Elternhaus vorhergegangen. Er war schon etwas gekränkt, 
so lange keine Antwort zu erhalten: 

„Lieber Sohn. 

Deinen Brief vom 31. v. M. hab ich am 3. dies, erhalten. 
Wir freuen uns alle herzlich über Deine Gesundheit, u. über 
Deine schöne Aufnahme im gräflichen Hause. Suche daher, 
Deine Gesundheit, das erste unter den irdischen Gütern, 


112 




BRUDER FERDINAND SCHUBERT. 
Unvollendetes Oelbltdnis von seinem Neffen Ferdinand Schubert. 
Schubert-Museum der Stadt Wien. 


zu erhalten uTzu pflegen, u. laß 'es Dir angelegen sein, die 
Diebe u. Achtung aller Gutgesinnten zu verdienen. 

Du weißt schon, daß ich als Jugendlehrer immer gern 
moralisiere ; allein glaube mir, nicht aus Gewohnheit, sondern 
aus innerlicher Ueberzeugung, daß kein Mensch wahrhaft 
glücklich sein kann, als der sich immerhin mit dem lieben 
Gott beschäftiget, u. sich standhaft an seinen heiligen Willen 
hält. Wir dürfen, ja wir sollen sogar die unschuldigen Lebens- 
freuden froh u. mit dankbarem Gemüte zu Gott mäßig 
genießen; wir müssen aber auch in trüben Umständen den 
Mut nicht sinken lassen; denn auch Leiden sind eine Wohltat 
Gottes u. führen den, der standhaft ausharrt, zum erhabensten 
Ziel. 

Wo ist auch ein großer Mann in der Geschichte zu finden, 
der nicht durch Leiden u. standhaftes Ausharren den Triumph 
errungen hätte. Darum möchte ich auch jene, die ich vor- 
züglich liebe, zu solchen Gesinnungen stimmen! — 

In Wien geht alles den gewöhnlichen Gang. Daß H. v. Sa- 
lieri mit seinem ganzen Gehalt in den Ruhestand versetzt 
u. H. v. Eybler zum i . Hof-Kapellmeister an seine Stelle 
erhoben wurde, wird Dir schon bekannt sein. Dein Bruder 
Ferd. sprach mit H. v. Leidesdorf, u. übernahm von ihm 
Deine nerauszugebenden Lieder zur Korrektur, welche 
Leidesdorf Dir eben aus der Absicht zuschicken wollte. 

Die Witterung ist hier immer sehr mit kühlem Regen, 
Hagelwettern u. Sturmwinden gemischt, u. läßt wenig 
Hoffnung für den Weinbau übrig. — H. Mohn hat sich bei 
uns noch nicht sehen lassen. — . 

H. v. Jeckel, Apotheker in Döbling, 58 J. alt, ist am 
15. dies, plötzlich am Nervenschlag gestorben; er sagte 
seiner Frau l /t Stunde vor seinem Sterben: ich fühle da« 
ich heute noch sterben muß, u. als die Frau erwiderte: glaube 
doch das nicht u. erschrecke mich nicht so, sprach er: nun 
ja, ich kann Dir nicht helfen. . . . 

Auch H. Kopp, Wirt bei Set. Anna (früher im Lichtental 
bei der Linde), ist am 19. dies, plötzlich am Schlagflusse 
gestorben . 

Ich u. die Meinigen sind, Gott sei Dank, alle wohlauf. 
Von Deinen Brüdern, Schwestern, Anverwandten u. Be- 
kannten tausend Grüße u. Segenswünsche; u. so verharre 
ich u. die Meinigen, Deine wohlmeinenden Eltern 

Anna u. Franz Schubert. 

Ferdinand wird Dir ehestens extra schreiben.“ 

Wenige Tage später schrieb Ferdinand wirklich einen 
Brief, der nicht nur in der Abschrift Kreißles, sondern auch 
int Original J[ ( Sammlungen der A Stadt Wien) erhalten ist: 

„Wien, am 3. Julius 1824. 

’ ““ " Herzenslieber Bruder ! 

,Nun endlich einmal ein Brief vom Ferdinand! — Das ist 
ein fauler Mensch, ein kalter Kerl, der sich ura seinen 1 Bruder 
erst nach so vielen Wochen bekümmert! - So denkst Du 
vielleicht von mir. — Aber laß es gut sein, und zurne mcht 
auf mich. Deine Gesellschaft wird mir so manchesmal ver- 


gegenwärtiget; indem ich mm angefangen habe. Deine 
Quartetten (diese bei mir statthabenden Quartetten sind 
folgendermaßen besetzt: Violino I mo von nur, Violino Ildo 
vom Br. Ignaz, Viola vom Freund Mayßen, Violoncello v. 
unserm liefen Schwager Schneider) wieder zu spielen, und 
alle Wochen wenigstens einmal von der Uhr bei der unga- 
rischen Krone so manches aus Deiner Komposition vernehme. 
Diese Uhr überraschte mich nicht wenig, da ich sie das erste- 
mal bei einem Mittagsmahle so unvermutet einige Deiner 
Walzer spielen hörte. Ich fühlte mich in diesem Augen- 
blicke so sonderbar; ich wußte nicht, wie mir war; ich 
wurde dadurch ganz und gar nicht erheitert; es durchfuhr 
vielmehr meine Seele, mein Herz so ein banger Schmerz, so 
eine Sehnsucht; — Melancholie warf endlich ihren Schleier 
darüber, und unwillkürlich entrollten mir — , 

Nun, lieber Franz! schreib’ mir doch (aber insbesondere 
an mich gerichtet), wie es Dir geht; ob Du ganz gesund bist; 
wie Du Dich unterhältst und beschäftigest. 

Heute habe ich auch die Bach’schen Fugen und das Opern- 
buch: .Der kurze Mantel' Herrn v. Leidesdorf zur 
Uebersendung an Dich eingehändiget. Mache nur, daß 
bald was Großes von Dir auf der Opernbühne erscheine. 

Vor 4 Wochen war Herr v. Mohn bei mir, welchem ich 
folgende 10 Hefte Lieder übergab: 

1. Geheimnis v. Schiller, 1823 

2. An den Frühling, 1817 

3. Die Lebens-Melodien, 1816 

4. Beim Winde v. Mayrhofer, 1819 

5. Frohsinn, 1817 

6. Wanderers 2. Nachtlied 

7. Trost, 1817 

8. Frühlingslied, 1816 

9. Der entführte Orest, 1820 

10. Sprache der Liebe v. Schlegel, 1 8 1 6. 

In einigen Tagen darauf übergab ich H. v. Kupelwieser 
auf sein Ansuchen und gegen Deine Anweisung die Partitur 
von Deiner neuen Oper. 

Außer diesen beiden Herren kam auch Hr. Hugelmann 
mit dem Aufträge, ihm seine partitierten Mozart’schen 
Quartetten, die Du mir zur Aufbewahrung übergeben haben 
solltest, zurückzustellen. Allein, da ich sie. nach einem 
dreimaligen Nachsuchen nicht fand, so konnte ich seinem 
Wunsche nicht willfahren. Er kam dann noch zweimal 
zu mir, einmal in den Gang der Normalschule und einmal 
in meine Wohnung und hat mir da nicht wenig Verdruß 
gemacht; indem er über Deinen Leichtsinn so gewaltig los- 



BRUDER KARL SCHUBERT. 

Oelbilduis von August Wansteid (1823). Df. August Hermann, Wien. 


113 




zog, lärmte, schrie und sich so roher Ausdrücke bediente: 
daß ich die Ehre seiner Bekanntschaft sehr verwünschte. 
Sei also so gut und zeige mir an, wo die benannten Musikalien 
allenfalls sein könnten; damit ich dieses rasende Ungeheuer 
beruhigen kann. 

Nun muß ich Dich doch auch mit meinem Befinden be- 
kannt machen, welches ich um so lieber tue, weil ich, Gott 
sei Dank! mich recht gesund fühle. Mein Amt macht mir 
zwar sehr viel zu tun; allein ich bin dabei vergnügt und mit 
meiner Lage zufrieden. Außer den Schulstunden habe ich 
viel Zeit zum Durchsehen der Aufgaben, zu Vorbereitungen etc. 
zu verwenden; aber desto wohltätiger wirken die Erholungs- 
stunden, welche ich größtenteils in der Gesellschaft meines 
lieben Rieders, meines einzig wahren Freundes, zubringe. 

Derselbe läßt Dich (sowie auch sein Bruder Wilhelm) 
herzlich grüßen und ist gesonnen, Deine letzte Messe auf- 
zuführen ; versteht sich so, daß sie mit Ehren gekrönt werden 
kann, und erst dann, wenn Du wieder in Wien sein wirst. 

Nun lebe wohl! schreibe mir recht bald, unterhalte Dich 
recht gut und bleibe gesund, bis Dich wieder sieht 

Dein 

treuer Bruder 
Ferdinand. 

Von meinem Weibe und unsern Kindern bist Du eben- 
falls herzlich gegrüßt und tausendmal geküßt; nicht minder 
auch vom vielgeliebten Bruder Ignaz und vom Schwager 
Schneider samt seinem Anhänge; wie auch vom Freund 
und Bruder Mayßen. 

Die Adresse an mich: F. Sch; etc., wohnhaft in Maria- 
Trost, No. 20, bei der goldnen Schlange, 2. Stock, Tür links, 
in Wien.“ 

Von der kleinen musikalischen Gesellschaft, die Ferdinand 
— jetzt schon Lehrer an der Normalschule — mit Geschick 
leitete, hielt der Skeptiker Ignaz wenig. Aber die erste 
Schubertsche Hausmusik (beim Vater) hat sich ja zu einem 
förmlichen Orchesterverein entwickelt. Josef Mayßen war 
Lehrer in Hernals, Ludwig Rieder, dessen Bruder der 
Schöpfer des bekannten Schubert- Bildnisses ist, in Wäh- 
ring. Matthias Schneider, gleichfalls Schullehrer, hatte 
Schuberts Schwester Therese geheiratet. Die Spieluhr 
bei der ungarischen Krone, dem damaligen Stammlokale 
der Schubertianer (Seilerstätte), wird auch in den Eipel- 
dauer-Briefen gerühmt. Schubert studierte in Zseliz das 



„wohltemperierte Klavier“ von Bach. Das Libretto „Der 
kurze Mantel“ hat er nicht komponiert. Mit der neuen 
Oper ist wahrscheinlich der „Fierrabras“ (Text von Josef 
Kupelwieser) gemeint, der in Wien abgelehnt worden war 
und den der Textdichter jetzt anderswo unterbringen wollte. 
Ueber Ferdinands Irrtum mit dem „entführten“ (statt ent- 
sühnten) Orest mußte Schubert sehr lachen. Den Kom- 
ponisten Hugelmann, von dem er irrtümlich einige Mozartsche 
Quintette (nicht Quartette) mitgenommen hatte, zerzauste 
Schubert in seiner Antwort an Ferdinand (16. bis 18. Juli) 
gehörig. 

Ende Juli schrieb er auch wieder an die Eltern. Den 
Gegenbrief vom 14. August hat Richard Heuberger schon 
in seinem Buche veröffentlicht. Schubert antwortete dar- 
auf in einem Schreiben, das wie jenes vorletzte nicht erhalten 
geblieben ist. Aber erst Anfang Oktober geht wieder ein 
Brief von dem viel beschäftigten Ferdinand nach Zseliz, 
gerade recht, um Schubert vor seiner Heimkehr dort noch 
anzutreffen : 

„Lieber Bruder! 

Du hast schon recht, wenn Du ein bißchen böse auf mich 
bist; denn es war wirklich eine kleine Nachlässigkeit von 
mir, daß ich Dir nicht schon lange schrieb. Freilich hab’ 
ich Dir nicht augenblicklich antworten können, weil ich 
damals mit Prüfungsrüstungen viel zu tun hatte, um als 
ein Erstling an dieser Anstalt meinen Herren Kollegen 
nicht nachzustehen. Dann hatte ich auch die erste Häfite 
des Septembers mit Visitationen von 8 Vorstadtschulen zu- 
zubringen, die Berichte darüber zu erstatten, und dergleichen 
mehr. Den 17. Sept. war ich nun erst fertig, und seit dem 
wäre wohl Zeit genug gewesen, zu schreiben; allein da hatte 
ich wieder kleine Landreisen zu machen, und zwar nach 
Mödling, Weidling, Klosterneuburg, Kalksburg, Duttenhof [ ?] 
Leobendorf [Korneuburg], Hainburg und sogar nach Preßburg. 

Ich dachte freilich recht oft an Dich, besonders in Preß- 
burg, indem ich dadurch auch im Lande der Schnauzbartier 
und zugleich näher bei Dir war. In Hainburg hatte ich bei 
dem liebenswürdigen Herrn Stadtpfarrer Reinberger Tisch 
und Bett. Dieser wirklich gute und liebenswürdige Mann 
war sehr besorgt, mich zu unterhalten. Am ersten Tage 
führte er uns (Mayseder war auch dabei) auf den dortigen 
Schloßberg und in den Schloßgarten etc., am zweiten Tage 
nach Preßburg, am dritten Tag Vormittags wurden in einer 
schönen Au Blaumeisen gefangen, bei 200 an der Zahl, 
und Nachmittags auf dem sogenannten Hairiburgerberg 
Hasen gejagt und geschossen. Bei dieser Gelegenheit machte 
er mich auch mit dem dortigen Regenschori und dessen Sohn, 
welcher Schullehrer daselbst ist, bekannt. Das sind auch 
ein paar recht rare Leute. Ersterer lud mich zu einem 
Amte ein, welches am folgenden Sonntage, als dem 4ten Tag 
meines Aufenthaltes, statthatte; und als ich ihn fragte, 
was für eine Messe er machen werde, antwortete er: .Eine 
sehr schöne, von einem bekannten und berühmten Ton- 
setzer, — nur fällt mir sein Name nicht gleich ein.' — Und 
nun, was war es für eine Messe ? — Wenn Du da nur bei 
mir gewesen wärest; ich weiß, Du würdest Dich darüber 

auch sehr erfreut haben; denn es war die B-Messe von 

Dir! — Du kannst Dir wohl vorstellen, wie mir dabei zu 
Mute sein mochte, und auch, was das für liebe und unge- 
wöhnliche Leute sein müssen, die mein Gefühl auf eine so 
angenehme überraschende Art anzusprechen sich bemühten. 
— Ueberdies wurde diese Messe mit sehr vielem Eifer und 
wirklich recht gut aufgeführt. Der Regenschori taktierte, 
und gab die Tempo so richtig an, daß es nicht richtiger sein 
konnte; sein Sonn, der ein fertiger Violinspieler ist, und 
der Herr Pfarrer waren an der Spitze des Primes, und der 
Obrist vom dortigen Mineur-Corps, dessen Musikbande die 
Harmonie-Stimme besetzte, an der des Secundes; ich spielte, 
wie gewöhnlich, die Orgel. Der Sing-Chor war auch recht 
gut bestellt; nur der Tenorist war etwas furchtsam, und 
in der Stimme schwach. 

An diesem Tage regnete es fast unaufhörlich fort, man 
brachte daher den Nachmittag zu Hause zu, und unterhielt 
sich mit Streich- und Sing- Quartette, und Abends Rätsel 
Charaden und dergleichen. Am 5. Tage vormittags besahen 
wir die große Tabaks-Fabrik, und nachmittags reiseten wir 
endlich wieder nach Wien. 

Was die Herausgabe Deiner Kompositionen betrifft darf 
ich Dir nichts sagen, denn die Ankündigungen in der Zeitung 
sind — verzeihe! — mir zuvorgekommen. 0 

Herr von Mohn, sowie auch Herr von Kupelwieser habe 
ich seit der Zeit, als ich ihnen die Dir angezeichten Musi- 
kalien übergab, nicht mehr zu Gesicht bekommen. 

Dein letzter Brief hat unserm guten Vater viele Freude 
verursachet, und er trug es mir sogar auf, Dir es zu schreiben, 
so wie auch, daß er Deiner baldigen Ankunft mit vielem 
Vergnügen entgegen sieht. 

Bruder Karl ist mit einem kleinen Ferdinand beglückt 
worden, den ich. zur Taufe hob, und der noch lebt; aber die 
Resi, welche ein gesundes und starkes Mädchen gebar, 
durfte sich dieses Glückes nicht lange freuen, denn selbes 


lebte nur 12 oder 14 Tage. Der Schmerz über den Tod 
ihres erstgeborenen Kindes verwandelte sich beinahe in 
Raserei, und warf sie auf einige Wochen aufs Krankenbett. 
Glücklich hat sie mm aber ein gefährliches Uebel überstanden, 
und " scheint nun über ihr Schicksal beruhiget zu sein. 

Wir alle, lieber Bruder, harren freudig auf den Augen- 
blick, wo Du wieder in unserer Mitte erscheinen wirst, und 
mm sei von Vater und Mutter, Brüdern und Schwestern, 
Weib und Kindern herzlich gegrüßt! 

Lebe wohl! bis Dich wieder umarmen kann 
• Dein 

Dich ewig liebender Bruder 
Ferdinand. 

Wien, am 
6. Okt. 1824. 

NB. Vergiß nicht auf die Bach’schen Fugen.“ 

Schuberts Messen wurden zu seinen Lebzeiten in mehreren 
Wiener Kirchen, namentlich in den Vorstädten, aufgeführt. 
Aber diese Preßburger Episode spricht ebenso wie die Spiel- 
uhr (das Grammophon einer besseren Zeit) für eine gewisse 
Popularität. Der neue Neffe Schuberts, Ferdinand der 
Jüngere, wurde wie sein Bruder Heinrich ein tüchtiger 
Maler. Schuberts Schwester Resi genas im Jahr darauf 
eines gesunden Knabens. Damals schrieb Schubert aus 
Oberösterreich an seine Eltern: „Der Schneider und die 

Schneiderin sollen auf den zu kommenden kleinen oder 
kleine Schneiderin schön Acht haben, auf daß die Schneider 
zahllos werden, wie der Sand am Meere, nur sollen sie darauf 
sehen, daß keine Aufschneider oder Zuschneider, keine Ehr- 
oder Gurgelabschneider überhand nehmen.“ Und über Karl, 
den glücklichen Vater: „Er hat wohl jetzt viel zu tun; 

denn ein verheirateter Künstler ist verpflichtet, sowohl 
Kunst- als Naturstücke zu liefern, und wenn beide Arten 

f eraten, so ist er doppelt zu loben, denn das ist keine Kleinig- 
eit. Ich leiste Verzicht darauf.“ 


Eine jubilierende Mozart-Stiftung. 

V on je ist der Name Mozart, bei dessen - Klang die 
Menschen schon ein Glücksgefühl verspüren, zum 
Schutzpatron für edle Stiftungen angerufen und 
benutzt worden. Ob diese Institutionen alle mit gleichem 
Recht ihn tragen, bleibe dahingestellt. Man wünschte 
ihnen jedenfalls einen ähnlich stolzen Rückblick, wie die 
Mozart-Stiftung des „Frankfurter Liederkranzes“ einen 
solchen jetzt anläßlich ihres 75 jährigen Bestehens 
herausgeben durfte. Mochte noch der Grund zur Errichtung 
der Stiftung, das erste deutsche Sängerfest im Jahre 1838, 
ein äußerlicher sein — die Idee mit ihrer gleich klar aus- 
gedrückten Zweckbestimmung war tief und sie winde von 
einem Manne, dem Lieder- und Chorkomponisten Wilhelm 
Speyer, schon zu einer Zeit vertreten, in der die Frage nach 
der kulturgeschichtlichen und gar sozialen Stellung des 
schaffenden Tonsetzers kaum geboren ward. Diese Be- 
stimmung hieß: Förderung kompositorischer Talente in ihrer 
Ausbildung durch angemessene Stipendien und Errichtung 
eines Konservatoriums. Die letztere Absicht wurde in Frank- 
furt ja freilich überflüssig, als seinerzeit aus den hochherzigen 
Mitteln eines einzelnen Mäzens, des Dr. Hoch, das nach ihm 
benannte Institut gegründet wurde. 

Um so .mehr konnte sich diese Mozart- Stiftung der tat- 
kräftigsten Hilfe besonders begabter Tonsetzer widmen. 
Mit einem Grundstock von 1200 Gulden beginnend, hat sich 
das Kapital bis heute zu einer Viertelmillion 
entwickelt und ebensoviel wurde von der Stiftung für ihre 
Zwecke verwandt. Unter den mit ihrer Kunst der Frank- 
furter Mozart-Stiftung dienenden musikalischen Größen des 
vorigen Jahrhunderts findet sich neben Ferdinand Hiller, 
Gustav Walter kein Geringerer als Franz Liszt. Am inter- 
essantesten jedoch, zugleich ein nicht genug zu rühmendes 
Verdienst der Männer, die über die Mittel der Stiftung 
entscheiden, ist die Liste der zwanzigStipendiaten; 
unter ihnen sehen wir Max Bruch, den Komponisten so 
vieler Chorwerke und der beiden Violinkonzerte in g- und 
d moll, Fritz Steinbach, den Dirigenten und Kölner General- 
musikdirektor. Dann folgt Engelbert Humperdinck, der lieb- 
werte Meister, der uns „Hänsel und Gretel“ geschenkt. 
Ludwig Thuille, der so früh geschiedene Münchner Tonsetzer 
(dessen Bühnenwerke „Theuerdank“ und — mit Bierbaum — 
„Lobetanz“, wie seine Kammermusik und Lieder als köst- 
lichstes lyrisches Gut der neueren Zeit viel zu wenig ge- 
schätzt bezw. aufgeführt werden) — er- war in den Jahren 
1883 — 87 Stipendiat. August v. Othegraven, der Kölner 
Chorkomponist, mit Hegar zu den Bedeutendsten seines 
Faches zahlend, dann der eben in den letzten Jahren als 
ein tief veranlagter Neuromantiker mehr und mehr ge- 
schätzte Hermann Zilcher, der Deutsch- Schweizer Friedrich 


Niggli jr.r in musikalischer Kleinkunst sympathisch be- 
währt, endlich der gegenwärtige Stipendiat Ernst Toch (ein 
gebürtiger Wiener, jetzt als Lehrer an die Mannheimer 
Hochschule, für Musik berufen), der durch zwei Streich- 
quartette von blühender Melodik, meisterhaftem Satz und 
ungemein ansprechender Erfindung Aufmerksamkeit und 

f roßte Hoffnungen zugleich erregte — sie alle sind Zeugen, 
aß diese Stiftung mit ihnen sich selbst geehrt hat. 

Ihr glücklicher Besitzer, der Frankfurter Liederkranz, 
feierte das Jubiläum mit einem großen Festkonzert, indem 
er hauptsächlich Werke der Stipendiaten aufführte und sich 
dabei unter Leitung seines Dirigenten Ferdinand Bischoff 
als ein ungewöhnlich musikalischer und prächtig stimm- 
fundierter Chor auswies. Als Solisten waren Frau Charles 
Cahier, die Meisterin dramatischen und Liedergesanges, in 
deren ständige Wirksamkeit sich Wien, München und New 
York gleichzeitig teilen und die dennoch ihre Kunst nicht 
um ein Jota an das Virtuosentum verlor, ferner Prof. Willy 
Heß, der bedeutende Joachim- Schüler, mit einem (leider 
dem schwächsten dritten) Bruch-Konzert, gewonnen und 
wurden nach Gebühr gefeiert. Die noch lebenden Stipen- 
diaten mit Ausnahme des hochbetagten Max Bruch und des 
leidenden Humperdinck waren sämtlich persönlich zu dem 
Konzert erschienen. Rudolf Kästner. 


Von der Strauß -Woche in Karlsruhe. 

E in Ereignis, das unser hiesiges, gegen neue, ungewöhn- 
liche Kunst im allgemeinen recht zurückhaltendes, um 
so behaglicher im seichten Strom alltäglichen Musi- 
zierens mitschwimmendes Publikum aufgerüttelt hat, büdete 
die Richard-Strauß-Woche. Sie wurde durch einen Vortrag 
Leopold Schmidts aus Berlin eingeleitet, der in anschaulicher, 
von der Wärme der Ueberzeugung getragener Weise die Ent- 
wicklung des Komponisten schilderte und auf seine Bedeutung 
für die heutige Musikwelt hinwies. Dann folgten Auffüh- 
rungen des „Rosenkavaliers“, der „Ariadne“, der „Elektra“, 
unterbrochen durch ein Orchesterkonzert, alles unter Straußens 
Leitung. Während „Rosenkavalier“ und „Ariadne“ sich dem 
Repertoire unserer Oper bereits fest eingefügt haben, war 
„Elektra“ kurz vorher unter unseres neuen Hofkapellmeisters 
Cortolezzis Direktion mit Frau Palm-Cordes vom Stuttgarter 
Hoftheater als bedeutender Darstellerin der Titelrolle erstmals 
über unsere Bühne gegangen. Bei der Festvorstellung des 
Werkes unter der Aegide des Komponisten selbst und mit 
der geradezu genialen Verkörperung der Elektra durch Frau 
Mottt-Faßbender vom Hoftheater in München übte es eine 
überwältigende Wirkung auch auf diejenigen aus, die ihm 
vorher noch fremd gegenüberstanden. Sämtliche Rollen — 
allein die der Elektra ausgenommen — in allen Werken wur- 
den von heimischen Kräften ausgeführt. Unter ihnen trat 
Frau Lauer-Kottlar als Marschallin und als Ariadne durch 
schönen Gesang wie durch geistvolle Auffassung hervor. 
Künstlerisch bedeutsame Leistungen böten auch Frl. Bruntsch 
(Rosenkavalier), Frau Lorentz-Hollischer (Chrysothemis), Herr 
Siewert (Bacchus) und Herr Roha (Ochs von Lerchenau). In 
dem Orcnesterkonzert faszinierte die Musik des Siebenschleier- 
tanzes das Publikum derart, daß Strauß das Stück wieder- 
holen mußte. Nach dieser Probe der Salome-Musik ist der 
Wunsch, das ganze Werk kennen zu lernen, noch lebhafter 
geworden. (Bekanntlich hat bisher „Salome“ wie auch 
„Elektra“ in Karlsruhe, das einmal eine führende Rolle im 
musikalischen Deutschland hatte, nicht aufgeführt werden 
dürfen. So ändern sich die Zeiten. Red.) Die Besetzung 
würde hier keinen Schwierigkeiten begegnen, da die Partie 
der Salome Frl. Ter cs liegen müßte. Das „Festliche Prä- 
ludium“ imponierte durch die Kunst des Aufbaues und die 
Pracht der Klänge. Je zwei Orchester-Lieder für Sopran und 
Bariton, von Frau Lorentz-Höllischer und Kammersänger 
Büttner gesungen, erwiesen sich als Gebüde von ebenso großer 
Schönheit wie künstlerischer Eigenart. Mit der symphonischen 
Dichtung „Don Juan“, dein einzigen bekannten (!) Werk, 
das das Programm enthielt, fand das Konzert seinen Ab- 
schluß. 

Nicht alle Veranstaltungen waren gleichmäßig gut be- 
sucht; Rosenkavalier und Elektra hatten ein ausverkauftes 
Haus erzielt. Aber bei allen Veranstaltungen wurde Strauß 
von den Anwesenden begeistert als der bedeutendste Musiker 
unserer Zeit gefeiert. F. Schwelkert. 



Fritz Volbach: „König Laurins 
Rosengarten.“ 

K önig Laurins Rosengarten, eine deutsche Heldemnär für 
Männerchor, Baritonsolo und Orchester, Dichtung und 
Musik von Fritz Volbach, hat am 19. November im 
Konzert der Kgl. Kapelle in Wiesbaden die Uraufführung er- 
lebt. Das Wort, das Louis Köhler einst an Liszt schrieb: 
„Sie wären uns eigentlich Männerchöre schuldig, welche Bier- 
brüder zu Halbgöttern umwandelten“ — suchten seitdem 
genug Komponisten auch für sich in Anspruch zu nehmen; 
und auch Volbachs neues Werk stellt an die Kunstfertigkeit 
der Sänger manche — halbgöttlichen Anforderungen: diese 
wurden vom preisgekrönten „Wiesbadener Männergesang- 
verein“ unter Prof. Mannstädts Führung in gewandter Weise 
erfüllt. Das Werk erregte lebhaftes Interesse. Man weiß, 
wie Fritz Volbach geartet ist; wie er ein durch die Richard 
Wagnersche Schule hindurchgegangener liebenswürdiger Ro- 
mantiker bleibt — auch hier, wo er m der Konzeption manche 
moderneren Züge offenbart. Gewiß, es fielen manche Wagner- 
schen Anklänge auf; doch die Hauptsache: der eigentliche 
„Volbach“ erfreut durch die Natürlichkeit und Eingänglichr 
keit der melodischen Erfindung, durch gewählte Harmonik, 
reiche Fantasie und schöne Wärme des Ausdrucks. Die tech- 
nische Arbeit verrät den erfahrenen Bildner. Der Chor ist 
mit großer Sorgfalt und wirkungsvoll gesetzt: meist domi- 
nieren die Männerstimmen, doch zuweilen fügen sie sich dem 
glänzenden Orchestersatz auch als eine Art „Vox humana“ 
effektvoll ein. Alles ist wohlüberlegt — alles klingt. Ein 
Siegeschor der Helden (es ist Dietrich von Bern mit seiner 
Schar) beginnt; in schwungvollen Tönen preist der „Sänger“ 
die Wunder von Laurins Rosengarten und die Schönheit der 
dort gefangenen Simüde. Das Rosenmotiv ist ein prächtiger 
Einfall: es ist wirklich verführerisch. Die Helden sti mm en 
auch sofort in kräftigem Rhythmus für die Befreiung der 
Jungfrau und den Aufbruch zur Fahrt. Der zweite Teil ist 
m dem kecken Ausritt (es geht dem Sonnenaufgang ent- 
gegen!) besonders reich an charakteristischen Tonmalereien. 
Der dntte Teü bringt die Helden in die gefährliche Nähe 
einer Art „Blumenmädchen“, denen auch diese „holden Kna- 
ben“ nicht widerstehen können. Simildes Erscheinung gibt 
dem Solisten (hier Dietrich von Bern) Gelegenheit zu einem 
pathetischen Liebesgesang. Unser Hofopemsänger Geisse- 
Winhel trug denselben mit hinreißender stimmlicher Kraft 
und Verve vor. Die Helden verfallen den Zauberkünsten des 
tückischen Zwerges Laurin. Daß dieser von fern an „Mime“ 
erinnert, ist am Ende kein Wunder. Im vierten Teil wieder 
ein sang- und dankbares Baritonsolo: Simüde befreit die 
Helden. Noch einmal blüht das Rosenmotiv in voller, leuch- 
tender Pracht auf, und mit einem kernigen letzten Chor schließt 
das Werk in wirkungsvoller Weise ab. Der Erfolg bei der 
Uraufführung war imumstritten. Der Komponist wurde durch 
allgemeinen stürmischen Hervorruf geehrt. So wird auch 
dies Werk, wie der „Troubadour“ und „Am Siegfried-Brunnen“, 
seinen Weg durch die Konzertsäle machen. Prof. Otto Dom. 


Das I. polnische Sängerfest in Lemberg. 

(8. bis 10. November.) 

D ie 50. Erinnerungsfeier an den letzten Freiheitskampf 
der Polen im Jahre 1863 brachte uns neben einer Aus- 
stellung und einigen Kongressen als Beschluß einen 
Sängerkongreß, der die Gründung eines „Verbandes der 
polnischen Musik- und Gesangvereine“ zum Zwecke hatte. 
Das Komitee, an dessen Spitze der rührige Vizepräsident 
des Galizischen Musikvereines Dionis Toth stand, veranstal- 
tete bei dieser Gelegenheit ein dreitägiges Sängerfest, das 
einen über alle Erwartungen glänzenden Verlauf nahm. 

Aus allen Teilen Polens, aus vielen Städten Galiziens, 
aus Warschau, Posen, Berlin und Wien kamen die Chor- 
vereinigungen und Abordnungen, um sowohl an den Be- 
ratungen teilzunehmen, als auch um durch ihre Kunst zu 
beweisen, daß der Männergesang und das polnische Lied 
auch in den entlegensten Orten eine Heimstätte gefunden hat. 

Am ersten Tage fand eine Aufführung eines Oratoriums 
in der altehrwürdigen Kathedralldrche statt, am zweiten 
ein Konzert der auswärtigen Vereine, am dritten eines der 
Lemberger Chöre. 

Das Oratorium „Jan Kasimirs Gelübde“ des Konservato- 
riumdirektors M. Soltys behandelt eine feierliche Begeben- 
heit aus der Geschichte Polens. Als nämlich um die Mitte 
des 17. Jahrhunderts die Schweden unter Gustav Adolf 
Polen j mit Feuer und Schwert bedrohten und beinahe das 
ganze Land besetzt hatten, verloren alle den Mut und nur 

116 


die Klosterfestung Czenstochau widerstand den Feinden. 
Der Plan der Schweden, die immensen Schätze des Klosters 
zu erobern, ward zunichte und die Polen sahen in der Er- 
rettung des Klosters ein Wunder der Mutter Gottes, deren 
wunderwirkendes Bild von den Paulanermönchen in 
Czenstochau bewacht wurde. Das Volk griff wieder zu den 
Waffen und der vertriebene König Jan Kasimir kam nach 
Lemberg, um sich an die Spitze der Bewegung zu stellen. 
Hier nun legte der König in der Kathedralkirche ein feier- 
liches Gelübde ab. Er rief die Mutter Gottes um Hilfe 
an, er gelobte, daß die polnische Nation in Ewigkeit Maria 
als die Königin des polnischen Reiches anflehen und ver- 
ehren werde, er gelobte weiters, daß er nach erfolgreichem 
Kriege sein Volk von allen ungerechten Lasten befreien 
werde und daß dieser Tag immer feierlich begangen wird. 
In drei Teilen behandelt Soitys dieses Thema. Im ersten 
schildert er uns die mutlosen Polen, die an ihrer Errettung 
beinahe gänzlich gezweifelt haben, der zweite führt uns 
nach Czenstochau, während im dritten das Gelübde statt- 
findet. Das Werk, für Soli, Chor und Orchester geschrieben, 
ist eines der besten des Komponisten, es enthält jedoch 
neben sehr guten auch einige minderwertige Stellen, die im 
Interesse des Ganzen entweder umgeändert oder gestrichen 
werden sollten. Die Solisten Frau Jeanne Korolewicz, die 
Herren A. Ludwig, A. Nizankowski und A. Dianni, das 
Orchester und der Chor des Galizischen Musikvereines taten 
unter Leitung des Komponisten ihr Bestes, um dem Werke 
zu seinem wohlverdienten Erfolge zu verhelfen. 

Das zweite Konzert fand als Matinee im Stadttheater 
statt und ward zum Mittelpunkte des ganzen Festes, denn 
außer den Produktionen der auswärtigen Vereine, von denen 
insbesondere die Chöre aus Przemysl, Stanislau und Krakau 
glänzend abschnitten, wurden noch einige Werke von allen 
Teilnehmern — also 1000 Sängern — vorgetragen. Als 
Leiter dieser Sängerschar ward der ausgezeichnete, tempera- 
mentvolle Chormeister der Warschauer „Lutnia“ Peter 
Maszynski als Festdirigent erwählt. Prof. Stanislaw v. Nie- 
wiadomskis herrlicher Chor „Wikings Grab“ erklang aus 
tausend Kehlen und rief einen kaum zu beschreibenden En- 
thusiasmus hervor, so daß der Meister sich zu wiederholten- 
malen bei den entzückten Zuhörern für die ihm dargebrachten 
Ovationen bedanken mußte. 

Nachmittags fand die Sitzung der Delegierten statt, die 
die Satzungen des Verbandes annahmen und als Protektor 
den Fürsten A. Lubomirski, als Vorstand Herrn Dionis Toth 
wählten. 

Das letzte Konzert war den Produktionen der Lemberger 
Chöre gewidmet. Der Andrang des Publikums war so groß, 
daß der Musikvereinssaal sich als zu klein erwies und die 
überzähligen Zuhörer in den Korridoren und Garderobe- 
räumen Unterkunft finden mußten. Die Leistungen der 
einzelnen Vereine waren alle sehr gut, an erster Stelle jedoch 
standen der Männergesangverein „Echo“, der Akademiker- 
chor und der Technikerchor. An neuen und interessanten 
Werken lernten wir St. v. Niewiadomskis „Alleluja“ und 
„Ave Caesar“ kennen, zwei Werke von großer Bedeutung, 
als auch B. W allek-W alewskis originelle Komposition „Der 
Sturm“. Als Solistin wirkte die bekannte Opernsängerin 
Matylda Lewicka mit, deren prächtiges Organ die Herzen 
aller eroberte und im Einerlei der Männerstimmen nicht 
nur eine wohltuende, sondern auch künstlerische Abwechs- 
lung bot. 

Diese erste Probe, die Gesangvereine Galiziens zu ge- 
meinsamer Arbeit heranzuziehen, ist den Veranstaltern 
gelungen und wir hoffen, daß in Hinkunft die Tätigkeit des 
Verbandes ersprießliche Erfolge zeitigen wird. Alfred Plohn. 


Von der Dresdner Hofoper. 

D er Berliner Komponist Eduard Künnehe darf sich 
glücklich schätzen, daß eine Bühne vom Range der 
Dresdner Hofoper für ihn eintritt, um so mehr, als hier 
beispielsweise ein Hans Pfitzner und Claude Debussy noch 
keines ihrer musikdramatischen Werke sehen und hören 
konnten. Auf die vor einigen Jahren auf geführte Oper 
„Robins Ende“ folgte am 31. Oktober Künnekes „Coeur- As“. 
Dem neuen Werke liegt das Scribesche Intrigenlustspiel 
„Der Damenkrieg“ zugrunde, das Emil Tschirch und Otto 
Berg für die Zwecke der Komposition bearbeitet haben. 
„Coeur- As“ fand vor einer beifallsfreudig gestimmten Zu- 
hörerschaft sehr freundliche Aufnahme. Den Erfolg ent- 
schied der dritte Akt, die stellenweise prickelnde Musik und 
das humorvolle Eingreifen Hans Rüdigers, des Grignon- 
Darstellers, der, so oft er erschien, die Lachlust weckte. 
Die beiden ersten Akte wurden kühler aufgenommen, wie- 
wohl schon die leichtbeschwingte Ouvertüre mit ihren hüpfen- 
den und tänzelnden Rhythmen wirklich gefallen hatte. 


Zweifellos bedeutet „Coeur-As“ einen wesentlichen Fort- 
schritt gegenüber „Robins Ende“. Künneke trifft den 
charakteristischen Konversationston im Orchester gut, mit 
dessen Klangregistern und Illustrationsmitteln er innig 
vertraut ist, das er spielend beherrscht. Vielleicht kom- 
poniert er einmal ein Ballett. Eine gewisse Kurzatmigkeit 
der Melodien wirkt stellenweise belustigend. Mit der Fertig- 
keit im Technischen hält jedoch die Erfindung nicht gleichen 
Schritt. Viel Bekanntes aus jüngster Zeit klingt noch an, 
auch scheint der Tondichter ein Freund der Muse des Delibes 
und des späteren Offenbach („Hoffmann“) zu sein. Am 
wenigsten originell gibt sich Künneke in den Liebesszenen. 
Da schürft er nicht in die Tiefe, wie etwa ein Puccini, da 
wählt er Alltagsmelodik und hält sich nicht einmal frei von 
operettenhaften Plattheiten. Für lyrische Ruhepunkte oder 
gar einen besonders eingänglichen Ohrenschmaus, wie ihn 
Otto Nicolai zu geben vermag, finden sich nur Anläufe. 
Freilich bot hierzu das Textbuch auch wenig Gelegenheit. 
Die Verfasser haben sich ziemlich genau an den „Damen- 
krieg“ gehalten. Ohne einerseits das pointenreiche Kampf- 
spiel zwischen der Gräfin und dem Präfekten, andererseits 
das Ringen der Frau im gefährlichen Alter mit der jüngeren 
Nebenbuhlerin in 
der meisterhaften 
Fassung des Origi- 
nals zu erreichen. 

Der neue Titel 
„Coeur-As“ ist 
nicht ausreichend 
motiviert. Intri- 
genstücke musika- 
Sschen Zwecken 
dienstbar zu ma- 
chen, hat seine 
Schwierigkeiten . 

Beim „Glas Was- 
ser“ und bei dem 
„Märchen der Kö- 
nigin von N avarra“ 
ist es nicht ge- 
glückt. Die Dresd- 
ner Uraufführung 
wurde von Hof- 
kapellmeister 
Kutzschbach mit 
Verve geleitet, 

Georg Toller führte 
mit Geschmack die 
Regie. Die Ein- 
heit des Ortes 
hätte, meiner Mei- 
nung nach, einen 
Szenenwechsel für 
den letzten Akt 

f estattet. Von den 
larstellern sind 
Frau Nast als mun- 
tere Eeonie, San 

als Flavigneul, Zador als Präfekt und Frau Barby als Gräfin 
zu nennen. Am Schlüsse wurden mit den Künstlern die 
Autoren mehrfach gerufen. 

Am Dresdner Hoftheater hat die 500. „Tannhäuser“- 
Aufführung stattgefunden. Kaum eine zweite Oper Richard 
Wagners hat, wie der „Tannhäuser“, intime Beziehungen 
zu unserer schönen Stadt. Sie stammt vom ersten Entwurf 
an aus des Meisters Dresdner Tätigkeit. Im Sommer 1842 
entstand auf einer Sommerreise, die Wagner von Dresden 
aus nach Teplitz unternahm, der erste Entwurf zur roman- 
tischen Oper „Der Venusberg“. Just am 30. Geburtstage 
Wagners, am 22. Mai 1843, war die Textdichtung vollendet 
und am 19. Oktober 1845 fand unter des Meisters eigener 
Leitung die erste Aufführung statt. Sie stand unter emem 
Unstern. Tichatschek, „aller Tenoristen Schreck“ , ver- 
mochte zunächst darstellerisch nicht in die Partie einzu- 
dringen. Die Schröder-Devrient versagte und hatte dem 
Dichterkomponisten schon auf einer der vielen Proben zu- 
gerufen: „Sie sind ein Genie ! Aber Sie schreiben so narrisches 
Zeug, man kann's ja kaum singen.“ — Johanna Wagner 
(seine Nichte) als Elisabeth wurde zwar auch an anderen 
Orten in dieser Rolle gefeiert, aber nach Wagners eigenen 
Worten sang sie das Gebet des dritten Aktes nie mit dem 
richtigen Ausdruck. Zu allen diesen Schwierigkeiten ge- 
sellte sich eine Aeußerlichkeit, die beim Publikum Ent- 
täuschung auslöste, es fehlte die große Festsaaldekoration 
im zweiten Akte. Erst als diese nach 14 Tagen eintraf, 
und die Sänger sich mittlerweile eingesungen hatten, kamen 
der eigentliche große Erfolg und die vollen Häuser, die dem 
Werke besonders hier in Dresden bis auf den heutigen Tag 
treu geblieben sind. Schuch und seine Mithelfer, m erster 
Linie der für derartige Aufgaben besonders befähigte Re- 
gisseur d’Arnals, haben nun eine Neuausstattung und Neu- 



Ein Kaiser-Huldigungi- Denkmal im Konzerthause zu Wien. Von Prof. Edm. Ritter v. Hellmer. (Text S. 119.) 


inszenierung hingestellt, die bis auf wenige Kleinigkeiten 
vorbildlich werden dürfte. — Generalmusikdirektor v. Schuch 
hat auf die Urfassung zurückgegriffen. Wie bei der Ur- 
aufführung erscheint im dritten Akte Venus nicht, sondern 
nach Wagners eigenen Worten (siehe „Mein Leben“) wird 
„diese neue Versuchung der Venus den treulosen Geliebten 
wieder an sich ziehen, nur als ein visionärer Vorgang, des 
in Wahnsinn ausbrechenden Tannhäusers dargestellt, nur 
ein rötliches Dämmern des in der Ferne sichtbaren Hörsel- 
berges sollte äußerlich- diese grauenhafte Situation verdeut- 
lichen. Auch die entscheidende Verkündung des Todes 
der Elisabeth ging nur als ein Akt divinatorischer Begeisterung 
Wolframs vor sich; einzig durch das ebenfalls von sehr 
ferne her vernehmbare Läuten des Totenglöckleins und 
durch den kaum bemerkbaren Schein der Fackeln, welche 
den Blick auf die entlegene Wartburg ziehen sollten, ward 
die Veranlassung hierzu auch dem zuschauenden Publikum 
anzudeuten versucht.“ Wagner selbst sah ein, daß er be- 
sonders bei der mangelhaften Darstellung Tichatscheks 
vom Publikum zu viel verlangt hatte, und verfügte die 
Aendermigen, die wir bisher gewohnt waren. Heute, wo 
Sänger bund Publikum durch jahrelange Schulung in ganz 

anderem Verständ- 
nis für Wagner 
erzogen werden, 
konnte Schuch 
diese Abänderun- 
• gen wagen. Ich 
bin davon über- 
zeugt, nicht einem 
der begeisterten 
Zuhörer hat die 
Venus oder der 
Sarg Elisabeths ge- 
fehlt. Tannhäuser 
stirbt wieder in den 
Armen- Wolframs 
in seliger Gewiß- 
heit. Auchdie„Bal- 
lett - Evolutionen“ 
von ehedem sind 
auf das Notwen- 
digste beschränkt 
worden, um den 
Konflikt zwischen 
Venus und Tann- 
häuser aus dem 
Opernhaften her- 
auszuheben. Da- 
mit das An- und 
Abziehen des Pil- 
gerchores sich 
schneller vollzieht, 
hat man im ersten 
und dritten Akte 
in* der Mitte der 
Bühne eine Ver- 
tiefung eingebaut, 

die den Gesang der Pilger heraushebt. So stilecht in jeder 
Beziehung Ausstattung und Kostüme waren, kann ich mich 
mit einer Regieänderung im Festakte nicht ^einverstanden 
erklären. Man hat hier für die Dekoration den kleinen 
Parterresaal gewählt, getreu dem Original im Erdgeschoß 
der Wartburg, aber daß man Elisabeth und den Land- 
grafen abgehen läßt und zurückkommen, wenn der Einzug 
der Gäste sich bereits vollzogen hat, erscheint mir nicht 
richtig. Beim Landgrafen von Thüringen gehörten diese 
Sängerfeste zu den intimen Veranstaltungen (daher der 
kleine Saal), dabei herrschte kein höfisches Zeremoniell von 
heute oder ehedem. Im übrigen jedoch ist die Frühlings- 
stimmung und ebenso der Herbst im dritten Akte von einer 
Naturechtheit, von einem Duft und einer Farbenpracht, 
daß man sich in das gelobte Thüringerland und an den Fuß 
seiner sagenhaften Burg versetzt glaubt. Seit dem Frühjahr 
haben unsere Gestalter der Bühnenbilder auf der Wartburg 
eingehende Studien gemacht. Nur wo dieser künstlerische 
Aufwand möglich, wo man eine Osten als Elisabeth, einen 
Soomer als Wolfram, Vogelstrom als Tannhäuser, die Forti 
als gestaltende Venus und die süße Stimme der Nast für 
den Hirtenknaben hat, wo ein Schlich und eine Königl. 
Kapelle ihr Bestes geben, kann eine Aufführung zustande 
kommen, wie wir sie am Sonntag, den 16. November 1913, 
erlebten. M. PI. 



117 



Chemnitz. Ewald Siegert, Organist zu St. Petri, hat eine 
Kantate komponiert, betitelt: Ein Danklied nach Worten des 
ioo. Psalms. Das für großes Orchester, Orgel, Chor und 
Baritonsolo geschriebene Werk wurde am n. November in 
der Petrikirche (aus dem Manuskript) aufgeführt und hatte 
einen unbestrittenen Erfolg. Es besteht aus drei Sätzen, 
deren erster und dritter im großen Bach-Stile gehalten sind, 
mit fugenartig verarbeiteten Themen, während der Mittelbau 
stark das rem Lyrische betont. — Die städtische Kapelle 
unter Malatas bewährter Leitung veranstaltet in diesem Winter 
5 große Klassikerabende mit Werken Glucks, Haydns, Mo- 
zarts, Beethovens und Schuberts. Der erste (Gluck) Abend 
hat bereits stattgefunden und alle Erwartungen reichlich er- 
füllt. — Im neuen Stadttheater gab es ein kleines Ereignis: 
Siegfried Wagners Oper „Herzog Wildfang“ wurde hier erst- 
malig gegeben, und zwar unter Leitung des Komponisten mit 

f roßetn Erfolge. (Ueber Draesekes Requiem folgt ein beson- 
erer Artikel. Red.) — h. 


Neuaufführungen und Notizen. 

— Der Friede zwischen Hans Pfitzner und München” ist 
geschlossen. Nach mehrjähriger Pause ist Pfitzner zum 
ersten Male wieder am Dirigentenpult des Hoftheaters er- 
schienen. Er hat seinen „Armen Heinrich“ dirigiert. 

— Otto Neitzels dreiaktige Oper „Die Barbarina“ hat 
im Herzogi. Hoftheater zu Dessau unter Generalmusik- 
direktor Franz Mikoreys gediegener Leitung bei lebens- 
voller Darstellung und prächtiger äußerer Ausstattung 
gefallen. Marcella Röseler sang die Titelpartie. E. H. 

— Der „Cobzar“, ein zweiaktiges Musikdrama von Ga- 
brielle Ferrari, Text von H. Vacaresco und P. MiUiet, über- 
setzt von Prof. Dr. Otto Neitzel, hat am Kasseler Hoftheater 
die deutsche Uraufführung erlebt. Der Text behandelt das 
alte Motiv des heimkehrenden Liebhabers, der die frühere 
Geliebte mit einem anderen Manne verheiratet findet. 

— Bei den nächstjährigen Lauchstedter Festspielen wird 
Glucks „Orpheus“ aufgeführt werden. Das Werk wird in 
einer Neubearbeitung, die Prof. Dr. Abert (Halle) nach der 
italienischen Ausgabe der Oper vorgenommen hat, gegeben 
werden. 

— Eine Operette von Reznicek, „Die Angst vor der. Ehe“, 
Text von Erich Urban und Louis Taufstein, hat am Stadt- 
theater in Frankfurt a. O. ihre Uraufführung erlebt. 

— Mascagnis neueste Oper „Parisina“ wird im Scala- 

theater in Mailand ihre Uraufführung erleben. Das Buch 
rührt von Gabriele d'Annunzio her und behandelt die tra- 
gische Liebe Ugos von Este zu seiner jungen Stiefmutter 
Parisina. * _ 

— In der römischen Musiksaison wird das deutsche Element 
eine bedeutende Rolle spielen. Im Winterprogramm des 
„Augusteo“ (des größten Konzertinstituts von Rom) finden 
sich Namen wie Reichwein, Schneevoigt, Nedbal, Walter, 
Mengelberg, Rosenthal. Eine ganze Anzahl in Rom noch 
völlig unbekannter deutscher Kompositionen soll hier zur 
Aufführung kommen, so das „Festliche Präludium“ von 
Strauß; Mahlers Vierte Symphonie, ferner Werke von Max 
Reger, Max Bruch usw. Die große Oper, das Teatro Co- 
stanzi, wird zunächst „Parsifal“ bringen, der in Rom und 
Mailand gleichzeitig gegeben- werden soll, dann auch „Pari- 
sina" von Mascagni-d! Antamno, „Canossa“ von Malipieri 
und „L’amore dei tre Re“ (Drei-Königs-Liebe) von Monte- 
tnezzi. 

— Messager hat erklärt, sich dem Ministerium zu unter- 
werfen und die Leitung der Pariser Großen Oper bis 1915 
beizubehalten. — Na also! 

— Für das Jubiläumsjahr 1914 sind vom Nationaltheater 
in Christiania zwei Opern von Gerh. Schjelderup angenommen 
worden. Die Aufführungen sollen im Mai zugleich mit den 
übrigen Jubiläumsfestlichkeiten stattfinden. Die Opern 
heißen „Vaamat“ („Frühlingsnacht“) und „En heilig aften“ 
(„Ein heiliger Abend“). H. M. 

— Die Saison der Metropolitan-Oper in New York ist 

J 'etzt eröffnet worden. Die erste Premiere soll „Der Rosen- 
:avalier“ sein. In der Weihnachtswoche ist eine neue italie- 
nische Oper von Italo Montemezzi, Text von Benelli, zu 
erwarten. Die amerikanische Neuigkeit des Winters wird 
dieJUraufführung der „Madeleine“ von Victor Herbert sein. 
Gustave Charpentiers „Julien“ soll im Februar zum ersten 
Male gegeben werden. 

— Die Opemsängerin Frau Gadski hat sich, wie die Zei- 
tungen melden, „mit der Unterstützung New Yorker und 

118 


Düsseldorfer Kapitalisten“ entschlossen, mit einer Wagner- 
Opern truppe eine Reise durch Amerika zu machen und da- 
bei auch in kleineren Städten aufzutreten. Das Repertoire 
soll nur „Tristan und Isolde“, „Die Walküre“ und „Sieg- 
fried“ umfassen, aber diese sollen im Stil der Metropolitan- 
Oper aufgeführt werden. Das heißt: für die ersten Rollen 
werden hervorragende Künstler engagiert werden, für die 
anderen nimmt Frau Gadski aber talentierte Anfänger in 
Aussicht. 

* 

— Eine Violinsonate des jungen Wolfgang Korngold haben 
in Berlin Karl Flesch und Artur Schnabel zum erstenmal auf- 
geführt. Desgleichen in Dresden eine neue Sonate Th. Blumers. 

— Acht Frauenchöre von Robert Schumann (aus op. 69, 
91 und 114) hat Hans Pfitzner gelegentlich des Schumann- 
Jubiläums vor drei Jahren mit Instrumentalbegleitung ver- 
sehen und zu einem Ganzen verbunden. In dieser Gestalt 
sind sie — „Klosterfräulein“ (Kerner), „Waidmädchen“ 
(Eichendorff) , „Die Kapelle“ (Uhland), „Soldatenbraut“ 
(Mörike), „Jäger Wohlgemut“ (Des Knaben Wunderhorn), 
„Der Wassermann“ (Kerner), „Meerfey“ (Eichendorff), 
„Spruch“ (Rückert) — im Neuen Orchesterverein zu München 
unter Leitung von Hermann Zilcher aufgeführt worden. 

— Die. Musikalische Gesellschaft Dortmund (Dirigent: 
Königl. Musikdirektor C. Holtschneider) hat im zweiten 
Vereinskonzert unter Leitung des Komponisten Werke von 
Ch. M. Widor (Paris, Solist Emil Frey, Moskau, Klavier) 
aufgeführt. Programm: Klavierkonzert in cmoll op. 77 
(Allegro con moto. Andante, tempo deciso) ; Kermesse 
carillonnante; Francesca (aus dem Carnaval op. 61 No. n); 
Airs de ballet op. 4; Symphonie antique (mit Chor). 

— In dem von der Musikalienabteilung der Firma Tietz 

in Kassel veranstalteten Künstlerkonzert spielte der Violin- 
virtuose Prof. Petschnikoff die Bach-Canzone so verloren 
und in sich hineingekehrt, daß er mit dem Bogen unter das 
Griffbrett kam und die Geige zu Boden fiel und zertrümmert 
wurde. Die weiteren Konzertnummern mußten ausfallen, 
da keine Ersatzgeige zur Stelle war. Der Wert des Instru- 
ments wird auf yß 000 M. geschätzt. G. O. K. 

— Aus Pforzheim wird uns geschrieben: In seinem ersten 
Kammermusikabend mit dem Wendling- Quartett hat Musik- 
direktor Albert Fauth das Klavierquartett von G. Faur£ 
zum ersten Male in unserer Stadt aufgeführt. — In dem 
diesjährigen Bußtagskonzert des Männergesangvereins unter 
Fauths Leitung, das in der evangelischen Staatkirche statt- 
fand, hinterließen Bruckners Fünfte Symphonie mit Choral- 
schluß und die Große Totenmesse von Berlioz gewaltige 
Eindrücke. Bei Berlioz wirkte ein Chor von 250 Stimmen 
und das verstärkte Karlsruher Hoforchester mit. Herr 
Fauth ist als intelligenter Musiker, der vom bequemen 
Weg des Hergebrachten abweicht, bekannt. Diese Auf- 
führungen beweisen, was auch in kleineren Städten geleistet 
werden kann, wenn der rechte Mann an der Spitze steht. 

— Die rührige Hemer Konzertgesellschaft hat unter 
Leitung des städtischen Musikdirektors Nießen eine Ge- 
dächtnisfeier für Richard Wagner gehalten. 

— Im Königl. Seminar zu Mors herrscht die löbliche 
Gepflogenheit, den Zöglingen von Zeit zu Zeit durch Künstler 
Werke unserer Meist» vorzuführen. Seminar- und Musik- 
lehrer Kniese hatte am 24. Nov. wieder ein solches Konzert 
veranstaltet. Als Solisten waren die Pianistin Wilma 
Souvageol aus Haspe und die Konzertsängerin Hilde Cremer 
aus Krefeld gewonnen. Wilma Souvageol spielte vorzüg- 
lich Beethoven, Brahms, Liszt, sowie Stücke ihres Lands- 
mannes Mac Dowell. Die Sängerin Hilde Cremer wußte 
Interessantes zu bieten. Sie sang Brahms, Wolf, Strauß 
ebenso warm und geschmackvoll wie Mozart. Das Seminar 
mag seinem kunsthebenden Musiklehrer besonders danken. 

Rektor Hahn (Krefeld). 

— In Plauen hat im Weihekonzert der neu erbauten 
Markuskirche eine dreisätzige Komposition für Orgel und 
großes Orchester über den Choral „Nun danket alle Gott“ 
von Julius Gatter die Uraufführung erlebt. 

— Im ersten Winterkonzert des Lehrergesangvereins in 
Bautzen hat der spanische Geiger Joan Mantn vor fast 
überfülltem Hause mit dem größten Erfolge gespielt. 

— Aus Klagenfurt wird uns geschrieben: Im ersten Or- 
chesterkonzert des Musikvereines für Kärnten hat eine Sym- 
phonie des Kärntner Tondichters Eduard Lucerna überaus 
günstigen Eindruck gemacht. Der Emst der Arbeit, die mu- 
sikalische Logik fielen ebenso angen ehm auf wie die durchaus 
sachgemäße, die Eigenart der Instrumente berücksichtigende 
Orchestrierung. Die nicht geringen Schwierigkeiten des Wer- 
kes wurden von dem heimischen Orchester, das unter der 
Leitung des Musikvereins-Direktors Leo Dobrowolni stand, 
tadellos bewältigt, und so gestaltete sich die Aufführung zu 
einem vollen Erfolg der Komposition. Mit Brahms’ Violin- 
konzert hatte Konzertmeister Laurenz Korb gleichfalls großen 
Beifall. 




— Ein Kaiser-Huldigungs-Denkmal im Konzefthause zu 
Wien. Die Volkshymne von Haydn ist das Thema, das 
dem vorne abgebildeten, nach Gedanken und Ausführung 
gleich herrlichen Denkmal, einem Meisterwerke des Wiener 
Bildhauers, Akademieprofessor Edmund Ritter v. Hellmer, 
zugrunde gelegt ist. Im Stiegenhause des neuer bauten 
prächtigen Heims, das der Wiener Konzerthausverein der 
Musik soeben errichtete und das in einem Gebäude ver- 



einigt Räume zur Abhaltung von Konzerten und damit 
verbundener Festlichkeiten, sowie solche für die Akademie 
der Musik und darstellende Kunst bestimmt umschließt, 
hat dieses 3,80 m hohe und 4,08 m breite Relief Aufstellung 
gefunden. Eine Huldigung für Kaiser Franz Joseph von 
Oesterreich, den Protektor des Konzerthausvereins, soll dies 
künstlerisch bedeutsame Werk sein. Huldigung durch den 
von Meister Haydn dereinst vertonten und zur Volkshymne 
erwählten österreichischen Nationalgesang „Gott erhalte 
Franz den Kaiser“. — In ihrer Notenschrift, die in -Gold 


eingelegt, auf einer oberhalb des Kaiserporträts angebrachten 
Onyxtafel erscheint, leuchtet denn auch diese populärste aller 


hause Franz Schuberts anbringen. Niedrig, nur ein Stock- 
werk mit wenigen Fenstern Front aufweisend, repräsentiert 
sich das überaus schlichte Gebäude, über dessen großem 
rundem Torbogen nunmehr die Tafel mit folgender Inschrift 
prangt: „Franz Schubert hat dieses Haus vom Jahre 1801 
an durch eine lange Reihe von Jahren bewohnt, hier als 
Schulgehilfe seines Vaters gewirkt und zahlreiche unvergäng- 
liche Werke, darunter den .Erlkönig', geschaffen! Gestiftet 
vom Wiener Männergesangverein 19. November 1913-“ F. 

— Lustbarkeitssteuer. Aus Abonnentenkreisen wird uns ge- 
schrieben: Zum Kapitel „Lustbarkeitssteuer“ in Heft 3 vom 
30. Oktober der „N. M.-Z“ teile ich Ihnen mit, daß der All- 


§ emeine deutsche Sprachverein (Ortsgruppe Tilsit), Vorsitzen- 
er Professor Nast, für einen von mir gehaltenen Vortrag 
(26. Oktober) über Richard Wagners Werke ebenfalls „Lust- 
barkeitssteuer“ zahlen mußte, weil ich Erläuterungen am 
Flügel und mit Violine und Klavier gab, und weil auch ein 
Opernsänger vom dortigen Stadttheater mitwirkte. Den Vor- 
trag habe ich in Berlin und anderen Großstädten wiederholt 
ohne „Lustbarkeitssteuer“ gehalten. Wie aber die von Ihnen 
gebrachte Elbinger Notiz und der vorgenannte Tilsiter Fall 
zeigt, scheint man dort besondere „kulturfreundliche“ Be- 
strebungen zu haben. W. M. (Im alten Griechenland sorgten 
Stadt und Staat für die Erziehung zur Kunst, die Theater 
waren frei. In unserer heutigen „Kultur“ lassen sich die 
Städte von den wahrlich nicht auf Rosen gebetteten Künst- 
lern Geld für die „Lustbarkeit“ [das Wort ist schon für den 
Geist kennzeichnend] zahlen. Red.) 


Hymnen hernieder. Unten aber, an dem nach dem Leben 
in höchster Naturtreue modellierten Reliefporträt — wie 
das ganze Denkmal aus Laaser Marmor gebildet — , tönt 
aus der Inschrift es uns entgegen: „Gott erhalte, Gott be- 
schütze unsern Kaiser.“ — Zwei ideale Frauengestalten, 
die weltliche und die geistliche Musik verkörpernd, blicken 
huldigend zu des Kaisers freundlich dreinblickendem Antlitze 
auf. Zu ihren Füßen ruht, als Verkünder des kommenden 
Geschlechtes, ein kleiner, die Geige spielender Knabe. Von 
der linken Seite her aber naht ehrfurchtsvoll sich eine Fa- 
milie. Hochaufgerichtet der Mann, in Demut und Ergeben- 
heit das stattliche Weib, mit zusammengefalteten Händchen 
für des geliebten Monarchen Wohl betend, das kleine Mäd- 
chen. Eine ideale Verkörperung der Volkshymne ! Meister 
Hellmer, der Schöpfer zahlreicher bedeutender Denkmäler 
und sonstiger Skulpturen, der derzeitige Rektor der Akademie 
der bildenden Künste in Wien, dessen Verdienste um die 
Kunst der Kaiser erst kürzlich durch die Verleihung des 
erblichen Adels auszeichnete, hat mit diesem seinem neuesten 
Werke wiederum frischen Ruhm geerntet. (Wir bringen 
eine Abbildung des Reliefs auf S. 117. Dem Musiker fallt 
es auf, daß einige Notenhälse der Melodie falsch, nach oben 
anstatt nach unten, gestrichen sind. Red.) Sofie Frank. 

— Von den Theatern. Die Zuschüsse zu den künstlerisch 
geleiteten Theatern — vergleiche dagegen Nürnberg, das noch 
verdienen mußte — werden immer großer. Aus Leipzig wird 
berichtet: Im Haushaltsplan der Stadt figurieren die drei 
dem Intendanten Geheimrat Martersteig unterstellten städti- 
schen Theater wiederum mit 700000 Mark Mehrkosten. Der 
Rat tritt für die Bewilligung der Summe ein, der höchsten, 
die jemals von einer Stadtverwaltung an ein Theater als Zu- 
schuß gewährt worden ist. — Schwere Sorgen haben die bei- 
den Stadttheater in Basel und Bern. Die ordentliche General- 
versammlung der Aktionäre des Basler Stadttheaters stand 
letzthin vor der Frage, ob der Betrieb überhaupt weitergeführt 
werden könne, da die bisherige Staatssubvention im Betrage 
von 90 000 Francs nicht genügt und die Regierung nicht höher 

f ehen will als höchstens auf 120000 Francs, während das 
heater 150000 Francs jährliche Subvention beansprucht. 
Bis nach Beendigung der Spielzeit 1914/15 wird das Defizit 
rund 318000 Francs betragen. — Der neue Verwaltungsrat 
des Berner Stadttheaters hatte sich zur gleichen Zeit auch 
mit einer Finanzreform zu befassen, da sämtliche Einnahme- 
quellen erschöpft waren und das Theater vor dem Konkurs 
stand. Er behandelte die Vorschläge des Basler Stadttheaters 
über eine Interessengemeinschaft mit der Basler Bühne. In 


— Vom Männergesang. Am 6. Januar feiert die „Dresdner 
Liedertafel “ das 75jährige Jubiläum ihres Bestehens. 1839 

f e gründet, hat die „Dresdner Liedertafel“ in der langen 
eit ihres Bestehens stets bedeutende Männer zu musikalischen 
Führern gehabt, wie Hofkapellmeister Reißiger, Musikdirektor 
Adam, Kantor Julius Otto, Richard Wagner, Ferdinand 
Hiller, Robert Schumann, Hofkapellmeister Krebs, Prof. 
Kößler, Hofkapellmeister Alban Förster, Prof. Reinhold 
Becker, Tonkünstler Waldemar v. Baußnem u. a. Chor- 
meister ist zurzeit der königl. Kapellmeister Pembaur. 

— Neue Musikzeitschrift. In Rom hat sich eine monatlich 
erscheinende neue musikalische Zeitschrift begründet, deren 
erstes Heft kürzlich erschien. Der Einführungsartikel, den 
Sgambati geschrieben hat, trägt den Titel: „Die musikalische 
Gegenwart und die Arbeit der Kritik.“ Im 1 Redaktions- 
komitee befindet sich auch Busonj. 


Personalnachrichten. 

— Zwischen der Generalintendantur der königl. Schau- 
spiele in Berlin und dem Kammersänger Hermann Jadlowker 
ist ein neuer Vertrag abgeschlossen worden, der den Künst- 
ler bis Ende 1917 an das Berliner Opernhaus verpflichtet. 
Er erhält für 5omaliges Auftreten in der Saison 100 000 M. 

— Dem Leiter des städtischen Orchesters in Nordhausen, 
Kapellmeister Gust. Müller, ist der Titel „Königlicher Musik- 
direktor“ verliehen worden. 

— Der ausgezeichnete Klaviervirtuose Friedrich Wilhelm 
Keitel ist soeben von einer sehr erfolgreichen Konzerttournee, 
auf der er unter anderem in Dänemark und Schweden August 
Stradals Bearbeitung des Friedemann Bachschen Orgelkon- 
zertes gespielt hat, nach Berlin zurückgekehrt. 

— In Stuttgart ist der Musikpädagoge Karl Buttschardt 
gestorben. Er war ein echt schwäbischer Denker und 
Sinnierer und ein geborener Erzieher, der alle Materien der 
Musik, Rhythmus, Melodie, Harmonie und Form selbständig 
durchforschte und nicht ruhte, bis er ihr Wesen erfaßt hatte 
und in ganz neuer Beleuchtung den Lernenden darbieten 
konnte. Davon zeugen verschiedene theoretische Werke: 
seine „Musikwissenschaft“, „Neue Taktlehre“, „Gesangs- 
melodien“ usw., lauter scharfsinnige Werke. In diesen, 
sowie in seinen Schulen (Violin- und Klavierschulen und 
Uebungsbüchem) legte er die Studien und Erfahrungen 
langer Jahre nieder. Man muß es bedauern, daß seine 
Ideen zur Reform der Notenwert-, Takt- und Tonarten- 


Bem denkt man sich diese Verbindung so, daß eine Opem- 
truppe drei Monate in Bern und eine Schauspielertruppe 
ebensolang in Basel spielen würde, worauf eine Auswechslung 
der Truppen stattzufinden hätte. — Diese Zahlen und Tat- 
sachen sprechen keine erfreuliche Sprache. 

— Musiklehrerprüfungen. Auch Frankreich beschäftigt 
sich mit dieser brennenden Frage. In Paris fanden unter 
dem Protektorat von C. Saint-Saens, Th. Dubois (dem in 
verschiedenen Tages- und Musikzeitungen fälschlich Tot- 
gesagten) und G. Faute in der Oktobersession der Soci6te 
des Musidens de France Prüfungen für Musiklehrer statt. 

— Schubertiana. Eine denkwürdige Ehrung Franz Schu- 
berts ist’s, die soeben der Wiener Männergesangverein an- 
läßlich des 85. Todestages des Meisters — 19. November — 
diesem bereitet hat. Er ließ eine vornehme eherne Gedenk- 
tafel an dem im 9. Wiener Bezirke Säulengasse 3 — dem 
ehemaligen Himmelpfortgrunde — gelegenen einstigen Wohn- 


bezeichnung, der rhythmischen Darstellung usw. nicht all- 
gemein angenommen worden sind. Chr. Kn. 

— In London ist am 17. November die berühmte Sängerin 
und Gesanglehrerin Mathilde Marchesi im Alter von 87 Jahren 
bei ihrer dort lebenden Tochter gestorben. Mathilde Marchesi, 
eine geborene Graumann, war bereits in Paris und London 
als Konzertsängerin sehr angesehen, als sie die Frau des 
Salvatore Marchesi, Cavaliere de Castrone, Marchese della 
Rajata, eines ehemaligen Offiziers der neapolitanischen 
Nobel? arde, des späteren Sängers und Komponisten, wurde. 
Als Ges anglehr enn hat sich Frau Marchesi dauernden 
Ruhm erworben. Frau Marchesi hat eine Gesangsschule 
und 54 Hefte Vokalisen herausgegeben, die allgemein als 
vorzüglich anerkannt sind. Sie war eine Nichte der von 
Beethoven hochgeschätzten Pianistin Dorothea Graumann. 
Die „N. M.-Z.“ hat über die Künstlerin verschiedentlich 
berichtet und auch ihr Bild gebracht, so in No. 12 Jahrg. 1905. 


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Verschiedenes. 

Lieder, die ich meiner Puppe singe. Bin neues Bilderbuch 
von Emil Hofmann liegt vor uns, der bekannte Verlag für 
Kinderbücher, Loewes Verlag Ferdinand Carl in Stuttgart, 
hat mit diesem Buch etwas auf den Weihnachtstisch gelegt, 
das sich den besten Erscheinungen auf diesem Gebiete 
würdig anschließt. In vornehmer Ausstattung, vorzüglich 
im Druck der bunten Bilder und des Textes, repräsentiert 
sich das neue Kinderbuch schon äußerlich vorteilhaft; sein 
Inhalt aber wird hellen Jubel hervorrufen. Man weiß nicht, 
was hübscher ist: die dem kindlichen Gemüte angepaßten 
Verse von Tonina Gerstner-Sternfeld, die sich alle auf das 
Verhältnis zwischen dem braven Mädchen und seinen Püpp- 
chen beziehen und dadurch schon originell sind, oder die 
von Hofkapellmeister Joseph Bayer komponierten Melodien, 
oder die lustigen, ganz reizenden Bilder, die M. Frimberger 
gemalt hat. Es sind 14 Tafeln, zu jedem komponierten 
Gedicht eine neue. Die Dieder zeigen Gemüt, das letzte, 
der Abschied von der 1 Puppe, ist ordentlich rührend. Und 
wer möchte wohl bessere Weisen für dieses Buch ersinnen, 
als der (leider gestorbene) Komponist der „Puppenfee“? Wir 
möchten dies Buch für den Weihnachtstiscn der Kinder 
warm empfehlen, zumal der Preis von 4 M. im Verhältnis 
zum Gebotenen billig ist. 

Leander Schlegel, op. 27 : „Der Kinder bunte Welt", 5 vier- 
händige Klavierstücke. Süddeutscher Musikverlag. Es sind 
lustige Szenen aus dem Kinderleben, in beiden Händen ver- 
schieden und nicht immer so leicht, wenigstens für Kinder 
nicht. Am leichtesten No. 1 Wiegenliedchen, No. 3 Schaukel- 
pferd und No. 5 In der Tanzstunde. Schwieriger sind No. 2 
Katze und Kätzchen und No. 4 Fritzchens Klavierstunde. 
Letzteres Thema ist schon von Heller scherzhaft behandelt 
worden und macht den Spielern sicher viel Spaß. Fingersatz 
ist angegeben. 

Joseph Gruber, op. 250: Kinderfreuden (1. — m.), 48 Vor- 
tragsstücke, vierhändig, 2 M. netto. Verlag Böhm & Sohn, 
Augsburg. Eine reichhaltige Sammlung munterer Miniaturen 
verschiedenster Stimmung und in diversen Metren und Rhyth- 
men, reich an guten Einfallen und an Spielarten. Alles findet 
man hier: Walzer, Märsche, Gondel-, Nacht-, Hirten-, Wiegen-, 
Soldatenlieder, Neckerei und Tiefernstes. Die linke Seite 
(Secondo) ist etwas leichter, als die rechte (Primo), aber beide 
sind so leicht, daß zwei Schüler nach zweijährigem Unter- 
richt sie leicht bewältigen können. Bald ist die Melodie unten 
im Baß, bald im Diskant, so daß kein Spieler zu kurz kommt. 
Oefters stoßen die Hände in der Mitteflage zusammen, dann 
muß eben der obere Spieler weiter innen anschlagen. Im 
Titelerfinden ist der Autor so fix wie im Komponieren; die 
Tonleiter kommt aber etwas zu oft als Einleitungsmotiv vor. 
Schade, daß die Stückchen so kurz sind, sonst könnten wir 
sie auch Vorgerückteren empfehlen. Die Stücke sind rechts 
befingert, was ein Vorzug ist. Für den Unterricht sind sie 
sehr geeignet, sie sind zugleich instruktiv und kurzweilig. 
Möchte der Autor bald längere Kompositionen in diesem 
unterhaltenden Stile auf den Markt bringen, er kann ja mehrere 
kleine Stücke untereinander verbinden, etwa in der dreiteiligen 
Liedform. C. Kn. 

Poldini, op. 50: Festandacht und Jubelwalzer 1 M. Verlag 
Hainauer, Breslau. Für den rechten Spieler ganz leicht. 
Die Andacht ist wertvoll und ernst, der Walzer ist pikant 
und ausgelassen und paßt wie eine Faust auf das fromme 
„Auge“ der vorausgehenden Andacht; es geht hier eben nach 
dem Usus: erst in die Kirche, dann auf den Tanzboden. Das 
Stück wird aber den Anfängern riesige Freude machen. 

Mario Tarenghl: Causeries musicales, 6 petits morceaux 
pour Piano, ä 1 M. Verlag Carisch & Jänichen, Milano. Diese 
einfachen Liedformen werden wegen ihres musikalischen Ge- 
haltes und Wohlklanges, verbunden mit leichter Spielbarkeit, 
dem Komponisten viel neue Freunde gewinnen. Wir heben 
hervor den interessanten Moment musical, das muntere 
Scherzino und die melodische Canzouetta. 

Derselbe: Pages intimes pour Piano, op. 56, ä 1.30 M. Das 
erste dieser fünf Stücke, Simple Melodie, ist eine Perle, die 
sich manchem von Schumanns kleinen Klavierstücken an die 
Seite stellen kann. Als besonders wirksam sei noch No. 5 
Cavalcade erwähnt. Die Ausstattung der Hefte, ist von vor- 
nehmer Einfachheit. 

Max Jähnig, op. 8: Konzertromanze für Violoncell mit 
Pianoforte 1.80 Mi Verlag Zumsteeg, Stuttgart. Der bei der 
Stuttgarter Hofkapelle als Cellist tätige Komponist hat für 
sein Instrument ein Stück geschrieben, dem das Prädikat 
„gute Musik“ zuzusprechen ist. Die im Adagio gehaltene 
Romanze enthält ein sehr melodisches und leicht ins Ohr 
fallendes Hauptthema, das der Autor bei jedesmaliger Wieder- 


kehr in ein neues Gewand zu kleiden verstand und damit 
gleichzeitig eine Abwechslung und schöne Steigerung erzielte. 
Wirksam unterbrochen wird dieses Thema durch einen etwas 
bewegteren und energischen Mittelsatz in Moll. Der Klavier- 
art, zum Teil selbständig behandelt, gibt dem Ganzen einen 
ünstlerischen Untergrund. Dem Reproduzierenden ist Ge- 
legenheit gegeben, hauptsächlich seine tonlichen und im 
Mittelsatz auch technischen Fähigkeiten zur Geltung zu 
bringen. Als eine Bereicherung der nicht gerade übersäten 
guten Celloliteratur darf vorliegendes Opus bezeichnet werden. 
(Zu der Romanze ist auch eine Orchesterbegleitung geschrie- 
ben, und können die Stimmen durch den Verleger in Ab- 
schrift bezogen werden.) L. M. 

Richard Strauß: Deutsche Motette. Nach Worten von 
Friedrich Rückert für vier Solostimmen und sechzehn- 
stimmigen gemischten Chor a cappella, op. 62. Die Taschen- 
partitur zum Studiengebrauch ist eingetroffen. Verlag von 
Adolph Fürstner, Berlin. Preis 2 M. (Bemerkt sei, daß Strauß 
die Tenöre wieder im Tenorschlüssel schreibt. Die Partitur- 
seiten dieses a cappella-Chors sehen an Zahl der Systeme 
einer Beethovenschen Symphonie gleich.) 

Max Löwengard : Praktische Anleitung zum Generalbaßspiel, 
zum Harmonisieren, Transponieren und Modulieren. M. 2.50. 
Verlag A. J. Benjamin. Hamburg. Das Büchelchen stammt 
aus der Hand eines offenbar erfahrenen Praktikers und Metho- 
dikers. Es kann jeder Harmonielehre angeschlossen werden. 
Der Stoff ist klar und übersichtlich behandelt und wird sicher- 
lich Lehrer und Schüler dauernd befriedigen. M. K. 

Deutsche MustkbUcherel. Gustav Bosse Verlag, Regensburg. 
Vor uns liegen einige Bändchen der beachtenswerten Biblio- 
thek. Die Namen der Verfasser kennzeichnen die Werke. 
Band 3 hat den Titel „Wege zu Beethoven“ von Adolf Bern- 
hard Marx (dem Biographen), Anleitung zum Spiel Beet- 
hovenscher Klavierwerke (geb. 2 M.). Band 2: Hellerauer 
Schulfeste, Rhythmus (geb. 1.50 M.). Band 7: „Musik und 
Kultur“, Festschrift zum 50. Geburtstag Arthur Seidls, 
herausgegeben von Bruno Schuhmann. Von Arthur Seidl 
selber noch „Moderner Geist in der deutschen Tonkunst“, 
Band 5 (geb. 2 M.). Band 6 bringt die gesammelten Briefe 
Albert Lortzings, herausgegeben von Georg Richard Kruse. 
Band 1 : Friedrich Nietzsche, Randglossen zu Bizets „Carmen“ 
von Hugo Daffner. Eine Besprechung der interessanten 
Bücher folgt. 

* * . * 

Unsere Muslkbeüage zu Heft 6 ist auf den weihnachtlichen 
Ton gestimmt. Das Präludium von Bach für Violine und 
Klavier ist ein weihevolles Vortragsstück für den Weih- 
nachtsabend. Daß es auch in der Kirche mit Orgelbegleitung 
gespielt werden kann, bedarf keiner weiteren Erwähnung. 
Kammermusiker W. Abert in Stuttgart hat es bearbeitet. 
Wenn das Präludium nicht aus dem Wohltemperierten 
Klavier bekannt wäre, könnte man glauben, es sei ein 
Originalstück für die Violine. — Das Lied „Christkind“ von 
Gustav Lazarus hängt nun direkt mit dem heiligen Abend 
zusammen. Der allbekannte Text, die Anlehnung an das 
allbekannte Lied von der stillen Nacht, geben dem 
stimmungsvollen Stücke den besonderen Klang. Es lehrt die 
Erfahrung, daß das Alte immer das Beste für Weihnachten ist. 


Batka, Hllflem. Gesdildite der muslk. 

Am Ende einer längeren Pause, die in der Lieferung der Bogen 
unserer Musikgeschichte wider unsem Willen und zu unserem größten 
Leidwesen Infolge andauernder Krankheit des Verfassers eingetreten 
ist und während der wir Herrn Dr. Batka vergeblich mit zahlreichen 
Mahnbriefen und Depeschen bestürmt haben, freuen wir uns, diesem 
Heft zum erstenmal wieder einen Teil und zwar Bogen 8 des dritten 
Bandes beilegen zu können. Mit unserem Dank für die uns be- 
wiesene Geduld verbinden wir die Bitte an unsere Leser, die ohne 
unsere Schuld entstandene Verzögerung in der regelmäßigen Lieferung 
der Musikgeschichte gütlgst zu entschuldigen. Wir versichern dabei 
unsere Leser und Freunde, daß wir unter allen Umständen dafür sorgen 
werden, daß eine weitere Unterbrechung künftig nicht mehr stattfindet. 

Neu eingetretenen Abonnenten beehren wir uns mitzuteilen, daß 
Band I in Leinwand gebunden für M. 5. - , Band II ln Leinwand 
gebunden für M. 6.— durch jede Buch- und Musikalienhandlung, 
bei direktem Bezug vom Verlag zuzüglich SO Pf. Porto, erhältlich 
sind, ebenso können fehlende Bogen des I. u. D. sowie die schon 
erschienenen sieben Bogen des ID. Bandes zum Preise von 30 Pf. für 
den Bogen zuzüglich Porto nachbezogen werden. 

Der Verlag der „Neuen Musik-Zeitung« in Stuttgart. 

Verantwortlicher Redakteur: Oswald Kühn in Stuttgart. 
Schluß der Redaktion am 29. November, Ausgabe dieses Heftes 
Heftes am 11. Dezember, des nächsten am 2. Januar. 


120 






Dur und Moll 


— Eine lustige Geschichte zum 
Kapitel: „ Beiträge zur musika- 
lischen Kritik “ . Die „Frkf. Ztg.“ 
schreibt : „Wir hatten kürzlich, 
nach der .Deutschen Musiker- 
Zeitung' eine Musikkritik aus 
der , Neue nähre r Zeitung' wie- 
dergegeben, in der ein Herr 
Rentmeister a. D. sein Urteil 
über die Kunst von Richard 
Strauß abgab und im Anschluß 
an eine Besprechung von ,Tod 
und Verklärung' konstatierte, 
daß der .Walzertraum' dieses 
Komponisten weniger Durch- 
schlagskraft habe. Unsere 
Quelle hatte dazu ironisch be- 
merkt, daß dieses Mißgeschick 
Straußens sehr bedauerlich sei, 
doch werde ihn der Erfolg seiner 
„Fledermaus“ darüber wohl 
trösten. Die Notiz hat nun 
ihren Weg auch in ein Leipziger 
Wochenblatt ,Das neue Blatt' 

f efunden, die sie in einer Ru- 
rik .Randbemerkungen zum 
Leben der Zeit' abdruckt und 
dazu entrüstet meint : ,Es ist 
das wieder ein Beweis dafür, 
wie imgeeignete Leute sich zu 
.Kritikern' aufspielen. Dieser 
.Rentmeister' weiß offenbar 
nicht einmal, daß der .Walzer- 
traum' nicht von Rieh. Strauß, 
sondern von Joh. Strauß, dem 
Walzerkönig ist! Wieviel der- 
artige .Kritiker' mag es aber 
im Deutschen Reiche geben, 
deren absolute Unf ähigkei t nicht 
durch eine solche Blamage er- 
wiesen wird. Und sie schreiben 


(EDITION BREITKOPF, 






Hlban Förster 



j Op 200 

\ Nr. 1. F dur 2. Cdur 3. Gdur Je 1.50 M. 

j Edition Breitkopf Nr. 3961 — 3963 

♦ 

♦ 

| 1 — x rei ganz reizende Sonatinen! Seit Schuberts allbekannten Meisterstücken 

j 1 | dürfte nichts derartig Vollendetes auf diesem Gebiete geschrieben worden 

| 1 / sein wie Försters Op. 200. Das ist Musik, die jeder Schüler mit Entzücken 

J spielen wird, die dem Verständnis des Lernenden angepaßt und dabei so tief em- 
| pfunden ist, daß man sich wirklich freuen kann, neben dem klassischen Material 
» dem jungen Geiger auch einmal diese modernen Stücke zum Spielen geben zu 
J können. Man sehe sich nur einmal das Andante molto sostenuto aus der 2. Sona- 
j tine an, das in seiner Einfachheit von wahrhaft klassischer Schönheit ist und doch 
| durchaus modernen Geist atmet. Wer seinen Schülern Freude bereiten will, der 
t gebe ihnen diese Sonatinen; wer aber sein Empfinden für einfache schöne Ton- 
! kunst sich bewahrt hat, der spiele sie selbst einmal durch, auch wenn er seine 
| Kunst im allgemeinen mehr den Schöpfungen der großen Meister widmet — die 
i Wahrheit des Wortes: „Auch kleine Dinge können uns entzücken“ wird sich ihm 
| bald offenbaren. 

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den Geschmack des Publikums!' 
— Ja, ja, wieviele solcher Leute 
es doch im Deutschen Reiche 
gibt! 

— Chopins Jahrestag. Die 
Pariser „ Sociiii Frideric Cho- 
pin“ ist am 17. Oktober einem 
frommen Gelübde zufolge, wie 
alljährlich, in der melancholisch 
stimmenden Herbstnatur, un- 
ter einem sanft raschelnden 
Blätterregen nach jenem Hang 
des alten „Mont-Louis“ (Pere 
la chaise) gepilgert, wo Freun- 
destreue dem ewig jungen Ge- 
nie ein Denkmal mit des Künst- 
lers Medaillon, über dem Cle- 
singers trauernde Muse wacht, 
errichtet hat. Die Feier ging 
in poetisch-stiller Weise vor 
sich. Nach einigen ergreifen- 
den Worten des Präsidenten 
und des Gründers der Vereini- 
gung sprach Mlle. Suzanne 
Methivier vom Odeontheater 
dem Augenblick angemessene 
Verse der Comtesse de Noailles, 
während Raoul Praxy (Theater 
Porte St. Martin) mit seltener 
Kunst die feierlichen Alexan- 
driner Henri de R6gniers: 

Grande ombre, vers la nuit, 
par la porte d’ebene 
Passe, et que l’äpre vent d’un 
Souffle rauque äteigne 
Au poing nu des porteurs qu’il 
courbe sous les porcnes 
La lueur des flambeaux et la 
flamme des torches, 

die einer plastischen Erläute- 
rung zu Bartholomes ergreifen- 
der Schöpfung am Hauptein- 
gang der Totenstadt gleich- 
kamen, vortrug. Lvn. 



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Heft 2: Frühlingsfreude — Stirbt der Fuchs, so gilt der Balg — Frühlingsabend. ♦ 
Heft 8 : König Enzio — Mein Johann — Als ich wegging. * ♦ 

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Ver gleiche die Rezensionen in der „Neuen'fitusik-Zeitung 11 Nrjgs vom 4 .*Sc pt. 


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122 





Briefkasten 


0. H. in Or. Wenn die rechte Hand 
an Stelle der linken treten soll, dann 
müssen die Saiten in umgekehrter Reihen 
folge aufgezogen werden. In vorliegendem 
Falle kann diese Umstellung insofern nicht 
in Betracht kommen, weil der Zeigefinger 
auf dem Bogen als Hauptfunk tionär und 
Führer nicht fehlen darf. Wir raten Ihnen, 
die richtige Haltung beizubehalten, mit 
dem kleinen Unterschied, daß die linke 
Hand etwas hinter den Sattel zu stehen 
kommt, um den Mittelfinger dann als 
x. Finger benützen zu können. Dies gilt 
für die erste Lage; in den andern Lagen 
wird sich der Schüler auch ohne den ersten 
Finger freier und leichter bewegen. 

A. P. Wir werden Ihrer bei der Neu- 
verteilung der Rezensionsexemplare ge- 
denken. 

B. B., H. Sehr gern, wenn Sie uns mit- 
teilen wollen, ob Sie Abonnent unseres 
Blattes sind. 

Parsifal. Wir werden die Angelegenheit 
jetzt definitiv erledigen. Es war zurzeit 
keine Gelegenheit für den Aufsatz. 

A. Z. Von Literatur nennen wir Ihnen 
O. Elben, Der volkstümliche deutsche 
Männergesang und seine Geschichte. Das 
Werk ist aber schon 1887 erschienen und, 
soviel wir wissen, vergriffen. Schade, 
Der deutsche Männergesang {Kassel 1903). 
Dann käme das Handbuch für Manner- 
gesangvereine in Betracht, das bei Leuckart 
in Leipzig erschienen ist. Zu empfehlen. 
— Ueber die Musikgeschichte lesen Sie 
im heutigen Hefte. 

R. B. Chöre aus älteren Opern sind in 
einer Sammlung von Josef Anton Mayer 
im Verlag von Zumsteeg in Stuttgart er- 
schienen. Wegen Chören aus neueren 
Werken wenden Sie sich an Breitkopf & 
Härtel in Leipzig, oder an den Verlag von 
Bote & Bock in Berlin. 

Führer durch die KU Vierliteratur. Auf 
den „Notschrei“ im Briefkasten antwortet 
Prof. Otto Urbach in Dresden : „Hier liegen 
die wertvollen Bände aus der Kgl. Biblio- 
thek, Barbieri, Van der Straeten, Pedrell 
und Morphy, aber eine nicht geringe 
Schwierigkeit ist, und zwar auch für den 
Kenner der Sprachen, daß der erste in 
Spanisch, der zweite in Französisch und 
der dritte in Spanisch und Französisch 
geschrieben ist. Dazu schreiben sowohl 
Van der Straeten wie Pedrell ein gelehrtes 
Französisch mit Ausdrücken, denen selbst 
gebildete Franzosen ratlos gegenüberstehen. 
Die altspanische Musik ist lange unter- 
schätzt worden und ich selbst bin erst 
anderer Meinung geworden, als ich stau- 
nend die wunderbare Kirchenmusik eines 
Moraläs durchspielte. Vor allein aber war 
auch die nötige Stimmung für die wich- 
tige Arbeit nicht vorhanden. Ihr Not- 
schrei soll nicht ungehört verhallen 1 Ich 
werde den spanischen Aufsatz allen an- 
deren voranstellen.** Wir danken Herrn 
Urbach auch im Namen unserer Leser für 
die freundliche Auskunft. 


Kompositionen 

(Redaktlonsschluß am 27. November.) 


W. B., Hldt. Ihre Lieder lassen in satz- 
technischer und orthographischer Hinsicht 
manches vermissen, bedürfen also der 
Korrektur.. Aber auch ohne diese Mängel 
würden sie ihren dilettantischen Cha- 
rakter nicht verleugnen können. Erfreu- 
lich wirkt der frische Zug darin. 

G. Sch., Tr — an. Einen rätselhaften 
Ausgang nimmt die nicht übel deklamierte 
„Botschaft“ in der eigentümlichen Rück- 
kehr nach e moll. Abonnent ? 

M. W. Es erscheint uns unklar, was 
Sie unter dem altdeutschen Volkston 
Ihrer Lieder verstehen. Der ganze Habitus 
verrät nichts Altertümliches, weder in 
Melodie noch Harmonie. Nur ein ge- 
wisser nüchterner Zug spricht daraus. 
Im übrigen sind die Vertonungen mit 
gutem Geschick behandelt. 

M. P— old, A — a. Die ruhelose und 

dabei etwas prätentiöse Chromatik Ihrer 


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Friedrich Hietuch«, Randglossen zu 
Bizets „Carmen“. Im Aufträge 
des Nietzsche Archivs heraus - 
gegeben von Dr. Hugo Dafiner. 
In Pappeinband . . . . M. 1. — 
Band 2. 

Prof. Dr. Arthur Saldi, Die Heller- 
auer Schulfeste und die Bildungs- 
aoatalt Jaques-Dalcroze. Mit 16 
Kunstbeilagen. In Pappeinband 
M. 1.50 

Band 8. 

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Spiel der Beethovenschen Klarier- 
werke. Herausgegeben von Dr. 
Bug an Schmitz. Mit 1x4 Noten- 
beispiekn. In Pappeinband M.2. — 
Band 4. 

Prof. Aug. Weweler, Ave Mttsica! 
Das Wesen der Tonkunst und die 
modernen Bestrebungen. In Papp- 
einband M. 2.— 

Band 5. 

Prof. Dr. Arthur Saldi, Moderner 
Geist in der deutschen Tonkunst. 
In Pappeinband .... M. 2. — ■ 
Band 6. 

Albsrt Lortxing, Gesammelte Briefe. 
Herausgegeben von Georg Richard 
Krass. Mit je einer Porträt- und 
Facsimile- Beilage. In Pappeln- 
band M. 8.— 

Band 7. 

Bruno Schuhrain q, Musik und Kul- 
tur. Festschrift zum 50. Geburts- 
tag Arthur Seidls. Mit je einer 
Porträt- und Musik-Beilage. In 
Leineneinband ..... M. 8. — 
Band 8. 

Prof. Dr. Arthur Seidl, Straußiana. 

In Leiaeneinband . . M. 2.50 

Band 9. 

Hans Weher, Richard Wagner als 
Mensch. Mit einer Porträt-Bei- 
lage. In Leineneinband . M. 1.50 
Band 10. 

Otto Hieolai, Musikalische Aufsätze. 
Herausgegeben von Georg Riohard 
Kruse. Mit je einer Porträt- und 
Facsimile- Beilage. In Leinenein-, 
band M. 2. — 

=== Urteile: , -r.«u 

• Hermann Abtndroth: . . , daß Sie 

mit feinem Verständnis wertvolle 
Werke herausgegriffen haben, um sie 
in vornehmer Ausstattung und zu ver- 
hältnismäßig niedrigen Preisen jeder- 
mann zugänglich zu machen. Ich 
beglückwünsche Sie sehr zu Ihrem 
Unternehmen und bin überzeugt, daß 
Ihre Musikbüdherei sich rasch viele 
überzeugte Freunde erringen wird." 

Prof. Iwan Knorr : „Das Ziel, das 
Sie sich durch die Herausgabe der 
, Deutschen Musikbücherei 1 gestellt ha- 
ben, muß ja jedermann höchst er- 
strebenswert erscheinen und die Art, 
wie Sie Ihre schöne Idee in die Tst 
umsetzen, verdient uneingeschränktes 
tob." 

Prof. loset Pombaur d. J-: „Ihr Werk 
ist sehr verdienstvoll, Druck und Aus- 
stattung der Bücher einfach und doch 
vornehm, P.ets äußerst entgegenkom- 
mend. Werde die Werke soviel ich 
kann empfehlen.“ 

Hofrat Prof. Dr. Mag Reger: „Nehmen 
Sie meine besten Wünsche entgegen 
zu einem recht erfolgreichen Gedeihen 
Ihrer so sehr verdienstvollen Idee." 

Dr. Bngon Sohoiti : „Ihre .Deutsche 
Musikbücherei* halte ich für ein außer- 
ordentlich wertvolles Unternehmen, 
namentlich soweit lie schwer zugäng- 
liche und doch wichtige oder wertvolle 
Quellenwerke neu vorlegt. Was Sie 
in dieser Hinsicht schon geleistet ha- 
ben und weiter noch in Aussicht stel- 
len, ist höchster Anerkennung wert. 
Ich habe bisher auch gerne jede Ge- 
legenheit benützt, die schmucken, 
schon durch ihr Aeußeres, sowie ihren 
staunenswert billigen Preis sich em- 
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tiker nach Möglichkeit zu empfehlen. 
Erfolgreiches Weiterarbeiten im glei- 
chen Gebiet wünscht Ihnen “ 

Prof. Goorg Sekumsnn : „Ich linde 
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123 





Mazurka verwischt wieder den günstigen 
Eindruck, den man beim ersten Anblick 
von dem gewandt gesetzten Stück hat. 

A. S. Wolf. Für einen Dilettanten recht 
brave Leistungen. Ihr Talent Ist der 
Förderung wert. 

Hans Hei — «ke. Lied und Polka ver- 
mitteln uns die Bekanntschalt mit einem 
fühlenden Mudkantenherzen. Die ein 
„zerfahrenes Glück“ behandelnden Vier- 
zeiler sind recht rührsam, wie die „Stu- 
dententräume“ vergnüglich sind. Wie 
diese Sachen am besten zu verwenden 
sind, darüber haben wir uns umsonst den 
Kopf zerbrochen. 

E. H „Scheiden“ mutet etwas trocken 
an, wiewohl die Besonderheit der Satz- 
weise für gemischten Chor nicht ohne 
einen gewissen Reiz ist. 

G. A. Ihre Klinge aus der Kinderstube 
sind gut gemeint. Manches, wie die Er- 
innerungen der Großmutter, ist einer 
glücklichen Veranlagung entsprungen. Sie 
sollten sich gründlich mit der musika- 
lischen Formenlehre befassen, damit das 
äußere Gepräge Ihrer Illustrationen noch 
gefälliger werde. 

Jugend. Ihre Liedchen für die Aller- 
jüngsten sind zum Teil herzgewinnend. 
Manche stehen den Klnderliedern von 
Dleffenbach-Kem wenig nach. Einem 
Pädagogen, der so glücklich veranlagt ist, 
darf man aufrichtig gratulieren. 

■ J. Th. A., L — b*rg. Ein achtungs- 

wertes, reiches Können, das aus Ihren 
Uedem spricht Ihre schwelgerische 
Phantasie tut mitunter ln alterierten 
Klängen des Guten zuvieL Es fehlt nicht 
atr Unklarheiten. Daß Sie befähigt sind, 
mit einfachen diatonischen Mitteln recht 
Brauchbares und Schönes zu gestalten, 
beweisen Sie des öfteren. 

F. F. Dr. Ein flotter Könner, dem 
man wünschen möchte, daß er seine 
virtuose Technik am Klavier beim Ge- 
stalten der Ideen mehr in den Hinter- 
grund stellt; denn es ist nicht gut, wenn 
dfe Kunst der Fingerfertigkeit allzusehr 
über den Eingebungen des Gemüts do- 
miniert. Technisches Raffinement ver- 
mag ein geübtes Ohr über die Blässe der 
Gedanken nicht hinwegzutäuschen. Ob 
Ihre Arbeiten druckreif sind? Ja und 
nein. 




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deutsch« Haut geschrieben, in dem Grleg längst eine bleibende Stätte ge- 
funden. Der in Amerika hochgeschätzte und auch in Deutschland gut be- 
kannte Verfasser, der Grleg sehr nahe stand, hat es verstanden, eine aus- 
gezeichnete Darstellung über Grleg* Leben, seine Persönlichkeit und seine 
Werke nach einwandfreien Quellen zu geben; Orieg selbst hat nach einem 
Im Vorwort abgedruckten Brief die Korrekturbogen gelesen. Gens besonders 
wird auch das übersichtlich gehaltene 17.tsmztl.eh. Verzeichnis der Kom- 
positionen Griegz begrüßt werden. Die Lasersdhe Uebersetzung ist flüssig 
tmd leicht lesbar. — In dieser Biographie Ist alles verfügbare Material 
benutzt worden, es wird daher Tausenden von Freunden Gtiegs ein tment- 
behrüches Nachschlagebuch sein. 

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(Besprechung in dieser Nummer) 

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von 

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op. 86. Causeries muslcales 

No. i. Idylle sur le lac M. i. — 

„ a. Sdrt iade passionnde . . . „ r, — 

„ 3. Moment musical „ 1.30 

„ 4. Scherzino 1. — 

„ 3. Canzonetta „ 1.30 

„ 6. Agitation r. — 

Op. es. Pages intimes. I. S£rie 

No. 1. Simple Melodie ...... M. x.30 

» a. Heure solitalre. Nocturne „ 1.30 

n 3- Aspiration . „ 1.30 

p» 4* Arabesque 1.30 

h 3. Cavalcade. Quasi Tremolo „ x.30 

op. so. Pages intimes. II. Strie 

No. 6. Rfponsca d'amour . . . . M. 2. — 

„ 7. Souvenir lointain „ 1.30 

„ 8. R<ve 1.30 

„ 9. Joie intime 1.30 

„ ro. Noces du Chasseur . . . . „ 1.30 

Verlag von Carisch Ulrichen 

Mailand u. Leipzig, Egelstr. 8. 


Verantwortlicher Redakteur: Oswald Kühn in Stuttgart. — Druck und Verlag von Carl Orümnger in Stuttgart. — (Kommissionsverlag in Leipzig: P. Volckmar.) 


















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Infinit * Experimente auf der italienischen Opemszene. (Giordano, der Novellist. — Der Strauß des Südens.) — Zur Kunstästhetik unserer Zeit. I. Inhalt und 
111 11 dl l . p orm jn der Musikästhetik. — Wie ein „Walter“ entsteht. Plauderei in Briefen an eine Freundin. (Schluß.) — Die Reichsversicherung als Veralchterln 
eines ganzen Standes. — Unsere Künstler. Friedrich Weidemann. Paula Windheuser. Zwei hervorragende Mitglieder der Wiener Hofoper, biographische Skizzen. — 
„Grand Opera in Engllsh.“ — Richard-Strauß-Feste. (Berliner Oper. Die „Deutsche Motette“. Kattowitz.) — Berliner Opernbrief. — Von der Münchner Hofoper. 
Gluck-Duncan. Klenaus „Sulamith“. — Boris Godunow in Breslau. — Kritische Rundschau: Baden-Baden, Königsberg i. Pr., Meiningen. — Kunst und Künstler. — 
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Experimente auf der italienischen 
Opernszene. 

(Giordano, der Novellist. — Der Strauß des Südens.) 

I m „Teatro del Verme", vor der zweiten Opembühne 
Mailands. Auf dem Programm stehen „Mese Mariano“, 
ein neuer Einakter von Umberto Giordano, und die viel- 
umstrittene „Cassandra“ des Vittorio Gnecchi. 

Giordano: der einzige Italiener ohne rechtes Theater- 
blut, dem ich je begegnete. Die krassen Situationen, 
die seine früheren Werke, die „Mala Vita", der „Andrea 
Chenier", die „Fedora“, die „Siberia“ einschließen, sind 
in Benutzung schlecht haltbarer musikalischer Binde- 
stoffe der Szene aufgeklebt, nicht aus ihrem Wesen hervor- 
gewachsen. Ein Novellist, kein Dramatiker. Mit der 
an sich sehr sympathischen Absicht zur Vereinfachung 
der Darstellungsmittel, insonderheit der orchestralen, zur 
psychologischen Feinarbeit. Aber ohne warmen Bühnen- 
athem. Seine „Marcella“, die er ein Idyll nennt, halte ich 
mit für die geschmackvollste Partitur, die seit zwanzig 
Jahren in Italien entstand; nur sind ihre Notenwerte 
zu dünnfarbig hingesetzt, um nicht, vom Kulissenlichte 
bestrahlt, zu verblassen. „Mese Mariano“ verliert sich 
vollends in epischen Windungen und Seitenperspektiven. 
Ein neapolitanisches Weib aus dem Volke schleicht sich 
in ein Kinderasyl, um nach einem Buben zu schauen, den 
sie, ehe sie ein braver, beschränkter Handwerker zu seiner 
Ehefrau machte, als junge lockere Straßenkreatur der 
Großstadt zur Welt gebracht hatte. In einer der mit der 
Pflege der Kiemen betrauten Schwestern erkennt sie 
eine frühere Kameradin und berichtet ihr, einen sich endlos 
dehnenden Quasi-Monolog abhaspelnd, von ihren, Schicke 
salen. Es giebt Erzählungen und Erzählungen auf der 
Szene. Sie können in dramaturgischer Hinsicht ein Meister- 
stück sein, also die Handlung direkt und indirekt kräftig 
vorwärtstreiben, — wie der leidenschaftgeschwellte Bericht, 
den Santuzza der Mamma Lucia giebt. Sie können ein 
Stück umbringen, im Sande verlaufen lassen. So bei 
Giordano. Das geschäftige instrumentale Hin und Her 
wird zur Buchmusik; die vielen kleinen, mit aller Liebe 
geformten, unaufdringlich geistvoll hingesetzten Einzel- 
heiten zerflattem. Schließlich erfährt der Zuhörer, das 
Kind sei gestorben; der Mutter verschweigt man es unter 
halbwegs glaubwürdigen Vorwänden. Wechselweise von 
Furcht und Hoffnung bewegt verläßt sie das Asyl. Die 
Gardine schließt sich. Wieder einmal sollte der Versuch 


gemacht werden, einen Ausschnitt aus dem Leben mög- 
lichst wahrheitsgetreu dialogisch abzuschüdem. Vergeb- 
liches Bemühen: die Bühne will verdichtetes Geschehen. 
Will es erst recht im Musikdrama, Denn jeder gesungene, 
jeder gespielte Ton verlangsamt den Ablauf eines szenischen 
Vorganges. Und gerät vollends eine lyrisch zartfühlende 
Novellistenseele an einen derbriechenden Stoff, so er- 
eignet sich ein doppeltes Unglück. 

Ein dreifaches ist im Werden: unser Komponist arbeitet 
an einer „Madame sans gene“. Er bleibt also in der Halb- 
weltsphäre, in der er sich mit Pucdni und Mascagni be- 
sonders wohl fühlt. Zum Episch-Bühnenwidrigen jedoch 
tritt noch das Spielerisch-Anekdotische. Der Napoleon 
des Pfennigblatt-Feuilletons sieht sich schließlich auch 
auf Notenlinien gesetzt. Das giebt wieder ein leckeres 
Fressen für die deutschen Hofbühnen! 

* * 

* 

Giordano tönt hellblau in lichtgrau und lichtgrau in 
weiß ab. Gnecchi schleppt alle Farbenkübel heran, 
deren einer, der Bescheid weiß, überhaupt habhaft werden 
kann: verdische, meyerbeerische, wagnerische, straußische. 
Kein Zweifel: seine „Cassandra“ steht von der Bühnen- 
welt Richard Straußens nicht allzu weit ab und berührt 
sich mit der „Elektra“ in Stimmungsanklängen, die mehr 
besagen als zufällige Aebnlichkeiten motivischer Bildungen. ' 
Auf das Eine und auf das Andere hin wollten oberflächliche 
Skribenten und Musiker Strauß den Prozeß machen, indem 
sie aus der Tatsache, daß die Uraufführung der „Cassandra“ 
zu Bologna vier Tage vor der Dresdner Uraufführung 
der „Salome“, also zu einer Zeit stattfand, da Strauß 
noch keine Note der „Elektra“ zu Papier gebracht hatte, 
allerhand schiefe Folgerungen zogen. Ein aufgeregter 
italienischer Jüngling verstieg sich soweit, Strauß offen 
bewußter Entlehnungen zu bezichtigen. Abwehr und 
Gegenbeschuldigung blieben nicht aus. Eine Weile wurde 
hin und her geschossen, wobei man die Empfindung hatte, 
daß beide Teile daneben trafen, bis dann, ungefähr mit 
dem Erscheinen des „Rosenkavaliers", die Polemik sacht 
in sich zusammensank. 

Ein schweres Stück, sich in der Partitur der „Cassandra“ 
bei erstmaligem Hören bis' in alle Winkel zurechtzufinden! 
Denn sie ist so toll überladen, ist beim Zusammenwirken 
von Solostimmen, die vorwiegend in exponierten Lagen 
Akzente auf Akzente häufen, von einem außerordentlich 
stark besetzten, mit massiger leitmotivischer Technik 
vorwärts keuchenden Orchester, von gegen und durch- 
einander geführten Chören so monströs, daß. der Dirigent 
bald hier bald dort aufs entschiedenste abdämpfen muß. 


125 






um die Verständlichkeit des Ganzen einigermaßen zu 
wahren. Natürlich wird durch dieses Abdämpfen der 
thematisch-architektonische Linienzug nicht selten ver- 
wischt. Dennoch brachte auch die unter derartig er- 
schwerenden Umständen vor sich gehende Prüfung der 
Sachlage die erwünschte Klarheit. Hinter Beiden, die im 
Vollgebrauch moderner Mittel um altgriechische Tragik 
werben, hinter Strauß wie hinter Gnecchi steht Richard 
Wagner: der Wagner der „Götterdämmerung“ mit den 
kolossalen Zusammenballungen und Entladungen. Auf 
ihm fußt Strauß in der Erfindung der tragenden Ton- 
gedanken, in ihrem Verkoppeln und Aufeinanderprallen- 
lassen, in einem sich immer persönlicher gestaltenden 
Ausbreiten aufhöhender und zugleich psychologisch ab- 
stufender Koloristik. Und Gnecchi war es beschieden, 
mit jugendlicher Begeisterung und ungewöhnlicher An- 
passungsfähigkeit vom konstruktiven Prinzip des späteren 
Wagner mehr zu erfassen als irgend einer seiner kompo- 
nierenden Volksgenossen nach Verdi. Richard Strauß, 
in der „Elektra“ auf der Höhe seines Schaffens angelangt, 
Vittorio Gnecchi, als heißblütig tollkühner Draufgänger 
beim ersten dramatischen Versuch den Bayreuther Meister 
wild überrennend: sie haben bisher in Deutschland und in 
Italien gewissermaßen die äußersten Konsequenzen aus 
Wagner gezogen. Da waren Begegnungen unvermeidlich 

— nun gar innerhalb verwandter antiker Stoffkreise. 
Des weiteren möcht’ ich meinen Kopf dafür verwetten, 
daß Gnecchi, ehe er die Feder ansetzte, die symphonischen 
Dichtungen Straußens eifrig studiert hatte. Behalten wir 
nun im Auge, daß die motivisch-dramatische Sprache der 
„Salome“ und der „Elektra“ im „Macbeth“ und im „Don 
Juan“, im „Zarathustra“ und im „Heldenleben“ allmählig 
vorgebildet wird, daß ferner Strauß, ob er ein Lied, ein 
Instrumentalstück, eine Oper schreibt, ähnlich wie Mozart, 
wie Wagner, wie Brahms und Liszt, sein bestimmtes, oft 
wiederkehrendes melodisches „Handzeichen“ hat, so erklären 
sich die Berührungen im Formellen wie im Substantiellen 
zwischen der „Elektra“ und der „Cassandra" auf ganz 
natürliche Weise. 

In der Erörterung dieses eigenen Falles irrlichterierte 
man bisher an der Oberfläche herum. Man hätte doch 
sonst gewahrt, wie alles, was die zwei Tonsetzer wirklich 
und scheinbar verbindet, vor sie scharf trennenden Mo- 
menten zusammenschrumpft. Damit deute ich auf die 
breite Kluft zwischen sicher büdender Meisterschaft und 
tastend ausprobendem Anfängertüm hin. Damit unter- 
streiche ich, daß Strauß den dekadentenhaft zerquirlten 
Brei, den ihm Hofmannsthal darreichte — man töte diesen 
Hof mannsthal ! — mit Manneshand zu einem festen, über- 
sichtlichen Formgefüge umknetete, während sich Gnecchi 
als ein noch Unbeholfener von den altjüngferlichen Red- 
seligkeiten seines Librettisten IUica mit fortspülen ließ. 
Vor Allem aber ziele ich damit auf die sich in den zwei 
Partituren Takt für Takt kundgebende Verschieden- 
artigkeit des germanischen und des romanischen Gefühls- 
ausdrucks. Strauß bleibt stets Deutscher, auch wenn ihm 
eine sentimentalisierende Trivialität über den Weg läuft. 
Gnecchi mag noch so brünstig dem Aether Shakespeares 
und Wagners zustreben: seine Chor- und Orchester- 
explosionen, sein deklamatorischer, jeweüig im Zickzack 
gebrochener Aufschwung münden fast stets in einigen 
Noten ächt italienischer Emphase aus. Der Berg kreißt 

— und es quillt ein versprengter Tropfen Bellini hervor. 
Das ist keineswegs widernatürlich. Im Gegenteü: es deutet 
auf eine Möglichkeit hin, für die gewißlich begabte, aber 
opportunistische, kleingeistige oder sich in schwächlichen 
Lyrismen erschöpfende Naturen wie die Mascagni und 
Puccini, Leoncavallo und Giordano gar nicht in Betracht 
kamen: mit einer der Sonderart des romanischen Genius 
gemäßen Verwertung und Umbildung wagnerischer Kunst- 
gedanken auch in Italien wieder zum großen 
Styl der Musiktragödie zu gelangen. Ich 
sage: Möglichkeit. Nicht mehr noch minder. Mit all’ 

126 


ihren Fehlern und Ausschreitungen ist die „Cassandra“ 
nach dem „Othello“ Verdis endlich wieder ein südlich 
der Alpen unternommener Versuch, in dem sich ein durch- 
aus idealer Wille zum ernsten Tondrama entschieden aus- 
spricht. 

Freilich, weshalb verstummte Gnecchi seit neun Jahren ? 
Hat nur der Lenz für ihn gesungen und revolutioniert? 
Oder gährt in seiner Werkstatt Neues, mit mehr Besonnen- 
heit Abgewogenes, durch ? Gleichviel: eröffnet erst Jemand 
einen neuen Weg, so treten bald Andere in seine Fuß- 
tapfen. Für das Entwicklungsganze bleibt es gleich- 
giltig, wer es ist, der dann in der aufgefundenen Richtung 
kraftvoll und zielfreudig weiterschreitet. Dem Wieder- 
erwachen eines großzügigen italienischen Patriotismus 
kann das Wiedererwachen einer ideal gerichteten ita- 
lienischen Kunst folgen. Paul Marsop. 


Zur Kunstästhetik unserer Zeit. 1 

I. Inhalt und Form in der Musikästhetik. 

Von Dr. PAUL RIESENFELD (Breslau). 

B eim Rückblick auf alle die Arbeiten, die ich der 
Aesthetik der Tonkunst gewidmet habe, wird mir 
das Streben deutlich, die scheinbare Gegensätzlichkeit von 
Inhalt und Form in einer höheren Einheit aufzuheben. 
Zwei Richtungen sind klar zu erkennen: Hanslicks und 
seiner Anhänger „Musik als tönend bewegte Form“ — die 
tyrannische Herrschaft der rein formalen Schönheit über 
die Freiheit der Idee — und Fr. v. Hauseggers, Seidls und 
vieler andern modernen Aesthetiker „Musik als Ausdruck“, 
„Musikalisch-Erhabenes“ — die maßvolle Herrschaft des 
Charakteristischen, Wahren über die Machtgelüste der 
Tonarithmetik. Die Ausdrucksmusiker haben größeres 
Daseinsrecht, weil sie nicht tyrannisch die Vormacht der 
Idee vertreten, sondern nur verlangen, daß im Kunstwerk 
sich Idee und Gestaltung decken; die Kongruenz von 
Ausdruck und Eindruck ist unsere wichtigste Forderung. 
Wir nennen ein Kunstwerk desto schöner, je kleiner der 
Rest ist, der beim Aufgehen des Planes in der Ausführung, 
des Innern im Aeußem, des Inhalts in der Form übrig 
geblieben ist. 

Will ein Komponist — ich denke da an Berlioz in der 
Künstlersymphonie — den Rausch eines ekstatisch füh- 
lenden und schaffenden Menschen in Tönen darstellen, so 
möchte ich den Enthusiasmus mit regster Teilnahme mit- 
fühlen: will er eine Beschwörung in musikalischen Sinn- 
büdem zum Ausdruck bringen, so sehne ich mich danach, 
des Künstlers Vision mitzuerleben und die Geister, die er 
rief, nicht mehr loszuwerden. Gelingt das dem Kom- 
ponisten, dann mag seine Musik im Sinne der ewig-vor- 
gestrigen Aesthetiker „häßlich" sein, für mich ist sie den- 
noch „schön“. Das ist im Grunde nichts anderes als ein 
Ergebnis, das dem Wanderer durchs ästhetische Gebiet 
auf empirischem und induktivem Wege unaufhaltsam und 
zwanglos entgegenkommt. So ging es mir selbst in meinem 
musikästhetischen Erstling über „Programmusik“. Darin 
steht das scheinbare Paradoxon „die Schönheit der Häß- 
lichkeit“. Verständlich wird es beim Vergleich mit einem 
kleinen Zwiegespräch, das neulich irgendwo abgedruckt 
war. A. sagt zu B. : Meine Bulldogge ist doch viel schöner 
als deine; deine ist nämlich furchtbar häßlich. B.: Na 
also, da ist doch meine die schönere. 

1 Unter diesem Sammeltitel wird jetzt die „N.-M.-Ztg.“ eine 
Reihe von Aufsätzen bringen. Auf den Artikel von Alfred 
Wolf „Zur Aesthetik der Progranunusik“ (Heft 4) sind ver- 
schiedene Antworten eingelaufen. Die „Konfusion“ in den 
musikästhetischen Fragen unserer Zeit scheint weiter zu be- 
stehen. Vielleicht bringen die Aufsätze an dieser Stelle Klar- 
heit. Wir nennen davon: Heinz Thiessen, Grundfragen in der 
Aesthetik der Programmusik; Dr. Alfred Schüz, Das dop- 
pelte Gehör. Red. der „N. M.-Ztg.“ 



B. hält seinen Hund für den schöneren, weil er mehr 
Rasse und Charakter zeigt, weil er mehr ausdrückt, nämlich 
dis „Schönheit seiner Häßlichkeit", die Eigenart seines 
Wesens, stärker zum Ausdruck bringt. Aehnliches meinte 
Max Eiebermann, als er einmal in der „Neuen Rundschau" 
schrieb: „Wir nennen Bismarcks Handschrift schön, weil 
sie charakteristisch ist.“ In die Reihe solcher Zitate gehört 
auch der folgende, gegen Schiller gerichtete Satz von Otto 
Ludwig: „Schönheit der Sprache am Unrechten Ort wird 
zum Fehler und damit zur Unschönheit.“ Aehnlich verhält 
es sich mit der Tonsprache. Auch da darf das „Musikalisch- 
Schöne“ nur dort vernehmbar sein, wo es hingehört. 
Die Grundfrage ist immer, ob und wie der Maler oder 
Bildhauer, Wort- und Tondichter die Absicht, die ihm 
vorschwebt — das Ideale — durch die Mittel der Form — das 
Reale — , verwirklicht. Etwas Abstraktes erfüllt ihn, 
dessen er sich durch Konkretes — Farben, Linien, Töne — 
zu entäußem strebt. Darum darf nicht das, was ein Kom- 
ponist soll, sondern was er will, unserem Urteil zunächst 
die Richtung geben. Der Wille des Künstlers soll unsere 
Vorstellung werden, und nur der Grad, in dem es ihm 
gelingt, uns in die Welt seiner Phantasie einzuführen, 
bedingt den Wert seiner Schöpfung. Des Künstlers Wunsch 
ist seinen Mitteln Befehl, wir dürfen ihm nichts erlauben 
oder verbieten. Denn im Reiche der Töne herrscht auto- 
kratische Verfassung; der Komponist verordnet dem 
schwarzen Volke der Noten die harmonischen und rhyth- 
mischen Gesetze. 

Diese nachgerade selbstverständlichen und darum schon 
fast trivialen Gedanken kamen mir und vielen andern 
bereits vor langer Zeit. Jetzt finde ich sie in einem Buche, 
wo sie aller Trivialität bar sind, weil sie sich nicht feuille- 
tonistisch und aphoristisch geben, nicht tändelnd an der 
Oberfläche hinschweben, sondern fest in die Tiefe eines 
Systems eingerammt sind: als die Säulen zur Stütze eines 
viel- und weiträumigen, ebenso wissenschaftlichen wie 
künstlerischen Gedankenbaues. Es ist das im Groteschen 
Verlage herausgekommene Werk in zwei Bänden mit dem 
Titel „Das Wesen der Kunst “ ; sein Verfasser ist Dr. Konrad 
Lange, Professor der Kunstgeschichte und Aesthetik an 
der Tübinger Universität. 

Ich lese da gerade im zehnten Kapitel des ersten Bandes 
über „Die Form“. Lange wagt natürlich nicht den törichten 
Versuch, die Wichtigkeit der Form zu bezweifeln; er be- 
zeichnet sie als das Elixir, durch das der Künstler die 
tote Materie für die Anschauung zum Leben erweckt, 
aber er hält es ganz mit Recht für einen groben Irrtum der 
Formästhetiker, das Geheimnis des Schönen in der Form 
als solcher zu erkennen. Er leugnet auch nicht die durch 
rein formale Mittel erzeugte, absolut sinnliche Wirkung, 
an die sich kein weiterer psychischer Vorgang anschließt. 
Auch wir „modernen Musiker“ haben ja nie in Abrede 
gestellt, daß es wertvolle Musik gibt, die nur ein reizvolles 
Tonspiel sein will und allein der Lust, in Klangformen zu 
fabulieren, entspringt. Aber die Nichtsalsformalisten sollten 
doch beherzigen, daß einer der bedeutendsten Musikschrift- 
steller der Gegenwart, Prof. Hermann Kretzschmar, das 
famose, fein ironische Wort „Gehörskat“ geprägt hat. 
Lange bestreitet gar nicht, daß man an einem vollen und 
weichen Ton schon an sich Freude haben kann, daß be- 
stimmte Farben- und Tonzusammenstellungen schon an 
sich, ohne Beziehung zu irgend etwas, was sie bedeuten, 
Lust erregen können. „Die harmonisch abgestimmten 
Töne einer Aeolsharfe, in die der Wind bläst, sind in ihrem 
Zusammenklang ein für uns sinnlich angenehmes Geräusch. 
Die Töne einer Beethovenschen Symphonie klingen zwar 
auch harmonisch zusammen, regen uns aber außerdem 
zu einer Stimmung an. Daraus ergibt sich nun sofort die 
Ueberlegenheit der illusionistischen Reize über die rein 
sinnlichen.“ Darum betrachtet es Lange mit Recht als 
eine niedere Wirkung, wenn zum Beispiel in einem bunten 
Teppich die Farben bloß als Elemente eines reizvollen 
harmonischen Ensembles zusammenklingen, „während sie 


beim Bilde außerdem noch im Sinne der Raumillusion 
wirken, bestimmte Stoffe charakterisieren, das Geschlecht, 
den Charakter, den Ausdruck des Menschen anzeigen“. 
Nutzlos ist es jedoch in abstracto über die schönsten Farben- 
zusammenstellungen zu theoretisieren, es kommt vielmehr 
immer darauf an, was der Künstler mit seinen Farben sagen 
will, stets handelt es sich darum, daß eine Farbenkompo- 
sition gerade an der Stelle, wo sie steht, das wirklich aus- 
drückt, was der Künstler damit ausdrücken will. Also 
auch Lange hält es nicht, wie er in der Einleitung bekennt, 
für seine Aufgabe, „der Kunst von obenher Gesetze zu 
diktieren, die gar keine sind, sondern nur die in ihr selbst 
liegenden Gesetze möglichst genau zu erforschen“. Sein 
ästhetisches System leitet er von den Kunstwerken selbst 
ab, die er nicht als spekulativer Philosoph, nicht als 
metaphysischer Haarspalter, sondern als Kunsthistoriker 
mit echtem Kunstverstand betrachtet. So kommt es 
auch, daß seine Kunstlehre allgemein verständlich ist, 
während die scholastische Aesthetik sich meist einer Ge- 
heimsprache bedient hat, die nur wenigen Eingeweihten 
verständlich ist. Lange schreibt sogar sogenannte „Selbst- 
verständlichkeiten“, um auch einen ästhetisch unmündigen 
Leser von der Einfachheit der künstlerischen Gesetze zu 
überzeugen. Der eigenartige Reiz des Buches besteht 
gerade in dem reichen Material an leichtfaßlichen, jedem 
naheliegenden Beispielen zum Zwecke scharfsinniger Ver- 
gleiche und Schlüsse und besonders darin, daß der Ver- 
fasser die gesamte Kunst in das Bereich seiner Betrach- 
tungen zieht. Die andern Aesthetiker vernachlässigen 
gewöhnlich die Musik bei ihren Untersuchungen fast ganz, 
weil sie sich selbst für zu unmusikalisch halten, um. sich 
an die Aesthetik der Musik heranzuwagen, oder wenn sie 
es dennoch riskieren,, infolge ihrer Musikfremdheit die 
Tonkunst meist zu kurz kommen lassen und sich mit 
Kinderschuhen statt mit leicht beschwingten Flügeln durchs 
Reich der Töne bewegen. Lange dagegen weist der Musik 
keine Sonderstellung an, er zeigt vielmehr, daß ihre ästhe- 
tische Artung dem allgemeinen Wesen der Kunst durchaus 
entspricht, sobald man sie nur von seinem hohen Stand- 
punkt aus beurteilt. 

In des Verfassers „realistischer Kunstlehre“ ist die 
„Illusion“ der rote Faden, mit dem die andern Fäden 
des feinen Gedankengespinstes verknüpft sind. Langes 
„Illusion“ bedeutet dasselbe wie die für die Entstehung 
von Kunstgenüssen unerläßliche „bewußte Selbst- 
täuschung“, die der Verfasser schon in seiner Tübinger 
Antrittsvorlesung vom Jahre 1895 als den „Kern des 
künstlerischen Genusses“ bezeichnet. Wenn Lange vor 
den Augen seiner Leser mit scharfsichtiger und sicherer 
Dialektik diesen Kem aus der Hülse schlüpfen läßt, so 
erstreckt sich seine Arbeit nicht bloß auf die bildenden 
Künste und die Poesie, sondern er berücksichtigt auch 
die Rezitation, die Schauspielkunst, den Tanz und ganz 
besonders die Musik. Man bereichert sich also durch die 
Lesung des Langeschen Buches um die wichtige Erfahrung, 
daß es sehr wohl möglich ist, die Musik im Zusammenhang 
mit den andern Künsten zu behandeln, und daß man ihr 
unrecht tut, wenn man dem Wesen ihrer Aesthetik mit 
andern Werkzeugen auf den Grund geht als mit denen, 
die bei der Erforschung der übrigen Entäußerungen des 
künstlerischen Schaffensdranges Anwendung finden. Als 
konsequenter Verfechter dieser Lehre von einer sämtlichen 
Künsten gemeinsamen ästhetischen Grundlage muß Lange 
das, was er von der Farbenschönheit behauptet, auch auf 
die Tonästhetik übertragend Er schreibt in dem Kapitel 
„Die Form“, mit dem ich mich hier befasse, wenngleich 
noch mancher andere Abschnitt des Werkes für alle Leser 
von großem Interesse wäre, die folgenden Sätze: „Die 
Dissonanz kann nur vom Standpunkt des Ausdrucks, 
d. h. der Illusion, erklärt werden. Sie ist einfach 
deshalb berechtigt, weil das, was die Musik ausdrücken 
soll, auch einen dissonanten Charakter haben kann. 
Eine Harmonie ist natürlich in erster Linie deshalb schön, 


127 



weil sie sinnlich reizend ist. Schön kann aber auch eine 
Disharmonie sein, wenn sie nur an der Stelle, an der sie 
steht, etwas bedeutet. Es ist natürlich müßig, darüber 
zu streiten, ob uns an der modernen Musik mehr der sinn- 
liche Reiz oder die Ausdrucksfähigkeit gefällt — sicher 
ist nur so viel, daß Harmonie sowohl wie Disharmonie in 
denDienstdesAusdrucks gestellt werden können, 
während doch von beiden nur die Harmonie als sinnlicher 
Reiz aufgefaßt werden kann. Und wenn wir nun sehen, 
daß das, was die moderne Musik mit derjenigen Bachs 
und seiner Zeitgenossen oder gar der griechischen Musik 
gemein hat, nicht der Reiz bestimmter harmonischer For- 
men, sondern ihre Ausdrucksfähigkeit ist, wenn wir endlich 
zugeben müssen, daß dies allein die Musik mit allen andern 
Künsten verbindet, so haben wir wohl das Recht, daraus 
zu schließen, daß das, was die Musik zur Kunst macht, 
eben ihre Fähigkeit ist, Illusion zu erzeugen. Wenn wir 
heutzutage bei klassischen Kompositionen den Ausdrucks- 
gehalt vielleicht weniger stark empfinden, dafür aber um 
so stärker die strenge gebundene Form, so dürfen wir 
daraus nicht schließen, daß die klassischen Meister eine 
Formkunst, die modernen dagegen eine Kunst des Aus- 
drucks hätten schaffen wollen. Denn auch für jene war 
die Form ein Mittel des Ausdrucks. Das geht schon daraus 
hervor, daß viele von ihnen bei ihrem ersten Auftreten 
wegen ihrer Rücksichtslosigkeit gegen die hergebrachten 
Formen, wegen des Lärms, der Disharmonien ihrer Musik 
verspottet worden sind. Es wäre deshalb falsch, den Aus- 
drucksgehalt ihrer Kompositionen nach unserem modernen 
Gefühl, das durch viel stärkere Mittel der Illusionserzeugung 
verwöhnt worden ist, zu beurteilen.“ 

Von den höchst feinsinnigen Ausführungen über Rhyth- 
mus und Tanz und deren Beziehungen zur Musik erwähne 
ich bloß die eine für Langes Theorie wieder sehr charakte- 
ristische Behauptung, daß der Rhythmus — „die wich- 
tigste Form, deren sich die Musik bedient“ — erst dann 
ein ästhetischer Reiz wurde, als er in den Dienst 
des Ausdrucks zu treten anfing. ( Jaques-Dalcroze !) 

In diesem Zusammenhang darf nicht unerwähnt bleiben, 
wie sich Langes Auffassung der Aesthetik zur Melodie 
stellt. „Auch in Bezug auf die Melodie ist der Unter- 
schied von der modernen zur klassischen Musik nicht der, 
daß diese durch die Form, jene durch den Ausdruck zu 
wirken suchte. Die Tendenz auf den Ausdruck haben 
vielmehr beide. Nur sucht sich die moderne unendliche 
Melodie dabei mehr dem allmählichen Verlauf der Gefühle, 
wie er sich in Wirklichkeit entwickelt, anzupassen, während 
die klassische abgeschlossene Melodie den Anspruch, auch 
in dieser Beziehung die Wirklichkeit wiederzugeben, gar 
nicht macht.“ Da Lange die Lust am sinnlichen Wohl- 
klang der Töne für ebenso berechtigt hält wie die Lust 
an der Illusion, stellt er nur fest, daß die Anhänger der 
klassischen Richtung die Musik mehr als Erzeugerin an- 
genehmer und gewohnter Tonfolgen, die der modernen 
mehr als Erzeugerin von Vorstellungen und Gefühlen 
auffassen, und glaubt geschichtlich feststellen zu dürfen, 
„daß die Entwicklung sich im großen Ganzen mehr in der 
Richtung auf den Ausdruck als auf die schöne Form voll- 
zieht, woraus sich ebenfalls eine gewisse Superiorität des 
Ausdrucks zu ergeben scheint“. Daran schließt Lange 
noch die folgende, sehr beachtenswerte Bemerkung: „Ich 
sage das, obwohl ich für meine Person die klassische Musik 
höher schätze als die moderne. Vielleicht ist das deshalb 
zu erwähnen nicht überflüssig, weil daraus hervorgeht, 
daß sich meine Theorie weniger auf Grund meines persön- 
lichen Geschmacks als aus logisch-psychologischen Er- 
wägungen entwickelt hat.“ 

Die letzten Aeußerungen sind nicht bloß Zeugen für die 
vorurteilslose, charaktervolle Denkart einer aufrichtigen 
Persönlichkeit, sondern tragen auch mit dazu bei, daß in 
dem Kampf zwischen den beiden Parteien, deren Führer 
Hanslick mit der zerschlissenen Fahne des „Musikalisch- 
Schönen“ und Fr. v. Hausegger mit dem makellosen 

128 


Banner der „Musik als Ausdruck“ sind, der Sieg von einem 
unbefangenen Schiedsgericht unbedingt der „modernen“ 
Gruppe zuerkannt werden muß. An den Gegensätzen der 
beiden feindlichen Lager kann auch Lange nicht Vorbei- 
gehen und bestimmt deshalb seine Stellung dazu in dem 
Kapitel von der „Gefühls- und Stimmungsillusion“. Bei 
der Entscheidung in dem Streite der Meinungen zeigt sich 
seine „Illusionstheorie“ in ihrer ganzen Fruchtbarkeit. 
„Denn wenn man von ihr ausgeht, kommt man sofort zu 
der Ueberzeugung, daß beide Parteien sowohl recht als 
auch unrecht haben. Die Lösung des Rätsels liegt eben in 
der Gefühlsillusion. Man hat die Alternative bisher immer 
so gestellt: entweder die Musik ist eine reine Formkunst, 
dann kann sie überhaupt keine Gefühle ausdrücken, resp. 
darstellen. Oder sie kann Gefühle darstellen, dann ist sie 
keine Formkunst, sondern eine Kunst des Inhalts, des 
Ausdrucks. Zwischen diesen beiden Möglichkeiten gibt es 
aber noch eine dritte und das ist die, daß die Musik sowohl 
Form- als auch Ausdruckskunst sei, daß sie durch das 
Mittel der Form Gefühle ausdrücke, daß diese Gefühle 
aber Scheingefühle, Illusionsgefühle seien.“ 

Als Künste der „Gefühls- und Stimmungsillusion“ be- 
zeichnet Lange die Lyrik und die Musik; er stellt ihre Ver- 
schwisterung fest und findet leicht ihre verwandtschaft- 
lichen Beziehungen zur Plastik, Malerei, Schauspielkunst, 
dramatischen und epischen Poesie, die er als Künste der 
„Anschauungsillusion“ bestimmt. Mit dieser zweiten 
Gruppe ist die Musik insofern verbunden, als sie auch eine 
Kunst der Bewegungsillusion ist; denn der Rhythmus 
gilt ja als ein Hauptmittel, dem Gefühl und der Stimmung 
Ausdruck zu geben. Deshalb findet auch die Tonkunst 
Aufnahme im sechsten Kapitel, das sich- mit der „Be- 
wegungs- und Kraftillusion“ beschäftigt. Lange zweifelt 
nicht daran, daß viele Komponisten bei der Erfindung 
ihrer Rhythmen unwillkürlich an Bewegungen denken, wie 
sie uns das außerindividuelle Leben und die Natur in großer 
Menge bieten. In der Vokalmusik ist der Sinn der Worte 
die Richtschnur für bestimmte Vorstellungen. Aber es 
ist durchaus nicht nötig, daß immer eine klare Gesichts- 
vorstellung zugrunde liegt, es kann auch ein unbestimmtes 
Etwas sein, das man sich als bewegt denkt. „Wo die Vor- 
stellung dagegen klar ist, entsteht leicht Tonmalerei oder 
Programmusik, wobei man dann genau weiß, was der 
Komponist sich bei seinen rhythmischen Figuren gedacht 
hat.“ Ein wesentlicher Unterschied zwischen der klassischen 
und modernen Musik scheint dem Verfasser darauf zu be- 
ruhen, daß in jener noch die „angenehmen“ Rhythmen 
überwiegen, während in dieser dem Ausdruck zuliebe 
die „unangenehmen" einen größeren Platz beanspruchen. 
„Die Verschiedenheit des Urteils über die beiden Stile 
erklärt sich einfach daraus, daß manche Menschen durch 
ihre geistige und körperliche Organisation und durch ihre 
musikalische Erziehung mehr darauf eingerichtet sind, die 
Musik mit subjektiver, andere mit objektiver Bewegungs- 
illusion zu genießen. Das Verständnis der modernen Musik 
hängt also davon ab, daß man lernt, die Bewegungs- 
vorstellungen, zu denen ihre oft mühsamen, plumpen, 
schweren, stockenden und gewundenen Rhythmen Ver- 
anlassung geben, von seinem eigenen Körper loszulösen 
und in andere Körper oder andere Wesen, Natur- 
phänomene usw., zu verlegen.“ Bei seiner Verteidigung der 
zeitgenössischen Tonkunst unterläßt es aber der Verfasser 
auch nicht, lauten Uebertreibungen einen Dämpfer auf- 
zusetzen. So dürfen ihn zum Beispiel die radikalen 
Inhaltsästhetiker ebensowenig zu ihren Freunden zählen wie 
die Nurformalisten. Lange behauptet, daß auf dem Inhalt 
das Wesen der reinsten und höchsten Gattung der Musik, 
der „absoluten“ Musik, nicht beruhen kann. „Was man 
in der Vokalmusik Inhalt zu nennen pflegt, ist gar nicht 
der Inhalt der Musik, sondern der Worte, die ihr zugrunde 
liegen. Natürlich müssen sich die Töne dem Charakter 
dieser Worte anpassen. Aber dann beruht doch ihre 
Schönheit nicht auf ihrem Inhalt, sondern auf der An- 



gemessenheit der Form an diesen In- 
halt.“ (II, Seite 87.) Die letzten Worte sind eine be- 
kräftigende, das ästhetische Thema abschließende Variante 
dessen, was ich bereits von Lange, von mir selbst und andern 
zitiert habe. Man erinnere sich zum Beispiel des oben 
angeführten Satzes von Otto Ludwig und vergleiche mit 
ihm Langes Behauptung, daß die Schönheit der Sprache, 
rhetorisches Pathos und erhabene Bilder zum Inhalt und 
zu den Personen, denen der Dichter sie in den Mund legt, 
passen müssen. „In allen andern Fällen empfinden wir 
sie nicht nur nicht als schön, sondern geradezu als häß- 
lich.“ (I, Seite 89.) „Das Schöne ist eben immer das 
Charakteristische“, lese ich im vorletzten Kapitel des 
ersten Buches und höre in diesem Satze den so oft an- 
geschlagenen Grundton des ästhetischen Systems. Schön 
ist nach dessen Verfasser nur dasjenige Kunstwerk, das 
einer gewissen Kenntnis des menschlichen Gefühls und 
seines Ausdrucks in Worten und Tönen, also einem ge- 
wissen Vorstellungsinhalt, entspricht, den man auch beim 
Genuß der Musik voraussetzen muß. „Der Lyriker und 
der Komponist wissen ganz genau, durch welche Worte, 
Gedanken und Töne sie die Stimmung erzeugen können, 
die sie im einzelnen Falle erzeugen wollen. Und auch der 
feinfühlige, rein menschlich empfindende Hörer wird genau 
sagen können, was an einem lyrischen oder musikalischen 
Kunstwerk das Schöne und was das Häßliche ist. Das 
Schöne ist eben der Komplex aller der Eigenschaften, die 
eine Illusion in der Brust natürlich empfindender Menschen 
wecken, das Häßliche alles das, was von ihnen nicht gefühlt 
und genossen wird.“ 

Solche Aeußerungen sind bei Lange nicht etwa nur 
Gedankensplitter, sondern die Balken eines mit bewunderns- 
werter Konsequenz und Energie errichteten Bauwerks. 
Dessen klar struktive Gestaltung hat vielleicht auch auf 
die schlichte, phrasenlose, bisweilen gerade durch eine 
abgeklärte Nüchternheit fesselnde Bildung der Bauformen 
gewirkt. Damit meine ich die Sprache des Buches, die 
Lange gewiß mit Absicht so durchsichtig gemacht hat, 
daß jeder leicht dem Sinn der Worte auf den Grund blicken 
kann. Meinem Empfinden nach könnte sie, dem künst- 
lerischen Stoffe entsprechend, an einzelnen Stellen etwas 
weniger akademisch, dafür aber etwas „dionysischer“ sein. 
Doch das ist eine Angelegenheit des subjektiven Geschmacks, 
durch die Langes Aesthetik auf unserer Wertleiter nicht 
einmal um eine Sprosse erniedrigt werden darf. Zum 
Schlüsse wiederhole ich, daß Konrad Lange das Wesen 
der Gesamtkunst zerlegt; er k ann also die Musik nur inner- 
halb des weitgespannten Rahmens sämtlicher künst- 
lerischen Tätigkeiten behandeln. Ein „Wort- und Namen- 
verzeichnis“ ermöglicht es jedem Musikinteressenten, sich 
bequem über das zu unterrichten, was die Tonkunst be- 
trifft. Zur besseren Würdigung und zum eindringenden 
Verständnis dieser Arbeit ist jedoch die vollständige Lesung 
der beiden Bände empfehlenswert; denn Langes Werk 
befähigt uns zur Beilegung des Streites zwischen Inhalts- 
tmd Formästhetik. 


Wie ein „Walzer“ entsteht. 

Plauderei In Briefen an eine Freundin. 


Von E. SÖCHTING (Magdeburg). 

(Schluß.) 

Wir sind nach der Wiederholung beim letzten Takte des 
Teil I angelangt. Dieser Takt darf jetzt nicht den Schluß- 
akkord (F diu) bringen, sondern die Harmonie desSeptakkordes 
(c e g b ) oder wenigstens dessen Grundton (c), über welchem 
dann die sogenannte Fermate gesetzt wird. Dieser Fermaten- 
takt kann verschieden gestaltet werden, wie Beisp. 34 a — c zeigt: 



Dieses plötzliche Innehalten im Rhythmus oder beliebig 
lange Pausieren aller Stimmen (bis zu einem vollen Takte 
höchstens) entspricht dem Atemholen des Redners vor einer 
bedeutsamen Bemerkung in seiner Rede. 

Wir gestalten den letzten Takt vor der Fermate in der Weise, 
daß Melodie und Baß auf dem ersten und zweiten Viertel die 
Dominante (c) nehmen und dann plötzlich abbrechen, so 
daß die Fermate auf das dritte Viertel oder auf den Takt- 
strich zu setzen wäre, wie Beispiel 35 zeigt: 


85. 


-i j— JF 

fp— E— 3— P= 

1 

r 

1 

• TH 

1 

-E — 

* 

=~f=p 

-MSr 

V * 


=H-* 


Die Coda kann 8, 16, 24 und 32 Takte enthalten, je nach 
Länge und Schwierigkeit der ganzen Komposition. Die Melodie 
der Coda wird durch Sequenzen eines ini Walzer verwendeten 
Motivs oder auch eines beliebigen neuen Themas gebildet 
(am besten eine Achtelfigur, welche dem Schlüsse ein flottes 
Gepräge gibt), so daß dadurch ein schnell dahinfließender 
Gang entsteht, welcher in der Tonika endet und mit einigen 
ihm noch folgenden Grundakkorden abschließt. 

Beispiel 36 zeigt Dir eine 32taktige Coda, deren Phrasen 
aus Motiven des ersten Teils bestehen oder diesen frei nach- 
gebildet sind: 

86. Coda 
Poco vivo 





Phrase III. 

1 I 




129 







m t-£yesc. 




marcato 


:P 




Phrase VI 






tS** 


b'?;' ■«- -» 


f — tr 


Phrase VII 




JL 


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Phrase VIII 


Die Melodie bewegt sich anfangs (Pluase I und II) und auch 
am Schlüsse (Phrase VII und VIII) in der Fdur-Tonart, 
daher ist sie abwechselnd mit dem Tonikadreiklang, Quart- 
sextakkord und Septakkord harmonisiert. In der zweiten 
und dritten Periode (Phrase III — VI) berührt Melodie und 
Harmonie die verwandte Molltonart (dmoll). Der Baß er- 
fährt hier eine selbständige Stimmführung (durch lange Noten), 
indem er von D aus stufenweise aufwärtsschreitet (Takt 9 — 16) 
bis zur Quinte A , mit welchem Tone er den A dur-Dr eiklang 
bildet, um wieder nach dmoll zurückzuleiten. 

In Takt 17 — 24 nimmt der Baß noch einmal den Aufstieg 
vor, diesmal bis zum c, bildet damit den Quartsextakkord, 
darauf das neue Motiv c h d (Takt 23), dasselbe im folgenden 
Takte (24) wiederholend, um sich 3 Takte später (Takt 27) 
in den Hauptseptakkord (Quintsextlage) aufzulösen. Letzterer 
erfährt dann seme (verzögerte) Auflösung in den beiden Schluß- 
akkorden. __ 

Der letzte Takt mit der Pause mußte noch hinzugefügt 
werden, da sonst die letzte Phrase nur aus 3 Takten bestände. 
Wir müssen uns hier den Schlußakkord als über den Takt- 
strich gehalten, denken, so sagt uns das rhythmische Gefühl. 
In obiger Schreibweise bricht aber die Melodie im vorletzten 
Takte plötzlich ab, folglich mußte der letzte Takt mit einer 
Pause ausgefüllt werden. 

Im Gehör haben wir auch noch den tiefen Grundton / aus 
dem ersten Takte der letzten (achten) Phrase, welchen man 
am Klavier auch mit dem Pedal halten könnte. 

So wären wir mit der Erfindung von Motiven und Themen 
für einen länger ausgesponnenen Walzer (sogenannten Valse 
de Concert l * 3 ) am Ende und mit der Notenschrift fertig. Es 
wären nur noch über die dynamischen Verhältnisse (d. h. die 
Bestimmung der Tonstärkegrade) einige Bemerkungen zu 
machen. 


VI. 

Die Dynamik“ ist ein wichtiger Faktor nicht allein im 
musikalischen Vortrage, sondern auch in der gesprochenen Rede. 

Der Redner, Rezitator oder Schauspieler, der eine Rede, 
ein Gedicht in derselben Tonhöhe spricht, der „leiert es ab“, 
wie man zu sagen pflegt. Der Sänger oder der irgendein 
musikalisches Instrument Spielende, der ein Lied oder ein 
Stück in derselben Tonstärke vorträgt, wird bei seinen Zu- 
hörern kein Interesse erregen, - noch weniger einen Beifall 
ernten, weil seinem Vortrage das durch die Dynamik hervor- 

1 Muster für „Konzertwalzer“ wären: Weber: Aufforderung 

zum Tanze; Chopin: Valses brillantes; Rubinstein: Valse 
caprice; Durand: Valses in Es, As, G, F; Söchting: Trois 
Valses de Concert (Es, e moll, A ). 

3 Die Lehre von der richtigen Verwendung der Tonstärken 
beim musikalischen Vortrage. 


zurnfende Lebendige, das uns Ergreifende, die Wärme, der 
Schwung, der Ausdruck fehlte. 

In der gedruckten Prosa und im Gedicht hat man außer 
der Interpunktion keine Merkmale und Zeichen, welche dem 
Vortragenden Hinweise geben, wie diese und jene Stelle vor- 
getragen werden soll. Der Vortragende muß selbst erraten, 
empfinden, aus Selbsterlebtem schöpfen, um seine Darbietung 
wirkungsvoll zu gestalten. Der Inhalt eines Satzes, der einem 
Verse zugrunde liegende Gedanke sagt ihm, daß er hier in 
sanftem, ruhigem, dort in fröhlichem oder traurigem, dort in 
leidenschaftlich erregtem Tone zu sprechen hat. Er muß die 
toten Buchstaben und gedruckten Worte lebendig gestalten, 
als hätte er die zugrunde liegende Handlung selbst erlebt. 
Es stehen ihm dazu zwei wichtige Mittel zur Verfügung: eine 
ausdrucksfähige, biegsame Sprache mit dem Tonfall 1 , sowie 
die Mimik a . 

Von dem Sänger wäre dasselbe zu verlangen, mit dem 
Unterschiede, daß er statt des gesprochenen Wortes 
das gesungene Wort zu seinem Vortrage gebraucht. 

Der Musiker, welcher allein nur Töne mittels seines In- 
strumentes vorträgt, z. B. der Klavierspieler, der Geiger, 
der Flötist usw., ist eigentlich am schlechtesten daran, denn 
er kann nicht durch Worte und durch Gesten (d. i. Hand- 
und Armbewegungen, Körperstellungen) die Freude, Trauer, 
Zorn usw. wiedergeben. Die Mittel, welche er anwenden kann, 
um gewisse Gemütsstimmungen durch Töne wiederzugeben, 
sind: Die rhythmische Darstellung oder der Bau der Motive 
und die Dynamik. 

Bei Erfindung von Motiven wäre folgende Charakteristik 
beachtenswert. 

Man könnte z. B. wiedergeben: 

1 . Das Motiv der Freude und Fröhlichkeit * durch ein Noten- 
bild, welches größere Melodieschritte (Terzen, Quinten, Sexten) 
zeigt oder durch eine Achtelfigur in munterem Tempo ge- 
spielt (wie sie beispielsweise die erste Phrase im Teil I unseres 
Walzers zeigt, in Fdur oder A-, E-, Fisdur). 

2. Das Motiv der Rifhe und des Friedens (der Zufriedenheit) 
durch eine Melodie in langen Noten bei leisem Spiel (in Cdur 
und B dur, z. B. die erste Phrase des Trio unseres Walzers 
mit der Melodie im Baß). 

3. Das Motiv des Ernstes, der Trauer und der feierlichen 
Stimmung durch breite Akkorde im gemessenen Tempo (in 
einer B Tonart) . 

4. Das Motiv des Zornes und der wilden Leidenschaft durch 
eine schnelle Staceatofigur mit unruhigen Schritten und in 
wilder Hast gespielt (Tempo rubato, con fuoco, in amoll 
oder hmollj. 

Du siehst, liebe Freundin, es gibt viele Mittel und Wege, 
eine Stimmung musikalisch zu schildern, und der Möglich- 
keiten neue Motive zu finden, gibt es unzählige. 

Wir wollen nun noch die dynamischen Verhältnisse für 
unseren Walzer bestimmen. 

Die Zeichen und sogenannten Kunstausdrücke, welche man 
für die Notenschrift erfunden hat, um die Tonstärkegrade und 
die ungefähre Schnelligkeit, in welcher ein Stück gespielt 
werden soll, andeuten, sind Dir bekannt, daher folgen mm 
einige I Leitsätze, welche die richtige Verwendung imd das 
Setzen der dynamischen Zeichen dartun sollen. 

1. Besteht ein Motiv aus einer Note von langer Dauer, 
so kann auch diese im -C >- gesetzt werden (Beispiel 37): 
87 . 



2. Eine auf steigende Melodie wird" im — eine abwärts- 
führende im gesetzt (Beispiel 38): 



3. Ein hoher Ton auf schlechtem Taktteil tritt in der Stärke 
zurück gegen den folgenden tieferen auf guter Taktzeit (z. B. 
/ als Auftakt No. 39): 



40 . 


gfcgSEpEj 



und umgekehrt, / auf dem guten Taktteil (Beispiel 40). 


1 D. b. die gesprochenen Laute in einer um wenig höheren 
oder tieferen Tonhöhe wiederzugeben. 

* Die Kunst des Mienenspiels oder die Gebärdensprache. 

3 NB. Auch die Wahl der Tonart ist wichtig, um irgendeine 
Stimmung zu schildern. Z. B. würde man ein Frühlingsmotiv 
(Motiv zu einem Frühlingsliede) nur in A- oder E diu setzen; 
das Motiv für ein ernstes Lied oder Stück dagegen in einer 
Tonart mit B-Vorzeichen oder auch in Moll setzen müssen. 


130 




4- Das echte Walzermotiv ist zweitaktig, daher liegt die 
Hauptbetonung auf dem ersten Viertel des ersten Taktes, 
und wird diese besondere Betonung durch das Zeichen > 
angedeutet. 

5. Allgemein könnte man nun den Satz aufstellen: Innerhalb 
einer Phrase geht die Steigerung bis zur Mitte vor sich und 
nimmt dann wieder bis zum Schlüsse ab, doch hängt dies 
ganz von dem Aufbau der Motive ab. Es kann auch schon 
während des zweitaktigen Motivs ein — =d :r=— geboten sein. 

6. Den Satz 5 könnte man nun wieder auf eine Periode und 
auf einen sechzehntaktigen Teil anwenden. Dabei braucht 
nicht immer der Höhepunkt der Tonstärke in der Mitte zu 
liegen, er kann auch, wie im Teil I unseres Walzers, anfangs 
der vierten Phrase liegen. 

In der folgenden Zeichnung (No. 41) will ich Dir einmal 
die Steigerung innerhalb eines zweitaktigen Motivs, der vier- 
taktigen Phrase, der achttaktigen Periode und des sechzehn- 
taktigen Teils zur Anschauung bringen. 


41 . 



Diese ganz regelmäßige Steigerung kommt nun wohl seltener 
vor. Wie schon erwähnt, hängt die Steigerung von dem 
Aufbau der Melodie ab. 

Die Phrase kann auch mal umgekehrt mit r=— beginnen 
(siehe Walzer Teil I, Takt 1 und 2, Beispiel 12). 

Teil I unseres Walzers (Beispiel 12) beginnt im ersten Takt 
mit p (piano), die Steigerung nimmt zu bis zum / (forte) im 
dreizehnten Takte und fällt dann wieder bis zum Schlüsse. 

Teil II (Beispiel 19) beginnt schon im mf (mezzoforte), vom 
fünften bis achten Takte beginnt die Steigerung (cresc.). Im 
neunten Takte setzt die erste Phrase wieder mit mf ein. Im 
dreizehnten Takte erreicht die Melodie wieder den Höhe- 
punkt, nach welchem sie wieder im r=— absteigt. 

Teil III, das Trio (Beispiel 30), beginnt mit p dolce in der 
Baßmelodie; Phrase II bringt ihre auf- und absteigende Me- 
lodie im mf und — =: ; während in Phrase III und IV 

die Melodie eine große Steigerung im —==2: und r=— bringt. 

In den letzten 4 Phrasen (VI — VIII) ist die Steigerung 
dieselbe wie in den Phrasen I — IV. 

Die Introduktion und die Zwischensätze werden am besten 
mit mf bezeichnet und unterliegen ebenfalls einer Steigerung 
in der Tonstärke, sowie einer Tempoveränderung (dem Ri- 
tenuto) bis zur Fermate ('S-). 

Die Coda endlich setzt mit mf ein, um vom neunten bis 
sechzehnten Takte, sowie vom siebzehnten bis Schluß vom 
p bis ff ein großes Crescendo (= — =r) auszuführen. 

Mit einem guten Rate für Dich, liebe Freundin, will ich 
meine Plauderei schließen. 

Spüre in guten Werken den Motiven nach, und bestimme 
die einzelnen Phrasen. Suche Dir die Harmonien klarzulegen 
und spiele die Akkordfolgen am Klavier. Stelle die Tonarten 
der einzelnen Teile fest und merke Dir besondere Modula- 
tionen, so erwirbst Du Dir ein reiches Wissen, was Dich be- 
fähigen wird, einst ähnliche Kompositionen zu schaffen. 


Die Reichsversicherung als Vernichterin 
eines ganzen Standes. 

D er Deutsche Musikpädagogische Verband hat in jüng- 
ster Zeit eine Petition an den Bundesrat um Befreiung 
vom Krankenversicherungszwang für Privatmusik- 
lehrer und -lehrerinnen gerichtet. Begründet wird diese 
Petition mit den „sich mehr und mehr geltend machenden 
verheerenden Wirkungen des Angestelltenversicherungs-Ge- 
setzes auf den Privatmusiklehrerstand. Ein unaufhaltsames 
Abbröckeln der Unterrichtspraxis: Verringerung der verein- 
barten wöchentlichen Unterrichtsstunden, verminderte Neu- 
anmeldungen, jetzt zum Herbst gänzliches Ausbleiben dieser, 
bilden das traurige Signum des verflossenen kurzen Zeit- 
raums von 10 Monaten. 

Und das alles, trotzdem viele Tausende von Musiklehrem 
noch nicht zur Angestelltenversicherung angemeldet sind, 
trotzdem der weitaus größte Teil der Schüler bezw. Schiiler- 
eltem von ihrer Verpflichtung zur Anmeldung ihrer Privat- 
lehrer und zur Beitragsleistung noch keine Ahnung haben! 


Wie soll das erst , werden, wenn Bestrafungen von Schülern 
wegen Versäumnis der Verpflichtung bekannt werden, wenn 
sich das Publikum erst so recht bewußt wird, welche Gefahren 
ihm durch die Reichsversicherung drohen ? Es wird sich in 
Massen vom Privatunterricht abwenden und lieber da Unter- 
richt nehmen, wo es keinerlei Belästigungen, Strafen und 
Versicherungsabgaben ausgesetzt ist, also bei Anstalten und 
Personen, die nicht versicherungspflichtig sind. (Personen, 
die über 60 Jahre alt sind oder mindestens 5000 M. Jahres- 
arbeitsverdienst haben, außerdem Musikschulen, Konserva- 
torien, Schullehrer, Orchestermusiker, Kantoren und viele 
andere, die — häufig ohne zwingende Notwendigkeit — einen 
Nebenverdienst aus dem Unterrichten machen.) 

Nun sollte man meinen, ein Uebel, das einen ganzen Stand 
zu ruinieren im Begriff ist, kann nur beseitigt werden, wenn 
die Ursache mit der Wurzel ausgerissen wird, und Ursache 
ist nicht bloß die am 1. Januar 1914 in Kraft getretene 
Krankenversicherung, sondern in erster Einie die Angestellten- 
versicherung, in die die Privatlehrer durch einen Gewaltakt 
hineingezogen worden sind und aus der sie unter allen Um- 
ständen wieder befreit werden müssen. Der niusikpädagogi- 
sche Verband bittet aber nur um Befreiung vom Kranken- 
versicherungszwang und um eine Novelle, die gesetzliche 
Bestimmungen für gleiche Anwendung des Angestelltenge- 
setzes für alle Musildehrer enthält, also auch für solche, die 
seither vom Zwang leider ausgeschlossen waren. Demgegen- 
über kann nicht oft genug betont werden, daß das ganze 
Gesetz, nur für wirkliche Angestellte geschaffen und zuge- 
schnitten ist. Das können aber niemals selbständige Privat- 
lehrer sein. Daß bei diesen das Gesetz nicht durchführbar 
ist, beweisen auch die jüngst veröffentlichten Klagen des 
Versicherungsamtes selbst, daß eine geordnete Buchiührung 
nahezu unmöglich sei. Auch mit der beantragten Novelle 
könnte die erschreckende Wirkung der Angestefltenversiche- 
rung nur abgeschwächt, nicht aber verhindert werden, denn 
eine sichere Kontrolle über die vielen Allzuvielen, die im 


geheimen Privatunterricht geben und über die durch die 
Novelle vermeintlich ermöglichte Heranziehung des Publir 
kums zu Pflichtbeiträgen in allen Fällen ist unmöglich. 

Das mußte sich auch der musikpädagogische Verband sagen. 
Warum aber dieser nicht die — allein sichere Hilfe bringende 
— Radikalforderung der gänzlichen Befreiung der Privatlehrer 
auch vom Angestelltengesetz stellte, wird nur dadurch er- 
klärlich, daß der musikpädagogische Verband seinerzeit nicht 
gegen die Hereinziehung der Privatlehrer in die Angestellten- 
Versicherung protestiert hat in der etwas gar zu weltfremden 
Auffassung, daß der Staat gerade durch Auferlegung der 
erdrückenden Versicherungslasten die moralische Verpflich- 
tung habe, günstigere Eebensbedingungen für den Musik- 
lehrerstand zu schaffen und zwar durch Beseitigung der dem 
Stande anhaftenden Schäden auf Grund von gesetzlichen 
Bestimmungen zur Regelung des Musikunterrichtswesens. 
Eine verpaßte Gelegenheit in offenbarer Ueberschätzung des 
„staatlichen Pflichtgefühls“ und Unterschätzung der Zeit, die 
der Staat auch beim besten Willen zu der gewünschten Rege- 
lung des Musikunterrichtswesens benötigen würde. Dazu 
gehören jahrelange, wenn nicht jahrzehntelange Vorberei- 
tungen. Bis damn aber könnte der ganze Stand vor lauter 
Versicherungen ruiniert sein. Begreiflicherweise sucht der 
musikpädagogische Verband die Wirkung seines Fehlers ab- 
zuschwächen und verfällt dabei in den neuen Fehler, die 
Krankenversicherung zum Sündenbock zu machen, die ja 
allerdings die verzweifelte Eage der Privatlehrer noch ver- 
schlimmern wird, trotzdem sie durch sofortige Hilfeleistung 
in der Not den besten Teil der Versicherung darstellt. 

Die Vergewaltigung des § 1 des Angestelltenversicherungs- 
gesetzes, darin bestehend, daß auch selbständige Privatlehrer 
zu Angestellten ihrer einzelnen Schüler gestempelt wurden, 
haben die Musiklehrer dem Allgemeinen Deutschen Lehrerin- 
nen verein zu verdanken! „Gerade dieser letztere Verein — 
so heißt es in der Antwort des Direktoriums der Reichs- 
versicherungsanstalt auf eine verdienstvolle Protesteingabe 
der Musikgruppe Hamburg — hat mit besonderem Nachdruck 
dahin gewirkt, daß die Musiklehrerinnen (die angeblich durch 
den Allgemeinen Deutschen Eehrerinnenverein vertreten ge- 
wesen seien) dem neuen Angestelltenversicherungsgesetz 
unterstellt würden 1 . Weder in den Kommissionsberatungen 
noch im Plenum des Reichstags ist von irgend einer Seite 
gegen den § 177 oder gegen die Unterstellung der Musik- 
lehrer und -lehrerinnen unter das Angestelltenversicherungs- 

f esetz ein Bedenken erhoben worden. Ihre Bedenken können 
eine Beachtung mehr finden.“ 

Weil also die Bedenken zu spät erhoben worden sind (der 
Protest wurde übrigens schon am 1. Oktober 1912, also vor 
Inkrafttreten des Angestelltenversicherungsgesetzes einge- 
geben), weil die verheerende Wirkung des Gesetzes nicht 
lange voraus erkannt wurde, deshalb können Petitionen keine 


1 Anm. der Red. Man müßte den Deutschen I<ehrerinnen- 
verein gerechterweise hören, welche Motive ihn bei seiner 
Stellungnahme geleitet haben. 




PAULA WINDHEUSER. 

(Als Milada in Smetanas Dalibor.) 


Beachtung mehr finden, deshalb ließe das Reichsversiche- 
rungsdirektorium kalten Blutes einen ganzen Stand seinem 
Ruin entgegengehen!! Unerhört ist es, daß der Allgemeine 
Deutsche Lehrerinnenverein über die Köpfe von Tausenden, 
diesem Verein nicht angehörenden, Musiklehrem und -lehre- 
rinnen hinweg für deren Unterstellung unter das Angestellten- 
versicherungsgesetz petitioniert hat; sodann scheint man im 
Direktorium der Reichsversicherungsanstalt keine Ahnung 
von der Weltfremdheit der fraglichen Musiklehrerkreise zu 
haben, die sich — leider selbstverständlich — nicht darum 
bekümmern, was in Kommissionsberatungen oder im Reichs- 
tag beschlossen wird, wenn sie nicht direkt angeredet oder 
um ihre Meinung befragt werden. Das ist aber nicht ge- 
schehen, wenigstens ist darüber nichts bekannt geworden. 

Helfen kann nur noch eine gänzliche Befreiung der Privat- 
lehrer vom Angestellten- und Krankenversicherungsgesetz 
oder die Umwandlung des Zwangs in Berechtigung. W e 1 - 
eher Reichstagsabgeordnete nimmt sich 
der Sache an ? Der Dank aller Privatlehrer und aller 
Privatschüler würde ihm gewiß sein, aber Eile tut not! 

Möchte doch das ganze Unheil wenigstens Veranlassung 
zu einer großzügigen Organisation aller selbständigen Privat- 
lehrer (vielleicht mit eigener Pensionskasse) werden, denn 
nur das Fehlen der Organisation trägt die Schuld an dem 
ganzen Elend. 0. G. 


Unsere Künstler. 

Friedrich Weidemann. — Paula Windheuser. 

Zwei hervorragende Mitglieder der Wiener Hofoper. 

D ie edle Gestalt Friedrich Weidemanns ragt noch aus 
der Mahler-Zeit in die unsere hinein. Gustav Mahler 
war es, der den jungen Heldenbariton aus Riga kommen 
ließ und ihm sein besonderes künstlerisches Vertrauen 
schenkte: bei dem Grazer Tonkiinstlerfest war Weidemann 
der erste Interpret der später so viel gesungenen Kinder- 
totenlieder. Nach den ausschließlich auf schwelgerische 
Tonschönheit bedachten Baritonen in der Art Theodor 
Reichmanns stellte Weidemann einen ganz neuen Typus 
dar: er gab in erster Linie die Gestalt. Seine herbe. 


edle, nicht allzukräftige Stimme vermag jede seelische 
Erschütterung deutlich zu machen. Die Gesten seiner 
hohen Gestalt sind von adeliger Art: er ist eine jener seltenen 
Erscheinungen, denen man einen König glaubt. Nur allzuoft, 
namentlich seit Mahlers Tode, ist er mit sogenannten Re- 
präsentationsrollen bedacht worden: im „Dalibor“ singt er 
den König, im „Barbier von Bagdad“ den Kalifen. Aber 
indem er auf der Bühne erscheint, gewinnen diese kleinen 
Partien an Ansehen und Bedeutung. Die schönsten Rollen 
des Wagner-Repertoires, die er uns gab, sind Wotan und 
Hans Sachs. Mit großer geistiger Ueberlegenheit, mit 
edelster Resignation weiß er das Schicksal derer darzustellen, 
die der Jugend, der unbedenklichen Kraft weichen müssen. 
Aber auch die klassische Oper dankt ihm ein paar Pracht- 

f est alten. Sein Don Pizarro war nicht der übliche Theater- 
ösewicht, sondern der ehrgeizige, von allen bösen Dämonen 
getriebene Grand-Seigneur. Und ein anderer tyrannischer 
Grand-Seigneur, nur nicht heiterer Anmut entbehrend, der 
Graf im „Figaro“. Den Pizarro hat er, einem der un- 
erforschlichen Ratschlüsse Weingartners zufolge, inzwischen 
abgeben und gegen den Don Fernando eintauschen müssen, 
in welcher Rolle er freilich die Schlußszene der Oper zu ihrer 
vollen Wirkung erheben hilft. Die Grenzen seines Talentes 
zeigt sein Don Giovanni, einer Figur, für die ihm romanische 
Leichtblütigkeit fehlt. Für deutsche Gestalten ist er da- 
gegen von dem außerordentlichsten Wert: kein „Blender“, 
kein Star, aber ein Künstler von vornehmster und er- 
greifendster Schlichtheit, wie sie nur aus einer starken 
Persönlichkeit quillt. 

^ Paula Windheuser ist wohl die glückliche Besitzerin der 
schönsten Sopranstimme, die seit dem Abgang Gertrud 
Forstels in Wien zu hören ist. Aus Aachen kam sie — noch 
unter Weingartner — nach Wien. Gründliche Studien bei 
Jean de Reszke haben ihrem schönen üppigen Material den 
letzten Schliff gegeben und sie rasch aus dem jugendlichen 
in das hochdramatische Repertoire hineinwachsen lassen, 
für das sie namentlich eine prächtige, schlagkräftige Höhe 
mitbringt. Nicht ganz so hoch darf das dramatische Tempera- 
ment der üppigen Blondine gewertet werden: eine etwas 
phlegmatisch-hausbackene Art kontrastiert mit der schönen 
Wirkung ihres Stimmaterials. Vielleicht findet sich einmal 
ein großer Bühnenmensch, der ihr die Geheimnisse drama- 
tischen Schaffens völlig erschließt — Mahler hätte es getan ! — 
und sie auch innerlich das werden lehrt, wozu ihre schönen 
Mittel sie prädestinieren. (Es wird die württembergischen 
Leser der „N. M.-Z.“ besonders interessieren, daß Frl. Wind- 
heuser Heilbronnerin ist. Vor einigen Jahren hörten wir sie 
noch als Debütantin (Pamina) im alten Heilbronner Theater. 
Sie hat rasch, Karriere gemacht. Red.) L. Andro. 


„Grand Opera in English.“ 

Von Kapellmeister SCHILLING-Z1EMSSEN. 


G ewiß wäre ich im Unrecht, daran zu zweifeln, daß die 
Nachricht von dem Zusammenbruch der Denhof sehen 
Operngesellschaft in Manchester, die vor einiger Zeit 
auch durch alle deutschen Blätter ging, allgemeine Anteil- 
nahme mit dem Schicksal der dreihundert so plötzlich aufs 
Trockene gesetzten Mitglieder der Kompagnie erregt hat. 
Die Sache war wirklich schlimm genug. Herr Denhof, 
einst Pianist und Lehrer von bestem Ruf, hatte bereits vor 
zwei Jahren mit künstlerisch ausgezeichnetem, materiell 

f enugendem Erfolge eine Operntournee in den englischen 
’rovmzen unternommen und dabei die Hauptwerke von 
Wagner und Strauß dort als erster in würdigen Aufführungen 
eingeführt, schon dies allein muß ihm große Sympathien 
sichern. Mit seiner diesjährigen Herbsttoumee wollte er 
die Früchte dessen, was er vor zwei Jahren gesät, auch in 
^ Hinsicht ernten \ er bemühte sich, in rastloser 
Tätigkeit eine zweite, nach übereinstimmendem Urteil die 
beste Gesellschaft, die je nach den Provinzen gekommen, 
zusammenzustellen und erwies sich sowohl durch die Aus- 
wahl der Kräfte wie der aufzuführenden Werke wiederum 
als Mann von hoher künstlerischer Qualität Auf dem 
Spielpiane standen Glucks „Orpheus“, Mozarts „Zauber- 
flote von Wagner „Holländer“, „Meistersinger“, „Tristan“ 
und der ( ganze Ring, von Strauß „Elektra* und „Rosen- 
kavaher , und als einziges nichtdeutsches Werk Debussys 
„Pelleas et Melisande“; ein Repertoire, das für manches 
deutsche Saisontheater für lange Zeit ausreichen würde. 
Außer den ersten englischen waren zu seiner Durchführung 
auch einige deutsche, aber englisch singende Kräfte von 
bekannter Tüchtigkeit, Artur Pacyna, der den englischen 
„Ochs kreierte, und Ernst v. Pick, für bestimmte Rollen 
®v W0 ^ nen ,'. ein ^or V011 8° Stimmen, ein Ballett von 25 Mäd- 
chen (enghsche Tänzerinnen!) zusammengestellt und schließ- 


132 



lieh auch ein Orchester in einer Vollbesetzung von 68 bis 
80 Mann vereinigt von einer solchen Güte und vor allem 
von einer solchen Frische und Elastizität, daß manche 
deutsche Großstadt es mit Stolz als das ihrige anerkennen 
würde. Drei Wochen vor der ersten Aufführung begannen 
in London die Vor proben, zu denen nach englischer Ge- 
pflogenheit alle Sänger musikalisch vollkommen fertig zu 
erscheinen verpflichtet sind. Am 14. September früh fuhr 
die Kompagnie per Extrazug von London nach Birmingham. 
Unter solchen Vorbedingungen spielte sie dort 14 Tage 
lang ihr hervorragendes Repertoire vor halbleeren Bänken, 
ebenso noch ein paar Tage in Manchester; dann trat die 
Krisis ein. Am 3. Oktober nach einer „Elektra“-Vorstellung, 
die den Enthusiasmus des Publikums zu einem wahren 
Orkan angefacht hatte, erklärte Herr Denhof gezwungen 
zu sein, die Gesellschaft aus materiellen Gründen aufzulösen. 

Der Sturm der Empörung und Beschämung, der darauf 
folgte, war allgemein und bildete das Tagesgespräch bei 
Publikum und Presse wie nach einer unglücklichen See- 
schlacht, die den Verlust eines stolzen Schiffes, das noch 
kurz vorher mit vollen Segeln ausgelaufen war, gebracht 
hatte. Die für den speziellen Fall einschlägigen Fragen, 
Verhältnisse und Zahlen wurden zur prinzipiellen Angelegen- 
heit gestempelt; aus der unbestreitbar richtigen Tat- 
sache, daß Herr Denhof mit großer Sachkenntnis und noch 
größerem Idealismus aber unzureichenden eigenen Mitteln 
eine Sache unternommen hatte, deren Fehlschlagen eine 
große Anzahl von Existenzen gefährden mußte, wurde der 
allgemeine Bankerott der „Grand Opera in England“ ab- 
geleitet. Und nun darf ich nicht mißverstanden werden, 
wenn ich bestimmt annehme, daß in die eingangs erwähnte 
Anteilnahme sich in Deutschland, wohin die Nachricht in 
dieser schwärzesten Beleuchtung kam, auch ein kleiner 
Bruchteil jener bekannten „reinsten Freude“ mischte; mit 
dem Beigeschmack, daß eben so etwas doch nur außerhalb 
der schwarzweißroten Grenzpfähle des „Fatherland“ mög- 
lich sei. Eine solche von einer schädlichen Selbstüber- 
schätzung getragene Meinung zu entkräften und diejenigen 
Verhältnisse in kurzen Worten zu besprechen, die in einem 
ebenso typischen wie komplizierten Falle, wie dem vorliegen- 
den, für uns wieder sprechen, möchte der Zweck dieser 
Worte sein, die gewiß denen willkommen sind, denen nicht 
nur gerade ihr eigener Reichtum als das höchste Symbol 
erscheint. 

Die Lebensbedingungen der Oper sind in England ganz 
andere als in Deutschland und Frankreich, wo ständige 
oder Saisongesellschaften in den einzelnen Städten ein mög- 
lichst abwechslungsreiches Repertoire in längeren oder 
kürzeren Spielperioden, zu leisten haben. Der Typus der 
englischen wandernden Schauspielergesellschaft, die, von 
ihrem Auftreten in Wittenberg her bekannt dann im dänischen 
Königsschlosse wieder erscheint, ist heute noch der eine 
Gevatter der englischen Oper; der andere ist das Konzert- 
wesen, das in England in noch höherer Weise entwickelt ist 
als irgendwo anders. Das Konzert, als bedeutendste öffent- 
liche Kunstübung, liegt nicht nur dem anspruchslos-kon- 
servativen Charakter des englischen Empfindens, soweit 
dieses noch nicht von kontinentalen Kultureinflüssen be- 
rührt ist, besonders nahe, es ist auch praktisch der er- 
giebigere Erwerbszweig des ausübenden Musikers. Eine 
Trennung zwischen Opern- und Konzertgesang gibt es 
daher in England in noch viel geringerem Grade als in Deutsch- 
land; ja es geht das sogar noch weiter. Wir sehen bekannte 
Namen englischer Sänger heute in der Oper, morgen in 
einem Konzert und übermorgen — besonders an Sonntag- 
abenden — auf dem Programm der vornehmen Dinnerrestau- 
rants in London erscheinen, die ihnen bedeutende Gagen 
bieten. Aufgabe des findigen Theatermanagers ist es, aus 
der Unmenge von Persönlichkeiten, die so im öffentlichen 
Musikleben auftauchen, diejenigen herauszufinden, die er für 
seine Zwecke nötig hat, und es sind gegenüber allen an- 
deren Fragen nur eben diese ausschlaggebend. 

Wenn auch der Norden Englands mit Recht m musi- 
kalischer Hinsicht als besonders entwickelt gilt, so sind 
doch für das musikalisch-dramatische Kunstwerk die Ver- 
hältnisse der Siebenmillionenstadt London, in denen ein 
Theaterstück Wochen, Monate und selbst Jahre hindurch 
ein und dasselbe Theater täglich bis zum Dache füllt, tur 
ganz England entscheidend! Die internationalen v er- 
anstaltungen des Coventgarden-Operahouse kommen wegen 
ihrer hohen Preise nur für Blut- und Geldaristokratie in 
Betracht; für den eigentlichen Betrieb der hundert Theater 
Londons hängt der Erfolg in erster Linie von der richtigen 
Auswahl des Werkes selbst und des besonders dafür zu- 
sammengestellten Ensembles ab. Ja wir begegnen hier 
noch ähnlichen Verhältnissen, wie in der alten italienischen 
Oper mit deren Stagione- Wesen die englischen Verhält- 
nisse überhaupt die meiste Aehnlichkeit haben: manches 
Werk, auch musikalischer Art, wird eigens für <un be- 
stimmtes Theater und bestimmte Kräfte verfaßt und kom- 
poniert oder auch umgearbeitet. Für die Provinz man 


gebe sich hier aber keinen Täuschungen hin: Glasgow, 
Liverpool, Manchester sind Dreiviertel-, Birmingham, Shef- 
field und Leeds Halbmillionenstädte — bedingen sich zwar 
Aenderungen dieser Verhältnisse von selbst; die Ausfahrt 
eines Ensembles mit einem oder höchstens zwei zugkräftigen 
Stücken und einem ad hoc zusammengestellten Personal 
bilden aber immer auch für die Provinz die Regel, die schon 
darin begründet ist, daß, wenn nicht ein ganz großer und 
in London bewährter Name oder Titel zieht, die späteren 
durch die Presse propagierten Vorstellungen erst etwaige 
Verluste decken können. 

Was ergibt sich nun aus diesen so ganz besonders gearteten 
Verhältnissen im Gegensatz zu deutschen von selbst ? Was 
zunächst die Qualität der Kräfte angeht, so wird jeder 
Deutsche, der mit den englischen Opernverhältnissen in 
Berührung kommt, erstaunt sein über das vorzügliche und 
unverbrauchte Stimmenmaterial, das zur Verfügung steht. 
Die ständige Berührung mit dem Konzertsaal ist es, die 
eine scharfe Kontrolle ansübt über die Gesangskunst auch 
der Bühnensänger. In zweiter Linie aber ist es die in Deutsch- 
land in solch hohem Maße unbekannte Individualisierung, 
die den Aufführungen der englischen Opernbühne einen 
besonderen Reiz verleiht; denn die Art der Besetzung und 
der Engagements für einzelne Rollen gestattet eine solche 
in weitestgehender Weise. Publikum und Kritik aber sind 
hierin an keinerlei Konzessionen gewöhnt; eine „falsche 
Besetzung“, wie sie in Deutschland, sei es aus Unverständnis, 
sei es aus Mangel an Kräften oder auch aus Primadonnen- 
rücksichten an der Tagesordnung sind, würde sich hierzu- 
lande bitter rächen. Die Einseitigkeit des englischen 
Repertoires in Verbindung mit dieser hochentwickelten 
Individualisierung der einzelnen Rollenbesetzungen gestattet 
und verlangt wiederum ein ganz anderes Studium eines 
Werkes, als dies in Deutschland der Fall ist. 

Auf für die Bühne untalentierte Sänger stößt man hier- 
zulande ebensogut wie jenseits des Kanals. Wo aber 
Talent sitzt, da lohnt sich auch die Arbeit mit ihm reichlich; 
denn sie braucht keine Individualität zu außerhalb der Ar- 
beit gelegenen Zwecken umzubiegen, sondern kann diese in 
sich selbst leiten und vertiefen. Nichts wäre freilich ver- 
kehrter, als sich diese Arbeit als einen Anfängerdrill im 
Sinne unserer kleinen Bühnen vorzustellen; für die großen 
Rollen sind es nur in Ausnahmefällen Anfänger — von 
Franz Mällings z. B., der als Tristan zum ersten Male auf 
der Bühne gestanden, wird man allerdings bald auch in 
Deutschland reden — , mit denen man zu rechnen hat. Marie 
Brema, Agnes Nicholls, Glesson White, Caroline Hatchard, 
Muriel Terry, Edith Evens, Walter Hyde, Robert Ratford, 
Charles Knowles, Frederic Austin u. a. smd bewährte Bühnen- 



FRIEDRICH WEIDEMANN. 


133 


nanien. Wie gerne folgt aber auch der routinierte englische 
Bülinensänger in dieser Hinsicht jeder Anregung eines geist- 
vollen Regisseurs, wie z. B. Hermann Guras. Aber haben 
wir deshalb nach der einen Seite hin Grund, die Vielseitig- 
keit des deutschen Bühnensängers zu bewundern, so müssen 
wir andererseits der individualisierenden Tätigkeit der eng- 
lischen vom künstlerischen Standpunkte besonderen Wert 
beiniessen; der Grund liegt in den allgemeinen Verhält- 
nissen, die uns die Dinge, wie sie in England liefen, vom 
theaterpraktischen Standpunkte aus für Deutschland wohl un- 
bequem erscheinen lassen, die aber doch vom künstlerischen 
Standpunkte aus Vorzüge zeigen, deren Beherzigung auch 
in Deutschland nur zu begrüßen sein müßte. 

Möchte ich an dieser Stelle mich noch kurz dazu äußern, 
was außer geschäftlichen Fehlern, deren Erwägung nicht 
meine Sache sein kann, die aber sicher begangen worden 
sind, an dem Scheitern einer so großzügigen Unternehmung, 
wie sie die Denhofsche war, Schuld war, so muß ich sagen, 
daß mir das gerade Trachten nach dem kontinentalen, auch 
im Coventgarden-Theater akzeptierten „Repertoire“-Betrieb 
ein Teil dieser Schuld zu sein scheint. Wie schon angedeutet, 
ist auch in der englischen Provinz die Ausbeutung des ersten 
Erfolges und die Reklame mit dem Erfolg für die späteren 
Vorstellungen wichtig. Die Absicht des Herrn Denhof, 
seine Erfolge noch nach 2 Jahren auszunützen, war ge- 
schäftlicher Art, der Wunsch ein „Repertoire“ zu bringen ein 
künstlerischer, die Unternehmung unverhältnismäßig be- 
lastender Fehler, der den englischen nationalen Eigentüm- 
lichkeiten zu wenig Rechnung trug und deshalb zu einem 
Fehlschlag führen mußte. 

Und damit kommen wir zu einem weiteren Kardinal- 
punkt in der Frage der „Grand opera in English“: der 
Nationalitätsfrage. Ein Grundübel für die englische Oper 
liegt in der Ungeeignetheit der Sprache für den Gesangs- 
text. Im sentimentalen oder auch derbkomischen Stile 
mag dies noch angehen, aber in der Oper und im Musik- 
drama ist dieselbe ein großer Nachteil. Alle Vokale sind 
schwer zum Klingen zu bringen, die Konsonanten sind so 

? ;ehäuft, daß bei einiger Schnelligkeit des Sprechgesangs 
„Und dennoch gewänn’ ich ihn nicht?!“) unmögliches 
herauskommt. Hier könnte nur eine prinzipielle Aenderung 
Abhilfe bringen, indem entweder überhaupt in den Ur- 
sprachen gesungen wird, was den englischen Sängern ver- 
hältnismäßig wenig Mühe zu bereiten scheint, oder indem 
in den Uebersetzungen viel mehr auf Sinn und Sanglich- 
keit als auf Worttreue Rücksicht genommen wird, was nach 
meiner Anschauung unbedingt zu erreichen wäre. Eng- 
land lebt aber, was die Oper anbetrifft, von den Erzeug- 
nissen anderer Nationen, insbesondere Deutschlands, Italiens 
und Frankreichs; noch mehr, es steht den Produkten dieser 
drei Nationen unparteiisch gegenüber und nimmt von ihnen 
an, was ihm zusagt. Man ziehe diesen Punkt in Erwägung 
und rechne noch weiter ab, wieviel von dem Erfolg ins- 
besondere der Wagnerischen Werke ausschließlich der natio- 
nale Einschlag in deutsches Wesen und Fühlen dem deutschen 
Publikum gegenüber an Wirkung ausmacht — und man 
wird seinen Standpunkt wesentlich modifizieren müssen. 
Von Frankreich und Italien kommen Werke nach England, 
deren sinnfälliger melodischer und harmonischer Fluß einen 
mächtigen Reiz ausübt, einen Reiz, auf den selbst der deutsche 
Theaterdirektor nicht verzichten möchte. Und nun kommt 
man mit dem weit schwerer zu verkostenden deutschen 
Repertoire für ein oder gar zwei Wochen und verlangt volle 
Hauser und Enthusiasmus. Da ist wirklich kein Wort 
des Lobes zu hoch, wenn man nun, eine kurze Spanne Zeit 
nach dem Zusammenbruch vom 3. Oktober allabendlich 
drückend volle Häuser und nach jedem der genannten 
Werke Stürme der Begeisterung erlebt, wie dies in der ver- 
gangenen Woche in Sheffield und jetzt in Leeds der Fall 
ist. Meistersinger, Tristan und der Ring fanden eine be- 
geisterte Aufnahme, der Holländer, wohl eine Folge seines 
für England besonders anziehenden Stoffes, übte eine Wirkung 
aus, wie ich sie in Deutschland selten gesehen habe, Elektra, 
Straußens Schmerzenskind in Deutschland, riß zu spon- 
tanem Enthusiasmus hin und der Rosenkavalier, das mit 
seinem gewiß antipuritanischen Wiener Milieu wohl dem 
englischen Empfinden am meisten heterogene Werk, hatte 
einen in den Provinzen bisher unerhörten Erfolg. Eine 
Empfänglichkeit des englischen Publikums für große und 
echte Kunst angesichts solcher Tatsachen leugnen zu wollen, 
wäre lächerlich und der „Grand Opera in English“ jede 
Zukunft abstreiten zu wollen wird sich auch bei denen nicht 
rentieren, die vielleicht daran Interesse haben möchten. 

Diese Empfänglichkeit für hohe Kunst, die sichtbar in 
anderen Staaten durch mehr oder weniger eingetretene Ver- 
wischung der Grenzlinie zwischen dieser und minderwertiger 
UnterhaTtungskunst im Schwinden begriffen ist, erscheint 
mir vielmehr für England geradezu typisch und der Aus- 
gangspunkt für eine ernsthafte Opempflege zu sein in dem 
Augenblicke, wo man es versteht, den einheimischen, viel- 
leicht etwas schwerfälligen aber darum nicht minder be- 


geisterungsfähigen englischen Volksgeist für sich zu ge- 
winnen. Und auch hiefiir hat das Schicksal der Denhof- 
Compagnie die Probe aufs Exempel geliefert. Der Mann 
hat es erkannt und ausgesprochen, der sicherlich dazu be- 
stimmt ist, auf die Zukunft der „Grand Opera in English“ 
einen entscheidenden Einfluß auszuüben. Tnomas Beecham, 
einziger Sohn des bekannten Besitzers des Fabrikations- 
Geheimnisses der „Beecham-Pills“ und Multimillionärs Sir 
Joseph Beecham, ist ein begeisterter Musiker und hervor- 
ragend veranlagter Dirigent und hat sich als solcher sowohl 
im Conzertsaal wie im Theater bewährt. Er war es, der 
24 Stunden nach dem Zusammenbruch des Denhofschen 
Unternehmens an die Spitze der Compagnie treten konnte 
mit der Ankündigung, miß er in 8 Tagen alles in Sheffield 
wieder beisammen zu sehen hoffe. In diesen 8 Tagen hat 
er, obwohl mit einem weiteren Verluste von 4000 £ rech- 
nend, nicht nur die finanzielle sichere Unterlage für die 
Fortführung des Unternehmens gefunden, er hat das erreicht, 
was notwendig war, um unter seinem Namen die Oper in 
England überhaupt richtig zu ermöglichen, er hat sie populär, 
hat sie zu einer öffentlichen Angelegenheit gemacht. Gewiß 
war der Ausgangspunkt seiner Rettungsaktion die Sympathie 
mit den Mitgliedern der Compagnie, der er bisher als Kapell- 
meister selbst angehört hatte, gewiß waren ihm die Um- 
stände, persönliche wie allgemeine, besonders günstig, 
öffentliche Meinung und Presse kamen ihm mit offenen 
Armen entgegen; aber er verstand es was nottat und der 
„Speech“, den er nach der letzten Aufführung in Sheffield 
von einem übervollen Hause aufgefordert zu sprechen, halten 
konnte, ist dafür charakteristisch, wie er nun das Steuer 
überhaupt in der Hand hält. „Ich war schon einmal in 
Sheffield, sagte er, vor drei Jahren mit einer anderen Com- 
pagnie. Niemand kam und andern Tags sagte ich in der 
Presse kräftig meine Meinung. Heute nehme ich alles 
zurück.“ Das sind Worte von öffentlicher Bedeutung, 
wie die eines Parlamentariers, und ihr Echo bleibt in der 
breitesten Oeffentlichkeit sicher nicht aus. Wer die eng- 
lische Presse kennt, wird bald den frommen Schauder ein- 
büßen, den im ersten Moment die riesigen Papierdimen- 
sionen ihrer äußeren Erscheinung her vor bringen. Sie sind 
eben kolossal, wie alles kolossal ist hierzulande; aber in- 
haltlich sind sie nichts weniger als das. Die Weitschweifig- 
keit ihrer Mitteilungen, das Eingehen auf alles das, was 
mit den familiären und sportlichen Ereignissen zusammen- 
hängt, der kleine Klatsch, der sich ausführlich über alles 
ergeht, ist ein Bild dessen, worauf öffentliches Interesse ge- 
richtet ist. Und in dies öffentliche Interesse ist jetzt wie 
vielleicht nie vorher die „Grand Opera in English“, jedenfalls 
wie nie vorher Thomas Beecham getreten, der von jetzt an 
mit ihr öffentlich identifiziert und imtrennbar verbunden 
ist. Wir können uns dessen aufrichtig freuen; denn erstens 
entspringt hieraus eine freudige künstlerische Aussicht auf 
die Zukunft der Oper in England im allgemeinen; zweitens 
bedeutet diese öffentlich anerkennende Aufmerksamkeit ein 
Symbol des Dankes, den die in ihren materiellen Interessen 
so schwer geschädigten Mitglieder der ehemaligen Denhof- 
Compagnie ihrem nunmehrigen Chef schulden für sein opfer- 
freudiges Eintreten; drittens aber darf die große Sache der 
deutschen Kunst sich glücklich schätzen, einen Mann im 
Mittelpunkt der neuen Opembewegung in England zu 
wissen, der gerade zu ihren aufrichtigsten Bewunderern 
und tatkräftigsten Förderern überhaupt zählt. 


Richard-Strauß-Feste. 

Berliner Oper. — Die „Deutsche Motette“. — Kattowitz.) 

R ichard Strauß hat in jüngster Zeit einmal ganz aus- 
drücklich Berlin beherrscht: Niki sch sowohl wie der 
Königliche Domchor haben je einen Strauß-Abend veran- 
staltet. Franz Steiner gab, mit dem Komponisten am Klavier, 
einen Strauß-Liederabend, und die Königliche Oper hat eine 
Woche als Richard-Strauß-Woche benannt, in der Salome, 
Elektra, Ariadne auf Naxos und der Rosenkavalier gegeben 
wurden. Also gewissermaßen ein Präludium zu des Meisters 
fünfzigstem Geburtstag, der am 11. Juni ds. Js. zu feiern 
sein wird. Die Aufführungsziffern an der Berliner Hofoper 
allein geben bis heute folgendes Büd: „Feuersnot“ (Erst- 
aufführung 1902) 20 Aufführungen; „Salome“ (Erstaufführung 
1906) 98 Aufführungen; „Elektra“ (Erstaufführung 1909)40 Auf- 
führungen; „Rosenkavalier“ (Erstaufführung 1911) 89 Auffüh- 
rungen; „Ariadne“ (Erstaufführung 1913) 38 Aufführungen. 
Diese Zahlen sprechen eine überzeugende Sprache von der 
Bedeutung und Wertschätzung des Komponisten Richard 
Strauß! (Siehe auch die Karlsruher Strauß-Woche.) 

Im Strauß-Konzert des Domchors kam nun die in letzter 
Zeit viel besprochene „Deutsche Motette“ zur Uraufführung. 


134 



Komponist, Verleger und Aufführende hatten es verstanden, 
alle etwaigen Sensationsmeldungen über das Werk zu ver- 
hindern. Es wurde nur bekannt gegeben, daß es für 
iöstimmigen gemischten Chor geschrieben sei. Die Partitur 
trägt jedoch die Aufschrift: „Für vier Solostimmen und 
iöstimmigen gemischten Chor a capella“. Den Text hat 
Strauß, wie schon so häufig, bei Friedrich Rückert gefunden. 
Ein erhebender, gottesfürchtiger, hochpoetischer Text, ohne 
Kirchenstimmung, fast pantheistisch. In labender Ruhe 
beginnt der Chor „Die Schöpfung ist zur Ruh gegangen“, 
worauf der Soloalt und Baß mit „O wach in mir I“ ihre Stimme 
anrufend* erheben. „Es will der Schlaf mich befangen“ 
fährt der Chor fort, und wieder setzen die Soli, diesmal 
Tenor und Sopran, mit ihrem Bittruf ein. Bald darauf 
tritt mit dem „Wach in mir“ ein neues, in aufsteigenden 
Quartenschritten beginnendes, wunderbar ausdrucksvolles 
Thema ein, das später häufig die anderen Stimmen wie mit 
einer edel geschwungenen Ranke umgibt. Mit einem A dur- 
Abschluß — das Werk beginnt in C — erreicht die Ein- 
leitung ihr Ende. Nunmehr beginnen kontrapunktische 
Künste, die jedem Musiker eine helle Freude sein müssen. 
„O laß im feuchten Hauch der Nächte, im Schattenduft 
nicht sprossen sündiges Verlangen“ setzten die Solostimmen 
mit einem in Triolen unstet und unsicher suchenden Thema 
kanonisch ein, während aus der Tiefe der Chorbässe, wie 
dunkle, graue Nebel auf- und abwallende, in Akkorden 
sich fortbewegende Motive heraufdrängen. Eine packende 
Stimmungs- und Naturschilderung zugleich, wie sie nur Strauß 
erfinden kann. Dann tritt mit den Worten „Daß aus dem 
Duft von Edens Zweigen in meinen Traum die Frucht des 
Lebens niederhangen“ eine neue Wendung mit einem neuen 
Thema ein, das sich wie das Wiegen schwerer Früchte am 
Baum ausnimmt. Dazu ertönt nie und da als Kontra- 
punkt das zweite, in Quartenschritten ansteigende „Wach 
in., mir“-Thema wie eine geheimnisvolle Warnung. Nach 
einer Art freier Durchführung schließt sich an diesen Teil 
eine große, mit einer freien Fuge beginnende Durchführung 
(Desdur), die mit einem eigenen Thema beginnt, aber dann 
im weiteren Verlauf fast alles vorangegangene Themen- 
und Motivmaterial in virtuosester Weise verwebt. Ganz 
prachtvoll in seinem gottergebenen, demütig bittenden Ton- 
fall ist das Fugenthema auf die Worte „O zeig mir, mich zu 
erquicken, im Traum das Werk vollendet, das ich angefangen“. 
Die Durchführung in ihren kunstvollen Einzelheiten zu be- 
schreiben könnte dieses Referat zu einer Broschüre erweitern; 
SO viel läßt sich darüber sagen. Es mag daher genügen, 
wenn ich auf die Studienpartitur hinweise, aus der jeder 
Wissensdurstige weit mehr ersehen kann als ich im engen 
Rahmen dieses Referats zu beschreiben vermag. Nur auf 
den geradezu aufregenden Orgelpunkt auf Des am Schluß 
der Durchführung als Klimax dieses Teils sei besonders 
hingewiesen. Nach diesen mächtig ergreifenden Höhe- 
punkten tritt — wieder in Cdur — mit den Worten „In 
deinem Schoße will ich schlummern bis neu mich weckt die 
Morgenröte deiner Wangen“ eine Beruhigung ein, die ein 
neues, schlichtes Thema, von dem aus aas Werk wieder 
in sanftere Bahnen eintritt, wohltuend verbreitet. Leiser 
klingt das Mahnende „Wach in mir“ aus der Tiefe herauf. 
Fast verklärt hebt noch einmal „Laß die Frucht des Lebens“ 
über den bereits in breiter Ruhe liegenden Harmonien an, 
und auch das „O zeig mir“ bittet noch einmal ganz verhalten, 
bis es von den letzten „O wach in mir! “-Rufen abgelöst 
wird, in die hinein dann der Anfang der Motette mit „Die 
Schöpfung ist zur Ruh gegangen“ wie eine liebevolle, 
streichelnde Hand dringt. 

Auffallend an der Arbeit ist die eigenartige formale Freiheit, 
mit der das Werk aufgebaut ist. Es folgt nicht einmal 
streng dem Gang des Gedichtes. Strauß hat den Stimmungen 
gehorcht, die die Zeilen, ohne Rücksicht auf ihren sich 
entwickelnden Zusammenhang, in ihm erweckt haben. Da- 
durch ist jedoch nicht etwa eine Sinnverstümmlung ein- 

? e treten. Ich glaube weit eher, daß Strauß gerade diesen 
ext gewählt hat, weil er ihm diese Freiheit vollauf ge- 
stattete. Aber auch in kontrapunktischer Hinsicht stehen 
wir hier vor einer befreienden Tat. Man darf wohl annehmen, 
daß Strauß eine konventionelle Fuge schreiben kann! — 
Um so angenehmer berührt es, daß er die Hauptfuge in 
großer Freiheit behandelt. Das Anklammern an die uber- 
ueferte Form kann man gern denen überlassen, die keinen 
festen formalen Rückhalt in sich selbst finden. Der Meister 
darf schalten und walten wie er will — er wird es schon 
richtig machen. Und so hat man denn hier dasselbe Gefühl 
der ungehemmten kontrapunktischen Eingebung wie bei 
Meister Johann Sebastian. Auffällig ist ferner, daß Strauß 
die Themen (ausgenommen bei der Fuge) stets sofort kano- 
nisch einsetzen läßt, so daß sich beinahe von Anfang an 
eine Engführung einstellt, die sich jedoch bald wieder auf- 
löst. Außerordentlich sind die Anforderungen an die Sänger. 
Nicht nur die schwierigsten harmonischen Komplikationen 
(die übrigens von eiserner Konsequenz diktiert sind) haben 
sie zu überwinden, sondern auch von dem Stimmenumfang 


verlangt Strauß hier das Alleräußerste. Ja, ich möchte 
fragen, wieviele Chöre es denn überhaupt gibt, deren Bässe 
vom Subcontra-B und Soprane bis zum dreigestrichenen 
Des reichen. Infolge der ungeheuerlichen Schwierigkeiten 
gelang es selbst nicht einmal unserem berühmten Opem- 
chor, an dessen Spitze einer der allerersten Chormeister, 
Prof. Hugo Rüdel, steht, das Werk so aufzuführen, daß 
man einen reinen musikalischen Genuß davon hatte. Freilich 
ist zu bedenken, daß es eben unserer heutigen Chortechnik 
noch um zehn Jahre voraus ist — aber in fünf Jahren werden 
wohl schon viele ehrgeizige Chöre diese Motette in leidlich 
anhörbarer Aufführung zu Gehör bringen können. Als vor 
etwa 13 Jahren der iöstimmige „Hymnus“ von Strauß 
herauskam, glaubte auch niemand, daß man ihn rein und 
eindrucksvoll singen könnte. Und doch gelang es damals 
schon dem prächtigen alten, ewig jungen Franz Wültner, 
mit seiner obersten Chorklasse des Kölner Konservatoriums 
und dem Gürzenichchor das Werk so gut wie tadellos singen 
zu lassen. (Auch an Basel und Hermann Suter sei erinnert. 
Red.) Als bei dem jetzigen Strauß-Konzert der Opernchor 
diesen „Hymnus“ zu Beginn des Abends sang, verkannte 
man wohl nicht die darin enthaltenen Schwierigkeiten, 
aber sie wurden mit aller Selbstverständlichkeit überwunden, 
während das bei der Motette durchaus nicht der Fall ge- 
wesen ist. Immerhin muß berichtet werden, daß der an- 
wesende Komponist vom Publikum mit Ovationen voll- 
kommen überhäuft wurde, die er mit lebhafter Geste auf 
Prof. Rüdel und den Chor weiterlenkte. Das ganze Konzert 
bedeutete mal wieder einen großen Abend im monotonen 
Berliner Musikleben. Ein Abend, an dem sich die kritischen 
_ Gemüter sehr mit Für und Wider erhitzten; ein Abend, 
an dem mancher Konzerthabitue aus seinem viel geübten 
Musikschlaf erwachte und mit Augenblinzeln wahrnahm, 
daß sich die musikalische Welt doch noch immer weiter- 
dreht! H. W. Draber. 


Im Mittelpunkt des Musiklebens in Oberschlesien steht, 
schon als Sitz des jetzt von Herrn v. Lüpke geleiteten Meister- 
schen Gesangvereins, die im äußersten Südosten des Industrie- 
bezirks gelegene Stadt Kattowitz. Der dort wirkende Musik- 
lehrer, Herr Otto Wynen, hat sich am 23. November durch 
die Veranstaltung eines Richard-Strauß-Festes, auf dem Strauß 
als Komponist, Dirigent und Pianist erschien, großen Dankes 
wert gemacht. 

Die Gastgeschenke bei diesem Strauß-Feste könnte man 
mit Goethe als „zahme Xenien“ bezeichnen. Man bot den 
Oberschlesiern, die mit der modernen symphonischen Musik 
natürlich viel weniger vertraut sind als die Großstädter, 
keine problematische, von Schlagwörterbüchem „hyper- 
modern“ genannte Musik, sondern durch lyrische Melodik 
sich ins Ohr schmeichelnde, durch jugendlichen Eklektizis- 
mus ebenfalls leicht zugängliche und zwei als „klassisch“ 
längst anerkannte Werke. Till Eulenspiegel gehörte weder 
an die Spitze des Programms — als Satyrspiel zum mindesten 
an dessen Ende. Die liebe alte Schelmenweise erzeugte dies- 
mal überhaupt nicht die Wärme, die mir die geist- und 

f emütvolle Partitur bisher immer ausströmte. Ihr Schöpfer 
lieb und ließ kühl, er schien noch nicht in der richtigen 
Stimmung zu sein. Auch manchen Holzbläsern fehlte die 
rechte Laune, nur die - Streicher paßten zu den lustigen 
Streichen. Einen vortrefflichen Primgeiger besitzt das 
„Blüthner-Orchester“, das in einer Stärke von 75 Künstlern 
den Klangkörper bildete, in Herrn N. Lambinon. Ganz 
andere Eindrücke begleiteten Tod und Verklärung; dieser 
Schluß des Konzertes war sein Gipfel. Noch weiter hinauf 
kann orchestrale Kunst wohl nicht klimmen, als bis auf die 
Höhen, zu denen wir von Strauß und dem „Blüthner-Orche- 
ster“ in der Wiedergabe des wundervollen Tongedichts vom 
Sterben und Wiederaufleben hinangezogen wurden. Das 
Vorspiel zum ersten Aufzuge des „Guntram“ bezeichnete mir 
Strauß mit der offenherzigen Selbstironie, die ihm so gut 
steht, als einen Nachzügler des „Lohengrin“. Es macht in 
der Tat den Eindruck des Reifezeugnisses eines Abiturienten, 
der mit Talent und Fleiß die Wagner-Schule absolviert hat. 
Aber wenn es so schön gespielt wird wie unter Straußens Leitung 
in Kattowitz, dann bedauert man, dem warmblütigen, gut 
klingenden Stück so selten zu begegnen. Auch dem Vionn- 
konzert, op. 8, und der Bläserserenade, op. 7, sollte man 
überall Beachtung schenken. Dem Violinkonzert, in dem 
das Vorbild Mendelssohns zu erkennen ist, merkt man nicht 
an, daß die ersten Skizzen der Partitur in das Mathematik- 
heft des achtzehnjährigen Münchner Oberprimaners Richard 
Strauß eingetragen waren; es hat gar nichts Konstruiertes, 
gar nichts arithmetisch Berechnendes in sich. Herr Witten- 
berg spielte besonders den zweiten Satz mit edlem, beseeltem 
Ton, un Rondo klang manches zu rauh, hauptsächlich wohl 
infolge der etwas spröden Akustik in dem neuen Kattowitzer 
Theater. Die Leitung dieser beiden Jugendwerke hatte der 
Komponist an Herrn Wynen abgegeben, der unter durch- 
schnittsmäßigen Verhältnissen Tüchtiges leisten mag, aber 


135 



lieben Strauß sich nicht behaupten konnte. Seine viel zu 
stark markierende Stabführung förderte die Ohrenzeugen nur 
wenig und bereitete überdies den Augenzeugen keine Freude. 
Den Ohren und Augen des Publikums gleich angenehm war 
Frl. Ar tot de Padilla von der Berliner Hofoper. Ihre ganze 
Art entspricht viel mehr dem Charakter der Soubrette als 
dramatischer Größe und pathetischem Ausdruck. Deshalb 
muß sie der Straußischen Lyrik manches schuldig bleiben, 
und darum mögen wohl an die Stelle der ursprünglich aufs 
Programm gesetzten „Verführung“ drei zum Wesen der 
Künstlerin besser passende köstliche Gesänge mit Orchester 
getreten sein. Diese und andere Lieder wurden mit echt 
empfundenem Vortrag und feiner Sangeskunst gestaltet, und 
Strauß dirigierte sie mit derselben Meisterschaft, mit der 
sein wundersam verschleierter Anschlag fünf Perlen seiner 
Liedkunst am Klavier mild nachleuchten ließ. 

Paul Riesenfeld. 


Berliner Opernbrief. 

I m Berliner Opernleben ist es jetzt still geworden. Man 
hat den ersten Teil des winterlichen Pensums beendet 
und rüstet sich für die Parsifal- Aufführungen des neuen 
Jahres. Für die Opernkritik ist eine Ruhepause eingetreten, 
die gerade den geeigneten Zeitpunkt für einen Rückblick auf 
die zurückliegende Saison abgibt. Im Gegensatz zu anderen 
deutschen Buhnen hatten wir diesmal keine Uraufführungen 
zu verzeichnen. Was an neuen Werken geboten wurde, 
waren Auffrischungen älterer Werke, Neueinstudierungen 
oder lokale Erstaufführungen bekannter Arbeiten. Im Mittel- 
punkt stand die Zentenarfeier Verdis. Sie brachte uns eine 
prunkvolle Inszenierung des „Troubadour“ in der „Deutschen 
Oper“ und eine interessante Aufführung des „Don Carlos“ 
durch die „Königl. Oper“. Für ein größeres Publikum ist 
eine Zwitteroper, wie der Carlos, nicht die rechte Kost. Das 
Schwanken zwischen italienischen und französischen Eigen- 
heiten, das Suchen und Aufspüren neuer Ausdrucksmöghch- 
keiten, das Nebeneinander der verschiedensten Stilmomente, 
das diese Uebergangsoper charakterisiert, interessiert mehr 
den Freund der Verdischen Kunst, als den großen Zuhörer- 
kreis. Die Oper ist in die Erinnerung zurückgerufen, aber 
nicht wiedergewonnen worden. Und so wird sie wohl trotz 
der schönen Einstudierung durch Kapellmeister Edmund 
v. Strauß bald vom Spielplan wieder abgesetzt werden. Das 
gleiche Geschick muß man leider auch der kleinen Spieloper 
„Les voitures vers6es“ von Boieldieu Voraussagen, die in der 
Königl. Oper eine hübsche Auffrischung erfuhr. Georg 
Droescher hat das Stück übersetzt und bearbeitet und seiner 
Einrichtung den Namen „der Satansweg“ gegeben. Mit 
diesem Satansweg ist ein holperiger Landweg in der Nähe 
von Paris gemeint, auf dem alle Wagen Umstürzen. Der 
Gutsbesitzer Dormucil läßt den Weg nicht ausbessem, da 
die verunglückten Reisenden in der Regel in seiner Villa 
einkehren und ihm in seinem langweiligen Provinznest eine 
willkommene Unterhaltung bringen. Eine solche Reisegesell- 
schaft wird dem Gutsbesitzer einmal reichlich unangenehm. 
Er will sie möglichst schnell wieder aus dem Hause haben, 
holt eine Ersatzkutsche und stürzt selbst in die Grube, die 
er andern gegraben hat. Diese kleine Geschichte, die ur- 
sprünglich für ein Vaudeville geschrieben wurde, ist recht 
amüsant zu einer komischen Oper ausgenützt worden, sie 
bringt wirksame Situationen, lustige Episoden und dankbare 
Szenen. Boieldieu hat dazu eine reizvolle, graziöse Musik 
geschrieben, sangliche Weisen, kunstvolle Arien und En- 
semblesätze. Jede Gelegenheit zu Tonspielereien, aktuellen 
Parodien und charakteristischen Musikstücken wird wahr- 
genommen, so daß sich bald die rechte Lustspielstimmung 
einstellt. Richard Strauß, der die erste Aufführung leitete, 
ließ alle Szenen in leichtbeschwingten, prächtig belebten Zeit- 
maßen vor überziehen. Er gab der Musik jene Leichtigkeit 
und Anmut, die der französischen Spieloper erst den rechten 
Grundton und die rechte Stimmung verleiht. 

Als ein künstlerisches Ereignis kann man auch die Gast- 
direktion von Saint-Saens in der Königl. Oper bewerten. Die 
Berliner Striche, die in seiner lyrischen Oper „Samson und 
Dalila“ seit Jahren üblich sind, waren auf Wunsch des Kom- 
ponisten beseitigt. Man hörte die Oper so, wie sie Saint- 
Saens ausgeführt haben will. Der Eindruck dieser unge- 
kürzten Aufführung war wesentlich stärker und tiefer, als 
bei früheren Vorstellungen. Vor allem nimmt Saint-Saens 
die Tempi ruhig und gemessen, ganz im Geist der alten 
Tragödie lyrique. Er hält sich an das Pathos der klassischen 
Opernmeister und gibt der Musik eine Ruhe und Geschlossen- 
heit, die an die Werke Rameaus und Glucks erinnert. Mit 
den neu eingeführten Musikstücken kann man sich ganz gut 
befreunden. Sie verschleppen den Gang der Handlung nur 
wenig und können schon ihrer interessanten Ausführung 

136 


wegen beibehalten werden. Daß diese authentische Dar- 
stellung durch Saint-Saens nicht gerade temperamentvoll 
geboten wurde, läßt sich leicht denken. Trotzdem war es 
aber bewundernswert, mit welcher Hingabe der 78jährige 
Meister dirigiert und für sein Werk eintrat. 

Unsere zweite Opembühne, die „Charlottenburger Oper“, 
versuchte ihr Glück mit der Berliner Erstaufführung von 
Viktor v. Woikowsky-Biedaus Bühnenspiel „Das Nothemd“. 
Die Oper hat bereits in Dessau die. Feuertaufe bestanden und 
ist in glanzvollem Rahmen auch bei uns beifällig und freund- 
lich aufgenommen worden. Allerdings bringt das Stück mehr 
Hofbaungen und Versprechungen, als künstlerische Taten. 
Man spürt ein starkes dichterisches Talent, man fühlt die 
sicher gestaltende Hand eines kundigen Dramatikers und 
wird doch durch den Gesamteindruck enttäuscht. So phan- 
tasievoll der Dichter arbeitet, so schön und wirksam die Wege 
Wagners eingehalten und weiter verfolgt werden — es bleibt 
doch ein Rest, der von schwachen Dialogen, von imprä- 
gnantem Musikausdruck und mannigfachem Stückwerk er- 
zählt. Die schwache Seite der Oper liegt in der Musik. Ihr 
fehlt die große Linie, der dramatische Schwung und die Per- 
sönlichkeit. Wo sich Woikowsky-Biedau an altdeutsche 
Weisen und Bräuche anlehnt, wo er stilgetreu und volks- 
tümlich sein will, trifft er den mittelalterlichen Ton seines 
Gedichtes überzeugend und wirksam. Sonst kommt er nur 
selten über ein gewandtes Musizieren hinaus. Vielleicht wäre 
die Wirkung der Oper größer gewesen, wenn einige Partien 
bei der Uraufführung besser besetzt worden wären. So blieb 
es bei einer achtbaren, anerkennenden Aufnahme. Auch mit 
der Neueinstudierung von Lortzings „Undine“ wollte sich kein 
Erfolg einstellen. Direktor Hartmann hatte die Oper von 
allen traditionellen Einlagen und Strichen gereinigt und seiner 
Bearbeitung die Wiener Partitur Lortzings und den alten 
Klavierauszug Breitkopfs zugrunde gelegt. Dadurch haben 
einige Partien an Klarheit und Eindringlichkeit gewonnen. 
Doch ist durch diese verdienstliche Einrichtung kein neuer 
Eindruck erzielt worden. Gerade bei dieser in die Länge 
gezogenen Aufführung fühlte man, daß sich Lortzing mit der 
„Undine“ auf ein Gebiet begab, das seiner ursprünglichen 
Begabung fern lag. Weit besser schnitt die „Deutsche Oper“ 
mit Puccinis „Manon Lescaut “ ab. Die Manier Puccmis, 
jeden musikalisch dankbaren Stoff ohne große Bedenken in 
eine musikdramatische Form umzugießen, hat sich so schnell 
durchgesetzt, daß die lyrische Oper Manon, die unter Gregor 
bereits zur Diskussion gestellt wurde, keinen Widerspruch 
mehr findet. Die feinsinnige Instrumentation, die reiche 
Lyrik und Harmonik der Partitur läßt über alle Schwächen 
des Buches und auch über trockene Stellen hinweghören. 
Und wenn die Oper noch in einer so prächtigen Inszenierung 
erscheint, wie im Deutschen Opernhaus, dann kann sie ganz 
gut wieder eine Saison hindurch bestehen. 

Dr. Georg SchUnemann. 


Von der Münchner Hofoper. 

Giuck-Duncan. — Klenaus „Sulamith“. 

E s ist an dieser Stelle schon öfters darauf hingewiesen 
worden, daß das Repertoire unserer Hofbühne in einem 
allzuengen Kreise sich bewegt, daß insbesondere die 
ältere Spieloper stark zurückgedrangt wird, daß mancher 
bedeutende Meister überhaupt nicht zu Worte kommt, 
daß namentlich Gluck in nicht zu verantwortender Weise 
vernachlässigt wird. Mit Ausnahme von „Orpheus und 
Euridike“ ist seit vielen Jahren kein Glucksches Werk 
hier zur Aufführung gelangt. 1 Groß war daher die Freude, 
als die Intendanz für den 4. November anläßlich eines Gast- 
spieles der Elizabeth-Duncan-Tanzschule eine Aufführung 
von des Meisters lyrischem Drama „Echo und Narziß“ 
angekündigt hatte. Wiewohl man wußte, daß Glucks 
letztes Buhnenwerk nicht mit seinen bedeutenden Schöp- 
fungen zu vergleichen war, so freute man sich doch, in der 
Ankündigung Bereits eine Wandlung zum Besseren, d. h. 
in diesem Falle den Anfang einer liebevollen Gluck-Pflege 
erblicken zu dürfen. Wie es dem Ansehen und dem Ruhme 
unseres berühmten Institutes namentlich anläßlich der ihre 
Schatten bereits vorauswerfenden Zweihundertjahrfeier des 
Meisters (geb. 2. Juli 1714 zu Weidenwang in Bayern) 
gar wohl entsprochen hätte. Doch man täuschte sich. Die 
Gluck-Pflege blieb zunächst auf den einen Abend beschränkt 
und was die Freude über die angesetzte „Echo- und Narziß“- 
Aufführung anbelangt, so mußte sie einer schlimmen Ent- 
täuschung weichen. Das, was wir da zu sehen und hören 
bekamen, soll „Echo und Narziß“ gewesen sein ? Nein, das 


1 Genau wie am Stuttgarter Hoftheater, das dafür gleich- 
falls das verfehlte Duncan-Experiment brachte. Red. 



war es nicht. Sondern die Elizabeth-Duncan-Tanzschule 
hatte dieses Werk Glucks ausersehen, um es ihren Zwecken 
dienstbar zu machen. Der Theaterzettel teilte uns zwar 
euphemistisch mit, daß Elizabeth und Augustin Duncan 
und Max Merz, der die Aufführung leitete, „Echo und Narziß“ 
„bearbeitet hätten“. In Wirklichkeit haben die Herrschaften 


und Max Merz, der die Aufführung leitete, „Echo und Narziß“ 


in Glucks Partitur bös gehaust, gestrichen und gestrichen, 
daß das Werk nicht mehr zu erkennen war. Und nun das 
Unglaubliche. Die drei darstellenden Solisten (Amor, Echo 
und Narziß) und der Chor waren angewiesen worden, im 
Orchesterräume Platz zu nehmen, um bei der trauten Lampe 
Schein ihre Rollen abzulesen, indes die Bühne von den 
Mitgliedern der Tanzschule okkupiert wurde, die uns den 
Inhalt der Oper, alle seelischen Regungen als Trauer, Freude 
„vertanzten“. Da es unmöglich war, das Gesungene zu 
verstehen, so bewundere ich aufrichtig diejenigen, die sich 
rühmen können, von dem Ganzen einen vollkommenen 
Eindruck empfangen zu haben. Mir gelang dies leider nicht. 
Isadora Duncan hatte sich vor mehreren Jahren in be- 
scheidener Weise begnügt, Beethovens cis moll-Sonate und 
die A dur-Symphonie, diese an sich unverständlichen Werke 
durch den Tanz auszulegen — was dazu wohl Beethoven 
gesagt hätte ? — , ihre Schwester ist schon etwas begehr- 
licher, sie benötigt bereits eine Glucksche Oper, vielleicht 
erleben wir’s, denn l’appetit vient en inangeant, daß sie 
sich noch an „Fidelio" oder „Tristan und Isolde“ heranwagt. 
Heutzutage, in einer Zeit, in der augenscheinlich sich die 
Begriffe verwirrt haben, wäre dies nicht unmöglich. Doch 
zurück — ist das der Beginn der modernen Gluck- Bewegung, 
deren Gemeinde in ihrem Aufrufe u. a. sagt, eine Bearbeitung, 
die Gluck zerstört, muß in jedem Falle für eine Ehrung 
Glucks völlig außer Betracht bleiben ? 

Was den Tanz selbst anbelangt, so sei den Schülerinnen 
Elizabeth Duncans gerne bestätigt, daß sie in höchst reiz- 
voller Weise, in vollendeter Anmut ihre Aufgabe lösten, 
manches Hoftheaterballett könnte von ihnen lernen; auf 
der einen Seite also erlesenster Geschmack und wirkliche 
Künstlerschaft, auf der anderen unbegreifliche Verirrung. 
Rein musikalisch läßt sich über die Aufführung, die zahl- 
reich besucht war, gar nichts Gutes sagen, sie war sehr lang- 
weilig und durchaus nicht von Gluckschem Geiste erfüllt. 

Eine aparte Gabe bekamen wir am 16. November zu hören, 
es fand die Uraufführung des dramatischen Erstlingwerkes 
von Paul v. Klenaus „Sulamith“ statt, v. Klenau, ein junger 
Däne, der vor mehreren Jahren hier bei Ludwig Thunle 
studierte, hat mit diesem Einakter eine schöne Probe seiner 
Begabung und seines Könnens für die dramatische Kunst ab- 

f elegt. Freilich dramatisch ist dieses Werk, kann dieses Werk, 
as die Vertonung des hohen Liedes Salomos bedeutet, in kei- 
ner Weise sein. Da ich den Inhalt des Gedichtes als bekannt 
voraussetzen darf, so sei nur kurz erwähnt, daß v. Klenau 
die wenigen Möglichkeiten, die es bietet, das lyrische Gebiet 
zu verlassen, mit Scharfsinn ausgenützt hat; auf diese Weise 
ist es ihm gelungen, die gerade bei diesem Vorwurfe drohende 
Monotonie des Ausdruckes zu vermeiden. Es fehlt in seiner 
Arbeit nicht an wirksamen Gegensätzen, was nach Anlage 
des Stoffes schon etwas heißen will. Das hohe Lied Salomos 
zu komponieren, ist jedenfalls ein Wagnis. Ein anderes 
aber ist, ob das hohe Lied, diese Blüte lieblichster Lyrik, 
überhaupt für die Bühnenbearbeitung geeignet ist und ob 
diese einen wirklichen Gewinn bedeutet. Diese Frage, 
glaube ich, verneinen zu sollen; mir schiene die Vertonung 
in Konzertform angemessener, v. Klenaus Musik ist ein- 
heitlich, frei von jeder Trivialität und populärer Melodik, 
sie erweckt in ihrem künstlerischen Ernste, der so angenehm 
berührt, und bei aller Polyphonie schlichten Einfachheit 
einen prächtigen Eindruck. Sie ist vor allem in jeder Note 
voll und ganz empfunden, das scheint mir ein bedeutender 
Vorzug zu sein. Max Schillings könnte ihr als Vorbild 
gedient haben. Die lyrischen Linien zeigen schöne Ansätze, 
nur sind sie etwas kurzatmig geraten, hier wird der Kom- 

B inist bei kommenden Arbeiten sich noch zu vertiefen- haben. 

ie lange Linie, der große Bogen sind es, die den Meister 
kennzeichnen. Die sechs Bilder — sie währen etwa 50 Mi- 
nuten — sind leider stets so knapp gehalten, daß eine wirk- 
liche Stimmung nicht recht Platz greifen will, kaum warm 
;e worden, wird der Zuhörer durch den aus technischen 
riinden sich schließenden Zwischenvorhang wieder er- 
nüchtert. Und das ist schade, denn es ist dem Komponisten 
gelungen, die einzelnen Bilder gar prächtig zu charakte- 
risieren. Auch der Schluß des ganzen Werkes ist nach 
meinem Gefühle zu kurz geraten, ihm würde ein längeres 
Betonen und Ausklingen des großen Gedankens: 

„Viel Wasser mögen nicht aus sie löschen die Liebe 
Und Ströme sie nicht ersäufen die Liebe“ 

meines Erachtens zum Vorteile gereichen. 

v. Klenaus Orchester schillert und schwelgt in den be- 
rückendsten Klangfarben, doch nicht des „Effektes“ willen, 
sondern sein Kolorit ist aus dem Vorgänge der Szene ge- 
boren, wie es bei einem echten Kunstwerke sein muh. ine 


s 


Aufführung war ausgezeichnet. Wundervolles leistete die 
Regie (Wirk), die ganz herrliche Bilder geschaffen hatte und 
mit den beiden Darstellern (Frl. Perard-Petzl und Herrn 
Brodersen) wird der Komponist wohl zufrieden gewesen 
sein. Sie gaben ihr Bestes. Daß unser ausgezeichnetes 
Hoforchester unter Walter die Klangschönheiten der Partitur 
zu restloser Wiedergabe brachte, braucht wohl nicht erst 
gesagt zu werden. Die Aufnahme des Werkes seitens des 
ausverkauften Hauses, in dem sich zahlreiche Musiker von 
Namen befanden, war sehr warm und herzlich, so daß der 
Komponist sich verschiedene Male zeigen konnte. Möge er 
mit einem ergiebigeren Stoffe bald wiederkehren ! Vor 
merklich geleertem Hause ging darauf (unter Röhr) der — 
„Bajazzo“ in Szene. Prof. Heinrich Schwartz. 


Boris Godunow in Breslau. 

M. P. Mussorgskis Oper „Boris Godunow“ hat erst vier 
Jahrzehnte nach der Petersburger Uraufführung und erst 
33 Jahre nach dem Tode ihres Schöpfers den Weg nach 
Deutschland gefunden. Sie ist als die Leistung eines Dilet- 
tanten, der sein Erwerbsleben als Offizier begann, als Reporter 
für Kriminalprozesse fortsetzte und in einer subalternen Be- 
amtenstellung beendete, eine noch viel erstaunlichere Tat 
als ohnedies. Ihre Schwäche liegt in dem erheblichen Mangel 
an Einheit der Handlung, in der sprunghaften Entwicklung 
der wie in einer Laterna magica wechselnden Bilder, die 
man ohne genaue Erläuterungen überhaupt nicht verstehen 
kann; auch M. Lippolds deutsche Uebersetzung kann uns 
für das Textbuch nicht gewinnen. Die bedenkenlose Naivität 
des „Librettisten“ ist einer der größten Vorzüge des Kom- 
ponisten. Gerade in dem episodischen, naiven, volkstüm- 
lichen Charakter der Musik liegt ihre Stärke. Am besten 
offenbart uns das die unvergleichlich individuelle Kraft der 
Volkschöre und der urwüchsig-diabolische Humor der Dorf- 
schenkenmusik, die wie eine Illustration zu Gorkis „Nacht- 
asyl“ wirkt. In dieser genialen Szene erkennt man ebenso 
gut wie in der scharfen Wesenszeichnung mancher Personen 
oder in der mächtig packenden, gespensterhaft dramatischen 
Vision des von Reue und Angst gepeinigten Zaren Boris 
Godunow die ganz genaue Anpassung der Musik an ihre 
Umwelt und Menschheit. Zur Charakteristik verwertet der 



PAUL v. klekau. 


*3 7 


Komponist außer heimischen Volksweisen besonders eine 
reizvoll fremdartige Diatonik, deren einfältige Ganztonschritte 
die Einfalt sowie das Gemisch von Melancholie und Phlegma 
dieser kulturlosen Naturen trefflich wiedergibt; ferner den 
Parallelismus von Quarten und Quinten, die zur Oede und 
Kälte, zur Einförmigkeit und Starrheit des heiligen Ruß- 
land vorzüglich passen. Den Eindruck byzantinischer Feier- 
lichkeit und asiatischen Lebens fördern neben mittelalter- 
lichen Kirchen tönen vorchristliche, z. B. lydische und phry- 
gische, Tonarten, Dem elementaren Gedanken- und Gefühls- 
leben der diese Ilmwelt bevölkernden Wesen entspricht die 
unkomplizierte Melodik und Satztechnik. 

Wie Dei Wagner, so finden wir auch hier die Uebermacht 
„durchkomponierter“ Teile über „geschlossene Nummern“, 
psychologisch-musikalische Deklamation, Vorherrschaft der 
Monodie und vor allem Verlegung der größten Werte ins 
Orchester. Aus dessen köstlich klarer Tonflut tauchen Ge- 
bilde auf, die sich zwar nicht wie die Leitmotive Wagners 
an die Sohlen jeder Person heften, aber als musikalische 
Kehrreime und leitende Erinnerungsmotive ihre Bedeutung 
haben. Der Gegensatz zu Wagner und der „neudeutschen 
Richtung“ zeigt sich bei dem echten Russen darin, daß er 
seine Gestalten nicht durch Erlösungsideen oder romanti- 
schen Gefühlsüberschwang idealisiert. Er befrachtet sie nicht 
mit philosophischer Gedankenlast und macht sie nicht zu 
Medien eines musikalisch-ethischen Spiritismus, sondern 
pflegt das dürre Reis russischen Volkstums so, wie es dem 
Steppensande entwächst, ohne es zu okulieren; denn er ist 
Naturalist, freilich keiner von den trockenen Kopisten der 
Natur und langweiligen Photographen der Erscheinungswelt, 
sondern ein naturalistischer Künstler im Sinne Zolas, der 


gesagt hat: „Kunst ist ein Stück Natur, gesehen durch ein 
Temperament.“ Seine obersten Grundsätze sind die kom- 

g ro mißlose Wahrheit, die Belauschung des lebendigen Lebens, 
ie Echtheit der Charakteristik mit rein musikalischen Mitteln. 
Das sind ja auch die Prinzipien der „Elektra“. Strauß 
jedoch ist Pointillist, d. h. er bildet aus scharfen Punkten 
und Kontrapunkten Tongemälde von starkem Reiz, während 
Mussorgski in großen Limen zeichnet, die mit breiten Pinsel- 
strichen übermalt sind. Jener arbeitet nüt kurzen, prägnanten 
Motiven, dieser mit breiteren, Kantilenen vergleichbaren 
Themen und hält sich — etwa im Gegensätze zu extremen Na- 
turalisten wie Schönberg — an die sogen. Schönheitslinie, wenn 
lyrischer Ausdruck dazu drängt. So z. B. hört man in der 
polnischen Szene lyrischen, sich ins Ohr schmeichelnden 
Zwiegesang von der Art, durch die viel später Puccini beliebt 
wird. Macht Mussorgski hier etwa eine Konzession ? Durch- 
aus nicht! Er bleibt auch hier der Wahrheitssucher und 
-finder; denn der Schloßgarten von Sandomir, wo die schöne 
Polin Marina die Netze ihrer Ehrsucht und Liebe nach dem 
falschen Kronprätendenten Demetrius auswirft, ist die Stätte 
abendländisch verfeinerter Kultur und romanischen Ge- 
schmacks; die Menschen sind konventioneller, das Leben ist 
förmlicher. Und darum ist auch die Musik, um es kurz zu 
sagen, europäischer. Dem westeuropäischen Gefühlsleben 
die Oper näher gebracht zu haben, ist eine Leistung Rimsky- 
Korsakows und bleibt sein Verdienst, selbst wenn er, wie 
Heinrich Möller meint, durch seine Instrumentation und Be- 
arbeitung manches Originale in der Klavierskizze verwischt 
haben sollte. Jedenfalls ist seine instrumentale Ueber- 
malung ganz wundervoll; Kapellmeister Prüwers Orchester 
blieb ihr nicht das geringste schuldig. Herr Intendant 
Runge hatte für Leben und Bewegung in den Chören und 
für eine stilechte, prächtige Ausstattung gesorgt. Der beste 
unter den Solisten war Herr Wilhelmi als Bettelmönch; in 
der Titelrolle zeichnete sich Herr Gruder-Guntram als Dar- 
steller aus. Gesanglich ihm weit überlegen zeigte sich der 
mit Recht berühmte russische Baritonist Baklanoff, nächst 
Schaljapin der beste Vertreter der Rolle des Boris Godunow; 
sein Gastspiel gab mir Gelegenheit, Mussorgskis Oper zum 
drittenmal zu hören. Sie verdient dieses Interesse; ist sie 
doch neben dem „Falstaff“ die größte musikdramatische Er- 
scheinung der letzten Jahrzehnte. P. R. 



Baden-Baden. Im zweiten Symphoniekonzert des städti- 
schen Orchesters, dessen Programm eine Reihe interessanter 
Erstaufführungen anzeigte, hat der junge Komponist Heinrich 
Bienstock, ein Schüler von Humperdinck, einen orientalischen 
Tanz aus seiner in Karlsruhe aufgeführten Oper „Zuleima“ 
dirigiert. Der hochtalentierte junge Künstler erntete mit 
diesem aufs Modernste instrumentierten originellen Bruch- 
stück aus seiner Oper lebhaften Beifall. Kapellmeister August 
Scharrer brachte eme großzügig angelegte, geistvolle Gedanken 
aufweisende „Ouvertüre zu einem ritterüdien Spiel“ zur Ur- 

138 


aufführung. Der Professor für Cello am Straßburger Kon- 
servatorium, Emil Mawet, führte zwei sehr gehaltvolle, den 
feinfühligen Musiker verratende Orchesterstucke aus seiner 
durch Pfitzner in Straßburg zur Aufführung kommenden 
Oper „Phosphoreine“ vor, die ebenso wie- die Ouvertüre 
Scharrers sehr gefielen. Als feinempfindender, technisch aus- 
gereifter .Geiger stellte sich der neue Konzertmeister des 
städtischen Orchesters, Herr Aßmus, mit dem Violinkonzert 
von Mendelssohn einem größeren Publikum vor. Der städti- 
sche Kapellmeister Paul Hein beschloß das Konzert mit der 
Tondichtung „Till Eulenspiegel“ von Rieh. Strauß, die er 
mit genialem Schwung belebte unter Entfaltung leuchtendster 
Klangpracht. M. 

Königsterg 1. Pr. Was wir in andern Großstädten erlebt 
haben, wird auch bei uns zur Wahrheit: die Zahl der musi- 
kalischen Aufführungen wächst von Tag zu Tag, in demselben 
Maße aber auch die Konzertmüdigkeit des Publikums. Zwar 
die jährlich bei uns wiederkehrenden Gäste wie Artur und 
Therese Schnabel, Flesch, Eweyk, Hubermann, Friedberg, Culp 
u. a. m. werden immer wieder mit Beifall begrüßt, obwohl 
sie uns stets dieselben bis zum Ueberdruß gehörten „klassi- 
schen“ Programme vorsetzen. (Nur Petschnikoff wagte es, 
R. Straußens Violinsonate in Esdur zu spielen.) Man hält 
eben Königsberg — und das mit einigem Recht — für noch 
nicht reif genug. (Es ist anderswo auch nicht viel anders. 
Red.) Spricht nicht auch der Umstand dafür, daß das erste 
Novitätenkonzert des Stadthallenorchesters vor fast leerem 
Hause stattfand? Und doch gab es hier Stücke zu hören, 
die musikalisch höchst bemerkenswert sind, so z. B. Lucian 
Kamienskis (eines Königsberger Musikkritikers) Vorspiel zu 
seiner biblischen Oper „Thamar“, Woyrscks Symphonie in 
cmoll (in einer nach Tempo und Dynamik ungenügenden 
Wiedergabe) und die Ouvertüre zu der demnächst in Char- 
lottenburg herauskommenden Oper „Die Herzogin von Marl- 
borough“ von Otto Fiebach. Uebergehen wir die große Zahl 
der Konzerte von Anfängern und Lokalgrößen, so ist noch 
zu berichten, daß uns die Symphoniekonzerte nicht ganz ein- 
wandfreie Aufführungen von Saint-Saens’ 3. und Bruckners 
8. Symphonie brachten. Die Symphonie des Franzosen ist 
ein geistreiches Werk, das sich aber gegen Schluß hin ver- 
äußerlicht. Unter den Musikaufführungen der zahlreichen, 
zu zahlreichen Vereine Königsbergs stand ein Beethoven- 
Abend des „Musikvereins“ mit Beethovens „Achter“ unter 
Paul Scheinpflug obenan. Im Rahmen eines religiösen Kon- 
zertes des ungemein rührigen „Königsberger Sängervereins“ 
spielte Alfred Sittard die dmoll-Sonate op. 60 für Orgel von Max 
Reger, ein hier unbekanntes Werk, gigantisch und stimmungs- 
echt in seinem musikalischen Barockstil. Der „Philharmonische 
Chor“ brachte unter Leitung des auch als Komponist her- 
vorgetretenen Artur Altmann Niels W. Gades schon vergessene 
„Kreuzfahrer“ zur Aufführung. Das Königsberger Stadttheater 
bot als Verdi-Feier den „Othello“ in einer gelungenen Auf- 
führung, machte sich dann aber an eine Wiedergabe des 
ganzen Nibelungenringes, ein Unternehmen, das trotz der von 
Regisseur und Sängern aufgewandten Mühe als verfehlt be- 
zeichnet werden muß. solange das Orchester nur etwa die 
Hälfte der von Wagner verlangten Musiker enthält. 

Dr. Erwin Kroll. 

Meiningen. Im Abonnementskonzert der Herzogi. Hof- 
kapelle hat die erst 13jährige Geigerin Alma Moodie aus 
Brussel gespielt. Mit großer Spannung sah man ihrem Auf- 
treten entgegen. Max Reger war auf dieses außergewöhnliche 
Talent aufmerksam geworden und lud die Künstlerin ein, 
in einer Reihe von Konzerten in Thüringen das Brahms- 
sche Molinkonzert zu spielen. Wie sich die jugendliche 
Geigerin ihrer Aufgabe luer entledigte, setzte die Zuhörer in 
Erstaunen und Verwunderung. Nicht nur allein, daß sie die 
technischen und rhythmischen Schwierigkeiten dieses in der 
Violinliteratur mit an erster Stelle stehenden Werkes voll- 
kommen beherrschte, sie fesselte besonders durch ihre un- 
übertreffliche musikalische Gestaltungskraft und durch einen 
großen, edlen Ton. Diese Vorzüge zeigten sich auch in der 
vollendeten Wiedergabe der Reger- Sonate e moll für Violine 
allein. Noch nie gehörter Beifall durchbrauste den Konzert- 
raum. L. 


Neuaufführungen und Notizen. 

— Für die Richard Wagner- und Mozart-Festspiele in Mün- 
chen, im August und September 1914, sind folgende Fest- 
aufführungen in Aussicht genommen: „Parsifal“, „Ring des 
Nibelungen“, „Tristan und Isolde“, „Die Meistersinger“; 
ferner „Figaros Hochzeit“, „Die Entführung“, „Don Gio- 
vanni“, „Die Zauberflöte“ und „Cosi fan tutte“. 

— Ein interessantes Bild über die Anforderungen der 
Parsifal- Aufführungen an die Künstler zeigt die Zeiteinteilung 
eines bekannten Parsifal-Sängers, des; badischen Kammer- 
sängers Heinrich Hensel, der in Bayreuth den Parsifal singt. 
Herr Hensel singt den Parsifal vom 2. Januar ab bis zum 
21. Januar zehnmal in Brüssel, am 23. und 27. Januar in 



Hamburg, am 28. wieder in Brüssel; am 29. Januar muß er 
ihn in London proben, um ihn am 2. Februar zu singen, am 
5., 11. und 17. Februar singt er ihn wieder in Brüssel, am 
7. in London und am 15. in Hamburg, so daß er insgesamt 
also im Verlaufe von sieben Wochen zwanzigmal diese große 
Rolle wiedergeben muß. 

— Die Münchner Hofoper hat neulich ihr Publikum nach 
Hause schicken müssen. Hs sollte „Tristan und Isolde“ sein, 
aber alle erreichbaren Isolden waren indisponiert, so daß 
nichts übrig blieb, als dem ausverkauften Hause mitzutdlen, 
die Vorstellung könne nicht stattfinden. Ein ganz seltener 
Fall. 

— Die Uraufführung der neuen Oper Eugen d’Alberts, „Die 
toten Augen“, ist schon für Herbst in Dresden und Köln 
angesagt gewesen. Aber die Dresdner Uraufführung ist, wie 
es heißt, auf unbestimmte Zeit verschoben. Ueber die Gründe 
verlautet nichts. Vielleicht sind sie im Textbuch zu suchen. 

— In der Neuen Oper zu Hamburg ist der „Hamlet“ von 
Ambroise Thomas gegeben worden. 

— Volkmar Andreae (Zürich) hat, wie schon gemeldet, die 

Partitur zu einer abendfüllenden Oper beendigt; das Text- 
buch holte er sich bei Heinrich Heine, indem er dessen 
Ratclifj-Dtama. seinem ganzen Wortlaut nach in Musik setzte. 
Wegen der Uraufführung ,die im Frühjahr 1914 stattfinden 
dürfte, steht der Komponist bereits mit verschiedenen deut- 
schen Opernbühnen in Unterhandlung. E. Trp. 

— Direktor Hans Gregor hat zwei deutsche Opernnovi- 
täten für die Wiener Hofoper erworben: die in Frankfurt a. M. 
zuerst gespielten „Abenteurer“ von Julius Bittner und die 
am Münchner Hoftheater aufgeführte einaktige Oper „Sula- 
mith“ von Klenau. 

— Der neue Direktor der „Großen Oper“, Roucht, ist von 
der Regierung verpflichtet worden, jährlich nie mehr als eine 
neue ausländische Oper aufzuführen; dagegen müssen 17 neue 
Akte französischer Komponisten her auskommen . Diese Nach- 
richt klingt befremdend. Hoffentlich findet sie keinen Wider- 
hall bei uns. Man kann die heimische Produktion pflegen, 
ohne jedoch rigorose Grenzsperren einzuführen oder gar die 
Direktoren auf bestimmte Aufführungszahlen festzulegen. 

— Die Uraufführung von Mascagnis „Parisina“ hat im 
Scalatheater zu Mailand stattgefunden. Das Publikum hatte 
trotz horrender Preise das geräumige Haus bis auf das letzte 
Plätzchen gefüllt. Die Musi dauert 4 1 /» Stunden. Mascagni, 
der das Orchester persönlich leitete, wurde nach jedem der 
drei Akte wiederholt gerufen. 

— Hermann Zilchers Chorwerk „Liebesmesse“ hat die Ur- 
aufführung unter Pfitzners Leitung in Straßburg erlebt. 

— Im Musiksalon Bertrand Roth in Dresden hat die 
176. Aufführung Zeitgenössischer Tonwerke folgendes Pro- 
gramm gebracht: Drei kleine Stücke für Violine und Klavier 
von Bertrand Roth, op. 21 (Manuskript); Lieder der Sehn- 
sucht, Gesänge mit Klavierbegleitung, op. 34 von Walter 
Dost (Verlag Ries & Erler) ; zwei Klavierstücke, op. 3 von 
Ferdinand Braunroth (Verlag Schloß, Köln); Der Sehnsucht 
Erfüllung, Gesänge mit Klavierbegleitung, op. 35 von Walter 
Dost. — Die 177. Aufführung war Max Trapp eingeräumt: 
Sonate für Klavier und Violoncello (D dur), op. 5 (Manu- 
skript); Quartett für Klavier, Violine, Viola und Violon- 
cello (emoll), op. 4 (Manuskript). 

— Im fünften Symphoniekonzert des Städtischen Orche- 
sters in Mainz ist zum erstenmal eine symphonische Ton- 
dichtung „Einsamkeit“ von W. Mauke aufgeführt worden. 

— Die Hochschule für Musik in Mannheim hat unter 
Leitung ihres Direktors Karl Zuschneid das Oratorium „Die 
Geburt Christi“ von Herzogenberg aufgeführt. 

— Zur Feier des 75jährigen Geburtstages von Max Bruch, 
ihrem Ehrenmitgliede, hat die Mannheimer Liedertafel ein 
Konzert unter ihrem neuen Dirigenten Edgar Hansen ver- 
anstaltet. Der zweite Teil des Programms brachte nur Chor- 
kompösitionen von Bruch. 

— Aus Weimar wird uns geschrieben: Der Organist Her- 
mann Keller hat in der Stadtkirche vier Bachsche Kantaten 
aufgeführt (darunter bekannte wie: „Ich will den Kreuzstab“ 
und „Ich habe genug“) und das Programm bemerkte dazu: 
„alle zum erstenmal,“ es war überhaupt der erste Kantaten- 
abend. Zwei Kantaten, No. 138 und 118, hat Keller neu 
bearbeitet. Er wird auch im Frühjahr als Leiter und Nach- 
folger v. Baußnems beim „gemischten Chor“ den „Messias“ 
in neuer Bearbeitung aufführen. 

— Der Osnabrücker Musikverein entfaltet unter Leitung 
seines Dirigenten Karl Hasse reges Leben. Das zweite Kon- 
zert brachte neulich Lieder von Wolf, Pfitzner und Thuille, 
Gesänge für vierstimmigen Frauenchor von Reger, Variationen 
für zwei Klaviere von Hasse und eine für zwei Klaviere ein- 
gerichtete Bachsche Passacaglia von Hermann Keller. Im 
dritten Konzert wurde Wolfrums Weihnachtsmysterium auf- 
geführt. 

— In Diedenhofen hat eine Aufführung von Enrico Bossis 
„Verlorenem Paradies“ unter Leitung des Musikdirektors 
Schüler stattgefunden. 


— In Frankenstein (Schlesien) hat ein Seminarkonzert zur 
Jahrhundertfeier der Freiheitskriege stattgefunden. Die aus- 

f ewählten Kompositionen wurden vorgetragen von dem durch 
'räparanden verstärkten Männerchor des Königl. Lehrer- 
seminars unter Mitwirkung des Frankensteiner Manner- 
gesangvereins. Dirigent war Seminarlehrer M. Buchs. 

— Paul Kröhne von der Zwickauer Katharinenkirche hat 
in seinem diesjährigen Bußtag-Kirchenkonzert fünf geist- 
liche Tonwerke seines Lehrers Paul Gerhardt aufgeführt (die 
Motette „Menschliches Wesen, was ist’s gewesen“, op. 6; 
zwei große Orgelkompositionen op. 1, 1 , und op. 9, III, und 
zwei geistliche Gesänge, darunter das noch ungedruckte 
„Dulde, gedulde dich fein‘‘) ; ferner eine eigene große Chor- 
komposition (der 13. Psalm), die schöne Motette „Siehe, 
wie der Gerechte muß leiden“ von Rieh. Jung (Greiz) und 
vier Chorlieder von Arnold Mendelssohn (nach Sprüchen 
des Silesius). Der Erfolg war stark. 

— In Basel ist im Konzert der Allgemeinen Musikgesell- 
schaft, in dem Joseph Szigeti aus Budapest mit einer warm- 
blütigen, äußerst sympathischen Wiedergabe des Violin- 
konzertes von Brahms debütierte, Max Regers neue Ballett- 
suite op. 130 aufgeführt worden. Dr. Hermann Suter erfaßte 
die prickelnde, höchste thematische Vollkommenheit mit 
zierlichstem, einschmeichelndstem Stil verbindende Musik 
des in allen Sätteln gerechten Komponisten mit großem 
Verständnis und erzielte mit dem reizenden Werk intensivste 
Wirkung. Mit der Valse d’amour steigt der Geist des „Rosen- 
kavaliers“ aus dem Orchester auf. H. B. 

— Das Konzertbureau der Gesellschaft der Musikfreunde 
in Wien veranstaltet anfangs November 1914 eine Richard- 
Strauß- Woche in Wien im Großen Musikvereinssaal mit 
Richard Strauß als Dirigenten, der dort seine neue Sym- 
phonie (Alpensymphonie) zur Erstaufführung in Wien 
bringen will. 

— „Die Totenbraut“ , Ballade für Chor, zwei Soli und 
Orchester, ein neues Werk des tschechischen Komponisten 
Vitezslav Novdk, hat in Prag die Uraufführung erlebt. Der 
in Böhmen sehr populäre Text des Dichters Karl Jaromir 
Erben (1811 — 1870) behandelt denselben Sagenstoff, wie er 
in Deutschland durch Bürgers „Leonore“ bekannt wurde, 
jedoch mit dem Unterschied, daß die tschechische Ballade 
nicht tragisch endet. 

— „Lobetanz“, das reizvolle Märchenspiel Bierbaums 
mit den einschmeichelnden und charakteristischen Klängen 
Ludwig Thuilles, hat bei der Aufführung am Grazer Opern- 
hause nachhaltigen Erfolg gehabt. Mit besonderer Liebe und 
Hingebung hatte sich Kapälmeister Ludwig Seitz dem Werke 
seines Meisters gewidmet. In der Titelrolle bot Harry Schür- 
mann eine sehr gute Leistung. Auch eine weitere Erst- 
aufführung in Graz hatte Glück: die altwiener Tanzbilder 
„Die Jahreszeiten der Liebe“ von H. Regel, zu denen Julius 
Lehnert von der Wiener Hofoper die liebenswürdigsten Tänze 
Schuberts als Begleitmusik gewählt und feinfühlig im Stile 
instrumentiert hatte. Julius Schuch. 

— In Györ-Raab (Ungarn) hat der Philharmonische 
Verein ein Konzert bloß für die studierende Jugend — und 
zwar unentgeltlich — arrangiert, wobei Werke für großes 
Orchester von Bach (Präludium und Fuge), Moszkowsky 
(Maurische Fantasie), R. Wagner (Siegfried-Idyll) und 
Fr. Liszt (Ungarische Rhapsodie) aufgeführt wurden. Als 
Solist des Abends hat sich der Budapester Cellovirtuose 
Deäk Istvän sehr vorteilhaft eingeführt. Die Direktion des 
Konzertes lag in Händen des Vereinsdirektors Gabriel Fränek. 



— ln eigener Sache. Wie uns Herr Dr. Richard H. Stein 

(Berlin) mitteilt, hat er die Absicht, Herrn Paul Bekker (Frank- 
furt a. M.) zu verklagen wegen einiger Wendungen, die dieser 
in seiner Antwort auf die Ausführungen Dr. Steins in Heft 3 
der „N. M.-Z.“ gebracht hatte (unter dem Titel: Der Verband 
deutscher Musikkritiker). Herr Dr. Stein hatte auch die Ab- 
sicht, seine Klage auf die „N. M.-Z.“ auszudehnen, falls wir 
nicht ausdrücklich versicherten, daß wir zu der Kontroverse 
Bekker-Stein keinerlei Stellung genommen hätten. Diese Ver- 
sicherung nachträglich zu geben, halten wir für überflüssig. 
Wir haben in Heft 3 beide Schreiben ohne jeden Kom- 
mentar wortgetreu veröffentlicht. Daraus wird die Hal- 
tung der „N. M.-Z.“ für jeden Vorurteilslosen ohne weiteres 
erkennbar sein. Redaktion der „N. M.-Z.“ 

— Weingartner contra Hülsen. Einen überraschenden Aus- 
gang hat der bekannte Prozeß Felix Weingartners gegen den 
Generalintendanten Grafen Hülsen-Häseler genommen. Wein- 

t artner hatte den Grafen Hülsen-Häseler auf Unterlassung 
er Behauptung, daß er, Weingartner, sich des Kontrakt- 


139 



braches schuldig gemacht habe, verklagt. In dem Prozeß 
hatte bereits die Beweisaufnahme, in der die von Weingartner 
benannten Zeugen vernommen wurden, stattgefuuden. Jetzt 
hat Weingartner, wie die „Neue gesellschaftliche Korrespon- 
denz“ mitteilt, seine Klage gegen den Grafen Hülsen-Häseler 
zurückgezogen. — Diese Nachricht wird in musikalischen 
Kreisen gewiß freudig begrüßt werden. 

— Die Ergebnisse einer musikalisch-ethnographischen Ex- 
pedition. Die Kaiserliche Akademie der Wissenschaften in 
Petersburg hat im vorigen Sommer eine Expedition aus- 
gerüstet, um Kleinrußland musikalisch zu erforschen. Es 
wurden hauptsächlich die Gebiete des Gouvernements Pultawa 
besucht und dort mit Hilfe des phonographischen Apparates 
mancherlei Gesänge gesammelt. Im ganzen naben dieMitglieder 
des Forschungsunternehmens mehr als 350 Volkslieder mit Text 
aufgefunden. Dieses Material ist um so wertvoller, als es 
nicht nur ganz unbekannt bislang war, sondern auch, zum 
Teil für Instrumente wie Lyra, Bandura, Geige und ferner 
auch für Chorgesang gesetzt ist. Dem Inhalte nach ist es 
sehr verschieden und bezieht sich auf historische Ereignisse, 
auf örtliche Sitten und Gebräuche und auf Vorgänge des 
täglichen Lebens. Für das Harmoniebedürfnis der Bewohner 
Kleinrußlands ist es kennzeichnend, daß viele Lieder und 
Gesänge für eine mehr- und vielstimmige Ausführung gedacht 
sind. Ferner sind in Kleinrußland im Gegensätze zu anderen 
russischen Gebieten auch Uebertragungen großrussischer 
Volkslieder anzutreffen. — Viel verdankt die Expedition 
z. B. einem 60jährigen Kosaken, einem Fischer seines Zeichens, 
der in seiner Heimat als Sagenerzähler beliebt und geschätzt 
wird, und viele derartige Übertragungen selbst durchgeführt 
hat. Eine ganze Reihe von Mitteln ist durch die Expedition 
gewonnen worden, um das Verhältnis der kleinrussischen 
zu der allgemeinrussischen Musik festzustellen, und sodann 
auch die Einwirkungen des Orients und des Okzidents auf das 
kleinrussische Musi laeben. Es hat im wesentlichen eine Fülle 
alter Gesänge bewahrt und mehr noch hätte sich hiervon 
erhalten, wenn die Behörden Verständnis und Achtung der 
musikalischen Kultur zeigen würden. Die alten Gebrauche 
der Neujahrs- und Johannisfeier, die von schönen mystischen 
Gesängen begleitet waren und ähnliche, halb heidnische 
Volksteste sind gegenwärtig von der Obrigkeit streng ver- 
boten. Nur mit großer Mühe gelang es den Forschem, u. a. den 
Leiermann Grygory in Tschemigow auszufragen und bei 
geschlossenen Türen und verhängen Fenstern seine Volks- 
ueder aufzunehmen. (Wiedergegeben von Marie Beßmertny.) 

— Von den Tonkünstlervereinen. Seinen Bericht über das 
59. Vereinsjahr sendet uns der Tonkünstlerverein zu Dresden. 

— Von den Konservatorien. Das Spangenbergsche Kon- 
servatorium für Musik in Wiesbaden sendet uns Festschrift 
und Jahresbericht zum 25 jährigen Bestehen. 

— Volkmann-Briefe. Man schreibt uns: Robert Volkmann 
hat, obwohl er in Budapest lebte und wirkte und also abseits 
vom großen Strome des deutschen Musiklebens stand, doch 
lebhaften Anteil an der Entwicklung der Musik in den deutschen 
Landen genommen. Durch eine lebhafte Korrespondenz mit 
zahlreichen bedeutenden Musikern seinerzeit blieb er auch 
persönlich mit dem deutschen Kunst- und Geistesleben in 
Berührung. Wie als Tondichter, so zeigt er sich auch als 
Briefschreiber als ein origineller Kopf; es lohnt daher, seine 
Briefe weiteren Kreisen zugänglich zu machen. Diese Arbeit 
hat der Großneffe und Biograph des Tonsetzers, Dr. Hans 
Volkmann, übernommen. Er beabsichtigt, die Briefe Robert 
Volkmanns in Auswahl herauszugeben. Die Besitzer von 
Briefen Volkmanns werden daher gebeten, diese leihweise oder 
in Abschrift an den genannten Musikforscher (Dresden-N., 
Antonstraße 3, II) gelangen zu lassen. 

— Musikzeitschriften. In Altenessen ist eine neue Musik- 
zeitung „Der katholische Organist“ ins Leben gerufen worden. 
Das Blatt soll in erster Linie der Organisation der Berufs- 
Kirchenmusiker dienen. 

— Gedächtnisausstellung. Wie auch schon bei anderen 
Gelegenheiten hat das Fr. Nicolas Manskopfsche musikhistori- 
sche Museum in Frankfurt a. M. zu Ehren der letzten Ver- 
treterin des weltberühmten Dreigestirns Garcia, Pauline 
Viardot, Mathilde Marchesi in der zweiten Hälfte des De- 
zember eine Marchesi- Gedächtnisausstellung veranstaltet. 

— Musikerehrungen. München hat die Namen der beiden 
ehemaligen Dirigenten Felix Mottl und Hermann Levi dadurch 
geehrt, daß es ]e eine Straße nach ihnen benannte. 

— Eine Sängerfahrt. Die „Berliner Liedertafel“ (Chor- 
meister Max Wiedemann) unternimmt in der Zeit vom 
22. Februar bis 15. März 1914 eine Konzertreise nach 
Aegypten. Die Fahrt geht über Basel (Konzert im Münster), 
Genua, Neapel nach Kairo. Dort sind zwei Konzerte in der 
Oper des Khedive und ein Gartenkonzert vorgesehen. Die 
Rückfahrt erfolgt auf dem Lloyddampfer „Schleswig“ 
durch das Adriausche Meer. In Venedig und auf der Rück- 
reise in München sollen ebenfalls Konzerte stattfinden. An 
der Fahrt nehmen 300 Mitglieder teil. 

— Preisausschreiben. Der Gau Wien des Reichsverbandes 
der Arbeitergesangvereine Oesterreichs erläßt ein Preisaus- 


schreiben für ein Chorwerk für gemischten Chor oder Männer- 
chor mit irgend welcher Instrumentalbegleitung (Orchester, 
Klavier). Die Texte müssen sozialistischer Ueberzeugung 
entsprechen. Der erste Preis beträgt 250 Kr., der zweite 
Preis 150 Kr. Preisrichter sind u. a. : Schriftsteller Dr. D. J. 
Bach, Tonkünstler Karl Lafite, Prof. Mandyczewski, Chor- 
meister H. Schoof. Sendungen an Dr. D. J. Bach, Wien V, 
Rechte Wienzeile No. 97. Der Schluß des Einreichungs- 
termins ist am 1. März 1914. 


Personalnachrichten. 

— Die Akademie der Künste in Berlin hat in einer Sitzung 
des Gesamtsenats Prof. Dr. Max Bruch als Ehrenmitglied 
des Senats eingeführt. 

— Dr. Alfred Schmieden, der frühere Leiter des Neuen 
Theaters in Berlin, ist vom Großherzog von Mecklenburg- 
Schwerin zum Intendanten des Schweriner Hoftheaters er- 
nannt worden, ein Posten, der nach dem Tode des Herrn 
v. Ledebur verwaist war. Das „Berl. Tagebl.“ bemerkt dazu: 
„Mit Mecklenburg-Schwerin haben Dr. Schmieden seit längerer 
Zeit bereits besondere Bande verknüpft. An der Rostocker 
Universität erwarb er den Doktortitel, und bei dem in Rostock 
in Garnison stehenden Infanterieregiment absolvierte er noch 
im verflossenen Sommer eine Uebung als Hauptmann der 
Reserve. Er ist auch als Leiter des Neuen Theaters in Berlin 
mit Hofkreisen viel in Berührung gekommen und soll sich 
namentlich der besonderen Aufmerksamkeit des Kronprinzen 
erfreut haben.“ 

— Der Kapellmeister des Nürnberger Stadttheaters, Joseph 
Bach, ist als Leiter der Kur- und Symphoniekonzerte in 
Interlaken verpflichtet worden. 

— Max Schaidacher, bisher in Reichenhall, ist als Chor- 
direktor bei St. Rupert in München berufen worden. 

— Pietro Mascagni hat am 7. Dezember seinen 50. Ge- 
burtstag gefeiert. 

— Musikdirektor Jakob Stolz, der älteste Musikpädagoge 
Steiermarks, hat jüngst in seiner Heimatstadt Graz das seltene 
Fest einer 60jährigen Künstler- und Lehrertätigkeit gefeiert. 
Vater Stolz wurde vom österreichischen musikpädagogischen 
Verband (Ortsgruppe Graz) zum Ehrenmitglied ernannt. Sch. 

— Adolph Schloesser ist am 10. November in London, 
83 Jahre alt, gestorben. Er stammte aus Darmstadt, wo 
sein Vater, Louis Schloesser, als Hofkapellmeister wirkte. 
Der Sohn ging, nachdem er sich auf Konzertreisen in Deutsch- 
land als Pianist einen Namen gemacht, im Jahre 1853 nach 
London, das ihm dann zur zweiten Heimat wurde. Für die 
Einführung und das Verständnis deutscher Musik in England 
hat Schloesser außerordentlich viel getan, ebenso in einer 
22jährigen Wirksamkeit als Professor an der Royal Academy 
of Music in London. 

- — 'In Bonn ist der bekannte Musikfreund und Beethoven- 
forscher Erich Prieger gestorben. Marie v. Bülow widmet 
ihm in der „Frankf. Ztg.“ einen Nachruf, dem wir die Sätze 
entnehmen: Mit seinem Namen ist die Geschichte der Hand- 
schriften von Beethovens Pastorale und der Neunten ver- 
knüpft: beide Werke hat er rechtzeitig unter großen Mühen 
und unter Aufgebot eines Vermögens für Deutschland zu 
sichern gewußt, indem er sie persönlich kaufte, als für uns 
die Gefahr bestand, diese nationalen Kostbarkeiten an Eng- 
land und Amerika zu verlieren. Ein Idealist vom reinsten 
Wasser, hatte er dabei keinerlei persönliche Nebenabsichten, 
Ehrfurcht und Liebe für die Meister waren seine einzige Trieb- 
feder. Diese allein bewog den vollkommen unabhängigen 
Mann, seine Kraft und Begabung auf seine Weise in den 
Dienst der Musen zu stellen. So entstand in jahrzehnte- 
langer, mühevoller Arbeit zunächst durch die Beschaffung 
verstreuter Blätter und dann deren Durcharbeitung, endloses 
Vergleichen, Prüfen eine Wiederherstellung der verschollenen 
Partitur von Beethovens erster Fassung des „Fidelio“, als 
„Leonore“ im November 1805 in drei Aufführungen „zu 
Grabe getragen“ und nach hundert Jahren an der Berliner 
Königl. Oper nach Priegers Partitur wieder zu Gehör ge- 
bracht. Nur Fachgenossen und Kenner der oft unentziffer- 
baren Beethovenschen Handschriften wie der Geschichte des 
Werkes — ein wahres Schmerzenskind seines Schöpfers — 
können ermessen, was solches Unternehmen zu bedeuten 
hatte. Unablässig war Prieger am Werke, wo es galt, wert- 
volles Altes durch Aufführungen zu beleben oder es vor Ver- 
nichtung zu bewahren, durch die sichere Obhut öffentlicher 
Bibliotheken. . . . Die schlichte, würdevoll bescheidene, 
ohne jeden Anspruch auf irgendwelche laute Anerkennung, 
still und rastlos ihren Weg verfolgende Persönlichkeit Erich 
Priegers. die ein Anflug von kindlicher Heiterkeit und gütigem 
Humor förmlich durchleuchten konnte, ist echtes Deutschtum 
gewesen. 









er uns, was das Bühnenbild sein soll. Künstlerinnen wie die 
Gutheil- Schoder, die Mildenburg halfen ihm, seine Ideen 
über dramatischen Ausdruck vollenden. Es stehet alles 
in dem kleinen Buch, was damals Großes geschah, auch wie 
es verging, wie Talmikunst an die Stelle dieser großen Dinge 
trat und was uns heute von dem einen und dem andern 
blieb. Man muß nicht über alles genau so denken wie Stefan, 
muß nicht jede Erscheinung so werten wie er, um zu sagen, 
daß es ein gutes und ehrliches Stück Arbeit ist, das er ge- 
leistet hat. Eine Arbeit, deren Wert sich mit den Jahren 
erhöhen wird. Denn unsere Zeit lebt so rasch, daß jene 
Jahre bald wie mit einem Schleier umhüllt sein werden. 
Wir werden wissen, daß damals etwas geschah, aber nicht, 
wie es geschah. Es ist nicht zuletzt das Verdienst des 
Chronisten, wenn manches aus jenen Tagen durch die Er- 
innerung dauernd in unseren Besitz übergeht. L. Andro. 

Klosterneuburger Sonderheft der „Musica Dlvina“. Die 
seit Mai vorigen Jahres im Verlage der Universal-Edition in 
Wien I, Reichsratsstraße, erscheinende, unter der Oberleitung 
von Abt Schachleiter in Emaus herausgegebene Monatsschrift 
„Musica Divina“, die größte aller kirchenmusikalischen Fach- 
zeitschriften, präsentiert sich für die Monate August-Sep- 
tember als 80 Seiten starkes Doppelheft mit zahlreichen 
Licht- und Farbendruckillustrationen, das als „Sonderheft 
Klosterneuburg“ dem altberühmten Augustinerstifte am 
Donaustrande eine ansehnliche Reihe fachwissenschaftlich 
bedeutsamer und allgemein interessanter Aufsätze widmet. 
Die „Literatur- und Zeitschriftenschau“ bringt eine von 
August Göllerich eingesandte Abwehr der in der Brahms- 
Biographie Max Kalbecks enthaltenen Angriffe auf Anton 
Bruckner. (Ist man in Oesterreich über diesen Streit noch 
nicht hinaus?) 

Riemanns Musiklexikon. Folgende Mitteilung geht durch 
die Presse: Vom i. Januar 1914 ab erscheint Riemanns 
Musiklexikon in der 8. Auflage (in Lieferungen) im Verlage 
von M. Hesse, Leipzig. Wie alle früheren Auflagen ist auch 
die achte wieder vollständig neu durchgearbeitet und wird 
durchaus neu gesetzt, so daß keinerlei Rücksichtnahmen den 
Umfang der Abänderungen einschränken. Der Verfasser, 
Prof. Dr. Hugo Riemann in Leipzig, Keilstraße 1 II, bittet 
daher alle Interessenten des Werkes um baldigste direkte 
Zusendung von Korrekturen und Ergänzungen, sowie Rekla- 
mationen aller Art, zu denen die 7. Auflage Anlaß gegeben 
hat, aber möglichst vor Erscheinen der neuen Liefe- 
rungen, da Nachträge erfahrungsgemäß nicht bemerkt werden 
und daher der Umfang auf das Allemotwendigste (Todesfälle 
während des Drucks u. dergl.) beschränkt werden wird. — 
Wir hätten die Nachricht schon früher gebracht, wenn uns 
eine Mitteilung direkt zugegangen wäre. Immerhin ist’s 
für Berichtigungen bei den Namen, die nicht die ersten im 
Alphabet sind, noch Zeit. 

Klaviermusik zu vier Händen. 

Galluzzl: „Das erste Konzert des jungen Pianisten “, ll. Serie, 
Heft 4, S und 6 ä 2 M. netto. Verlag Carisch & Jdnichen. 
In Heft 4 und 5 beschränkt sich das im Violinschlüssel ge- 
schriebene Piano und in Heft 6 das ganz im Baßschlüssel 
gehaltene Secondo (je der Part des -Schülers) auf die Fünf- 
fingerlage. In melodischer und rhythmischer Beziehung 
wird der Anfänger vor ganz eigenartige technische Aufgaben 
gestellt, wird sie aber bei strengem Zählen wohl bewältigen 
und bald Freude an den frischen, fortreißenden, zum Teil 
pikanten, den italienischen Charakter des Autors verratenden 
Stücken finden. Der Part des Lehrers ist mittelschwer, kann 
also auch von einem besseren Schüler ausgeführt werden 
und büdet ein treffliches Material fürs Vomblattspiel. Der 
Inhalt ist lebendig und buntfarbig. Auch ältere Spieler wird 
es reizen, solche Funffingerstückchen flott und brillant herunter - 
Zuspielen. 

Willy Hermann, op. 87: 10 kleine Unterhailungsstücke zu 
4 Händen, 2 Hefte ä 2 M. Verlag Hansen. Die im Umfang 
von fünf Tönen gehaltenen Stückchen sind sehr gefällig und 
ungesucht, wie wir sie für die Jugend wünschen. Sie eignen 
sich gut für den ersten Anfangsunterricht. Die rechte Hand 
des Primoteils hat sehr hohe Noten. Da sie mit der Linken 
gleichlaufen, lesen die Schüler doch nur die unteren Noten 
der Linken. Auch der Secondopart ist leicht und kann von 
einem etwas vorgerückteren Schüler gespielt werden. 

Pollerl: Scherzo alla Mazurka, in beiden Händen ( 1 . — m.) 
1.50 M. Verlag Carisch & Jdnichen. Ein ernstes, originelles 
Stück, ein bißchen gelehrt mit seinen vielen Imitationen 
und seiner altertümemden Harmonie; fällt nicht sofort in 
die Ohren, gewinnt aber bei öfterem Hören. Das Tempo 
nehme man eher schneller als im vorgeschriebenen Moderato. 

Derselbe: Capriccio, in beiden Händen ( 1 . — m.) 1.30 M. 
Verlag Carisch & Jdnichen. Ein Ständchen- oder gavotten- 
artiges, graziöses Stück, in dem, wie beim vorigen, der link e 
Spieler nicht bloße Begleitung hat, sondern auch an der thema- 
tischen Verarbeitung teilnehmen darf. 

W. Rössel, op. 10: Improvisation über 3 Weihnachtslieder 
1.20 M. Verlag Bauer, Braunschweig. Endlich einmal eine 


wertvolle Fantasie über Weihnachtslieder ! Die drei bekannten 
Weisen: „Vom Himmel hoch“, „Es ist ein Ros’“ und „Joseph, 
lieber Joseph mein“ sind' mit bedeutendem Kombinations- 
talent in kunstvoller Weise miteinander verwoben; in vielen 
Stimmen sind kanonische und andere Imitationen angebracht. 
Oft hindern sich die Hände. Wer zwei Klaviere hat, 
führt das polyphone Stück am besten so aus, dann wird die 
Wirkung klar und reich sein. C. Kn. 

Klaviermusik zu zwei Händen. 

Heinrich Schallt: Jugendland. Von dem in München an- 
sässigen Tondichter ist soeben im Harmonie-Verlag (München) 
ein Zyklus leichterer Klavierstücke unter dem Titel „Jugend- 
land“ erschienen, deren Inhalt sich schon an eine etwas „reifere 
Jugend“ wendet, wenn sie in ihrem ganzen Reiz zur V\ irkung 
kommen sollen. Auch der erwachsene und fertige Pianist 
kann seine Freude daran haben; — wer versenkte sich z. B. 
nicht immer wieder gerne in die Feinheiten Schumannscher 
„Kinderszenen“? (d e ja auch mehr den reiferen Geist wieder 
in das Land der Jugend zurückführen sollen). — Wir sind 
hier weit entfernt, musikalische Geistesverwandtschaften heraus- 
finden zu wollen, konstatieren im Gegenteil mit Freude, daß 
H. Schalit zu der Minderzahl junger Komponisten gehört, 
die zweifellos Eigenes zu sagen haben uud ke'ne gequälte 
Verstandesarbeit, sondern früchquellende Erfindung in ab- 
gerundeter Form btingen, reich an Melodie und Poesie. Heinr. 
Schalit (geb. 1886 zu Wien), der bereits als Zwanzigjähriger 
den Staatspreis in Wien errang und noch zahlreiche andere 
erste Preise für Komposition erhielt, vollendete seine Aus- 
bildung in Komposition bei Rob. Fuchs, als Piam'st bei 
Leschetizki. Mehrfach wurden Kammermusikkompositionen 
Schalits durch das Rebner-Quartett in Frankfurt und ander- 
wärts aufgeführt (z. Teil noch Manuskript), auch mit Or- 
chesterstücken ward dem hochbegabten Komponisten vt rdienter 
schöner Konzerterfolg zuteil. Lieder und größere Klavier- 
kompositionen harren noch der Veröffentlichung. Der kom- 
positorische Entwicklungsgang des Künstlers zeigt einen 
stetigen Aufstieg und verspricht noch Bedeutendes für die 
Zukunft. Me ster wie Ossip Gabrilowitsch, Frau Langenhan- 
Hirzel, Kapellmeister Fera. Löwe u. a. bekunden schon seit 
geraumer Zeit besonderes Interesse für dies ungewöhnliche 
tondichterische Talent. — Mit dem Zyklus „Jugendland“ hat 
sich Schalit ein besonderes Verdienst erworben, indem er die 
technisch leichtere Klavierliteratur, die unter neueren Sachen 
leider nur zu viel Seichtes zutage fördert, um wirklich Wert- 
volles bereichert hat, das Lehrer wie Schüler dankbar be- 
grüßen werden. Auf kleine Hände ist durch Vermeidung jeder 
Oktavenspannung Rücksicht genommen. — Ein kurzer „Pro- 
log“ geht voran; es folgt ein neckisch-graziöses „Spiel“, das 
frischen, gesunden Frohsinn atmet. Sinnend, im Nachhall 
frommer Stimmung bewegt sich das kürzere Stück: „Nach 
der Kirche“, an das sich als Gegensatz der entzückende Rei- 
gen schließt, der in seinem Mittelteil ( poco meno mosso) eine 
zartgebundene, echt wienerisch-süße Tanzweise birgt, um dann 
wieder in kräftiger Lustigkeit auszuklingen. Sehr charakte- 
ristisch ist der kecke „Trotzkopf“ mit seinem scharfen Rhyth- 
mus und eigensinnigen chromatischen Staccato-Triolen. Von 
leichter Trauer durchweht und doch nicht in zu tiefer Schwer- 
mut gehalten ist die „Klage“ ebenfalls dem jugendlichen 
Geiste angemessen, der ein lieblich-erheiternder „Trost“ un- 
mittelbar folgt; ein ausgelassen-lustiger „Kehraus“ macht den 
Beschluß des sich durchaus in vornehmen Bahnen haltenden 
„Jugendlandes“, das wir allen ernstlich pianistisch Strebenden 
und bereits pianistisch Gebildeten aufs wärmste empfehlen. 

Tony Canstatt. 

Grundmann, op. 5 : Kanonische Suite. 3 M. Edition Stein- 
gräber. Man weiß bei dem imposanten Werk nicht, welchem 
der fünf Sätze man den Vorzug geben soll; vielleicht der 
Romanze. Beachtenswert ist die strenge Durchführung des 
Kanons, wobei der Komponist der Gefahr der Versandung 
überall mit meisterlichem Geschick entgangen ist. A. F. 


Unsere Musikbeilage zu Heft 7 bringt zunächst eine Klavier- 
komposition: „Trotzkopf“ von Heinrich Schalit, ein sehr flottes, 
effektvolles und nicht mal schwieriges Charakterstücklein. 
Die Besprechung im heutigen Hefte sagt Näheres über den 
begabten jungen Komponisten. — Das zweite Stück, ein Lied: 
„Vergessen“, zeigt in unserem Matthäus Koch, daß das ge- 
mütvolle schwäbische Lied auch heute noch besteht, daß der 
Geist Silchers im Schwabenlande noch immer lebendig ist. — 
Infolge eines Versehens der Notendruckerei konnte- für Heft 6 
die Violinstimme diesmal ausnahmsweise nicht beigegeben 
werden. Wir bitten unsere Violinspieler, das zu entschuldigen. 


Verantwortlicher Redakteur: Oswald Kühn In Stuttgart. 
Schluß der Redaktion am 16. Dezember, Ausgabe dieses Heftes 
am 2. Januar, des nächsten Heftes am 15. Januar. 


14 z 


Briefkasten 


0. U. 1. Die Bearbeitung von Bizets 
„VArldsienne" von Heinrich Schwartz 
verteilt sich auf 4. Nummern. 2. Das läßt 
sich aus technischen Gründen nicht machen. 
Es empfiehlt sich, die Musikbeilage selber 
mit einer Bleistiftnummer des betreffenden 
Heftes zu versehen, und alle Schwierigkeit 
ist behoben. 

B. B.» H. Wenn Sie sich als Abonnent 
ausweisen, sehr gern. Wir müssen auf 
dieser Forderung, die ja doch nicht so 
schwer zu erfüllen ist, bestehen* 

L. Pf. in L. Die Violinstimme 2u 
Bachs Präludium konnte leider durch ein 
Versehen der Notendruckerd diesmal aus- 
nahmsweise nicht beigelegt werden. Ihr 
Wunsch wird sich schwer erfüllen lassen; 
vergessen Sie nicht, die Musikbeüage ist 
eben nur eine Beilage der „N. M.-Z/'l 
Im übrigen besten Dank! 

A. Th. Wo anders könnten Sie die beste 
Auskunft erhalten, als beim Institut für 
Kirchenmusik in Charlottenburg selber? 
Adresse: Hardenbergstr. 36. Wegen der 
Aussichten kommt es darauf an, welchem 
Berufe Sie sich zuwenden wollen. Organist, 
Kantor, Seminarlehrer etc.? Der Kurs 
dauert in der Regel 3 Semester. 

J. St. Das kommt auf das Talent und 
die Vorbildung an. Beides darf man wohl 
hier als genügend voraussetzen. Also ja! 
Söchting, Breslaur kämen für Sie beson- 
ders in Betracht. Wir bitten, stets unsere 
Rubrik „Besprechungen“ zu verfolgen. 

C. Gr. Wir empfehlen Ihnen : Beethoven 
und seine Klaviersonaten (z Bände) von 
Professor Dr. W. Nagel, der Ihnen ja 
als Mitarbeiter der „N. M.-Z.“ gut be- 
kannt sein wird. 

Meiningen. Leider nicht möglich, da 
wir einen ständigen Korrespondenten ha- 
ben, dem wir nicht vorgreifen können. 
Besten Dank. 

L. J. Ihr Schreiben ist ja sehr inter- 
essant. Sie brauchen keine Genehmigung. 
Wegen des Gewerbescheins fragen Sie bei 
der Polizei an. Dagegen gibt es keinen 
Schutz, als die bessere Leistung, von der 
die Einwohnerschaft durch Ausdauer über- 
zeugt werden müßte. Als , Konserva- 
tor istisch gebildete Musiklehrerin“ können 
Sie Inserieren. Der Erfolg bleibt abzu- 
warten. Theorie: Louis-Thuillc. Wir 
müßten wissen, auf welcher Stufe Sie 
stehen, lieber Gcsangsliteratur kommt 
demnächst ein Aufsatz. Die Musik- 
Geschichte liegt der „N. M.-Z.“ jetzt wie- 
der regelmäßig bei. Die früheren Bände 
sind einzeln zu beziehen. 

Z. A. in P. Was verstehen Sie unter 
Kompositionslehre ? Haben Sie schon die 
Harmonielehre studiert? Das wäre wohl 
das Nächste Dann kämen die Lehre von 
Melodie und Rhythmus, der Kontrapunkt 
und die Formenlehre an die Reihe. Ueber 
Ihre Keuntnlsse teilen Sie uns Näheres 
mit, dann werden wir gern weitere Aus- 
kunft geben. 

Riga. Eine andere Ausgabe der Elegie 
von Krauß als die io der „N. M.-Z.“ gibt 
cs nicht. Besten Dank für Ihre An- 
regungen. 

(Besprechung in dieserN immer .) 

Das erste Konzert 
desjnngenPianlsten 

Kleine melodische Stücke zu vier 
Händen Im Umfange von 5 Tönen 

von 

6 . ßalluzzi 

6 Hefte 

abwechselnd im Vlolln- u. Bass-Schi. 

ä Mk. 2 — no. 

Verlag von Cariscli&Jäniclien 

Mailand u. Leipzig, Egelstr. 3. 


Wagner-Husgaben 


der Edition Breithopi 

Mit dem Tage des Freiwerdens der unsterblichen Werke des großen Meisters 
bieten die Originalverleger des Lohengrin, des Tristan und anderer Originalkompo- 
sitionen in über 300 Bänden eine Wagner- Ausgabe, die sowohl in ihrem äußeren Um- 
fange wie in ihrer innerlichen Ausgestaltung ihresgleichen nicht hat. Den Hauptkern 
bilden die Klavierauszüge mit Text und zu zwei Händen sämtlicher elf Musikdramen ; 
keinerlei Mühe oder Kosten sind gescheut worden, um diese Bände trotz ihrer Billig- 
keit zu einer Luxusausgabe zu machen. Jeder Wagner-Freund, Fachmusiker wie 
Musikliebhaber, wird sich überzeugen, daß die höchsten Ansprüche, die an ein der- 
artiges Unternehmen gestellt werden können und müssen, erfüllt sind. Und das 
gleiche gilt von den verschiedenen Bearbeitungen, die die Liebe zu dem großen Meister 
besonders in den nicht-beruflichen Kreisen weiter pflegen sollen; auch hier galt als 
Leitstern, alle Ausgaben in einer den großen Schöpfungen würdigen Form herzu- 
stellen. Die meisten Ausgaben sind geschmückt mit einer Umschlagzeichnung Franz 
Stassens, dieses deutschen Malers, der wie kein anderer, sich in den Geist der Wagner - 
schen Schöpfungen eingelebt hat und für diese Ausgabe Titelbilder gezeichnet hat, 
wie sie wohl noch keine musikalische Ausgabe getragen hat. Acht dieser prachtvollen 
Umschlagzeichnungen (in größerem und kleinerem Formate) sind in dem 

32 Selten umfassenden Wagner-Prospekt 

abgebildet, der ausführliche Auskunft über Preise, Inhalt der einzelnen Ausgaben und 
Albums gibt und von der Verlagshandlung Breitkopf & Härtel in Leipzig 

Jedermann kostenlos fibersendet wird. 


IW MSlk-Hlbums 1 

billige Bände für Klavier etc. , sowie 
das musikalische Pracht werk „Km Banne der 
Musik“, Preis 12 Mk., Katal. gratis u. freo. 
Musik verlag J. Schuber th & Co., Leipzig. 


Franz Sdiubert 

Elf wibikannti Ländler. 

bearbeitet von Karl Wendl . . 

Für Violine u. Klavier bearbeitet 
von Hans Schmidt . . . . . H 1.20 

| Verlag Carl Griininger, Stuttgart 


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Klavier 
M. i.— 


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fflnslkallen-Verzelchnls 

No. 371 Teil I 

Musik für Klavier 

(Inhalt: Concerte f. Pfte, m. Orchester begltg — Musik f. 2 Pfte. zu Sund 
4 Händen — do. f. Pfte. zu 6 Händen — do. zu 4 Händen — Opern und 
Oratorien im Clavler-Auszug zu 4- Händen ohne Text — Etüden, Studien 
und Schulen f. Pfte. — Musik f. Pfte. zu 2 Händen von Abt bis d’Orso.) 

ggg- Auf Verlangen versende ich diesen reichhaltigen 
Katalog, der eine große Anzahl antiquarischer Werke 
enthält, an Interessenten umsonst und frei. 


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Dr. H. Eichhorn, op. 77. 


zu 2 Händen. 

Garotte Coniant« — .80 no, 

— op. 78. Philharmonische Gavotte . . . . - • • • • • ; • ... 80 •• 

fianreos Wille-Helbing, op. 21. Fantasie für Klavier und eine 

obligate Violine (nach Böokiins Selbitportrait „Der Künstler 

_ U op. 2" T 8Morcoaux’(No'. 1. Crtpuscu’le hivernal. No. z. Bal- 
lade. No. 3. Vtes Prtlude) 

— op. zj. 8 Morwaux (No. 1. Prtlude en style fuguä. No. 2. 

VItes Prälude. No. 3- Impromptu) , . . . - ■ • • • • • ■ 

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~ 


143 








Kompositionen 


(Redaktion»schiu 3 am 14. Dezember.) 


Elegie. Zwei nach Form und Gehalt 
belanglose Stäche. Man vermiet den 
feineren Kunstgeschmack. 

K. M — btrg, Ltm. Im einfacheren Genre 
haben Sie mehr Glück, als wenn Sie sich 
schwierigeren Kunstformen zuwenden; da 
will bei allem Fleiß und Ernst das Kön- 
nen nicht mehr zureichen. So bei »Jung 
Volker", wo auch der Männerchorsatz 
nicht immer mustergültig ist. Die heitere 
Muse scheint Ihrem persönlichen Wesen 
am nächsten zu liegen. In den Walzern 
finden sich manche hübsche Motive. 
„Wenn Ich dn schmuckes Bäuschen seh“ 
hat als Männerchor nicht mehr den Kelz 
der ursprünglichen Fassung. 

Al«. H., PL Sehr hübsch. Einem so 
wackeren Tonsetzer wäre wohl einmal ein 
Erfolg zu gönnen. 

P. Br., Pr— Ing. Ihre salopp hingewor- 
fene „Antwort“ macht auch musikalisch 
keinen guten Eindruck. 

G. in H. Mit Ihren anspruchslosen Ge- 
bilden verbindet sich eine gewisse Anmut, 
so daß man das, was dürftig und unbe- 
holfen daran ist, gern entschuldigt. 

Jas. H— dl, Br. Bei dem guten musi- 
kalischen Empfinden, das sich In den bei- 
den Liedern zeigt, wird Ihr Talent, wenn 
es mit entschiedenem Emst gefördert 
wird, ln der lyrischen Tonpoesie noch Be- 
merkenswertes vollbringen. 

A. Z. In „Zu spät“ fühlt mau sich von 
einer nicht gewöhnlichen Empfindungskraft 
berührt. Ebenso achtungswert sind Ihre 
reichen Ausdrucksmittel. Mit freundlichem 
Humor ist „Am Zaun“ behandelt. 

Pr. R — ter, 0 - tisch. Angesichts der 
Güte Ihrer musikalischen Gedanken ist 
Ausricht vorhanden, daß rieh der selb- 
ständige Zug noch einfinden wird. Bel 
unablässiger Uebung wird auch der Er- 
folg nicht ausblelben. Reif sind die Sa- 
chen noch nicht. 

E. H. Eine lobenswerte Leistung so- 
wohl nach Auffassung als Durchführung 
des Herbstlieds. 

Martin. Die modernen Manieren im 
harmonischen Tdl Ihrer Vertonungen 
wirken mitunter abstoßend. Sie verwirren 
die Logik Ihres musikalischen Fühlen», 
weshalb Ihnen ein gründliches Studium 
der diatonischen Akkordlk zu empfehlen 
ist. Ein Erfolg wäre Ihrem Talent sicher. 

R. M. L S. Am befriedigendsten wirkt 
Ihre Im Balladenstil behandelte „Minne“ 
in deklamatorischer Hinsicht. Der Inter- 
pretierende Begleitsatz behilft rieh mit 
primitiven Mitteln. Das Gedicht an rieh 
erhebt ebensowenig Anspruch auf Origina- 
lität wie die Musik dazu. 

La. Dann. Ap. 80 vieler Proben zur Be- 
urteilung Ihres musikalischen Talents hätte 
es nicht bedurft. Einige Produkte ata 
letzter Zelt hätten genügt. Wenn Ihnen 
zur Förderung Ihrer Anlagen schon nach 
dem Austritt aus dem Seminar Gelegen- 
heit gegeben worden wäre, dann befänden 
Sie sich jetzt an einem andern Platz. Aua 
allen Arbeiten spricht ein entschiedenes 
Wollen. Da aber für die Erweiterung 
Ihres musikalischen Horizonts nur wenig 
geschah, begegnet man keinen Ueber- 
raachungen. Wo Sie tiefer oder höher 
dringen wollen, geraten Sie ln Grübeleien, 
werden Sie umständlich, uninteressant, 
geraten 8ie leicht ln dilettantische Wichtig- 
tuerel. Ihrem Brief nach scheinen Sie 
das selber auch zu fühlen. Wir sind gern 
bereit, uns auf eine neue Arbeit des 
Hähern einzulassen und event. mit Kor- 
rektur behilflich zu sein. — Für die 
Treue, die Sie unserem Blatt bewahrten, 
verbindlichen Dank. 

H. Eng— s, H— M. In den Chorsätzen 
gute Anläufe. Brauchbar wäre „Schäden“ 
von Anna Ritter. Von größeren Formen, 
die einen modulationsreicheren Wechsel 
beanspruchen, sollten Sie absehen. Denn 
Je Interessanter Sie gestalten wollen, um 
so deutlicher springt das Unzulängliche 
Ihres Könnens wie bei „Vätergruft“ ins 
Auge. 

R. M., K— eh. Siehe die Schlußbemer- 
kungen in Ihrer zur brieflichen Beurtei- 
lung eingesandten Arbeit. 



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Inhalt * Zur Kunstästhetik unserer Zeit. II. Grundfragen ln der Aesthetik der Programm-Musik. — Henriette Feuerbach und die Musik. — Mascagnis neue Oper 
lllllall • Paris! na. — Musikleben im goldnen Westen Nordamerikas. — Aus den Münchner Konzertsälen. — Uraufführungen auf deutschen Bühnen. Gabrielle 
Ferrari: „Oer Cobzar.“ (Am Hoftheater zu Kassel.) Heinrich Zöllner: „Der Schützenkönig.“ (Am Stadttheater zu Elberfeld-Barmen.) Wilf-Ferrari: „Der Liebhaber 
als Arzt.“ Brandts Buys: „Glockenspiel.“ (Am Dresdner Holtheater.) — Der Generalmusikdirektor an den Oberbürgermeister. — Kritische Rundschau: Halle a. S., 
Linz a. D., Meiningen, Weimar. — Kunst und Künstler. — Briefkasten. — Neue Musikallen. — Besprechungen. — Musikbeilage. 




Zur Kunstästhetik unserer Zeit. 

II. Grundfragen in der Aesthetik der 
Programm-Musik. 

Von HEINZ HESSEN (Berlin). 

In der „Neuen Musik-Zeitung“ erschien unlängst ein Auf- 
satz von Alfred Wolf, der in vielen grundsätzlichen Punkten 
meinen im Januar 1913 an gleicher Stelle über das gleiche 
Thema niedergelegten Anschauungen widerspricht. Ich 
betonte damals die Selbständigkeit und in sich geschlossene 
organische Notwendigkeit des Musikwerks gegenüber der 
poetischen Idee, der Anregung, der Wirklichkeit. Ich 
sagte: „Wer die poetische Idee hat, hat noch so viel wie 
nichts. Von der poetischen Idee zur Idee des musikalischen 
Kunstwerks fortzuschreiten, ist das Hauptproblem.“ Und 
ich führte aus, daß die Phrase vom „formbildenden Inhalt“ 
nur sehr cum grano salis verstanden werden dürfe, während 
Wolf der poetischen Idee eine dem Opemtextbuch analoge 
Bedeutung beimißt. Aus dieser meiner Anschauung heraus 
will ich heute zur Klärung vielfach vorhandener Miß- 
verständnisse noch einiges ausführen. H. T. 

i. • 

D ie Zerlegung der gegebenen Welt in Inhalt und Form 
ist eine Handhabe des Geistes, um in die in ihrer 
Ganzheit und Einheitlichkeit nicht unmittelbar faßbare 
Summe des Daseienden einen Zutritt zu finden. Diese 
philosophische Urerscheintmg findet in einer Formulierung 
Simmels, von der ich hier ausgehen will, folgenden be- 
sonderen Ausdruck: Die in ihrer Unmittelbarkeit nicht 
ergreifbare Welt als Inhalt wird dadurch ergreifbar ge- 
macht, daß sie „in einer Mannigfaltigkeit von Formen 
ausgestaltet ist, deren jede prinzipiell die Ganzheit 
der Welt zu ihrem Inhalt gewinnt. Die Wissenschaft und 
die Kunst, die Religion und die gefühlsmäßig-innerliche 
Verarbeitung der Welt, die sinnliche Auffassung und der 
Zusammenhang der Dinge nach einem Sinn und Wert 
— und vielleicht noch andere — sind die großen Formen 
oder Kategorien, durch welche jeder einzelne Teil des 
Weltinhaltes sozusagen hindurchpassieren kann oder soll. 

Denselben Inhalt meint unsere Reflexion bald 
unter dieser, bald unter jener Kategorie zu erblicken. Und 
es ist der Sinn jeder dieser großen Formen, jeden überhaupt 
vorhandenen Inhalt in sich aufnehmen zu können. Die 
Kunst kann es ihrem Prinzip nach beanspruchen, den 
ganzen Umfang des Daseins zu gestalten, ebenso kann 
sich der Erkenntnis kein Stück der Welt entziehen, jedes 
Ding kann man nach seiner Stellung in irgend einer Wert- 
reihe fragen" usw. ; wobei Simmel natürlich nicht die 
Einschränkung unerwähnt läßt, welche die jeweilige 
historische Geisteslage ausübt auf die Kompetenz dieser 
Formen gegenüber den Inhalten, so daß uns also historisch 


keine absolute Religion, keine allen Inhalten gleicher- 
weise gerechte Kunst vorliegt, daß vielmehr diese all- 
umfassende Gestaltungskompetenz nür einen grund- 
sätzlichen Anspruch dieser Formen darstellt. 

So gestaltet die Kunst, die Simmel eine „autonome 
Kategorie“ nennt, den Weltstoff ursprünglich 
innerhalb ihres selbständigen Reiches, nicht im 
Sinne einer Reproduktion der Wirklichkeit. Auch 
Portrait und Landschaftsbild sind nicht Mittel, um die 
dahinter liegende Wirklichkeit durchscheinen zu 
lassen — das wäre eine durchaus unkünstlerische, durch 
die populär-praktische Verwendung freilich begünstigte 
Anschauung. Kunst ist ihr eigener Endzweck, steht 
„koordiniert neben der Wirklichkeit“. Nicht die Wirk- 
lichkeit ist der Inhalt, der in Kunstform übertragen 
wird; was in die Kunst eingeht, sind vielmehr die aus 
der Bindung der Wirklichkeit gelösten 
Elemente des Weltstoffs. Gegenstand der Kunst ist 
die unendliche Summe des Weltstoffs, welcher unmittel- 
bar und ursprünglich (d. h. nicht als Nachbildung 
einer anderen Formung, wie der Wirklichkeit) in der Kunst 
gestaltet wird, — wie er anderseits auch in der Form 
der Wirklichkeit Gestalt annehmen kann. Ein 
Relativum der Wirklichkeit ist die Kunst 
nur in ihren tagebuchartigen Vorstufen, welche 
Erlebnis- und Empfindungsniederschläge aus der Unmittel- 
barkeit des wirklichen Erlebens und Empfindens in 
gewisse vorläufige, skizzenhafte Attitüden der Kunst 
kleiden. Als vollendete, fertig abgeschlossene Kunst hat 
sie das Weltstoffliche, was in das Werk eingeht, aus den 
Bindungen des Wirklichkeitszusammenhanges und des 
wirklichen (äußeren oder psychischen) Verlaufes gelöst und 
nach den Gesichtspunkten ihres eigenen Reiches gestaltet, 
nur sich selbst gegenüber verantwortlich. Die im Psycho- 
logischen stehen bleibenden Betrachtungen stellen die Kunst 
als Verzicht, Ueberwindung, Erlösung usw. hin, jedenfalls 
als eine Stellungnahme des Künstlers zur Wirklichkeit, und 
treffen dadurch wohl gewisse psychologische Beziehungen, 
die von wechselnder Art und innerhalb der Vorstufen von 
charakteristischer Bedeutung sind, doch treffen sie nicht 
das konstante, immanente Wesen der Kunst selbst in 
ihrer letzten, höchsten Verabsolutierung und machen so 
die Kunst zu einem bloßen Seitenzweige der Psychologie, 
zu einem bloßen Mittel der Uebertragung von Seelischem. 
(Es ist mir unter diesen Umständen und in dieser* Zeit, 
die vorzugsweise das Relative in der Kunst betont, 
besonders erfreulich, auf das soeben erst erschienene Buch 
von Max Raphael aufmerksam machen zu können. Der 


145 









Verfasser unternimmt es, seine Aesthetik zu begründen auf 
der fundamentalen Tatsache des schöpferischen Triebes, 
welcher somit als absolutes Prinzip eine absolute 
Wertung ermöglicht und die Kunst, ähnlich wie im Sinne 
Simmels, als eine autochthone und autonome Kategorie 
rechtfertigt, als eine ursprüngliche Formung des 
Weltstoffs. Raphaels Buch handelt zwar von der Malerei 
(„Von Monet zu Picasso“ lautet sein Titel), ist aber in 
seinem grundlegenden theoretischen Teile, insoweit der 
gemeinsame Wurzelboden aller Kunst: der schöpferische 
Trieb und dessen immanente Funktionen betrachtet werden, 
natürlich für jede Kunst von gleicher Geltung). — 

Psychologisch gesehen, ist die Wirklich- 
keit zwar diejenige Kategorie, innerhalb welcher die 
Relation zwischen Subjekt und Objekt 
erlebt wird, d. h. innerhalb welcher der schöpferische 
Mensch die Anregungen empfängt, die seine schöpferische 
Reaktion bewirken, seine künstlerische Phanta- 
siebefruchten — gleichgültig, ob diese Befruchtung 
zu einer bewußten wird, oder ob sie als unbewußte Regung 
des empfindenden und sich im naivsten Schaffen aus- 
sprechenden Herzens auftritt; gleichgültig auch, ob diese 
Befruchtung aus positivem Erleben eines Wirklichkeits- 
inhaltes stammt oder aus der Sehnsucht nach Verwirk- 
lichung, d. h. aus dem negativen Erleben eines Inhaltes. 
Diese Reaktion bleibt jedoch nicht Reaktion und damit 
relativ-passiv, sondern sie wird zur absoluten Aktion: 
im Kunstschaffen vollzieht sich die Versöhnung von Passi- 
vität und Aktivität. Der Satz, daß dieKunstwiedie 
Natur schaffe, wäre, wenn er nicht — falsch ver- 
standen — zu naturalistischen Irrtümem führte, gar nicht 
übel. Gilt seine Anwendbarkeit doch sowohl der Definition 
des fertigen Organismus als eines Bedingen- 
den und Bedingten aller seiner Teile, wie 
auch auf den werdenden Organismus als eines 
aus einem Keime organisch Wachsenden. 
Für diesen organischen Wachstumsprozeß des Kunst- 
werks — der weder ein reproduktives Zusammensetzen 
vorhandener erlebter Wirklichkeitsmomente noch auch 
irgend eine willkürlich-phantastische Konstruktion aus 
dem Blauen heraus ist, d. h. der weder äußere Erfahrung 
ist noch jenseits aller Erfahrung steht — findet 
Simmel den Vergleich mit der Art, wie wir alle unser Er- 
leben in uns erfahren: da die Verbindung der nach- 
einander empfangenen zufälligen Eindrücke nicht aus der 
Logik der an sich unzusammenhängenden Objekte, sondern 
aus dem erlebenden Subjekt stammt, so erleben wir in 
uns keine zerfallenden Einzelheiten, sondern wir werden 
unseres Innenlebens gewahr als einer organischen 
Entfaltung aus einem Keime. Als eine solche 
organische Entfaltung aus einem Keime erfährt auch der 
Künstler den Schaffensprozeß in sich. Nur ist die autogene 
Erfahrung im künstlerischen Schaffensprozeß keine ge- 
wöhnliche innere Erfahrung von dem Werden des Subjekts 
Ich, sondern eine „dem schöpferischen Menschen eigene 
Erfahrung von dem Werden eines anderen Sub- 
jekts“ (Simmel). Dieses im Schaffenden sich- vollziehende 
Wachsen eines anderen Subjekts ist der Ausdruck für die 
Verabsolutierung des Kunstwerkes, welches — zu- 
nächst doch aus den Impulsen des sich auszusprechen 
gedrängten Individuums empfangen und in einer tagebuch- 
artigen V o r f o r m , einer Kunstattitude niedergelegt, 
die ein bloßes Relativum von Wirklichkeit und von 
persönlichem Impuls war — nunmehr aus allen Wirklich- 
keitsbeziehungen herausgehoben, als seine eigene Sphäre 
absolut gesetzt und nicht mehr der Inhalte wegen 
herangezogen wird, sondern selbst seine Inhalte in sich 
hineinzieht. 

Hingegen wird jener Satz, daß die Kunst wie die Natur 
schaffe, sofort hinfällig, sobald wir dabei an die in der 
Wirklichkeit vorliegenden Beziehungen und Verbindungen 
von Dingen und Werten denken, die in der Wirklichkeit 
durch Zufall diese oder auch eine ganz andere Fassung an- 

146 


nehmen können, sowie auch dann, wenn wir das Wesen 
des Kunstwerkes überhaupt etwa als das einer Photo- 
graphie nach einem Vorbilde auffassen wollten. Das Kunst- 
werk bildet seinen Organismus aus eigenen Gesichtspunkten 
und findet seine Rechtfertigung nur in sich selbst. Ein 
Kopf ohne Rumpf ist in der Wirklichkeit kein in sich ab- 
geschlossener, befriedigender Organismus, weil er durch 
die Amputation des Rumpfes in Mitleidenschaft gezogen 
ist ; wohl aber ist das Portrait eines Kopfes ein Organis- 
mus und weit davon entfernt, etwa nur ein Notbehelf, 
ein pars-pro-toto zu sein. Die Wirklichkeit ist nicht be- 
weiskräftig innerhalb der Kunst; was im künstle- 
rischen Organismus nicht seine Bedingung 
und Rechtfertigung findet, wird durch 
den Hinweis auf die Wirklichkeit nicht 
gestützt. Man hört so häufig vor einer seltsam schönen 
Farbenvereinigung in der wirklichen Landschaft die Worte : 
„und wenn man so etwas gemalt sieht, will man es nicht 
glauben.“ Dieses Nicht-glauben-wollen ist aber gar kein 
prinzipielles Unrecht und braucht nicht aus mangelhafter 
Wirklichkeitskenntnis zu stammen. Wir sind nur dann 
gezwungen, im Kunstwerke etwas zu glauben, wofern es 
in ihm selbst, in seinem artistischen Organismus notwendig 
bedingt ist. Hierher gehört auch die Ausschaltung aller 
nur auf Wirklichkeitstatsachen stützbaren Zufallsmoti- 
vierungen im Drama, worüber Wilhelm von Scholz in 
seinen theoretischen Abhandlungen viel Wertvolles gesagt 
hat. Für die Kunst gilt nicht eine naturwissenschaftliche, 
logische, ethische, sondern lediglich eine künstlerische 
Notwendigkeit, die in der Vereinheitlichung des 
Kunstwerks zum Ausdruck ko mm t.. Für den Kunst- 
genuß gesehen: Das Empfinden dieser Notwendig- 
keit, welche das in der Wirklichkeit entweder Entlegene 
oder in irgend welchen Zufallsbeziehungen Stehende in 
einer neuen, autogenen Einheit zeigt (und 
dadurch auch die metaphysische Wirkung der 
Kirnst, das Ahnenlassen einer tiefsten Wurzel- 
einheit aller Dinge, hervorruft), ist ein wesent- 
licher Teil des Glücks im Kunstgenießen. Der andere 
wesentliche Teil dieses Glücks beruht auf der im Kunst- 
werke vollzogenen Lösung des Weltstoffs aus den Bindungen 
der Wirklichkeit, wodurch das Schwebende, Freie des 
Kunstwerks erzeugt wird. 

II. 

Hansück vermochte der inhaltlosen Form der Musik 
nur den realen Gefühlsgehalt gegenüberzustellen, den 
er aus der Musik mit vollem Rechte ausschloß. Er kannte 
noch nicht den idealen Gefühlsgehalt als die 
der Form immanente Seele. Die Existenz des 
Kunstwerks ist nach Eduard v. Hartmann eine rein ideale, 
im produzierenden wie im aufnehmenden Subjekt ein 
(wirklich perzipierter) Bewußtseinsinhalt von nicht mate- 
rieller, sondern rein geistiger Realität. Alles objektiv 
Reale am Kunstwerke (z. B. die bemalte Leinwand) ist 
nur das materielle Mittel, um diesen Bewußtseinsinhalt 
vom Produzierenden auf den Aufnehmenden zu übertragen. 
Wenn dieser Philosoph seine Aesthetik auf dem 
Wesen der ästhetischen Scheingefühle aufbaut, die er den 
imentbehrlichen Durchgangspunkt zur Auffassung des 
seelischen Inhalts des ästhetischen Scheines nennt, und 
wenn er das „Schöne“ als einen „von der Realität ab- 
gelösten Schein“ hinstellt, während Simmel den Begriff 
des „Schönen“ für die „Kunst“ als unzureichend erklärt 
und die Kunst eine ursprünglich geformte Welt nennt, 
die n i c h t als „Schein“ (weil sie damit ein Relativum der 
Wirklichkeit bliebe) zu definieren sei, sondern „jenseits 
des Gegensatzes von Schein und Wirklichkeit“ stehe, — 
so ist das ein Gegensatz im weiteren philosophischen Sinne, 
der die uns jetzt interessierenden engeren ästhetischen 
Konsequenzen nicht berührt, insbesondere hinsichtlich der 
Selbstherrlichkeit des Organismus des Kunstwerks und 
hinsichtlich der Immanenz der Idee. Auch v. Hartmann 



grenzt die Sphäre der Kunst sowohl einerseits gegen den 
Realismus, gegen die Beziehungen der Wirklichkeit ab 
als auch anderseits gegen die metaphysisch-transzendente 
Auffassung der Idee, und vertritt den der sinnlichen 
Erscheinung des Kunstwerks immanenten 
idealen Gehalt. 

Paul Moos räumt in seiner vortrefflichen historisch- 
kritischen Uebersicht über die Musikästhetik dem Philo- 
sophen Eduard v. Hartmann die maßgebende Stimme 
ein; er hat hiermit innerhalb seiner vorliegenden Materie 
zweifellos die reinste Scheidung vollzogen und hat durch 
Erledigung aller bisherigen einseitigen Sackgassen eine 
hoch anzuschlagende Arbeit geleistet. Auf den Weg, der 
uns jetzt meines Erachtens darüber hinaus weiter führen 
kann, versuchte ich hier hinzuweisen, und ich habe, nebenbei 
bemerkt, keine weitere Absicht als eben die eines an- 
deutenden Hinweises, zu welchem mich meine künstlerische 
Gesinnung veranlaßt. 

Das Weltstoffliche, aus den Bindungen der Wirklichkeit 
gelöst, gelangt zu neuer Bindung, indem es als „I d e e“ 
in die Formungen der Musik eingeht und aus diesen 
Formungen als deren idealer Gehalt ausströmt. Genauer: 
Dieser jeweilige Ausschnitt aus dem unendlichen 
Weltstoff wird vom schaffenden Musiker in ge- 
fühlsmäßiger Weise erfaßt, ebenso wie dem- 
entsprechend der ideale Gehalt des Musikwerkes vom Auf- 
nehmenden in gefühlsmäßiger Weise erfaßt wird. So ist 
das Gefühlsleben die Brücke vom Erlebnis (d. h. 
von der in der Wirklichkeit stattfindenden Berührung des 
Subjekts mit dem jeweils vorliegenden Ausschnitt aus dem 
Weltinhalt) zur musikalischen Phantasie. Und 
nicht nur, daß die Idee des Musikwerks erfaßt wird; sie 
besteht nach Hartmann auch ausschließlich aus ge- 
fühlsmäßigen Seelenzuständen und Seelenbewegungen. Der 
unendliche Weltstoff vermag also, ohne Einschränkung, 
Inhalt der Musik zu werden, indem er sich, durch die 
Brille des Gefühls gesehen, aller Gegenständlichkeit, aller 
realen Belege, jeder aus Wirklichkeitsvorstellungen stam- 
menden begrifflichen Bestimmtheit und jeder realen 
(äußeren oder psychischen) Ablaufsvorschrift entledigt. 

Für denjenigen Künstler (hierunter fällt der Programm- 
musiker), der nach einem bewußten seelischen Eindruck 
schafft und dieses Seelische aus den Formungen seiner 
Kunst neu hervorleuchten lassen will, wird es die — für 
den naiv Schaffenden nicht bestehende — Hauptaufgabe 
sein, das Umsetzen dieser seiner „Idee" ins Kunstwerk 
und die schöpferische Vereinheitlichung dieses artistischen 
Organismus zu einer solchen Vollkommenheit zu steigern, 
daß diese Idee des schöpferischen Wollens 
restlos als immanente Idee des Kunst- 
werks erstehe, daß sie sich völlig als das notwendige 
Ergebnis dieses artistischen Organismus zeige; daß sie 
in ihm nicht als Teilausdruck, mit Hilfe von Wirk- 
lichkeitsimitationen oder als gedanklich 
verbundenes und hineinpraktiziertes Symbol, als 
ein „bedeutungsvolles“ Ingrediens, das nur im Gedanken- 
gang, nicht im bildnerischen Organismus notwendig er- 
scheint, sondern als Wesenseinheitlichkeit, als Gesamt- 
ausdruck des rein aus seinen spezifischen 
Mitteln organisch gestalteten Kunst- 
werks wirke. Das Kunstwerk muß inseinerForm 
die Seelehergeben, aus seiner einheitlichen Totali- 
tät heraus, nicht aber muß, um das Verständnis des Kunst- 
werks und seiner Form zu bewirken, die Seele erst separat 
danebengelegt werden. Denn das Kunstwerk hat durchaus 
seine eigene und nur seine eigene Seele. Darum muß 
das harte Wort ausgesprochen werden : Es gibt keine 
Programm-Musik neben absoluter. Es gibt 
als Vollkunst nur absolute Musik. Musik, 
die sich trotzdem als Programm-Musik präsentiert, 
ist entweder absolute Musik (als Beispiele möchte 
ich Beethoven und Strauß nennen) oder ein Stehenbleiben 
in einem Vorstadium der Kunst, das ich Tage- 


buch nenne (bei den Genannten finden sich auch hierfür 
stellenweise Beispiele). Daß das Wort „absolut" die 
Ausdrucksfähigkeit der Musik und die un- 
begrenzte Fülle der Weltinhalte nicht im 
Sinne eines leeren Formalismus ausschließen, sondern i n 
sich begreifen soll, ist im Vorliegenden wohl un- 
zweideutig zum Ausdruck gekommen. 

Aus dem Gesagten erhellt ohne weiteres, daß ein gutes 
Trinklied bessere Musik und damit tieferen Ge- 
halt hat als eine künstlerisch schlechte Vertonung etwa 
eines Bibelpsalms oder eines Nietzsche-Gedichts: darüber 
entscheidet als letzte Instanz der Wert des Musik- 
organismus, dessen Vollkommenheit eben Seele ist. 
Kunst bedeutet nicht, sie ist. Auch das Haupt- 
thema einer Tondichtung bedeutet nicht den Haupt- 
helden, es i s t der Hauptheld. Nach „Bedeutung“ suchen, 
über das Kunstwerk hinaus suchen, in ihm noch nicht 
das Eigentliche sehen, hieße der Kunst ein Armutszeugnis 
ausstellen, hieße am Fundamentalprinzip des Schöpferischen 
zweifeln, hieße zweifeln, daß Kirnst eine Kategorie, eine 
allumfassende Welt sei, die alle Inhalte in sich einschließt. 
Wenn im Kunstwerke etwas nicht ist, sondern nur eine 
aus dem Werk hinausweisende Bedeutung hat, dann 
haben wir es mit dem Symbol zu tun, mit diesem 
zweitrangigen Element, das glicht unter die organisch-not- 
wendigen Elemente gehört, die den Organismus bedingen 
und die von ihm bedingt werden, die vielmehr nur in 
intellektueller Verbindung mit dem Organismus stehen. 
(Ich betone ausdrücklich, daß ich das Wort „Symbol“ hier 
durchweg nur in diesem von mir hier erklärten Sinne ge- 
brauche.) Beispiele dafür finden sich in jeder Kunst. Als ein 
uns besonders naheliegendes Beispiel, das mir gerade 
einfällt, nenne ich die Zitate aus früheren Werken, die 
Strauß in „des Helden Friedenswerke“ hineinwebt; da 
haben wir solche aus einem Gedankengang heraus in den 
Kunstorganismus eingeschmuggelten Elemente von ledig- 
lich symbolischer Eigenschaft. Es gibt Künstler, zumal 
bildende und literarische, deren ganzes Schaffen auf „Be- 
deutung“ beschränkt bleibt und zu keinem „Sein“ wird. 
(Wenn man diese Eigenschaft eines Kunstwerks mit 
„literarischem Einschlag“ bezeichnet, so ist das an sich 
ganz charakteristisch, doch etwas ungenau, weil man 
dabei vergißt, daß die gleiche Eigenschaft am literarischen 
Kunstwerk genau den gleichen Fehler bedeutet.) 

Es beweist eine vom Wesen der Kunst noch entfernte, 
zu große Nähe an der Wirklichkeit, wenn der Sinn mit 
dem Gesamtorganismus des Kunstwerks nicht restlos 
identifizierbar erscheint, wenn der Organismus, um den 
Sinn zu geben, eines Haltes an der Wirklichkeit bedarf, 
und wenn es z. B. zum Verständnis, zum Genuß des Werkes 
erforderlich ist, daß man sich die nicht im Organismus 
selbst vorhandene Einheit durch verbindende Reflexions- 
tätigkeit erst herstellen muß, die den Kunstgenuß fort- 
gesetzt unterbricht, und wenn das Kunstwerk hierzu auf- 
fordert. Alfred Wolf hält diese Reflexionstätigkeit und 
die Verwendung nicht organisch-notwendiger Bestandteile 
für wünschenswert, wie es sich bei seiner Beurteilung 
des Rezitativs zeigt. Das Rezitativ in der Instrumental- 
musik ist meiner Ansicht nach immer verwerflich und 
unkünstlerisch, wo es nur ein Bedeutenwollen ist, ein 
Ausweichen nach der Wirklichkeit hin. Die von Wolf 
angeführte Einleitung zum Finale der „Neunten Sym- 
phonie“ von Beethoven mit der dialoghaften Aufstellung 
und Ablehnung der verschiedenen Themen kann nie und 
nimmer ein künstlerisches Muster sein, wie Wolf es will. 
Ein historisch Vorhandenes, was in gewisser Hinsicht höhe 
Bedeutsamkeit hat, darum prinzipiell als Ideal und voll- 
kommen hinzustellen, dazu haben wir keine Legitimation. 
In einer solchen Erscheinung kann man — unbeschadet 
ihrer psychologischen Werte — nur einen not- 
wendigerweise zu durchlaufenden Irr- 
tum erblicken und insofern ein Entwicklungsglied in dem 
Problem der Beziehung der seelischen Ausdrucksabsicht 


147 



zur Kunst. — Ein anderes Beispiel dieser Art ist die Solo- 
violine im „Heldenleben“. 

Im übrigen bin gerade ich der letzte dazu, die W i c h - 
tigkeit der inhaltlich be r e i c h e r n d e n Vor- 
st u f e n der Kunst zu verkennen. In meinen Aufsätzen 
„Fortschritt und schöpferische Funktion“ („Allgemeine 
Musikzeitung“ vom 6. Juni 1913) und „Der Weg“ (Dr. Leo- 
pold Schmidts Almanach für die musikalische Welt 
1913/1914) habe ich des Wesens und Wertes aller Vor- 
stufen der Kunst, deren Unvollkommenheit durchweg auf 
zu großer Nähe am Erleben, an der Wirklichkeit beruht, 
ausführlich gedacht, und darin gezeigt, warum die Ver- 
treter absoluter formalistischer Musik 
nochwenigerimRechtsind als die fort- 
schrittlichen Vertreter niederer Gestal- 
tungsstufen. Wolf hat schon recht, wenn er be- 
hauptet, man käme der wahren Programm-Musik nicht 
näher, wenn man Charakterstücke in alten, gebräuchlichen 
absoluten Formen mit Ueberschriften versehe. Aber nur 
deshalb hat er recht, weil man der Musik, der Kunst, 
der Form überhaupt nicht näher kommt 
auf formalistischem Wege, wo, an Stelle 
der schöpferischen Tat der Vereinheit- 
lichung des Kunstwerks, die äußerlichen 
Hilfsmittel des Formalistischen, Sche- 
matischen treten, durch welche das Ziel: 
die Einheit des Formorganismus a priori 
gewährleistet ist. Eine absolut gültige Aesthetik 
hat zur Bedingung den Verzicht auf Festlegung alles nicht 
Festlegbaren, auf Festlegung einer absolut gültigen Form. 
Der Satz „Der Meister kann die Form zerbrechen“, auf 
Kunst angewendet, setzt eine Form voraus und hat daher 
Geltung lediglich von handwerklich-pädagogischer Art 
gegenüber Anfängern. Sobald wir unsere Betrachtung 
aus dem Handwerk in das Reich der Kunst erheben, ist 
Form überhaupt nicht etwas, was von vornherein da sein 
könnte, sondern gerade das höchste, letzte, immer neu 
zu suchende. Form ist nicht eine leere Hülle, die vor 
dem Inhalt bestände und daher eine Willkür gegen den 
Inhalt sein müßte. Formbildung ist gerade Endzweck: 
Form ist Gestaltungs-Ergebnis und für jeden Inhalt neu 
zu suchen. Daß sie dennoch nicht nach romantischer 
und naturalistischer Auffassung ein Relativum der Psyche 
bleibt, ist erörtert. Mit einer solchen Ableitung der Form 
kann es der Aesthetik nicht mehr zustoßen, daß sie ihre 
Systeme vor neuen Künstschöpfungen einstürzen sehen 
muß: vielmehr sind jetzt neue Schöpfungen ihre wesent- 
lichste Forderung. 

IH. 

Aus den bisher gegebenen Gründen finde auch ich die 
Bezeichnung „Progradun-Musik" unglücklich, weil dadurch 
ein künstlerisch unmöglicher Gegensatz „programmatisch- 
absolut“ konstruiert wird, aber nicht deshalb, weil darin, 
wie es für Alfred Wolf maßgebend ist, dieser program- 
matischen Ergänzung des Werkes nicht ein genügend 
selbständiger dichterischer Wert gegeben ist. Und damit 
sind wir mitten in den Kern der Auffassung Wolfs ge- 
treten, nach welcher Programm-Musik eine Verbindung 
zweier Künste, Musik und Dichtung, ist. 

Wolf bekämpft den Irrtum, daß die Tonsprache Ersatz 
für die Wortsprache sei und die Wirkung einer Dichtung 
hervorrufen solle. Aber er setzt an dessen Stelle den 
neuen Irrtum: zur selbständig-bleibenden dichterischen 
Idee trete die musikalische hinzu, und beide bestünden 
nebeneinander. Nach meiner Deduktion des musika- 
lischen Kunstwerks, welche in der reinen Konzentrierung 
auf die Elemente der Musik und in deren autonomer Or- 
ganisierung die höchste Ausdrucksform findet, aus deren 
vollkommener Form-Einheit ja erst der 
Sinn, die Seele, die weltinhaltliche Idee 
überhaupt restlos hervorleuchten kann, 
— nach dieser Deduktion kann für uns die Pro- 


gramm-Musik nicht eine Verbindung von 
zwei Künsten sein und die Musik zum Kompromiß 
zwingen, ohne zugleich den Anspruch auf- 
geben zu müssen, als höchste Kunst, als 
Vollmusik zu gelten. Wolf lehnt die von mir 
vertretene, absolut gewordene Programm-Musik ab und 
kommt zu der sonderbaren Behauptung, die dichterische 
Idee bestünde selbständig daneben. Und da findet er 
— weil doch das Musikwerk für sich allein nicht zwei 
Ideen nebeneinander realisieren kann — den Ausweg, daß 
die Dichtkunst ihre Idee in Gestalt von Bruchstücken, 
Schlagworten biete. Ja, sind denn Bruchstücke 
und Schlagworte überhaupt dichterische 
Realisationen einer Idee, ist das überhaupt Dich- 
tung, ist das Kunst, was so als Programm erscheint ? 
Und selbst falls das Programm einmal Kunst ist, ist 
es dann eben das Künstlerische daran, was für 
die Programm-Musik in Frage kommt ? Ganz gewiß nicht! 
Selbst in den Fällen, wo wirkliche Dichtungen das Pro- 
gramm bilden, sind es nicht etwa dichterische 
Elemente, können es überhaupt nicht sein. Der 
Weg geht zurück über den Stoff. Es sind 
gerade die aus der Bindung des Dichterischen 
gelösten Weltstoff-Elemente, die für die 
Tondichtung, wie für jedes Kunstwerk, von Bedeutung 
werden. Hat ein vom Maler dargestelltes Architektur- 
werk für das Gemälde einen anderen als den rein stoff- 
lichen Wert, den in gleicher Weise auch eine Land- 
schaft und alles andere besitzt? Es kann nicht anders 
sein. Und die Tatsache, daß im L i e d e die Beziehungen 
inniger scheinen (weil ein beiden Künsten Gemeinsames, 
der Rhythmus, zu einer unmittelbaren Identität wird), 
kann uns auch nicht darüber im Unklaren lassen, daß 
auch hier im Liede nur, wie in der Tondichtung, das Welt- 
stoffliche, also die Gefühlswerte für die Musik maßgebend 
sein können. Musik ist eine neue, ursprüngliche 
Bindung des Weltstoffs. Wie könnte sonst ein nicht 
direkt schlechtes und störendes, aber durchaus mittel- 
mäßiges Gedicht zu einer höchst wertvollen 
Liedwirkung gelangen, wenn nicht eben das musika- 
lische Kunstwerk ein musikalisch-autonomes wäre, das 
das aus der dichterischen Bindung gelöste Weltinhalt- 
liche aus seiner eigenen Formung aus- 
strömt! Das Lied ist keine Verbindung zweier Künste; 
nur die Ballade ist als ein Gebilde aufzufassen, das als 
bloße Musik nicht die — dem höchsten Kunstwerk 
eigene — Tendenz zum autonom-notwendigen Organismus 
besitzt, und noch in stärkerem Grade das Melodram, das 
also noch weniger Kunst in unserem höchsten Sinne, 
sondern höchstens ein gelungenes Arrangement sein kann. 
Auch dem „Zarathustra“ von Strauß liegt als Idee keine 
Dichtung zugrunde, sondern die wieder verstofflichten, 
aus der Dichtung gelösten Elemente, die in Straußens 
Musik zu neuer Einheit neu gestaltet werden. Noch deut- 
licher sehen wir am „Heldenleben“, an „Tod und Ver- 
klärung“, an der „Domestica“, an Hauseggers „Natur- 
symphonie“, daß diese Weltstoff-Elemente, wenn sie in 
einer Bindung aufgefaßt waren, in der Bindung der Wirk- 
lichkeit aufgefaßt sind, um aus dieser gelöst, durch 
die Brille des Gefühls gesehen, von der musikalischen 
Phantasie empfangen und in den Formungen der Musik 
zu einer neuen, musikalisch-autonomen Einheit gestaltet 
zu werden, d. h. zu absoluter Musik, die keiner Stütze 
bedarf, um stehen zu können, keiner Erläuterungen, um 
aufgefaßt zu werden — auch keiner elektrischen Licht- 
buchstaben, wie Wolf sie empfiehlt — , und die ihre Seele 
aus ihrer einheitlichen Totalität heraus 
hergibt. (Auch das künstlerisch gute Lied wird, was 
Wolf bezweifelt, ohne Text verstanden in seinem Organis- 
mus und seiner „Seele“; natürlich ohne die Einzel- 
heiten der nur in Worten faßbaren stofflichen Be- 
ziehungen, deren musikalischer Ausdruck jedoch musik- 
organisch bedingt sein muß.) Alfred Wolf verwechselt 


148 



Weltstoff und Dichtung. Kr verwechselt die unendliche 
Welt der Inhalte (die in jeder Kategorie gebunden 
werden können, die als Wirklichkeit, als Kunst jeder Art, 
als Erkenntnis-Objekt usw. Gestalt und Funktion annehmen 
können) mit einer dieser Formen. So nennt er irr- 
tümlicherweise auch die „Bedeutung“ das „eigenste Gut 
der Poesie“. Was doch gerade in der Umgangssprache 
das Wesentliche ist, nämlich die „Bedeutung“, kann im- 
möglich „eigenstes Gut“ einer Kunst sein. Im Kapitel II 
habe ich das Künstlerisch-Fehlerhafte der „Bedeutung" 
für alle Künste einschließlich der Poesie auseinander- 
gesetzt. Dagegen beweist Wolf gerade durch den Gebrauch 
des Wortes „Bedeutung“ in diesem Zusammenhänge, 
wie zutreffend meine Behauptung von der rein stoff- 
lichen, nicht künstlerischen Funktion des 
Programms in der Musik ist. 

Der effektive Wert des Programms ist 
ein rein psychologischer und hat den 
Zweck, eine stärkere Annäherung des 
Genießenden an die Persönlichkeit des 
Schaffenden zu ermöglichen. Das Programm 
will den ästhetischen Genuß um einen Persönlichkeits- 
genuß vermehren. Man spricht von der seelischen Indis- 
kretion des lyrischen Dichters, von jener Selbstenthüllung, 
über die z. B. eine Natur wie Heine oft von so tiefer Scham 
ergriffen wird, daß er die Empfindung plötzlich durch eine 
„cynische“ Wendung zerreißt, einfach um zwischen sich 
und dem Zuschauer kraß eine Scheidewand zu ziehen. 
Hinsichtlich dieser Indiskretion möchte ich sagen, daß 
Programm-Musik die Seele des Schaffenden noch 
unverhüllter zu zeigen vermag als das lyrische 
Gedicht und als programmlose Musik; denn sie fügt 
den überhaupt nur der Musik erschließ- 
baren Tiefen des in Worte nicht zu Kleidenden 
noch gewisse in Worten faßbare Anhalts- 
punkte hinzu. Und der Erwähnung des Programms 
steht kein im Wesen des künstlerischen Organismus liegen- 
der Grund im Wege, sobald es dem Komponisten gelungen 
ist, einen solchen Organismus zu schaffen von der vorhin 
gekennzeichneten Vollkommenheit und Selbständigkeit, 
einen Organismus, dessen immanente Seele das ist, 
was der Komponist gewollt hat. Sind diese organischen 
Bedingungen erfüllt, dann kann, bei einem genialen Kom- 
ponisten, sehr wohl auch im einzelnen Verlauf so manche 
Parallele auftauchen, ohne den Organismus zu stören, wie 
wir es bei Strauß sehen, dessen Werke als Gedankengang 
deutbar sind und doch nicht als Verbindung zweier Künste 
gedanklich zusammengesetzt wirken, weil sie aus ihrem 
musikalischen Keim organisch herausgewachsen sind. 

Uebrigens sieht Wolf gelegentlich wohl ein, daß die 
Musik autonom organisieren, nach der i h r eigenen Form 
streben muß. (In der dritten Spalte seines Aufsatzes.) 
Doch er findet noch nicht den Weg, das Weltstoffliche 
des Programms in die einzig mögliche Fühlung mit dem 
autonomen Wesen der Musik zu bringen. Die Ursache 
davon scheint mir darin zu liegen, daß er nicht auf dem 
Wege des reinen Kunstgenießens steht: er genießt das 
dahinterliegende, das psychisch-wirkliche Material; er ge- 
nießt nicht immanent, sondern transzendent. So schreibt 
er z. B. : „Und wer zweifelt daran, daß ,Till Eulenspiegel 1 
uns viel mehr lachen machte, wenn uns sein Autor nicht 
zwänge, ernst und nachdenklich zu werden, um aus unsem 
Jugenderinnerungen auszukramen, was wir etwa von 
Tills Streichen gehört haben und was davon zur Musik 
passen möchte.“ Nein; solch ein gegenständliches Nach- 
denken steht außerhalb der Kunst. Und das Lachen, 
das Wolf an Stelle dieses für ihn durch das Werk hervor- 
gerufenen Nachdenkens wünscht, stände gleichfalls außer- 
halb der Kunst. Strauß ist ein zu vollwertiger Künstler, 
um Programm-Musik im Sinne der — wie man sich gewöhn- 
lich unberechtigterweise ausdrückt — „literarischen“ An- 
schauungsweise Alfred Wolfs zu machen. Wie Strauß 
selbst betont (vergl. Max Steinitzer: „Richard Strauß“, 


Abschnitt 21), ist er „ganz und gar Musiker, für 
den alle Programme nur Anregung zu neuen Formen 
sind, und nicht mehr“. Denn — mehr wäre weniger! 
„Don Juan“, „Tod und Verklärung“, „Also sprach Zara- 
thustra“ — alles Werke absoluter Symphonik, ohne jeg- 
liche aus dem Organismus herausfallenden, nur in Ge- 
danken verbindbaren Symbole oder gar Wirklichkeits- 
momente niederer, lediglich geräuschhafter Art (je näher 
an der Wirklichkeit, um so niedriger die Stufe der Musik) ; 
das „Heldenleben“, sonst meisterhaft als Organismus, 
hat zweimal ein gedanklich zu verbindendes Symbol: die 
zu lange Szene der Solovioline und die Friedenswerke. 
Im übrigen sind Straußens (leider als solche vielgenannten) 
Symboldetails durchaus im Organismus bedingte Musik- 
elemente geworden und daher unanfechtbar. Wo wirk- 
lich einmal Elemente von Wirklichkeitsimitationen ein- 
gestreut sind, die nicht notwendige Musikelemente ge- 
worden sind, wie das Kinderschreien in der „Domestica“, 
da handelt es sich in diesem Falle überhaupt nicht um 
Elemente von rechtmäßiger organischer Bedeutung i m 
Tonstück, sondern um scharfe Einschnitte zwischen 
den einzelnen Hauptteilen der Symphonie, und bemerkens- 
werterweise um Einschnitte, die überall zwischen je zwei 
Teilen regelmäßig wiederkehren und dadurch eine gewisse 
formale Funktion ausüben. Im „Till Eulenspiegel“ steht 
nichts, was den Hörer zwänge, über die Musik hinaus 
gegenständlich zu empfinden, einschließlich der großen 
Ratsche und des „Galgens“. Das kann alles gar nicht 
anders sein; es ist ein notwendiges Musikwerk. Nur den 
„Don Quixote“ nehme ich aus, in dieser und noch mancher 
anderen Hinsicht. 

Programm-Musik könnte als eine so schöne 
und vollkommen höchstwertige Gattung 
endgültig erfaßt werden, wenn nicht 
immer wieder von Schaffenden wie von 
Betrachtern Versuche in der Richtung 
des fatalen „Gesamt k.u nstwerks“ ange- 
stellt würden. Gerade die bestehende 
— und von großen Künstlern wie Strauß 
mit selbstverständlicher Genialität ver- 
miedene — Gefahr wird, aus fundamen- 
talen Mißverständnissen heraus, zum 
Prinzip gemacht! Kein Wunder, daß es 
unter diesen Umständen noch so viele 
grundsätzliche Gegner der Programm- 
musik gibt. So kann auch Alfred Wolf mit seiner 
Theorie nicht zur Vollkunst, sondern nur zur Kompromiß- 
kunst gelangen, wie es auch aus seinem Hinweis auf Melo- 
dram und Opemtextbuch hervorgeht; zu einer Kunst, 
die nicht die Anwartschaft, die innere Befähigung, die 
Tendenz zu einem Organismus von autonomer Notwendig- 
keit in sich trägt; zu einer Kunst, die im Symbol, in der 
Bedeutung, im Dahinter erst die eigentliche Tiefe zu geben 
glaubt und nicht in sich. Der Sinn des vollkommenen 
Kunstwerks aber lebt im Ganzen. Wo eine Be- 
deutung, ein Wirklichkeitshinweis, ein 
Symbol auftritt, da wird ein Teilstück ent- 
organisiert, h e r a u s g e t r i e b e n , und da- 
durch das Ganze geschädigt als Form 
und als Seele. Absolute Musik gibt Ganzheit 
und Einheit. Mehr geben zu wollen wäre ein 
Nonsens. Daher sagte ich oben: mehr als (absolute) 
Musik geben, heißt: weniger geben. 

Und aus noch einem anderen Grunde heißt mehr 
geben weniger geben : es handelt sich hierbei um die 
Gefahr der verfrühten Befriedigung durch 
den Ausdruck. Die Andeutung des „poetischen“, 
d. h. vielmehr des weltstofflichen Sinnes könnte man 
getrost auch durch künstlerisch unzulängliche, dürftige, 
qualitativ niedere Mittel erreichen, sogar noch viel un- 
mittelbarer, mit einem Minimum von Phantasie und jener 
musikalischen Schaffenspotenz, die in ihrer aktivsten und 
freiesten Aeußerung thematisch-melodische Er- 


T49 



f i n d u n g heißt. Und zwar kann dieser Gefahr der 
Programm-Musiker deshalb leicht verfallen, da es gerade 
die niederen, geräuschhaften, klanglich-assoziativen 
Mittel und Wirkungen sind, die der Wirklichkeit 
am nächsten stehen, uqd für den idealen Gehalt das 
ungeeignetste Gefäß sind, während die melodische L i n i e , 
das Thema, in der Musik als deren höchstes Ausdrucks- 
mittel als Träger des reinsten idealen Gehaltes die höchste 
entgegenständlichende Wirkung ausübt — ana- 
log wie in der Malerei die Linie (im Gegensatz zur gegen- 
standslosen Musik) die vergegenständlichende 
Wirkung ausübt. (Im gleichermaßen entgegengesetzten 
Verhältnis steht auf der andern Seite die Wirkung der 
Farbe. In diesem Zusammenhänge wäre daran zu 
erinnern, daß in dieser Weise überhaupt das gleiche oder 
richtiger das analoge Mittel in verschiedenen Künsten eine 
verschiedene Stellung einnimmt; woher es kommt, daß 
Künstler aus ihrem Gesichtskreise heraus zumeist in Werken 
anderer Künste vorwiegend die ihrer eigenen 
Kunst gemäßen Werte schätzen und dadurch zu schiefen 
Urteilen gelangen [Beispiel: die Stellung der Literaten 
zur Musik]; woher es ferner kommt, daß Annähe- 
rungen einer Kunst an die Ausdrucks- 
weise einer anderen notwendigerweise zu Mitteln, 
zu Wirkungen führt, die in ihrer Sphäre niederen 
Wertes sind. Wenn d.ie Musik malen oder dichten will, 
so erreicht sie diese Wirkung am schlagendsten durch 
Beschränkung auf ihre niedersten Mittel, durch akustische 
Gesamtkomplexe, die auf die Wirklichkeit weisen, oder 
durch die fatalen Rezitative usw.) Dem Programm- 
musiker kann leicht diese oder jene Wendung, dieser oder 
jener Tonkomplex von niederer Qualität gerade deshalb 
als wertvoll erscheinen, weil er mit dem beabsichtigten 
Stimmungsmomente übereinzustimmen scheint auf Grund 
eines außerästhetischen Wirklichkeitsmaßstabes. Der Pro- 
grammusiker kann leicht mit der klanglichen Symboli- 
sierung und Andeutung des „poetischen“ Sinnes das Seinige 
getan zu haben glauben und die Musik somit als reproduktiv, 
als Dienerin, als Kompromißfaktor behandeln, eben aus 
jenem fälschlich „literarisch“ genannten Prinzip heraus, 
und es vergessen, daß sie zu einem selbstherrlichen, rein 
musikalisch hochwertigen Organismus emporzuwachsen 
habe. In dieser Konsequenz zeigt das „literarische“ Prinzip 
der Programm-Musik, daß es eine Hemmung der aktiv- 
erfinderischen Phantasie und eine Hem- 
mung der bildnerischen Notwendigkeit 
erzeugt. Und um an solchen Gefahren dieses Prinzips 
nicht zu scheitern, dazu bedarf es einer ungewöhnlich 
starken, schöpferischen Persönlichkeit, die ihre künst- 
lerischen Werte etwa in diesem Falle nicht ausdiesem, 
sondern trotz dieses Prinzips erreicht. 

Nicht gar so groß ist die Gefahr in der program- 
matischen Lyrik, z. B. bei Debussy, wo die Ein- 
heitlichkeit des musikalischen Gesamtorganismus durch 
das Programm nicht gefährdet ist, weil ja das Programm 
selbst als Lyrik eine Gefühlseinheitlichkeit vorstellt. Hier 
ist die Schwäche lediglich die der einseitig herangezogenen 
musikalischen Elemente. Die musikalische Phantasie ist 
z. B. bei Debussy wesentlich nach der rein klanglichen, 
geräuschhaften Seite, der akustischen Impres- 
sion hin angeregt, deren Wirkung infolge der großen 
Wirklichkeitsnähe eine assoziative und phy- 
siologische Stimmung bleibt und bei Fort- 
lassung des Wirklichkeitshinweises wesenlos und ungenieß- 
bar wird. 

IV. 

Ich glaube, mich in diesen Ausführungen so ausgedrückt 
zu haben, daß Mißverständnisse irgendeiner Art nicht zu 
befürchten sind, und will zum Schlüsse nur noch eine 
Bemerkung im einzelnen machen. 

Ich hatte den Organismus der großen Musikform, wie er 
auch in der Programmsymphonie vorliegt, einen „dra- 

150 


matischen“ genanut, und hatte erklärt, aus welchen Gründen 
er meiner Ansicht nach nicht „episch“ sein, dürfe und 
könne, weil das Halbkunst ergäbe wie Ballade und Melo- 
dram ; ich hatte hervorgehoben, daß Strauß zum epischen 
Programm einen dramatischen Musikorganismus geschaffen 
habe. Da Wolf nur das (literarische) Epos, nicht 
aber das (literarische) Drama für eine programmatische 
Verbindung mit Musik als brauchbar erklärt, so sieht das 
von weitem wie ein Widerspruch gegen meine Behauptung 
aus, ist es aber nicht, hat vielmehr mit ihr nicht das Ge- 
ringste zu tun. Wenn ich das Wort „Drama“ gebrauche, 
so ist damit eine musikalische Dramatik, ein Drama 
der Musikelemente gemeint, ein Kampf gegebener 
Kräfte. Darüber hinaus hat es nichts mit dem litera- 
rischen Drama gemeinsam und kann beileibe nicht als ein 
Ersatz oder eine Parallelbildung zu einem literarischen 
Drama aufgefaßt werden. Das Drama trägt den schärf- 
sten Notwendigkeitsanspruch in sich, nicht 
das Epos. Insofern ist die Symphonie das Drama 
der Musik, und nicht die Oper. Der musikalische Organis- 
mus der Symphonie ist spezifisch musikalisch-dramatisch, 
wie der literarische Organismus des Dramas ein spezifisch 
literarisch-dramatischer ist. Was von Literaturwerken 
für die Musik zu verwerten sei, kann nach allem 
Gesagten überhaupt kein Problem sein; verwerten kann 
die Musik alles und doch nichts, denn sie . schafft 
autonom, sie gestaltet den Weltinhalt ursprüng- 
lich. Sie i s t hier ein (musikalisches) Drama, aber sie 
bedeutet kein (literarisches) Drama. 

In diesem dramatischen Organismus der „Sonate“ ver- 
sagt auch durchaus nicht, wie Wolf behauptet, der „Ge- 
fühls-Schematismus“, den er ausmerzen will. Natürlich ist 
eine Sonate nicht der Ausdruck einer (epischen) „Reihe 
von Gefühlen“, sondern (dramatisch) einer Konfrontation, 
eines Kampfes von Gefühlen. Nicht Addition, sondern 
Multiplikation. Sie bringt sozusagen Gefühle in zweiter 
Potenz. Darin liegt ja eben der Gegensatz der 
dramatischen, gefühlsmäßig-komplika- 
tiven zur lyrischen, g e f ü h ls m ä ß i g - e i n - 
fachenMusik, der fundamentalste Gegen- 
satz, den ich in der Musik empfinde. Und auf diesem 
Gegensatz beruht wohl auch jene dunkle Neigung, die, 
wie manchen anderen, auch Alfred Wolf veranlaßt hat, 
die Sonate aus den Gefühlsbeziehungen lösen zu wollen. 
Uebrigens wäre es eine irrtümliche, nur einer gewissen 
Charaktemuance in der modernen Psyche Rechnung 
tragende Ansicht, Lyrik mehr oder weniger als Gelegen- 
heitskunst, als Augenblicksniederschlag zu betrachten. Die 
im lyrischen Gebilde zum Ausdruck kommende Ge- 
fühlseinheitlichkeit kann den ganzen Menschen 
durchtränken, kann Weltanschauung, kann Religion sein. 
Alle religiöse Kunst, vom Gregorianischen Choral bis zu 
Novalis und Rilke, ist eminent lyrische Kunst. Ist doch 
gerade Gefühlseinheitlichkeit eine der großen 
Segnungen der Religion. Und darum muß religiöse Kunst 
von vornherein lyrisch sein, weil es zum Wesen des religiösen 
Gefühls gehört, sich nicht jenseits seiner selbst zu stellen, 
was der Distanz (für die Religion: dem Zweifel) gleich- 
käme. Das Dramatische hingegen ist es, was auf 
einem als notwendig erschauten Gegensatzeinander 
bedingender Gefühlswerte beruht. (Wie ich 
es in meinem Aufsatz in Heft 8 vom Januar 1913 bereits 
ausführte.) Dieser einfache Dualismus von Lyrik 
und Dramatik scheint mir in der Lage zu sein, alle 
künstlerischen Ausdrucksformen der Musik umspannen und 
in sich, auf teilen zu können als fundamentalstes 
Formprinzip, (Dies bezieht sich natürlich nur auf 
die einzelne geschlossene Formeinheit, nicht auf zusammen- 
gesetzte Werke wie etwa das Oratorium, das eine Summe 
von Formeinheiten darstellt und in dieser Gesamtheit 
ein episches Gebilde ist.) 



Henriette Feuerbach und die Musik. 

Von L. ANDRO (WIEN). 

B riefwechsel zweier von den Musen besessener Geschwister, 
so sollte man den ihren nennen, schlug Henriette Feuer- 
bach ihrem Bruder Christian Heydenreich vor. — Was 
Henriette Feuerbach für ihren Stief.ohn Anselm und somit 
für die Geschichte der Malerei geworden ist, das weiß man 
nicht erst seit ihre wundervollen Briefe (bei Meyer & Jessen 
in Berlin) erschienen sind. Aber was sie für die Musik war, 
das steht erst jetzt zu lesen, für die Musik, die ihre eigenste, 
ihr im tiefsten zugehörige Kunst war und die nur immer 
zurücktreten mußte vor der Sorge um das Genie, dem sie 
den besten Teil ihres Lebens gemdmet hatte. 

Henriette Heydenreich, die kaum viel über zwanzig Jahre 
alt, den verwitweten Archäologen Anselm Feuerbach, den 
Sohn des großen Kriminalisten, heiratete und seine beiden 
kleinen Kinder mit beispielloser Liebe betreute, hat schon an 
ihrem Bruder Christian die Tragödie des Genies erhbt, das 
nicht zur Höhe kam. Christian Heydenreich war, wie sie 
später an seinen Sohn schrieb, in ihren Augen „an Kraft der 
Erfindung das bedeutendste Talent nach Mozart und Beet- 
hoven ... In seinen Jünglingsjahren schon ist der Keim 
abgeknickt worden. Damals galt eine Künstlerexistenz gleich 
einem wandernden Seiltänzer- und Zigeunerleben. Hätte dein 
Vater ein Instrument erlernt als Virtuose, so wäre dies eine 
praktische Unterlage gewesen, denn damals war die goldene 
Zeit für das noch nicht ausgebeutete Virtuosentum. Und die 
musikalische Bildung zu Leipzig hätte wohl auch nicht mehr 
gekostet, als das Studieren und Praktizieren und Warten in 
der Dachstube . . . Mit Komponieren aber sich eine Existenz 
zu schaffen, das war unmöguch: der Virtuose oder der Ka- 
pellmeister muß sich das Brot verschaffen, das der Kompo- 
nist ißt . . . Wie groß der Sieg des Menschen über den inner- 
lich fertigen aber äußerlich unreifen Künstler war, das ver- 
mag nur der zu ermessen, der eine Ahnung hat von dem 
Schmerz, den ein zertretenes Kunsttalent empfindet, der 
schärfste und trostloseste von allen.“ 

Henriette kannte diesen Schmerz gut. Sip. fühlte sich musi- 
kalisch tiefer veranlagt alsjClara Schumann, bekannte sie am 
Ende ihres Lebens; aber aucli'sie kam nicht zur Höhe. Selbst 
ihr bescheidener Wunsch, Klavierstunden zu geben, blieb un- 
erfüllt in ihrer wenig freudigen Ehe mit einem schwer nerven- 
kranken Mann. So ist der Briefwechsel mit dem Bruder die 
einzige musikalische Anregung, die ihr bleibt. „Händel mit 
Luther zu vergleichen finde ich sehr richtig. Doch Beet- 
hoven kann ich nicht mit ihm unter eine Decke bringen. 
Händel war, mein’ ich, mehr in sich selbst abgeschlossen, 
kompletter, großartig genug, ein Kapitel in der Weltgeschichte 
zu eröffnen. Beethoven ebenso großartig, aber mehr für sich 
allein individuell ... er bezeichnet in sich selbst eine Schö- 
pfungs- und Vollendungsgeschichte. Händel, mein’ ich, ist 
m seiner Kunst immer sich selbst bewußt in gewissen Grenzen 

f eblieben, über die er sich selbst nicht hinausgelassen hat, 
leethoven sprengte, besonders in der letzten Zeit, alle Bande 
und stürmte Himmel und Hölle.“ 

Ihr feines Gefühl wehrt sich kräftig gegen alle Banalitäten. 
„Neulich hört’ ich ein Potpourri aus Stücken von Mozart, 
Gluck, Beethoven, Strauß, Bellini, Rossini usw. durchein- 
andergemengselt und mit rührenden Violin- oder Flöten- 
kadenzen verbunden. Die Ankündigung auf dem Konzert- 
zettel war: Musikalischer Blumenstrauß, gewunden von Herrn 
Schramek. Wenn der leibhaftige Satan mit seinen höllischen 
Geistern Musik macht, so führen sie gewiß so ein Potpourri 
auf, dem lieben Gott zum Verdruß und zum Hohn der hei- 
ligen Musika.“ 

Sie berichtet dem Bruder, der die unmittelbare Berührung 
des Urgeistes mit der Kunst fühlte und „durch die General- 
baßmauer ins Freie spazierte“, von einem Streit um einen 
Ausspruch Hegels, der sagt, die Musik stünde unter der 
Poesie, indem sie, zwar vom Raum befreit, doch noch auf 
einem sinnlichen Material beruhe. Henriette aber meint, sie 
stünde über der Poesie, weil sie die Brücke des Begriffs 
überspringen kann und unmittelbar von Geist zu Geist spricht, 
d. h. durch das Gefühl, welches dem tiefsten Selbst doch 
näher liegt als der Verstand. 

Der Bruder und sie selbst scheinen Palestrina und den 
streng kirchlichen Stil sehr geliebt zu haben. Wir wissen 
heute freilich, daß gerade Palestrina s Stil für seine Zeit durch- 
aus nicht als streng galt, ja, daß er Messen über Melodien 
eines Boccaccio-Textes komponiert hat und dadurch in man- 
cherlei Kämpfe hineingeraten ist. Henriette wußte das offen- 
bar nicht. Ihr war Handel in der Kirche schon zu weltlich, 
weil er sich mit der melodischen Bewegung in den Vorder- 
grund drängte. „Andacht heißt sich ahschTießen. Die herr- 
lichste Profanmusik kann nicht Andacht, obschon Begeiste- 
rung erwecken, weil sie vielmehr eine weite reiche Welt auf- 
schueßt, in die man sich versenkt und verliert.“ 

Der Bruder scheint sich bei einem Preisausschreiben mit 


einer Sonate beteiligt zu haben und unterlegen zu sein. Felix 
Mendelssohn war der erste, der seinem Streben überhaupt 
Beachtung schenkte. Mendelssohn sei ihr, so meinte Hen- 
riette, lieber als Weber, wenn der letztere auch hier und da 
genialere Geistesblitze hätte, aber er habe so viel schlechtes 
Zeug gemacht, daß man seine guten Gedanken wie ein Huhn 
hei auskratzen müsse. Damals, 1845, hörte sie Liszt, und 
das ist für lange Zeit der letzte musikalische Eindruck, von 
dem sie berichtet: „Ich rechne mir dies als ein Glückt nicht 
als einen Genuß ... Es ist etwas so Eigentümliches in diesem 
Spiel, daß man keine Worte dafür hat. Eine solche über- 
mächtige Gewalt, ein zugleich liebliches und doch unheim- 
liches Locken und Zittern, das Klavier hört auf, Klavier zu 
sein, alle Instrumente greifen ineinander und dazwischen 
klingen Natur laute wie Blättersäuseln und Donnerrollen . . . 
Es ist, als ob er durch dämonische oder magnetische Kraft 
die Töne heraufbeschwöre und die Hände nur planlos nach- 
lässig hin und her schleudern oder bewegungslos ruhen ließe . . . 
Dieser Geist und dieses Feuer sind Gerne im eigentlichsten 
Sinn des Wortes. Auch das Materielle ist Genie, da bleibt 
nichts Gelerntes übrig.“ 

Christian Heydenrach starb, ohne der Musik so dienen zu 
dürfen, wie er es ersehnt hat. Und Henriette verstummte 
in allem, was Musik war. Ihr Leben durfte sie für sich nicht 
leben. Der Gatte starb und es galt, dem jungen Anselm den 
Weg zu ebnen. Sie zog nach Heidelberg, übersetzte, schrieb, 
gab auch Kla vier stunden, aber zu ihrer sehnsüchtigen Mu- 
sikerseele sprach lange niemand mehr. Viele Jahre später, 
1865 spricht sie erst wieder von Joachim. „Der einzige Mensch, 
von dem ich den Eindruck habe, daß er in seiner Kunst allem 
Erdenleid und aller Erdenmüh enthoben ist, wie da seligen 
Götter einer. Als ausübenden Künstler wüßte ich ihn nur 
mit der göttlichen Schöpfakraft Mozarts zu vergleichen.“ 
Auch Clara Schumann tritt nun in ihren Gesichtskreis. „Da 
Eindruck war so nachhaltig, daß ich bis jetzt keinen andern 
Gedanken gehabt habe als sie. Abgesehen von ihren wunder- 
baren Kunstleistungen muß ich es immer mit stilla Andacht 
betrachten, was echte Kunst und echtes Leid Großes und 
Herrliches aus einer dazu erwählten kraftvollen Natur machen 
können.“ 

J. V. Widmann, Hermann Levi und Johannes Brahms 
tauchen in ihrem Leben auf; mit allen dreien vaband sie 
Freundschaft bis zum Ende. Für Brahms schrieb sie einen 
Opemtext, „Fortunat“, ein Märchen. Auch ein „Otto III.“ 
beschäftigte sie vorübergehend. Sie lernte die „Bezähmte 
Widerspenstige“ von Hermann Götz kennen und auch ihr 
feines Gefühl empfindet schon den Bruch im letzten Akt, 
das dem entzückenden Werk heute noch den gebührenden 
Platz verwehrt und den auch Gustav Mahler zu tilgen sich 
bemühte. „Die Schneiderszene im vierten Akt nach der 
Arie Katharinas hat mir weh getan. Ich hätte gewünscht, 
daß dieser unmittelbare und tiefste Seelenlaut ausklingen 
dürfte und einfach übergehen in die über alle Beschreibung 
schöne und feine Sonne- und Mondszene.“ Neben diesem 
Werk, das ihr eine Herzenssache ist, macht ihr Brahmsens 
Requiem einen ganz großen Eindruck, nur sein Konzert und 
die Trios, Quartett, Sextett versteht sie nicht. „Er ist eigent- 
lich von Grund aus gut, einfach und leichtlebig — aber auch 
hochmütig wegwerfend, rücksichtslos im Exzeß.“ 

1874 hörte sie die „Bezähmte Widerspenstige“ auf der Bühne. 
„Es ist eine Tiefe, Innigkeit, Gewalt, Leidenschaft, ein tra- 
gischer Emst in diesem Werke, das erschüttert, niederwirft 
und zu gleicher Zeit erhebt, und drüber hin spielt der Humor 
wie Champagnerschaum und knattert und sprüht wie ein 
lustiges Feuerwerk . . . Ihr Freund (Götz) wäre derjenige, 
der da kommen sollte. Er faßt die Errungenschaften der 
modernen Periode zusammen, nicht als Zweck für die Zu- 
künftigen, sondern als Mittel, durch die der Genius die Musik 
der Gegenwart erschafft. Er ist kein Ueber setzer, der erst 
die musikalische Reflexion braucht, um menschliche Ideen 
in die Kunstform überzutragen, er redet seine Muttersprache . . . 
Ich freue mich sehr, das Werk noch einmal mit Anselm zu 
hören, dem Brahms gesagt hat, daß Götz nicht die Spur von 
Melodie oder Talent hat. 

Sie schrieb damals einen rührenden Brief, an Brahms, in 
dem sie seine Freundschaft für Anselm erbat, aber ganz wohl 
ward ihr nicht, weder in seiner noch in Frau Schumanns 
Nähe. „Bei aller Freundschaft und Verehrung sind es doch 
nicht unsere Leute . . . Ich liebe mehr die bürgerlich gemüt- 
liche Art oder wenn es sein kann die Umgebung von wirklich 
geistig gebildeten Menschen, das sind diese großen Genies 
doch alle nicht, bei Lichte besehen.“ Damals nahm sie ihr 
Klavierspiel wieder auf und schrieb an den Sohn: „Deine 
Kunst und meine kleine feine Musik — wer hat Besseres 
aufzuweisen, wenn er den Siebzig entgegengeht?“ 

Sie polemisiert gegen Hanslick, an dem sie gern einen „Zer- 
zausungsversuch“ machen würde, weil er einem Kunstwerk 
nur eine 40 — 50jährige Lebensdauer gibt und dabei vergißt, 
daß es eine absolute Schönheit der Kirnst gibt, die wirklich 
unsterblich ist. Von Hermann Levi wünscht sie ein vernünf- 
tiges Wort über die „Wagnerei“. „Meine Natur treibt mich 



auf die Anti-Seite, aber ich möchte nicht unrecht tun und 
doch muß ich mir immer denken, es sei eine pathologische 
Kunst, die mehr die Nerven als den Geist trifit." 

In dem „lieblichsten Abendsonnenschein“, den ihr die 
Musik geschaffen, traf Henrietten der tiefste Schmerz, der 
sie treffen konnte: der Tod des Sohnes, um den sie gedarbt 
und gelitten und für dessen späten Ruhm sie heldenmütig 
kämpfte. Brahnjs^. der Anselm Feuerbachs Andenken seine 
Näme widmete, trat ihr dadurch besonders nahe. „Das 
Werk, auf dem die beiden Namen stehen, wird mir ein be- 
sonderes Heiligtum sein“, schrieb sie ihm. „Er (Anselm) 
hatte Sie lieb als Mensch und stellte Sie über alle als Künstler, 
ohne sich je durch andere Götter beirren zu lassen,“ Ein 
kleines Buch aus Anselms Nachlaß, das sie ihm sendet, will 
Brahms zuerst nicht behalten. Verbrennen Sie es, wenn 
Sie alt sind, damit es nicht in schlechte Hände kommt,“ bat 
sie ihn später. Als Brahms 1881 zum ersten Male die Nänie 
dirigierte, sandte sie ihm einen Gruß: „S i e haben mir immer 
wohl getan und Ihre Teilnahme hat keinen Stachel für mich.“ 
In Leipzig hörte sie das Werk selbst im Herzogenbergschen 
Hause. „Es kommt mir vor, als wäre das Gedächtnis eines 
edlen Toten nie tiefer empfunden und das Kunstwerk eines 
Lebenden nie tiefer und würdiger genossen worden, als an 
jenem Sonntagmorgen.“« 

Hermann Levi war es, der keine Ruhe fand, ehe er ihr 
Anteil an seiner eigenen Herzenssache abgerungen hatte: 
am „Parsifal“, den sie 1882 in Bayreuth hörte. Voll Be- 
wunderung schreibt sie ihrer Freundin über Levis Orchester. 
„Bei einer solchen fast überirdischen Schönheit der Wieder- 
gabe ist die Wirkung kein Wunder. Der zweite Akt ist häß- 
lich trotz einer meisterlichen Komposition, aber im dritten 
Akt ist eine Szene, über die man nicht hinauskommt und die 
man nicht vergessen kann, wenn man sie gehört und mehr 
noch gesehen hat: es ist die von der Kritik am meisten ge- 
tadelte Fußwaschung . . . Die Musik besteht vom Anfang 
bis zum Ende aus Motiven, die so ineinandergearbeitet sind, 
daß sie den Gedankengang nicht nur musikalisch, sondern 
auch erzählend vergegenwärtigen. Man hört durch die ganze 

einzeln, verbunden, ganz, halb, 

. Dur, Moll: unsere Klassiker 
hätten das nicht tun können, denn sie wären sonst an ihrem 
Reichtum erstickt, aber in dieser halb menschlich gedachten, 
halb künstlerisch verarbeiteten Darstellungsweise liegt der 
Zauber, der diejenigen unterjocht, die ihm verfallen. Was 
mich betrifft, so glaube ich das Werk besser als mancher 
andere verstanden zu haben, weil der Kapellmeister es mü- 
den Abend zuvor aus der Partitur vorgespielt hatte, so wie 
es eben nur ein Kapellmeister wie Levi kann.“ 

Leider hielt diese Begeisterung nicht an. Dem Klavier- 
auszug gegenüber versank sie in einen Abgrund mit einer Grab- 
schrift, die „Musikalische Armut“ hieß. 

Nichts ist der alten Frau erspart geblieben: Blindheit auf 
beiden Augen zog sie in die völlige Nacht, Noch brachte ihr 
das Studium der a moll-Schubert-Sonate No. 1 einen Schimmer 


von Schönheit. „Es ist eine fast raffiniert feine Vortrags- 
studie, ein . sorgfältig gebundener Blumenstrauß, jede Blume 
am rechten Ort, voll Duft, d. h. Wohlklang, die Zwischen- 
gruppen sind etwas derber, poltriger Art, wie dicke große 
Blätter zwischen feinen Blüten. Darin unterscheiden sie sich 
von dem goldenen Strom der Beethovenschen Sonaten, in 
denen An- und Absätze immer harmonisch untertauchen.“ 
Ihr Leben neigte sich dem Ende zu. Ihr, die nie Bitter- 
keit gekannt, entfuhr zum Schlüsse noch ein bitteres Wort: 
„Mein Musiktalent war größer und tiefer als das der Frau 
.Schumann. Ich war ein dummes Kind und wußte nichts. 
TsTiemand hat mir geraten, niemand geholfen und in dem 
wilden Strudel der Feuerbachschen Familie bin ich unter- 




en. 


iesem letzten Aufschrei der Fünfundsiebzig jährigen ist 
ihre Lebenstragödie enthalten. Sie konnte nicht ans Licht 
gelangen, weil sie ihre ganze Kraft verbrauchte, andern ans 
Licht zu helfen. Aber sie hat ihr Leben nicht vergebens 
gelebt, nicht für andere und für sich selbst auch nicht. Durch 
ihr von Schmerzen zerrissenes Leben zog ein ewiges Klingen 
und einte es zu edelster Harmonie. „Das Höchste in unserem 
Leben ist die Vereinigung der göttlichen und menschlichen 
Natur in einem Moment. Das kann keine Kunst als die 
Musik.“ 


Mascagnis neue Oper Parisina. 

Von EMIL THIEBEN (Mailand). 


s 




Same aus dem I. Akt der Parisina, Nach Gaetano PreriaUs, 


Ichon seit Wochen hatte die musikalische Welt Italiens 
sder Uraufführung der jüngsten Oper Mascagnis mit 
"der größten Spannung entgegengesehen. Man muß 
bedenken, daß Italien in Mascagni nicht allein den Schöpfer 
der „Cavalleria rusticana“ bewundert, sondern in ihm auch 
den Komponisten der „Iris“ und insbesondere der roman- 
tischen Oper „Isabeau“, die seit ihrer vor zwei Jahren er- 
folgten Premiere im Spielplan der italienischen Opembühnen 
geblieben ist, dankbar schätzt. Zudem wuchs das Interesse 
an dem neuen Werke durch den Umstand, daß kein Ge- 
ringerer als Gabriele d’Annumio es übernommen hatte, 
seinem Bruder in Apoll das Buch zu liefern. Wer sich aber 
trotz der starken Anziehungskraft dieser beiden Namen 
noch nicht genügend angezogen fühlte, der wurde durch 
die Reklame, die der rührige junge Verleger Loren zo Sonzogno 
machte, auf die Bedeutung des Ereignisses gewiesen. Da 
sah man in den Schaufenstern der Musikalienhandlung 
stimmungsvolle Darstellungen der Hauptszenen der 
risina“, gemalt von der Meisterhand Gaetano Previatis, 
dieses seltsamen Mystikers unter den Malern Italiens, der! 
inmitten der modernen Großstadt wohnend und arbeitend! 

eine eigenartige Traumkunst geschaffen 
hat. Da rief ein lebensgroßes Plakat 
Plimo Nomellinis, das die beim Scheine 
einer Laterne lesende Parisina des drit- 
ten Aktes in divisionistischer Manier 
darstellte, die allgemeine Aufmerksam- 
keit auf sich. Und dann die Mittei- 
lungen der Zeitungen über die groß- 
artigen Vorbereitungen zur Aufführung. 
Die starken Chöre des Scalatheaters 
mußten auf 160 Stimmen verstärkt wer- 
den. Das Orchester sollte neue Instru- 
me nte erhalten, wie Baßklarinetten und 
Baßflöten. Und dann die Preise für 
die erste Vorstellung: die Parkettsitze 
100 Lire und selbst die bescheidensten 
Sperrsitze auf der obersten Galerie 
20 Lire, der Eintritt ins Stehparterre 
10 Lire. Die Neugierde war also einige 
Tage vor der Aufführung auf das 
höchste gestiegen. 

Der Inhalt des Buches konnte frei- 
hch keine Ueberraschung enthalten. 
D Annunzio hatte sich seinen Stoff 
aus der mittelalterlichen Chronik Fer- 
raras gewählt, die von der verbreche- 
rischen Leidenschaft erzählt, in der 
■ ! S®. Y.°” Este, des Markgrafen Nicolö 
natürlicher Sohn, in seine Stiefmutter 
ransma Malatesta entbrannt war. Die 
Florentiner Novellisten Bandello und 
Casca hatten ein J ahrhundert später mit 
der von erotischem Geiste getragenen 
Darstellung des Ereignisses ihre Zeit- 
eenossen unterhalten. Lord Byron hatte 
< “ e .J 1 ®* Tragik des Geschickes der 
unglücklichen Liebenden gefühlt und 


152 


ihnen ein episches Gedicht gewidmet. Antonio Sonuna war 
mit seinem Trauerspiel „Pansina“ 1834, fast gleichzeitig mit 
der Donizettischen Oper, die den Klagen der schönen Mark- 
gräfin Töne verlieh, hervorgetreten, hatte aber, ebenso wie 
die Oper, keinen nachhaltigen Eindruck erzielt. 

Wie hat nun d’Annunzio den Stoff gegliedert, den er in 
seinen Grundzügen fertig vorgefunden hat ? Die folgende 
Inhaltsangabe möge diese Frage beantworten und zugleich 
beweisen, daß der Dichter ein ergreifendes Drama ge- 
schaffen hat. 

In der prächtigen Villa auf der bei Ferrara gelegenen Po- 
insel spielt der erste Akt. Ugo übt sich im Armbrustschießen, 
während die Frauen und Mädchen des markgräflichen Hof- 
staates arbeiten und singen. Ugos Pfeile verfehlen das 
Ziel, und er glaubt an eine Verwünschung seiner Waffe. 
Aldobrandino sucht den Aufgeregten zu beruhigen. Ugo 
aber gesteht ihm seine innere Unruhe und seine sehnende 
Lust nach Abenteuern und Kämpfen. Ugos Mutter Stella 
unterbricht das Gespräch der beiden Jünglinge und klagt 
ihrem Sohne ihr Leid. Mit dem unerbittlichen Hasse der 
unterlegenen Nebenbuhlerin haßt sie Parisina und fordert 
Ugo auf, sie an ihr zu rächen. Ugo erklärt sich hierzu bereit 
und erhält von seiner Mutter ein Fläschchen mit einem 
langsam wirkenden Gift, das er der jugendlichen Gemahlin 
seines Vaters beibringen soll. Da erscheint diese selbst 
und wird von Stella auf das schwerste beschimpft. Weinend 
erträgt Parisina die verletzende Unbill, verlangt aber von 
dem inzwischen von der Jagd heimgekehrten Gemahle 
Genugtuung für die ihr angetane Schmach. Ugo fährt 
wütend auf, als Markgräfin Parisina gegen seine Mutter 
Worte der glühenden Verachtung ausspricht. Sein Vater 
weist ihn zurecht, aber er will von einer Versöhnung mit 
der Feindin seiner Mutter nichts wissen und erklärt, daß 
er lieber den Hof verlassen wolle. Parisina bricht in ein 
schmerzliches Schluchzen aus ... So schließt der erste 
Aufzug. 

Vor dem heiligen Hause von Loreto finden wir Parisina 
und ihr Hoffräulein Verde wieder. Ihr Gemahl hat ihrem 
Wunsche, eine Wallfahrt dorthin zu unternehmen, ent- 
sprochen, und Ugo beauftragt, sie zu begleiten, in der Hoff- 
nung, beider Gemüter auf diese Weise einander näher zu 
bringen. Das lange Beisammensein während der Reise und 
während des Aufenthaltes in Loreto hat sie einander nur 
zu nahe gebracht und in den jugendlichen Herzen sündige 
Liebe erweckt. Diese, bis dahin mühsam zurückgehalten, 
kommt zum elementaren Ausbruch, als Ugo in dem Kampfe 
gegen Seeräuber, die das wundertätige Madonnenbild des 
heiligen Hauses rauben wollen, verwundet wird und Parisina 
die Wunde verbindet. Noch einmal widersteht Parisina 
und kniet mit Ugo zu Füßen der Statue der unbefleckten 
Jungfrau nieder und fleht sie um Erlösung von der drohenden 
Sünde. Aber die Liebe kennt keine Ehrfurcht selbst vor 
der Nähe der Mutter Gottes, und die beiden Betenden sinken 
in brünstiger Leidenschaft einander in die Arme. Ein nicht 
endenwollender Kuß besiegelt die Liebe 
Ugos und Parisinas ... 

Zwischen dem zweiten und dritten 
Aufzug, liegt ein Jahr, währenddessen 
die beiden, unentdeckt, ihre Liebe ge* 
nießen konnten. Wieder erwartet Pari- 
sina den Liebsten. Furcht vor Ent- 
deckung und eine Vorahnung von Un- 
glück quälen sie. Sie muß an jene 
Francesca denken, die ihr Ahne aus 
dem Hause der Malatesta im Zorn über 
ihre Untreue getötet hatte. Aber das 
Erscheinen Ugos verscheucht alle bösen 
Gedanken'. Vom Garten tönt der Süße 
Gesang der Nachtigall in das Gemach. 

Da tritt das Hoffraulein Verde gemes- 
senen Schrittes ein und meldet des Mark- 
grafen Nicolö Besuch an. Ugo verbirgt 
sich erschreckt hinter den Vorhängen 
des Bettes. Mit brennenden Fackeln 
beleuchten die Reisigen des Herrn von 
Ferrara das furchtbare Zusammen- 
treffen zwischen den Eheleuten. Nicolö 
zieht seinen Degen und will den hinter 
den Bettvorhängen versteckten Räuber 
seiner ehelichen Ehre treffen. Da 
schreit Parisina auf und warnt ihn da- 
vor, seinen eigenen Sohn zu töten. 

Von Haß und Wut gepackt, zieht Nicolö 
Ugo an den Haaren hervor. Aber Pari- 
sina beschwört ihn, Ugo freizulassen. 

Er trage keine Schuld. Sie habe den 
Jüngling verhext mit Zauberspruchen 
und Liebes tränken, die ihm seine Besin- 
nung geraubt hätten. Ugo 1 schwort, 
daß das nicht wahr sei. Der göttliche 
Traum der Liebe, nichts anderes, habe 


sie berauscht. Ruhig spricht Nicolö das Urteil über die bei- 
den. Auf demselben Richtblock, unter demselben Beil, sollen 
die Häupter der beiden Schuldigen fallen. Und wieder knien 
die beiden nieder wie vor einem Jahr und rufen einander 
zärtlich bei ihren Namen ... 

Im Dunkel des Löwenturmes der Burg von Ferrara harren 
Parisina und Ugo im letzten Akt der Todesstrafe. Sie 
bereuen ihre Liebe nicht und preisen verzückt die Freuden, 
die sie genossen. Da naht sich Stella, Ugos Mutter, der 
traurigen Stätte und will ihren geliebten Sohn das letztemal 
umarmen. Aber die beiden Liebenden hören nicht ihre 
Stimme, bis sie schreit und gegen die schamlose Verführerin 
eifert, die ihr nicht einmal erlauben wolle, dem Sohne den 
Todeskuß auf die Lippen zu drücken. Parisina hat Ugo 
schon lange freigelassen und mahnt ihn, seiner Mutter Wunsch 
zu erfüllen. Er aber will sich bis zum letzten Augenblicke 
nicht von der Geliebten trennen. Mit einem Schrei der 
Verzweiflung wendet sich die unglückliche Mutter ab. Pa- 
risina aber sieht ihrem Liebsten noch einmal in die schönen 
Augen, dann hüllt sie sein dem Tode geweihtes Haupt in 
ein schwarzes Tuch. Der Henker erscheint, und Parisina 
und Ugo knien vor dem Richtblock nieder. Und so er- 
warten sie, auch im Tode vereint, des Scharfrichters blitzen- 
des Beil. 

Ein kurzes, leidenschaftlich bewegtes Vorspiel leitet die 
Oper ein. Wenn sich der Vorhang hebt, bietet die Bühne 
das farbenprächtige Bild mittelalterlicher Kostüme. Das 
Auge schwelgt, aber das Ohr wird seltsam berührt von dem 
schwermütig klagenden Gesang des Hoffräuleins Verde, das 
der Liebe Schmerz und Pein schildert, ein wahrhaft passendes 
Präludium zu diesem Drama unglücklicher Liebe. Doch 
das kräftige Einsetzen des Chores, der die Freuden der 
Liebe preist, macht bald die melancholische Stimmung 
vergessen. Die Melodie dieser Chorlieder ist frisch und 
ursprünglich, die Verschlingung der Stimmen kunstvoll 
und ihr Ausklang, fugenartig aufgebaut, löst den ersten 
warmen Beifall aus. In den Szenen zwischen Ugo und 
Aldobrandino und Ugo und seiner Mutter überwiegt der 
Sprechgesang, während das Orchester in lebhaften Farben 
die Gemütsregungen der Personen auf der Bühne malt. 
Wir hören auch verschiedene Motive, eines des Hasses 
Stellas, ein anderes der Todesahnung, ein drittes der Liebe, 
die im Laufe des Abends immer wieder auftreten, wenn 
Mascagni an diese Momente erinnern will. Aber er erweitert 
diese Motive nicht wie Richard Wagner zu Melodien. Das 
Orchester Mascagnis hat im Vergleiche mit seinen früheren 
Opern an Mannigfaltigkeit und Ausdruck gewonnen. Es 
beschränkt sich nicht mehr auf das übermäßige Hervor- 
treten der Streicher, auf die „ Violinate“, wie dies die Italiener 
nennen, sondern arbeitet mit allen Mitteln der modernen 
Instrumentierungskunst, ohne daß es ihm aber gelungen 
wäre, durch die Originalität der Klangfarben zu überraschen. 
Nicht selten sind die Orchestereffekte von einem über- 
triebenen Realismus, und die Themen sind mehr zu einem 



153 



bunten Mosaik zusammengesetzt, als organisch verschmolzen. 
Das Auftreten Parisinas wird durch ein zartes Orchester- 
vorspiel angekündigt, das zum erstenmal das Motiv der 
unglücklichen Herrin Ferraras bringt. Starke dramatische 
Akzente findet Mascagni für die Szene zwischen den beiden 
Nebenbuhlerinnen, die durch die heiteren Jagdlieder wir- 
kungsvoll unterbrochen wird. Von jugendlicher Kraft 
strotzt der Trutzgesang, mit dem Ugo seinem Vater antwortet. 
Hier kommt der Mascagni der alten Manier zum Wort. 
Dann ertönt der Chor der fröhlichen Liebe hinter der Bühne 
und im Orchester schluchzt die Viola eine traurige Weise 
von sehnsüchtiger Leidenschaft. 

Der zweite Aufzug teilt sich in zwei Abteilungen. In der 
ersten herrscht in der Handlung und in der Musik das ruhig 
idyllische Hiement, dann beginnt die Schlacht zwischen 
den Seeräubern und den Mannen Ugos und leitet so zu der 
leidenschaftlichen zweiten Hälfte des Aktes über. Weiche 
Kirchengesänge eröffnen den Akt und erzeugen die Stim- 
mung friedlicher Beschaulichkeit, die sich auch in dem 
Zwiegespräch zwischen Parisina und ihrem Hoffräulein Verde 
kundgibt. Süß und innig ist der Gesang, mit dem Parisina 
ihren ganzen Schmuck und ihrer Kleider funkelnde Pracht 
der heiligen Jungfrau weiht. Dagegen hätte man eine 
lebendigere Schilderung der hinter der Szene vor sich gehen- 
den Schlacht im Orchester erwarten dürfen. Leben und 
Kraft gewinnt die Musik in der Szene zwischen den beiden 
Liebenden. Eine einfache ergreifende Melodie wiederholt 
sich immer wieder, bis das Orchester sie aufnimmt und 
mächtig ausweitet zu einem hohen Liede der unendlichen 
Liebe . . . 

Düstere, unheilschwangere Akkorde leiten den dritten 
Aufzug ein. Zum erstenmal tritt das Thema des Gespenstes 
Francescas von Ri mini auf, ein paar leidenschaftlich be- 
wegte Takte, die meistens den Metallbläsem anvertraut 
sind. Das Lied der Nachtigall, das aus dem mondbeleuch- 
teten Garten hereintönt, scheint mir etwas zu lange zu dauern 
und erzeugt so mehr Ungeduld, als die beabsichtigte Vor- 
bereitung auf die Szene holder Liebe. Das Orchester ver- 
sucht dann, als Ugo auftritt und Parisina schmachtend 
umarmt, mit allen seinen Mitteln den Zuhörer zu bewegen. 
Der Kampf der Instrumente wird immer wilder, immer 
leidenschaftlicher, bis Nicolö mit Ruhe seine Gemahlin zur 
Rede stellt. Erst das Suchen nach dem verborgenen Lieb- 
haber treibt die Musik wieder in ein rascheres Tempo. Er- 
schütternd klingt die Klage des Vaters, der den Erlöser 
anruft, der ihn solches Unheil erleben läßt. 

Der kurze letzte Akt bringt ziemlich eintönige Wechsel- 
gesänge zwischen den Liebenden, und auch die Apostrophe 
der Mutter an den Sohn ist nicht von großer Wirkung. 
Mascagni hat also ganz recht getan, diesen letzten Akt 
von der zweiten Aufführung seiner Oper an gänzlich zu unter- 
drücken und so die Dauer der Oper von fünf auf viereinviertel 
Stunden zu verkürzen. 

Das Urteil des Publikums über das jüngste Werk Mas- 
cagnis war entschieden günstig. Es gab nach jedem Akt 
lebhaften Beifall, und der Meister mußte wiederholt er- 
scheinen. Sicherlich handelt es sich um ein bedeutendes 
Werk, das uns Mascagni von einer neuen Seite zeigt, als 
den Komponisten eines Musikdramas von starker Wirkung. 
Wenn nicht alles gleichmäßig gelungen ist, muß doch an- 
erkannt werden, daß es an erlesenen Kleinodien in der 
langen, wohl zu langen Partitur nicht fehlt. Mit der Ehr- 
furcht, die man dem Genius eines großen Tonkünstlers 
schuldet, muß man anerkennen, daß Mascagni es verstanden 
hat, die gewaltige Tragödie d’Annunzios mit adäquater 
Musik auszustatten. Wenn er das Letzte, das Höchste 
noch nicht erreicht hat, wollen wir uns doch dessen freuen, 
was er geschaffen hat, und hoffen, daß ihm neue Arbeit 
den ersehnten großen Sieg bringen werde. 

Die Darstellung der „Parisina“ war in jeder Hinsicht 
musterhaft. Frau Poli-Randacdo war eine stimmgewaltige 
Vertreterin der Titelrolle und blieb ihr auch schauspielerisch 
nichts schuldig. Der junge spanische Tenor Ippolito Lazzaro 
leistete als Ugo geradezu Erstaunliches. Der Bariton Galeffi 
als Nicolö, Frau Luisa Garibaldi als Stella vervollständigten 
würdig das Ensemble. Die berühmten Chöre der Scala 
machten ihrem Rufe die größte Ehre, und das Orchester, 
das Mascagni selbst führte, war ausgezeichnet. Dazu hatte 
das Theater für eine prächtige Ausstattung gesorgt, und 
so wirkten alle diese Umstände zusammen, um dem jüngsten 
Werke Mascagnis einen vollen Erfolg zu sichern. 



Musikleben im goldnen Westen 
Nordamerikas. 

D ie südkalifornische Hauptstadt ewigen Frühlings im 
fernen Westen Nordamerikas, an der Küste des „Stillen 
Ozeans“, Los Angeles, ist eine der bedeutendsten 
Musikmetropolen der Welt. Das sogenannte „Auditorium“ 
im herrlichen „Central- Park“ ist das Zentrum für alle hervor- 
ragenden Musikaufführungen. Dieses gigantische Theater 
mit seiner enorm großen Bühne und seinen 3500 Sitzplätzen 
dient gleichzeitig als Opern- und Konzerthaus, sowie für 
sonntägliche Gottesdienste. Das formvollendete Innere mit 
seiner unübertroffenen Akustik birgt in der Decke seines 
säulenlosen Dombaues, der von rechts nach links zu den 
Proszeniumslogen seine Bogenwölbung spannt, 6000 un- 
sichtbare Orgelpfeifen. Die wie aus einer geheimnisvoll er- 
habenen Welt erklingenden Töne finden ihren Ausweg durch 
die Myriaden Oeffnungen der kunstvoll durchbrochenen Fresko- 
deckendekoration. Es rauschen die Töne hernieder, wie 
eine Musik aus himmelhohen Sphären. Von ebenso har- 
monisch vollendeter Wirkung ist das grandiose Glocken- 
spiel. 

Es wird interessant . sein, zu erfahren, daß dieses ein- 
zig in seiner Art eidstierende Gebäude von einer Million 
feuerfester Stahlpfosten getragen wird. — Hier nun in 
diesem Tempel der Kunst und Poesie ist es, wo die größten 
Künstler aus aller Welt einem bunt kosmopolitischen Publi- 
kum die denkbar höchsten musikalischen Genüsse zuteil 
werden lassen. Schon im Frühjahr sind sämtliche Pro- 
gramme für Opern und Konzerte festgestellt. Künstler und 
ganze Kompagnien sind für Tausende von Dollar seit Monaten 
vorausengagiert von dem Abmieter des Auditoriums Herrn 
L. E. Behymer, der einen Weltruf als Konzert- und Theater- 
unternehmer unter den Künstlern hat. Die Logen sind 
mit 10 Dollar für den Sitz vorausbezahlt. Tausende von 
Dollar sind bereits eingenommen. Jedoch kann nur auf 
die Philharmonischen und Symphoniekonzerte und Kammer- 
musiken abonniert werden, die sämtlich nach europäischem, 
deutschem Muster eingerichtet sind. Die Saison wird im 
Auditorium im Oktober mit dem ersten der Sonntagnach- 
mittags- Volkskonzerte eröffnet. Dirigent ist Eduardo Lebe- 
gott, ein geborener Italiener, und Konzertmeister Julius 
Bierlich, einer unserer hervorragenden deutschen Künstler. 
Zum Andenken Verdis wurde am 9. Oktober (seiner hundert- 
jährigen Geburtstagsfeier) das herrliche Requiem aufgeführt. 
Eduardo Lebegotts großes Verdienst ist es, daß er dem 
Publikum nur das Beste der alten und modernen Orchester- 
musik bietet, um wirklich den Geschmack des Volks zu 
Veredeln. Es werden fast ausschließlich europäische Künst- 
ler oder solche, die sich bereits einen Namen in den öst- 
lichen Musikstädten Nordamerikas gemacht haben, für ge- 
sangliche und instrumentale Solopartien engagiert. Aus- 
ländische Opern- und Konzertkompagnien treten meist auf 
eigene Rechnung auf und haben für den Gebrauch des Audi- 
toriums für Musikproben 50 Dollar und für die Aufführungen 
150 Dollar (etwas über 600 M.) zu bezahlen. Annonciert 
für diese Saison sind die Del Conte Opern-Konipagnie, die 
Grazzi-, französische und die Tivoli-Oper. Patrizi und 
Eugöne d’Ariguleau von San Francisco haben eine zwölf 
Wochen lang dauernde Opemsaison arrangiert. Carmen 
Mellis, die berühmte dramatische Sopranistin, Luda Crestami 
von La Salle (Mailand), Umberto Chiodo (dramatischer 
Tenor), Pietro Schiavazzi, Georges Mascal und viele andere 
hervorragende Künstler, die bereits Favoriten geworden 
sind, schließt diese Opernkompagnie in sich. Aufgeführt 
werden Leoncavallos „Zingari , „Zaza“ und „Pagliacd“. 
Der Komponist selber wird das erstemal in Amerika die 
Oper dirigieren. Er überbrachte eine Botschaft des Königs 
von Italien bd der Enthüllung des Verdi-Monumentes an 
San Frandscos Bürger und an die von Los Angeles. — Die 
Operettensaison hat auch berdts hier begonnen mit „La 
Boheme“. Folgen werden die Aufführungen „Bettelstudent“, 
„Das Glockenspiel der Normandie“, „Maritana“ und viele 
andere von Bedeutung. Die Komische Oper bringt Gilbert 
und Sullivan, Thomas, Wallace, Suppö, Planquette und 
Millöcker. (Man sieht, die Klassifizierung der Werke ist im 
„goldenen Westen“ etwas anders als in Europa. Red.) Die 
Tivoli-Kompagnie bringt auch die schönsten Kulissen mit 
sich, voll von malerischen Details und Bühneneffekten für 
die ungeheuer großen Bühnenausdehnungen. Alle Kostüme 
sind neu und von überraschender Harmonie und Farben- 
pracht. 

Geraldine Farrar hat ihre Tour an der Padficküste 
auch berdts begonnen und große Triumphe gefeiert. Mit 
Erwartung wird der Anna Pavlowa mit ihrer berühmten 
Gesellschaft der Russischen Tänzer mit dnem Balalaika- 
Orchester von 60 Stücken entgegengesehen. Für unsere 
nach deutschem Muster eingerichteten Philharmonischen 


i54 



Konzerte sind Alwin Schröder (Cellist), Artur Rosenstein 
(Pianist), Schumann-Heink, die Königin aller dramatischen 
Altstimmen mit Katharine Hofmann am Piano, Charles 
W. Clark (der berühmte amerikanische Bariton), Joseph 
Hofman (der Kiavierpoet), Fritz Kreisler (Violinist) engagiert, 
sowie das bereits durch ganz Europa und Amerika berühmt 
gewordene Trio: Jean Gerardy, Gabriel Ysaye und Andre 
Benoist. Rena Vivienne hat in der Titelrolle von „Madame 
Butterfly“ und als Nadina im „Schokoladensoldat“ gleich- 
falls durch ihre herrliche klangreiche Stimme ergötzt. Ebenso 
Sarah Edwards (Mezzosopran) und die überaus entzückende 
Myrtle Dingwall mit ihrem berückend süßen Mezzosopran. 
John R. Phillips, der Tenor der Tivoli-Kompagnie, zeichnet 
sich durch seine besondere lyrische Stimme aus und durch 
sein hervorragendes Talent der deutlichen Aussprache in 
Gesang und Dialog. Der Heros der Komischen Oper ist 
der gefeierte Robert G. Pitkin, ein geborener drolliger 
Komödiant. Er wird ebenfalls zu den musikalischen Saison- 
freuden beitragen. — Madame Sembrichs letzte Tour hat 
Guita Cassini, dem kleinen Violoncellisten, den Weg gebahnt, 
um in diesem Winter in unserem Philharmonischen Zirkel zu 
spielen. Am 22. Januar kommt Paderewski, am 3. Februar 
singen für uns die unvergleichlichen englischen Sanges- 
virtuosen Clara Butt (Altstimme), Kennerley Rumiord 
(Bariton), am io. Februar John Mc. Cormack, der irische 
Tenor. 

Am 17. Februar wird die große Koloratur - Sopranistin 
Yvonne de Treville in einem einzig in seiner Art dastehenden 
Programm die Verkörperung der Jenny Lind, Etelka Gerster, 
Marie Litta und Christine Nielsen darstellen, und zwar im 
Kostüm der Zeit gekleidet, in denen diese Sängerinnen die 
musikalische Welt begeisterten. Am 28. Apnl wird die 
Opern- und Konzertsaison geschlossen. Mischa Elman, der 
Yiolinenpoet, wird den Reigen schließen. 

Zum musikalischen Los Angeles tragen ebenso die Kirchen- 
musiken bei, die selbst in der kleinsten der 800 Kirchen früh 
und abends stattfinden. Allüberall werden auch hier deutsche 
Kompositionen bevorzugt. Die größeren Kirchen haben 
sämtlich ihre eigenen Orchester, selbstverständlich ihre 
Solisten und Chöre, ausgezeichnet geschult und dirigiert. 
Alle Hochschulen und Universitäten haben auch ihre Schüler- 
und Studentenorchester. Es wird Unterricht für jedes nur 
denkbare Instrument erteilt. — Los Angeles ist voll von 
musikalischen Wunderkindern. Prof. Thilo Becker hat das 
Vorrecht seit einer langen Reihe von Jahren, Künstler 
daraus zu machen. (Hoffentlich gelingt ihm das auch recht 
oft, dann wäre es ein schönes Vorrecht. Red.) Dieser 
talentierte Lehrer und Meister des Klaviers ist am Kon- 
servatorium zu Leipzig ausgebildet worden. Er hat sich 
in ganz Amerika einen Weltruf als Lehrer geschaffen. Die 



EDUARDO LEBEGOTT 
Dirigent des Symphouieorehesterä in Los Angeles. 


:hüler kommen aus allen Staaten zu ihm und wenn sie 
ich nur 1 e Minuten von ihm erbetteln können. Er hat 
uchsctoiitüch ioo Privatschüler und bekommt für die 


Stunde 10 Dollar. Er ist der König der Lehrer an der ganzen 
kalifornischen Küste, und die harmonische herrliche Musik- 
halle in seiner Residenz ist einer der bedeutendsten A11- 



TH1LO BECKER. 

ziehungspunkte für alle Musikfreunde. Hier erhielt Olga 
Steeb ihre musikalische Ausbildung von ihrem fünften 
Jahre an. Ihren Ruf als die jüngste Bach-Spielerin der 
Gegenwart verdankt sie einzig und allein ihrem Lehrer. 
Die Lorbeeren, die sie in Europa erntete, sollte sie Thilo 
Becker zu Füßen legen. 

Los Angeles ist so musikalisch, daß es buchstäblich iii 
allen Straßen singt und klingt. — Es ist etwas ganz All- 
tägliches, daß des Abends Dilettanten sowie Künstler vor 
ihren Häusern sitzen in der mondbeschienenen Zauber- 
nacht kalifornischen Zephirklimas und ihre Instrumente 
erklingen lassen. Da hört man die schönsten Trios, Quar- 
tette und Quintette. Oft erschallt ein Trompeterlied durch 
die Stille der Nacht. Die Neger spielen auf ihren Banjos 
und singen ihre ergreifenden Volkslieder. Italiener und 
Mexikaner bringen ihren Schätzchen Ständchen mit Man- 
dolinenbegleitung. Am Meeresstrande des Stillen Ozeans 
sitzen in Booten die Künstler und Künstlerinnen und ent- 
zücken die begeisterte Volksmenge durch ihren herrlichen 
Gesang, der weithin über das Meer erschallt. .Oft auch 
geben sie Freikonzerte vom Balkon der Strandhotels und 
am nächsten Tage pfeifen die Schuljungen die Melodien in 
allen Straßen. In allen .Schul- und Volksbibliotheken kann 
jedermann, jedes schulpflichtige Kind Noten für Orchester 
und Lieder, für alle Arten von Instrumenten ausgeliehen 
erhalten. Schulkinder bekommen Notenpapier für Ab- 
schriften und Kompositionen unentgeltlich, geradeso wie 
ihre Schulbücher. Kurzum, man kann kühn behaupten, 
daß kein Land der Welt mehr tun könnte für die musika- 
lische Ausbildung des Volks, als es Kalifornien tut. Es 
wird den Kaliforniem sehr bequem gemacht, gute Musik 
zu hören, sie brauchen beinahe nicht mehr nach Europa 
zu reisen, um eine deutsch-musikalische Ausbildung zu 
genießen; denn es wimmelt geradezu von deutschen Musik- 
lehrern, die sogar in deutscher Sprache ihren Musikunterricht 
erteilen. Auch das hiesige Konservatorium der Musik hat 
einen geborenen Deutschen zum Direktor. Eine große 
Anzahl deutscher Lehrer sind ebenfalls hier angestellt. Alle 
deutschen Künstler aber werden allzeit in der Engelsstadt 
des Landes ewigen Frühlings und unverwelklicher Blumen- 
pracht hochwillkommen sein, die Lenzesmelodien ihrer Kunst 
erschallen zu lassen. Ds. Eth, Matwlna Lampadlus. 


155 


Aus den Münchner Konzertsälen. 

D ie Vermutung, daß die Kouzertsaison 1913 weniger 
anstrengend, an Veranstaltungen weniger zahlreich 
verlaufen würde, hat sich bereits in ihren ersten Wochen 
als sehr naiv erwiesen. Das gewohnte Bild ist in nichts 
Wesentlichem verändert, nur auf die eine sympathische 
Tatsache wäre hinzuweisen, daß eine stattliche Anzahl von 
Konzertgebern sich des trockenen Einerleis der landläufigen 
Programme bewußt geworden ist und nunmehr mit dem 
Vortrag von Novitäten zu wirken versucht, freilich mit 
unterschiedlichem Erfolg, zumal da bei der komponierenden 
jüngsten Generation kein großer Reichtum an Individualitäten 
vorhanden ist. Eine eigentümliche Sache ist es um den 
Münchner „Konzertverein“, dessen Existenz nun abermals 
für ein halbes Jahr gesichert ist. Karl Flesch, der vielgefeierte 
Geiger, und Wanda Landows ka haben sich hier solistisch 
in den Abonnementskonzerten unter der Leitung Ferdinand 
Lowes betätigt, der das Münchner Publikum seinerseits mit 
Straußens „Festlichem Präludium für großes Orchester und 
Orgel“, einer immerhin nennenswerten Gelegenheitskom- 
position, bekannt machte und mit der Gegenüberstellung 
der beiden Ouvertüren zu Cornelius’ „Barbier von Bagdad“ 
eine gewisse Anregung bot. Trotz aller dieser Dinge gehört 
der Konzertverein nun einmal heute zu den Unternehmungen, 
die in München kein rechtes Interesse finden — die größte 
Schuld daran trägt die jetzige Organisierung des Orchesters 
und die Leitung der Volkssymphoniekonzerte durch eine 
ungeeignete Persönlichkeit. Nimmt man nun außerdem an, 
daß die „Musikalische Akademie“, die Abonnementskonzerte 
des Hoforchesters, die auf eine über hundertjährige Tätig- 
keit zurücksehen, schon deswegen, und also trotz Bruno 
Walters energischer Führung, auf kein allzu zügiges musika- 
lisches Leben eingestellt ist, so muß man brennen, daß 
München noch immer der eigentlich führende Geist eines 
wirklichen Konzertlebens fehlt. Glänzende Einzelleistungen, 
wie die Aufführung des Verdischen „Requiems“ (Lehrer- 
gesangverein und Musikalische Akademie) bedeuteten für 
Walter große Erfolge. Die „Konzertgesellschaft für Chor- 
gesang“ setzte sich unter der Leitung Prof. Schwickeralhs 
m verdienstvoller Weise für Handels „Saul“ ein, den man 
seit vielen Jahren nicht mehr gehört hatte. Zu den wich-, 
tigsten Einzelaufführungen gehörte die des fast vollständigen 
zweiten und dritten Aktes des „Parsifal“, der freilich nie 
und nimmer in den Konzertsaal paßt, aber von Hofkapell- 
meister Beidler auf alle Fälle trotz eines teilweise mittel- 
mäßigen Materiales großzügig gestaltet wurde. Auch die 
Solisten Felix v. Kraus, Anton van Rooy, Johannes Sembach 
(Dresden) und Berta Morena wirkten unterschiedlich. Von 
Bedeutung war die Bekanntschaft mit Prof. Hugo Rudel, 
dem bekannten Berliner und Bayreuther Chormexster, der 
als Wagner- Dirigent sich an einem großen Konzert des 
Berliner Tenors W. Kirchhoff beteiligte, eines Künstlers, 
der sich im ganzen sehr günstig entwickelt hat. Rüdel 
hinterließ einen sympathischen Eindruck, besonders dank 
seiner schlichten ungekünstelten Art zu musizieren. Ueber 
seine Tempi, die der Neubayreuther Richtung entsprechen, 
kann man freilich verschiedener Meinung sein. Als routi- 
nierter Dirigent stellte sich Weston Gates vor; der junge 
Franz v. Hoeßlin, der schon vor Jahresfrist seine Begabung 
als Orchesterleiter zeigte, hat sich inzwischen in erfreulichster 
Weise weiterentwickelt . Nur möchte man wünschen, daß 
er nicht allzu rhythmisch und zuweilen auf Kosten anderer 
Ausdrucksbereiche vorgehe. Anziehend blieb auch dieses 
Mal das von H. Laber, dem vielgenannten Nürnberger 
Kapellmeister; veranstaltete Konzert. Es brachte aus- 
schließlich Novitäten, als eindrucksreichste zwei Tänze 



leigen im „Auditorium“ in I,os Angeles. 

156 



Die Bühne, die für szenische Darstellungen, Konzerte und Kirchenveranstal- 
tungen dient. (Unser Bild zeigt den Predigerstuhl.) 


(„Danse sacree“ et „Danse profane“) für Klavier (Amäie 
Klose ) xind Streichinstrumente von CI. Debussy und eine 
symphonische Dichtung „Lucifer“ von A. A. Noelte, das 
vor mehreren Jahren entstandene Werk eines jungen Münch- 
ners, der jedenfalls über orchestrale Sachkenntnis verfügt. 
Die gleichen Vorzüge könnte man sicher bei Weismanns 
Klavierkonzert (gleiche Interpretin) oder des Schweizer 
Altmeisters Huber sechster Symphonie rühmen, wenn man 
sich von diesen Tonsetzern nicht mehr Eigenart erwünschen 
möchte. 

Die Kammermusik treibt in München neue Blüten, fast 
alljährlich bildet sich die eine oder andere neue Vereinigung 
oder lernt man gastierende kennen. Die „Münchner“, bei 
denen jetzt Johannes Hegar tätig ist, widmeten sich Klose 
und Pfitzner, welch letzterer immer häufiger zu Wort kommt. 
Die Einführung von Novitäten bleibt immer verdienstvoll, 
selbst wenn das einzelne Werk, wie beispielsweise das A dur- 
Trio für Klavier, Klarinette und Horn von Friedrich Ale- 
xander von Hessen (Neue Kammermusikvereinigung) einen 
wirklichen Erfolg nicht zu erringen vermochte. Der Abend 
des „Brüsseler Streichquartettes“, die neue Vereinigung 
Berbers-Zilchers-Hegars wäre noch insonderheit zu bemerken. 
Ein Duo in B dur von Boieldieu, ein Präludium mit Fuge 
und Variationen von Cesar Franck, beide für zwei Klaviere, 
bedeuteten Apartheiten für den Konzertsaal. Joseph Pem- 
baur (Klavier) führte eine Sonate von Emil Schennich 
(Barmen) ein, Risler spielte die geniale Lisztsche Klavier- 
übertragung der „Phantastischen Symphonie“ von Berlioz. 
Neben Pianisten wie Backhaus, Lamond, Gabrilowitsch 
Schnabel, Hinze Reinhold, macht neuerdings Gottfried 
Galston von sich reden. Unter den Geigern brillierte Joan 
Manfn, im feineren kammermusikalischen Spiel zeichneten 
sich die Geschwister Michaelis aus. Der Cellomeister Casals 
zeigte sein ganzes Können, Emmeran Stoeber machte unter 
anderem eine Symphonie für Cello und Orchester von 
G. Rüdinger bekannt. Unter den Sängerinnen — die land- 
läufigsten Namen gelten als vorausgesetzt — sei Elena 
Gerhardt, Marie Lydia Günther unvergessen. Es ist klup von 
Wiillner, jetzt nur mehr noch als R |zitator (dieses Ma^ mH 
Melodramen von Cuypers und Botho Sigwart) aufzutreten — 

Liederabende stehen gegenüber der Hochflut der In- 
strumentalkonzerte auffallend zuruck. Wäre es auch sicher 
berechtigt, hier noch des Namens des einen od« äderen 
tüchtigen Debütanten zu gedenken, so ist die Tatsache 
nun einmal unbestreitbar, daß sich auf aii„„ atsac . fte 

Y°“ k - '«r to *S£,°Ä*,£ 

duktil Kraft* regten Das galt auch von den AufffZen 
der beiden großen Chorvereine („ Lehrergesang verei“ und 
„Konzertgesellschaft“), die unter , ,, 

die f moll-Messe und das Tedeum von Bruckner und^Fausts 
Verdammung“ von Berhoz aufführten ^ . 

ö^toriuiM ei a^ U flu- < Programm des 

Mal weniger glücklich af>, als nuufes sonsf^beTüf* 1 * 
ist. Dagegen fand sich Bruno Walter üfcJte* ^wohnt 
konzerten mit Mahlers dritter Svmnhon?e s ^ nen Orchester- 
eigensten Gebiet und die feine minuHö^ 6 i^ nz - auf s ? lne . I P 
lierenden Ausarbeitungen zetatett Ch^nVf 0 “?-!^ 1 ' 
ersichtlichsten vielleicht W g L 

sohnscher Ouvertüren. Im weiteren Mendels- 

bereitete auch t u» wei teren Verlauf der Saison 

Bruckner-Interpret seinen V^°“ r zert Yf r ® in “ als vorbildlicher 

dnen großÄir^^Ä^!^ 



Regers neue „Ballett- 


suite op. 130“ hat etwas enttäuscht, da sie nicht hält, was 
ihr Titel verspricht und in ihren sechs mit Ueberschriften 
versehenen Sätzen wenig Charakterisierendes gibt. Wie in 
so manchen Partituren aus neuester Zeit hat Reger auch 
in dieser speziell einzelne instrumentale Details betont, die 
man nennen möchte, um auf die Vorzüge der Novität hinzu- 
weisen. — Auf der Suche nach wirklichen musikalischen 
Anregungen begriffen, gedachte der „Neue Orchesterverein“ 
unter Leitung Prof. Zilchers einer lange vergessen gewesenen 
Komposition von Berlioz „Ophelias Tod“ (aus „Tristia“, 
op. 18) und einer Reihe von Frauenchören Robert Schu- 
manns (aus op. 69, 91, 114), die der geistesverwandte Hans 
Pfitzner mit Instrumentalbegleitungen versehen hat, und die 
in diesem Gewände sehr apart wirkten. Um die Ausführung 
machte sich der mitwirkende „Schober-Chor“ verdient. 
Zilchers „Skizzen aus dem Orient für Violine und Orchester“ 
seien als charakteristische Stücke genannt. Ernst Boehe, 
der zurzeit im hohen Norden als Dirigent tätig ist, stellte 
sich in dieser Eigenschaft abermals in seiner Heimatstadt 
mit einem Beethoven- Abend vor, bei dem er im allgemeinen 
wohl die Tradition der Auffassung wahrte, im einzelnen 
jedoch durch besonders breite Temponahmen auffiel. Als 
Gastdirigent wäre noch Johannes Reichert zu nennen, der 
unter Mitwirkung Heinrich Knote s und Berta Morenas auch 
für Kompositionen von Wilhelm Mauke eintrat. Im 
Kammermusiksaal gehörte zu den willkommensten Gästen 
das „Stuttgarter Wendling- Quartett“, das neben Haydn 
und Brahms Regers prächtiges Es dur- Quartett op. 109 
spielte, während die „Böhmen“ Francks D dur- Quartett 
berücksichtigten. Unter den Instrumentalsolistinnen sei die 
Geigerin Eva Bernstein als ein starkes, aufstrebendes Talent 
genannt. Willi Gloeckner. 


i 


Uraufführungen auf deutschen Bühnen. 

Gabrielle Ferrari: „Der Cobzar.“ 

(Am Hoftheater zu Kassel.) 

N ach den Erfolgen des „Cobzars“ an der Großen Oper in 
Paris, in Monaco und Aix-les-Bains hat der Intendant der 
Kasseler Hofbühne, Graf Bylandt-Rheydt, die Oper unter 
der Bedingung zur deutschen Uraufführung angenommen, 
selbst den Uebersetzer des französischen Textes bestimmen 
zu dürfen. 

Und Otto Neitzel hat die Worte des zweiaktigen Musik- 
dramas von H. Vacaresco und P. Milliet vorzüglich ins Deutsche 
übertragen. Der Stoff, dem es anfangs oder besser im ersten 
Akt an dramatischer Handlung fehlt, ist dem rumänischen 
Volksleben entnommen und zeigt in bunter Abwechslung 
Bilder heiteren Friedens während der reichen Erntearbeit, 
brutale Gewaltszenen und das schaurige Gefängnis der 
Salzfelsen, wo beim trostlosen Fackelschein unter den Hieben 
roher Henkersknechte die geketteten, rumänischen Sträf- 
linge ihr furchtbares Los erfüllen. Die eigenartige Handlung 
stellt den rumänischen Minnesänger Stan in den Mittel- 
>unkt, der nach seinem mandolinenartigen, zehnsaitigen 
Instrument Cobza als Cobzar weit und breit bekannt ist. 
Stan war der Liebling der Bevölkerung, bis er vor einem 
Jahre der zauberischen Macht einer Zigeunerin folgte und 
seine Liebe zu Jana vergaß, die sich in ihrer Herzensnot 
dem ung eliebten reichen Gutsbesitzer Pradea vermählt. 
Doch bleibt die Liebe zum Cobzar stärker, so daß das junge 
Weib in verzehrender Sehnsucht den treulosen Geliebten 
zurückerwartet. Zürn Erntefest kehrt Stan zurück und im 
Schutze der Nacht wollen sie fliehen, doch die rachsüchtige 
Zigeunerin vereitelt den erlauschten Plan, indem sie alles 
dem eifersüchtigen und grausamen Gatten Janas verrat- 
in höchster Verzweiflung ermordet der Cobzar seine Ver- 
folgerin. In der folgenden Visionepisode „Die Sahnen 
die Stan infolge der seelischen Erregung vor sich sieht, und 
die er als Folge seiner Tat vorausahnt, spricht er die Worte. 

„Unter der Erde steht für den, der stiehlt oder tötet, 
Ein Palast, weiß wie die Hostie, 

Weiß wie der Störche weißes Gefieder 
Und weiß, wie frischen Schnees Silber. 

Dort gibt es Wesen, welche schaffen und weinen, 

Dort ist’s, wo mein Tag enden wird.“ 

Das enteilende Paar wird von Pradea aufgehalten und Jana 
ersticht ihren eigenen Gatten, als dieser den Stan erwürgen 
will, um selbst im Salzgefangms ihr TVeugelubdej .Wo du 
lebst, leb’ auch ich!“ wahrzumachen. Die Sprache ist in den 
lyrischen Stellen von großer Schönheit. . 

ly ”m ersten Akt leide? die Tonsprache «nt« einer gewissen 
Eintönigkeit infolge d« rumänischen Vo^w^en die 
übrigens von d« Komponistin vortreffheh abgelau«:ht 
sind^ Leider vermag sich unser Ohr mit den häufigen Wieder- 



holungen in Melodie und Rhythmus nicht zu befreunden 
und das beweist allerdings eine mangelnde Erfindungsgabe 
der Komponistin, d«en charakteristische Eigenart dafür 
um so menr in der dramatischen Verarbeitung zu finden ist. 
Diese ist motivisch, ohne ab« besonders aufdringlich zu 
wirken. Nur einmal wiederholt sich durch 18 Takte das- 
selbe unheimlich-starre Motiv, das in der Visionepisode 
„Die Salinen“, die Wehrufe in den Chören der schlürfenden, 

f eketteten Sträflinge mit dumpfen Trauerklängen begleitet. 

[ier wie in dem von Todesfurcht und Ahnung gesungen«i 
Liede Stans geht Gabrielle Ferrari eigene Wege. Ja, die 
wenig gesanglichen Melodien d« Hauptpartien muten oft 
an, als ob sie kaum organisch mit dem Orchester oder den 
durchweg schwierigen Chören v«bunden wären, so grell 
sind sie oft über dem Ganzen bem«kbar. Und das sind 
wahrlich für die Sänger keine dankbaren Aufgaben. Die 
orchestrale Bear bei tung bietet im ersten Akt auch schöne, 
lyrische Stimmungsmalereien, besonders ist das Zwischen- 
spiel „Die Nacht“ von wunder weicher, traumhafter Lyrik 
durchtränkt. Prof. Beier hat die Schönheiten der Partitur 
zur vollen Geltung gebracht und dazu schuf Felix Ehrl 
lebenswahre Bilder. Die Titelrolle sang der Heldentenor 
Richter so gut, wie man’s von ihm verlangen kann. Frl. 
Merkel ist zwar kein dramatischer Sopran, und so konnte 
sie bloß darstellerisch, als Soubrette ab« gesanglich nur 
unvollkommen genügen. D« Beifall setzte erst kräftiger 
nach dem Zwischenspiel ein und steig«te sich am Schluß 
zu freundlich-herzlichen Beifallskundgebungen. Jedenfalls 
ist Gabrielle Ferrari die erste Komponistin, die als Musik- 
dramatikerin der Beachtung verdient. Georg Otto Kahse. 

* * 

* 

Heinrich Zöllner: „Der Schützenkönig.“ 

(Am Stadttheater zu Elberfeld-Barmen.) 

Der dreiaktigen Handlung von Zöllners Spieloper „Der 
Schützenkönig“, die sich im 18. Jahrhund«t abspielt, liegt 
die Liebesgeschichte eines Junkers Reinald und der Gräfin 




Dai „Auditorium“ in 1,03 Angeles, Gesamtansicht. 

Marie v. Hohenstein zugrunde. Ohne vorher persönlich 
miteinander bekannt geworden zu sein, sind sie durch ein 
Uebereinkommen der Väter verlobt worden. Das erste 
Zusammentreffen ereignet sich auf dem St. Georgsfest. 
Um unerkannt zu bleiben, mischen sich Marie und ihre 
Freundin Margret bäuerlich verkleidet und bei gegenseitig 
getauschtem Namen unter die festliche Dorfjugend. Auf 
dem Festplatz im Dorfe haben sich auch Junker Reinald 
und Bruno eingestellt. Reinald wirft mit dem Speer den 
Drachen von hoher Stange herunter und wird dadurch 
Schützenkönig, der nach altem Brauch sich die schönste 
Braut auswählen darf, die er, falls sie ihm noch gefällt, nach 
Jahresfrist als Frau heimführen kann. Durch unglückliches 
Würfelspiel geht die Schützenbraut, zu der Reinald bald 
tiefere Neigung gefaßt hat, an Bruno verloren. Wie beim 
Spiel verabredet, begeben sich die Junker in getauschter 
Gestalt zur Brautwerbung zum Grafen v. Hohenstein in 
den Klostergarten. Bruno, in der Maske des Reinald, ge- 
winnt Marie ab Braut; Reinald, dem die junge Gräfin eigent- 
lich zugedacht ist, muß auf Geheiß der Vorsteherin des 
Klosterpensionates, worin Marie und Margret erzogen werden, 
sich entfernen; dem bekümmerten Herzen macht er durch 
sehnsüchtige Liebeslieder, die er außerhalb der Kloster- 
mauern anstimmt, Luft. In höchster Verzweiflung wird 
Reinald durch Margret Hilfe zuteil. Vergeblich forderte 
Reinald Bruno auf, die ihm angelobte Braut freiwillig wieder 
herauszugeben. Schon steht die Hochzeitsfeier bevor. Da 
wird Junker Bruno durch Anstiften Margrets verhaftet 
wegen Schuldenmachens und anderer leichtsinniger Streiche. 
Die sich seit der ersten Begegnung auf dem St. Georgsfest 
aufrichtig geliebt haben — Marie und Reinald — werden 
ein glückliches Paar. 

Anspruch auf besondere Originalität kann das an und für 
sich nicht ungeschickt verfaßte Textbuch schwerlich erheben. 
Die vorkommenden Vertauschungen, Verwechselungen, lu- 
stigen Scherze und Späße sind in mehr oder weniger ver- 
änderter Gestalt auch anderswo benutzt worden. Wenn 
dennoch das neue Werk einen von Akt zu Akt sich bedeu- 
tungsvoll steigernden Erfolg hatte, so gebührt diese An- 
erkennung dem talentvollen Musiker Heinrich Zöllner. Sein 
musikalisches Vorbild ist die Spieloper Albert Lortzings; 
die Melodik ist wegen ihrer Volkstümlichkeit für den Sänger 
und Hörer leicht faßlich, eingänglich und gefällig. Hand 
in Hand hiermit geht eine ungekünstelte Harmonik und 
ein frischer, lebendiger Rhythmus. Die Instrumentation 
bevorzugt Streicher und Holzbläser und läuft nirgends 
Gefahr, die Singstimme zu erdrücken. Am höchsten zu 
bewerten sind die sogenannten „geschlossenen Nummern“: 
die Festgesänge für St. Georg und das Hochzeitspaar, die 
Liebeslieder, die Einsegnung des Brautpaares, die Tänze 
(Menuett). Dank einer sorgfältigen Vorbereitung und flotten 
Darbietung unter Kapellmeister Dr. Knapperisbusch gab es 
viel Hervorrufe für den Tondichter, Dirigenten, Spielleiter 
(Böttcher) und die Darsteller (W. Zilken, K. Jaenicke, 
G. Franees u. a.). H. Oehlerking. 

* * 

* 

Wolf- Ferrari : „Der Liebhaber als Arzt.“ 
Brandts Buys: „Glockenspiel.“ 

(Am Dresdner Hoftheater.) 

Im Opernhause bevorzugt man in diesem Jahre die 
Spieloper. Es kamen erstmalig zu Worte Wolf -Ferrari 
mit seinem „Liebhaber als Arzt“ und ein Holländer, 
Brandts Buys, mit Glockenspiel“. Das letzte Werk, das 

158 


uns in einer sehr hübschen Aufmachung vorgeführt wurde, 
hat keinen großen musikalischen Wert. Wir schauen das 
Innere eines Glockenturms in einer Abtei zur Zeit des 
30jährigen Krieges. Die Soldateska will einer eben an- 

f etrauten Bäuerin (Frl. Seebe) den Gatten entführen, das 
'ärchen flüchtet in den Glockenturm und die junge Frau 
zieht in höchster Not den Glockenstrang, der das Glocken- 
spiel erklingen läßt. Die Priester sind entsetzt, denn sie 
wissen, daß nur ein Weib in Angst und Not die Glocken 
spielen lassen kann. Aber Gott Amor, der schon als Pro- 
logus auftritt, der während der Oper als unsichtbarer Schalk 
in den Fensternischen lauert und am Schluß wieder als 
Epilogus erscheint, rettet die Situation. Die Aufführung 
unter Kutzschbachs Leitung tat sehr viel für das Werk, so 
daß der Komponist sich am Schlüsse dem Publikum zeigen 
konnte. 

Einen bei weitem größeren Erfolg hatte Wolf-Ferrari 
mit seinem „Liebhaber als Arzt“. Der Komponist hat sich 
von dem Italiener Golisciani und dem Wiener Schriftsteller 
Batka, getreu nach Moli eres „L'amour medicin“, ein Text- 
buch anfertigen lassen. Molteresche Uebertragungen sind 
gefährlich. Seit den Tagen, da man im Königl. Schau- 
spielhause „George. Daudin“ auszischte und seit Straußens 
„Ariadne auf Naxos“, gespielt nach Molieres „Bourgeois- 
gentilhomme“, wissen wir das aus Erfahrung. Entweder 
man muß die Linie verlassen, die der große Franzose uns 
vorschreibt und eine Nebenhandlung einführen — dann 
begeht man ein Verbrechen an der Tradition — oder man 
nimmt nur das Vorhandene — und dann reicht die Hand- 
lung unseren modernen Ansprüchen gemäß nur für einen 
Akt aus. „Der Liebhaber als Arzt“ könnte ohne Mühe in 
einen Akt zusammengezogen werden. Die Musik Wolf- 
Ferraris ist sehr sorgfältig gearbeitet, der Schwerpunkt 
ruht im Orchester, während die Melodien der Singstimmen 
sich oft nicht klar genug herausheben. Wolf-Ferran arbeitet 
viel mit symphonischen Orchestermitteln. Zeitweilig wird 
man auch an den „Schmück der Madonna“ erinnert, aber 
kein Motiv hat die Schlagkraft der Hauptmelodie dieser 
Oper. Im zweiten Akte, wo die Handlung geschlossener ist, 
spielt auch naturgemäß die Musik ihre besten Trümpfe aus, 
z. B. das gut gesteigerte wirksame Quartett und das Doktoren- 
ensemble. Im ersten Akt sind das Schlummerlied und die 
Erzählung der Zofe von gewinnendem Reize. Der Musiker 
hat noch an mancher anderen Stelle seine Freude, besonders 
an den vielen Feinheiten im Orchester — aber das große 
Publikum ? Es hielt sich in Dresden an die glänzende Dar- 
stellung unter Schuchs Leitung. Allen voran ist Frau Nast 
als Zofe zu nennen, sie sang und spielte entzückend. Aus- 

§ ezeichnet waren ferner Ermold als polternder Vater und 
00t als Liebhaber. Frl. Merrem spielte als Lucinde sehr 
hübsch, aber ihre Stimme reicht zurzeit für diese im Vorder- 
grund des Interesses stehende Partie nicht aus. Gegenüber 
den „Neugierigen Frauen“ bedeutet „Der Liebhaber als 
Arzt“ einen erheblichen Fortschritt, und Wolf-Ferrari ist 
jedenfalls als einer der aussichtsreichsten Komponisten auf 
dem Gebiete der Spieloper anzusehen. M. PI. 


Der Generalmusikdirektor an den 
Oberbürgermeister. 

R ichard Strauß ist wieder mal mit starker Hand und 
? “g enen - rücksichtslosen, fast naiven 
, Wahrhaftigkeit „dazwischengefahren“. Ein Brief an 
den Oberbürgermeister einer großen Stadt“ (den das amt- 
^ Deutschen Bühnenvereins veröffentlicht! 
gibt Kunde davon Strauß wendet sich an das Stadt- 
Oberhaupt um Abhilfe der bestehenden unwürdigen Onern- 

D^utiichkeh ■ ^ hel ^ darin m it nicht mißzuverstehender 

„Ich habe bei Ihnen seinerzeit ein Orchester vorgefunden 
das derart schlecht war, wie ich in meinem ganztn I^ben 
- rch habe die Orchester fast der ganzen zivilisierten 
Welt dirigiert — nur einmal eins in Lemberg in Galizien 
vop unfen habe In vielen kleineren Städten, w£ z B 
Elberfdd, Krefeld, Hagen 1. W„ Quedlinburg usw habe 
ich Orchester von weit besserer Qualität u£d Schulune 

ÄKe^Smit^ 61 gf0ßen Das PersonÄ 

der Buhne, das mitsang, war zum großen Teil mittelmäßig 

zum Teil ganz ungenügend, der Chor in einer VerfaTsunl' 
hW T£ l lr 1 ' 11 » k “». d*B Werke, Tmn- 
ESSgebrSrS» kSte“” e ‘ ni 8 eTma ® en genügend 
Dem Leiter des Theaters, den ich als einen knnHiapn 
Theatermann und einen Direktor von besteh Intentionen 

Schuld r .8? ben - * ga^krSgS die 

schuld liegt nach meiner Ansicht nur an dem System. Soviel 



ich weiß, ist das Stadttheater an den Direktor verpachtet 
und der Direktor hat außer einer ziemlich großen Pacht- 
summe auch noch das ganze Personal, inklusive Orchester 
und Chor, zu unterhalten. Das ist ein Zustand, der immög- 
lich ist! 

Ein Operninstitut, das einigermaßen bescheidenen künst- 
lerischen Ansprüchen genügen soll, kann niemals ein Rein- 
erträgnis abwerfen. Etwa angeführte Beispiele, wo Stadt- 
theater mit Opembetrieb sogenannte Goldgruben für den 
Direktor waren, sind deswegen hinfällig, weil das künst- 
lerische Niveau eines solchen Theaters derart tief war, daß 
man ein solches Theater nur als Schmiere bezeichnen kann. 

Nach meiner Ansicht ist Ihr Stadttheater viel zu teuer 
erbaut. Hätte man für den Bau und Fundus des Theaters 
2 ooo ooo M. ausgegeben, und den Rest dessen, was es ge- 
kostet hat, als Subsidienfonds gegeben, so könnte ein Direktor 
bestehen und einigermaßen Gutes bieten. 

Nachdem aber das Unglück geschehen ist, und dieses 
viel zu teuere Theater hingestellt ist, ist 1 es unmöglich, es 
in einem derart unwürdigen künstlerischen Zustande zu 
belassen, wie der ist, in dem es sich jetzt befindet. Ihre 
Stadt wird niemals ein Stadttheater unterhalten, das der 
Größe und Bedeutung der Stadt einigermaßen würdig ist, 
wenn sich die Stadtvertretung nicht entschließt, ein stän- 
diges Orchester von soundsoviel Mann, 14 erste, 14 zweite 
Violinen, 10 Bratschen, 8 Celli, 7 Bässe, 4 Flöten, 4 Hoboen, 
4 Klarinetten, 4 Fagotte, 8 Hörner, 4 Trompeten, 4 Po- 
saunen, Tuba, 2 Harfen, Pauken und Schlagzeug, in städtische 
Verwaltung zu nehmen und mit einer Summe von mindestens 
200 ooo M. nebst Pensionsfonds jährlich zu subventionieren.“ 
(Dazu dann noch eine städtische Subvention von 300 ooo M. 
bar.)“ 

Strauß spricht dann noch von den Unterstützungen, die 
täglich ausverkaufte Opembühnen, wie das Berliner Opern- 
haus und die Wiener Hofoper, erhalten (bis zu je einer 
Million, Düsseldorf 500 ooo M.) und kommt zu dem sehr 
richtigen Schluß, daß ein Theaterunternehmen, das nicht 
bloß seine Unkosten aus Eigenem decken, sondern auch 
noch verdienen soll, heutigestags von künstlerischem Stand- 
punkt aus unmöglich ist. Auch der Hinweis auf den teuren 
Millionenprotzenbau, in dem dann die schlechten Vor- 
stellungen stattfinden, ist leider zu berechtigt und ein übles 
Zeichen von Unkultur. Zu weit geht Strauß dagegen noch 
in der Forderung eines ständigen Orchesters von etwa 
85 Musikern. Das haben heute nur ganz wenig Hoftheater 
(Stuttgart erst im letzten Jahr). Das ist auch nicht un- 
bedingt nötig. Tüchtige Hilfskräfte würden in den aller- 
meisten Fällen zur Ergänzung eines künstlerisch entsprechen- 
den Stammes genügen. 

Unsere Leser werden sich daran erinnern, daß die 
„N. M.-Z.“ seit einiger Zeit energisch gegen die unwürdigen 
Zustände im Stadttheater zu Nürnberg aufgetreten ist, die 
den von Strauß beschriebenen verzweifelt ähnlich sehen. 
Sollte er diese „große Stadt" meinen, so wäre das eine Be- 
stätigung unserer Auffassung, zugleich aber eine doppelte 
Mahnung an Nürnbergs Staatväter! Nicht aber die allein 
ginge es an. Straußens Brief hat weitere Bedeutung, eine 
zeitgemäße Mahnung kommt darin zum Ausdruck. Möge 
sie gehört, recht verstanden und befolgt werden überall da, 
wo ähnliche Mißstände noch bestehen. Bezeichnend ist es 
auch, daß Nürnberg eine Subvention für den Parsifal rund- 
weg abgelehnt hat. Der neue Direktor Pennarini wird Wag- 
ners Weihefestspiel aus eigener Tasche bestreiten (er singt 
auch die Titelrolle selber). — Aus alledem geht hervor, daß 
Meister Sachs nicht gerade mit Stolz in Dingen der Kunst 
auf seine Nachkommen herabblicken könnte. 



Halle a. S. G. F. Händels weltliches Oratorium „ Semele “, 
ein in Deutschland für die Praxis seit Jahrzehnten so gut 
wie nicht vorhandenes, nun aber endlich bearbeitetes Werk, 
hat bei seiner hiesigen Erstaufführung durch die Robert- 
Franz-Singakademie bedeutenden künstlerischen Erfolg ge- 
habt. Alfred Rahlwes hat der Tonschöpfung unter kluger 
Benutzung der Ergebnisse der neuen Forschung (Chrysander) 
und mit feinem Gefühl für die Stileigentümlichkelten der 
Händelschen Musik eine gebrauchsfertige Form gegeben. 
Nach dramatischen Gesichtspunkten war vieles zu kürzen, 
Unzulänglichkeiten der englischen Uebersetzung wurden be- 
seitigt, das Originalkolorit des Orchesters wurde nach Mög- 
lichkeit hergestellt (was sich vor allem in der chorischen Be- 
setzung der Holzbläser und in der steten Verwendung des 
Cembalo kund tut). Der hohe Wert der „Semele“-Musik, 
in der sich Händels musikdramatisches Empfinden in be- 
wundernswerter Kraft und Reinheit ausspricht, in der der 


Meister an musikalischer Charakteristik Großartiges leistet, 
rechtfertigt durchaus die mühevolle Restaurierung des Werkes. 
Für das Werk wird zweifelsohne eine neue Zeit anbrechen. 
— Die Aufführung war hervorragend. Das Soloquartett be- 
stand aus Elisabeth Ohlhof f (Sopran), Alice Aschaffenburg 
(Alt), Richard Fischer (Tenor) und Felix Lederer- Prina (Baß). 
Das Stadttheaterorchester wirkte mit, und den wichtigen 
Cembalopart spielte Prof. Dr. Herrn. Abert. Paul Klariert. 

Linz a. D. Die Hälfte der Orchesterkonzerte (wir haben 
nur vier bis fünf jährlich) sind vorüber. Drei Neu- 
heiten brachte das eine Programm. Zuerst Saint-Saens’ 
instrumentales Glanzstück „Die Jugend des Herkules“. 
Dann folgte — nach der Wiener Erstaufführung die zweite 
überhaupt — Bruckners „Andante“ aus der nachgelassenen 
Jugendsymphonie in fmoll. Ueber das Entstehungsjahr 
herrschen verschiedene Meinungen. Kitzler schreibt in 
seinen „Musikalischen Erinnerungen“: „Kurz vorher (vor 
der ersten , Tannhäuser ‘-Aufführung in Linz am 13. Februar 
1863), daher noch nicht unter dem Eindrücke dieses 
Werkes, hat Bruckner seine erste Symphonie in f moll ge- 
schrieben.“ Diese Worte Kitzlers lassen über die Ent- 
stehungszeit keinen Zweifel offen. Ebenso gibt Hynais, 
der im Frühjahr 1896 von Bruckner das Manuskript zum 
Andenken erhielt, in einer Einführung, 1862 als das Ent- 
stehungsjahr an. Göllerich nun behauptet: Die Original- 
handschrift liegt im Stiftsarchiv in Kremsmünster und trägt 
am Ende das Datum: Linz, 10. April 1863, 10 Uhr morgens. 
Göllerich behauptet auch (Bruckner soll die Angaben selbst 
gemacht haben), daß die Instrumentation erst am Fasching- 
sonntag, den 15. Februar 1863, angefangen und die ganze 
Tondichtung am 26. Mai desselben Jahres geschlossen wurde. 
Die Aufklärung des Entstehungsiahres ist deshalb inter- 
essant, weil es sich darum handelt, ob Bruckner, dem be- 
kanntlich Beeinflussung durch Wagner vorgeworfen wurde 
(vorgeworfen ist wohl nicht der rechte Ausdruck. Red.), 
schon bei der Niederschrift seiner allerersten Symphome 
eine Wagner-Partitur gekannt hat. . . . Das Andante enthält 
keusche, innige Melodik. Neben Einflüssen von Mozart, 
Spohr und Beethoven zeigen sich auch typisch Brucknersche 
Wendungen. Am wenigsten gelungen erscheint die Durch- 
führung. Als nächste Nummer hörten wir Zöllners jüngstes 
Opus, die Symphonie No. 3 in d moll (fünf Tage nach der 
Uraufführung in Köln, die erste in Oesterreich). Das Werk 
trägt den Untertitel „Im Hochgebirge“ und schildert wohl 
Selbstempfundenes anläßlich einer Bergwanderung in der 
Graubündner Alpenwelt. Zöllners jüngste Symphonie zählt 
unbedingt zu den bedeutendsten Werken der Neuzeit auf 
diesem Gebiete. Die Aufnahme des von Göllerich geleiteten 
Werkes war ungemein herzlich. Franz Gräflinger. 

Meiningen. Im Weihnachtskonzert der Herzogi. Hof- 
kapelle unter Reger hat die Uraufführung eines Werkes 
von Hermann Unger in Köln stattgefunden, einem Reger- 
Jünger: Der Gott und die Bajadere (Dichtung von Goethe) 
für Sprechstimme und großes Orchester. Der Komponist 
kombiniert die Instramentengruppen zu ganz neuartigen 
Klängen und erhebt sich zu dramatisch-effektvollen Mo- 
menten (Tanz, Gesang der Priester, Auflodern der Flammen). 
Wohltuend berührt auch die längere melodische Linien- 
führung. Meister Reger nahm sich, ebenso auch als Re- 
zitator Hofschauspieler Franz Nachbaur des Werkes warm 
an und sicherte ihm durch die treffliche Aufführung beim 
Publikum eine gute Aufnahme. L. 

Weimar. Noch nie hat Weimar eine solche Konzertflut 
erlebt, wie in diesem Jahre; es wäre aber verfehlt, daraus 
den Schluß zu ziehen, daß viel Bedeutendes geboten wurde. 
Das Mittelmäßige überwog auch hier. Sehr Gutes — und 
nur davon soll in diesem Bericht die Rede sein — brachten 
die von der Buchhandlung Huschke Nachfolger (Buchmann) 
eingerichteten Elitekonzerte. Der Gesang hatte in Lula 
Mysz-Gmeiner und Paul Schmedes (beide Künstler vom 
Unterzeichneten begleitet), das Klavier in Ansorge einen 
ausgezeichneten Vertreter, der einer kleinen begeisterungs- 
fähigen Gemeinde eine ernste Feierstunde schenkte, und 
von den Geigern war es Burmester, der alljährlich kommt, 
und die talentvolle Edith v. Voigtländer, die durch ihre hohe 
Kunst erfreuten. In den von Peter Raabe geleiteten und 
sehr gut abonnierten Theaterkonzerten hörten wir vor 
allem die ersten fünf Symphonien von Beethoven (Beethoven- 
Zyklus). Die Ausführung der ersten drei litt bedauerlicher- 
weise unter Ueberhastung der Tempi, während die vierte 
und fünfte in jeder Beziehung genußreich zu Gehör kamen. 
Das zweite dieser Konzerte brachte Liszts Dante-Symphonie, 
seine symphonische Dichtung Mazeppa in großzügiger 
Wiedergabe und, als Novität ebenfalls eine symphonische 
Dichtung „Brandt“ nach dem dramatischen Gedient Ibsens 
von Pottgießer, die indessen vom Publikum abgelehnt wurde. 
In sonstigen Konzerten (also nicht Elitekonzerten) lernten 
wir noch den Pianisten Paul Schramm kennen, einen durchaus 
ernst zu nehmenden Musiker von guten kla vieristischen 
Qualitäten, die jugendliche Karin Days, die zu Hoffnungen 
berechtigt, und den an seinem diesjährigen Abend aus- 


*59 



gezeichnet disponierten Lambrino, der seine Zuhörer ent- 
zückte. — Das Hoftheater hat bis heute nichts Neues' von 
Bedeutung herausgebracht, in Vorbereitung stehen Pfitzners 
„Rose vom Liebesgarten“ und Richard Wagners „Parsifal“. 
Es ist der Intendantur bis heute noch nicht gelungen, 
das Sängerpersonal so zu komplettieren, daß die leider 
ausgeschiedenen Damen Ucko, Seuna v. Scheidt und Gertrud 
Runge vollgültig ersetzt sind. Anerkannt muß indessen 
werden, daß die aufgeführten älteren Opern des Spielplanes 
in einem würdigen Rahmen und sorgsamer Vorbereitung 
gegeben wurden. In dem letzten schon erwähnten Abonne- 
mentskonzert gab es dann noch eine erfreuliche Ueber- 
raschung. Frl. Frida Cratner, die auf der Großherzogi. 
Musikschule in Weimar ihre Studien begonnen und in Leipzig 
fortgesetzt, spielte das Violinkonzert von Beethoven mit 
einer für ihr jugendliches Alter geradezu " erstaunlichen 
musikalischen Reife. Sie wurde mit allerwärmstem, wohl- 
verdientem Beifall bedacht. Gustav Lewin. 


Neuaufffihrungen und Notizen. 

— Ueber „Parsifal“-Aufführungen laufen von allen Seiten 
die Nachrichten ein. Darüber lückenlos zu berichten, kann 
nicht unsere Aufgabe sein; wir müssen uns auf die bedeut- 
samen beschränken. Das Problem der Frage scheint uns 
in der szenischen und dekorativen Gestaltung zu liegen. 
Leider geht aber eine Stadt, auf die es in erster Linie an- 
käme, hierin nicht voran: In München besorgen nicht Münch- 
ner Künstler, sondern die bekannte Wiener Firma Kautsky 
die Ausstattung. Daß dabei nur Schablone und Nach- 
ahmung, keine notwendige originale Neugestaltung heraus- 
kommen kann, liegt auf der Hand. Und das ist in München 1 
Natürlich ist darüber ein heftiger Zeitungskampf entbrannt. 
Aber die „Firma“ macht die Sache doch! — Aus Mainz 
wird gemeldet, daß Kapellmeister Albert Gorter, zusammen 
mit dem Mainzer Instrumentenmacher Enders, das Problem 
des Glockengeläutes sehr gut gelöst habe. Verschiedene 
Theater, darunter die Hof Opern in Wien und Berlin, haben 
das von Gorter-Enders konstruierte Geläute in Auftrag 
gegeben. Worin es besteht, wird nicht verraten. Als 
Kuriosum wird gemeldet, daß Prag am i. Januar zwei 
„Parsifal“-Aufführungen erlebt habe, im neuen deutschen 
Theater unter Zemlinsky in deutscher Sprache (tner singt 
den Parsifal der Sohn des ersten Parsifal-Darstellers, Dr. Hans 
Winkelmann) und im böhmischen Landestheater in tschechi- 
scher Sprache. Hier hat ein junger Maler, Joseph Wenig, 
Dekorationen und Kostüme entworfen. — Italien kündigt 
•für den Januar sechs Aufführungen an: im Mailänder Scala- 
theater, im Teatro Costanzi in Rom; im Teatro Communale 
zu Bologna, im Teatro Regio in Turin, sowie im Teatro 
Carlo Fdice und im Teatro Massino in Palermo. Die Vor- 
stellungen beginnen um Uhr nachmittags und enden 
um y 2 9 Uhr abends. — Paris hat seinen Parsifal bereits ge- 
habt. (Näheres im nächsten Hefte.) 

— Zur Zweihundertjahrfeier von Glucks Geburtstag finden 
sich heute schon Ankündigungen. Besonders großartig 
scheint die Ehrung in Paris zu sein, wo ja der deutsche 
Meister 1773 — 1775, sowie 1777 weilte und „Orpheus“, 
„Alceste“, „Armida“ und „Iphigenie in Aulis“ aufführte. 
In Wien, wo Gluck von 1748 an 25 Jahre als Kapellmeister 
am Kaiserl. Hoftheater wirkte und seit 1779 seinen ständigen 
Ruhesitz bis zu seinem Tode hatte, plant man bekanntlich, 
dem Reformator der Oper ein würdiges Denkmal zu errichten, 
zu dem am 2. Juli 1914 der Grundstein gelegt werden soll; 
an der Spitze des vorbereitenden Ausschusses steht Karl 
Goldmark. In Deutschland sind zwei musikalische Ver- 
einigungen tätig: die Gluck- Gemeinde, an deren Spitze Dr. Max 
Arend (Dresden) steht, und die neue Gluck- Gesellschaft 
(siehe Heft 3). Der Dürer-Bund gibt eine umfangreiche 
Flugschrift 121 (im Buchhandel durch Georg D. W. Calwey in 
München) von Arend heraus: „Warum sollen wir Gluck 
feiern?“ Wir empfehlen sie der Beachtung unserer Leser. 
Programmvorschlage für Gluck-Feiem im Konzertsaal finden 
sich auch darin. 

— Max Schillings ist, wie bekannt, mit der Komposition 
einer Oper „Mona Lisa“ beschäftigt, zu der die Wiener 
Schriftstellerin Beatrice v. Vay-Doosky den Text geschrieben 
hat. Die Handlung hat mit dem Diebstahl des Bildes nichts 
zu tun, sondern spielt im Jahre 1452 in Florenz. Indessen 
hat das Bild selbst in dem Werk eine entscheidende Rolle. 
Voraussichtlich wird die Uraufführung zu Beginn der nächsten 
Saison am Stuttgarter Hoftheater stattfinden. 

— Peter Cornelius' Oper „Der Cid“ ist im Herzogi. Hof- 
theater zu Dessau unter Franz Mikoreys Leitung dort zum 
ersten Male aufgeführt worden. Die Oper ging in der von 
Max Hasse wiederhergestellten Urgestalt in Szene und er- 
zielte bei trefflicher Rollenbesetzung und glänzender äußerer 
Ausstattung einen bemerkenswerten Erfolg, der vor allem 
auf das Konto des wundervollen zweiten Aktes zu setzen 
war. E. H. 


— Gleichfalls in Dessau soll eine norwegische Oper die 
Uraufführung erleben. Christian Sinding, der s/jährig in 
Berlin lebt, hat soeben seine erste Oper „Der heilige Berg“ 
vollendet. Dora Duncker hat das Textbuch geschaffen. 
Das Bühnenwerk behandelt in zwei Akten den Konflikt 
eines Mönches vom Berge Athos, dem heiligen Berge, mit 
seinem Gelübde ewiger Keuschheit. Aber die Brüder er- 
kennen die Reinheit seiner Liebe an und er findet Verzeihung. 
Ein Vorspiel führt in die Knabenzeit des Mönches. 

— Supp6s komisch-mythologische Oper „Die schöne 
Galathee“ ist in hervorragender Besetzung in einer Fest- 
vorstellung zugunsten armer Kinder im Gärtnerplatztheater 
in München gegeben worden. Hermine Bosetti sang die 
lebend gewordene Statue Galathee, Frau Charles Cahier 
den Diener Ganymed, Knote den in sein Werk verliebten 
Bildhauer Pygmalion und Raoul Walter den jüdischen 
Kunstenthusiasten. Mydas. Bruno Walter dirigierte und 
auch Ernst v. Possart wirkte als Rezitator mit. Wundem 
muß man sich nur, daß trotz der hohen Preise (bis zu 100 M. 
für den Platz) nur 1 500 M. für den wohltätigen Zweck übrig 
blieben. 

■5 — In Gera ist ein musikalisches Märchenspiel, nach 
Grimms Märchen „Der Froschkönig und der eiserne Hein- 
rich“, aufgeführt worden. 

— Im „Estonia-Theater“ zu Reval ist Gerhart Haupt- 
manns Märchendrama „Die versunkene Glocke“ in der 
Uebersetzung von Dr. H. Rosenthal und mit Musik von 
Otto Muyschel zum ersten Male erfolgreich aufgeführt worden. 

— Für das „Siebente große deutsche Bach-Fest“ der Neuen 
Bach-Gesellschaft, das in Wien unter der Führung der 
k. k. Gesellschaft der Musikfreunde stattfindet, sind die 
Tage vom 9. — 11. Mai 1914 bestimmt worden. 

— Eine Weihnachtsfeier zu wohltätigem Zweck ist in 
Weimar in der Stadtkirche veranstaltet worden, wobei u. a. 
eine neue Komposition, das Weihnachtsevangelium (nach 
Lukas 2, Vers 1 — 20) von dem Direktor der Großherzogi. 
Musikschule, Prof. W. v. Baußnern, zur ersten Aufführung 
kam. 

— Aus Düsseldorf wird uns geschrieben: Die Firma 
Leonhard Tietz veranstaltet im Januar und Februar in der 
städtischen Tonhalle drei Künstlerkonzerte. Mitwirkende 
sind: Königl. Hofoperasängerin Claire Dux (Sopran, Berlin), 
Königl. Kammersängerin Martha Leffler-Burckard (Sopran, 
Berlin), Königl. Kammersängerin Margarete Siems (Sopran, 
Dresden), Königl. Kammersänger Prof. Dr. Alfred v. Barv 
(Tenor, München), Königl. Kammersänger Fritz Feinhals 
(Bariton, München), Kammersänger Heinrich Hensel (Tenor, 
Hamburg), Prof. Ioan Man6n (Violine, Berlin), Prof. Frederik 
Lamond (Klavier, Berlin), Prof. Alexander Petschnikoff 
(Violine, München), Dr. Fritz Berend (Klavier, München). 
— Man wird sich an den Gedanken der von Warenhäusern 
arrangierten Konzerte in Deutschland nicht ohne weiteres 
gewöhnen wollen. Die Erinnerung daran ist noch zu lebendig, 
als Richard Strauß in New York bei einer solchen Ver- 
anstaltung dirigierte. Und doch finden wir jetzt die ersten 
Künstlernamen bei uns in Tietz-Konzerten. Wenn freilich 
unsere besten Künstler vielfach vor leeren Bänken spielen 
und noch draufzahlen müssen, kann man sich über diese 
Tatsache nicht weiter wundern. 

— In Insterburg hat der Oratorienverein (Dirigent Franz 
Notz) Handels „Messias“, in zwei Teilen, mit wenigen 
Strichen, als höhere „Weihnachtsmusik“ aufgeführt. Solisten: 
Goette, Weinbaum, Gollanin und Weißenbom. Selbst 
meist weggelassene Nummern, wie die Arie „Erwach zu 
Liedern der Wonne“ und das Duett „O Grab, wo ist dein 
Sieg“, durften nicht fortfallen. Generalprobe, Aufführung 
und Liederkonzert am dritten Tage waren voll besetzt. 

— In Ulm ist in Anwesenheit des Komponisten Bleyles 
„Lernt lachen“ mit außerordentlichem Erfolg aufgeführt 
worden. 

— In Bern hat Musikdirektor Fritz Brun eine interessante 
Solistenmatinee gegeben, deren Programm fast ausschließ- 
lich aus Premieren Mozartscher Werke bestand. Als be- 
sonders wertvoll erwiesen sich eine Fantasie für eine Orgel- 
walze „Ein Orgelstück für eine Uhr“ und zwei Sologesänge 
mit Orchesterbegleitung: „Misero o sogno“ (für Tenor) und 
„Rivolgete a lui losguardo“ (für Baß). 

— Dr. Carl Mennicke hat es in Helsingfors mit einem 
„Konsert Mysterieux“, in dem Kompositionen von Wagner, 
Liadow, Saint- Saens, Conus, Mahler und Richard Strauß 
aufgeführt wurden, versucht. Währenddem saß das Orchester 
auf unsichtbarem Podium und der Zuhörerraum lag im mysti- 
schen Dunkel. Die Zeitungen fanden das Experiment wohl 
interessant, aber doch nicht nachahmenswert. Zur Beach- 
tung für das Deutsche Symphoniehaus! 

Zur Notiz. Wir bitten wiederholt darum, für die Rubrik 
„Neuaufführungen und Notizen“ nicht bloß die Programme, 
sondern außerdem druckfertige Manuskripte 
einzusenden. Kritische Bemerkungen aus anderen Zeitungen 
werden prinzipiell nicht veröffentlicht. 


160 




— Förderung der musikalisch-dramatischen Produktion. 
Auf der nächsten Hauptversammlung des Allgemeinen 
Deutschen Musikvereins “ (in Essen) soll die in Jena angeregte 
Gründung eines Fonds zur Förderung der musikalisch- 
dramatischen Produktion unter der Bezeichnung „Richard- 
Wagner-Fonds“ erfolgen, vorausgesetzt, daß bis dahin die 

f estifteten Beiträge, denen eine Summe aus dem Vereins- 
apital angefügt werden würde, eine diskutable Höhe er- 
reicht haben. 3000 M. sind im Kreise des Vorstandes und 
von zwei verdienten Vereinsmitgliedem bereits in Jena 
aufgebracht worden, es sind seither erfreulicherweise auch 
verschiedene Beträge hinzugekommen; es reicht aber noch 
nicht. Der „Allgemeine Deutsche Musikverein“ ersucht 
deshalb wiederholt, sich eifrig an der Sammlung zu beteiligen 
und auch außerhalb des Vereins stehende Freunde unserer 
Sache für eine Beisteuer zu gewinnen. Der wichtige Zweck 
der Stiftung kann nur dann intensiv angestrebt werden, 
wenn ein hinreichend dotierter Fonds dem Verein die nötige 
Bewegungsfreiheit gibt. Jeder Betrag von 1 M. aufwärts 
ist willkommen! (Adresse: Konto No. 5391, Allgemeiner 
Deutscher Musikverein, Postscheckamt Hamburg 1 1 .) Eine 
rege Beteiligung aus allen Kreisen wäre im Interesse der 
dramatischen Komponisten, die heute am schwersten zu 
kämpfen haben, wohl zu wünschen. 

— Eine halbe Million für Bayreuth. Durch die Tages- 
zeitungen ging die Nachricht, daß ein Antrag auf eine halbe 
Million für die „Richard-Wagner-Stipendienstiftung“ dem 
Bundesrat und dem Reichstag überreicht worden ist. Die 
Eingabe ist von einer langen Reihe von Korporationen unter- 
zeichnet: Schriftsteller- und Lehrervereine, Musikvereine und 
Konservatorien, Goethe-Bünde, der Verband deutscher 
Pfarrervereine, die Universitäten Erlangen und Königsberg, 
die Technische Hochschule in Darmstadt, Professoren der 
Hochschule Aachen, der Universitäten Breslau, Straßburg, 
Münster haben sich der Richard-Wagner-Stipendienstiftung 
in der Bitte um einen Reichszuschuß angeschlossen. In der 
Begründung wird ausgeführt, daß die Stiftung mit ihren 
bisherigen Mitteln nie auch nur der Hälfte der berück- 
sichtigenswerten Gesuche für eine Kunstfahrt nach Bayreuth 
entsprechen konnte, und daß die erbetene Summe das 
Geringste darstelle, „was für eine einigermaßen dem nach- 
gewiesenen Bedürfnisse entsprechende Wirksamkeit der 
Stiftung erforderlich ist“. Es werden die Bewilligungen 
des Reiches für Zwecke von Wissenschaft und Kunst zu- 
sammengestellt und für das „deutsche Olympia“ in Bayreuth 
ebenfalls das Recht auf einen Reichszuschuß hervorgehoben. 
— Die Idee ist schön und jeder wird sie gern unterstützen, 
sobald nur die Stipendienstiftung in ihren Statuten imhalt- 
bare Bestimmungen aufgibt, die den Bewerber vorher auf 
Herz und Nieren prüften, ob er ein unbedingter Anhänger 
Bayreuths ist. Es steht geschrieben: „Jedem Gesuch ist 
anzufügen: 1. eine Bescheinigung über die Mitgliedschaft 
des Gesuchstellers bei einer für die Sache Bayreuths und der 
Richard-Wagner-Stipendienstiftung eintretenden Vereinigung 
seitens der betreffenden Vorstandschaft; beziehungsweise bei 
Nichtmitgliedem die Erklärung, daß sie nicht Mitglieder 
einer derartigen Vereinigung sind; 2. ein Ausweis (wenn 
möglich seitens der Vertretung jener Vereinigung, oder eines 
Spenders, oder sonstigen bewährten Freundes der Richard 
Wagnerschen Kunst) mit bestimmter Erklärung, daß der 
Gesuchsteller unzweifelhaft und wirklich Anhänger der 
Richard Wagnerschen Kunst, mit dem Gedanken von 
Bayreuth bekännt, aber nicht in der Lage ist, aus eigenen 
Mitteln die Kosten des Besuches der Festspiele bestreiten 
zu können.“ Für derartige Selektionsbestrebungen kann 
der die allgemeinen Interessen vertretende Staat 
nicht in Anspruch genommen werden. 

— Verband Deutscher Orchester- und Chorleiter. Der 
Verband Deutscher Orchester- und Chorleiter hat unter dem 
Vorsitz von Hofkapellmeister Ferd. Meister am 22. Dezember 
in Berlin bei außerordentlich zahlreicher Beteiligung seine 
diesjährige Generalversammlung abgehalten. In den Ver- 
waltungsausschuß wurden neu gewählt Siegmund v. Haus- 
egger und Hans Winderstein. Für die Orchesterhochschule 
des Verbandes in Bückeburg wurde ein Prüfungsausschuß 
gewählt, dem die Herren Prof. Dr. Pfitzner und Prof. Panzner, 
sowie als Ersatz die Herren Prof. Wendel und Hofkapell- 
meister Raabe angehören. Ferner wurde die Gründung 
eines eigenen Verbandsorganes und die Aufstellung einer 
Gehaltsstatistik sämtlicher Kapellmeister in Deutschland 
beschlossen; von der Errichtung einer Darlehenskasse wurde 
abgesehen. Der Verband folgte einer Einladung der Ge- 
nossenschaft Deutscher Tonsetzer zu einem Festmahl, an 
dem auch Herr Hofrat Dr. Rösch teilnahm. 


— Ueber deutsche Musikxeitungen und Musikkritiker. Herr 
Dr. Richard H. Stein, der offenbar als enfant terrible der 
musikschriftstellemden Welt die Aufmerksamkeit auf sich 
lenken möchte, schreibt in der „Deutschen- Tonkünstler- 
Zeitung“ (vom 5. Dezember) eine Glosse über deutsche Musik- 
zeitungen, nachdem er sich kürzlich erst in einer französischen 
Zeitschrift, die sich „den Luxus völliger Unabhängigkeit 
leisten kann“, über die deutschen Musikkritiker ausgelassen 
hatte. Herr Stein sagt: „Keine einzige deutsche Musikzeit- 
schrift ist ideell und finanziell völlig unabhängig, in irgend 
einer Hinsicht nimmt jedes Blatt Rücksichten. . . . Taucht 
irgendwo mal ein unabhängiger, ehrlicher, mutiger Idealist 
auf (scilicet: Dr. R. H. St.), der nicht bloß langweiligen 
Quark breittreten, 'sondern wirken, helfen, bessern will, so wer- 
den ihm gleich alle möglichen Fesseln angelegt.“ Und so fort. 
Herr Dr. Richard Stein ist nicht logisch: er verdammt in 
seiner Epistel alle deutschen Musikzeitungen. Er muß aber 
doch notgedrungenerweise die „Deutsche Tonkünstler-Zeitung“ 
ausnehmen, von der er ja selber einen Teil redigiert, und 
nicht minder die „Musik“, deren ständiger Mitarbeiter und 
Musikreferent er ist. Denn niemand wird annehmen wollen, 
daß jemand so charakterlos wäre, für Zeitungen zu schreiben, 
deren Wert er innerlich als minimal empfindet, die er nicht 
achten kann. Auch die „N. M.-Z.“ mußte er ausnehmen; 
denn Herr Dr. Stein sagt in einem Brief an uns, welch 
schwere Schädigung sein Ansehen erleide, wenn die Leser 
einer „Zeitschrift vom Range der N. M.-Z.“ usw. (Nebenbei 
sei bemerkt, daß Herr Dr. Stein die Klage gegen uns zurück- 
gezogen und nur gegen Herrn P! Bekker gerichtlich vorzu- 
gehen gedenkt.) Herr Dr. Stein ist kein imbegabter Kopf, 
um so mehr sollte er bedenken, was „verpflichtet“. Daß in 
Deutschland die Musikkritiker in gesellschaftlicher Beziehung, 
in puncto Anzug fürs Konzert usw., nicht immer auf wün- 
schenswerter Höhe stehen, soll nicht geleugnet werden. Ein 
Deutscher soll sich darüber aber nicht in französischen Zei- 
tungen lustig machen. So etwas tut man nicht! Viel rich- 
tiger wäre es gewesen, mal den Ursachen nachzugehen, 
warum der deutsche Musikkritiker „formell“ öfter nicht allen 
Ansprüchen genügen kann, wie es mit der Honorierung steht? 
Das wäre ein interessanteres Kapitel. Und im Zusammen- 
hang damit möchten wir fragen, ob sich denn die „Deutsche 
Tonkünstler-Zeitung“ auf so „ideeller“ Stufe zu stehen dünkt, 
daß sie derartigen Expektorationen über andere deutsche 
Musikzeitschriften ohne weiteres ihre Spalten öffnen zu kön- 
nen glaubt? 


Personalnachrichten. 

— Otto Heß, der Dirigent der Münchner Hofoper, ist zum 
Hofkapellmeister ernannt worden. 

— Frau Berte Schelper von der Frankfurter Oper ist vom 
1. September 1514 ab als Vertreterin der hochdramatischen 
Partien auf drei Jahre an das Hoftheater in Braunschweig 
engagiert worden. 

— In Frankfurt a. M. ist Prof. Maximilian Fleisch, der 
Direktor des Raff-Konservatoriums, gestorben. Auch als 
Dirigent des Frankfurter Lehrergesangvereins und des 
Frankfurter Sängerbundes hat er eine verdienstvolle Tätig- 
keit entfaltet. 

— Prof. Franz Küllak, der Sohn Theodor Kullaks, ist in 
Wilmersdorf, 69 Jahre alt, gestorben. Er hat zahlreiche 
Werke über den Musikunterricht verfaßt und sich auch als 
Komponist Ruf erworben. Außer Liedern und Klavier- 
stücken komponierte er die Oper „Ines de Castro“. 

— Der französische Pianist und Komponist Raoul Pugno 
ist in Petersburg am Herzschlag gestorben. (Nach Schluß 
der Redaktion.) 


Unsere Musikbeilage zu Heft 8 bringt an erster Stelle ein 
Klavierstück, Präludium von Karl Zuschneid, dem Direktor 
des Konservatoriums in Mannheim. Dies schön empfundene, 
echt klaviermäßig gestaltete und dankbare Stück wird allen 
Spielern willkommen sein. Der satte, pastorale, vollklingende 
erste Teil wird durch einen leichter beschwingten, dann wirk- 
sam gesteigerten Mittelsatz unterbrochen, der, gut vorberei- 
tend, wieder in den Anfang mündet. Das Ganze ist nobel, 
hat Form und zeigt die Hand des reifen Musikers. — Einen 
hübschen Einfall hatte der Münchner Komponist Alexander 
Kömpel, als er ein Loblied des „Gassenhauers“ nach Karl 
Holtei sang. Aber dies in Text und Musik gelungene Stück- 
lein hat Anmut und Geschick und verrät nichts von jener 
frivolen Weise des heute beliebten Gassenhauers, auch Ope- 
rettenschlager ä la Puppchen genannt. Wir setzen es deshalb 
doppelt gern an diese Stelle. Ein Vergleich ist lehrreich. 


Verantwortlicher Redakteur: Oswald Kühn In Stuttgart. 
Schluß der Redaktion am 8. Januar, Ausgabe dieses Heftes am 
15. Januar, des nächsten Heftes am 29. Januar. 


161 


Briefkasten 


Für unaufgefordert eingehende Manu- 
skripte jeder Art übernimmt die Redaktion 
keine Garantie. Wir bitten vorher an- 
zuf ragen, ob ein Manuskript (schriftstelle- 
rische oder musikalische Beiträge) Aus- 
sicht auf Annahme habe ; bei der Fülle 
des uns zugeschickten Materials ist eine 
rasche Erledigung sonst ausgeschlossen. 
Rücksendung erfolgt nur, wenn genügend 
Porto dem Manuskripte beilag. 

Anfragen für den Briefkasten, denen 
der Abonnementsausweis fehlt, sowie ano- 
nyme Anfragen werden nicht beantwortet. 


Gesangssache, Lehrer H. 0. in Fr. i. Am 
nächsten kommt den gestellten Anforde- 
rungen das Werk von Adolf Prosniz: 
Kompendium der Musikgeschichte, Teil I 
und II. Zum praktischen Studium sind 
einige Bände der „Denkmäler Deutscher 
Tonkunst“ zu empfehlen, so besonders 
Band XXXIV (Rhau - Band) und der 
Häßler - Band (Bayerische Denkmäler). 
Diese Sammlungen sind bei Breitkopf & 
Härtel erschienen, jeder Band kostet un- 
gebunden 17 M. Ferner sind bei Bote & 
Bock in Berlin 16 Bände Musica sacra 
(ä 5 M.) erschienen, die sehr empfehlens- 
wert sind. Schließlich bieten auch die 
Ausgaben von Riedel und Eitner Material. 
— Für das Partiturspiel kommen außer 
WO 1 ln w Bd. III die von Bargiel heraus- 
gegebenen Choräle Bachs in Betracht 
(8 Bände ä t M., bei Bote & Bock). — 
2. Skizze einer Motette bedeutet die un- 
gefähre Ausarbeitung des Vordersatzes, 
die Führung der Stimmen im polyphonen 
Mittelsatz (ohne Gegenstimmen) und die 
Melodieführung im Schlußteil. Je mehr 
von der Motette vorhanden ist, desto 
besser fällt natürlich die Zensur aus. Ist 
die Skizze zu dürftig, so kann sie leicht 
als „nicht genügend“ befunden werden. 

A. C. in G. Es handelt sich um einen 
Namensvetter des Bayreulher Meisters; 
Der Tannenbaum, Die Rose, Die Erwar- 


Gesangsbildung 

von 

KARL SCHEIDEMANTEL 

Geheftet 5 M., gebunden 6.50 M. 

nie „Gesangsb Mutig“ ist eine Ergänzungsarbeit zu der beifällig aufgenommeneu 
u „Stimmbildung“ des Verfassers. 

Sie bringt in ausführlicher, durchaus leicht verständlicher Darstellung „Erläute- 
rungen zur Stimmbildung“, die sich mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen be- 
fassen. auf denen sich eine gesunde Stimmbildung aufzubauen hat. Der Gesangs- 
schüler soll durch die „Gesangsbildung“ selbständig gemacht werden, damit er sich, 
unabhängig von den Unterweisungen des Lehrers, weiterzubilden vermag, was jeder 
Sänger nötig hat, der in seinem Berufe tüchtig sein und bleiben will. 

Anschließend an die „Erläuterungen“ führt das Buch (zweiter Teil) den angehen- 
den Sänger in die Kunst des Vortrages ein, indem gezeigt wird, wie die durch Stimm- 
bildung erworbenen Fertigkeiten und Fähigkeiten in den Dienst der Kunst gestellt 
werden. 

In der Auffassung stimmbildnerischer Gesetze verläßt der Verfasser mehrfach 
die gewohnten Geleise allgemein geltender Anschauungen. Gestützt auf reiche Er- 
fahrung und gründliche Sachkenntnis rückt er die Probleme der Stimmbildung oft 
in ein ganz neues Licht, so daß seine Ausführungen, von kritischen Seitenblicken 
durchflochten, unbedingt dem Interesse aller Sänger, Gesanglehrer und Stimmbildner 
begegnen dürften, auch solcher, denen die Pflege des Schulgesanges obliegt. 


Kürzlich ist erschienen: 

muflkalffcher Ratgeber Ilr. 3; 

Auswahl moderner Lieder. Von Emil Liepe 

Sängerinnen und Sänger, wie überhaupt Freunde des deutschen Liedes, die das 
Heft noch nicht erhalten haben, wollen dasselbe kostenlos verlangen. 


Breitkopf & Härtel a Leipzig 


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einwandfreien Handel bürgen. Grosse Zahl von Anerkennungen aus 
allen Kreisen während des bald 40jährigen Bestehens sowie die fast 
alljährlich erscheinenden Prachtkataloge mit Original-Illustrationen be- 
rühmter alter Meisterwerke bestätigen, dass die Unterzeichnete Firma eine 
der grössten und bedeutendsten Geigenhandlungen des Kontinents ist. 


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162 





tung, so etwas hat Wagner nicht ge- 
schrieben. 

T. G. beider nicht bekannt. Diese Art 
von Bezeichnungen ist häufig recht will- 
kürlicher Natur und auch dem Zufall unter- 
worfen. Vielleicht finden Sie selber eine 
Stelle, einen Anklang, der die Bezeichnung 
rechtfertigt. Wir würden uns Irenen, 
wenn Sie uns das Resultat mitteilen 
wollten. 

Fr. KL ln O«. Die Adressen sind uns 
leider nicht mehr bekannt. Wir bitten 
von Einsendungen von Eiedern Abstand 
zu nehmen; die Produktion von Eiedern 
wächst ins Ungeheure. 

Lehrer Tr. Stellen Sie sich die Fragen 
von Ihrem pädagogischen Standpunkt 
aus? Ein Nur-so-dran-Nippen führt zu 
nichts. Man muß die Harmonielehre 
gründlich studieren, sonst hat es keinen 
Zweck. Wenn Ihre Tochter begabt ist, 
wird sie sehr bald selber nach Gründlich- 
keit verlangen, die paar harmonischen 
Hilfsmittelchen genügen der Wißbegierde 
nicht. Für die „Meister** kommen die 
Biographien in Betracht, oder die beson- 
deren Abhandlungen über die Hauptwerke. 
Beachten Sie unsere Besprechungen. 

B— r. Wir glauben, daß die Schweiz 
die Promotion erlaubt. Fragen Sie bei 
einer ihrer Universitäten an. Wie oft 
sollen wir nun noch sagen, daß es einen 
Dr. mus. bei uns noch nicht gibt, sondern 
daß der Dr. phll. in Betracht kommt? 
Nur England (und Amerika) hat den 
Dr. mus. 


Kompositionen 


(Redaktionsschluß am 3. Januar.) 


W. G. Sch., N, Die 4 Eiebespsalmen 
sind ob ihrer eigenartigen Sprache nicht 
leicht zu behandeln; die Musik dazu müßte 
ebenso originell sein. Die schlichten Be- 
gleitsätze haben zu wenig Fühlung mit 
dem inneren Gehalt der Textworte. Die 


! melodische Fassung wirkt — abgesehen 
! von wiederkehrenden rhythmischen Ver- 
tracktheiten — mitunter befriedigend. 

M. HI — ulk, Landstr — Ostr. Ein im gan- 
zen befriedigendes Arrangement. Ver- 
öffentlichen können wir das Notturno nicht. 

Osk. W,, — au. Die 4 Stücke sind so 
ziemlich gleichwertig. Die feinere Note, 
die daraus klingt, zeugt von einem guten 
Geschmack. Ihrer Erfindungskraft muten 
Sie zuweilen zuviel zu. Manches klingt 
gesucht. Wozu das Opus veröffentlichen? 

J. B. E. Dem gemütvollen Text ent- 
sprechend hübsch vertont. 

H. M. B. Die eingesandten Modulations- 
beispiele ßind ein erfreuliches Zeugnis 
Ihres Fleißes sowie Ihrer musikalischen 
Anlagen. Unser Blatt wird Ihnen immer 
wieder Gelegenheit zur Fortsetzung Ihrer 
Studien geben. 

W. W— da, — itsch. Beide Eieder sind 
musikalisch gut erfaßt. „Es fiel ein Reif** 
stünde besser auch in der ersten Hälfte 
in Moll. „Schaukeln und Gaukeln" wird 
den Ansprüchen eines Wiegenlieds gerecht. 

—er, P— dort. Ihre phantastisch ge- 
haltene Gesangsromanze hätte in der Be- 
gleitung wohl noch reicher ausgestaltet 
werden dürfen. Das Ganze macht mit 
seinen grellen Eichtern und abgerissenen 
Motiven einen skizzenhaften Eindruck. 

H. R. II. Der Eindruck von Ihren 
beiden Stücken ist nicht ungünstig. Bel 
komplizierten modula torischen Wendungen 
läßt Sie die Orthographie im Stich; es 
scheint Ihnen das nötige theoretische Ver- 
ständnis zu fehlen. Es wäre Ihnen das 
Studium einer einfachen Harmonielehre 
(z. B. von K. Fr. Weinberger, Verlag 
Beck-München) zu empfehlen. 

B. in Asch. Fr. Zimmer: Der Kantor 
und Organist im ev. Gottesdienst (Vieweg). 
M. 3.50. Orgelwerke von J. S. Bach mit 
Bezeichnung der Registrierung und Tempo 
von P. Homeyer, 3 Bände ä M. 2.50 
(Steingräber). Wir empfehlen Ihnen, vier- 
stimmige Choralsätze partiturmäßig in den 
alten Schlüsseln schriftlich wiederzugeben 
und am^Instrument zu üben. 



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burcf> ‘poftfarte »on «Bauer & Sie., Berlin SBM8/G, 
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$ Meisterschule für Gesang t 


von Ernst von Schuch 
und Giacomo Minkowski 

Dresden. 

Gesangliche und darstellerische 
Ausbildung für Oper und Konzert 
❖ bis zur Öffentlichkeitsreife. o 

Prospekte und schriftliche Auskünfte durch das Sekretariat 
der Meisterschule für Gesang, Dresden-A., Bergstr. 22 . 


In der „Neuen Musik- Zeitung" sind (als Musikbeilagen) 
folgende Kompositionen von 

Max Reger 


erschienen: 


Für Klavier u zwei Händen 

enthalten im 


Albumblatt .... 

Jahrg. Z002 No. 9 

Geheimnis .... 

Elegie 


1900 

. IJ 

Hoffnungslos . . . 

Frühlingslied . . . 


1909 

. 10 

Kindergeschichte . 

Humoreske .... 


1900 

» 

Mädchenlied . . . 

Jagdstück .... 


190z 

M 9 

Nachtgefi Unter . . 

Melodie 


1902 

M 7 

Sehnsucht .... 

Moment musfcml . 


1901 

m ZS 

Sonnenregen . . . 

Scherxino .... 

w 

1900 

*. Z 7 

Süße Ruh .... 


Lieder für eine Slngstlmme 

enthalten In 
Jahrg . >900 No. i j 

. «90i . 7 

. 1902 . r» 

. * 9 01 . 5 

. 1900 . ij 

. «90» . »« 

. «90« . »J 

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Prell der I Klavierstücke bei gleich- Prell der 8 Ueder bei gleichzeitigem 
zeitigem Bezog nur M. I SO. Bezug DU ■. 1 . 80 . 

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Zu beziehen durch Jede Buch und Musikalienhandlung, sowie aul Wunsch 
(gegen Einsendung den entsprechenden Betrages per Postanweisung oder In 
| Briefmarken) auch direkt vom Verlag des 

„Neuen Musik-Zeitung“, Carl Grünlnger, Stuttgart. 




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Nilson, Einar : Zigeunerlieder 
aus „Der lebende Leich- 
nam“ von Leo Tolstoi 2 M. 
Ed. Bote & G. Bock, Berlin. 
Behrn, Eduard, op. 46: Wan- 
derlied für zweistimmigen 
Schülerchor, Partitur 20 Pf. 
Ebenda. 

— op. 46: Wanderlied für 
Männerchor, Partitur 1 M. 
Ebenda. 

Andreae, Volkmar, op. 24: 
■ Zwei Männerchöre, Partitur 
ä i M. Ebenda. 

Neßler, W op. 5 : Vom Boden- 
see bis an den Belt für vier- 
stimmigen Knabenchor be- 
arbeitet von J. Leisegang; 
Partitur 50 Pf. Ebenda. 
Hegar, Friedrich, op. 41 : 
„1813“. Wir seufzten sieben 
Jahr entrechtet (Gedicht von 
Adolf Frey), Ausgabe B, 
Partitur 1.50 M. Ebenda. 



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Lieder nach Gedichten von Goethe M. 5 .— 

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Pierrot Lunalre, Dichtungen von A. Girand, über- 
tragen von 0. E. Hartleben M. 12. — 

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kalienhandlung legt die Werke zur Ansicht vor. 


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J durchdievereinigtenMünchenerRegimentskapellenamGeburtstage f 

♦ “ ' ' J ”■ 


S. M. König Ludwig III. von Bayern, « 

^ dem das Werk gewidmet ist. ♦ 

I Clemens von franckensteln ♦ 

Festliche Musik 

grosses Orchester 


op- 35 


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Für großes Orchester: Partitur Mk. 5. — no., Stimmen Mk. 10. — no., 
jede Dnblierstimme Mk. —.80 no 
Für InfanterierausUt : Partitur und Stimmen Mk. 12 . — no. (nur zusammen), 
jede Dublierstimme Mk. —.80 no. 

Für Klavier zu 2 Hinden 31 k. 2 . — no. 


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I) Die Braut von Corinth (Goethe) 

für Deklamation mit durchgehender Klavierbegleitung von 

max Stelnitzer. a Mark. 

2) Passacaglia und Fuge 

im vierfachen Kontrapunkt für Streichquartett von 

Bernhard Sekles, o P . 23. 

Kleine Partitur 50, Pf. n. Stimmen 4 Mark n. 

Aufführungen in Frankfurt, Berlin, Leipzig und Dresden 
im Januar. — Sekles’ neuestes Werk wird von allen Qnar- 
tettvereinigungen freudigst begrüßt werden; der kurzen 
Spieldauer (11 Min.) wegen wird sich leicht ein Platz da- 
für in den Programmen finden lassen. 


Klassische 

MUSIKER - BIQ6RAPKIEN. 

Mfnart 1 — Xiemetsehek (F.), Leben 
mutulli W. A. Mozart’s, nach Origlnal- 
qucllen beschrieben. Prag 1798 (Fak- 
simil, druck]. Kl. 4". Eies. hart. M. 4.J0. 

- Ifianini'c »• Treiben als Kflnst- 
I nyailllll O ler und Menseh von seinem 
Zeitgenossen J. M. Schotlky. Prag 1830. 
[Neudruck.) (XVf, 430 S.) Br. M. 6.—, 
Heg. geh. M. 7.30. 

Selbstbiographie. Cassel 
Bde. mit Faksimiles. 
-, eleg. geb. (M. 13.50). 

M. 7-50 netto. 

Zn beziehen von 

Taussig & Taussig In Prag. 


eteg. gCD. M. 7.50. 

Snnhr 

OUUIII 1861. 2 B< 

(M. 12.—), M. 6.—, 


Tango. 

Von Gustav Lazarus 

erschien op. 143: 

Drei brasilianische 
UolHslieder 

für das Pianoforte 

(Rezitativ, Serenata, Tango). 

Preis (in farbigem Umschlag) 
geheftet M. 1 . 20 . 

Urteile: Die musikalische Bear- 
beitung hauptsächlich des 
Tango ist von hohem Reiz. 

Musikpldagog. Blätter. 

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und ansprechend! 

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tene Stücke. 

Deutset» Tonkttnstier-Zeltung. 

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spielbare Hausmusik feiner 
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ristische Tango-Tanz. 

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Verantwortlicher Redakteur: Oswald Kühn in Stuttgart. - Druck und Vertag von Varl GrOttinger in Stuttgart l (Kommissions verlag W Leipzig: F. Votckmar.) 


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Unterricht in der Musiktheorie 

(Harmonielehre, Kontrapunkt etc.) Korrek- 
turen u. Beurteilungen. Prospekt gratia. 

Organist Job. Winkler, 

Radewell-Halle S. 


V iolin- uni Ensemble-Unter- 

siebt erteilt für Berufsmusiker und 
Dilettanten Kgl. Kammervirtuos Prof. 
Karl Wien, Stuttgart, Lindenstr. 37 III. 


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Jahrgang Preis des Jahrgangs (Oktober 1913 bis September 1914) 8 Mark. Heit 9 


Bracheint vierteljährlich in 6 Heften (mit Mtislkbei lagen, Ktmalbdlage nnd „Batka, illustrierte Geschichte der Musik* 1 ). Abonnementpreis a M. vierteljährlich, 8 M. jährlich. 
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Inhalt * Dic Klaviersonaten von Joh. Brahms. Technisch-ästhetische Analysen. Sonate in fmoll, Opus 5. (Fortsetzung.) — Beiträge zur Lebensbeschreibung Johann 
111 II all • Ladislaus Dusseks. — Tonsetzer der Gegenwart. Franz Schreker. Sein Leben und Schaffen; biographische Skizze. — Die Kopierbücher Giuseppe Verdis. — 
Leipziger Musikbrief. — Unsere Künstler. Raoul Pugno t» Nekrolog. — Kritische Rundschau: Aachen, Basel, Brannschweig. — Kunst und Künstler. — Besprechungen: 
MännerchSre ohne Begleitung. Studienwerke für Klavier. — Briefkasten. — Dur und Moll. — Neue Musikalien. — Musikbeilage. 


Die Klaviersonaten von Joh. Brahms. 

Technisch-ästhetische Analysen. 

Von Professor Dr. W1LIBALD NAGEL. 

Sonate in fmoll, Opus 5. (Fortsetzung.) 

II. Satz. Andante espressivo. — Eine andere Welt tut 
sich im Andante auf. Ausgelöscht ist das Eicht des Tages, 
vorbei alles Kämpfen und Mühen. Die Nacht breitet ihre 
weiten Schwingen über die Erde, aus dem Weltall grüßen 
unzählige blinkende Sterne. Zwei Herzen sind in Liebe 
vereint und halten sich selig umschlungen. Der zweite 
Satz gehört zum Tiefsten und Schönsten, was der junge 
Meister uns geschenkt. Es ist ein in ernsten Tönen ge- 
haltenes, weit ab von aller bloßen Sinnenfreudigkeit liegen- 
des Gebilde, ein Liebeslied echt Brahmsscher Art, dessen be- 
sondere Weise sich eine eigentümliche Form geschaffen hat. 

Zergliedern wir diese, so haben wir es zunächst mit einem 
in einfacher Liedform gehaltenen Abschnitte zu tun, der 
in Vorder- und Nachsatz zu 4 und 6 Takten, einen mitt- 
leren, 4 und 10 Takte umfassenden Teil, und die um einige 
Anhangstakte vermehrte Wiederholung des Anfanges zer- 
fällt. Nichts kann in der Form einfacher sein. Aber 
welche Fülle lauterster Schöne breitet das herrliche Ton- 
gebilde vor uns aus I Da ist die vorwiegend aus dem Wechsel 
von Terzen- und Skalenschritten bestehende Melodie in 
ihrer ruhig-sicheren rhythmischen Führung, in der Tiefe 
von bewegten Terzschritten begleitet: 



da ist eine Harmonik, die, so wenig Ueberraschungen sie 
bietet, doch den der sehnsuchtschweren Melodie nötigen 


dunkeln Untergrund in vortrefflichster Weise darbietet; 
da ist, im mittleren Absätze, ein Aufblühen und Vertiefen 
der lyrisch weichen und reinen Grundstimmung, ein Ver- 
binden der beiden Gesangstimmen durch einfache kontra- 
punktische Mittel, das ganz herrlich und in seiner zwingen- 
den Schönheit unübertrefflich ist: 



% 

Kalbeck hat ganz recht, wenn er sagt, das beigegebene 


Motto : 

„Der Abend dämmert, das Mondlicht scheint, 

Da sind zwei Herzen in Liebe vereint, 

Und halten sich selig umfangen“ 

sei mehr als Aufmerksamkeit gegen den Dichter Steraau 
denn als avis au lecteur anzusehen: in der Tat erwuchs 
ja dieses Töngedicht nicht aus Stemaus Versen; in ihnen 
fand Brahms nur eine mehr oder weniger entsprechende 
Stimmung für das wieder, was in ihm damals selbst als 
wonniger Besitz lebte und nach künstlerischer Gestaltung 
verlangte. Eine Komposition der Stemauschen Dichtungen 
selbst, die der Leser in Kalbecks Brahms-Biographie 
nachlesen wolle, hätte vielleicht gewisse äußere Züge 

165 








ins Leben gerufen. Hier ist nichts davon zu finden: auf 
einfachem harmonischem Grunde spannen sich die weiten 
Bögen einer rein instrumental gedachten Melodie, deren 
Rhythmus in keiner Weise vom Metrum der Worte des 
Mottos beeinflußt ist; sie ist in dem ruhigen Atemzuge 
ihres Auf- und Abwogens, ihrer späteren rhythmischen 
Belebung ein kaum zu überbietendes Abbild von psychischen 
Vorgängen, die auch ohne jedes Begleitwort klar zu er- 
kennen und zu verstehen sind. 

Auf einige Einzelheiten des ersten Satzabschnittes ist 
noch aufmerksam zu machen. Was wir an Beethovens 
Musik so oft bemerken, finden wir auch hier bei Brahms 
wieder: er vermeidet die einfache Wiederholung vorauf- 
gegangener Sätze, sobald in den mittleren Teilen psychische 
Erregung sich geäußert hat. Nach der erhöhten Intensität 
des Ausdruckes des mittleren Absatzes wäre die noten- 
getreue Wiederkehr des Anfanges nur ein formal gutzu- 
heißendes Satzelement geworden. Man vergleiche nun 
Anfang und Schluß des As dur- Abschnittes : dort einfache 
Grundierung, hier eine Fülle von leiterfremden Halbtönen 
in der Figuration, die die harmonische Gewandung bunter 
gestalten, ohne doch ein einziges fremdes und die Ruhe 
störendes Element in das Ganze hineinzutragen. Das wäre 
wahrscheinlich geschehen, hätte Brahms die harmonische 
Basis des ganzen Satzgliedes anders gestaltet, als er es 
tat; indem er aber die bewegten Oberstimmen auf den 
festen Grund der ausgehaltenen Töne (es resp. ces) des 
Basses stellte, gewann er ein jede etwaige Unruhe dämpfen- 
des Ausdrucksmoment. 

Mit kurzem Uebergange wendet sich das Andante einem 
neuen in Des dur stehenden Abschnitte zu: 


Poco piü lento. Aeußerst leise und zart 



Die neue Tonart wird die für den weiteren Verlauf des 
Satzes bestimmende, so daß dieser auch in ihr schließt. 
Man mag die Erscheinung vom rein formalistischen Stand- 
punkte aus angreifen, aus der Psychologie des ganzen Satz- 
gebildes heraus begreift sie sich leicht, denn Brahms strebt 
in ihm* einer besonderen Pointe entgegen, die er mit Recht 
nicht in das tonale Gewand des Hauptgedankens kleidet. 
Wir werden das einzelne weiter unten erkennen. 

Was sich über einem Orgelpunkte auf des ruhend, in 
2x8 Takten, die durch regelmäßige Einschnitte unter- 
geteilt sind, darbietet, was sich sodann in neuer Gliederung 
von b moll ausgehend (wobei der Orgelpunkt aufgegeben 
wird), weiter ausspinnt, ist zuerst ein absichtsloses Prä- 
ludieren: nur wer genau zu hören versteht, wird aus dem 
gleichmäßig ruhigen rhythmischen Gange die latente 
Melodie hervorklingen hören. Wir finden in dem ersten 
Halbabschnitte : 



vorwiegend nur den Rhythmus als das ausschlaggebende 
Moment; im zweiten tritt die bekannte Brahmssche freie 
Oberstimme, die scharf betonte Quinte als neues Element 
hinzu: 



im b moll-Teile wird die Stimmung mit der Preisgabe des 
Orgelpunktes reicher und bewegter, die tonalen Grenzen 
erweitern sich und die regelmäßige Periodisierung wird 

166 


fallen gelassen, der Satz schwillt dynamisch immer kräftiger 
an. So wächst der Abschnitt von innen heraus, von einem 
neutralen Ausgangspunkte herkommend, seiner melodischen 
Krönung in diesem Teile in ganz wunderherrlichem Aufbaue 
entgegen : 



Wieder stoßen wir hier auf eine uns bekannte Ausdrucks- 
art: den kraftvollen Ausbruch des Gefühles im Thema 
(man sehe in dem ganzen Absätze nicht etwa eine „Va- 
riation“ des Beginnes des „Poco piü lento“ 1 ) weist der 
Orgelpunkt in die rechten Schranken; dieser wird durch 
seine figurative Einkleidung besonders scharf betont. 
Aber auch die melodische Führung der Oberstimme selbst 
sorgt dafür, daß der Ausdruck nicht ins Schrankenlose 
ausschweife: man sehe, wie nach der Vordersatzbildung 
(Takt i — 4) von Takt 5 an das Motiv auf der gleichen 
Höhe bleibt (der Ausdruck des Beharrens, des nachdrück- 
lichen Betonens), wie dies nach dem Triolenaufschwunge 
immer wieder in die tiefere Septime zurückspringt, sehe 
endlich, wie der Triolengang der Sechzehntel am Schlüsse 
des Absatzes sich in drei Achteltöne verlängert und die 
ganze Bewegung (molto riten.) sich verlangsamt. 

Das bereitet seinerseits wieder den Eintritt der un- 
veränderten b moll-Stelle vor, die nun abermals in den 
gleichen, „con passione“ zu spielenden Abschnitt über 
dem figurierten Orgelpunkte auf des einmündet. Dieser 
Satzteil ändert sich jetzt in seinem Verlaufe harmonisch 
ab: das Andante strebt nach As dur zurück: 



Wie Brahms die psychische Region des Ausganges hier 
zurückgewinnt, ist gleichfalls bemerkenswert durch seine 
große Einfachheit, der aber schlagende Ausdruckskraft 
gleichwohl nicht abzusprechen ist: es geschieht durch die 
Ersetzung des Des dur-Klanges durch den entsprechenden 
Mollakkord und die Einführung von fes statt /: 



us%v. 


Trotzdem muß nun das mächtige Anwachsen des Aus- 
druckes, die kraftvoll-männliche Sprache im Vorher- 
gegangenen den wiederkehrenden Hauptsatz selbst irgend- 
wie beeinflussen; jetzt zittert in der weitgriffigen Begleit- 
figur des Basses die Bewegung der vorher verwendeten 
Triolen nach. Im übrigen spinnt sich das Andante nun 
entsprechend dem Beginne fort; nur die Anhangstakte 
erfahren durch die in zweiseitige Rhythmen zerlegten 
Triolen des Basses eine neue Bereicherung des Ausdruckes: 



Man fühlt, daß sich da ein Neues andeutend vorbereitet. 
In dem den Abschluß des Andante bildenden Satze: 





schlägt die Stimmung insofern gegen die des Anfanges 
um, als in ihm gegen die in weiten Bögen sich ausbreitende 
Melodie dort eine solche tritt, die in engeren Grenzen 
gehalten ist; jene erscheint wie der Ausdruck suchenden 
Sehnens, diese wie die Spräche liebenden Bekennens, ge- 
festeter Zuversicht. 

Wir kennen diese Melodie aus anderen Fassungen: 
„Steh’ ich in finstrer Mitternacht" oder Mozarts: „Du 
feines Täubchen“ aus der „Zauberflöte“. Die Weise ist 
auch dem deutschen Choräle nicht fremd („Wer nur den 
lieben Gott läßt walten“) und kehrt bei Brahms selbst 
oft in mannigfachen Abänderungen wieder, von denen 
Kalbeck einige mitgeteilt hat. Ist der Anklang an das 
deutsche Volkslied ein zufälliger ? Schwerlich. Was 
könnte als ein Bekenntnis an dieser Stelle des Satzes Besseres 
stehen als die schlichte und innig-treuherzige Weise, die 
höchst bezeichnend über einem Orgelpunkte, dem Aus- 
druck des Beharrens, ruht. Das Thema notengetreu und 
seinem ganzen Umfange nach zu verwenden, wäre Sache 
eines Dutzendschreibers gewesen. Aus dieser Melodie, 
die auch durch die (übrigens nicht genau durchgeführten) 
Parallelstimmen der sie begleitenden Terzen- und Sexten- 
gänge ihre volkstümliche Ausdruckskraft wahrt und 
steigert, erwächst dem Satze ein machtvoller Abschluß. 

Man spricht wohl vom romantischen Ueberschwange 
seines Stimmungsgehaltes. Nichts kann falscher sein: 
wo ist hier ein Sichverlieren des Ausdruckes in weiter 
Feme, wo ein Uebermaß der harmonischen Untermalung ? 
Bei aller Zartheit des Empfindens zeigt das Andante doch 
wieder alle jene uns hinlänglich bekannten Merkmale 
Brahmsscher Kraft und Gesundheit der künstlerischen 
Gestaltung, die sich nicht in Phantasmagörien verflüchtigt 
und aus dem Traumlande der Empfindsamkeit den Weg 
zur Klarheit, zur Befreiung zurück findet. 

Die formale Gliederung des Absatzes in 5 + 2 Takte 
des Vorder- und ebensoviel Takte des Nachsatzes (End- 
und Anfangstakte fallen zusammen) erkennt man leicht. 
Die Takte 5 — 7 und 10 — 12 korrespondieren in der Ober- 
und Unterstimme. Nach dem Doppelstriche verwendet 
Brahms zuerst Takt 1 — 3 des Themas zur Fortführung 
des Satzes in zwei Satzteilen (Auftakt und Takt 1 und 2; 
Takt 2 — 4), teilt dann das Motiv und benutzt nur seine 
Hälfte zur Rückleitung des Gedankens nach Des dur 
über geringfügige Ausweichungen. Sobald das helle Fdur 
erreicht ist, setzt ein gewaltiger dynamischer Aufschwung 
ein, dem die plötzlich auftretenden Triolen ein besonderes 
Ausdrucksmoment beifügen. Der wiederkehrende volks- 
tümlich-einfache Sang erscheint mm „molto pesante“ in 
majestätischem Fortissimo, während die Triolen (die An- 
gabe 6 = Sextolen ist selbstredend durch zwei 3 = Triolen 
zu ersetzen) ihren kräftigen rhythmischen Schlag un- 
unterbrochen dazu geben. Wie kann man da von „be- 
rauschender Glut“, wie es geschehen ist, reden wollen ! Wo 
steckt denn in aller Welt hier rein sinnlich wirkender 
harmonischer Glanz, wo Himmel und Erde stürmende 
melodische Pracht, was alles doch allein Ausdruck solcher 
Glut sein könnte? Nein, hier ist der der reinen Empfin- 
dungswelt des Anfanges entsprechende Höhepunkt des 
ganzen Satzes, hier der Ausdruck seligen Jubels, eines 
Glücksgefühles, das sich zu stolzer Kraftentladung steigert, 
die in breiten Klängen machtvoll austönt. 

Man sehe den formalen Aufbau der Stelle: der Vorder- 
satz des Themas kehrt in den Takten 1 — 5 nicht ohne 
einige harmonische Abänderung wieder; auch die Nach- 



Takt 6 und 7 erscheinen darauf zur Rückleitung nach 
Des dur, worauf das Eingangsmotiv die letzte Steigerung 
einleitet : 



Ist es nun als ein rein musikalisches Ausdrucksmittel 
zu betrachten, wenn Brahms in den den Abschluß des 
ganzen Satzes bildenden Adagiotakten zuerst den Be- 
kenntnissang in breiter Vergrößerung der Werte: 



wiederholt und ihm das Motiv des Beginnes: 



pp rf f e sostenuto 


folgen läßt ? Sicherlich nicht. Was so die Brust in tiefstem 
Gefühle bewegt hat, muß nachhallen, voll austönen, und 
was ist da natürlicher, daß nun der Geist zum Ausgangs- 
punkte all dieses reichen Bebens zurückschweift? Und 
wie unsagbar herrlich, wie tief und überzeugend wahr 
gestaltet Brahms den schließlichen Ausklang des Ganzen! 
Man sehe, um das zu erkennen, die Steigerung der Dynamik 
in dem dreimaligen, in immer höherer Tage erfolgenden 
Einsätze des ersten Motives und dessen Einmündung in 
die Andeutung des Auftaktes des Bekenntnismotives : 



als Schluß des Ganzen. Die Dynamik kann 'Ausdruck 
des alleräußerlichsten Wesens sein; hier ist sie ein tiefes 
psychologisches Moment: immer stärker tritt das ins 
Bewußtsein, was der Anfang all der Seligkeit war . . . 

Gewiß: eines läßt sich gegen den Satz einwenden: er 
währt die Tonalität nicht. Aber soll man wirklich den 
Schulmeister gegen den Dichter ausspielen ? Nur Pedanten- 
und Stubenhockergelehrsamkeit stellt Gesetze auf, nach 
denen sich die Künstler richten sollen, dichterische Kraft 
aber wirft sie fröhlich über den Haufen. J)as hatten schon 
die Klassiker, Beethoven vor allem, getan, und die Ro- 
mantiker waren ihnen da nicht zum Schaden ihrer Kirnst 
gefolgt, wie man besonders hübsch an Schumann nach- 
weisen kann. Bra hms erwächst die Form jedesmal aus 
dem besonderen Gehalte seiner Werke. Wer wollte ernst- 
haft behaupten, daß sie hier dem Ideengange des Satzes, 
der sich als wohlgegliederte Folge psychischer Stimmungen 
darstellt, nicht in jedem Zuge entspräche? 

III. Satz. Scherzo. Allegro energico. — Das Scherzo 
ist, so lebensstark und wirkungsvoll auch seine Tonsprache 
ist, doch der Teü der Sonate, der, wenigstens in seinem 
Hauptsatze, am wenigsten individuelles Beben zeigt. Aber 
er ist ein glänzendes Klavierstück und voller Energie und 
Bewegung, er zeigt rhythmische Kraft und Mannigfaltig- 
keit und hat allerlei an harmonischen Feinheiten auf- 
zuweisen, so daß man den Umstand, daß er sich an einer 
Stelle in Figurenspiel verliert, gar wohl übersehen kann, 
wenngleich dies in einem nur geringen inneren Zusammen- 
hänge mit dein führenden Gedanken selbst steht. 

In kräftigem Anhiebe, wie in sausender Schärfe, setzt 
der rhythmisch überaus reizvoll ausgestaltete Haupt- 
gedanke ein : 



Er setzt sich aus Skalenschritten zusammen. Die Har- 
monisierung zeigt in den untersten Baßtönen eine von der 
siebenten Stufe der Tonleiter ausgehende, durch Ganz- 
und Halbtöne aüfsteigende gerade Binie, die in die Tonika 



von bmoll leitet. Die Melodie selbst ist abgesehen von 
ihrer rhythmisch scharfen Prägung auch harmonisch 
wirksam, weil sie sich, in ihrem Verhältnisse zur Begleitung 
betrachtet, als Folge von Akkord-, Durchgangs- und 
Wechseltönen darstellt. In 4 Takten erreicht der Satz, 
von der verminderten Septimenharmonie e-g-b-des aus- 
gehend, die Tonika /, moduliert dann nach b moll, wieder- 
holt diese Zweiteilung in es moll und schließt in b moll 
ab. Erst zu Ende des ganzen Hauptsatzes wird der tonische 
Dreiklang abschließend erreicht. 

Nach dem zweiten b moll-Schlusse erscheint das Thema 
in umgekehrter Folge seiner Töne, von akkordischen 
Schlägen begleitet im Basse: 



ihm schließt sich ein Einschiebsel von 4 Takten an, dessen 
Baß den Rhythmus von Takt 2 in der melodischen Ge- 
staltung von Takt 6 festhält, während die Oberstimmen 
ein bisher unbenutztes Bild ergeben: 



Die gleiche Umkehrung des führenden Gedankens wieder- 
holt sich weiter von d im Basse aus, den Satz nach es moll 
mittels eines Halbschlusses tragend; die Einschalttakte 
werden auf 8 (2 x 4) gebracht; man beachte ihre ab- 
geänderte Form: die Linien steigen nicht mehr nach oben. 
So wird der Abschluß des Satzes vorbereitet, der sich 
regelrecht kadenzierend vollzieht: 



Mit dem schon im sechzehnten Takte verwendeten und 
hier abermals gebrauchten Figurationsmotive: 



baut Brahms nun den mittleren Teil des Hauptsatzes auf. 
Die ganze Stelle erfordert nur die Andeutung einer rein 
harmonischen Analyse : 



Dieses harmonisch nicht einmal besonders reizvolle Spiel 
endet auf der neutralen Dominantharmonie g-h-d, gefolgt 
vom rhythmischen Eingänge des Hauptsatzes: 


168 



der darauf, um seinen Anfang ston gekürzt, in den rhythmisch 
umgewandelten zweiten Takt: 



übergeht, worauf der Hauptsatz wieder beginnt. Ihn hat 
Brahms nur leicht geändert: der dritte Takt bringt in der 
Baßlinie die Nachahmung der Oberstimme; nach 8 Takten 
erfolgt die Wiederholung in es moll, sie wird aber nach 
2 Takten aufgegeben und der Satzanfang auf die ver- 
minderte Septimenharmonie der siebenten Stufe von f moll 
( e-g-b-des ) und, nach zwei weiteren Takten, von bmoll 
(a-c-es-ges) verlegt. Von hier aus bildet sich durch die 
gleiche Harmonie ein abwärts steigender Gang und in breiter 
Kadenzierung: 


»authentische“ 

Kadenzierung 



Kadenzierung 


geht der Satz zu Ende. 

Im Trio finden wir als leitendes Thema eine der schönsten 
Melodien, die Brahms je gesungen: 



Was könnte einfacher sein, als dies aus einigen Terzen- 
und Skalenschritten zusammengewobene Gebilde, dessen 
besonderer Reiz in seiner wundervollen rhythmischen 
Gliederung liegt: man achte auf den festen bestimmten 
Terzschritt des Einganges; dann ruht die Melodie 2 Takte 
lang, schreitet in gleicher Bewegung schrittweise aufwärts, 
durch zwei Terzen und einen Halbtonschritt abwärts und 
erhält einen unerwarteten weiblichen Schluß — die denk- 
bar größeste Fülle auf kleinem Raume! Man kennt das 
gleiche Dunkel der harmonischen Färbung an solchen ihrer 
inneren Art nach dieser entsprechenden Weisen Beethovens 
und Schuberts, die plötzlich, echte Kinder des Humors, 
aus den Fluten mächtiger Tonbewegung emporsteigen oder 
in jähem Wechsel Ausbrüche wohligen Behagens, be- 
glückenden Kraftgefühles oder grimmen Trotzes ablösen. 
Wer wollte da immer von bloßer „musikalischer Forderung" 
sprechen und sagen: derlei „Kontraste“ liegen im Wesen 
der Instrumentalmusik begründet. Das Entgegengesetzteste 
beeinflußt den Menschen, sein Denken und Fühlen; aus 
Leid und Freud ist das Leben gemischt. Nach seinem 
eigenen inneren Bilde gestaltete sich der Mensch die In- 
strumentalmusik. Der Künstler überwindet in seinem 
Werke beides, Weh und Wonne des Menschenschicksals. 
Indem er die Gegensätze versöhnt, die das Werk seines 
Geistes und seiner Hand durchfluten und zu künstlerischer 
Einheit zusammen strömen läßt, erhebt er uns in die Re- 
gionen eines höheren Seins, das von der gemeinen Wirk- 
lichkeit nichts weiß. So dürfen wir von der weltüber- 
windenden Kraft des Humors insbesondere in Beethovens 
Musik sprechen. 

Es wäre nicht ohne großen Wert, einmal die gegensätz- 
lichen Stimmungen, die in Br ahms * Scherzi zu Worte 
kommen, nebeneinander zu setzen und nach Möglichkeit 
mit Worten festzustellen. Die Arbeit, läßt sich an dieser 
Stelle nicht vornehmen. Vergleichen wir für einen Augen- 
blick nur einmal sein viertes Werk, das Scherzo in es moll, 
mit dem uns hier beschäftigenden Satze. Triogedanken, 
wie die beiden des op. 4, konnte Brahms hier unmöglich 








verwenden: der bohrende, pochende Ausdruck des Haupt- 
satzes dort verlangte als elementare Gegensätze den freien 
Schwung, den wundervollen Fluß des ersten, die jauchzende 
Kraftfülle und rhythmische Energie des zweiten Trio- 
themas. Hier, in op. 5, hat sich ein in wuchtig gefügten, 
aber einfachen, klaren Gedanken äußerndes Fühlen aus- 
gesprochen: der Gegensatz oder, wenn man will, der Aus- 
gleich verlangt leidenschaftslos ruhige Linien, aber gleich- 
wohl kräftige, männliche Färbung der harmonischen 
Grundierung, er heischt sozusagen Feuer unter der wenig 
bewegten Oberfläche, das im gegebenen Augenblicke 
lodernd emporschlagen muß. 

Mit diesen Worten habe ich den inneren Aufbau des im 
ganzen sehr leicht zu verstehenden Trios anzugeben ver- 
sucht. Der äußere ist dieser: der führende Gedanke um- 
faßt zwei parallele Abschnitte von je 8 Takten, die beide 
in die Dominante auslaufen, also tonal nicht abgeschlossen 
sind. Wir haben Derartiges schon oft angetroffen; auch 
die Rolle der Terz in Brahmsens Melodik ist uns schon 
aus gar manchem Beispiele klar geworden, so daß wir 
darauf hier nicht mehr einzugehen brauchen. 

Aus dem Terzschritte des Anfangs und dem pochenden, 

drängenden Rhythmus des Basses: J J J I ei- I 

geht nun die erste größere Weitung des Gedankens hervor. 
Wir bemerken diese Motivteilung: 



und ihre aufwärtsgerichtete Bewegung und sehen dann 
weiter, wie das Motiv der drei Vierteltöne in umgekehrter 
Richtung zur Beschwichtigung dient und damit wieder 
in die anfängliche Ruhelage zurückleitet: 


cifci U J 

— d— Hr 

id=— 1= 

=}— 3= -fcfj-. 1 


bft?— * ■ 0 ff» 

L y- y ^ 



1 




Dieses sequenzenhafte Weiterspinnen ist an sich nicht 
sonderlich bedeutend und reizvoll, wundervoll sind aber 
hier, wie im ganzen Satze, die Baßlinien geraten. 

Man hört oft von organischer Geschlossenheit eines 
Kunstwerkes reden, ohne daß die Sprecher sich über den 
Begriff klar zu sein scheinen. Er wird durch die Gebiete 
des Tonalen und Rhythmischen selbstverständlich nicht 
entfernt erschöpft, verlangt vielmehr vor allem die Er : 
kenntnis der Thematik und der inneren Bedeutung der 
Motive und Motivteile und schließlich volles Verständnis 
für die Syntax und für noch manches andere. Die ein- 
zelnen Erscheinungen sind . oft nicht ganz leicht aufzu- 
finden. 

Wer den Triosatz nach der Wiederholung des ersten 
Abschnittes weiter verfolgt, wird vielleicht von hier ab: 



keine Steigerung, eher (durch das auftretende Moll) eine 
Trübung des Gedankens zu finden wähnen. Darauf wäre 
.zu erwidern, daß auch der Begriff des Mollgeschlechtes 
ein relativer ist und a priori keine Trübung zu bedeuten 
braucht, daß sich aber gerade an dieser Stelle eine große 
Steigerung anbahnt. Und zwar durch die formale Aus- 
gestaltung der Stelle : dem ursprünglich achttaktigen 

Abschnitt wird die weibliche Endung (J. | J i) ge- 
nommen, er wird weiter auf 7 Takte verkürzt, der siebente 
Takt aber gleichzeitig als Beginn des nächsten Absatzes 
verwendet, der dann seinerseits durch Anhangstakte auf 
die Zahl 15 gebracht wird: 


r-fl-bfc "F t-T-er -z-n 


_ fi. I 

TL L_ L I . 


— 

T 


rrmzziz 5 r ^ x~r n i i . 

r 

F — 



usw, 


der langverhällende Ausklang bringt die nötige Wieder- 
herstellung der psychischen Gleichgewichtslage, so daß der 
Triohauptsatz sich wiederum unmittelbar anschließen kann. 
Er ist zunächst unverändert, abgesehen von der höheren 
Lage. Aber die oben erwähnten voran treibenden Kräfte 
sind nicht umsonst am Werke gewesen, also die Motiv- 
teilungen, die dynamischen Akzentuierungen, die Satz- 
zusammenziehung: sie bereiten die Rückkehr des Anfanges 
des Scherzos vor. 

Zunächst kehrt sich der zweite Abschnitt: 



von des nioll ausgehend, von dem tonalen Bezirke des 
Anfanges völlig ab und gibt die erste Fassung des Ge- 
dankens auf, indem er sich in eine gerade Linie der Ober- 
stimme auflöst (wir kennen diese Bildung, die in Brahmsens 
Musik einen äußerst aktiven Sinn bekundet). Dazu gesellt 
sich beim Ces dur- Abschlüsse das Hauptmotiv des Satz- 
beginnes, wiederholt sich zu starken Schlägen der Ober- 
stimmen, bis im fröhlichen Forte die Takte 5 ff. erscheinen, 
mit denen nun ein Spiel kräftigen Behagens anhebt: 





Dieser kurze Abschnitt geht in einen doppelten, zur Tiefe 
prasselnden Unisongang über, der die Rhythmen des 
Hauptgedankens: J 7 J' J | J J J | benutzt; zu breiten, 
aufwärtssteigenden Akkorden der Oberstimmen gesellt sich 
das Sequenzenmotiv der drei Vierteltöne, und der Ab- 
schnitt kommt auf der Dominantseptimenharmonie zur 
Ruhe. Zum Uebergange in den Anfang benutzt Brahms 
nun die aufwärtssteigende ornamentale Linie des Ein- 
ganges; er zwängt sie in eine dreimal wiederkehrende ein- 
taktige Gliederung und fügt daran jedesmal den Satz- 
anfang, der in Des dur, es moll und b moll erscheint: 



So entstehen drei viertaktige Satzteile, an deren letzten 
sich der Wiederbeginn des Scherzo imgezwungen anschließt. 

Die einzelnen Ausdrucksformen des humoristischen Gegen- 
satzes, der den Satz durchzieht, breit darzulegen, ist un- 
nötig. Man findet sie im steten Wechsel der Rhythmen, 
der tonalen Kreise, der Bewegungsarten, der melodischen 





Bildungen, der homo- und polyphonen Schreibweise u. a. m. 
Was übrigens die letztere anbetrifft, so macht Brahms 
hier von ihr nicht sehr ausgiebigen Gebrauch. Begreiflich 
genug: jede Ueberladung mit syntaktisch schwerem Ge- 
hänge würde das Bild kraftvoller Lebensfreude nur gestört, 
wenn nicht zerstört haben. (Schluß folgt.) 


Beiträge zur Lebensbeschreibung 
Johann Ladislaus Dusseks. 

Von Dr. MAX UNGER (Leipzig). 

D ie beginnende zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts führt 
bei den ausübenden Künstlern eine eigentümliche Sitte 
herauf. Wie es im Mittelalter die fahrenden Sänger, 
die Troubadours und Minnesänger hinauszog, ihre Weisen 
klingen zu lassen, so in jener neueren Zeit die Virtuosen auf 
fast allen denkbaren Instrumenten. Wollte man weiteren 
Vergleichspunkten zwischen diesen beiden Arten von Musikern 
nachspüren, so könnte man deren gewiß eine ganze Reihe 
aufdecken. Nur daran sei jedoch hier erinnert, daß beide 
dasselbe Los hatten, von der Welt, so reichlich ihnen auch 
manchmal der klingende Lohn zuteil ward, im allgemeinen 
einerseits geächtet oder doch wenigstens gering geschätzt, 
anderseits wieder — besonders von den Frauen — gern ge- 
sehen, gehätschelt und — geliebt zu sein. Während sich 
jedoch der Minnegesang lange Zeit unvermindert in musi- 
kalischer Reine und hoher Blüte erhielt — der Grund davon 
liegt in der Natürlichkeit seiner Entstehung und Pflege — , 
trug das Virtuosentum den Grund seiner Entartung schon 
von Anfang an in seinem Ziel, zu gleißen und zu glänzen. 
Nur wenige hatten die künstlerische Kraft, ihre technischen 
Fertigkeiten ihren musikalischen Anlagen dienstbar zu 
machen. Die es z. B. unter den Pianisten vermochten, 
lassen sich an den Fingern herzählen, und wenn dabei der 
Namen Clementi, Joh. Lad. Dussek und der etwas späteren 
J. B. Cramer, John Field, Ludwig Berger, Aug. Al. Klengel, 
Joh. Nep. Hummel und Jgn. Moscheies gedacht ist, von 
denen einige schon schwerlich mehr zu den eigentlichen 
Reisevirtuosen zu rechnen sind, so wird kaum ein bedeuten- 
der von der Wende des 18. Jahrhunderts übergangen wor- 
den sein. 

Von den genannten hat eigentlich nur Moscheies, und zwar 
nach seinen eigenen Tagebüchern von seiner Frau, eine aus- 
führliche Lebensbeschreibung in Buchform erhalten. Nur 
von L. Berger und — ganz neuerdings — von Field sind 
noch Denkmäler ihres Lebens in mäßigen Bändchen vor- 
handen: Von jenem aus der Feder seines Freundes L. Reil- 
stab nach eigenen Erinnerungen, von diesem aus der Heinr. 
Dessauers auf Grund selbständiger Forschungen (Musikali- 
sches Magazin, No. 44, Langensalza 1912). Dazu ist nun 
eine ziemlich umfangreiche Arbeit über Clementi vom Schrei- 
ber dieser Zeilen getreten. (Sie ist eben bei Herrn. Beyer 
& Söhne in Langensalza erschienen.) 

Die folgenden Ausführungen wollen Beiträge zur Lebens- 
beschreibung eines der andern aus dem Kreise jier bedeutend- 
sten reisenden Pianisten, Johann Ladislaus Dusseks, bieten, 
und zwar nur Beiträge aus einem bestimmten Lebensab- 
schnitt, aus den Anfangsjahren des 19. Jahrhunderts. Doch 
muß zuvor trotzdem, um das Büd zum Ganzen zu runden, 
einiges über ihn als Menschen und Künstler, sowie über 
seine Frühzeit vorausgeschickt werden. 

Mit Hinblick auf seine Persönlichkeit erinnert der spätere 
Dussek — aus seiner Jugend ist wenig über seine Wesensart 
bekannt — an den Field der späteren Jahre: Ungebunden- 
heit und Unbefangenheit im Verkehr, Ünabhängigkeits- und 
Bequemlichkeitsliebe, Neigung zu reichlichem Weingenuß und 
guter Tafel entdecken wir an Dussek ebenso wie an Field 
— bei diesem nur, wenigstens was sein um nichts beküm- 
mertes, imgeniertes Benehmen angeht, in erhöhtem Grade, 
während sich wieder Dusseks Neigung zu einem bequemen 
Leben besonders in den letzten J ahren fast krankhaft steigerte. 
Das unstete Leben mag derlei Schwächen gefördert haben; 
aber man geht fehl, wenn man daraus auf die ganze Vir- 
tuosenwelt im allgemeinen als auf eine Welt der Unge- 
bundenheit und Zügellosigkeit schließen wollte. Denn wenn 
es auch nicht von der Hand zu weisen ist, daß gerade die 
Freiheit der künstlerischen Berufe imgefestigte Naturen un- 
frei machen kann, so wird man, um bei den Klavierspielern 
zu bleiben, außer Field und Dussek schwerlich einem der 
oben angeführten einen dahingehenden Vorwurf machen 
können. Sie waren im Gegenteil, soweit wir über ihre 
Wesenseigenschaften unterrichtet sind, wohl insgesamt Men- 
schen von den besten bürgerlichen Tugenden, von sonstigen 
kleinen menschlichen Schwächen natürlich abgesehen. 


Das soll nun aber nicht bedeuten, daß Dussek und Field 
auch nur tadelnswerte Herzenseigenschaften gezeigt hätten. 
Was in dieser Hinsicht von Field überliefert ist, möge man 
bei Dessauer a. a. O. nachlesen. Ueber Dussek sei hier 
gleich vorausgeschickt, daß seine Zeitgenossen ihn als Men- 
schen von herzlichem, anhänglichem und bravem Wesen, von 
Gerechtigkeitsliebe und Unparteilichkeit schildern. „Er be- 
saß,“ sc&eibt von ihm ein Pariser Freund im Jahre 1812, 
als er der „Leipziger Allgemeinen Musikalischen Zeitung“ 
Dusseks Tod mitteilt, „keine Schwächen, als die von so über- 
mächtiger Phantasie und reizbarer Empfindung unzertrenn- 
lich, und eben um dieser ihrer Quellen willen jedem ver- 
zeihlich erscheinen ..." 

Als Klavierspieler konnten sich mit Dussek nur wenig 
messen: Nachdem Mozart gestorben war und Clementi aufs 
öffentliche Spiel — Jgegen 1800 — freiwillig verzichtet hatte, 
hätte ihm höchstens Cramer und vielleicht auch der junge 
Field den ersten Rang streitig machen können. Was man 
an Dusseks Spiel vor allem zu preisen pflegte, war dessen 
technische Sauberkeit und Bestimmthat sowie vor allen 
Dingen — hier müssen wir auch an die stärkste Seite Fields 
denken, den süßen Gesangston seines Vortrags — der tief- 
beseelte Ausdruck. Ta man hat vielleicht mit Recht be- 
hauptet, daß Dussek der erste Spieler war, der das Hammer- 
klavier zum „Singen“ brachte. Der Komponist Dussek war 
zu seinen Lebzeiten und noch jahrzehntelang nach seinem 
Tode in jedem musikalischen Hause heimisch; heute ist er 
als solcher zwar noch nicht gerade vergessen, seine Beliebt- 
heit hat aber seit einem halben J ahrhundert recht abgenom- 
men. Das ist eigentlich, wenn seine Werke denen der be- 
deutendsten Klassiker an Bedeutung auch sehr nachstehen, 
zu bedauern; denn sie sind in der Mehrzahl doch recht an- 
ständige Erzeugnisse, die, so sehr sie es auch oft mehr auf 
äußern Glanz absehen, doch meist der Anmut und auch 
eines gewissen inneren Gehaltes nicht entbehren. Wir be- 
sitzen aus seiner Feder 12 Klavierkonzerte und ein Doppel- 
konzert, über 50 Klaviersonaten zu zwei und 9 zu vier Hän- 
den, außerdem eine Fülle Kammermusik, worunter sich nicht 
weniger als 80 Violinsonaten befinden. 

Dies zur Schilderung der Wesensart Dusseks. Die folgen- 
den Ausführungen werden, wie angedeutet, Einzelheiten aus 
seinem spätem Leben bringen. Doch wird es willkommen 
sein, erst ein paar Worte über seine frühem Jahre' zu ver- 
nehmen *. 

Johann Ladislaus (eigentlich Wenzeslaus) Dussek ist am 
12. Februar 1760 (oder einige Tage früher) zu Cdslav in 
Böhmen geboren. (Die übliche Angabe seines Geburtstages 
als des 9. Februar 1761, die alle Nachschlagewerke auf- 
weisen, ist, wie ich in Erfahrung gebracht und bereits 
a. a. O. nachgewiesen habe, zweifellos falsch.) Schon mit 
jungen Jahren von seinem begabten Vater, dem Kantor 
Johann Dussik (so die amtliche Schreibweise des Namens), 
im Klavier- und Orgelspiel unterwiesen, kam er als Sopran- 
sänger unter die musikalische Obhut eines Verwandten, des 
Chördirektors ,P. Ladislaw Spinar und wurde dabei .von 
Jesuiten in den Wissenschaften unterrichtet. Nachdem er 
zwei Jahre in Kuttenberg als Organist gewirkt hatte, wurde 
er in Prag zum philosophischen Magister befördert, und nur 
dadurch, daß ihm seiner Jugend halber die Aufnahme in den 
Zisterzienserorden verweigert wurde, blieb er der Kunst er- 
halten. 

Nun trieb es den jungen Musiker hinaus in die Welt. Die 
ersten Jahre dieser Reisezeit finden wir ihn in Mecheln, 
Berg-op-Zoom, Amsterdam, dem Haag als Klavierspieler und 
-lehrer sowie als Tonsetzer. Weiter ging’s dann nach Ham- 
burg, wo er Ph. E. Bach aufsuchte, und wieder nach dem west- 
lichen Deutschland, worauf er (1786) sogar bis Polen ge- 
kommen sein soll. In demselben Jahre noch ist er in Paris, 
darauf in Italien, wo ihm ein Bruder lebte, anzutreffen. 
1788 kehrte er nach Paris zurück, ging zwei Jahre später 
nach London und lebte hier in England, nachdem er sich 
mit der Tochter des Gesanglehrers und Musikalienverlegers 
Domenico Corri vermählt natte, bald ein Jahrzehnt ge- 
ruhigen Lebens. Doch das Schicksal wollte ihm übel. Er 
hatte sich mit seinem Schwiegervater in Geschäftsange- 
legenheiten eingelassen; sein Unternehmen mißglückte aber, 
da er sich besser auf Notenschreiben als auf Banknoten 
verstand, und in Gefahr, seiner Schulden halber ins Ge- 
fängnis zu kommen, floh er nach Deutschland zurück und 
traf wohl noch Ende des Jahres 1799 oder doch zu Beginn 
des nächsten Jahres in Hamburg ein; wenigstens erwähnt 
der Hamburger Berichterstatter der „Leipziger Allgemeinen 
Musikalischen Zeitung“ ihn bereits in der Nummer vom 
5- Februar 1800 als dort anwesend. 

Hier beginnt nun der Anfang unserer ausführlicheren 
Schilderung, die aber gleich mit einer noch ungeklärten Ueber- 
lieferung einzusetzen hat. In die folgende Zeit hat man 


1 Ausführlicheres darüber ist vom Schreiber dieser Zeilen 
vor einiger Zeit in der Allgemeinen Musikzeitung mitgeteilt 
worden. 


nämlich eine geheimnisvolle Liebesgeschichte Dusseks ver- 
legt. Leider habe ich die ursprüngliche Quelle dafür noch 
nicht ausfindig machen können, sondern bin lediglich auf 
F6tis (dessen biographisches Lexikon 1862 erschien) als Ge- 
währsmann angewiesen. Bei ihm hat die ganze Sache diese 
kurze Darstellung: In Hamburg habe sich für Dussek eine 
nordische Fürstin entflammt, die ihn entführt und mit ihm 
in der Nähe der dänischen Grenze zurückgezogen (dans une 
retraite) beinahe zwei Jahre lang gelebt habe. 

Ich vermag hier nicht zu entscheiden, ob dieser Bericht 
einer tatsächlichen Grundlage entbehrt oder ob er nicht 
doch am Ende eine Irreführung oder nachträgliche Er- 
findung bildet. Indem ich aber die hier folgenden Zeit- 
angaben für diese beiden Jahre näher ins Auge fasse, möchte 
ich mich am ehesten für die letzte von beiden Ansichten 
entscheiden. Schließlich kann ja auch, sollte ihr Ursprung 
wirklich in Dusseks Lebzeiten zurückfallen, zu einer Irre- 
führung vielleicht der Umstand beigetragen haben, daß sich 
der Künstler wegen seiner Flucht aus England, soweit es 
ihm sein künstlerischer Broterwerb gestattete, geflissentlich 
etwas zurückgezogen gehalten haben mag. Jedenfalls ist 
aber das eine sicher, daß obige Notiz von einer Entführung 
und Zurückziehung Dusseks gen Norden auf beinahe zwei 
Jahre hinaus zum mindesten an starker Uebertreibung leidet. 

Die.„Allg. Mus. Ztg.“, an deren Hand wir uns auch weiter- 
hin unterrichten können, gedenkt Dusseks wieder in ihrer 
Nummer vom 5. März 1800 in ganz kurzen Worten. Ein paar 
bestimmte Daten erhält man ebenda aber erst im 4. J ahrgang 
(1802), wo ein Korrespondent für seine Konzerttätigkeit des 
Jahres 1800 den 24. Februar und den 17. April anmerkt. 

Zwar hört man erst im nächsten Jahre (1801), als er am 
5. März im Konzert eines Kammersängers Dusart mitwirkt, 
wieder von ihm, aber eine Nachricht, die aus dem Monat 
Mai dieses Jahres — immer noch aus Hamburg — stammt, 
ist von um so größerer Wichtigkeit, als sie die Bemerkung 
mit unterlaufen läßt, daß. sich der Künstler „bekanntlich 
schon seit anderthalb Jahren“ in Hamburg aufhalte. Es sei 
außerdem, da Dussek in einem bald zu erwähnenden Brief 
auch des Komponisten Himmel gedenkt, gleich hier mit be- 
merkt, daß in demselben Bericht hauptsächlich von dem 
Zusammenspiel des ersten mit diesem preußischen Kapell- 
meister auf zwei Pianoforten des ausführlichen die Rede ist. 

Ein anderer Brief Dusseks, der ungefähr in der Zeit, in 
der wir jetzt stehen — unterm 12. Juni 1801 — , aus Ham- 
burg an seinen Londoner Freund Muzio Clementi gerichtet 
wurde, ist ebenfalls noch erhalten geblieben und fand in 
„The Pianoforte Sonata“ von J. S. Shedlock (London 1895, 
S. 143 f.) Aufnahme. Da das Schreiben für uns in mehr 
als einer Beziehung von Bedeutung ist, gebe ich hier den 

S ößten Teil der ersten in französischer Sprache abgefaßten 
älfte verdeutscht wieder: 

„Ich habe Ihren Brief sowie das Handschreiben darin von 
meiner Frau mit außerordentlichem Vergnügen gelesen, und 
ich bin über das Verlangen, das Sie bezeugen, mich in 
London wiederzusehen, außerordentlich gerührt. Aber da 
ich mich nun einmal auf dem Festland befinde, so vermag 
ich dem Wunsche, meinem Vater einen Besuch abzustatten, 
nicht zu widerstehen, um so mehr, da ich ihm schon ge- 
schrieben habe, daß ich ihn diesen Sommer bestimmt auf- 
suchen werde. Ich weiß aus seinen Briefen, daß er diesen 
Augenblick als größte und vielleicht letzte Freude seines 
Lebens ersehnt; einen Greis von 70 Jahren in einer solchen 
Erwartung zu täuschen, hieße seinem Tode vorgreifen. . . . 
Mein Entschluß ist daher gefaßt, die Reise nach Böhmen 
zu machen, unterwegs Dresden. Prag und Wien mit zu be- 
suchen, wo ich, wie ich weiß, die Auslagen meiner ganzen Reise 
und mehr verdienen kann — und gegen den November nach 
London zurückzukehren. (Sie können darauf rechnen.) . . . “ 
Von weiteren Mitwirkungen Dusseks in Konzerten erfährt 
man aus dem Leipziger Fachblatt, daß dies in einer Ver- 
anstaltung des englischen Sängers Braham und der Madame 
Storace zu Ottensen bei Altona — also auch nicht weit von 
Hamburg — am 1. August 1801 sowie in einem Konzert 
des Violinspielers Jamovick am 28. November d. J. wieder 
in Hamburg selbst der Fall war. 

Der Künstler scheint sich, obgleich er schon lange die 
Absicht hatte, seine böhmische Heimat wieder aufzusuchen, 
aus mir unbekannten Gründen doch wohl längere Zeit über 
das Wohin unschlüssig gewesen zu sein. Darüber gibt der 
an Ignaz Pleyel, den Pariser Komponisten und Verleger, 
gerichtete kurze Brief, der im Origmal wieder französisch 
geschrieben und bei J. B. Weckerlin, „Musidana“ (Paris 1877, 
S. 297) wiedergegeben ist, einen deutlichen Hinweis: 

Hamburg, den 2. Februar 1802. 
„Mdn lieber Pleyel, 

Madame de Lannoy *, deren Bekanntschaft Du während 
Deines Aufenthaltes in Hamburg gemacht hattest, möchte 


1 Geborene Komtesse Looz Corswarem (1767 auf Schloß 
Gray in Brabant), gute Klavierspielerin und Komponistin 
einiger Kammermusik- und Gesangwerke (s. Fdtis). 


ein Konzert ihrer Komposition drucken lassen. Wenn Du 
die Partitur der Betrachtung unterzogen haben wirst, wirst 
Du sehen, daß es sehr glänzend und nicht schwer ist, so daß 
es einen genügend hübschen Absatz erlangen -wird, so daß 
Du auch nichts riskierst, es bei Dir stechen zu lassen, und 
außerdem wirst Du mich selbst Dir unendlich verpflichten. 

Wie bist Du mit Himmel zufrieden ? Ich ersehe aus der 
Zeitung, daß er in Paris ganz gute Geschäfte macht. Ich 
reise in kurzer Zeit nach London ab, um dort ein neues 
Konzert hören zu lassen, und gegen Ende Juni werde ich 
sicher nach Paris kommen; versieh Dich also mit einem 

f uten Vorrat an Burgunderwein, den Du mir noch schuldig 
ist und den ich am Ende doch noch bei Dir trinken werde. 
Tausend freundschaftliche Grüße an Deine Frau und 
Deine kleine Familie, 

Dein Freund 
Dussek.“ 

Recht wenig in Uebereinstimniung mit diesem freund- 
schaftlichen Schreiben steht eine von Dussek Unterzeichnete 
Anzeige im Intelligenzblatt der „Leipziger Allgemeinen Musi- 
kalischen Zeitung“, die dort noch Ende des obigen Jahres 1802 
(S. 29/30) veröffentlicht wurde. Lesen wir sie ebenfalls 1 : 

„Jedem das Seine. 

Herr Pleyel in Paris, der, seitdem er das Publikum seltener 
mit eigenen Werken beschenkt, als Verleger eine desto emsi- 

f ere und oft wunderliche Industrie nut Werken anderer 
Komponisten treibt und diese auch schon mit mehreren von 
ihm nachgestochenen Werken meiner Komposition getrieben 
hat, lies vor einiger Zeit die von mir in London unter dem 
Tittel 

Dussek's Instructions etc. bey Corri Dussek et Co. 
herausgegebene Klavierschule in französischer Uebersetzung 
drucken, und that mir die unerwartete Ehre an, sich auf 
dem Titel als Mitverfasser derselben zu nennen. Was ihn 
dazu befugte, weis ich nicht; denn einige von ihm derselben 
beygefügte, eben nicht wohl gewählte und überhaupt sehr 
entbehrliche Beyspiele konnten ihn nicht dazu berechtigen. 

Bey meiner jetzigen Reise in Deutschland finde ich cuese 
meine Klavierschule in einer deutschen Uebersetzung aus 
dem Verlag der H. [Herren] Hoffmeister und Kühnei in 
Leipzig, denen es jedoch, ich weis nicht warum, gefallen hat, 
meinen Nahmen auf dem Titel [derselben] ganz zu unter- 
drücken und H. Pleyle allein als Verfasser derselben zu nennen. 

Ohne dieses Werkchen für etwas verdienstlicheres auszu- 
geben als es ist, glaube ich [es] jedoch dem Publikum und 
mir selbst schuldig zu seyn, jene Unrichtigkeiten] zu be- 
richtigen und mein Eigenthum an demselben zu windiciren. 

Zugleich zeige ich hiedurch an, daß eine [neue] von mir 
selbst veranstaltete (deutsche), und zwar verbesserte und mit 
zweckmäßigen Beyspielen und Anmerkungen [stark] ver- 
mehrte Ausgabe meiner Klavierschule in deutscher Sprache 
(bereits) unter der Presse ist, und nächstens bey den Herren 
Breitkopf und Härtel erscheinen wird. Nur diese Ausgabe 
(allein) kann ich als die meinige anerkennen und sie den 
Musikliebhabern, empfehlen. 

Leipzig, den -- [im] November 1802 

Johann Ludwig Dussek.“ 

Ich habe diese Anzeige Dusseks hier gleich im Zusammen- 
hang mit dem Briefe an Pleyel aus genanntem Grunde 
vorausgenommen. Noch aber möchte ich kurz erwähnen, 
daß sich Dussek wohl bis in die zweite Hälfte des Jahres 1802 
in Hamburg aufhielt. Als Louis Spohr am ß. Mai d. J., 
nachdem er kurz vorher dort angelangt war, bei einem Herrn 
Kinkhöver zum Essen eingeladen war, traf er auch „Herrn 
Dussek und einige andere Musiker. Mir war dies sehr er- 
wünscht, da ich mich längst gesehnt hatte, Herrn Dussek 
spielen zu hören Herr Eck [Spohrs Lehrer] be- 

t ann mit einem Quartett eigener Komposition und entzückte 
amit alle Zuhörer. Darauf spielte Herr Dussek Clavier- 
sonaten seiner Composition, die aber nicht sonderlich zu ge- 
fallen schienen. Nun folgte ein zweites Quartett des Herrn 
Eck, welches Herrn Dussek so hinriß, daß er ihn zärtlich 
umarmte. Zum Beschluß spielte Herr Dussek ein neues 
Quintett, welches er erst in Hamburg componirte und das 
man bis in den Himmel erhob. So ganz wollte es mir aber 
nicht gefallen; denn ohnerachtet der vielen Modulationen 
wurde es am Ende ein wenig langweilig, und das Uebelste 
war, daß es weder Form noch Rhythmus hatte, und man 
das Ende eben so gut zum Anfang hätte machen können.“ 

> 1 Ich gebe die Anzeige hier nach der sorgfältigen Abschrift, 
die mir Herr Jan Kozäk in Cäslav nach aer im Besitze des 
Herrn Rektor Cermäk (Konservators in Cäslav) befindlichen 
Handschrift freundlicherweise anfertigte. Wesentliche Ab- 
weichungen des Druckes von der Handschrift sind in eckige 
Klammern gesetzt; gerundete deuten an, daß das Wort nur 
in der Handschrift, nicht im Drucke steht. In jener befindet 
sich übrigens außer dem oben mitgeteilten Schluß noch ein 
nur wenig abweichender Entwurf davon, der aber über- 
gangen werden soll. 




J. L. DUSSEK. 


Und weiter erzählt der bedeutende Geiger an derselben 
Stelle, in seiner Selbstbiographie, über einen Streit zwischen 
Eck und Dussek, der infolge eines von diesem und den in 
Hamburg wohnenden Engländern veranstalteten Konzertes 
wegen einer Geringfügigkeit ausbrach, so daß Spohr samt 
seinem Lehrer überhaupt nicht daran teilnahm, Lesen 
wir nur das Wenige, was bei Spohr über Dusseks Tätigkeit 
in der Probe am 3. Juni geschrieben steht: 

Zuerst probierte Herr Dussek eine von ihm für dieses 

Fest componirte Cantate, die auf mich eine außerordentliche 
Wirkung machte, da sie nicht allein gut geschrieben und 
vortrefflich einstudirt war, sondern auch durch die Mit- 
wirkung einer großen Orgel, die njan im Hintergründe des 
Orchesters aufgestellt hatte, und durch die Execution in 
stiller Nacht etwas so Feierliches bekam, daß man ganz hin- 
gerissen ward.“ 

Was Dussek sich schon im vorigen Jahre und vielleicht 
noch früher vorgenommen hatte, nämlich seinen alten Vater 
in Cäslav wiederzusehn, verwirklichte er in der zweiten 
Hälfte des Jahres 1802. Von dieser Zeit scheint Dlabaöz 
wieder nicht genau unterrichtet zu sein, da seine Angaben 
nicht mit andern verbürgten Nachrichten übereinstimmen. 
Wahrscheinlich dürfen wir aber als der Tatsache entsprechend 
übernehmen, daß sich Dussek . bei seinen Eltern in seinem 
Geburtsort einige Monate aufgehalten habe. Jedenfalls ist 
nach der „Allgemeinen Musikalischen Zeitung“ sicher, daß 
er am 26. Oktober 1802 in Prag ein Konzert gab, sich aber 
schon im November d. J. auch in Leipzig hören ließ. 

Fesselnd ist das. was der bekannte Prager Klavierlehrer 
Wenzel Tomaschek in seiner Selbstbiograpnie (in der Zeit- 
schrift „Libussa“, 1845) über das Dusseksche Konzert und 
sein Zusammentreffen mit dem Spieler berichtet. Im Jahre 
irrt sich der Schreiber indes gewaltig: 

„Im Jahre 1804 (?] kam mein Landsmann Dussek nach 
Prag, mit dem ich auch bald bekannt wurde. Er gab im 
Konviktsaale eine sehr gut besuchte Akademie, die er nach 
der Ouvertur mit seinem Militär- Konzert 1 eröffnete, worüber 
das Publikum schon nach den ersten paar Takten des Solo 
in ein allgemeines „Ah!“ ausbrach. Es war aber auch Etwas 
zauberhaftes, wenn Dussek bei seiner anmuthsvollen Aeußer- 
lichkeit dem Instrumente durch wundervollen Anschlag 
liebliche und zugleich markige Klänge entlockte. Seine 
Finger' glichen einem Verein von zehn Sängern, die bei ihrer 
durchaus gleichen Technik alles, was ihr Beherrscher nur 
wollte, pünktlich ausführten. Ich sah noch nie das Prager 
Publikum so entzückt, wie damals bei Dusseks glanzvollem 
Spiel. 

Sein richtig deklamatorischer Vortrag, besonders der von 
cantabileh Sätzen, bleibt als Ideal für jede Kunstleistung, 
das kein Klavierspieler nach ihm noch erreichte. 

* D. i. sein „Grand concert militaire pour le Pianoforte, 
avec Accompagnement (ad libitum) de deux Violons Alto 
deux Obois, deux Flütes, deux Clarinettes, deux Cors et une 
Basse, ainsi qu’il a et£ exäcute au Concert de l’Opera et 
dans les Oratorio ou Theatre de Covent-Garden. Ooera 40 
ä Paris, 1800.“ 


Seine Phantasie, die meistentheils in gebrochenen Akkorden 
bestand, war ohne allen Werth, bis auf das Rondo aus einer 
C moll-Sonate, mit dem er die Phantasie beschloß. Dussek 
war auch der Erste, der das Pianoforte der Quere nach stellte, 
was unsere Klavierhelden bei ihrem Gaukelspiel immer noch 
treulich befolgen, wenn ihnen auch ein interessantes Profil 
dazu mangelt. 

Ich opferte meinem Landsmann viel Zeit, ich opferte sie 
ihm gerne, dagegen spielte er mir die meisten seiner schweren 
Sonaten vor, wobei ich rücksichtlich des Anschlags sehr viel 
gewann. Um auch mein Kompositionstalent kennen zu 
lernen, besuchte er mich ebenfalls, und da er seine Besuche 
mehrmal wiederholte, so konnte ich mit Recht daraus 
schließen, daß ihm mein musikalisches Wirken nicht unan- 
genehm ist; auch spielten wir nicht selten vierhändige Sonaten 
zusammen. . . 

Im November 1802 1 befand sich Dussek, wie auch bereits 
erwähnt, in Leipzig. 

Von da aus führte ihn sein Weg nach Braunschweig, wo 
er das neugegründete Konzert eines seiner Schüler, namens 
Le Gaye, am 18. Dezember einweihte und auch bald wieder 
in einer der nächsten dieser Veranstaltungen spielte, sowie 
ein eigenes Konzert gab (s. „Ztg. für die elegante .Welt“, 
1803, S. 86). 

Von seinen Aufenthaltsorten des folgenden Jahres 1803 
vermag ich nur Weniges zu berichten. Zu Anfang muß er 
sich wieder eine Zeitlang in Hamburg aufgehalten haben. 
Wenigstens ging ein im Mai 1803 von Breitkopf & Härtel 
an ihn gerichteter, geschäftliche Dinge berührender Brief, 
dessen auszugsweise hergestellte Kopie einzusehen mir von 
dieser Firma freundlichst gestattet wurde, nach jener Stadt. 
Dussek schien übrigens immer noch nicht die Hoffnung auf- 
gegeben zu haben, nach London zurückkehren zu können, 
da ihn die Leipziger Verleger, wie aus der Abschrift hervor- 
geht, bereits daselbst vermuteten. 

Anfangs des Jahres 1804 war Hamburg immer noch sein 
Aufenthalt; aber bald gab er ihn endgültig auf. Zwei Briefe 
aus dieser Zeit, die mich die Herren Breitkopf & Härtel be- 
reitwilligst zum Abdruck einsehen ließen, geben einigen Auf- 
schluß über sein Tun und Treiben und stellen ihn uns zu- 
gleich auch einmal als seiner Muttersprache sich bedienenden 
Briefschreiber vor. Der erste davon lautet: 

„Hamburg den 20 January 1804 
Werthester Freund! 

Ich habe Ihren werthen Brief just in dem Augenblick 
empfangen, wie ich in den Wagen stieg um eine kleine Visite 
nach Lübeck zu machen. Ich bin heute früh von da zurück, 
und da die Post noch von hier nach Leipzig in einen Augen- 
blick abgehet, so habe ich nur die Zeit Ihnen zu melden, 
daß i c h, in Rücksicht auf unsere weitere Connexion, die 
von Ihnen offerierten 30 Ducaten, für die Ihnen zugeschickten 
3 Manuscripte annehme — die Exemplairs von meiner 
Klavierschule, und Concert, hab ich richtig erhalten, und 
bin mit der Herausgabe äußerst zufrieden — Die von mir 
erhaltenen 15. Ducaten, nehme ich auch (: aus obenbenannter 
Rücksicht :) als völlige Bezahlung der alten Rech- 
nung an, — da ich ganz positive diesen Sommer nach Leipzig 
konnne, so wird es gelegener seyn und [um?] über mein 
künftiges Pro] ec t mündlich, als jetzt schriftlich zu besprechen, 
— Ich reise von hier in 8 höchstens 10 Tagen nach Berlin, 
also bitte ich Sie inständigst mir mit derzuruckkehren- 
d e n Post die Anweisung auf die 30 Ducaten zu schicken, 

lc ^ so lange warten werde bis ich Ihren Brief erhalten, 
und meine Abreise nach Berlin sehr preßant ist — verzeihen 
Sie meiner großen Eile, und seyen Sie meiner wahrhaften 
Hochschätzung versichert — 

Ihr ergebener Freund 

J. L. Dußek 
chez Mssrs. Vidal & Co. 

_ „.. , Hambourgh“ 

Der Künstler traf dann bald in Berlin ein, wo er zwei 
Konzerte (das erste am 18. März) veranstaltete. Von dort 
aus wandte er sich wiederum an die Leipziger Firma mit 
folgendem Schreiben: 


„Herrn Breitkopf und Härtel 

Berlin den 25. April 1804 
Mein vereintester Freund! 

Ich habe Ihren Brief vom 24. January erst hier in Berlin 
erhalten, und folglich die 30 Ducaten beym Buchhändler 
Bohn in Hamburg nicht haben können, und da ich mein 
Project, noch yot diesem Sommer nach Hamburg zurück- 
zukommen, geändert hab, und diese kleine Summe dort 
nicht heben kann, so habe ich einen Wechsel auf 14 Tage 
nach dato, an die Ordre der Herrn Gebrüder Bönecke auf 


Diese Zeitangabe steht zu einer andern, die in einer Kon- 
zertbesprechung der „Zeitung für die elegante Welt“ (1802, 
No. 139) enthalten ist, im Widerspruch. Ihn befriedigend 
zu lösen, sei einem künftigen Verfasser von Dusseks Lebens- 
beschreibung überlassen. 


172 



Sie gezogen, welchen ich Sie bitte zu honoriren, — den^Werth 
von 30 Ducaten haben mir die H. B. [Herren Bönecke] schon 
hier ausgezahlt — Ich reise in 8 Tagen mit dem Printzen 
Ludwig nach Magdeburg, und gegen Ende July komme ich 

f anz gewiß nach Leipzig — Die Exemplars von dem Quattuor 
abe ich richtig erhalten, da sind aber in der Piano Forte 
Partie, und besonders in den andern Instrumenten, viele, 
und einige sehr wichtige Fehler, ich bitte dahero daß 
dieses Werk ohne Verzug noch einmahl Corrigirt wird, da 
es sonsten in Discredit fallen könnte, in dem Manuscript, 
das ich Ihnen geschickt habe, sind gewiß keine — 

— Ich habe von Ihren Instrumenten hier überall ge- 
sprochen, und Sie können sich darauf verlassen, daß wenn 
man welche braucht, man sie auf Sie addressiren wird — 
— Ich freue mich herzlich darauf diesen Sommer ein gutes 
Glas Champagnier mit Ihnen zu trinken, und Ihnen münd- 
lich zu sagen wie sehr ich bin 

Ihr ergebener Freund 
Dussek.“ 

* * 

* 


In den ersten Berliner Aufenthalt Dusseks scheinen seine 
engen freundschaftlichen Beziehungen zu dem im letzten 
Brief von ihm selbst erwähnten, hochbegabten Prinzen Louis 
Ferdinand (eigentlich Friedrich Ludwig) von Preußen zu 
fallen, Beziehungen, die sowohl für jenen hinsichtlich seines 
Verweilens als auch für diesen in Rücksicht auf seine musi- 
kalische Fortbildung — denn er verschmähte es durchaus 
nicht, in Dussek auch seinen I^ehrer zu erblicken • — bestim- 
mend wirkten. Wie diese Beziehungen eingeleitet wurden, 
entzieht sich zwar der Kenntnis. Immerhin darf man aber 
geneigt sein, zu glauben, daß sie auf Dusseks Bekanntschaft 
mit dem Fürsten Radziwill, dem Schwager des Prinzen, 
zurückzuführen sind. 

Die erste bestimmte Nachricht von diesem Freundschafts- 
bund Dusseks mit dem fürstlichen Künstler, der als Kompo- 
nist wie Klavierspieler gleich begabt war, dürfte uns, außer 
Dusseks eigenen Worten in dbigem Briefe, Spohr in seiner 
Schilderung eines musikalischen Abends bei dem Prinzen 
überliefert naben. Sie gehört in den Anfang seiner Berliner 
Zeit vom Beginn des Jahres 1805 und lautet in ihrem wichtig- 
sten Auszuge wie folgt: 

„Wir fanden dort einen vornehmen Cirkel besternter Herren 
und geputzter Damen, sowie die vorzüglichsten Künstler 
Berlins versammelt. Auch traf ich einen früheren Bekannten 
von Hamburg, den berühmten Claviervirtuosen und Com- 
ponisten Dussek, der jetzt Lehrer des Prinzen war und bei 
ihm wohnte. Die Musikpartie begann mit einem Clavier- 
quartett, welches von ihm in acht künstlerischer Vollendung 
vorgetragen wurde. Dann folgte ich. Gewitzigt durch den 
neuuchen, Mißgriff [Er hatte beim Fürsten Radziwill ein 
Quartett von Beethoven ausgesucht, aber damit die ver- 
diente Würdigung nicht gefunden], wählte ich heute nur 
solche Compositionen, mit denen ich als Geiger glänzen 
konnte, nämlich ein Quartett und die G dur -Variationen von 
Rode. Mein Spiel fand den lautesten Beifall, und besonders 
schien Dussek davon hingerissen zu sein. Auch meine ge- 
liebte Rosa erwarb sich durch den Vortrag einer .Arie, die 
- ihr Dussek auf dem Clavier accompagnirte, allgemeine An- 
erkennung.“ ' 

Der weitere Verlauf der Schilderung Spohrs gilt dem sich 
anschließenden Mahle, wovon sich jedoch der Erzähler mit 
Rosa Alberghi, seiner oben genannten Begleiterin, heimlich 
fortschlich, da ihn die Gesellschaft der Damen, die, wie er 
bemerkt habe, nicht vornehmen Kreisen, sondern dem Ballette 
angehörten, unangenehm berührten. „Am anderen Tage,“ 
so endigt die Schilderung, „sagte man mir, daß des Prinzen 
Musikpartien gewöhnlich mit solchen Orgien schlossen. 

Dussek hatte sich dem Prinzen nun voUstendig angeschlos- 
sen — er wich bis zu dessen allzufrühem Tode in der Schlacht 


bei Saalfeld nicht mehr von seiner Seite. So machte er in 
den Monaten Juli und August dieses Jahres I „ 8 ° 5 .^ 1 ,^ ag ^ s 
bürg, in dessen Nähe auch des Prinzen Gut f^f keinelWegs 
Manöver mit, während dessen der Prinz aber r ke: es g 
auf seine Neigung zum Musizieren Verzicht leiste L u nsc hweig 
mußte sich daher an Spohr der damals m Braun«:! 1 eg 

angestellt war, wenden, daß der ^ h z u sehen 

Mitspieler in seinem musikalischen Zirkel be T ihpti : n 
wünsche. Und Spohr schildert das Leben und Treiben in 

seiner lebendigen Weise wie folgt: „ . „ Hause 

„Ich reiste . . nach Magdeburg und and m dein : Hause 
welches der Prinz für sich und sein Gefolge hatte emric 
lassen fluch cm Zimmer für mich. , i e 

Ich führte nun ein sonderbares, wild bewegtes ^be > 
aber meinem jugendlichen Geschmack ^rkurze wurc j e g ich 

gut zusagte, oft ÄrocE 

wie auch Dussek aus dem x>ette gejagt 
und Pantoffeln zum Prinzen m den 

wo dieser bei der damals herrschenden großen Hitze in n^n 
leichterem Costüm , gewöhnlich &emd jmd Unt^h^e 

bekleidet, bereits vor dem Pianoforte saß. Nun Degann a 


Einüben und Probiren der Musik, die für den Abendzirkel 
bestimmt war und dauerte bei des Prinzen Eifer oft so lange, 
daß sich- unterdessen der Saal mit besternten und mit Orden 
behängten Offizieren angefüllt hatte. Das Costüm der Musi- 
cirenden contrastirte dann sonderbar genug mit den glänzen- 
den Uniformen der zur Cour Versammelten. Doch das 
genirte den Prinzen nicht im Geringsten, und er hörte nicht 
früher auf, als bis alles zu seiner Zufriedenheit eingeübt war. 
Nun wurde eilig Toilette gemacht, ein Frühstück eingenom- 
men und dann zum Manöver hinausgezogen. . . . 

Doch bald wurde der Prinz aus seinem Magdeburger Exil 
zurückberufen, und ich konnte daher, von ihm mit freund- 
lichem Danke entlassen, nach Braunschweig zurückkehren. 
Dussek sagte mir beim Abschiede, der Prinz habe die Ab- 
sicht gehabt, mir auch ein Honorar zuzuwenden, es sei aber 
jetzt solche Ebbe in seiner Kasse, daß er es für eine spätere, 
günstigere Zeit verschieben müsse. Diese trat jedoch nie ein, 
da der Prinz schon im folgenden Tahre in einem Gefechte 
bei Saalfeld einen frühen Tod fand . . .“ 

Ueber die Zeit bis zu des Prinzen Tode vermögen wir uns 
aus einem vergessenen kurzen Memoirenwerk zu unterrichten, 
das mit besonderer Liebe darauf eingeht und den Titel hat: 
„Aus Karls von Nostitz . . .Leben und Briefwech- 
sel. Auch ein Lebensbild aus den Befreiungskriegen“ 
(Es ist von einem Freunde des Schreibers, der sich „S. ab- 
kürzt, zu Dresden und Leipzig im Jahre 1848 herausgegeben 
worden.) 

Nostitz kam scheinbar gegen Ende dieses Sommers in' das 
Haus des Prinzen und bald auch als Adjutant in dessen 
Dienste und war daher im Stande, seines Herrn Tun und 
Lassen mit treuen Zügen zu überliefern. Durch ihn wissen 
wir denn, daß der Prinz gegen Ende des Jahres mit seinem 
Gefolge wieder nach Schrike ging, diesmal, um seiner anderen 
Leidenschaft, der Jagd, nachzuhängen. Wenn da die Gesell- 
schaft um 5 Uhr zurückgekehrt war, begann um 6 Uhr die Tafel. 

„Hier erwarteten uns“, plaudert Nostitz, „Frauen und die 
Gesellschaft munterer Männer, welche, während wir auf’ der 
Jagd waren, sich versammelt hatten. Ausgewählte Speisen 
und guter Wein, besonders Champagner, den der Prinz vor- 
züglich liebte, stillten Hunger und Durst, doch das Mahl, 
in antikem Styl gefeiert, wurde durch Musik und den Wechsel 
heiterer Erholung weit über das gewöhnliche Maß verlängert. 
Neben dem Prinzen stand ein Piano. Eine Wendung, und 
er fiel in die Unterhaltung mit Tonaccorden ein, die dann 
Dussek auf einem andern Instrument weiter fortführte. So 
entstand oft zwischen Beiden ein musikalischer Wettkampf, 
ein musikalisches Gespräch konnte man es nennen, das alle 
durch Worte angeregte Empfindungen der Seele in bezaubern- 
den Tönen lebhafter fortklingen Heß.“ 

Und in der Folge plaudert er des weiteren von den unter 
Karten- und Würfelspiel in Gesellschaft von Frauen ver- 



EOUIS FERDINAND, PRINZ VON PREUSSEN. 


173 


brachten Stunden, die oft bis zum späten Morgen ausgedehnt 
wurden. — 

Da Dusseks Aufenthalt, wie man anzunehmen berechtigt 
ist, stets in des Prinzen Nähe war — Nostitz berichtet natür- 
lich nur ab und zu von Dussek — , so dürfen wir hier den 
Weg Louis Ferdinands unbedenklich als von beiden Künst- 
lern eingehalten betrachten. 

Nach dem Aufenthalt zu Schrike ging es also über Magde- 
burg (wo des Prinzen Regiment lag) und Wettin zurück 
nach Berlin. 

Nach einigem Verweilen mußte der Prinz, da sich die 
politischen Verhältnisse mehr und mehr zuspitzten, noch im 
November 1805 in das Hauptquartier des Fürsten von Hohen- 
lohe-Ingelfingen gehen und nach der unglücklichen Schlacht 
bei Austerlitz mit der Vorhut ins Erzgebirge rücken. Sein 
Hauptquartier schlug er in Zwickau auf; in seinem Gefolge 
waren nach unserem Gewährsmann außer diesem hauptsäch- 
lich „der Hauptmann Kleist, der Rittmeister Möllendorf, der 
Kapellmeister Dussek und der sächsische Husaren-Rittmeister 
Thielemann“. Ein paar wichtige wörtliche Notizen werden 
hier willkommen sein: 

„Neben den laufenden Geschäften des Tages componirte 
der Prinz in jener Zeit seine schönsten Musikstücke . . . 

Wir Anderen vom Schweif überließen uns lüerbei ganz 
unseren Neigungen . . . Möllendorf strich die Geige, und 
Thielemann schlich herum mit dem Anstand militärischen 
Freimuths; Dussek war. wenn er nicht Clavier spielte, mit 
der Pflege seines Bauches befangen, denn dieser sonst so 
interessante Mensch lag ganz in den Banden thierischer 
Wünsche.“ 

Für des Prinzen Privatleben, die Orgien und Bac- 
chanalien, die ihm manche (darunter ja auch Spohr) nach- 
gesagt haben, hat Nostitz nur warme Worte der Vertei- 
digung. So sagt er von seinen geselligen Abenden auch 
an dieser Stelle: „Wer in Zwickau an diesen anmuthigen 
Abenden Theil genommen, sage freimüthig, ob Bacchanalien 
gefeiert worden, wie eine aberwitzige Welt hat ausbringen 
wollen, weil Wein getrunken wurde und ein guter Koch aus- 
gewählte Speisen zubereitete. . . .“ 

Als anfangs des Jahres 1806 eine Stauung in der Politik 
der feindlichen Parteien eintrat, kehrten die Heere in ihre 
Standquartiere und der Prinz nach Berlin zurück; er nahm 
jedoch bald wieder in Magdeburg und Schrike seinen Auf- 
enthalt, den er am Ende des Frühjahrs mit Moabit bei Berlin 
vertauschte, wo er eine Sommerwohnung an der Spree bezog. 
Hier trafen sich Joh. v. Müller, Humboldt, die Rahel und 
viele andere Persönlichkeiten von Bedeutung. Und wenn 
Nostitz auch Dussek nicht namentlich aufführt, so dürfen 
wir auch ihn wieder an des Prinzen Seite vermuten; denn 
„der Prinz spielte fast jeden Abend Quartets, wobei Möllen- 
dorf die erste Geige strich und uns am Schluß durch sein 
lustiges Wesen unterhielt. . . 

Am Ende des Sommers wurde die politische Lage von 
neuem kritisch. Prinz Louis Ferdinand mußte Berlin ver- 
lassen und sich nach Dresden in das Hauptquartier des 
Fürsten von Hohenlohe begeben. Dieser rückte nach Oederan 
vor, wo sich ihm der Prinz wieder anschloß, der, um in 
Eisenberg beim Fürsten Lobkowitz seine österreichischen 
Freunde zu begrüßen, einen kleinen Abstecher nach Böhmen 
gemacht hatte, und zog weiter über Chemnitz nach Jena, 
wo man Ende September anlangte. 

Auch Dussek war mitgekommen. Am 4. Oktober schrieb 
er einen zufällig erhaltenen, bei Shedlock a. a. 0 . mit- 

f eteilten, englischen Brief an den Londoner Verleger 
lirchal, dem er darin drei Streichquartette anbot. Sie seien 
„weder im Stil Mozarts, noch Haydns, noch Pleyels, sondern 
im Stil Dusseks“ gehalten und er wolle sie „to His Royal 
Highness the Prince Louis of Prussia,“ mit dem er sich in 
diesem Augenblick in der Armee gegen die Franzosen befände, 
widmen. Wohl in einem Anflug von übermütigem Scherz 
hat er sich als „Privy Secretary to His Royal H.» the Prince 
Louis of Prussia“ unterzeichnet. 

Von Jena ging es weiter nach Rudolstadt, wo der Prinz 
am 7. Oktober anlangte und im Schlosse mit einer Em- 
pfangsfestlichkeit begrüßt wurde. 

„Der kleine Fürst [von Rudolstadt] trieb es lustig nach 
seiner Art, bis ihm der Wein zu Kopfe stieg. Die Fürstin, 
eine anstandsvolle, verständige Dame, entzog das wilde 
Männchen dem öffentlichen Skandal, indem sie sich mit der 
ganzen fürstlichen Familie in die inneren Gemächer zurück- 
zog. Der Prinz folgte ihr und spielte noch, zum Entzücken 
und zur Verwunderung der Zuhörer, über eine Stunde im 
freien Laufe der Gedanken auf dem Piano. Das war sein 
Schwanengesang !“ 

Drei Tage darnach fiel Prinz Louis Ferdinand auf dem 
Felde der Ehre im Gefecht bei Saalfeld. Dussek war tief- 
gebeugt über seines fürstlichen Freundes unglückseliges 
Schicksal. Seinem Schmerz verlieh er in einer Elegie 1 Aus- 

1 Titel des Erstdruckes: „Elegie Harmonique / sur la 
Mort / de Son Altesse Royale le Prince Louis Ferdinand de 


druck, die, ein Andenken an den Gefallenen und dessen 
Freund, dem Fürsten Lobkowitz, gewidmet, für eine der 
besten Kompositionen des Künstlers gilt. Das Nachwort 
des ersten Druckes bestätigt die Vermutung, daß Dussek 
seinem hohen Schüler Schritt für Schritt gefolgt war: 

„Son Altesse Royale le Prince Louis Ferdinand / de Prusse 
a 6te tue ä l’affaire le Saalfeld de 10 / Octobre 1806. L’auteur, 
qui a eu le bonheur de jouir / du commerce tres-intime de 
S. A. R. ne l’a quitte qu’au moment, ou il a vers6 son 
precieux sang / pour sa patrie. — “ 

Eine Beschreibung des Prinzen als Musiker, die Dussek 
der „Allg. Mus. Ztg.“ zu geben versprach, ist leider unter- 
blieben. 

* * 

Der Tod seines edlen Gönners wies Dussek fürs erste wieder 
auf sich selbst an. Doch nach etwa einem Jahre nahm er 
neue Dienste bei einem Fürsten von Isenburg, wo er aber 
nicht lange ausharrte, und von 1808 an findet man ihn als 
Kapellmeister bei dem Fürsten Talleyrand in Paris. Seine 
Verbindlichkeiten beschränkten sich da aber wohl haupt- 
sächlich auf den Unterricht der Töchter des Fürsten. Im 
übrigen ließ Talleyrand dem Künstler freie Hand in all 
seinem Tun, und er war so edelmütig, ihm das Leben so 
angenehm, d. h. bei Dussek bequem wie möglich zu machen, 
ließ ihn vor allem über eine geräumige Behausung und eine 
vorzüglich gedeckte Tafel verfügen. Von Paris aus leitete 
Dussek auch die bei Breitkopf & Härtel in Leipzig heraus- 
zugebende Ausgabe der Werke des Prinzen Louis Ferdinand, 
und zwar in der Weise, daß er nicht bloß den Stich beauf- 
sichtigte, sondern auch die Handschriften schon verbesserte, 
bevor sie zum Stich gegeben wurden; denn der Prinz hatte 
zwar über einen reichen Gedankenflug aber nicht so sehr 
über die theoretischen Vorkenntnisse verfügt. Sonst soll 
sich aber bei 'Dussek gerade in diesen letzten Lebensjahren 
der Hang zur Bequemlichkeit zu einem krankhaft zu be- 
zeichnenden Phlegma gesteigert haben, und daraus erklärt 
es sich auch, daß bis zum Jahre 1809 nur spärliches, später 
überhaupt nichts mehr über seine Beteiligung an Konzerten 
berichtet wird. Auch scheint sein Schaffen in diesen Jahren 
sehr erlahmt zu sein. 

Am 20. März 1812 starb er in Paris. Den Sterbetag hat 
ein guter Freund Dusseks an die „Allgemeine Musikalische 
Zeitung“ wohl richtig mitgeteilt. Eine Ueberlieferung besagt 
jedoch, daß St. Germain-en-Laye sein Sterbeort gewesen sei. 
Das erscheint aber wohl zweifelhaft, da der sonst sehr aus- 
führliche Bericht aus Paris in dem Leipziger Fachblatt 
darüber nichts verlauten läßt. Ich habe versucht, die Todes- 
urkunde ausfindig machen zu lassen. Es ist*mir indes nicht 
gelungen. Vielleicht ist ein anderer, der in Paris wohnt, so 
glücklich, sie zu finden. 


Tonsetzer der Gegenwart. 

Franz Schreker. Sein Leben und Schaffen. 

K aum mehr als ein Jahr ist’s her, daß im August 1912 die 
Oper eines bis dahin in uneingeweihten Kreisen noch 
völlig unbekannten Komponisten, Franz Schrekers „Der 
ferne Klang“ in Frankfurt a. M. zur Uraufführung kam, und 
heute zählt Franz Schreker bereits zu den hervorragendsten 
und verhei ßungs vollsten Opernkomponisten der Gegenwart. 
Inzwischen ist seine zweite Oper „Das Spielwerk und die 
Prinzessin“ in Wien und in Frankfurt gleichzeitig aufgeführt 
worden, und da Schreker weitere musikalische Kreise durch 
neue dramatische Tonwerke beschäftigen wird, werden 
folgende, des Komponisten bisheriges Leben und Schaffen 
behandelnde Zeilen nicht unwillkommen sein, um so mehr, 
als wir uns hierbei auch auf uns jüngst zugekommene m ü n d - • 
liehe un d persönliche Aeußerungen Schrekers stützen 
können, die uns den Musiker, Pädagogen und Menschen in 
seiner ganzen Universalität und von interessantester Seite 
zeigen. 

Franz Schreker wurde am 23. März 1878 in Monaco geboren. 
Schon frühzeitig kam er nach Wien, wo er seine musikalische 
Ausbildung am Konservatorium — jetzt k. k. Akademie für 
Musik usw. — erhält. Sein Lehrer war Robert Fuchs. Bereits 
während dieser Zeit hört man von dem besonders begabten 
Zögling allerhand Verheißungsvolles. Nach Beendigung seiner 

Prusse / en Forme de / Sonate pour le Piano-Forte / com- 
pos6e et d6di6e / ä Son Altesse le Prince de Lobkowitz, Duc 
de Raudnitz / par / J. L. Dussek. / Oeuv. 61. Pr. 1 Rthlr: / 
Leipsic / chez Breitkopf & Härtel. /“ Dieser Titel sowie 
das Nachwort nach der mir freundlichst von Herrn Biblio- 
theksdirektor Prof. Dr. A . Kopfermann in Berlin hergestellten 
Abschrift. — 


174 



Studien schafft er schon eine Reihe größerer Werke, die vor- 
zügliche Eigenschaften erkennen lassen : Temperament, Freude 
am Klang und ein entschiedener dramatischer Zug kommt 
darin zum Ausdruck. Schreker begann bereits die Aufmerk- 
samkeit weiterer Kreise auf sich zu lenken, als er sich plötz- 
lich von der Oeffentlichkeit zurückzog. Die weiteren Jahre 
galten der Entwicklung des Menschen und Künstlers. Als er 
wiederkam, gründete er den „Philharmonischen Chor“ und 
schuf damit eine im Wiener Musikleben noch fehlende musika- 
lische Vereinigung, deren Hauptziel in der stilgerechten Wieder- 
gabe moderner und modernster Werke bestand. 
Was Franz Schreker mit diesem Chore trotz der Kürze seines 
Bestehens und trotz der bescheidenen materiellen Fundierung 
erreichte, verdient jedenfalls allgemein bekannt und anerkannt 
zu werden. Wir erinnern nur daran, daß der „Philharmonische 
Chor“ unter ihm Arnold 
Schönbergs „Gurrelieder“ zur 
bedeutungsvollen Urauffüh- 
rung brachte und weder an- 
gestrengteste Proben noch 
Aufwendung der größten ma- 
teriellen Mittel scheute, um 
diesem Lebenswerke Schön- 
bergs endlich einmal zu sei- 
nem Rechte zu verhelfen. 

Andere hervorragende I/ei- 
stungen waren: Frederik De- 
lhis: „Eine Messe des Lebens“, 

„Paris“ und „Sea-Drift“, 

Gustav Mahler: „Klagendes 
Lied“, Schillings: „Hocnzeits- 
lied“, Alex. v. Zemlinsky: 

„23. Psalm“, J. V. v. Wöß: 

„Heiliges Lied“, Schumann- 
Pfitzner: „Acht Frauenchöre“ 
usw. Franz Schreker ist ein 
moderner Musiker durch 
und durch. Mag er in 
dieser Hinsicht auch nicht so- 
weit gehen, als dies bei Ar- 
nold Schönberg der Fall ist, 
dem er stets ein verständ- 
nisvoll entgegenkommender 
Interpret gewesen ist, so wan- 
delt er doch in allen seinen 
Werken — und diese er- 
strecken sich auf alle Gebiete 
musikalischer Komposition — 
neue Banhen ; stets spricht er 
eine eigene, und zwar eine 
sehr eindringliche, vom fein- 
sten musikalischen Verständ- 
nisse geleitete Tonsprache, 
die als Ausdruck einer wahr- 
haft echten Empfindung an- 
zusehen ist. Seine Stellung- 
nahme zur musikalischen Mo- 
derne charakterisierte er uns 
mit nachfolgenden Worten: 

„Wie ich mich zur modernen 
Musik verhalte, weiß jeder, 
der die Programme des .Phil- 
harmonischen Chores” seit sei- 
ner Gründung verfolgt. Ich 
schätze manche Komponisten, 
die von der Oeffentlichkeit • 

wenig beachtet werden, höher ein als andere, deren Ruhm 
bereits heute für die Ewigkeit antizipiert wird. Selbstverständ- 
lich entspricht nicht alles, für das ich als Dirigent emzutreten 

genötigt bin, meiner Geschmacksrichtung. Ich bemühte 

mich aber seit je, mir eine gewisse Objektivität zu bewahren, 
wie ich es ja auch vereinbar finde, Wagner oder Bruckner 
zu ^lieben, ohne darum Brahms zu hassen.” 

Schreker hat bereits auf allen Gebieten 



FRANZ SCHREKER. 


Streben nach Höhe; in seinen späteren lyrischen Schöpfungen 
(fünf Gesänge aus den „Tausendundein Nächten“) scheint 
der Komponist bereits eine ganze Entwicklung hinter sich zu 
haben. Es sind Lieder von tiefdunkler, friedloser, leiden- 
schafts-durchwiihlter Ausdrucksweise, voll schwerer, stark 
melancholischer Stimmungen. In No. 4 verzichtet der Ton- 
dichter gänzlich auf den vorgeschriebenen Takt und überläßt 
den beiden nachschaffenden Interpreten völlig die rhythmische 
und metrische Ausdeutung. Diese Lieder, deren Harmonik 
von ungewöhnlicher Reichhaltigkeit und Frei- 
zügigkeit ist, bedeuten jedenfalls einen gewaltigen Schritt 
nach vorwärts. Sic wurden 1910 im Wiener Tonkünstlerverein 
zum ersten Male und im Vorjahre bei der Wiener Musikfest- 
woche von Drill-Orridge neuerdings mit großem Erfolge 
gesnngen. Schrekers weitere Werke möchten wir nachfolgend 

bei der von uns beabsich- 
tigten Kürze und Gedrängt- 
heit unserer Skizze lediglich 
mit Titel und Aufführungs- 
daten anführen, trotzdem wir 
überzeugt sind, daß auch in 
ilmen ein Meister von vor- 
züglichster Begabung 
zu uns spricht: ein preisge- 
kröntes „Intermezzo für 
Streich - Orchester“ (Wiener 
Konzertverein unter Ferdi- 
nand I,öwe) ; eine sympho- 
nische Ouvertüre „Ekkehard“ 
(Wiener Philharmoniker) ; 
„Suite für Großes Orchester“ 
(Wiener Philharmonischer 
Chor) ; ein „Nachtstück“ und 
eine „Phantastische Ouver- 
türe“ (Wiener Tonkünstler- 
orchester unter Oskar Ned- 
bal). An Chorwerken ver- 
zeichnen wir den „116. Psalm 
für Frauenchor, Orchester und 
Orgel“ (k. k. Gesellschaft der 
Musikfreunde, Wien) und einen 
„Schwanengesang“ (Wiener 
Singakademie). 

Seine größten Erfolge hat 
Franz Sclireker, wie bereits 
eingangs erwähnt, mit seiner 
dreiaktigen Oper „Der ferne 
Klang“ errungen, die in Frank- 
furt a. M. bereits mehr als ein 
dutzeudmal vor ausverkauf- 
ten Häusern über die Bretter 
ging und auch am Leipziger 
Stadttheater schon mehrere 
Aufführungen erzielte. Auch 
zahl reiche andere Opernbiih- 
nen haben sie in ihr diesjäh- 
riges Repertoire aufgenoni- 
men, so das neuer baute 
Theätre des Champs Elysees, 
Paris (Gabriel Astruc), ferner 
Prag, Mannheim, München, 
Hannover und viele andere. 
Es hieße wohl nur Allbekann- 
tes wiederholen, wollten wir 
auf die außergewöhnlichen 
Schönheiten hinweisen, die 
dieser Meisteroper innewohnen. Darüber haben bereits Männer 
wie Paul Bekker, Hugo Schlemüller, Dr. Max Steinitzer und 
andere seinerzeit in ausführlicher Weise gesprochen. Sie haben 
sich wohl richtig geäußert, wenn sie die Partitur des „Femen 



musikalischer 


Komposition Bedeutungsvolles geschaffen; eine Vorliebe be- 
sitzt w für das musikalische Drama und er beab- 
sichtigt, sich in Zukunft nur mehr der dramatischen Kom- 
position zu widmen. Von seinen bisherigen zwei Opern „ 
ferne Klang“ und „Das Spielwerk und diej Pnnzessm wrd 
im' nachfolgenden noch eingehender die Rede sciri- Greg 
wärtig arbeitet er an seiner dritten Oper in drei Akten) Die 
Gezeichneten“, deren Komposition er in kurzer Zeit zu voll- 
enden hofft. Das Werk wird voraussichüich im Hwbst 1914 
in München unter Generalmusikdirektor Walter die ^p^or 
rung erleben. Außerdem beendete Schreker so^n ein Or 
chesterwerk, das zur Aufführung in den unter Wemg^tners 
Führung stehenden Wiener „Philharmonischen Konzerten 

^Beginnen^wir zunächst, auf seine Werke des ^eren an- 
gehend, mit seinen Kompositionen für G«o^ Seme ernten 
Lieder zeugen bereits von einem starken Können und einem 


neuzeitlichen 

klärten. — Nach der glänzenden Aufnahme dieser Oper hat 
seine zweite „Das Spielwerk und die Prinzessin“, die gleich- 
zeitig am Wiener Hofopemtheater und an der Frankfurter 
Oper zur Aufführung gelangt war (15. März), den aufs höchste 
gespannten Erwartungen der weiteren musikalischen 


Kreise nicht ganz entsprochen, um so mehr aber all jene ent- 
zückt, die sich durch eingehendes, liebevolles Studium in die 
wundervolle Märchenwelt dieser eigenartigen Partitur ver- 
senkt hatten. Wir haben unmittelbar nach der Wiener Auf- 
führung den Versuch unternommen (vergl. „Deutsche Militär- 
musikerzeitung“, Jahrg. XXXV, Heft 14, 4. April 1913), in 
ausführlicher Darstellung allen jenen Bedenken entgegenzu- 


treten, die verschiedenerseits hinsichtlich Text und Musik 



voreingenommenen trotz der darin aufgehäuften Phantastik 
und Symbolik erkennbar sind und hoffen, daß auch die wunder- 

175 



bare Musik mit ihren inhaltsschweren Harmonien, ihren selt- 
samsten Zusammenklängen und ihrer herrlichsten Stimmungs- 
malerei gerechtere Anwälte finden wird, als jene waren, die 
anläßlich der Uraufführung über sie entschieden haben. Der 
Uraufführung sind übrigens sowohl in Wien als auch in Frank- 
furt eine stattliche Reihe weiterer Aufführungen gefolgt. 

Es erübrigt schließlich noch, die pädagogische Seite 
Schrekers näher ins Auge zu fassen. Schreker wirkt bekannt- 
lich seit Herbst 1912 als Professor für Kompositionslehre 
an der k. k. Akademie für Musik usw. in Wien und es wurde 
ihm in dieser Eigenschaft bereits die reichste Anerkennung 
zuteil. Von Interesse werden zweifellos nachstehende, auf 
diese didaktische Betätigung bezughabende Aeußerungen 
Schrekers sein: „Pädagogische Grundsätze gibt es nidit. 
Jeder Lernende will anders behandelt sein. Ich verwahre 
mich auch dagegen, .Pädagoge, zu sein, sondern bemühe mich 
als Künstler, auf die mir anvertrauten jüngeren Menschen 
Einfluß zu üben. Ich verlange von diesen volle Beherrschung 
der Satztechnik, nicht im Sinne vergangener Jahrhunderte, 
sondern dem Geist unserer Zeit entsprechend. Allerdings ist 
es notwendig, daß der Lernende in langsamer Entwicklung 
dahin gebracht wird — gewissermaßen die Kristallbildung 
der Musik im Laufe der Zeiten verfolgend — , über Bach, 
Beethoven, Wagner und Strauß hinweg zu einem eigenen 
Stile zu gelangen. Von hundert Talenten wird dies vielleicht 
Eines Sache sein — der Einflußnehmende, Lehrer oder .Päd- 
agoge' muß aber versuchen, in jedem einzelnen seiner Schüler 
das Streben nach dem Höchsten zu wecken, alles andere 
wirkt verderblich — , in der Kunst gibt es kein Sichbescheiden, 
sondern nur ein Entweder-Oder. Darum empfiehlt es sich 
auch, im geeigneten Zeitpunkte von dem Lernenden zu ver- 
langen, daß er die alte Form mit neuem Inhalte fülle, ja, über 
den Rahmen der Form hinausgehend, diese erweitere, über- 
haupt, seiner Individualität entsprechend, neue Ausdrucks- 
möglichkeiten suche. Das an Musikschulen beliebte .Nach- 
komponieren' einer Beethoven-Sonate oder Instrumentieren 
einer Kuhlau-Sonatine halte ich nicht für besonders geist- 
reich, vom erzieherischen Standpunkt ausgehend. Es gibt 
mehr Talente — wenigstens nach meiner Erfahrung, hier in 
Wien und wahrscheinlich auch anderswo — , als man glaubt. 
Sie werden zumeist unterdrückt und mutlos gemacht. Hier 
und da übersteht einer den hemmenden Einfluß der Schule 
(die absolut nicht gleichen Schritt mit der 
Entwicklung der musikalischen Kunst zu 
halten vermochte) und bricht sich Bahn. Vollständig 
reorganisiert müßte der Unterricht in Harmonielehre werden. 
Da unterrichtet man mit Seelenruhe nach Grundsätzen, die 
vor 50 Jahren schon veraltet waren.“ 

Schrekers in vorstehenden Zeilen niedergelegte, strenge 
Grundsätze geben uns ein Bild nicht nur des Lehrers, sondern 
auch des Komponisten, Dirigenten und — Menschen. Wahr- 
lich, wer auch immer diesem Meister nähersteht, der weiß, 
daß auch dieser sich nicht bescheidet, sondern nur ein „Ent- 
weder — Oder“ kennt. Und nur so ist es zu erklären, daß 
Schreker in verhältnismäßig jungen Jahren bereits einen 
derart hohen, aussichtsreichen Berg erklommen hat, auf dem 
es sich wohl und verdientermaßen ruhen ließe. Doch Schreker 
rastet nicht. Er will noch viele, hoch- und wolkenragende 
Gipfel gewinnen, und daß ihm dabei auch Erfolg beschieden 
war, darüber werden wohl noch spätere Zeiten berichten. 

Dr. Jur. et phil. (mus.) H. R. Fleischmann (Wien). 


Die Kopierbficher Giuseppe Verdis. 

Von EMIL THIEßEN (Mailand). 

I n einer früheren Besprechung 1 der von der Gemeinde 
Mailand anläßlich des 100. Geburtstages des Meisters 
herausgegebenen Kopierbücher Giuseppe Verdis wurde 
dieser interessanten Veröffentlichung hauptsächlich vom musik- 
kritischen Standpunkte aus Rechnung getragen und das Urteil 
Verdis über die Aufgaben der Tonkunst in verschiedenen 
seiner Briefe angeführt. 

Aber die Bedeutung der Briefe liegt auch in dem Einblick, 
den sie uns in das Seelenleben des großen Tondichters ge- 
währen, der von manchen seiner Zeitgenossen als wenig sym- 
pathisch gezeichnet worden war, dem insbesondere Eigennutz 
und Hochmut vorgeworfen worden war. Es läßt sich nicht 
leugnen, daß Verdi in seinen Verträgen mit seinem Verleger 
seinen Vorteil energisch wahrgenommen hat, aber das wird 
ihm niemand verübeln, der die ungeheuren Gewinste, die das 
Haus Ricordi aus seinen geschäftlichen Beziehungen zu Verdi 
eingeheimst hat, kennt. Und dann begreift man nur zu gut, 
daß ein Mann, der in seiner Jugend Not und Elend im Eltern- 
hause gesehen hat, den Wert des Geldes viel mehr zu schätzen 
weiß, als ein anderer, der in Wohlstand aufgewachsen ist. 
Aber das Testament Verdis ist jedenfalls die glänzendste 

1 Siehe den Artikel in Heft 5 dieses Jahrgangs. 

176 


Widerlegung der gegen ihn gerichteten Beschuldigungen, 
denn es darf als das herrlichste Zeugnis edler Menschenhebe 
bezeichnet werden. Es beweist, daß Verdi gespart hatte, 
um ein Werk großartiger Fürsorge, die Errichtung des Alters- 
heims für Sänger und Sängerinnen, zu vollenden. 

Aber auch von Hochmut läßt sich in seinen Briefen nur 
selten eine leise Spur bemerken, vielmehr überwiegt die Be- 
scheidenheit, die allen seiner Persönlichkeit dargebrachten 
Huldigungen abhold ist. 

So schreibt er am 2. April 1881 an Arrigo Boito, daß er 
bereit sei, die Kosten der Errichtung eines Bellini-Standbildes 
in der Eingangshalle des Scalatheaters aus eigener Tasche 
zu bestreiten, wenn man davon absehen wolle, ihm selbst 
ebendort eine Statue zu errichten. 

Und am 9. November 1888 erhält Giulio Ricordi den fol- 
genden Brief: 

„Lieber Giulio, ich ersehe aus den Zeitungen, daß man ein 
Jubiläum feiern will!! . . . Barmherzigkeit! Unter so vielen 
unnützen Dingen, die es auf der Welt gibt, ist dies das un- 
nützeste, und ich, der ihrer so viele auf dem Gewissen habe, 
verabscheue alle unnützen Dinge. In den Repertoiretheatem 
des Auslands kann man die erste Oper eines Komponisten 
nach fünfzig Jahren wieder aufführen, aber in Italien ist dies 
unmöglich. & käme nur etwas Jämmerliches, Lächerliches 
dabei heraus. Sie sind ja ein Mann, der vernünftig ist, und 
daher müssen Sie mit aller Entschiedenheit einen solchen 
unnützen und imdurchführbaren Plan bekämpfen. Ihnen, 
der Sie in solchen Dingen ein großes Ansehen genießen, wird 
man glauben. Sollte man aber von Ihnen irgendeine Kon- 
zession verlangen, so schlagen Sie vor, das Jubiläum fünfzig 
Jahre nach meinem Tode zu veranstalten. Drei Tage genügen, 
um Menschen und Ereignisse in Vergessenheit zu tauchen. 
Der große Dichter sagt: .Himmel! Seit zwei Monaten tot 
und noch nicht vergessen? 1 “ 

Und tatsächlich scheiterte die Absicht der Verehrer des 
Meisters, die fünfzigste Wiederkehr des Jahrestages der 
„Oberto“-Premiere zu feiern, an diesem Widerstande Verdis, 
in dessen Schlußworten ein Pessimismus zum Ausdruck 
kommt, der auch in vielen anderen Briefen zu finden ist. 

So lesen wir in einem Briefe an Gräfin Negroni Prati vom 
11. Oktober 1883: 

„Liebe Frau Peppina, es freut mich, daß sich meine Freunde 
daran erinnert haben, daß ich gestern abend um Vtio Uhr 
siebzig Jahre alt geworden bin. Siebzig ist unzweifelhaft eine 
schöne Zahl. Ich möchte, daß sich auch mir der Wunsch 
erfüllte, den Sie zum siebzigsten Wiegenfeste des Malers 
Hayez ausgesprochen hatten, der, in seiner Kunst tätig, noch 
21 Jahre lebte. Aber was sollte es mir eigentlich nützen? 
Warum und für wen könnte ich noch arbeiten? Ich lasse 
dieses Thema, da ich sonst zu traurige Dinge sagen müßte. 
Sie sprechen von der Erziehung der jungen Musiker von einst- 
mals. Was für ein Unterschied! rufen Sie aus. Das ist wahr, 
nur zu wahr! Damals beherrschte alle ein großer, edler, 
hoher Gedanke. Jetzt finden sie schon alles fertig! Wozu 
soll man sich erinnern und das Heldentum der armen Toten 
anerkennen ? Wozu sie _ bewundern und nachahmen ? . . . 
Meine liebe Freundin, Sie kennen ja die Welt und wissen, 
daß die Dankbarkeit eine Last für die meisten Menschen 
ist! . . . Das ist eine furchtbare Anklage, sie ist aber wahr . . . 
Genug, genug! Wir werden die Welt nicht ändern . . .“ 

Und an die Gräfin Clarina Maffei schreibt er: 

„Ich denke, daß das Leben die dümmste und, was noch 
schlimmer ist, die unnützeste Sache sei. Wozu dient es? 
Wenn man alles zusammenfaßt, lautet die einzige, traurige 
und demütigende Antwort: zu gar nichts!“ 

Am 8. März 1891 gesteht er der Gräfin Negroni Prati: 

„Die Verdrießlichkeiten sind das tägliche Brot des Lebens. 
Ist man aber einmal in einem gewissen Alter, so vermehren 
sie sich noch mit überraschender Stärke. Man muß sie er- 
tragen und den Mut nicht verlieren. Aber gerade in diesem 
Augenblick sind sie besonders schwer, und ich werde das Buch 
Hiob lesen, um die Kraft zu finden, ihnen zu widerstehen. 
Freilich auch Hiob fluchte . . . Also Mut und vorwärts, so- 
lange es noch geht.“ 

Ein paar Jahre später verschärft sich noch dieser Pessimis- 
mus, wenn er derselben Dame gesteht: 

„Das Leben ist Schmerz! Wenn man jung ist, schläfert die 
Unkenntnis des Lebens, die Bewegung, die Zerstreuung ein 
und fesselt. Man erträgt etwas Glück, etwas Unglück und 
bemerkt gar nicht, wie aas Leben hinschwindet! Dann aber 
lernt man das Leben kennen, man fühlt es, und das Leid 
bedrückt und vernichtet uns. Was tun ? Nichts.. Krank 
leben, müde und verzweifelt, bis . . .“ 

Gegenüber dieser Lebensvemeinung erhebt sich aber in 
anderen Briefen die Liebe Verdis zu seinen Eltern, zu seinem 
Schwiegervater Antonio Barezzi, zu seiner teuren Giuseppina 
Strepponi, seiner zweiten Gattin, zu einer lebhaften Lefens- 
bejanung, die sich in starken Gefühlen ausdrückt. 

Hören wir den Nachruf, den er seinem Schwiegervater in 
einem Briefe, den er am 30. Januar 1867 an Gräfin Clarina 
Maffei richtete, hielt: 



„Dieser Verlust wird mir äußerst schmerzlich sein! Der 
arme Greis, der mich so lieb gehabt hat! Sie wissen es ja, 
daß ich ihm alles, alles, alles verdanke. Ihm allein, nicht 
anderen, wie man verbreitet hatte. Mögen es auch schon 
viele Jahre her sein, mir scheint es wie heute: als ich meine 
Studien im Gymnasium von Busseto vollendet hatte, erklärte 
mir mein Vater, daß er nicht das Geld habe, um mich an die 
Universität von Parma zu schicken, und daß ich daher in mein 
Heimatdorf zurückkehren müsse. Damals sagte mir aber 
dieser edle Mann, als er dies erfahren hatte: ,Du bist zu etwas 
Besserem geboren, nicht dazu, für ein paar Groschen Salz zu 
verkaufen und das Land zu bebauen. Verlange von dem Kura- 
torium des Leihamtes die magere Unterstützung von 25 Lire 
monatlich für vier J ahre, und für den Rest lasse mich nur sor- 
gen. Du wirst das Konservatorium von Mailand besuchen und 
mir das Geld zurückgeben, sobald du es imstande sein wirst.' 

Und so geschah es ! Was für Freigebigkeit, was für ein Herz 
und was für Tugenden! Ich habe in meinem Leben viele 
Menschen kennen gelernt, aber niemals einen, der besser 
gewesen ist. Er hat mich wie einen Sohn geliebt, und ich 
liebte ihn wie einen Vater.“ 

Nur einmal geriet Verdi mit diesem so innig verehrten 
Manne in einen Konflikt. Der Meister hatte nach dem früh- 
zeitigen Tode seiner ersten Frau Märgherita, der Tochter 
Antonio Barezzis, in der ausgezeichneten Sängerin Giuseppina 
Strepponi eine kunstverständige Gefährtin gefunden, die sein 
Leben mit seinen Freuden und Leiden teilte, ohne daß Standes- 
amt oder Kirche das Bündnis besiegelt hätten. Die öffentliche 
Meinung von Busseto hatte sich mit kleinstädtischer Klatsch- 
sucht dieser Angelegenheit, die doch nur eine Gewissensfrage 
zweier Menschenkinder war, die einander liebten, bemächtigt, 
und Antonio Barezzi scheint an Verdi einen Brief mit zarten 
Vorwürfen über sein Verhalten geschrieben zu haben. Dieser 
antwortete am 21. Januar 1852 von Paris aus: 

„Teuerster Schwiegervater, nach so langem Harren glaubte 
ich nicht, von Ihnen einen so auffallend kühlen Brief zu be- 
kommen, in welchem auch mancher Vorwurf enthalten ist. 
Wäre dieser Brief nicht mit Antonio Barezzi unterzeichnet, 
von meinem teuren Wohltäter, hätte ich mit aller Lebhaftig- 
keit oder gar nicht geantwortet. Aber Ihren Namen werde 
ich immer achten und so versuchen. Sie zu überzeugen, daß 
ich keinen wie immer gearteten Vorwurf verdiene. Zu diesem 
Zwecke muß ich weiter zurückgreifen, von anderen, von 
unserem Städtchen und seinen Lebensgewohnheiten sprechen, 
so daß der Brief lang und langweilig wird. Ich will mich aber 
bemühen, so kurz wie möglich zu sein. 

Ich kann nicht glauben, daß Sie mir aus eigenem Antrieb 
einen Brief geschrieben haben, der mich kränken mußte. 
Aber Sie leben in einem Orte, der die üble Gewohnheit hat, 
sich oft in die Angelegenheiten anderer einzumischen und das 
zu mißbilligen, was den landläufigen Anschauungen wider- 
spricht. Ich dagegen pflege mich niemals in die Angelegen- 
heiten anderer zu mischen, weil ich nicht will, daß sich andere 
mit den meinigen beschäftigen. Die Handlungsfreiheit, die 
man auch in weniger zivilisierten Staaten achtet, glaube ich 
auch für mich in Anspruch nehmen zu können. Urteilen Sie 
selbst und seien Sie ein strenger Richter. Was für ein Uebel 
ist es, wenn ich abgesondert lebe, wenn ich den Honoratioren 
keine Besuche mache, wenn ich den Festen fernbleibe, wenn 
ich meinen Besitz nach meinen Ideen verwalte ? Jedenfalls 
habe ich niemanden irgendeinen Schaden zugefügt. 

Dies vorausgeschickt, komme ich zu einer Wendung Ihres 
Briefes, die lautet: ,Ich begreife sehr gut, daß ich nicht mehr 
für Aufträge tauget da meine Zeit schon vorüber ist. Aber 
für Kleinigkeiten wäre ich doch noch zu brauchen . . .' Wenn 
Sie damit sagen wollen, daß ich Säe früher stark in Anspruch 
genommen hatte, jetzt mich aber Ihrer nur für Kleinigkeiten 
bediene, so versichere ich Ihnen, daß ich mir diese Lehre werde 
vor Augen halten. Aber wenn diese Ihre Wendung den Vor- 
wurf bedeutet, daß ich Sie nicht während meiner Abwesenheit 
mit meinen Geschäften belästigt habe, so frage ich Sie, wie 
hätte ich so unbescheiden sein sollen, Ihnen eine solche Aufgabe 
aufzubürden, wo ich doch weiß, daß Sie sich nicht einmal mit 
Ihren landwirtschaftlichen Arbeiten beschäftigen, daß Sie mit 
Ihren Handelsgeschäften schon so viel zu tun haben . . 

Bezüglich meines häuslichen Lebens habe ich gar keine 
Ursache, irgend etwas geheim zu halten. In meinem Hause 
lebt eine freie, unabhängige Dame, die gleich mir die Einsam- 
keit liebt, die ein Vermögen besitzt, das ihre Bedürfnisse 
vollkommen deckt. Weder ich, noch sie schulden irgend 
jemandem Rechenschaft für unsere Handlungen. Wer kann 
übrigens wissen, was für Beziehungen zwischen uns bestehen ? 
Wer weiß es, ob sie nicht meine Gattin sei, und ob wir nicht 
besondere Gründe haben, dies zu verschweigen? Wer will 
darüber urteilen, ob diese unsere Handlungsweise gut oder 
schlecht sei? Wenn sie auch schlecht wäre, wer hätte das 
Recht, auf uns seinen Bannfluch zu schleudern ? Jeden- 
falls muß ich Ihnen erklären, daß diese Frau in meinem Hause 
größere Ehrerbietung genießt, als ich selbst, und daß niemand 
dieser Pflicht untreu werden darf. Sie hat übrigens durch 
ihre Haltung, durch ihren Geist alles Anrecht darauf. 


Mit dieser langen Auseinandersetzung will ich nichts anderes 
bezwecken, als daß ich mir meine Handlungsfreiheit bewahre, 
wozu alle Menschen das Recht haben. Sie, der Sie im Grunde 
des Herzens so gütig sind, lassen Sie sich nicht von dem 
Geiste eines Ortes beeinflussen, der mir so wenig Rücksicht 
geschenkt hat, daß es mir nicht einmal den Posten des Orgel- 
spielers verliehen hat, und wo man jetzt meinetwegen schwatzt 
und flüstert. Das kann nicht so weiter gehen. Anderenfalls 
würde ich meine Entschlüsse fassen. Die Welt ist groß, und 
der Verlust von 20 — 30 000 Franken wird mich nicht hindern, 
mir anderswo eine neue Heimat zu suchen. Ich glaube nicht, 
daß dieser Brief etwas Beleidigendes enthält. Wenn Ihnen 
aber etwas in ihm mißfallen sollte, so schwöre ich Ihnen auf 
meine Ehre, daß ich keine Absicht gehabt habe, Ihr Miß- 
fallen zu erregen. Ich habe Sie immer als meinen Wohltäter 
betrachtet, und dessen rühme ich mich . . .“ 

Tatsächlich hat Verdi die Klatschsucht seiner Mitbürger 
diesen niemals vergeben können. Wenn er auch Giuseppina 
Strepponi sieben Jahre später an den Traualtar geführt hat 
und m seinem geliebten Sant’ Agata geblieben ist, so war 
er auf die Bewohner von Busseto niemals gut zu sprechen. 
Kam er auf dem Bahnhof an, so mußte der Wagen einen Um- 
weg machen, um die Durchfahrt durch Busseto zu ersparen. 

So begreift man es, daß Verdi nichts weniger als entzückt 
war, als die Busse taner ein Theater zu bauen beschlossen, 
das nach ihm benannt werden sollte. So schrieb er einem 
Freunde im August 1865: 

„Ich antworte sofort auf Deinen Brief mit aller Ruhe und 
Ueberlegung und wünsche diese beiden Eigenschaften auch 
von Dir in der Kenntnisnahme dieser Zeilen betätigt zu sehen. 
Du sagst, daß die Bussetaner meinten, ich sei so eitel, ihrem 
Theater meinen Namen zu geben. Wann habe ich ihnen 
jemals diese Hoffnung gemacht? Im Gegenteil, schon vor 
drei Jahren habe ich einen solchen Antrag zurückgewiesen. 
Ich habe mich diesem Plane gegenüber immer feindlich ver- 
halten, und diese meine Meinung sollte geachtet werden. 
Darum ist es sehr sonderbar, daß der Bürgermeister in der 
Sonntagssitzung des Theaterausschusses sagte, dieses Theater 
werde fiir mich, nur für mich erbaut. Dabei wurde mir der 
Plan des Baues niemals gezeigt und ich niemals um Rat ge- 
fragt. Du wirst wohl zugeben, daß dies höchst seltsam sei. 
Meine Meinung über diese unselige Angelegenheit ist die, 
daß der Bürgermeister ein Andenken an seine Amtstätigkeit 
hinterlassen wollte und sich des Gemeindevermögens und 
meines Namens für diesen Zweck bediente. Er hat nicht 
recht gehandelt . . . 

In Deinem Briefe erwähnst Du das Wort .Schmeichler'. 
Ueber diesen Punkt muß ich mich noch aussprechen. Erstens 
lasse ich mich niemals ins Gesicht loben. Wenn ich eitel 
wäre und nach .Lobhudeleien verlangte, bliebe ich nicht in 
Sant’ Agata. Bezüglich der bösen Zungen habe ich mich 
sehr, nicht nur über Worte, sondern auch über Tatsachen zu 
beklagen, die mich betreffen, über Quälereien, über alte 
und neue Verdrießlichkeiten . . .“ 

Und daß es Verdi mit solchen Gesinnungen, die sich gegen 
Schmeicheleien richteten, ernst war, bestätigt ein Brief, den 
er am 2. Dezember 1871 an den Mailänder Musikschriftsteller 
Filippi schrieb, der von der „Perseveranza“ nach Kairo gesandt 
worden war, um über die Premiere der „Aida“ zu .berichten: 

„Geehrter Herr Filippi, was ich Ihnen sagen werde, wird 
Ihnen seltsam, sehr seltsam erscheinen. Sie müssen mir aber 
verzeihen, wenn ich Ihnen meine Eindrücke nicht verschweigen 
kann. Sie fahren nach Kairo ? Das ist eine mächtige Reklame 
für .Aida'. Ich habe den Eindruck, daß die Kunst, für die 
man die Trommel rührt, nicht mehr Kunst, sondern Hand- 
werk sei, daß ein Kunstereignis zu einer Jagdpartie herunter- 
sinke, zu einem Etwas, dem man hinterherlauft, um, wenn 
nicht den Erfolg, so doch die Berühmtheit zu erlangen , . . 
Das Gefühl, das ich hierbei empfinde, ist Ekel, ist Demütigung. 
Immer erinnere ich mich noch mit Freuden meiner ersten 
Zeiten, in denen ich, fast ohne Freunde, ohne daß jemand 
von mir gesprochen hätte, ohne Vorbereitungen, ohne irgend- 
welche Beeinflussung, dem Publikum meine Werke darbot 
und glücklich war, wenn ich einen günstigen Eindruck er- 
wecken konnte . . . Jetzt dagegen, was für ein Aufwand! . . . 
Journalisten, Artisten, Choristen, Direktoren, Professoren usw., 
alle müssen ihr Sternchen zum Bau der Reklame beitragen 
und einen Rahmen von kleinen Miseren zusammenstellen, 
der dem Werte einer Oper nichts hinzufügt, sondern ihre 
wahre Bedeutung verdeckt. Das ist beklagenswert, tief 
beklagenswert!!“ 

Wie haben sich die Zeiten geändert! Was würde Verdi 
sagen, wenn er die heute so häufig geübte Art und Weise, 
vor der Aufführung eines neuen Werkes spallenlange Unter- 
redungen von Journalisten mit dessen Urheber zu Reklame- 
zwecken zu veröffentlichen, zu beurteilen hätte ? Die Schlicht- 
heit und Einfachheit seines Wesens sind es, die uns Verdi 
in seinen BriJfen so sympathisch machen. Ein Mann, der 
so Großes geschaffen und sich niemals überhoben hat, verdient 
die vollste Bewunderung. 


177 


Leipziger Musikbrief. 

W ir kommen hier nie so ganz an die Sonne ; die Wolken 
unterschiedlicher Einrichtungen, Stiftungen, Zu- und 
Umstände hängen davor und werden wohl sobald 
nicht weichen, was sich in dieser ersten Hälfte des Musik- 
winters wieder recht fühlbar machte. Es fehlt jenes eigent- 
lich musikalische Publikum für Oper und Künstlerkonzerte, 
das z. B. den in wirklichen Kunststädten nicht mehr dis- 
kutierten Grundsatz hätte, neue, komplizierte Opern öfter 
zu hören, um sie zu verstehen und zu genießen. Es ist 
bisher keine Ur- oder Erstaufführung an der Oper heraus- 
gekommen. Man weiß, die viele Arbeit für zwei bis drei 
Aufführungen verstimmt jedesmal. Schrekers „Ferner Klane“ 
in Dr. Berts glänzender Inszenierung war für die Wein- 
nachtstage wieder angesetzt. 

Auch daß man Virtuosen, die z. B. im Gewandhaus in 
einem Stück mit Orchesterbegleitung gefielen, mit Interesse 
im eigenen Konzert sich weiter entfalten hört, gilt hier nicht. 
Der Abstand von Berlin bei so großer äußerer Nähe ist 
da oft geradezu lächerlich; Lhivinne, Schnabel, Sauer spielten 
vor schlecht besuchtem Saal. — Unserer Oper drückt den 
entscheidenden Charakterzug Otto Lohse auf, der eigentlich 

J ede Vorstellung zu einem Ereignis macht, in keiner Wieder- 
tolung und in keiner Szene von der ehernen Spannkraft 
nachlaßt, mit der er alle Faktoren des Orchesterklanges 
belebt und die Steigerungen machtvoll herausstellt. Weniger 

f lücklich konnte er sich bisher als Opemdirektor in der 
’ersonalfrage bewähren. Das mit Intendant Geheimrat 
Martersteig eingezogene Sparsystem war vielleicht zum 
großen Teil schuld daran. Da der Heldenbariton Buers 
Anfang 1913 abging und sein Nachfolger Hans Spies von 
Braunschweig erst im Herbst 1914 antritt, ist gegenwärtig 
eine Gastspielserie Karl Perrons ein hochwillkommener 
Nebenerfolg dieses Interregnums. Als Heiling, Holländer, 
Wotan wirkte der große Künstler vorbildlich und erhebend 
durch die einzigartige edle Verbindung von Wort und Ton, 
mit der der Metallreichtum seines herrlichen Organs sich 
in den Dienst der geistigen Durchdringung seiner Partien 
stellt. — Aber für das geplagte Theaterorchester ist ein wöchent- 
liches Symphoniekonzert künstlerisch zu viel, für den Di- 
rigenten, den außerdem noch von aller Welt begehrten 
Arthur Nikisch gleichfalls nicht wenig. Das Gewandhaus 
mit seinen 1 500 Plätzen ist doppelt zu klein, da stets etwa 
3000 Interessenten da sind; Folge: eine ausverkaufte „Ge- 
neralprobe“ ohne Abklopfen, eine einzige obligate „Vor- 
probe“ zu jedem Konzert. Eine zweite, für belangreiche 
Neuheiten doch meist unerläßliche, findet nur ausnahms- 
weise statt. Solche traten daher nur wenig «auf, was insofern 
berechtigt ist, als sie von dem vornehmen Publikum der 
Konzerte oft mit eisiger Kühle angehört werden, wozu 
Nikisch doch eigentlich zu gut ist. Kommt aber etwas 
außer dem gewohnten Spielplan Eiegendes daran, wie neu- 
lich die Itauenische Fantasie von Strauß, so hat man nie- 
malS, wie unter normalen Verhältnissen, die Sicher- 
heit einer einwandfreien Ausführung. Die beiden letzten 
Sätze, in denen das Orchester seine schlagfertige, technische 
Virtuosität bewähren konnte, gingen glanzend; der erste, 
wo es auf das hier, zumal bei den Blasern, nicht beliebte 
und vor allem nicht gewohnte, ausgehaltene Pianissimo 
ankommt, litt in bezug auf die in ihm fast ausschlaggebenden 
Stärkegrade erheblich; der zweite klang in der Hauptprobe 
so wenig eingespielt, daß die Aufführung unmöglich alles 
ausgleichen konnte. Ein weiteres Hemmnis: Das Königl. 
Konservatorium darf stiftungsgemäß, wie es heißt, keinen 
artistischen Direktor haben, der nicht zugleich Leiter der 
Gewandhauskonzerte ist. Da nun Nikisch keine Zeit hat, 
fehlt an der Spitze ein Künstlername, der andere von Be- 
deutung für j e d e s einzelne Fach heranzöge, durch die 
dann junge Talente angelockt würden. Die Opemleitung 
kann sich nur selten Nachwuchs von dort holen. Dagegen 
blüht unter der Obhut von Frau Prof. Hedmondt eine Ge- 
sangsklasse, deren frühere Angehörige die Konzerte mit 
erstklassig geschultem Material, vor allem mit Sopranen 
für Oratorium, Lied oder für beides versorgen, wie die in 
jeder Hinsicht ausgezeichnete Stilkünstlerin Else Siegel, die 
treffliche Oratorien- und Liedersängerin Ilse Helling, und 
eine Reihe von fein differenzierenden Vertreterinnen des 
Liedvortrags, wie Olga Steinrück, Ilva Hedmondt, Käte 
Liebmann, Lotte Mäder. Aus der großen Klavierklasse 
Teichmüller trat die Französin Lili Kröber-Asche, jetzt in 
Weimar, mit ihren exquisiten Chopin-Darbietungen hervor. 
Auch in dieser Saison ließen sich aus dem Lehrkörper selbst 
hervorragende konzertierende Kräfte, wie Joseph Pembaur, 
Fritz v. Bose, Julius Klengel, Gustav Havemann öffentlich 
hören. Aus einer Anzahl geeigneter jugendlicher Stimmen 
verschiedener Provenienz hat Dr. Max Unger eine Madrigal- 
vereinigung geschaffen, die mit vielem Gluck debütierte. 

Die beiden eigentlichen jüngeren Dirigentencharakterköpfe 
unseres Musiklebens, Georg Goehler und Richard Hagel, sind, 

178 


ersterer teilweise, letzterer ganz, von hier verschwunden; 
an ihre Stelle traten im Riedel-Verein und Philharmonischen 
Chor Richard Wetz und Hermann Stephani. Sofern sie nicht 
hier, sondern in Erfurt und Eisleben wohnen, bedeutet 
ihre Berufung musikpolitisch keinen glücklichen Umstand. 
Hätten wir in der Stadtvertretung einen für das Musikleben 
Groß-Leipzigs interessierten Faktor, so würde man versucht 
haben, den universellen, großzügigen, in jeder Hinsicht 
erstklassigen Goehler und den mit seinem Orchester absolut 
unentbehrlichen Winderstein definitiv zu erhalten. So be- 
schränkt sich das Interesse wesentlich darauf, jenen Fünf- 
zehnhundert die wöchentliche Wiederkehr ihrer Lieblinge, 
vor allem Brahms und Beethoven, in dem glänzenden Raum 
des Gewandhauses unter der selbstverständlich hervor- 
ragenden, oft wundervollen Leitung von Nikisch zu ga- 
rantieren. Um die vielen Tausende, die in die Alberthalle 
strömen, um an der lebendigen kompositorischen Ent- 
wicklung und Betätigung ihrer Zeit Anteil zu nehmen, 
kümmert sich offiziell kein Mensch; sie sind ohne Vertretung 
im Organismus der Stadt, stets von Wechselfällen bedroht. 
Sobald Dr. Goehler in Hamburg ganz mit Beschlag belegt 
wird, droht ihnen empfindlichster, wohl unersetzbarer Verlust. 

Von neueren Werken erschienen an Symphonien die von 
Richard Stöhr mit Orgel (Symphonische Fantasie) und 
August Scharrer in d moll (per aspera) bei Winderstein, 
Hans Hubers A dur unter dem hier stets freudigst empfangenen 
Heinrich , Laber, Franchettis e moll unter Goehler, lauter 
musikalisch lebensbejahende, freudige Bewegung auslösende, 
technisch potente Werke. Pater Hartmanns Heiliges Abend- 
mahl gefiel sehr, ingleichen als Neuheit Philipp Wolfrums 
Weihnachtsmysterium. Als Treffer erwiesen sich: Heinrich 
Kloses Streichquartett im Gewandhaus, ebenda Hans Pfitz- 
ners ganz herrliche Cellosonate, auch diese als örtliche Neu- 
heit, von Julius Klengel prachtvoll vorgetragen, dann 
Heinrich G. Norens prächtige Violinsonate mit Ella Jonas- 
Stockhausen als glänzender Pianistin, und die zweite Julius 
Weismanns in fis moll, von Katharina Bosch und dem Autor 
mit erdenklichem Feuer gespielt. Ludwig Wüllner riß mit 
dem nunmehr orchestrierten Melodram von Botho Sigwart, 
„Hectors Bestattung“, im Gewandhaus zu berechtigten 
Beifallsstürmen hin. Balladen des hochbegabten Emil 
Mattiesen, op. 1, gesungen von Rudolf Gmeiner, erregten 
großen Eindruck; Sigfrid Karg- Eiert fesselte wieder mit 
Gebilden seiner ganz eigenartigen hohen Kunst der Stim- 
mungsmalerei am Harmonium. Erfreulich ist es, daß nun 
Arnold Schönberg hier aufkommt. Man hörte mit der 
eigentlich bei erzogenen Menschen selbstverständlichen Ruhe 
und vielem Interesse sein bedeutendes einsätziges und ein- 
stündiges Quartett, obwohl ihm die Herren von der 
„Flonzaley-Vereinigung“ an Ausarbeitung viel schuldig 
blieben; ein rühriges Komitee bereitet im größten Rahmen 
die Gurrelieder, das Gewandhausquartett, Wollgandt und 
Genossen, das Streichsextett „Verklärte Nacht“ vor. 
Wunderbar erquickend war Weingartners Beethoven-Abend 
mit dem Berliner Blüthner-Orchester, der im besten Sinn 
Großstadtluft mit sich brachte. Neben den eingebürgerten 
fremden Streichquartetten, den in diesem Winter ganz 
besonders verklärt spielenden Böhmen, den Sefciks und 
den Petersburgern, hatte ein Abend der Würzburger mit 
dem im letzten Beethoven hervorragenden Schulte-Priska 
guten Erfolg. 

Zwei Erfordernisse der feineren geistigen Hygiene vermißt 
hier nicht nur der Publizist, sondern der gebildete Musik- 
interessent überhaupt. Erstens hört man gegenwärtige 
französische Musik so gut wie gar nicht, so daß man von 
der einzigen interessanten und zugleich wohltuenden wirklich 
breiten Schichte zeitgenössischer Entwicklung aus- 
geschlossen ist. Und zweitens sind die zum intellektuellen 
Gegengewicht bei regem Musikleben unentbehrlichen, ein- 
wandfreien SchauspieTvorstellungen selten. Man kann z. B. 
bei Klassikern einen Wechsel vom Kothurn klangvoller 
Rezitation und hausgestrickten Socken salopper Plauderei. 
Haltung und Geste zu sehen bekommen, mit dem stilistischen 
Nebeneinander von lebenden Pflanzen, gemalten Leinwand- 
bäumen und symbolistischen blaugrünen Stofflappen auf 
regulär zylindrischen primitivistischen Stämmen. Bewußter 
und einheitlicher wird im Schauspielhaus gearbeitet, einem 
kleinen Privattheater, das auch von der, am Stadttheater 
jetzt herrschenden, Seltenheit interessierender erster Dar- 
stellerinnen frei ist. Dr. Max Steinitzer. 




Unsere Künstler. 

Raoul Pugno f. 

R aoul Pugno ist nicht mehr. Er, der feinsinnige „Char- 
meur“, der vergötterte Liebling der Konzertsäle Frank- 
reichs und des Auslandes, ist einem tückisch an ihm 
nagenden Leiden erlegen mitten in der Predigt seines lauteren 
Evangeliums. Ein neuer, schlagender Beweis dafür, wie alle, 
die sich ihrer Kulturmission bewußt sind, die sich ihr mit 
ganzer Seele hingeben, ungeachtet physischer Vergewaltigungen, 
als wackere Pioniere an ihrem Posten stehen, jeder Gefahr 
mit herausfordernder Kämpfergeste kühn entgegenblicken 
und sich um das geheimnisvolle „Morgen“ verteufelt wenig 
kümmern. 

Als Pugno mir gelegentlich des letzten Banketts, das der 
nunmehr durch die Gunst des Präsidenten Poincare nun end- 
gültig als „Institut von öffentlichem Nutzen“ anerkannte 
„Salon des Musiciens fran^ais“ gab, von seinen fein durch- 
dächten Plänen erzählte, da ahnte 
der bescheidene Gigant des Kla- 
viers freilich in keiner Weise etwas 
von dem schonungslosen Sensen- 
hieb des unbarmherzigen Allzer- 
störers, und er entwickelte mir 
mit seiner bekannten Bonhomie, 
heiteren und hoffnungsfreudigen 
Auges, das zyklopische Programm 
seiner allenthalben zu einem musi- 
kalischen Ereignis gewordenen 
Vortragsserien. 

Schon hatte Pugno mit seinem 
diesjährigen Zyklus begonnen; die 
Schar seiner Verehrer hatte ihn, 
wie alljährlich, mit ehrlichem Bei- 
fall bei „Lamoureux“ begrüßt, wo 
er Schumanns „Konzertallegro“ 
und Francks „Variations sym- 
phoniques“ mit der alten, seiten 
empfundenen Innigkeit zu Gehör 
brachte und sich von seinen Lieb- 
lingsmeistern gewissermaßen mit 
einer unbewußten Feierlichkeit auf 
ewig verabschiedete. Die so oft 
zuvor angestaunte, unnachahmliche 
Beherrschung des kompliziertesten 
Apparates, die von grausamer Will- 
kür, von gekünstelter, ermüdender 
Effekthascherei nichts kannte, 
hatte uns erneut an jenem Abend 
spontan mitfortgerissen und in 
ihren beseligenden Bann gezogen. 

Die ganze grandiose Offenbarung 
seiner makellosen Technik, ver- 
quickt mit ihrem duftenden Melo- 
dienschmelze, erfüllte erhebend den 
in tiefem Schweigen liegenden, 
lauschenden Saal. Und mm haben 
sie sich ausgespielt diese tapferen 
Finger, auf die sich die Weiße 
des so oft gekosten Tastenelfen- 
beins gelegt. — Die Trauerbotschaft wurde in Paris mit 
Schmerz vernommen, und mehr als eine Träne mag im Auge 
manchen Bewunderers, mancher Bewunderin geglänzt haben. 
Und das nimmt nicht wunder bei diesem Koloß, den Vuillermoz 
so treffend den „Rodin der Tastatur nennt . . . 

Das Leben des Verblichenen ist ziemlich bekannt und soll 
hier nur ganz kurz skizziert werden. Pugno ist am 23. Juni 
1852 in Montrouge geboren. Sein Vater war Italiener, seine 
Mutter Lothringerin. Seine Erziehung vollzog sich m einer 
musikalischen Atmosphäre. Der Vater trieb einen «nbedeutoi- 
den Instrumentenhandel in der dustern Rue Monaeur-le- 
Prince“, und hier nahm der kleine Raoul die ersten Elemente 
seiner angebeteten Kunst, die ihn so groß, so ^«sal be- 
kannt machen sollte, in sich auf. Emes Tages begluckwur^chte 
den an einem alten Klavier ein von Schwiengkaten strotzendes 
Stück spielenden Knaben ein „jura studierender jtmglmg 
was an und für sich nichts bedeutet hatte, wäre e f, 

Chabrier gewesen. Mit sechs Jahren spielte E^£0 vor 
Gounod, der ihm eine herrliche Zukunft prophe^ite. Dmzehn- 
iährie treffen wir ihn in der Klasse von Mathias am Einser 
Konservatorium an, wo er alle Preise „spiekmd^^onfr^ 
Aber seine Nationalität hindert ihn daran, die Segnungen des 
Rompreises keimen zu lernen. . . w 

Es folgt dann eine dustere Periode tragischer Ereignisse. 
Man beschuldigt den Künstler der Teilnahme (ob EeiwiUig 
oder unfreiwillig ist nicht klar) an den Bewegungen der Pan ** 
„Commune“. Is gelingt ihm aber, ach blutigen Verfolgunge 
auf wunderbare Weise zu entwinden. Auch verfaßt man 
allmählich das „interessante Intermezzo , und bereits 1872 



meistert der heißspornige „Revolutionär“ die Orgel von 
St. Eugene, die ihm zwanzig Jahre hindurch zu Willen ist. 
Er nimmt daneben 1874 die Chordirigentenstelle am italieni- 
schen Theater (Ventadour) an und wird schließlich Harmonie- 
lehrer am Konservatorium (1892) und Klavierlehrer von 
1896^—1901. 

Sein Meisterstück als Klaviervirtuose legt er ganz 
zufällig auf Veranlassung von Taffanel in der „Societe des 
Concerts du Conservatoire“ mit Griegs „Concerto“ ab, und 
in welcher Schätzung die Leistungen des so intensiv leuchten- 
den Zweigestims „ Pugno-Ysaye “ standen, weiß die ganze 
musikalische Welt des Konzertsaales. 

Was Pugno als Komponist, der nicht so bekannt 
geworden ist, wie er es wohl verdient hätte, geleistet hat, 
erwähnt jedes biographische Lexikon. Erwähnt seien hier 
nur: das „Konzertstück“ für Piano und Orchester, eine Or- 
chester- „Suite“, Walzer, Impromptus, Mazurkas, Caprices, 
Gavotten für Klavier, eine große Sonate, Albums wie „Soirs 
et paysages“ usw. Unter Mitwirkung von Nadia Boulanger 
vertonte er Verhaerens „Heures claires“, „La RMemption de 

Colin Muset“ (Gedicht von Mau- 
rice Lena) und „Orphee (Gabriel 
d’Annunzio) . 

Der Tod hat einem regen Leben 
ein jähes Ende bereitet. Die fran- 
zösische Musik ist in tiefer Trauer : 
ein echter, wahrer Künstler mit 
einem Herzen von Gold geht ihr 
verloren. Pugnos Aufriditigkeit 
und Mildtätigkeit sind zu bekannt, 
als daß ich nötig hätte, sie an 
Einzelbeispielen nachzuweisen. — 
Möge wenigstens die Erinnerung 
an diesen hervorragenden Edel- 
menschen in uns fortleben, mögen 
wir die Kunst verstehen lernen 
wie er, dann bleibt er uns im Tode 
noch der selbstlose Freund und 
Berater, der er zu Lebzeiten so 
manchesmal gewesen! 


Einige Pugno- Anekdoten. Pugno 
pflegte oft im Brüsseler „Cercle 
artistique“ zu spielen und machte 
dort emes Abends die Bekannt- 
schaft des berühmten belgischen 
Malers und Bildhauers Constantin 
Meunier, der ihn bei dieser Ge- 
legenheit bat, ihn doch recht bald 
mit seinem Besuch beehren zu 
wollen. Mit Vergnügen leistete 
Pugno der Einladung Folge und 
überraschte den Meister gerade, 
als er die letzte Hand an seine 
Zola-Statue legte. Die beiden 
Künstler unterhielten sich auf das 
herzlichste und freundschaftlichste, 
und als Meunier sein Bedauern 
darüber ausdrückte, wegen seines 
RAOui, pugno. mißlichen Gesundheitszustandes 

dem Konzert Pugnos am selben 
Abend nicht beiwohnen zu können, da setzte sich dieser ans 
Klavier und spielte einige der herrlichsten Melodien Chopins, 
den er, wie vielleicht kein zweiter, interpretierte. 

Auf Meuniers begeisterten Ausruf: 

„Wie ich Ihnen, mein Verehrter, für diese genußreichen 
Augenblicke danke!“ erwiderte Pugno: 

„Jedesmal, wenn Sie es wünschen, werde ich zu Ihnen 
kommen und Ihnen ganz allein Vorspielen!“ 

„Und wenn ich Sie bitte, mir diesen Gefallen schon morgen 
zu tun ?“ wagte der Meister schüchtern . . . 

Pugno sagte zu und schellte am folgenden Tage zur ab- 
gemachten Stunde an der Tür des Malers. 

Wer vermag seinen Schmerz zu beschreiben, als ihn ein 
Diener nach dem . . . Sterbezimmer seines neuen, so lieb- 
gewonnenen Freundes führte! . . , Meunier war seinem so 
lange an ihm nagenden Herzleiden erlegen . . . 


Raoul Pugno war der beste und gewissenhafteste Klavier - 
und Harmonielehrer, den man sich denken konnte. Wenn 
eine seiner Schülerinnen ein Konzert gab, ließ er es sich nicht 
nehmen, dabei mitzuwirken. Und wie selbstlos, wie künst- 
lerisch er das zu tun pflegte, das wissen seine Jünger am 
besten zu erzählen. Er spielte mit derselben Meisterschaft, 
derselben Aufmerksamkeit und Leidenschaftlichkeit wie in 
allen Konzerten, die er auf den beiden Hemisphären gab. 

Nun begab es sich, daß eine ihm befreundete Dame, die 
längere Zeit bei ihm gelernt hatte, einen „Recital“ veranstaltete 
und mit Pugno zusammen einen „Galopp“ spielen sollte. 


179 



Als sie sich an den Flügel setzte, rannte sie dem Meister mit 
schelmischer Miene zu: 

„Auf welcher Seite soll ich beginnen, damit Sie mich ein- 
holen können ?“ 

Das war eine ungeschickte Anspielung auf die fabelhafte 
Geschwindigkeit, mit der der Virtuose „loszulegen“ verstand, 
wenn es nottat. 

„Na, so beginnen Sie mal mit dem letzten Takte,“ erwiderte 
Pugno, „ich denke, das wird genügen!“ . . . 

Ferdinand Laven (Paris). 



Aachen. Neben mustergültigen und vor allem stilgerechten 
Aufführungen bekannter Werke älterer und neuerer Kompo- 
nisten gab es im letzten Viertel des verflossenen Jahres drei 
Uraufführungen. In Arthur Sommerwells Konzertstück für 
Violine ipit Orchester finden Geiger, die in die Tiefe eines 
Werkes hinabsteigen können, eine sie selbst und das fein- 
gebüdete Publikum durchaus befriedigende Programmnummer. 
Fräulein Jelly von Aräny führte damit den Komponisten 
ehrenvoll in den hiesigen Konzertsaal ein. Fritz Busch hatte 
— nachdem, wie ich hörte, verschiedene Dirigenten sich ab- 
lehnend verhielten — sich bereit finden lassen, der Regerschen 
Motette für fünfstimmigen a cappella-Chor Oeffentlichkeits- 
recht zu verschaffen. Aber trotz des Bienenfleißes, den er 
sowohl wie sein Chor dem Studium des Werkes hatten an- 
gedeihen lassen, kam es kaum zu einem Achtungserfolg. Un- 
leugbar steht man vor dem geistig hochwertigen Erzeugnis 
eines Meisters, aber die Form ist zu kompliziert, die Rück- 
sichtslosigkeit gegenüber dem physischen und musikalisch- 
technisch Möglichen der menschlichen Stimme geht — zum 
mindesten für unsere Zeit noch — zu weit. Es finden sich 
Momente berückender Schönheit vor, so besonders die Stelle 
„Ich liege und schlafe ganz in Frieden“, ferner fast das ganze 
erste Drittel, aber sie werden überwuchert von dem übrigen 
Tonchaos. Busch und sein Chor hielten sich geradezu be- 
wundernswert. Donald Francis Tovey ließ seinem Klavier- 
konzert und einem Klavierquintett heuer eine Symphonie in 
D dur folgen. Alle drei Werke tragen dieselben Charakteristika 
an sich: eine Unmenge von Gedanken verbinden sich zu einem 
Gesamtbilde, aber eben dadurch wird dieses Bild zu breit 
und verliert an Einheitlichkeit, abgesehen davon, daß manche 
der schönsten Episoden verwässern. Aber man muß indes 
Tovey ernst nehmen. Er ist ein selbständig denkender und 
frei arbeitender Geist. — Neu für Deutschland war ein „Stabat 
mater“ von Emanuel Mo&r für Frauenchor, Altsolo und 
kleines Orchester. Das in lyrische Farben getauchte Opus — 
es trägt die Zahl 138 — verrät den mit dem Chorsatze ver- 
trauten Meister, in dem Wirkunjgsberechnung und musika- 
lische Aesthetik sich das Gleichgewicht halten. Unter den 
Solisten sei neben dem Wiener Adolf Busch, dessen intuitive 
Meisterung des A dur-Konzertes von Mozart entzückte, noch 
Max van de Sandl genannt. In seiner Person repräsentiert 
sich der alte solide Stil; rein, wie er ihn von Liszt über- 
nommen, hat er ihn bewahrt und in sich verarbeitet, wie 
das selten im Konzertsaal erscheinende Fdur-Konzert von 
Chopin auswies. /. M. P. Steinhauer. 

Basel. Wenn nicht alles täuscht, kommt mm allmählich 
der Basler Meister Hans Huber auch im Reich zum Durch- 
bruch. Im Frühjahr fand seine D dur-Symphonie am Schluß 
der Konzerte der vereinigten Deutschen Orchester in der 
Philharmonie zu Berlin unter Hermann Suter eine begeisternde 
Wiedergabe, und eben hat der Basler Gesangverein ein Ora- 
torium aus der Taufe gehoben, das sofort nach der Urauf- 
führung von einigen anwesenden deutschen Chorleitern für 
eine baldige Wiederholung reklamiert wurde. „ Weissagung 
und Erfüllung' 1 heißt das Werk für großen (teilweise Doppel-) 
Chor, Knabenchor, Orchester, Soloquartett und Orgel, das 
inhaltlich etwa dem ersten Teil des Lisztschen Christus ent- 
spricht, aber eigene Wege geht. Für geschulte Chöre eine 
lockende Aufgabe, da allen Chorgattungen, vor allem dem 
Frauenchor die dankbarsten Ziele weisend, in Bachscher Art 
den leuchtenden Cantus firmus der Choräle verwendend, das 
Soloquartett diskret, aber im Aufbau glücklich steigernd zu 
Worte gelangen lassend, vor allem fortwährend in unge- 
brochener Kraft gesund und frisch musizierend, voller Ideen 
und neuer, überraschender Wendungen — wir erinnern etwa 
an die entzückende Hirtenmusik und das madrigalähnliche, 
innig empfundene Krippenmotiv, den marschähnlich schreiten- 
den Unisonogesang der drei Könige — , dem solis tischen 
Element in einer vom leisen Chor begleiteten Sopranarie und 
einer mystisch versunkenen Arie für Alt schönsten Spielraum 
gewährend. Das Orchester hat, wie stets bei Huber, einen 
satten Farbenglanz und wird von der Orgel wirkungsvoll 

X80 


unterstützt. Eine Zeit, die dem Oratorienschaffen fast ver- 
ständnislos gegenübersteht, sollte mit beiden Händen nach 
solch einem Werke greifen, das die großen Vorbilder pietätvoll 
grüßt und doch so ganz den Stempel unseres modernen Em- 
pfindens an sich tragt. Baur. 

Braunschwelg. Im Hoftheater vollziehen sich Verände- 
rungen, die der Oper ein ganz anderes Gesicht verleihen. Der 
frühere Intendant v. Wangenheim übernahm nach der plötz- 
lichen Entlassung des Herrn v. Frankenberg die Leitung, 
der Direktor H. Frederigk wurde wieder angestellt und manch 
wichtiges Fach neu besetzt; für die Hochdramatische Frau 
Kruse -Tiburtius tritt Berta Schelper (Frankfurt a. M.) und 
als Heldentenor ihr dortiger Kollege, unser Landsmann 
0. Hagen in den hiesigen Verband; als Heldenbariton wurde 
nach erfolgreichem Gastspiele Hedler (Düsseldorf) und als 
lyrischer Tenor Rieh. Koegel (Basel) verpflichtet. Für die 
Koloratursängerin und Soubrette stehen Gastspiele in nächster 
Zeit bevor. Von den Neuheiten hielt sich „Oberst Chabert" 
von Waltershausen, dank auch der trefflichen Leistung von 
Albine Nagel, im Spielplan. Das Weihnachtsmärchen 
„Schneiderlein hoch hinaus, der falsche Prinz“ von Paul 
Diedicke, mit ansprechender Musik von M. Claras, das hier 
seine Erstaufführung erlebte, versetzte alt und jung wochen- 
lang in freudigste Feststimnnuig und wird sich gleich seinen 
Vorgängern viele Bühnen erobern. Die Festvorstellungen 
zum Einzug des Herzogspaares (3. Akt aus den „Meister- 
singern“, „Die Maienkönigin“ von Gluck), sowie zum Ge- 
burtstage des Herzogs („Der Barbier von Sevilla“ mit d’Andrade 
als Gast), endlich „Lohengrin“ mit O. Hagen als Titelhelden, 
den sich der Herzog-Regent zu seinem Abschiede gewünscht 
hatte, zeichneten sich durch äußeren Glanz aus. - — Von den 
Konzerten standen die der Hofkapelle unter Rieh. Hagel an 
der Spitze, im zweiten errang sich M. v. Schillings (Stuttgart) 
als Gastdirigent mit seinen Werken „Oedipus“, Erntefest aus 
„Moloch“ und Glockenlieder (Fr. Zador, Dresden) bedeutenden 
Erfolg. Der „Verein für Kammermusik“ bildete sich nach 
Riedels Tode neu: Frl. E. Knoche, die Herren der Hofkapelle: 
Mühlfeld, Darune, Giemsa und Bieler, in der „Triovereinigung“ 
gesellte sich E. Kaselitz zu W. Wachsmuth (erste Geige") und 
E. Steinhage (Cello). Großen Anklang fanden die Orgel- 
konzerte des Domorganisten K. Gom, während die reisenden 
Virtuosen, sogar Fr. Lamond, C. Ansorge, W. Burmester, 
Frz. v. Vecsey u. a. wenig „klingende“ Geschäfte machten. Das 
musikalische Yereinsleben blühte wie nie zuvor. Ernst Stier. 


Neuäufführungen und Notizen. 

— Ueber die Parsifal-Aufführungen können wir, wie schon 
bemerkt, natürlich nicht im einzelnen berichten. Das nächste 
Heft wird eine Zusammenstellung der wichtigeren bringen. 

— Das Stuttgarter Hoftheater hat in dankenswerter Weise 
schon wieder die Uraufführung einer abendfüllenden Oper 
herausgebracht: „Ferdinand und Louise“ (Kabale und Liebe) 
von Julius Zaiczek. Die Aufnahme des Werkes übertraf die 
Erwartungen, so daß man vielleicht mit einem allgemeinen 
Theatererfolg rechnen kann. (Bericht folgt.) 

— Gustave Charpentier hat sich Ende Januar — nachdem 
ihm die schönen Pariser Arbeiterinnen aus Dankbarkeit und 
Verehrung als Schöpfer der ihr Los so ergreifend und treffend 
schildernden Opern „Louise“ und „Julien“ in der Sorbonne 
unter dem Vorsitz von Madame Poincarö, der Präsidentin 
der Republik, einen wertvollen akademischen Galadegen 
, überreicht hatten — in Le Havre nach New York eingesebuft. 
um seinen „Julien“ im „Metropolitan Opera“-Theater zu 
dirigieren. Die Oper soll danach in den größeren. Städten der 
Vereinigten Staaten gegeben werden. _ Lvn. 

— Aus New York wird berichtet, daß die Oper „Die Liebe 
der drei Könige“ („L’Amore dei tre re“), Text von Sem Benelü. 
Musik von J. Montemezzi, die vor kurzem bei ihrer Urauf- 
führung in Verona und in Mantua Aufmerksamkeit erregt hat, 
am Metropolitan-Theater gegeben worden ist. 

— Die Hausegger-Konzerte des Blüthner-Orchesters sind, wie 
uns aus dem Bureau des Orchesters mitgeteilt wird, nunmehr 
für eine Reihe von Jahren weiter gesichert. Der vor Beginn 
der diesjährigen Konzertsaison an weite Kreise von Bernner 
Musikfreunden ergangene Aufruf hat zunächst die erfreuliche 
Wirkung herbeigeführt, daß das Abonnement der Hausegger- 
Konzerte im Vergleich zu den früheren Jahren sich wesentlich 
gehoben hat. Ueberdies haben sich einige Kunstfreunde 
zusammengefunden und einen größeren Fonds aufgebracht, 
der dazu dienen soll, dem Orchester und seinem Dirigenten, 
Herrn v. Hausegger, zur Durchführung seines künstlerischen 
Programmes die nötige finanzielle Bewegungsfreiheit zu 
sichern. — Diese Mitteilung wird in all den Kreisen, denen 
es um die Kunst noch ernst ist, mit Freuden aufgenommen 
werden. 

— Zur Bildung eines neuen gemischten Vokalquartetts 
haben sich in Stuttgart die Kammersängerinnen Frau E. Tester 
und Frl. M. Diestel sowie die Konzertsänger H. Ackermann 



und L. Feuerlein unter dem Namen „ Stuttgarter Oratorien- 
quartett“ vereinigt. Mit dieser Gründung wird ein Manko 
in unserem Musikleben gedeckt. Bei den bekannten Eigen- 
schaften der Sänger darf man mit einem künstlerischen Erfolg 
rechnen. 

— Ueber einen Schönberg-Abend in Leipzig lesen wir im 
„Berl. Tagebl.“: Im konservativsten und ehrwürdigsten Musik- 
institut Deutschlands, im Leipziger Gewandhaus, ist zum 
ersten Male ein Werk Arnold Schönbergs, die „Kammer- 
sjrmphonie“, zur Uraufführung gekommen. Und zwar erhob 
sich aus dem eleganten Publikum nach der Aufführung leb- 
hafter Widerspruch, ein Ereignis, das sich seit vielen Jahren 
nicht im Gewandhaus zugetragen hat. Die sonst so wohl- 
erzogenen Zuhörer zischten minutenlang; durch diesen Wider- 
spruch wurden indessen die zahlreichen Anhänger Schön- 
bergs zu um so stärkeren Beifall für die zarte, süß melancho- 
lische Musik dieser Symphonie angespomt, so daß; wie in 
der denkwürdigen Aufführung des „Pierrot lumaire“ in Prag, 
der Beifall schließlich siegte und Nikisch mehrfach danken 
konnte. 

— Arnold Ebel hat eine Ouvertüre appassionata für großes 
Orchester, die ihre Uraufführung durch das Blüthner-Orchester 
erleben wird, vollendet. (Musikverlag Raabe & Plothow, Berlin.) 

— In Düsseldorf hat in Anwesenheit des Komponisten 

Felix Woyrsch die Uraufführung der zweiten Symphonie 
C dur op. 60 im Konzert des städtischen Musikvereins mit 
außerordentlichem Erfolge stattgefunden. E. K. 

— Der Musikverein Bochum hat unter seinem tatkräftigen 
Dirigenten Arno Schütze auch in diesem Jahre Musikauf fuh- 
rungen großen Stils veranstaltet. Aus dem Programm seien 
genannt Verdis „Requiem“, Liszts „Pröudes“ und „Fausts 
Verdammung“ von Berlioz. In den Sonderkonzerten spielte 
u. a. Franz Mikorey in seinem Klavierquintett mit; ein inter- 
essanter Quartettabend des Berliner Vokalquartetts (Eva 
Leßmann, Martha Stapelfeldt. Richard Fischer, Eugen Brieger) 
brachte: Brahms, fünf Quartette: „An die Heimat“, „Sehn- 
sucht“, „Nächstens“, „Neckereien“, „Wechsellied zum Tanze“ ; 
vier Quartette a capella: Perez, „Tenebrae factae sunt“; 
J. S. Bach, „Komm, süßer Tod“; Mozart, „Ave verum“; 
A. Mendelssohn, „Altdeutsches Wiegenlied“; sowie J. O. 
Grimms sehr empfehlenswerten „Liederkranz aus Klaus Groths 
Quickbom“. 

— Max v. Pauer und Marie Soldat- Roeger sind bei einem 

gemeinsamen Sonatenabend in Graz sehr gefeiert worden. 
Nach Brahms, Bach und Mozart brachten sie Beethovens 
„Kreutzer-Sonate“, mit der sie eine künstlerisch und virtuos 
unerhört ausgeführte Meisterleistung boten. /. Sch. 

— Aus Luzern wird uns geschrieben: Die schweizerische 
Erstaufführung der musikalischen Legende „Der Kinder- 
kreuzzug“ von Gabriel Piernt hat unter der temperament- 
vollen Leitung des jugendlichen Musikdirektors Robert F. Deut- 
ler bei dreimaliger Wiederholung stürmischen Beifall gefunden. 
Als Solisten waren gewonnen worden: Kammersängerin 
Johanna Dietz und Frau Emma Bellwidt aus Frankfurt, 
sowie der Tenorist Karl Aagaard Oestwig aus Chris tiania 
(der, wie ich höre, für die Stuttgarter Hofoper verpflichtet 
wurde. Wir können dazu gratulieren!), Kinderchor, gemischter 
Chor und Orchester erreichten zusammen die Stärke von über 
500 Mitwirkenden. Die Aufführung des Werkes bedeutete 
für die ganze Schweiz ein musikalisches Ereignis. B. St. 



— Aufruf für ein Volkmann-Denkmal. Am 6, April 1915 
feiert die musikalische Welt die Wiederkehr des Tages, an 
dem Robert Volkmann zu Lommatzsch in Sachsen als Sohn 
des dortigen Kantors geboren wurde. Es hat sich nun in 
Lommatzsch vor einigen Jahren ein jetzt unter dem Vorsitze 
des jeweiligen Bürgermeisters stehender Ausschuß gebildet, 
um Volkmann an seinem 100. Geburtstage ein Denkmal in 
seiner Vaterstadt zu errichten. Es sind, teils durch freiwillige 
Spenden, teils durch regelmäßige Zuwendungen der Stadt- 
verwaltung, bisher etwa 3500 M. aufgebracht, ein Betrag, 
der zur Errichtung eines Denkmals selbst für bescheidene 
Ansprüche nicht ausreicht. Der Ausschuß wendet sich nun 
an die Künstlerwelt und die kunfctliebenden Kreise mit der 
Bitte, die gute Sache in Erinnerung an die reichen Schätze, 
die Volkmann der Welt geschenkt hat, durch weitere Gaben 
zu unterstützen. Zuwendungen werden an den Bürgermeister 
Benndorf in Lommatzsch erbeten. 

— Vom Schulgesang. Aus Coesfeld wird uns geschrieben: 
Vom 2. — 9. Januar d. J. fand unter der Leitung des Königl. 
Seminarmusildelir ers Krane in Coesfeld in den Räumen des 
Königl. Lehrerseminars der Westfälische Schulgesangkursus 
statt. Die Zahl der Teilnehmer war außerordentlich und 


belief sich auf 118 Damen und Herren aus dem Lehrer- 
stande. Als Dozenten waren tätig: Hofschauspieler Calm 
(Dessau) : „Sprechtechnik mit praktischen Uebungen.“ Schul- 
direktor Dr. Löbmann (Leipzig): „Aus meiner Singestunde 
(mit Kindern), „Zur Geschichte des Gesangunterrichts“ . 
Rektor Ostendorf (Bocholt): „Ueber das bewußte Singen 
nach Noten.“ Gymnasialdirektor Dr. Preising (Dortmund): 
„Was läßt sich von der Methode Jaques-Daleroze praktisch 
in der Volksschule verwenden ?“ (Mit praktischen Vor- 
führungen der Singschule Coesfeld.) Seminarmusiklehrer 
Schmidt (Dorsten i. W.) : „Didaktik und Methodik des Schul- 
gesangunterrichts nach Prof. Rolle.“ (Praktische Lektionen 
mit Kindern.) Kreisarzt Dr. Wolters (Coesfeld) : „Physiologie 
der Stimme.“ Kursleiter Seminarmusiklehrer Krane (Coes- 
feld): „Die Schulgesangmethoden der Gegenwart: Tonika do 
Methode — Eitz Tonwort — Theorie und Praxis. Atem- 
technik und Stimmbildung. Schülervorführungen.“ Während 
der Zeit wechselten Konzerte und Vorträge. Die Teilnehmer 
schieden mit voller Zufriedenheit. In der ersten Woche des 
Jahres 1915 wird der Kursus wiederholt. H. Undlaff. 

— Robert Schumanns Geburtshaus. Der Rat der Stadt 
Zwickau hat Robert Schumanns Geburtshaus, das einem 
Neubau weichen sollte, für 165 000 M. angekauft. Der Ober- 
bürgermeister Keil hat diesen Beschluß herbeigeführt. Ihm 
sei Dank dafür. Ein Brief des Generalmusikdirektors an 
diesen Oberbürgermeister würde etwas anders lauten, als 
der neuliche! 

— Stipendium. Die Mozart-Stiftung in Frankfurt a. M. 
wird am 1. Oktober 1914 abermals ein Stipendium vergeben. 
Der Stipendiat erhält eine Freistelle am Dr. Hochsohen 
Konservatorium in Frankfurt und einen Jahreszuschuß von 
1800 M. Wegen der zu erfüllenden Vorbedingungen wende 
man sich an den Verwaltungsausschuß der Mozart-Stiftung 
in Frankfurt a. M., Lehrbachstr. 22. 


Personalnachrichten. 

— Auszeichnungen. Bei einem Hofkonzerte in Luxemburg 
ist dem bekannten Konzertsänger Dr. Carl Ludwig Lauenstein 
(München) das. Ritterkreuz I. Klasse des Verdienstordens 
Adolphs von Nassau verliehen worden. 

— Otto Leßmann in Berlin hat am 30. Januar seinen 70. Ge- 
burtstag gefeiert. 

— Peter Gast hat am 10. Januar in Annaberg in aller Zurück- 
gezogenheit den 60. Geburtstag begangen. Der größeren 
Oeffentlichkeit ist der Musikerphilosoph durch Nietzsche 
bekannt geworden, der seine Oper „Der Löwe von Venedig“ 
bei seinen Angriffen auf Wagner als Gegensatz hervorhebt. 
Alfred Brust bemerkt in einem interessanten Feuilleton des 
„Berl. Tagebl.“: „Wenn der geistig umnachtete Nietzsche 
im Archiv saß und Peter Gast, sein unermüdlicher Apostel, 
in den Abendstunden den Flügel öffnete, um jenem die von 
ihm so schwärmerisch geliebte Komposition des Freundes 
vorzuspielen, 

.... liebes Kind, verzage nicht; 
schau mir froh ins Angesicht . . .' 
dann verklärten sich die Augen des Irren und er, der seines 
eigenen Körpers kaum mehr Herr war, bewegte zum Zeichen 
des Beifalls immer wieder die Fingerspitzen leise gegen- 
einander . . .“ Brust hofft, daß Peter Gast doch noch ein 
persönliches Buch über Nietzsche herausgeben wird. Wir 
hoffen es auch! 

— Königl. Musikdirektor Fritz Lubrich in Sagan hat sein 
25 jähriges Jubiläum als Schriftleiter kirchenmusikalischer 
Zeitschriften gefeiert. 

— Major Higginson, der Begründer und Erhalter des be- 
rühmten Boston Svmphony Orchestra hat im letzten Monat 
seine goldene Hochzeit gefeiert. Er ist 79 Jahre alt. 

— In Schliersee ist der Münchner Violoncellist — Mitglied 
des Hoforchesters — Prof. Max Hieber gestorben. Der aus- 
gezeichnete Violinspieler war den musikliebenden Kreisen 
Münchens auch durch seine Mitwirkung bei den früher von 
Prof. Bußmeyer, später von Prof. Schwartz geleiteten Kammer- 
musikabenden bekannt. Er war am 22. November 1852 in 
München als Sohn eines Hofmusikers und Hofkapellsängers 
geboren. Hieber hatte den Titel eines Kammermusikers 
und wurde auch zum Lehrer an der Akademie der Tonkunst 
ernannt. 

— Der Direktor des Metzer Stadttheaters, der bayerische 
Kammersänger Otto Bruchs, der seit dem Jahre 1906 das 
Stadttheater leitete, ist plötzlich gestorben. (Brucks, der 
55 Jahre alt geworden ist, war mit einer Tochter des Herzogs 
Ludwig in Bayern vermählt, die in ihrer ersten Ehe, als Gräfin 
Larisch, mit der Baronesse Vetsera befreundet und durch 
diese in Beziehungen zu der Tragödie des Kronprinzen Rudolf 
gekommen war.) Otto Brucks war erst Instrumentalmusiker 
gewesen, bevor er 1883 als Sänger zur Opembühne überging. 
Er wirkte als Baritonist in Dresden, Hamburg, Düsselaon, 
Prag und München, wo er 1894 zum Kammersänger ernannt 
wurde. 


181 



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Besprechungen und Anzeigen 



Männerchöre ohne Begleitung. 

Im Verlage von Albert Auer, Stuttgart, sind folgende Männer- 
chöre erschienen: 

Alfr. Baier: „Es ritt ein Junker am Morgen aus“. Das 
balladeske Gedicht von Grete Mass6 ist flott und frisch 
angefaßt und für die Männerchoipraxis gut brauchbar 
behandelt worden, nur gefallen mir folgende Akkord Verbin- 
dungen nicht: Auf S. 4 „ritt er daher (wirkt sehr steif!), 
ebenso die springende Septime im nächsten Takt „wie auf 
Flügeln“, desgleichen in der letzten Zeile „rot sein 
Kränzlein (das d im zweiten Baß strebt nach cis !) . 
Verfehlt im Ausdruck erscheint mir die Stelle „Stumm 
lag er nach Kampf“. Ebenso ist das flott hingeworfene 
„Reiters Tagreveule“ (0. Kernstock), komponiert von 
K. Hirsch, sehr gut verwendbar und wird namentlich beim 
Preissingen glücklich wirken. 

Das K. Göpf arische „Heimat und Vaterland “ hat z. B. 
im Schwäbischen Sängerbund bereits seinen Weg gefunden, 
denn wenn einmal mit einer Komposition ein I a- Preis 
geholt wurde, dann wird sie bei jedem Sängerfest mehrere- 
mals, schließlich bis zum Ueberdruß vertreten sein. Es ist 
auch ein warmempfundenes, dankbares Liedchen, nur 
wirken gewisse Akkorde, wie bei „schlagen“ und bei 
„t e u e r“ z u überschwengüch-himmelnd auf mich. Es 
wurde auch für gemischten Chor bearbeitet, was seiner 
weiteren Verbreitung nur förderlich sein kann. 

Den bekannten Baumbachschen Ton hat eine Vertonung 
von H. Klotz in dem „Nun pfeif ich mir ein zweites Stück“ 

f ut getroffen. Sehr hübsch wirkt" die Modulation bei „Das 
önnt' ich nicht verzeihen“. 

Von Karl Eichhorn ist ein Jugendwerkchen, „ Liebesleid “ 
benannt, bei demselben Verlag erschienen. Es ist ein volks- 
tümlich Lied im schwäbischen Dialekt gehalten und eben- 
falls für gemischten und Männerchor bearbeitet. 

Den bekannten Liedertafelton schlagen die bei Pabst, 
Leipzig, erschienenen Chöre: „Heimatgruß“ , „ Rosenzeit “, 
„Heimatklänge“, „Im gold’nen Maien “ usw. von A. Fleischer 
an. Man kann gut begreifen, wie ein unentwickelter Geschmack 
sehr leicht auf dieses Genre hereinfällt, denn die Sachen 
sind so bequem gesetzt, wenden fast durchweg dankbare 
Stimmlagen an und sind so dem Geschmack, der in den 
Männerchören im allgemeinen herrscht (öfter auch bei 
den Herren Dirigenten), daß sie „gehen“ müssen. Und doch, 
wie konventionell sind sie gefaßt, wie überschwenglich- 
süßlich wirkt das meiste, wie blickt immer die alte, schon 
x-mal angewendete Schablone durch, wie nachempfunden 
sind schon die vom Komponisten zum Teil selbstverfaßten 
Texte! Aber, wie gesagt: So wie die Verhältnisse liegen, 
werden sie dankbare Abnehmer genug finden. Geschmacks- 
bildung ist eben Kultursache und hiermit ist’s in Männer- 
chorkreisen noch ziemlich mind bestellt. 

Zum Schluß möchte ich noch einen Chor erwähnen, der 
sangliche Dankbarkeit und inneren Gehalt in glücklicher 
Weise vereinigt. Es ist dies „Am Chiemsee“ (von Scheffel), 
komponiert von K. Göpfari, im Selbstverlag des Tonsetzers 
erschienen. Die nicht schwer auszuführende, aber klang- 
schönes Stimmaterial verlangende Komposition ist jedem 
also qualifizierten Männerchor sehr warm zu empfehlen. 
Nur zwei Stellen trüben meinen Genuß etwas: Der über- 
schwengliche, in die ruhigen choralmäßigen Akkordverbin- 
dungen nicht recht hineinpassende Nonenakkord bei „in 
den Wind entwebt die Pein“, ferner die durch die Außen- 
quarten etwas hart und leer wirkende Stelle auf S. 5 vom 
sechsten bis siebten Takt. Dem Verein gratuliere ich übrigens, 
dessen zweite Bässe das tiefe es in der im folgenden an- 
gegebenen Weise auszudrücken vermögen! 

Karl Eichhorn ( Stuttgart ). 

Studienwerke für Klavier. 

Heinrich Reiser: Klavierschule für Kinder. Neu durch- 
gesehen von Dr. Grunsky. 3. Abteilung; geheftet 3 M. 
Stuttgart, Deutsche Verlags-Anstalt. Die stattliche Zahl von 
14 Auflagen spricht für die Beliebtheit des Werkes. In der 
vorliegenden Abteüung werden besonders die Molltonleitern 
behandelt. Für den Hauptvorzug dieser Schule halten wir 
die Auswahl der zwei- und vierhändigen Uebungsstücke, die 
nicht (wie so manche andere) nur simple Melodien bringt, 
sondern den Stoff durchweg aus Klassikern oder aus Opern 
nimmt. Der Schüler hat dadurch Gelegenheit, auf die an- 
genehmste Weise die Bekanntschaft der größten Meister zu 
machen, nicht bloß in ihren Originalklavierwerken, sondern 
auch in Proben aus Symphonien, Streichquartetten etc. Diese 
Uebungsstücke langweilen auch Erwachsene nicht und werden 
beim Schüler den Lerneifer rege erhalten. 


Alfred Rose: Tägliche Fingerübungen für Klavier 1 .£0 M. 
Verlag Ernst Bisping, Münster i. W. Die Uebungen fiir die 
Unabhängigkeit der Finger, Tonleitern, gebrochene Akkorde 
und Handgelenkübungen sind hier in systematischer Ord- 
nung übersichtlich zusammengestellt, ohne daß etwas wesent- 
lich Neues geboten würde. 

C. H. Döring: Oktavenetüden für jeden fortgeschrittenen 
Klavierspieler 1 M. Schuberth- Verlag, Leipzig. Mit der 
Brauchbarkeit zur Erlangung eines sicheren Oktavenspiels 
vereinigen diese Etüden, deren jede auch eine charakteristi- 
sche Ueberschrift führt, den Vorzug eines satten Wohlklangs. 

Helene Caspar: Die moderne Bewegungs- und Anschlags- 
lehre im Tonleiter- und Akkordstudium 3 M. Verlag Pabst, 
Leipzig. Die Verfasserin hat in diesem Heft ihre Erfahrungen 
einer langjährigen Lehrtätigkeit niedergelegt. Sie knüpft 
an die Lisztsche Klavierbehandlung und -technik an, wobei 
sie sich die modernen und modernsten Errungenschaften zu- 
nutze macht, ohne in den Fehler vieler Neuerer zu verfallen, 
die mit Veraltetem oder Ueberholtem auch manches erprobte 
Alte mit über Bord werfen. Die pädagogischen Winke, die 
in reicher Fülle den Uebungen beigegeben sind, bieten für 
Lehrer und Schüler eine wertvolle Hilfe. Musiktheoretische 
Erläuterungen sorgen dafür, daß beim Schüler stets das har- 
monische Verständnis Hand in Hand mit der Technik fort- 
schreitet. Der Preis "ist in Anbetracht von Inhalt und Aus- 
stattung billig. 

Die Technischen Studien für den modernen Klavierunter- 
richt von derselben Verfasserin, Verlag Pabst, Leipzig, 1.50 M., 
bilden ebenfalls ein nützliches Hilfsmittel für den Klavier- 
unterricht. F. 

* * 

* 

Wagner-Literatur. Das Jahr 1914, das die Werke Richard 
Wagners frei gibt, macht sich allmählich auf dem Bücher- 
und Musikalienmarkt bemerkbar. Der bekannte Wagner- 
Forscher, Geheimrat Professor Dr. Golther in Rostock gibt 
die Gesammelten Schriften des Meisters neu heraus (Verlags- 
haus Bong & Co. in Berlin). Mit dieser neuen Erscheinung 
soll dem deutschen Volke zu billigem Preise nichts Geringeres 
als eine mustergültige Ausgabe von Wagners gesammelten 
Werken dargeboten werden. Die Schriften erscheinen genau 
in der Gestalt und Reihenfolge, die ihnen Wagner selbst ge- 
geben hat. Die Ausgabe erscheint hier zum ersten Male unter 
philologischer Kontrolle, gereinigt von den Druckfehlern der 
Originalausgabe. Damit diese Ausgabe auch für die gesamte 
bisherige Wagner-Literatur benutzt werden kann, stimmt sie 
genau nach Seiten und Zahlen mit der zweiten, und sechsten 
Auflage der Originalausgabe überein. Ein umfangreiches 
Lebensbild, ausführliche Einleitungen und Anmerkungen, so- 
wie Register, die am Schluß vereinigt sind, geben’ zum ersten 
Male eine ausführliche Erläuterung der Wagnerschen Schriften. 
Sie sind weitere Vorzüge dieser Ausgabe, die wir allen Inter- 
essenten bestens empfehlen können. (Siehe auch den Prospekt 
im heutigen Heft.) 

Wagner-Katalog. Die Firma Breitkopf & Härtel, einer der 
Original verleger Wagners, versendet den (ülustrierten) Katalog 
ihrer Wagner- Ausgaben. Wir empfehlen allen Interessenten, 
sich den Katalog durch ihre Musikalienhandlung kommen zu 
. lassen (oder direkt durch den Verlag). 

* * 

* 

Unsere Musikbeilage zu Heft 9 bringt ein Lied eines ganz 
Modernen: „Sie sind so schön die milden sonnenreichen“ von 
Franz Schreker in Wien. Das Lied ist aus den „Fünf Ge- 
sängen“ mit Genehmigung der Universal-Edition in der „N. 
M.-Z." abgedruckt. Ueber den Komponisten sagt der Ar- 
tikel in. diesem Hefte Näheres. Die fortschrittlich gesinnten 
Kreise unserer Leser werden sich für diese Komposition ohne 
weiteres interessieren. Den übrigen empfehlen wir, mit etwas 
Geduld und Vorurteilslosigkeit diesem eigenartigen musika- 
lischen Gebilde beizukommen zu suchen. Vielleicht finden sie 
ihre Mühe belohnt. Zum mindesten wird jeder die in Töne 
„eingefangene“ Stimmung herausempfinden. Interessant ist 
der fehlende Taktstrich. Der Komponist sagt einiges dazu 
in einer Fußnote. Die Taktstriche sind hier nicht nötig, im 
Gegenteil, sie wären störend. Aber vielleicht hätten die neuen 
Vorzeichnungen für die Allgemeinheit durchwegs gesetzt 
werden können. — An zweiter Stelle steht ein melodiöses 
Klavierstücklein für unsere Jugend von Gustav Lazarus: 
„Schlummerliedchen“. Das hübsche Stück ist leicht und 
. eingänglich, wie es der Zweck erfordert. 

Verantwortlicher Redakteur: Oswald Kühn in Stuttgart. 
Schluß der Redaktion am 17. Januar, Ausgabe dieses Heftes am 
29. Januar, des nächsten Heftes am 19. Februar. 


182 






Briefkasten 


Für unaufgefordert eingehende Manu- 
skripte jeder Art übernimmt die Redaktion 
keine Garantie. Wir bitten vorher an* 
xufragen, ob ein Manuskript (schriftstelle- 
rische oder musikalische Beiträge) Aus- 
sicht auf Annahme habe ; bei 'der Fülle 
des uns zugeschickten Materials ist eine 
rasche Erledigung sonst ausgeschlossen. 
Rücksendung erfolgt nur, wenn genügend 
Porto dem Manuskripte beilag. 

Anfragen für den Briefkasten, denen 
der Abonnemenlsausweis fehlt, sowie ano- 
nyme Anfrage!» werden nicht beantwortet. 


L. R. 20 . Fragen der Art "sind natürlich 
schwer zu beantworten. Die Gehälter in 
„Pensionaten“ sind ganz verschieden, wie 
ja überhaupt die Gebaltsfrage der Musik- 
lehrer und -lehrerinnen keiner ; allgemelu 
gültigen Norm unterworfen sind. — Viel- 
leicht würden Sie eine Stelle erhalten, aber 
garantieren dafür kann niemand. Schließ- 
lich ist das Inserat aber, wenn keine pri- 
vaten Verbindungen da sind, der einzige 
Weg. — Das, was von einer Gesellschafterin 
im allgemeinen verlangt wird, nur muß 
sie natürlich auch gut spielen können ; man 
wird ihr vielleicht deshalb manche andere 
Forderung erlassen« Bestimmte Normen 
gibt es auch hier nicht. 

E. K., D. Wir werden über diese Frage 
in nächster Zeit allgemein und ausführ- 
licher berichten. Ja! Aber wir sind zur- 
zeit für D. versehen. 

R. Wertvolle Musikinstrumente ver- 
sichert unseres Wissens gegen Beschädi- 
gung und Entwendung die dem bekannten 
„Allgemeinen Deutschen Versicherungs- 
Verein a. G. M in Stuttgart nahestehende 
„Stuttgarter Mit* und Rückversicherungs- 
Aktiengesellschaft“ in Stuttgart. — Besten 
Dank für die Anregung. Wir werden sie 
beachten. 

F. . ♦ • Das glauben wir gern, daß Sie 
auf Zeitungs-Inseralc nicht sogleich in 
Leipzig Klavierschüler gefunden haben. 
Die Konkurrenz ist eben ungeheuer groß, 
die Not allgemein. Versuchen Sie es mit 
persönlichen Beziehungen. Wenn Sie bloß 
Nebenverdienst suchen, dann kommen auch 
Kino- und Kaffeehaus-Musik in Betracht. 
Allerdings wird auch hier der Andrang 
sehr groß sein. 


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Holländer- Album: 11 Stücke . IM. 
Tannhäuser- Album: 1 3 Stücke 1 M. 
Lohengrln-Album: 17 Stücke . IM. 
Tristan- Alb um: 1 1 Stücke . . 1 M. 
Meistersinger- Album: 1 5 Stücke 1 M. 
Rheingold-Album: 12 Stücke . IM. 
Walkure-Album: 10 Stücke . 1 M. 
Siegfried- Album: 13 Stücke . IM. 
Götterdämmerung- AI bum: 7 St. IM. 
Parsifal- Album: 1 1 Stücke . . 1 M. 
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Tannhäuser, I.ohengrin, Tristan, 
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Alblim) 1-üOM., biegs. geb. 2.60 M. 
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Die Wagner- Ausgabe der Edition Breitkopf umfaßt über 800 Bände. Näheres ist aus 
dem Wagner-Katalog (32 Seiten) ersichtlich, der von der Verlagshandlung Breitkopf & 
Härtel in Leipzig auf Verlangen kostenlos übersandt wird. 

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September 1860.) 

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Interesse Zürichs und seine geselligen und familiären Be- 
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statt M. 2.- nur M. —.80 110. Band II 49 Seiten 
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banden mit briefl. Fernunterricht. 

Redigiert von Pirol. C. Hilf. 
Dm Werk Mete* du gesamt« 
musiktheoretische Wissen, du an 
•in. Konservatorium gelehrt wird, 
so dass jeder praktisch Musik- 
treibende sieh dfe Kenntnisse an- 
eignen kann, die au einer höheren 
musikal. T&tigkelt u. rum vollen 
künstlerischen Verständnis grSss. 
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lesen. Dirigieren befthigen. 
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(Münzende Erfolge. Begeisterte 
Dankschreiben aowleQaus- 
ttthrliche Prospekte gratis. 



183 










Kompositionen 


Sollen Kompositionen im Briefkasten 
beurteilt werden, so ist eine Anfrage nicht 
erforderlich. Solche Manuskripte können 
jederzeit an uns gesendet werden, doch darf 
der Abonnementsausweis nicht fehlen. 

(Redaktionsschluß am 15. Januar.) 

Orgel. Ihr Talent läßt kontrap unk tische 
Schulung vermissen. Sie Figurieren und 
fugieren sorglos ins Bläue hinein. Immer- 
hin sind die 5 Choralvorspiele als Beweise 
eines ernsteren Strebens zu betrachten. 
Kennen Sie die Choralvorspiele Ihres 
Landsmanns Rieb. Pricke (Insterburg)? 

Fr, H— el, M. Ihre lonsetzerische Ge- 
schicklichkeit und Gewandtheit zeigt sich 
am vorteilhaftesten in den 2 kirchlichen 
Chorsätzen. Unter den Klavierstücken 
zeichnet sich „Ländliche Szene“ durch 
einen temperamentvollen, phantasiekräf- 
tigen Zug aus; „Zum Abschied" fällt in 
jeder Beziehung ab dagegen. Die gut de- 
klamierten Sologesänge werden den text- 
lichen Stimmungen im allgemeinen gerecht; 
die Begleitsätze lassen mitunter in der 
Wahl und Darstellung der Motive künst- 
lerischen Feinsinn vermissen. 

K. S. 16 . Wir haben Ihr „Predigtlied“ 
verbessert, so daß es gelegentlich Verwen- 
dung finden kann. Hoffentlich denken 
Sie nicht daran, dieses Opusculum zu ver- 
öffentlichen. 

C. R — el, Br. Das Studium Ihrer Ge- 
sänge müßte auf jeden erhebend wirken, 
der feines Empfinden mit künstlerischem 
Verständnis verbindet. Nun wissen Sie 
also, was von Ihrem „kompositorischen 
Talent" zu halten ist. — Porto fehlt. 

M. Vo— 1 , D. Die beiden Chorsätze 
dürfen als befriedigende Versuche gelten. 
An Verwendung ist nicht zu denken. Bei 
weiterer Uebung in Theorie und Praxis 
wird Ihnen ohne Zweifel noch etwas 
Brauchbares gelingen. 

P. Br— ner, Fr— Ing. In beiden Stücken 
läßt sich eine quellende Phantasie erken- 
nen. Es bleibt nur der Wunsch nach ein- 
gehenderem Studium der Tonsatz- und 
• Formenlehre offen. Einwandfrei sind die 
Stücke nicht. — Ab.-Ausweis fehlt. 

W. H. in H. Als Abonnent der „N. 
M.-Z." können Sie jederzeit Kompositionen 
zur Beurteilung im Briefkasten einsenden. 


m 


■ Kunft und Unterricht ■ 


Adressentafel für Künstler, Künstlerinnen, Musiklehrer und -lehrerinnen, Musikinstitute usw. 
Wegen der Aufnahme wende man sich an unsere Anzeigen- Abteilung! Stuttgart} Kftnlgstr .31 B. 



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Dirigenten-, Gesang-, Klavier-, Komposition»-, 
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Orgel, Harfe, Kammermusik usw. Großes Schülerorchesler und Opernauf- 
führungen, dirigiert durch Schüler. Mitwirkung in der Hofkapelle. Voll- 
ständige Ausbildung für Oper und Konzert. Reife-Prüfungen und Zeugnisse. 
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zeit. Prospekt kostenlos. Gegr. 1883. 

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dadurch besondere Bedeutung, daß deren Anordnung 
sich genau an den Lehrgang der Harmonielehre an- 
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sowie auch (zuzüglich 30 Pf. für Porto) direkt vom Verlag 

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q j 2 Uhr statt. Schriftliche Anmeldungen können jederzeit, persönliche Anmeldungen am besten am Dienstag, den 14. April 

im Bureau des Konservatoriums erfolgen. Der Unterricht erstreckt sich auf alle Zweige der musikalischen Kunst, nämlich 
Klavier, sämtl. Streich- und Blasinstrumente, Orgel, Konzertgesang und dramatische Opemausbildung, Kammer-, Orchester- 
und kirchliche Musik, sowie Theorie, Musikgeschichte, Literatur und Aesthetik. 

Prospekte in deutscher und englischer Sprache werden unentgeltlich ausgegeben. 

Leipzig, Januar 1914. 

Das Direktorium des Königlichen Konservatorium der Mnsik. 

Dr. RSntsoh. 


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fnuZul l, w. A. Mozart’s; nach Original- 
quellen beschrieben. Prag «798 [Fak- 
similedruck]. Kl. 4". Eleg. kart. M. 4.20. 
Pananini’c 1 * ben n. Treiben eis Kflnst- 
royailllll 0 ler und Mensch von seinem 
Zeitgenossen J. M. Scbottky. Frag 1830. 
[Neudruck.] (XVI, 430 S.) Br. M. 6.—, 
eleg. geb. M. 7.50. 

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Verrt gliche te galten, boebeleg. Etat* und 
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Markneukirohen I. Sa. 600. 

Flolln-D-Saltea, tbenponnen u. nntbertroH. 


.Verantwortlicher Redakteur: Oswald Kühn in Stuttgart. — Druckend Verlag von Carl Qrüninger in Stuttgart. — (Kommissionsverlag In Leipzig: F. Volckmar.) 








XXXV. VERLAG VON CARL GRÜNINGER, STUTTGART-LEIPZIG 1914 
Jahrgang Preis des Jahrgangs (Oktober 1913 bis September 1914) 8 Mark. Heft 10 

Erscheint vierteljährlich ln 6 Heften (mit Musikbeilagen, Kunst bellage und „Batka, illustrierte Geschichte der Musik“). Abonnement preis a M. vierteljährlich, 8 M. jährlich. 
Einzelne Hefte so Pf. — Bestellungen durch alle Buch- und Musikalienhandlungen sowie durch sämtliche Fostanstalten. Bel Kreuzbandvetsand ab Stuttgart lm deutsch- 

österreichischen Postgebiet M. 10.40, lm übrigen Weltpostverein M. xa. — jährlich. 


Inhalt * Zur Kunstästhetik unserer Zelt. III. Das doppelte Gehör. (Sinnliches und geistiges Ohr.) Ein Beitrag zum Verständnis der modernen Musik. — Führer 
llllla.ll • durch die Vloloncell-Literatur. (Fortsetzung.) — Vom freien Parsilall Die beiden Berliner Parsifal-Auflührungen. Parsifal ln Prag — deutsch und tsche- 
chisch. Italien und der „Parsifal“. Der Pariser Parsifal. — Unsere Künstler. Zum 70. Geburtstage von Dr. Friedrich Stade. Annie Betzak, biographische Skizzen. — 
Tonbildsäulen. — Zur Uraufführung von Jul. Zaicxeks „Ferdinand und hülse“. (Am 16. Januar lm Stuttgarter Hoftheater.) — Chansons und „sociätäs chantantes“ im 
alten Frankreich. — Kritische Rundschau: Breslau, Freiburg 1. Br., Sondershausen. — Knust und Künstler. — Besprechungen: Klaviermusik. — Briefkasten. — Musikbetlage. 


Zur Kunstästhetik unserer Zeit. 

III. Das doppelte Gehör. 

(Sinnliches und geistiges Ohr.) 

Ein Beitrag zum Verständnis der modernen Musik. 
Von Dr. ALFRED SCHÜZ (Stuttgart). 

I. 

S chon oft hat man darauf aufmerksam gemacht, 
daß beim Musikhören nicht bloß das sinnliche Ohr 
in Anspruch genommen ist, sondern daß dabei immer zu- 
gleich eine, wenn auch meist unbewußte, geistige Tätigkeit, 
ein Vergleichen, Auswählen, Trennen und Verknüpfen 
der Töne, stattfindet, daß es also beim Musikgenuß nicht 
bloß um ein physisches Erleiden, sondern zugleich um 
eine psychische Aktivität sich handelt, ohne die ein solcher 
Genuß gar nicht möglich wäre. Zu dem sinnlichen Ohr 
brauchen wir auch noch ein geistiges Ohr, um Musik wahr- 
haft genießen zu können. Man denke dabei aber nicht 
sofort an das „innere“ Ohr, mit dem der taube Beethoven 
eine' ganze Symphonie samt all ihren einzelnen Stimmen 
hörte und sogar dirigierte. Jeder begabte Musiker kann 
darin eine gewisse Fertigkeit erlangen, mit diesem inneren 
Ohr, einer überaus lebhaften Einbildungskraft, ein Ton- 
stück, ja eine umfangreiche Orchesterpartitur im Lesen 
zu vernehmen und die einzelnen Instrumente herauszu- 
hören, sich gewisse Klangeffekte vorzustellen. Auch 
nicht um die Fähigkeit, beim Hören eines Musikstücks 
zu allerlei Gedanken sich anregen zu lassen, handelt es 
sich da, als ob es zum wahren Musikverständnis gehörte, 
sich immer etwas Bestimmtes dabei zu denken. Es gibt 
ja reichlich solche Gedankenmusik, in der mit Absicht 
etwas Besonderes ausgedrückt werden soll, mit oder ohne 
Programm. Wir bleiben aber bei unseren Untersuchungen 
auf dem rein musikalischen Boden der „absoluten Musik“, 
und es wird sich heraussteilen, daß die Musik durchaus 
nicht, wie viele meinen, eine bloße Kunst des Gefühls 
oder ein leeres Spiel der Töne ist, sondern daß schon beim 
bloßen Anhören der denkende Geist in Tätigkeit ist, 
ja sein muß, wenn das Kunstwerk überhaupt genossen 
sein will, und daß manches Tonstück nicht bloß als ein 
unmittelbarer Herzenserguß in Tönen, sondern zugleich 
als ein wunderbares Werk des denkenden Musikgeistes 
sich uns offenbart. Wie das mathematische — das arith- 
metische und geometrische — Denken vom allgemeinen 
begrifflichen Denken sich wesentlich unterscheidet und 


doch als ein Denken gefaßt werden muß, so gibt es auch 
ein musikalisches Denken, gleichsam ein Rechnen in Tönen, 
und, um es gleich vorauszuschicken, gerade die neuere 
und neueste Musik fordert dieses musikalische Denken 
in hohem Grade, so daß es wohl zeitgemäß ist, gerade 
zum Verständnis der modernen Musik auf die Tätigkeit 
und die Ausbildung des musikalischen Ver- 
standes energisch hinzuweisen. Es gibt ja freilich 
auch heute noch genug Musik, für die das sinnliche Ohr 
zu genügen scheint, die, bloß auf sinnlichen Reiz berechnet, 
als „Ohrenschmaus“ für die Menge dient. Für den feiner 
Empfindenden kann solche Musik aus einem bloß passiven 
Genuß oft zu einem wirklichen Erleiden werden. Emst 
zu nehmen und für die Weiterentwicklung der Tonkunst 
bedeutsam kann dagegen nur die „Musik des Geistes“ 
sein, eine Musik, die auch den Geist anregt und befriedigt. 
Und eben diese Musik kann nur genossen werden mit 
dem geistigen Ohr, von einem Hörer, bei dem das Ver- 
ständnis für die von den alten, einfachen Wegen weit ab- 
weichenden Ton- und Akkordfolgen geweckt und mehr 
und mehr geschärft wird. 

Nicht soll damit das sinnliche Element in der Musik 
zu niedrig veranschlagt werden, wird doch durch dieses 
unsere Kunst erst zur wirklichen Tonkunst. Die Akkorde 
der Obertonreihe, die an Einfachheit und Wohlklang für 
das sinnliche Ohr alle andern abgeleiteten, alterierten 
Akkorde übertreffen, müssen die natürliche Grundlage 
jeder Musik bleiben, solange man überhaupt aus der Musik 
das Prinzip des Wohllauts, der Anmut, der Harmonie 
und Schönheit nicht ausscheidet. Was. wir heute noch 
„Musik“ nennen, läßt sich nicht willkürlich aus beliebigen 
Tönen oder gar Schällen und Geräuschen produzieren. 
Aber auch hier schon, an den Elementen der Tonkunst, 
hat der denkende Menschengeist sein Werk getan. Schon 
die Auswahl einer beschränkten Reihe von Tönen aus 
der zahllosen Menge auf Grund der Obertonreihe und des 
Quintenzirkels, die Tonleiter, unser Tonsystem, all dies 
ist ja sein, des Menschen Werk ! Aus der unendlichen 
Tönemasse hat er eine bestimmte Zahl von Tönen heraus- 
genommen; sich gleichsam ein Tönehaus konstruiert, in 
dem er sich häuslich niederließ. Um Ordnung, Klarheit, 
Uebersicht in das Tönematerial zu bringen, mußte er 
diese Töne zusammenstellen, da und dort Grenzpfähle 
stecken, sie zum „System“ ordnen. Er hat ein Abc, eine 
Sprache der Töne sich geschaffen, deren Elemente die 
Tonleitern und Akkorde bilden. Auch der feste Punkt, 
um den sich alle andern Töne gruppieren, das Normal-«, 
ist ja kein objektiv gegebener, sondern konventionell 

185 









festgesetzter und darum aüch das sogenannte „absolute 
Gehör“ genau genommen kein absolutes, sondern nur ein 
sehr zuverlässiges Tonhöhegedächtnis. 

Da das Tonsystem der abendländischen Völker kein 
willkürlich konstruiertes, sondern ein in den natürlichen 
Tonerscheinungen (speziell dem Phänomen der klingenden 
Teiltöne) begründetes ist, so ist es zweifellos den orienta- 
lischen und anderen exotischen Tonsystemen, bei denen 
die natürlich gegebenen Grundlinien nicht so klar zutage 
treten, vorzuziehen. Wenn neuerdings das Bestreben 
sich zeigt, das abendländische System mit seinem Dur 
und Moll zu erweitern und durch andere Tonreihen, z. B. 
die chinesischen und japanischen, die zum Teil den alten 
Kirchentonarten gleichen, zu bereichern, wodurch die 
Ausdrucksfähigkeit der Musik noch gesteigert wird, so 
kann man sich nur darüber freuen, vorausgesetzt, daß 
die fundamentale Bedeutung des abendländischen Systems 
damit nicht angetastet werden soll. 

Auch in unserem Tonsystem mußten ja aus prak- 
tischen Gründen die natürlich gegebenen Töne des Quinten- 
zirkels und der Obertonreihe künstlich um ein kleines 
geändert werden, um reine Oktaven und innerhalb jeder 
Oktave zwölf einander gleiche Halbtonschritte zu gewinnen. 
Ohne diese „gleichschwebende Temperatur“ hätten wir 
zwar reine auf- und absteigende Quinten, aber falsche 
Oktaven und noch unreinere Dreiklänge. Das wunderbare 
Phänomen der Oktave, der Wiederholung desselben Tons 
auf höherer Stufe, wodurch zwei Töne einander ähnlich 
und doch nicht gleich sind, wurde vom denkenden Musik- 
geist zum Prinzip für die Tönegruppierung gemacht. In- 
dem man im Quintenzirkel das his für das um ca. 7# niedrere 
c nimmt, geschieht in der Musik dasselbe, was in der 
Sprache geschieht, in der verschiedene Gegenstände, z. B. 
die verschiedensten Apfelsorten unter dem Begriff Apfel 
zusammengefaßt, also annähernd gleiche Gegenstände für 
gleich genommen werden. 

Auch hier sehen wir also wieder in das sinnlich Gegebene 
den denkenden Geist eingreifen, um es sich zurechtzu- 
machen. Und was er selber geschaffen hat, die Ausgleichung 
der Töne in den Tonreihen der Klaviatur, ist ihm im Lauf 
der Zeit zur anderen Natur geworden. Der Hörer nimmt 
die Töne nicht, wie sie wirklich sind und vom sinnlichen 
Ohr empfunden werden, sondern wie sie sein soll- 
ten: er nimmt das annähernd Richtige für voll und rein, 
der nur relativ reine, sinnlich gehörte Ton wird vom 
geistigen Ohr idealisiert, als Repräsentant (Symbol) für 
den absolut reinen genommen. Ja nicht bloß die tem- 
perierte Stimmung, auch noch größere Abweichungen 
von den naturreinen Tonverhältnissen, z. B. bei nicht 
ganz reinem Gesang, werden ertragen, weil das geistige 
Ohr die Abweichungen in der Intonation ignoriert und 
die Töne idealiter nimmt. Darum hat auch Mayrhofer 
(„Psychologie des Klangs“) recht, wenn er sagt, daß die 
musikalischen Gesetze nicht gleichbedeutend mit den 
akustischen seien. „Musik wird erst in unserem Innern, 
äußeres Klingen ist nur der Anlaß.“ Schon Goethe, dem 
man nicht gerade einen Mangel an Objektivität in der 
Auffassung der Dinge zur Last legen kann, fragt einmal: 
„Was ist eine Saite und alle mechanische Teilung derselben 
gegen das Ohr des Musikers ?“ (das übrigens NB. prinzipiell 
mit dieser mechanischen Teilung übereinstimmt und nur 
aus praktischen Gründen zu einem Kompromiß genötigt 
ist!) „ja, was sind die elementaren Erscheinungen der 
Natur selbst gegen den Menschen, der sie alle erst bän- 
digen und modifizieren muß, um sie sich einiger- 
maßen assimilieren zu können ? Es ist vieles wahr, 
was sich nicht berechnen, sich nicht bis zum entschiedenen 
Experiment bringen läßt. Dafür steht der Mensch so hoch, 
daß sich das sonst Undarstellbare in ihm darstellt. Er 
ist selbst der größte physikalische Apparat, den es geben 
kann.“ — Gewiß lag es Goethe ferne, nach dem bekannten 
Satz, daß der Mensch das Maß aller Dinge sei, jeder sub- 
jektiven Laune in der Musik Tür und Tor öffnen zu wollen. 


und muß durch eine scharfe Grenze das bloß individuell 
und subjektiv Wahre, vom objektiv Wahren geschieden 
werden. Es ist deshalb von großem Wert, wenn man 
die Gesetze zu fixieren versucht, die in der menschlichen 
Seele walten bei der Auffassung des dem Ohr gebotenen 
Tönematerials. Aber wir dürfen nicht vergessen, daß 
der unendlich vielseitige elastische Menschengeist, der in 
jedem Jahrhundert wieder anders denkt, aüffaßt und 
empfindet, ein Geist der Freiheit ist, der sich nicht 
so leicht einfangen und in musik-psychologische oder 
-ästhetische Gesetze und Regeln bannen läßt. 

Wie viel nun aber die Auffassung des denkenden 
Geistes, der Musikverstand, zu dem Objektivgegebenen 
hinzutut und wieviel er gerade bei der ernsthaften modernen 
Musik hinzudenken muß, das im einzelnen nachzuweisen, 
soll jetzt unsere Aufgabe sein. 

Angenommen, wir vernehmen aus einem Tonstück 
heraus den Ton a‘, so fragt es sich gleich: in welchem 
Sinn ist nun dieses a‘ zu fassen? Kann es doch die ver- 
schiedenste Bedeutung haben: als Grundton (Prim), als 
Terz oder Quinte eines Durdreiklangs oder Molldreiklangs, 
als Septime eines Sept-, als None eines Nonakkords, als 
übermäßige Quinte (Hochquinte) eines Hochquintklangs 
oder als Bestandteil (erster, Mittel- oder Schlußton) eines 
verminderten Septakkords usw. Möglicherweise ist es 
auch gar kein sondern ein vertieftes b ‘ : 


Das sinnliche Ohr empfängt immer ein und denselben 
Ton, aber wie verschieden ist mm die Bedeutung dieses 
Tons je nach dem Zusammenhang, in welchem er steht, 
nach der harmonischen Unterlage, die er in Wirklichkeit 
hat oder die hinzuzudenken ist! Dies zu entscheiden, 
ist das sinnliche Ohr allein nicht imstande, es ist Sache 
des geistigen Ohrs. Und wie merkwürdig, daß dieser 
eine Ton — denken wir ihn uns von einer Geige gespielt 
oder von der Singstimme gesungen — ganz anders klingt, 
eine ganz andere, trübe oder heitere, hellere oder dunklere 
Färbung erhält, je nachdem er mit einem Moll- oder Dur- 
dreiklang, einem Septakkord oder Hochquintklang usw. in 
Beziehung gebracht wird. Ein ähnlicher Fall tritt ein 
beim Zusammenklang mehrerer Töne, z. B. e g. Nicht 
das Ohr allein, erst der musikalische Verstand, Warm ent- 
scheiden, wie diese kleine Terz aufzufassen ist, ob als 
kleine Terz des Cdur- oder e moll-Dreiklangs oder als 
unvollständiger A -Septakkord oder als Bestandteil eines 
kleinen Nonakkords, bezw. verminderten Septakkords usw. : 


Ausschlaggebend ist hier, ob die C dur-Tonart oder e moll 
oder D (Dur oder Moll) oder H (Dur oder Moll) vorwaltet. 
In jedem Fall wird diese kleine Terz zwar gleich gehört, 
aber anders empfunden. Bei der großen Terz c e wird 
in der Regel der C dur-Dreiklang vernommen, je nach dem 
Zusa mm enhang ist sie auch als a moll zu fassen. Die 
leere Quinte (cg) ist an und für sich geschlechtslos, weder 
Dur noch Moll, wiewohl die rein akustische Auffassung 
(Obertöne!) nach Dur hinweist und der Hörer immer im 
Geist sich zu der einen oder anderen Auffassung hinneigen 
wird. Auch hier also kommt das psychologische Moment 
mit ins Spiel. Ein im Geist froh und straff gestimmter 
Hörer wird die leere Quinte im Dursinn, ein seelisch Ge- 
drückter sie im Mollsinn nehmen. In anderen Fällen 
weist der Zusammenhang, die Beziehung zu den vorher- 
gegangenen oder nachfolgenden Klängen auf das Ton- 
geschlecht hin. (Man denke an die leeren Quinten am 
Anfang der Neunten Symphonie von Beethoven, von 
denen die ersten a — e anfangs wohl geschlechtslos, als 




186 



Dominante von i aber hernach im Dursinh, dagegen die 
zweiten d — a entschieden im Mollsinn zu fassen sind.) 

Wie beim unvollständigen, so ist auch beim vollständigen 
Dur- und Molldreiklang die Bedeutung eine mehrfältige. 
Jeder Dreiklang — reden wir zunächst vom Dur klang — 
hat ja eine dreifache Stellung im einfachen Tonsystem: 
als Tonika (Mittelklang), Dominante (Rechtsklang) und 
Unterdominante (Links klang) . Als Tonika (i) ist er Aus- 
gang und Ziel und hat den Charakter der Ruhe, als Ober- 
dominante (2) gefaßt, hat er Strebekraft, und erscheint 
in der Bewegung und Unruhe, als Unterdominante (3) 
tritt er vermittelnd zwischen Tonika und Oberdominante. 
Damit ist aber seine Bedeutung noch nicht erschöpft. 


1. 2. 



Als „neapolitanische Sext“ ege befindet er sich im Bann- 
kreis von hmoll und bekommt dadurch mit einem Male 
eine weichere, trübere Färbung: ist er doch dann der Drei- 
klang der zweiten Stufe des phrygischen hmoll mit po- 
tenziertem Mollcharakter (4). Auch als Dreiklang der 
dritten Stufe der äolischen Tonleiter (a — a ohne Leitton) 
ändert sich sein Charakter (5) und ebenso als Dreiklang 
der sechsten Stufe von harmonisch e moll (6 a) — auch 
phrygisch e moll (6 b) — . Im dorischen Moll oder der 
„melodischen“ Molltonleiter als Dreiklang der vierten 
Stufe gibt er dem weichen Moll einen herberen Charakter, 
verliert aber trotzdem seine helle Farbe (7). Wir haben 
hier eine Molltonart mit Dur-Ober- und Unterdominante 
(Doppeldurmoll) . 



dorisch doppel-durmoll 



Auch als Vorhaltsbildung kann der Durdreiklang auf- 
treten, wodurch ein Zwiespalt entsteht zwischen dem 
sinnlichen und dem geistigen Ohr: für jenes bleibt er Kon- 
sonanz, für dieses wird er zur Dissonanz (nach Louis-Thuille 
„ Auffassungs - Dissonanz“). Derartige Zwiespältigkeiten 

liefert uns die moderne Musik zahllose, weil eben ein be- 
sonderer Reiz darin liegt (8). — Daß der Durdreiklang 
bei herrschendem Moll derselben Tonart (also z. B. Cdur 
als Dominante der Unterdominante in cmoll) gleichfalls 
für die Auffassung ein anderer wird, sei nur kurz erwähnt (9) : 



Wir kennen nun neun Bedeutungen des einfachen Dur- 
dreiklangs: das sinnliche Ohr hört stets dieselben Töne, 
denselben Klang, vom geistigen Ohr wird jeder wieder 
in ein anderes Licht gerückt. Dieselbe Vieldeutigkeit 
begegnet uns auch beim Mollklang. Begnügen wir 
uns mit den wichtigsten Deutungen, z. B. des amoll- 
Klangs: 



187 






Der Dreiklang der zweiten Stufe der Durtonleiter (4) ist 
wohl akustisch ein Mollklang, wird aber von jedem Musik- 
verständigen als Stellvertreter der Durunterdominante 
gefaßt und begegnet uns deshalb meistens in der Terzlage 
(c e a) als Sextakkord. Dagegen erscheint er auf der dritten 
Stufe vorwiegend als Vertreter der Oberdominante (5). 
Auch der Dreiklang der sechsten Stufe der C dur-Tonleiter 
hat die Gestalt des Molldreiklangs, wird aber vom musika- 
lischen Ohr meistens als Vertreter der Tonika vernommen. 
Das zur Terz c e hinzukommende a hören wir dann nicht 
als Grundton von a moll, sondern als Terz von F dur, 
was als eine Erweichung des Cdur-Klangs empfunden 
wird, man höre z. B. aus „Rheingold" (a) und „Par- 
sifal“ (b): 



Daß zu diesem Schein-Mollakkord meistens noch die 
Quinte der Tonika hinzutritt, so daß ein Septakkord 
(a c e g) entsteht, ändert nichts an der Sache, wie wir 
später sehen werden. Ein weiterer Schein-Molldreiklang 
(7) ist der Torso eines Nonakkords: a c e — d fis a c e, 
sozusagen ein „Nonenmoll“. Die Tonleiter des Akkords 
ist die dorische Tonreihe a h c d e fis g a, also unsere G dur- 
Tonleiter vom zweiten Ton aus genommen. Man höre: 



Bei a verschwindet die Mollfärbung fast ganz, bei b, dem 
dorischen amoll mit Hochsexte, hat er als Schlußakkord 
wieder ausgesprocheneren Mollcharakter. — Eine andere 
Funktion hat der Molldreiklang als Sextakkord (c e a) 
im phrygischen Moll (8). Hier hat nicht der obere, 
sondern der untere Ton Leittoneigenschaft und auch der 
Mittelton schließt sich ihm gerne an beim phrygischen 
Durschluß und strebt nach dis. Der Schluß in Dur war 
ja von alters her gebräuchlich: 

8. 9. Adagio 






t- 





Daß auch bei Molldreiklängen, wenn sie als Vorhalts- 
bildungen auftreten, ein Widerspruch zutage tritt zwischen 
der rein akustischen und der musikalischen Auffassung, 
indem das sinnliche Ohr den Dreiklang als konsonant, 
das geistige denselben als dissonant auf faßt (9), soll nicht 
unerwähnt bleiben. Schon diese kurzen Ausführungen, 
die sich auf das Gebiet der einfachsten Akkorde beschränken, 
werden genügen, den Leser zu überzeugen, daß die vom 
Ohr empfangenen Töne erst in tmserem Innern lebendig 
werden und zu dem sich gestalten, was sie sein und sagen 
sollen. (Fortsetzung folgt.) 


Führer durch die Violoncell-Literatur. 

Von Dr. HERMANN CRAMER (Berlin). 

(Fortsetzung.) 

Dietrich, A., op. 27: Einleitung und Romanze (m.). Pohle, 
1.50 M. 

— op. 32: Romanze. Pohle, 1 M. 

Dotzauer, J. J. F., op. 79: Variationen mit Orchester 
(m. — s.). Simrock, 2 M. 

Veraltet, aber zu Uebungszwecken brauchbar; hat 
das gleiche Thema wie Grützmachers Fantasie op. 3 
und Servais in seiner Fantasie „O cara memoria“. 

Draeseke, F., op. 7: Ballade (m. — s.). Röszavölgyi, 2.40 M. 

Edel und vornehm. Beide Instrumente gleich wichtig. 

— op. 11 : Barcarole (m.). Hoffarth, 1.50 M. 

Feines, stimmungvolles Werk, zum Vortrage gut 
geeignet. 

Dvorak, A. : Waldesruhe, Adagio mit Orchester (s.). Sim- 
rock, 1.50 M. 

Sehr eigenartig und warm. Stellt erhebliche An- 
forderungen an die Ausführenden. Gewinnt bei mehr- 
fachem Hören. 

— op. 94: Rondo mit Orchester (s.). Simrock, 4 M. ; Volks- 
ausgabe 2 M.; Universaledition, 2 M. 

Feurig und schwungvoll. Slawische Themen enthaltend. 
Hat einige für die Ausführung recht unbequeme Stellen. 

Ebner, K., op. 20: Widmung, Tarantelle, Serenade (m. — s.). 
Rahter, 2.50 M. 

— op. 42: Konzertwalzer (s.). Steingräber, 1.50 M. 

— op. 47: Tarantelle (s.). Steingräber, 1.50 M. 

Ansprechend und geschickt gesetzte Stücke ohne 
besonders hervorstechende Züge. 

Erb, M. /., op. 64: 3 Morceaux ( 1 .). Andre, 5.40 M. 

Menuet serieux, Madrigal, Valse-Serenade. Harmlos 
und ohne sonderlichen Sinn für Klangreiz. 

d’ Erlanger, F. , op. 18 : Andante symphonique (s.) . Rahter, 4 M. 

Ein schönes, vornehmes Werk. Zu Anfang eine breite 
Melodie. Dann entwickelt sich in zunehmender Be- 
wegung ein stark empfundenes Agitato, worauf all- 
mählich wieder Beruhigung zum ersten Thema eintritt 
und das Werk still und verklärt abschließt. 

Ernest, G., op. 82: Air de ballet (ms.). Simrock, 4 M. 

Hübsches Stück zum Vortrag. 

Fabricius, /., op. 24: Ballade ( 1 .). Hansen, 1.60 M. 

Ein einfach-edles, schlichtes Stück. 

Faißt, C., op. 5: Melodie ( 1 .). Reinecke, 1.50 M. 

Nach einer alten Ballade „Es waren zwei Königs- 
kinder“ gesetzt. Innig und schön empfunden. 

Faure, G. : Les berceaux, Elegie. 

Fink, H., op. 3: Silhouetten, 2 Hefte (ms.). Döblinger, 3 M- 

Ganz einfache Stücke verschiedenen Charakters. 

Fischer, A., op. 6: Au bord de ruisseau (m.). Leuckart, 
1.60 M. 

op. 7: A la hongroise (s.). Leuckart, 1.50 M. 

__ op. 9: Fantaisie espagnole (s.). Bote & Bock, 2.50 M- 
op. 10: Czardas. Bote & Bock, 1.80 M. 

__ op. 15: Les arpeges, Caprice (ms.). Leuckart, 2 M. 


«88 




Uebungartig wirkendes Stück aus lauter gebrochenen 
Akkorden. Die spärliche Melodie muß gut betont her- 
vorgehoben werden. 

Fischer, C. A., op. 19: Fantasie mit Orgel ( 1 .). Kahnt, 2 M. 

Wohlklingend, einfach. 

Fitzenhagen, W. : Ein hochbegabter Tonsetzer, leider nur 
a l l zufrüh verstorben. Auch seine kleineren Werke 
gehören neben den Konzerten zu den feinsten und zu- 
gleich dankbarsten ihrer Art. Fitzenhagen vereint 
Adel der Form, Fluß der Gedanken, sinnliche Schön- 
heit, harmonische und kontrapunktische Feinheit mit 
hoher Anmut und Charakteristik in den kleineren und 
ernster Schönheit und stellenweise Erhabenheit in den 
größeren Werken. Besonders sind noch seine aus- 
gezeichneten Klavierstimmen zu erwähnen; sie dienen 
dazu, das Streichinstrument noch mehr zu heben und 
zu tragen. 

— op. 1: Roma n ze (m.), Kahnt, 1.50 M. 

Noch etwas hergebrachtes Stück. 

— op. 3: Zwei Dieder ohne Worte, Frage und Antwort ( 1 .). 
Raabe & Plothow, 2.40 M. 

Frage ist von besonderer, sinniger Schönheit. 

— op. 8: Tarantelle (s.). Breitkopf & Härtel. 

Feurig und von ausgezeichneter Wirkung. 

— op. 6: Notturno. 2.60 M. 

— op. 8: Resignation, mit Orgel ( 1 .). Breitkopf & Härtel, 
1.50 M. 

— op. 9: Ballade mit Orchester (ss.). Deuckart, 6 M. 

Herrliches Werk in größtem Stile, als Konzertstück 
angelegt. Von wundervoller Wirkung, Thematik und 
Harmonik sehr bedeutend. 

— op. 13: Impromptu ( 1 .). Deuckart, 1.25 M. 

Hübsch und warm empfunden. 

— op. 17: Heidenröslein-Fantasie (m.). Raabe & Plothow. 

— op. 20: 3 kleine Stücke. Breitkopf & Härtel, 2 M. 

— op. 24: Perpetuum mobile (ss.). Breitkopf & Härtel, 
2.60 M. 

Wurde früher sehr viel gespielt. Geistreich und 
sprühend. 

— op. 25: Deichte Variationen. Breitkopf & Härtel, 2 M. 

— op. 27: 3 Salonstücke. Breitkopf & Härtel, 2.50 M. 

— op. 29: 3 kleine Stücke. Breitkopf & Härtel, 2 M. 

— op. 31: Walzer (s.). Rahter, 3 M. 

Aeußerst geschickt gesetzt. Benutzt höchst geistvoll 
alle möglichen Wirkungen des Violoncellos. Bei gutem 
Vortrag von bester Wirkung. 

— op. 32: Trauermarsch (s.). Rahter, 3 M. 

Groß und tief angelegtes Stück, von nachhaltiger 
Wirkung. 

— op. 33: Mazurka (ss.). Rahter, 3 M. 

Glänzend und sehr wirkungsvoll. 

— op. 35: Serenade (m.). Senff, 1.50 M. 

Anmutiges, lebendiges Stück. 

— op. 36: Gavotte (s.). Senff, 1.50 M. 

Prickelnd und prächtig erfunden. 

— op. 38 : Ave Maria, Barcarole, Mazurka ( 1 .). Augener, 3 M, 

Deichte Unterrichtsstücke. Musikalisch gut gehalten. 

— op. 39: Cavatine, Dändler, Tarantelle ( 1 .). Augener, 3 M. 

Desgleichen. 

— op. 40: Capriccio (s.). Eysoldt & Rohkr., 1.80 M. 

Glänzend und dankbar. 

— op. 41: Ave Maria (m.). Eysoldt & Rohkr., 1.20 M. 

Fein und stimmungsvoll. 

— op. 42: Gavotte (s.). Eysoldt & Rohkr., 1 M. 

Entzückendes, feinsinniges Stück. 

— op. 43: Impromptu (m.). Eysoldt & Rohkr., 1.20 M. 

— op. 44: Notturno (m.). Eysoldt & Rohkr., 1.20 M. 

— op. 45: Menuetto (s.). Eysoldt & Rohkr., 1.80 M. 

Melodiöse, charaktervolle Stücke. 

— op. 62: Suite mit Orchester (s.). Deuckart, 5.50 M. 

Dreisätziges, breites Werk, jeder Satz eine Perle. 
Beginnt mit einer Gavotte voller Adel, hat eine Elegie 
von großer Schönheit zum Mittelsatze und endigt in 


einer Serenade und Scene d’amour, die an Grazie ihres- 
gleichen sucht. 

Förster, A., op. 93: Gedenkblatt (in.). Rahter, 1.50 M. 

Schön entwickelte Melodie und harmonische Reize 
zeichnen dieses Stück aus. 

Forino, L., op. 19: Six croquis lyriques ( 1 ., m., s.). Andre, 
10 M. 

Feine Stücke von guter Klangwirkung und manchem 
sinnigen Zuge. Angelus, Au chäteau, Des mouches, 
Sur les flots, Mazourka, Tarantella sind die einzelnen 
Ueberschriften, denen die Musik wohl gerecht wird. 
Daß man die italienische Herkunft nicht verkennt, ist 
natürlich nicht etwa ein Tadel. 

Franchomme, A., op. 6: Variations (m. — s.). Hofmeister, 
1.50 M. 

— op. 38: Fantasie Gazza ladra. Hofmeister, 3 M. 

— op. 40: Fantasie Zauberflöte. Hofmeister, 3 M. 

* Veraltet, aber zu Uebungszwecken wohl brauchbar. 

Franck, R., op. 24: Serenade mit Orchester (m.). Schle- 
singer, 1.50 M. 

Hübsch, ansprechend, gut musikalisch. Freilich ohne 
eigenes Gesicht. 

Franz, R. : Hebräische Melodie (m.). Deuckart, 1.25 M. 

Ein wundervolles, einfach-edles Stück in Trauer- 
marschart nach einem Synagogengesang gesetzt. Von 
ergreifender Wirkung; gleichwohl nicht besonders be- 
kannt. 

Fuchs, A., op. 28: Suite mignonne (s.). Forberg, 4 M. 

Eine überaus lebensprühende, frische und erfindung- 
blühende Reihe von Stücken. Die Aufmerksamkeit 
aller guten Spieler sei ausdrücklich darauf gelenkt. 
Wenn man derartig vornehme, andererseits dankbare 
und verständliche Musik hat (und wir haben noch mehr 
solche), so fragt man sich immer wieder, warum die 
Notbehelfe der Uebertragungen, warum Anleihen bei 
anderen Instrumenten, wo man doch im eigenen Garten 
silberne und goldene Früchte in vollauf genügenden 
Mengen pflücken kann. 

Fuchs, R., op. 78: Fantasiestücke, Heft I und II. Ro- 
bitschek, 6 M. ; Universal-Edition, 4 M. 

Gentili, A. : Canzone. Hug, 1.80 M. 

Ruhig fließend, ansprechend gesangvoll. 

Gernsheim, F. : Elohenu mit Orchester (m.). Rieter-Bieder- 
mann, 2 M. 

Schönes, feierliches Stück über einen gottesdienst- 
lichen Synagogengesang, nach den Anfangsworten des 
Gesanges benannt. 

Glickh, R., op. 20: Romanze ( 1 .). Robitschek, 1.50 M. 

— Ungarischer Tanz (ms.). Robitschek, 1.50 M. 

Hübsch klingend, nicht eben bedeutend, aber ge- 
schickt gesetzt. 

Glüre, R., op. 4: Ballade (s.). Belaieff, 1.80 M. 

Ein in seinem Anfang- und Schlußteil prächtiges, im 
Mittelteü aber sowohl im Violoncello als im Klavier 
überladenes Stück, dessen Aufgebot an Mitteln nicht 
im Verhältnis zu Inhalt und Wirkung steht. 

Godard, B., op. 36: 2 Stücke mit Orchester: Sur le lac und 
Serenade (m. — s.). Hamelle, 8 Frcs. 

Reizvolle Stücke, denen man häufiger im öffentlichen 
Vortrage begegnet. 

— op. 61: Aubade und Scherzo mit Orchester (m. — .). 
Durand, 10 Frcs. 

Gleichfalls hübsch erfundene Musik, wenn auch nicht , 
so wirkungsvoll als die vorigen Stücke. 

(Fortsetzung folgt.) 



189 


Vom freien Parsifal! 

S eit bald zwei Monaten genießt der reine Tor nun die 
Freiheit der Bühne, „schutzlos preisgegeben“ (nach An- 
schauung der Bayreuthianer) jeder Wülkür. Wir haben 
solche Meinung bekämpft, sie entspricht uns nicht der Be- 
deutung eines Richard Wagner und seines Werkes. Nicht gut 
wäre es innerlich um sie bestellt, wenn sie tatsächlich auf die 
Sorge gewisser Epigonen und ihres wohlmeinenden Anhanges 
gestellt wären, jener Leute, die da meinen, ohne ihren Rat, 
Schutz und Hilfe müsse der „Sprößling“ verkümmern. Man 
hat so oft dabei das Gefühl, als wollten die Leute sich wichtig 
machen und auf Kosten eines Großen selber emporkommen. 
Es gibt aber auch einen andern Standpunkt, der den Wunsch 
und das Verlangen, den Parsifal für Bayreuth bewahrt zu 
sehen, verstehen läßt. Es ist das Gefühl davon, wie schön 
und beruhigend es ist, ein Liebgewordenes und Verehrtes nicht 
aller Welt preisgegeben zu sehen. Vor allem nicht der „Ge- 
schäftswelt“. Und es war wohl nicht in jedem Falle Kultur- 
bedürfnis, wenn die Bühnen kaum den i. Januar erwarten 
konnten, um das Weihefestspiel „herauszubringen“; die sich 
zurückgehalten haben (dazu gehört Stuttgart), haben zum 
' mindesten mehr Takt bewiesen. Aber dies Idealistische Motiv 
des „Schutzes“ ist egoistisch und sentimental. Weltflucht 
und Entsagen können wir nicht brauchen! Und man über- 
windet ein Uebel, wie den zur Geißel der ganzen Menschheit 
werdenden „Geschäftsgeist“, wonach nun glücklich heute fast 
alles bewertet wird, nicht damit, daß man es meidet oder ihm 

f ar folgt, sondern vielmehr, indem man es aufsucht und 
ekämpft. Im Kampfe um künstlerische Ideale ist aber das 
Kunstwerk selber die beste Waffe. Der Rosenkava- 
lier hat weit mehr durch die Tat gegen die Operette gewirkt, 
als alle „vernichtenden“ Kritiken. Die „N. M.-Z.“ war des- 
halb für die Freigabe des Parsifal, weil sie — unbeschadet 
ihrem abweichenden Standpunkt — gerade in diesem Werke 
ein Rüstzeug sondergleichen gegen die bodenlose Trivialität 
der Sinne und des Herzens sieht, soweit unsere Zeit von der 
„Masse“ beherrscht wird und eben vom Geschäftsgeist, vom- 
rücksichtslosen Tanze um das goldene Kalb. Daß wir unsere 
Zeit deshalb noch lange nicht in Bausch und Bogen verdam- 
men, ihre Größe und Bedeutung vielmehr erkennen und für 
sie in der Kunst kämpfen, braucht wohl nicht weiter mehr 
gesagt zu werden. 

Es war nun schlechterdings unmöglich und wäre wohl nicht 
gerade kurzweilig oder nützlich gewesen, wenn wir jetzt über 
jede Parsifal-Aufführung in Deutschland, Oesterreich, Frank- 
reich, England, Spanien, Italien berichtet hätten. Wir nehmen 
daher einige wichtige. Von Deutschland natürlich die Ber- 
liner, von Oesterreich die Prager, weü Prag in diesem Falle 
uns mehr interessiert als Wien, dann Rom und Paris. Zu- 
sammen ein orientierendes Büd, so weit auch wieder die Mei- 
nungen im einzelnen auseinandergehen mögen. 

Eine Hauptfrage ist die der Inszenierung. Wir stehen auf 
dem Standpunkt, daß Bayreuth zu überwinden sei, soweit es 
sich nicht schon selbst überwunden hat. Es ist nicht richtig, 
sich auf Wagner zu berufen. Wagner soll bekanntlich sehr 
fortschrittlich gewesen sein. Würde er unsere Bühnenmittel 
kennen, so wäre er der erste, der den alten Kram mit eisernem 
Besen hinausfegen würde. Warum soll ein Werk, dessen musi- 
kalische Seite heute absolut künstlerisch wirkt und nichts 
verloren hat, in einem Rahmen gegeben werden, der ver- 
alteter Kitsch ist? Der ganze Wagner gehört nach neuem 
modernen Empfinden uminszeniert. Diese Landschaften! Diese 
Farben! Diese Menschen und Götter! Man lasse sich nicht 
schrecken durch bisher vielleicht weniger gelungene Versuche 
auf dekorativem Gebiete. Auch nicht durch Schlagworte wie 
stilisiert, impressionistisch, subjektiv und objektiv, Prinzipien 
usw. Es gibt Maler, die den Geist der Wagnerschen Musik 
auch für das Augein Musik umzuwerten vermögen! Laßt 
sie an die Arbeit, sie werden den „Stil“ finden, und das heute 
Unmögliche beseitigen. Es ist zu bedauern, daß man jetzt 
beim Parsifal nicht allgemein in diesem Sinn vorging, selbst 
auf die Gefahr hin, daß manches „Experiment“ mißlingen 
würde. Freilich wenn eine Stadt wie München zur Wiener 
Firma auf Bestellung geht! Ein Büd der Prager Aufführung 
möge zur Erläuterung dienen. Wir behalten es uns vor, Deko- 
rationen, die nach irgendwelcher Richtung hin abweichen, 
weiter zu veröffentlichen, und lassen für heute die vier Be- 
richte selber folgen* 


Die beiden Berliner Parsifal-Aufführungen. 

Wenn es bei 'der Befreiung des ‘„Parsifal“ aus der Bay- 
reuther Einsamkeit auf Schnelligkeit und Aktualität ankäme, 
dann könnte man der Charlottenburger Bühne wohl einen 
ersten Preis zuerkennen. Bereits am :. Januar , am ersten 
Tage des „freien" Wagner - Jahres, erklangen die Glocken 
des Graltempels im Deutschen Opernhaus, zogen die viel- 
verschlungenen Legenden [und Mythen des Weihefestspiels 


fern vom Stimmungszauber der Wagner-Festspiele vorüber.. 
Mit dem Vorspiel verbreitete sich jene weihevolle Stimmung, 
die über Einzelheiten, Realitäten und Dunkelheiten hinweg- 
hilft und der Musik einen weiten, schier unerschöpflichen Ein- 
fluß einräumt. Diese erhabene, dem Getriebe des Alltags 
entrückte Stimmung bildet die Grundbedingung einer Auf- 
führung. Wo sie ausbleibt, sieht der Zuhörer opemmäßige 
Einzelszenen, ein Nebeneinander wirksamer, bildkräftiger 
Szenen, wo eine einheitliche Gestaltung der Erlösungsidee an- 
gestrebt ist. Und gerade diese kritische Einstellung ließ sich 
m Charlottenburg nicht bannen. Schon in der ersten Szene 
setzte die Stellungnahme ein, dann mehrten sich die Ein- 
wände von einem Akt zum andern, und man verließ das 
Theater mit dem Gefühl, daß der „Parsifal“ eine tüchtige 
Darstellung, aber keine seiner Eigenart entsprechende Fest- 
aufführung gefunden hat. Es ist gewiß zu wünschen, daß 
die von Wagner angeregten szenischen Fragen und die ge- 
stellten Inszenierungsprobleme auf andere Art gelöst werden, 
als in Bayreuth, nur darf dabei der Grundcharakter des 
Werkes nicht geopfert werden, darf die Bühnenwelt Wagners 
nicht mit den Mitteln der modernen Oper oder der stilisierten 
Opemszene umgeben werden. Direktor Hartmann, der für 
die Aufführung verantwortlich zeichnete, sucht sein Heil in 
modern zugestutzten Bühnenbildern, in einer impressionistisch 
wirkenden Szenenmalerei. Der heilige Wald mit seiner derben 
Farbenzusammenstellung, die sezessionistisch angehauchte 
Blumenaue, das einfache Zauberschloß mit seinen nackten 
Zinnen, der in unermeßliche Höhen weisende Graltempel, der 
Wagners Forderungen nur zum kleinen Teil einlöst und allein 
durch Farben- und Beleuchtungseffekte wirken wül — all das 
ist künstlerisch gesehen, entspricht aber nicht den Wünschen 
Wagners, der gerade beim „Parsifal“ reiche Dekorationen, 
Maschinen und Prospekte verlangt. Es bedeutet auch einen 
Verstoß gegen den Geist des Werkes, wenn die vorgeschriebe- 
nen Wandeldekorationen einfach gestrichen werden. Herr 
Hartmann hat diese szenischen Striche in einem Einführungs- 
aufsatz verteidigen wollen, er vergißt aber, daß Wagner mit 
den Wandeldekorationen einen wichtigen dramatischen Zweck 
verbindet. Wir sollen „wie in träumerischer Entrückung“ die 
„unauffindbaren Wege zur Gralsburg“ geleitet werden, wo- 
durch die „sagenhafte Unauffindbarkeit“ des Gralgebietes in 
das Reich der dramatischen Vorstellung gehoben werden soll? 
Wer die Szene verdunkelt und am Schluß der Wandlungs- 
musik das Innere des Graltempels gleichsam aus dem Nichts 
erstehen läßt, der verkennt die szenische Dramaturgie des 
Werkes. Die ganze Inszenierung war nach meinem Gefühl 
im Experiment stecken geblieben. Auch die Solisten boten 
mit wenigen Ausnahmen nur einen ersten Versuch im Parsifal- 
Stil. Robert Blaß' Gumemanz war zu äußerlich in den Be- 
wegungen und gesanglich kaum ausreichend. Eduard Schüller 
spielte den Klingsor als Bösewicht einer modernen Oper und 
Julius Roether blieb als Amfortas reichlich indifferent. Am 
besten fand sich Frau Kurth mit der Partie der Kundry ab. 
Sie gehörte hier zu den wenigen Solisten, die Wagners Kunst 

t anz in sich aufgenommen haben und die Grundbedingungen 
es musikalischen Dialogs verstehen. Recht gut hielt sich 
Paul Hansen als Parsifal, wenn er auch Spiel und Gesang 
noch nicht recht abzurunden wußte. Die Blumenmädchen- 
szene, die außerordentlich wirkungsvoll und lebendig angelegt 
war, die Chöre und das prächtige Orchester unter der Füh- 
rung Eduard Mönches, bildeten die Höhepunkte dieser Auf- 
führung. Sonst herrschte der Eindruck vor, als müsse der 
gute Wille der Mitwirkenden eine künstlerische Tat ersetzen. 

In einem ganz anderen Rahmen, mit Einsetzung aller Kraft 
und mit innigster Hingabe an Wagners Forderungen erschien 
der „Parsifal“ einige Tage später im Königl. Opernhaus. War 
man in Charlottenburg auf neue Versuche ausgegangen und 
hatte mit kleineren Mitteln im einzelnen eine, ganz achtbare 
Aufführung erzielt, so war hier das Bayreuther Vorbild ein- 
gehalten, das nur an wenigen Stellen weiter ausgebaut und 
womöglich noch künstlerischer und ergreifender ausgefübrt 
wurde. Die beiden Berliner Aufführungen lassen sich kaum 
miteinander vergleichen. In Charlottenburg ein vorsichtiges 
Experimentieren, im Königl. Opernhaus ein sicheres, von 
künstlerischem Geist getragenes Gestalten, dort ein erster 
Versuch im Wagner-Stil, hier eine Vorstellung, die den „Parsi- 
fal“ als letztes Wagner-Werk dem Spielplan einreiht, die in 
Einzelheiten die gleiche Vollendung zeigt, wie in der Gesamt- 
haltung, die im „Parsifal“ die Summe aus den bisher ge- 
leisteten Wagner-Inszenierungen zieht. 

Es ist eine innere, durch die Eigenkraft der Dichtung ge- 
gebene Notwendigkeit, daß wir dem „Parsifal“ nicht in einem 
Theater begegnen, das durch seine Einrichtung an die Zeit 
erinnert, in der die Oper ein Prunkstück der Höfe büdete. 
Wagner hat den Gedanken einer einzigen, durch keine Aeußer- 
lichkeiten getrennten Zuhörerschaft, die nur die künstlerische 
Empfänglichkeit zusammenhält, in Bayreuth durchgeführt. 
Dem gleichen Gedanken hatte man im Königl. Opernhaus 
Rechnung getragen. Die Seitenlogen waren durch einen stim- 
mungsreichen, mächtigen Vorbau, der mit seinen romanischen 
Toren wie eine Vorhalle zum Graltempel wirkte, verkleidet. 


iqo 



alle Prunkstücke der alten Oper schienen in dem halbdunklen 
Raum vergessen. Durch eine hohe Brüstung blieb das Or- 
chester verdeckt, das unter Leo Blech unvergleichlich spielte. 
Mit den ersten Takten des Vorspiels fühlte man sich in jener 
Stimmung, die hinaushebt über den Alltag, die uns in das 
ideale Reich der Musik führt, wo fern von aller Ueberliefe- 
rung ein alles umfassendes Erlösungswerk durch die Musik 
verkündet wird. Graf Hülsen gab dem Werk die Welt der 
Romantik, die reiche phantastische und jene kristallklare 
Naturstimmung, aus der Dichtung und Musik herausgewachsen 
sind. Der „Parsifal“ bringt eine Umkehr zur alten Oper, ein 
Zurückgreifen auf die Zeit, in der die Musik der Dichtung 
Gesetze gibt, in der der Stillstand der Handlung das weiteste 
und fruchtbarste Feld der Oper bildet. Von verschiedenen 
Seiten ist diese Umkehr Wagners charakterisiert worden, und 
wenn einzelne Szenen mit der Einfachheit der Handlung nicht 
im Einklang stehen, so weist doch die Musik auf ein Ent- 
falten der reichsten szenischen Dekorationen, auf ein Heraus- 


Parsifal in Prag — deutsch und tschechisch. 

Wenn musikdramatische Kunst einer einigenden Kraft, einer 
hohem verbindenden Einheit bedarf, um die ihr innewohnen- 
den Werte harmonisch nach außen wirken zu lassen, so be- 
nötigt sie der Parsifal in besonderem Maße: Die Einheit, die 
das Szenische, das Orchestrale, das Chorische und Solistische 
in die Stilform bringt, die den Prinzipien des Gesamtkunst- 
werkes zukommt und kraft welcher das Drama jene Abklä- 
rung erlangt, durch die es allein in die Sphäre der Welt- 
abgeschiedenheit und der Mystik entrückt werden kann. Diese 
Einheit ist grundlegende Voraussetzung. Sie braucht nicht 
objektiv zu sein, d. h. der in der Ueberlieferung erhärteten 
zu ähneln oder gar zu entsprechen, sie hat vielmehr persön- 
lich geformt zu werden, wie jegliche Kunst mit dem Kunst- 
inhalt der vorwärtsdrängenden, stets erneuernden Zeit erfüllt 
werden soll. Das ist beim Parsifal nötig zu sagen, weil es 
nicht selbstverständlich erscheint bei diesem an Traditionen 



[ III. Akt Parsifal in der^szcnischen Darstellung: am Neuen Deutschen Theater zu Prag. Photogr. H. Kempf. 


stellen aller bildhaft und farbig wirkenden Inszenierungs- 
mittel Diese reichen Dekorationen hat Graf Hülsen mit 
seinen bewährten Mithelfern prächtig getroffen. Wie roman- 
tisch wirkt gleich der heilige Wald im ersten Akt! Wie herr- 
lich erhebt sich der Gralstempel mit seinen Säulengängen und 
dem mächtigen, über dem Altar geschlossenen Kuppelgewölbe! 
Das düstere Zauberschloß, die vielleicht zu konventionell ge- 
haltene Blumenmädchenszene, die fruhlingsfnsche Blumen- 
aue mit ihrem keuschen Birkenschmuck aas alles ist so 
künstlerisch durchgeführt, daß man sich eine schönere In- 
szenierung kaum wünschen kann Und nun denke man steh 

dazu den Gurnemanz Paul Knüpfers. diese Hofifv mdrv 

stung eines vollendeten Wagner- bangers die prächtig, s Kundry 
der Frau Leffler-Burckard, eine in jeder Hinsicht tief und 
innerlich wirkende Darstellung des Amfortas 
und den ausgezeichneten Klmgsor des Herrn Habtch/ Man 
achtet kaum noch darauf, _ wenn 

nicht alle Lyrismen der Partitur erschöpft, wenn Frau i Burctad 
die Kundrvoartie nicht überall gleich vollendet singt, alle 
Unebenheiten verschwinden hinter dem Gesamteindruck der 
ÄrÄkraft des Grals wird wirken solange 
den Aufführungen der Festcharakter ^ ge; wahrt 1 ^ £ 
möchten auf dfe letzten Worte unseres Berimer Referenten 
noch besonders hinweisen. Es gälte je » , Gesetz 

Wesen des Werkes nicht schon von , sl n n ^t nnd /fitounkt 
vorschriebe den Festcharakter durch Qualität und Zeitpunkt 
der Aufführung auch für die Oper zu wahrem Damt wara 
Ideal und Wirklichkeit vereint. Red.) Dr. Gg. Schünemann. 


geketteten Werke. Es soll durchtränkt werden mit modernem 
musikalischen und malerischen Fühlen. 

In solch geistiger Erneuerung wurde dem Neuen Deutschen 
Theater in Prag der Parsifal geschenkt. Daß Prag sich unter 
den wenigen Städten befand, die gleich am ersten Tage der 
Freiwerdung das Werk auf die Bühne brachte, ist interessant. 
Historisch bemerkenswert vor allem deswegen, da Richard 
Wagner gerade an den vor drei Jahren entschlafenen Direktor 
dieses Theaters — Angelo Neumann — den berühmt gewor- 
denen Parsifalbrief gerichtet hat, in dem es u. a. heißt: „Der 
Parsifal kann ausschließlich nur meiner Schöpfung in Bay- 
reuth angehören und mein dortiges Bühnenfesthaus wird aus- 
schließlich nur noch dieses eine Werk, in alljährlich wieder- 
kehrenden Aufführungen darstellen. Diese Isolierung liegt 
bereits in der ganzen Konzeption des Sujets selbst bedingt. 
Mit dem Parsifal steht und fällt meine Bayreuther Schöpfung. 
Allerdings wird diese vergehen und zwar mit meinem Tode . . . 
Nehmen meine Kräfte, welche ich bei solchen Gelegenheiten 
übermäßig anstrenge, noch vor meinem leiblichen Tode in 
der Weise ab, daß ich mich nicht njehr mit diesen Auffüh- 
rungen beschäftigen könnte, so hätte ich allerdings auf die 
Mittel zu sinnen, durch welche ich mein Werk möglichst rein 
der Welt erhielte. Haben Sie bis dahin Ihr „Wagnertheater“ 
durch ausschließlich und immer sicli verbessernde Auffüh- 
rungen aller meiner bisherigen Werke auf den richtigen Stand 
hierfür erhoben und erhalten, so würde diesem Theater auch 
Bühnenweihfestspiele zu besonderen Zeiten zu veranstalten 
sehr wohl zu überlassen sein, und einzig Ihnen würde 

191 



dann, in diesem Sinne, der Parsifal von mir ab- 
getreten werden können.“ 

Angelo Neumann ist dahingegangen und Heinrich Teweles 
hat den Parsifal aufführen lassen, ganz anders, als der über- 
lieferungsfeste Neumann es wahrscheinlich getan hätte. Ge- 
zeugt im Künstlertum Alexander von Zemlinskys, stilistisch 
unangetastet, doch neu belebt mit dem differenzierteren Bm- 
finden der Moderne, abgestufter, persönlicher als es das 
uchstabengetreue Wagnertum vermocht hätte, ist uns der 
Parsifal erstanden. Asketisch, heüig und niederzwingend im 
feierlichen, in den Kundrypartien stilisiert nach Zemlinsky- 
scher Art, frei von Realismen, durch und durch romantisch. 
Grandios der Karfreitagszauber, erschütternd die Trauermusik 
auf Titurels Tod. Die Darsteller durchwegs hervorragend: 
Hans Winkelmann, der Sohn des ersten Bayreuther Par.-ifals, 
in der Titelrolle. Schützendorf (Amfortas), Zec (Gumemanz), 
Frau Hoy (Kundry). Siegel (Klingsor), Schöpßin (Titurel) und 
ausgezeichnete Solistinnen in der Blumenmädchenszene. Das 
Orchester unübertrefflich. Die Frauen- und Männerchöre ver- 
stärkt durch Stimmen des deutschen Männergesangvereines, 
und die Kinderchöre des Johanniswaisenhauses fügten sich 
nach Kräften dem hohen Niveau der Gesamtleistung ein. 
Der Gesangstil und die Gebärde der Binzeisänger waren vom 
energischen Willen des einen beseelt, der am Pulte organi- 
sierend und neuschaffend waltete. Die Zuhörer verhielten 
sich schweigend bis zum Bnde des Weihefestspieles. Dann 
brach orkanartig der Jvfbel hervor. 

Ueber die Szene ist manches zu sagen. Die Komposition 
stammt von Erwin van Ösen, einem poesiereichen, eigenwil- 
ligen Maler. Man mag das Ganze als musikalische Vision 
fassen, als Komposition, die das Visionäre heilige, symboli- 
sierend in Licht und Farbe bannen wollte. Nichts ist kon- 
kret, alles angedeutet, skizziert oder nebelhaft v$ rschwitnmend 
gesehen; das Letzte wird der Phantasie des Betrachters an- 
heimgestellt. Die Figurinen oft verblüffend in der Bewegung 
der Linien, einfach und monumental in ihrem Gesamtfluß, 
erst beim Kopf, bei den Brauen und den Bärten wird scharf 
gekennzeichnet. Eine Kunst, die im Dekorativen mehr auf 
Klimt weist als auf Roller. 

So ist der Gralstempel ein Gedicht freischaffender Phantasie. 
Die meisten Bühnen, die das Weihefestspiel inszenierten, haben 
bestimmten Raumvorstellungen Ausdruck gegeben. Pracht 
und Glanz in einem romanischen Kircheninnern, oft Kopien 
bestimmter Vorbilder mußten das Gepräge geben. Das ist 
unmöglich für modernes Empfinden. Ösen stellt ein viel- 
faches System von Treppen in einen riesigen düsteren Raum, 
der von wenigen dünnen in himmelweite Fernen wachsenden 
Säulen getragen wird. Silberschwarze Kolossalquadem auf 
schwarzsilbemem Boden türmen sich im Hintergründe, auf 
denen bloß als Schatten eine in unendlichen Höhen zu 
denkende Kuppel sichtbar wird. In diesem Heiligtum wird 
das Gralswunder glaubhaft. Klingsors Zauberschloß ist in 
Finsternis gehüllt, gespensterhafte Lichtwellen durchfluten 
ab und zu im Crescendo und Decrescendo auf und nieder 
wogend das Verließ. Reliefbühne ist die Landschaft des ersten 
und dritten Aufzuges. Eine natürliche, gegen die Seite sanft 
ansteigende Grashalde; der See dargestellt als märchenhaft 
flimmerndes silbriges Licht. Im „Waldakt“ die Horizontale 
vorherrschend, abgestimmt auf die Komposition des auf eine 
feste Silhouette geformten Amfortaszuges. In der „Aue“ die 
Senkrechte betont; der Blick zum Hauptsymbol geleitet, zum 
schwarzen aus der Erde aufragenden Lanzenschaft, daneben 
der in schwarzer Rüstung stehende Held vor einem schwarzen 
Baumstamm in Frühlingsblütenpracht. Eine Stilisierung 
brachte auch der Zaubergartenakt. Ösen schien hier innere 
Stimmen der Dichtung überhört zu haben, denn er stilisiert 
und symbolisiert hier die Erotik. Er erfindet einen „Garten 
der Erotik“. Sicherlich ein Irrtum. Sicherlich steht die 
Keuschheit im Mittelpunkt der dramatischen Handlung dieses 
Teiles — sicherlich nicht die Erotik. Eher ein Bangen vor 
der Erotik. Osens Stil führt hier grundlos zum Realen hin- 
über. In allen Szenen transponierte Ösen ins Mystische, Un- 
wirkliche oder Träumerisch-Dekorative, mit allem Rechte und 
tief künstlerischem Empfinden. In diesem Aufzuge versinn- 
lichte er (wörtlich), wo andere verfeinerten. Er hätte auch hier 
im Stil seiner phantastischen Gedankenwelt verharren müssen. 

Die Spielleitung ( Gerboth ) hat im kleinen Großes geleistet, 
sie war in der Führung der Blumenmädchenszenen und der 
Gralsritterzüge weniger beachtenswert als in der Gruppierung 
von Einzelfiguren. Auch da hat der Maler mitgesprochen. 
Und die Silhouetten wirkten, die er auf der Reliefbühne gab. 
Die sanften Linien, die strenge Ruhe vor dem Hintergrund, 
die gelinden Bewegungen, welche reale Gesten (wie die der 
Fußsalbung, des Trocknens) vollends mied, bleiben unver- 
eßlich. Die neuere Kunstübung, aus der Stimmung der bild- 
aften Szene das Gesamtkunstwerk aufzubauen und andere 
Strömungen der Zeit, haben der Szenenkunst im Rahmen des 
Musikdramas einen großem Spielraum und eine höhere Be- 
deutung verliehen. Gründe, die ein Verweilen in der Be- 
trachtung rechtfertigen, und bei der Prägung der Osenschen 
Kunst ein solches besonders verständlich erscheinen lassen. 


Der Eindruck, den man im Tschechischen Nationaltheater 
bekam, läßt sich knapper fassen. In die beiden Worte: 
Aelteste Opemgepflogenheit. Oder noch kürzer: Wagner- 
Fremdheit. Man konnte es auch gar nicht verlangen. Ein 
spätes Wagner-Werk mußte diese Bühne, die in der boden- 
ständigen Oper Anerkennenswertes leistet, in Verlegenheit 
stürzen. Der „Tristan“ ist für dieses Theater Neuhat, der 
„Ring“ überhaupt noch unbekannt. Da begreift man ohne 
weiteres die künstlerischen Sünden, die begangen wurden. 
Langsame Zeitmaße kennt man nicht. Schnellere sind be- 
liebter als die ganz schnellen. Klangliche Abstufungen ver- 
schleiert man durch indifferentes Maßhalten. Ueberall die 
Mittelstraße. Nirgend ein Glaubensbekenntnis. Die Chöre 
waren klangschön, die Spielführung in den großen Szenen 
überzeugend. Frau Horvath als Kundry stilsicher, doch allzu 
realistisch, wie denn überhaupt eine alles Weihevolle und 
Uebemätürliche zerstörende Realistik sich lähmend über das 
Werk verbreitete. Zur Realistik der Dekoration gesellte sich 
die Realistik der Sprache und ein unmögliches Temperament 
der Gesten und GeDärden. Man verließ das Haus mit dem 
Gedanken, daß kultureller und künstlerischer Ehrgeiz an sich 
etwas sehr Schönes sei, daß alte künstlerische Kulturen aber 
nicht im Fluge erobert werden können, sondern erworben sein 
wollen in langen Zeitläuften. Dr. Erich Steinhard. 


Italien und der „Parsifal“. 

Rom, Ende Januar. 

Zu Rom, zu Bologna, zu Mailand hat das Bühnenweihfest- 
spiel, das man hierzulande unter der verschwommenen Be- 
zeichnung „dramma mistico“ ankündigt, bereits zahlreiche 
Aufführungen erlebt. Zu Turin ist man an den Vorberei- 
tungen — und im nächsten Winter wird es kaum eine italie- 
nische Mittelstadt geben, die nicht danach trachtete, auf ihrer 
Opembühne den „Parsifal“ dargestellt zu sehen. Die Tat- 
sache steht fest: kein anderes Werk Wagners hat südlich der 
Alpen eine solch enthusiastische und fast widerspruchslose 
Aufnahme gefunden wie seine letzte Schöpfung. Das Publi- 
kum drängt sich in dichten Scharen heran; die Zeitungen 
überbieten sich, ganz wenige Ausnahmen abgerechnet, in 
superlativstrotzenden Lobeshymnen. Oberflächliche Wagne- 
rianer reden von einem „neuen, unerhörten Triumph des Mei- 
sters“. Diese sich überaus geräuschvoll kundgebende Be- 
geisterung scheint mir nicht acht. Zuviel spricht dagegen. 
Man kann sich nicht bei den Ring-Dramen langweilen — wie 
heute noch der italienische Musik- und Opemfreund im Durch- 
schnitt — und die Parsifal-Partitur aus Herzensgründe will- 
kommen heißen; man kann sich nicht in einem Athem für 
die blutrünstig - abenteuerliche „Tosca“ und für Wagners 
Abendmahlsszenen begeistern. Ueberschnell sich kundgeben- 
der Massenbeifall ist dem Ernsthaften stets verdächtig. Eine 
Menge, die die bußfertige Kundry ein Dutzendmal an die 
Rampe ruft und dann am nächsten Tage vor den Kassen der 
Kinos, in denen die neuesten Tango-Variationen gezeigt wer- 
den, sich die Hälse bricht, unterliegt im einen wie im anderen 
Falle einfach Zeitsuggestionen, die hier das Schmutzigste, dort 
das Beste und Reinste „in Mode bringen“. Es kommt hinzu, 
daß es um das einheimische Opemschaffen zur Zeit kläglich 
bestellt ist: wurde doch erst jüngst Pietro Mascagnis „Parisina“ 
von der gesamten ernsthaften italienischen Kritik, die sonst 
jeden nationalen Komponisten als solchen nach Möglichkeit 
stützt, recht unsanft angefaßt. Und Neues sehen will nun 
mal schließlich auch der Gewohnheitsschläfer im Parkett- 
sessel. Da wird Wagner zum rettenden Engel für den Kas- 
sierer — und für den braven Theaterbesucher, dem die bunten 
Büder von Klingsors Zaubergarten endlich einmal „etwas 
Anderes“ bieten. Doch die Intellektuellen im heutigen Italien? 
Um ihre Stellung zur Religion ist es etwas Eigenes. Bei 
Wissenschaft und Technik finden sie kein volles Genüge: auch 
Fantasie und Seele wollen Nahrung. Jetzt hören sie von 
einem Kunstwerk mit religiösem Unterton und versuchen ihm 
näher zu ko mm en. Aber es kann ihnen seine Wesensart 
nicht enthüllen. Denn der in ein fremdes Sprachgewand ein- 
gezwängte, in verschobenen dramatischen Akzenten redende, 
der romanischen Gefühlswelt schlecht und recht eingepaßte 
und auf die äußeren Gegebenheiten der Donizetti-Szene ge- 
stimmte „Parsifal“ ist nur ein Teil des Richard Wagner, der 
als Ganzes begriffen werden will und soll. Für die Weiter- 
entwicklung der italienischen Produktion mag freilich auch 
die Bekanntschaft mit dem fragmentarisch Vermittelten von 
etlicher Bedeutung werden. 

Ueber diese und ähnliche Fragen wäre eingehender zu spre- 
chen, als es im Rahmen eines kürzeren aufklarenden Berichtes 
möglich ist. Für heute noch einige Worte über die römischen 
Parsifal- Aufführungen — sie dünken mir beweiskräftiger als 
die mailänder und die bologneser, weil sie nicht, wie diese, 
unter Nachhilfe deutscher Regiekräfte vorbereitet wurden. 
Sie verdienen Anerkennung, besonders wenn man in Betracht 
zieht, daß die Unternehmung des Costanzi-Theaters, in dem 


19z 



sie stattfinden, ganz ohne staatliche und mit einer nur mäßigen 
städtischen Unterstützung arbeitet. Das Orchester ist recht 
tüchtig, ohne freilich dem der „Scala“ oder dem desTuriner 
„Teatro Regio“ das Wasser zu reichen. Die Vertreter der 
Kundry, des Gurnemanz, des Parsifal erweisen redliches Be- 
mühen, besten Willen, zeigen aber lediglich schablonenhafte 
Dutzendfiguren der Bühne mit landesüblichem tüchtigen ge- 
sanglichen Können und landesüblichen Vortrags-Unarten. Nur 
der Darsteller des Amfortas, de Luca, tritt als Individualität 
hervor. Edoardo Vitale, der Dirigent, versteht sich auf alles 
Handwerkliche ganz vortrefflich, besitzt Autorität und setzt 
sich mit Hingebung für seine Aufgabe ein, hat aber keine 
Ahnung von der durch Wagner immer wieder nachdrücklichst 
unterstrichenen Wichtigkeit der „kleinen Noten“ im Aus- 
' modellieren der Themen und trifft selten die richtigen Zeit- 
maße. Die Chorleistungen im Ganzen dürftig, kaum beschei- 
denen Ansprüchen genügend. Alles Dekorative derart klein- 
lich konventionell, mühsam zusammengestoppelt, im Aufbau 
wie in der Farbengebung verunglückt, daß man von den Ein- 
zelheiten gar nicht ernsthaft zu reden vermag. Die Kunst 
einer einheitlichen Ausgestaltung der Szene liegt hier noch 
in den Windeln. Freilich: ein in der Linienführung, im Kolo- 
ristischen, in sorgfältig abgewogenen Beleuchtungen stilisiertes 
Bühnenbild und das typische, mit billigem äußerlichen Prunk 
aufgedonnerte Logentheater? Und der just für die Wieder- 
gabe der Parsifal- Partitur unentbehrliche, zart ver- 
schleierte Bayreuther Orchesterklang, um dessentwillen in 
erster Linie Wagner, der doch auch sozusagen etwas von 
Musik verstand, sein Werk dem von ihm geschaffenen Hause 
erhalten wissen wollte — will sagen, einer Innenarchitektur, 
die der des Bayreuther Baus entspricht? Dieser Klang ist 
zum Teufel. Gleichviel: das italienische Volk hat ja, wie das 
deutsche, jetzt „seinen“ Parsifal. Die Herren, die Wagner 
über seine Instrumentierung eines Besseren belehren, setzten 
ihren Willen durch. Was ihnen hiermit ein Veteran von 1882 
und ein Zeuge der Verwälschung des „Parsifal“ bescheinigt. — 

Paul Marsop. 


Der Pariser Parsifal. 

Dem Gral ist solcher Brauch nicht recht; 
Da muß der Ritter und der Knecht 
Behütet sein vor Leichtsinn; . . . 


Daß keinem wird der Gral bekannt. 

Den er nicht selbst dazu ernannt. 

In Montsalvatsch dem Gral zn dienen . . . 
^Wolfram von Es henbach: „Parzivai“. 

So hätte denn auch die fesche Lutetia ihren Parsifal. Mitten 
im Neujahrstrubel, mitten drin im Brausen und Tosen, Dröh- 
nen und Autotuten: im Weltstadtsodem, zweigeteilt durch 
Berge von Austern und Basteien von Sektflaschen, umrahmt 
von Kohorten zartgebratener Putenflügel, mit denen leckere 
Trüffeln wonniglich schmarotzerten .... 

§ uartier de l’Op6ra! .... 
em vom luftigen Mekka jenseits der Vogesen, wo etwas 
wie gedankenfessdnder Sonnenkult ewig zu thronen scheint, 
ging der Vorhang in die Höhe. Fern vom klaren Azur des 
Frankenlandes, hinter der breitspurigen mosaikbelegten Loggia 
Charles Garniers mit ihren Jaspissaulen, hinter algerischem 
Onyx, hinter Bronzen, hinter antiker und moderner Archi- 
tektur, Plastik und Malerei, unter den Blicken olympischer 
Huldgestalten, ganz nahe auch beim „Foyer de la Danse“ vor 
einem Gemisch gespannt Harrender, Kunstgeübter und . . . 
blasierter Snobs fielen die ersten Akkorde eines „Bühnen- 
weihfestspiels“ herein wie der Weheruf einer geächteten Venus- 
priesterin in das Gejohle des Forums .... 

Wie eigenartig-seltsam das Schicksal doch wirken und weben 
kann! Wie unlogisch-grausam seine tollen Befehle sich ver- 
wirklichen! Der Schlummernde von „Wahnfried“ kann etwas 
davon erzählen! .... 

* 

So wären denn ausgerechnet die dreißig Jahreseinheiten 
abgelaufen, dreißig Jahre des Wartens und Scharwenzelns, 
weniger aus kindlicher Sehnsuchtsfreudigkeit als vampyren- 
hafter Spekulation! Die wie in Haschischrausch gesehenen 
Zukunftsbilder von Repertoiresiegen des Gralmysteriums, die 
schnöden, kalkulierenden Egoismus mit entferntem Klingen 
sich in Theaterkassen stauenden Goldregens umgaukelten, 
sind zerronnen. 

Nim greif tapfer zu, du feilschende, in „Lyrik machende“ 
Sippe von hüben und drüben, es ist dir Recht geworden! 
Greif zu! 

Auch ihr, Legionen schmetternder Tenöre stürmt dem neuen 
Diamantfeld entgegen, das sich euch in einer Silvesternacht 
erschlossen ! Ziehet hinaus über Berg und Meer wie der Kino- 
film, — der „reine Tor“ ist euch zuwillen! 

* 

An der unabänderlichen Tatsache — einer unserer Zeit ent- 
sprechenden Interessiertheit gebührend Rechnung tragend — 
ist nun nichts mehr zu ändern! Paris und die Welt haben 


einen neuen Gast in ihrer Mitte, den sie ungeniert umher- 
führen können wie eine exotische Schönheit! .... 

Es ist nicht leicht — ich möchte lieber sagen; es ist schier 
unmöglich ! — bereits jetzt das psychologische Kunststück zu 
wagen und einen Eindruck, so wie man ihn vor zwei Wochen 
empfing und noch heute empfängt, festzuhalten, der vielleicht 
schon morgen ein ganz anderer sein kann. Besonders bei einem 
so hervorstechenden Einzelfall, wie es der uns hier beschäf- 
tigende ist. Man könnte die Operation eine geistige Vivi- 
sektion nennen, bei der man selbst als geübter Pathologe 
allzuleicht die künstlerisch wertvollen und sinnlich durch- 
setzten Gefühlsfasem zu verwechseln versucht ist. 

Die Frage: „Warum hat die von dem so sympathischen Mes- 
sager mit so hoher Meisterschaft wiedergegebene Partitur einen 
in dem mächtigen Opera-Saale vielleicht nie gekannten Bei- 
fallssturm entfesselt?“ könnte als Sujet eines Sonderaufsatzes 
dienen. Jedenfalls steht fest, daß es nicht eine von niederer 
Gesinnung, zu der ich ein Behaglichkeitsgefühl über das offen- 
kundige Sakrilegium rechne — getragene blinde Massenkund- 
gebung der Klatschenden war. 

Ich habe im Vestibül und Loge so mancher Unterhaltung 
beigewohnt, so manches treffende Wort fallen, so manche 
rührenden Reminiszenzen aus des Meisters ganzer Lebensskala 
erneuern hören, daß ich mir sagen mußte, hier ist eine ent- 
schieden weitvorgeschrittene Gemeinde echte Kunst Empfin- 
dender zugegen, die, von mehr als einer einzigen Pilgerfahrt 
geläutert, zurückgekehrt, die hier ebenso inbrünstig anbetend, 
vergötternd zu verharren imstande ist, wie in den heiligen 
Gewölben der fernen Missionswarte. 

Ich muß sogar zugestehen, daß die Elite der französischen 
Komponisten, die es sich zur ernsten Pflicht gemacht hatte, 
in corpore dem Ereignis beizuwohnen, für aas Werk auch 
ihres Lehrherm eine wahrhaft rührende, von den erhaben- 
sten Gefühlen getragene — möchte fast sagen: übertriebene — 
Bewunderung und Achtung hat. Keiner von ihnen, mit 
Massenet und Saint-Saens. angefangen, leugnet Wagners 
direkten Einfluß auf die gesamte neuere französische Musik. 

Daß „Parsifal“ auch nach den Galavorstellungen eine große 
Wirkung auf alle, die ihn zuvor nur dem Namen nach ge- 
kannt, ausgeübt hat, beweisen die z. B. recht strengen Kri- 
tiken, die auf die Redaktionstische der verschiedenen Tages- 
zeitungen geflogen sind. 

Meine Arbeit, meine Verantwortlichkeit eines strengen Kri- 
tikers wird dadurch sehr erleichtert. 

Abgesehen von der sehr gerechtfertigten Bemerkung einiger, 
das unangenehme Geräusch der sich bewegenden Dekoration 
müsse unter allen Umständen beseitigt werden, fragt z. B. 
ein bescheidener Aesthetiker: „Ist es im zweiten Akte nicht 
möglich zu erreichen, daß die von Klingsor geschleuderte 
Lanze in ihrem Laufe über dem Haupte Parsifals innehält 
anstatt mit tollem Lärm zu Boden zu fallen oder an einem 
zu sichtbaren Faden zu baumeln?“ .... 

Die meisten Klagen aber wurden laut über die zahlreichen 
Streichungen, die, wie’s scheint, überall in der Welt mit mehr 
oder weniger „Kunst" vorgenommen werden. „Der ganze 
.Parsifal' dauert genau drei Stunden 5 5 Minuten, schreibt ein 
anderer. Vorspiel: 14 Minuten, I. Akt: 1 '/» Stunde, II. Akt: 
eine Stunde fünf Minuten, III. Akt: ebenso. Total: drei Stun- 
den 54 Minuten. Diese müssen auf drei Stunden 50 Minuten 
reduziert werden; denn das Vorspiel wird in Bayreuth etwas 
schneller genommen, es dauert nur 10 Minuten. Die Vor- 
stellung kann also ohne Kürzungen, wenn um 7'/* Uhr be- 
gonnen wird, mit zwei Pausen von je 20 Minuten, um Mitter- 
nacht vorüber sein.“ 

Auf die Bemerkung, Messager dirigiere die „Karfreitags- 
szene“ zu rasch, er softe doch das Bayreuther Beispiel befolgen, 
der Effekt sei ein ganz anderer, erwiderte ein Kritiker, daß 
er nicht derselben Ansicht sei. Die Szene büße, so wie sie 
gespielt werde, nichts von ihren Reizen ein. Die französische 
Auffassung weiche stets etwas von der deutschen ab. Rhyth- 
mus sei Rasse, und der französische Rhythmus sei weniger 
schwerfällig als der deutsche (sic !). Die Beethovenschen Sym- 
phonien wurden in Frankreich auch stets schneller genommen! 

* 

Ein „persönlicher Freund Wagners“ protestiert sogar 
gegen die allgemeine Behauptung: „Parsifal“ habe Bayreuth 
nie verlassen dürfen, Wagner hat ihm persönlich verraten, 
daß er gar kein „Weihefestspiel“ hat schreiben wollen und 
auch nicht geschrieben hat. „Er hat ein legendäres Drama 
geschaffen, schreibt der Vertraute, wie .Götterdämmerung' 
oder gar .Lohengrin' ; nur sind der Mystizismus und die musi- 
kalische Auffassung vollständiger: voilä tout! .Parsifal' kann 
und muß daher anderswo als in Bayreuth allein aufgeführt 
werden, er kann es überall da, wo die intellektuelle Kraft 
und die materiellen Bedingungen auf der Höhe der freilich 
strengen Anforderungen des Meisters stehen!“ Man lernt halt 
immer wieder etwas Neues! . . . 

* 

Daß die Justiz auch gleich mit dem „Parsifal“ in Verbin- 
dung gebracht wurde, ist echt pariserisch! Zwei Kundrys 


193 



tauchen’ mit einemmal auf, die eine hat seit Monaten alle 
Geheimnisse ihrer Partie studiert, sie ist auf den Zetteln als 
„die“ Kundry erwähnt: da wird für die zweite Galavorstel- 
lung eine Konkurrentin herbeigezogen. Schritte des Gerichts- 
vollziehers hin und her! Mlle. Breval verlangt 25000 Franken 
Schadenersatz (Künstlertarif !). Sie, die Monna-Vanna, Bacchus, 
Hippolyte et Aricie usw. geschaffen, die bisher eine Rivalin 
nicht kannte, wird plötzlich daran erinnert, daß das berüch- 
tigte „cahier des charges“ keinem Künstler der National- 
akademie das „Eigentumsrecht“ seiner Rolle zugesteht! Made- 
moiselle Demougeot hat sich diesesmal den Weg zur Berühmt- 
heit billig erkauft! 

Wenn die Kritik einerseits auf dem verfeinerten französischen 
Geschmack, besonders was die Kostüme anbetrifft, mit Nach- 
druck zu bestehen sucht (die „blühenden Mägdelein“ haben 
es ihr besonders angetan), so mögen uns dafür ein paar Stil- 
proben aus der Uebersetzung gestattet sein! Der arme Mon- 
sieur Franz (Parsifal) kann etwas davon erzählen! Oder sind 
vielleicht diese verrenkten Sätzchen in dem Munde eines Wag- 
nerschen Heros eine Kleinigkeit: 

Je n’en sais rien — Que ns-je? — Jamais tel charme encore 
ne m’£mut — Laissez-moi du large — Est-ce moi sans nom 
qu’on nonnne? Elle arde en ma poitrine .... 

Einnahmen der fünf ersten Soireen: 210000 Franken!!! 
Es leben die Erben! 

* 

Ernest Gaubert hat in der „Revue de Paris“ einen Artikel 
über „Parsifal in Paris“ veröffentlicht, der ein wichtiges Doku- 
ment bleiben wird. Wir finden nämlich darin alle vermerkt, 
die bei der Parsifal-Aufführung irgend eine Rolle spielten. 
Vom Maschinisten bis zum Figuranten, vom Protagonisten 
bis zum Choristen ; ihnen allen ist auf diese Weise ein unver- 
gängliches Denkmal entstanden! 

* 

Fazit: Bei größerer Verinnerlichung in das Werk sowohl seitens 
der Künstler wie auch des Publikums, bei einem mehr W a g - 
nerschen Verständnis kann der „Parsifal“ im Jahre 1915 der 
Pariser Oper zur höchsten Ehre gereichen. Also Geduld! .... 

Ferdinand Laven. 



ANNIE BETZAK» 


Unsere Künstler. 


Zum 70. Geburtstage von Dr. Friedrich Stade. 


D er Sekretär des „Gewandhauses“ und Organist an der 
Petrikirche in Leipzig, Dr. Friedrich Stade, hat vor 
kurzem seinen 70. Geburtstag begangen. Die musika- 
lische Oeffentlichkeit hat allen Anlaß, dieser Jubelfeier eines 
selbstlosen und wohlverdienten Mannes, dessen Tagewerk und 
Geistesarbeit die vielfältige Anerkennung eines Richard Wag- 
ner, Franz Liszt, Peter Cornelius und Hans von Bülow sich 
gewonnen, also „den Besten seiner Zeit genug getan hat“, 
— würdigende Aufmerksamkeit zuzuwenden. Geboren am 
8. Januar 1844 zu Arnstadt in Thüringen, hatte er 1862 zu 
Sondershausen, wo sein Vater die Stellung eines fürstlichen 
Hofkoches bekleidete, das humanistische Gymnasium absol- 
viert und nach Besuch der Universitäten Erlangen und Leipzig 
um 1870 in Freiburg zum „Dr. phil.“ promoviert. Schon 
vordem war er als eine Art Sekretär des „Allgemeinen Deut- 
schen Musikvereins“ Dr. Franz Brendels, dessen damaligen 
Präsidenten, rechte Hand gewesen, und so auch hatte er sich 
um die Gründung eines sehr rührigen Leipziger „Zweig- Ver- 
eines“ des genannten Vereins unvergeßliche Verdienste er- 
worben, nadidem er als praktischer Musiker hier den Unter- 
richt Dr. Karl Riedels und Emst Friedrich Richters in der 
musikalischen Theorie genossen, sich mehr und mehr zu einem 
ausgezeichneten Theorie- und Klavier-Lehrer dabei selbst ent- 
wickelnd. Keiner der Streber, sondern vielmehr ein unbestech- 
licher, nur allzu bescheidener Idealist innerhalb der „neu- 
deutschen“ Kämpfe des bekannten „30jährigen zukunftsmusi- 
kalischen Krieges“ damaliger Zeit, ist er nahezu schon der 
einzig überlebende Zeuge jener großen Periode, da jüngst nun 
auch die Bronsarts, Lina Ramann, Felix Draeseke, 0 . Reubke 
noch von uns geschieden sind. Als geistvoller Musikschrift- 
steller (wie z. B. ständiger Mitarbeiter des „Leipziger Tagbl.“, 
der „Neuen Zeitschrift für Musik“, des neuen „Musikalischen 
Wochenblattes“, der „Bayreuther Blätter“ usw.) um die wach- 
sende Erkenntnis moderner Tonkunst ohnedies schon vielfach 
bemüht, hat er da als bewährter Kämpe wiederholt höchst 
erfolgreich mit eingegriffen, während wir wiederum die Bear- 
beitung späterer Auflagen von Brendels neuerer „Geschichte 
der Musik“ seiner sachkundigen Hand verdanken. Einer noch 
viel zu wenig gekannten bezw. benützten, ungemein instruk- 
tiven Ausgabe der Fugen aus Bachs „Wohltemperiertem Kla- 
vier“ (Leipzig, Steingräber) in Partiturenform der einzelnen 
Stimmen, sowie „Männerchören“ eigener Komposition (Leipzig, 
bei C. F. W. Siegel) stehen zumal überaus feinsinnige, vom 
Autor ausdrücklich beglaubigte und gelobte Bearbeitungen 
Lisztscher Orchesterwerke noch zur Seite. Meister Franz Liszt 


seiuer enrie in uen sieoziger janren verscmeaene, von nr. ötaae 

f eleitete Veranstaltungen zu Leipzig durch seinen persönlichen 
lesuch, und selbstverständlich war der Jubilar bei der nach- 
maligen Gründung des Leipziger „Richard-Wagner-Zweigver- 
eins“ und „Liszt-Vereins“ mit Rat und Tat eifrigst beteiligt, 
auch als Dirigent oder in Vorträgen gelegentlich nebenher fiir 
die neuen Ideale aufklärend tätig. Am durchgreifendsten aber 
und zugleich nachhaltigsten wohl hat der wertgeschätzte eigen- 
artige Aesthetiker schon 1870 mit seiner Dissertation „Vom 
Musikalisch-Schönen“ (in neuer Ausgabe Leipzig, 1904) als 
bedeutender Gegner Eduard Hanslicks so dankenswert ge- 
wirkt, daß ihn sogar kein Geringerer als Richard Wagner mit 
einem längeren und grundsätzlich wichtigen „Offenen Schrei- 
ben“, vom Sylvester 1870 (vergl. „Mus. Wochenbl.“, II. Jahr- 

f ang) vollauf zustimmend auszeichnen konnte. Und selbst 
er, sonst doch so kritische Dr. Paul Moos, der dem Namen 
Fritz Stade volle zehn Druckseiten seiner „Geschichte der 
Musikästhetik in Deutschland“ widmet, muß anerkennen, daß 
einem Hanslick in ihm „ein ebenbürtiger, gründlich durch- 
gebildeter Gegner“ erstanden ist, der sich in allen seinen Er- 
örterungen zur Sache jenem „an Kenntnissen und Scharfsinn 
gewachsen, an Einsicht überlegen zeige“ und sich überhaupt 
„als ein Aesthetiker von seltenem Scharfblick und seltener 
Begabung erweise“. Er schreibt dort (S. 260): „Im Ganzen 
hat uns Stade als einer der begabtesten modernen Musik- 
astheriker zu gelten und, nächst Ed. von Hartmann, als Hans- 
hcks bedeutendster Gegner. Seine schlichte, ungekünstelte 
Darstellung, die nicht mehr scheinen will, als sie ist, spricht 
für die Wahrheit und Gediegenheit seines Denkens und Ar- 
beitens. Das kleine Büchlein, das, meines Wissens, bisher 
nicht nach Verdienst gewürdigt wurde, sei der Aufmerksam- 
keit ernster Leser empfohlen. Es hätte ein anderes Schick- 
sal verdient, als ihm zu Teil geworden.“ — Wie wir dazu noch 
vernehmen, geht das größere Werk einer eigenen umfäng- 
lichen „Musikästhetik“, an welcher Dr. Stade ungeachtet 
emes hemmenden Augenleidens nun schon eine ganze Reihe 
von Jahren hindurch emsig arbeitet, seiner Vollendung ent- 
gegen , mochte der rüstige und so geistesfrische Autor — dank 
einer „Ehrengabe“ seiner zahlreichen Schüler und Freunde zu 
semem Jubiläum — diesen berechtigten Lieblingswunsch auf 
seinem Lebensabend doch noch erfüllt [sehen und die Musik- 


194 


weit wie die Fachwelt gleicherweise ein ebenso gehaltreiches 
wie reifes Buch alsbald beschert erhalten dürfen, das zweifel- 
las der betreffenden Wissenschaft zu Gewinn und Zierde ge- 
reichen wird! S. 

* * 

* 

Annie Betzak. 

U nter dem violinistischeh Nachwuchs weiblichen Ge- 
schlechts verdient die jugendliche Geigerin Annie Betzak 
auch an dieser Stelle rühmend hervorgehoben zu wer- 
den. Die 1897 in Erfurt geborene Künstlerin zeigte schon im 
frühesten Lebensalter ihre hervorragende musikalische Be- 
gabung, die durch gute Hausmusik weiter angeregt wurde. 
Mit 8 Jahren begann sie ihre violinistische Ausbildung, trat 
auch bald schon mit Erfolg öffentlich auf, jedoch waren ihre 
Eltern vernünftig genug, sie nicht als Wunderkind zu dres- 
sieren, sondern ihr zunächst eine gediegene musikalische Aus- 
bildung zu geben. In Frankfurt hatte sie Unterricht bei dem 
Sefäik-Schüler Hans Lange, und vom Jahre 1911 an begann 
sie sich auch in der größeren Oeffentlichkeit hören zu lassen. 
In Konzerten zu Homburg, Erfurt, Frankfurt usw. hatte sie 
ihre ersten künstlerischen Erfolge und wurde von der Kritik 
mit reichem Lobe bedacht. Für ihre künstlerische. Bedeutung 
spricht auch, daß ein Pianist vom Range eines Alfred Höhn 
sich mit ihr konzertierend vereinigte, so in München, Mann- 
heim, Straßburg usw., wo sie überall freundliche und aner- 
kennende Aufnahme fand. Da ich die Dame hier in Straß- 
burg selbst gehört habe, bin ich in der Lage, die günstigen 
Kritiken anderer Musikstädte zu bestätigen und den Eindruck 
ihres Spieles in eigenem Urteil zu würdigen. Die junge Künst- 
lerin, nebenbei eine recht anmutige Erscheinung von beschei- 
denem und liebenswürdigem Auftreten, besitzt bereits eine 
recht vorgeschrittene Technik, die vielleicht noch weiterer 
Ausbildung fähig ist, ihr aber jetzt schon gestattet, sich an 
die schwierigsten violinistischen Aufgaben mit gutem Gelingen 
heranzuwagen. Ihr Ton ist im forte kraftvoll, doch stets edel, 
im piano von anmutiger Weichheit, und rühmenswert ist, daß 
sie nicht nach männlichen Kunstleistungen strebt, sondern in 
ihrem Spiel immer die weibliche Grazie in erste Linie rückt, 
wobei ihr eine leichte und elegante Bogenführung zugute 
kommt. Dabei geht sie nicht in spielerischem Virtuosentum 
auf, sondern zeigt durchweg eine ernste, gereifte und gesunde 
künstlerische Auffassung, eine Beseelung des Tones, die den 
echt musikalischen Grundzug ihrer Natur erkennen läßt. So 
ist es in der Tat ein Genuß, ihrem Spiele zu lauschen, und 
nachdem sie sich, wie erwähnt, in der Musikwelt bereits er- 
folgreich eingeführt hat, zweifle ich nicht daran, daß sie bald 
zu den bekannten und geschätzten Erscheinungen in unsern 
Konzertsälen wird rechnen können. Jedenfalls verdienen ihre 
künstlerischen Leistungen, eine weitere Förderung durch die 
konzertgebenden Institute, wodurch der Name Annie Betzak 
beim musikalischen Publikum bald einen guten Klang ge- 
winnen wird. 

Slraßbuig. Dr. G. Altmann. 


Tonbildsäulen. 

An der Stätte, die sie geliebt hatte, als sie noch wandelte 
/\ im Lichte des Tages, dort weilt auch die Seele des 
I L Abgeschiedenen. Sie hört es, wenn sie gekränkt oder 
geschmäht wird, und wer etwas Uebles von ihr redet, der 
furchte ihren Zorn. 

Tot ist Diogenes Laertius, der das Wort gesprochen, man 
solle von den Toten nur Gutes reden, und tot sind Hellas’ 
Weise, denen er seine Warnung entlehnt hat. Der alte Köhler- 
glaube schwand, und es weiß heute der kleinste Philister, 
daß er das Andenken der Dahingeschiedenen beschimpfen 
darf, wo es auch immer sei, denn die Toten sind ja ein- 
gegangen in jenes unentdeckte Land, von dessen Made kein 
Wanderer wiederkehrt. Verschlossen für immer ist ihr Ohr 
dem lästernden Worte: de mortuis bene aut male — , sie 
lohnen weder das eine, noch rächen sie das andere. 

Nicht mehr ist Furcht die treibende Kraft, die heute dem 
Toten ein Denkmal errichtet. An die Stelle der Metus ist 
die Pietas getreten; die Ursache hat gewechselt, die Monu- 
mente sind geblieben. Was Jahrtausende Brauch war, das 
bricht eine neue Erkenntnis nicht Millionen von Gedenk 
steinen, die den neuen und edleren Gefühlen der D^kbarkeit, 
der Ehrfurcht und der Liebe entsprossen sind, zuweüen frei- 
lich aber auch uralten Regungen niederer Art, > aste ° fj^ f de T 
Rücken der Erde. Und % Sitte der Vorfahren «t aUgemach 
den Nachgeborenen zum Gewohnheitsrecht ge' 
Namenstäfelei n an dem Ort, da er begraben h ^ ; beansprucht 
auch der, „der keinen Namen sich erwarb“. Wer aber Großes 
und Edles gewollt oder erreicht hat, der verlangt, daß ein 


Abbild seiner irdischen Gestalt der Nachwelt überliefert werde, 
in einem, in zwei, in einer Reihe von Monumenten, je nach 
dem Maße, mit dem er selbst sein Verdienst bemißt und je 
nach der Zahl und Zahlungskraft derer, die seinen Wert zu 
würdigen verstanden. 

Aber noch immer schlummert eine Hekatombe von Helden 
und Heldinnen durch kein Bildnis geehrt in deutscher Erde. 
War es ihr eigener Wille, daß sie unserem Blick entschwun- 
den sind gleich der Schneeflocke, die still im See zerfließt 
oder gleich der Purpurröte, die für flüchtige Stunden den 
Abenahimmel gefärbt? Ach, ein Mann, und sei er noch so 
groß, der sich mit der unpersönlichen Spur seiner Taten be- 
gnügt, er lebt wohl in Utopien der Uebermensehen, in dieser 
menschlich, allzu menschlichen Welt, ist er nicht zu finden. 
Nein, nicht individuelle Bescheidenheit, die jenseits unserer 
Empfindungssphäre gelegen wäre, sondern bittere Notwendig- 
keit ließ die Scharen jener wirklichen oder vermeintlichen 
Erdengrößen auf ein Fortleben im Bilde verzichten : ihre Ver- 
ehrer waren unfähig oder nicht gewillt, die Kosten für das 
steinerne oder eherne Denkmal zu tragen! Die Preisfrage 
ist der Grund, warum noch kein Wald von Statuen das Land 
vom Fels zum Meere bedeckt. — und das wäre doch sicher- 
lich ein Ziel, aufs innigste zu wünschen. 

Ideale sind unerreichbar, und auch diesem wird die Mensch- 
heit sich nur ein wenig zu nähern vermögen. Ein Weg da- 
hin aber sei hier gewiesen. 

Von den dunklen Pforten der Geschichte an bis auf unsere 
Tage, sind Skulptur und Erzguß die gefälligen Vermittlerinnen 
menschlicher Unsterblichkeit gewesen. Der Stoff, aus dem 
sie ihre Gebilde schufen, entsprach den „denkbar höchsten 
Anforderungen“, denn er gewährte dem Monumente die Dauer 
einiger Jahrtausende. Was Bildhauerkunst, Toreutik und 
später auch die Malerei für unsere Kulturgeschichte gewesen 
sind, das wiegt kein Papyrus, kein homerisches Heldengedicht, 
kein Livius und kein Ranke auf. Was sie der Aesthetik 
waren, dafür fehlt das Vergleichsobjekt, denn sie selber sind 
das Maß, mit dem wir die Schönheit messen. Doch alles 
wandelt sich im Strom der Zeiten, auch die Bewertung der 
Künste. Erst neben, dann vor ihren altern Schwestern, ist 
allgemach Frau Musika getreten. Ueber Kontur und Farbe 
hat der Ton den Sieg davongetragen. In Apollons göttlicher 
Kunst glaubt unsere Zeit den innersten Kern aller Dinge zu 
erkennen, alles was ist und was sein wird, Vergangenheit, 
Gegenwart und Zukunft, alles Hohe, alles Tiefe, jedes Gesetz 
und jedes Geheimnis der Natur, in ihr findet sie die Befrie- 
digung ihres Bedürfnisses nach innerlicher Vertiefung und 
gleichzeitig die Erfüllung ihres heftigen Sehnens nach schran- 
kenloser Freiheit, die ihr die Welt der Wirklichkeit versagt. 

Diese offenkundige Wertverschiebung der Künste wird ohne 



FRIEDRICH STADE. 


195 



Zweifel allmählich auch das Wesen der Monumente beein- 
flussen. Auch sie sollen, wie jedes Kunstwerk, ihre Aus- 
drucksmittel dem Empfinden der eigenen Zeit anpassen, nicht 
dem einer vergangenen, und die natürliche Folge wird sein, 
daß das Denkmal der Zukunft seinen Weg zu unserem Herzen 
nicht durch das archaische Erz- oder Steinbild, sondern durch 
den Wohlklang und den Rhythmus suchen wird. Mit dem 
Wechsel des Werkstoffes aber ist auch die Kostenfrage ge- 
löst. Ein monumentales Bildwerk, für das Tausende auf- 
gewandt werden mußten, es wird fürderhin für den Preis von 
zween Sperlingen zu haben sein! 

Das Muster der Tonbildsäule hat Richard Wagner, prälu- 
dierend schon Beethoven und Weber, in den Leitmotiven auf- 
gestellt. Wie er durch sie die Handelnden seiner musika- 
lischen Dramen nicht nur allgemein objektiviert, sondern in 
ihrer ganzen Persönlichkeit mit solcher Prägnanz vor uns hin- 
stellt, daß man schon beim Anklingen der Xo'.e die leibliche 
Gestalt des Helden vor sich zu sehen und seine Art zu er- 
kennen glaubt, so wird in Zukunft das Aeußere und Innere 
Sein des Denkmalanwärters durch das ihm entsprechende 
Tongebilde ausgedrückt und gewissermaßen als sein Leib- 
motiv für alle Ewigkeit erhalten werden. 

Keine Entwicklung vollzieht sich ohne Kompromisse. Auch 
dem musikalischen Lebens- und Charakterbüd müssen einige 
der altgewohnten Anforderungen an die „sprechende“ Aehn- 
lichkeit eines Konterfeis zum Opfer fallen. Daß es deshalb 
an Allgemeinverständlichkeit verlieren werde, das braucht 
man nicht zu besorgen, denn das Ohr der Menge ist feiner 
gebildet als sein Auge, und die Schönheit eines Musikstückes 
wird auch von dem Ungeschulten empfunden, während die 
eines Reliefs, einer Herme, eines Gemäldes zumeist träge auf 
der Netzhaut seines Auges schlummert. 

Aber auch Erwägungen anderer als finanzieller Art werden 
kommende Geschlechter veranlassen, mit der Sitte der eher- 
nen oder steinernen Monumente zu brechen. Von den Stoffen, 
aus denen bisher die Denkmäler gebildet winden, ist gerade 
der kostbarste, der Marmor, für uns so gut wie untauglich. 
Seine schwache Widerstandskraft gegenüber dem Wechsel der 
Wärmegrade und der Feuchtigkeit, verbunden mit den Ver- 
heerungen, die Rauch und Ruß der Stadt an ihm verübt, ist 
bekanntlich der Verwendung der ihm in manchem Betrachte 
nicht ganz ebenbürtigen Bronze zugute gekommen, sie hat 
aber auch dem ehrwürdigen Gedanken des büdlichen Monu- 
mentes überhaupt den ersten Stoß versetzt und eine Anti- 
statuenbewegung eingeleitet, die das Andenken an große 
Männer durch gemeinnützige Stiftungen, vor allem durch die 
Anpflanzung von Wäldern und Hainen, ehren möchte, dank- 
bar sei hier der baumfreundlichen, erfolgreichen Tätigkeit des 
verstorbenen Oberbürgermeisters Kuntze von Plauen im Vogt- 
lande gedacht.) Aber so gemütvoll und gedankentief auch 
diese Anregung ist, und so segensreich ihre ästhetischen, so- 
zialen und gesundheitlichen Nebenwirkungen sein würden, als 
persönliches Denkmal ist eine Baumpflanzung doch wohl nicht 
geeignet. Der Name, auf den man den Wald willkürlich tauft, 
gibt ihm noch kein charakteristisches Gepräge, und so fein 
gestimmt sind wir durch unsere jahrhundertelange Entfrem- 
dung von der Natur nicht mehr, daß wir im Rauschen der 
Buchen die Stimme einer andern Individualität vernehmen 
könnten, als in dem Geflüster der Pappeln, daß wir im Kra- 
chen und Donnern des sturmdurchfegten Eichenhaines etwa 
Otto von Bismarck zu uns reden hören und Hölderlin im 
sanften Gesäusel der Birken — das Tonbüd aber wird uns 
sofort und ohne Inschrifttafel die Persönlichkeit erkennen 
lassen, die es mit seinen Akkorden vor unser inneres Auge 
führt, vorausgesetzt, daß dieses Bild uns einmal irgendwie 
in seiner gegenständlichen Bedeutung nahe gebracht und er- 
läutert worden ist — Wotan, Siegfried, Alberich! 

Zum andern: das sichtbar -figürliche Denkmal wirkt nur 
dort, wo man es errichtet hat, ur.d kann daher, seihst auf 
den Eiffelturm gepflanzt, nur einem Bruchteil des Volkes ein 
Erinnerungszeichen sein, der großen Masse aber bleibt es, und 
wäre es größer und herrlicher als einst das Goldelfenbeinbild 
der Athena Parthenos, ein verlorenes Paradies — der Ton 
erklingt, wo Luft ist ihn zu tragen und ein Ohr ihn zu ver- 
nehmen. 

Schließlich gedenke man der Schwierigkeiten, welche die 
Platzfrage bereitet, die Wahl der Haltung, Gebärde. Tracht 
und der Attribute des Dargestellten, der etwaigen Allegorien 
und der Inschrift; auch der Gefahr brutaler Zerstöruugen, 
gelehrter Restaurierungen, ja sogar Fälschungen der Denk- 
mäler! Um nur an das letztere Uebel zu erinnern: wie viele 
Machthaber von Rhamses II. an bis zu den römischen Im- 
peratoren ließen, per invidiara, von den Standbildern ihrer 
Vorgänger einfach die Köpfe her unterschlagen und an ihrer 
Statt das Abbild des eigenen aufsetzen — die Tonbildsäule, 
allerorten in unzähligen Phonogrammen festgelegt, ist weder 
zu fälschen noch zu beschädigen. 

Doch alle diese Argumente müssen vor dem letzten zurück- 
treten: die schöpferische Kraft uuserer Monumentenkünstler 
beginnt zu versiegen. Das beweisen die hypokratischen Ge- 
sichter der Krieger- und Heroendenkmäler der letzten Jahr- 


zehnte, das beweist die durch Multiplikation von Alltäglich- 
keiten aufgebaute Markgrafenallee, ferner das Riesenphrasen- 
monument vor dem Berliner Schloß, wo uralte Motive in 
Maßen und Massen, die Harmonie aller Einzelverhältnisse 
vernichtend, ins Ungeheuerliche gesteigert erscheinen, und als 
letzte Geschmacksverirrung: der marmorne Wolkenkratzer, 
aufgetürmt im heiligen Rom zu Ehren des Königs-Befreiers 
Victor Emanuel! 

Wenn eine Kunst auf dem Standpunkt angelangt ist, wo 
sie etwas nicht mehr besser machen kann als früher, hat sie 
ihre Daseinsberechtigung verloren. Man vergönne der Mo- 
numentenmacherei die Ruhe einiger Jahre, und wenn es sein 
muß einiger Jahrzehnte, in der sich ihre verbrauchte Nerven- 
sübstanz ersetzen kann. Man versenke sie künstlich in einen 
erquickenden Schlaf, jener tiefen Ohnmacht ähnlich, die sie 
auf natürlichem Wege nach der Epoche Justinians befallen 
hat, und versuche es inzwischen einmal mit der Musik. Ihre 
Zeit ist da, und der ungläubige Thomas, den auch diese Be- 
trachtungen nicht überzeugt haben, der wird es staunend er- 
leben, daß die tönenden Denkmäler ganz yon selbst aus der 
Gefühlswelt einer neuen Zeit hervorbrausen werden, mit der- 
selben inneren Notwendigkeit, mit der einst die gotischen 
Dome aus der Erde emporgewachsen sind. 

Im ruhigen Nacheinander freilich spielt sich keine Entwick- 
lung ab. Auch die Tonmonumentenkunst wird die Zeit der 
Kinderkrankheiten zu bestehen haben. Berufs- und Nei- 
gungsvertoner werden in Scharen über den Leibmotivgedanken 
nerfallen, und menschliche Eitelkeit wird die Zahl ihrer Opfer 
ins Unermeßliche steigern. Jede Stadt, jede Gemeinde, jeder 
Verein wird seinen Tagesgrößen schon bei Lebzeiten ein im 
wildesten Wettbewerbe immer billiger werdendes Tondenkmal 
stiften wollen. Jeder vermeintliche Held wird die ihm ge- 
widmeten Tonzeichen auf sein Briefpapier drucken lassen, 
und schließlich werden auch Familienwappen, Ex libris, viel- 
leicht sogar Geschäftsfirmen durch Notenverschlingungen ver- 
drängt werden. Ueberproduktion, Verflachung, Entartung 
und Verkümmerung der neuen Kunst wird dann die Folge 
sein. Solch drohendem Unheil sollte daher gleich an allem 
Anfänge vorgebeugt werden, indem das Recht auf Verleihung 
einer Tonbildsäule in eine einzige Hand gelegt wird. Wo diese 
zu finden ist, das mögen andere entscheiden, aber wer auch 
immer mit dem Amte vertraut wird, zunächst hätte er die 
Satzungen dieses modernen Jus imaginum sorgfältig auszu- 
arbeiten. Hier wären alle nur irgend denkbaren Verleihungs- 
möglichkeiten zu berücksichtigen, auch die Fälle, wo das 
Motiv auf Lebenszeit, wo es auf eine Reihe von Jahren be- 
willigt wird, wo es in der Familie forterben soll und unter 
welchen Umständen etwa auf Verlust desselben gerichtlich 
erkannt werden darf. Vielleicht wäre auch ein Paragraph 
über Wandermotive aufzunehmen, nach dem Vorbüde der 
Wanderpreise bei Rennen, Wett rüdem, Singen und anderem 
Sport, und schließlich müßte eine Bestimmung darüber ge- 
troffen werden, wann und an welchen Orten das Leibmotiv 
geblasen werden muß und wann es geblasen werden darf. 

Mißgriffe und Ungerechtigkeiten werden auch bei der größten 
Umsicht und Voraussicht nicht immer zu vermeiden sein. 
Das ist nun einmal in der Unvollkommenheit aller mensch- 
lichen Einrichtungen begründet. Aber aufzuhalten ist der 
dröhnende Siegesmarsch der Tonbildsäulen nicht mehr, und 
daher sichere sich ein jeder beizeiten sein — Zukunfts- 
denkmal. Dr. phll. Alfred Lehmann (Genf). 


Zur Uraufführung von Jul. Zaiczeks 
„Ferdinand und Luise“. 

(Am 16. Januar im Stuttgarter Hoftheater.) 

D er Wiener Komponist Julius Zaiczek hat einen „Ein- 
fall“ gehabt. Er hat sich nämlich statt eines der mittel- 
mäßigen Opemtextbücher das Werk eines Dichters zur 
Vorlage genommen, ein Jugend werk Schillers! „Kabale und 
Liebe“ wurde zur Oper. I< 5 i sage: wurde zur Oper, und will 
damit betonen, daß sie nun als solche für sich zu bewerten 
sei. Aber Zaiczek vergaß es, daß bei den „tiefgründigen“ 
Deutschen solches mit großer Gefahr verbunden ist. Hat 
er sich nicht gesagt: Du wirst sofort als Tempelschänder ge- 
steinigt, wenn du es wagst, deiner Oper von vornherein eine 
gute Basis zu geben? Man hätte darauf schwören können, 
daß sofort die Leute aufstehen würden, die wieder mal, als 
Schützer der „hehren“ Kunst, sich vor den Genius stellen 
würden, mit viel Lärm protestierend. O, ihr lieben Getreuen, 
Schillers Genie schützt die „Kabale und Liebe“ ebenso vor 
Verballhornung, wie Wagner seinen Parsifal vor tatsächlicher 
„Verunglimpfung“. Geht nach Hause; es mögen „Ferdinand 
und Luise“ m welcher Gestalt immer neu erstehen, das Original 
bleibt deshalb doch unangetastet. Gerade wie der Faust 



als ursprünglich noch existiert, trotzdem Gounod seine als 
Oper vorzüglich wirksame „Margarethe“ geschrieben hat. 
Der kritische Zorn hat sich vor allem darauf gerichtet, daß 
Zaiczek und sein Texthelfer August Koppitz es gewagt hatten, 
der Lady Milford eine andere Richtung zu geben, als im 
Original. Wir wollen mal davon absehen, ob gerade diese 
Sclullersche Frauenfigur das absolute Recht der Unantastbar- 
keit für sich in Anspruch nehmen darf. Tatsache ist, daß 
der Komponist, da er ein weibliches Gegenspiel für seine be- 
sonderen Zwecke brauchte — ■ musikalisch auch die Prima- 
donna gegenüber der Jugendlich-Dramatischen — , zur Trans- 
fusion berechtigt war. Aus der sentimentalen Lady, die edel- 
mütig resigniert und ihre Schätze an die Dienerschaft ver- 
schenkt, ist eine eifersüchtige Frau geworden, die selber der 
Luise den verhängnisvollen (ach, so unmöglichen) Brief in 
die Feder diktiert. (Im übrigen bleibt diese Frau trotzdem 
noch „edel“ genug.) Wir haben also berechtigterweise bloß 
zu fragen: ist dem Bearbeiter seine dramaturgisch nicht un- 
geschickte Absicht so gelungen, daß wir überzeugt werden? 
Diese Frage kann man nicht un- 
bedingt bejahen. Die Lady „inter- 
essiert“ nicht, sie fördert nicht, 
sondern hält das Stück nur auf. 

Und deshalb hätten wir diese 
Neuregelung der Dinge abzulehnen ; 
nicht aber schon deshalb, weil 
überhaupt geändert wurde. |J 

Wir stellen im Anschluß an die 
kritischen Erörterungen folgende 
Maximen auf: 

1. Jeder Komponist hat das 
unzweifelhafte Recht, sich ein 
a priori wirksames, gutes Text- 
buch für die musikalischdrama- 
tische Gestaltung zu erwählen. Er 
ist nicht — wie das leider weit- 
verbreitete Annahme zu sein 
scheint, — dazu verpflichtet, 
ein schlechtes, mittelmäßiges Buch 
zu wählen. 

2. Jeder Komponist hat das 
Recht, sich einen dichterischen 
Vorwurf nach seinen besonderen 
Bedürfnissen umzuformen. Vor- 
aussetzung dabei ist, daß dadurch 
fin neues, durch sich selber ge- 
rechtfertigtes Kunstwerk entsteht. 

Wie es Iteute gibt, die, wenn sie 
Brahms hören, an Bruckner denken 
und aus dem Ergebnis dieses eige- 
nen Denkprozesses urteilen, so hat 
es offenbar auch Leute gegeben, 
die während der absolut für sich 
bestehenden Oper „Ferdinand 
und Luise“ an das Drama „Ka- 
bale und Liebe“ gedacht haben. 

Zur Entwicklung aes Geschmacks 
ist natürlich das „Vergleichen“ 
nötig. Aber wie man nicht Brahms und Bruckner gegen- 
einander ausspielen soll, sondern nur die Unterschiede test- 
stellen soll, um daraus Vorteile zu ziehen, so wäre nicht 
Zaiczek und Schiller, sondern Zaiczek und die dramatische 
Produktion seiner Zeit als Vergleich am Platze. Im übrigen: 
die bürgerliche Tragödie eignet sich für die musikalisch- 
dramatische Behandlung durchaus. Die Handlung ist ja 
außergewöhnlich spannend, leicht verständlich und hat auch 
den Vorteil, daß sie jeder kennt. Nehmen wir das am Aeußeren 
haften bleibende Intrigenspiel mit der Lady an der Spitze 
fort, so ist auch die innere seelische Handlung der Aufaahme der 
Musik fähig. Ich will nicht sagen, daß sie damit „gesteigert 
würde, aber sie ist von einem neuen Zauber umwoben. Da 
das Genie Schiller über dem Talent Zaiczek steht, diese 
Differenz ist, wie gesagt, nach meiner Ueberzeugung auszu- 
schalten. Ich sehe ein neues Werk mit neuen ki^tTerischen 
Mitteln vor mir. Ob Handlung und psychologische Entwick- 
lung schon in einem Dichterwerk vorhanden waren oder dem 
Leben frisch entnommen wurden, ficht mich ^icht an. 

Genie und Talent! Unsere Zeit treibt den Kultus i des ; G«nes, 
obgleich sie es gar nicht so nötig hat. Die Kritik 
ordentlich streng, sieht Fehler über Fehler und so wenig oder 
gar nichts Gutes an neuen Werken; und dann wundert man 
sich, wenn die durch Lokalredakteure und junge Jo^alisten 
die auch über Theater schreiben dürfen und von findigen 
Direktoren hofiert werden, großgepappelte O p e r e 1 1 e aas 
Szepter schwingt. Ist es denn wirklich Aufgabe der Kntik 
alles vom erhabenen Standpunkte aus zu bestellen Und 



JUI4US ZAICZEK. 



Ewigkeit“ an der Stirne trägt: •+ „ tw>nrtpilen 

bloß K nach den paar genialischen Persönlichkeiten beurteilen. 
Das gäbe eTrfaWs 8 Bild. Wie die Ausstrahlungen in die 


Breite wirken, ist durchaus nicht unwesentlich: die Resonanz! 
Und leider haben wir feist nur noch Richter, Verurteiler mit 
finsterer Faltenstim, keine Anwälte mehr, die plaidieren. 
Und kein Publikum mehr, das auch eine ästhetische Freude 
daran hat, wie ein Künstler schaltet und waltet ; das sich 
interessiert auch da, wo er etwa irrt, das eine ästhetische 
Freude rein am Gang der Dinge hätte. Unser Publikum will 
gepackt, mitgenommen, „erschüttert“ sein. Der hohe Stil 
imponiert ihm und ehe es nicht „zerknirscht“ den Tempel 
der Kirnst verläßt, völlig aufgelöst, ist die „Erhebung“ 
nicht da! 

Zurück zu „Ferdinand und Luise“. Der 3. Akt im Garten 
der Lady Milford ist zu lang. Die drei anderen zeichnen sich 
durch knappe Fassung aus, was dem Ganzen sehr zustatten 
kommt. Denn größere Ausdehnungen wären dem Kom- 
ponisten gefährlich. Zaiczek verfügt über einen sicheren 
Theaterblick und hat die Fähigkeit, aus vorhandenen Quellen 
zur rechten Zeit das Rechte zu schöpfen und auf seine Art 
auszudrücken. Starke dramatische Phantasie besitzt er 

nicht, aber ein richtiges Gefühl 
für das Musikalisch-Bühnenwirk- 
same. Nun wäre es aber unge- 
recht, ihm bloß äußerliche Nach- 
ahmung nachzusagen. Zaiczek be- 
sitzt doch mehr: ein warmes Herz, 
echtes Mitgefühl und einen Zug 
von jener wienerischen Lyrik, die 
das Theaterpublikum, in gutem 
Sinne, anspricht. Diese nicht ge- 
ring zu schätzenden Eigenschaften, 
die für die in Frage kommenden 
Bühnenwerke von größerer Be- 
deutung sind als gelehrte Musik, 
machten die letzten Szenen auch 
ergreifend, sie entschieden den 
Erfolg. Dabei weiß Zaiczek seine 
Musik in Fluß zu halten, zu stei- 
gern, der Stimmung anzupassen. 
Er hat eine leichte Hand und das, 
wie manche der Konversations- 
szenen, scheinen mir für sein Ta- 
lent auch für die komische Oper 
zu sprechen. Einzelne Szenen 
stehen scharf umrissen da, sind 
gestaltet, so der Schluß des ersten 
Aktes. Anderes ist dann wieder zu 
breit, und auch vor einigen gefähr- 
lichen Gefühlsaffekten wird nicht 
zurückgeschreckt. Das Orchester 
klingt'Jdie große Trommel ist aber 
zu oft dramatisches Mittel) und 
deckt im allgemeinen die Stimmen 
nicht, bis auf einzelne Ausladungen 
Mascagnischen Stils. Die Sing- 
stimmen sind mit Liebe behan- 
delt, melodisch in dem angedeu- 
teten Sinne. Der Komponist be- 
müht sich auch mit Erfolg, sie 
und das Orchester in Einklang zu bringen. Das ist nicht 
unwichtig. Ueber einzelnen Szenen liegt etwas von eigen- 
artigem Stimmungszauber, sie sind dramatisch geschaut 
und empfunden. Daß Zaiczek sein Handwerk versteht, geht 
aus dem Gesagten hervor. Denn sonst bliebe die Wirkung aus. 
Nach dem ersten Akt verhielt sich das Publikum noch zurück- 
haltend; der zweite schlug ein und brachte dem Komponisten 
mehrere Hervorrufe; der dritte, zu lange, fiel wieder ab, aber 
der vierte entschied dann entsprechend der ihm eigenartigen 
dramatischen Stimmung für den Erfolg. Die Aufführung 
unter Hofkapellmeister Bands Leitung war vorzüglich und 
trug nicht wenig zur Aufnahme bei. Rudolf Ritter gab den 
Ferdinand mit kräftigen Strichen, Erna Eimenreich eine bei- 
nahe überirdisch schöne Luise, Scheidl eine vorzügliche 
Charakterfigur mit dem Präsidenten, Frau Palm-Cordes die 
Lady, Fritz den Stadtmusikus Müller. Gerhäuser hatte die 
Spielleitung. — — 

Innerhalb weniger Monate ist das nun die zweite Urauf- 
führung an der Stuttgarter Oper. Das ist ehrenvoll für sie, 
und deshalb gilt es, trotz allem auf diesem Wege weiter zu 
schreiten, trotzdem wir auch kein von vornherein interessiertes 
Premierenpublikum haben! Es ist ein eigentümliches Ver- 
hältnis in Stuttgart: an der Spitze ein Musiker, Max Schillings, 
der energisch die Förderung jüngerer dramatischer Talente 
betreibt, und auf der anderen Seite ein etwas gar zu vor- 
sichtiges Publikum ohne rechte Initiative. Premieren pflegen 
hier die leersten Häuser zu haben. Wenn aber gar, wie man 
mir jüngst aus Berlin privatim mitteilte, außerhalb die Mei- 
nung verbreitet ist, daß die hiesige Kritik zu lokalpatriotisch 
gefärbt sei — beinahe noch schlimmer als in München (!) — 
so muß dem widersprochen werden. Eher das Gegenteil ist 
der Fall! Oswald Kiihn. 


197 




Chansons und „societäs chantantes“ 
im alten Frankreich. 

Sans chanter, peut-cm vivrc un jour? 

(M&omanie.) 

Tout finit par des chansocs. 

(Beaumarchais.) 

I n einer merkwürdigen Sammlung von feuilletonistischen 
Plaudereien (Le Livre des cent-et-un) aus Paris, im ersten 
Drittel des vorigen Jahrhunderts, erzählt uns N. Brazier 
einiges über populäre französische Chansons, das. vielleicht 
auch deutschen Lesern von heute nicht uninteressant er- 
scheint. 

In Frankreich hat man immer gesungen, wird man immer 
singen, weil der Hauptcharakterzug der Nation die Fröhlich- 
keit ist, die oft bis zur Sorglosigkeit geht. Gesang stimmt zu 
Güte und Nachsicht. Frederic Bourguignon sagte: 

„Le penchant 
Du cnant 

Jamais du meehant 
N’a calmö rinsotnnie ; 

Avec nos accords 
Le cri du remords 
N’est pas en harmonie.“ 

Was wir Deutschen in den Worten „Böse Menschen haben 
keine Lieder“ ähnlich und einfacher ausdrücken. — Brazier 
spricht uns nicht von der Entstehung der Chansons; er er- 
wähnt nur, daß von den aus ältester Zeit überkommenen 
Volksgesängen der bekannteste und lächerlichste derjenige 
des alljährlich begangenen Eselsfestes war. 

Olivier Basselin wird der Vater des Vaudevilles genannt. 
Unvergessen ist auch in Frankreich ein Komödiant des drei- 
zehnten Jahrhunderts, Guillaume Michel, der als singender 
Savoyarde umherzog. Der gleichen Zeit entstammen noch 
eine Menge von volkstümlich gewordenen Sängern. Mehr 
oder minder harmloser Spott bildete die Grundlage vieler 
Chansons, die sich vielfach auf politische Zustände bezogen. 
Nichts und niemand blieb verschont. Die Anzahl der Chansons 
auf Mazarin, der es verstand, sich in seiner hohen Stellung 
ein Vermögen von fünfzig Millionen Livres zu erarbeiten, 
würde Bände füllen. Man erfand für diese Gesänge den Namen 
„Mazarinades“. 

Der Franzose singt bei Niederlagen und Erfolgen, im Ueber- 
fluß wie im Elend, in Fesseln wie in Freiheit, selbst noch auf 
den Stufen des Schafotts. Ungefähr seit dem Beginn des 
siebzehnten Jahrhunderts gab es in Frankreich Singgesell- 
schaften. An der Spitze der „Chansonniers“, nämlich der 
Erfinder solcher Chansons, standen Könige, Prinzen und 
sonstige Würdenträger, selbst geistliche Herren und Damen. 
Heinrich IV. besang Gabrielle (seine Geliebte), Franz I. „La 
belle Feronni6re“ ; der gute König Renö besang den Wein der 
Provence, Rabelais, der satirische Pfarrer, sang öfter bei Tisch 
als in seiner Kirche von Meudon usw. Auch Ludwig XVIH. 
versuchte sich in Versen und Chansons. Bonaparte selbst 
„l’homme de bronze, l’homme de fer, l’homme le moins 
chantant du monde“, wie sich Brazier ausdrückt, summte 
zur Schlacht reitend seinen Lieblingsrefrain: „Malborough 
s’en va-t-en guerre.“ 

Nicht einmal die Schrecken der großen Revolution ver- 
mochten die französische Sangesfreudigkeit zu ersticken. 
Viele der imglücklichen Opfer komponierten wenige Stunden 
vor ilurem Tode noch Chansons, von denen man geglaubt hätte, 
sie seien inmitten rauschender Festfreude entstanden. Mont- 
jourdain, zum Tode verurteilt, sandte seiner Frau die bekannte 
Romanze „L’heure avance oü je vais mourir“ usw. Einer 
seiner Leidensgefährten komponierte das folgende Couplet, 
das die andern Gefangenen im Chor wiederholten : 

„La guillotine est un bijou 
Aujourd’hui des plus ä la mode 
J’en veux une en bois d’acajou 
Que je mettrai sur ma commode 
Je 1 ‘essaierai chaque matin, 

Pour ne pas paraitre novice 
Si par malheur le lendemain 
A mon tour je suis de Service.“ 

Die Kerkermeister selbst zwangen die Verurteilten, mit ihnen 
schändliche Couplets zu singen mit dem Refrain: 

„Mettons-nous en oraison 
Maguingueringon 
Devant sainte guillotinette 
Maguingueringon 
Maguingueringuette !“ 

Jede politische Richtung wurde in Frankreich singend zu 
Grabe getragen. Man sang: „O Richard, o mon roi!“ oder 
die Marseillaise; „Vive Henri quatre“ oder „£a ira“. 

Nach der Revolution kamen die „Diners du Vaudeville“ 
auf, bei welchen die Gäste die Verpflichtung hatten, neue 

198 


Chansons mitzubringen oder zu improvisieren. Die geist- 
vollsten Köpfe wetteiferten bei solchen Veranstaltungen, die 
sogar ein Monatsheft zeitigten: „Journal des gourmands et 
des heiles“, das einen Teil dieser Couplets veröffentlichte. 
Die Tischgesellschaft von damals, die allmonatlich bei einem 
bestimmten Gastwirt zusammenkam, ließ sich allerdings 
durch die erlesensten kulinarischen Genüsse inspirieren, die 
ihnen den Beinamen der „Epikuräer“ eintrugen. Einer ihrer 
beliebtesten „Chansonniers“, Laujon, wurde mit zweiund- 
achtzig Jahren sogar noch zum Mitglied der Akademie er- 
nannt. Im Jahre 1813 war Beranger der Gefeiertste der 
epikuräischen Tafelrunde, der vielleicht hier den Grund legte 
zu seiner großen Popularität. „Le roi d’Yvetöt“, eines seiner 
liebenswürdigsten und bekanntesten Chansons, entstand um 
diese Zeit. 1814 teilten sich die Chansonniers (man zählte 
mehr als sechzig) in zwei Lager; die einen schworen zur Fahne 
von Austerlitz, die andern zum Banner Heinrich IV. Im 
Jahre 1818 gab es schon unzählige „societös chantantes“, 
worunter aber, wie aus obigem hervorgeht, etwas gänz- 
lich anderes zu verstehen ist als etwa unter deutschen 
„Singgesellschaften“ und „Singakademien“ aus der gleichen 
Zeitepoche. — Da gab es in Paris die „Societe des Lapins“, 
die „Socüte des Gamins“, „Sod6te des Joyeux“, „Sodäte 
des bons enfants“, „Amis de la gloire“ usw. usw. Nun waren 
es nicht mehr die Vertreter der geistigen Aristokratie allein, 
die diese Gesellschaften zur Pflege der Chansons bildeten, 
sondern einige rekrutierten sich aus allen Bevölkerungs- 
klassen. Das Volk erfand sich seine Chansons selbst, wie das: 

„II reviendra le petit caporal, 

Vive a jamais la redingote grise 
Honneur, honneur, ä not’ grand empereur!“ 

Selbst Cholerazeiten veranlaßten neue Pariser Chansons, 
die man überall in den Straßen hörte. Schwerlich wird man 
sich in Deutschland bei solchen trüben Ereignissen noch 
gleichen Humors rühmen können — außer etwa in Berlin, 
wo übermütige Laune und Witz immer geblüht haben. 

Die Originalität der französischen Chansons, die ursprüng- 
lich lustig, neckend, schmeichelnd, kaustisch, traurig, 
atheistisch, bigott und was immer waren, ist verloren ge- 
gangen. Chansons haben gehuldigt und geschmäht. Man 
sang der liebreizenden Tochter Maria Theresias: 

„La rose est la reine des fleurs, 

Antoinette est la reine des coeurs,“ 

um sie wenige Jahre darauf auf dem Henkerskarren zu ver- 
spotten: 

„Madam* Veto avait promis 
De faire 6gorger tout Paris, 

Mais son coup ä manquö 
Gräce ä nos canoniers 
Dansons la carmagnole 
Au bruit du sonj 
Du canon !“ 

Die Chansons verkündeten Napoleons Ruhm als „Alexandre, 
Cfisar, Auguste, Trajan“, sie folgten ihm nach Aegypten, 
Italien und noch nach Rußland, ja bis auf die Insel Elba. 
Ihn, den die Chansons vergöttert hatten, nannten sie später 
„L’ogre de la Corse !“ — Die Melodien der beliebtesten Chansons 
schlichen sich sogar in Kirchen ein, wo man ihnen nur geist- 
liche Texte unterlegte. — Alles endigt in Frankreich mit 
Chansons. Tony Canstatt (München). 



Breslau. Auch unser Stadttheater hat Boieldieus komische 
Oper: „Das Loch in der Landstraße“ gegeben. Das ist ein 
anderer und netterer Titel als „Der Satansweg“, den die Ber- 
liner Hofoper den „voitures versees“ bereits gebahnt hat. — 
Ueber die größtenteils feine, anheimelnde, echt komische, 
von Zöpfchen nicht freie Musik, die oft an Mozart erinnert, 
ohne dessen Tiefe zu erreichen, braucht hier nichts mehr 
gesagt zu werden. Aber die Bearbeitung Erich Freunds be- 
dingt einige Erörterungen. Sie ist ein merkwürdiges Beispiel 
für die oft beobachtete „Duplizität der Fälle“. Georg Drösdier 
in Berlin und Dr. Erich Freund in Breslau haben ganz un- 
abhängig voneinander und gleichzeitig die Renovation der 
„umgeworfenen Wagen“ Boieldieus unternommen, eines 
Werkes, das ursprünglich ein Vaudeville gewesen ist und wenige 
Jahre darauf vom Komponisten der „Weißen Dame“ zu einer 
komischen Oper ausgebaut wurde. Freund aber kommt in 
mancher Hinsicht vom Vaudeville nicht recht los, so z. B. 
wenn er rings um .das Loch in der Landstraße modem- 
berlinische Redeblüten wuchern läßt („einfach totschick“ — 



„wer tüchtig Draht besitzt“ u. a.) und sie gelegentlich durch 
etwas gewaltsame Wortspiele ergänzt, deren französische Be- 
nennung calembourg in den ersten drei Buchstaben mit einer 
deutschen Bezeichnung solcher Witze übereinstimmt. . An 
manchen Stellen scheint eben Bnieldieu mit Offenbach ver- 
wechselt zu .sein. Freilich hat weder Boieldieu (dessen Namen 
man endlich einmal richtig aussprechen sollte) noch der 
Librettoschreiber Dupaty Herrn Dr. Freund seine Arbeit 
leicht gemacht. Worin die Schwierigkeit besteht, setzt der 
Bearbeiter im Vorwort sachkundig auseinander: „Dupaty 
führt eine ganze Reihe von Personen mit dem Versuche lust- 
spielmäßiger Charakterisierung ein. Er gibt aber den Ver- 
such bald wieder auf und steuert dann in einem sehr wort- 
reichen, aber nichtssagenden Dialog auf das gewohnte Ziel 
einer Verlobung behaglich los, wobei er die Mehrzahl der 
komischen Nebenakteure mehr und mehr außer acht läßt. 
Ich habe vom Original Dupatys das Hauptmotiv (nämlich 
,das Loch in der Landstraße' mit seinen tragikomischen Folge- 
erscheinungen) und die äußere Linie der Handlung beibehalten, 
den Dialog aber neu gefaßt und zumal dem zweiten Akt eine 
völlig andere Gestalt gegeben, so daß der Hörer jetzt über das 
Schicksal aller von Dupaty erst zur Stelle bemühten, dann 
aber als quantite n£gligeable schnöde behandelten Mitspieler 
gebührend unterrichtet wird ... In vielen Fällen mußte nicht 
nur der sprachliche Ausdruck, sondern auch der Gedanken- 
gang durchaus geändert werden, mußte eine Reihe neuer 
Motive gefunden und dem raschen Flusse der Musik angepaßt 
-werden, eine Aufgabe, deren Schwierigkeit durch das Ein- 
setzen der deutschen Sprache für das schmiegsame französische 
Idiom noch vervielfacht wurde. Auch hatte Boieldieu das 


Aufnahme. Wenig Beifall, in bezug auf die Komposition, 
erregte das Eliavierquartett in G dur op. 50 von Paul Juon, 
dem nur im Scherzo die Programm-Ueberschrift „Zitternde 
Herzen“ zum Verständnis verhalf. Das Klaviertrio op. 28 
in d moll von H. G. Noten dagegen löste wohltuenden Genuß 
aus. — Als Solisten hatten wir zwei Weltberühmtheiten zu 
verzeichnen: Frederik Lamond und Wilhelm Backhaus, die 
beide durch ihren vor einigen Jahren hier abgehaltenen 
Meisterkursus für höheres Klavierspiel zu unserm Musikleben 
in eine gewisse Beziehung getreten sind. Prof, lssai Burmas, 
hervorragender Berliner Geiger, bestätigte seinen Ruf als 
einer der pietätvollsten Interpreten altklassischer Werke. 
Frau Ena Ludwig-Howorka, die Gattin des obengenannten 
jungen Komponisten, eine tüchtige Pianistin, erzielte bei mehr- 
f achem Auftreten guten künstlerischen Erfolg. Marie Boltz. 


Neuaufführungen und Notizen. 

— Das^.Deutsche Opernhaus“ in Charlottenburg hat eine 
neue Oper seines ersten Kapellmeisters zur Uraufführung ge- 
bracht: „Mandragola“, komische Oper in drei Akten. Dich- 
tung nach einer alten Komödie des Macchiavelli von Paul 
Eger. Musik von Ignatz Wagkalter. 

— Die Dresdner Hofoper hat das Musikdrama „Sabina“ 
von Artur Wulfius zur Uraufführung angenommen. 

— Felix Weingartners neue einaktige Oper „Kain und 
Abel“ soll bei den nächsten Maifestspielen in Darmstadt unter 


JLCUom nocn vervteüacnt winde. Auch hatte .Boieldieu das Abel soll bei den nächsten Mailestspielen m Darms tadt ui 

von Gr6try theoretisch bereits festgestellte Stilprinzip der der Leitung des Komponisten ihre Uraufführung erleben, 

Uebereinstimmung von Ton und Wort noch nicht entdeckt. — In der Dessauer Hofoper hat Hector Berlioz’ „Benvet 


Schon aus diesen paar Aeußerungen ergeben sich Erich 
Freunds Verdienste um die Reparatur der alten Opemkutsche; 
sie sind wertvoller als die Georg Dröschers. Der Berliner 
Regisseur ist dem Breslauer Kritiker nur darin überlegen, 
daß er den guten Gedanken hatte, den Gutsbesitzer Dormeuil 
selbst in die Grube fallen zu lassen, die manches Reisenden 
unfreiwilligen Aufenthalt in dem Landschlosse Dormeuils be- 
dingte. Den Sängern von heute fehlt die Leichtigkeit und 
natürliche Eleganz und der freie, feine Gesprächston der 
Opera buffa. Man muß zufrieden sein, wenn sie, wie die 
Herren Wilhelmi (Dormeuü), Haas (Florville), Gläser (Te- 


sieren. Frl. Hirschmann (Madame v. Melval) und Herr Baron 
(Armand) blieben ihren Rollen manches schuldig. Um die 
musikalische und szenische Leitung machten sich Herr Prüwer 
und Intendant Runge verdient. Dr. Paul Riesenfeld. 

Freiburg I. Br. Auch diesen Winter stehen die von E. Harms 
veranstalteten Künstlerkonzerte wieder an der Spitze der 
musikalischen Darbietungen. Sie brachten im ersten Konzert 
das Auftreten von Paula Stebel und Karl Klingler mit 
Werken von Mozart, Brahms, Schubert und Beethoven, 
von denen besonders des letzteren Violinsonate op. 30 c moll 
eine tiefgründige Wiedergabe fand, ferner im dritten Konzert 
einen Klavierabend Max v. Pauers, der sich mit Bach, Beet- 
hoven und Brahms seiner begeisterten Gemeinde wiederum 
als der außerordentliche Klavierkünstler und feine Musiker 
zeigen konnte. Neu fjir hier waren das Ungarische Streich- 
quartett, das sich im zweiten- Konzert sehr günstig einführte 
mit Haydns op. 20 No. 2 und Schuberts op. 161, sowie 
Brahms’ Quintett op. 34, wobei P. O. Möckel den Klavier- 


S art trefflich vertrat, sodann die Altistin Ilona Durigo und 
ie Violinistin Melanie Michaelis, deren bedeutende Kunstler- 
schaft sich im vierten Konzerte unter der ausgezeichneten 
Begleitung von C. Beines an Werken von Tartini, Pugnani, 
Schubert, Spohr, Brahms, Haydn, Grieg, Kjerulf und Rach- 
maninoff aufs glänzendste zeigen konnte. — l. 

Sondershausen. Von unsrer letzten Lohkonzertzeit gibt es 
diesmal kaum etwas Neues zu melden. Die bewährten klas- 
sischen und romantischen Symphonien, Suiten, Ouvertüren 
usw. wurden von unsrer leistungsfähigen Hofkapelle unter 
der kraftvollen, lebensprühenden Leitung Prof. Corbachs in 
20 Symphoniekonzerten vorgeführt, neueste Musik kam fast 
gar nicht zum Wort. Nur wie ein Nachklang zum Stutt- 
garter „Schwedischen Musikfest“ ertönte die 2. Symphonie 
m Fdur op. 6 von Kurt Atterberg hier in der Uraufführung. 
Eine gärende, überschäumende Kraftprobe des talentvollen 
Autodidakten. Reifer, abgeklärter erschienen uns die Werke 
des jungschwedischen Komponisten Oskar Lindberg, die sym- 

E honische Dichtung „In der Wüdnis“ und eine Ouvertüre in 
moll, zwei ideenreiche Tonbilder, die sich nur im Stil zu 
ähnlich waren. — In der herbstlichen Konzertzeit gab es nun 
eine Fülle von Novitäten. Die „Romantische Suite“ von 
Reger bot entzückende Programmusik, die Tondichtung „Zu 
einem Drama“ von Gernsheim erschöpfte ihren Vorwurf in 
sinnfälliger Weise, die Ouvertüre „Lebensfreude“ von Georg 
Schumann elektrisierte. Die Uraufführung einer feingearbei- 
teten „Lustspielouvertüre“, das Opus 10 von Franz Ludwig, 
dem 1. Klavierlehrer unsres Konservatoriums, fand günstigste 


— In der Dessauer Hofoper hat Hector Berlioz' „Benvenuto 

Cellini“ die hiesige Erstaufführung erlebt. Bei prächtiger 
äußerer Ausstattung in Dekorationen und Kostümen, in treff- 
licher Rollenbesetzung, mit Leonor Engelhard (Cellini) und 
Marcella Röseler (Teresa) in den Hauptpartien, bei künstle- 
rischer Orchesterleistung — auch der Chöre sei lobend ge- 
dacht — erzielte das schöne, aber ungemein schwierige Werk 
unter Generalmusikdirektor Franz Mikoreys hingebender Füh- 
rung einen großen Erfolg. «p . E. H. 

— Der altenburgische Hofkapellmeister Rudolf Groß hat 
Glucks „Orpheus“ m Konzertform aufgeführt. 

— Im Posener Stadttheater ist eine komische Oper von 
Stanislaw Letowsky „Frau Anne, die Dame am Putztisch“ 
zur Uraufführung gekommen. Der Text stammt von Walter 
Ramdohr und behandelt eine Amsterdamer Liebesaffäre zur 
Zeit des großen Rembrandt. 

— Ueber Richard Straußens neue Oper „La legende de 
Joseph“, die an der Pariser Oper erstmalig aufgeführt werden 
soll, weiß man, wie uns aus Paris geschrieben wird, bereits 
allerlei zu berichten. In dem von Hugo von Hofmannsthal 
verfaßten Libretto ist die biblische Episode von Joseph in 
ein italienisches Milieu des 16. Jahrhunderts verlegt. Man 
wird zwischen Säulengängen, wie sie die Gemälde eines Tin- 
toretto und Veronese aufweisen, Madame Ida Rubinstein mit 
einer römischen Lampe in der Hand drei Galerien durcheilen 
sehen, um Joseph, alias Ltonide Miasine, den neuen Tänzer 
des russischen Balletts, - aufzuwecken. Man wird den Engel 

f ewahren und Potiphar — in der Gestalt des Exsultans von 
’ersien, Bulgakoff; man wird Tänze von Athleten, türkischen 
Kämpfern, bewundern. Und die Musik! Ein Freund unseres 
großen Meisters hält sie für einfach und großzügig zugleich: 
Sie spiegelt von Anfang an die Linienreinheit der Deko- 
ration mit ihrem strengen Ebenmaß wider. Sie ist Stein und 
Marmor.' Sie ist reich an Abwechslung. Während die „Salome“ 
dem französischen Publikum den außergewöhnlichen Reichtum 
der Orchestrierungskunst Straußens offenbarte, wird „La 16 - 
gende de Joseph“ es wfegen der meisterlichen Verschwendung 
glänzender und unerwarteter Effekte fesseln. Strauß ist über- 
glücklich, nach Paris kommen zu können. Lvn. 

— Wie verlautet, haben Claude Debussy und Charles Morice 
dem neuen Direktor der Pariser Oper, Jacques Rouchi, die 
Partitur eines den Poesien Verlaines entnommenen Opera- 
Balletts „Fete galante“ eingereicht. Das Werk soll zu Beginn 
der nächsten Spielzeit in Szene gehen. Lvn, 

— Aus Amsterdam wird uns geschrieben: Trotzdem es hier 
schon seit vielen Jahren einen Verein zur Pflege und Förde- 
rung der nationalen Oper gibt, hat er bis jetzt noch nichts 
aus eigener Kraft hervorbnngen können. Der Gedanke eines 
Preisausschreibens für Dichtung und Komposition scheint ihm 
aber seinem Ziele näher gebracht zu haben durch die vor- 
trefflich gelungene Uraufführung eines dramatischen Gedichtes: 
Agnete von Frau van Uüdriks, Musik von Julius Röntgen 
(unter Leitung des Komponisten). Röntgen, der feinsinnige 
Kammermusiker und Komponist, zeigte uns hierdurch eine 
neue Seite seines musikalischen Schaffens und seiner sehr 
großen musikalisch- dramatischen Kraft. Wenn auch das ein- 
aktige Werk nicht der ursprünglichen Idee hinsichtlich des 
nationalen Charakters entspricht, so ist es doch zur Bereiche- 
rung der Opemliteratur von sehr beachtenswerter Bedeutung 
und wird sicher auch seinen Weg auf deutsche Bühnen finden. 


199 



— Die zweite Aufführung von Richard Straußens zwanzig- 
stimmigem a eappella-Chorwerk „Deutsche Motette“ wird am 
24. Februar durch den Michaelis-Kirchenchor in Hamburg 
unter Leitung von Alfred Sittard in der Michaeliskirche statt- 
finden. 

— Paul Scheinpflug, der bekannte Königsberger Dirigent 
und Komponist, hat in Berlin mit dem verstärkten Blüthner- 
Orchester einen Beethoven-Abend veranstaltet. Mitwirkende 
waren: Prof. Karl Klingler (Viol.), Prof. Hugo Becker (Cello) 
und Prof. Robert Kahn (Klavier), die das selten gehörte 
Tripelkonzert des Meisters spielten. Scheinpflug dirigierte 
die Fünfte und Achte Symphonie. 

— In München hat ein Trio „Arabesken“ zu einem russischen 

Tanz für Geige, Cello und Klavier (op. 36) von Clemens von 
Franckenstein die Uraufführung erlebt. ».ul-w j 

— Der „ Verein Schülerspeisung München “ teilt uns mit, 
daß nicht, wie in Heft 8 (S. 160) angegeben, die Festvorstel- 
lung im Gärtnertheater 1500 M., sondern 16000 M. gebracht 
hat. Indem wir nun statt unserer Verwunderung unsere 
Freude über dies Ergebnis ausdrücken, möchten wir be- 
merken, daß die falsche Zahl in einem uns direkt über- 
mittelten Bericht stand. 

— In Köln hat im siebenten Gürzenich-Konzert Enrico 
B ossis Mysterium „Johanna d’Arc“ die Uraufführung erlebt, 
bevor es noch in der Heimat des Komponisten gehört wurde. 

— Prof. W. v. Baußnem hat mit dem Post- Quartett ein 
Klavierquintett in Es dur („Dem Andenken eines Freundes“) 
in Frankfurt a. M. zur Uraufführung gebracht. 

— In Duisburg hat in einem Konzert des Städtischen Gesang- 
vereins unter Leitung des Musikdirektors Walter *Josephson 
die Uraufführung des Psalms 137 von Arnold Mendelssohn 
stattgefunden. 

— Nicht alle Werke Richard Wagners sind am 1. Januar 
frei geworden. Nicht uninteressant wird es sein, auf drei 
französische Lieder Wagners hinzuweisen, die auch heute 
noch gesetzlichen Schutz genießen. Es sind dies „Attente“, 
„Dors mon enfant“ und „Mignonne“. Diese Lieder waren 
erstmals im Jahre 1870 bei A. Durand & Cie. in Paris er- 
schienen und sind als französische Originalschöpfungen bis 
50 Jahre nach dem Tode des Komponisten geschützt. Die 
Lieder hat die Ortsgruppe Darmstadt des Richard-Wagner - 
Vereins deutscher Frauen aufgeführt, dazu noch „Die bäden 
Grenadiere“, den „Tannenbaum“ und „Les adieux de Maria 
Stuart“. (Danach ist unsere neuliche Notiz zu berichtigen.) 

— In Dortmund hat im 45. Orgelkonzert C. Holtschneider 
unter Mitwirkung von Maria Lydia Günther, Hannover, und 
W. Nagel, Eßlingen (Orgel), ein großes Programm aufgeführt: 
Werke von Bach, F. Liszt, M. Reger, Sologesänge mit Orgel- 
begleitung von Wolf, M. Stange, P. Vretblad, E. Sjögren, 
E. Gigout, A. Guilmant, sowie die Arie aus der Kantate 
„Lazarus“ von Franz Schubert und eine chromatische Fantasie 
von L. Thiele. 

— Heinz Tiessen wird, einer Einladung des Allensteiner 
Konzertvereins folgend, seine Erste Symphonie C dur (mit 
einem Leitspruch von Rainer Maria Rilke) persönlich dirigieren. 
Als Solist des Konzertes wird Konrad Ansorge mitwirken. 

— In Pforzheim hat im Evang. Kirchenchor Musikdirektor 
Albert Fauth das Chorwerk „Die Kindheit Christi“ von Berlioz 
aufgeführt und eine Kantate eigener Komposition „Die Ge- 
burt Christi“, die Erfolg hatten. 

— Paul Gerhardt hat am Hohneujahrstage in der Zwickauer 
Marienkirche sein dortiges 50. Orgelkonzert mit Werken von 
J. S. Bach, Rod. v. Mojsisovics, Br. Weigl und eigenen Kom- 
positionen (darunter Uraufführung von vier neuen Choral- 
vorspielen op. 13) gegeben. Man schreibt uns dazu: Das 
Jubüäumsprogramm enthält eine Zusammenstellung sämtlicher 
von P. Gerhardt in Zwickau meist erstmalig aufgeführter 
Werke, und verzeichnet 90 Komponisten aller Zeiten und 
Länder mit über 300 Tonstücken (meist Orgelwerke), 8 hi- 
storische Abende, 3 Bach-Abende, je 2 Buxtehude-, Reger-, 
Liszt- und moderne französische Abende, je 1 Rheinberger-, 
Lud. Neuhoff-, Friedemann Bach- und Rob. Schumann-Abend. 
Diese Orgelkonzerte sind Unternehmungen großen Stils mit 
wertvollen, nach künstlerischen Gesichtspunkten zusammen- 
gestellten Programmen (meist Orgel allein) und haben in der 
musikalischen Welt einen Ruf erlangt. 

— Kgl. Musikdirektor Hermann Thielscher hat in Trep- 
tow a. R. wieder einen großen Wagner-Abend veranstaltet. 
Es wurden aufgeführt: Parsifal (erster Teil) vom Gesangverein 
für gemischten Chor und Gymnasial-Männerchor unter Mit- 
wirkung der Solisten: Frau v. Blanckenburg, Walter Schenck, 
Walter Belian, Dr. Ulrich, alle aus Berlin. Der zweite Teil 
brachte den Karfreitagszauber aus „Parsifal“ und Vorspiel 
zu „Tristan und Isolde“. Das Orchester stellten die vereinigten 
Kapellen des Kolberger Infanterieregiments No. 54 und der 
Kgl. Unteroffizierschule. Das ist in Anbetracht der kleinen 
Stadt eine sehr beachtenswerte Leistung. 

— In Tilsit hat der Königl. Musikdirektor Wolff nach 
38jähriger erfolgreicher Tätigkeit die Direktion des „Sänger- 
vereins Tilsit“ medergelegt. Die Leitung des „Oratorienvereins“ 
und des „Kirchenchors“ behält Herr Wolff dagegen bei, ebenso 


die des Konservatoriums, das er gegründet hat, und des 
Seminars für Musiklehrer und -Lehrerinnen, nach den Be- 
stimmungen des „Verbands der Direktoren deutscher Kon- 
servatorien und Musikseminare“. Der Oratorienverein steht 
vor einem Konzert mit Alexander Heinemann, in dem der 
schöne Chor von Rieh. Wetz, „Hyperion“, aufgeführt wird. 

— Emanuel v. Hegyi, Professor an der Königl. ungarischen 
Landesmusikakadenne in Budapest, hat in Wien mit großem 
Erfolge gespielt, u. a. mit Bachs Dorischer Toccata und Fuge 
in der meisterhaften Bearbeitung von August Stradal, die 
er auf seiner ganzen Tournee spielen wird. 

— In Prag haben drei Orchesterlieder A . Schoenbergs (op. 8) 

im letzten Philharmonischen Konzert des Neuen deutschen 
Theaters ihre Uraufführung erlebt. Trotz ihrer mittelmäßigen 
Faktur hatten sie Beifall. St. 

— Claude Debussy, den man seit langem nicht mehr in der 
Oeffentlichkeit zu sehen bekam, wird am 28. Februar ein 
Mengelberg-Konzert im Haag dirigieren. Der originale Ver- 
fasser von „Pelleas et Melisande“ hat sich auf die inständigen 
Bitten des Genfer Orchesterchefs Doret, der das Konzert or- 
ganisiert, zu diesem ungewohnten Schritte bewegen lassen. 



— Denkmalpflege. Einem Standbilde Mozarts hat die 
Prager Stadtverwaltung den Platz verweigert! Die Nachricht 
klingt unglaublich, aber sie ist nach unwiderrufenen Zeitungs- 
melaungen wahr. Vor Jahren büdete sich ein Verein, diesem 
Großen hier ein Denkmal zu setzen. Anfangs gehörten Ver- 
treter beider Völker diesem Zweckvereine an; später mußten 
sich die Tschechen zurückziehen, sonst wären sie als Verräter 
gebrandmarkt worden. Die Deutschen sammelten weiter; 
endlich war das Geld beisammen und beim Stadtrat gebeten, 
am Kohlmarkt, wo Mozart gewohnt hatte, die Aufstellung 
des Monuments zu gestatten. Rundweg wurde das Gesuch 
abgewiesen, und auch im Instanzenzuge konnte kein günstiger 
Erfolg erzielt werden. Nun sollte das Denkmal vor aas 
Deutsche Landestheater hinkommen. Ein Meter Straßengrund 
war nötig, um Franz Metzners Entwurf zur Ausführung zu 
bringen. Aber auch dieses seinerzeit durch den böhmischen 
Landesausschuß als Eigentümer des Deutschen Landestheaters 
eingebrachte Gesuch wies der Stadtrat ab, wefl das Denkmal 
angeblich „verkehrsstörend“ gewesen wäre. Die Denkmals- 
gesellschaft wird mm den Entwurf so ändern lassen, daß er 
am Theater selbst aufgestellt werden kann. Bemerkenswert 
ist, daß der Führer der Jungtschechen Dr. Kramarsch für 
die Errichtung des Denkmals öffentlich mit Wärme eingetreten 
ist. Das Verhalten des Prager Magistrats ist derart unver- 
ständlich, daß eine Erklärung von ihm dringend zu wün- 
schen wäre. 

— Von den Theatern. Die Hiobsbotschaften über die miß- 
lichen Theaterzustände mehren sich. Wir wollen von jenen 
kleinen Unternehmungen, über die der Pleitegeier immer 
engere Kreise zieht, nicht sprechen. In Halberstadt mußte 
kürzlich eine Vorstellung ausfallen, da vier ( !) Eintrittskarten 
verkauft waren. Daraufhin hat die Stadt den Direktor von 
der Verpflichtung, Opern aufzuführen, entbunden. Auch der] 
Fall des nicht subventionierten Nürnberger Stadttheaters hat 
weitere Einblicke gestattet. Nun aber kommt auch aus Mün- 
chen folgende offizielle Nachricht: „Infolge durchgreifender 
Aenderungen, die durch bauliche und feuerpolizeiliche Vor- 
schriften bedingt werden und die im heurigen Frühjahr zur 
Durchführung gelangen sollen, werden im Münchner künstler- 
theater in dieser Saison keine Vorstellungen stattfinden. Es 
hat sich aus diesem Grunde der Verein Ausstellungspark ver- 
anlaßt gesehen, den Pächter des Hauses von seiner Spielver- 
pflichtung zu entbinden.“ Das klingt sehr pessimistisch. — 
Gleichzeitig meldet Hamburg eine „Opemkrise“. Der Korre- 
spondent der Frkf. Ztg. beginnt seinen Bericht: „Unsere Neue 
Oper steht dem Ruin gegenüber und hat durch eine ver- 
zweifelte Flucht in die Oeffentlichkeit: die Billigung eines Auf- 
rufes zu ihren Gunsten, diese Tatsache nicht nur zugestanden, 
sondern zugleich einen letzten energischen und hoffentlich 
glückbegünstigten Versuch gemacht, sich in die zweite Spiel- 
zeit hinüberzuretten.“ Diese Zustände müssen in ihrer Konse- 
quenz schließlich zur Verstaatlichung der Bühne führen, also 
zu einem antiken Ideal. Dann wäre aber volle Freiheit 
der Kunst erste Bedingung. Der Weg ist also noch etwas 
weit. 

— Ein Prozeß um Dvoidks Violoncellkonzert. Aus Paris 
wird uns geschrieben: Pablo Casals, der berühmte Cellovirtuose, 
hat den Prozeß, den ihm Gabriel Piernl, der Dirigent der 
„Colonne-Konzerte“, wegen Kontraktbruches machte, ver- 
loren. Casals, der Dvotäks Violoncellkonzert, Bachs Präludium 
der Suite in C und Florent Schmitts „Chant el6giaque“ im 


200 



Konzert vom 25. Januar ds. Js. gegen ein Honorar von 
1500 Franken hätte vortragen sollen, weigerte sich auf eine 
abfällige Bemerkung Piernes über den musikalischen Wert 
des Dvof&kschen Opus hin, weder in der Generalprobe noch 
im Konzerte am folgenden Tage spielen zu wollen. Da PiemSs 
wiederholte Vorstellungen bei dem grundlos Beleidigten frucht- 
los blieben, sah er sich gezwungen, das Programm zu ändern 
und, abgesehen von denen, die aus diesem Grunde dem Kon- 
zert überhaupt verloren gingen, andern die Eintrittskarten 
zurückzükaufen. In der Urteilsbegründung heißt es u. a.: 
es genügte nicht, zu behaupten, Piemä verstünde das Werk 
nicht und das Orchester hätte ihn daher nicht genügend unter- 
stützt; Casals hätte wenigstens einen Versuch machen müssen, 
da es sich ja um eine Probe gehandelt habe; es wäre, wenn 
Casals sich zum Spielen der Komposition verstanden hätte, 
sicherlich am folgenden Tage alles glatt von statten gegangen 
und man hätte den Zwischenfall des Vortages, der nun ein 

f erichtliches Nachspiel gehabt, schnell vergessen. Kurz, der 
en Colonne-Korizerten zugefügte Schaden ist erwiesen und 
Casals zu 3000 Franken Schadenersatz verurteilt worden. Lvn. 

— Von den Tonkünstlervereinen. In der 27. ordentlichen 
Generalversammlung des Wiener Tonkünstlervereins in Wien 
sind in den Vorstand wieder resp. neu gewählt: Hofrat Eugen 
d’ Albert (Präsident), Direktor Emil Hertzka (I. Vizepräsident), 
Prof. Rudolf Dittrich (II. Vizepräsident), Hugo Winkelmann 
(Kassier), Dr. Hugo Robert Fleischmann (Schriftführer), Julius 
Bittner, Prof. Vinzenz Goller, Kais. Rat Fritz Karbach, Chor- 
meister Viktor Keldorfer, Chormeister Adolf Kirchl, Kapell- 
meister Toni Konrath, Prof. Richard Robert, Prof. Dr. Richard 
Stöhr, Prof. Julius Stwertka, Dozent Dr. Egon Willesz, Joseph 
V. v. Wöß und Alexander Wunderer. 

— Städtische Musikpflege. In Stettin ist durch einen Be- 
schluß der Stadtverordneten die Errichtung einer städtischen 
Musikhalle n unm ehr gesichert. Sie erfolgt im Anschluß an 
das seit etwa 30 Jahren bestehende, längst unzureichende 
Konzerthaus. Der Bau ist mit einer Million veranschlagt. 

— Gehaltsaufbesserung. In Braunschweig hat der neue_ Her- 
zog die Gehälter der Kapelle und des Chorpersonals bis zu 
20 Prozent aufgebessert. 

— Vom Schulgesang. Zwei Kurse für Lehrer und Lehre- 
rinnen zur Ausbildung im Gesangunterricht hat die Schul- 
deputation in Berlin unter der Leitung des Rektors Joseph 
Hoffmann und der Gesanglehrerin Frl. Krause eingerichtet. 

— Kirchenmusik. Ein Institut der Kirchenmusik für Theo- 
logiestudenten hat Prof. Dr. X. Mathias an der Straßburger 
Universität gegründet. Zweck des Instituts ist: Schulung der 
Stimme, Einführung in die Kirchenmusik, Befähigung zur 
Leitung von kirchlichen Vereinen. 

— Von den Konservatorien. Seinen Jahresbericht 1913 
(drittes Schuljahr) sendet uns das Bochumer Konservatorium ; 
Direktion Arno Schütze und G. Hüttner. 

— Vom Geigenhandel. Aus Köli% berichtet man der Frkf. 
Ztg. : Vor einem Jahre hat ein bekannter hiesiger Geigenbauer 
den Auftrag zum Verkauf einer alten Stradivarius-Geige er- 
halten, die unter dem Namen „Donaueschingen-Stracuvari“ 
bekannt war; sie stammte aus dem Besitz eines süddeutschen 
Fürsten und war einem Kölner Bürger geschenkt worden. Das 
Instrument ist damals für 22 500 Mk. an einen englischen 
Händler übergegangen. Nunmehr ist die Geige nach Edin- 
burgh zu dem außerordentlich hohen Preis von 17 1 000 Mk. 
verkauft worden. 

— Die Moral der amerikanischen Musikstudentin. In den 
Zeitungen hat man sich unlängst aufgeregt wegen der Moral 
der amerikanischen Musikstudentin. Es hieß da, die nach 
Deutschland zum Musikstudium geschickten Damen würden 
hier verdorben und führen gebrochen an Leib und Seele übers 
große Wasser zurück. Es ist imglaublich, daß derartiger 

f eneralisierter Unsinn in den Zeitungen zu Worte kommen 
ann. Die „B. Z. am Mittag“ (Berlin) hatte dazu mitgeteilt, 
daß der Kapellmeister an der New Yorker Metropolitan-Oper, 
Walter Damrosch, diese Meinung ausgesprochen hätte, daß er 
in dem Musikstudium von Amerikanerinnen in Europa die 
schwersten Gefahren sehe. Wie zu erwarten war, hat nun, 
dem „Berliner Tageblatt“ zufolge, Damrosch selbst in einem 
Telegramm an einen Freund m Berlin diese Unterstellung 
energisch dementiert. Die ganze Geschichte wird als Bluff 
einer amerikanischen Musikzeitung nachgewiesen. — Wir glau- 
ben es gern, daß Herr Damrosch nicht der Urheber solch 
albernen Klatsches ist. Aber er darf sich nicht so sehr wun- 
dem, daß gerade er vorgeschoben wurde, nachdem er seine 
höchst abfälligen Urteile über deutsche Kunst, Münchner 
Wagner- Aufführungen etc., im „Musical American“ veröffent- 
licht hat, die in einen ebenso auffälligen Lobeshymnus auf 
die Kunst in Amerika einmündeten! 

- — Preisverteilung. In St. Petersburg sind die Gh'ttAa-Preise 
aus der Stiftung Belajews folgenden Werken zuerkannt wor- 
den: 1. Symphonische Dichtung „Hyrcus noctumus“ von 
Wassilenko ; 2. Symphonischer Dithyrambus „Wrübel“ (mit 
Solostimme) von Gnessin; 3. Sechs musikalische Illustrationen 
zum Märchen „Vom Fischer und dem Fischlein“ für Klavier 
von Tcheressnin. Die Preise betragen 750, 600 und 300 Rubel. 


Personalnachrichten. 

— Auszeichnungen. Generalmusikdirektor Mo# von Schil- 
lings ist vom Großherzog von Oldenburg durch Verleihung 
des Komturkreuzes des oldenburgischen Haus- und Verdienst- 
kreuzes ausgezeichnet worden. — Hofkapellmeister Ferdinand 
Meister, der Vorsitzende des Verbandes Deutscher Orchester- 
und Chorleiter, ist vom Fürsten Adolf zu Schaumburg-Lippe 
zum Hofrat ernannt worden. — Der Großherzog von Sachsen- 
Weimar hat dem Musikschriftsteller Otto Leßmann zu seinem 
70. Geburtstag das Ritterkreuz des Ordens vom weißen Falken 
verliehen. 

— Durch die Zeitungen ist kürzlich die Notiz gegangen, 
daß Max Reger von der Leitung der Meininger Hofkapelle 
zurückgetreten sei. Der Meldung folgte das Dementi auf dem 
Fuße. Es wäre auch absolut unverständlich gewesen, wenn 
aus geringen persönlichen Unstimmigkeiten, die wegen höfi- 
scher Etikettenfragen tatsächlich bestanden zu haben scheinen, 
eine für die Kunst so bedeutsame Verbindung wie Reger und 
die Meininger Hofkapelle so bald wieder getrennt worden wäre. 

— Aus Straßburg wird berichtet: Mit Ablauf der Spielzeit 
wird Opemdirektor Dr. Hans Pfitzner einen einjährigen Urlaub 
antreten, um die Oper „Palestrina“, die er bereits begonnen 
hat, in aller Ruhe vollenden zu können. An seiner Stelle 
wird voraussichtlich Kapellmeister Dr. Otto Klemperer aus 
Barmen die Hauptleitung an der Oper für diese Zeit über- 
nehmen. Es wird ausdrücklich betont, daß der Urlaub Pfitz- 
ners mit den in der letzten Zeit verbreiteten Krisengerüchten 
nichts zu tunjiat. — Dieser im deutschen Musikleben ganz 
außergewöhnliche Fall einer Beurlaubung ehrt die Stadt Straß- 
burg. Für Pfitzner wird sie von hoher Bedeutung sein. Auch 
seine absoluten Anhänger werden sich sagen, daß Pfitzners 
Zeit nun gekommen ist. Der Palestrina wird ein entscheiden- 
des Wort über die Bedeutung des Komponisten sprechen, 
nachdem die Jugendwerke trotz einer Propaganda, wie sie bei 
uns leider zu den Seltenheiten gehört, die Welt bisher nicht 
ganz zu überzeugen vermochten. 

— Zum Dirigenten des Lehrergesangvereins in Nürnberg 

ist der frühere zweite Kapellmeister des Kaim-Orchesters 
August Scharrer, zuletzt in Baden-Baden, gewählt worden. 
Der seitherige Leiter, Heinrich Laber, siedelt als Hofkapell- 
meister nach Gera über. Dem Verein, bekanntlich seit der 
kurzen Epoche unter Karl Hirsch der künstlerisch führende 
Gesangkörper der Stadt, wären nun wieder stabüere Verhält- 
nisse zu wünschen. D. 

— Kapellmeister Adolf Göttmann, der Vorsitzende des Ber- 
liner Tonkünstlervereins, ist zum königl. preußischen Musik- 
direktor ernannt worden. 

— Die Witwe Felix Mottls, Frau Henriette Mottl-Stand- 
hartner, hat sich in Wien als Gesanglehrerin niedergelassen. 
Die Künstlerin war früher an der Wiener Hofoper engagiert. 

— Dr. Lothar Kempter in Zürich hat am 5. Februar seinen 
70. Geburtstag in voller Rüstigkeit und Schaffensfreude ge- 
feiert. 

— In Berlin ist am 12. Januar der Literarhistoriker Rudolf 
Genie im 90. Lebensjahre an Altersschwäche sanft gestorben. 
Er war 1824 in Berlin geboren und ein Bruder des begabten 
Komponisten Richard Genöe, der auch für Strauß, Millöcker, 
Suppe Bühhentexte geschrieben. Rudolf Genöe hat in seinem 
langen Leben eine vielseitige, erfolgreiche Tätigkeit ausgeübt. 
Er war neben dem Literarhistoriker auch Dramendichter, 
Redakteur, Herausgeber; aber er war auch mal Opernsänger. 
Der junge Gen6e sang große Baßpartien, wie den Sarastro, 
unter der Direktion seines Vaters in Danzig. Erwähnt sei 
auch, daß er die Illustrationen zu seiner Hans-Sachs-Biographie 
selbst in Holz geschnitten hat. (Hans Sachs und seine Zeit, 
ein Buch auch über Musik wie das mit dem Titel „Zeiten und 
Menschen“.) Von seinen übrigen literarhistorischen und drama- 
turgischen Arbeiten seien „Das deutsche Theater und die 
Reformfrage“ (1877) und namentlich seine „Entwicklung des 
szenischen Theaters“ (1889) hervorgehoben. In die Jahre 
1865 — 1887 fallen seine Shakespeare - Vorlesungen. Seinen 
Wohnsitz hatte Gen6e 1867 — 1870 in Dresden, seitdem in 
Berlin. Dort wirkte er seit 1895 besonders verdienstlich als 
Leiter der von ihm begründeten Mozart-Gemeinde, für deren 
„Mitteilungen“ er viele Aufsätze schrieb. 

— In Dresden; ist die einst gefeierte Wagner-Sängerin Emmy 
Lübbert gestorben. Sie war unter ihrem Mädchennamen 
„Zimmermann“ von 1871 — 76 Mitglied der Dresdener, später 
auch der Hamburger und Hannoveraner Oper. 

— In Lübeck ist am 2. Januar Prof. Karl Häßler gestorben, 

der sich besondere Verdienste namentlich um die Pflege des 
Männergesanges erworben hat. Einige seiner Männerchöre 
haben eine weite Verbreitung gefunden, auch über Deutsch- 
lands Grenzen hinaus. Häßler war am 14. Juni 1849 zu Son- 
dershausen geboren und war Schüler von Ehrlich, Bendel, 
Kiel und Marxsen. J. H. 


201 



Asxclrea ttr di« fgeepaJtene 
Neap«reill*-Zeil« 75 Pleürig. 
Unter der Rubrik „Kleiner 
Anzeiger 44 U Pfennig :::::: 


Besprechungen und Anzeigen 



Klaviermusik. 

Max Gulbins: Geistliche Lieder für Gesang und Orgel 
i i M. bis 80 Pf. Verlag J. Hainauer, Breslau. Von den 
als op. 78 zusammengenommenen vier Liedern, die uns 
vorliegen, gefällt No. 2 („Br hat’s gehört“) mit dem wir- 
kungsvollen Satzschluß am besten. Auch die anderen 
Lie< ier. sind voll Empfindung und geben durch die reich 
gehaltene Begleitung auch dem Orgelspieler Gelegenheit zu 
Feinheiten in der Registrierung. No. 1 („Seid eingedenk“) 
ist für unseren Geschmack etwas zu sentimental, auch 
wirkt die wörtliche Wiederholung der drei Verse des Gerok- 
schen Gedichtes eintönig. F. 

Frontinl: 1. Vox animae („Die Stimme der Seele“), Me- 
ditation; 2. Raccontino („Die kleine Erzählung“) k 1.30 M. 
( 1 . — m.); 3. Impression musicale 75 Pf.; 4. Air ancien 1.30 M. ; 
5. Mazurka douloureuse (m.). Verlag C arisch & Jänichen. 
Die beiden ersten Stücke sind von eindringlicher Melodik 
und bequemster Spielbarkeit, das dritte ist eine von echt 
italienischem Pathos erfüllte, trauermarschartige Improvisa- 
tion, dem Andenken des Komponisten Rapisardi geweiht. 
No. 4 ahmt den alten Stil nach, ist aber modern empfunden. 
Die Mazurka ist melancholisch, rassig und wirksam. 

Tarenghi, op. 60: Pages intimes, II. Serie. Reponses 
d’amour 2 M., Souvenir lointain, Reve, Joie intime, Noces 
du chasseur ä 1.30 M. (m.). Verlag Carisch & Jänichen. 
Wo Frontim ist, wird auch Tarenghi nicht weit sein. Seine 
Stücke sind nicht so einfach und Bequemen Genuß bietend, 
wie die seines Kollegen Frontini, übertreffen sie aber an 
Gedanken-, Spielfiguren- und Modulationsreichtum, sie sind 
zum Teil innerlicher, klanglich reicher und anspruchsvoller, 
motivisch origineller, geben aber auch keine Rätsel auf. 
Ich möchte Joie intime als ein hinreißend schönes Klang- 
stück mit weitgeschwungenen Melodielinien und edlem 
Pathos hervorheben. Es schadet nichts, daß es ein wenig 
an Brahms erinnert. Noces du chasseur ist eine sehr dank- 
bare, romantische, von Hörnerklängen durchzogene Im- 
provisation. 

Aeglde Tedoldl; Serenata alla luna, 1 M. Verlag Carisch 
& Jänichen. Wohlklingende und innige Daumenmelodie. 

Rossl: Composixioni per pianoforte a 1 — 1.30 M. Verlag 
Carisch & Jänichen. 1. Dolce sopore, schwelgerische Träu- 
merei mit problematischen, neutönerischen Klängen. 2. Not- 
turnino, oßenbar wie auch die fortfolgenden in der Rhythmik 
und der freien Harmonik von Debussy beeinflußt. 3. Cam- 
pane di Pasqua, eine Improvisation über ein Glockenmotiv 
mit choralartigem, aber recht modern klingendem Mittelsatz. 
4. Danza alpina m. — (s.), in lydischer Tonart (Fdur mit 
Quarte ä), ziemlich barock und gesucht originell, aber 
wirkungsvoll. 5. Piccola danza 1 . — (m.), ein hübsches, 
durchaus natürlich erfundenes, leicht verständliches und 
leicht spielbares Tarantellchen, für die Jugend geeignet. 

Tarenghi, op. 47: Impressions et sentiments, 2 Hefte ä 
2.50 M. (m.). Verlag Carisch & Jänichen. Offenbar haben 
diese reizvollen Stücke, die wir früher einzeln gewürdigt 
und warm empfohlen haben, so starken Anklang gefunden, 
daß sie jetzt in billigeren Albums den Freunden guter 
mittelschwerer Musik zugänglich gemacht werden. Frische 
der Erfindung, Melodiosität, lebendiger Rhythmus, dank- 
barer Satz zeichnen die mittelschweren, nobelgehaltenen, 
gut befingerten Stücke alle aus. C. Kn. 

Enrico Bossl: „Juvenilia“ , 10 Stücke für Klavier ä 1 M. 
bis 1.30 M. Verlag Carisch & Jänichen, Milano. Man kann' 
Bossi diese „Jugendsünden“ wohl verzeihen, obwohl in der 
uns vorliegenden Auswahl nur No. 6 („Schlafende Prinzessin“) 

t anz befnedigt; dieses Stück läßt allerdings schon den 
ommenden Meister ahnen. Die andern sind zum Teil 
mehr charakteristisch als schön, so „Holzhauer“ und „Blinde- 
kuh“, teils zeigen sie sonderbaren Rhythmus, wie „Gebet 
des Einsiedlers“ oder böse Dissonanzen, wie das (im großen 
ganzen allerliebste) „Marionettenspiel“; immerhin ist es 
interessant, sie kennen zu lernen. 

Cecll F. G. Coles: 5 Skizzen, 1.80 M. Verlag Heinrichs- 
hofen, Magdeburg. Wir würden diese hübschen Stückchen 
an musikalischem Inhalt und nach dem Grad der Schwierig- 
keit den bekannten Aquarellen von Niels W. Gade an die 
Seite stellen. 

Bleyle: „ Tausendundeine Nacht“, 2 Hefte ä 1.50 M. Verlag 
Breitkopf & Härtel, Volksausgabe. Leichte Stückchen, die 
sich, teilweise mit Erfolg, orientalisches Kolorit zu geben 
suchen. Die Titel sind nicht immer bezeichnend. Das 
j, Ständchen“ ist eine Barcarole; das „verlassene Prinzeßchen“ 
ist zu plump. Der „Einzug des Sultans“ ist ein arger Radau- 
marsch; der „König der Geister“ würde durch Weglassen des 
Schlusses gewinnen; sonst ist manche hübsche Melodie darin. 


Eduard Schütt: Improvisationen über Melodien aus Richard 
Wagners Opern für Pianoforte ä 1.60 M. Verlag Fürstner, 
Berlin. Diese drei Fantasien („Holländer“: Ballade und 
Matrosenchor; „Tannhäuser“: Abendstem, Pilgerchor) bringen 
etwas ganz Eigenartiges. Ohne dem Charakter Wagnerscher 
Harmonisierung je wesensfremd zu werden, hat der Kom- 
ponist seinen Improvisationen eine durchaus persönliche 
Note aufgedrückt. Wer leicht eingehende, gefällige Pot- 
pourris sucht, der lasse die Finger davon; Schwierigkeit 
mittel bis groß. 

Alfred Bortz: 4 Klavierstücke, I. 1 M., sonst 1.50 M. Ver- 
lag Simrock. „Erinnerung“ ist wohl gelungen. Ine „Etüde“ 
mit ihrem vagen Takt spielt man am besten quasi recitativo; 
ihre Querstände gefallen mir nicht. Schade, daß das tüch- 
tige „Notturno“ sich nicht mehr an seine Tonart (as moll) 
halt, sondern so viel in anderen Tonarten herum irrlichtert. 
Die „Waldszene“ ist sehr schön. F. 

* * 

■ Prof. Dr. Emst Röthlisberger: Urheberrechtsgesetze und -Ver- 
träge in allen Ländern nebst den Bestimmungen über das 
Verlagsrecht. 3. Auflage M. 15. — . G. Hedeler, Verlag, Leipzig. 
Der als Autorität auf dem Gebiete des Urheberrechts riihm- 
lichst bekannte Verfasser hat die 3. Auflage dieses Werkes 
einer völligen Umarbeitung unterzogen und durch wichtige 
Ergänzungen erweitert, so daß der behandelte Stoff nicht 
weniger als 561 Seiten füllt. Der erste umfangreichere Teil 
enthalt die Gesetze, der zweite Teil die Verträge der einzelnen 
Länder in alphabetischer Anordnung. Die Brauchbarkeit des 
Buches wird erhöht durch die beiden übersichtlich angelegten 
Register, deren eines nach Ländern so angeordnet ist, daß 
mit einem Blick die gesamten gegenwärtig geltenden gesetz- 
lichen Bestimmungen überschaut werden können, während 
das andere (Sachregister) eine Uebersicht und Verweisungen 
bietet, dazu bestimmt, zum Zweck rascher Orientierung den 
Rohstoff in gedrängten Zügen zu zergliedern und hauptsäch- 
lich auch der Rechtsvergleichung zu dienen. Das Buch ge- 
winnt besondere Bedeutung durch den Umstand, daß zur- 
zeit für kein anderes Sprachgebiet eine derartige Zusammen- 
stellung besteht. Als zuverlässiger Wegweiser auf dem Gebiet 
des nationalen und internationalen Urheberrechts muß sein 
Erscheinen daher als hochwillkommen bezeichnet werden und 
es wird sich nicht allein für Verleger, Rechtsanwälte und Ge- 
richte als unentbehrlich erweisen, sondern auch Schriftstellern, 
Komponisten, bildenden Künstlern, Bibliotheken, Konsulaten 
usw., wertvolle Dienste leisten. R. K. 

Wagner-Literatur. Die Kollektion Litolff hat in ihrem neue- 
sten Musikalienverzeichnis ihre Wagner- Ausgaben zusammen- 
gestellt. Dem heutigen Hefte liegt das Verzeichnis als Pro- 
spekt bei, worauf wir noch besonders hinweisen. 


Unsere Musikbeilage zu Heft 10 bringt in Bearbeitung für 
Violine und Klavier den Mittelsatz aus der A dur-Klavier- 
sonate von Philipp Emanuel Bach, die im Jahr 1765 kompo- 
niert, im Jahr 1779 als Sonate IV der ersten Sammlung für 
Kenner und Liebhaber erschienen ist. Ph. Em. Bach, ein 
Sohn Johann Sebastians, war von seinem Vater zum Juristen 
bestimmt und wurde deshalb mehr zum freien Phantasieren 
als zu kontrapunktischen Künsten angehalten. Als er sich 

g anz der Musik zuwandte, fand er in einem freien, überwiegend 
omophonen Klavierstil das Ausdrucksmittel für seine ge- 
mäßigte Gefühlswelt. In unablässiger Arbeit prägte er die 
grundlegenden Formen der Klaviersonate immer reiner aus. 
So wurde er der wichtigste Vorgänger des Dreigestims Haydn, 
Mozart, Beethoven auf dem Gebiet der Klaviermusik. „Er 
ist der Vater, wir sind die Buben", sagte Mozart. Unsere 
Behage bringt eine ausnehmend schöne Kantilene des Meisters, 
die in der Uebertragung für Violine vielleicht erst ihren vollen 
Reiz entfaltet. Besonders fein ist die Bereicherung des melo- 
dischen Gehalts im Wiederholungsteil. Die Violinstimme ent- 
spricht bis auf wenige Transpositionen durchaus der Ober- 
stimme des Klavierstücks'. Der Baß ist beibehalten und nur 
in einfachen, aber für die Grundstimmung charakteristischen 
Akkorden ausgedeutet. Der Bearbeitung liegt die kritische 
Ausgabe der Universal-Edition zugrunde. Die selteneren Ver- 
zierungen sind ausgeschrieben. Der Bearbeiter Armin Knab 
ist als Komponist moderner Lyrik und Musikästhetiker her- 
vorgetreten. 

Verantwortlicher Redakteur: Oswald Kühn in Stuttgart. 
Schluß der Redaktion am 7. Februar, Ausgabe dieses Hettes am 
19. Februar, des nächsten Hettes am 5. März, 


202 






Briefkasten 


K. M— es, 0— atz. Näheres über jene 
italienische Firma wissen wir auch nicht. 
Sie müssen sich eben noch einige Zeit ge- 
dulden. Bei einem solchen Wettbewerb 
sind die Einläufe kaum zu zählen. 

J. Br., Straßbnrg. Solche Stellung ist 
uns bisher nicht bekannt geworden. Aber 
die Idee scheint uns nicht so übel; wenn 
Sie als Geigerin, als Frau in einer Kur- 
kapelle auch keinen so leichten Stand 
haben werden. Wenden Sie sich wegen 
des Weiteren, bitte, mit Berufung auf uns, 
an den Allg. Deutschen Musiker-Verband, 
Berlin SW., Bernburgerstr. 31. 

Mejoclram-Freiburg. Wir nennen Ihnen 
die von Schillings (Verlag Bote & Bock 
in Berlin). Dann die Kollektionen bei 
Ft. Kistner in Leipzig und bei Schlesinger 
in Berlin. Näheres erfahren Sie am besten 
bei Ihrem Musikalienhändler. 

Straßburg. Natürlich werden wir über 
das Werk berichten. Und zwar ln aus- 
führlicher Welse. Es sind der Dinge nur 
zu viele! wir danken Ihnen für Ihr 
freundliches Anerbieten, da wir in Straß- 
burg einen eigenen Referenten haben. 

Sehneidemühl. Nein, ein Instrument, 
wie stets für die vierhändige Klaviermusik. 
Sonst heißt es „für 2 Klaviere“. — Die 
von Kullak und Lösch hör n. 

A. M-, Kassel. Sie finden darüber in 
den Beethoven-Biographien, z. B. Marx. 
Dann neuerdings in der von Paul Bekker 
{Schuster & Löffler in Berlin). Lassen Sie 
sich Professor Nagels Buch über Beethovens 
Sonaten zur Ansicht kommen. Das wird 
Ihren Wünschen auch entsprechen. 

A. Z. ln P. Also Harmonielehre zu- 
nächst! Die von Louis-ThuiUe, Grundriß 
(Kleine Ausgabe), Dazu gibt es Aufgaben- 
buch und Schlüssel. Verlag von Carl Grti- 
ninger in Stuttgart. 

W. G. in D. Wir werden Ihnen das 
nächstemal antworten. 


Kompositionen 


(Redaktionsschluß am 5. Februar.) 


J. Kr— er, P— dorf. Ihr Sonatensatz 
wirkt weniger erquicklich als Ihr Bekennt- 
nis, daß Sie verliebt seien. Bei Erstlings- 
werken muß man freilich Nachsicht üben. 
Es ist aber immer bedauerlich, wenn man 
sieht, wie Anfänger sich an Aufgaben wa- 
gen, an denen oft Vorgerücktere erliegen. 
Lassen Sie von Ihrer Begeisterung und 
Ihrem Frühlingsdraug im Herzen auch ein 
Teil dem trockenen Studium zugut kommen. 

F. St, M. Ein Versuch, der Ihrem 
Unterricht, von dem Sie sagen, daß er 
nicht gerade großartig gewesen sei, ent- 
sprechen dürfte. Immerhin verrät Ihr 
Ave Maria ein feineres Empfinden. 

M. F— soher, W— n. Ihre mangelhaften 
Skizzen erwecken kein tieferes Interesse. 
E3 fehlt ihnen die Beweglichkeit, die man 
nur durchs Studium erlangt. 

C. R — B R. Hübsch nach Form und 
Ausdruck. Wenn Ihnen noch mehr selche 
Sächelchen einfallen, dann festhalten mit 
der Feder. 

Fr. L. in Tr. Die wenigen Takte, die 
Sie uns mittellen, nehmen sich wie eine 
Introduktion aus. Von Bedeutung sind 
sie nicht. Sie müßten uns schon mehr 
mitteilen, wenn wir dem. Stück, nach dem 
Sie fragen, auf die Spur kommen sollen. 
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203 










Alph. N., M. Mit Ihrer Gefühlsweise 
vermag man sich nicht leicht zu befreun- 
den. Wozu die gehäuften chromatischen 
Fortschreltungen, die in Ihren Arbeiten 
oft sinnlos und häßlich wirken ? Um ori- 
ginell zu erscheinen und über den Durch- 
schnitt hinauszukommen, ist es mit Ab- 
sonderlichkeiten und Gesuchtheiten allein 
nicht getan. Ihnen etalt die Praxis. Sie 
sollten Ihre Objekte elnüben müssen, soll- 
ten hdren, wie sie von anderen gespielt 
und gesungen, klingen. Ebenso vermißt 
man den geregelten Unterricht, sonst hät- 
ten Sie z. B. den „Aufzug der Zwerge“ 
nicht verbrochen. 

Jos. H— dl, Br. Die jchwermütige 
„Llebesklage“ kann auch als selbständiges 
Klavierstück gelten. Das Stück ist wirk- 
sam. In dem andern Lied machten Sie 
von zwei bekannten Weisen Gebrauch. 
Lobenswert ist wieder die satztechnisclie 
Darstellung. 

B. B„ W— 14 . Ihre „Nachtreise“ hält 
sich im ganzen an die textliche Stimmung. 
Als erster Versuch ist der Cborsatz be- 
merkenswert. Vielleicht zeigen Sie ge- 
legentlich, was Sie leisten, wenn es gilt, 
freundlichere Lichter aufzustecken. 

E. H., Str. Wenn sich Ihre methodische 
Veranlagung, die sich in der Herstellung 
instruktiven Materials für den Studien- 
gebrauch wie in Ihren Violinetüden zu er- 
kennen T gibt, so weiter entwickelt, dann 
versprechen Sie ein tüchtiger Musikpäd- 
agoge zu werden. Die Reife für den Ein- 
tritt in die Kompositionsklasse scheinen 
Sie zu haben. Später werden Sie Ihre 
einstimmige Sequenzenmusik zu verbessern, 
da wo sie es nötig hat, sich nicht entgehen 
lassen. Den besten Prüfstein haben Sie 
in der akkordlschen Begleitung, die erst 
dazu geschrieben werden müßte. 

J. B., B. Ihr Komponieren ist Hoch rein 
vom Zufall abhängig. Ueber den formalen 
Aufbau eines Stücks sind Sie noch völlig 
im unklaren. Ersuchen Sie Ihren Musik- 
lehrer um Einführung In die Liedformen. 

J. Th. A., L— borg. Ihre' musikalische 
Interpretation zu „Geheimnis“ zeichnet 
sich durch ein ruhiges Gleichmaß entspre- 
chend gewählter Gedanken aus. Das Ge- 
fühl ordnet sich dem Verstand unter. Der 
Ausdruck des Stücks Ist nicht gewöhnlich. 

G— gor, Higa. Daß das Walzerspiel zu 
Ihrem Metier gehört. Ist nicht zu verken- 
nen. In puncto Korrektheit bleibt man- 
ches zu wünschen übrig. Sie sollten sich 
einen Lehrmeister suchen. 

stille Hasht — W. Daß Sie sich an der 
Blüte aller Weihnachtsblüten haben der- 
maßen vergreifen können, das, bester Herr 
Kollege, würde Ihnen der selige Franz 
Gruber nie verziehen haben. Seinen 
schönsten Schmuck besitzt das Lied in 
seinen einfachen diatonischen Verhält- 
nissen. Ihr harmonisches Stilisieren Ist 
vom UebeL 

0 . C., Olosen. Ihr galanter Salonwalzer 
verdient empfohlen zu werden. 

(Fortsetzung siehe 3. Umschlagseite.) 


(Besprechung in dieser Nummer) 

Heue italienische 

Klaviermusik. 

Frontinli F. P., 

Morceaux choisls 

No. x. Air anden M. x.30 

n 2.Raccoatino 1.30 

» 3. Masurka douloureuse . . . „ x.30 
„ 4. Impression muslcale . . . „ — .73 
»• 5 * Vox aoimae, Meditation . „ 1.30 

» 6. Dolce sogno M 1,30 

„ 7. Bablllage t . 3 o 

•• 8. Scherzwido j. 3 o 

Tai»enghl, M., 

Op. 60. Pages intimes. II. S 4 rie 

No. 6. Riponses d’amonr . . . . M. 2. 


„ 7. Souvenir laintain 

.. 8. Rdve 

„ 9. Jole Intime . . . 

„ 10. Noces du Chasseur 

Tedoldi, A., 

Serenata alla luna . 


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Verantwortlicher Redakteur: Oswald Kühn in Stuttgart. - Druck und Verlag von Carl Orüningtr in Stuttgart. - (Kommissionsverlag in Leipzig: F. Vokkmar.) 
















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Jahrgang 

Preis des Jahrgangs (Oktober 1913 bis September 1914) 8 Mark. 

Heft 11 


Erscheint vierteljährlich in 6 Heften (mit Musikbeilagen, Kunst beilage und „Batka, Illustrierte Geschichte der Musik“). Abonnementpreis 2 M. vierteljährlich, 8 M. jährlich. 
Binzeine Hefte 50 Pf. — Bestellungen durch alle Buch- und Musikalienhandlungen sowie durch sämtliche Postanstalten. Bel Kreuzbandversand ab Stuttgart Im deutsch- 

österreichischen Postgebiet M. 10.40, im übrigen Weltpostverein M. 12. — jährlich. 


Inhalt • Dl« Klaviersonaten von Joh. Brahms. Technisch-ästhetische Analysen. (Schluß.) — Natürliche Tonsysteme. Sine mathematisch-musikalische Untersuchung. — 
11111 all • j)k wiener Volksoper. Zum Jubiläum Ihres zehnjährigen Bestandes 1903 — 1913. — Weiteres vom Parslfal. Die Parsltal-Auffübrung unter Pfitzner in 
8traßburg. Parslfal an der Wiener Hofoper. — Aus romantischer Zeit. Dngedruckte Briefe. — Hermann Z liehet und sein großes Chorwerk „Die Llebesmesse“. — 
Kritische Rundschau: Berlin, Nürnberg. — Kunst und Künstler. — Besprechungen: Neue Ueder. — Briefkasten. — Neue Musikalien. — Musikbeilage. — Als Gratis- 
beilage: Batka-Nagd, Geschichte der Musik, Bogen 9 vom dritten Band. 




Die Klaviersonaten von Joh. Brahms. 

Technisch-ästhetische Analysen. 

Von Professor Dr. WILIBALD NAGEL. 

Sonate in fmoll, Opus 5- (Schluß.) 

IV. Satz. Intermezzo (Rückblick) Andante molto. — 
„Kurz ist die Zeit und kurz der Wahn“ heißt es in Stemaus 
Gedicht, dessen Grundstimmung, Schmerz über die Ver- 
gänglichkeit alles Seienden, in dem wundervollen Inter- 
mezzo der Sonate wiedeTklingt. Aber kein Unterton 
wilder Verzweiflung mischt sich ihm bei, keiner trostlosen 
Jammers oder des Vergehens in der Nacht trüber pessi- 
mistischer Gedanken. Vielleicht liegt hier der Grund 
angedeutet, weshalb Brahms die Dichtungen Stemaus nicht 
selbst in Musik setzte. ... Er war nicht die Natur, 
in schmerzlichen Stunden den Zusammenhang mit dem 
Leben zu verlieren. Wer das seine kennt und sein reiches 
Wirken, wird aus beidem ' gar manchen Beweis für diese 
Behauptung entnehmen können. Sind nicht alle die 
Momente, in denen Brahms, der Lebensbejaher, der seiner 
Kräfte und des Tages, an dem ihm zu schaffen vergönnt 
ist, frohe spricht, Höhepunkte seiner Werke ? Ergreift 
ihn nicht da eine Dichtung am tiefsten, wo sich in ihr ein 
lichter Ausblick, ein Strahl hoffnungverheißenden Lichtes 
zeigt? Wer hat mit seinem Saitenspiel dem Vater der 
Liebe einen herrlicheren, reineren Hymnus gesungen, wer 
seligeren Trost in die Herzen der Menschen gesenkt unter 
den neueren Tonmeistern ? Erblüht nicht unter dem tiefen, 
starren, grauen Dunkel der ernsten Gesänge das wunder- 
same, Herzen und Sinne gleichmäßig erschütternde und 
beglückende: „Aber die Liebe höret nimmer auf“? reckt 
sich nicht aus der Trübe der Resignation seiner letzten 
Klavierstücke Brahms der Held auf zur letzten, größesten 
und herrlichsten Jseiner Rhapsodien? Aufrecht war sein* 
Gang als Künstler, und aufrecht ist auch die Haltung dieses 
kleinen vierten Satzes seiner f moll-Sonate. Das will 
sagen: das schmerzlichem Sinnen entstammte Gebilde 
entbehrt der Gegenzüge nicht, wie wir sehen werden. 
Man hat Brahms oft zum Vorwurfe gemacht, seine Werke 
verrieten kein echtes Gefühl, sie böten allenfalls ein ge- 
wisses erkünsteltes Surrogat dafür. Ein solches Urteil 
konnte nur von einer künstlerischen Richtung gefällt 
werden, die in einem bis zur äußersten Grenze getriebenen 
Hyperkolorismus ihr letztes Heil sah, nur Farbe, keine 
Zeichnung anerkannte, die über dem Sinne für das einzelne 
den für den organischen Zusammenhang der Form ein- 
büßte, die ein Leben in fortwährender Exaltation als das 


einzige dem Künstler Mögliche erklärte und dessen künst- 
lerische Niederschläge nur dann voll wertete, wenn sie 
den Stempel einer maßlosen Sinnlichkeit oder deren 
Gegenpol, eine blutleere Askese, aufwiesen. Von beidem 
ist Brahms himmelweit entfernt. Ganz wie Beethoven. 
Dieser urgesunde, rein menschliche Zug seiner Musik 
mußte Brahms denn auch gar bald aus der problematischen 
Sphäre der Romantik völlig hinaus zur Höhe einer neuen 
Klassik tragen, einer Klassik, die, wie die der Vergangen- 
heit, das völlige Einswerden von Form und Inhalt erreichte, 
aber den Formbegriff nicht durch den der Formel ersetzte, 
sondern im Anschlüsse an Beethoven die Form als ein nur 
objektives Element leugnete und an deren Stelle die Be- 
rechtigung der jeweiligen Form aus der Psychologie des 
künstlerischen Vorwurfes und seiner Entfaltung entnahm, 
zum Inhalt aber nur das wählte, was dem musikalischen 
Empfinden selbst entströmte. Damit blieb dieser Kunst 
der allgemeine Menschheitsgehalt gesichert, und ihr An- 
schluß an bloße Stimmungen und Vorstellungen vermittelnde 
Vorbilder wurde ein für allemal unterbunden. Daraus und nur 
daraus erklärt es sich, daß manchem Brahms schwer ver- 
ständlich oder nicht überzeugend in seiner Kunst erscheint: 
der Hörer muß eben selbst musikalisch erfühlen können, 
was ihm Brahms gibt; er hat keine anderen wie rein musika- 
lische Hilfsmittel dabei zur Verfügung. 

Es wird wohl gesagt, mit dem „Intermezzo“ müsse die 
Sonate im Grunde genommen abschließen. Das gäbe 
keinen rechten Sinn. Man denkt dabei vielleicht an etwas 
wie eine Tragödie: das Leben führt dem Manne die Ge- 
liebte zu und nimmt sie ihm . . . Ein traurig Lied viel- 
leicht, aber noch keine Tragödie. Der Held obsiegte ja dem 
Leben : wie tief ihn auch die Liebe und ihr leidvoller Aus- 
gang berührten, zu Boden zü drücken vermochte der Verlust 
Brahms nicht, und wie im „Rückblick" sich leise Mächte 
regen, die auf ein Ankämpfen gegen schmerzvolles Zucken 
der Seele schließen lassen, so wächst im Finale der Sonate 
der Ausdruck aus der Enge menschlicher Beschränkung 
in die Weite, bis am Schlüsse das Leben im leuchtenden 
Frührotlichte wiedergewonnener Kraft vor uns liegt. 

Daß der Künstler, dessen Geist das in kecker Laune 
empfangene, ernster Größe nicht entbehrende Scherzo 
entblühte, die Gedanken rückwendend in die Vergangen- 
heit niedertauchen läßt, wen nähme das wunder? Leuch- 
tend ging ja das nieder, was ihm einst ans innerste Herz 
griff, und so leuchtet es nach des Dichters Worte lange 
noch zurück . . . Gewiß: die beiden Sätze, Andante und 
Intermezzo, standen ursprünglich allein, außerhalb der 
Sonate. Aber nicht darauf kommt es hier an, nur auf 


205 








das andere, ob sie in den Zusammenhang der Sonate passen. 
Und das wird bei einiger Ueberlegung niemand bestreiten 
dürfen. 

Weil ihm das lieben und der stete Wechsel seiner Er- 
scheinungen zum vollen Bewußtsein gekommen sind, lebt 
das Vergangene im Dichter, und so singt er im „Rückblick“ 
in wehmutreicher Erinnerung einige Töne des Andante- 
themas, das sich in dunkles Moll kleidet, während in der 
Tiefe die zuckende Triole als Ausdruck herben Schmerzes 
klopft: 


Andante molto 



Ein „Rückblick“! Es handelt sich nicht um eine Schilde- 
rung, nicht um eine breite Darlegung von Geschehnissen. 
Das vergesse man nicht, wenn man den Satz beurteilt. 
Das einzelne Moment tritt da von selbst zurück vor dem 
allgemeinen Gefühlsausdrucke, den Trauer und Schmerz 
bedingen. Nur diese Momente und ein drittes durfte der 
Satz betonen, der darum auch keine eigentliche Entwick- 
lung aufweist, vielmehr jene Momente nur in fortgesetztem 
Wechsel zeigt. 

Das dritte Moment liegt in jenem Gedanken angedeutet, 
dessen Linienführung eine entgegengesetzte zum Ein- 
gangsthema ist. Er bezeichnet nicht selbst die Erlösung 
aus der Nacht des Grams, deutet aber den Weg an, auf 
dem das Gemüt Ruhe finden wird. Nicht anders wohl 
kann man die Führung der Oberstimme und die „pesante“ 
und forte geschehende Wiederholung des Satzabschnittes 
in den Takten 6 — 8 deuten. Es handelt sich um diese 
Stelle: 



Die formale Gliederung des ganzen Absatzes in zweimal 
4 Takte (Modulation zur Molldominante über die Zwischen- 
stufen As dur, es moll, B dur von es moll aus) ergibt sich 
von selbst. 

Auf den Versuch des Sichaufsichselbstbesinnens folgt 
dann als naturnotwendige Reaktion ein leidenschaftlich 
wilder Schmerzensschrei: 



So geht eine Stimmung aus der andern als etwas ganz 
Selbstverständliches, weil sie allgemein menschlich sind, her- 
vor, und nun lösen sich weiterhin die einzelnen Erscheinungen 
dieser kurzen psychischen Vorgänge ab; zuerst erscheint 
der Ausdruck schmerzlichen Erinnems in tiefer Lage und 
der mild-trüben Färbung der verminderten Septimen- 
harmonie a-c-es-ges ; die Eindringlichkeit des Motives steigert 
sich durch seine Versetzung in die höhere Lage, dann 
(abermalige Steigerung) wird das Motiv, immer höhere 
Bahnen gewinnend, zerteilt. Dies führt in den Takten 16 
und 17 zu den (una corda) leise wogenden pp- Gängen: 
unruhvoll treibt der Gedanke hin und her, er vermag 
keine feste Gestaltung zu gewinnen. 

206 


Dann kehrt der Hauptsatz wieder, aber diesmal er- 
klingt er über dem dumpfen Tremolo des Basses, das wie 
der Wirbel eines Totenmarsches hineinhallt. Die Auf- 
schreie erscheinen schärfer, der Triolenrhythmus im Basse 
umkleidet einen Orgelpunkt, über dem die Oberstimmen 
einen gar merkwürdigen, in schneidende Dissonanzen ge- 
kleideten, laut hallenden Gesang anheben: 



Was soll das sein? Ist’s am Ende gar ein Zerrbild des 
Bekenntnisgesanges aus dem zweiten Satze? Man sehe 
selbst ? 



Nochmals erscheint (wie banal wäre eine harmonisierte 
Einführung des Zwiegesanges gewesen!) das führende 
Andantemotiv und setzt sich einstimmig, zur Tiefe stei- 
gend, fort — ein sprechend deutliches Abbild der trüben 
Wirklichkeit. In bedeutungsvollem Plagalschlusse geht 
die wundersam ergreifende Dichtung dieses Satzes zu Ende. 

Finale. Allegro moderato ma rubato. — Der Gedanken- 
gang, der das Intermezzo mit dem fünften Satze verknüpft, 
wurde oben bereits dargelegt. Man darf nicht sagen, es 
vollziehe sich im Finale etwas wie ein Zusammenfassen 
der in der Sonate herrschenden S timm u ng en, denn hier 
findet sich nichts von der elementaren Wucht der Ton- 
sprache des ersten, nichts von der Innigkeit des zweiten, 
nichts von der schmerzvollen Klage des vierten Satzes. 
Nur das hat der abschließende mit dem einleitenden Satze 
gemein, daß beide den Weg in die Klarheit finden. Aber 
dieser Weg selbst ist in beiden Fällen verschieden: im 
Finale scheidet die thematische Einheitlichkeit, die den 
ersten Satz zum Teil charakterisierte, aus, und auch die 
Ausgangspunkte beider Sätze sind nicht miteinander zu 
vergleichen. Ganz und gar keine Verbindung herrscht 
endlich zwischen den Formen der beiden Sätze. 

Den Anfang des Finales macht ein räumlich beschränktes 
Motiv, das zunächst nur durch die besondere Prägung 
seines Rhythmus Aufmerksamkeit zu erregen vermag: 



Will man ihnen einen bestimmten Charakter beilegen, so 
könnte dies meines Erachtens nur der einer gewissen 
trotzigen Verbitterung der Stimmung sein, mit der sich 
aber (Bewegung des zweiten Taktes) wenigstens in der 
Andeutung der Wille zusammenfindet, der Welt finstern 
•Sinnens zu entfliehen. 

So deute man also den Rhythmus des ersten Taktes 
und die rhythmische Zuspitzung des zweiten, den energischen 
Oktavschritt des Beginnes, die Linienführung der Ober- 
stimme durch zwei Halbtöne im ersten, durch eine große 
Terz im zweiten Takte. Solche weniger ausgesprochenen, 
als bloß angedeuteten Stimmungen, wie sie hier vorliegen, 
in Worte zu fassen, ist immer schwer, da das begrifflich 
eindeutige Wort gegenüber der mehrdeutigen Musiksprache 
immer im Nachteile ist. So handelt es sich also vorwiegend 
hier nur darum, den rechten Ausgangspunkt zu finden, 
die charakteristischen Momente zu betonen. 

Sofort erhebt sich gegen den abschließenden energischen 

Rhythmus des Hauptmotives: J 773 ein starkes Gegen- 



spiel in den Akzentrückungen und breiten Akkordmassen 
im Takt 3: 





PP 


• 

das freilich von dem Rhythmus der Aktivität sofort 
wiederum abgelöst wird. Die Bedeutung dieser gegen- 
sätzlichen Momente als solcher wird uns im nächsten Takte 
klar. Bisher überwiegt das ritardierende, dem aktiven 
sich entgegenstemmende, und zwar so stark, daß nun auch 
dieses in seinem Ausdrucke dadurch beeinflußt wird: aus 

dem Rhythmus J7T73 wird Takt 5 und 6 des Anfan ges : 
jij n\ Aber die Bewegung der Oberstimme geht in 

leitereigenen Tönen von der Oberterz der Tonart bis zu 
deren übermäßiger Quinte, d. h. bis zum Leittone auf- 
wärts, so daß dem zurückhaltenden Ausdrucke der gegen- 
sätzliche doch beigegeben erscheint. Dasselbe Spiel von 
Widerständen, die sich den Rang streitig machen, setzt 
sich in den Takten 7 — 10 fort, bis ihm dann ein plötzlicher 
Entschluß : 




£Mi. 


4«- 


ein Ende zu bereiten scheint. Aber noch ist die Bahn nicht 
frei: gehaltene Töne und die rufende, für Brahms so 
charakteristische None hemmen den Gang: 




h 




. £ £ £ £ 


Jetzt erst kommt der Satz in Fluß: aus den Motiven 1 
und 2 bildet sich durch Zusammenziehung ein neues, das 
von der Dominante der Tonart ausgeht, in der Tonika 
endet und sogleich in der parallelen Durtonart wieder- 
holt wird: 







A -m- 


& 




Dies auf Umwegen gewonnene Motiv wird nur für einige 
Takte durchgeführt; den Baß bildet eine chromatische 
Linie, die die Modulation zur Quartsextlage des tonischen 
Dreiklanges zurückträgt. Hier ist der Ausdruck starker 
Regsamkeit endlich erreicht. 

Man sieht: von abgeschlossenen Satzbildungen ist in 
allem dem nicht die Rede. Es könnte Brahms hier nur 
darauf ankommen, einmal das Finale innerlich mit dem 
Intermezzo zu verbinden, d. h. den Ausdruck des Wollens, 
Sichregens nicht als einen gegebenen, sondern aus Wider- 
ständen erwachsenden zu zeigen, diese Widerstände selbst 
aber, trüber, lastender Atmosphäre entstammend, gewisser- 


maßen nur in kurzem Widerscheine aufzuzeigen. So ergibt 
sich denn aus allem diesem Gegenspiele der eminent humori- 
stische Grundcharakter des Finales. Den Abschluß auf 
dem Quartsextakkord c-f-as löst ein dreimaliges, zuletzt 
erweitertes Gangwerk ab: 



ff molto agitato 


lf§g>=K=i 


& 


.« - A— 






Es steigert die Energie des Ausdruckes nur in ziemlich 
äußerlicher Weise. Daß die Terzparallelen des Basses 
mit dem Motive: 




fei i 


m 


_A. 

3= 






3 


Zusammenhängen, läßt sich annehmen. Durch die ab- 
wärtssteigende Bewegung der Oberstimme wird die Ruhe- 
lage des Satzes auf / vorbereitet. Das um den Auftakt 
verkürzte Kombinationsmotiv erscheint im Basse, wird 
gekürzt, und der erste Satzteil ist zu Ende. 

Unruhvolles Treiben ist sein Kennzeichen, aber die 
Stimmung erscheint beim Schlüsse gefestet. Aus ihr 
quillt nun im folgenden eine sehnsuchtsvoll schwellende 
Melodie auf: 





r-r 

p con espressione 
Es ist, als ob die Brust, von Dankgefühlen überströmend, 
ein heiliges Lied von Glück und Seligkeit singe. Gewiß: 
die Harmonik dieses F dur-Abschnittes ist einfach, die 
Melodie spinnt sich zum Teil durch Sequenzenbildungen 
weiter; aber jenes ist durch die Entwicklung des ersten 
Abschnittes ebenso bedingt wie die unaufhaltsam wogende 
Figur der Begleitung, und dieses ist durchaus nicht etwa 
als ein Notbehelf anzusehen; durch diese Sequenzen: 



wird der Melodie der Ausdruck des Sich-behaglich-froh- 
wiegenden beigemischt, etwas, das gar wohl zu ihrer ganzen 
Fassung paßt. Außerdem soll man eines nicht vergessen: 
wäre die Melodie der Höhepunkt des ganzen Satzes, so 
würde allerdings zwischen dem ersten und dem ab- 
schließenden Satze eine starke Lücke klaffen. Man würde 
dann von diesem nicht sagen können, daß er das ganze 
Gebüde kröne. So aber ist dieser Abschnitt nur als ein 
Zwischenglied einer weitgeschwungenen Kette zu be- 
trachten, nur ein Ausdrucksmoment unter vielen. 

Will man den Abschnitt formal teilen, so bemerke man 
die 13 Takte des zur Dominante gewendeten Vordersatzes, 
die sich in die Takte 1 — 2 und 3 — 4 als parallele Glieder, 
sodann in drei weitere Parallelabschnitte unterteilen, 
deren letzter die Sequenzenbildung beginnt; der Nach- 
satz, wie der Vordersatz beginnend, gibt die erste Fassung 
alsbald auf und moduliert in engen Bahnen, formal nicht 
abgeschlossen, zur Dominante Von Fdur zurück. Man 
achte auf die durch die Oktaven etwas versteckte Melodie 
bei: 


A 


l=Ö=iz 


JL=*. 


f=E£ 


LfiBE 


[SeI 









Hier, wo die Sechzehntelbewegung des Basses plötzlich 
stockt: 



wendet sich der Satz über den unvermittelt auftretenden 
f moll-Dreiklang nach As dur (Dominantharmonie), um so- 
gleich wieder in die Region von f moll zurückzukehren. 
Das alles geschieht ganz unerwartet, laimisch, sozusagen 
absichtslos. Und so tritt auch der Anfangsrhythmus in 
der Ausdrucksform der Oberstimme des ersten Taktes 
auf, durch eine schweifende Figur von oben her eingeführt, 
verdichtet sich harmonisch, und nun beginnt ein freies 
motivisches Spiel mit dem nach oben und unten gewendeten 
Hauptmotive ; dies findet später nur in seiner ersten Hälfte 
Verwendung über einem Orgelpunkt auf des, in dessen 
Verlaufe harmonische Stütztöne in der unteren Mittel- 
stimme erscheinen: 



Durch Auflösung von des, der Akkordseptime, kehrt dieser 
Satzteil in den Anfang zurück. Der ganze Absatz hat eine 
gewisse Schumannsche Färbung. Mehr als ein Spiel will 
er nicht bedeuten: nur so Heß sich die Anfangsstimmung 
wiedergewinnen, jede Zuspitzung der aktiven Tendenz des 
Satzes an dieser Stelle hätte die Wiederholung zu einer 
psychologischen Unmöglichkeit gemacht. 

Nach dem Abschlüsse des Hauptsatzes geht Brahms 
durch eine bekannte Ueberleitungsformel der BaßHnie in 
einen neuen Abschnitt in Des dur über, der einen stark 
volkstümüchen Anstrich hat und ganz entfernt Haydns 
Oesterreichisches Nationallied in die Erinnerung ruft: 



Er güedert sich in einen zweimal nacheinander auftretenden 
achttaktigen Vordersatz, und den rhythmisch bewegter 
eingeführten Nachsatz: 



der in die Fassung der ersten Hälfte des Gedankens zurück- 
geleitet wird. Man sieht, wie die Stimmungskreise des 
F dur-Abschnittes und dieses konzentrische sind: beide 

208 


Male ist der Grundzug Festigkeit, Behagen, Freude an der 
eigenen Kraft. Aber das Ganze hält sich noch auf einer 
gewissen mittleren Einie: die kräftigsten Ausbrüche dieses 
fröhHch-heiteren Sinnes bleiben selbstredend dem Schlüsse 
des Satzes Vorbehalten. 

Mit dem angegebenen thematischen Materiale arbeitet 
sich das Finale nun sogleich weiter. Zunächst bilden sich 
kanonische Nachahmungen, die sich in ihrer ehrbaren 
Biederkeit höchst putzig ausnehmen: 



dann treten rhythmische Gegensätze scharf gegeneinander: 



die Baßfigur teilt sich, die Quartoie zerlegt sich in die 
Fassung: J i J i. und so geht der Satz in einen neuen 
Abschnitt über, zu dem die Des dur-Melodie das kanonische 
Thema abgibt: 



Man denkt bei diesem nicht eben tief gehenden Gebilde 
unwillkürüch an die Stellen aus Beethovens op. 10 No. 3: 



die freilich unendUch bedeutender erscheint. Dies kano- 
nische Geplänkel leitet in den Hauptsatz in f moll zurück, 
den Brahms nach 4 Takten (der Baß behält die Erinnerung 
an das Des dur-Thema bei) jedoch preisgibt, um aus der 
Quartoienfigur, von der Dominantseptimenharmonie aus- 
gehend, eine Ueberleitung zum Hauptsatze zu finden, der 
nun in modifizierter Form von As aus seinen Weg nimmt, 
wobei der Baß zuerst abermals die Des dur-Melodie an- 
kLingt, so daß diese also in ihren rhythmischen Formen: 

J> J. I J. J. I UQ d 1 J 4 j J die treibende Kraft des ganzen 
Abschnittes bis zur Fermate über der Dominantharmonie 
auf Seite 34 ist. 

Für den weiteren Verlauf des Hauptabschnittes wird 
nichts Weiteres an neuen Ausdrucksmitteln als einige 
Stimmverstärkungen beigebracht. An seinem Schlüsse 
jedoch meldet sich bedeutsam die Quartoie im Basse 
wieder, und es entwickelt sich jetzt aus dem wiederkehrenden 
kanonischen Spiele ein Uebergang nach F dur, dessen 




„Piü mosso“ in allmählicher Steigerung des Ausdruckes 
erreicht wird. 


Auch diesem Satzteile: 



liegt die Des dur-Melodie zugrunde. Mochte das eine und 
andere in dem Vorhergehenden, insbesondere die in kano- 
nischer Form auftretenden Takte vielleicht zu lang ge- 
streckt, zu harmlos, zu spielerisch erscheinen: hier zeigt 
sich Brahms der Bildner. Man sehe und verfolge, wie 
aus der Begleitfigur die herrlich-blühende Melodie wird: 



die triumphierend stolz ihre Bahn zieht, umrankt von 
Ornamenten, deren Windungen sich weiter und weiter 
schlingen. Der Höhepunkt liegt in der vergrößerten 
Linie: 


czfh. g*_q 

-1 

- 1 : 

: 

r — t 


0 V_ 





** t\ 

1 

r ' 




wobei zu bemerken ist, daß die Begleitfigur z. B.: 



— . £ , 


1 MVP’MilHH 

Pf’*' usw. 


aus der zweiten Themahälfte: 



erwachsen ist. Sobald der oben berührte Höhepunkt 
beendet ist, geht die Oberstimme in bloßes ornamentales 
Geranke über, das freilich die Erinnerung an das Des dur- 
’ Thema immer noch festhält, und in den Unterstimmen 
erscheint das Hauptmotiv: 


-ft— 

g— rfc’g ¥■ i — f 1 


w W 7 — 1 4r 4f 

* T r — 

- | v 1 -7 _ 


— L_U-*=L__ — 


dehnt sich, während das Ornament immer höhere Lagen 
gewinnt, rhythmisch gewaltig aus: 



und in raschem Anlaufe wird das abermals aus dem Des dur- 
Thema gewonnene abschließende Presto erreicht: 


Presto 






jäjB 

} f- ihm 

M 

^rwrn 

it-SCjiZ! izäEaC 
g- -7-- •— » 7 7: 



Es gliedert sich in einen wie präludierend gehaltenen Ab- 
schnitt von vier zur Dominante führenden und zwölf 
weiter modulierenden Takten, die sich leicht unterteilen 
lassen und wie durch die rastlos voranstürmende Bewegung, 
so ganz besonders durch die latenten Oberstimmen cha- 
rakterisiert sind: 


( 2 7 7 7 7 

In plötzlichen Unisongängen wendet sich der Satz sodann 
über ein exponiertes es der Oberstimmen nach Ces dür. 

Jetzt erklimmt das Finale seine höchste Höhe. Das 
rhythmisch gedehnte, zu Anfang des Abschnittes ohne 
Auftakt eingeführte Hauptmotiv tritt in starker Ver- 
kürzung, so daß nur der erste aufwärtsgehende Sprung 
der Oktave verwendet wird, neben die melodisch sich 
abändemden vier punktierten Viertel des Des dur-Themas, 
während die Oberstimme, anfangs die erste Form des- 
selben Themas festhaltend, sich bald in abwärtsgeführte, 
rein harmonische Figuration auflöst: 





in der Tiefe donnern breite Akkordmassen und das Motiv 
der vier punktierten Viertelnoten, bis die Bewegung in 
ruhigere Bahnen einlenkt, in denen die Oberstimmen sich zu 
einer majestätisch breiten Linie zusammenschließen, die 
den Uebergang nach F dur findet. Abermals hebt, in enger 
Führung der beiden Stimmen, ein kanonisches Spiel an: 



steigt wie im Jubelsturme wirbelnd höher und höher, löst 
sich in arpeggierte Gänge der Oberstimme auf, und nun 
erklingt grandioso und in mächtige Akkorde gekleidet das 
Hauptmotiv des ersten Teües, befreit von all dem Wider- 
stand, der sich ihm zu Anfang in den Weg stellte: 



Aber das auch gilt es nicht zu vergessen, was auf dem 
Wege dieses künstlerischen Bildens gewonnen ward, und 
so rückt denn nach wuchtigen, synkopischen Schlägen ein 


209 















Teil des Des dur-Themas in seiner ganzen großen hym- 
nischen Kraft vor, das Ende des Satzes bringend: 



Ueberblicken wir die gesamte Form des Finales, so 
können wir an ihr abermals feststellen, wie wenig schema- 
tisch Brahms schon in diesem Friihwerke vorgegangen ist. 
Aus der Anlage der ganzen Sonate heraus ergab sich die 
Notwendigkeit der zweigliedrigen Gestaltung des ab- 
schließenden Satzes. Kehrte Brahms an dessen Schlüsse 
in den Kemgedanken des Beginnes zurück, so bestimmten 
ihn dazu keinerlei formal-ästhetische Rücksichten. Die 
Psychologie des gesamten Aufbaues der Sonate war aus- 
schlaggebend. 

Aus der an Stimmungsgegensätzen, die sich in ihrem 
Wechsel gegenseitig bedingen, reichen Welt des ersten 
Allegros erblühte die Sphäre, der das sehnsuchtschwere 
Andante, aber auch der elegische „Rückblick“ entkeimten. 
Alle diesen Einzelschöpfungen zugrunde liegenden Stim- 
mungen mußte der Schlußsatz überwinden oder als über- 
wunden darstellen, sollte er einen tieferen Sinn haben, sollte 
er sich mehr als ein bloßes Musikstück, als eine Gelegenheits- 
schöpfung im Goetheschen Wortsinne darstellen. Br ahm s 
läßt zu Beginn des Finales, wie wir gesehen haben, eine 
Fülle von heterogenen Gedanken in knappster Form sich 
gegenübertreten, ehe die, wie wir sie nennen wollen, aktive, 
lebenbejahende Richtung des Satzes erkennbar wird. 
Aber auch dann verschwindet das ihr Entgegenstrebende 
nicht. Allerlei Momente des Sinnens, nachdenklichen 
Gehabens erscheinen und verschwinden; die Situation 
klärt sich sozusagen. Nun tritt der Des dur-Hymnus auf, 
sein Ausdruck ist zuerst leise, fast scheu, die Haltung wird 


seine ruhige sichere Art den Tondichter: der Hymnus- 
gedanke wird zum Kemthema des ganzen zweiten Ab- 
schnittes des Finales, das sich nun über ihm in gewaltiger 
Weise steigert. Nicht mit den intrikaten Mitteln der 
Kontrapunktik, nicht mit unerhörter Harmonik. Im 
Gegenteil ist aller Ausdruck einfach bei aller Belebtheit, 
wie es dem entspricht, was Brahms in Töne kleiden will, 
der Freude am Leben, seiner Kraft und Schönheit. 


Stellt man die dritte Sonate ihren Vorgängerinnen 
gegenüber, so kann kein Zweifel daran bestehen, daß 
sie die reifste, die vollendetste ist. Die Gründe, weshalb 


Brahms ihr kein anderes Werk der gleichen Gattung folgen 
ließ, sind in der Einleitung kurz dargelegt worden. 


Natürliche Tonsysteme. 

Eine mathematisch-musikalische Untersuchung. 

Von LOTHAR WICHMANN (Berlin- Ob er schöne weide). 

D ie Frage nach der Möglichkeit einer weiteren natur- 
gemäßen Ausgestaltung unseres Tonsystems ist ge ( - 
wöhnlich nur vom musikalischen Standpunkte aus 
behandelt worden und hat dort zu der Forderung einer Dritte- 
lung unserer ganzen Töne geführt. In dieser Arbeit soll nun 
daneben auch der mathematisch -physikalischen Seite ein 
breiter Raum gegeben werden, sodau dadurch die Ergebnisse 
wissenschaftlich einwandfrei werden. 

Unbekümmert um die Tonfolge und -zahl unseres heute 
geltenden Tonsystems, das 12 Stufen in jeder „Oktave" um- 
faßt, sollen zunächst die zu einem beliebigen Grundton na- 
turgemäß, d. h. physikalisch nächstverwandten höheren Töne 


gesucht werden. Wir gehen dabei von der gespannten Saite 
aus, weil bei ihr durch Verkürzung sämtliche Töne mit größerer 
Schwingungszahl erzeugt werden können. 

Bekanntlich gehört zu einem Ton mit der Schwingungszahl 
N als nächstverwandter der mit der Schwingungszahl 2 N; 
ihn erhält man- bei Verkürzung einer Saite um die Hälfte. 
Der so erzeugte Ton ruft bei uns eine derartige musikalische 
Empfindung hervor, daß wir ihn sehr treffend als „noch ein- 
mal so hoch“ zu bezeichnen pflegen. Aus dieser Eigentüm- 
lichkeit unseres musikalischen Fühlens und jener anderen, 
daß wir die Verschiedenheit mehrerer Töne nicht nach der 
Differenz, sondern dem Verhältnis ihrer Schwingungszahlen 
empfinden, folgt ohne weiteres, daß wir uns bei der Herstel- 
lung eines natürlichen Tonsystems beschränken können auf 
Berechnung derjenigen Töne, die zwischen einem beliebigen 
Grundton und — nach unserer heutigen Bezeichnungsweise — 
seiner „Oktave“ liegen. Denn die in diesem Raum gewonnene 
Tonfolge wiederholt sich nach oben mit verdoppelten, nach 
unten mit halben Schwingungszahlen. 

Wenn wir also nun Telle der Saite schwingen lassen, so 
interessieren uns nur diejenigen Töne, deren Schwingungs- 
zahlen zwischen denen der ganzen Saite und ihrer Hälfte 
liegen, oder anders ausgedrückt: die schwingenden Teile müssen 
immer länger als die Hälfte der Saite sein. 

Nach der Verkürzung um j ist die nächste natürliche die 
um j der Saitenlänge. Es schwingen dann f, die Schwin- 
gungszahl des erzeugten Tones ist also f mal so groß wie 
die des Grundtones. Eine Verkürzung um j ist aus dem 
oben angegebenen Grunde nicht in Betracht zu ziehen. Jetzt 
käme die Verkürzung um \ der ganzen Länge; es schwingen f , 
di h. die Schwingungszahl des erzeugten Tones ist f mal der 
des Grundtones. Zu berücksichtigen sind dann erst wieder 
die Verkürzungen tun Fünftelteile. Bei Kürzungen um 
dann um f und weiterhin um | erhalten wir Tone, deren 
Schwingungszahlen }, $ und £ mal derjenigen des Grund- 
tones smd. 

Setzen wir die Schwingungszahl des Grundtones gleich 1 
und ordnen die Schwi ngungszahlen der bisher ermittelten sechs 
nächstverwandten Töne nach ihrer Größe, so erhalten wir: 



Wir haben hier natürlich alte Bekannte vor uns, nämlich 
„kleine Terz“, „große Terz“, „Quarte“, „Quinte“ und „Sexte“ 
nach unserer heutigen Bezeichnungsweise. Wir erkennen so, 


KjBj lllllt IM) l I BMUMl'Ui 


Mollakkordes, des Durakkordes und der einen Umkenrung 
seiner Unterdominante, die auch unserem Ohr als die natür- 


lichsten erscheinen, aus Tönen engster physikalischer Ver- 
wandtschaftbestehen. Daraus folgt aber, daß wir von 
jedem Tonsystem verlangen müssen, daß es diese 
Tonverhältnisse in möglichster Reinheit enthält, 
wenn es natürliche Berechtigung haben will. 

Vollkommene Reinheit wird deshalb nicht erreichbar sein. 


weil man für jedes vernünftige Tonsystem als zweite lediglich 
aus der Praxis erwachsene wichtige Forderung die der „Tem- 
perierung“ wird stellen müssen. 

Mit Hufe dieser beiden Bedingungen ist es aber nun mög- 
lich, auf mathematischem Wege zu finden, wieviel Töne pro 
„Oktave“ ein solches natürliches Tonsystem haben kann. Be- 
zeichnet man diese Anzahl mit x, die Zahl der Töne bis zu 
einem gewissen beliebigen Intervall mit y und endlich den 
für eine temperierte Stimmung erforderlichen Multiplikator 1 , 
durch den aus einem Ton stets der folgende berechnet werden 
muß, mit Q, so ist offenbar: 


Q* = 2 oder Q = \ 

denn nach x Multiplikationsschritten muß man zur doppelten 
Schwingungszahl kommen. 

Soll ferner nach y Tonstufen die a-fache Schwingungszahl 
erreicht sein, so ist: 

y 

Qy = a oder Q = \/a 
Aus den beiden Ausdrücken für Q folgt: 

V2 = 1/a 
ilog2 = Iloga 


y : x = 1 : 


1 Bei unserem heutigen System mit 12 Tönen ist dieser 

n f_ 

Multiplikator bekanntlich \ 2. 


210 



Man kann also durch diese Formel für jedes Intervall a 
. das Verhältnis der Tonzahl pro Oktave und der Tonzahl bis 
zu dem betreffenden Intervall berechnen. Setzt man nun 
nacheinander für a die Werte -J, $, |, $, $ ein, so erhält man 
nach Ausrechnung 1 : 

I. „kl. Terzklang“ y:x = 1 : 3,801836 

II. „gr. Terzklang“ y : x = 1 : 3,1063 

III. „Quartenklang“ y : x = 1 : 2.4Q94 

IV. „Quintenklang“ y : x = 1 : 1,709527 

V. „Sextenklang' y:x = 1:1,356912 

Die einzige Arbeit, die man noch zu leisten hat, besteht 
nun darin, für die einzelnen Proportionen auf den rechten 
Seiten solche ganzen Multiplikationszahlen zu finden, daß die 
letzten Glieder der fünf Proportionen möglichst vollkommen 
dieselben ganzen Zahlen ergeben. Solche Gruppen, deren es 
natürlich eine ganze Reihe gibt, können nur durch syste- 
matisches Probieren bestimmt werden. Aber dieses Probieren 
braucht nicht ins Uferlose zu gehen, denn eine weitere Eigen- 
tümlichkeit unseres Gehörs, die musikalisch besonders in der 
Mittel- und Höhenlage höchst unangenehm wirkt, setzt uns eine 
obere Grenze für die Tonzahl in einer „Oktave“: das ist die 
Erscheinung der „Schwebungen“. 

Experimente an Stimmgabeln zeigen deutlich, bis zu wel- 
cher Differenz der Schwingungszahlen man bei zwei Tönen 
Schwebungen spürt. In der Umgebung des Normaltones a, 
mit N = 435 ist das z. B. bei einem Unterschied von 
10 Schwingungen noch sehr stark der Fall. Deshalb müssen, 
wenn Schwebungen mit Rücksicht auf die häßliche musi- 
kalische Wirkung nirgends auftreten sollen, alle solche Systeme 
ausgeschlossen werden, bei denen zwei aufeinander folgende 
Töne nur tun 10 Schwingungen und weniger differieren. Durch 


logarithmische Rechnung läßt sich leicht ermitteln, daß diese 
Grenze ein System mit 30 Tönen pro Oktave bilden würde. 

Nun können wir an die Bestimmung der einzelnen Zahlen- 
gruppen für die Proportionen I — V gehen, wobei eben die 
vierten Glieder die Zahl 30 nicht überschreiten dürfen. Die 
Zahlengruppe, die man zuerst findet, ist 3, 4, 5, 7, 9. Man 
erhält nämlich: 

I. „kl. Terzklang“ y : x = 3 : 11,405508 

II. „gr. Terzklang“ y : x = 4 : 12,4252, abgerundet = 4:12 

III. „Quartenklang“ y : x = 5 : 12,0470, „ =5:12 

IV. „Quintenklang“ y : x = 7 : 11,966689, „ = 7 : 12 

V. „Sextenklang“ y : x = 9 : 12,212208, „ = 9 : 12 

Ausgedeutet heißt das: das einfachste natürliche temperierte 

Tonsystem enthält 12 Töne pro Oktave. In ihm hat der 
4. Ton „Terzklang“, der 5. „Quartenklang“, der 7. „Quinten- 
klang“, der 9. „Sextenklang“. Unrein allerdings ist das Inter- 
vall der kleinen Terz (3. Ton), denn 1 1,4 muß eigentlich nach 1 1 
hin abgerundet werden, d. h. in einem 12-System wird der 
Ton für die kleine Terz zu tief werden. 

Wir haben damit eine ebenso interessante wie erfreuliche 
Entdeckung gemacht: wir haben durch die angewandte ein- 
fache Methode unser heute geltendes Tonsystem gefunden und 
seine natürliche Berechtigung nachgewiesen. In ihm ist tat- 
sächlich, wie man auch aus der unten folgenden Tabelle er- 
sehen kann, die kleine Terz zu tief. Es ist aber wichtig, daß 
wir durch unsere Methode zuerst auf das heutige System ge- 
stoßen sind, denn wir wissen nun, daß wir auf dem richtigen 
Wege sind, um zu entscheiden, ob unser System noch einer 
Vervollkommnung fähig ist. Dazu bestimmen wir die näch- 
sten Zahlengruppen für die Gleichungen I — V. Wir stoßen 
zuerst dabei auf die Gruppe 5, 6, 8, 11, 14 und dann auf 9, 
11, 14, 20, 25. Nämlich: 


I. „kl. Terzklang“ y : x = 5 : 19,009180, abgerundet = 5 : 19 

II. „gr. Terzklang“ y : x = 6 : 18,6378, „ = 6 : 19 

III. „Quartenklang“ y : x = 8 : 19,2752, „ = 8 s 19 

IV. „Quintenklang“ y : x = 11 : 18,804797, „ = 11 : 19 

V. „Sextenklang“ y : x = 14 : 18,996768, „ = 14 : 19 


= 9 : 34,21654, abgerundet = 9 : 34 
= 11:34,1693, =11:34 

= 14 : 33,7316, „ =14:34. 

= 20:34,19054, „ =20:34 

= 25 : 33,8228, „ = 25 : 34 


* 

Wir sind damit zu Systemen mit 19 und 34 Tönen gekom- 
men; mit dem letzteren haben wir aber schon die durch die 
Schwebungen gezogene Grenze von 30 Tönen überschritten. 

So bleibt uns also nur noch übrig, die Bedeutung des 19- 
Systems zu diskutieren. 

Versuchen wir, uns dafür eine „Klaviatur“ ähnlich der 
unsrigen zu konstruieren, so merken wir bald, daß wir am 
besten zum Ziele kommen, wenn wir aus jeder schwarzen 
Taste zwei machen und zwischen e und / und zwischen h 
und c je eine schwarze Taste einschieben. Wir bekommen 
damit einen Unterschied zwischen cis und des, dis und es, 
eis und / usw. Am besten kommen die wesentlichen Vorzüge 
und Mängel des neuen Systems zur Geltung, wenn wir uns 
innerhalb einer Oktave gegenüberstellen die Schwingungszahlen 
in der theoretischen Reinheit, im 12-System und im 19-System. 

Wir gehen dabei aus vom Normalton a v mit 435 Schwingungen . 
Mit Hilfe nebenstehender T abelle ergibt sich folgende Zusamm en- 
stellung der Vorzüge und Mängel des 19-Systems im Verhält- 
nis zum 12-System: 

Vorzüge: Die durchschnittliche Reinheit der 6 nächst- 
verwandten Intervalle steigt um 0,28 %, so daß die Abweichung 
von der vollkommenen Reinheit nur noch 0,2 °/<j im Mittel 
beträgt Die große Terz nähert sich bedeutend der Reinheit, 
kleine Terz und große Sexte erreichen sie sogar vollkommen. 
Die Vorzeichen jf und V kommen gut zu ihrem Rechte. Die 
Möglichkeiten harmonischer Gestaltung wachsen bedeutend, es 
steigt die musikalische Ausdrucksfähigkeit. 

Mängel: Es verlieren an Reinheit die Quinte um 0,2®/o, 
die Quarte sogar um 0,3 %, oder anders ausgedrückt: die Quinte 
wird doppelt, die Quarte viermal so unrein als sie es in un- 
serem heutigen System sind. 

Wir haben demnach zwischen folgenden beiden Standpunkten 
zu wählen: 

1. Wer die Reinheit der Quinte und Quarte, die (nach der 
Oktave) am engsten dem Grundton verwandt sind, für ein 
unumgängliches Erfordernis eines Tonsystems hält und bei 
den anderen verwandten Intervallen nur angenäherte Richtig- 
keit fordert, für den stellt unser heutiges System die beste 
Lösung dar. 

2. Wer aber gerade für diese beiden Intervalle die Forde- 
rung der Reinheit nicht so streng stellt, sondern vielmehr 
einen möglichst hohen Grad der durchschnittlichen 
Reinheit bei den verwandten Intervallen für erstrebenswert 
hält, für den ist das System mit 19 Tönen in einer Oktave 
die beste Lösung. 

Die Entscheidung ist gar nicht so leicht; man ist wirklich 


1 Die vollständige logarithmische Ausrechnung ist der 
Kürze wegen fortgelassen. 


anfangs stark versucht, die Reinheit der Quinte und Quarte 
hinzugeben für die vielen anderen verlockenden Eigenschaf- 
ten des neu gewonnenen Systems. Man erzeuge sich einmal 
auf einer Saite die reine kleine Terz durch Kürzung um | 
oder die reine Sexte durch Kürzung um }, man wird ent- 
zückt sein von der wundervollen satten Färbung dieser Inter- 
vallklänge! Man versuche einmal, die Möglichkeiten der 
kontrapunktischen Führung- im 19-System aurchzudenken. 



Schw.. 

Verhält. 

Theoret. 

Schw.-Zahl. 

Schw.-Zahl. 

Im 

12-System 

Schw.-Z. 

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19-System 

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19-Syst. 

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1 

.435,0 

435,0 

435,0 

0,0 

0,0 

Ais 



| 460,9 

451,2 



Hes 



467,9 



H 



488,3 

485,3 



His-Ces 



— 

503,3 



C 

V* 

522,0 

517,3 

522,0 

0,9 

0,0 

Cis 

Des 


543,7 

| 548,1 

541,4 

561,6” 

0,8 

0,4 

D 

V* 

580,0 

580,7 

582,4 

0,1 

0,4 

Dis 



| 615,2 

604,1 



Es 



626,5 



E 

»/, 

652,5 

651,2 

649,8 

0,2 

0,4 

Eis-Fes 


• 

— 

673,9 



F 



690,5 

699,0 



Fis 

*/> 

725,0 

1 

} 731,6 
) 

725,0 

0,9 

0,0 

Ges 



752,0 



G 



775,1 

779,8 



Gis 

As 


- - - 

| 821,2 

808,8 

838,9’ 


- - 

A . 

2 

870,0 

870,0 

870,0 

0,0 

0,0 

Mittlere Abweichung v. d. 

Reinheit in ®/o 

0,48 

0,2 


211 



mau wird erstaunt sein über deren Fülle und über die dadurch 
erreichbare Steigerung der musikalischen Ausdrucksfähigkeit! 

Und doch! Ob man den Mut haben wird, dafür die im 
12-System fast vollkommene Reinheit der Quinte und Quarte 
zu opfern? Ich glaube es nicht. Denn wir müßten daun 
gleichzeitig unser natürliches musikalisches Empfinden ver- 
gewaltigen, das gerade bei diesen Intervallen die Reinheit 
nie wird missen wollen. 

Deshalb wird man — allerdings mit starker Resignation — 
auf den Ausbau unseres Systems zu einem mit 19 Stufen ver- 
zichten müssen. Dann aber wird man auch den in den letzten 
Jahren mehrfach und sogar von bedeutender künstlerisch- 
musikalischer Seite gemachten Vorschlag einer Drittehuig 
unserer ganzen Toustufen als praktisch unfruchtbare Speku- 
lation zurück weisen müssen. Denn diese Drittel ung 
würde — ein interessantes Zusammentreffen — 
auch zu dem S y s t e m mit 19 T ö n e n führen! 

Fügen wir uns also in die Naturnotwendigkeit! Niemand 
wird von der Errungenschaft der Temperierung lassen wollen, 
niemand einer Vergewaltigung unseres natürlichen musikali- 
schen Empfindens zustimmen können; darum ist unser heu- 
tiges Tonsystem das beste, das es gibt. 


Die Wiener Volksoper. 

Zum Jubiläum ihres zehnjährigen Bestandes 1903—1913. 
Von L. ANDRO (Wien). 

E s mag etwa ein Dutzend Jahre her sein, daß man in 
Wiener musikalischen Kreisen anfing, sich darüber klar 
zu werden, daß die Hofoper und das Orchester der 
Philharmoniker, das übrigens mit dem der Hofoper identisch 
ist, nicht mehr für die Bedürfnisse einer Zweimillionenstadt 
genügten und daß nachgerade auch Kreise musikalischen Ge- 
nüssen zustrebten, denen die hohen Preise dieser Veranstal- 
tungen nicht erschwinglich waren. Es galt, dem Volk end- 
lich auch einmal zu guter Musik zu verhelfen und nach an- 
fänglichem Scheitern des Experimentes mit einem neuen phil- 
harmonischen Orchester glückte der Versuch mit dem Wiener 
Konzertverein, glückte so ausgezeichnet, daß innerhalb weniger 
Jahre auch ein drittes Orchester, die vortrefflichen Tonkünst- 
ler, sich ihren Platz im musikalischen Leben Wiens energisch 



AI. INI-: SAXÜF.N. 


eroberten. — Auch die Frage einer Volksoper war nun aktuell 
geworden und ein leeres Theater stand zur Verfügung. Es war 
das vor wenigen Jahren erbaute Jubiläums-Htadttheater, das 
von der herrschenden Gemeinderatspartei gegründet, ver- 
pachtet und — - zugrunde gerichtet worden war; man war 
froh, es nun auf gute Art los werden zu können. Ein aus- 
nehmend häßliches, aber nicht unpraktisch gebautes Haus, 
das freilich nicht für Opernzwecke errichtet worden war und 
dem trotz allerlei Adaptierungen noch heut manches dazu fehlt. 

Der Mann, der es wagen wollte — zunächst neben einem 
Schauspielrepertoire, das aber bald aufgelassen wurde — eine 
neue Oper ins Leben zu rufen, hieß Rainer Simons. Er hat 
bis zum heutigen Tage keinen Heller Subvention empfangen 
und erst von jetzt ab läßt sich der Gemeinderat gnädig her- 
bei, eine für seine Verhältnisse minimale Summe — etwa 
io ooo Kronen — zu bewilligen. Was es heißt, den ungeheuren 
Betrieb einer großstädtischen Oper ohne Subvention zu füh- 
ren, kann man sich kaum vorstellen. Es hängt mit den so- 
zialen Fragen im Musikerstande so eng zusammen, daß man 
dabei bleiben muß. 

Es versteht sich von selbst, daß dem Direktor kostspielige 
Kräfte nicht erreichbar sein konnten. Mit einem Spürsinn, 
der bewundernswert ist, holte und holt er sich seine .Sänger 
und Dirigenten frisch von den Konservatorien, aus der dunkel- 
sten Provinz. Er rechnet ganz richtig damit, daß diese jungen 
Leute auch mit einer winzigen Gage zufrieden sein würden, 
wenn sie Gelegenheit bekämen, sich an einer hauptstädtischen 
Bühne, vor einer maßgebenden Kritik zeigen zu dürfen. Der 
Uebelstand der Sache war nur der. daß sie, kaum daß sie 
sich als Talente erwiesen, von besser zahlenden Bühnen auch 
schon weggeschnappt wurden — ja, die Hofoper betrachtet 
neuerdings, wie wir in der P'olge sehen werden, die Volksoper 
geradezu als Reservoir, von dem sie ihre erfolgreichsten Leute 
bezieht und die es ihr erspart, selbst auf die Suche zu gehen. 
So sieht sich die Volksoper fast alljährlich vor die Frage eines 
neuen Ensembles gestellt und die Ringe einer edlen Tradition 
können sich unmöglich ansetzen. 

Schlimmer als bei den Sängern und Dirigenteil, die sich 
nach wenigen „magern“ Jahren in erste Stellungen hinauf- 
arbeiten, wenn sie begabt sind, sieht es bei den Orcliester- 
musikern aus. Diese, an sich schon nicht eben erfreulich be- 
soldet, sind zwei Monate im Jahr ohne Verdienst — eine Zeit, 
die auch wieder zu kurz ist, um im Dienst einer Kurkapelle 
Beschäftigung zu finden, wie es die andern Wiener Orchester- 
mitglieder tun können, lieber die triste Lage des Volksopern- 
orchesters ist schon viel gesprochen und geschrieben worden ; 
man muß dringend hoffen, daß mit der Subventionierung hier 
eine Aenderung eintrete, die der Bühne auch künstlerisch 
nützen würde. Denn das Orchester ist naturgemäß nicht 
ersten Ranges und daran krankt das Institut. 

Der Direktor kann sich natürlich von dem Gedanken an 
Einnahmen nicht so frei machen, wie ein Hofoperudirektor 
es - — - sollte, trotzdem hat die Volksoper doch schon gute, ja 
überraschende Dinge geleistet. Seit sie vor zehn Jahren mit 
dem Freischütz eröffnet wurde, haben die Besten moderner 
und vergangener Zeit ihren Weg hierher gefunden. Natürlich 
ist zuweilen der Operette mehr als eine Konzession gemacht, 
natürlich mancher effektvolle Kitsch wie „Quo vadis“ nicht 
umgangen worden. Einem Theater, das mit der Gunst eines 
— zum großem Teil der Vorstadt angehörigen — Publikums 
rechnen muß, konnte wohl nicht anders. Aber man hat so 
manches Werk feinerer Art hier zu sehen bekommen — in 
bunter Reihe nenne ich Dukas’ „Ariane und Blaubart“. Sieg- 
fried Wagners „Kobold“ und „Sternengebot“, Zemlinskys 
„Kleider machen Leute“, Humperdineks „Königskinder“, Pue- 
cinis Jugendoper „Manon Lescaut“, Straußens in der Hofoper 
verbotene „Salome“ und „Feuersnot“, Zöllners „Versunkene 
Glocke“, Neumanns „Liebelei“, denen sich mancher junge 
Oesterreicher angeschlossen hat, der anderswo nicht zu Wort 
kam. Daß es au Effektstücken, wie „Der Schmuck der Ma- 
donna“, d’Alberts „Liebesketten“, Giordanos „Sibirien“ nicht 
fehlte, ist selbstverständlich. Auch die „Tosea“ ist hier aus- 
probiert worden, ehe Weingartner sie in die Hofoper liinüber- 
nahm. Aber fast der ganze Mozart grüßt freundlich aus dem 
Repertoire, Beethoven, Weber, Marschner, Lortzing, und der 
frühe Wagner, dem sich nun auch anläßlich des Jubiläums 
eine so ausgezeichnete Meistersinger- Aufführung zugesellte, 
daß die der Hofoper darüber verblaßt. Wenn dieser Artikel 
im Druck erscheint, wird auch der Parsifal dem festen Be- 
sitzstand der Volksoper einverleibt sein — ob zu ihrem Glück, 
darf ein Bayreuth Ivrgebener nicht entscheiden 

Es ist fast unmöglich, die Namen aller Künstler zu be- 
halten, die im Lauf der Jahre ihren Weg von hier aus ge- 
macht haben. Die Hofoper hat ihre schöne und begabte 
Jugendlich-Dramatische Mizzi Jeritza von hier bezogen, das 
beste 1 alent, das sie in nacli-Mahlersclier Zeit gewann, und 
ihre drei Helden- und Charakterbaritone Rudolf Hofbauer. 

1 Die Bilder zu diesem Artikel sind von dem photogr. Atelier 
I/. Gutmann, Postkartenverlag Brüder Kolm und Bromsilber- 
Vervielfältigungs-Anstalt, sämtliche in Wien, 


212 


Weiteres vom Parsifal. 



's. 


MARIA JERITZA. (Die erate Ariadne. Stuttgart.) 

Hans Helms und Joseph Schwarz. Aline Sanden ist heut ein 
Stern des Leipziger Theaters, Theo Drill-Orridge wirkt als 
hochdramatische Sängerin in Hamburg, wohin auch Karl 
Ziegler seinen Weg gefunden hat. nachdem er in Bayreuth 
als David Aufsehen erregte. Auch Hans Winkelmann, der 
Sohn des großen Wagner-Sängers, der zurzeit in Prag und 
später an der Wiener Hofoper den Parsifal singt, hat seine 
ersten Bühnenerfahrungen hier gemacht. Als Zeichen der Zeit 
sei noch erwähnt, daß sich einige der besten Kräfte der ein- 
träglicheren Operette zugewendet haben, so ein Liebling der 
ersten Jahre, die graziöse Soubrette Emmy Petko. 

Noch flüchtiger als die Profile der Darsteller ziehen die der 
Dirigenten vorüber. Am markantesten das Alexander von Zem- 
linskys, jetzt der oberste Leiter des Prager Musiklebens, der 
(mit einem kurzen Intermezzo an der Hofoper) mehr, als vier 
Jahre hier tätig war. Auch Oskar Nedbal hat kurze Zeit hier 
gewirkt und den begabten jungen Bernhard Tittel hat sich 
eben jetzt die Hofoper nach seinem Meistersingererfolg ver- 
schrieben, so daß der Direktor wieder einmal auf die Suche 
nach Dirigenten zu gehen hat. Um Frauenrechtlerinnen ein 
Vergnügen zu machen, sei erwähnt, daß die Kuriosität eines 
weiblichen Regisseurs auch ein paar Monate lang zu be- 
wundern war. 

Unter den zurzeit noch hier tätigen Mitgliedern sei in erster 
Linie Vika Engel genannt, die besonders die Frauen der 
veristischen Oper leidenschaftlich zu verkörpern weiß, dann 
die musikalische und stimmbegabte Koloratursängerin Klara 
Musil, und die Baritonisten Schipper und Nosaliewiz. Es 
liegt im Wesen und in den Verhältnissen dieser Bühne, -die 
wir schon früher erörtert haben, daß die Aufführungen ver- 
schieden sind, daß uns nach einer Musteraufführung eine 
•etwas provinzielle verstimmt, daß neben vortrefflich studierten 
Ensembles sehr flüchtige Vorführungen sich zeigen, die meist 
als Folie für berühmte Gäste gedacht sind: denn so ziemlich 
alle internationalen Sangesgrößen sind in ‘der Volksoper zu 
Gast gewesen und einmal wurde auch der Versuch gemacht, 
einige von ihnen zu „Maifestspielen“ zu vereinigen, was - aber 
nicht glückte. 

Fester als zweite Opernhäuser in andern Städten wurzelt die 
Volksoper in der Gunst des Wiener Publikums und das ist ihr 
Glück und hat sie vor allzu ernsten künstl erischen und m ateriellen 
Gefahren bewahrt. Auch strenge Kritiker, müssen dem Emst 
und dem guten Willen Anerkennung zollen, die unter großen 
Schwierigkeiten hier arbeiten und sich bemüht haben, das 
ideelle Moment nie ganz aus dem Auge zu lassen, was nicht 
immer leicht war. Der Direktor ist anläßlich des zehnjährigen 
pps+anripg der Volksoper von der Wiener Gemeinde, die mit 
Leichtigkeit Hunderttausende jährlich auf Festmahle veraus- 
gabt, hoch geehrt worden — mit Worten! Hoffen wir, daß 
der versprochenen kleinen Subvention eine größere nachfolge. 
Das braucht die Volksoper, um ihre Ziele verfolgen zu können. 


Die Parsifal- Aufführung unter Pfitzner in Straßburg. — 
Parsifal an der Wiener Hofoper. 

D aß nach dem Freiwerden des Wagnerschen Weihefestspiels 
und nach seinen Aufführungen selbst an Bühnen mittleren 
Ranges Hans Pfitzner als Leiter der zurzeit auf hohem 
künstlerischem Niveau stehenden Straßburger Oper es sich nicht 
nehmen lassen würde, hier gleichfalls das erhabene Werk auf- 
erstehen zu lassen, war wohl als selbstverständlich anzusehen. 
Hat doch auch seine eigene Musikdramatik speziell mit dem 
Parsifalstil eine gewisse innere Verwandtschaft, die besonders 
im „Armen Heinrich“ hervortritt, wo ja auch die Erlösungs- 
idee, wenn auch in anderer Fassung, eine bedeutende Rolle 
spielt. Zur würdigen Ausstattung dieser den Bühnen als Neu- 
heit gegenübertretenden Schöpfung des Meisters hatte der 
Gemeinaerat den stattlichen Betrag von 25 000 M. bewilligt. 
Wenn trotzdem gerade nach der szenischen Seite das Ideal 
nicht ganz erreicht wurde, so liegt das größtenteils an den 
Raum- und sonstigen Verhältnissen des hiesigen Theaters. 
Namentlich bedauerte man das Fehlen der so wichtigen 
Wandeldekorationen, die im 3. Akt völlig wegfielen, im I. Akt 
immerhin durch eine sinnreiche Modifikation ersetzt waren: 
Eine schwarze Vorhangswand zog horizontal über die Bühne, 
um dann hinter sich die nächste Etappe des Weges erscheinen 
zu lassen. Etwas unnatürlich wirkte dabei nur, daß im vor- 
letzten Bild die Gralsburg noch auf steiler Höhe sichtbar ist, 
und nach kaum einer Minute die Wanderer schon in ihrer 
Halle stehen — eine immögliche I^eistung! Sonst waren die 
Bühnenbilder, hauptsächlich ein Verdienst des Prof. Daubner, 
von recht schöner malerischer Wirkung, so namentlich das 
erste am Waldsee, der Kuppelsaal der Gralsburg, Klingsors 
Zauberturm und die Blumenaue des Schlußakts. Die Glocken- 
frage war durch veritable Glocken gelöst, die aber nicht ganz 
rein und einige Oktaven zu hoch, keineswegs feierlich-ernst 
klangen, so daß die üblichen Metallplatten doch für den Effekt 
besser gewesen wären. Die zauberische Wirkung des Gral- 
aufleuchtens litt unter zu großer Helligkeit des Raums, und 
daß der sieche und sündige Amfortas. mitleuchtete, hat sicher 
nicht in Wagners Absicht gelegen! Klingsors Garten hätte 
noch etwas phantastischer, die Blumenmädchen blumenhafter 
kostümiert sein sollen. Im übrigen aber war die, von Pfitzner 
mitbesorgte Inszenierung, die ganze Bühnenaktion,, hervor- 
ragend stilvoll und der Musik sich anschmiegend — ein in 
solcher Vollendung nur durch diese Vereinigung der Äemter 
zu erreichender Vorzug. — Nach jenen kleinen Ausstellungen 
beim dekorativen Teil können wir nun mit um so größerem 
Nachdruck die ganz ausgezeichnete musikalische Interpretation 
rühmen, besonders bei den Wiederholungen, wo eine, durch 




HANS HEI.MS. 


213 





RUDOLF HOFBAUER. 

die Premierenerregung erklärliche, leichte Neigung zur Zeit- 
maßbeschleunigung der weihevollen Abgeklärtheit Platz ge- 
macht hatte, wie sie das hohe Pathos des Werkes erheischt. 
So kam der musikalische Gehalt in einer Reinheit zur Geltung, 
die nur in einem Punkte der Bayreuther Aufführung etwas 
nachgab: in den Chören des I. Aktes, die trotz Verstärkung 
natürlich nicht das erlesene Material der Wagner-Stadt auf- 
weisen' konnten. Besser wirkte der geschlossene Chor im 
III. Akt, und ganz ausgezeichnet gelang das Blumenmädchen- 
ensemble mit den schonen Stimmen, die hierzu verfügbar 
waren. Prächtig, den „mystischen Abgrund“ Bayreuths gar 
nicht vermissen lassend, klang das Orchester, dem Pfitzner 
mit großer Kunst an jeder Stelle die entsprechende Tonstärke 
zu suggerieren verstand. — Von den Vertretern der Solo- 
partien ist in erster Linie der Gurnemanz des Herrn Wissiak 
hervorzuheben. Für den Parsifal bringt Herr Hofmüller in 
sehr charakteristischer Weise die Züge des „reinen Toren“ mit, 
die naive Knabenhaftigkeit, für die auch das Organ sich 
treffend eignet, das aber an den Höhepunkten des II. und 
III. Aktes allerdings im Vojumen nicht ganz ausreicht. Hierin 
gerade glänzte alternierend unser Heldentenor, Herr Bischof, 
der jedoch sonst mit seiner Hünengestalt die Illusion des fast 
knabenmäßigen Jünglings völlig zerstört, v. Manoff sang den 
Anifortas, Gieß den Titurel, Schützendorf den Klingsor. Frl. 
Gärtner wird wohl als Gestalterin der komplizier teu Kundry- 
Figur wenige ihresgleichen haben. — Drei ausverkaufte 
Hauser selbstredend an Sonntagnachmittagen — lauschten 
bis jetzt wahrhaft andächtig der erhabenen Schöpfung und 
ihrer weihevollen Wiedergabe, die einen für ganz Elsaß- 
Lothringen und die Nachbarbezirke bedeutungsvollen Gipfel- 
punkt des Straßburger Kunstlebens darstellt. Dr. G. Altmann. 

* * 

* 

Im gesegneten Jahre 13 hat es die Wiener Hofoper auf ganze 
zwei Novitäten gebracht. Es sind Schrekers „Das Spielwerk 
und die Prinzessin“ und die widerliche Räubergeschichte, die 
uns Puccini als „Das Mädchen aus dem goldenen Westen“ 
angetan hat, und die natürlich von Direktor Gregor zum Er- 
folg der Saison forciert wird, da er höchstselbst sich um die 
Inszenierung bemüht hatte. - 

Das neue Jahr begann, wie überall, mit dem „Parsifal“. 
Aber es ist höchst charakteristisch für das Regime, daß auch 
diese Aufführung, deren Premiere doch schließlich schon seit 
einiger Zeit vorauszusehen war, mit einiger Verspätung erst 
am 14. Jänner, und dann mangelhaft vorbereitet und beinahe 
improvisiert zustande kam. Noch bei der Generalprobe tags 
. vorher klappte gar nichts, und die vierzig Bühnenproben, die 
für das schale Wildwestzeug nötig erachtet wurden, hatte man 
diesmal auf einen Bruchteil reduziert. Daß trotzdem nichts 
Wesentliches passierte, war der Vorsehung zu danken, und 
dem besonderen Glücksfall, daß wir die glänzendsten, in Bay- 
reuth geschulten Vertreter der Hauptrollen hier zur Verfügung 
haben. Schmedes als Parsifal, die Mildenburg als Kundry, 


Mayr als Gurnemanz sind Gestalten, die heute vorbildlich 
für die ganze deutsche Bühne sind. Würdig schließt sich 
ihnen der Klingsor des Herrn Weidemann, der Amfortas des 
Herrn Schwarz und Betetto als Titurel an, und auch die Blumen- 
mädchen waren gut, wenn auch zu laut, geführt. Wenn die 
Männerchöre nicht ebenso befriedigten, so lag es an ihrer 
schwachen Besetzung, die wieder durch eine sehr problema- 
tische Lösung des szenischen Problems bedingt war. — Wie 
schon so oft seit Mahlers Abgang, hat es auch diesmal wieder 
Roller bewiesen, daß er das wunderbarste Instrument in der 
Hand eines genialen Bühnenleiters ist, auf sich allein angewie- 
sen, aber nichts Vollkommenes zu leisten vermag. Schon der 
Abstand seiner „Götterdämmerung“ von seiner „Walküre“ war 
gewaltig. Und auch jetzt fehlte der Beherrscher der Szene, 
der des Malers phantäsievolle Eingebungen mit den Bedürf- 
nissen der Bühne in Einklang gebracht hätte. Gleich das 
erste Bild verstimmt. Ganz gegen Wagners Absicht ein düste- 
rer Anblick, mit einem nüchternen Prospekt von violetten, 
lächerlich stilisierten Bäumen. Die Beleuchtung des Vorder- 
grundes, wie stets bei Roller, ungenügend, < 3 e „hoch am 
Himmel stehende Sonne“ wagerecht aus der Kulisse geworfen, 
das Ganze noch überdies durch einen die ganze Bühne über- 
spannenden Schleiervorhang getrübt. Dieser geht bei der die 
Wandeldekoration ersetzenden Verwandlung m einen Nebel- 
schleier über, der bald undurchsichtig, den Umbau der Szene 
ermöglicht, bald wieder transparent, verschiedene Stadien der 
Wanderung zur Gralsburg in schön empfundenen, aber leblosen 
Bildern sehen läßt. Gewiß eine geistreiche Lösung für das 
schwierige Problem der Wandeldekoration. Der Tempel, dem 
Innern des Domes von Siena nachgebildet, ist vollständig 
massiv gebaut, -von einem Gewicht und einer Schwerbeweg- 
lichkeit, die jedesmal das rechtzeitige Fertigwerden zu einem 
Zufall machen, nicht des unvermeidlichen Lärms zu vergessen, 
der die Musik stört. Dazu kommt, daß die verfügbare freie 
Mitte unter der Kuppel zu klein ist, weshalb auch der Chor 
reduziert werden muß, und die Entwicklung der Gralsfeier 
gehemmt wird. Damit hängt es wieder zusammen, daß das 
nun von der Kuppel herabfallende Licht bloß diesen kleinen 
Fleck mühsam erleuchtet, und der weitaus größere Teil der 
Bühne in unheimlichem Dunkel verharren muß. Ja dieses 
Dunkel! Wie wundervoll wirkt es in Klingsors unheimlich 
phantastischem Turm, wie ärgerlich aber spannt es sich als 
unvermeidlicher, schmutziger Schleier nieder über die „Blumen- 
aue“ und über den Zaubergarten. Der ist nun vollends ver- 
unglückt. Flatternde Leinwandtürme auf plastischen Mauern, 
ein Garten, der nur aus Terrassen und Stufen besteht, ein 
paar jämmerliche Blumenwände, kläglich auf Versatzstücke 
gepinselt, unmögliche riesige Girlanden, die das ganze Bild 
verdecken, und nach Bedarf über die Köpfe der Darsteller 



KLARA MUSIL- 


214 





VICA ENGEI, (Der Schmuck der Madonna). 


gehoben werden müssen , ein mangelhaft funktionierender 
Speerwurf, und schließlich eine Verwandlung zur Oede, in 
der kahle Bäume dort stehen, wo es vordem kaum Büsche 
gab. Besser, weil etwas lichter, präsentiert sich die zweite 
Gralsszene, in der allerdings wieder das sichtbare elektrische 
Leitungskabel für die im heiligen Gefäß verborgene Licht- 
quelle unbedingt vermieden werden müßte. Die Regie waltete 
mit anerkennenswerter Diskretion ihres nicht sehr schwierigen 
Amtes und das Orchester unter Schalk war technisch so voll- 
kommen, wie wir es gewohnt sind. Nur hatte man den Kin- 
druck, daß manches, besonders bei den Bläsern, gedämpfter 
klingen müßte, und es che heikle Aufgabe des Kapellmeisters 
sei, den „mystischen Abgrund“, wo er fehlt, durch ein doppelt 
sorgfältiges Ab wägen der dynamischen Werte zu ersetzen, und 
hier den Schleier anzubringen, der vor dem Auge nur ärgert. 
Die Tempi waren vielfach übertrieben langsam, Bayreuth noch 
iiberbayreuthet, und die unendlichen Zwischenpausen, in mon- 
dänen Restaurants verbracht und gewiß nicht geeignet, die 
Stimmung zu wahren, taten das Uebrige, um uns den „Rekord 
der Dauer“ zu sichern. Ueberdies besitzen wir auch den 
..Rekord der Höhe“. Der Höhe der Kintrittspreisc natürlich, 
die so toll waren, als hätte Caruso den Parsifal gesungen, als 
wäre die erste Parkettreihe so entfernt, wie Bayreuth. Mit 
dieser eine Hofbühne tief entwürdigenden Geschäftspolitik hat 
der smarte Direktor schnell Fiasko gemacht, und die Agio- 
teure erlitten schwere Verluste. Der Parsifal wird kein Zug- 
stück werden, bei einem Publikum, bei dem der Zug nach 
dem goldenen Westen so stark, und ein Schuß noch immer 
der beste Knalleffekt ist. Klier noch in der ,, billigen“ Kon- 
kurrenzabteilung, in der Volksoper, über deren Aufführung 
ich demnächst referieren werde. Dr. R. S. Hoffmann. 


Aus romantischer Zeit. 

Ungedruckte Briefe, mitgeteilt von LA MARA. 

Louis Spohr an Carl Maria v. Weber *, Kapellmeister in Prag. 

Gotha, den 21 steil September [18! r 5. 
Geliebter Freund, 

Da Sie mir in Ihrem letzten Briefe nach Carolath schrieben 
daß Sie im Begriff wären auf einige Monathe zu verreisen, 
so verschob ich es bis jetzt Ihnen zu antworten; da ich nun 

' Original auf der Wiener Hofbibliothek. Der ungenannte 
Adressat ergibt sich, wie aus dem Inhalt, so aus den von 
Webers Hand vermerkten Worten: ■„erhalten. 1 * Prag 30. Sept. 
1S15, beantw. 31. Okt.“ 


aber in etwa 4 Wochen ganz aus der hiesigen Gegend scheiden 
werde, so bitte ich Sie. mir so bald wie möglich die Partituren 
vom Faust liieher unter Hru. Schade’s Adresse gefälligst zu 
schicken. Ich werde nach der Frankenhäuser Musik, die den 
1 8teu October stattfindet, noch einmal liieher zurückkehren 
und wünsche sie dann vorzufinden. 

Wie steht es bey Ihnen ? Haben Sie neue Sänger acquirirt 
und können Sie die Oper nun besetzen? Ohnerachtet ich 
nun kein Zeuge seyu könnte, so wünschte ich demohngeachtet 
sehr, daß die Oper bey Ihnen gegeben würde, da ich sie unter 
Ihrer Leitung 111 den sorgsamsten Händen weiß '. Können 
Sie die Aufführung möglich machen, so lassen Sie die Par- 
titur für Ihr Theater kopiren und ich überlasse es ganz Hrn. 
Liebich 2 (den ich von mir zu grüßen bitte) mir nach dem 
Krfolg, den die Oper haben wird, irgend ein Honorar dafür 
zu bestimmen. Zugleich bitte ich Sie, mir mit den Partituren 
auch einige Textbücher niitzuschicken, da ich kein einziges 
mehr besitze. 

Wir haben von Carolath über Warmbrunn, wo wir 8 Tage 
verweilten, Dresden, Leipzig usw. eine sehr angenehme Reise 
gemacht und in hiesiger Gegend einen vergnügten Aufenthalt 
gehabt. I.vs hat mir Freude gemacht, meine Wiener Kom- 
positionen bey Hofe und in der Stadt zu hören zu geben ; auch 
naben wir mit Romberg :l , Preisings und Schlicks * viel Musik 
privatim gemacht. — Morgen reisen wir zu meinen Eltern, 
wo wir bis zum Frankenhäuser Concert verweilen werden. 

Wie geht es Ihnen, mein geliebter Freund und was haben 
Sie neues gemacht ? Erfreuen Sic mich ja mit recht ausführ- 
lichen Nachrichten von sich und Ihren Arbeiten. 

Meine Frau grüßt Sie herzlich. 

Ewig der Ihrige 

Louis Spolir. 

Carl Maria von Weber an Joseph von Sonnleithner in Wien \ 

Wohlgebohrner Herr ! 

Es gereicht mir zum besondern Vergnügen eine' Veran- 
lassung gefunden zu haben, die mich mit einem so anerkannt 

1 „Faust“ wurde von Weber im August 1816 in Prag auf- 
gefiihrt. 

2 Theaterdirektor in Prag. 

Andreas, R., Spolirs Nachfolger als Hofkapellnieister in Gotha. 

4 Cellist in Gotha, Lehrer des Herzogs Leopold August. Seine 
Frau, geb. Strina-Sacchi, war eine bedeutende Violinspielerin. 

5 Autograph im Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde 
in Wien. Adressat Stifter der genannten Gesellschaft, auch 
zeitweise Direktor des Theaters an der Wien. 



KAKI, ZIIvGI.ER (Der Schmuck der Madonna). 



verdienstvollen Mann als E. Wohlgebohm wenigstens in 
einige nähere Berührung versetzt, und mir erlaubt die ach- 
tungsvollen Gesinnungen an den Tag zu legen, die ich schon 
längst für dieselben hege. 

Die Veranlassung besteht in folgendem Vorschlag, Antrag 
und Wunsch. 

Ich weiß, daß E. Wohlgebohren auch die Geschäfts-Leitung 
des Damen- Vereins 1 über sich haben, und daß zu Beförderung 
jener schönen Zwecke, alljährlich eine große Musik-Aufführung 
in der K. K. Reitschule veranstaltet wird. Zu letztem Behufe 
nun trage ich meine' Kantate, deren Text hierbey folgt, an *. 
Indem ich bey Gewißheit der Aufführung derselben mir ein 
Vergnügen daraus machen würde, die Partitur denen Wohl- 
that und Seegen verbreitenden Händen der Damen zu über- 
reichen und dadurch des schönen Gefühls theilhaft zu werden, 
auch das Meinige der leidenden Menschheit beygetragen zu 
haben. 

Das Ganze dauert 3 Viertelstunden, 

Haben E. Wohlgebohm noch keine andern Bestimmungen 

f etroffen für diesen Herbst, so werde ich denenselben einen 
leinen Aufsaz, der meine Ansicht bey Composition dieser 
Cantate ausspricht, zusenden, und die Part, später folgen 
lassen. 

Es ist allerdings einer meiner liebsten Wünsche dieses Werk 
von den trefflichen Musik-Legionen Wiens 
aufgeführt zu wissen, und ich würde vielleicht selbst nach 
Wien kommen, um die Leitung des Ganzen zu übernehmen. 
Doch hängt das erst von den vorläufigen Bestimmungen 
E. Wohlgebohren ab, um deren gütige Mittheilung ich baldigst 
bitte, •. t 

Genehmigen Hochdieselben die Gesinnung der vollkom- 
mensten^ Achtung, mit der ich die Ehre habe zu seyn 
E> Wohlgebohren 

ergebener Diener 
Carl Maria von Weber. 

Direktor der Oper und Kapell-Mstr. der 
Königl. böhm. Stand. Theater zu Prag. 
Prag d. 17. Aprill 1816. 

Carl Maria von Weber an Legationsrat W. Gerhard in Leipzig 8 « 

Ew. Wohlgebohren 

So gütig und schmeichelhaft mich berührende Zuschrift 
vom 27. Febr. habe ich am 5. März zu erhalten die Ehre ge- 
habt und danke Hochdemselben hiermit auf’s verbindlichste 
für die beigelegten Erzeugnisse Ihres schönen Talentes. Möchte 
es der Andrang von Arbeiten und Geschäften, die in diesem 
Augenblicke und die nächsten Monate auf mir lasten, erlauben, 
Ihrem Verlangen genüge leisten zu können; aber leider kann 
ich dies kaum halb, nehmlich unbestimmt, ob in so kurzer 
Frist, wie es Ihnen noth wendig ist, mir der Himmel einen 
günstigen freien Augenblick schenkt, den ich mit Erfolg 
dieser Arbeit widmen kann. Sie als Dichter wissen selbst 
am besten, wie wenig der Geist sich Zeitfesseln anlegen läßt. 

Daß der frühere Abdruck componirter Lieder der späteren 
Herausgabe keinen Schaden thue, ist ein Punkt, den, meiner 
Erfahrung zu Folge, die Verleger mit andern Augen betrachten, 
doch wäre dies kein Hindemiß für meinen Wunsch Ihnen 
zu beweisen, wie sehr ich Ihr Vertrauen und Ihre Schöpfungen 
zu ehren weiß. 

In den Osterfeyertagen werde ich selbst in Leipzig ein treffen 
und behalte mir da vor, Ihnen persönlich meine Achtung zu 
bezeigen und weiter über diesen Gegenstand zu sprechen. 
Bis dahin genehmigen Sie mit wiederholtem Dank die Ge- 
sinnung der vorzüglichen Achtung, mit welcher ich zu sein 
die Ehre habe 

Ew. Wohlgebohren 

anz ergebenster 
M. von Weber. 

Dresden d. 6. März 1817. 

Carl Maria von Weber an Joseph von Sonnleithner 
Wohlgebohren, 

Geehrtester Herr und Freund! 

Fast muß ich Ihren freundlichen Brief mit einem zürnenden 
Anfang erwiedem. Das Andenken eines Mannes wie Sie 
kann nicht so leicht meinem Gedächtniß entführt werden; 
besonders wenn Er selbst es jederzeit durch sein Wirken 
für die Kunst so lebendig zu erhalten weiß wie Sie. 

Ihre mich • so ehrende Aufforderung erwiedere ich 'durch 

* Ein von Frauen des Adels gegründeter Wohltätigkeitsverein. 
* „Kampf und Sieg.“ 

8 Autograph im Besitz von Herrn Verlagsbuchhändler 
Raimund Gerhard in Leipzig. — Adressat als lieber setzer 
serbischer Gedichte von Goethe belobt, als Dichter volks- 
tümlicher Lieder bekannt. 

* Autograph im Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde 
in Wien. 


Uebersendung des Textes der Jubel-Kantate l . Sie werden 
daraus ersehen, daß der Stoff allerdings hier in Dresden ihr 
Theilnahme versicherte. Dasselbe kann ich schwerlich aus- 
wärts hoffen; es sey denn, daß ein ganz ähnliches Interesse 
wieder in sie gelegt werde. Ebenso ist die Musik dazu nur 
recht aus dem Herzen empfunden und macht gar keine An- 
sprüche auf tiefe Gelehrsamkeit und Entwicklung musikalisch 
künstlicher Verflechtung und Ausarbeitung. Sie währt ohn- 
gefähr •/« Stunden. Ich stelle es nun ganz Ihrem Ermessen 
anheim, ob Sie nach alle diesem dem Werke noch Erfolg 
Zutrauen können. Es ist natürlich daß ich eine billige Scheu 
vor allem hege, was die mir so freundlich geschenkte Günst 
des Publikums gefährden könnte; und es ist wohl besser mir 
selbst zu mißtrauen, als der Nachsicht desselben zu viel zn- 
zumuthen. 

Haben Sie die Güte mir umgehend recht offenherzig den 
Entschluß der verehrten Gesellschaft mitzutheilen. An 
meiner Bereitwilligkeit, Ihr und Ihnen meine Achtung zu 
beweisen, soll es nicht fehlen. 

Der ich die Ehre habe mit ausgezeichneter Achtung zu seyn 

Ihr gehorsamster Diener 
C. M. von Weber. 

Dresden d. n. Januar 1822. 

Carl Maria von Weber an Hofrat J. P. Schmidt in Berlin 

Sind Sie wirklich, mein theurer Freund, noch eine der 
harmlosen Seelen, die einem Zeitungsartikel glaubt? Wenn 
ich Ihnen nun sage, daß der wahrscheinliche Verfasser jenes 
Artikels ein Komponist ist, dessen kleine Oper kurz 
vor der Ihrigen aufs eklatanteste durchfiel und sie 
d o c h in der besagten Zeitung in die Wolken erhoben wurde, 
zu großem Gelächter und auch Indignation von ganz 
Dresden ? ? 

Ihr „Abend in M.[adrid]“ hat keineswegs mißfallen. Die 
Besezzung war so gut, als wir sie haben, und mit denselben 
Künstlern, mit denen wir Mozartsche, Winter sehe, 
Mehulsche, Cherubinische Opera, Freyschütz und Euryanthe 
geben. Die Darstellung war rund und präzis. Große Erfolge 
aber herbeizuführen eignet sich das anspruchslose Werk nicht. 
Nur eingetretene Umstände haben die Wiederholung ver- 
hindert, und sie wird so gewiß bald wieder gegeben als 
der Apfeldieb nie wieder. 

Den Vorwurf der Komponisten-Eitelkeit muß ich Ihnen 
auch machen, mein lieber alter Freund, daß Sie mich nicht 
von dem Streichen der Serenade in Kenntniß setzten. Sie 
wissen, wie strenge ich daran halte, den Komponisten nicht 
willkührlich zu verstümmeln. Die nächste Aufführung sieht 
aber die Serenade verkürzt, und Hofrath Winkler hat auch 
etwas Dialog für die handelnden Personen dazu geschrieben. 

Ich wünschte Ihnen, allen Komponisten und be- 
sonders auch mir die Theilnahme, Achtung und Sorgfalt, 
die hier der Kunst und allen Aufführungen gewidmet wird, 
und es möchte dann wohl besser in der Welt um Kunst und 
Künstler stehen. 

Der Himmel erhalte Sie froh und gesund, und glauben Sie 
mit alter herzlicher Freundschaft Ihnen zugethan 

Ihren 

Dresden d. 9. Juny 1825. C. M. von Weber. 

Carl Maria von Weber an den Harfenmacher Stumpf in London. 

London, 11. Mai 1826. 

Welch großes Vergnügen haben Sie mir gemacht, mein 
werther Herr u. Freund, durch Ihre geist- u. gemüthvollen 
Verse u. Ihr freundliches Geschenk. Empfangen Sie meinen 
besten u. herzlichsten Dank dafür. 

Gewiß ist es der schönste Lohn des Künstlers, sich von 
rein empfindenden Menschen erkannt und verstanden zu 
wissen. Mögen Ihre guten Wünsche in Erfüllung gehen und 
ich bald wieder die Meinigen umarmen 8 ! Gedenken Sie auch 
noch in der Feme freundlichst Ihres herzlichst dankbaren 
u. Ihnen ergebenen Freundes 

Carl Maria von Weber. 

London, 11. Mai 1826. 

Moritz Hauptmann an Dr. jur. Otto Bähr in Kassel 4 . 

Leipzig d. 2. Jun. 1842. 

Lieber Herr Bähr, Frau Professor Wolf sagte mir bei meiner 
Abreise von Cassel, daß Sie etwas von meiner Musikhand- 

1 Zum 50jährigen Regierungsjubiläum Friedrich Augusts I. 
von Sachsen 1818 auf Text von F. Kind geschrieben; doch 
wurde ihre Aufführung damals zu Webers Kränkung abgelehnt. 

* Autograph in der K. Bibliothek zu Berlin. 

8 Schon am 5. Juni war Weber nicht mehr unter den 
Lebenden. 

* Autograph dieses und des folgenden Briefes im Besitz 
von Herrn Dr. med. Emst Hauptmann in Kassel. — Adressat 
Reichsgerichtsrat a. D., Verfasser von „Das Tonsystem unserer 
Musik 1 ” (Leipzig, Brockhaus). 


216 



Schrift gewünscht hätten. Das ist sehr freundlich von Dinen 
und ich würde mit Vergnügen etwas zurückgelassen haben, 
wenn nicht damals schon alles hieher abgeschickt gewesen 
wäre. Ein paar bedeutungslose Noten aufzuschreiben hatte 
ich keine Lust, und zu etwas Zusammenhängendem wollte 
sich die Muße nicht mehr finden. Hierbei folgt etwas, das 
freilich nicht viel mehr ist als eine Phrase, und ich schicke 
es Ihnen nur, um nicht etwas Bekanntes abschreiben zu müssen : 
ein eiligst zu einer Silberhochzeit gemachtes Lied. 

Ich komme aber heute noch mit einer andern angelegentlichen 
Anfrage und Bitte. Ich muß von Neujahr an die Redaction 
der Allgem. Musikalischen Zeitung übernehmen. Es heißt 
zwar, kein Mensch muß müssen, aber die Weigerungsgründe 
wollten nicht mehr ausreichen seit ich hier an Ort und Stelle 
bin. Nun kann ich aber für die Zeitung gar wenig thun, wenn 
ich nicht Andere dazu veranlassen kann, die etwas Förder- 
liches vermögen, Leute die das Gefühl und den Verstand 
dazu beisammen haben; deren giebt es aber für musikalische 
Schriftstellerei eben nicht viel, und die Wenigen müssen 
einem bedrängten Redacteur eben um so mehr am Herzen 
liegen. Es fehlt nicht an Manuscript, ich habe bei der Ueber - 
nähme einen Stoß Sachen mitbekommen, der wohl io Stück 
füllen könnte^ aber es ist langweiliges Zeug, das ich kaum 
ansehen würde, wenn ichs nicht gelesen haben müßte. Es 
fehlt an freien Aufsätzen und an interessanten Berichten; 
zu letzteren gehört nicht immer, daß der Stoff sehr reich sei, 
der Inhalt kann es doch sein, und so könnte ers auch von Cassel 
aus sein, wenn Sie sich vielleicht entschließen könnten uns 
von Zeit zu Zeit etwas über dortige Musikalische Vorfälle 
mitzutheilen. Ich weiß niemand, von dem ich es lieber erhielt. 
Die Anfrage geschieht ganz eigentlich unter vier Augen, zwei 
schreibende u. zwei lesende. Wie ich Sie auch bitten möchte 
niemand davon zu sagen, wenn Sie keine Lust oder Zeit zu 
dieser Sache haben, damit ich mich an einen Andern wenden 
kann, ohne daß er sich als einen Zweiten fühlt. Einen sehr 
willigen Correspondenten würde ich in K. finden, aber da 
heißt es bei Goethe: getretner Quark wird breit, nicht stark — 
Es kommt hier gerade, wo die Evenements nicht so bedeutend 
sind, auf interessante Auffassung an. Der letzte Bericht aus 
Cassel, wie Sie vielleicht wissen von Dr. L. (der nicht einmal 
in Cassel ist), ward zurückgeschickt, weil er zu langweilig 
u. unbedeutend war u. Nachrichten von 1841 nachträglich 
brachte, die kaum damals der Mühe werth waren zu bringen. 

Erfreuen Sie mich mit einer baldigen Antwort u. behalten 
Sie in gutem Andenken 

Ihren ergebensten 

M. Hauptmann. 

Ich sehe eben daß bei den andern Strophen des Silber- 
hochzeit-Liedes der Text sehr künstlich untergelegt werden 
mußte, damit es natürlich schien. Der Notensenreiber würde 
es nicht treffen. Wenn es ja sollte gesungen werden, müßten 
Sie sich der^ Sache ein wenig anzunehmen die - Güte^haben. 

Moritz Hauptmann an ~Dr. Bähr. 

Verehrter Herr Bähr! 

Ihre Lieder haben mich doppelt erfreut, Terstens weü sie 
mir ganz vorzüglich gut gefallen, und dann, weil deren Zu- 
sendung mir ein Zeichen Ihres freundlichen Andenkens war. 
Sie sind aber recht wie von einem Componisten, der ganz im 
Zuge ist, nicht wie von einem, der lange Zeit gefeiert hat, 
und vom Obergerichts-Rath keine Spur, wenn man nicht 
das überall streng Rechte dafür nehmen will. Gesang, Be- 
gleitung, Harmonie u. die ganze Führung, alles scheint sich 
zusammen u. von selbst gemacht zu haben; und so ists recht, 
wenn man den Componisten in der Composition nicht sitzen 
u. schwitzen sieht, wenn sie sich ganz ablöst von ihm. Gern 
möchte ich auch über die einzelnen Lieder, u. welche mir 
am Besten gefallen, meine Meinung sagen; sie sind aber, 
nachdem ich sie hier mit meiner Frau gleich nach dem Empfang 
durchgesungen , zu Freund Trefftz 1 (der sich Ihnen allerbestens 
empfiehlt) gewandert und mit diesem bin ich in der letzten 
Zeit nicht musikalisch zusammen gekommen. Die Lieder 
werden ihm vorzüglich gut in der Stimme liegen u. er wird 
sie auch ganz gut singen, wir werden im nächsten Singe- 
kränzchen davon hören; dann sollen Sie mit meiner Kritik 
auch die des Kränzchen-Publikums vernehmen. Ihnen vor- 
läufig für die Zusendung zu danken habe ich aber nicht länger 
aufschieben wollen, wenn es auch nach genug langer Zeit in 
diesem Augenblick sehr eilig geschieht. 

Empfehlen Sie mich allerbestens Ihrer verehrten Frau, 
der auch meine Frau so wie Ihnen die schönsten Grüße sagen 
läßt. Lassen Sie die aufgegrabene Quelle sich nicht wieder 
verschütten: Sie müssen sich ja selbst Freude machen mit 
so hübschen Sachen und Andern machen Sie auch welche. 

Mit freundlichstem Gruß 

Ihr ganz ergebenster 

M. Hauptmann. 

Leipzig d. 18. März 1851. 


1 Vortrefflicher Dilettant, Bariton in Leipzig. 


Heinrich Marschner an Legationsrat W. Gerhard in Leipzig *. 

Hannover am 18. July 1831. 

Mein theurer Freund! 

Hab’ ich Dir auch seit meiner Abreise noch nichts ge- 
schrieben, so hab' ich doch oft Deiner und Deiner lieben Fa- 
milie, in freundlicher Erinnerung all der mit ihr verlebten 
angenehmen Stunden, herzlich gedacht, wie Dir auch eine 
nächstens bei Kistner erscheinende Sammlung Männergesänge, 
die ich mir die Freiheit genommen, Dir zuzueignen, 
beweisen soll. Es sind darin nur Gedichte von Dir u. W. Müller 
componirt u. sollen Dir, wie ich hoffe, auch nicht mißfallen. 
Herr Fr. Kistner wird Dir selbst das Zueignungsexemplar 
überreichen. Nimm es freundlich auf, u. laß Dich’s bisweilen 
an mich erinnern. 

Unser Aufenthalt in Hannover ist so angenehm als möglich. 
Die Anhänglichkeit des mir untergebenen Personals, sowie 
die lebhafte Anerkennung meiner bisherigen Leistungen von 
Seiten des Hofes wie des Publicums tragen natürlich viel 
dazu bei. Nur etwas zu wenig Zeit bleibt mir für meine Com- 
positionen, da mein Musikdirektor Ganzert mich nicht so 
unterstützen kann, wie ich es wohl erwartet habe. Allein 
die Ferien vom 15. Juny bis Ende August machen in dieser 
Hinsicht doch vieles wieder gut und so bin ich in dieser Zeit 
denn auch ein gut Stück vorwärts in meiner neuesten Oper 
gekommen * . . . 

Aus öffentlichen Blättern von Deiner jetzigen Thätigkeit 
zum Wohle Deiner Mitbürger wohl unterrichtet, hoff ich auch, 
Du werdest nun auch trachten, Leipzigs Kunsttempel wieder 
zu jenem früheren Glanze zu verhelfen, der durch die jetzige 
gräuliche Hofwirthschaft leider so sehr verdunkelt worden 
ist. Ob aber Eure Wahl des Herrn Ringelhardt zum künftigen 
Director glücklich genannt werden darf, bezweifle ich. Er 
ist nicht ohne Verstand, aber ohne Mittel, u. wird lediglich 
nur nach Vortheil trachten, worin schon der Keim zu künf- 
tigem Misere liegt. Ich wünsche aus Anhänglichkeit u. Liebe 
zu Leipzig, daß die Zukunft mich zum Lügenpropheten mache, 
aber ich zweifle daran. Schlechter als es jetzt ist, namentlich 
hinsichtlich der Oper kann es freilich kaum werden, denn 
eine Sängerin wird er doch wohl stellen u. auf diese Art 
brillanter dastehen, als die jetage Direction, die Gottlob! 
nunmehr gar keine mehr hat. Es ist erschrecklich! Unter 
solchen Umständen muß ich mm freilich auf das Vergnügen 
verzichten, in Leipzig meine neuesten Werke zu Gehör zu 
bringen, so sehnlich ich auch das wünsche! 

Schließlich erlaube ich mir noch. Dir den Ueberbringer 
dieses Briefes, meinen Vetter Eduard Marschner als einen 
sehr lieben, bescheidnen jungen Menschen zu empfehlen. 
Er Studirt jura, u. ist auch sehr musicalisch. In der Musik 
mm wünscht er Unterricht zu geben, u. da er gewiß billiger 
als jeder andre Musiklehrer in L. sein wird, so hoffe ich, daß 
er z. B. von Dir empfohlen, gewiß bald die gewünschte Be- 
schäftigung finden wird, die Ihm theilweise die Mittel zum 
studiren geben soll. Da Du selbst Kinder hast, u. sie gewiß 
auch in Musik unterrichten läßt, so könntest Du vielleicht 
selbst, mir zu Liebe, mit ihm einen Versuch machen. Thue 
es, u. sei meiner immerwährenden Dankbarkeit dafür ver- 
sichert. Uebrigens glaube ich bei Deiner Denkungsweise 
u. Deinem Gefühle nicht erst Ursache zu haben. Dich dieser 
Empfehlung wegen um Entschuldigung zu bitten. Ich danke 
Dir im voraus für Alles, was Du für meinen Vetter thust. 

In der Hoffnung, daß Du Dich nebst Deiner liebenswürdigen 
Gattin ebensowohl befindest als wir Alle, bitt ich Dich noch 
Deiner guten Frau die herzlichsten Grüße der meinigen zu 
bringen, Freund Hasper freundliclist zu grüßen, u. versichert 
zu sein, daß ich stets sein u. bleiben werde 

Dein 

Dir stets freundschaftlichst ergebner 
H. Marschner. 

Karl Gottlieb ReiBlger an Baron Lüttichau, Intendanten des 
Hoftheaters zu Dresden \ 

[Eingeg. 4 - Juli 1848.] 

Ew. Excellenz! 

Mein Kollege H. Wagner hat mir in einem langen Briefe 
auseinandergesetzt, daß es ihm jetzt unmöglich sey, schon 
in sein Amt einzutreten. Zugleich bittet er mich, bei Ew. 
Excellenz die Entschuldigung seines heutigen Außenbleibens 
zu übernehmen, und in der Urlaubsangelegenheit um einen 
entscheidenden aufopferungsvollen Entschluß und um günstige 
Bevorwortung bei Ew. Excellenz. Er schreibt mir, daß. er 
in jeder Hinsicht noch als todtkrank und wund zu betrachten 
sei, und erst, wenn er in vielem und manchem beruhigter 
seyn werde, mit Ew. Excellenz sprechen könne. 

Wenn nun mein Kollege, wie er sich ausdrückt, nur in 
Gottes freier schöner Natur, fern vom Weltgewühl, geistig 

1 Original im Besitz von Herrn Raimund Gerhard in Leipzig. 

* Wohl „Hans Helling“, 24. Mai 1833 zuerst aufgefuhrt. 

* Autograph im Archiv des Königl. Hortheaters in Dresden. 

217 



und körperlich gesunden kann und nur durch die Verlängerung 
des Urlaubs Heilung möglich ist, so „darf ich Ew. Excellenz 
nicht länger um Vorenthaltung seines erbetenen Urlaubs 
angehn.“ 

Möge er in zwiefacher Hinsicht gesunden. Da ich minder 
krank als W. bin, so ist es meine Pflicht, unter diesen Um- 
ständen von meiner eignen Kur abzustehn und eine Besserung 
meiner Lage einer günstigeren Zeit zu überlassen. 

Wenn daher H. M.D. Rockel von Ew. Excellenz angewiesen 
wird, mich namentlich bei den vielen Klavierproben zu alten 
und neueinzustudirenden Opern, die jetzt Vorkommen, kräftig 
zu unterstützen, so daß ich diese Dienste nicht als ein don 

f ratuit von ihm anzunehmen habe, so hoffe ich mit Gott 
urchzukommen. Die oft vorkommende Unzufriedenheit der 
Sänger bei Uebemahme von Proben Seiten Rockels würde 
wohl durch die Umstände und vielleicht noch mehr durch 
eine Ueberwachung der Proben Seitens der Regie aufzuheben 
seyn. 

Da ich Oberonprobe habe, so mußte ich Ew. Excellenz mit 
diesem Schreiben belästigen. 

Ew. Excellenz 

treugehorsamster 
C. G. Reißiger. 


Julius Benedict an Moritz Hauptmann in Dresden *. 

Berlin, 19. Juni 1821. 

Caro Hauptmannio! 


Webers Oper * hat nach Verdienst, den ungeheuersten Beifall 
erhalten. Ich wage zu behaupten, daß noch keine Oper einen 
so herrlichen Succeß hatte, keine ihn aber auch mehr verdiente. 
Weber wurde einstimmig gerufen, mit Kränzen, Gedichten etc. 
von allen Seiten überschüttet, und genoß gewiß diesen Abend 
die Früchte seiner Bemühungen um das Wohl und Beste 
der Deutschen Kunst in hohem Grade. Was ich aber für 
meine Person der Wahrheit gemäß versichern kann, ist daß 
ich diesen Abend so glücklich war, als wäre mir das Alles 
selbst begegnet. Nach der Oper war ein fröhliches Abend- 
essen bei Tagor, wobei und woran Theil nahmen Weber und 
Frau, Dichtens tein (Professor) und Frau, Gubitz (Gesell- 
schafter) und Frau Hellwig aus Dresden, Hellwig aus Berlin, 
Heinrich Beer und Frau, nebst Schwestern, Kammergerichts- 
rath Hoffmann *, Instrumentenmacher Kieting, Professor 
Spieker und Frau, noch andere mir unbekannte, und der 
Ich! Webers neues Concert* ist fix und fertig. Nächsten 
Montag, d. 25. giebt er im neuen Concertsaale eine große 
Academie. Morgen den 20. und Freitag den 22. dirigirt Weber 
seine Oper noch. 'Da ich aber aus Faulheit meine Feder nicht 
weiter dirigiren kann, schließe ich, in der Hoffnung, Sie binnen 
eines Jahres, oder binnen einigen Wochen wieder zu sehen. 

Ihr 


Siebenkäs-Leibgeber •. 

Grüße an Francesco — nicht Morlacchi — Ihrer werthen 
Familie meine besten Empfehlungen. 

Der Mann mit • grüßt bestens. 

Lesen Sie um Himmelswillen Jean Pauls Comet. Göthes 
Wilhelm Meisters Wanderjahre und Kotzebues Nachlaß. 


Ferdinand David an Moritz Hauptmann ln Leipzig 1 * * * * 6 7 . 

Mein lieber Hauptmann, 

Sie haben mir durch Ihre herrliche Beurtheilung meiner 
Violinschule eine herzinnige Freude bereitet. Ich kann Sie 
versichern daß keine Art von Erfolg mir eine so große hätte 
machen können. Daß meine mühevolle Arbeit den Beifall 
der besten unter den lebenden Musikern sich erworben, macht 
mich stolz und soll mir ein neuer Sporn sein mich dieser An- 
erkennung würdig zu beweisen. Ich könnte nun bescheiden 
sein und vieles auf Rechnung Ihrer mir immer bewiesenen 
Güte und Freundschaft setzen; ich will mir aber die Freude 
nicht schmälern und annehmen, daß Sie nur das Werk und 
nicht den befreundeten Schüler im Auge gehabt haben. Noch- 
mals: tausend Dank. 

In wahrer Verehrung und Freundschaft 

Ihr 

Ferdinand David. 

Leipzig d. 14. Nov. 1863. 

1 Autograph im Besitz von Herrn Dr. med. Emst Haupt- 

mann in Cassel. — Adressat (1804 — 85) Komponist, als Kapell- 
meister lange in London tätig. Schüler Webers. 

* Der „Freischütz“, der am 18. Juni 1821 in Berlin seine 
erste Aufführung erlebte, zu der Benedict, als Webers Schüler, 
den Komponisten begleitete. 

* E. T. A. Hoffmann. 

* Das Konzertstück fmoll wurde am Tag der Aufführung 
des „Freischütz“ beendet. 

6 Reminiszenzen aus der Lektüre Jean Pauls. 

* Hier ist eine Hand mit sechs Fingern gezeichnet. 

7 Autograph im Besitz von Herrn Dr. med. Hauptmann 
in Kassef 


Hermann Zilcher und sein großes 
Chorwerk „Die Liebesmesse“. 

I n Straßburg hat, wie schon kurz gemeldet, unlängst unter 
Hans Pfitzners Leitung die Uraufführung eines neuen Chor- 
werkes stattgefunden, das sofort die Aufmerksamkeit wei- 
terer Musikkreise auf sich gezogen hat. Nun kommt auch 
noch die Nachricht, daß die „Liebesmesse“ in Straßburg im 
April wiederholt werden soll! Das ist ein außergewöhn- 
licher Erfolg, wie er zurzeit nur selten einem Komponisten 
beschieden ist. Der Name Zilcher ist den Lesern der „Neuen 
Musik-Zeitung“ nicht unbekannt. Vom Vater Paul haben wir 
reizende kleinere Klavierkompositionen veröffentlicht (die 
auch später im Verlag von Carl Grüninger erschienen) und 
vom Sohn Hermann brachten wir u. a. ein sehr feines, stim- 
mungsvolles Charakterstück für Kavier „Abend im Dorfe“ 
(Heft 4 des vorigen Jahrgangs). Vater und Sohn repräsen- 
tieren in ihren Kompositionen die ältere und die neuere 
Epoche. Heute wollen wir uns nun mit dem zweifellos sehr 
begabten Musiker Hermann Zilcher und seinem neuesten 
Werke etwas näher beschäftigen. Er wurde geboren am 
18. August 1881 zu Frankfurt a. M. Seinen ersten Unterricht 
erhielt er beim Vater, dann im Hochschen Konservatorium 
bei James Kwast, Bernhard Scholz und Iwan Knorr. Mit 
kaum 20 Jahren hatte Zilcher bereits den Mozart-Preis für 
Kompositionen errungen und er ging im Oktober desselben 
Jahres (1901) nach Berlin, von wo aus er verschiedene Kon- 
zertreisen nach Amerika, Spanien, Skandinavien etc. mit 
Petschnikoff, v. Vecsey etc. unternahm und sich als Pianist 
einen Namen zu machen begann. 1905 wurde er als Lehrer 
an das Hochsche Konservatorium in Frankfurt berufen und 
kam im Herbst 1908 durch Mottl als Lehrer an die Königl. 
Akademie der Tonkunst nach München. Hermann Zilcher 
ist dort (als Nachfolger von Professor Heinrich Schwartz) 
Dirigent des „Neuen Orchestervereins“, außerdem betätigte 
er sich auch sonst als Orchesterdirigent, dann als ganz her- 
vorragender Begleiter von Julia Culp, Ludwig Wüllner, Lula 
Gmeiner u. a. 

Zilchers Kompositionen sind: eine Orchestersuite, Humo- 
resken für Kavier, Lieder, Skizzen aus dem Orient für Solo- 
violine und Orchester, das Chorwerk „Reinhart“, eine Violin- 
sonate, ein Violoncellkonzert, Konzert für zwei Violinen, 
Konzert für eine Violine. Konzert für Klavier und Orchester, 
Traumspiel „Fitzebutze“, Text von Richard Dehmel (wurde 
einige Male unzulänglich in Mannheim anfgeführt, verschwand 
jedoch vom Spielplan, da, wie es seinerzeit hieß, „Pantomimen 
nicht mehr dem Geschmack der Zeit entsprächen“), ferner 
zwei Symphonien in Adur und fmoll, „Nacht und Morgen“ 
für zwei Klaviere und Streichorchester, Dehmel-Zyklus, „Die 
Liebesmesse“, großes Chorwerk in drei Teilen, Text von Will 
Vesper, und sein neuestes: „Hölderlin“, symphonischer Zyklus 
für Tenor und. Orchester, das seine Uraufführung in Dresden 
und München erleben wird. 

Die Kompositionen von Professor Hermann Zilcher sind 
zum Teil erschienen bei Andr6e, Simrock, Breitkopf & Härtel, 
Ries & Er ler und Wunder homverlag. 

Nach diesen kurzen orientierenden Mitteilungen, die von 
der Fruchtbarkeit (ein untrügliches Zeichen schöpferischer 
Begabung) und der Vielseitigkeit des Komponisten Zeugnis 
ablegen, geben wir unserem Straßburger Referenten das Wort: 
H. Zilcher ist in der Musikwelt schon durch eine Reihe 
größerer und kleinerer Werke (Lieder usw.) bekannt geworden. 
Es ist das Verdienst von Pfttzner, eine abendfüllende Schö- 
pfung dieses Musikers kürzlich aus der Taufe gehoben zu 
naben. Der Titel „Liebesmesse“ ist nicht sehr glücklich ge- 
wählt, da die Liebe nicht den ausschließlichen Inhalt bildet ; 
auch hat die Benutzung des kirchlichen Ausdrucks für die 
teilweise recht freigeistige Dichtung in manchen Kreisen An- 
stoß erregt. Der Text stammt von Will Vesper, ist gedanken- 
reich und geschickt aufgebaut, unterscheidet sich auch durch 
edle, mitunter an Goethe und Hölderlin erinnernde Sprache 
vorteilhaft von ähnlichen Librettos. Er zerfällt in drei Teüe, 
für die die Beziehung zur „Liebe“ durch je einen einleitenden 
Absatz aus dem bekannten Liebeshymnus des Korintherbriefs 
hergestellt wird. Der erste Abschnitt ist bezeichnet: „Mann 
und Weib“, schildert zunächst in Chorsätzen das Erwachen 
zarter Sehnsucht bei Jünglingen und Mädchen, aus denen sich 
ein Liebespaar (Alt und Tenor) heraushebt. Dem fröhlichen 
Reigen der Jugend wird gegenübergestellt ein liebendes Ehe- 

! >aar, das die Freude über das Kind zum Ausdruck bringt 
Wiegenlied). In den heiteren Sang der Knder klingt die 
Klageweise der Mutter über den Tod ihres Lieblings. Doch 
das Leben schreitet weiter, die Jugend entrinnt der elterlichen 
Sorge, stürmt zur See, begleitet von der Trauer der Zurück- 
bleibenden, und dem göttlichen Schutz empfohlen. Dieser 
von Liebe getragenen Entwicklung der jungen Generation 
folgt nun als zweiter Teil — „Gott“ betitelt — die Ausmalung 
der Liebe zu und von dem höchsten Wesen („Gott ist die 
Liebe“), in ihrer Inkarnation durch die verschiedenen Zeitalter: 


218 



Furcht und Grauen bei, den Urmenschen, die ein Prophet 
tröstend auf die siegreiche Macht der Sonne hinweist (groß 
angelegter Sonnenhymnus). Den Kontrast zu dem Fanatis- 
mus der „gottgefälligen“ Menschenopfer bietet der frohe 
Götterhimmel der Griechen (Soloquartett). Die Juden feiern 
Jehovah als Rächer der Abtrünnigen, ihre Frauen zittern vor 
seinem Zorn und verlangen nach dem Erlöser. Ein Knaben- 
chor besingt die Geburt Christi in altkirchlichem Stil, Mönch 
und Nonne versinnbildlichen den Katholizismus, und in den 
Chor der Protestanten tönt als Trompeten-cantus-firmus „Ein’ 
feste Burg“! Ein Seher prophezeit aas Ende der Götter und 
die Religion der irdischen Glückseligkeit („Monismus“). — 
Der dritte Teil knüpft an den ersten an. Der gereifte Mann 
will sich vor den Enttäuschungen des Daseins in die Berg- 
einsamkeit flüchten. Doch eine innere Stimme ruft ihn ins 
Leben zurück, preist dessen Schönheiten und die Befriedigung 
durch die Arbeit. Wanderergesang feiert das ländliche Leben, 
durch Schnitter und Schnitterinnen verkörpert. Es melden 
sich die „Gewaltigen“ (die Herren 
der Industrie) und die „Geknech-' 
teten“, die schließlich zur Revo- 
lution getrieben werden (Marseil- 
laise!). Doch die „innere Stimme“ 
verkündet die allgemeine Men- 
schenliebe, der nun als Symbol 
ein Tempel gebaut werden soll. 

Alle Stände tragen in Tat und 
Wort dazu bei. Kunst und Philo- 
sophie weisen den Menschen auf 
die höchsten Ziele (hier ist sogar die 
Eroberung der Luft einbezogen!). 

Mit einem gewaltigen Schlußchor, 
dem Preise der Mutter Erde, die 
alles liebend umfängt und selbst 
zur Liebe mahnt, küngt das — 
etwa 3 Stunden in Anspruch neh- 
mende — Werk aus. — Wie man 
ersieht, bietet der Text einen völ- 
ligen Mikrokosmus dar, alle Höhen 
und Tiefen des Lebens umfassend, 
wechselvolle Situationen und Lei- 
denschaften darbietend. 

Daß ein solcher Stoff mit sei- 
nen mannigfachen Gefühlsäuße- 
rungen und Kontrasten dem Mu- 
siker reiche Gelegenheit zum Ziehen 
aller künstlerischen Register bie- 
tet, liegt auf der Hand, und man 
darf Zilcher das Zeugnis ausstel- 
len, daß er die dann ruhenden 
Möglichkeiten mit Geschick aus- 
genutzt hat. Er steht, nament- 
lich was Harmonik und Behand- 
lung des Orchesters betrifft, durch- 
aus auf modernem Standpunkt, 
hält jedoch an den Grundlagen 
jeder wahren Musik, der Melodik 
und dem formgerechten Aufbau, 
fest, wenn er auch in freier Weise 
damit schaltet. Mit besonderer 
Sorgfalt sind die Chöre behandelt, 
denen sich auch ein Knabenchor 
gesellt; dieser ist allerdings manch- 
mal etwas zu hoch geschrieben 
(stellenweise über dem Chorsopran!). Das Orchester zeichnet 
sich durch reiche und charakteristische Tonsprache aus, (die 
auch vor herben Dissonanzen nicht zurückschreckt, gegenüber 
den Soü jedoch hie und da etwas zu dickflüssig erscheint. 
An manchen Stellen erheben sich die Ensembles, von der Orgel 
unterstützt, zu glänzender Wirkung. So darf das Werk wohl 
als eine Bereicherung der neueren Oratorienliteratur angesehen 
werden und wird den warmen Erfolg, den ihm das. Straßburger 
Publikum bereitete, wohl auch an andern Stätten finden 
können. — Die Aufführung wußte dem Werke trotz mancher 
Schwierigkeiten trefflich gerecht zu werden. Pfitzner hatte 
für das Gelingen seihe ganze künstlerische Persönlichkeit ein- 
gesetzt und brachte namentlich das Orchesterkolorit wirksam 
zum Leuchten. Die von Prof. Münch — der auch den Orgel- 
part versah — vorbereiteten Chöre (darunter ein Knabenchor) 
leisteten recht Ansprechendes, obwohl ihre Stärke an den 
Kraftstellen nicht immer ausreichte (besonders war der Tenor 
zu schwach), und auch die Soli lagen in bewährten Händen: 
Mientje Lauprecht- van Lammen (Sopran), Margarete Allmann- 
Kuntz (Alt), H. Hofmüller (Tenor) — die beiden letzten von 
hier — , H. Vaterhaus und A. Sistermans (Baß). Sie alle 
brachten — in Einzel-, Zwiegesängen und Ensembles — das 
Wesentliche ihrer Aufgaben tonschön und ausdrucksvoll zur 
Wiedergabe. Einige Striche erwiesen sich bei der Ausdehnung 
des Werkes als unvermeidlich. — Das zahlreich den Sänger- 
haussaal füllende Publikum kargte nicht mit Applaus, Her- 
vorrufen und Lorbeer für den Komponisten. Dr. 6. Altmann. 



HERMANN 
Photogr. Jos. Paul 


Kritische Rundschau. 

Berlin. Unter all den bekannten Dirigenten einmal ein hier 
noch ungewohntes Gesicht zu sehen, ist durchaus angenehm, 
besonders wenn es ein so markantes ist wie das des Stutt- 
garter Generalmusikdirektors Max von Schillings. Es ist das 
erstemal gewesen, daß dieser hervorragende Künstler in Berlin 
ein ganzes Konzert dirigiert hat. Der Gesamteindruck der 
Veranstaltung war äußerst erfreulich. Das Programm enthielt 
Beethovens c moll-Symphonie. die Symphonie espagnole von 
Lalo und von Schillings’ Kompositionen das Melodram „Jung 
Olaf“, sowie das „Erntefest“ aus „Moloch“. An Schillings* 
Interpretation der c moll-Symphonie erfreute ganz besonders 
die ungemein klare und plastische Darstellung, die sachliche 
Durcharbeitung aller Details und alles Verzichten auf Wirkung 
durch äußerliche Mittel. Einfach und groß erstand jeder Satz 
vor dem Zuhörer, und wenn das Finale den Dirigenten ganz 

besonders ins Feuer brachte, so 
hielt er sich dennoch innerhalb 
künstlerisch maßvoller Grenzen. 
Nach den häufigen Kraftleistun- 
gen, die wir hier von anderen Diri- 
genten gerade mit dem Finale im- 
mer wieder erleben müssen, tat 
Schillings’ Darstellung ganz be- 
sonders wohl. Einen freundlichen 
Erfolg hatte auch „Jung Olaf“, 
dessen Wildenbruchschen Text 
Alexander Moissi, wohl um eine 
stimmliche Indisposition zu ver- 
decken, mit etwas übertriebenem 
Pathos vortrug. Das Lalosche 
Werk wurde von der Geigerin Ar- 
mida Senatra mit schönem Ton, 
pikantem Rhythmus und tech- 
nisch in ziemlich sauberer Weise 
ausgeführt. Den Haupterfolg des 
Abends machte jedoch die Szene 
aus der Oper „Moloch“, die den 
Wunsch aufkommen ließ, daß un- 
sere Opemintendanz dieses Werk 
einmal wieder hervorholen und 
aufführen möchte. — Am darauf- 
folgenden Abend gab die Kammer- 
sängerin Johanna Dietz einen Lie- 
derabend, dessen Programm aus- 
schließlich Gesänge von Max von 
Schillings enthielt; mit dem Kom- 
ponisten am Klavier. Leider konnte 
ich, da zu gleicher Zeit ein Sym- 
phonie-Abend von Richard Strauß 
stattfand, nur einen Ausschnitt 
aus dem Programm hören. Das 
Gehörte jedoch genügte, um zu 
begreifen, daß Max von Schillings 
mit zu den besten Lyrikern der 
Gegenwart gerechnet werden darf. 
Zwar sind seine Melodien etwas 
spröde, seine Klavierbegleitungen 
etwas streng und zurückhaltend 
— für Sänger, die ihren Erfolg auf 
Reißer begründen wollen, ist hier 
keine Chance! — - aber beinahe 
aus allen Gesängen hört man den innig und warm empfin- 
denden Künstler heraus. Der Sängerin sowohl wie dem Kom- 
ponisten spendete das Publikum sehr herzlichen Beifall. Eine 
ganz besondere Freude würde uns Max v. Schillings aber be- 
reiten, wenn er einmal wieder ein Orchesterkonzert gäbe, und 
zwar mit solchen eigenen Kompositionen, die wir hier noch 
nicht gehört haben. Hoffentlich kommt er im nächsten Jahre 
wieder! — H. W. D. 

Nürnberg. Die traurigen wirtschaftlichen Verhältnisse der 
hiesigen Orchestermusiker spitzen sich zu: im Philharmonischen 
Orchester, dessen Mitglieder bisher von Kapellmeister Wilhelm 

- - - - - versucht man es 

eigene Rechnung 


ZIECHER. 

Böhm, München. 


Bruch gegen feste Bezüge angestellt waren, 
seit einigen Monaten damit, daß man auf 



ptsa 

Philharmonischen Verein veranstalteten Abonnemehtskonzerte 
und die erfreulicherweise immer noch zum Einheitspreis von 
30 Pf. allwöchentlich abgehaltenen Volkskonzerte. Bis jetzt 
geben die Leistungen der Kapelle keinen Anlaß, die neue 
Verfassungsform abzulehnen; in den ersten Geigen, die einst- 
mals die feurigsten Achtel Beethovenscher AUegros an der 
Bogenspitze nehmen zu sollen glaubten, merken wir gerade 
heuer einen auffallend frischen Zug, die anerkannt vorzüg- 
lichen Solobläser hat man behalten, die Einziehung des sech- 
sten Kontrabasses (bei zwölf ersten Violinen) ist schließlich 
nicht der Anfang vom Ende. Immerhin kann niemand sagen. 


219 



ob diejenigen unrecht haben, die nur ein Mittel zur Besse- 
rung gelten lassen: das Orchester unter Vereinigung mit dem 
Stadttheaterorchester in städtische Regie zu nehmen. Daß 
die Stadt von ihrem bisherigen passiven Widerstand abläßt, 
ist zurzeit nicht zu hoffen; möge sie nur wenigstens mit regel- 
mäßigen Zuschüssen nicht zurückhalten, wie sie nun endlich 
das Stadttheater erwarten zu dürfen scheint, Hier hat die 
Erfahrung gelehrt, daß die Zeiten vorbei sind, wo man aus 
einem Stadttheater, das Ansprüchen genügen soll, hohe Pacht- 
summen herausschlagen konnte. Im Konkurs über das Ver- 
mögen Direktor Balders, der im Oktober wegen unheilbarer 
Krankheit in eine Anstalt verbracht werden mußte, werden 
die Gläubiger mit bestenfalls zwei Prozent befriedigt werden. 
Balders Nachfolger, der württembergische Kammersänger 
Pennarini, hat nicht die rosigsten Verhältnisse angetroffen. 
Der hohe künstlerische Emst, der seine Leistungen als Helden- 
tenor auszeichnet, berechtigt zu dem Vertrauen, daß er als 
Direktor nicht im Stiche lassen, daß er ordnen und weiter- 
bauen wird. Die Oper ist nicht schlecht, die ersten Soprane 
Poensgen und Tittrich, sind besser denn je. Parsifal wird 
Ende Februar in Szene gehen; es ist bedauerlich, aber be- 
zeichnend für die Gewissenhaftigkeit der Opemleitung, wenn 
wir deswegen, wie es scheint, ein ganzes Spieljahr ohne Mo- 
zart auskommen müssen. D. 


Neuaufführungen und Notizen. 

— Vom Parsifal im Ausland wird weiter berichtet : In London, 
wo der Parsifal im Covent Garden gegeben wurde, scheinen 
die hochgespannten Erwartungen zum Teil etwas enttäuscht 
worden zu sein. Eine Zeitung hat sogar die Meinung aus- 
gesprochen, daß Wagner recht hatte, wenn er den „Parsifal“ 
für Bayreuth reserviert wissen wollte. An der Orchester- 
leitung, der Regie und der Leistung der Sänger, die natürlich 
alle mit Bayreuther Erinnerungen zu kämpfen hatten, wird 
doch dieses und jenes getadelt. Knüpfer sang den Gume- 
manz, Eva v. d. Osten die Kundry. Herr Hensel, den die 
I.ondoner seit langem kennen, hat sie als Parsifal leise ent- 
täuscht (nach der Reklame, die der Herr Tenor gemacht hatte, 
wundert uns das nicht). Bodanzky scheint als musikalischer 
Leiter auch nicht überall gefallen zu haben. Die Szenerie 
hatte ein paarmal erheblich gestört. — Der Direktor des 
Nürnberger Stadttheaters Pennarini hat, wie die Zeitungen 
berichten, die Absicht, im Frühjahr mit seinem Ensemble 
eine „Parsifal“-Toumee durch die russischen Hauptstädte zu 
unternehmen. 

— Im Dresdner Opernhaus hat Felix Saltens Pantomime 
„Das lockende Licht“, Musik von Wladimir Metzl, unter 
Kutzschbachs Leitung die Uraufführung erlebt. Hoffentlich 
ist die Musik besser als Saltens Großstadtpantomime, die nach 
der Inhaltsangabe bösen Kitsch darstellt. 

— Das Leipziger Stadttheater hat zwei Opern zur ört- 
lichen Erstaufführung gebracht: „Die Barbarina“ von Otto 
Neitzel und Joan Manens „Acte“. 

— Die von Hermann Zumpe nachgelassene zweiaktige Ope- 
rette „Das Gespenst von Horodin“ hat die Uraufführung 
durch den Hamburger Verein der Opemfreunde erlebt. 

— Aus Bayreuth wird gemeldet, daß Siegfried Wagner seine 
neueste Oper, die den Titel „Heidenkönig“ führt, vollendet 
und in Druck gegeben hat. 

— Im Düsseldorfer Stadttheater hat die Aufführung der 
Oper „Der Gefangene der Zarin“ stattgefunden. 

— Eine neue Oper von Bruno Heydrich, betitelt „Zufall", 
ist im Manuskript vom Stadttheater in Halle zur Urauffüh- 
rung angenommen worden. 

— Als zweite Uraufführung in diesem Jahre hat die Mai- 
länder Scala die dreiaktige Oper „L’abisso“ (Der Abgrund), 
ein Werk des erblindeten Tnestiner Komponisten Antonio 
Smareglia, herausgebracht. Das Buch behandelt auf dem 
patriotischen Hintergründe des Sieges der Lombarden über 
Kaiser Friedrich Barbarossa die abenteuerlich -wilde Liebe 
zweier Schwestern zu einem deutschen Ritter und den daraus 
rührenden Konflikt tragischer Eifersucht. 

u — Gabriele d’Annunzio ist kurz hintereinander zweimal als 
Operntextdichter in Anspruch genommen worden. Nach 
Mnscagnis Parisina hat das Drama „Francesca da Rimini“ 
als Oper in der Vertonung des jungen Maestro Zandomi die 
Uraufführung im Kgl. Theater in Turin erlebt. Man lobt die 
Musik außergewöhnlich. Die Bearbeitung des Textes stammt 
von dem' Musikverleger Ricordi. 

— Jacques Rauche, der neue Direktor der Pariser Oper, 
trägt sich bereits jetzt mit großen Projekten zur Eröffnung 
seiner Direktion im Jahre 1915. Der erste Abend soll eine 
Ueberraschung bringen (?!), ihr unmittelbar schließt sich an 
die Wiederaufnahme von Saint-Saens' „Heinrich VIII.“ Ferner 
ist eine neue; Version „Lohengrins“, von Pierre Lalo besorgt, 
vorgesehen. Das Orchester wird dem augenblicklichen Leiter 
der „Lamoureux-Konzerte“, Chevillard, unterstehen. Lvn. 

— Sir Joseph Beecham, der mehrfache Millionär, wird im 
Drury-Lane-Theater in London vom 20. Mai bis 25. Juni eine 


russische und eine deutsche Opemsaison veranstalten. Vier 
von sieben russischen Opern werden zum erstenmal in London 
gegeben, nämlich „Prinz Igor“ von Borodin, „Coq d’Or“ von 
Rimsky-Korsakow, „Die Nachtigall“ von Strawinsky und 
„Mainacht“ von Rimsky-Korsakow. Zu den deutschen Opern 
gehören „Der Rosenkavalier“ und „Die Zauberflöte“. Außer- 
dem gibt es ein russisches Ballett. Das Orchester werden 
dirigieren Thomas Beecham, Richard Strauß und Pierre 
Monteux. Von den Russen wissen wir in Deutschland so gut 
wie nichts 1 

* 

— Das dritte große Leipziger Bach-Fest 1914 wird vom 
4. bis zum 6. Juni gefeiert werden. 

— Unter dem Namen „Mittelrheinische Musikfeste“ sollen 
von diesem Jahre ab in jedem Frühjahr abwechselnd in Bonn 
und Koblenz mehrtägige Festkonzerte stattfinden, außer in 
den Jahren, für die Beethovenfeste angesetzt sind. Die stän- 
digen Dirigenten werden sein G.-M. Kes (Koblenz) und Prof. 
Grüters (Bonn). Das erste Fest ist für die diesjährige Himmel- 
fahrtswoche (21. Mai) geplant. 

— In Altenburg wird in den Tagen vom 25. bis zum 27. April 
d. J. ein großes Musikfest stattfinden, unter Mitwirkung der 
Franz-Liszt- Gesellschaft. Leiter des Festes wird Hofkapell- 
meister Rudolf Groß sein. 

— Mit der Eröffnung des Mozart-Hauses ist in Salzburg 
ein Musikfest verbunden, das in den Tagen vom 12. bis 
20. August d. J. stattfinden soll. 

— Das erste Fränkische Musikfest hat in Würzburg statt- 
gefunden. Die Meininger Hofkapelle unter Max Regers Lei- 
tung hat den Hauptteü der drei Konzerte des Festes bestrit- 
ten. Beethovens , .Fünfte“, das Klavierkonzert in Bdur von 
Brahms ‘(Solistin Frau Ney-van Hoogstraten), Regers roman- 
tische Suite bildeten das Programm des ersten (Symphonie-) 
Abends. In einer Matinee wurde an Kammermusik geboten: 
das Brahmssche Trio für Klavier, Violine und Waldhorn, so- 
wie das Oktett von Schubert. Solistin: Frau Erler-Sehnauthz. 
Die „schottische“ Symphonie No. 3 von Mendelssohn, sowie 
die „Ballettsuite“ von Reger standen auf dem Programm des 
letzten Konzertes. Der Würzburger Geiger Schulze - Prisca 
spielte des Mendelssohnsche Violinkonzert. Siegfried -Idyll 
und „Meistersinger“-Vorspiel bildeten den Schluß. Sehr viel- 
seitig wird man das Programm dieses Musikfestes nicht gerade 
nennen. 

— Die königliche Kapelle in Berlin hat unter Richard Strauß 
die erste Symphonie in Edur von Hermann Bischof f aufgeführt. 

— Im achten Nikisch-Konzert in Berlin ist die mit Spannung 
erwartete erste Symphonie Erich W. Korngolds aufgeführt 
worden. 

— Im sechsten Abonnementskonzert der Musikalischen 
Akademie in München ist die symphonische Tondichtung 
„Einsamkeit“, op. 40, von dem Münchner Komponisten 
Wilhelm Mauke aufgeführt worden. 

— Die Dresdner Königliche musikalische Kapelle hat Draesekes 
nachgelassene Sinfonia comica (im August 1912 vollendet) unter 
Hermann Kutzschbachs Leitung zur Uraufführung gebracht. 

— In Straßburg hat im siebten Städtischen Abonnements- 
konzert die G dur-Sinfonie des elsässischen Tondichters M.J. Erb 
unter Pfitzner die Uraufführung erlebt. (Erb ist unsem Lesern 
aus der Musikbeilage gut bekannt.) 

— Es wird uns aus Dortmund geschrieben: Zu Ehren 
Friedrich Gernsheims, der im Juli d. J. sein 75. Lebensjahr 
vollendet, beabsichtigt das Dortmunder Philharmonische Or- 
chester am 3. und 4. Mai in einer Reihe von Musikaufführungen 
nachdrücklich auf die Vielseitigkeit und Bedeutung der Schaf- 
fenstätigkeit des Komponisten hinzuweisen. 

— Im 6. Akademischen Konzert in Jena, ausgeführt von 
der Weimarer Hofkapelle, unter Leitung von Peter Raabe 
sind das „Festliche Präludium “von Strauß und der „Römische 
Triumphgesang'' für Männerchor und Orchester op. 126 von 
Max Reger aufgeführt worden. 

— Es wird uns aus Düsseldorf geschrieben: Jugend- 

frische Kräfte, das Trio der Brüder Wilhelm, Gottfried, Otto 
Hedler, die Frankfurter Altistin Edda Heineck, der Tenor 
Egbert Tobi, haben sich mit Werken von Bach, Beethoven, 
Brahms, darunter mit dem großen Klaviertrio von Beethoven 
op. 97 B dur, ihren Aufgaben wohl gewachsen, der „Mozart- 
Gemeinde“ zur Verfügung gestellt, deren Gruppen, neuer- 
dings durch den in Köln mit der Großen Messe erzielten Erfolg 
begeistert, um weitere Anerkennung ihrer Bestrebungen ringen. 

— In Heilbronn hat im neuen Stadttheater Siegfried Wagner 
ein Konzert gegeben, in dem er eigene Kompositionen und 
solche seines Vaters unter lebhaftem Beifall dirigierte. Das 
gute Militärorchester war aus Stuttgart verstärkt worden. 
Weiter wird der Württembergische Bach- Verein am 26. April 
d. J. eine Aufführung geistlicher und weltlicher Werke Jo- 
hann Sebastian Bachs veranstalten. Die künstlerische Lei- 
tung hat August Richard. 

— Ein historisches Konzert ist in Donaueschingen von der 
Gesellschaft der Musikfreunde veranstaltet worden, in dem 
unveröffentlichte Werke der Tonkunst aus dem 18. Jahrhun- 
dert aufgeführt wurden; sie entstammen dem (2500 Hand- 


220 



Schriften enthaltenden) Musikalienbestand der Fürstlich 
Fürstenbergischen Hofbibliothek, den der jetzige Fürst durch 
seinen neuen Bibliotheksvorstand, Prof. Heinrich, und Kapell- 
meister Heinrich Burkart sichten läßt. Eine Symphonie in 
Esdur für Streichorchester, Oboen und Hörner von Fr. Jos. 
Gossec (1732 — 1829), ein Trio für zwei Violinen und Baß von 
Roeser und eine Kostprobe von der Kunst eines bisher un- 
bekannten Symphonikers, Grafft (oder',Graff), ein Andante für 
Streichorchester aus einer Symphonie waren das Programm. 
Am Schluß standen Ouvertüre und Arie des Don Pasquale, 
eine Parodie auf eine Opemszene aus der Marionettenoper 
„Ritter Roland“ von Joseph Haydn. Musikalischer Leiter 
war Kapellmeister Heinrich Burkart. 

— Zum 50. Geburtstage von Rudolf Freiherr v. Prochäzka 
haben (am 23. Februar) Freunde und Verehrer des Kompo- 
nisten im „Mozarteum“ zu Prag einen Abend veranstaltet, 
dessen Programm einen Ueberblick über fast alle Kompositions- 
zweige, die Freiherr v. Prochäzka mit Glück gepflegt hat, bot. 

— Joan Manens Concerto grosso: „Juventus“ ist in Paris 
in einem Konzerte Haselmanns aufgefiihrt worden, ebenso in 
Haag und in Amsterdam unter Mengelberg. 



— Vom Berliner Opernhaus-Neubau. Die „Vereinigung Ber- 
liner Architekten“ hat den Hofopernhaus - Entwurf des Ge- 
heimen Baurats Ludwig Hoffmann höchst ungünstig kritisiert. 
Auf 18 Millionen, nach anderen sogar auf 25 Millionen wer- 
den die Kosten veranschlagt. Die Teilnahmslosigkeit der 
„weitesten Kreise“ an dem Neubau ist das sicherste Kriterium 
für die hoffnungslose Stimmung im deutschen Volke der 
„Berliner Kunst“ gegenüber. 

— Städtische Musikpflege. Der Münchner Konzert verein, 
dessen Existenz gefährdet war, scheint durch einen Beschluß 
des Münchner Gemeindekollegiums nun für eine Zeitlang ge- 
sichert zu sein. Das Kollegium hat mit 32 gegen 17 Stimmen 
auf Jahre hinaus einen jährlichen Zuschuß der Stadt in 
Maximalhöhe von 50000 Mark genehmigt. Die Privatspenden, 
die von dieser Bewilligung des Gemeindekollegiums abhingen, 
werden gleichfalls dem Verein zugute kommen. Diese Wen- 
dung der Dinge ist sehr erfreulich und für den Ruf Münchens 
als Kunststadt sicherlich förderlicher, als die früher ab- 
lehnenden Beschlüsse. 

— Erholungsheim für Tonkünstler und Tonkünstlerinnen. 
Man schreibt uns: Auf Anregung ihres Vorsitzenden, Hofrat 
Dr. Kaim, hat die weitverzweigte, aus hervorragenden Künst- 
lern und Kunstfreunden bestehende Beethoven-Gemeinde die 
Begründung eines Erholungsheims für die Tonkünstlerwelt 
ins Auge gefaßt, deren Beruf bekanntlich zu den aufreibend- 
sten gehört. Es handelt sich weniger um die Ermöglichung 
einer Sommerfrische für relativ Gesunde, als um die Unter- 
bringung von unbemittelten Leidenden und Rekonvaleszenten 
fernab vom Schauplatz ihrer Arbeit und Sorge, in der frischen 
Berg- und Waldluft des Allgaus bei völlig kostenloser Ver- 
pflegung, nötigenfalls einschließlich freier Reise. Natürlicher- 
weise kann diese Gelegenheit zur Erholung auf keine be- 
stimmte Jahreszeit beschränkt sein. Wohl wird die allmäh- 
liche Erwerbung eines eigenen Hauses angestrebt: um aber 
die Wirksamkeit der zeitgemäßen Wohlfahrtseinrichtung nicht 
auf eine ungewisse Zukunft zu verschieben, werden einstweilen 
Freiplätze in einem bereits bestehenden Erholungsheim ge- 
währt, und da schon eine Stiftung vorhanden ist, so wird 
das Kuratorium gleich nach Ostern zur Besetzung der ersten 
freien Stelle einladen. 

— Von den Theatern. In Düsseldorf wird für die Errichtung 
eines eigenen Opernhauses agitiert. Der Aufschwung des 
Industriebezirks im Westen zeigt sich auch in der Kunst! 
• — Von den Konservatorien. Seinen 56. Jahresbericht sendet 
uns das kgl. Konservatorium für Musik in Stuttgart. Direktor 
Professor Max v. Bauer. 

— Lisztiana. Hofkapellmeister Peter Raabe in Weimar ist 
dabei, einen möglichst vollständigen Liszt-Katalog zusammen- 
zustellen. Er ersucht also alle Besitzer Lisztscher Manuskripte, 
ihm im Interesse der Sache möglichst ausführliche Mittei- 
lungen über die betreffenden Handschriften zu machen. 

— Akademisches Orchester. An der Universität Bern ist ein 
akademisches Orchester gegründet worden, das klassische und 
moderne symphonische Musik pflegen will. 

— Aus Wagners Geburtsstadt. In den Leipziger Tagesblät- 
tern ist folgendes Inserat zu lesen gewesen: Morgen Freitag 
strömt alles in die Drei Lilien zum glänzenden und hoch- 
amüsanten Elite-Masken-Fest! In Klingsors Zaubergarten! 
(Nach R. Wagners Bühnenweihfestspiel „Parsifal“, II. Akt.) 
Ein Wunder der Dekorationskunst! — Und ein Gipfel der 
Geschmacklosigkeit ! 


Personalnachrichten. 

• 

— Auszeichnungen. Siegmund v. Hausegger, der in einem 
Konzert der Oldenburger Hofkapelle seinen „Wieland der 
Schmied" dirigiert hatte, ist vom Großherzog persönlich die 
goldene Medaille für Kunst und Wissenschaft verliehen wor- 
den. — Die Budapester Pianistin Alice Ripper hat im Hof- 
konzert zu Detmold vom Fürsten zur Lippe den Titel einer 
Fürstlich . Lippischen Kammervirtuosin erhalten. — Robert 
Kothe, dem bekannten Münchner Lautensänger, ist vom Her- 
zog von Altenburg für seine Verdienste um das deutsche 
Vmkslied die große goldene Medaille für Kirnst und Wissen- 
schaft verliehen worden. — Dem Kapellmeister Adolf Gött- 
mann ist der Titel „Königl. Musikdirektor" verliehen worden. 
Göttmann wirkt seit 1890 in Berlin als Vorsitzender des Ber- 
liner Tonkünstlervereins. 

— Der General-Intendant der kgl. Kapelle und der Hof- 
theater in Dresden, Graf Nikolaus v. Seebach, der seit 1894 
in diesem Amte wirkt, hat am 9. Februar den 60. Geburts- 
tag gefeiert. 

— Der Kapellmeister der Wiener Volksoper, Bernhard Titlet , 
ist vom Herbst 1915 ab auf sechs Jahre an die Wiener Hof- 
oper verpflichtet worden. 

— In Posen ist am 6. Februar der kgl. Musikdirektor, Pro- 
fessor an der dortigen Akademie, Karl Hennig, im Alter von 
69 Jahren gestorben. Er war Schüler von Richter (Leipzig) 
und Kiel (Berlin), wurde 1869 Organist an der Paulskirche 
in Posen, wo er den „Hennigschen Gesangverein“ gründete, 
übernahm 1888 die Leitung des Lehrergesangvereins, gründete 
1890 ein philharmonisches Orchester und wurde 1903 an der 
neubegründeten Königl. Akademie mit der Abhaltung von 
musikwissenschaftlichen Verlesungen beauftragt. Hennig ist 
auch mehrfach als Musikschriftsteller und Komponist hervor- 
getreten (z. B. mit der weit beachteten „Einführung in den 
Beruf des Klavierlehrers"). Ein dem Idealen seiner Kunst 
unermüdlich dienender Sinn schuf dem Verstorbenen hier in 
Posen die hochgeachtete Stellung, die ihn zu einer stadt- 
bekannten und m weiten Kreisen geschätzten Persönlichkeit 
machte. Als Hennig am 26. April v. J. krankheitshalber die 
Leitung seines Vereins niederlegte, bewies die eindrucksvolle 
Abschiedsfeier die Intensität der ihm gezollten Anerkennung. 
Sein Lebenswerk wird sein Andenken wach erhalten. S. 

— Dr. Wolf Dohm aus Hellerau bei Dresden ist auf einer 
Skipartie bei Chamonix tödlich verunglückt. In einem Nach- 
ruf schreibt die „Frankf. Ztg.“: 1910 gründete Karl Schmidt, 
der Leiter der „Deutschen Werkstätten“, die erste Garten- 
stadt auf deutschem Boden, Hellerau bei Dresden. Wolf 
Dohrn stellte sich dem jungen Unternehmen zur Verfügung, 
er zog nach Hellerau und mit ihm die Geschäftsstelle des 
Werkbundes. Da, auf einer Ferienreise, sah er in Genf die 
Vorführungen der kleinen Schülerschar, die der Musiker 
Jacjues-Dalcroze nm sich versammelt hatte. Und seinem blitz- 
gleichen Entschluß, seinen Versprechungen, seinem kühnen 
Untemehmungsmut gelang es, den vielgenannten Genfer 
Meister für die kleine Siedelung in der Dresdner Heide zu 
interessieren. Er versprach Dalcroze die Eroberung Deutsch- 
lands von diesem Punkte aus. Und er hat sein Wort gehal- 
ten. Dohrn fand in Heinrich Tessenow, einem damals noch 
fast unbekannten Architekten, den Mann, der den in seiner 
edlen Schlichtheit so schönen Schulbau errichtete, fand in 
dem Maler Alexander v. Salzmann den Erfinder und Techniker 
einer höchst neuartigen Beleuchtungsanlage für den großen 
Bühnensaal. Ideen von Adolphe Appia, die auf Anregungen 
Chamberlains, auf Gedanken Richard Wagners zurückgehen, 
wurden hier verwirklicht; der Traum von einem zweiten Bay- 
reuth schien sich zu erfüllen. Die Aufführungen des Gluck- 
schen „Orpheus“ und der „Verkündigung“ von Claudel zeigten, 
wo Dohm hinauswollte. Er selber wurde Regisseur, nichts 
entmutigte ihn in seiner Begeisterung, auch nicht der Wider- 
spruch einer künstlerisch ernsten Kritik, die ihm ja ihre 
Achtung und Sympathie niemals versagen konnte. Er war 
ein hartnäckiger Verfechter der neuen künstlerischen Idee, 
der er nicht nur seine ganze Kraft, sondern auch alles an 
Mitteln zur Verfügung stellte. . . . Der Tod des verdienten 
Mannes ist um so tragischer, als es ihm in den letzten Wochen 
gelungen war, die finanzielle Basis der beiden Unternehmungen 
Hellerau und Jaques-Dalcroze-Anstalt zu sichern. 

— Die ehemalige Opemsängerin Carrie Goldsticker-Lißner , 
Mitglied des Hoftheaters in Karlsruhe (und der Stadttheater 
in Köln und Halle) ist in Saarbrücken, wo sie Gesangunter- 
richt erteilte, im Alter von 53 Jahren gestorben. Sie gehörte 
in den Jahren 1885/86 dem berühmten Solisten -Quartett 
Peschka-Leuthner, Emil Götz und Karl Mayer der Kölner 
Oper als dramatische Mezzosopranistin an. 

— In Kopenhagen ist Freaerick Rung, der erste Kapell- 
meister der dortigen Oper, gestorben. Er war ein Mann von 
bedeutendem Können, ein Kapellmeister von feinem Ge- 
schmack und Gehör, der sich um das künstlerische Gedeihen 
der Oper große Verdienste erworben hat. 


221 



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Neue Lieder. 

Armin Knab, op. 5 : George-Lieder in einem Heft 1 .80 M. no‘ 
Op. 6: Manbert-Lieder, HeftI 1.50 M., II 2 M. no. Wunder horn- 
verlag. Op. 19: Zwei Lieder, 1. Ball der Tiere, 2. Käuzchenspiel 
ä 60 Pf. Verlag Pabst. Die Wahl so moderner Dichtungen, die mit 
ihren seltsamen Gefühlen und Gesichten uns oft wahre Rätsel 
aufgeben, läßt einen ebenso modern gerichteten Tonsetzer 
erwarten und in der Tat bestätigt sich dieser Schluß, wenn 
wir die opera 5 und 6 aufschlagen. Der Komponist zeigt 
sich ebenso ernst, vornehm und exklusiv in der Wahl des 
musikalischen Gewandes, das er den tönenden Worten seiner 
Lieblingsdichter umwirft, wie diese. Zwar wahrt er eine ge- 
wisse Melodiosität der Singstimme, aber sie bedarf dringend 
der Stütze durch die . Begleitung. Wir finden interessante 
Motive, eigenartige Klänge, reiche Modulation, oft sogar harte 
Uebergänge. Die vorwiegend akkordlich gebildete Begleitung 
hält gern eine bestimmte Figur fest und erstrebt damit Ein- 
heitlichkeit der Stimmung, wie wir das seit Wolf, von dem 
der Komponist nicht unbeeinflußt blieb (cf. op. 5,1 „Ein 
Grab“ und op. 6 No. 3 „Winterabend“), gewohnt sind. Ueberall 
finden wir starke Empfindung, Verinnerlichung und ein Suchen 
nach neuen Werten. Während in op. 5 und 6, I zartere 
Stimmungen vorherrschen, schlägt op. 6, Heft II den Texten 
entsprechend kraftvolle und großartige Töne an. Es sind 
keine Alltagslieder, die sofort oder bei der Masse Anklang 
finden, nur längere Vertiefung erschließt das Verständnis der- 
selben. Anders steht es mit op. 19. Diese zwei hübschen 
Liedchen sind sofort und jedermann zugänglich. Sie würden 
im Vergleich mit den früheren einen Rückschritt und eine 
Verflachung bedeuten, wenn sie nicht etwa Jugendarbeiten 
darstellen. Wohl paßt der hohe Stil von op. 5 und 6 nicht 
für diese Kinderliedchen, die mit Recht einfach gehalten sind, 
aber diese zwei Vertonungen ragen in der Erfindung über den 
Durchschnitt nicht hervor. No. 1 könnte nur bei raffiniertem 
Vortrag wirken, etwa als die beliebte scherzhafte Schlußzu- 
gabe. C. K. 

Richard Mandl: Acht Ristretti (Paul Heyse) für eine Sing- 
stimme und Pianoforte. (Leipzig, Leuckart, ä 1 — 1.50 M.) 
Diese Lieder sind vornehm in Melodie und Begleitung. „Ich 
sah ein Rößlein“ — ist sehr graziös, ebenso das neckische 
„Mein Liebster ist so klein“; „O Schwälblein — “ gewinnt 
durch seinen schönen Schluß, „Grablied“ hat Rhapsodie- 
Charakter. 

Derselbe: Brei Gesäuge nach Worten von L. Schwitzer 
(ä 1— 1.20 M.), und Drei Gesänge (ä 1.20 M.). Auch diese 
Lieder seien Sängern von vornehmem Geschmack empfohlen. 
Besonders erwähnen wir „Plätscherndes Bächlein“ mit seiner 
duftigen Begleitung. 

Peter Litzmger: Liebeslieder, Band IH. (12 Lieder für eine 
Singstimme und Klavier, Verlag von P. Pabst, Leipzig. Preis 
3 M.) Die Vorzüge der Litzingerschen Lieder sind Innigkeit 
des Ausdrucks und reiche Abwechselung im Satz. Das Be- 
streben, die Begleitung möglichst voll zu gestalten, birgt 
allerdings die Gefahr der Schwerfälligkeit in sich, der der 
Komponist in „Gänseliese“ nicht ganz aus dem Wege zu gehen 
vermochte ; auch die „Maienlust“ scheint mir mit etwas derben 
Mitteln zu arbeiten. In „Erfüllung“, das im ganzen außer- 
ordentlich anspricht, ist nur die chromatisch absteigende 
Sexte im dritten Takt zu bedauern, da diese Klangfolge in 
so vielen Lieblingen des Volkes vorkommt. „Ich will dir’s 
nimmer sagen“ — könnte am Schluß wohl etwas mehr Re- 
signation ertragen als strahlendes H diu in forte. Im übrigen 
ist nur Rühmendes zu sagen. Die meisten der 12 Lieder er- 
füllen völlig, was der Text von ihnen verlangt, und sind von 
reichem Stimmungsgehalt. Wahre Perlen an Innigkeit sind 
„Sehnsucht“ (Gement von Ricarda Huch), „Glück im See" 
und „Um die Entrissene“, die besonders genannt sein mögen. 
Bei dem unscheinbaren Aeußeren des Liederheftes ist es gut, 
auf die Werte hinzu weisen, die hier in prunkloser Hülle 
stecken. 

Heinrich van Eyken, op. 41 ’• Fünf Lieder für eine Sing- 
stimme und Pianoforte. (Leipzig, F. E. C. Leuckart, ä 1 bis 
1.20 M.) Freunden des Volksliedes seien besonders „Barbara- 
zweige“ und „Liebesgedanken“ empfohlen. Von tiefer Em- 
pfindung ist auch „Traumlicht“ (nach dem Gedicht von 
Rückert) ;• besonders glücklich ist die Stimmung des „Reiter- 
liedes“ (Jul. Wolff) getroffen, mit feiner, kontrapunktischer 
Verarbeitung von „Wohlauf, Kameraden, aufs Pferd, aufs 
Pferd!“ das in der Begleitung wie aus weiter Ferne herein- 
klingt. Weniger können wir uns mit „An den Sturm“ be- 
freunden; der stark betonte Quartsextakkord in Ces dur wirkt 
stumpf und verfehlt die beabsichtigte Wirkung. A . F. 


Dr. W. Reinecke: Die Kunst der idealen Tonbildung. 2. Aufl. 
Die natürliche Entwicklung der Singslimme. (Ergänzung zum 
obigen Werk.) Vom Sprechton zum Sington. II. Teil von 
„Die natürliche Entwicklung der Singstimme.*' Zum Unter- 
schied von so vielen dickleibigen gesangstechnischen Werken, 
in denen die Verfasser oft Hunderte von Seiten brauchen, um 
eine neue gesunde Idee an die Oeffentlichkeit zu bringen, ist 
hier in drei nicht umfangreichen Heften in prägnanter und 
leicht verständlicher Weise die Art der Tonbildungslehre des 
Verfassers zusammengefaßt. Die Funktionen unseres Stimm- 
organs sind erschöpfend beschrieben und namentlich dem Atem 
und den Resonanzverhältnissen besondere Beachtung geschenkt, 
wobei dem Verfasser seine Vorbildung als Arzt große Vor- 
teile bietet. Ueber die Entwicklung der Singstimme aus der 
Sprechstimme gibt es verschiedene Meinungen, da andere die 
Erfahrung gemacht, daß der umgekehrte Weg der gangbare 
sei. Was der Verfasser über das sogen. Stauprinzip sagt, ist 
insoweit richtig, als er sich gegen gewisse Auswüchse dieser 
Lehre wendet. Schreiber dieser Besprechung hat jedoch na- 
mentlich an sich und auch an anderen die Erfahrung ge- 
macht, daß durch die Funktionsübungen dieses Prinzips die 
Elastizität der Atem- und Brustresonanzteile und besonders 
das Reinigen unseres Gesangsinstruments von Tonhemmungen 
namentlich katarrhalischer Art erreicht wird, wodurch nicht 
nur die Sing- sondern auch die Sprechstimme ganz ungeahnte 
Kraft und Schönheit erhält. Dabei darf allerdings bei diesen 
für den Gesangunterricht vorbereitenden Uebungen die Aes- 
thetik nicht immer maßgebend sein. Daß der Verfasser die 
Druckverhältnisse unter der Kehle (Tiefdruck) ganz besonders 
betont, ist wichtig und ein großer Fortschritt gegenüber un- 
zähligen anderen Gesangswerken, deren Verfasser die Fehler 
immer und immer wieder nur im Ansatzrohr suchen und 
mit der „Mundraumkunst" die Ausbildung beginnen. Aller- 
dings schaltet er bei seinen Tiefdruckübungen den Kehlkopf 
beinahe gänzlich aus und geht so dem Ueben und Stärken 
der Gegendruckmuskeln aus dem Weg. Gerade darin liegt 
meines Erachtens der Unterschied seiner Lehre vom sogen. 
Stauprinzip. Jedenfalls gehören die drei Abhandlungen zum 
Wertvollsten, was über Tonbildnng in letzter Zeit geschrieben 
ist, namentlich für diejenigen, welche von Natur freie Kehlen 
haben, oder sich diese Freiheit durch systematische Arbeit 
vorher errangen. (Verlag: Dörffling & Franke, Leipzig.) Th. L. 
* « * 

Unsere Musikbeilage zu Heft 1 1 bringt zunächst ein Klavier- 
stück, Menuett von Wolf gang Pfleiderer (Eßlingen). Der Kom- 

S onist, ein Schüler von Joseph Haas (Stuttgart), tritt mit 
iesem wohlklingenden, fein durchgeführten Stück zum ersten 
Male vor die größere Oeffentlichkeit. Bei der Begabung 
Dr. Pfleiderers wird es nicht das letztemal sein, daß unsere 
Leser von ihm zu hören bekommen; wir glauben, daß der 
Tonsetzer seinen Weg machen wird. Das Stück, namentlich 
auch das reizvolle Trio, erfordert guten Vortrag. — Von großem 
Interesse wird die folgende Probe aus der „Liebesmesse" von 
Hermann Zilcher „Schlaflied" sein; über diesen Tondichter und 
sein Werk berichtet der Aufsatz mit Bildnis im heutigen Hefte. 


Allgemeine Geschichte der Musik. 

Von Dr. Richard Batka und Professor Dr. Willbald Nagel. 

Nachdem unsere rastlosen Bemühungen, Herrn Dr. Batka zur 
Wiederaufnahme seiner Arbeit an der von Ihm begonnenen Musik- 
geschichte zu bewegen, wegen dessen Krankheit andauernd vergeb- 
lich waren, sahen wir uns genötigt, ihn von seinem Vertrag mit uns 
zu entbinden. 

Wir freuen uns, den Lesern unseres Blattes gleichzeitig mitteilen 
zu können, daB es uns gelungen Ist, den bewährten Mitarbeiter un- 
serer „Neuen Musik-Zeitung", Herrn Professor Dr. Willbald Nagel, 
an Stelle des Herrn Dr. Batka zu verpflichten. Herr Prof. Dr. Nagel 
hat vor kurzem die Weiterarbeit an unserer Allgemeinen Geschichte 
der Musik aufgenommen und wir werden nunmehr in der Lage sein, 
wieder regelmäßig zwei Bogen vierteljährlich als Gratisbeilage zu 
liefern. 

Neu eingetretenen Abonnenten beehren wir uns mitzuteilen, daB 
Band I und II in Leinwand gebunden nachbezogen Werden können 
(vergl. Inserat in diesem Heft). Früher erschienene einzelne Bogen 
des I., n. und III. Bandes sind zum Preise von je 20 Pt., Leinwand- 
decken zu Band I und II zum Preis von je M. 1.10 (bei direktem 
Bezug M. 1.30) erhältlich. 

Der Verlag der „Neuen Musik-Zeitung«. 

Verantwortlicher Redakteur: Oswald Kühn in Stuttgart. 
SchluB der Redaktion am 21. Februar, Ausgabe dieses Heftes am 
5. März, des nächsten HeHes am 19. März. 


222 





Briefkasten 


Al. B— hörst, AU. Bedingungen, Aus- 
sichten und AnstellungsverhäHnisse sind 
in jedem Land wieder anders. Wenn Sie 
ein Lehrerseminar durchlaufen haben, so 
sollten Sie Mittel und Wege für ein Ihren 
Wünschen entsprechendes Fortkommen 
finden. Wenn Sie Gymnasialmusiklehrer 
werden wollen, dann ist der Nachweis 
einer pädagogischen wie allgemein wissen- 
schaftlichen Bildung unerläßlich. Die mei- 
sten Organistenstellen stehen bekanntlich 
nur den Lehrer musiketn offen. Gegen- 
wärtig ist die Stelle eines Organisten im 
Hauptamt am Dom zu Verden a. d. Aller 
ausgeschrieben. Auch unser Blatt bringt 
Vakanzen zur allgemeinen Kenntnis. — 
Eine Violinscbule zum Selbststudium ? 
Nehmen Sie lieber Unterricht. 

Dr. A. Sch. Besten Dank. Der Irrtum 
ist bereits im letzten Hefte (Neuauffüh- 
rungen und Notizen) richtig gestellt worden. 

H. M. Spielen Sie Bach fleißig und mit 
Aufmerksamkeit, damit Ohr und Auge die 
polyphonen Liuien verfolgen lernen. Dann 
müssen Sie eben kontrapunktische Studien 
betreiben ; Kistler: Der einfache Kontra- 
punkt und die einfache Fuge, ist zunächst 
zu empfehlen, dann der dreifache und 
mehrfache Kontrapunkt. Außerdem: Kat- 
echismus der Fuge (Analysen von S. Bachs 
Wohltemperiertem Klavier) von Hugo Rie- 
mann. In Max Hesses Katechismen, 
Leipzig. 

An mehr als einen! In letzter Zeit 
wiederholen sich wieder die Bitten um 
briefliche Beantwortung von allerhand 
Fragen. Wir machen darauf aufmerksam, 
daß wir nur in diskreten Fällen brieflich 
antworten. Meist unterzeichnen sich solche 
Frager als „alte Abonnenten“. Die aber 
sollten doch mit den Gebräuchen bei der 
„N. M.-Z.“ vertraut sein. Da dann auch 
nicht selten der Abonnementsauswels fehlt, 
so darf man wieder mal sagen : „Das läßt 
tief blicken!“ 

Düsseldorf. Auf den Militärkapellmeister 
werden wir besonders zu sprechen kom- 
men. — Die Angelegenheit ist zurzeit in 
der Schwebe. 

L. P. Arosa. Die Artikelserie wurde 
unterbrochen, weil die Analysen über die 
Klaviersonaten von Brahms den dafür be- 
stimmten Raum beanspruchten. Nun 
folgt auch wieder Professor Heinrich 
Scbwartz mit dem „Klavierunterricht“. 

Neue Lieder für das Allg. Deutsohe Kom- 
mersbuch. Wir haben die preisgekrönten 
Lieder zur 100 . Auflage des alten lieben 
Schauenburgschen Kommersbuches des- 
halb nicht besprochen, weil wir sie für 
keine Zierde halten. Ein Philipp Gretscher 
kommt unter den elf Gekrönten und Aus- 
gezeichneten nicht ' weniger als sechsmal 
vor! Dabei ist ihm aber auch weiter 
nichts eingefallen, als was nicht jeder 
Konservatoriumsschüler aus dem Hand- I 
gelenk niederschreiben müßte. Dann I 
haben wir da rin von Talmi-Sentimenta- 
lität überfließendes Lied von Frit 2 Gindel 
„Thüringerland“. Berglers „Schenke“ ist 
wenigstens frei von solchen Unwahrheiten. 
Haben sich denn die Preisrichter überlegt, 
für wen diese Lieder bestimmt waren? 
Für üble Liedertafeleien oder für Stu- 
denten? Da haben wir doch andere 
Lieder gesungen, und Sie als alter Student 
würden uns sicher auch recht geben, wenn 
wir die neuen ablehnten. Man sollte eine 
Umfrage bei Studenten halten, ob es recht 
sei, 9 olch nichtssagende Musik in da 3 welt- 
berühmte Buch aufzunehmen. Die Un- 
fruchtbarkeit der „Konkurrenzen" ist wie- 
der mal unzweifelhaft ins Licht gestellt 
worden. Muß denn gekrönt werden, wenn 
nichts zu preisen ist? 

D. 6 . in Liegnits. Wir bitten um kurze 
Notizen über Wichtiges. 

Dr. mus. Uni wird von einem alten 
Abonnenten folgender Zeitungsausschnitt 
aus Halle zugesandt: „Die Hallesche Uni- 
versität ist eine der wenigen Universitäten 
Deutschlands, die auch die Würde eines 
musikalischen Doktors verleiht. Das Recht 
der staatlichen An stellung auch des Dr. 

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Tristan-Album 

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Meistersinger-Album 

12 Stücke, hoch u. tief je 1 M. 

Rheingold-Album 

12 Stücke, hoch u. tief je 1 M. 

Walküre-Album 

14 Stücke, hoch u. tief je 1 M. 

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12 Stücke, hoch u. tief je 1 M. 

Götterdämmerung-Album 

12 Stücke, hoch u. tief je 1 M. 

Parsifal-Album 

13 Stücke, hoch u. tief je 1 M. 

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ist aus dem 32 Seiten umfassenden Wagner-Katalog ersichtlich, der von der Verlagshand- 
lung Breitkopf & Härtel in Leipzig kostenlos übersandt wird. Siehe auch unsere Anzeigen 
in Heft 7, 9 u. 10 der „Neuen Musik-Zeitung“ vom 2. u. 29. Jan. und vom 19. Febr. 1914. 


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eigentlichen Lagenübuogen von der zweiten bi» siebten Lage in 68 größeren 
Studien und in den verschiedenen Tonarten anschlieflen. Hierauf folgen sämt- 
liche Tonleitern nebst Accorden durch drei Octaven u. zum Schluß als An- 
hang sogenannte Lagen wechselübungen, d. h. Uebergänge von der ersten 
Lage zu den höheren Positionen, wobei der erste, der zweite oder der dritte 
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Diese Erfindung übertrifft Alles bisher 
Dagewesene u. ist das vollkommenste. 



223, 







mus. als ordentlicher Gesaoglehrer an 
höheren Unterrlchtsanst alten muß durch 
eine besondere theoretische und praktische 
Prüfung erworben werden, und zwar in 
Halle und am Kgl. akademischen Institut 
für Kirchenmusik in Berlin, einer beson- 
deren Abteilung [der Kgl. Hochschule für 
Musik. Zu gelassen werden festangestellte 
Lehrer, Oberlehrer, Bewerber [mit dem 
Zeugnis für Obersekunda und Frauen mit 
dem Abgangszeugnis eines Lyzeums oder 
mit der Reife für KI. III einer Studien- 
anstalt.“ Wir danken für die ergänzende 
Mitteilung unserer Auskunft. 


H 

■ Kunft und Unterricht ■ 


Adressen tafd für Künstler, Künstlerinnen, Musiklebrer und -lebrertanea, Mustktastftute nsw. 
Wegen der Aufnahme wende man sieb an unsere Anzelf en-Abtellung, Stuttgart, KAnifttr .31 B. 


Kompositionen 


(Redaktionsschluß am 19. Februar.) 


A. L,, W. Wenn Sie sich bei fortgesetz- 
ter Uebung immer tiefer einleben in die 
Geheimnisse der Kunst, werden Ihre Er- 
zeugnisse an Kraft und Ausdruck gewin- 
nen. Ihre Tonsprache ist noch matt, weil 
die Mittel, über die Sie verfügen, noch zu 
sehr im Elementaren liegen. 

A. F — scher, B. Schon die satztechnische 
Behandlung Ihres mit einem gediegenen 
motivischen Gehalt ausgestatteten Quar- 
tetts verdient Anerkennung. Bei tempera- 
mentvoller Wiedergabe erweist sich die 
Caprice als wirksam und dankbar. Dennoch 
möchten wir wegen verschiedener Einzel- 
heiten einer Veröffentlichung nicht das 
Wort reden. — Porto 20 h in öslr. Brief- 
marken, wenn eingeschrieben 40 h. 

aug. Unter Ihren Männerchören dürfte 
„Mein Heiraattal“ die beste Arbeit sein. 
Ihre Vertrautheit mit dem Männerchorsatz 
gibt steh zwar in allen Gesängen zu er- 
kennen. Wie leicht Sie in handwerks- 
mäßige Mache verfallen, zeigt „Vergessen“. 

W. Schl — r, Att — im. Ueber Ihre Män- 
nerchöre ließe sich manches sagen. Zuvor 
möchten wir aber* wissen, ob Sie Abon- 
nent sind. 

(Fortsetzung s. 3. und 4. Umschlagseile.) 


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Verantwortlicher Redakteur: Oswald Kühn in Stuttgart. — Druck und Verlag von Carl Qiünmger in Stuttgart. — (Kommissionsverlag in Leipzig: F. Volckmar.) 




















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XXXV. VERLAG VON CARL GRÜNINGER, STUTTGART-LEIPZIG 1914 

Jahrgang preis des Jahrgangs (Oktober 1913 bis September 1914) 8 Mark. Heft 12 

Erscheint vierteljährlich in 6 Heften (mit Musikbeilasen, Kunst beilage und „Batka, illustrierte Geschichte der Musik**). Abonnementpreis a M. vierteljährlich, 8 M. jährlich. 
Einzelne Hefte 50 Pf. — Bestellungen durch alle Buch- und MusücaUenhandlungen sowie durch sämtliche Postanstalten. Bei Kreuzbandveraand ab Stuttgart im deutsch- 
österreichischen Postgebiet M. 10.40, im übrigen Weltpostverein M. ra. — jährlich. 


Inhalt • Aus Italien. I. Der parodierte „Parsifal“. II. Der heurige Ope rn w in ter. — Zur Kunstästhetik unserer Zeit. III. Das doppelte Gehör. (Sinnliches und 
lllllall « geistiges Ohr.) Ein Beitrag zum Verständnis der modernen Musik. (Fortsetzung.) — Ein Gespräch zwischen fünf Musikern im Künstlererholungsheim nach 
einem Vortrag über die I^hrerprüfungsfrage. — Philipp Emanuel Bach. Zu seinem 200. Geburtstag am 8. März 1914. — Das Arbeitslied. — Das Wendling-Quartett. — 
Draeseke- Gedächtnisfeier in Chemnitz. Uraufführung des Requiems für fünfstimmigen gemischten Chor und Solo-Quintett a capella. — Musikbriet aus Brüssel. — 
„Publikum, werde hart.“ — Kritische Rundschau: Graz, Halle a. 8., Lübeck, Meiningen, Stettin. — Kunst und Künstler. — Besprechungen: Pädagogische Klavier- 
musik. — Briefkasten. — Dur und Moll. — Neue Musikalien. — Musikbeilage. — Als Gratisbeilagen: Batka-Nagel, Geschichte der Musik, Bogen xo vom dritten Band, 

sowie eine Kunstbeilage: Carl Philipp Emanuel Bach. 




Aus Italien. 

I. Der parodierte „Parsifal“. 

D ie „Vereinigung lombardischer Journalisten“ veran- 
staltet jährlich in der Mailänder „Scala“ ein großes 
Maskenfest. Für ein solches Fest braucht man einen 
Grundgedanken. Der ist nicht immer leicht zu finden. 
Doch heuer stellte er sich im Umsehen ein. Spricht jetzt 
nicht alle Welt vom „Parsifal?“ Bringt er nicht die 
glänzendsten Einnahmen, deren sich die Theater seit 
Menschengedenken zu erfreuen haben? Gehört heute nicht 
das Interesse der „künstlerisch Gebildeten“ aller Kul- 
turländer zu gleichen Teilen dem Tango und dem Bühnen- 
weihfestspiel? Greifen wir zu, stimmen wir unseren Abend 
auf die Sphäre des Grals und nennen wir ihn: „Incan- 
tesimo del venerdi grasso“, Fettenfreitagszauber! Gesagt, 
getan! An allen Straßenecken Mailands klebte ein Plakat, 
in dessen Mitte, von einer Aureole umgeben, eine Art 
Gralskelch zu sehen war. Quer über die Schale hatte 
man den Namen einer bekannten Champagnerfinna ge- 
druckt. In der zum Domplatz führenden Passage drängten 
sich die Massen vor einer wundersamen Schüderei: da 
zeigte sich der reine Tor, mit der Tanze in der Hand 
und dem Monocle im Auge, umdrängt von einer Herde 
von Ballerinen und manigfachem Federvieh. Eine viel- 
deutige Aufschrift rief bei verständnisvollen Beschauern 
freches Grinsen hervor. Endlich die Hauptanlockung: 
auf dem vorspringenden Balkon der „Scala“ prangte ein 
riesiger vergoldeter Becher in der Form des Weihgefässes; 
über ihn hin räkelte sich in schwer anzudeutender Pose 
eine nackte Frauensperson, die wohl die Faschingsfreude 
symbolisieren sollte. Ein Album, das zum Besten der 
Veranstaltung auf den Straßen verkauft wurde, brachte 
witzhaschende Beiträge von namhaften italienischen 
Schriftstellern, sowie von Pucdni und Mascagni. — Der 
„Clou“ des Festes war dann, nach den übereinstimmen- 
den Berichten aller Mailänder Blätter, ein Aufzug, in dem 
sich flotte Schönen mit „Rittern des fetten Freitags“ zu- 
sammenfanden. Das Kostüm der Letzteren: „Mantel im 
Parsifal-Stil, Helm mit Gänsekopf, Enterifüße.“ Ueber 
die Ausschmückung des Podiums stand zu lesen: „Ein 
mächtiger Strahlenkranz ließ einen ungeheuren Kelch, den 
sozusagen mystischen des fetten Freitags, erglänzen; er 
erhob sich über einem Zwinger, gefüllt mit Schweinchen 
und Gänsen, umkränzt von grünem Gemüse und roten 
Rüben." — Welch erstaunlicher Aufwand an Geist! — 


Den freislichen Vorkämpfern für die Freigebung des 
„Parsifal“ möchte ich meinen aufrichtigen Glückwunsch 
darbringen! Sie erleben Triumph auf Triumph. Zuerst 
die widerwärtige geschäftsmäßige Ausschlachtung des 
Werkes durch die Auswucherer der Bühne. Dann, im 
In- und Auslande, „Parsifal“ als Filmobjekt, mit den 
Improvisationen der Kino-Pianisten. Jetzt die um den 
Gral kankanierenden Redoutenweiber. Ich weiß schon, 
mit welchen Gemeinplätzen man mir antworten wird. 
„Nur Großes läßt sich parodieren.“ Oder: „Im Mittel- 
alter hat man, gelegentlich unter Billigung der Geistlich- 
keit, sogar die Messe verspottet.“ Oder: „Wie kann man 
so sauertöpfisch 6ein, einen Faschingsulk ernsthaft zu 
nehmen!“ Ganz wohl, meine Herren! Wollen Sie nicht 
auch am nächsten Rosenmontag im heiligen Köln Lio- 
nardos „Abendmahl" persiflieren? Hätten Sie vielleicht 
Lust, dem Goethe, der Fausts Verklärung dichtete, die 
Pierrotmütze überzustülpen und inmitten der Engelscharen 
einige Schiebetänze, wie man sie zwecks Hebung des 
Fremdenverkehrs in den Münchner „Kasinos“ ausübt, zur 
Aufführung bringen zu lassen? Und eine Matchicbe vor 
der Szene einzuflechten, da Maria Stuart sich dazu an- 
schickt, das Abendmahl zu nehmen? Ueber die Requi- 
siten verfügen Sie ja ohnedies: denn Sie ließen doch auf 
der Szene, über die Sie heute zu dreifach erhöhten Preisen 
mit bereits hinlänglich abgemattetem Orchester und schon 
stumpf und gleichgültig gewordenen Sängern unverdrossen 
den „Parsifal“ jagen, gestern die „Dollarprinzessin“ ihre 

Beine schwenken! Hoch! Hoch! Hoch die Kunst! — 

Unzweifelhaft ging die Veralberung Wagners und seiner 
Schöpfung auch den sehr verdienten Direktoren der 
„Scala“, den Maestri Mingardi und Serafin, höchlichst 
gegen den Strich. Zu dieser Annahme halte ich mich 
für um so mehr berechtigt, als die Wiedergabe des „Par- 
sifal“ unter der hingebungsvollen Leitung Serafins durch- 
aus von ernstem künstlerischen Geiste getragen wird und, 
ungeachtet der völlig mißglückten Inszenierung des zwei- 
ten Aktes und mancher vergriffenen Zeitmaße, sich im 
Ganzen mit allen Ehren behauptet — mit erheblich 
höheren als die römische Aufführung des Werkes unter 
Vitale, von der ich unlängst an dieser Stelle sprach. Meine 
damals vorgebrachten prinzipiellen Bedenken gegen 
eine Verpflanzung des Weihfestspiels in wälsches Gebiet 
muß ich trotzdem aufrecht halten. Fs bleibt dabei: so 
wie ein Verdi, ein Rossini an ihrem Besten Schaden 
erleiden, wenn sie nicht durch die italienische Sprache 
und das italienische Temperament gestützt werden, so kann 


225 








Wagner der deutschen Konsonanten, der deutschen Art 
dramatischen Akzentuierens, des Nachschaffens in deut- 
schem Natur- und Kunstempfinden nicht entraten. — 
Auch in das Mißverständnis darf man nicht verfallen, 
für das Mailänder Vorkommnis den italienischen Geist als 
solchen verantwortlich- zu machen. Zu meiner aufrichtigen 
Genugtuung habe ich von einsichtigen Italienern die 
Parsifal-Maskerade mit aller Schärfe verurteilen hören. 
An ihr konnte das, was im besten Sinne Volk zu nennen, 
schon deshalb keinen Anteil nehmen, weil die gepfefferten 
Eintrittspreise ausschließlich auf die Beutel der Meist- 
begüterten zugeschnitten waren. Gewisse Roheiten ge- 
deihen nur im Bereich der „oberen Zehntausend" samt 
der dazu gehörigen Halbwelt. Die geistige Armut, der 
Snobismus, die Geschmacklosigkeiten dieser Zehntausend 
sind in allen Kulturländern die gleichen. In einer deut- 
schen Wagnerstadt hat der gesellschaftlich hochstehende 
Vorstand des dortigen zoologischen Gartens einem Löwenpaar 
die Namen „Elsa" und „Lohengrin“ zuerteilt. Aus einem 
deutschen Rennstall ging vor einigen Jahren ein „Parsifal“ 
hervor. Und so lange sich noch deutsche Edelleute an 
der Infamie des Taubenschießens von Monte Carlo be- 
teiligen, so lange noch auf deutschem Boden Hetzjagden 
geritten werden, so lange hat man bei uns kein Recht, 
auf die Grausamkeit und die Tierquälereien südländischer 
Völker zu schmälen. In jeder deutschen Schule aber 
sollte das Bild des vom reinen Toren erlegten Schwanes 
aufgehängt werden. — 


II. Der heurige Opernwinter. 

Man ist schon jetzt im Stande, die Bilanz des heurigen 
italienischen Opemwinters zu ziehen — einige wenige noch 
ausstehende Uraufführungen, wie die von Frank Alfanos 
„Ombra di Don Giovanni", werden am Gesamtergebnis 
kaum etwas ändern. Als ertragreich ist es nicht anzusehen. 
Die aus Anlaß der Verdi-Feier veranstalteten Fest- 
vorstellungen brachten der Mailänder „Scala" reiche, ver- 
diente Ehren, gediehen aber auf den Szenen der bedeu- 
tenderen Gesangsbühnen von Parma, Rom, Neapel, Genua 
keineswegs zur Vollendung. Mit dem altgewohnten System 
der „Impresa", die, den Verlagshäusem Ricordi oder 
Sonzogno auf Gnade und Ungnade ausgeliefert und durch 
eine mäßige städtische Subvention notdürftig gestützt, 
sich da und dort recht und schlecht durchbringt — mit 
dieser abgenutzten Unternehmertechnik kommt man nicht 
recht weiter. Und eine der Neuzeit und ihren Anforde- 
rungen entsprechende hat sich noch nicht gefunden. Die 
vom Duca Visconti de Modrone in großherzigster Weise 
gestützte „Scala" ist zur Zeit das einzige italienische 
Opeminstitut, das ein nach deutschen Begriffen „durch- 
gearbeitetes“ Ensemble aufweist. Eine neuerdings unter- 
nommene Rundreise brachte mir wiederum die Erkenntnis, 
daß es im gesegneten hesperischen Lande ' nirgends an 
tüchtigen Dirigenten, an leistungsfähigen Orchestern, an 
ausgiebigen, zum überwiegenden Teü sachgemäß geschulten 
Stimmen fehlt. Aber fast allerorten hapert es mit dem 
organisatorischen Können, versagen die für die Regie, die 
Inszenierung und die Heranbildung der Chöre tätigen 
Kräfte. In letzterer Hinsicht brachten just die er- 
wähnten italienischen Parsifal-Aufführungen schlagende, 
wenig erfreuliche Proben aufs Exempel. Es wird damit 
nicht besser werden, ehe nicht die von Verdi wiederholt 
erhobene Forderung erfüllt ist: zum mindesten in vier 
größeren Städten auf Staatskosten eine Chorschule einzu- 
richten, deren Zöglinge freien Unterricht genießen, sich 
aber dazu verpflichten, für einige Jahre in den betreffen- 
den Opemchor einzutreten. — Ansonsten bewährte sich 
der „Parsifal" als rettender Engel für die Theaterkassen. — 

Von den auf einhei m ischem Boden neuerwachsenen 
Werken setzte sich keines widerspruchslos durch. Auch 
Mascagnis „Parisina“ brachte es über einen mäßigen 

226 


Achtungsbeifall nicht hinaus. Der reklamefertige Schreib- 
virtuos hat schlechterdings nichts Neues mehr zu sagen. 
Und daß er sich jetzt mit d’Annunzio verbündete, läßt auf 
bedenkliche Unklarheit in seinen Anschauungen über das 
Bühnenwirksame schließen. D’Annunzio ist der Mann der 
reichen, schönen, wenn auch öfters geschwollenen Sprache, 
der glitzernden Bilder — aber keineswegs der der schlag- 
kräftigen Handlung. Darunter leiden mußte auch der 
begabte, besonders in seiner Harmonik wagemutige und 
fesselnde Riccardo Zandmai, dessen in Anlehnung an ein 
älteres Drama d’Annunzios, die „Francesca da Rimini", 
geschaffene Oper kürzlich die Bretter des Turiner „Teatro 
Regio“ mit achtbarem Erfolge beschritt. Ein Querkopf, 
der vielleicht einmal ein Charakterkopf werden könnte, 
der nicht das breite Publikum, sondern fortschrittsfreudige 
Zuhörer im Auge hat. Vorläufig ein stark leidenschaft- 
licher, noch unabgeklärter Impressionist. Wenige ver- 
stehen ihn, und zu diesen Wenigen gehört er, glaub’ ich, 
selbst nicht. Aber man bringt ihm schon deshalb manche 
Freundlichkeit entgegen, weil er aus dem „unerlösten" 
Trentino stammt. Wie denn auch der durchaus ehrliche, 
seine Partituren mit allem erdenklichen Bemühen sorgsamst 
ausgestaltende, doch erfindungsarme Smareglia nicht zum 
wenigsten deshalb mit seinen Opern in Italien immer wieder 
zu Wort kommt, weil er Bürger des vom „tyrannischen“ 
Oesterreich einstweilen noch festgehaltenen Triest ist — 
ähnlich, wie Jules Massenet mit seiner parfümierten Bonbon- 
lyrik schon deshalb in Paris verhätschelt wurde, weil seine 
Wiege im Elsaß stand. Smareglias letztvollendetes Musik- 
drama, „Der Abgrund", wird sich ebensowenig halten als 
seine früheren Werke. Es ist ein gutes Ding um eine 
durchgebildete Leitmotivtechnik. Nur muß sie auf blut- 
volle Menschen angewendet werden, nicht auf bemalte 
Bühnenautomaten. Daß Smareglia und ihm verwandte 
Naturen in Italien und in Deutschland solche Wachspuppen 
für Menschen nehmen und ausgeben: dafür kann man 
doch Richard Wagner nicht verantwortlich machen! Auch 
Francesco Malipiero, ein homo novissimus, gehört zu denen, 
die mit Fleiß und Schweiß ein symphonisches Motiv- 
gebäude vor der Szene aufrichten, ohne das ihnen von 
einem braven Versemacher in die Hand gedrückte Buch 
auf seine dramatische Wahrhaftigkeit, ohne es selbst nur 
auf äußerliche theatralische Vorzüge zu prüfen. Sein 
Einakter „Canossa" wurde preisgekrönt: also fiel er durch. — 
Von all den genannten Neuheiten kann man daher, 
sofern man nicht mit Sonzogno und Ricordi verwandt 
oder verschwägert ist, deutschen Bühnen guten Gewissens 
nicht eine einzige zur Annahme empfehlen. Ein anderes 
wäre es, wenn einmal der „Allgemeine Deutsche Musik- 
verein“ bei einer seiner Tagungen vor einem Parterre von 
Fachvertrauten einen Akt von Zandonais „Francesca“ oder 
„Conchita“ zur szenischen Aufführung bringen würde. 
Denn der deutschen Kritik wie auch den deutschen Ton- 
setzern wäre es nicht undienlich, zu erfahren, wie sich 
im modernen Italien der Fortschritt ins Freie zu kämpfen 
sucht. Doch besagte hochwohllöbliche Körperschaft ist 
ja augenscheinlich nicht einmal im Stande, die weitaus 
näherliegende Pflicht zu erfüllen: nämlich die begabten 
deutschen zukiinftlerisch „gerichteten“ Tondramatiker wirk- 
sam zu fördern. Das hängt nicht nur mit der leidigen 
Kostenfrage zusammen. Wo ein fester Wille bestünde, 
da ergäbe sich auch ein Weg. Aber bei wem ist dieser 
Wille zu finden? — Paul Marsop. 



Zur Kunstästhetik unserer Zeit. 

III. Das doppelte Gehör. 

(Sinnliches und geistiges Ohr.) 

Ein Beitrag zum Verständnis der modernen Musik. 

Von Dr. ALFRED SCHÜZ (Stuttgart). 

II. 

S chon die bisherigen, erst nur auf dem Gebiet der 
elementaren Harmonik, liegenden Beispiele und daran 
geknüpften Erörterungen haben zur Genüge gezeigt, daß 
wir für die Musik sozusagen ein „doppeltes Gehör“, das 
sinnlich musikalische und das geistig musikalische brauchen. 
Schon das sinnliche Ohr muß ja musikalisch, d. ,h. von 
Natur disponiert sein für die Aufnahme von Tönen und 
Tonverbindungen, es empfindet z. B. die Dreiklänge als 
konsonant. Wer dies empfindet, hat, wie man sagt, ein 
musikalisches Gehör. Auch dies geht manchen Menschen 
ab, die im übrigen recht gut hören: den Musiktauben. 
Dies ist aber noch immer nur die sinnliche Seite des musika- 
lischen Gehörs. Es mag einer dieses in mangelhaftem 
Grade besitzen, z. B. reine Töne von unreinen nicht unter- 
scheiden können, und doch für Musik seelisch empfänglich 
sein, auch vielleicht ein gutes, musikalisches Gedächtnis 
haben. Bei manchen überwiegt sogar das geistige Gehör 
über das s innli che. Obschon nun dies ein Mißverhältnis 
ist, das an die Grenzen der Tonkunst führt und auch bei 
gewissen modernen Komponisten zutage tritt, so bleibt 
es dabei: wir müssen zugleich mit dem Geiste hören lernen, 
das dem s innli chen Ohr Gebotene muß geistig begriffen 
und in dem Sinn gefaßt werden, wie es gemeint 
ist, wie es der Autor äufgefaßt haben will. 

Man spricht von einem „zweiten Gesicht“ und versteht 
darunter ein Sehen von Dingen und Personen, die nicht 
für das äußere Gesicht, nicht greifbar für die äußeren 
Sinne vorhanden sind, Erscheinungen, die nur das innere 
Auge sieht, aber nach außen projiziert. So gibt es auch 
ein zweites Gehör, das — ähnlich den Halluzinationen des 
Geistersehers — geistige Werte in Tönen verkörpert hört, 
sozusagen Gehörshalluzinationen, die zwar durch äußere 
Töne veranlaßt sind, aber viel mehr enthalten, als das 
äußere Ohr vernimmt. Die äußeren Töne sind nur das 
Medium, die Vermittler der Halluzinationen, die der Ton- 
dichter hatte, für den Hörer. So wenig die Notenschrift, 
wäre sie auch mit allen erdenklichen Vortragszeichen aus- 
gestattet, das restlos wiedergibt, was der Komponist 
sagen wollte, und erst des reproduzierenden Künstlers 
bedarf, der das Tonstück auferweckt, ja wieder von neuem 
schafft, so wenig genügen die äußeren Töne, wenn nicht 
der Hörer durch dieselben in den Bannkreis des Tondichters 
sich ziehen läßt und im Geiste mitempfinden kann, was 
dieser in der Stunde der Inspiration empfunden hat. — 
Wir haben gesehen, wie schon der einzelne Ton eine ganz 
verschiedene Färbung erhält je nach der harmonischen 
Unterlage, die man hinzudenkt. Fast trivial klingt an 
und für sich das Motiv aus „Tannhäuser“ (a): 


a) 

bis 

-P= 


Y*= 


b) 

u- — . -| gi~ 

:{= : 

+ 4 = 


Denkt 

-&—2 • f— 

man sich aber zu 

dem 



r 

letzten 

— — S > — +1- 

c erst den f moll- 


und dann den D-Septakkord hinzu, so wird es interessant. 
Dasselbe ist der Fall bei Beispiel b. Wie ganz anders 
kiingen die Melodietöne, wenn ich mir folgende Harmonie 
dazudenke : 


Adagio 



=t==t= 



%y • 

— 2— 
~15)t 9 

cresc. 
~F r i 1- ' 

Igj — I— — * — g — 

rit. 

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3-bg q 

= 1 : ip 



s> 

J i 5r s 

— r— 1 e 

S7 ' 


Ein ähnli ches Experiment kann man beim Schluß eines 
beliebten Lieds von R. Strauß machen. Wie jeder einzelne 
Ton, so hat, wie wir sahen, auch der Moll- und Durdreiklang 
den verschiedensten Sinn. So ist z. B. der Quartsext- 
akkord g c e vom apperzipierenden Geist bald als wirklicher 
Dreiklang (Konsonanz), bald als Vorhaltsakkord (Dissonanz) 
aufzufassen (a). Daß der Molldreiklang oft einfach als ein 
alterierter Durdreiklang, also nicht im Mollsinn zu nehmen 
ist, sei auch noch kurz erwähnt (b). 




Von erstaunlicher Vieldeutigkeit ist der übermäßige Drei- 
klang (Hochquintklang) z. B . c e gis. Da in Wirk- 
lichkeit stets dieselben Töne erklingen, ob er c e gis oder 
c e as oder his e gis geschrieben wird, während er dadurch 
harmonisch einen ganz verschiedenen Sinn bekommt, 
auch seine Lage verändert wird, so betreten wir damit 
zugleich das Gebiet der Enharmonik. Man höre: 



227 





2 . 


Wir hören mit dem ersten Akkord immer dieselben Töne, 
die aber jedesmal wieder auf ein anderes Tonartgebiet 
hinweisen: eine Art musikalischer Ideenassoziation, wobei 
durch den ähnlichen Wortlaut die verschiedensten Ge- 
danken geweckt werden. Der vieldeutige Akkord gleicht 
manchmal dem Wort eines Rätsels (Homonym), das im 
verschiedensten Sinn gefaßt werden kann, z. B. = Strauß als 
Tondichter, als Vogel, als Blumenstrauß und Streit. Da die 
Doppelsinnigkeit häufig auch die Seele des Witzes ist, 
so macht die enharmonische Verwechslung manchmal den 
Eindruck eines geistvollen Witzes. Das sinnliche Ohr 
sucht das geistige zu betrügen, indem es dieselben Töne 
für etwas total Verschiedenes bietet, der Geist geht lächelnd 
darauf ein und nimmt den vorgeschwindelten Ton für 
den richtigen, er beugt sich der Macht der Sinnlichkeit. 
Manchmal sagen die Töne das gerade Gegenteil von dem, 
was gemeint ist; es gibt auch eine Ironie der Töne und 
besonders die moderne Musik ist reichlich damit bedacht. 


Saint-Saens, Elegie: 



Hier ist der Hochquintklang e gis c zunächst als e as c 
zu denken, da er aber hernach nach amoll führt, ver- 
wandelt sich im Tönen für das geistige Ohr das as in gis, 
auch der zweite a moll-Dreiklang ace ändert im Tönen seine 
Natur, indem das untere a sich in bb verwandelt (xx). 

Zur Genüge bekannt ist die Proteusnatur des ver- 
minderten Septakkords, zu dessen richtiger 
Auffassung stets das zweite Gehör vonnöten ist. Der 
äußeren Gestalt nach und fürs sinnliche Ohr gibt es nur 
drei solche Akkorde, in Wirklichkeit aber und für die 
geistige Auffassung zwölf, weil jeder vierfache Bedeutung 
hat. Seine Grundbedeutung ist ja die eines unvollstän- 
digen kleinen Nonakkords, so daß leicht zu erkennen ist, 
in welches Tonartgebiet er gehört, wenn zu ihm in seiner 
ursprünglichen Lage (als Septakkord) die untere große 
Terz hinzugedacht wird: i- u 




Interessant ist bei diesem Akkord, daß seine Umkehrungen 
zwar fürs Ohr immer wieder dieselben Septakkorde mit 
drei kleinen Terzen ergeben, für die musikalische Auf- 
fassung dagegen zu Sextakkorden werden mit übermäßiger 
Sekunde. 

Von merkwürdiger Vieldeutigkeit ist auch der sogenannte 
Mollseptakkord. So erscheint z. B. der Akkord d f a c 
i. als Septakkord der zweiten Stufe in C dur, 2. der vierten 
Stufe in a moll, 3. der sechsten Stufe in p dur, 4. der dritten 
Stufe in B dur, 5. als Septakkord der ersten Stufe von 
äolisch dmoll, 6. als Septakkord der siebten Stufe von 
phrygisch e moll. Ja, auch innerhalb der betreffenden 
Tonart ist er noch von verschiedener Bedeutung: 


228 



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( EZ 


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I Cdur 




In amoll 

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tsrij V, 

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i & Sr q 

5 f- p- i 

\=— 



i-f—t 1 



So hat er in Beispiel 3 a die Bedeutung eines fll-Septklangs 
mit ausgleichend vertiefter Terz, in 3 b ausgesprochenen 
Unterdominantcharakter und in 3 c vertritt er die Tonika 
mit einer Beimischung von der Unterdominante (ähnlich 
dem Dreiklang der sechsten Stufe). Die volkstümliche 
Wirkung dieses Akkords tritt deutlich zutage bei J. Dalcroze 
(„Festival“) : 


rfrrb , , t , 1 1 d— 1 


JL.fr \ 

1 T 

n ^ 9 a. _ 




Zi ! 



# w 79. 9 

f fT fT 

£ £ £ £ 

1 1 1 1 

9 9 • 

X X 

ics* t 1 : 1 » 1 n I _ n 

l-Jl.U' ■ ... H 

1 - 1 . 


■ -1 1 

1 W J J 

* » . 

f 1 


1 ■ 9 — J — — J- J 

— j i_j 

— — # 1- 




iyf g^fE£^j=i 


usw. 




Aber auch in Tonstücken von ernsterem Charakter wird 
der Akkord gerne verwendet, besonders als Sextakkord, 
indem der Dreiklang f a c durch Beifügung des d einen 
weicheren Charakter bekommt; ein Mittelding zwischen 
Dur und Moll. 

Von eigenartiger Wirkung ist der Akkord als Septakkord 
der siebten Stufe der phry gischen Tonleiter (6), während 
er als Septakkord der ersten Stufe der äolischen Tonreihe 
in d (5) demjenigen der sechsten Stufe in F dur verwandt ist: 


6. (Mascagni) phrygisch 








Wir haben hier einen Wechsel von phrygisch emoll (f) 
und unserem Durmoll ( fis ) . Der Mollseptklang d f a c 
kann aber auch als bloßer Vorhaltsakkord erscheinen, 
wie die folgenden Beispiele zeigen: 



Mit dem Begriff „V o r h a 1 1“ treten wir in ein Gebiet 
ein, wo die geistige Auffassung von größter Bedeutung ist, 
indem sie über den sinnlichen Schein den Sieg davon- 
trägt. Wir begegnen hier Dissonanzen, die für das Ohr 
unerträglich wären, wenn sie nicht durch den Geist gerecht- 
fertigt würden. Wie es Leiden gibt, die uns zum Heil 
gereichen, Kämpfe und Wunden, die zum Siege führen, 
wo der Geist über den Körper triumphiert und sogar 
Schmerzen willkommen heißt, so ertragen wir in der Musik 
Dissonanzen, die aller Harmonie zu spotten scheinen, ohne 
Schmerz, ja mit Genuß, weil wir wissen, daß die Auflösung 
folgt. Es ist ja nur eine Frage der Zeit, daß zuletzt alles 
in Wohlgefallen sich auflösen muß. Die Zeit dauert kürzer 
oder länger, oft sogar sehr lange, wo Kampf und Wider- 
spruch den Weg bezeichnen, aber der Geist erträgt sie, wenn 
er hoffen darf, daß der Streit zuletzt mit dem Siege endigt. 
Der Weg mag noch so dornenvoll sein, wenn er nur zuletzt 
zum Ziele führt. So kommt es, daß dem durch süßen 
Wohllaut und Konsonanzen oft ermüdeten und erschlafften 
Geist, die Dissonanz sogar einen besonderen Reiz gewährt, 
den Reiz des Kampfes, der Spannung, der Anspannung 
der Kräfte zum Widerstand. Nur wo die Dissonanz zum 
Prinzip gemacht und verewigt wird, empört sich zuletzt 
dagegen das musikalische Ohr, das Verlangen nach Wohllaut 
und Harmonie. Die Musik offenbart hier das in ihr waltende 
philosophische und mystische Element und manches durch 
Dissonanzen sich zu harmonischer Lösung hindurchwindende 
moderne Tonstück könnte uns an das Sprichwort erinnern, 
daß „Zeit Rosen bringt“. „Erwarte nur die Z e i t“ etc. 

Daß es sich bei Dissonanzen nur um eine Frage der Zeit 
handelt, sieht man am deutlichsten am Vorhalt. Wir 
sind durch ihn längst gewöhnt, wir empfinden es als etwas 
ganz Natürliches und Selbstverständliches, die Harmonie 
der Tonika mit der ihr entgegengesetzten des Dominant- 
septakkords oder -nonakkords oder verminderten Sept- 
akkords zusammenklingen zu hören: 




Wir sehen, daß sogar unsere Klassiker manchmal den 
vollen Tonikadreiklang mit dem dissonierenden Dominant- 
septakkord im Vorhalt verbinden. Eine Verbindung des 
Tonikadreiklangs mit dem Dominantnonakkord in weiter 
Lage ergibt sogar einen Zusammenklang, in dem sämtliche 
Tonleitertöne vertreten sind (a): 



Aus dem zweiten Beispiel (b) ersehen wir, daß sich auch 
ein alterierter Nonakkord (mit Hochquint) mit der Tonika 
verbinden kann. Wir stehen hier schon an der Grenze 
der Vorhaltsakkorde, wo man sich veranlaßt sieht, selb- 
ständige Akkorde zu konstatieren, weil der Begriff „Vorhalt“ 
sich als unzureichend erweist. Ausgesprochenen Vorhalts- 
charakter haben wieder die Akkorde bei c. Das Ohr hört 
solche Zusammenklänge — man schlage sie für sich be- 
sonders ohne Auflösung an! — als schreiende, ohrzerreißende 
Dissonanzen, der Geist beschwichtigt das Ohr, er löst den 
Widerspruch durch den Gedanken: Entwicklung in der 
Zeit. Ist doch die Musik ohnedies die Kunst der Zeit, 
des Werdens in der Zeit. Was der Maler nicht leicht vermag, 
das ist. gerade die Aufgabe der Musik: das werdende Leben, 
die Schönheit des Werdens darzustellen. Sie gibt das 
Bild der von einem Mittelpunkt aus sich entfaltenden, im 
Kampf sich versöhnenden, zum Ganzen sich formenden 
Kräfte der Natur und des Geistes, sie zeigt uns die Viel- 
heit, den Widerstand und Streit der einzelnen Lebens- 
mächte, aber als Kunst hat sie. doch zuletzt die Schönheit 
zum Ziel und läßt aus dem Kampf den Frieden hervor- 
gehen, und zuletzt alle einzelnen Bewegungen in einem 
gemeinsamen Schluß, als dem Bild des gemeinsamen 
Lebensgrundes derselben, Zusammenkommen. In der Musik 
soll nicht alles auf einer Ebene (wie in der Malerei) im Moment 
der Gegenwart Zusammentreffen; sie zeigt uns alles im Fluß, 
ein vorüberfließendes Leben, das nur im zusammenfassenden 
Geist als Ganzes wirkt. Der Geist versteht ebenso das 
Getrennte zu verbinden wie das Verbundene auseinander- 
zuhalten. Was beim Vorhalt dem sinnlichen Ohr wider- 
strebt im Zusammenklang, das weiß das geistige zu trennen 
und zu unterscheiden, wodurch der Widerspruch sich löst. 

(Fortsetzung folgt.) 


Ein Gespräch zwischen fünf Musikern 
im Kfinstlererholungsheim nach einem 
Vortrag über die Lehrerprüfungsfrage. 

Personen: S.: interessiert sich nebenbei für die soziale Frage. 
V.: mit juristischem Einschlag interessiert sich |für das Ver- 
sicherungswesen, als Laie ist er natürlich Ketzer. O.: wenn 
die anderen Herren der Spiegel der kommenden Zeit sind, so 
ist er der Spiegel der gewordenen Zeit. E.: erzählt gerne Ge- 
schichten. L.: der Pädagoge an sich. 

Ort : ein [schattiges Plätzchen unter ehrwürdigen Tannen. 
ZJeit simSommer 1913 früh 10 Uhr nach dem ersten Frühstück. 

S. : Das war gestern abend wieder ein merkwürdiger Vortrag. 
V.: Und doch paßte er vollkommen in den Rahmen des 
Ganzen, man würde sich doch wundem, hier irgendeine Frage 
anders als vom weitesten Standpunkt aus behandelt zu sehen. 

O.: Ein unpraktischer Standpunkt und (lächelnd) deshalb 
leider etwas unmodern. Heute kann man nicht mehr philo- 
sophierend durchs Leben gehen, heute muß man rechnen. 

V.: Eben deshalb ist der im gestrigen Vortrag vertretene 
Standpunkt der modernste, der möglich ist. Wir leben im 


Z2g 



Zeitalter der Synthese, alles wird zusammengefaßt in große 
Einheiten, man bildet nicht nur unter den Einsichten, sondern 
auch unter den Menschen Gruppen. Ueberall sucht man neue 
Zusammenhänge zu entdecken und zu schaffen. 

O . : Und doch war etwas erschreckend Unmodernes in den 
gestern entwickelten Anschauungen, etwas Rückständiges. 

S.: Da haben Sie sehr unrecht. Aber ich begreife Ihren 
Standpunkt. Er war auch einmal der meinige. Seien Sie 
nur. erst etwas länger hier, dann werden Sie uns verstehen. 
Es wird hier nichts vertreten, was sich nicht restlos aus den 
einmal angenommenen Grundanschauungen 
entwickeln ließe. 

O.: Ich muß eine unbestechliche Logik in der Entwicklung 
der gestern gehörten Gedankengänge anerkennen, aber der 
Grund, auf dem sie aufgebaut sind, scheint mir um so mehr 
einer logischen Durchleuchtung zu bedürfen. Sind denn die 
„einmal angenommenen Grundanschauungen“ richtig? Von 
welchen Voraussetzungen geht man denn hier aus ? 

S. : Das läßt sich nicht m wenige Worte fassen, man muß 
sich allmählich mit der ganzen Atmosphäre hier vertraut 
machen, um so am Ende hinter die letzten Gründe zu kommen. 
Das ist hier genau so wie draußen in der Welt auch. — Aller- 
dings Konzessionen und Kompromisse sind im Gegensatz zur 
heutigen Gewohnheit bei der Aufstellung von Grundprinzipien 
bei uns verpönt. 

V.: Das gibt verblüffende Entdeckungen, die aber keine 
andere Schwierigkeit für ihre praktische Verwirklichung 
zeigen, als die Tatsache, daß das getreue Fähnlein, das für 
sie kämpft, in der Welt noch ziemlich isoliert dasteht, weil 
ihm seine Bundesgenossen (die sicher irgendwo ebenso ver- 
borgen existieren wie dieses Heim) noch nicht entdeckt sind. 

S.: Und doch werden diese wenigen Getreuen eines Tages 
den ihnen entgegenstehenden „modernen“ Standpunkt in den 
Orkus verschwinden sehen. i ä'-i 

V. : Das ist es, was sie jetzt schon lächeln macht, mitten im 
heißen Kampf. 

S.: Der hier vertretene Standpunkt ist unsterblich, da er 
eine Wahrheit enthält, die über die Gegenwart hinaus Be- 
deutung hat. 

V.: Die meisten Musiker, ja, die meisten Menschen tragen 
diesen „veralteten“ Standpunkt in ihrem Herzen als die 
keimende Weisheit einer neuen Zeit. * I 

O.: Ich verstehe Sie nicht, mir scheint der moderne Stand- 
punkt, den Sie angreifen, durchaus das Richtige zu treffen. 
Es wäre bedauerlich, wenn die Notwendigkeit Staat- 
licher Examina für unsere Musiklehrer nicht 
in weiteren Kreisen in seiner ganzen Bedeutung erkannt wäre. 

E. (murmelnd): Die Examina schützen doch nur immer 
wieder die Talentlosen. 

V. (lächelnd): Ja, es scheint mir auch besser, daß ein faules 
Genie unterrichtet als eine fleißige Null (und die Nullen sind 
doch diejenigen, die im Durchschnitt die besten Examina 
bestehen, wen es eben so viel leichter ist, sich etwas zu merken, 
als etwas zu verstehen und so viel leichter, mit den Fingern 
zu zappeln, als Musik zu machen). Wer Kunst im Herzen hat 
und zum Künstler heranwachsen will, hat keine Zeit und darf 
sich auch tun seiner Entwicklung willen nicht erlauben, Wissen 
auf einem anderen Wege zu erwerben, als dem der eigenen, 
aus dem Inneren schöpfenden Erfahrung. 

S.: Man sieht heute vor allen Dingen in den Kreisen, die 
den Mund oder die Feder haben, um sich einwandfrei zu 
äußern, nur immer die sogenannte Rechtlosigkeit der Musiker 
und Musiklehrer. Es ist, als ob man nicht sehen wollte, daß 
die Art unseres Berufes einen anderen Schutz, als den durch 
die eigene innere Qualität garantierten, unmöglich macht. 

O. : Aber ich bitte Sie, haben Sie denn den heutigen sozialen 
Standpunkt noch nicht erfaßt, von dem allein man jede Berufs- 
frage nur entscheiden darf? 

S.: Erfaßt, ja, und deshalb wieder aufgegeben. 

V.: Und das mit Recht, denn dieser soziale Standpunkt 
ist so antisozial wie möglich. Er versucht Dinge zu organi- 
sieren und zu ordnen, die nicht zu ordnen sind, es sei n enn , 
die Menschen würden auf einmal alle vollkommen und fehlerfrei. 

S.: Sie haben den wundesten Punkt der ganzen Sache 
berührt. Diese sozialen Einrichtungen rechnen alle nicht 
mit der Verschiedenheit der menschlichen Veranlagung. 

E.: Solange es verschiedene Entwicklungsstadien gibt (und 
das wird wohl der Fall sein, solange die Erde besteht), so lange 
wird es unmöglich sein, allgemeingültige Verordnungen zu 
treffen, die mit Glück in das Privatleben des einzelnen ein- 
greifen. Alle derartigen Verordnungen müssen sich in den 
Grenzen, die das Selbstbestimmungsrecht nicht 
beeinträchtigen, halten. Darum legten weise Staatsmänner 
den größten Wert auf eine seelische Bildung des 
Volkes, weü sie wußten, daß alle äußeren Vorschriften 
nur die gröbste Ordnung hersteilen können, während das 
soziale Leben in seiner eigentlichen Gestalt und seinen feineren 
Verzweigungen nur durch ein rieh ständig hebendes sittliches 
Niveau der Menschen im normalen Gang erhalten werden 
kann. Gesetze sind im besten Falle Ausdruck des Willens 
der sittlich Reifen, aber für die Unreifen immer ein unlieb- 


samer Zwang. So notwendig dieser in einer Welt ist, in der 
die Unreifen stets in der Ueberzahl vorhanden sind, so muß 
man sich doch hüten, eine gewisse Grenze zu überschreiten, 
sonst bäumt sich die gesunde Natur auf. Die Schwachen 
sollen doch gestützt werden durch die Gesetze. Wehe dem 
Staat, der sie aus Furcht knebelt. Auch der sittlich Schwache 
will und muß sich frei fühlen können. Ganz abgesehen aber 
von dieser Notwendigkeit, das Recht selbst des Kleinsten 
auf individuelle Freiheit zu achten, mißlingen ja derartige 
Versuche, die Welt der Unreifen nach den Wünschen der Reifen 
durch aufgepfropfte äußere Maßnahmen zu gestalten, immer 
wieder. 

L.: Deshalb werden auch Berechtigungs- und Befähigungs- 
nachweise niemals das leisten, was man von ihnen erwartet. 
Die Menschen sind zu verschieden, als daß man aus der Lösung 
einiger, ihnen gestellter Aufgaben zuverlässige Schlüsse auf 
ihre innere Reife ziehen könnte. Um das einzusehen, braucht 
man nur die unglückselige Fähigkeit der Menschen, sich 
auch geistig Unverdautes zu merken, zu kennen. Wer kann 
leugnen, daß die meisten Prüflinge nach bestandenem Examen 
glauben, eine innere Entwicklung durchgemacht, einen ge- 
wissen Reifezustand erreicht zu haben ? Und was ist in 
Wahrheit geschehen ? 

V.: „Bindung“ ist erworben worden. Aeußere Zeichen 
hat man sich angeeignet, mit denen man innere Qualitäten 
sich und anderen Vortäuschen kann. 

L. : Unser gesamtes Unterrichtswesen von der Volksschule 
bis zur Hochschule leidet, und droht einzugehen unter dem 
unleidlichen Zwang der Prüfungsordnungen. Wie oft hat 
man schon versucht, sie abzuschaffen, -und jetzt will man 
unseren Beruf damit vernichten? 

V.: Die Prüfungen zu beseitigen, würde keinen Zweck 
haben, solange die Art des Unterrichtens weiter besteht, 
deren logischer Abschluß sie sind. 

O.: Sie meinen, unser Unterrichtswesen wäre auf die Ver- 
mittlung äußerlicher Kenntnisse zugeschnitten ? Sie dürfen 
doch nicht übersehen, was man beabsichtigt 1 

L. : Das Tun darf dem, was man erreichen will, nicht ins 
Gericht schlagen. 

O.: Ich verstehe Sie nicht. Sie sitzen behaglich in Ihrer 
Anschauung drin und machen gar keinen ernsthaften Ver- 
such, mich irgendwie in sie einzuführen. 

S.: Daran ist etwas Richtiges. Aber wir wollen nicht, weil 
wir nicht können. Und wenn es möglich wäre, die Resultate 
unserer sämtlichen Ueberlegungen auf diesem Gebiete zu- 
sammenzufassen, so würden wir es nicht tun. Wir würden 
fertige Resultate geben, ohne daß doch auf Ihrer Seite die 
Voraussetzungen geschaffen wären, die es ermöglichten, daß 
Sie das Gesagte ganz verstehen und vor allem billigten. Wir 
wollen ja eben dieser Art Wissen zu verbreiten entgegen- 
wirken. Wir dürfen also weniger unsere Resultate scharf 
formulieren, als vielmehr den Interessenten gegenüber den 
Versuch machen, ihn in dieselben Gedankengänge einzuführen, 
die wir gehen mußten, um zu unseren Ergebnissen zu kommen. 
Wir geben Ihnen unser Handwerkszeug, weiter nichts. Wir 
geben Ihnen Gesichtspunkte.- Darin besteht unsere 
Art, zu lehren. Nun können wir Sie nur bitten, es uns nach- 
zutun, und alles innerlich mitzuerleben, was Sie hier hören. 
Das übrige kommt von allein. Am Ende zimmern auch Sie 
sich selbst das gleiche Haus. 

V.: Sie dürfen sich nicht wundem, wenn bei unserer De- 
batte über die Lehrerfrage von dieser selbst nur wenig die 
Rede ist. Wir sprechen gern in Bildern, und schaffen Voraus- 
setzungen. Im übrigen überlassen wir aus Zeitmangel und, 
wie Sie ja eben gehört haben, aus Prinzip es Ihnen, die nötigen 
Schlüsse zu ziehen. 

O. : Sie setzen sich dann der Gefahr aus. daß ich die Schlüsse 
für meine eigenen halte. 

L.: Das macht nichts, daran sind wir gewöhnt. Bitte, 
hören Sie. Unsere erste Frage muß lauten: Worin besteht 
die beklagte herrschende Not im Musiklehrerstande? Und 
die Antwort heißt: Der Scharlatan genießt als Lehrer fast 
mehr Ruf und hat mehr Erfolg als der Fachmusiker. 

V.: Man ist nun geneigt, die Ursache nicht in der Unwissen- 
heit des Publikums (also in schlechten Lehrerfolgen) zu 
suchen, man rieht die Wurzel des Uebels nicht in sich, sondern 
in dem bösen Nachbar, und fragt deshalb gewöhnlich schnell 
darauf: Wie kann der böse Feind gefesselt werden? Weil 
man oberflächlich hinrieht, bemerkt man nicht, daß die 
herrschende Not eine Folgeerscheinung ist, die zu bekämpfen 
keinen Zweck hat, solange die Ursache weiter besteht. 

S.: Ja, das ist das Charakteristikum für die modernen, 
sozialen Maßnahmen, daß ihre Wirkung dadurch illusorisch 
gemacht wird, daß die Ursachen des Bosen meist sorgfältig 
umgangen und dadurch konserviert werden. 

O.: Und wie beantworten Sie die Frage nach der Ursache 
der von Ihnen als bestehend anerkannten großen Not? 

S.: Wir sehen sie zuerst in den sozialen Anschauungen 
unserer Zeit. 

L-: Heute ist alles auf Leistungsfähigkeit zugespitzt. So 
berechtigt das Streben nach Leistungsfähigkeit ist, so darf 


230 



man doch nicht, wie es leider geschah, darüber vergessen, 
daß der Mensch keine Maschine ist. Man glaubt Leistungen 
erzeugen zu können, wenn man die Merkmale der Leistungen 
einpaukt. Echte Leistungen setzen erheblich mehr voraus, 
als ein Wissen und Können. Weil dieses „mehr“ aber so 
schwer faßbar ist, und sich nicht in Lehranweisungen und 
Examensfragen bannen läßt, hat man es immer mehr über- 
sehen, und die Pädagogik hat allein auf die Vermittlung von 
Merkbarem und Fertigkeiten ihr Augenmerk gelenkt. 

. V. : So kam es, daß das Lehrertum wahre Unterrichtsorgien 
feiern konnte. 

S.: Leider vergaß man lange Zeit zu fragen und fragt heute 
noch zu zaghaft und nebenbei, ob die aufgewendete Mühe 
denn auch dem tatsächlich geernteten Erfolg entspricht. 

O. (lächelnd): Also Produktionskostenberechnung streben 
Sie an! Das entspricht ja ganz der modernen, kaufmännisch 
praktischen Auffassung. 

S.: Richtig. Aber wir sind Gegner einer Auffassung der 
Welt als Geldmarkt und Handelshaus. Wir halten es für einen 
Mißbrauch jeder Produktionskos tenberechnung, und handeln 
damit auch sicher im Sinne ihrer Begründer, daß damit 
Renten geschunden werden sollen. Wir werfen sie aber auch 
nicht fort, wie die modernen Idealisten, aus Angst, daß Miß- 
brauch mit ihr getrieben werden könnte. Eine möglichst 
klare Einsicht in die Wirkungen unserer Maßnahmen ist un- 
bedingt erforderlich für unsere Zwecke, die Förderung der, 
und speziell unserer Kultur. 

V.: Die Anwendung des eben Gesagten ist nicht schwer. 
Wir behaupten, die heute beliebten Maßnahmen, das soziale 
Leben zu fördern, entsprechen in ihrer Wirkung nicht im 
entferntesten der aufgewendeten Mühe. Sie sind also schäd- 
licher als gar keine Maßnahmen. Nehmen, wir ein Beispiel, 
die neue Versicherungsordnung,' die ja auch uns 
Musiker angeht. Jeder Einsichtige betrachtet sie als einen 
Todesstoß für die gesunde Entwicklung. Der Staat täuscht 
sich, wenn er glaubt, damit wirklich eine Sicherheit erlangt 
zu haben, die ihm die Erleichterung seiner Pflichten ver- 
schaffe. Ein Heer von Beamten verschlingt einen großen 
Teil des Verdienstes der Versicherten anf Nimmerwiedersehen. 
Werden dadurch auch wieder Menschen besoldet, so werden 
diese doch aus sozial wichtigeren Berufen fortgezogen und 
Geld wird vergeudet, das jedem einzelnen von größerem 
Nutzen sein könnte, wenn er es auf eine Bank trüge, wo es 
ihm die wohlverdienten Zinsen direkt abwirft. Was bleibt 
für die Zahlenden an Versicherungsgeldem, die er einmal 
vielleicht ( !) herausbekommt ? Was ist ihm die kleine Summe, 
die er erhält, wenn er alt ist, gegen die Summe, die er in der 
Gegenwart fortgibt. Ich überlasse es Ihrem Urteü, ob Sie 
es nicht etwas viel finden, wenn einer bei 900 M. Jahres- 
einkommen 78.20 M. jährlich Versicherungsgelder zahlen 
muß, nur um, wenn er vielleicht einmal alt wird und vielleicht 
in Not kommt, eine Entschädigung zu erhalten, die es ihm 
gerade unmöglich macht, zu verhungern. 

S.: Wenn man die Versicherungswut unserer Tage sieht, 
möchte man meinen, früher wären alle alten Leute und In- 
validen jämmerlich zugrunde gegangen. Es gibt Beispiele 
genug aus dem modernen sozialen Leben, die beweisen, 
daß es trotz der heutigen Maßnahmen nicht möglich ist, Not 
zu verhindern, wo das Schicksal gebieterisch Not als Lebens- 
arznei verordnet. Die Versorgung der Individuen 
läßt sich nicht kaufmännisch berechnen, 
da spielen Faktoren mit, die wir Menschen 
nicht übersehen können. 

V. (lächelnd) : Verstehen Sie das Wort übersehen bitte rich- 
tig, denn in einem ganz törichten Sinne werden diese Faktoren 
heute gründlich übersehen. 

L.: Alle unsere Maßnahmen sollten auf jeden Fall da ihre 
Grenze finden, wo die Berechnungsmöglichkeit für den Men- 
schen aufhört, denn nur das ganz zu Berechnende können wir 
gut und richtig berechnen, bei allem andern werden wir nur 
Kraft verschwenden und mehr Schaden als Nutzen stiften. 
Welche immense Kraft wird heute vertan für die ungewisse 
Zukunft! Wie mordet man dadurch die Gegenwart und führt 
so die Leistungsunfähigkeit schneller herbei, als sie ohne 
diese Sorge eingetreten wäre. 

V.: Die ernste Arbeit, die zur Durchführung der Versiche- 
rung erforderlich ist, nimmt so die Aufmerksamkeit in An- 
spruch, daß die Menschen über die Unmöglichkeit des ganzen 
Unternehmens hinweggetäuscht werden. Unser Freund L. 
könnte Ihnen einen interessanten Vortrag über ein aus der 
modernen naturwissenschaftlichen Weltbetrachtung wach- 
sendes Glauben- Wissen halten, das in der Gesetzmäßigkeit 
des Alls keine Ursache findet, auch nur für ' ein Haar auf 
unserem Haupte zu sorgen. 

L.: Jeder von uns ist ein Entwicklungsprodukt, auch was 
wir unseren Charakter, unsere Anlage nennen, ist ein wich- 
tiges Resultat des Entwicklungsprozesses. Es kann deshalb 
nicht verloren gehen. Die geistige Entwicklung, die jeder 
von uns durchgemacht hat, die Summe seiner ganzen Be- 
wußtseinsvorgänge bilden ein unvergleichliches, einziges Re- 
sultat, das keine Wiederholung im Weltganzen findet, weil 


jeder Mensch unter anderen Umständen lebt und wird. Die 
Natur kann nun das von mir erreichte Entwicklungsstadium 
nicht mit meinem Tode aufgeben, es wäre dann notwendig, 
das von mir Erreichte wieder zu gewinnen durch einen An- 
fang von vom. Damit wäre die Entwicklung der Welt un- 
möglich gemacht. Der Punkt, den die Natur mit mir erreicht 
hat, wenn ich sterbe, den muß sie bewahren, um ein neues 
Individuum von diesem Punkte, und zwar genau von diesem 
Punkte weiterstreben zu lassen. In diesem Sinne bin ich un- 
sterblich. Wenn ich aber unsterblich bin, kann auch inner- 
halb meines Lebens nichts geschehen, was meiner inneren 
Entwicklung (und auf die kommt es allein an) hemmend 
entgegentreten könnte. Im Gegenteil werden alle Schicksals- 
wendungen Anpassungsforderungen sein, die ich im Hinblick 
auf meine Unsterblichkeit nur freudig begrüßen, aber niemals 
fürchten kann. Aus solcher Weltanschauung wächst von 
selbst der Verzicht auf das, was unser öffentliches Leben an 
tiefer einschneidenden Versicherungs- und Schutzmaßregeln 
für nötig hält. 

E.: Die äußeren Umstände passen immer zu den Menschen, 
die von ihnen betroffen werden; es kann doch kein Zufall sein, 
daß jeder Mensch, aber wirklich jeder Mensch ohne Ausnahme 
immer gerade das erlebt, was ihm seine Fehler am schmerz- 
lichsten zum Bewußtsein bringt, so daß er es gerade nur dann 
ertragen könnte, wenn er sich überwände. 

L. : Es muß immer mißlingen, wenn man die Taten innerlich 
reifer Menschen tut, ohne selbst reif zu sein. Uns kommt es 
heute auf solche trügenden Taten an, und je deutlicher sich 
die Aussichtslosigkeit solchen Versuchs, das Schicksal zu 
betrügen, zeigt, um so krampfhafter werden ' die Anläufe, 
doch noch durch äußere Maßnahmen innere Maßnahmen zu 
ersetzen. 

V.: Wir müssen die Irrtümlichkeit des Satzes erkennen: 
Wissen ist Macht, oder wir müssen besser seine eigentliche 
Bedeutung verstehen lernen, die besagt, daß aus eigener Ent- 
wicklung quellender Besitz das Mittel für den Erfolg ist. 

L. : Die Methode macht’s nicht. Die Erfahrung zeigt deutlich, 
daß eine nach „Schwierigkeitsgraden geordnete“ Wissenschaft 
eine ganz andere Ordnung aufweist, als sie ein lebendig wachsen- 
der und aus seinem inneren Erleben sich entwickelnder Mensch 
braucht. Man muß auf das Einpauken von Wissensstoff 
überhaupt verzichten, und die Entwicklung des Menschen 
von innen heraus zu fördern suchen. Gibt denn unsem Päd- 
agogen die Tatsache gar nicht zu denken, daß der Mensch 
um so besser aufnimmt, und um so mehr leistet, je reifer er 
als Individuum ist! 

E- : Wer da nicht hat, dem soll genommen werden. Wer 
nicht aus sich heraus erwirbt, dem wird äußerlich Erworbenes 
nur schaden. Wir töten mit dem üblichen Vorgehen das 
lebendige Wissen und die Unverständigen, denen wir es auf- 
zwingen wollen, dazu. 

O.: Jetzt machen Sie mich neugierig, wie sie dieser Not 
entgehen wollen, und wie sie bei solchen Grundsätzen zu er- 
ziehen gedenken. 

L.: Genügt Ihnen, um das zu erkennen, nicht die Einsicht 
in die zu meidenden Fehler? Haben Sie nie erfahren, daß 
die Wahrheit unaussprechlich ist? Dadurch unterscheiden 
sich die falschen Wege von dem allein richtigen, daß die ersteren 
direkt und peinlichst genau aufzuzeigen sind, während der 
letztere nur Beschrieben werden kann durch Markierung der 
Irrwege. Darum fürchten sich doch die geistig kurzsichtigen 
so rasend vor dem Beschreiten, ja vor dem Anerkennen des 
richtigen Weges, weil sie kein Organ haben, um durch einen 
Ueberblick über das erkannte Falsche ein Gefühl für das 
Richtige in sich entwickeln zu können. Irrwege vermögen wir 
als solche zu erkennen, und die Warnungstafeln zu nennen, 
der richtige Weg ist nur innerlich zu erschauen, darum muß 
ihn jeder selbst suchen und finden, und selbst finden, um 
ihn zu besitzen. 

O.: Also auf den eigenen Besitz kommt es an, wie gewinne 
ich den aber, wenn rucht durch Studium und Lernen? 

L.: Durch Erfahren, durch Erleben. Diese Worte sagen 
den allermeisten Menschen nichts oder wenigstens nicht das, 
was sie für uns bedeuten. Hinter den wahren Sinn dieser 
Worte ko mm t man nur durch Not! Wenn man nämlich 
keine andere Möglichkeit des Fortschreitens mehr hat, dann 
greift man zum eigenen Tasten und Suchen, dann greift man 
zum Versuchen. Dann fängt man an, sein Gefühl, sein 
Empfinden, seine Intuition zu fragen, so kommt man zum 
Erleben. Wollen wir also die Menschen zum Erleben bringen, 
so müssen wir ihnen mit aller möglichen Schärfe beweisen, 
daß andere Wege ungangbar sind, in unserem Falle also, daß 
man sich nicht entwickelt durch Pauken der fertig über- 
nommenen Resultate fremder Erfahrungen und fremder Er- 
lebnisse. — Ich kann Ihnen zum Tröste sagen, daß das Un- 

f enaue, Unfaßbare des Erlebens sich nach und nach in ein 
lares Fühlen verwandelt, so daß man am Ende hier sicherer 
schreitet, als auf dem üblichen Wege des intellektuellen 
Grübelns. 

O.: Wenn Sie sagen, es sei heute dem Zufall überlassen, 
ob und wie der angebotene Lehrstoff vom Schüler verarbeitet 


231 



wird, dann muß folgerichtig nach Ihrer Meinung die wirkliche 
Pädagogik erst entdeckt werden. 

L.: Richtig, nur zu richtig 1 Ist sie aber nicht vielleicht 
schon entdeckt? 

O.i Dann wäre sie längst bekannt, denn Sie können doch 
den heutigen Pädagogen nicht einen fast übergroßen Durst 
nach neueren Erkenntnissen absprechen! 

L. : Im Gegenteil, ich weiß, daß wir heute in einer Zeit 
leben, die mit allen Fasern ihres Herzens nach tieferer und 
noch tieferer Einsicht strebt. Eben deshalb macht ja unsere 
Zeit größere Fehler, weil sie mehr sucht. 

V. : Bekannt ist die wahre Pädagogik nicht, weil ihrem Be- 
kanntwerden als größtes Hindernis die moderne Lebens- 
anschauung entgegensteht. 

S.: Wir haben Ihnen ja Beispiele genannt, die zeigen, 
wie viele Anschauungen von heute erst Fiasko machen müssen, 
ehe man für unsere Wege zu haben ist. 

L.: Da die innere Entwicklung nicht nur meistens un- 
auffällig vor sich geht, sondern auch noch anfänglich einen 
recht unvorteilhaften Schein erzeugt, so können wir nur 
Hoffnung haben, Menschen für uns zu gewinnen, denen der 
alte Weg wirklich nichts mehr bieten kann. 

O. (nachdenklich) : Sie werden wohl viel Anhänger finden. 

V. (die Bemerkung überhörend)! Ja, vielfach ist man über- 
zeugt davon, daß man den entgegengesetzten Weg schon 
versucht und ungangbar gefunden habe, und daß man trotz 
der übergroßen Mängel des jetzigen Weges ihn nicht verlassen 
kann, will man nicht im Nichts enden. 

L.: Man hat eben kein Vertrauen zu dem Entwicklungs- 
trieb der Natur, sonst würde man nicht zu der törichten An- 
nahme kommen, es wäre besser, das Schädliche zu tun, als 
gar nichts zu tun. 

S. ! Die Hast des modernen Lebens beweist, wie unbehaglich 
sich die Menschen im Grunde heute fühlen, sie ahnen es dunkel, 
daß sie auf einen Abgrund zulaufen, sie sind betrunken, wie 
der Soldat in der blutigen Schlacht, der schließlich voll Wut 
das Verderben aufsucht, da wo es am ärgsten haust, um nur 
ja nicht erwachen zu müssen. 

O.s Sie scheinen mir jetzt aber doch von unserem Thema 
abzukommen. Darf ich darauf zurücklenken. 

V.: Wirsindstrenggenommen, mitkeinem 
Wort von unserem Thema abgewichen. Sie 
werden, wenn auch nicht heute, so uns doch eines Tages zu- 
geben müssen, daß unsere Auseinandersetzungen die un- 
entbehrliche Grundlage für die spezielle Frs^e bilden, 
die der gestrige Vortrag behandelte und auf die Sie meinen, 
zurücklenken zu müssen! Wir sind zu der Ueber zeugung 
gekommen, daß jede Einigung über eine Frage sich von selbst 
ergibt, wenn man gegenseitig versucht, die Voraus- 
setzungen sich mitzuteilen, von denen man ausgeht. 
Ihre Voraussetzungen kennen wir, es sind die offiziellen Voraus- 
setzungen unserer Zeit. Die unseligen versuchten wir Ihnen 
eben anzudeuten, aber da unser Thema zu groß ist, um über- 
haupt in einem Gespräch erledigt und folgerichtig behandelt 
zu werden, so greife ich mit Freuden Ihre Anregung auf, um 
von einer anderen Seite an unser Problem heranzutreten. 
Ist es Ihnen noch nie aufgefallen, daß in allen Berufen fast immer 
die Autodidakten, die Laienbrüder es sind, die die 
«roßen Fortschritte bewirken, die das ausdörrende Blut der 
Berufe wieder auffrischen, lebendig erhalten. 

E-: Ja, das ist eine Tatsache, man braucht nicht erst Bei- 
spiele dafür zusammenzusuchen. 

L.: Auch die Ursache dieser Erscheinung ist leicht zu ent- 
decken. _ Wenn die aufgepfropfte Bildung das Eigenleben 
tötet, wie wir es als Tatsache erkannt haben, kann immer 
nur da Leben und Fortschritt entstehen, wo Bildungslücken 
vorhanden sind. Dort schlägt die eigene Erfahrung aus, 
und ist die Lücke groß genug und kann das neue Reis wuchern, 
dann drängt es die fremde Firnisschicht weiter zurück, macht 
sie brüchig und durch die Risse treibt das eigene Wesen immer 
neue und immer mehr Triebe, und ein Suchen und Wachsen 
beginnt, daß es eine Lust ist. 

) S.; Nun die Pädagogik weiß, daß bei diesem Vorgang meist 
aller Lack abbröckelt, man also alles Gelernte vergißt, wenn 
man auch später wünschen sollte, es wäre manches erhalten 
geblieben, damit es im Verlaufe der eigenen Entwicklung 
allmählich verarbeitet werden könnte. 

L. : Das ist nun mal so. Erst muß der Mensch selbst suchen 
und zu eigenen Erfahrungsresultaten kommen, ehe er die 
Erfahrungsresultate anderer zu würdigen versteht und sie, 
Schlüsse von sich aus ziehend, allmählich verwerten kann. 
Je später der Versuch gemacht wird, sich selbst durchzusetzen, 
um so mehr geht alles drunter und drüber, davor muß 
man sich nicht fürchten. 

S.: Es geht ja jetzt schon alles drunter und drüber, und 
weil man dabei den Mut verliert, schreit der ganze Musiker- 
stand nach Staatshilfe, nach der wohltuenden Zwangsjacke, 
die man für andere herbeizieht, ohne daran zu denken, daß 
man einst selbst unter ihr zugrunde geht. 

V.: Das Tohuwabohu, das heute in unserem Berufe herrscht, 
ist ein Zeichen neuen Werdens, man sollte es preisen, und 


nicht wünschen, es würde polizeilich unterdrückt. Gleichheit 
ist immer nur das Ideal der Negativen gewesen. Die Genie- 
losen waren ja immer in der Ueberzahl, aber früher galt die 
Masse nichts, heute gilt sie alles, und da zögern denn die 
Genielosen nicht, das Heft nach Herzenslust zu drehen und 
zu wenden, das man in ihre, ach so unfähige Hand gegeben. 
Oder glaubt einer von den anwesenden Herren, daß die tiefere 
Einsidit es je zu Massenaufgebot bringen wird? Und dann, 
können Sie sich überhaupt Leben denken ohne Ungleich- 
heit? 

L. : Davon sind ja selbst die Anhänger der Massenbewegung 
überzeugt, wenn man sie in nüchternen Momenten erwischt. 
Aber wer denkt heute in solchen Fällen logisch und konsequent ? 
— Jetzt soll eben die Musik staatlich beaufsichtigt werden L 
Ich möchte nur wissen, warum die Befürworter solcher Ideen 
ihren Gedanken nicht zu Ende denken, da würde ihre Unhalt- 
barkeit sich doch sofort erweisen. Vom Lehrer geht’s zum 
ausübenden Musiker, vom kleinen zum großen Künstler. 
Der nächste Caruso wird sein Examen bestehen müssen, 
sonst darf er eben einfach nicht tun, was er von Geniesgnaden 
kann. Alle die großen Laienmusiker, die wir gehabt naben, 
sind in der Zukunft unmöglich. 

V.: Wenn wir schon überzeugt sein müssen, daß kaum 
einer der Großmeister unserer Kirnst das heutige Examen 
bestanden hätte, so müssen wir ganz verzagen bei dem Ge- 
danken, was die mittleren und kleinen Künstler — ich rede 
wohlgemerkt nur von Künstlern — wohl angesichts 
eines Examens anstellen würden. Warum treten unsere 
namhaften Künstler nicht gegen diesen Examenunfug auf? 
Man denke sich Flesch und Casals vor einer Prüfungskommis- 
sion. Ach, Casals hat es gut, denn sicher wird man nur in 
Deutschland diesen Gedanken praktisch ausprobieren. 

L.: Man hütet sich, die Künstler zu fragen, man fragt nur 
die Musiklehrer, auf die die Künstler alle nicht gut zu sprechen 
sind, weil ihnen die Vaterschaft dieses Magister Bartolo nicht 
sehr ehrenvoll scheint. Bitte mißverstehen Sie mich nicht. 
Ich will und kann nicht das Lehrertum herabsetzen. Ich 
spreche nur von dem P s e u d o lehrertum, das sich heute 
breitmacht. Denken Sie doch, unsere Prüflinge müssen an 
den staatlichen Konservatorien Kompositionen größeren Um- 
fanges in den Abgangsprüfungen als Prüfungsarbeit herstellen ! 
In der Schule kommt man zur Einsicht, daß der Aufsatz der 
beste Erzieher zur Schundliteratur ist, weil er eine Form 
beherrschen lehrt, unabhängig von der zur Beherrschung 
des Inhalts nötigen geistigen Reife, und wir fallen in denselben 
Fehler in der Musik, den man dort anfängt, zu überwinden. 
Wird es nicht jedem Menschen lächerlich erscheinen, wenn 
wir Dichterschulen eröffnen würden mit Abgangsprüfung, in 
der ein Epos oder ein Drama als Examensarbeit gefordert 
würde ? ! Ein Kunstwerk ist -kein konstruiertes Gemache. 
So eine Examensymphonie ist ja das Erbärmlichste, was es 
gibt. Man beleidige die Techniker nicht, indem man auf ihre 
baulichen Konstruktionen verweist. In diesen steckt, wenn 
sie tauglich sind, unendlich viel mehr, als eine gelöste Rechen- 
aufgabe. Wenn dem nicht so wäre, müßten unsere 
landläufigen Mathematiker äußerst praktische Menschen sein, 
was bekanntlich nicht der Fall ist. Ich kann hier nicht vom 
Kunstwert der Werke unserer großen Techniker reden, ich 
kann hier nur behaupten und gegen die Ann a hme auftreten, 
als ob künstlerisches Schaffen an sich identisch wäre mit 
nüchternem, kaltem Konstruieren. Die Form eines Kunst- 
werkes wächst aus der Notwendigkeit, anderenfalls ist es kein 
Kunstwerk. Der Künstler muß! und er ist Künstler, weil 
er sich soweit erzogen hat, daß er fähig ist, den inneren Zwang 
voll zu erkennen, anderenfalls könnte er ihm nicht folgen. 
Was ist denn der Kampf eines Beethoven anderes, als der 
so schwer glückende Versuch, das innerlich Geschaute getreu 
wiederzugeben! Ein echtes Kunstwerk ist das absolute 
Gegenteil von dem, was die Herren Musiklehrer in ihren 
Examen fordern. Auch ist dies nicht der Weg, sich zum 
Kunstschaffen vorzubereiten, sonst müßten unsere 
bestenTheoretikerdiebestenKom p o nisten 
sein! Man lernt Komponieren niemals durch Pauken und 
Büffeln. Das Komponieren ist ein Geschenk und ein Resultat 
reichen inneren Erlebens. Wer Musik denkend, der Form 
nach in sich aufnimmt, hat vertan als Künstler. Nur wer 
Musik erlebend dem Inhalt nach in sich aufnimmt, hat 
die Möglichkeit, sein Erleben wieder in der Sprache der Töne 
auszudrucken. Die Gesetze der Form sind doch überhaupt 
nur für den imkünstlerischen Philologen da, der nur das Aeußere 
sieht und es deshalb für das allein Seiende hält. Diese armen 
Leute schälen das Knochengerüst aus dem lebendigen Körper 
und wundem sich, daß der Mensch dabei stirbt. Vielleicht 
merken sie es oft gar nicht. Gut, ihr Theoretiker, ihr ver- 
mögt das Knochengerüst der Form aus dem lebendigen Körper 
des echten Kunstwerks herauszunehmen, aber Hand aufs 
Herz, ihr ehrlichen Pfuscher, glaubt ihr wirklich, Ihr Anatomen 


1 Vergl. dazu: „Merker“, Wien, laufender Jahrgang, I. Mai- 
heft. Howard: Kritik des I. Internationalen Musikpädagogi- 
schen Kongresses Berlin 1913. 


232 



könntet nun Menschen machen, die Form wäre nicht durch 
den Inhalt bedingt, sondern der Inhalt durch die Form ? 
Fs ist der Geist, der sich den Körper baut, sagt Goethe. Aber 
Wagner braut ewig an seinem Homunkulus. Was soll man 
mit solch Wahnwitzigem machen ? 

O.s Sie werden hitzig und da ist nicht mit Ihnen zu reden. 

L.: Sie werden nicht hitzig und doch ist mit Ihresgleichen 
oft noch viel weniger zu reden. Wer niemals hitzig wird, 
dem steht auch nicht das eigene heben auf dem Spiele, wenn 
es der Kunst an den Kragen geht. 

E. : Unkünstlerisch veranlagte Menschen werden wir nie 
davon überzeugen können, daß ein Kunstwerk niemals das 
Resultat einer Spekulation ist, so Interessantes der Intellekt 
bei nachträglicher Analyse auch an ihm entdecken mag. 

U. : Ja, denn der beste Beweis für die Richtigkeit unserer 
Anschauung, daß das echte Kunstwerk ein lebendig gewordenes, 
und aus innerer Notwendigkeit, nicht aber aus intellektueller 
Ueberlegung Geformtes ist, das eigene Fühlen, ist ihnen gerade 
versagt. Da nun leider auch die Werke unserer Meister nicht 
ganz frei von eingeflickten Stellen sind, so haben wir unseren 
Gegnern gegenüber einen schweren Stand. 

F. : Der einzige, im wahren Sinn moderne Musiker, Franz 
Liszt, der es für Frevel hielt, nachträglich zu feilen und nur 
Sorge trug, daß seine seelische und menschliche Reife das 
normale Wachstum der Intuition mehr und mehr begünstige, 
so daß er nur Neuschaffen konnte, wo er selbst nicht befriedigt 
war, wird ja selbst von Fachmusikern für formlos gehalten. 

V. : Das eine können wir aus dem zuletzt Gesagten 
folgern. Das übliche Studienmaterial bildet nicht Künstler. 
Die übliche Pädagogik befähigt nicht zum Unterrichten. 
Das Material kann höchstens geborenen Künstlern, die Päd- 
agogik höchstens geborenen Lehrern als Hilfsmittel dienen, 
schnelleren Ueberblick über das eigene Schaffengebiet zu 
bekommen. Dem sogenannten Talentlosen erwürgt des Füttern 
mit Lernstoff noch die letzte Begabung. 

E. : Man braucht sich ja nur das Gespräch zweier Fachleute 
anzuhören, um sofort davon überzeugt zu sein, daß in den 
wesentlichsten Punkten eine Einigung nicht zu erzielen ist. 

O. : Sie schieben das natürlich auf den allgemeinen Stand- 
punkt, von dem die heutigen Lehrer ausgehen ? 

E.: Sicher, denn Sie sehen ja, daß wir hier dank unserem 
anders gearteten Standpunkte in der Lage sind, uns voll-, 
kommen zu einigen und sozusagen gegen sie gemeinsame Sache 
zu machen. Von unserem Standpunkte aus ist es unmöglich, 
Zustände herbeizuwünschen, die eine Knebelung unseres 
Standes auf jeden Fall bedeuten müssen. Wir sind nicht 
geneigt, uns den Strick, der unserem Dasein ein Ende macht, 
selbst zu drehen. 

L.: Lassen Sie mich noch einen Punkt berühren. Es wird 
immer darauf hingewiesen, daß der Laienmusiker gar nicht 
die Zeit aufbringen könnte, um all das zu lernen, was zu unserem 
Berufe nötig sei. Das ist richtig, vom Standpunkt des Ver- 
standesmusikers unserer Tage aus gesehen. Von unserem 
Standpunkt aus ist es durchaus unrichtig. Man braucht 
nicht „seine ganze Zeit“, um etwas Ganzes zu werden. „Ein 
ganzer Kerl“ ist nötig. Ohne den ist selbst die ganze 
Zeit noch zu kurz. Ene das nicht eingesehen ist, kommen 
wir überhaupt nicht weiter. Weder die Zeit macht’s, noch 
das durchgearbeitete Material, sondern etwas ganz anderes. 

V.: Das Wie des Arbeitens könnte man es nennen. 

L.: Ja, richtig, jedenfalls ist es etwas, was den Augen der 
Nurkönner und Nurwisser, diesen größten Feinden aller 
Kultur, völlig verschlossen ist 1 . Alle Leistungen der Welt 
basieren auf diesem geheimnisvollen Etwas. Es ist also nicht 
wahr, daß der Laie keine Zeit und Gelegenheit habe; die 
Kulturgeschichte hat das außerdem noch alle Jahrzehnte 
neu' auf allen Lebensgebieten bewiesen. Es ist kein Zufall, 
daß die Dilettanten, die Self-made-men so oft diejenigen gewesen 
sind, die die Welt vorwärts bewegt haben. Auch sie hatten 
ein Wissen, aber dieses war aus der Praxis gewachsen, ihre 
Wissenschaft war das Resultat ihrer Erlebnisse und Einsichten, 
nicht gemerkter Kram. Darum aber auch im Sinn jeder 
Prüfungskommission höchst lückenhaft und deshalb un- 
brauchbar. Als das Ideal eines Examenskandidaten gilt doch, 
wer in allen Fächern gleichmäßig gut besteht. Ist es nicht 
bezeichnend, daß das Ideal des leistungsfähigen Menschen 
unter allen Umständen diesem Ideal vndersprechen wird? 
Genügt das nicht? 

O.: Sie sind hart. 

V.: Aber wahr. 

S.: Ja, ja die bedeutenden Menschen waren nie in ein Fach 
zu pressen, und diese merkwürdige Erscheinung hat man 
immer für zu wenig bedeutungsvoll gehalten, für- eine Folge 
des Genies, anstatt für seine Ursache. 

L.: Ja, es ist die Hauptquelle für das Werden und das 
Entstehen von Fortschrittlern, daß die Einkreisung in das 
Wissen und Können des Faches ja keinen ergreife, der Eigenes 
zu sagen hat. Es wird eben nur so viel aus einem Menschen, 
als er unter dem Zwange steht, selbst zu suchen. Aller Segen 


1 Vergl. dazu; „Merker“, I. Maiheft. 


ruht auf den Lücken. Der müßte schon sehr groß sein, dem 
alles fremde Wissen weiter nichts als Ergänzung des eigenen 
Erlebens wäre. Solche Leute sind selten. 

E.: Segnen wir also die Bildungslücken, wenn wir den 
Fortschritt lieben. 

L.: Nur aus der Not des Nichthabens wächst die Kraft 
zum Suchen. 

O.: Wird aber jeder suchen? 

V.: Nein, aber ist es nicht besser, mancher sucht nicht, 
als er täuscht Anfängern und wohl auch sich mit Hilfe fremden 
Wissens vor, er hätte gefunden ! Das ist doch heute der Fall. 

S.: Es ist unsere Pflicht, diejenigen zu wecken und zu 
warnen, die sich von falschen Bildungsbestrebungen ins 
Schlepptau nehmen lassen, ohne zu ahnen, daß es dem leben- 
digen Leben selbst an den Kragen geht mit diesen Versiche- 
rungen, Prüfungsordnungen und Gesetzen. Für den Künstler 
zmn mindesten ist es lächerlich, Studiennachweise erbringen 
zu sollen. 

L.: Erfreulicherweise läßt sich der Vater Staat nicht das 
Recht nehmen, sich die Sache erst gründlich zu überlegen. 

O.: Fürchten Sie nicht, daß bei Ihren Grundsätzen das 
allgemeine Bildungsniveau der heutigen Kulturvölker be- 
denklich zurückgehen würde ? 

L.: Keineswegs, allerdings würde viel Schein verschwinden, 
es würde die geringere Kultur, die dann zutage träte, aber 
unbedingt w ah r sein. 

O.: Fürchten Sie dann aber nicht, daß ohne den Druck 
von außen die meisten Menschen aufhören würden, sich zu 
bilden ? 

L.: Ich kann Ihnen diese Frage nur wieder mit einer Frage 
beantworten und Sie bitten, von Ihren Mitmenschen nicht 
schlechter zu denken, als von sich selbst. Prüfen Sie sich 
und sagen Sie mir, ob Ihr eigenes Streben nach Entwicklung 
aus Ihnen selbst kommt oder nur Zwang von außen ist, und 
wenn neben dem eigenen Drang nach Wachstum etwas von 
eingepflanztem wesensfremdem Pflichtbewußtsein in Ihnen 
ruht oder von durch Eitelkeit diktierten Wünschen, die mit 
Ihrem wahren Wesen nichts zu tun haben, fragen Sie sich, 
ob dessen Beseitigung Ihrem Glück und Ihrem wahren Wachs- 
tum nicht auf jeden Fall förderlich sein würde. 

O.: Sie haben mir den Kopf warm gemacht, wir müssen 
aufhören. Außerdem ruft der Gong zum Mittagessen. Unser 
Gespräch hat also den ganzen Vormittag ausgefüllt. Ihre 
Erholungsstätte hat eigentümliche Heilmittel, das muß man 
sagen. (Geht ab.) H 

L.: Seit Jahrtausenden hallt die Welt wider von dem Ruf 
der Weisen nach Selbstkultur. Wie wenige befolgen den Ruf, 
und wie war er in unserer Zeit fast verhallt. Es ruht eben 
immer ein Fluch auf dem Ererbten, daß wir nicht erworben 
haben, um es zu besitzen. Wir müssen wieder lernen, die 
inneren Qualitäten des Menschen einzuschätzen, denn aus 
diesen wächst, wie ein Baum aus der Wurzel, allein das richtige 
Können und Wissen, das nicht tot und deshalb nicht kultur- 
feindlich ist. 

V.:. Ja aus dem Erleben muß das Wissen, aus dem Sein 
das Können wachsen. Dann hören wir auf Kultiuparveniis 
zu sein, dann denken wir sozial. Dann können wir anderen 
etwas sein, ohne die Selbständigkeit des Individuums zu 
untergraben. Alle Welt blickt kopfschüttelnd auf Amerika 
wegen seiner Trustbildung, die alle Vielfältigkeit des Lebens 
und damit dieses selbst zu vernichten droht, und doch können 
wir der Versuchung nicht widerstehen, und machen die ver- 
derbenbringende Entwicklung' mit, weil jeder sich heimlich 
davon persönliche Vorteile erhofft. Nun soll auch noch die 
Kunst vertrustet werden. 

L.: Dagegen hilft kein Schreiben und Reden, sondern nur 
Handeln. 

E.: Jeder muß sich selbst wie ein Stein ins Wasser fallen 
lassen, und nur dafür sorgen, daß die Beschaffenheit des 
Steines gut sei. 

V.: Das Kreiseziehen wollen wir den Wassern des Lebens 
und der ihnen innewohnenden Gesetzmäßigkeit allein über- 
lassen. 

L.: Verzichten wir also wenigstens für unsere Person auf den 
Versuch, die heutigen Zustände auf einem anderen Wege 
ändern zu wollen, als durch Hebung der persönlichen Kultur. 
Was würden Schurken und Dummköpfe mit himmlischen 
und vollkommenen Zuständen anfangen. Schaffen wir also 
die Vorbedingungen für bessere Zeiten. Hören wir 
auf nach den Sternen zu greifen, wir unverbesserlichen Träumer, 
und schmieden wir lieber erst die Werkzeuge, die uns diesen 
näher bringen. 


Nachschrift der Red. Mit diesem bereits angekündigten Auf- 
sätze, der das Thema von allgemeineren (teilweise extremen) 
Gesichtspunkten, nicht von denen der ausgesprochenen Partei 
behandelt, beschließen wir zunächst die Erörterungen der 
„Lehrerfrage“, indem wir allen Mitarbeitern und den vielen 
Interessenten, die uns privatim ihre Meinung zukommen ließen, 
unsera Dank aussprechen. Natürlich ist die „brennende Frage“ 


233 



nicht gelöst worden; das kann sie ja auch gar nicht durch 
Erörterungen in Zeitungen. Was wir, hei strenger Beobach- 
tung der „Neutralität“, erstrebten, war in erster Linie, zu 
zeigen, welche Wünsche vorhanden, wie die „Stimmungen“ 
in beiden Lagern zu bewerten sind, wie tief die Lebensinter- 
essen berührt werden. Kurz: wir wollten aufklärende Arbeit 
leisten, und das ist uns ja wohl auch gelungen. Nun gilt es, 
auf dieser gewonnenen Grundlage weiterzubauen, zur Einigung, 
zum Frieden zu kommen! 


Philipp Emaniiel Bach . 1 

Zu seinem 200. Geburtstag am 8. März 1914. 

Von AUGUST RICHARD (Heilbronn). 

D ie künstlerische Bedeutung Philipp Emanuel Bachs, des 
Zweitältesten Sohnes von Johann Sebastian Bach, ist zu 
verschiedenen Zeiten auch ganz verschieden beurteilt 
worden. Seinen Zeitgenossen galt Philipp Emanuel als einer 
der bedeutendsten und hervorragendsten Komponisten, weit 
umher war sein Name verbreitet, gefeiert und hoch geschätzt, 
viel höher als der seines Vaters, den seine Zeit nur als un- 
übertrefflichen Orgelvirtuosen, kaum aber als Komponisten 
gekannt hatte. Je mehr aher dann im Lauf des vorigen Jahr- 
hunderts die Kenntnis der Werke Johann Sebastians überall- 
hin durchdrang und mit Recht staunende Bewunderung und 
begeisterte Verehrung erweckte, desto mehr wurde Philipp 
Emanuel ganz zu Unrecht in den Hintergrund gedrängt und' 
vernachlässigt. Ja, es gab sogar einmal eine Zeit, die ihn 
nicht einmal als Musiker von Beruf gelten lassen wollte und 
in ihm mehr nur einen Gelehrten sah, der lediglich aus Lieb- 
haberei, als Dilettant Musik trieb. Erst in unseren Tagen 
mehren sich die Anzeichen dafür, daß auf Grund neuerer 
Forschung das allgemeine Interesse wieder mehr ihm und 
seinem Schaffen sich zuwendet, und vollends sein 200. Ge- 
burtstag wird die beste Gelegenheit und Veranlassung bie- 
ten, sich mit diesem hochverdienten Künstler etwas eingehen- 
der zu beschäftigen und ihm jene Stellung in der Musik- 
geschichte anzuweisen, die ihm mit Fug und Recht gebührt. 

Zwei ehrenvolle Beinamen hat die frühere Musikgeschichte 
Philipp Emanuel Bach verliehen: sie nannte ihn den ,, Vater 
der Klaviermusik " und den „ Vater des deutschen Liedes". Ob 
sein künstlerisches Wirken und Schaffen einer so hohen Aus- 
zeichnung in der Tat auch wert und würdig gewesen war und 
auch heutzutage noch eine ebensolche Wertschätzung ver- 
dient, mögen die folgenden Ausführungen etwas näher unter- 
suchen. 

Den Beinamen des „Vaters der Klaviermusik“£erwarb ihm 
sein großes zweiteiliges Werk, der lernbegierigen Jngend ge- 
widmet, der „Versuch über die wahre Art aas Klavier zu 
spielen mit Exempeln und 18 Probestücken in 6 Sonaten.“ 
Es ist nicht uninteressant rückwärtsschreitend die äußeren 
Anregungen zu verfolgen, denen dies Buch zweifellos seine 
Entstehung verdankt. 

Im Jahr 1738 hatte Friedrich der Große Philipp Emanuel 
Bach als Kammer-Cembalisten in sein Orchester berufen, eine 
ganz außerordentliche Ehrung für den jungen, erst 24jährigen 
Musiker. Denn einmal bestand dieses Orchester aus einer 
ganzen Reihe der besten Musiker jener Zeit, deren Namen 
zum Teil selbst heutzutage noch nicht vergessen sind: Ka- 
pellmeister und Kammerkomponist war Karl Heinrich Graun, 
Konzertmeister waren dessen älterer Bruder Johann Gottlieb 
Graun und die beiden Brüder Benda, Flötist in diesem Or- 
chester wurde späterhin sogar der berühmteste Meister auf 
diesem Instrument, Johann Joachim Quantz, der Flötenlehrer 
Friedrichs des Großen. Zudem fiel im damaligen Orchester 
dem Cembalo eine sehr wichtige, bedeutsame und führende 
Aufgabe zu, die an den betreffenden Spieler ganz besonders 
hohe, für unsere heutigen Begriffe ganz ungewöhnlich große 
Ansprüche stellte. Das Cembalo bildete den Hauptstützpunkt, 
das Rückgrat gleichsam des ganzen Orchesters; ihm war die 
harmonische Unterlage eines Musikstücks an vertraut und durch 
Füll- und Mittelstimmen, durch selbständig geführte Gegen- 
stimmen und mancherlei freie Imitationen und Variationen 
der Themen der Solostimmen auf dem Cembalo mußte das 
Akkompagnement möglichst reich und kunstvoll ausgestaltet 
werden. Dabei war ja die Cembalostimme nicht etwa voll- 
ständig in Noten ausgeführt und genau aufgeschrieben, son- 
dern sie bestand lediglich aus dem sogenannten „bezifferten 
Baß“, dem Generalbaß oder basso contmuo. Das Lesen, Aus- 


1 Ein Porträt Philipp Emanuel Bachs ist als Kunstbeilage 
diesem Heft beigegeben. Eine Komposition brachte die 
„N. M.-Z." in Heft 10. 


arbeiten und Spielen eines solchen Generalbasses erforderte 
daher begreiflicherweise eine ebenso umfassende wie eingehende 
musikalische Ausbildung, daneben aber auch eine ungeheuer 
vielseitige Gewandtheit; und in der Tat haben sich darin 
Cembalisten früherer Zeit durch langjähriges Studium und 
tägliche Uebung eine geradezu unheimliche Kunstfertigkeit 
erworben. 

Um die Mitte des 18. Jahrhunderts hatte nun Quantz ein 
großes, vortreffliches Werk veröffentlicht, seinen „Versuch die 
Flöte traversiäre zu spielen“, ein Werk, das aufgebaut auf 
des Meisters praktischer Erfahrung überall reichen Beifall 
fand. Dadurch muß wohl in Philipp Emanuel Bach der 
Wunsch rege geworden sein, auch seinerseits die Ergebnisse 
und Erkenntnisse seiner langjährigen Tätigkeit als Cembalist 
in einem Lehrbuch zusammengefaßt niederzulegen und somit 
ein entsprechendes würdiges Gegenstück zu Quantzens Werk 
zu schreiben, umsomehr als es neben Fran^oisCouperins einige 
Jahre vorher erschienener Schrift „l’art de toucher le clavecin“ 
ein deutsches Lehrbuch des Klaviersmeis bisher überhaupt 
noch gar nicht gegeben hatte. In der Tat stimmt denn auch 
Bachs Werk mit dem seines Kollegen Quantz nicht nur im 
Titel, sondern auch in der ganzen Anlage und Ausführung 
überein, in der Gliederung des Stoffes, in der Disposition 
der Hauptstücke, ja selbst in der Einteilung der einzelnen 
Paragraphen. 

Zu einer solchen Aufgabe war ja Philipp Emanuel Bach in 

f anz besonderer Weise befähigt, ja geradezu berufen, einmal 
urch seine schon gerühmte vielseitige praktische Erfahrung, 
und ebenso auch durch sein treffliches theoretisches Können 
und seine hohe wissenschaftliche Ausbildung — er hatte in 
seiner Jugendzeit einige Jahre hindurch an der Universität 
in Frankfurt a. O. studiert — und muß mit Recht als einer 
der gebildetsten unter seinen Standesgenossen bezeichnet 
werden. 

So ist denn in dem „Versuch über die wahre Art Klavier 
zu spielen“ ein Werk entstanden, dessen reicher und wohl- 
geordneter Inhalt weit über den Rahmen dessen hinausgeht, 
was der Titel verspricht. Es gibt zunächst einmal natürlich 
eine sehr eingehende Darstellung des rein Technischen beim 
Klavierspiel, alles was sich auf Fertigkeit, Wissen und die 
„guten Manieren“ des Spielers bezieht, wird ausführlich be- 
sprochen und in lehrreicher und interessanter Weise des nähe- 
ren erörtert; viele sehr wohl beherzigenswerte Hinweise für 
einen richtigen und geschmackvollen Vortrag werden ein- 
geflochten; energisch wendet sich das Buch gegen alles hohle, 
äußerliche Virtuosentum in der Musik und enthält vollends 
in seinem zweiten Teil sogar noch eine Anleitung zur Har- 
monie- und Formenlehre mit den wichtigsten Regeln für 
Transposition, Komposition und dergleichen mehr — alles in 
allem ein Buch, das, wenngleich jetzt freilich in mancher Hin- 
sicht überholt, doch, in anderer Hinsicht auch wieder unüber- 
troffen und unübertrefflich, eine große, grundlegende Bedeu- 
tung für alle späteren Werke dieser Art gewonnen hat. 

Von besonderem Interesse sind im Zusammenhang damit 
die angefügten Beispiele und vergleichsweise Philipp Emanuels 
Werke überhaupt. Die Uebergangszeit, in die ja sein Leben 
und Wirken fiel, zeigt sich in seinen Kompositionen sehr 
deutlich: zwei musikalischen Welten gleichsam scheint sein 
Schaffen anzugehören. Einerseits stand er natürlich als treuer 
Schüler seines Vaters noch ganz auf dem Boden von dessen 
strenger, polyphoner und kerndeutscher Schreibart und Satz- 
kunst, die in den Werken Johann Sebastians ihre höchste und 
vollendetste Blüte erreicht hatten und schlechthin nicht mehr 
zu übertreffen waren. Auf der anderen Seite konnte und 
wollte er sich aber auch durchaus nicht dem mächtigen Ein- 
fluß entziehen, der von Italien und Frankreich aus allmäh- 
lich immer stärker in die deutsche Musik eindrang, und zwar 
um so weniger, als er kraft seiner feinen Begabung und seines 
reichen Wissens die wichtige befruchtende Kraft dieses Ein- 
flusses auf die gedeihliche Weiterentwicklung der deutschen 
Tonkunst, über die Werke seines Vaters hinaus, sehr wohl 
kennen und schätzen gelernt hatte. 

So verraten zum Beispiel auch die meisten seiner zahl- 
reichen Orchester- und Instrumentalwerke ebenso wie seine 
Oratorien eine gewisse, unverkennbare Aehnlichkeit mit den 
Werken seines Vaters, und nur an einigen wenigen Stellen 
zeigt sich der Versuch andere, als die üblichen Bahnen ein- 
zuschlagen, doch scheint ihn davon immer wieder die 
Ueberzeugung zurückzuhalten, daß er eben auf diesem Ge- 
biet nichts Neues, nichts Größeres schaffen und leisten zu 
können glaubte, als es sein Vater bereits geleistet hatte. Mit 
weiser Einsicht und vollem Verständnis erkannte er ander- 
seits dagegen, wie glücklich und dankbar diese neue auslän- 
dische Einflüsse sich dem Klavierstil dienlich erweisen könn- 
ten; und was sein Vater auf diesem Gebiet nur gelegentlich 
hin und wieder versucht hatte, baute nun der Sohn mit be- 
wußter Absicht weiter aus. Französische Eleganz, italienischen 
Wohllaut und deutsche Gemütstiefe wollte er in seinen 
Klavierwerken verschmelzen und damit wurde er der 
Schöpfer des sogenannten „galanten Genres“ in der Klavier- 
musik. 


234 



Wenn er aber, wie er selbst schreibt, „das Probre und Bril- 
lante des französischen Geschmacks mit dem Schmeichelhaften 
der welschen (italienischen) Art zu vereinigen suchte“, so darf 
man hierin gewiß nicht etwa die Sucht nach äußerlichem Blen- 
den, nach hohlem Schein und Virtuosentum vermuten, denn 
ebenso verlangt er gleichzeitig für seine Eliavierstücke, als 
Gegengewicht gleichsam hierzu, auch Gefühl, Empfindung und 
Miterleben, eine Uebertragung der innersten Gedanken auf 
die Töne, um damit die Zuhörer ergreifen und bewegen zu 
können, und mit Recht sagt er; „Ein Musiker kann nicht 
anders rühren, er sei denn selbst gerührt.“ 

Hohe Anerkennung und Bewunderung haben Philipp Ema- 
nuels sehr zahlreiche Klavierwerke — man kennt 210 Solo- 
stücke, 52 Konzerte, viele Sonaten und andere kleine Kom- 
positionen — späterhin selbst bei unseren größten klassischen 
Meistern gefunden; so sagt einmal Haydn von den Sonaten: 
„Wenn ich mich von Sorgen gedrückt und mutlos fühle, so 
spiele ich mir dieselben zu meinem Vergnügen unzählige Male 
vor, und immer bin ich da erheitert und erhoben und in 
guter Stimmung vom Instrumente weggegangen.“ Auch Beet- 
hovens erste, dem Kurfürsten Max Friedrich gewidmete Kla- 
viersonaten, die er im Alter von 13 Jahren schrieb, weisen 
im Stil deutlich auf das Vorbild der Bachschen Sonaten hin 
und Mozart vollends rief einmal aus: „Er (Phil. Em.) ist der 
Vater, wir sind die Buben. Wer von uns was rechtes kann, hat’s 
von ihm gelernt; und wer das nicht eingesteht, ist ein Lump !“ 

War die erste Hälfte von Philipp Emanuels Leben und 
Wirken mehr der Pflege der Instrumentalmusik gewidmet, 
so wendet er sich nunmehr in der zweiten Hälfte mit ganz 
besonderem Interesse auch der Vokalmusik zu. Verschiedene 
äußere und innere Gründe lassen sich dafür angeben. 

Die Blüte der Tonkunst am Hofe Friedrichs des Großen 
war nach Beendigung des so erfolgreichen, aber auch ebenso 
verlustreichen Siebenjährigen Krieges fast ganz erloschen und, 
wie so manche andere Künstler, hatte auch Philipp Emanuel 
bald darauf Berlin verlassen und im Jahr 1767 das Amt des 
städtischen Musikdirektors in Hamburg als Nachfolger eines 
der berühmtesten Komponisten seiner Zeit, Georg Philipp 
Telemann, seines Paten, übernommen. Die mit diesem Amt 
verbundene Stellung als Kirchenmusikdirektor brachte ihn 
zunächst einmal schon wieder in engere Beziehung mit der 
Vokalmusik. Zudem war Hamburg eine derjenigen Städte, 
in der der jung aufkeimende deutsche Dichterfrühling 
seine ersten Wurzeln gefaßt hatte. Von Telemann selbst war 
schon einige Zeit zuvor eine Anzahl reizender, von echt nieder- 
deutschem Humor erfüllten Lieder veröffentlicht worden, von 
denen der bekannte alte Hamburger Komponist und Musik- 
gelehrte Johann Mattheson sogar einmal sagt: „Solche Ga- 
lanteriestückchen, wenn sie recht natürlich geraten sind, 
tun oft mehr Dienste als großmächtige Konzerte und stolze 
Ouvertüren." Mächtige und einflußreiche Anregung und 
Unterstützung boten ihm ferner die eben um diese Zeit neu 
entstandenen Lieder- und Odendichtungen eines Geliert, 
Sturm, Stollberg und anderer mehr, die damals in der ganzen 
gebildeten Welt ungeheures Aufsehen erregten. 

Noch in Berlin hatte Philipp Emanuel zahlreiche geist- 
liche Lieder und Oden von Geliert und Stollberg komponiert 
und herausgegeben, und wenngleich uns heutzutage gar man- 
ches davon, dem Charakter jener Zeit entsprechend, doch 
recht zopfisch und pedantisch anmutet, — man sprach da- 
mals von Liedern, bei denen man „weder erröten noch gähnen 
sollte“ — so war doch „die Wahrheit der Gesamtstimmung, 
wie sie sich in der neu erstehenden Gesangsform ausdrückte 
und wie sie ja auch allgemein dem Streben nach künstle- 


rischer Einheit . . . , entsprach, eine überraschende, vor Bach 
noch nicht beobachtete Erscheinung 

Mit der Zeit begann er nun mit immer bewußterer Absicht 
die gleichen künstlerischen Grundsätze und Forderungen, die 
er schon in dem „Versuch über die wahre Art das Klavier 
zu spielen“ für das Klavier niedergelegt hatte, auch auf den 
Gesang und die Liedkomposition zu übertragen, und in der 
Tat, wenn er, wie er da schon sagt, die Zuhörer durch seine 
Kunst ergreifen und rühren wollte, so bot ihm gewiß die 
menschliche Stimme doch ein noch viel geeigneteres Instru- 
ment für diese Absicht als das Klavier, und in glücklichster 
Weise kamen ja auch diese neuen Lieder- und Odendich- 
tungen seinem künstlerischen Streben nach Gesang und Me- 
lodie entgegen. Cramers „Psalmen“ und späterhin besonders 
Sturms „Geistliche Gesänge mit Melodien zum Singen beim 
Klavier“ zeigen in der Komposition bereits diesen neuen ver- 
besserten Stil: die bisherige dürftige zweistimmige Behand- 
lung der Melodie ist aufgegeben, frei schwebt die Singstimme 
über einer volleren harmonischen Unterlage, die aus dem poe- 
tischen Gehalt des betreffenden Gedichts geschöpft wurde, 
„Die .... abgerundete Schönheit in der Form, welche diese 
Lieder zeigen, bewährt sich noch jetzt, nachdem weit über 
100 Jahre glanzvoller Entwicklung und reicher Vervollkomm- 
nung seit ihrem Entstehen über ihnen dahingegangen sind. 
Nur weniges aus der großen Anzahl dieser Lieder darf als 
unbedeutend und veraltet bezeichnet werden; das meiste ist 

in Melodie und Deklamation voll von dem treffendsten 

Ausdruck .... An Gedankentiefe, Wärme der Empfindung 
und an harmonischem Reiz erheben sie sich weit über ihre 
Zeit hinaus.“ (S. oben.) 

Weniger im rein Musikalischen als vielmehr hinsichtlich des 
praktischen Zweckes dieser seiner Liederkompositionen zeigt 
sich Philipp Emanuel als getreuer Schüler seines Vaters ; wie 
dieser so schreibt auch er meist nur „für das Bedürfnis der 
häuslichen Religionsausübung“ und „zum Nutzen und Besten 
der heranwachsenden musikalischen Jugend“. Beiden Zielen 
gleichzeitig dient die sehr sorgfältig durchgesehene und von 
allen mit der Zeit eingeschlichenen Fehlem befreite Ausgabe 
der vierstimmigen Choräle und Choralbearbeitungen Joh. 
Sebastians, . eine mühselige jahrelange Arbeit pietätvoller 
Sohnesliebe, „ohne welche diese ewig bewunderungswürdigen 
Meisterwerke wohl kaum anders als in verstümmelter Gestillt 
auf uns gekommen wären“; und fernerhin sind in diesem 
Zusammenhang auch zu nennen: „Zwei Litaneien aus dem 
Schleswig-Holsteinischen Gesangbuche mit ihren bekannten 
Melodien für acht Singstimmen ln zwei Chören und dem dazu 
gehörigen Fundament“, eine seiner spätesten, in hohem Grei- 
senalter erst veröffentlichten Arbeiten. „Die unerschöpfliche 
Fülle an harmonischen Gedanken, die Gewissenhaftigkeit und 
Strenge in der Darstellung und die fromme Vertiefung in den 
Gegenstand lassen erkennen, wie ernst es dem alten Meister 
um das Erreichen seines Zwecks gewesen ist, nämlich dem 
Studium der Harmonie auf dem Gebiete kirchlicher Andacht 
eine reich strömende Quelle zu eröffnen. Deren äußerlicher 
Umfang läßt sich daraus ermessen, daß die erste Litanei nicht 
weniger als 58 Chöre und Gegenchöre, die zweite Litanei 
deren 42 mit den Antworten, welche zum Teil bis zu 37 Takten 
ausgedehnt werden, enthält. Die Motive sind naturgemäß 
sehr einfach. Praktischen Gebrauch von dieser Arbeit zu 
machen ist unserer Zeit wohl kaum mehr Vorbehalten. Der 
ungeheure Schatz von Wissen aber, der darin niedergelegt ist. 


1 C. H. Bitter, Die Söhne J. S. Bachs. Breitkopf & Härtel, 
Leipzig 1884. 



Handschriften berühmter Musiker: Philipp Emanuel Bach, Anfang eines vierstimmigen Satzes auf Worte von Geliert. 

235 


verdient von der lernenden Jugend gehoben zu werden; der 
Nutzen, den sie davon haben würde, wird vor allem geeignet 
sein, das Andenken des alten Meisters in reichem und hellem 
Lichte neu erstehen zu lassen.“ 

Neben diesen vielen geistlichen Gesängen stehen nun seine 
weltlichen Lieder an Zahl bedeutend zuruck, immerhin kennt 
man eine große Reihe „Lieder fürs Herz“, davon er im ganzen 
95 geschrieben haben soll, und ferner sein letztes großes Werk 
„Neue Lieder-Melodien“, voll Feinheit der Melodie und Wärme 
des Gefühls, „die wie duftige Blüten am Rande des für den 
alten Meister bereits geöffneten Grabes emporsprossen.“ Sein 
stets festgehaltener Gedanke vom „musikalischen Fortschritt“ 
ist auch m diesen letzten Werken streng durchgeführt, auch 
hier ist die alte Liedform in jeder Hinsicht an Umfang er- 
weitert, an Inhalt vertieft, und somit ist in den geistlichen 
und weltlichen Gesängen Philipp Emanuels jener fruchtbare 
Boden gewonnen worden, aus dem heraus nun weiterhin das 
deutsche Lied sich durch Reichardt, Zdter, Schulz und an- 
dere von seiner unbedeutenden Ursprünglichkeit in kühnem 
Aufschwung zu so stolzer Höhe erheben Konnte. 

Wie den Beinamen des „Vaters der Klaviermusik“ so trägt 
also Philipp Emanuel Bach auch den Ehrentitel des „Vaters 
des deutschen Liedes“ mit vollem Recht. Verehrte die Mit- 
welt in ihm hauptsächlich einen ihrer hervorragendsten Mu- 
siker und Komponisten und einen ihrer besten Lehrer, so 
schätzen wir ihn heutzutage in erster. Hinsicht als ein wich- 
tiges und interessantes Bindeglied in der Mitte zwischen der 
altklassischen und der neueren Epoche der Tonkunst, als einen 
Künstler, der seine große Aufgabe im vollen Verständnis und 
Gefühl für ihre hohe verantwortungsvolle Bedeutung in langer, 
erfolgreicher und treuer Arbeit mustergültig und vorbildlich 
erfüllt hat und der deshalb unserer bewundernden Verehrung, 
unseres reichsten, herzlichsten Dankes wert und würdig ist. 

Heilbronn. August Richard. 


Das Arbeitslied. 

V on den Fenstern meines Fabriklaboratoriums sehe ich 
über unermeßliche Gebäude hinweg, auf rußgeschwärzte 
Fabrikbauten, mächtige Arbeitshallen, dampfende Ma- 
schinenhäuser und rauchende Schlote. Nur selten lassen die 
Dampf- und Rauchmassen ein Stückchen blauen Himmels 
durchblicken. 

Vor den Fenstern meines Laboratoriums tönt die große 
Symphonie der Arbeit. Frühmorgens beginnt sie mit dem 
leisen, geheimnisvollen Summen der elektrischen Maschinen. 
Das klingt wie ein Locken zu neuer Tat, zu neuem Erfinden. 
Chromatisch steigen die Töne höher und höher, lebhafter 
wird das Summen, lauter das seltsame Brausen in den Drähten, 
bis mit einem Schlag alle die Fräs- und Sägmaschinen und 
wie sie alle heißen mögen, zusammenklingen. summen und 
rasseln: „Heia! Frisch auf. Die Sonne steht hoch am Him- 
mel! Arbeitet und wirkt bis zum Abend!“ Und langsam, 
sicher, mit eiserner Energie greifen tausend Hände zu und 
arbeiten im Gleichtakt mit den puffenden Motoren. Merkwür- 
dige, fast lächerlich klagende chromatische Gänge singen die 
schweren Sägen dazu. Unmerklich, langsam ist das ganze, 
erst so frische und lebhafte Getöse in ein schleppendes Tempo 
übergegangen: „Wir wollen rasten. Der Tag ist uns zu lang, 
die Mühe zu groß.“ Aber plötzlich beginnt das Scherzo und 
reißt alle mit: 



V 

V V 

t s . t • .. ; ~ 1 


Lfm A 


i r 1 1 i_i 1 -1 


1 

— 1 — ^ 1 — J — * 


Das ist der große Dampfhammer mit seinem scharf präzi- 
sierten, strengen Rhythmus. Ein Appell an die Miiden. 
„Frisch auf! Noch ist der Mittag nicht gekommen! Hört 
auf meinen Rhythmus, dann wird euch die Arbeit leicht.“ 
Und wie als Antwort singen die kleinen, hell klin genden 
Hämmer der Arbeiter aus den Reparatursälen ihr eintöniges, 
aber doch lustiges Lied: 


yfc= 


f -k— p— h — f— 

f-f c=h 

- 

7=*— 7=X=&=- 

: r — Xr~- 7-* 7 3 


Jäh wird das Scherzo unterbrochen durch ein gewaltiges 
Zischen und Brausen, verworrene Stimmen. Metallgekhrr. 
Das klingt plötzlich alles so unrhythmisch, so titanisch un- 
gebändigt und steht in jähem Kontrast zu dem gleichmäßigen 
Gange des Dampfhammers. Das ist wie ein Sieg wilder, un- 
gezähmter Naturkräfte über Takt und menschliches Gesetz. 
Aber kaum ist der zischende Glühstrom des schmelzenden 
Eisens in die vorgeschriebenen Wege geflossen, so tönt auch 
der rhythmische Gang der Hämmer wieder: wie ein Sieg des 
Menschen über wilde Kraft. Aber jeder Sieg kostet Opfer : lang- 
samer geht der große Hammer und müder klingen die kleinen 
Hämmer. Das Sieghafte ist aus der Symphonie verschwunden 

236 


und nur die dumpfen Untertöne sind geblieben, zu denen jetzt 
das mühselige : „Ho ! — ruck“ der Arbeiter tönt, die im Hofe die 
schweren Eisenschwellen verladen. Und zu allem klingt als 
tiefer Orgelton das gleichförmige Summen der großen Säge. 
Bis mit Snem Male die dreistimmige Dampfsirene ertönt und 
alle Themen in einen erlösenden Akkord zusammenklingen 
läßt. 

Das ist das alltägliche, unerbittliche Lied. Sieghaft und 
bedrückend zugleich. Stets dieselben Themen, ohne Abwechs- 
lung, ohne Unterbrechung. Nur zuweilen klingt unter sie eine 
seltsame, fremde Melodie. Ich weiß nicht, wer sie singt und 
wo sie gesungen wird. Es ist wohl eine der Sägen altertüm- 
licher Konstruktion, die nur selten noch gebraucht wird. Bis- 
weilen hört man ihre Weise: 


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1 \r. 7 


i— J- 


Es ist eine Melodie, die eigentlich nicht mehr in unsere 
Zeit paßt: sie ist zu sentimental. Und doch, ja gerade des- 
halb paßt sie zu uns Arbeitsmenschen, ist sie als Thema der 
Arbeitssymphonie unentbehrlich. Denn unsere hastende, har- 
monielose Zeit drängt unser tiefstes seelisches Empfinden in 
uns selbst zurück und läßt es nur selten, in schönen, trau- 
rigen Augenblicken ans Licht gelangen. Die Unrast der Ar- 
beit wartet nicht auf die Auuösüng der Septimen. Darum 
ist es so ganz charakteristisch, daß die seltsame, „traurige 
Weise“ nur selten in die Wirrnis der Arbeitssymphonie klingt 
und daß das letzte, leis verhallende e stets vergebens auf die 
begleitende, reine Tonika wartet. Andere unharmonische 
Themen kommen und lassen es im Strudel der Töne unter- 
gehen. Und klingt nicht diese eine kurze Melodie wie ein 
Sehnen nach Reinheit und Stille, die im Wirrsal des Erwerbs 
und der Existenzfrage zugrundej gegangen, wie ein Sehnen 
nach Frieden und Sonnenschein, die der Neid und Haß tücki- 
scher Menschen vertrieben haben, wie ein Sehnen nach Har- 
monie, die in Kampf und Not verschwunden ist, und nach 
dem versöhnenden Dreiklang, der auf den nie ausklingenden 
Septimenakkord folgen muß. So ist mir die traurige Weise 
des Arbeitsliedes zum Symbol geworden: Was die alte ver- 
rostete Säge bisweilen vor meinen Fenstern singt, klingt täg- 
lich aus tausend Menschenherzen zum Himmel empor. 

Dr. Hans Wagner (Stuttgart). 


Das Wendling-Quartett. 

I n Stuttgart haben sich vier Künstler zu einem Quartett 
zusammengefunden, dessen Klang heute überall gern 
vernommen wird. Es geschieht nicht aus lokalpatrio- 
tischer Begeisterung, wenn wir auf dies Quartett unserer- 
seits noch besonders hin weisen. Von der Kammermusik in 
der schwäbischen Residenz hatte man seit dem Rücktritt 
Edmund Singers nicht viel mehr vernommen. Von den 
„Münchnern“ z. B. sprach die musikalische Welt, die analogen 
„Stuttgarter“ existierten nicht. Nun ist es dem unermüd- 
lichen Schaffensdrang Karl Wendlings, des ersten Konzert- 
meisters der Hofkapelle und Nachfolgers des verstorbenen 
Singer, gelungen, in den Herren Hans Michaelis, Philipp 
Neeter, Alfred Saal drei Künstler zu gewinnen, die, mit ihm 
als Primgeiger, das Wendling- Quartett nach kurzer Zeit auf 
eine solche Höhe gebracht haben, daß es strengen künstleri- 
schen Forderungen Stand hält. Es hat ziemlich lange ge- 
dauert, und an Versuchen mancher Art nicht gefehlt, bis die 
Gründung in der jetzigen Form erfolgen konnte. Dann aber 
stellte sich der Erfolg rasch ein. Und zwar nicht bloß in Stutt- 

f art. Das Wendling- Quartett dürfte es wagen, mit den 

erühmten reisenden Kammermusikvereinigungen den Kampf 
auch außerhalb der Mauern aufzunehmen. Nach dem Erfolge 
auf der Tonkünstlerversammlung in Danzig, der den Stutt- 
gartern sofort einen Namen in Deutschland machte, konzer- 
tierten Wendling und die Seinen in den Musikzentren: Berlin, 
Leipzig, München; und sie wurden von der Kritik dermaßen 
günstig aufgenommen, daß die Konzertreisen jetzt weiter 
ausgedehnt werden und zu einer ständigen Einrichtung ge- 
worden sind. 

Vergleichen wir das Wendling- Quartett mit ausgesprochenen 
Kammermusikvereinigungen, etwa den Böhmen, deren ganze 
künstlerische Tätigkeit sich auf den Kammerstil beschränkt, so 
finden wir bei den Stuttgartern zwar nicht jenen bis ins Minu- 
tiöse ausgearbeiteten Vortrag, der ja auch schon als „zu“ 
schön, zu sauber und glatt bezeichnet worden ist. Was die 
Herren Wendling, Michaelis, Neeter, Saal auszeichnet, ist 
ebensowenig ein Paradieren mit einigen wenigen Repertoire- 
und Glanzstücken, sondern das von künstlerischem Emst, 
von künstlerischer Ueberzeugung geleitete Streben, der 
Kammermusik im weitesten Sinne zu dienen. Wendling, 
einer der eifrigsten Vorkämpfer Regers, bringt Programme, 
die die Kenntnis der Literatur erweitern und das musikalische 



Wissen bereichern. Das Quartett hat eine „führende“ Stellung 
im modernen Musikleben. Diese Künstler erfüllen also wie 
gesagt noch andere Aufgaben, als bloß einige Meisterwerke 
vollendet zu spielen. Trotzdem die Spieler des Quartetts aber 
auch in der Hofkapelle mitwirken, beherrschen sie die Fein- 
heiten des Kammerstils. Jeder ist ein vortrefflicher Kenner 
seines Instruments; das Zusammenspiel ist durch und durch 
musikalisch, gewandt, klanglich sehr schön und ausgeglichen. 
Gewissenhaftigkeit und Strenge des Stils zeichnet sie weiter aus, 
Das Wendling- Quartett erfüllt durchaus die Anforderungen, 
die an ein konzertierendes Quartett heute gestellt werden. 
Wir sind stolz auf die Stuttgarter und haben uns ihrer aus- 
wärtigen Erfolge von Herzen erfreut. Die hiesigen 6 Konzerte 
im Winter, an denen namhafte Solisten anderer Instrumente 
teilnehmen (ständiger Gast ist kein Geringerer als Max Pauer), 
sind stets ausverkauft und gehören neben den Abonnements- 
konzerten der Hofkapelle zu den vornehmsten Veranstaltungen 
im Stuttgarter Musikleben. 

Karl Wendling ist in Straßburg 1875 geboren. Mit kaum 
24 Jahren war er schon Konzertmeister bei den Meiningern 
unter Steinbach, der Schüler Joachims hatte sehr jung emen 


einem Vokalwerk einladet, dann bleiben die Freunde künst- 
lerischen Chorgesanges nicht aus: durch die Aufführungen 
der „Hohen Messe“ J. S. Bachs auf dem Chemnitzer Bach- 
Fest, des dritten Oratoriums „Tod und Sieg des Herrn“ aus 
Draesekes „Christus“, ebenfalls in Chemnitz, und durch die 
Uraufführung der „a moll-Messe für gemischten Chor a capella“ 
von Draeseke in Dresden hat er sich den wohlbegründeten 
Ruf einer künstlerischen Persönlichkeit, eines berufenen 
Gesangspädagogen und Chorleiters erworben, und Eingeweihte 
wissen, daß er seinen Kirchenchor durch planmäßige zwei- 
jährige Vorarbeit zu einem Chor von Musikern erzieht. Da- 
durch und dadurch allein — durch Auswahl und Schulung — 
sind die bewunderungswürdigen Leistungen seines Chores 
möglich. So hat nunmehr Georg Stolz seinen Ruhmes- 
blättern einen neuen unverwelklichen Lorbeer zugefügt: es 
war erstaunlich, mit welcher Frische und Klangschönheit 
und mit welcher Reinheit der Intonation die gehäuften 
Schwierigkeiten der Tonfolgen und Zusaminenklänge und der 
Länge mancher Sätze bewältigt wurden. 

Eingeleitet wurde die Gedächtnisfeier durch die Bachsche 
„große“ g moll-Fantasie und Fuge, deren Vortrag Georg Stolz 



Das Wendling-Quartett m Stuttgart. 


Karl Wendling. Hans Michaelis. 


Namen. 1903 wurde er nach Stuttgart berufen. Hans 
Michaelis, der 2. Violinist, ist ein geborener Wiesbadener 
und ebenfalls durch Joachims Schule gegangen. Der Bratscher 
Philipp Neeter ist 1882 in Amsterdam geboren und gehörte 
später der Meininger Hofkapelle als Mitglied an. Kammer- 
musikus Alfred Saal ist 1881 in Weimar geboren, ein Schüler 
Grützmachers und des Hochschen Konservatoriums in Frank- 
furt. ■ Er wirkte in verschiedenen Orchestern und Quartetten 
mit, bis der Ruf nach Stuttgart an ihn erging. Die noch 
jungen Künstler haben in Wendling einen Primgeiger, der sie 
weiter bergauf führen wird. Durch das Wendling- Quartett 
ist einem lange gehegten Wunsch nach einer Stuttgarter 
Kammermusikvereinigung von Rang Erfüllung geworden. O. K. 


Draeseke-Gedächtnisfeier in Chemnitz . 1 

Uraufführung des Requiems für fünfstimmigen gemischten 
Chor und Solo-Quintett a capella. 

R ührung und Wehmut ergriffen uns übermächtig und 
des toten Meisters teures Bild trat lebendig vor unser 
inneres Auge, als die weihevollen Klänge des letzten 
Chorwerkes Felix Draesekes vom Chore der „Lukaskirche“ in 
Chemnitz zu uns hernieder klangen ! Wenn Kirchenmusik- 
direktor Georg Stolz, Kantor und Organist an St. Lukas, zu 

1 Wegen Raummangels bis heute zurückgestellt. Red. 


Philipp Neeter. Alfred Saal. 

selbst übernommen hatte und die er in richtiger Einschätzung 
der Tempi, mit vorbildlicher Handhabung des Rhythmus und 
Berechnung der Klangwirkung in mächtiger Steigerung 
darbot. Dann folgten nur Draesekesche Werke: Das bekannte 
tief und melodisch empfundene Lied „Mitternacht“ (mit 
Orgel), das Gelegenheit gab, sich an dem süßen, wohlgebildeten 
lyrischen Sopran von Luise Pöschmann aus Chemnitz schon 
vor dem Requiem zu erfreuen, die Uraufführung eines „Adagios“ 
für Violine und Orgel (anscheinend aber für Klavier gedacht), 
das der erste Konzertmeister der städtischen Kapelle zu 
Chemnitz H. Bobeil mit edlem Ton und warmer Empfindung 
vortrug, und das „Requiem“ als Hauptwerk des Abends. 

In den beiden letzten Jahrzehnten des Lebens und Schaffens 
Draesekes macht sich deutlich ein neuer Stil bemerkbar. Der 
greise Künstler altert nicht; im Gegenteil, eine herrliche 
Gefühlswärme durchdringt ihn und tritt an Stelle einer sich 
hier und da bemerkbar machenden „reinen Vernunft“. Im 
Bewußtsein seiner reifen und nie versagenden Kompositions- 
technik kann er es wagen, einen melodischen Faden imendlich 
weites zu spinnen, und aus vielfach verschlungenen Melodie- 
fäden ergeben sich ganz neue Zusammenhänge, ewig wechselnd 
und dem unvorbereiteten oder ungeschulten Ohre verworren 
und unübersichtlich erscheinend. Eines der angenehmsten, 
stimmungsvollsten, übersichtlichsten Werke dieses neuen 
Stiles (dem u. a. die letzten symphonischen Dichtungen „Der 
Thuner See“ und „Der Traum ein Leben“ angehören) ist 
dieses „Adagio“ für Violine, dem man gern wiederbegegnen 
möchte; in diesem Neu-Draesekeschen Stile ist auch das 
„Requiem“ geschrieben. Man verwechsle es nicht mit dem 
1877 — 80 geschriebenen Requiem für vier Solostimmen, Chor 


237 



und großes Orchester in h moll, das in den achtziger Jahren 
öfters in Dresden durch die Dreyssigsche Singakademie und 
in Leipzig durch den Riedel- Verein, u. a. auch im ersten Kon- 
zert der 20. Tonkünstlerversammlung des Allgemeinen Deut- 
schen Musikvereins aufgeführt worden ist und mit zu den 
Werken gehört, die den Ruhm Draesekes als eines nach dem 
Höchsten strebenden ernsten Komponisten begründeten. Das 
nunmehr aufgeführte Werk ist erst nach dem „Christus“ 
geschaffen und ist das letzte große Chorwerk des Meisters. 

Man war nach dem starken Rindrucke des „Christus“ be- 
rechtigt, mit hochgespannten Erwartungen an das „Requiem“ 
heranzutreten, aber ich muß gestehen: sie sind in der Tat 
übertroffen worden. Nicht nach der Seite der überwältigenden 
Steigerungen, die der Ruhm der Christustetralogie bleiben 
werden — bei einem Werke für unbegleiteten Chor sind der 
Ausführungsmöglichkeit naturgemäß engere Grenzen gezogen — 
wohl aber nach der Seite des Ergreifenden, des Wohlklingenden, 
des Stimmungsvollen, auch des Neuen und Ueberr aschenden. 
Der großartige bekannte Text des „Requiems“ ist innig und 
wahr empfunden und man hat überall den Eindruck, daß 
dieses Werk aus einem inneren Bedürfnis heraus entstanden ist. 

Als ein eindringlicher, machtvoll anschwellender Bittgesang 
erklingt es: Requiem aetemam dona eis und schon beim 
lux perpetua luceat eis bemerken wir, wie der Komponist 
in lang ausgehaltenen hohen Noten das ewige Licht leuchten 
läßt. Ein sprechendes Thema im äolischen a moll charakteri- 
siert das Te decet hymnus, anders, reicher kehrt das Requiem 
aetemam dona eis zurück und wird von den merkwürdig 
schwebenden Klängen des Kyrie und Christe eleison beschlossen, 
das Christe vom Soloquintett ausgeführt, bei dem wieder 
der wohlklingende Sopran Luise Pöschmanns auffiel. 

Der langausgedehnte zweite Satz, ein Meisterwerk der Ein- 
heit in der Mannigfaltigkeit, setzt mit den wilden Rufen des 
Dies irae, dies illa aufgeregt ein, charakterisiert ähnlich wie 
Mozart, sogar in gleicher Tonart (B diu:), das Tuba mirum 
durch ein Dreiklangsthema und hat als besondere Feinheiten 
das zögernde, schuldbewußte Quid sum miser tune dicturus, 
das überwältigende Rex tremendae majestatis, das in einen 
weichen, klagenden, schnell mehrere Tonarten durchschweben- 
den Bittgesang salva me, fons pietatis ausklingt, das schön 
empfundene Quaerens me sedisti lassus und Qui Mari am 
absolvisti und das sich in absteigenden Harmonien bewegende 
Oro supplex. 

Auch im dritten Satz Domine Jesu Christe knüpfen sich 
die höchsten Schönheiten an die weichen Stimmungen. Be- 
sonders fiel mir die schöne Gestaltung des ne cadant in 
obscurum auf, während mir schien, als ob dem Komponisten 
an den Worten quam olim Abrahae promisisti et semini ejus 
nichts als die herkömmliche Fugenform begeistert hätte. 
Die wenig reizvolle Fuge kehrt auf denselben Worten wieder, 
dazwischen werden wir aber durch den wunderschönen Solo- 
gesang Hostias et preces tibi erfreut. 

In großzügigem Melodiebogen erklingt das Sanctus Dominus, 
gegen welches das Hosanna in excelsis mehr gemacht als 
empfunden erscheint; aber als die Krone aller zarten Stellen 
des Werkes möchten wir das herrliche Benedictus erklären, 
das für seine hohe Schönheit zu kurz erscheint. Luise Pösch- 
mann verlieh ihm durch ihren süßen Sopran einen besonderen 
Zauber. In seiner Eindringlichkeit gemahnt der letzte Satz, 
das Agnus Dei, wieder an den Anfang, und mit den weihe- 
vollen Klängen des cum sanctis tuis in aetemam, quia pius es 
schließt das mächtige Werk. Gerade eine Stunde hat es bei 
nur ganz kurzen Pausen zwischen den einzelnen Sätzen ge- 
dauert, für unbegleiteten Chor- und Sologesang gewiß eine 
außerordentlich lange und allein schon durch die Länge der 
Aufmerksamkeit und Sammlung gefährliche Zeit: aber be- 
zeichnend für den Reichtum des Werkes ist es, daß man ganz 
überrascht war, daß die Zeiger der Uhr inzwischen so weit 
vorgerückt waren. Nach dem großen künstlerischen Erfolge 
des Werkes wird es nicht schwer sein, ihm Aufführungen über 
Aufführungen vorauszusagen, wenn der Ehrgeiz der Chor- 
leiter nicht an den Schwierigkeiten scheitert — der Georg 
Stolzens ist ihrer siegreich Herr geworden, weil er den Glauben 
an die Größe Draesekes hatte, und wie Felix Draeseke über 
seinen treuen Feldherm dachte, möge man daraus ersehen, 
daß er ihm letztwillig die Uraufführung seines „Requiems“ 
zugedacht hat. Prof. Otto Urbach (Dresden). 


Musikbrief aus Brüssel. 

M usikalische Ereignisse haben wir seit Januar erlebt. 
Zuerst unsere französischen Pars i/a/- Aufführungen : 
wie die meisten hiesigen und fremden — sogar Pariser — 
Kritiker behaupten, soll die Brüsseler Auffassung im Monnaie- 
Theater die beste französische gewesen sein. Darüber 
braucht man sich nicht zu wundern, wenn man weiß, daß 
an der Spitze unserer Oper als Direktor kein Geringerer 

238 


als der langbekannte Wagner-Forscher, Maurice K-ufferaih, 
steht. Der hat das möglichste aufgeboten, um eine treffliche 
Rollenbesetzung und eine ausgezeichnete orchestrale Leistung 
zu erzielen. Trotzdem ist ihm nicht alles nach Wunsch ge- 
lungen; wer in Bayreuth war, kann sich den großen Unter- 
schied zwischen jenen und den bestgemeinten hiesigen Auffüh- 
rungen vorstellen. Unser Theater, schon ein ehrwürdiger 
alter Bau, ist für das Weihefestspiel auch gar nicht organi- 
siert. Wo es möglich war, hat man es — z. B. durch Ver- 
tiefung des Orchesterraums — etwas modernisiert; aber das 
genügte nicht. Ich für meinen Teil war von der Vorstellung 
deshalb nicht besonders entzückt, weil eben die einzige Weihe 
fehlte, die man nur in Bayreuth findet; den mystischen 
Charakter, des Ganzen spürte man nur zu selten und der to- 
tale Eindruck war zu materiell. Während im Orchester 
die Streicher wundervoll spielten, waren die Bläser fast fort- 
während zu stark. 

Parsifal fand in Heinrich Hensel keinen berufenen Dar- 
steller. Unser Tenor, M. Andonin, hat mit weniger Stimme 
einen weit besseren Eindruck gemacht. Als Siegfried hat uns 
Heusei immer gefallen; als Parsifal aber sehr enttäuscht, ob 
das Französische schuld daran war? Ebenso befriedigte mich 
die Kundry nicht. Klingsor war mittelmäßig, dagegen können 
Gumemanz und Amfortas (die Herren Billot und Ronard) 
kaum besser sein. Im allgemeinen waren auch die Chöre gut, 
die Blumenmädchen hatten ein paar grelle, Stimmen. Die 
Inszenierung war den hiesigen Verhältnissen entsprechend 
nicht übel, etwas trocken die Gralsgegend, sehr geschmack- 
voll aber der üppige Zaubergarten; auch die Kostüme der 
Blumenmädchen reizend edm der Farbe entzückend! Alles 
in allem eine ehrenvolle Aufführung, an deren Erfolg Kapell- 
meister Otto Lohse, der die letzten Proben und die acht ersten 
Vorstellungen dirigierte, seinen Teil hatte. 

Während Parsifal vor aus verkauften Sälen noch immer ge- 
geben wird, feierte Richard Strauß einen fast noch größeren 
Erfolg. Wie Stuttgart, Dresden, München, haben wir auch 
eine Strauß-Woche gehabt und der Meister selbst war ein- 
geladen, sämtliche Aufführungen zu dirigieren. Da war zu- 
erst ein Konzert (zwei öffentliche Wiedergaben), in dem die 
farbenreichen, herrlichen Werke Don Juan, Also sprach Zara- 
thustra und Till Eulenspiegel mit Begeisterung begrüßt wur- 
den. Auch den Liedern war Erfolg beschert, die Frances 
Rose (Berlin) sang und die Strauß selbst begleitet (Klavier 
oder Orchester). Es folgten die Aufführungen, in deutscher 
Sprache, unter des Meisters Leitung: Elektra und Salome. 
Das war ungeheuer groß ! Diese gewaltige Elektra hat einen 
riesigen Eindruck gemacht (wenn auch im Orchester nicht 
alles vollständig war — zu wenig Proben — wie überall!) 
Was Künstlerinnen wie Frau Mottl-Faßbender (Elektra), Anna 
Bahr-Mildenburg (Klytämnestra), Frances Rose (Chrysotemis) 
boten, das hat keinen Namen! Man muß schweigend be- 
wundern. Nach der Salome- Aufführung (Salome: Frances Rose ; 
Herodias: Frau Mottl; Herodes: E. Krauß; Jochanaan: Herr 
Bouillez, der für den leider erkrankten Perron einsprang) wurde 
Strauß unendlich oft hervorgerufen und als genialer Kom- 
ponist und Dirigent doppelt gefeiert. 

Theaterereignisse dieser Art haben jedoch das Konzertleben 
nicht in Schatten stellen können. Weniger Konzerte als im 
vorigen Jahre, aber dafür eine Auswahl! Zwei verstorbene 
große Tonkünstler beginnen auch hier ein begeistert Publikum 
zu haben: Gustav Mahler, dessen II. Symphonie (Die Auf- 
erstehung) sogar im Konservatorium herrlich aufgeführt wurde 
und der einzige Hugo Wolf, von dem Maria Phuippi wunder- 
volle Lieder mit Orchester sang, während das Zimmer-Quar- 
tett mit den entzückenden Feinheiten der italienischen Sere- 
nade bekannt machte. Einen Liederabend der Frau Lula 
Mysz-Gmeiner, ein Konzert des Busch-Quartettes (Wien), von 
Pablo Casals, Friedberg usw., die eigenartigen Soir6es von 
Yvette Guilbert (altes französisches Volkslied) seien aus den 
vielen anderen Kammerkonzerten hier erwähnt. Uebrigens 
verspricht man noch viel vor Ende, der musikalischen Saison. 

BnisseL May de Rüdder. 


„Publikum, werde hart.“ 

U nter dieser Ueberschrift erschien in Heft 12 des Jahr- 
gangs 1913 ein Artikel von Eugen Honold, der sich mit 
den „Entdeckungen und Erfindungen“ im Geigenbau 
und der Stellung der Presse dazu befaßte. Der Aufsatz hatte 
nicht geringes Aufsehen erregt. Der Geigenbauer Joachim 
Schulze in Flensburg, der wieder mal das „italienische Ge- 
heimnis“ entdeckt hatte, fühlte sich aber durch einen Passus 
beleidigt und stellte Strafantrag gegen Eugen Honold. Hier 
das Urteil:' 

Im Namen des Königs! 

In der Privatklagesache des Geigenbauers Joachim Schulze in 
Flensburg, Großestraße 42/44, Privatklägers, 


gegen den Gerichtsassessor Eugen Honold in Düsseldorf, Rem- 
scheiderstraße No. i, Angeklagten, 
wegen Beleidigung, 

hat das Königl. Schöffengericht in Flensburg in der Sitzung 
vom 6. November 1913 für Recht erkannt: 

Der Angeklagte ist der Beleidigung schuldig und wird des- 
halb zu einer Geldstrafe von 20 M. eventuell 2 Tagen Ge- 
fängnis und in die Kosten des Verfahrens einschließlich der 
dem Privatkläger erwachsenen notwendigen baren Auslagen 
verurteilt. Gleichzeitig wird dem Privatkläger die Befugnis 
zugesprochen, den entscheidenden Teil des Urteils binnen 
2 Wochen nach Rechtskraft desselben in der „Neuen Musik- 
Zeitung“ auf Kosten des Angeklagten zu veröffentlichen. 

(gez.) Bartels. 

Dazu ist zu sagen: Die Verurteilung ist lediglich wegen 
formaler Beleidigung erfolgt. Eine Beweisaufnahme hat 
in beiden Instanzen nicht stattgefunden. Das Gericht 
I. Instanz sagt in der Urteilsbegründung: „Ausdrücke wie 
Schwindel, plumper Schwindel, unlautere Elemente, denen 
der Kamm schwillt, sind in formaler Beziehung immer be- 
leidigend.“ Aus dieser Ansicht heraus ist eben die Beweis- 
aufnahme über die Wahrheit der Warnung unseres Mitarbei 7 
ters unterblieben. Unser Mitarbeiter hatte zum Beweis der 
materiellen Wahrheit seiner Kritik ein Gutachten des 
Verbandes der deutschen Geigenbauer vorgelegt, das von den 
namhaftesten deutschen Geigen machern unter- 
schrieben war. Darin war bestätigt, daß die von ihm geübte 
Kritik sachlich vollkommen gerechtfertigt und daß 
die Anpreisungen des Privatklägers unwahr und irreführend 
seien. In der Urteilsbegründung I. Instanz sagt das Gericht: 
„Wie gerichtsnotorisch ist, stehen auch, was sich bei einem 
früheren Prozesse gezeigt hat, eine große Anzahl von Sach- 
verständigen auf demselben Standpunkt“ (wie unser Referent) ! 
Das Gericht II. Instanz war, wie sich aus der mündlich vor- 
getragenen Urteilsbegründung ergab, der Ansicht, daß dre 
Ausdruck Schwindel den Schutz des § 193 St.G.B. (Wah- 
rung berechtigter Interessen) dann nicht beanspruchen könne, 
wenn nicht etwa nachweisbar ist, daß der Schwindler sich 
auch bewußt war, geschwindelt zu haben. Wir überlassen 
das weitere Urteil unseren Lesern. Immer und immer aber 
möchten wir betonen, daß die von unserem Mitarbeiter in 
seinem Artikel geübte Kritik materiell durchaus berechtigt 
war. Die Kritisiening des Privatklägers lag im allgemeinen 
Interesse und wem steht die Wahrung des Interesses der 
Allgemeinheit denn mehr zu als der Presse? Es sträubt sich 
der Laienverstand dagegen, daß ein Schriftsteller, der dieses 
Interesse der Allgemeinheit mit Recht wahrnimmt, dafür be- 
straft werden soll, wenn er sich vor einem kräftigen Ausdruck 
nicht scheut. Es gibt eben gewisse Ausdrücke, die im Ver- 
kehr durchaus üblich, eine technisch feststehende Bezeichnung 
sind. Und es braucht noch lange nicht behauptet zu sein, 
daß bei dem, auf den sie angewendet werden, böse Absicht 
vorläge. Es ist z. B., ganz allgemein gesprochen, ein Unter- 
schied, ob ich sage: eine Sache ist Schwindel, oder Herr X. 
ist ein Schwindler. Jedermann versteht diesen Unterschied. 
Wird aber der Schwindel schriftlich fixiert, dann ist die Be- 
leidigung ohne weiteres da, auch wenn keine Absicht dazu 
vorliegt. Und in unserem Palle lag wahrhaftig keine vor, 
diese müßte sich aus andern Umständen ergeben. Um auf Herrn 
Schulze und seine Erfindung zurückzukommen, würden wir 
uns von Herzen freuen und ihm gratulieren, wenn das „italie- 
nische Geheimnis“ diesmal wirklich entdeckt worden wäre. 
Dies Ereignis hätte aber den lautesten Widerhall in der Musik- 
welt gefunden. Leider haben wir jedoch bis jetzt gar nichts 
davon gehört. 



Graz. „Litumlei“, komische Oper in drei Aufzügen von 
Sepp Rosegger, hat die Uraufführung am Opemhause erlebt. 
Nach der tragischen Oper „Der schwarze Doktor“ kam der 
Sohn Peter R. diesmal mit einem heiteren, fast übermütigen 
Werke, zu dem er die Fabel aus Gottfried Kellers ergötz- 
licher Novelle „Der Schmied seines Glückes" schöpfte. Gemäß 
dem geschickten Aufbau der einzelnen Szenen und den durch- 
aus sehr wirksam entwickelten Aktschlüssen ist dem Autor 
eine starke, theatralische und dramatische Begabung nach- 
zurühmen. Die Musik fließt ungesucht harmonisch und ein- 
schmeichelnd melodisch dahin. Es spricht aus ihr ein feiner, 
vornehmer musikalischer Geist. Die Instrumentation könnte 
allerdings noch modernere Farben vertragen. Außer dem 
Komponisten hatten auch Kapellmeister Seils, Spielleiter 
Direktor Grevenberg, sowie die Darsteller Karl Koß (Litumlei), 
Olga Barco Frank (Dovelle), Adolf Fuchs (Bertram), Julius 
Martin (Isidor) und Auguste Lenska (Aglaia) vollen Anteil 
an den reichen Ehren des Abends. Julius Schuch. 


Halle a. S. Von Hans Stieber, einem jungen, am Dessauer 
Hoftheater als Kapellmeister wirkenden Musiker, haben einige 
Klavierlieder und eine Cellosonate in Fdur mit Erfolg die 
Uraufführung erlebt. Die Werke verraten achtenswerte Be- 
gabung und tüchtiges musikalisches Können. In der tempera- 
mentvollen Pianistin Carola Lorey -Mikorey, in der fein- 
stimmigen Sopranistin Mar cella Roeseier und in dem weit- 
berühmten Dresdener Cellomeister Prof. Georg Wille standen 
dem Komponisten glänzende Interpreten zur Seite. — Neue 
Solistenkonzerte mit volkstümlichen Eintrittspreisen hat der 
Gesanglehrer Franz Frank eingerichtet. Ob dafür ein wirk- 
liches Bedürfnis vorlag, wird sich erst zeigen müssen. Die 
Absicht ist gewiß gut, zumal die Wahl der Solisten mit Vor- 
sicht geschieht. Im ersten Konzert wirkten erfolgreich 
Elsa Siegel (Gesang), Karl Schönherr (Klavier) und Allin 
Findeisen (Kontrabaß) 'mit. — Die Parsifal-Aufführung war 
ein künstlerisches Ereignis. P. Kl. 

Lübeck. In einem Konzerte der hiesigen Richard-Wagner- 
Vereinigung hat Max v. Schillings Bruchstücke aus seinen 
Opern, das Vorspiel aus „Ingwelde“, Spielmanhs Lust und 
Leid aus dem „Pfeifertag“ und das Erntefest aus dem „Moloch“ 
dirigiert. Max Montor vom Schauspielhaus in Hamburg 
rezitierte. den „Jung Olaf*. Der Komponist wurde als Musiker 
und Dirigent von der Zuhörerschaft herzlich gefeiert; nicht 
minderer Auszeichnung erfreute er sich nach dem Trauermarsch 
aus der Götterdämmerung und dem Vorspiel und Isoldes 
Liebestod aus „Tristan“, die er zu erschütternder Wirkung 
brachte. Das Stadttheater führte Siegfried Wagners „Herzog 
Wildfang“ mi t gutem Gelingen auf. Der Komponist wohnte 
der Aufführung bei. J. H. 

Meiningen. Von den letzten Konzerten der Hofkapelle ist 
zu melden, daß Max Reger sein op. 130: Ballettsuite hier erst- 
malig zur Aufführung brachte. Wie anderwärts, so hat auch 
hier das entzückende, klare Werk in allen Teilen eine beifalls- 
freudige Aufnahme im Publikum gefunden. Als weitere 
Novität erschien Julius Klengels Violoncello-Konzert op. 20, 
das der Komponist hervorragend spielte. Der Singverein 
brachte Liszts Prometheus-Chöre zur wohlgelungenen Auf- 
führung. Frau Vally Friedrich-Höttges (Berlin, Alt) hatte 
mit der Wiedergabe der Mahlerschen „Kindertotenlieder" 
großen Erfolg. — Max Reger ist erkrankt; die letzte diesjährige 
Konzertreise mußte abgesagt werden. Wir geben der Hoffnung 
auf baldige Genesung des Meisters herzlichen Ausdruck. L. 

Stettin. „Frithjof und Ingeborg", großes Chorwerk von 
Robert Wiemann, ist hier aus der Taufe gehoben worden. Nichts 
Sentimentales begegnet uns in diesem Werke, sondern kraft- 
volles nordisches Heldentum. Der Text, der Tegnerschen Sage 
entnommen, ist von der Gattin des Komponisten überarbeitet 
worden und stellt in gedrängter Kürze die Schicksale der beiden 
Nordlandskinder zusammenhängend dar. Der Chorsatz bietet 
nicht geringe Schwierigkeiten. Rhythmus und Harmonik 
verlangen ein Studium, das man nur großen geschulten Chor- 
vereinigungen zumuten kann, die aber an diesem Werke 
einen Prüfstein musikalischen Könnens finden werden. Das 
Werk verlangt fünf Solokräfte. Der symphonische Teil des 
Werkes ist von hervorragender Bedeutung. Die Ausführung 
durch den Stettiner Musikverein mit dem Komponisten als 
Chorleiter war glänzend. Solisten waren: Frl. Merker (vom 
Stadttheaterf, Anna Hardt (Hamburg), Dr. Matthäus Römer 
(München, Frithjof) sowie Thomas Denijs und Herr Schröder. 
Wiemann, unser hervorragender Chor- und Orchesterleiter, 
hatte einen Beifall, wie er hier nicht oft gehört wird. Wir 
hoffen, dies Werk auf ersten Musikplätzen wiederzusehen. G. 


Neuaufführungen und Notizen. 

— Eine sonderbare Meldung bringt das Berliner kgl. Opern- 
haus. Dort soll nämlich Webers „Euryanthe“ in einer 
ganz neuen und eigenartigen „Aufmachung“ herauskommen. 
Die Webersche Musik wird man dabei völlig unverändert 
und unangetastet lassen, ihr aber einen ganz neuen Text 
unterlegen, und zwar die Märchendichtung „Die sieben Raben“ 
von Dr. Moser, dem Sohn von Professor Andreas Moser an der 
Hochschule für Musik. Die Bühnenbilder zu dieser „neuen“ 
Oper werden angefertigt nach dem bekannten Aquarellzyklus 
„Die sieben Raben“ von Moritz v. Schwind. Von Novitäten 
der Oper in dieser Saison ist ferner zu nennen die Aufführung 
von „Der Liebhaber als Arzt“ von Wolf-Ferrari. 

— Nach der überaus günstigen Aufnahme von Franz 
Schrekers Oper „Der ferne Klangt in München hat Intendant 
Baron Franckenstein das Uraufführungsrecht von Schrekers 
eben vollendeter Oper „Die Gezeichneten“ für die Münchner 
Hofbühne erworben und wird das Werk im Frühjahr 1915 
herausbringen. 

— Der Komponist der in Frankfurt zur Uraufführung ge- 
langten Oper „Oberst Chabert“, H. W. v. Waltershausen, 
hat Dichtung und Musik einer neuen, romantischen Oper 
„Richardis“ vollendet. 

— Im Bremer Stadttheater ist Tschaikowskys lyrische Oper 
„Eugen Onegin“ unter Kornelius Kun aufgeführt worden. 


239 



— Leoncavallos „Zigeuner“ hat im Mainzer Stadttheater 
seine deutsche Uraufführung erlebt. Der Komponist war an- 
wesend. Vorher war ein einaktiges Werkchen von Latt£s 
gegeben worden : „War einst eine Schäferin“, mit dem deutschen 
Text von Rudolf Presber, das in seiner allzugroßen Anspruchs- 
losigkeit an den Hörem ziemlich spurlos vorüberging. 

— Gustave Dorets, des Waadtländer Komponisten, dramatische 
Legende „Die Sennen“ — Text von Henri Cain und D. Band- 
Bovy — ist in ihrer neuen erweiterten Passung zum erstenmal 
an einer deutschen Bühne, in Zürich in Szene gegangen. 

— „Daniel in der Löwengrube“, eine burlesk-satirische 
Oper von Amelie Nikisch, nach einem von Ilse Friedlaender 
bearbeiteten Text Emst v. Wolzogens, hat ihre Uraufführung 
im Hamburger Stadttheater erlebt. Das Werk bewegt sich 
auf der Grenzlinie zwischen komischer Oper und Operette. 

— Royal Victoria Hall in London hat eine Vorstellung von 
Wagners „Lohengrin“ zu außerordentlich billigen Preisen 
veranstaltet; der höchste Eintrittspreis betrug einen Schilling, 
der geringste zwei Pence (etwa 17 Pf.). Der Erfolg war ein 
ausverkauftes Haus und der Beschluß, nun auch andere 
Opern zu geben. Das Orchester, 50 Mann, besteht übrigens 
zum Teil aus Musikern, die ehrenamtlich, nicht gegen Be- 
zahlung, tätig sind. 

— In der Komischen Oper zu Paris ist eine Feerie „La 
Marchande d’Allumettes“ von Tiarko Richepin, dem Sohne 
des berühmten Dichters, aufgeführt worden. Den Text haben 
Frau Edmond Rostand und ihr Sohn Maurice Ros fand verfaßt. 

* 

— Für das VII. Deutsche Bach-Fest der Neuen Bach- 
Gesellschaft (9. — xi. Mai d. J. in Wien) sind vier konzertante 
Aufführungen vorgesehen, und zwar am 9. Mai ein Kantaten- 
abend, am 10. Mai mittags eine Kammermusik, am selben 
Tage abends ein Konzert mit Orgel, Chor und Orchester und 
am 11. Mai abends die Johannis-Passion. Eine Reihe aller- 
erster Gesangs- und Instrumentalsolisten sind verpflichtet 
worden. Die Durchführung des Festes hat die k. k. Gesell- 
schaft der Musikfreunde in Gemeinschaft mit ihrem Zweig- 
institut, dem Singverein in Wien übernommen; die künst- 
lerische Oberleitung der Konzerte liegt in den Händen des 
k. k. Hofopemkapellmeisters Franz Schalk. Zum erstenmal 
ist eine Stadt außerhalb der deutschen Reichsgrenzen für 
ein Deutsches Bach-Fest der Neuen Bach-Gesellschaft ge- 
wählt worden. 

— Die „Befürchtungen“ über die Unaufführbarkeit der neuen 
„Deutschen Motette“ von Richard Strauß scheinen sich wieder 
mal nicht zu erfüllen. Nachdem das Werk in Hamburg vom 
Michaelis-Kirchenchor unter Sittard aufgeführt worden war, 
werden auch die Städte Bonn und Koblenz bei ihren gemein- 
schaftlichen Musikfesten (vom 19. — 21. Mai) folgen. 

— Der unter dem Protektorate des Großherzogs Yon Hessen 
stehende Richard-Wagner- Verein Darmstadt, der am 1. Januar 
in sein 25. Vereinsjahr eingetreten ist, hat im vergangenen 
Jahre fünfzehn Vereinsabende veranstaltet. Eine ganze Reihe 
von Neuigkeiten lebender Tonsetzer, von Walter Braunfels, 
Emst Cahnbley, Claude Debussy, Alexander Gretschaninoff, 
Georg Henschel, Arnold Mendelssohn, Konrad Ramrath, 
Eugen B. Onegin, Max Reger, Camille Saint-Saens, Sergei 
Tan£jew und Julius Weismann wurden in Darmstadt zum 
ersten Mal aufgeführt. Komponisten- Abende waren Johann 
Sebastian Bach, Beethoven, Arnold Mendelssohn und Julius 
Weismann gewidmet. 

— Siegfried Wagner hat in Hamburg ein Konzertstück für 
Flöte und kleines Orchester, eine „Ballade vom dicken, fetten 
Pfannkuchen“ und ferner zwei Stücke aus seiner Oper 
„Heidenkönig" zur Uraufführung gebracht. 

— Im Musiksalon Bertrand Roth zu Dresden hat die 
178. Aufführung an zeitgenössischen Ton werken gebracht: Vier 
Präludien für Klavier op. 25 und Lieder für Sopran mit 
Klavierbegleitung von Leland A. Cossart (Verlag Heinrichs- 
hofen); zweite Suite für zwei Klaviere op. 17 von Rach- 
maninoff (Verlag Gutheil). — In der 175. Aufführung wurden 
gespielt: Sonate (B dur) für zwei Klaviere op. 31 von Hans 
Huber (Verlag Breitkopf & Härtel) ; Duette für Mezzosopran 
und Bariton op. 69 von Hugo Kann (Verlag Vieweg) ; Sonate 
(e moll) für Violine und Klavier op. 5 von H. Walford Davits 
(Verlag Novello & Co.); Gesangsquartette a capella von 
August Richard und Gesangsquartette mit Klavierbegleitung 
op. 27 von Frank L. Limbert (Verlag Kahnt). 

— Für Felix Nowomejskis neuestes Oratorium „Kreuz- 
auffindung“ war der 7. März als Tag der Uraufführung in 
Krefeld unter Leitung des Musikdirektors Zey und in An- 
wesenheit des Komponisten angesetzt. 

— In Aachen hat E. W. Korngolds Sinfonietta für großes 

Orchester, ein in schillernde Orchesterfarben getauchtes und 
durch eigenartige Rhythmik prickelndes Opus unter Leitung 
von Fritz Busch dem Publikum sehr gefallen. Das tief- 
gründige, auf breiter Basis sich aufbauende Klavierkonzert 
von O. Neitiel fand in Meta Foerster (Köln) eine kundige, be- 
geisterte Darstellerin. St. 

— Das neue Violinkonzert in F dur von Friedr. Gernsheim 
ist in einem Philharmonischen Konzert in Berlin durch Henri 


Marteau unter Nikischs Leitung nach der Hamburger Ur- 
aufführung gespielt worden. 

— Der Pariser Organist Joseph Bonnet ist in Stuttgart als 
Spieler der prachtvollen modernen Orgel von Walcker im 
Konservatorium gefeiert worden. 

— Der Gesangverein Mülheim (Ruhr) hat wieder ein 
interessantes Konzert gegeben. Unter Leitung von Musik- 
direktor Karl Diehl wurde Acis und Galatea, Pastoral von 
G. F. Händel (nach Chrysander) und „Der zufriedengestellte 
Aeolus“, Dramma per musica von Joh. Seb. Bach aufgeführt. 

— Im IV. Vereinskonzert der Musikalischen Gesellschaft 
in Dortmund ist unter Leitung des kgl. Musikdirektors C. Holt- 
schneider F. Kloses Festgesang Neros (für Tenorsolo, gemisch- 
ten Chor und Orchester) aufgeführt worden. 

— Der II. Westdeutsche Schulgesangkursus (vom 2. — 8. April 
1914) bringt in Dortmund ein Historisches Konzert unter 
Leitung des Geh. Regierungsrat Professor Dr. H. Kretzschmar 
aus Berlin. Solistin: Wanda Landowska. 

— Einen Ernst Heuser - Abend hatte in Bochum das Hoff- 
mannsche Konservatorium veranstaltet. Der Kölner Kompo- 
nist ist unseren Lesern aus der Musikbeilage gut bekannt. 

— Klavierkompositionen unsres Mitarbeiters Walter Niemann 
haben in dieser Saison u. a. Ignaz Friedman und William 
Lindsay (Watteaus-Gavotte op. 18, Alhambra aus den 3 Noc- 
turnes op. 28, Alt-Wien aus den Deutschen ' Ländlern und 
Reigen op. 26), Marie Bergwein. J. P. Dünn (Hebbel-Suite 
op. 23), Georg Zscherneck (Thema und Variationen nach 
Camoens’ Lusiaden op. 23), Bruno Tuerschmann - Pembaur 
(Melodram Im Wetter op. 27, nach Joh. Hinr. Fehrs’ Epos) 
aufs Programm gesetzt. Der Hausmusikabend des Leipziger 
Dürerbundes brachte einige Schwarzwald-Idyllen op. 21. 
Kürzlich erschienen von Niemann bei Kahnt ein Trojan ge- 
widmetes Heft Miniaturen, „Waldmärchen“ op. 29 und ein 
Konzert-Impromptu op. 31. 

— Aus Lyck wird uns geschrieben: Organist Gottfried 
Deetjen hat Max Regers op. 127 gespielt. Introduktion, 
Passacaglia und Fuge, das für die Riesenorgel der Breslauer 



gespielt worden ist. Das in kolossalen Dimensionen angelegte 
und auch innerlich weitausgreifende Werk übertrifft an tech- 
nischer und musikalischer Schwierigkeit alles, was Reger 
bisher geschrieben, zeigt aber größere Ruhe und Konzentration. 
Wer Gelegenheit hatte, das Riesenopus mehrmals zu hören, 
konnte sich der Erkenntnis nicht verschließen, daß diese 
Komposition alles weit hinter sich läßt, was seit Bach für 
die Orgel geschrieben wurde. Deetjen schlug mit seiner 
technisch einwandfreien, musikalisch feindurchdachten und 
großangelegten Leistung die Hörer vom Anfang bis zum 
Schlüsse des Riesenwerks in Bann. Dr. N. 

— In einem Kammermusikabend des Konservatoriums 
in Recklinghausen ist das Quintett (op. 35) für Klavier, zwei 
Violinen, Bratsche und Violoncello d mou von F. Gernsheim 
gespielt worden. 

— Marie Bergwein hat als Pianistin in Frankfurt a. M. 
in einem Konzert unter Leitung von Kaempfert Erfolg gehabt. 

— Der Gesangverein für gemischten Chor (Leiter: Gym- 
nasial-Gesanglehrer Horstmann) zu Landsberg a. W. hat die 
Feier seines 50jährigen Bestehens durch ein Festkonzert be- 
gangen. Der erste Abend brachte die Aufführung von Bruchs 
„Gustav Adolf* (Solisten: Elisabeth Christian, Paul Bauer, 
Otto Werth), der zweite einen Liederabend vom Berliner Ora- 
torienquartett (außer den obengenannten Künstlern noch 
Charlotte Kimpel). 

— Vit. Novaks ,, Geisterbraut " für Soli, Chor und Orchester 
(Text von K. J. Erben) ist infolge des außerordentlichen Er- 
folges, den das Werk bei der Uraufführung am 3. Dezember 
in Prag erzielt hat, dort kürzlich ein zweitesmal aufgeführt. 
(Siehe auch die „Liebesmesse“ in Straßburg.) 

— Ueber das mit der Jahrhundertausstellung zusammen- 

fallende Musikfest in Chris tiania wird uns geschrieben: Das 
Fest, das seinem ganzen Charakter nach rein norwegisch ge- 
dacht ist, soll am zweiten Pfingsttag mit einem Orchester- 
konzert in der großen Ausstellungs-Musikhalle, die 5000 Zu- 
hörer faßt, beginnen. Geplant sind vier Orchesterkonzerte, 
drei Kammermusikkonzerte und zum Schluß ein Kirchen- 
konzert am 7. Juni d. J. Alle bedeutenden norwegischen 
Komponisten und Dirigenten sind fast ohne Ausnahme mit 
diesem Feste verbunden, ebenso wie die bekanntesten Solisten 
teilnehmen werden. Das Programm soll einen historischen 
retrospektiven Charakter haben und Werke der ältesten nor- 
wegischen Komponisten bis zu den jüngsten unserer Tage 
umfassen. — Das rührige Konzertbureau Rudolf Rasmussen 
kündigt einen Streichquartett-Zyklus des Klingler- Quartetts 
an. An fünf Abenden werden die hier bestens bekannten 
Künstler die sämtlichen Streichquartette Beethovens spielen. 
Ein Doppelkonzert des Petersburger Streichquartetts (Grigoro- 
witsch) wird folgen, und zwar mit einem klassischen und einem 
russischen Abend. H. M. 


240 




— Das Konzertjahr 19 12/13. In der „Neuen Zeitschrift 
für Musik“ veröffentlicht Ernst Challier interessante Ziffern 
über die im Konzertjahr 1912/13 am meisten gespielten Kom- 
ponisten und deren Werke. Den Zahlen nach wurde diesmal 
an erster Stelle Brahms stehen; da dieser aber die höhere 
Summe durch die zahlreichen Aufführungen seiner Gesänge 
erreichte, so ist Beethoven an die Spitze gestellt. Die Reihen- 
folge ist: Beethoven (1195), Brahms (1244), Schubert {828), 
Wagner (776), Bach (658), Schumann (604), H. Wolf (499), 
Mozart (495). Chopin (479). Liszt (433 gegen 1164 im Vor- 
jahr!), Strauß (354), Mendelssohn (252), Haydn (241), Reger 
(228), St.-Saens (171), Grieg (165), Weber (164), Debussv (115). 
Die meist gespielten Werke waren Beethovens Fünfte und 
Dritte Symphonie, Schuberts C dur-Symphonie, Brahms’ Erste 
Symphonie, Beethovens Violinkonzert; von Chorwerken: 
Szenen aus Parsifal, Matthäuspassion, Deutsches Requiem. 

— Von den Theatern. Die „Deutsche Bühne“ veröffentlicht 
eine Statistik über städtische Betriebszuschüsse verschiedener 
deutscher Großstädte zu den von ihnen gehaltenen Stadt- 
theatern. Aus dieser geben wir für die aufstrebenden rheinisch- 
westfälischen Kunstzentren folgende Zahlen: Düsseldorf zahlt 
jährlich 275 000 M., Dortmund 283 000 M., Essen 240 000 M., 
Elberfeld 130000 M. Im übrigen Reich stellen sich die Ver- 
hältnisse so: Frankfurt a.M. im Jahre 1912/13 zahlte 571 000 M., 
Leipzig für 3 Theater 600 000 — 700 000 M. Die Stadttheater 
übertreffen nicht wenig Hofbühnen mit ihren Zuschüssen. 

— Bückeburger Orchesterschule. Die unter dem Protektorate 
des Pürsten Adolf zu Schaumburg-Lippe stehende Orchester- 
hochschule des Verbandes Deutscher Orchester- und Chor- 
leiter wird am 1. Oktober d. J. zu Bückeburg eröffnet. Das 
Semester endet am 31. März 1915. Der Unterricht für die 
Studierenden ist vollständig kostenlos, außerdem erhält jeder 
ein Stipendium von 180 M. im Semester, wodurch der größte 
Teil semer Unterhaltskosten gedeckt ist. Da an 60 Stipen- 
dien vorhanden, finden ebenso viele Schüler Aufnahme. Die 
Bedingungen zur Aufnahme sind: Mindestens 16. Lebensjahr, 
deutsche Nationalität, vollständige Beherrschung eines oder 
zweier Orchesterinstrumente, Abgangszeugnis eines Konser- 
vatoriums oder einer Musikschule, eventL Probespiel. Der 
Hauptzweck der Orchesterhochschule ist, Musiker zu tüchtigen 
Orchesterspielem heranzubüden. Der Unterricht findet in 
Form von täglichen 2- und 3Stündigen Proben statt. Gesuche 
betreffs Besuch der Anstalt, sowie Gewährung von Stipendien 
sind an den Vorsitzenden des Verbandes Hofrat Hofkapell- 
meister Ferd. Meister, Nürnberg, Adlerstraße 21, zu richten. 

— Vom Männergesang. Die Berliner Liedertafel hat auf 
ihrer Reise durch Aegypten im Ghezireh-Kasino zu Kairo 
ein Konzert veranstaltet. Der Landgraf von Hessen, der 
deutsche Gesandte v. Miquel, Generalkonsul Frhr. v. Falken- 
hausen u. a. waren anwesend, ebenso sehr viele Engländer. 
Von dem Programm gefielen vor allem die Volkslieder. Das 
mit besonderer Innigkeit vorgetragene englische Volkslied 
„Robin Adair“ erregte den jubelnden Beifall der anwesenden 
Engländer. Mit fernem Empfinden wurden „Die drei Röse- 
lein“ von Silcher, „Barcarole“ und „Schwertlied“ gesungen. 
Abends sang der Verein im festlich beleuchteten Garten des 
Ghezirehpalastes, wozu die Mitglieder der deutschen Kolonie 
mit ihren Damen erschienen waren. Die englische Militär- 
kapelle spielte „Deutschland, Deutschland über alles“, das von 
der Liedertafel und der tausendköpfigen Menge mitgesungen 
wurde. Dann reiste die Liedertafel nach Alexandrien weiter. 
— Der „Stuttgarter Lehrergesangverein“ hat sein 25 jähriges 
Bestehen mit einem Konzert am 14. März, einem Festakt und 
einem Bankett gefeiert. Gegenwärtig dirigiert Hofkapell- 
meister Erich Band den starken Verein. 

— Offene Stellen. Das Berliner Philharmonische Orchester 
sucht zum 1. Juni 1914 einen Bratschisten (jährliches Gehalt 
2200 M.), einep zweiten Solo-Cellisten (jährliches Gehalt 3000M.), 
einen Flötisten, stellvertretender erster und Piccolobläser (jähr- 
liches Gehalt 2400 M.). Bewerber müssen im Orchesterspiel 
vollständig routiniert sein. Probespiel ist erforderlich. Es 
wird gebeten, keine Originalzeugmsse einzusenden. Dies- 
bezügliche Meldungen sind an den Vorstand des Orchesters, 
zu Händen des Herrn Otto Müller, Berlin, Bemburger- 
straße 220.(23 (Philharmonie) zu lichten. 

* * 

* 

Personalnachrichten. 

— Auszeichnungen. Der König von Württemberg hat dem 
Universitätsmusikdirektor Professor Dr. Fritz Volbach in 
Tübingen die große goldene Medaille für Kunst und Wissen- 
schaft am blauen Bande des Friedrichs-Ordens verliehen. 


— Dem Leiter der Dresdener Hoftheater, Grafen Seebach, 
der am 1. März sein 2ojähriges Intendanten- Jubiläum be- 
gangen hat, wollen die deutschen Dichter und Komponisten 
zusammengeschlossen eine literarisch-musikalische Ehrengabe 
überreichen. Es ist die Herausgabe eines Sammelwerkes 
beabsichtigt, das einen Ueberblick über die Kunst unserer 
Zeit geben soll. Es wird ausschließlich ungedruckte Original- 
Beitrage enthalten und zwar Prosa, Verse, Kompositionen usw. 
Der Rat der Stadt Dresden hat dem Grafen Seebach die Große 
Goldene Denkmünze der Stadt Dresden verliehen. 

— Der frühere Stuttgarter Hofkapellmeister Karl Pohlig, 
der dann längere Zeit in Amerika als Dirigent tätig war, ehe 
ihn Hamburg engagierte, ist als Nachfolger von Kapellmeister 
Hagel zum ersten Dirigenten der Hofoper in Braunschweig 
ernannt worden. 

— Der Kapellmeister Volkmar Andreas in Zürich ist zum 
Universitätsmusikdirektor an der Universität Zürich ernannt 
worden und erhielt zugleich die venia legendi. 

— Die Stuttgarter Presse hat vom Kgl. Hoftheater in Stutt- 
gart folgende Mitteilung erhalten: Generalmusikdirektor Prof. 
Dr. v. Schillings hat mit Rücksicht auf die neuerdings gegen 
ihn gerichteten Angriffe, die auch in einer Stuttgarter Zeitung 
zum Ausdruck kamen, um seine Entlassung aus dem Ver- 
bände des Kgl. Hoftheaters gebeten. Diese ist abgeleimt 
worden, da die bisher in keiner Weise erwiesenen Anschul- 
digungen einen solchen Wunsch weder rechtfertigen noch auch 
einen Anlaß bieten, dem Herrn v. Schillings das bisher ent-' 
gegengebrachte Vertrauen zu entziehen. — (Es handelt sich 
um Anschuldigungen über private Angelegenheiten.) Wir 
geben diese offiziöse Mitteilung weiter mit dem Bemerken, 
daß vor der Entscheidung in dem zu erwartenden gericht- 
lichen Verfahren eine Stellungnahme nicht opportun erscheint. 

— Zum Direktor des Metzer Stadttheaters ist Hoftheater- 
direktor Dr. Hans Waag gewählt worden, bisher an der Braun- 
schweiger Hofbühne als Oberregisseur der Oper und des Schau- 
spiels tätig. 

— In Salzburg ist Paul Grüner von seinem Posten als Direktor 
des Mozarteums zurückgetreten. 

— Musikkritiker Dr. Walter Paetow ist in Berlin nach 
kurzem Leiden, noch nicht 45 Jahre alt, gestorben. Seine 
Heirat mit der jüngsten Tochter der Kammersängerin Luise 
Harriers-Wippem mag dazu beigetragen haben, daß sich seine 
Studien immer mehr der Musik zuwandten. Der kleine, 
blondgelockte Paetow war von Haus aus eine enthusiastische 
Natur, die sich auch für moderne Richtungen der Literatur 
und Musik mit Feuereifer einsetzte, bemerkt Dr. Leopold 
Schmidt im Berl. Tageblatt. 

— Der Hofpianist und Direktor der Städtischen Musik- 
schule in Nürnberg, Reinhardt Mannschedel, ist gestorben. 
Mannschedel war als feinsinniger Pianist in ganz Bayern 
hochgeschätzt. Die Kammermusikabende des „Nürnberger 
Trios“, dessen Seele er war, gehörten seit Jahren zu den vor- 
nehmsten Veranstaltungen des Nürnberger Musiklebens. 

— In Stuttgart ist, kaum 50 Jahre alt, der Kammersänger 
Peter Müller plötzlich gestorben. Mit ihm ist einer der „po- 
pulären“ Sänger, einer der letzten Vertreter der Zeit, da 
Stuttgarts Oper ein durchweg vorzügliches Sängerpersonal 
hatte, dahingegangen. Er stammte aus kleinen Verhältnissen 
und war zunächst Chorsänger am hiesigen Hoftheater. Merk- 
würdigerweise bedurfte es erst einer besonderen Gelegenheit, 
bis der damalige Intendant, die Hofkapellmeister und Chor- 
direktor auf die Schönheit dieser Tenorstimme aufmerksam 
wurden, als nämlich Peter Müller für einen erkrankten Sänger 
des Troubadours einsprang. Von da ab ging der Aufstieg 
rasch. Peter Müller war Natursänger, überhaupt ein Natur- 
bursche ; deshalb sang er auch Rollen wie den Turiddu in der 
Cavalleria so ausgezeichnet, daß ihn Mascagni als den besten 
deutschen Vertreter der Rolle bezeichnet hat. Aber auch in der 
Komischen Oper der Franzosen, weiter in der Martha, Car- 
men, als Hoffmann (er war nach dem Brande des alten 
Theaters mit bei der Gesellschaft, die den Namen der Stutt- 
garter Hofoper durch ganz Deutschland trug) stellte er seinen 
Mann. Und im Finale des II. Aktes von Tannhäuser strahlte 
Müllers Stimme siegreich über dem ganzen Ensemble. Es 
war ein außergewöhnlich schöner, starker (aber nicht scharfer) 
Tenor, der dem Sänger bis an sein Ende bewahrt blieb, wenn 
auch das Piano nachgelassen hatte. Als Darsteller kam er 
über ein bestimmtes Maß, über ein paar ewig wiederkehrende 
Bewegungen nicht hinaus. Aber das tat in diesem Falle 
nichts: der musikalisch fleißige Sänger ersetzte das vollauf 
und die Stuttgarter werden ihren „Peter“ nicht so leicht 
vergessen. Tausende begleiteten ihn zur letzten Ruhestätte. 

— Aus Stockholm wird gemeldet, daß der bekannte schwe- 
dische Komponist Tor Aulin im Alter von 47 Jahren gestorben 
ist. Aulin, einer der namhaftesten ausübenden Musiker 
Schwedens, wurde am 10. September 1866 in Stockholm 
geboren. Er war Schüler von Emile Säuret und Philipp 
Scharwenka (Berlin) und wirkte seit 1889 als Konzertmeister 
an der Hofoper seiner Vaterstadt. Auch war er Führer eines 
eigenen Streichquartetts. (Wir behalten uns eine nähere 
Würdigung des Verstorbenen vor. Red.) 


241 








Briefkasten 


Für unaufgefordert eingehende ‘Manu- 
skripte jeder Axt übernimmt die Redaktion 
keine Garantie. Wir bitten vorher an- 
zufragen, ob ein Manuskript (schriftstelle- 
rische oder musikalische Beiträge) Aus- 
sicht auf Annahme habe; bei der Fülle 
des uns zugeschickten Materials ist eine 
rasche Erledigung sonst ausgeschlossen. 
Rücksendung erfolgt nur, wenn genügend 
Porto dem Manuskripte bellag. 

Anfragen für den Briefkasten, denen 
der Abonnenten tsausweis fehlt, sowie ano- 
nyme Anfragen werden nicht beantwortet. 


Aus Bayern. Eine interessante Zuschrift 
erhalten wir von einem Abonnenten: 
„Zu Ihrer Auslassung über Schreker .Der 
ferne Klang' in einer der jüngsten Num- 
mern Ihrer verehr!. Zeitung möchte ich 
mir erlauben, Sie auf den Bericht in 
No. 5 o der Bayerischen Staatazeltung vom 
a. III. 14 (anläßlich der Erstaufführung 
dieser Oper in München) aufmerksam zu 
machen . Während Ihre Zeitung Hosiannah 
ruft, gibt die Bayer. Staatsztg. dem Werke 
einen — wohlverdienten? — Fußtritt. 
Für eine Musikzeitung dürfte es Pflicht 
sein, recht objektiv zu sein. Das kann 
nur durch Zusammenstellung gegensätz- 
licher Kritiken über ein Werte geschehen. 
Andernfalls erfüllt die Musikzeitung ihre 
ethische Pflicht nicht. Dr. . . , M — Nie- 
mand ist in Württemberg „ethisch“ ver- 
pflichtet, die Bayer. Staatszeilung zu lesen. 

t. R., Jena. Wir bitten, die kleinen 
Notizen auch im Briefkasten zu verfolgen. 
In Heft 10 werden Sie unter Melodram- 
Freiburg das Gewünschte finden. 

Tonbildsiuien-Braunschweig. Sie schrei- 
ben: „Wie war es nur möglich, diese so 
wuchtig tönenden Kon fusi täten des Dr. 
A. Lehmann (Heft ro) ln Ihr Blatt aufzu- 
nebmen! Ich habe die Empfindung, daß 

bei' Herrn Dr. L “ Ja, auch die 

„N. M.-Z.“ kann ja mal zur Faschingszeit 
einen satirischen Artikel bringen. Oder 
nicht? Wir waren übrigens auf „Rekla- 
mationeh“ gefaßt. 

Organist L. in L. Wir danken vielmals 
für den interessanten Beitrag, den wir 
aufbewahren werden. Von einer Veröffent- 
lichung wollen wir aber jetzt absehen, es 
ist vorläufig genug gesagt. 

fi. T. in R. Diese Erfindung zur Ton- 
veredlung der Streichinstrumente ist uns 
unbekannt. Publikum, werde hart! 

Oberlehrer Ü. Äußer bei den genannten 
Firmen hat Arthur P. Schmidt in Leipzig, 
Undenstraöe, Werk« Mac Dowells verlegt. 
Wir verweisen auf den Artikel im Jahr- 
gang 1909 Heft 16, der von dem fein- 
sinnigen Komponisten und seinem Leben 
handelt. (Mit Bild und Muslkbeilage.) 

H. Schn. Lassen Sie sich den Führer 
durch die Orgel-Literatur von Kothe- 
Forchhammer (neu bearbeitet von O. Bur- 
kert), Verlag Leuckart, Leipzig, kommen. 

J. Stadl— r> Waldk. Arnold, Die alten 
Kirchen tonarten (Kahnt Nachf.), 3 M. 
Oder ein Buch, das Ihnen dazu noch 
Orgel- und Registerkunde vermittelt, ist 
die Vorschule der musikalischen Kompo- 
sition von Emil Postei (Verlag Greßler, 
Langensalza). Vergl. auch „Das Orgel- 
registrieren“ im Gottesdienst von R. Palme, 
1.30 M. Verlag Hesse, Leipzig. 



i BfthmYlöten a 

J. Mollenhauer & Söhne, FULDA 
Hoflieferanten Oegr. 1823 



osef Ruzek 

Drei ungarische Tänze 

für Violine und Klavier M. z. — 


Verlag Carl Qrüninger, Stuttgart. 


Scholander- 

Programme 

Hundert Lieder 

mit Begleitung von Laute (Gitarre) 
oder Klavier 

io Hefte (je io Gesänge enthaltend) 
Jedes Heft 2 M. 



HANS THOMA: Die Lautenschlägerin 
Künstlersteinzeichnung 30:40 cm groß, 2 M. 


D ie vor einigen Jahren begonnene Sammlung ist nun durch das Erscheinen des 
10. Heftes vollständig geworden und hat zunächst ihren Abschluß gefunden. 
Für tausende und abertausende von Sangesfreunden sind die Scholander-Pro- 
grarame zu einem kostbaren Besitz geworden und sie haben geholfen, die Gesänge, mit 
denen der schwedische Sänger die Welt durchzieht und Alt und Jung und Hoch und 
Niedrig zu gewinnen, zu fesseln und zu erfreuen weiß, auch in die Kreise zu tragen, 
die sonst keine Gelegenheit hatten, sich an den Gaben Scholanders selbst zu erfreuen. 
Es sind Perlen köstlichen Humors, denen auch manches drastisch-humorvolle Stück 
beigegeben ist, Lieder beschaulichen Frohsinns und nordisch-elegischer Heiterkeit, 
jedes einzelne in seiner Art ein kleines Stimmungsbild von eigenem Reiz. Aus dem 
zehnten Hefte sind besonders das Lied des „trinkfesten Bürstenbinders“, das in allen 
Konzerten zündende „Die dumme Diese“, das prächtige Schneiderlied aus dem Let- 
tischen und das drastisch-schlaue Volkslied „Der Lumpenmann“ zu erwähnen. Jedem 
einzelnen Liede ist sowohl die Gitarrebegleitung unterlegt, wie die Klavierbegleitung, 
so daß sie beiden Arten der Begleitung dienen kann. Die Gitarrebegleitung ist nicht 
schwer auszuführen, wenn sie auch nicht die jetzt vielfach übliche „Scnrummschrumm“- 
Begleitung darstellt. Die Klavierbegleitung wird auch dem wenig Geübten keine 
Schwierigkeiten bereiten. 

Die Scholander-Programme eignen sich auch vortrefflich als Geschenk. Sie sind 
deshalb zu je zwei Heften vereinigt in Leinenbänden zu haben. Jeder Band (also 
zwei Hefte enthaltend) kostet 5 1 /, M. Ein ausführliches Inhaltsverzeichnis wird kosten- 
los versandt. 


BreltkopI & Härtel ln Leipzig 


Kgl. Konservatorium zn Dresden. 

69 . Suhuljahr. Alle Fächer für Musik und Theater. Volle Kurse und Einzelfächer. 
Eintritt Jederzeit Haupteintritt 1 . April und 1 . September. Prospekt durch das 

Direktorium. 



ASPRENGER 

STUTTGART 




für Hausmusik 


zum Gebrauche in Schulen, Musik-Instituten 
:: und musikalischen Vereinigungen :: 

(Zweite Folge) 

RieHHRDWflSneR 


Nr. 1. Ouvertüre zu „Rienzi“ . , M. 2.50 n. 

„ 2. Ouvertüre zu „Der fliegende Holländer“ , . „ 2.50 n. 

„ 3. Ouvertüre zu „Tannhäuser« 3.— n. 

„ 4. Vorspiel zu „Lohengrin“ 1.50 n. 

„ 5. Vorspiel zu „Tristan und Isolde“ 1.50 n. 

„ 6. Vorspiel zu „Die Meistersinger von Nürnberg“ „ 2.— n. 

„ 7. Vorspiel zu „Parsifal“ 1.50 n. 

(Extra-Einzelstimmen kosten 20 bis 50 Pf. n.) 

Für Klavier zu vier Händen und Violine nebst II. Violine und 
Violoncello ad Hb. eingerichtet von Dr. HEINRICH SCHMIDT. 

Sämtliche Stücke sind streng nach den Partituren gear- 
beitet, nur Stellen von besonderen Schwierigkeiten haben 
in Rücksicht auf Schüler-Orchester einige Erleichterung er- 
fahren. Die Arrangements sind schon ftir Klavier und eine 
Violine von entzückender Wirkung, klingen aber mit zweiter 
Violine und Cello ^besonders bei mehrfacher Besetzung der 
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243 










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beurteilt werden, so ist eine Anfrage nicht 
erforderlich. Solche Manuskripte können 
jederzeit an uns gesendet werden, doch darf 
der Abonnementsausweis nicht fehlen. 

(Redaktkmsscbluß am 5. März.) 

E. G— at, Hbg. Ihre Klänge und Wei- 
sen läßt man sich gern gefallen. Sie wir- 
ken befreiend, aber nur für den, der 
wie Sie lebenslustig und übermütig genug 
ist, um aus dem Lied „Ach, wie ist’s 
möglich dann“ ein lachendes Scherzo zu 
gestalten, oder der in der wechselnden 
Temperatur seines Herzens die Weise „Das 
Iyiebea bringt groß 1 Freud“ in ein schlep- 
pendes Lamento mit Mollklängen verwan- 
delt. Sie haben sich also umsonst auf ein 
Geschimpf gefreut. Da müßte Ihre Fest- 
ouvertüre schon schlechter sein. Auch 
Ihre Tänze sind Zeugnisse einer heiteren 
Lebensauffassung. Am besten gefiel Uns 
die Gavotte. 

X. in A. Nun wir von Ihrem Talent 
ein Urteil auch auf Grund von großzügi- i 
geren Arbeiten haben, hätten wir gegen 
Ihren Wunsch, Musiklehrer zu werden, 
nichts einzuwenden. 

Ad. E-wein, K. Für einen Anfänger 
eine beachtenswerte Leistung. Von Reife 
kann natürlich noch keine Rede sein. Ge- 
duldig warten. Ein Streben in Ungeduld 
wurde schon manch einem zum Verhängnis. 

K. E., D. Ihre freien Orgel präludien 
sind nach Form und Inhalt höher zu 
werten als die 5 Choralfigurationen. Die 
letzteren erfüllen ihren Zweck nicht, weil 
sie nichts oder nur wenig von dem poeti- 
schen Gehalt der Choräle ahnen lassen. 
Ihre Satztechnik in dieser Form von 
Figuralmusik ist schon bedeutend. Die 
Fuge läßt den planmäßigen Studiengang 
vermissen. Wo Sie sich wie in den Prä- 
ludien frei bewegen dürfen, nehmen sich 
die Gaben Ihrer ernsten Muse mitunter 
sehr vorteilhaft aus. Man begegnet hier 
hübschen, wohlgeformten Einfällen. Ihre 
Männerchöre sind unbedeutend. 

Schullied. Gut. Siehe Korrektur. 

B. J— itz, L. Ihren künstlerischen In- 
tentionen gegenüber erweist sich Ihre 
Phantasie nicht immer als gestaltungs- 
kräftig genug. Im übrigen ist der Ein- 
druck von Ihren fleißig gearbeiteten Lie- 
dern befriedigend. 

H. W. f Sch, Die volkstümliche Lyrik 
Ihres geistlichen Terzetts wirkt für an- 
spruchslose Ohren befriedigend. Auffallend 
ist die Neigung nach der Unterdominante; 
sie muß bei längerem Hören abschwächend 
wirken. Der Gesang „Die Helden des 
Iltis'* bedeutet einen wesentlichen Auf- 
schwung gegen Ihre früheren Arbeiten. 

A. H,, F— R. Aus Ihren Skizzen spricht 
ein nach Wohllaut strebendes, musikfreu- 
diges Talent. Wozu denn schon Sonaten 
verbrechen ? 


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Eine neue Schubert-Biographie . 1 

D ie Forschungen über Fi;anz Schuberts Leben und 
Schaffen haben erst nachdrücklich eingesetzt, nachdem 
längst gründliche Biographien der anderen großen Musik- 
heroen Alt-Wiens, Haydns, Mozarts, Beethovens aus- 
gearbeitet worden waren. Die unverhältnismäßig kurze 
Frist des Erdenwallens, die Schubert vom Schicksal ge- 
gönnt war, die Enge seiner Lebensverhältnisse und die 
persönliche Bescheidenheit seines ganzen Wesens hatten 
es bewirkt, daß selbst einer, der seinem Freundesherzen 
so nahe stand, wie der Dichter Bauemfeld, auf die Frage 
nach der Möglichkeit der Darstellung seines Lebens sich 
äußerte, es böte dieses „so wenig faßbare biographische 
Züge", daß es nur verlohnen dürfte, es „in einer Art poetischer 
Schilderung“ vorzuführen. Die verdienstvollen biographi- 
schen Arbeiten, die seit fünfzig Jahren über den Tondichter 
erschienen sind, so die grundlegende von H. v. Kreißle 
(1865), A. Reißmann (1873), Konst, v. Wurzbach (1876), 
dem Engländer G. Grove (1882), dem Schweizer A. Niggli 
(1899) und Dahms (1905) stützten sich denn auch nur auf 
ein unvollständiges Maß authentischer Quellen. Hatte 
doch noch nicht einmal bisher eine vollständige Sammlung 
der Briefe von und an Schubert Vorgelegen. Und so wenig 
achtete man vormals der Reliquien Schuberts, daß ein 
Autographensammler, der seine eigenhändig geschriebenen 
Tagebuchblätter besaß, einzelne, seitdem wohl für immer 
verlorene, herausriß und an andere Autographensammler 
weitergab. So wurde vieles als Kuriosität verschleudert, 
daher die so spät energisch betriebene Schubert-Forschung 
genötigt war, schwierige Pfade des Suchens der in alle 
Winde zerstreuten Objekte einzuschlagen. Ganz besonders 
regte zu einer umfassenden Sichtung und Sammlung der 
noch erhaltenen oder sonst durch Ueberlieferung bekannten 
Schubertschen Materialien die bei seinem hundertsten 
Geburtstag 1897 im Wiener Künstlerhause von der Stadt 
Wien zu Ehren ihres liederfrohen Sohnes veranstaltete 
„Schubert-Ausstellung“ an, „verbunden mit einer Aus- 
stellung von Werken der Maler Moritz v. Schwind, Joseph 
Danhauser und Leopold Kupelwieser“. In der dadurch 
vorgezeichneten synthetischen Art begann von da ab 

1 Franz Schubert, „Die Dokumente seines Lebens und 
Schaffens.“ Band I und IV kartoniert 10 M. Band II, erster 
und zweiter Teü je 10 M. Band III 25 M. Subskriptions- 
preis aller Bände 70 M., Luxusausgabe 120 M. (München, 
Verlag G. Müller)- — Die Bilder zu diesem Artikel sind mit 
Genehmigung des Verlags dem III. Bande: „Schuberts Leben 
in Bildern" entnommen. Ein weiterer Bilderartikel folgt. 


Otto Erich Deutsch im Vereine mit fachkundigen Mitarbeitern, 
darunter insbesondere mit Ludwig Scheibler in Bonn, die 
viel jährige Arbeit, ein möglichst vollständiges Mosaik der 
„Dokumente seines Lebens und Schaffens“ und damit 
„vielleicht die prägnanteste Form einer Lebensgeschichte“ 
zu gewinnen, die ganz im Gegensätze zu Bauemfelds 
Vorwurf einer poetischen Schilderung eine nüchterne, 
chronologisch lückenlose Folge der Darstellung seiner 
Erlebnisse und. Bestrebungen bietet. Von der geplanten 
Serie von Bänden ist jüngst des zweiten Bandes erster Teil 
und der dritte (Illustrationsband) erschienen, deren Inhalt 
allein schon kundgibt, daß damit ein monumentales Werk 
der Musikwissenschaft unternommen ist. 

In der ersten Hälfte des zweiten Bandes werden alle 
erhaltenen und bekannt gewordenen Briefe von und an 
Schubert, die Reste seiner Tagebuchblätter, seine Gedichte 
und Widmungen, amtliche Dokumente, Schulzeugnisse, 
Gesuche u. dergl., Programme, Anzeigen, zeitgenössische 
Kritiken über seine Druckwerke und solche Werke, die 
aufgeführt worden sind, endlich Briefe und Tagebuch- 
blätter über Schubert „als belehrendes und verbindendes 
Element“ gebracht. Bezeichnend für die verhältnismäßig 
geringe Menge der autobiographischen Quellen ist, daß 
Deutsch im ganzen nur 71 bis heute bekannte Schubert- 
Briefe, einschließlich dürftiger Zettel und briefartiger 
Widmungen zählt, indes es deren gegen 1500 von Beethoven 
und 350 von Mozart gibt. Immerhin erhellt der Fortschritt 
in der Sammlung dieser wichtigsten Schubertschen Doku- 
mente daraus, daß Grove 1882 nur 32, Max Friedländer 
noch 1887 nur 36 Stück bekannt waren. Ganz neu wurden 
von Deutsch 7 Stück beigebracht. Die Briefe sind zwischen 
24. November 1812 und 12. November 1828, also während 
16 Jahren abgefaßt; „in Gehalt und Form gehören sie 
zu den besten deutschen Musikerbriefen, denn sie spiegeln 
den frischen Geist und das innige Gemüt dieses wunder- 
baren Menschen“ (Deutsch, II, 1, IV). Bieder, glatt und 
gerade ist allenthalben ihr Ausdruch von Anfang bis zum 
Ende. Recht mitteilsam und lebhaft wird der Schreiber 
bei der Schilderung von Reisen, wenngleich er in einem 
solchen Briefe beklagt, „wie wenig er zum Erzählen und 
Beschreiben geeignet sei." In den zwei Briefen an seinen 
Bruder Ferdinand, worin er über seine Herbstreise über 
Kremsmünster nach Salzburg und Gastein im Jahre 1825 
berichtet (S. 281 ff. und 286 ff.), verrät er eine zugleich 
scharfe und phantasiereiche Beobachtungsgabe von Land 
und Leuten. Von Briefstellen über den Tondichter sind 
etwa 150 mitgeteilt, darunter besonders charakteristische 
von seinen Freunden Joseph v. Spaun, Leopold Kupel- 


245 








wieser, Moritz v. Schwind und Franz v. Schober. Von 
den Tagebuchstellen über ihn sind die belangreichsten 
die der Brüder Franz und Fritz v. Hartmann, zweier 
Studenten aus Linz, die als gern gesehene Gäste in Schuberts 
Freundeskreise „ein ungeschminktes Bild von dem Treiben 
der Schubertianer während der letzten Lebensjahre des 
Meisters geben". Und auch Ed. v. Bauemfelds Tagebuch 
wurde mit Erfolg herangezogen. In des Tondichters 
innerste Gemütstiefen lassen die sieben Gedichte von ihm 
selbst, darunter drei von ihm vertonte, blicken, wenn 
auch die Form den Dilettanten der lyrischen Dichtung 
verrät. Die hohe Verehrung seines Kreises für ihn erhellt 
aus mannigfachen Dichtungen an ihn, als deren zeitlich 
erste die schwungvolle Apostrophe des Studenten Franz 
v. Schlechta, abgedruckt 27. .September 1817 in der „Wiener 
allgemeinen Theaterzeitung“ anläßlich der Aufführung der 
Schubertschen Kantate „Prometheus", verzeichnet ist. 
Von der zündenden Wirkung der Musik des Meisters singt 
der jugendliche Enthusiast: 

„In der Töne tiefem Beben. 

Wie die Saiten jubelnd klangen, 

Ist ein unbekanntes Leben 
In der Brust mir aufgegangen. 

In dem Sturmeston der Lieder 
Klagt der Menschheit jammernd Ach — 
Kämpfend steigt Prometheus nieder. 

Und das schwere Dunkel brach! 

Mich hat’s wunderbar erhoben 
Und der Wehmut neue Lust, 

Wie ein schimmernd Licht von oben, 

Kam in die bewegte Brust!“ 

Die Wiedergabe von Kritiken gedruckter oder auf- 
geführter Werke Schuberts in etwa 20 Zeitungen und 
Zeitschriften, unter denen auch außer wienerischen (Amt- 
liche Wiener Zeitung, Theaterzeitung, Sammler usw.) 
solche aus dem Deutschen Reiche (Leipzig, Dresden, 
Berlin, München usw.) aufgeführt erscheinen, zum Teil 
zutreffende Würdigungen, zum Teil hölzerne Phrasen vor- 
märzlicher Beschränktheit, sind als Spiegelung des Schaffens 
Schuberts auf die Mitwelt von kulturgeschichtlichem 
Interesse, während sie anderseits erkennen lassen, daß die 
Wertschätzung der Schubertschen Muse sich aus kleinem 
Kreise allgemach in die Weite dehnte. Der gewissenhaften 
Inventarisierung der unmittelbar mit Schuberts Leben 
im Zusammenhänge stehenden Dokumente des ersten 
Teils des zweiten Bandes werden im zweiten, im Herbst 
des Jahres erscheinenden Bande Ergänzungen folgen, 
die zeitlich vor und nach seine Lebensjahre gehören, aber 
doch zur Erklärung seines Schaffens nicht zu missen sind. 
Ihr Inhalt ergibt sich aus den geplanten Titeln der einzelnen 
Abschnitte: Nachklang (1828 — 1830); Parerga (vor 1797 
und nach 1830); Erinnerungen; Nachruhm. 

Der dritte Band der erschöpfenden Biographie, 
„Sein Leben- in Bildern“, kann als die Hauptachse des 
großzügig angelegten Werkes bezeichnet werden. Er 
enthält über 700 Illustrationen auf 600 Seiten, darunter 
die Reproduktionen fast des ganzen Materiales jener 
Schubert- Ausstellung in Wien in folgender Anordnung: 
Originalbildnisse Schuberts (S. 7 — 18). Zweifelhafte, falsche 
und abgeleitete Porträte (S. 19 — 32). Ein Kapitel Schwind 
(S. 33 — 42). Zeugnisse, Handschriften, Reliquien (42 a 
bis 54). Seine Familie (87 — 110). Wiener Schubertstätten: 
Wohnungen, Kirchen, Konzert- und Gastlokale, Vororte 
(noa-—i55). Theater- und Konzertprogramme, Titel- 
blätter (156 — 185). Vignetten und Illustrationen (186 bis 
209). Lehrer, Gönner, Freunde (210 — 319). Verleger, 
Musiker, Sänger, Schauspieler, Komponisten, Schrift- 
steller aus Schuberts Bekanntenkreis (320 — 400). Andere 
Gönner und Freunde (401 — 489). Befreundete Dichter 
(490 — 513). Textdichter (514 — 551). Komponisten, Mu- 
siker, Sänger (552 — 596). Schuberts Herolde: Gesamt- 
ausgabe und Biographie (597 — 617). Die stattliche Reihe 
der Bilder fast aller Persönlichkeiten des geistigen Wien der 
Schubert-Zeit, der am Schlüsse durch eine grosse Anzahl 

246 


von Erläuterungen über ihre Herkunft und ihren Wert 
und ein genaues Personen- und Sachregister angefügt ist, 
zeigt schon äußerlich an, wie bereits zu Lebzeiten des 
Künstlers die Gemeinde der Verehrer seiner Schöpfungen 
immer mehr und mehr zunahm. Die Zusammenfassung 
aller Illustrationen in einem eigenen Bande war schon des- 
halb geboten, weil „das große Material“ schon „des körper- 
lichen Gewichtes wegen“ dazu herausforderte. Daß so viele 
Bilder sowohl von Schubert selbst als von seiner Umgebung 
trotz der Beschränktheit seines Lebenskreises und trotz 
des Mangels der für unsere Zeit so leicht handlichen photo- 
graphischen Apparats entstanden sind, verdankt man 
dem Umstande, daß gerade eine verhältnismäßig große 
.Anzahl von fruchtbaren bildenden Künstlern, zu denen 
außer den Obengenannten insbesondere noch Joseph 
Teltscher zu zählen ist, in nähe persönliche Beziehung 
zu dem Meister, der nicht nur eine Künstler-, sondern eine 
sanfte wienerische Freundesseele gewesen ist, getreten sind. 
Bei jeder Gelegenheit, im privaten Konzertzirkel und in 
der freien Luft der ländlichen Natur griffen diese zum 
Stift, um in Ernst und Scherz Porträts und Skizzen zu 
entwerfen, „denn der bescheidene Ruhm zu seinen Leb- 
zeiten konnte wohl keinen Maler bestimmen, ihn aufzu- 
suchen“. 

Das älteste authentische Bild Schuberts (S. 1), eine un- 
bezeichnete Silhouette aus dem Jahre 1817, im Besitze 
der Frau Anna Holzapfel in Wien, zeigt das Profil des 
damals zwanzigjährigen Jünglings; damals war er eben 
im Uebergange vom Schulgehilfen an der Liechtenthaler 
Trivialschule zum Musiker von Beruf begriffen, nachdem 
er bereits drei Jahre als Lehrer gedient hatte. Die zeitlich 
zunächst entstandenen Bilder: „Landpartie der Schu- 
bertianer nach Atzenbrugg“ (1820) und „Gesellschafts- 
spiel der Schubertianer in Atzenbrugg“ (1821), zwei Aqua- 
relle von Leopold Kupelwieser, beide im Schubert-Museum 
der Stadt Wien, führen uns den jugendlichen Tondichter 
in ganzer Gestalt inmitten des Freundeskreises vor Augen, 
der sich damals schon zu einer ansehnlichen Gesellschaft 
verdichtet hatte. Den ursprünglichen Kem bildeten einige 
von Schuberts Mitschülern in dem k. k. Gymnasialkonvikt 
(altes Universitätsgebäude), wo er als Hofsängerknabe 
von 1808—1813 seine Gymnasialstudien zurücklegte, und 
in der Lehrerbildungsanstalt von St. Anna, und zwar 
meist solche, die an seiner beginnenden musikalischen 
Produktion Anteil nahmen, dann mehrere gleichstrebende 
Schüler Salieris, des Hofkapellmeisters, unter dessen 
Leitung er seit 1812 in die höheren Gebiete der Musik- 
wissenschaft eingeführt wurde. Die Brüder v. Spaun, 
Anton und Joseph, jener sieben, dieser neun Jahre älter 
als Schubert, deren Vaterhaus in Linz den Brennpunkt 
der romantisch-patriotischen Richtung der Zeit der Be- 
freiungskriege in Oberösterreich bildete, ferner Holzapfel, 
der Sohn einer Tabakhändlerin in Währing, Randhartinger, 
Kenner, Albert Stadler, Bibi, Joseph von Streinsberg, 
Franz v. Bruchmann, eines Wiener Großhändlers Sohn, 
Leopold Ebner und der Dichter Hans Senn, von der Salieri- 
Schule her Anselm . Hüttenbrenner und Ignaz Aßmayr, 
waren die Freunde der Jugend, die von Anbeginn dem 
Schaffen Schuberts mit Begeisterung folgten. Den Pfad 
rein künstlerischen Berufes haben von allen diesen nur 
Randhartinger, später Hofkapellmeister, und Bibi, später 
Domkapellmeister bei St. Stefan, ergriffen. Anselm Hütten- 
brenner, 1794 in Graz geboren, wo er Rechte studierte, 
kam auf Empfehlung des Bankiers Grafen Moritz v. Fries 
in Salieris hohe Schule, der ihn und Schubert wöchentlich 
zweimal ohne Entgelt unterrichtete; auch Aßmayr, ein 
Schüler Haydns, vorher Organist zu St. Peter in Salzburg, 
hat sich dort fortgebildet. Im Umgang mit diesen hoch- 
sinnigen Menschen und unter Einwirkung des von der 
Romantik durchdrungenen Zeitgeistes hat Schubert schon 
in zarter Jugend sein eigentliches Arbeitsfeld gefunden, 
das der -musikalischen Lyrik, die die Töne mit dem Worte 
der Dichtung in Gleichklang bringt. Salieris Unterweisung 



hat ihn nur mit den technischen Hilfsmitteln seiner Kunst 
bekannt gemacht. 

Der wichtigste Illustrator des gesellschaftlichen Treibens, 
in dem sich Schubert bewegte, der Maler Moritz v. Schwind, 
trat 1819 in den Freundeskreis. Seine zu Lebzeiten Schu- 
berts und später besonders aus der Erinnerung in seinem 
„Familienalbum“ (1863) keck, zum großen Teil humor- 
voll hingeworfenen Zeichnungen gewähren uns einen Ein- 
blick in das gemütvolle Zusammensein der Anhänger des 
Tondichters, wenn sie sich in dessen bescheidenem Heim 
oder bei Bekannten oder an Gaststätten in der Stadt oder 
draußen beim „Heurigen“ in Geinzingversammelten. Schwind 
und seine Brüder Franz und August, sowie ihre Schwester 
Wilhelmine, verehelichte Arzberger, wohnten links der 
Karlskirche, aus welchem 
Grunde dort eine Straße 
als Schwindgasse bezeich- 
net ist. Im vielbesuchten 
Gasthause „zum Mond- 
schein“, dann in der „Un- 
garischen Krone" an der 
Ecke der Seilerstätte und 
Himmelpfortgasse, in Neu- 
ners „Silbernem Kaffee- 
hause“ in der Planken- 
gasse, im Cafe Bogner in 
der Singerstraße (Ecke der 
Blutgasse) und anderwärts 
in Familien, wo Schubert 
am Klavier den Gesang 
seiner Lieder bei Schu- 
bert-Abenden (Schubertia- 
den) begleitete, kamen all 
die zusammen, von denen 
Joseph v. Spaun treffend 
äußerte: „Durch Schubert 
wurden wir alle Brüder 
und Freunde“. Und auch 
die Not brachte einige da- 
von an solchen im Bilde 
verewigten Orten zusam- 
men. So erzählt Ed. v. 

Bauernfeld, daß er und 
Schubert, als sie sich kein 
Brennholz an bitterkalten 
Wintertagen kaufen konn- 
ten, im BognerschenKaffee- 
hause Schutz und Wärme 
suchten. Er sowie die 
Dichter Mayrhofer, J. G. 

Seidl, Grillparzer und der 
Hof Opernsänger Johann 

Michael Vogl, der erste Sänger Schubertscher Lieder vor 
großem Publikum, der, langsam für deren Vortrag ge- 
wonnen, bald ihr eigentlicher Herold wurde, setzten sich 
während der Blütezeit des Schaffens Schuberts am nach- 
drücklichsten für dessen Anerkennung in weiteren Kreisen 
der musikalischen Welt ein. 

Am öftesten wohl kehrt in Schwinds gesellschaftlichen 
Schubert-Bildern die markige, breitschulterige Hünengestalt 
des Sängers Vogl wieder; so bildet sie neben der Schuberts 
den' Mittelpunkt der aus dem Jahre 1868 stammenden, 
im Schubert-Museum der Stadt Wien aufbewahrten Sepia- 
zeichnung „Schubert- Abend bei Joseph R. v. Spaun“ 
(reproduziert S. 386), worin die Elite der Verehrer und 
Verehrerinnen des Meisters um diesen, der neben Joseph 
v. Spaun am Klavier sitzt, versammelt erscheint, darunter 
Franz und Ignaz Lachner, Randhartinger, Gahy, Steiger 
v. Amstein, Vogl, Mayrhofer v. Grünbühel, Anton v. Dobl- 
hoff-Dier, Anton v. Spaun, Kunigunde Vogl, des Sängers 
Gemahlin, Joseph Kenner, Marie Ottenwalt, geb. v. Spaun, 
Ludwig Schnorr, Moritz v. Schwind, Anna Honig, Leopold 
Kupelwieser, Therese Honig, Franz v. Schober, Romeo 


Franz Seligmann, Ernst v. Feuchtersieben, Franz Grill- 
parzer, Justine v. Bruchmann, Eduard v. Bauernfeld, 
Franz v. Bruchmann, Johann Senn, Johann Mayrhofer 
und Ignaz Franz Castelli. Und Vogl finden wir auch sonst 
allenthalben auf frohmütigen oder scherzhaften Gelegen- 
heitsskizzen, wie im „Spaziergang vor dem Stadttore“ 
(S. 14), in „Schubert, Franz Lachner, M. v. Schwind und 
J. M. Vogl singen vor einem Neubau ein Ständchen“ 
(S. 34), in der Bleistift-Karikatur „Michael Vogl und Franz 
Schubert ziehen aus zu Kampf und Sieg“ von Franz 
v. Schober (S. 6) usw. In dieser Zeichnung wird Schuberts 
bescheidene Gestalt mit Absicht hinter die pompöse, 
wuchtige des Sängers gestellt. Nebeneinander am Klavier 
erscheinen die beiden noch auf drei anderen Sehwindschen 

Skizzen (S. 37 und 38). 
— Ganz enge persönliche 
Beziehungen knüpften 
Schubert an Johann Mayr- 
hofer (S. 240) und Franz 
v. Schober (S. 267 ff.), da 
beide durch längere Zeit 
mit ihm die Wohnung teil- 
ten. Schon 1814 kompo- 
nierte er das Lied „Am 
Erlafsee“ von Mayrhofer, 
das als erstes gedrucktes 
mit Musikbegleitung in dem 
von Dr. Franz Sartori her- 
ausgegebenen Taschenbuch 
„Malerisches Taschenbuch 
für Freunde interessanter 
Gegenden, Natur- und 
Kunstmerkwürdigkeiten 
der österreichischen Mon- 
archie“ (Wien, Ed. Doll, 
6. Jahrg, 1819; vergl. das 
Faksimile des Notendrucks 
S. 241) erschien. Von 1819 
wohnte Schubert mit Mayr- 
hofer in demselben Zim- 
mer, das einige Jahre vor- 
her Theodor Körner be- 
wohnt hatte. Die Physio- 
gnomie des Freundes mit 
den starren Zügen und den 
zusammengekniffenen Lip- 
pen entspricht dem, was 
von seinem rauhen, lau- 
nischen Wesen überliefert 
ist. Es hängt dies viel- 
leicht auch mit seinem Be- 
rufe als Zensor zusammen. 
Nur beim Anhören Schubertscher Lieder verklärte sich 
sein Angesicht. Aus der ersten Wohnung im Bürger- 
spitale übersiedelten beide in das Haus No. 420 in der 
Wipplingerstraße, in das auch Joseph Hüttenbrenner, 
Anselms Bruder, zog, der dem Tondichter längere Zeit 
seine massenhaften Schriften ordnete und ihm so als eine 
Art freiwilliger Archivar diente. Im Jahre 1822 trennte 
sich Schubert von dem verbitterten- Zimmergenossen und 
zog mit dem fröhlichen, stets für ihn hilfsbereiten Dichter 
Franz v. Schober zusammen, zuerst unter die Tuchlauben 
in der Nähe des „Roten Igel“, dann auf die Alte Wieden 
nächst der Karlskirche, also nächst „Schwindien“ (Gegend 
der Familie Schwind) in der jetzigen Technikerstraße. 
Mayrhofer hat später durch Selbstmord geendet. Alle 
Wohnhäuser Schuberts sind von S. 126 ff. abgebildet. 
Die geistreichen, vollen Gesichtszüge auf den Bildern von 
Schobers, darunter die Reproduktion eines Oelbildnisses 
von Joseph Danhauser, lassen seine joviale, dabei gut- 
herzige Künstlernatur erkennen. Geboren in Schweden, 
war er mit seiner verwitweten Mutter nach deren Heimat, 
Wien, gelangt. Neben seinen juridischen Studien widmete 



FRANZ SCHUBERT. 

Oelgemälde, vermutlich von Joseph Mäh 1 er (um 1827?) 
K, k. Gesellschaft der Musikfreunde, Wien. 


247 




er sich eifrigst schöngeistigen Richtungen, wozu ihm 
durch reiche Geldmittel von Hause aus die Möglichkeit 
geboten war. Auf alle Weise linderte er die Notlage 
des Freundes, führte ihn in höhere gesellige Kreise ein 
und ebnete ihm so vielfach die Wege des Aufstiegs. 
Durch ihn wurde Schubert mit dem Freiheitssänger 
Collin bekannt, der hinwiederum die Verbindung des- 
selben mit dem in Wien so maßgebenden Kreise im 
Hause der Dichterin Karoline Pichler vermittelte. 
Schober, Vogl und die Brüder v. Spaun spannen dann 
auch die Fäden nach Linz, Steyr, Gmunden und St. Pöl- 
ten, hier zu Bischof Dankesreither (Verwandter Scho- 
bers), wo Schubert auf mehreren Reisen viel Freude 
und Dank für sein Lied erntete. Auf diese Art weitete 
sich auch der geographische Umkreis, auf dem die An- 
erkennung und Pflege seiner Schöpfungen gedieh. Und 
diese heiteren Lebensepisoden brachten ihm reiche 
Förderung und Anregung. Die ganze Gruppe der kunst- 
liebenden Wiener Familie Sonnleithner und ihres weit- 
verzweigten Anhangs in akademischen Kreisen hin- 
wiederum ruft eine Fülle von Erinnerungen an Kon- 
zertabende in deren Heim auf der Brandstätte ins 
Gedächtnis und das Bild der Therese Grob, des 
schmucken Liechtentaler Mädchens, das ihn durch 
ihren schönen Sopran beim Gesang seiner Messen in der 
Pfarrkirche „zu den vierzehn Nothelfern“ bezauberte, 
erinnert an die Geschichte seiner Liebe, freilich einer 
hoffnungslosen, der einzigen des Meisters, von der genaue 
Ueberlieferung vorliegt. Es wäre hier unmöglich, im ein- 
zelnen das überreiche Bildermaterial zu deuten, dessen 
besten Schlüssel der demnächst erscheinende biographische 
Band I des Werkes abgeben wird. Darin wird außer der 
Uebersetzung der Lebensbeschreibung Groves eine Schu- 
bert-Biographie von O. E. Deutsch und L. Scheibler ent- 
halten sein. Der vierte (Schluß-)Band von I,. Scheibler wird 
ein thematisches Verzeichnis seiner Werke bieten. 

Die Menge von Bildern und Situationen, die in dem Bande 
„Schuberts Leben in Bildern" aufgespeichert ist, nicht 
zum wenigsten auch die stattliche Reihe von Repro- 
duktionen berühmter Bilder bedeutender Künstler, die 
aus dem klaren Quell von Schuberts tiefinniger Musiklyrik, 
dem Lied und der Ballade, romantische Stoffe schöpften 
(Schwind, Fendi, Schnorr, Kupelwieser u. a.), liefern 
den klaren Nachweis, daß die Wirkung Schubertscher 
Kunst trotz der Kürze des Lebens des Meisters und trotz 
der geringen Schwingungsweiten seiner Lebensverhältnisse 
eine elementare gewesen ist; ganz wohl kann der Aus- 
schnitt der Wiener Biedermeierzeit, der sich mit der Periode 
seines Lebenslaufs deckt, als „Zeit Schuberts“ bezeichnet 
werden. Adam Müller- Guttenbrunn hat mit Recht von 



Hof ln Schuberts Geburtshaus. 

(Ansicht gegen die Straße, das bekannte Bild zeigt die Ansicht gegen den Garten hin.) 


Ansicht des Gärtchens in Schuberts Geburtshaus. 

Im Hintergrund die lachten taler Kirche. Aquarell von F. Reinhold (um x88o). 

diesem Gesichtspunkte aus in seinem Spruche für die 
dem Wiener Schubert-Bund anläßlich dessen 50jährigen 
Bestandes vor kurzem gewidmete Ehrengabe des Meisters 
schöpferische Kraft mit den Worten betont: „Schubert 
hat die Erde viel reicher verlassen, als er sie gefunden 
hat“. Und schon des Tondichters Zeitgenosse und Freund 
Joh. Mayrhofer ist von dem Neuen in Schuberts Liede 
tief ergriffen; sein von Schubert selbst 1816 komponiertes 
Lied „Geheimnis“ (II, 1, S. 39) hebt er mit den begeisterten 
Worten an: 

„Sag an, wer lehrt dich Lieder, so schmeichelnd und so zart? 
Sie rufen einen Himmel aus trüber Gegenwart. 

Erst lag das Land verschleiert im Nebel vor uns da — 

Du singst, und Sonnen leuchten, und Frühling ist uns nah.“ 
München. Dr. Karl Fuchs. 


Schopenhauers und Hanslicks Lehren 
vom Wesen der Musik. 

Von Dr. 0. SCHNYDER (Luzern). 

D ie Gegenüberstellung zweier Theorien, die einen 
sachlichen Gegensatz ausprägen, ist für den Histo- 
riker und Kritiker von großem Reiz. Denn sie rückt nicht 
nur die geschichtliche Thesis und Antithesis in helles Licht, 
sie läßt auch die Eigenart der einander gegenüberstehen- 
den lehren offenbar werden. Und wenn schließlich zwei 
Lehren nicht nur Tatsachen der Geschichte sind, son- 
dern auch noch in der Gegenwart lebendige Wirkungen 
äußern, so muß sich dem historischen das aktuelle 
Interesse beigesellen. 

In diesem Sinne stellen die Ansichten Arthur Schopen- 
hauers und Eduard Hanslicks Pole in der Philosophie 
der Musik dar. Beide Theorien sind nicht nur jede in 
ihrer Art folgerichtig, sie übten auch großen Einfluß 
aus. Die Lehre des Frankfurter Philosophen gewann 
die Zustimmung Richard Wagners und der Anschauung 
Eduard Hanslicks stand Johannes Brahms nahe; mit 
der Philosophie Schopenhauers wurde auch dessen Musik- 
lehre Gemeingut der Gebildeten und die vielseitige 
Wirksamkeit Hanslicks, des Schriftstellers und Lehrers, 
verschaffte seinen Ansichten ausgedehnte Verbreitung. 

Wenn ich in der folgenden Darstellung und Kritik 
die Lehre Hanslicks der Theorie Schopenhauers vor- 
ausgehen lasse, so folge ich nicht geschichtlichen, son- 
dern sachlichen Rücksichten: Schopenhauer verkündete 
seine Ansichten erstmals in seinem Hauptwerke, das 
1818 erschien, Hanslicks Schrift „Vom Musikalisch- 


Schönen“ aber, in der der Wiener Gelehrte seine Meinung 
ex professo vorträgt, erschien erst 1854. Allein letztere 
ist trotz späterer Entstehung veraltet, während die erstere 
in vieler Beziehung die Zustimmung der herrschenden 
Meinung erhielt. Und da meine eigene Theorie, die ich in 
meiner Schrift „Grundzüge einer Phüosophie der Musik“ 
vortrage, in mehr als einer Beziehung an Schopenhauers 
Lehre anknüpft, besteht für mich ein Grund mehr, die 
Darstellung der Schopenhauerschen Lehre der Betrachtung 
der Lehre Hanslicks folgen zu lassen. 

I. 

E. Hanslick bestimmt in seiner Schrift „Vom Musikalisch- 
Schönen“, die erstmals im Jahre 1854 erschien und im 
Jahre 1911 zum elften Male aufgelegt wurde, zunächst 
die Aufgabe einer, wie er sagt, „philosophischen Be- 
gründung der Musik“. Ich lasse ihn selbst sprechen: „Die 
Erforschung der Natur jedes einzelnen musikalischen Ele- 
mentes, seines Zusammenhanges mit einem bestimmten 
Eindruck, nur der Tatsache, nicht des letzten Grundes, 
endlich die Zurückführung dieser speziellen Beobachtungen 
auf allgemeine Gesetze: das wäre jene .philosophische 
Begründung der Musik', welche so viele Autoren ersehnen, 
ohne uns nebenbei mitzuteilen, was sie darunter eigentlich 
verstehen“ (S. 70). „So hätte die .philosophische Be- 
gründung der Musik' vorerst zu erforschen, welche not- 
wendigen geistigen Bestimmtheiten mit jedem musikalischen 
Element verbunden sind und wie sie miteinander Zusammen- 
hängen. Die doppelte Forderung eines streng wissenschaft- 
lichen Gerippes und einer höchst reichhaltigen Kasuistik 
machen die Aufgabe zu einer sehr schwierigen, aber kaum 
unüberwindlichen“ (S. 72). 

Hanslick versucht dann in seiner Art selbst eine Er- 
klärung des Wesens der Musik. „Das Material, aus 
dem der Tondichter schafft, und dessen Reichtum nicht 
verschwenderisch genug gedacht werden kann, sind die 
gesamten Töne, mit der in ihnen ruhenden Möglichkeit 
zu verschiedener Melodie, Harmonie und Rhythmisierung.“ 
„Fragt es sich nun, was mit diesem Tonmaterial ausgedrückt 
werden soll, so lautet die Antwort: Musikalische Ideen.“ 
Und nun folgt der vielzitierte Ausspruch: „Der Inhalt der 
Musik sind tönend bewegte Formen“ (S. 59). Zur Er- 
klärung der Wendung „tönend bewegte Formen“ verweist 


Hanslick auf die Arabeske und das Kaleidoskop. Von 
der Arabeske sagt er: „Wir erblicken geschwungene Linien, 
hier sanft sich neigend, dort kühn emporstrebend, sich 
findend und loslassend, in kleinen und großen Bogen 
korrespondierend, scheinbar inkommensurabel, doch immer 
wohlgegliedert, überall ein Gegen- oder Seitenstück be- 
grüßend, eine Sarhmlung kleiner Einzelheiten und doch 
ein Ganzes. Denken wir uns nun eine Arabeske nicht tot 
und ruhend, sondern in fortwährender Selbstbildung 
vor unsern Augen entstehend! Wie die starken und feinen 
Linien einander verfolgen, aus kleiner Biegung zu prächtiger 
Höhe sich heben, dann wieder senken, sich erweitern, 
zusammenziehen und in sinnigem Wechsel von Ruhe und 
Anspannung das Auge stets neu überraschen! Denken wir 
uns vollends diese lebendige Arabeske als tätige Aus- 
strömung eines künstlerischen Geistes, der die ganze Fülle 
seiner Phantasie unablässig in die Adern dieser Bewegung 
ergießt — wird dieser Eindruck dem musikalischen nicht 
einigermaßen nahekommend sein ?“ (S. 60.) Und vom 
Kaleidoskop sagt Hanslick: „Jeder von uns hat als Kind 
sich wohl an dem wechselnden Farben- und Formenspiel 
eines Kaleidoskops ergötzt. Ein solches Kaleidoskop, 
jedoch auf unmeßbar höherer, idealer Erscheinungsstufe, 
ist die Musik.' Sie bringt in stets sich entwickelnder Ab- 
wechslung schöne Formen und Farben, sanft übergehend, 
scharf kontrastierend, immer zusammenhängend und doch 
immer neu, in sich abgeschlossen und von sich selbst er- 
füllt“ (S. 60). Die Musik als Spiel tönend bewegter Formen 
näher charakterisierend, fährt Hanslick fort: „Die Formen, 
welche sich aus Tönen bilden, sind nicht leere, sondern 
erfüllte, nicht bloße Linienbegrenzung eines Vakuums, 
sondern sich von innen herausgestaltender Geist. Der 
Arabeske gegenüber ist demnach die Musik in der Tat ein 
Bild, allein ein solches, dessen Gegenstand wir nicht in 
Worte fassen und unseren Begriffen unterordnen können“ 
(S. 63). „Das Komponieren ist ein Arbeiten des Geistes in 
geistfähigem Material. So reichhaltig wir dies musikalische 
Material befunden haben, so elastisch und durchdring- 
bar erweist es sich für die künstlerische Phantasie. Diese 
baut nicht wie der Architekt aus rohem, schwerfälligem 
Gestein, sondern auf der Nachwirkung vorher verklungener 
Töne. Geistigerer, feinerer Natur als jeder andere Kunst- 
stoff, nehmen die Töne willig jedwede Idee des Künstlers 


1 



Landpartie der Schubertianer nach Atienbrugg. Aquarell von Leopold Kupelwieser. (Units Schubert mit dem Maler.) 


249 


in sich auf. Da nun die Ton Verbindungen, in deren Ver- 
hältnissen das musikalisch Schöne ruht, nicht durch mecha- 
nisches Aneinanderreihen, sondern durch freies Schaffen 
der Phantasie gewonnen werden, so prägt sich die geistige 
Kraft und Eigentümlichkeit dieser bestimmten Phantasie 
dem Erzeugnis als Charakter auf.“ „Geistigen Gehalt werden 
wir in jedem musikalischen Kunstwerk fordern, doch darf 
er in kein anderes Moment desselben verlegt werden, als 
in die Tonverbindungen selbst“ (S. 65). 

Nachdem Hanslick auf diese Weise seine These, die 
Musik sei ein Spiel tönend bewegter Formen, verfochten 
hat, wendet er sich gegen die Ansicht, die Musik vermöge 
„Gefühle“ darzustellen. „Die Darstellung eines be- 
stimmten Gefühls oder Affektes liegt gar nicht in dem 
eigenen Vermögen der Tonkunst“ (S. 22). Zu dem Satz 
einiger Theoretiker: „die Tonkunst habe nicht etwa be- 
stimmte, wohl aber unbestimmte Gefühle zu erwecken 
und darzustellen,“ bemerkt der Schriftsteller: „Ver- 

nünftigerweise kann man damit nur meinen, die Musik 
solle die Bewegung des Fühlens, abgezogen von dem Inhalt 
desselben, dem Gefühlten, enthalten, das also, was wir 
das Dynamische der Affekte genannt und der Musik voll- 
ständig eingeräumt haben. Dies Element der Tonkunst 
ist aber kein Darstellen unbestimmter Gefühle“ (S. 44). 
„Was kann also die Musik von den Gefühlen darstellen, 
wenn nicht deren Inhalt ? Nur das Dynamische derselben. 
Sie vermag die Bewegung eines physischen Vorganges 
nach den Momenten: schnell, langsam, stark, schwach, 
steigend, fallend nachzubilden. Bewegung ist aber nur 
eine Eigenschaft, ein Moment des Gefühls, nicht dieses 
selbst“ (S. 26). „Sie bildet das Element, welches die Ton- 
kunst mit den Gefühlszuständen gemeinschaftlich hat, 
und das sie schöpferisch in tausend Abstufungen und 
Gegensätzen zu gestalten vermag“ (S. 27). „Was uns 
außerdem in der Musik bestimmte Seelenzustände zu malen 
scheint, ist symbolisch. Wie die Farben, so besitzen näm- 
lich die Töne von Haus aus und in ihrer Vereinzelung 
symbolische Bedeutung, welche außerhalb und vor aller 
künstlerischen Absicht wirkt" (S. 27, 28). Von einem 
Ausdrücken oder Darstellen ist solche Naturbeziehung 
weit entfernt. Symbolisch nannten wir sie, indem sie 
den Inhalt keineswegs unmittelbar darstellt, sondern eine 
von diesem wesentlich verschiedene Form bleibt. Wenn 
wir im Gelben Eifersucht, in G dur Heiterkeit, in der 
Zypresse Trauer sehen, so hat diese Deutung einen physio- 
logisch-psychologischen Zusammenhang mit Bestimmt- 
heiten dieser Gefühle, allein es hat ihn eben nur unsere 
Deutung, nicht die Farbe, der Ton, die Pflanze an und für 
sich. Man kann daher weder von einem Akkord an sich 
sagen, er stelle ein bestimmtes Gefühl dar, noch weniger 
tut er das im Zusammenhang des Kunstwerks“ (S. 29). 

Hanslick bespricht schließlich auch das Problem der 
Schönheit in der Musik. „Wie das Schöne eines Ton- 

f. ■ ! 

v, k - .: . 



JOSEPHINE FRÖHLICH. 

Lithographische Skizze von ihrer Schwester Barbara Bogner. 
Dr. August Heymann, Wien. 


Stücks lediglich in dessen musikalischen Bestimmtheiten 
wurzelt, so folgen auch die Gesetze seiner Konstruktion 
nur diesen“ (S. 76). „Keineswegs ist das .Spezifisch-Musi- 
kalische' als bloße akustische Schönheit oder proportionale 
Symmetrie zu verstehen — Zweige, die es als untergeordnet 
in sich begreift.“ „Das .Musikalisch-Schöne ‘ in dem von 
uns angenommenen spezifischen Sinn beschränkt sich nicht 
auf das .Klassische', noch enthält es eine Bevorzugung 
desselben vor dem .Romantischen'. Es gilt sowohl von 
der einen als von der andern Richtung, beherrscht Bach 
so gut wie Beethoven, Mozart so gut wie Schumann" 
(S. 80). „Noch weniger als mit dem Klassischen kann das 
.Musikalisch- Schöne' mit dem Architektonischen zu- 
sammenfallen, das jenes als Zweig in sich faßt“ (S. 83). 
„Viele Aesthetiker halten den musikalischen Genuß durch 
das Wohlgefallen am Regelmäßigen und Symmetrischen 
für ausreichend erklärt, worin doch niemals ein Schönes, 
vollends ein Musikalisch-Schönes bestand" (S. 83). „Vor- 
sichtiger vielleicht als notwendig sei endlich noch hinzu- 
gefügt, daß die musikalische Schönheit mit dem Mathe- 
matischen nichts zu tun hat“ (S. 85). „Wenn für die Er- 
forschung des physikalischen Teiles der Tonkunst die 
Mathematik einen unentbehrlichen Schlüssel liefert, so 
möge im fertigen Tonwerk hingegen ihre Bedeutung nicht 
überschätzt werden. In einer Tondichtung, sie sei die 
schönste oder die schlechteste, ist gar nichts mathematisch 
berechnet. Schöpfungen der Phantasie sind keine Rechen- 
cxempel“ (S. 86). „Auch mit der Sprache hat man die 
Musik häufig zu parallelisieren und die Gesetze der ersteren 
für die letztere aufzustellen versucht" (S. 37). „Man hat 
die Musik als eine (unbestimmtere oder feinere) Sprache 
aufgefaßt und nun ihre Schönheitsgesetze aus der Natur 
der Sprache abstrahieren wollen." Die selbständige Schön- 
heit der Tonformen hier und die absolute Herrschaft des 
Gedankens über den Ton als bloßes Ausdrucksmittel dort 
stehen sich so ausschließend gegenüber, daß eine Ver- 
mischung der beiden Prinzipe eine logische Unmöglichkeit 
ist" (S. 88, 89). 

Und abschließend bemerkt der Schriftsteller: „Die 
Musik besteht aus Tonreihen, Tonformen, diese haben 
keinen andern Inhalt als sich selbst.“ „Mag nun die Wir- 
kung eines Tonstücks jeder nach seiner Individualität an- 
schlagen und benennen, der Inhalt desselben ist keiner, 
als eben die gehörten Tonformen, denn die Musik spricht 
nicht bloß durch Töne, sie spricht auch nur Töne“ 
(S. 162, 163). „Die Musik ist ein Spiel, aber keine Spielerei." 
„Der Komponist dichtet und denkt. Nur dichtet und 
denkt er, entrückt aller gegenständlichen Realität, in 
Tönen" (S. 172). „Gegenüber dem Vorwurf der Inhalts- 
losigkeit also hat die Musik Inhalt, allein musikalischen, 
welcher ein nicht geringerer Funke des göttlichen Feuers 
ist, als das Schöne jeder andern Kunst. Nur dadurch aber, 
daß man jeden andern .Inhalt' der Tonkunst unerbittlich 
negiert, rettet man deren .Gehalt'. Denn aus dem un- 
bestimmten Gefühle, worauf sich jener Inhalt im besten 
Falle zurückführt, ist ihr eine geistige Bedeutung nicht 
abzuleiten, wohl aber aus der bestimmten schönen Ton- 
gestaltung als der freien Schöpfung des Geistes aus geist- 
fähigem Material“ (S. 174). 

Die Darstellung Hanslicks liefert die philosophische 
Begründung der Musik nicht, deren Aufgabe er, wie er- 
wähnt, in seinem Buche bestimmt. Sie entbehrt der Be- 
rücksichtigung der verschiedenen möglichen Gesichts- 
punkte, die man von einer philosophischen Darstellung 
verlangen darf. Hanslick bespricht die Musik nur als 
Gegenstand theoretischer Betrachtung und unterläßt es, 
ihre Beziehungen zur praktischen Philosophie, zur theo- 
retisch-praktischen Philosophie, sowie ihr Verhältnis zu 
benachbarten Gebieten der Erfahrung zu untersuchen. 
Innerhalb seiner theoretischen Betrachtung vermengt er 
die Erörterung über das Wesen der Musik mit der Er- 
örterung über das Problem der Schönheit, was die Klar- 
heit seiner Ausführungen wesentlich beeinträchtigt. Eben- 


250 



FRANZ SCHUBERT {mit 70 Jahren). 
Unbezelchnete Silhouette 18x7. (Frau Anna Holzapfel, Wien.) 


falls innerhalb seiner theoretischen Betrachtung vermengt 
er die Begriffe Inhalt und Form, ein Verhalten, das sich 
aus seiner, wie es scheint, geringen philosophischen Schulung 
erklärt, seine Darstellung aber nicht zu klären geeignet ist. 

Sieht man von diesen formalen Mängeln ab, so liefert 
Hanslicks Theorie allerlei Brauchbares. Mit Recht be- 
tont der Wiener Schriftsteller die selbständige Bedeutung 
des Tons als Inhalt, als Stoff der Musik, mit Recht weist 
er auch auf die ungeheuren Möglichkeiten der Tongestaltung 
hin, mit Recht wendet er sich gegen diejenigen,, die dfeh 
Ton nur als Mittel des Ausdrucks von Gefühlen gelten 
lassen wollen, mit Recht auch bekämpft er die Ansicht, 
Musik sei nichts weiter als Spielerei in Tönen. 

Die These Hanslicks, die Tonkunst sei ein Spiel tönend 
bewegter Formen, die richtig ist, wenn sie nur eine .Seite 
des Inhalts der Musik treffen will, wird aber sofort falsch, 
wenn sie den Anspruch erhebt, erschöpfende Definition 
der Musik zu sein, wenn sie die Behauptung vertritt, die 
Musik sei nichts weiter als Spiel tönend bewegter Formen, 
Hanslick bestreitet zunächst, daß die Tonkunst bestimmte 
Gemütstatsachen, wie Liebe, Haß, Trauer, Frohsinn etc. 
darzustellen vermöge. Und hier ist ihm beizustimmen. 
Mit Unrecht aber bestreitet Hanslick, daß die Tonkunst 
fähig sei, von ihm sogen, unbestimmte Gefühle darzustellen. 
Er macht den Fehlschluß: Es gibt nur bestimmte Gefühle, 
bestimmte Gefühle vermag die Musik nicht darzustellen, 
also vermag die Musik keine Gefühle darzustellen. Der 
Schlußsatz ist falsch, weil der Obersatz falsch ist. Die 
Psychologie, der Hanslick, wie es scheint, nicht sehr nahe 
stand, unterscheidet zwischen bestimmt benannten, sprach- 
lich festgelegten Gemütstatsachen und Gemütstatsachen, 
die wohl vorhanden, aber nicht oder noch nicht benannt, 
sprachlich festgestellt sind. Zu jenen gehören die all- 
täglichen Gemütstatsachen, die in Verbindung mit : Ob- 
jekten, auf die sie sich richten, vorgestellt werden,; zu 
diesen aber die feineren Schwingungen des Gemütsleb'ens 
von hochkomplizierten Zuständen bis hinunter .zu -den 
Grundtatsachen des Gemütslebens, den von mir so genannten 
„Urwollungen“. Es ist nun Erfahrungstatsache,, daß. die 
ungeheure Menge der auf den Urwollungen sich aufbauenden 
Wollungen, Gefühle, Affekte zufolge der Gleichheit' '.der 
Konstruktion in engster Beziehung zur Menge der Töne 
und Tonverbindungen steht und daher von der: Tonkunst 
sehr wohl dargestellt werden kann. Wenn Hanslick die 
Wichtigkeit des Begriffs der Bewegung zur Erklärung 
des Nebeneinanders von Ton und Gefühl hervorhebt, 
so muß ich ihm beistimmen, allein auch sogleich beifügen, 
daß die Bewegung nur eines von den Momenten ist, die 
Ton und Gemüt miteinander gemein haben. Wenn Hanslick 


weiter die Beziehung von Ton und Gemüt als bloße 
Analogie bezeichnet, so muß ich ihm entgegenhalten, daß 
das Verhältnis von Ton und Gemüt ein durchgehender 
Parallelismus ist. Und so muß ich die Meinung Hanslicks, 
die Tonkunst sei nichts weiter als Spiel tönender bewegter 
Formen, nichts weiter als eine bewegte Reihe oder Menge 
von Tönen, verwerfen und ihr die Ansicht entgegensetzen, 
die Tonkunst liefere Gebilde, die einen Parallelismus von 
Ton und Gemüt verkörpern. So verkehrt es wäre, zu 
sagen, die Dichtkunst sei nichts weiter als ein bewegtes 
Spiel von Wörtern oder die bildende Kunst schaffe nichts 
weiter als ruhende Gebilde aus Farben und Masse, so ver- 
kehrt ist es auch, die Tonkunst als ein Spiel bloßer Töne 
zu bezeichnen. Die einseitig formale Auffassung Hanslicks 
vom Wesen der Musik ist daher abzulehnen. 

Eine mehr als immanente Erklärung der Musik, eine 
transzendente Ausdeutung des Tonalen unternimmt Hans- 
lick nicht, er bleibt vielmehr durchaus auf immanentem 
Boden stehen. 

So wenig wie die Ausführungen über das Wesen der 
Musik, vermögen die Ausführungen Hanslicks über das 
Problem der Schönheit in der Musik zu befriedigen. Nach- 
dem der Schriftsteller die Verknüpfung des Schönen mit 
den historischen Kategorien der Musik, mit dem Akusti- 
schen, Mathematischen und Architektonischen, seine Be- 
ziehungen zur Schönheit der Sprache abgelehnt hat, be- 
stimmt er die Schönheit in der Musik positiv als den be- 
stimmten Charakter, der durch freies Schaffen der Phan- 
tasie aus dem Tonmaterial gewonnen wird. Es ist dies eine 
Erklärung, die den Stempel des Ungenügens trägt, denn 
die Behauptung, die Schönheit in der Musik sei ein be- 
stimmter Charakter des Tongestaltens, ist nicht das Ende, 
sondern der Anfang einer Erörterung der musikalischen 
Schönheit und der Antwort Hanslicks reiht sich sofort 
die Frage nach dem Wesen dieses bestimmten Charakters 
an. 

So liegt denn der Schwerpunkt der Hanslickschen Leistung 
in der Erklärung des Wesens der Musik, die sehr weit- 
schichtig gediehen ist, in ihrem Gesamtergebnis aber als 
falsch betrachtet werden muß. 

H. 

Arthur Schopenhauer hat seine Lehre über das Wesen 
der Musik dargelegt in seinem Hauptwerke „Die Welt als 
Wille und Vorstellung“ Bd. I. § 52, Bd. II. Kap. 39, sowie 
im Sammelwerke Parerga und Paralipomena Bd. I. §§ 218 ff. 



Ti telieichflung Kupelwiesers zu Schuberts Lied „Am Grabe Ansclmos", 
auf der ersten Aufgabe von Opus 6, 182 r. 


251 


Ich will versuchen, die Lehre Schopenhauers mit seinen 
eigenen Worten in den Hauptzügen anzuführen: Die Musik 
„ist eine so große und überaus herrliche Kunst, wirkt so 
mächtig auf das Innerste des Menschen, wird so ganz und 
So tief von ihm verstanden, als eine ganz allgemeine Sprache, 
deren Deutlichkeit sogar die der anschaulichen Welt selbst 
übertrifft, daß wir gewiß mehr in ihr zu suchen haben, als 
ein Exercitium arithmeticae oecultum nescientis se numerare 
animi, wofür sie Leibniz ansprach und dennoch ganz recht 
hatte, sofern er nur ihre unmittelbare und äußere Bedeutung, 
ihre Schale betrachtete. Wäre sie jedoch nichts weiter, so 
müßte die Befriedigung, welche sie gewährt, der ähnlich sein, 
die wir beim richtigen Aufgehen eines Rechnungsexempels 
empfinden, und könnte nicht jene innige Freude sein, 
mit der wir das tiefste Innere unseres Wesens zur Sprache 
gebracht sehen. (Die Welt als Wille und Vorstellung § 52.) 

Die Musik stellt den Willen dar; „so ist hieraus auch er- 
klärlich, daß sie auf den Willen, d. i. die Gefühle, 
Leidenschaften und Affekte des Hörers, unmittelbar ein- 
wirkt, so daß sie dieselben schnell erhöht oder auch um- 
stimmt.“ Die Musik besteht „in einem steten Wechsel 
von mehr oder weniger beunruhigenden, d. i. Verlangen 
erregenden Akkorden, mit mehr oder minder beruhigenden 
und befriedigenden; eben wie das Leben des Herzens (der 
Wille) ein steter Wechsel von größerer oder geringerer 
Beunruhigung durch Wunsch oder Furcht, mit eben so 
verschieden gemessener Beruhigung ist“. „Und wie es 
zwei allgemeine Grundstimmungen des Gemütes gibt, 



Der Spaziergang vor dem. Stadttore. Von Moritz v. Schwind. 

(I*ink9 Vogl und Schubert, in der Mitte Schober grüßend, vorne Schwind.) 


Heiterkeit oder wenigstens Rüstigkeit und Betrübnis 
oder doch Beklemmung, so hat die Musik zwei allgemeine 
Tonarten Dur und Moll, welche jenen entsprechen, und 
sie muß stets sich in einer von beiden befinden.“ (Die Welt 
als Wille und Vorstellung Bd. II, Kap. 39.) Das Wesen 
der Melodie ist „ein stetes Abweichen, Abirren vom Grund- 
ton, auf tausend Wegen, nicht nur zu den harmonischen 
Stufen, zur Terz und Dominante, sondern zu jedem Ton, 
zur dissonanten Septime und zu den übermäßigen Stufen, 
aber immer folgt ein endliches Zurückkehren zum Grund- 
ton: auf allen jenen Wegen drückt die Melodie das viel- 
gestaltige Streben des Willens aus, aber immer auch, 
durch das endliche Wiederfinden einer harmonischen Stufe, 
und noch mehr des Grundtones, die Befriedigung.“ „Das 
unaussprechlich Innige aller Musik, vermöge dessen sie 
als ein so ganz vertrautes und doch ewig fernes Paradies 
an uns vorüberzieht, so ganz verständlich und doch so 
unerklärlich ist, beruht darauf, daß sie alle Regungen 
unseres innersten Wesens wiedergibt, aber ganz ohne die 
Wirklichkeit und fern von ihrer Qual.“ (Die Welt als Wille 
und Vorstellung Bd. I, § 52.) Nachdem Schopenhauer auf 
diese Weise die Beziehung der Musik zum Gemüt erörtert 
hat, fährt er fort: Die Musik „drückt nicht diese oder jene 
einzelne und bestimmte Freude, diese oder jene Betrübnis, 
oder Schmerz, oder Entsetzen, oder Jubel, oder Lustig- 
keit, oder Gemütsruhe aus; sondern die Freude, die 
Betrübnis, den Schmerz, das Entsetzen, den Jubel, 
die Lustigkeit, d i e Gemütsruhe selbst, gewissermaßen 
in abstracto, das Wesentliche derselben, ohne alles Bei- 
werk, also auch ohne Motive dazu.“ (Die Welt als Wille 
und Vorstellung Bd. I, § 52.) „Allgemein und zugleich 
populär redend kann man den Ausdruck wagen: Die Musik 
überhaupt ist die Melodie, zu der die Welt der Text ist.“ 
(P. u. P. Bd. I, § 219.) „Die Musik ist von allen andern 
Künsten dadurch verschieden, daß sie nicht Abbild der 
Erscheinung, oder richtiger, der adäquaten Objektivität 
des Willens, sondern unmittelbar Abbild des Willens 
selbst ist und also zu allem Physischen der Welt das Meta- 
physische, zu aller Erscheinung das Ding an sich darstellt. 
Man könnte demnach die Welt ebensowohl verkörperte 
Musik als verkörperten Willen nennen." „Die Musik ist 
eine so unmittelbare Objektivation und Abbild 
des ganzen Willens, wie die Welt selbst es ist, ja wie 
die Ideen es sind, deren vervielfältigte Erscheinung die 
Welt der einzelnen Dinge ausmacht. Die Musik ist also 
keineswegs, gleich den andern Künsten, das Abbild der 
Ideen, sondern Abbild des Willens selbst.“ „Es 
muß, zwar durchaus keine unmittelbare Aehnlichkeit, 
aber doch ein Parallelismus, eine Analogie sein zwischen 
der Musik und zwischen den Ideen, deren Erscheinung 
in der Vielheit und Unvollkommenheit die sichtbare Welt 
ist.“ „Ich erkenne in den tiefsten Tönen der Harmonie, 
im Grundbaß, die niedrigsten Stufen der Objektivationen 
des Willens selbst wieder, die unorganische Natur, die 
Masse des Planeten.“ „Nun ferner in den gesamten, die 
Harmonie hervorbringenden Ripienstimmen, zwischen dem 
Basse und der leitenden, die Melodie singenden Stimme, 
erkenne ich die gesamte Stufenfolge der Ideen wieder, 
in denen der Wille sich objektiviert. Die dem Basse näher 
stehenden sind die niedrigeren jener Stufen, die noch un- 
organischen, aber schon mehrfach sich äußernden Körper: 
die höher liegenden repräsentieren mir die Pflanzen- und 
Tierwelt.“ Endlich in der Melodie, in der hohen 
singenden, das Ganze leitenden und mit ungebundener 
Willkür in ununterbrochenem, bedeutungsvollem Zu- 
sammenhänge eines Gedankens vom Anfang bis zum 
Ende fortschreitenden, ein Ganzes darstellenden Haupt- 
stimme, erkenne ich die höchste Stufe der Objektivation 
des Willens wieder, das besonnene Leben und Streben des 
Menschen.“ (Die Welt als Wille und Vorstellung Bd. I, § 52.) 

Schopenhauer geht bei seinen Betrachtungen aus von 
der Musik als Tonspiel und wirft die Frage auf, ob sie nur 
ein Rechnungsexempel des. Geistes sei, der nicht weiß, 


252 




daß er zählt, oder ob sie etwas Besseres und Höheres sei. 
Seine Untersuchung verläuft nun in zwei Stufen: In der 
ersten gelangt er zum Ergebnis, die Musik sei die innigste 
und sorgfältigste Beschreibung des Gemütslebens und 
folge allen Regungen des Herzens: „Sie malt jede Regung, 
jedes Streben, jede Bewegung des Willens, alles das, was 
die Vernunft unter den weiten und negativen Begriff 
Gefühl zusammenfaßt und nicht weiter in ihre Abstraktionen 
aufnehmen kann.“ (Die Welt als Wille und Vorstellung 
Bd. I, § 52.) In der zweiten Stufe schreitet der Denker 
von der psychologischen Betrachtung fort zur transzen- 
denten, insbesondere metaphysischen, und verknüpft dabei 
seine Musiklehre mit seiner Metaphysik. Das der Welt 
der Erscheinungen zugrunde liegende Ding an sich ist nach 
Schopenhauer der Wille, der allein auf dem Wege der Selbst- 
beobachtung gefunden werden kann; der Wille als Ding 
an sich objektiviert sich in den Ideen und in den Einzel- 
dingen der Erscheinungswelt. Während nun die andern 
Künste die Ideen nachahmen und somit nur in einem 
mittelbaren Verhältnis zum Willen stehen, .verkörpert die 
Musik den Willen selbst und ist somit das unmittelbare 
Abbild des Willens. Die Folge dieser Anschauung ist die 
Gleichstellung der Musik mit der Philosophie: „Wenn ich 
nun in dieser ganzen Darstellung der Musik bemüht ge- 
wesen bin, deutlich zu machen, daß sie in einer höchst 
allgemeinen Sprache das innere Wesen, das Ansich der 
Welt, welches wir, nach seiner deutlichsten Aeußerung 
unter dem Begriff Willen denken, ausspricht, in einem 
einartigen Stoff, nämlich bloßen Tönen, und mit der größten 
Bestimmtheit und Wahrheit; wenn ferner, meiner An- 
sicht und Bestrebung nach, die Philosophie nichts anderes 
ist, als eine vollständige und richtige Wiederholung und 
Aussprechung des Wesens der Welt, in sehr allgemeinen 
Begriffen, da nur in solchen eine überall ausreichende 
und anwendbare Uebersicht jenes ganzen Wesens möglich 
ist; so wird, wer mir gefolgt und in meine Denkungsart 
eingegangen ist, es nicht sehr paradox finden, wenn ich 
sage, daß, gesetzt, es gelänge, eine vollkommen richtige, 
vollständige und in das Einzelne gehende Erklärung der 
Musik, also eine ausführliche Wiederholung dessen, was 
sie ausdrückt, in Begriffen zu geben, diese sofort auch 
eine genügende Wiederholung und Erklärung der Welt 
in Begriffen, oder einer solchen ganz gleichlautend, 
also die wahre Philosophie sein würde, und daß wir folglich 
den oben angeführten Ausspruch Leibnizens, der auf 
einem niedrigeren Standpunkt ganz richtig ist, im Sinn 
unserer höheren Ansicht der Musik folgendermaßen paro- 
dieren können : 'Musica est exercitium metaphysices occul- 
tum nescientis se philosophari animi.“ 

Schopenhauer beschränkt sich darauf, die Musik im Lichte 
der theoretischen Philosophie zu betrachten; er unterläßt 
es, ihre Beziehungen zur praktischen Philosophie zu unter- 
suchen, er unterläßt es weiter, das Verhältnis der Musik 
als Sein zur Musik als Seinsollen zu prüfen, er unterläßt 
es schließlich, den Beziehungen der Musik zu andern Ge- 
bieten des Seins, zu den übrigen Künsten, zu Wissen- 
schaft und Leben nachzuforschen. Diese zahlreichen 
Unterlassungen behaften die Schopenhauersche Theorie 
mit dem Stigma der Eiuseitigkeit. Auf seine Theorie 
selbst legt Schopenhauer großen Wert, indem er sagt: 
„Der Vernunft, wenn auch nur im allgemeinen, faßlich 
zu machen, was es sei, das die Musik, in Melodie und 
Harmonie, besagt, ünd wovon sie rede, dies hat man, bis 
ich es unternahm, nicht einmal ernstlich versucht.“ (P . u. 
P. Bd. II, § 218.) Ist diese hohe Wertschätzung der 
Musiklehre durch ihren Schöpfer gerechtfertigt? 

Es ist ein großes und bleibendes Verdienst Schopenhauers, 
gegenüber Leibniz und Kant, die in der Musik nichts 
weiter sahen als ein arithmetisch gegliedertes Tonspiel, 
den Gemütsgehalt der Musik betont und damit die sogen, 
materiale Musiktheorie zwar nicht begründet, aber kräftig 
gestützt zu haben. Allein Schopenhauer hat auf diesem 
Boden zwar den Grundgedanken aufgestellt und in be- 


redter Weise umschrieben, 
allein es unterlassen, den 
von ihm behaupteten Par- 
allelismus von Tönen und 
Willensregungen im ein- 
zelnen zu prüfen und zu 
beschreiben. Immerhin ist 
die Bedeutung der Scho- 
penhauerschen Leistung auf 
diesem psychologischen Bo- 
den so groß, daß sein 
Name für immer mit der 
materialen Musiktheorie 
verknüpft bleiben wird. 

Der psychologischen Stufe 
läßt nun aber Schopen- 
hauer eine transzendente, 
insbesondere metaphy- 
sische folgen. Seine meta- 
physische Musiktheorie 
steht in engstem Zusam- 
menhang mit seiner Metaphysik und die Kritik jener 
Theorie muß mit der Kritik der Metaphysik Hand in Hand 
gehen. Der Denker gelangt nun zu seiner Behauptung, 
der Wille liege als Ding an sich der Welt der Erscheinungen 
zugrunde, durch die weitere Behauptung, der Blick ins 
Innere, ins Gemüt verschaffe eine unmittelbare Erfahrung 
vom Ding an sich und das so gefundene Ding an sich, der 
Wille, stütze als Ding an sich nicht nur den Menschen, 
sondern auch die übrigen Tatsachen der Erscheinungswelt. 
Nun sind aber diese beiden Behauptungen als völlig phan- 
tastisch zu bezeichnen: Der Blick ins Innere verschafft 
dem Betrachter nichts weiter als die Anschauung seines 
Gemütslebens, eine Anschauung, die mit der Anschauung 
aller anderen Erfahrungstatsachen erkenntnistheoretisch 
auf einer Linie steht. Die Behauptung, das Gemüt, 
oder in der Sprache Schopenhauers, der Wille, sei nicht 
nur Erscheinung, sondern außerdem noch Ding an sich, 
das mit der Erscheinung identisch oder ihr analog sei, 
muß ich als leeren Machtspruch bezeichnen, der außer der 
persönlichen Neigung seines Schöpfers nichts für sich hat. 
Gesetzt nun, der Wille, der sich dem innern Sinne dar- 
bietet, sei nicht nur Erscheinung, sondern außerdem 
noch Ding an sich, 
so liegt doch keiner- 
lei Berechtigung vor 
zur Behauptung, der 
Wille, wie er im Men- 
schen lebe, Hege als 
Ding an sich allen 
andern T atsachen 
der Erschein ungswelt 
zugrunde, die Welt 
sei nichts weiter als 
die Objektivation des 
Willens. Auch in die- 
ser Behauptung muß 
ich einen Macht- 
sprucherblicken, des- 
sen Inhalt zwar nicht 
unmögUch ist, aber 
auch durch keinerlei 
Tatsachen gestützt 
wird. Fällt somit 
die Metaphysik Scho- 
penhauers bei nähe- 
rer Betrachtung in 
sich selbst zusam- 
men, so wird durch 
dieselbe Betrachtung 
auch seiner meta- 
physischen Musik- 
theorie der Boden 



JOHANN MAYRHOFER 
Dichter und Freund Schuberts. 
Von M. v. Schwind. 



Schubert nach einer Blcisliflielchnung 
von Morit* v. Schwind (?) um 1825. 


253 


entzogen. . Ist die Behauptung, das Wesen der W v elt sei 
Wille, ein völlig phantastischer Einfall, so muß auch die 
Behauptung, die Musik sei das Abbild dieses Willens, als 
Phantasma bezeichnet werden und der metaphysischen 
Musiktheorie Schopenhauers kommt zwar die Bedeutung 
einer die Musik ehrenden Meinung eines phantasievollen 
Kopfes zu, nicht aber der Wert einer begründeten 
philosophischen hehre. ' 


Zur Deutung und Würdigung von 
Hauseggers Natursymphonie/ 

Eine Studie von Dr. HANS BURKHARDT (Frankfurt a. M.). 

I m Vergleiche mit der begrifflich bestimmten Wortsprache 
ist die Ausdrucksweise des Tonmaterials und 
die durch sie erzeugte Stimmung schwankender und zer- 
flossener. Sie ist einer genauen Analyse nach der Seite der 
gegenständlichen Bestimmbarkeit weit schwerer zugänglich 
und daher öfters verschiedener Deutungen fähig. Halt man 
sich auch bei dem Bestreben, die allgemeinere Ausdrucks- 
weise der Tonsprache enger zu umgrenzen, von Willkürlich- 
keiten nach Kräften fern und vermeidet vor allem, jede 
Einzelheit eines Tonwerkes begrifflich fassen zu wollen, so 
wird trotz solcher Zurückhaltung die künstlerische Art, die 
allgemeine Bildungshöhe und die augenblickliche Stimmung 
des empfindenden und urteilenden Subjektes nie ganz aus- 
zuschalten sein. Darin liegt sowohl die Möglichkeit wie die 
Berechtigung der persönlichen Deutung eines 
Tonwerkes, die den in der Brust erweckten Widerhall in 
Worte zu fassen sucht. 

Wenn ich nun zu Hauseggers Natursymphonie eine der- 
artige Deutung vorlege, so muß ich dabei eine Vorarbeit, 
die „Erläuternde Einführung“ von Dr. Rudolf Siegel (Verlag 
F. E. C. Leuckart), erwähnen. Sie erhebt sich hoch über 
den Durchschnitt der „Führer“, die dem inneren Aufbau und 
Gehalt der Kunstwerke oft fremd gegenüberstehen oder doch 
solche Werte dem Leser nicht zu vermitteln wissen. ’ Siegel 
weist mit bewußter Absicht auch auf das hin, was jenseits 
des groben, äußeren Notenbildes liegt. Indem ich die viel- 
fachen Anregungen und Ergebnisse dieser Schrift dankend 
in Betracht ziehe, möchte ich zur Aufhellung des Verständ- 
nisses der Natursymphonie weitere Beiträge liefern. 

Die Deutung dieser Tonschöpfung soll uns zuerst be- 
schäftigen; daran wird sich ein Hinweis auf die bedeuten- 
deren, beim Aufbau der Symphonie verwendeten stilistischen 
Mittel und eine Würdigung der Tonsprache Hauseggers an- 
schließen. Wir können uns dabei dem Anschein, als ob wir 
das Verständnis von Hauseggers reifstem Werk mit weit- 
schweifiger Gelehrsamkeit belasten wollten, vorerst nicht 
entziehen; aber schließlich werden uns die Leser doch recht 
geben, denn Kürze ist eine Tugend; Deutlichkeit, die im 
vorliegenden Falle nur durch umfassendere Begründung 
unserer Ansichten erreicht werden kann, eine andere! 

Wer das von Hausegger für die Natursymphonie gewählte 
Geleitwort und die dem Chorgesange des dritten Satzes unter- 
legten Strophen Goethes liest, wird sich wohl lebhaft an die 
ganze Stoffwelt erinnert fühlen, in der sich der Kom- 
ponist bisher mit Vorliebe bewegte (vergl. den mittleren Satz 
der symphonischen Dichtung „Barbarossa“ und die meisten 
der Lieder) und der auch der geistige Inhalt der Natur- 
symphonie entstammt. Hausegger ist ein Vertrauter der 
Natur, mit der er gerne Zwiesprache hält und zu der er sich 
unermüdlich bekennt. Schon lange hat er sich daher zu 
dichterischen Persönlichkeiten hingezogen gefühlt, die sich 
in die Rätsel des Kosmos versenkten, und mit. einer gewissen 
Ausschließlichkeit hat er an dieser Eigenwelt festgehalten. 
Er ist kein Impressionist, der hastig ergreift, was die Sekunde 
darbietet, kein Improvisator, dessen Leier jeden Eindruck 
sofort wiedergibt. Unbeirrt von den Launen der Tagesmode, 
hat dieser grüblerische Künstler seine Gedankenwelt um- 
gebildet und fortentwickelt, mochte er auf seinem Wege auch 
selten einem gleichstrebenden Gefährten begegnen. * Während 
er »ms aber früher nur Ausschnitte, Stücke, Sonderformen 
des Naturbildes gab, hat er in der Natursymphonie jlen 
Rahmen weiter gespannt und seine Ansichten in vertiefter 
und vollendeter Form umfassend dargelegt. 


1 Siegmund v. Hauseggers Natursymphonie ist in einem 
Abonnementskonzert der Hofkapelle in Stuttgart unter der 
Leitung des Komponisten mit starkem Erfolge aufgeführt 
worden. Wir halten das Werk für so großzügig, phantasie- 
voll und eigenartig in seiner Stellung zur heutigen sympho- 
nischen Kunst, daß wir ihm eine ausführliche Würdigung in 
der „N. M.-Z.“ zuteil werden lassen wollen. Red. 


Nun zur eigentlichen Deutung der drei Sätze dieser 
Symphonie! Um den Sinn zunächst des ersten Satzes 
genauer zu umgrenzen, scheint es zweckmäßig, erst einige 
unrichtige Vorstellungen zurückzu weisen. Haüsegger hat 
keinem der Sätze eine besondere Ueberschrift gegeben, was 
uns als ein argumentum ex silentio dienen kann. Es war 
also jedenfalls nicht seine Absicht, in der Natursymphonie 
einen bestimmten zeitlichen oder örtlichen Unter- 
grund vorauszusetzen. Mit der ersten Behauptung meinen 
wir: Hausegger bezieht sich weder auf ein persönliches Er- 
lebnis noch sonst eine greifbare Zeitstimmung, wie dies z. B. 
Richard Strauß im zweiten Satze seiner symphonischen 
Dichtung „Aus Italien“ ausdrücklich tut, indem er ihn über- 
schreibt: „Phantastische Bilder entschwundener Herrlichkeit; 
Gefühle der Wehmut und des Schmerzes inmitten sonnigster 
Gegenwart.“ Aber auch von lokalen Beziehungen 
hält sich Hausegger fern. Den Gedanken an die Schilderung 
einer festen geographischen Oertlichkeit, 
wie eine solche etwa in Mendelssohns „Hebriden-Ouvertüre“ 
oder im ersten Satze („Auf der Campagna“) der oben ge- 
nannten symphonischen Dichtung vorliegt, muß man von 
vornherein ablehnen. Ja, Hausegger sucht uns nicht einmal 
die Seele einer Stimmungslandschaft allge- 
meinerer Art zu enthüllen. Dem scheint allerdings 
das Goethesche Motto zu widersprechen, das der Natur- 
symphonie vorangesetzt ist: 

„Vom Gebirg zum Gebirg 
Schwebet der ewige Geist 
Ewigen Lebens ahndevoU.“ 

Hausegger, als Sohn der Steiermark, wird ja freilich die 
Inspiration zu seiner Tonschöpfung vorwiegend im Anblick 
der Bergwelt empfangen haben, dort, wo man sich den 
Quellen der Natur oft näher fühlt als anderswo. Aber es 
mag hier gleich auf die bedeutungsvolle Wiederholung des 
schwerwiegenden Wortes „ewig“ in diesen Versen hingewiesen 
werden, eines Begriffes, der sich im Chorteile der Symphonie 
immer überragender erhebt. Faßt man also den Geleitspruch 
in seinem wesentlichen Sinne auf und vergißt auch nicht die 
Perspektive auf den krönenden Abschluß des Ganzen, so 
wird man für unsere Symphonie einen idealen Schau- 
platz annehmen müssen, auf dem die Naturkräfte sich 
tummeln. Wir treten mit dem Erklingen des ersten Satzes 
unter Gottes freie Natur, um ihren Pulsschlag 
zu spüren und gleichsam das innerste Leben alles Lebens 
zu armen. Es ist, als könnten wir hinter die äußeren Er- 
scheinungsformen der Dinge blicken und der lebendigen 
Kräfte selbst inne werden, die ans Licht drängen. 

Manche von denen, die durch den Titel „Natursymphonie“ 
auf den Inhalt ganz allgemein hingewiesen sind und im 
Konzertsaale den ersten Satz hören, werden der Musiksprache 
dieses Teiles zuerst mit einem leisen Befremden 

t egenüberstehen. Suchen wir nun nach einem Ausdruck, 
er die Diktion des Satzes kurz zu kennzeichnen und jenes 
anfängliche Befremden zu erklären vermag, so bietet sich 
uns me Bezeichnung „objektiv“ fast von selbst dar. 
Sieht man freilich näher zu, so erscheint dieser Ausdruck, 
dessen Prägung im häufigen Gebrauche etwas abgegriffen 
und vieldeutig geworden ist, in unserem Zusammenhänge 
zwar nicht unrichtig, aber doch nicht bestimmt genug. Er 
könnte beispielsweise auch auf die äußere Form von Hauseggers 
Sprache bezogen werden, wäre hier jedoch ganz verfehlt an- 

f ewendet. Nehmen wir zur Erklärung ein Beispiel aus der 
'oesie! Ein großer Dichter war’s, der der Morgenröte erst- 
malig das Epitheton „rosenfingrig“ beilegte, indem er dieses 

f lückliche Wort als eine subjektivste Prägung aus seinem 
nnem hervorholte. Andere gebrauchten das gleiche Wort 
später nachahmend ebenso; aber ihnen haftete es bereits am 
Gegenstand, ihre Sprache war also hierin objektiv gefärbt. 
Wenn ein moderner Komponist in den Ausdrucksmitteln 
eines Tondichters der klassischen Zeit, sagen wir etwa Haydns, 
sich äußerte, also in bereits geschichtlich gewordenen Formen, 
dann würden wir seine Sprechweise eine objektive nennen 
müssen. Objektiv ist übrigens jede Kunst insofern, als sie 
in dem allgemeinen Kunstwollen ihrer Zeit verankert er- 
scheint. Abgesehen aber von dieser Stübedingung ist Haus- 
eggers Diktion gerade im ersten Satze auf den ersten Blick 
so durchaus als sein eigen kenntlich, daß man hier hinsicht- 
lich der äußeren Form nur von einer subjektiven 
Sprache reden darf. 

Passender könnte das Beiwort objektiv“ zur Kennzeich- 
nung des Ausdrucksinhaltes von Hauseggers Sprache 
verwendet werden. Da es sich aber in unserm Falle nicht 
iun die Erforschung, sondern um die Erfühlung der Natur 
handelt, so greifen wir überhaupt lieber nach einem in seinen 
Beziehungsmöglichkeiten weniger vieldeutigen Ausdruck, wie 
er sich uns in der alten, wissenschaftlich fest umrissenen 
Schillerschen Bezeichnung „n a i v“ darbietet. Der Hin- 
weis auf den Gegensatz „sentimental“ wird unsere 
Meinung schneller erklären. Schillers älterer Zeitgenosse 
Rousseau, unfähig, sich mit der Welt, wie sie i s t , friedlich 


254 


auseinanderzusetzen, da sie ihm von eitler Konvention zer- 
setzt erscheint, flüchtet sich in den Zauberkreis einer hetero- 
genen Welt, der unschuldvollen Natur, um hier sich und der 
sündhaften Menschheit das verlorene Paradies Arkadiens 
wieder zu gewinnen. Sein Verhältnis zur Natur ist von dem 
Wunsche bestimmt, wieder naturgemäß zu werden, da er es 
in Wirklichkeit nicht mehr ist. Indem er sich freilich den 
Schleier der Täuschung so willig um die Sinne legte, verlor 
er sich auch mehr und mehr in eine gefährlich uferlose Traum- 
welt. — Seiner Naturauffassung gegenüber ruht die naive 
Anteilnahme an der Natur in der noch ungelösten Verwandt- 
schaft mit ihr und dem unbewußten In-fhr-leben. Schiller 
hat Goethe ausdrücklich als naiven, natürlich empfinden- 
den Dichter bezeichnet. Und merkwürdig! Als Motto und 
als Schlußworte hat Hausegger — doch wohl, weil er sich 
ihm wesensverwandt fühlte! — Verse dieses Dichters bei- 
gezogen. 

So ist also die Sprache des ersten Satzes der Natursym- 
phonie der Form nach zwar völlig subjektiv, aber .trotzdem 
nicht aus gefühlsmäßiger, romantischer Schwärmerei 
für die Natur geboren. Selten genug ist heutzutage eine 
derartige Unbefangenheit des Ausdrucksinhaltes! Nur ein 

? »aar Stellen, wie etwa der Klageruf der Fagotte und Hörner 
Part. S. 43) oder ein Laut elegischer Stimmung in den 
hohen Bläsern (Part. S. 44 und 45) vor der Wiederholung 
des ersten Scherzoteiles, machen davon eine Ausnahme. 
Daher löst die Musik des Satzes, im ganzen genommen, bei 
uns keine aufwühlenden seelischen Erschütte- 
rungen aus, weder der Freude noch des Schmerzes. Der 
Hörer ist nur in den Zustand lebhaftesten Lauschens 
versetzt. Er flüchtet sich nicht wie Rousseau und die Ro- 
mantiker hinaus in eine erträumte Welt; er weilt in der 
Wirklichkeit der Natur. 

Und darum überkommt ihn inmitten des ersten Satzes 
weder eine idyllische noch eine dämonisch-unheimliche Stim- 
mung. Geheimnisvoll freilich umfängt es uns im Anfang, 
wo sich die Töne wie aus einem Zustande schlummernder 
Energie langsam erheben, um alsbald in den mannigfachsten 
Gegensätzen auf den Plan zu treten. Da eröffnet sich vor 
uns der Blick auf einen Tummelplatz nicht ermüdender 
Kräfte, auf einen stets erneuten Fluß des Werdens, einen 
fortwährenden Wandel von Eigenschaften und Formen. Hat 
die Tonsprache auch im einzelnen keine begriffliche Be- 
stimmtheit: Das, was der Komponist hier durch sie aus- 
drücken will, vermag sie mit greifbarer Deutlichkeit zu sagen: 
es wird, es lebt! Denn das Typische des Lebens, die 
Bewegung in hundert Formen, im rasenden Taumel und in 
bebender Stille, in starrer Pracht wie in anmutigem Weben, 
in zartem Flimmern und im schmetternden Jauchzen der 
Lust, führt uns Hausegger hier vor. So malt uns der erste 
Satz das Büd der unablässig werdenden und 
sich gebärenden Natur. 

Gegen den Schluß dieses Abschnittes zu verändert 
sich indessen Charakter und Ausdruck der Musik. Wäh- 
rend sich der Tondichter anfänglich beim Anblick der Natur 
unbewußt als ein Stück von ihr gefühlt hatte und das Spiel 
der Naturkräfte in seinem Innern sich fortsetzte, ohne daß 
er sich Rechenschaft darüber gab und ohne daß diese Mit- 
tätigkeit einer Absicht oder einem Zweck entsprang, em- 
pfindet er sich mählich als persönliches Ich gegen- 
über der Natur, die mehr und mehr zum Objekt seiner Be- 
trachtung wird. Viele Anzeichen weisen darauf hin. So 
wird das trotzige Ringen von Melodie und Gegenmelodie 
(Part. S. 64 ff.) von einem erschütternden Klageruf der 
Trompeten übertönt: 


ff., 


gehalten 



=F=j 

p= 

— — ■ 


— j — r 




— 

— p- 

TS? pL 


hJ 


Wohl fand sich dasselbe Motiv schon früher einmal (Part. 
S. 43, vergl. auch S. 77); aber Tonart (Cesdur), Stärke 
(piano) und Klangfarbe (Hörner und Fagotte) wirkten 
weit zurückhaltender und unbestimmter, während jetzt, im 
taghellen Cdur, in breit durchgehaltenem fortissimo und 
im Klang der Trompeten der schmerzliche Ruf erschreckend 
deutlich an unsere Sinne dringt. 

Und erhebt sich auch das volle Orchester nochmals zu 
einem glanzvollen Aufschwung (Part. S. 67 ff.), es ist doch 
nicht mehr jenes gleichsam selbstverständliche Kommen 
und Gehen der Akkorde, das Pochen des menschlichen 
Herzens ist schon merklich zu spüren. Und vollends das 
Ebben dieser Tonwogen in abwärtssinkender Chromatik 
(vergl. unten) kann in unserem Zusammenhänge nur als ein 
Uebergang vom Zustande des naiven Naturempfindens 
zur bewußten Erfassung der Natur gedeutet 
werden. Am interessantesten stellt er sich vielleicht in den 
mystischen Orgelakkorden dar, die den ersten Satz ab- 
schließen (Part. S. 78): 




« 

PP 

t— P— 1 

1 d 

b 


Der starren instrumentalen Färbung nach fast u n - 

S ersönlich, verraten sie dagegen durch die Betonung 
es Rätselhaften in den Uebergängen und des 
Uebermenschlichen, das in dem Wachsen der 
Klänge nach Höhe und Tiefe liegt, eine bewußte Stim- 
mung. Durch diese Doppelnatur leiten sie ohne Rückung 
zum zweitenSatz e über, der deshalb vom Komponisten 
mit feinstem Empfinden ohne Pause an den ersten an- 
geschlossen wurde. 

Er führt sich sogleich mit einem für seinen tragischen 
Charakter bezeichnenden Thema ein. Versonnen, in 
verhaltener Klage, steigen die Töne des Fagotts (Part. 
S. 79) wie aus fernen Talgründen herauf, müde ziehen sie 
an uns vorüber: 




PP 








Verschwunden sind die helleren Gefühle des ersten Satzes, 
Schatten von Trauer und Bitternis senken sich herab. Und 
immer mehr verdichten sie sich, und immer schmerzlicher 
entquillt es den Melodien, bis die schneidenden Dissonanzen 
des Quintparallelen-Motivs unser Ohr treffen. Aber noch 
wird die ursprüngliche Empfindungsrichtung nicht end- 
gültig verlassen. 

So ist der Flöte zu Beginn des Mittelteiles (Part. S. 91) 
ein im Ausdruckscharakter an den Anfang des Satzes er- 
innerndes Motiv zugewiesen; doch ist hier die Klage viel 
beweglicher, feiner abgetönt, weiblicher: 




1, k— i - fr -*g yrr j 


PP 


$ 






m 

usf. 


Man kann sich von der traumhaften Lieblichkeit dieser 
melodischen Figur fast nicht losreißen. 

Aber andere Akkorde verdrängen sie, und von neuem, 
mm aber breit ausladend, tritt das Quintparallelen- 
Thema, das den Hauptteil und das Rückgrat des ganzen 
Satzes bildet, dämonisch in seine Rechte. Starre, trotzige 
Rhythmen von elementarer Wucht, in tiefer Lage einsetzend, 
bilden die Grundlage des grausamen, ja unerbittlichen Ton- 
gemäldes; brutal bauen sich bald die schrillen Quintgänge 
darüber auf. Und förmlich ansteckend wirkt der Rhythmus: 
immer mehr Instrumente beteiligen sich, immer härter wird 
die Klangfarbe, immer festere Zuge gewinnt die melodische 
Linie, und schließlich wird der gesamte Tonkörper von dem 
Strome mitgerissen, Da scheinen die Akkorde, wie von 
ungeheuren Eigenkräften getrieben, auf uns zuzukommen 
und alles zu zertreten. Die furchtbare Rhetorik dieses 
Satzes duldet keine Verschleierung, kein abschwächendes 
Idealisieren, keine schläfrigen Halbwahrheiten. Denn. 
Hausegger kennt die große Antithese des Lebens nicht nur, 
er blickt ihr auch ins Gesicht und zwingt dazu gleichfalls 
den Hörer. Und zwar arbeitet er dabei nicht bloß mit 
einer virtuos gehandhabten orchestralen Massenwirkung 
— denn die bliebe ja auch im glänzendsten Kleide nur ein 
technisches Kunststück, das uns bloß physisch betäuben 
würde — , vielmehr ließen die konzentrierten Schatten, die 
über der Klage des Solofagotts zu Beginn des Satzes lagen, 
Unheil vorausahnen, das nun nicht unerwartet und un- 
vermittelt hereinbricht. Wir haben hier aber auch nicht 
bloß einen tollen Spuk, der vorüberhuscht. Es ist wirklich 
der Odem des Todes, der uns streift. 

Und so fassen wir am besten den Sinn des zweiten Satzes: 
hier enthüllt sich die Natur als unaufhörlichsich 
verschlingendes Wesen. Wir sehen die andere 
Seite des Naturprozesses, die Zersetzung und Vernichtung 
alles Lebens, die freilich erfolgen muß, um wieder Raum 
zu schaffen für neues Leben. Werden und Vergehen er- 
geben zusammen erst den vollen Rhythmus des Natur- 
geschehens, und Hausegger hat in den beiden ersten Sätzen 


255 





in Tönen das ausgedrückt, was Goethe einmal das „Ein- 
und Ausatmen der Welt“ nannte. Dabei hat der Kom- 
ponist die Themen je nach ihrer Wesensart wahlsicher dem 
ersten oder aber dem zweiten Satze zugewiesen, so daß 
alle bisher sich findenden melodischen Erscheinungen aus 
dem Bereiche bloß zufälligen Vorkommens herausgehoben 
erscheinen. 

Zu erwähnen bleibt noch, daß die Wirkung des zweiten 
Satzes auf die meisten Hörer wohl deswegen so tief ist, 
weil er im Gegensatz zum ersten auf sentimenta- 
1 i s c h e r Grundlage ruht, „sentimentalisch“ natürlich im 
oben erörterten Sinne Schillers verstanden. Indem Hausegger 
hier der Natur bewußt gegenübersteht, überträgt er seine 
eigenen Gefühle auf sie und sucht in ihr eine I/eidens- 
gefährtin und ein Echo seiner Klagen. Und furchtbar ist. 
die Antwort, die ihm die Natur entgegentönt: in zermalmender 
Wucht tritt sie ihm gegenüber. Ware Hausegger ein müder 
Pessimist, so hätte die Frage nach dem Sinne der 
Dinge für ihn damit bereits ihre Beantwortung gefunden. 
Aber gerade ihm erwächst aus der Betrachtung der Nacht- 
seite des Naturgeschehens, wie es sich im zweiten Satze 
enthüllt, der Trieb, diese Lösung in seiner Seele nieder- 
zuringen und nach einer andern zu greifen. 

Die grausige Rhythmik und Melodik des Quintparallelen- 
Themas ist endlich ermattet, und tief atmet der Hörer auf. 
Aber sofern er das Leben wirklich bejaht, kann er sich mit 
dem Tondichter bei solcher Lösung nicht beruhigen, und 
so harren wir in voller Spannung dem dritten Satze 
entgegen, der die Entscheidung bringen muß. 

(Fortsetzung folgt.) 


Ein fürstlicher Marsch-Komponist 
des XVIII. Jahrhunderts. 

Von Prof. OTTO SCHMID (Dresden). 

D ie Großherzogliche Hofbibliothek in Darmstadt nennt 
eine Marschsammlung' aus dem XVIII. Jahrhundert 
ihr eigen, in der man ein Kuriosum, aber jedenfalls auch 
ein Unikum von kunst- und kulturgeschichtlicher Bedeutung 
vor sich hat. Zwei stattliche Bände sind es, ein solcher von 
größerem Umfang und Format, in dem alte vergilbte Noten- 
aufzeichnungen zusammengeheftet sind, und em kleinerer, 
seinen dienstlichen Charakter gleich äußerlich zur Schau 
tragender. Der erste flüchtige Einblick lehrt, daß einem eine 
Welt in Waffen hier entgegenstarrt. Namen berühmter 
Heerführer, wie solcher aller möglichen kleinerer und größerer 
Staaten, erblicken wir, einzelne Märsche, Signale usw., sowie 

t anze „Ordonnanzen” sind vertreten, und keineswegs nur aus 
em Bereiche des heutigen Deutschen Reichs wurden hier 
militärische Musikstücke zusammengetragen, vielmehr finden 
wir solche auch aus Oesterreich, Frankreich, den Nieder- 
landen; Korsikaner Märsche sind so gut verzeichnet wie die 
Märsche der Schweizeigarden der französischen Könige. 
Letztere veröffentlicht der Schreiber dieses, der die Samm- 
lung bereits nach Möglichkeit auf Grund der politischen und 
militärischen Geschichte durcharbeitete, vor einiger Zeit im 
Verlag von Gebrüder Hug & Co. in Zürich und Leipzig, und 
außer anderen Märschen hegen noch im Druck vor, und zwar 
in einer ausgezeichneten Instrumentierung des I. Armee- 
Musik-Inspizienten Prof. Grawertin Berlin, die Märsche der alten 
niederländischen Regimenter „Oranien-Gelderland" und „Ora- 
nien-Friesland" (Verlag von A. Parrhysius, Berlin), die von 
Sr. Majestät dem Kaiser den Regimentern von Gersdorff 
No. 80 (Kurhessisches) und No. 81 (i. Kurhessisches) ver- 
liehen wurden. Wer aber war mm der Sammler aller dieser 
Armeemärsche und Signale? Der Titel des kleineren der 
beiden Bände gibt darüber Aufschluß, insofern er sich kenn- 
zeichnet als eine dienstliche Aufzeichnung der „Regl. Streiche 
vor das Hochfürstl. Leibregiment vor die Pfeiffer “ (Juni 1784). 
Gemeint ist natürlich das Leibregiment jenes Landgrafen 
von Hessen-Darmstadt, Ludwig IX., von dessen Vorliebe für 
Militärmusik Georg Sebastian Thomas (geb. 17. Dezember 
1788 in Pirmasens, gest. 4. September 1866 in Darmstadt), 
der einst beim Abt Vogler Mitschüler C. M. v. Webers und 
Meyer beers und dann Hofkapellmeister und Militärmusik- 
direktor des ersten Großherzogs, Ludwig I., war, so unter- 
haltend zu erzählen weiß. Aber ehe wir ihm das Wort ver- 
gönnen, muß einiges über das Leben und die Schicksale des 
Fürsten vorangeschickt werden, von dem nunmehr eingehender 
die Rede sein soll und der, man nehme alles nur in allem, 
eine sicherlich vielfach verwunderliche, aber im Grunde 
originelle und keineswegs unsympathische Erscheinung war. 
Wie schrullenhaft auch vieles an dem Tun und Lassen Lud- 
wig IX. war, vor allem an seinen soldatischen Neigungen, 
so ist nicht zu vergessen, daß er ein Kind einer besonderen 

256 


Zeit und besonderer Verhältnisse war. Nie aber vermochte 
er es gutzuheißen, das wolle man nicht vergessen, daß deutsche 
Fürsten damals ihre Landeskinder zu Militärdiensten in 
fremden Ländern verkauften. 

Ludwig IX. (geb. 15. Dezember 1719) war im Zeichen des 
Mars geboren. Als einen angehenden Zwanziger sahen ilm 
die französischen Truppen des Marschalls Belleisle in ihren 
Reihen. An der Spitze des ihm als Grafen von Hanau-Lichten- 
berg vom König von Frankreich verliehenen Regiments 
Royal-Allemand hatte er an der Belagerung von Prag 
(1741 — 1742) im Oesterreichisehen Erbfolgekrieg teilgenommen 
und auf dem mit den härtesten Strapazen verbundenen Rück- 
zug in eisiger Winterkälte nahe daran zu erfrieren, auch 
schon jenes schwere rheumatische Leiden davongetragen, das 
ihn in der Folge nicht mehr verlassen und auch seinen Ge- 
mütszustand ungünstig beeinflussen sollte; dergestalt, daß 
seine ihm im Jahre 1741 angetraute Gattin Karoline, die „große 
Landgräfin“, wie ihre Zeitgenossen sie nannten, eine Tochter 
des Pfalzgrafen Christian HI. von Zweibrücken-Birkenfeld, 
später wohl über seine „Saulslaunen" klagen konnte. Aber 
sein erwachter kriegerischer Sinn konnte nun keine Ruhe 
mehr finden. Da seine kleine elsässische Residenz Buchs- 
weiler unter französischer Oberhoheit stand, er aber immer 
weniger aus seinen unter dem Einfluß seiner Gattin erwachten 
Sympathien für Friedrich den Großen ein Hehl zu machen 
vermochte, verlegte er später den Schauplatz seiner sol- 
datischen Neigungen ganz nach Pirmasens, trat aber vorerst 
als Kommandeur des Regiments Selchow in Frenzlau in der 
Uckermark in die Dienste des Preußenkönigs und nahm an 
dem zweiten schlesischen Krieg 1744/45 ruhmvollen Anteil. 
An der Spitze seines Regiments, das er vorbildlich führte, 
blieb er 1ms nach dem Ausbruch des Siebenjährigen Kriegs 
in preußischen Diensten, zuletzt als Generalmajor. Aber 
sein Leiden, das nach den ersten Strapazen des Feldzugs 
erneut zum Ausbruch kam und wohl auch der Umstand, 
daß sein Vater Ludwig VIII., ein eifriger Parteigänger 
und persönlicher Verehrer Maria Theresias und als Lehns- 
träger Frankreichs seinen Sohn, den Erbprinzen, überhaupt 
nicht gern im Lager des Preußenkönigs sah, bewogen ihn, 
seinen Abschied zu nehmen und zunächst nach Ems zur Kur 
sich zu begeben. Wie er dann aber und nachdem er im Jahre 
1768 seinem Vater in der Regierung folgte, völlig seinen sol- 
datischen und soldatisch-musikalischen Neigungen lebte, 
davon soll nun die Rede sein. 

Da mag zunächst eine Schilderung des Milieus Raum finden, 
in dem sich der Fürst in seiner Lieblingsresidenz Pirmasens 
am wohlsten fühlte. Schon in seinen Wohnräumen umgab 
ihn die militärische Atmosphäre in Gestalt von Leinwand- 
tapeten mit Abbüdungen von einzelnen Soldaten oder ganzen 
Soldatengruppen bedeckt. In der unmittelbaren Nähe des 
schmucklosen Baues, „den man weder Schloß noch Palais 
nennen konnte“, befanden sich die Hauptwache und das 
Exerzierhaus, in dem mehr als tausend Mann gleichzeitig 
exerzieren konnten. „Hier in Pirmasens," so schildert ein 
Wanderer, der den Ort im Jahre 1789 in seiner höchsten 
Blüte sah, , ; bin ich wie in eine ganz andere Welt versetzt. 
Alles um mich her wimmelt von Uniformen, blinkt von Ge- 
wehren und tönt von kriegerischer Musik. Wer Liebhaber 
von wohlgeübten, aufgeputzten und schön gewachsenen 
Soldaten ist, wird für alle widrigen Ausflüsse hinlänglich 
entschädigt,“ so meint der Erzähler, indem er anspielt auf 
alle die Düfte, die er von Fett- und Oeldünsten der Schuhe, 
des Lederwerks, der eingeschmierten Haare und von dem 
allgemeinen Tabakrauchen der Soldaten vor der Parade, der 
er Beiwohnte, geschluckt hatte. Militärische Schauspiele und 
Paraden bildeten das Hauptinteresse der Bürgerschaft, ins- 
besondere auch der abendliche Zapfenstreich. Um Mitter- 
nacht aber wurde noch ein besonderer Marsch, der sogenannte 
„Scharwachenmarsch“, getrommelt, an den eine Legende 
anknüpfte. Als Wien von den Türken hart bedrängt wurde, 
so berichtete die Fama, waren diese im Begriff, zu mitter- 
nächtiger Stunde an einem imbewachten Punkt die Stadt zu 
überrumpeln. Da wurde eine hessen-darmstädtische 
Trommel die Retterin der Kaiserstadt, indem sie sich 
von selbst so stark zu rühren begann, daß die ganze Be- 
satzung rechtzeitig alarmiert wurde. Ad vocem Trommel! 
Sie war nun auch unsres Fürsten Lieblingsinstrument. Un- 
ablässige tägliche Uebungen hatten ihn zum Virtuosen in der 
Kunst des Trommelschlagens gemacht, wie ihm denn über- 
haupt die militärische Musik über alles ging. Der oben bereits 
erwähnte G. S. Thomas erzählt ergötzlich in seinem Buch 
„Die Großherzogliche Hofka_pelle usw. unter Ludwig I.“ 
Oboer und Fagottisten, sowie die Trompeter, die Pauker, 
Pfeifer und Tambours machten nun alle Musik aus. Die 
Oboen und Fagotten wurden mit messingenen Bechern und 
Stürzen versehen, damit sie recht grell und schreiend würden. 
Alles, was nicht diese Eigenschaft besaß, wurde verbannt. 
Es war eine wahrhafte Ohrenmarter, diese Musik zu hören, 
wobei die Trompeter immer die Melodie und zwar auf einer 
F-Trompete mitblasen mußten. ■ Besonders schrecklich waren 
aber die 40 — 50 Pfeifer und Trommler, von welchen letzteren 



derjenige' das größte Lob erntete, der die meisten Felle zer- 
schlug, weil dieses dem Landgrafen den Beweis gab, daß er 
recht herausschlage. Saiteninstrumente waren ganz verbannt, 
die sich nach des Landgrafen Ausdruck nur für Kirmesfiedler 
schickten. — 

Begreiflicherweise war nun diesem Soldatenfürsten auch 
der Soldatenmarsch die ideale Kompositionsgattung. Wo er 
nur konnte, sammelte er in- und ausländische Musikstücke 
dieser Art, und ließ sich ihre Herbeischaffung oft ein Erkleck- 
liches kosten. So besaß er einen Marsch für Pfeifer und 
Tambours, der allgemein der „6000- Gulden-Marsch“ genannt 
wurde. Von ihm erzählt unser Gewährsmann folgendes: 
Als der Landgraf ihn einst auf einer Reise in Aachen hörte, 
gefiel er ihm so wohl, daß er ihn zu besitzen wünschte. Doch 
er mochte ihn nicht fordern. Deshalb blieb er so lange in 
Aachen, bis er die Melodie pfeifen und die Trommelschläge 
schlagen konnte. Als er abreisen wollte, erhielt er von dem 
Wirt eine Rechnung, die — 6000 Gulden betrug. Daher der 
Name des Marsches. 

Aber Ludwig IX. war keineswegs nur Sammler alles dessen, 
was er an Militärmärschen, wie an andern militärischen Musik- 
stücken, an Zapfen- und andern „Streichen“ erlangen konnte, 
er hatte von seinem Vater Ludwig VIII. und seinem Groß- 
vater Emst Ludwig auch ein recht beachtliches Talent für 
die Komposition ererbt, das ihn befähigte, sehr hübsche 
melodiöse Märsche selber zu schreiben. Und zwar befleißigte 
er sich einer wahren Massenproduktion, wie Thomas in seinem 
bereits zitierten Werk berichtet; er solle die unglaubliche Zahl 
von mehr als 40 000 komponiert haben, ja man spräche wohl 
sogar von 100000, wenigstens fänden sich in dem Archive 
Marsche vor, deren Nummern bis in die 90 000 liefen. Aber 
wie dem auch sei, erstaunlich war die Produktion des fürst- 
lichen Komponisten jedenfalls, und allein in der eingangs 
erwähnten Sammlung findet man zahlreiche Märsche mit 
dem Vermerk: „Von Serenissimus komponiert.“ Des Fürsten 
„Arbeit“ beim Komponieren beschränkte sich allerdings wohl 
nur auf die Erfindung der Melodie am Klavier. Einer seiner drei 
Kapellmeister Brunner, Schüler und Metzger, war dann 
stets zugegen, um die Melodie aufzuschreiben, und nachher 
oblag es ihm, den Marsch in Partitur zu setzen. Uebrigens 
waren aber diese Märsche auch keine großen, ausgeführten 
Musikstücke, bestanden vielmehr nur aus zwei Teilen von je 
zwölf Takten und hatten kein Trio. Ihr Zeitmaß war ein 
sehr langsames, bei den Ordinär- oder Parademärschen ent- 
fielen sechzig Schritte auf die Minute, und da war es für die 
Trompeter keine Kleinigkeit, auf einer geraden F-Trompete 
in diesem Tempo bis zum dreigestrichenen c, d, auch e zu 
blasen! 

Das Ergötzlichste war aber, daß der Landgraf auch alle, 
die nur einigermaßen Kenntnisse von der Musik besaßen, 
dazu heranzog, ihm Märsche zu komponieren. Das geschah 
beispielsweise einmal bei seinem Minister, dem Geheimrat 
v. Hesse, dessen Gemahlin eine geborene Flachsland, eine 
Schwester der Gattin Herders war. Als ein sehr gefühlvoller 
Mann, trefflicher Klavierspieler usw., konnte es sich dieser 
nicht versagen, in seinem Marsche zur Abwechslung Pianos, 
Crescendos usw. anzubringen. Bei der Probe nun, so erzählt 
G. S. Thomas, die jeden Morgen im Vorzimmer des Land- 
grafen stattfand, abgehalten wurde und bei der in diesem 
Falle der Geheimrat v. Hesse zugegen war, erinnerte dieser 
die Hoboisten an das Piano: „Der Teufel, der Teufel, Herr 
Geheimrat!“ spricht der Landgraf aus seinem Zimmer heraus- 
tretend, „der Marsch ist recht hübsch, aber der Teufel hat 
das Piano erfunden und Sie werden mir meine Hoboisten 
damit verderben.“ — Bei einer anderen Gelegenheit, so be- 
richtet G. S. Thomas weiter, klopfte er dem Hoboisten Hütter, 
als er einen von ihm komponierten Marsch in Gegenwart des 
Landgrafen probieren ließ, auf die Schulter und sagte: „Recht 

f ut, recht brav! Aber lieber Hütter, der Marsch riecht ver- 
ammt nach Portmann und nach Kirchenmusik, und es 
kommt mir gerade vor, als wenn ich ihn schon einmal von 
den Choristen in der Kirche gehört hätte." Johann Gottlieb 
Portmann (geb. 4. Dezember 1739 in Oberlichtenau bei Dres- 
den) war Kollaborator und Kantor am fürstlichen Pädagogium. 
Der Landgraf spielte auf das von ihm im Jahre 1786 heraus- 
gegebene „Neue Hessen-Darmstädtische dhoralbuch“ an. 

Aber die seltsame Vorliebe Ludwigs IX. für Militärmusik 
im allgemeinen und Militärmärsche im besonderen wird man 
doch nicht allein seinen bis zur Einseitigkeit und Schrullen- 
haftigkeit sich steigernden soldatischen Neigungen zuschreiben 
dürfen, es scheint, daß man hier tatsächlich auch von nur 
psychologisch zu erklärenden Wirkungen auf seine Gemütsart 
wird reden können. Einst, es war im Mai 1755, litt der Land- 
graf, damals noch Erbprinz und preußischer Regimentskom- 
mandeur, wieder heftig an Visionen und Trübsinnsanfällen, 
die seine Gemahlin veranlaßten, Hilfe bei der ihr innig befreun- 
deten Prinzessin Amalie, der Schwester Friedrich des Großen, 
zu suchen. Sie wußte, daß ein freundliches Wort von ihr 
oft Wunder wirkte bei den „Saulslaunen“ ihres Gatten. Ein 
Uebriges tat diesmal ein von der musikalisch sehr begabten 
Prinzessin, einer Schülerin Kimbergers, komponierter Marsch; 


er genügte, den Kranken, der das Bett zweiunddreißig Tage 
nicht glaubte verlassen zu dürfen, von seinem Lager aufzu- 
scheuchen. Das Einüben des Marsches auf dem Klavier und 
dann durch die Regimentsmusik ließ ihn seine Krankheit 
und alle trüben Visionen vergessen. — 

In seinen späteren Lebensjahren scheinen die musikalischen 
Neigungen Ludwigs IX. dann aber doch auch der sanfteren 
Musik sich zugeneigt zu haben. Längere Zeit vor seinem 
Hinscheiden (im Jahre 1790) hatte er sich aus seinen Hoboisten 
eine kleine Hofmusik für seine fürstliche Tafel auswählen 
lassen. Sie bestand aus vierzehn Personen: zwei erste, zwei 
zweite Violinen, eine Viola, ein Cello, zwei Oboen, zwei Hörner, 
zwei Trompeten, zwei Fagotts. Jeder dieser Hofmusici be- 
kam (nach G. S. Thomas) jährlich hundert Gulden und täg- 
lich ein bis zwei Maß Wein als Beeidung. Auch erhielten 
sie noch für ihren Tafeldienst Wein und aas Essen. 


Von der Münchner Hofoper. 

Franz Schreker: „Der ferne Klang“, Oper in 3 Aufzügen 1 . 

D er Zufall fügt es, daß wir Münchner in letzter Zeit reich- 
lich mit Wiener Kunst gespeist werden, mit Schöpfungen, 
die bei ihrem Erscheinen großes Aufsehen hervorriefen, 
wie Schrekers Oper „Der ferne Klang“, Korngolds Pantomime 
„Der Schneemann“ und Prohaskas großem Chorwerk „Früh- 
lingsfeier“ ; dazu kommt noch in nächster Zeit ein Liederabend 
mit Gesängen Arnold Schönbergs. Alles Werke, die für unsere 
Stadt Erstaufführungen bedeuten. In nachfolgendem be- 
schäftigen wir uns mit Schrekers Oper, der dritten Novität 
dieses winters, und über die Eindrücke, welche das Werk 
anläßlich seiner hiesigen Premiere (28. Februar) erweckte. 
Diesem Abend wurde mit viel Spannung entgegengesellen, 
ja man kann sagen, er ward zum sensationellen Ereignisse 
der bisherigen Saison, denn man wußte, daß der Komponist 
zu den originellsten und „freiesten“ der modernen Musiker 
zähle und daß er zur äußersten Linken gehöre. Die Erwar- 
tungen, die deshalb an das Erscheinen seines Werkes ge- 
knüpft waren, sind denn auch in vollem Maße erfüllt worden. 
Die Oper erregt in der Tat des Musikers höchstes Interesse; 
Schreker hat von der ersten bis zur letzten Note dafür ge- 
sorgt, daß es nicht erlahme. Der weitaus größere Teil des 
Theaterpublikums aber, die Nichtmusikalischen, werden ihre 
Aufmerksamkeit den szenischen Vorgängen zuwenden müssen, 
um auf ihre Rechnung zu kommen, denn von dem Elemente, 
welches das Volk Melodie nennt, ist im „Femen Klang“ 
nicht viel zu verspüren. Die Oper wendet sich zunächst also 
an den Musiker. Im „Femen Klang“ ist viel stimmungsvolle 
charakteristische Musik enthalten, freilich auch manche Un- 
musik, die mit den hergebrachten Begriffen von Tonalität, 
Harmonie und Kontrapunkt nicht in Einklang gebracht werden 
kann. Unter ganz anderen Voraussetzungen ist an deren 
Stelle eine vollkommen neue Ausdrucksweise von erstaunlicher 
Kühnheit getreten. Mag diese Musik von noch so kunst- 
reicher Kombination sein, so sind die sich ergebenden Kako- 

S honien nicht immer erfreulich für unsere Ohren. Göttlicher 
[ozart, wenn du das gehört hättest! Einige allerdings nur 
spärlich auftretende Dreiklänge wirken daher in der Wüste 
der Dissonanzen wie wahre Wunderakkorde; man glaubt 
Offenbarungen zu vernehmen. 

Schrekers Musik kann nicht mit dem Maßstabe der von 
der Menschheit, sagen wir seit Zarlinos oder Bachs Zeiten, 
gewohnten Musik gemessen werden, sie ist geradezu ihre 
Negation und in radikalster Weise, wie gesagt, etwas voll- 
kommen Neues. Das .wäre nun freilich kein Fehler, sondern 
ein großer Vorzug, wenn an Stelle unserer epigonenreichen 
Gegenwart neue treibende Werte treten würden, wenn der 
Tonkunst Neuland gewonnen würde. Ob aber das Schaffen 
unserer jüngsten fortschrittlichen Tondichter wirklich das 

f esuchte Neuland bedeutet, ob es sich nicht auf Irrwegen 
efindet, wer kann das wissen ? Freilich der Moderne wird 
in dieser Musik nur Vorzüge erblicken, der weniger Fortschritt- 
liche, der Konservative, wird sie ablehnen und perhorreszieren, 
sich auch darüber Gedanken machen, wie herrlich weit wir es 
bereits gebracht und was alles uns noch bevorstehen mag. 
Es ist klar, daß ein kompliziertes Bühnenwerk bei seinen 
ersten Aufführungen nicht in allen seinen Qualitäten erfaßt 
werden kann, dazu gehört ein liebevolles Sichversenken in 
das Studium des Werkes, womöglich an der Hand der Par- 
titur, weniger des Klavierauszuges, der im vorliegenden Falle 
kein Bild des vom Komponisten Gewollten geben kann. Der 
Empfängliche wird jedoch bei einem echten Kunstwerke 
schon während des ersteh Hörens den Hauch des Genius 
fühlen, mögen seine Wege auch noch so eigenartige sein. 
Jedenfalls Kt Schreker ein imponierender Könner und die 


1 Klavierauszug von Alban Berg, Wien. Universal-Edition. 

257 


Sicherheit für Bühnenwirkungen, die er in dieser ersten Arbeit 
an den Tag legt, wirklich bewundernswert. Die Linien der 
melodischen Erfindung sind etwas kurz; aber stets erfüllt 
ist das Ganze von tief empfundener glutvoller Wärme und 
Ijeidenschaft. Er findet Tone sinnlichster Art, Farben von 
wundervollem Glanze, wie wir sie trotz Richard Strauß viel- 
leicht noch nie gehört. Seine Instrumentation ist das Voll- 
endetste, was das moderne Orchester bisher geleistet. Wie 
das flimmert, schillert, tobt und klagt, liebt und schmeichelt I 
Zweifellos ist diese Seite seiner reichen Begabung die hervor- 
stechendste; ein moderner Berlioz, ein Kolorist ersten Ranges. 
Ist im „Femen Klang“ auch nicht eine Meisteroper zu erblicken 
— wie bereits voreilig verkündet worden war — , denn dazu 
ist das Textbuch zu degoutant, so darf er doch unter die 
musikalisch bedeutenden» Werke gezählt werden. Auf die 
Meisteroper aber warten wir noch. Ja, das Textbuch. Ein 
regelrechtes Textbuch mit allen möglichen Unwahrscheinlich- 
keiten. also nicht, wie es uns Meister Wagner gelehrt ; manchmal 
etwas unbeholfen, manchmal wirksam und für den Musiker 
ergiebig, für den feiner Empfindenden verletzend, vor allem 
jedoch keine Dichtung, sondern einen Schauderroman nach 
Art der Tosca und ähnlicher Erzeugnisse. 

Es behandelt wieder einmal die Geschichte des gefallenen 
Mädchens, weder besonders neu noch besonders erquickend. 
Nicht eine Person ist in dieser Oper enthalten, der man Sym- 
pathien entgegenbringen könnte; der Musiker Schreker steht 
jedenfalls turmhoch über dem Dichter Schreker. Der erste 
Aufzug, den ich für den musikalisch wertvollsten halten 
möchte, mag noch angehen, obwohl das Hereinplatzen der 
Kegelgesellschaft — der Wirt als Bräutigam, der betrunkene 
Vater! — und das Herumschleichen des alten Weibes (Sym- 
bolismus?) nichts weniger als einen günstigen Eindruck her- 
vorruft, aber der zweite Akt bietet ein höchst bedenkliches 
Milieu, nämlich „la casa di maschere“, den Rendezvous- 
platz der galanten Welt von Venedig. Er ist der musikärmste. 
In diesem lustigen Hause ist es anfangs trotz eines sinnverwir- 
renden Lärmes und aller ausgeklügelten Berechnung etwas 
langweilig, und Greta, die Heldin des Stückes, hat ganz recht, 
wenn sie dem Ausdruck verleiht. Erst mit dem unerwarteten 
Auftreten ihres früheren Geliebten, des Komponisten Fritz 
(wie selbstverständlich!), kommt Leben in die wüste Bude. 
Mit großem Geschick und echtem Theaterblut führt dann 
Schreker am Schlüsse des zweiten Aktes die Handlung ihrem 
Höhepunkte zu. Der dritte Aufzug, der durch ein etwas lang 
geratenes, nicht sehr kurzweiliges symphonisches Zwischen- 
spiel in zwei Teile geteilt ist, erreicht erst gegen das Ende 
wieder bedeutende Eindruckskraft. Aber mit dem Schlüsse 
selbst — dichterisch genommen — befreunde sich wer kann, 
mir ist es unmöglich. Da sind Carmen und Don Jos6 doch 
aus ganz anderem Holze geschnitzt als Grete und Fritz. Was 
die Aufführung anbelangt, so hat bereits vorher der Komponist, 
der bei den letzten Proben anwesend war, sich dahin geäußert, 
„daß die Auffassung Bruno Walters (dem das Werk gewidmet 
ist) sich mit seiner eigenen Takt für Takt deckt“. So bleibt 
nur übrig, hinzuzufügen, daß alle ausführenden Kräfte mit 
Ruhm sich bedeckten; die unendlichen Schwierigkeiten, die 
das Werk bietet, wurden von allen Beteiligten, in erster Linie 
von unserem herrlichen Orchester restlos gelöst. Auch die 
Regie (Herr Professor Fuchs) hatte für eine glänzende mise en 
scöne gesorgt; für den schelmischen Einfall im letzten Bilde, 
in dem Studierzimmer Fritzens eine Büste Beethovens auf- 
zustellen, sei ihr besonders gedankt. Von den Solisten nenne 
ich nur Fräulein Perard-Petzl; wie diese eminente Künstlerin 
die Partie der Grete erfaßte und wiedergab, das war schlecht- 
hin meisterlich. Alle übrigen mögen sich mit einem Kollektiv- 
lob begnügen. — Die Aufnahme des Werkes seitens des voll- 
besetzten Hauses war äußerst herzlich; hieraus jedoch einen 
Schluß auf die Lebenskraft des Werkes zu ziehen, wäre natürlich 
verfrüht. Prof, Heinrich Schwartz. 


Wiener Konzerte. 

E in Bild denn von der Mannigfaltigkeit, die uns in diesem 
Jahre schier überwuchert . . . Noch immer mehr 
Orchesterkonzerte, teure und billige, gesellschaftliche 
und volkstümliche. Meist sogar musikahsche. Der Unsegen 
des Konzerthauses, das zwei Säle mehr als bisher den Unter- 
nehmern zur Verfügung stellt; Säle, deren Akustik Musiker 
und Zuhörer zunächst verstimmt. Das wird sich vielleicht 
verbessern lassen. Vielleicht . . . Man will es im Sommer 
versuchen. Die alten Musik vereinssäle kommen zu Ehren. 
Der Bösendorfer-Saal bleibt, ach! eine schöne Erinnerung. 
Sie wird nie, nie wieder erneut werden. Wir werden ber- 
linisch. Betrieb ist alles. Zahlen wachsen und mehren sich, 
Namen werden hinausgeschleudert, Unbekannte versuchen 
sich. Die alte Musikkultur aber schwindet langsam und doch 
unaufhaltsam dahin. Zudem fehlen an entscheidenden Stellen 

258 


die überragenden Persönlichkeiten. Noch wird, zumeist 
wenigstens, brav musiziert. Doch immer geringer wird die 
Schar derer, für die es noch auf Qualität der Ausführung 
ankommt. Längst hat das Was über das Wie gesiegt. Große 
Programme sind beliebt. Große Programme ziehen an. Das 
Publikum ist „gebildet“, fast schon wie in Berlin. Wäre ihm 
doch auch nur die ererbte Bildung geblieben! Wäre es der 
erworbenen sicherer! Die Kritik, zuvorkommend wie immer, 
macht es ihm wahrlich nicht leichter. 

Dabei hat sie einen kleinen Erfolg zu buchen. Die phil- 
harmonischen Konzerte des Hofopemorchesters halten sich 
diesmal anständiger, es gibt Neues und das Stammpublikum 
aus der „guten Gesellschaft“ hat des öfteren Grund zur Ver- 
stimmung. Was sollen diese Leute, denen eine herunter- 
gespielte klassische Symphonie das Sonntagsbehagen schafft, 
zu den Stücken von Debussy aus dem „Martyrium des heiligen 
Sebastian“ sagen? Ihre wunderbare Intensität und Klang- 
pracht gab einigen Zischem Gelegenheit, sich zu üben. Un- 
gefähr dieselben Leute traten bei der Uraufführung der Sin- 
fonietta von Erich Wolfgang Komgold in Aktion; vielleicht 
verstärkten gute Freunde aus irgend einem Klüngel ihre 
Scharen. Die Sinfonietta ist das Werk eines Fünfzehnjährigen. 
Das muß einem immer wiederholt werden. Denn gerade an 
Reife gebricht es diesem Stück am allerwenigsten. Die In- 
strumentation ist wunderbar, die musikalische Logik in der 
Abwickelung der vier Sätze tadellos, ihre Haltung einfach 
bezaubernd.. Es tut wohl, das ehemalige Wunderkind auf 
gesicherten Bahnen zu wissen und das Leitmotiv des „fröh- 
lichen Herzens“, das sich in allen Sätzen wiederfindet, gibt 
eine gute Verheißung. Daß es einer übrigens unbedeutenden 
Minderheit dieses Publikums nicht gefiel, gereicht dem Stück 
nur zur Ehre: es ist eben außerordentlich. Noch besser hat 
mir allerdings die etwas später komponierte Sonate für Violine 
und Klavier desselben Komponisten gefallen, die Arthur 
Schnabel mit Karl Flesch zusammen in ihrem Konzert auf- 
führten und die ich gleich hier erwähnen möchte. Ein schwie- 
riges Werk, aber von außerordentlicher Bedeutung. Erich 
Wolfgang Komgold wird, unbekümmert um Lobhudler wie 
um Spötter und Zweifler, seinen Weg gehen. Nur noch die 
menscnliche Reife, wie sie die Jahre und die Erlebnisse bringen, 
fehlt diesem phänomenalen Künstler. Sein Wissen und Können 
ist auf der Höhe der Meisterschaft, die nur zu erfüllen sein 
wird. — Die Philharmoniker brachten noch Rezniceks sym- 
phonische Dichtung „Schlemihl“, die mit Recht sehr gefiel 
und sie verheißen für die letzten Konzerte noch Neues von 
Schreker und Novak. Soweit so gut. Ich werde mich mit 
der Art Weingartners nie befreunden können und ich bedaure 
es, daß er auf irgendeine geheimnisvolle Weise wieder für 
mehrere Jahre hinaus Dirigent der Philharmoniker geworden 
ist (wozu sonst jährlich eine Wahl nötig war) ; aber da er schon 
diese Stelle einnimmt, so sollte er nicht nur weiter Neuheiten 
bringen, sondern auch den sogen. Besitzstand des Orchesters 
durch einige Proben festigen. Das Orchester wird ihn dann 
Vielleicht minder willkommen heißen; aber darauf kommt es 
nicht an. Vorerst ist eitel Seligkeit über ihn und sein fünfzigster 
Geburtstag wurde in einem eigenen Konzert mit Kompositionen 
Weingartners gefeiert. Nur beiläufig möchte ich anführen, 
daß die Philharmoniker seit langen Jahren, ich glaube seit 
1907, eine unwillige und ungeschickte Verbeugung vor dem 
Toten ausgenommen, keine Symphonie von Mahler aufgeführt 
haben. Auch Arnold Schönbergs Pelleas, ein Werk, das nun 
die Runde durch alle Konzertsäle macht, wird von diesem 
Orchester nicht aufgeführt. Und vieles, vieles andere nicht, 
wozu gerade dieses Orchester allein befähigt wäre. Ruhig 
schreitet der Konzertverein unter Loewe fort. Ihm dankt 
man besonders die Aufführung des nachgelassenen Symphonie- 
satzes von Bruckner. Neues tens hat sich die Singakademie 
mit dem Konzertverein zu Chorkonzerten zusammengetan, 
die Siegfried Ochs aus Berlin leitet. Von den Proben erzählte 
man Wunderdinge; es gab eine erfreuliche und erfreulich 
obe Gründlichkeit. Dementsprechend geriet das erste Konzert, 
aydns Schöpfung , ganz ausgezeichnet. Da in derselben Woche 
die Gesellschaftskonzerte unter Schalk gleichfalls die Schöpfung 
brachten, und beide Unternehmungen öffentliche General- 
proben abhielten, hörte man die Schöpfung binnen einer Woche 
viermal und noch einmal in einem volkstümlichen Sonntag- 
nachmittagskonzert. Alle diese Aufführungen waren aus- 
verkauft. In den Gesellschaftskonzerten gab es unter Schalk 
außer dem Preiswerk von Prohaska „Friihlingsfeier“, das 
einen Teil der Kritik zu imgeheurer Bewunderung hinriß, eine 
Symphonie von Franz Schmidt, der zuerst Cellist im Opem- 
orchester war und nun Pianist geworden ist. Nächstens wird 
seine Oper „Der Glöckner von Notre Dame“ an der Hofoper 
aufgeführt. Die Symphonie offenbarte ein großes und ur- 
sprüngliches Talent, einen echten Musiker; den Eindruck einer 
Persönlichkeit vermochte ich wenigstens noch nicht zu emp- 
fangen. Vielleicht folgt das noch. Dann wurde einmal Fausts 
Verdammung von Berlioz in französischer Sprache von den 
Solisten, darunter von Baklanoff, gesungen, während der 
Chor beim Deutschen verblieb. Ein andermal erschien der 
Geiger Brodsky und die junge Sängerin Medek mit einem 



interessanten Programm, zu dem das Orchester, immer unter 
dem unermüdlichen Schalk, Reeers neueste Kamevalismen 
beisteuerte. Auch seine Tonbilder nach Böcklin hat man 
jetzt in Wien (durch das Konzertvereinsorchester) kennen 
gelernt. Es ist nicht zu verkennen, daß die Begeisterung 
für Reger mit der wachsenden Zahl seiner Werke und Auf- 
führungen abnimmt. Er bleibt ein Phänomen; aber er rückt 
in die Entfernung eines bloßen Phänomens. Das Tonkünstler- 
orchester unter Nedbal erschöpft sich geradezu in dem Be- 
streben Neues zu bringen. Man hörte eine Violinphantasie 
des modernen tschechischen Komponisten Suk, eine Smfonietta 
von Paul Gräner, dem man ja in unseren Konzertsälen häufig 
begegnet, eine anmutige Shakespeare-Phantasie von J. B. 
Förster. Der Philharmonische Chor unter Schrecker hat 
von jeher besonders viel Neues gebracht. Diesmal gab es 
ein interessantes Chorwerk von Johanna Müller-Hermann, 
die mährischen Lieder von Kricka; dazu eine Komposition 
von Klose. Selbst der alte Wiener Tonkünstlerverein, dessen 
Vorsitzender einst Brahms gewesen ist, pflegt jetzt mehr die 
Tonkunst als den Verein und gibt gemeinsam mit der Wiener 
Universaledition alle vierzehn Tage einen modernen Kom- 
positionsabend; dabei konnte er schon Scott, Delhis und 
Schillings als gern begrüßte Gäste vorstellen. Ein Konzert 
der Zeitschrift „Der Merker“ bot die „Uraufführung“ einiger 
neu übersetzter, neu herausgegebener und neu entdeckter 
Lieder Richard Wagners aus der Pariser Zeit, die der Sänger 
Borauttau bei Breitkopf herausgeben wird. Dazu spielte das 
Quartett Ros6 ein Streichquartett von Ethel Smyth, der 
englischen Suffragette, ein Werk von reicher Erfindung und 
strenger Arbeit, und ein mehr liebenswürdig gehaltenes Streich- 
quartett des bekannten Opemkomponisten Julius Bittner. 
Die „Denkmäler der Tonkunst in Oesterreich“, die der Uni- 
versitätsprofessor Adler verdienstvoll leitet, feierten ein Jubi- 
läum mit einem Konzert aus den eigenen Schätzen, von denen 
sich manches noch immer ausgezeichnet anhört; Ros6 und 
Casals wirkten mit und selbst ein Stück aus der berühmten 
Wiener Barockoper „Pomo d’oro“ erwachte zu kurzem Leben. 
Von den Kompositionsabenden verdiente der des ausgezeich- 
neten Prager Dirigenten Gerhard von Keußler das größte 
Interesse. Dirigentenabende gab es zweierlei: einmal trat 
Richard Strauß an die Spitze des Orchesters und brachte 
mit seinen eigenen Werken ein Erlebnis; Wera Schapira 
spielte dabei geradezu hinreißend das Solo der Klavierburleske. 
Andererseits erschienen einige junge Dirigenten wie Toni 
Konrath, Renzo Bossi (als Orchesterbegleiter seines Vaters 
Enrico) und Erwin Stein, ein ungemein begabter junger Mann, 
dem eine geradezu unvergeßliche Aufführung der ersten 
Symphonie von Mahler zu verdanken war. Der Solist der 
ersten Hälfte dieser Spielzeit war Eugen d’ Albert, der nun 
ständig in Wien wohnt, zumeist im vollen Besitze seiner 
gewaltigen Natur. Die Kammermusik beherrschte selbst- 
verständlich Ros6 mit einem Brahms-Zyklus. Große Erfolge 
errang das neue Konzerthausquartett mit dem Geiger Busch 
am ersten Pult. Das Pariser Quartett Capet begeisterte 
seine Hörer. 

So geht es nun fort. Doch der Höhepunkt ist überschritten. 
Und das Wunderbare, darauf man aus alter Narrheit immer 
noch wartet, hat sich noch nicht eingestellt. Aber das war 
ja immer so. Vielleicht ist man nur undankbar oder allzu 
sehnsüchtig. Wahrscheinlich ist es sehr oft schon dagewesen. 

Dr. Paul Stefan. 



Dresden. Wie schon gemeldet, hat in einem Opernhaus- 
Konzert unter Kutzsckbachs Leitung Felix Draesekes „Sym- 
fonia Comica“ die Uraufführung nach der Handschrift erlebt. 
Als Draeseke an seinem 70. Geburtstage frisch und fröhlich 
zwischen uns saß, da entrang sich unserem Munde die Bitte: 
„Meister, schenkt uns nun zur Tragica auch die Comica 1 “ 
Und im Sommer 1912 hatte er sie vollendet. Als er einem 
Freunde die sauber geschriebene Partitur zeigte, und dieser 
in helles Entzücken ausbrach, sagte er lächelnd: „Ja, ja ge- 
schrieben sieht meine Musik immer wunderschön aus.“ 
Wenn nun seine Freunde, besonders nach der seinerzeit so 
begeisterten Aufnahme seines Christus, einen noch anderen 
Erfolg der Comica erwartet hatten, so hätten sie eben nicht 
vergessen sollen, daß Draeseke nicht zu den Musikern gehört 
hat, die sich die Gunst der Menge sofort erobern. Auch seine 
Tragica hat damals unter Bülow erst bei der zweiten Auffüh- 
rung den großen Beifall errungen, der ihr dann aber nach 
allen guten Aufführungen treu geblieben ist. Die Comica um- 
faßt getreu des Meisters Wahlspruch „Kürze ist des Witzes 
Würze“, eine Aufführungsdauer von kaum 20 Minuten. Viele 
werden behaupten, daß von den vier Sätzen eigentlich nur 
der zweite ausgesprochenen symphonischen Charakter trage. 


Diesem Mittelsatze legte der Meister ein Programm unter und 
gab ihm den Titel „Fliegenkrieg“. Zwar erscheint der alte 
Großvater, der gemütlich im Lehnsessel sitzt und sein Mit- 
tagsschläfchen halten will, etwas verärgert über die üblen 
Plagegeister. Bald erscheinen jedoch die lieblichen Enkel- 
kinder und führen mit Fliegenklatschen bewaffnet, einen regel- 
rechten Krieg gegen diese Störenfriede. Leider trägt nicht 
fröhliches Kinderlachen den Sieg davon, sondern die freche 
Fliege, die noch immer Großvaters Kopf umschwirrt, als er 
bereits eingeschlummert ist. Die folgenden Sätze ergehen 
sich in allerhand Spässen, es neckt und foppt bald hier, bald 
dort, aber ohne die feste Struktur, wie im Mittelsatze. Draesekes 
Humor ist derb und dabei geistvoll, von der überlegenen Warte 
des Alters aus schaut er auf seine Mitmenschen herab. M. PI. 

Helsingfors. Im Februar hat das Symphonieorchester wiederum 
zwei größere Konzerte veranstaltet, das erste als Volkskonzert 
unter der Leitung von Schneevoigt im Saale der Universität 
und das zweite unter der Leitung von Dr. Mennecke im Socie- 
tätshaus. Solist an beiden Abenden war die Pianistin Karin 
E. Dayas aus Köln a. Rh. Sowohl die Art und Auswahl der 
Darbietungen wie auch die Anteilnahme des Publikums zeigten 
aufs neue, daß in der so abseits liegenden Stadt die Pflege 
der Musik auf einer verhältnismäßig hohen Stufe steht. Beide 
Konzerte brachten viel Interessantes, wovon Bruckners achte 
Symphonie, die Karnevals-Ouvertüre von Braunfels und die 
Burleske in dmoll für Piano und Orchester von R. Strauß 
besondere Erwähnung verdienen. Karin Dayas erwies sich 
als ein pianistisches Talent ersten Ranges. Sie verfügt schon 
heute über eine ganz hervorragende Technik und besitzt da- 
bei eine so individuelle Gestaltungskraft, daß sie auch bei den 
schwierigsten Stücken nie das technische Element in den 
Vordergrund treten läßt, vielmehr selbst bei den mehr virtuosen 
Kompositionen von Debussy und Ravel lebhaftes Interesse zu 
erwecken vermochte. H. K. 

Wiesbaden. Seine feurige Energie hat unser städtischer Musik- 
direktor Karl Schuricht wiederum für ein neues, noch selten 
aufgeführtes Werk «ingesetzt: „Eine Messe des Lebens“ — 
nach Nietzsches „Zarathustra“ für Soli, Chor und Orchester 
von Fred. Delius weckte im zweiten Konzert des „Cäcilien- 
vereins“ lebhaftes Interesse, das vielleicht noch intensiver 
gespannt geblieben wäre, wenn die zehn verschiedenen Ab- 
schnitte des Werkes eine größere Mannigfaltigkeit im Stim- 
mungscharakter aufwiesen. Diese Stimmungen auszumalen, 
besitzt Delius allerdings, trotz seiner Herbheiten in der har- 
monischen Erfindung, ein ganz merkwürdiges koloristisches 
Talent. Die Singstimmen entfalten sich nur selten zu weit- 
geschwungener Thematik. Sie erscheinen fast mehr nur wie 
neuartige „Instrumente“ in der reichen Farbensymphonie die- 
ser ganz modern angelegten Partitur. Der anwesende Kom- 

g wust wurde vom Publikum ehrenvoll aufgenommen. — Im 
oftheater wurde Anfang März der „Parsifal“ in sorgsamer 
Vorbereitung aufgeführt. Prof. F. Mannstädt leitete den musi- 
kalischen Teil mit größter Hingabe. Geiße- Winkel als Amfor- 
tas, Bohnen als Gumemanz, Frl. Englerth als Kundry, boten 
Hervorragendes ; die übrigen schlossen sich nach besten Kräften 
an. Eine stimmungsreiche dekorative Ausstattung (bei der 
nur die geforderten Wandeldekorationen schmerzlich vermißt 
wurden) erfreute das Auge; und die szenischen Wirkungen 
waren zumeist kräftig herausgearbeitet. Das Publikum be- 
wahrte eine möglichst gemessene Haltung. Beifall wurde auf 
Wunsch der Intendanz nicht gespendet. Prof. Otto Dorn. 


Neuaufffihrungen und Notizen. 

— Die diesjährigen Kölner Opemfestspiele sollen u. a. eine 
vollständige Neuinszenierung des „Freischütz“ unter der sze- 
nischen und musikalischen Leitung von Hans Pfitzner bringen. 
Kostüme und Dekorationen sollen die Zeit nach dem Dreißig- 
jährigen Kriege andeuten und von buntem, kräftigem, ja gro- 
teskem Realismus sein. Ferner sind die „Meistersinger" unter 
Otto Lohses Direktion vorgesehen und einige Werke Mozarts, 
voraussichtlich „Don Juan“ und „Cosi fan tutte“. 

— Eine originelle Aufführung, eine Nachtvorstellung des 
Deutschen Bühnenklubs hat im Berliner Metropoltheater statt- 
gefunden. Die Aufführung begann präzise 12 Uhr, und zwar 
mit der Operette „Die schone Galathee“, dirigiert von Dr. Ri- 
chard Strauß und inszeniert von Professor Max Reinhardt. 
Mitwirkende: Hermann Jadlowker, Alexander Moissi, Julius 
Lieban und Marianne Alfermann. 

— Max Steint teer s melodramatische Musik zur „Braut von 
Korinth“ ist in Leipzig durch Bruno Tuerscbmann (Rezi- 
tation) und Lisbeth Liebmann (Klavier) zum erstenmal auf- 
geführt worden. 

— In Salzburg soll sich dem Mozartfest auch eine Gluck- 
Jubiläumsfeier anschließen: im Garten des Mirabellenschlosses 
will man — auf dem niedlichen Naturtheater — Glucks „Or- 
pheus“ aufführen. 

— Nach den neuesten Zeitungsnotizen soll die Erstauffüh- 
rung des neuen Balletts von Richard Strauß, „Eine Josephs- 
legende“ (Une Legende de Joseph), an der Großen Oper in 


259 



Paris, die der Komponist dem Vernehmen nach selber diri- 
gieren wird, am 14. Mai stattfinden. 

— Humperdincks „Königskinder“ sind kürzlich zum ersten- 
mal im Teatro Verdi in Florenz aufgeführt worden. 

— Die von der Opemkonkurrenz des Verlags Sonzogno in 
Mailand preisgekrönte Oper „Juana“ von Arrigo Pedrollo hat 
in Vicenza ihre Uraufführung erlebt. 

— Bossis Mysterium „Johanna d’Arc“ ist nach seinen Er- 
folgen in Köln, Berlin und Dortmund für die kommende 
Saison bereits über ein Dutzend Aufführungen gesichert. 
Auch plant die Scala in Mailand eine szenische Darstellung 
des Werkes, der Komponist ist mit den entsprechenden Aende- 
rungen beschäftigt. 

* 

— Ein Lehrerkonzert vor Schülern hat «Berlin stattgefun- 
den. Dort sang im Zirkus Busch vor Tausenden von Knaben 
und Mädchen der Berliner Lehrergesangverein unter Leitung 
von Prof. Felix Schmidt. Die Nacht von Schubert, Fridericus 
Rex, Der Choral von Leuthen, Spinn, spinn, Lützows wilde 
Jagd, Der Jäger aus Kurpfalz und Hegars Preischor 1813 
seien aus dem Programm genannt, das Jubelstürme hervor- 
rief. 

— Die bekannte Utrechter Geigerin Jeanne Vogelsang hat 
in der Ortsgruppe Berlin der „Internationalen Musikgesell- 
schaft“ (Vorsitzender Prof. Dr. Joh. Wolf) zwei interessante, 
unbekannte Sonaten von E. F. dell’Abacco (1675 — 1742) und 
J. J. C. de Mondonville (1711 — 1772) gespielt. 

— Eine beachtenswerte Kunde kommt aus Darmstadt: 
Um auch die Landbevölkerung an den Kulturbestrebungen 
teilhaftig werden zu lassen, läßt der Großherzog von Hessen 
in größeren Landorten große Konzerte veranstalten. Das erste 
fand in Schotten in Oberhessen statt, wo zweimal die groß- 
herzogliche Hofmusik zu Darmstadt gastierte und zu dem 
ein halbes Hundert Ortschaften zur Teilnahme eingeladen 
waren. Der Großherzog und seine Gemahlin waren selbst er- 
schienen. Die Preise für solche Konzerte sind volkstümlich 
gehalten. Der teuerste Platz kostete 2 M., der billigste 80 Pf. 

— In Köln hat das zehnte Gürzenich-Konzert zwei Stücke 
für kleines Orchester „Beim ersten Kuckucksruf im Frühling“ 
und „Sommernacht am Fluß“ von Frederik Delhis gebracht. 

— Der Stuttgarter Pianist Walter Georgii ist als Haupt- 
fachlehrer für Klavierspiel an das Konservatorium in Köln 
engagiert worden. 

— Gesänge für hohen Sopran von Waltershausen hat in 
Mannheim Frau Iracema-Brügelmann (Stuttgart) vorgetragen. 

— In Pasewalk hat der Musikalische Verein (Dirigent Kantor 
Herbert Mattheus) Arnold Ebels „Requiem“ und seine Chor- 
kantate „Die Weihe der Nacht“ aufgeführt. Die Solopartien 
sangen Minna Ebel- Wilde und Otto Schwendy. 

— In Schwedt a. O. hat der „Musikalische Verein“ unter 
Leitung des Gymnasialmusiklehrers P. Daubitz Ewald Zingels 
großzügiges Werk (Aufführungszeit 2 ‘/« Stunden) „Der wilde 
Jäger“ für Chor, Rezitation. Sopran und Baritonsoli und Or- 
chesterbegleitung aufgeführt; der Erfolg war groß. Das Werk 
ist sangestüchtigen Vereinen zu empfehlen. 

— Die II. Symphonie von Franz Schmidt, die im Dezember 
in Wien zur Uraufführung kam, wurde von Musikdirektor 
Fritz Busch zur Aufführung für Aachen angenommen. 

— Erwin Lendvais altjapanische Lieder sind bei ihrer Auf- 

führung in England durch Frau Nina Jaques-Dalcroze mit 
Enthusiasmus aufgenommen worden. N. 

— Die Orchester-Ouvertüre „Der blaue Vogel“ des böhmi- 
schen Komponisten Jaroslav Ktiika hat Leo Schrattenholz 
(Berliner Orchesterverein) zum erstenmal aufgeführt. 

— Das zweite Violinkonzert von Jaques-Dalcroze „Poeme“ 
ist, wie uns geschrieben wird, in Berlin von Florizel von Reuter 
unter persönlicher Leitung des Komponisten mit starkem 
Erfolge aufgeführt worden. 

— Das XV. Schweizerische Tonkünstlerfest wird am 27. und 
28. Juni ds. Ts. in Bern in der Festhalle der Schweizerischen 
Landesausstellung abgehalten . Es sind vier Konzerte vorgesehen 
mit Werken von Otto Barblan (Genf), von Walter Courvoisier 
(München), R. Blanchet (Lausanne), Fritz Niggli (Zürich), Einil 
Frey (Petersburg), Karl Munzinger t (Bern), Hans Huber 
(Basel). Diese werden im Solistenkonzert aufgeführt. Das 
Orchesterkonzert bringt die Namen Friedrich Hegar (Zürich), 
Emil Jaques-Dalcroze (Dresden-Hellerau), Piene Maurice (Mün- 
chen), Gustave Doret (Paris), Hans Huber; das Kammer- 
musikkonzert Werke von Joseph Lauber (Genf), Hermann 
Suter (Basel), Volkmar Andreae; das Chorkonzert: Friedrich 
Klose (München), Frank Martin (Genf), Rudolf Ganz (Berlin), 
Karl Heinrich David (Basel), Robert Denzler (Luzern), Othmar 
Schoeck (Zürich). E. Trp. 

— In Basel hat im 9. Symphoniekonzert eine Uraufführung 
stattgefunden: „Die Richmodis“, zweite symphonische Fan- 
tasie von Robert F. Denzler (geb. 1892 in Zürich), nach des 
Komponisten Angaben ein romantisches Bild aus Köln, wo 
„die Richmodis von der Adlucht“ „in der Papageien“ hausten 
und um 1350 liebten, litten und siegten. Die Sprache des 
mit Orgel versetzten Orchesters ist die Richard Strauß ens, 

260 


dessen „Taillefer" oft wörtlich hereingrüßt. Doch eignet dem 
heißblütigen Tondichter eigene Erfindung und phänomenale 
Beherrschung der Thematik. Stellenweise auch lyrische Kränze 
voll Reiz. — Außerdem brachte Dr. Hermann Suter den groß- 
zügigen „Lebenstanz" des stets eigenartigen großen Poeten 
Frederick Delius mit seiner abgrundtiefen Symbolik zur wohl- 
ausgeglichenen Aufführung. Der Tenor Karl Erb sang Liszts 
Petrarca-Sonette mit großer Auffassung. Baur. 

— Aus Mailand wird uns geschrieben: Erst vor kurzem 
hatten die italienischen Zeitungen mitgeteilt, daß sich Puccini 
entschlossen habe, ein sentimentales Buch „Die kleinen Holz- 
schuhe“, das einem Roman der englischen Schriftstellerin 
Ouida entnommen wurde, zu vertonen, und schon wird ein 
neuer Plan des Meisters bekannt, der daran gehen will, nun 
auch mal die Lust des Lebens musikalisch darzustellen. In 
Wien wurde dem Maestro von dem dortigen Verlagshause 
Eibenschütz & Bertä der Antrag gestellt, eine komische Oper 
zu schreiben. Er antwortete anfangs mit einem Nein, aber 
dann meinte er, es sei die Frage, ob ihm das Buch Zusagen 
würde. Als der Meister nach Mailand zurückgekehrt war, kam 
ihm bald das Buch zu, fand aber keine Gnade vor seinen 
Augen. Die Wiener Verleger ließen sich aber durch diesen 
ersten- Mißerfolg nicht abschrecken, sondern versuchten es mit 
einem zweiten Buche, das der Feder des Wiener Schriftstellers 
Willner, dem Verfasser der Opembücher „Das Heimchen am 
Herd" und „Wintermärchen", die er für Goldmark geschrieben 
hatte, und zahlreicher Operettentexte, entstammte, und dies- 
mal zeigte sich Puccini geradezu begeistert und verpflichtete 
sich, das Werk, dessen Titel wahrscheinlich „Die Schwalbe" 
lauten wird, für das erwähnte Verlagshaus zu schreiben, eine 
Tatsache, die hier das größte Aufsehen erregt, da sie einen 
Bruch mit Pucdnis bisherigem Verleger Ricordi bedeutet. 

— Professor Karl Klingler hat in Christiania mit seinem 
Quartett an fünf Abenden die sämtlichen Beethovenquartette 
(einschließlich der Fuge op. 133 als „Zugabe“ am letzten Abend) 
gespielt. Für sämtliche Abende war der Saal ausverkauft, und 
die für Kammermusikabende hier unbekannte Neuerung, 
.während des Vortrags das Licht im Zuhörerraume zu dämpfen, 
trug wesentlich dazu bei, den Eindruck des tonschönen und 
abgeklärten Spiels der vier Künstler zu erhöhen. H. M. 

■ — In Petersburg und in Moskau finden im März und April 
die ersten „großen Bach-Feste“ in Rußland statt. In je drei 
Konzerten in jeder der beiden Städte gelangen Orchester- und 
Chorwerke, u. a. die hmoll-Messe, zur Aufführung. 



— Wagneriana. Eine lang geplante Idee ist am diesjähri- 
gen Todestage Richard Wagners, am 13. Februar, als Erinne- 
rung an das Jahr, da seine Werke freies Allgemeingut der 
Nation wurden, zur Tatsache geworden. Alljährlich soll 
einem musikdramatischen Tondichter, der im Sinne Wagners 
schafft und leidet, d. h. sich schwer durchsetzt oder Refor- 
men anstrebt, ein Geldpreis zuerkannt, eventuell auch Ge- 
legenheit zu einer kostenlosen Studien- oder Erholungsreise 
gegeben werden. Die Nibelungenstiftung soll über ganz 
Deutschland, und dort wo Deutsche leben, ausgedehnt wer- 
den. Aehnlich wie für den Bayreuther Stipendienfonds sollen 
auch für diese Stiftung alljährlich musikalische Veranstal- 
tungen und Aufführungen stattfinden, bei denen die zur Wahl 
für den Preis Stehenden zu Worte kommen und durch Ple- 
biszit und Urteil der Kritik ausgewählt werden sollen. Die 
Familie Richard Wagner hat sich an der Stiftung, deren Grund- 
stock die Zinsen und Einnahme- Erträgnisse der „Nibelungen- 
halle am Rhein“ bildeu und für die der Maler Herrn. Henarich 
die Bilder ifn Werte von 50000 Mark gestiftet hat, ebenso 
beteiligt, wie namhafte andere Kunstfreunde. Beiträge, über 
welche öffentlich quittiert wird, nimmt die Nationalbank für 
Deutschland in Berlin, Behrenstraße, entgegen. (Richard- 
Wagner-Gedächtnisspende.) — Diese erfreuliche Mitteilung 
wird dadurch gewiß nicht unerfreulicher, daß sich auch die 
Familie Wagner an der Stiftung beteiligt hat. — Dagegen 
hat der Deutsche Reichstag die Petition abgelehnt, der 
Richard-Wagner-Stipendien-Stiftung die gewünschte Summe 
von 500000 Mark, zu überweisen. Das war vorauszusehen. 
Es fehlte dieser Petition die überzeugende Grundlage. 

— Von den Theatern. Richard Strauß tritt für ein „Städte- 
bund-Theater“ ein. Da kleinere Städte, die eben auch ihr 
Theater haben wollen, unmöglich die Mittel aufbringen kön- 
nen, um größere Opernwerke in entsprechender Qualität 
herauszubringen, und da schlechte Aufführungen großer Werke 
schlimmer sind als gar keine Aufführungen, wie Strauß richtig 
bemerkt, so sollten sich allemal drei Städte zusammentun und 
ein gutes Ensemble je drei Monate in jeder Stadt spielen 
lassen. Strauß verkennt die Schwierigkeiten allerdings nicht, 



die sich solchen Organisationen entgegenstellen müssten, aber 
irgend einen praktischen Vorschlag zur Ausführung hat er 
nicht zu machen. Echter Strauß ist folgender „Erguß": 
„Wie wäre es, wenn sich unsere Parlamente einmal mit einem 
solchen Wagnerschen Entwurf zur Gründung eines deutschen 
National-Theaters beschäftigten oder, falls sie davon wirklich 
nichts zu verstehen bekennen müßten, die Behandlung ernst- 
hafter künstlerischer Angelegenheiten einem neu zu bildenden, 
gesetzgebenden Forum von dazu berufenen Fachleuten über- 
ließen? Ich wäre sogar bereit, zweiter Vizepräsident dieses 
Künstlerparlaments zu werden. Mit unseren, der Kunst wohl- 
eneigten deutschen Fürsten und den Herren Ministem wär- 
en wir Künstler uns schon verständigen.“ — Richard Strauß 
hatte bekanntlich einen in der Presse mit lebhaftem Beifall 
aufgenommenen Brief an den Theaterdirektor einer großen 
Stadt geschrieben, worin er auf unhaltbare Mißstände hin- 
gewiesen hatte. Wie sein Mahnruf an der Stelle, die es zu- 
nächst anging, gewirkt hat, geht aus folgender Zeitungsmel- 
dung aus Nürnberg hervor: Der neue Direktor des Stadttheaters, 
Pennarini, wollte Orchester und Chor ein wenig verstärken, 
wandte sich also an die Stadtbehörden, damit man ihm einen 
Teil der Mehrkosten beisteuern möge. Die Antwort ist ab- 
schlägig ausgefallen, und in der Motivierung wurde darauf 
hingewiesen, daß das Stadttheater ja in den letzten Jahren 
Profit abgeworfen habe! Nürnberg sorgt in der Tat gut für 
seinen künstlerischen Ruf. — In Leiptig ist es zur Demission 
Martersteigs gekommen, nachdem der vom Rate der Stadt 
Leipzig und vom Intendanten Martersteig vorgelegte Theater- 
etat nicht in der erforderlichen Höhe von den Stadtverord- 
neten bewilligt worden war. Die Bühnenmitglieder bitten in 
einer Eingabe den Rat der Stadt, es zu ermöglichen, daß 
Geheimrat Martersteig in seinem Amt verbleibe, das er vor- 
läufig weiterführt, bis ein Nachfolger gefunden ist. — In 
Paris soll das „Theätre des Champs Elys6es“, das unter Lei- 
tung von Gabriel Astruc vor einigen Monaten Schiffbruch 
erlitten hatte, wieder als „Große Oper“ eröffnet werden. Zur 
Aufführung sollen hauptsächlich die Opern Mozarts, dann von 
Wagner „Die Meistersinger“ und „Tristan und Isolde“ und 
„Der Rosenkavalier“ kommen. — Ein Versuch, den „Wilden 
Westen“ Amerikas für die Oper zu begeistern, ist wieder 
mal fehlgeschlagen. 

— Schumann-Museum. Die Stadt Zwickau, die vor kurzem 
mit hoher Summe das Geburtshaus Robert Schumanns käuf- 
lich in dauernden Besitz gebracht hat, wird jetzt auch dem 
Robert-Schumann-Museum eine würdige Stätte bereiten. Am 
23. April findet die offizielle Weihe des König- Albert-Museums , 
eines städtischen Monumentalbaues, statt, in dem die recht 
zahlreichen geschenkten und angekauften Robert-Scbumann- 
Schätze aufbewahrt werden. Die Freunde und Verehrer des 

§ roßen Komponisten werden der Stadt Zwickau für den tätigen 
Kunstsinn Dank wissen und gern ihre Schumann-Reliquien 
dem Zwickauer Museum überweisen. 

— Denkmalspflege. Im Münchner Hoftheater wird dem- 
nächst eine Fmh-Büste aufgestellt werden. Dagegen wird 
natürlich niemand etwas einzuwenden haben, im Gegenteil, 
man wird sich allgemein des neuen Schmuckes von Herzen 
freuen, denn es ist rühmlich, einen Großen zu ehren. Bei 
diesem Anlasse erinnert sich die Königl. Intendanz vielleicht 
daran, daß Beethoven, Mozart, Weber und Wagner deutsche 
Tondichter waren, die bis heute einer Auszeichnung an dieser 
Stätte entbehren. u. 

— Musikarchiv. D.as große Musik- und Theaterarchiv, das 
bis vor kurzem der internationalen Vereinigung „Die Brücke" 
augegliedert war, wird von München nach Berlin übersiedeln, 
sofern die nötigen Sanierungsversuche, wie es jetzt schon fast 
sicher ist, glücken. Dadurch erhält Berlin ein außerordent- 
lich umfangreiches und wertvolles Archivmaterial. Dieses ur- 
sprünglich Keller-Steinineersche Archiv umfaßt Originalquellen- 
matenal über Musik, Theater und Dichtkunst vom Anfang 
des neunzehnten Jahrhunderts an bis zur neuesten Gegen- 
wart, insgesamt vorläufig etwa 200000 Nummern in den 
meisten lebenden Sprachen. Es können daraus biographisches 
Material und ästhetische Arbeiten über Musiker und Schrift- 
steller, Aufführungsdaten über alle ihre Werke und Kritiken 
über Aufführungen dieser Arbeiten, endlich Zusammenstel- 
lungen der Buch- und Zeitungslileratur über alle Themen der 
Musik und des Theaters zur Benutzung ausgegeben werden. 

— Städtische Musikpflege. In Eisenach ist ein städtisches 
Orchester (40 Musiker) gegründet und seine Leitung dem dor- 
tigen Chordirigenten Rinkens übertragen worden. 

— Vom Volkslied. Eine bisher unbekannte Sammlung 
• serbo-kroatischer Lieder, 217 an der Zahl, von wenigen Kunst- 
liedern abgesehen durchaus epische, lyrische und lyrisch-epische 
Volkslieder, sind auf der Universitätsbibliothek in Erlangen 
aufgefunden worden. Die Sammlung ist vermutlich in Nord- 
west-Bosnien. wahrscheinlich in der ersten Hälfte des 18. Jahr- 
hunderts, entstanden. 

— Stiftung. Ueber eine zweite Stiftung für Musiker, die 
eine Frau allein bestritt (siehe Wagneriana), wird aus Rom be- 
richtet: Die Tochter Rocke fellers hat 60 000 Lire für lyrische 
Erstlingsopem italienischer Komponisten gestiftet; die Summe 


soll auf drei Jahre verteilt werden. In Parma werden die 
Opern erstmalig aufgeführt, und die Ausstattungskosten sollen 
ebenfalls von der Stiftung, die den Namen Edith Mac Cor- 
mich-Stiftung trägt, bestritten werden. 

— Kongresse. Der Verband evangelischer Kirchenmusiker 
Preußens ladet für den 14. und 15. April zu einer ersten 
Tagung preußischer Kirchenmusiker nach Berlin ein. — Der 
„Zentral verband deutscher Tonkünstler- und Tonkünstlerinnen- 
vereine" wird vom 4. bis zum 6. Juli in München seinen 
diesjährigen Delegiertentag abhalten. 

— Preiserteilung. Das Preisausschreiben für die beste Ueber- 
setznng des „Don-Ju'an -Textes“, das der Deutsche Bühnen- 
verein erlassen hat, wird nun nach langer Wartefrist seine Er- 
ledigung finden. Baron zu Putlitz (Stuttgart) teilt mit: „Nach 
dem die Prüfung der zahlreichen Bewerbungen um den vom 
Deutschen Bühnenverein für die beste bühnengerechte Ueber- 
setzung des „Don Juan“ gestifteten Preis durch die einzelnen 
Herren Preisrichter beendet ist, wird eine gemeinschaftliche 
Sitzung des Preisrichterkollegiums und der Kommission des 
Deutschen Bühnenvereins in den Tagen vom 11. bis 13. April 
in Stuttgart stattfinden. An dem letzten Tage wird das Er- 
gebnis des Preisausschreibens bekanntgegeben werden.“ 

— Preisausschreiben. Der Deutsche Patriotenbund erläßt 
zur Gewinnung von Tondichtungen, die sich zum Vortrag im 
Dome des Völkerschlacht-Denkmals eignen, folgendes Preis- 
ausschreiben für alle Tondichter deutscher Zunge: 1. Es wer- 
den 6 Preise ausgesetzt: ein erster Preis von 500 M., zwei 
zweite Preise von je 200 M., drei dritte Preise von je 100 M. 
2. Diese Preise werden den Tondichtern zugesprochen, die 
vier- und mehrstimmige neue Tondichtungen für gemischten 
Chor oder für Männerchor oder für Frauenchor (unbegleitet 
oder mit Begleitung des Harmoniums) neu schaffen und eine 
Zeit von nur 5 — 7 Minuten beanspruchen. Preisrichter sind: 
Prof. H. Jüngst, Dresden, Dr. Walter Niemann, Sigfrid Karg- 
Elert, Kgl. Musikdirektor Gust. Wohlgemuth und als Vertreter 
des Deutschen Patriotenbundes Geheimer Hofrat Clemens 
Thieme, sämtlich in Leipzig. Zusendungen sind portofrei bis 
1. Oktober 1914 zu richten an die Geschäftsstelle des Deut- 
schen Patriotenbundes, Leipzig, Blücherstraße 11 p. Dort 
sind auch die näheren Bedingungen zu erfahren. 

* * 

Personalnachrichten. 

— Der Gesangslehrer am Realgymnasium und Lehrerinnen- 
seminar Karl Paulke in Meiningen ist zum Hofkantor ernannt 
worden. 

— Kapellmeister G. Fritz-Hartmann ist für den Sommer als 
Dirigent des Kurorchesters in Bad Kreuznach (Orchester des 
Volkschors und Konzertvereins in Barmen) verpflichtet worden. 

— Aus New York wird gemeldet, daß Enrico Caruso mit 
der Metropolitan-Oper für die Saison 1916 einen neuen Ver- 
trag abgeschlossen hat, der ihm eine Gage von 12 000 M. für 
den Abend zusichert, eine Gage, wie sie bisher in Amerika 
noch keinem Sänger bezahlt worden ist. — Ob’s stimmt, 
wissen wir nicht! 

— Der berühmte Geiger Hugo Heermann ist siebenzig Jahre 
alt geworden. In Genf, wo er seit einigen Jahren wirkt, ist 
er an diesem Tage gebührend gefeiert worden. 

— In Berlin ist plötzlich der Opernsänger Paul Seidler ge- 
storben. Er war am Deutschen Opernhaus beschäftigt. Seidler 
litt unter starken seelischen Depressionen. 

— In Wiederau (Bezirk Leipzig) ist ein vielseitiger Gelehrter, 
ein wahrer Polyhistor, im Alter von 67 Jahren gestorben: 
Dr. med. et theol. h. c . Johannes. Linke, der Archidiakonus, 
Arzt, Schriftsteller, Redakteur und Komponist war. Zu- 
nächst begann er 1870 als Volksschullehrer. Dann war Linke 
Nachmittagsprediger und Katechet in Leipzig, 1875 Diakonus 
und Archidiakonus in Altenburg, 1876 Lehrer am Carolinum 
daselbst, 1877 wurde er als Lehrer der Prinzessinnen von 
Altenburg (Fürstin von Schaumburg-Lippe und Großfürstin 
Constantm von Rußland) berufen, 1887 ward er Pfarrer in 
Pfarrkeßlar in Thüringen, 1888 praktischer Landwirt, 1892 
Opemkritiker, 1896 Student der Medizin und Naturwissen- 
schaften in Halle (er war inzwischen 49 Jahre alt geworden). 
1901 praktischer Arzt in Halle und Merseburg, später in 
Wiederau und 1905 Inhaber der Apotheke in Wiederau. 
Die Universität ernannte ihn zum Ehrendoktor. Neben seiner 
umfangreichen schriftstellerischen Tätigkeit verfaßte Linke 
nicht weniger als 295 Kompositionen. In seiner Selbstbio- 
graphie .erzählt er, daß er, außer den zwei Jesuiten Clemens 
Blume und Henry Marrioh Bannister, der einzige Mann in der 
"ganzen Welt sei, der die riesige Gesamtliteratur der katho- 
lisch-lateinischen Hymnen beherrsche, ferner außer dem Pfarrer 
Tümpel in Renthendorf der einzige Mann, der in der fast 
ebenso großen evangelischen Liederkunde vollständig Bescheid 
wisse. Er hatte eine Sammlung von über 80 000 lateinischen 
und über 60000 deutschen Kirchenliedern! Das war wirk- 
lich ein vielbeschlagener Mann! (Man vergleiche dazu übrigens 
einige Stellen im Gespräch über die Lehrerfrage im vorigen 
Hefte.) 


261 








Briefkasten 


W. K. in Wdf. Palme, Das Orgel- 
registrieren (Verlag Hesse). 1.50 M. 
Locher, Erklärung der Orgelregister, 
deren Charakteristik und wirksame Mi- 
schungen (Verlag Baumgart, Bern). 3 M. 

S. Br. in Br. Wir können leider nicht 
Uber eine Aufführung eines so bekannten 
und viel gegebenen Oratoriums berichten. 
Das würde zu weit führen. 

Abonnent in Trier. Wir haben uns über 
ihre Zustimmung zu unserer Kritik ge- 
freut. Besten Dank. 

H. B. in F. Wir danken für das freund- 
liche Erinnerungszeichen. Aber wir kön- 
nen nicht jedes 200 . Geburtstages geden- 
ken So groß war die Bedeutung Jomellis 
für die Musikgeschichte nicht. , 

A. gehn. Von Männerchorbearbellungen 
Gluckscher Musik ist uns außer der ge- 
nannten Hymne nichts bekannt 

B. M., 0 . Wenden Sie sich au den 
Allg. Deutschen Musiker-Verband bexw. 
an dessen Deutsche Musikerzeitung in 
Berlin SW., Bernburgers tr. $r, wenn es 
sich um Orchestermusiker handelt. Sonst 
käme der Deutsche Musikpädagogische 
Verband, Berlin W. 6 z, Luthers tr. 3 , ln 
Betracht. 

Lehrer A H. Sie wünschen Aufklärung 
darüber, warum Sie bis zum Dezember 
1913 nur einen Bogen Musikgeschichte er- 
halten haben? Sie haben die „N. M.-Z.“ 
offenbar nicht sehr aufmerksam gelesen. 
Sollen wir die vielen Erklärungen über 
den wenig angendunen Fall wiederholen ? 
Von nun an erscheinen die Bogen wieder 
regelmäßig. 

H. Seid. Brieflichen Unterricht im 
Flötenspiel und für die Mundstellung dabei 
können wir Ihnen leider nicht ertdlen. 
Es hätte gar keinen Zweck, sie erfahren 
es selber, daß das Lernen ohne Lehrer 
nicht geht. Ohne Unterweisung kommt 
man der Frau Musika schwer bei. Ist es 
Ihnen nicht möglich, einen Lehrer zu be- 
kommen, so müssen Sie eben so lange 
selber probieren, bis es geht. 


Kompositionen 


Robert Schumanns 

gesammelte Schriften über 

Musik und Musiker 

2 Bände. FQfllte, neu durchgesehene und ergänzte Auflage von M. Kreisig, Leiter 
des Schumann-Museums in Zwickau. Geheftet 14 M., in Leinen gebunden 17 M. 

D ie Schumannschen Schriften sind bis zur Stunde das Beste, Scharfsinnigste und 
Feinfühligste, was wir von musikalischer Kritik besitzen, eine unerschöpfliche 
Fundgrube idealer Anschauungen, hoher Gedanken, goldener Worte über die Ton- 
kunst und ihre Vertreter, ein wahrer Gesundbrunnen, bei welchem, wie Schumann, 
selbst irgendwo von den Chopinschen Etüden sagt, das Wort der Weisheit aus dem 
Munde des Dichters quillt. Mit welch divinatorischer' Sicherheit unser Künstler das 
Große und Bedeutende gleichsam schon im Keime erkannte und wie neidlos freudig 
er seine Entdeckungen der Welt verkündigte, das zeigen der erste und der letzte Auf- 
satz der Schriften. (Urteil der Schweizerischen Musikzeitung beim Erscheinen der 
4. Auflage.) Die neue, soeben erschienene 5. Auflage ist bearbeitet von dem Leiter 
des Schumann-Museums in Zwickau, pberlehrer Kreisig. Sie enthält viele weitere, 
bisher unbeachtet gelassene Schriften Schumanns in einem besonderen Nachtrage. 
Darin sind auch eine ganze Anzahl Jugendaufsätze und Jugendgedichte usw. auf- 
genommen, die die schriftstellerische Begabung Schumanns hoch weiter ins helle Licht 
setzen. Die ^wertvollen Anmerkungen und Erläuterungen Jansens zur 4. Auflage 
sind alle erhalten und um weitere bedeutend vermehrt. Besonderes Gewicht ist auf 
ausführliche, vielseitige Inhaltsverzeichnisse gelegt worden, um den reichen Stoff zu- 
gänglich zu machen; auch ist bei jedem Aufsatz die Urstelle angegeben. :: 

Verlag von Breltkopf & Härtel ln Leipzig 


Sollen Kompositionen Im Briefkasten 
beurteilt werden, so tat eine Anfrage nicht 
erforderlich. Solche Manuskripte können 
jederzeit an uns gesendet weiden, doch darf 
der Abonnementsausweis nicht fehlen. 

(Redaktionsschluß am 19 . März.) 

R. Sehw— er, Närnb. In Ihrer Bailade 
Ist' mit einfachen Mitteln eine packende 
Musik zu bieten versucht. An problema- 
tischen Stellen fehlt es nicht, namentlich 
Im Schlußteil. 

G. F, Aus Ihren Gesängen erfährt man 
wenigstens Ihre Vertrautheit mit dem 
Mänaerchorsatz. No. 3 tot verkünstelt 
und erweckt einen üblen Eindruck, wäh- 
rend in den beiden ersten Nummern trotz 
des Mangels an Originalität sich ein na- 
türliches Empfinden geltend macht. 

Bans Z., Wien. Auf Grund Ihrer Ar- 
beiten darf angenommen werden, daß sich 
ein ernstliches Studium der Musiktheorie 
bei Ihnen wohl verlohnen würde. 

H. H., Str. Wie schon früher, so spre- 
chen wir auch diesmal wieder unsre An- 
erkennung über Ihre trefflichen Leistungen 
aus. Die feinsinnig gewählten Texte sind, 
wenn auch nicht Immer erschöpfend, so 
doch mit liebevoller Versenkung ln den 
jeweiligen Sllmmungsgehalt behandelt. 
Mit künstlerischem Verständnis werden 
Sie meist auch den äußeren und inneren 
Anforderungen, die eine tiefe Männer- 
stimme stellt, gerecht. Veröffentlichen 
würden wir an Ihrer Stelle die Lieder erst 
nach bestandener Feuerprobe bei einer 
gelegentlichen Aufführung. 

Kurt H., 1fr. Ihrem Schreiben nach 
hätten wir eine bessere Probe von Ihnen 
erwartet. Dss Gebet tot sehr unbedeu- 
tend. Schon die primitive äußere Dar- 
stellung ließe nichts von dem „vollkom- 
menen“ Unterricht, den 81e in Berlin ge- 
nossen, ahnen. 


Knnätbeilagen ^llmn miuik-Zeitung 

Die bis 1. Okt. 1913 erschienenen 42 Kunstblätter (Porträts 
berühmter Komponisten) können zum ermäßigten Preise von 
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(wird fortgesetzt) 

Glänzende Anerkennangeii! 

Siehe Besprechung in voriger Nummer 
dieser Zeitung. 

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K S. 14. Sie modulieren zuviel. Manche 
Ihrer harmonischen Besonderheiten, die 
nicht einmal immer grammatikalisch rich- 
tig wiedergegeben sind, nehmen sich recht 
gesucht ans. Bei Ihrer anscheinend regen 
musikalischen Beschäftigung zweifeln wir 
nicht an gutem kompositorischem Ge- 
lingen, sobald Sie sich von den angedeu- 
teten Manieriertheiten frei machen. 

Gg. H-f, H — es. Tonarllich ist Ihr 
Galopp nicht richtig disponiert. Der 
2. Teil sollte nicht in Asdur, sondern in 
Bdur stehen. Dann kann wieder der 
z. Teil in Esdur folgen. Das Trio müßte 
in Asdur statt in Bdur stehen. Die Ein- 
leitung ist nichtssagend, wie überhaupt 
das Ganze ob seiner Banalitäten keinen 
günstigen Eindruck macht. 

W. S— hier, L— hl. Dilettantische Er- 
zeugnisse mit allerhand satztechnischen 
Verstößen. In vorliegender Fassung sind 
Chöre nicht brauchbar, können darum 
auch nicht empfohlen werden. Durch 
Korrektur ließen sich einige der Gesänge 
gebrauchsfähig machen. 

Falke, E — en. Zwei günstige Zeugnisse 
für Ihr musikalisches Verstehen und 
Können, 

A. H. 86. Ihr geistliches Lied besitzt 
eindringliche Kraft und Ist in seinem ge- 
messenen Ernst von erbaulicher Wirkung. 

Ad. W— her. Die formellen Eigentüm- 
lichkeiten eines guten Choralstils scheinen 
Ihnen nicht bekannt zu sein, sonst wiese 
Ihr „Wer Gottes Wort nicht hält“ nicht 
xo Oktaven- und Quintenparallelen auf. 
In „Nichts, nichts kann mich verdammen“ 
zählten wir sogar 15 Parallelen. Das ist 
„verdammt“ viel. Wir enthalten uns 
sonst der Jagd nach Quinten und Okta- 
ven, wo uns aber etwas als im Choralslil 
geschrieben angcbotcn wird, fühlten wir 
uns berechtigt, auch einmal für solche 
„Greuel“ ein Augenmerk zu haben. 



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mit Klavier. Heft 1: Dar Ralaaboohar M. i. — . Heft a: Der Ungenannten 


M. 1. — . Heft 3: KiQder.ehn.ucht M. i.ao. 


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Heft 2: BoseMIosellM M. 1.— . Heft 3: HosaUied M. x.— . 

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No. x: Hamoreske M. .i.— . No. a: Au dar Kindheit Tagen M. i. — 
No. j: Intermano M. i.— . No. 4. Langsamer Walaor M. , 

Josef Ruzek, Drei ungarische Tänze s.rs!,^ 


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Verantwortlicher Redakteur: Oswald Kühn in Stuttgart. — Diuck^und Verlag von Carl Grünmger in Stuttgart. — (Kommissionsverlag in Leipzig: F. Volckmar .) 

















XXXV. VERLAG VON CARL GRÜNINGER, STUTTGART-LEIPZIG 1914 
Jahrgang Preis des Jahrgangs (Oktober 1913 bis September 1914) 8 Mark. Heft 14 

Bncheint vierteljährlich in i Beiten (mit MaMkbeUatea, KtuntbeOage und .Batte, Illustrierte Geschichte der Musik*). Abonsementpreb a M. vierteljährlich, t M. Jährlich. 
Einzelne Beite 50 Pf. — Bestellungen durch alle Buch- und Musikalienhandlungen sowie durch sämtliche Fostanstalten. Bei Kreuzbendversand ab Stuttgart im deutscb- 

ftsterreichischen Postgebiet M. 10.40, bn übrigen Weltpostverein M. 12. — Jährlich. 


Inhalt * Wolfram von Eschenbach nnd Richard Wagoer. 1. Wolfram von Esthenbach. 2. Parzival. 3. Parstfal. 4. Dos Parsifal-Mysterium. 3. Erlösung dem 
llllldlt . Erlöser. — Für den Klavierunterricht. Friedrich Chopin: Etüden op. 25- — Unsere Künstler. Emst Wendel, biographische Skizze. — Von wem erbten 
unsere Tonmeister das Talent? — Aus den Münchner Konzertsälen. — Vom Musikleben in Düsseldorf. — Kritische Rundschau: Cottbus, Graz, Königsberg. — Kunst 
und Künstler. — Besprechungen. — Neue Musikalien. — Brieflasten. — Dur und Moll. — Musikbeilage. 


Wolfram von Cschenbach und 
Richard Wagner. 

Eine Parsifalstudle von Pfarrer E. KREUSCH (Ottenburg) 1 . 
1. Wolfram von Eschenbach. 

W olfram von Eschenbach und Richard Wagner. 

Zwei Männer von ausgeprägter Eigenart. Beide 
ringen sich aus engen Verhältnissen zu hohem Wirken 
empor. Jeder auf seine Art. 

Wolfram von Eschenbach, bei dem Städtchen Ober- 
eschenbach in Mittelfranken, zum „Schildesamt geboren", 
also aus ritterlichem Geschlecht, nannte nicht viel sein 
eigen. Wahrscheinlich das Lehen Wildenberg, das er von 
dem Grafen von Wertheim, dem Besitzer von Obereschen- 
bach, erhalten. Da er (Parzival V 192 — 93) schildert, 
wie in der Gralsburg mit Scheiten von Aloe geheizt wird, 
fragt er scherzend: 

Sah eines Menschen Auge je 
solch Feuer wohl zu Wildenberg? 

Und Parzival IV 164 — 176 spottet er mit fröhlichem 
Humor über seine Armut: 

denn da, wo oft ich eingekehrt, 
und wo man mich als Herrn verehrt, 
daheim in meinem eignen Haus, 
da trifft kein fröhlich Mahl die Maus; 
die muß sich ihren Bissen stehlen. 

Vor mir braucht man ihn nicht zu hehlen, 
da ich ihn selten offen sah. 

Nur allzuoft mir das geschah, 
daß ich. Wolfram von Eschenbach, 
erduldete solch Ungemach. 

Von seinen Lebensschicksalen wissen wir wenig; um 
1203 weilte er auf der Wartburg mit Walter von der 
Vogelweide, der, wie er, singend und fechtend die deut- 
schen Lande durchzog. Wie heute mit Vorträgen, ‘so 
reiste man damals mit Epen und Gesängen. Vom Land- 
grafen Hermann erhielt er den Stoff zum „Willehalm", 
den er, wie auch jenen des Parzival, in seinem überaus 


1 Anm. der Red. Daß die Parsifalfrage auch die kirchlichen 
Kreise mit der Freigabe des Werkes von neuem berühren 
würde, war vorauszusehen. Edmund Kreusch aus Offenburg 
ist (alt)katholischer Pfarrer. In seinem Aufsatze kommen 
der katholische Geistliche (Schmidt S. J.) und der Monist 
(Drews) kurz zu Worte. Die Redaktion der „N. M.-Z.“ wäre, 
ohne in diesem Falle Stellung zu nehmen, gerne bereit, noch 
weiteren Stimmen aus kirchlichen Kreisen Gehör zu schenken. 


starken Gedächtnis behielt und später verarbeitete; denn 
er konnte weder lesen noch schreiben (Parzival II 1711 :) 

Unkundig ist mir ganz das Lesen, 
wie kundig andre deß gewesen. 

Auch verstand er nur mangelhaft die französische Sprache, 
in der die dichterischen Unterlagen seines „Parzival" und 
„Willehalm“ geschrieben sind. Von Kundigen ließ er sich 
jedenfalls diese Werke vorlesen, mischte hie und da mit 
Humor französische Floskeln in seine deutsche Bearbeitung 
und verwelschte gar seltsam die Eigennamen. 

In seinen jüngeren Jahren war er dem schwärmerischen 
Minnedienste des Mittelalters ergeben und öfters ereifert 
er sich über die Untreue derer, die er liebte. So im Par- 
zival (II 1666 ff.), da er eben Herzeloide, Parzivals 
Mutter, gepriesen: 

Ich bin Wolfram von Eschenbach, 

versteh ein wenig vom Gesänge 

und halte wie mit scharfer Zange 

an meinem Zorn auf eine Frau, 

die mir in meinem Leben hat 

erwiesen solche Missetat, 

daß ich mit Haß nur auf sie schau . . . 

Noch hab ich’s wahrlich nicht vergessen 
und kann durchschauen und ermessen, 
was Weibes Sitt’ und Weibes Art. 

Will ihres Lobes Kämpfer sein, 

wenn keusch und rein ein Weib gebahrt; 

doch was sie schändet, schafft nur Pein. 

Von nutzloser Schwärmerei geheilt, wendet er sich der 
ehelichen Liebe zu und läßt das Glück, das er gefunden, 
auch in seinen Werken widerleuchten. Da er z. B. das 
Gedränge an des Königs Artus Hof schildert, spricht er 
(Parzival IV 1121 ff.): 

So manche von den Frauen dort meinte, 
mit ihrem Preis es sich nicht einte, 
wenn ihr kein Trauter wär’ zur Seiten. 

Ich täte das zu keinen Zeiten, 
daß ich mein Weib in solch Gedränge 
hin brächte: denn darunter fand 
sich mancher unerfahme Fant. 

Mir bangt vor unbekannter Menge. 

Manch einer gar zu ihr wohl spricht 
alsdann, daß ihre Minn ihn sticht 
und ihn beraubt der Freude sein; 
wenn sie ihm wende seine Pein, 
wollt’ er ihr dienen fort und fort: 

Geschwind holt’ ich mein Weib von dort. 

Mit so wunderbar zarten Tönen singt er das Lied der 
ehelichen Liebe und Treue, daß er es nur aus eigener 
Erfahrung heraus dichten konnte (Parzival IV 680 ff.): 

265 









.... der treubewährte Mann, 

der Maß bewiesen allezeit, 

zart schonend Lieb erweisen kann .... 

Das war’ mir schon ein voll Genügen, 

Hätt’ ich mit meiner bloßen Hand 
berühren dürfen ihr Gewand. 

Kam’ ich mit stürmischem Verlangen, 
ich hätt’ mich gegen Treu vergangen, 

Zur Schmach müßt’ uns das beide leiten, 
sollt’ ihrer Scham ich Zwang bereiten. 

Und mit welch einer zarten, süßen Mime läßt er Parzi- 
vals Sehnsucht nach seinem jungen Weibe Kondwiramur 
erklingen! (Parzival VI 80 ff.): 

Der Falke hat die Gans geschlagen und es rinnen in den 
Schnee von dem Blute 

.... drei Tropfen rot, 
die brachten Parzival in Not, 

Sehnsucht trat seinem Herzen nah, 
als er die blut’gen Tropfen sah, 
dort in dem Schnee so rot auf weiß. 

Da dacht’ er: Wer hat seinen Fleiß 
verwandt auf dieser Farben Glanz? 

Kondwiramur! ja voll und ganz 
gleicht dieser Farben Mischung dir .... 

Hier liegt dein Bild, Kondwiramur. 

Sein Weiß der Schnee dem Blute bot, 
das Blut verfärbt den Sdmee so rot: 

Kondwiramur! So farbenlicht 
erscheint mir auch dein Angesicht .... 

Von -wahrer Minne war umfangen 
sein Herz zu ihr ohn alles Wanken. 

Also versank er in Gedanken 
und machte sinnverloren halt 
besiegt von der Minne Allgewalt. 

Der Dichter, der so schön der Sehnsucht nach der 
fernen Gattin Ausdruck gegeben, nannte auch eine Tochter 
sein eigen. Er starb nach 1217 und wurde in der Kirche 
zu Obereschenbach beigesetzt. Ein bayrischer König, 
Maximilian II., ließ ihm 1860 der Kirche gegenüber ein 
Denkmal errichten. Dieser königliche Dank, die Krö- 
nung der Verehrung, die Mit- und Nachwelt ihm gezollt, 
gilt seinem Lebenswerke, dem Parzival. 

2. Parzival. 

Vergleichen wir nun den „Parzival“ des Wolfram 
von Eschenbach mit dem „Parsifal" von Richard Wagner. 

Keiner der beiden Dichter hat den Stoff seines Werkes 
erfunden; denn er stammt aus der französischen Ritter- 
dichtung des Mittelalters. Wolfram hat seine Vorlage 
vertieft, indem er den Gral (den sagenhaften Abendmahls- 
kelch Christi) zum Prüfstein und Symbol der sittlichen 
Reinheit gemacht. An jedem Karfreitag schwebt eine 
Taube vom Himmel hernieder, legt eine Hostie in den 
Kelch und erneuert dessen Wunderkraft für die Tempel- 
eisen, die Ritter, die ihn hüten und durch ihn leben. 
Die Ritterschaft ist offenbar dem Orden der Tempelherren, 
ihr Dienst der Verehrung des christlichen Abendmahles 
nachgebildet. Die leitende Idee seines Epos drückt 
Wolfram gleich zum Beginn aus mit den Worten: 

Wenn Zweifel dringt in’s Herz hinein, 
so kann die Seele nicht gedeihn. 

Man findet Ehr und Schmach gepaart, 
wo sich verzagte Sinnesart 
gesellt zu kühnen Mannes Preis 
wie bei der Elster schwarz zu weiß. 

Doch solch ein Mann kann freudig hoffen; 
denn Höll und Himmel stehn ihm offen, 
wenn scheidet er aus dieser Welt. 

Wer sich der Untreu zugesellt, 
hat schwarze Farbe nur gewiß 
und fällt auch heim der Finsternis. 

Doch weißer Farbe Glanz gewinnt, 
wer Gott und Menschen treu gesinnt. 

Die Ausdrücke Zweifel und Treue muß man hier in 
einem weiteren Sinne nehmen, als sie jetzt gebräuchlich 
sind. Treue bezeichnet im Mittelalter eine zuverlässige, 
ehrliche, anständige Gesinnung, aus der eine moralische 
Sicherheit und Charakterfestigkeit in allem Tun und Las- 
sen erwächst. Zweifel bedeutet nicht Glaubenszweifel, 


sonderfi innere Unreife, Mangel an Wissen und Urteil, 
daraus sittliche Unsicherheit, charakterloses Schwanken 
zwischen Meinungen und Forderungen entspringt. 

Parzival ist der Mann, der sich erst entwickeln muß, 
in dem sich schwarz und weiß paart, verzagter Sinn und 
ritterliche Kühnheit. Vor ihm liegt Gut und Böse; er 
soll wählen, was er will. Die Erziehung lehrt ihn und 
hilft ihm, den Zweifel bannen, jede untreue, haltlose Ge- 
sinnung von sich weisen, ein treuer Mann, ein Charakter 
werden. Dieser ist das ritterliche Ideal. In Kämpfen 
muß es errungen und bewährt werden. 

Nicht nur die Männer, auch • die Frauen sollen auf 
Treue und Untreue achten, damit sie ihre Liebe nicht 
einem Unwürdigen schenken (Parzival I 41 ff ): 

All diese Lehren mannigfach 
ich nicht allein für Männer sprach; 
den Frauen auch steck ich ein Ziel. 

Die meinen Rat beachten will, 
die lerne wohl, worauf sie kehre 
ihren Preis und ihre Ehre, 
und wenn sie tragen darf bereit 
ihre Lieb und Würdigkeit, 
auf daß sie nimmermehr gereue 
ihr keuscher Sinn und ihre Treue. 

Parzival wird von seiner Mutter Herzeloide in der Ein- 
samkeit des Waldes erzogen, wächst schön und stark 
heran, verläßt seine Mutter und geht, von Herzeloide in 
das Gewand eines Toren gekleidet, auf Abenteuer aus. 
Der „reine Tor“, ein unerfahrener junger Mensch, ein ge- 
dankenloser Draufgänger, der mit jedem kämpft, der ihm 
Widerstand leisten will. Todschlag ohne Zweck. Doch 
spricht er zu Gurnemanz: 

Die Mutter hieß mich nehmen Rat, 
von dem, der graue Locken hat. 

Und der alte Gurnemanz unterweist ihn; 

Stets laßt von Maß und Ziel Euch führen. 

An Eurem Mute kann ich spüren, 
daß Ihr noch brauchet fremden Rat; 
drum meidet ungefüge Tat. 

Merkt Euch: Ihr sollt zuviel nicht fragen; 

Doch sollt Ihr Antwort nicht versagen. 

Diese letzte Warnung wird ihm in der Gralsburg ver- 
hängnisvoll. 

Die Frauen haltet lieb und wert; 
denn das den jungen Ritter ehrt. 

Und stets vor Wankelmut Euch wahrt; 
denn das ist rechte Mannesart. 

Den gleichen Rat hatte ihm seine Mutter gegeben: 

. Noch eins laß dir empfohlen sein: 
kannst guten Weibes Ringelein 
du dir erwerben und ihr grüßen, 
so nimm’s; es kann dir Leid versüßen. 

Nach ihrem Kusse sollst du ringen 
und innig ihren Leib umschlingen. 

Das bringt dir Glück und stolz Gemüte, 
wenn sie voll Keuschheit ist und Güte. 

Ein solches Weib findet und gewinnt er in Kondwira- 
mur. Aber er verläßt sie wieder; denn ritterliches Tun 
geht ihm über alles; ein lebenslängliches Glück will er 
sich erst verdienen. 

Sein Herz bedrückt es zentnerschwer, 
daß er ein solches Weib verließ; 
denn nie und nimmer ward es kund, 

’ daß jemals eines Menschen Mund 

ein Weib als schöner und besser pries. 

Sein Sehnen nach der Königin 
Durchwühlt’ ihm mächtig Hirn und Mark; 
und wär’ er nicht so fest und stark, 
schwänd’ alles Denken ihm dahin. 

Amfortas, der Fischer, zeigt ihm den Weg zur Grals- 
burg und gibt sich ihm dort als Herr der Burg zu er- 
kennen. Parzival sieht die Krankheit des Königs, sieht 
den blutigen Speer, sieht den heiligen Gral, den Kond- 
wiramurs ihm unbekannte Schwester trägt, sieht alle die 
Herrlichkeit und Pracht der heiligen Stätte — und staunt. 


2OO 



Aber fragt nicht, da er an die Warnung seines väter- 
lichen Freundes Gumemanz denkt; er getraut sich nicht, 
sondern hält sich ängstlich an die gegebene Vorschrift, 
statt der Stimme des Herzens zu folgen, die zum Mit- 
leide drängt. 

Beim Verlassen der Burg wird er beschimpft: 

„Fahrt’ hin! Nie leucht’ Euch Sonnenschein! 

Ihr Gansert!“ fuhr der Knapp’ ihn an. 

Was habt Ihr’s Maul nicht aufgetan 
und Euren Wirt hier nicht gefragt? 

Nim bleibt Euch höchster Preis versagt. 

Eine kindliche Schürzung des Knotens! Aber der 
Zweifel, die sittliche Unfreiheit, die im Konflikt der Eti- 
kette und der Menschlichkeit verhängnisvoll wird, soll 
auf diese Art zum dichterischen Ausdrude gebracht werden. 

In Trauer und Reue, denn Sigune klärt ihn unterwegs 
auf, reitet er weiter. Gawan bringt ihn an den Artus- 
hof. Kundrie, die Zauberin, erscheint und hält ihm vor 
(Parzival VI 1077 ff.): 

Wie war es möglich, wie geschah’ s. 

Daß Ihr den Fischer, der vor Euch saß 
so ohne Trost, so bar der Freude, 
nicht habt erlöst von seinem Leide? 

Er zeigt’ Euch seines Jammers Last 
Ihr harter, undankbarer Gast! 

Erbarmen müßt’ Euch doch sein Schmerz. 

So müßte ledig sein Eur Mund 
der frevlen Zunge gleich zur Stund’. 

Wie ohn’ Erbarmen ist Euer Herz. 

Im Himmel unseres Herrgotts Rat 
zur Höll Euch schon erkoren hat .... 

Ehrloser Mann, Herr Parzival! 

Man trug auch vor Euch hin den Gral 
und schneidend Silber und blut’gen Speer, 
ihr Leidvermehrer, ihr Lustbeschwer. 

Ohne Abschied reitet die Gralsbotin fort. 

Oft schaut sie weinend noch zurück 
und ruft mit gramerfülltem Blick: 

Weh, Munsalväsch, du Jammers Ziel, 

Weh, daß dich Niemand trösten will! 

Parzival ist tief in seiner Ehre gekränkt und macht 
sich auf, um den Gral zu gewinnen. Gawan wünscht ihm 
Gottes Beistand dazu. „Weh, was ist Gott?!" ruft Par- 
zival erbittert. Und — „hat er Haß, ich will ihn tra- 
gen" (Parzival VI 1561 ff.). Der Dichter erhebt seine 
Gestalt zu tragischer Größe: 

„Weh, was ist Gott?!“ der Waleise sprach. 

War’ er gewaltig, in solche Schmach 
hätt er uns beide nicht gebracht. 

Ein Nichts erscheint mir seine Macht. 

Mit Dienst war ich ihm untertan, 
seit ich sein’ Gnad’ ermessen kann; 
ich muß ihm künftig Dienst versagen, 
und hat er Haß: ich will ihn tragen. 

Mit Unruhe und Trotz im Herzen reitet er weiter und 
trifft am Karfreitag einen alten Ritter, der ihm verweist, 
daß er an diesem Tage die Waffen trägt, und ihm den 
Rat gibt, den Einsiedler Trevrizent aufzusuchen. Dieser 
heilt des Helden Gemüt durch milden Zuspruch, berichtet 
ihm den Tod seiner Mutter Herzeloide, und deutet ihm 
den Gral. Dann entläßt er ihn: 

Nun laß nur hier die Sünden dein; 
ich will vor Gott dein Bürge sein. 

Erfülle, was ich dir gesagt, 
und strebe weiter unverzagt. 

Sechs Jahre lang irrt Parzival nun kämpfend und suchend 
umher, bis die Gralsbotin Kundrie wieder erscheint und 
ihm verkündet (Parzival XV 1421 ff.): 

O Heil dir, Gamuretens Sohn! 

Gott gibt dir seiner Gnade Lohn .... 

Das höchste Glück ward dir zu Teil 
Dein wartet noch das höchste Heil. 

Des Grales Inschrift ward gelesen: 

Du bist zum Herrn des Grals erlesen 
Kondwiramur, dein licht Gemahl, 
und Lohengrin, den sie geboren, 
sind auch mit dir zum Gral erkoren .... 
du hast der Seele Ruh errungen, 
des Lebens Freud im Leid erzwungen. 


Also geschieht es im letzten Gesänge. Wolfram von 
Eschenbach macht sich den Schluß ziemlich leicht; einen 
Höhepunkt ersteigt er nicht mehr. Aber die tiefen, 
mannhaften, reinen Gedanken seiner Dichtung wirken 
noch lange in dem Leser nach. 

3. Parsifal. 

Richard Wagners „Parsifal“ hat nicht minder oder noch 
mehr die Aufmerksamkeit seiner Zeitgenossen erregt als 
Wolfram von Eschenbachs Dichtung das mittelalterliche 
Deutschland. Ob mit demselben Recht? Wagner führt 
uns zunächst den siechen Amfortas mit seinen Knappen 
und Rittern am Fuße des Montsalvat vor Augen. Gume- 
manz gehört zu ihnen und erzählt, wie der Zauberer 
Klingsor der Gralsburg gegenüber ein schimmerndes Schloß 
erbaut und mit verführerischen Mädchen bevölkert, an 
deren Spitze Kundry, um die Gralsritter ihrem heiligen 
Dienst abwendig zu machen. Amfortas war ausgezogen, 
um den Zauberer mit dem heiligen Speere des Longinus 
zu bekämpfen, erlag aber der Verführung Kundrys . . . 

In ihren Armen liegt er trunken, 
der Speer ist ihm entsunken. 

Ein Todesschrei — ich stürm herbei — 
von dannen Klingsor lachend schwand, 
den heilgen Speer hat er entwandt. 

Des Königs Flucht gab kämpfend ich Geleite; 

Doch eine Wunde brannt’ ihm in der Seite. 

Die Wunde ist’s, die nie sich schließen will. 

Kundry bringt reuig Balsam, den kranken König zu 
heilen. Vergebens. Aber ein Traumgesicht verkündet 
dem Amfortas tröstend: 

Durch Mitleid wissend 
der reine Tor, 
harre sein, 
den ich erkor. 

Dieser „Tor“, ' der durch Mitleid wissend wird, sich aber 
seine Reinheit bewahrt, ist Parsifal. Zagend erscheint 
er, tötet einen Schwan, hört Gumemanz’ Vorwürfe, weiß 
nichts vom Gralsgebote, das Tiere zu töten verbietet, 
zerbricht den Bogen, bedeckt seine Augen mit der Hand. 
Die Knappen tragen den geschossenen Schwan auf einer 
Bahre fort. 

Nicht gerade hinreißend: die Einappen mit dem Vogel, 
Parsifal mit der Hand vor den Augen, nachher zitternd, 
hinsinkend, die klagenden Ritter, der jammernde König. 

Kundry erkennt Parsifal, berichtet vom Tode seiner 
Mutter, wird dafür von ihm fast erwürgt. Von Gume- 
manz zurückgerissen, erbebt er heftig, fällt hin, stammelt: 
„Ich verschmachte.“ Kundry labt ihn mit Wasser; aber 
ihr Meister ruft sie mit magischer Femwirkung und sie 
schleppt sich ins Gebüsch. Man stellt unwillkürlich ro- 
buste mittelalterliche Zauberei und moderne Hysterie ver- 
gleichend nebeneinander. Gumemanz geleitet Parsifal zur 
Gralsburg, in der nun das heilige Mahl gefeiert wird. 
Richard Wagner läßt in der Darstellung dieser Feier 
Wolfram von Eschenbach weit hinter sich; ihm stehen 
viel reichere Mittel zu Gebote wie dem mittelalterlichen 
Epiker. Parsifal schaut und horcht staunend, sagt und 
fragt nicht. Gumemanz rüttelt ihn: 

Was stehst du noch da? 

Weißt du, was du sahst? 

Parsifal faßt sich krampfhaft (etwas theatralisch!) ans 
Herz und schüttelt dann ein wenig mit dem Haupte. 

Gumemanz öffnet ihm eine schmale Seitentür und stößt 
ihn hinaus mit den Worten: 

Du bist doch eben nur ein Tor! 

Dort hinaus, deinem Wege zu! 

Doch rät dir Gumemanz: 

laß du hier künftig die Schwäne in Ruh 

und suche dir Ganser die Gans. 

Eine Stimme aus der Höhe aber singt: 

Durch Mitleid wissend 
der reine Tor, 
harre sein, 
den ich erkor. 


267 



Der Parsifal und der Gurnemanz von Richard Wagner 
sind hier nur schwache Kopien der gleichnamigen Ge- 
stalten des Wolfram von Eschenbach. 

Im zweiten Aufzuge stürmt Parsifal des Zauberers 
Klingsor Burg. Er springt vom Walle herab in den 
blühenden Garten, in dem die Blumenmädchen ihn erst 
mit Vorwürfen, dann mit Liebeswerbung anfallen. Sie 
streiten miteinander um seine Gunst, bis er sie mit den 
Worten verscheucht: „Laßt ab! Ihr fangt mich nicht.“ 

Nun muß auf Klingsors Geheiß Kundry ihre Verfüh- 
rungskiinste erproben. Sie ruft ihn beim Namen, den 
er selbst vergessen, und erzählt ihm zum zweiten Male, 
daß seine Mutter gestorben ist. 

Parsifal, im Kreise der Mädchen der verführerischen 
Absicht unbewußt, seinen eigenen Namen nicht mehr 
kennend, den Tod der Mutter nicht mehr wissend. Schlim- 
mer konnte Wagner die Gestalt des mittelalterlichen 
Rittersängers nicht zurichten. Zusammenbrechend läßt 
Parsifal Kundry an sich heran, schreckt aber bei ihrem 
Kuß empor, preßt die Hände wieder krampfhaft aufs 
Herz, verzerrt schmerzvoll das Gesicht und — ist plötz- 
lich wissend. Eine unmögliche Wandlung für solch einen 
unwissenden Jungen! 

Noch mehr. Kundry vertraut ihm die eigene Qual, 
den Fluch, der ihr folgt, seit sie den kreuztragenden Hei- 
land verlacht. Nur eine Stunde mit Parsifal vereint, 
und ihr winkt Erlösung. Aber er, der eben noch nicht 
einmal seinen Namen gewußt, gibt ihr jetzt die hohe 
Antwort: 

„In Ewigkeit wärst du verdammt mit mir für eine Stunde 
Vergessens meiner Sendung in deines Arm’s Umfangen. Auch 
dir bin ich zum Heil gesandt, 
bleibst du dem Sehnen abgewandt. 

Die Labung, die dein Leiden endet, 
beut nicht der Quell, aus dem es fließt; 
das Heil wird nimmer dir gespendet, 
wenn jener Quell sich dir nicht schließt. 

Kundry rast und ruft Klingsor herbei. Dieser schwingt 
den heiligen Speer, der jedoch über des Reinen Haupt 
schweben bleibt und ihm nun zur Waffe dient. Das 
Zauberschloß stürzt zusammen; über den Trümmern ruft 
Parsifal der unseligen Verführerin zu: „Du weißt, wo 
einzig du mich wiedersiehst.“ 

Er findet sie im dritten Aufzug am Karfreitag bei 
Gurnemanz. „Dienen — dienen“ ist ihr Verlangen. Auch 
ihm dient sie, wie einst Magdalena dem Erlöser; er spen- 
det ihr die Taufe und gibt ihr den Friedenskuß. 

In sanftem Glanz erstrahlen Hain und Flur: Karfrei- 
tagszauber! Und wundersam schön singt der Dichter 
(nicht der Musiker): 

Des Sünders Reuetränen sind es, 
die heut mit heilgem Tau 
beträufet Flur und Au: 
der ließ sie so gedeihen. 

Nun freut sich alle Kreatur 
auf des Erlösers holder Spur, 
will ihr Gebet ihm weihen. 

Ihn selbst am Kreuze kann sie nicht erschauen: 
da blickt sie zum erlösten Menschen auf; 
der fühlt sich frei von Sündenangst und Grauen, 
durch Gottes Liebesopfer rein und heil. 

Das merkt nun Halm und Blume auf den Auen, 
daß heut des Menschen Fuß sie nicht zertritt, 
doch wohl, wie Gott mit himmlischer Geduld 
sich sein erbarmt und für ihn litt, 
der Mensch auch heut in frommer Huld 
sie schont mit sanftem Schritt. 

Das dankt dann alle Kreatur 
was all da blüht und bald erstirbt, 
da die entsündigte Natur 
heut ihren Unschuldstag erwirbt. 

Und wiederum im Heiligtume des Gral. Amfortas 
zeigt seine Wunde und bittet um den Tod durch der 
Ritter Schwerter. Parsifal heilt ihn mit dem heiligen 
Speer und tritt sein Amt als Gralskönig an. Kundry 
sinkt entsühnt und entseelt vor dem Grale nieder. 


4. Das Parsifal-Myslerlum. 

„Ein schöneres, edleres Vermächtnis als den Parsifal 
hätte uns der Meister nicht hinterlassen können. Wäre es 
möglich, daß das jemals in Erfüllung ginge: ,Es soll eine 
Heerde und ein Hirt werden' — durch den Parsifal könnte 
es geschehen . . .“ 

„Wagners Parsifal ist im hervorragenden Sinne unser 
Nationaldrama zu nennen ..." 

„Wir dürfen auch das Weihefestspiel ein Friedenswerk 
nennen, nämlich als das Symbol der höchsten Feier eines 
Volkes, das ... die Aufgabe hat, eine Friedensmacht zu 
sein ..." 

„Der Parsifal nimmt ... als religiöses Musikdrama 
eine Einzelstellung unter Wagners Werken ein. Die Hand- 
lung wird am Schlüsse des ersten wie des dritten Auf- 
zuges zum Gottesdienst; die Vorgänge der Fuß- 
waschung und Salbung sind biblischen Ursprungs, Parsifal 
steht im dritten Aufzug als ein für die Regungen der 
Weltlust erstorbener Heiliger vor uns, dessen Entschlüsse 
im voraus bestimmt sind, dessen Handeln nichts mehr 
von der für einen dramatischen Charakter unerläßlichen 
freien Willensbestimmung an sich trägt . . .“ 

So äußern sich Richard Wagners Verehrer, nennen 
Kunst und Religion, Schauspiel und Gottes- 
dienst in einem Atem. Kunst und Künstler, Kunst- 
werk und künstlerische Absicht werden heilig und 
göttlich gepriesen. 

Ist das berechtigt? 

Die künstlerische Tat erscheint immer und überall als 
eine wunderbare Schöpfung der dem Menschengeiste ver- 
liehenen Gestaltungskraft. Der Dichter, der Musiker zau- 
bert gleichsam aus dem Nichts seine Kunstwerke hervor 
und nimmt dadurch Teil an göttlicher Macht und Kraft. 
Wir werden eigen ergriffen von dem, was er schafft und 
gestaltet, es berührt uns wie eine Offenbarung aus einer 
höheren Welt und hebt unsere Gemütsstimmung für eine 
Weile in eine ähnliche Welt hinauf. 

Der Künstler fühlt sich auch selbst als Schöpfer; seine 
außerordentliche Leistung führt ihn auch wohl zur Ueber- 
hebung, zum Größenwahn der Gottähnlichkeit. Bei ruhi- 
gem Nachdenken aber gesteht er, daß er nicht weiß, woher 
ihm die herrlichen Inspirationen zu seinen Werken kom- 
men, und er gibt dem Gott in ihm die Ehre. 

Seit altersgrauen Zeiten haben die Künstler ihre Kunst 
zumeist in den Dienst der Religion gestellt; die schönsten 
Bauwerke der Antike sind dem Kult des höchsten Wesens 
geweiht. Die Kunst darf aber auch ohne diese kultische 
Zweckbestimmung religiös genannt werden, weil sie 
unser Gemüt über den Alltag, in eine höhere, übersinn- 
liche Sphäre zu erheben vermag; weil sie geeignet ist, die 
niedrigen und höheren Triebe im Menschen zu der Har- 
monie zu vereinen (religare), die der Endzweck aller Re- 
ligion ist. Jedoch sind Kunst und Religion nicht 
eins, zum mindesten nicht für den Gottesgläubigen, 
dessen Denken und Empfinden zwar durch die Kirnst zu 
Gott gelenkt wird, dem Gott sich aber nicht unmittelbar 
durch die Kunst offenbart; der die schöpferische Kraft 
im Künstler als eine von Gott verliehene wertet, dem 
Kunstverständnis und Kunstgenuß rein menschliche, nicht 
religiöse, Betätigungen sind. 

Die Mehrzahl derer, die den „Parzival“ des Wolfram 
von Eschenbach lesen oder den „Parsifal“ von Richard 
Wagner hören und sehen, sind doch wohl solche, die an 
einen persönlichen Gott und Schöpfer der Welt glauben. 
Sie dürfen Kunst nicht mit Religion verwechseln; Par- 
sifal kann ihnen kein religiöses Kunstwerk sein. 

Wem aber Religion die innere Harmonie im Menschen 
bedeutet — und deren gibt es unzählige — , in dem kann 
der mittelalterliche sowohl wie der moderne Parzival zeit- 
weilig eine solche Einigung der niederen und höheren Triebe 
bewirken. Aber auch nur zeitweilig, nur als Hilfsmittel. 

Wenn der Gottgläubige nun Kunst und Religion nicht 


268 



gleichstellen darf, so kann er sie doch in Beziehung zu- 
einander bringen. Die Kunst kann in den Dienst der 
Religion treten, Tempel bauen, Kirchen schmücken, den 
Gottesdienst verherrlichen. Das war zu allen Zeiten eine 
hehre Aufgabe der angewandten Kunst, wenn sie auch 
dabei auf ihre Freiheit und Selbständigkeit verzichtete, 
anderenteils die künstlerische Leistung nicht genügend zu- 
gunsten der religiösen Absicht zurücktreten ließ. In an- 
derer Weise treten Kunst und Religion in Beziehung zu- 
einander, wenn der Künstler eine religiöse Idee gestaltet, 
ohne eine Verwendung für Kult und Kirche zu bezwecken, 
wie es Wolfram von Eschenbach und Richard Wagner 
im Parzival versucht haben. Sie schufen ein Kunstwerk, 
kein religiöses Werk; sie gestalteten so, wie sie empfanden; 


aus und fordert jene Treue, durch die sie erst zur sitt- 
lichen Lebensmacht wird.“ Die gleiche Treue wird auch 
von dem Weibe gefordert, sonst entbehrt sie die höchste 
weibliche Tugend, die Schamhaftigkeit. Da Wolfram von 
Eschenbach Parzival und Kondwiramur mit dieser Treue 
ausstattet, darf er es wagen, Kondwiramur in sein Schlaf- 
zimmer und auf sein Lager zu führen, wo sie seine Hilfe 
in ihrer Not erbittet, ohne daß sich beide das Geringste 
vergeben. Treue um Treue! 

Parzival ist der „Dumme“, der Tor, aber zugleich der 
„Klare“, der Reine. Selig, die reinen Herzens sind, denn 
sie werden Gott anschauen! Der Reine sieht auch den Gral; 
er wie Kondwiramur, seine Gattin, und Lohengrin, sein Sohn. 

Richard Wagner hat den Parzival des Wolfram von 



Zur Parsifal-Inszenierung in Leipzig. Das Gnadenwunder (Schlußszene). 

Plastische Monumentalarchltektur der Gralsburg. Nach Prof. Robert Engels. (Dies wie die folgenden Kostüm-Bilder, 
ebenfalls nach Engels, slndjins von den Photugr. Tltzenthaler & Vogel in Leipzig sur Verfügung gestellt worden.! 


sie bezeugten nicht die Religion schlechthin, sondern 
ihre Religion. 

Man hat Eschenbachs Parzival als eine Verherrlichung 
des Christentums gepriesen, dessen Sieg über das Heiden- 
tum darin gefeiert werde; das Epos ist aber doch nur 
eine weltliche, ritterliche Dichtung mit religiösem Ein- 
schlag. Das Rittertum war Wolframs Ideal, jene echte 
Männlichkeit, die Treue gegen Gott und Menschen, nicht 
zuletzt gegen sich selbst, als das Höchste hält. Sogar 
gegen Gott empört sich Parzivals gekränkter Mannesstolz. 
Den Dienst kündet er ihm auf — „und hat er Haß, ich 
will ihn tragen“. Aber er gelangt wieder zu ihm. Un- 
treue lernt der Held verabscheuen und Zweifel; im Zweifel 
ist Wankelmut, unzuverlässige Gesinnung. Seine Wehr 
ist nicht der christliche Glaube, denn diesen muß er erst 
kennen lernen, sondern seine angeborene mannhafte 
Tüchtigkeit. Die Treue gegen sich selbst führt ihn aus 
allen Irrwegen, Versuchungen und Gefahren zum Königs- 
thron in der Gralsburg. 

„Die Liebe ist ihm nicht Befriedigung der Sinnenlust 
allein, sondern geht nur von dieser natürlichen Grundlage 


Eschenbach in einem Briefe an Mathilde Wesendonk 
(Nb. 75) zuerst „für reichlich konventionell und jedes 
tieferen Sinnes bar“ gehalten. Später aber ist er doch 
von dem Stoff ergriffen worden. Bei der Nachdichtung 
hat er sich aber nicht mit der frommen Legende des 
Mittelalters begnügt, sondern, wie schon hervorgehoben, 
Parsifal zum Trottel gemacht. Dann hat er biblische 
Worte und Begebenheiten zu Hilfe genommen, um den 
Eindruck, den der heilige Gral in unserer wunderfeind- 
lichen Zeit verfehlt hätte, zu retten und zu verstärken. 
Das war ein Mißgriff in künstlerischer wie 
ethischer Hinsicht. Zumal er die biblischen Worte 
durchaus nicht im kirchlichen Sinne gebraucht. Dadurch 
hat er zunächst die denkenden Mitglieder aller Konfessionen 
gegen sich aufgebracht. Die denkenden; denn unzählige 
nehmen die Worte der Knaben, Jünglinge und Ritter 
gedankenlos hin: 

Wein und Brod des letzten Mahles 
wandelt’ einst der Herr des Grales 
durch des Mitleids Liebesmacht 
in das Blut, das er vergoß, 
in den Leib, den dar er bracht. 


269 



Blut und Leib der Opfergabe 
wandelt heut zu eurer Labe 
der Erlöser, den ihr preist, 
in den Wein, der nun euch floß, 
in das Brod, das heut euch speist. 

Nehmet vom Brod, 
wandelt es kühn 
zu Leibes Kraft und Stärke, 
treu bis zum Tod, 
fest in Müh’n 

zu wirken des Heilands Werke. 

Nehmet vom Wein, 

'wandelt ihn neu 
zu Lebens feurigem Blute, 
froh im Verein 
brüdertreu, 

zu kämpfen mit seligem Mute. 

Wagner bringt diese Gesänge unmittelbar nach den Ein- 
setzungsworten des Evangeliums: 

„Nehmet hin meinen Leib, nehmet hin mein Blut, um 
uns'rer Liebe willen, auf daß ihr mein gedenkt.“ 

Der gläubige Christ muß sich nun entrüsten, daß 
Wagner hier dem Abendmahle ganz und gar das Wunder- 
bare nimmt — von der katholischen Lehre der Trans- 
substantiation bis zur kalvinischen und lutherischen Auf- 
fassung — und auf die vorchristliche Opferfeier 
der ältesten Kulturvölker zurückgeht. 

Christus verwandelte, nach Richard Wagner, Brot und 
Wein auf ganz natürliche Weise, durch die Verdauungs- 
tätigkeit in sein Fleisch und Blut, das er dann am Kreuze 
für die Menschen opferte. Diesen Leib und dieses Blut 
wandelt er heut in Brot und Wein. Nehmet und trinket 
und wandelt ihr es wieder in Leibes Kraft und Lebens Blut. 

Richard Wagner hat mit dieser Auffassung und Dar- 
stellung sowohl der Entkirchlichung der Menschheit er- 
folgreich vorgearbeitet, als auch auf die Mysterien der 
vorchristlichen Zeit zurückgegriffen. Diese letzteren 
wird natürlich kein moderner Mensch mehr praktisch auf- 
nehmen, aber auf der Bühne läßt er sie ganz gerne noch- 
mals auf sich einwirken. 

In diesem Sinne kann man den Wagner-Verehrern beä- 
stimmen, wenn sie ausrufen: „Nicht eine Oper war es, 
was wir sahen — ein Mysterium erlebten wir.“ 

den Frommen die 
Sicherheit des 
ewigen Lebens 
verschaffen. Als 
Mittel dazu reich- 
ten sie ihnen eine 
geheimnisvolle 
Speise. Schon in 
dem uralten baby- 
lonischen Epos 
Gilgamesch ist von 
mystischen Bro- 
ten die Rede, de- 
ren Genuß die 
Unsterblichkeit 
gewährte. Im Pa- 
radiese der Bibel 
sollte dies die 
Frucht von dem 
Baume des Lebens 
bewirken. Die 
Götter des Olymp 
erhielten ihr Le- 
ben durch Ambro- 
sia und Nektar, 
die Gottheiten der 
Edda durch die 
Aepfel der Idun. 
Die Tempeleisen 
durch den Grals- 
kelch. Die Einge- 


weihten von Eleu- 
sis tranken das 
Kykeon und aßen 
Gebäck aus dem 

„mystischen 
Korbe“. Die Mi- 
thrasjünger ver- 
zehrten geweihte 
Speisen, die die 
Unsterblichkeit 
mitteilten und 
nichts anderes wa- 
ren als der Gott 
selbst, an dessen 
Wesen seine Gläu- 
bigen teilnahmen, 
indem sie von ihm 
aßen und tranken. 

Dieser in vielen 
Gestaltungen vor- 
kommende My- 
sterienglaube, dem 
Wagner unver- 
kennbar in sei- 
nem Parsifal hul- 
digt, stammt aus 
der altersgrauen 
Vorzeit der Ur- 
völker, die nur 
einen Gott, den 
Gott des Feuers und des Lichtes kannten. Die heilige 
Flamme des häuslichen Herdes, die nie erlöschen durfte, 
galt als der Gott, der Ahnherr des Menschengeschlechtes, 
der Familie. Der Hausvater saß mit seiner Familie 
bei dem Mahle, das über dem Herdfeuer bereitet wor- 
den, also gleichsam eine Gabe des Gottes war. In 
dem Mahle glühte noch die feurige Kraft des Gottes, 
und die Essenden nahmen diese Kraft in sich auf, 
gewannen Teil an dem göttlichen Wesen. Zugleich war 
der Gott auch Gast am Tische der Seinigen , die 
ihm von dem Mahle opferten, durch Libationen und 
Oblationen, indem sie Teile des Mahles der Flamme des 
Herdfeuers übergaben — der jüdische Opferdienst baute , 
sich auf diesem Brauche ganz und gar auf — der Gott 
ging mit der Speise in seine Kinder ein und zwar zu- 
gleich ihr Gast am täglichen Mahle. Als solcher ver- 
zehrte er sich selbst, war Opfer und Opfernder zugleich. 
Seine Gläubigen fühlten die Kraft des göttlichen Ahn- 
herrn in sich und sahen ihn vor ihren Augen als wär- 
mende, leuchtende Flamme. 

Diesem animistischen Glauben ist auch der Kannibalis- 
mus entsprungen; denn mit dem Fleisch und Blute des 
Feindes vermeinte man auch dessen Kraft und Mut sich 
einzuverleiben. 

Aus der gleichen Vorstellung heraus verzehrte der Na- 
turmensch die stärksten Tiere; nicht nur nähren wollte 
er sich von ihnen, sondern auch ihre Kraft und Wildheit 
in sich aufnehmen. 

Ein orgiastischer Rausch, ein begeisternder Pantheis- 
mus ist die Wurzel und Blüte des antiken Mysteriums; 
seine geprüften, geweihten, gereinigten Jünger vereinigten 
sich in einer pantheistischen Ekstase mit der Gottheit. 

Vorher sahen und erlebten sie eine dramatische Dar- 
stellung des Mysteriums. „Sie sahen z. B. (vergl. Drews 
Christusmythe) wie Mitbras den heiligen Stier, das Urbild 
der Stärke und Zeugungskraft, tötete; oder wie Isis durch die 
Lande irrte, den zerstückelten Leichnam ihres von Typhon 
gemordeten Gemahls zusammenfügte und in den Sarg 
legte; oder wie Osiris in der Barke den Strom zum Toten- 
reich hinunterglitt; oder wie der tote Adonis von den 
weheklagenden Frauen ins Grab gelegt wurde, und hörten 
den Jubel, wenn der gemordete Gott nach drei Tagen 
wieder auferstand. Dann gab man ihnen die mystischen 




270 



Speisen zu kosten und teilte ihnen die frohe Botschaft denn es hebt ihn 

mit : Osiris ist in dich eingegangen, auch du bist jetzt immer wieder em- 

Osiris. Auch du erstehst wieder nach dem Tode, du fährst por in der Oede 

den Strom hinab und überwindest die Dämonen.“ des Alltags, be- 

Der fromme, gläubige Jünger war im Innersten er- sänftigt ihn in der 

schüttert und erhoben, „Das Höchste und das Dunkelste Stunde der Lei- 
hatten sich miteinander verknüpft: die innerliche religiöse denschaft, macht 

Erfahrung und der Aberglaube der Urzeit.“ ihn schamrot, 

Das Gleiche scheint dem gläubigen Wagnerianer im wenn er auf Ab- 

Parsifal zu geschehen. wege gerät. Die 

von ihm geschaf- 

5. Erlösung dem Erlöser. fene Verkörperung 

des Ideals, das 

„Erlösung dem Erlöser!“ erklingt es zuletzt im Heilig- glückliche Stun- 

tume des Grals. Das soll einesteils heißen: jetzt wird den der Weihe in 

Parsifal erlöst, der Kundry die Erlösung gebracht hat. ihm geboren, ist 

Anderenteils : Amfortas, der früher den Tempeleisen Leben sein Christus, sein 

und Heil vermittelt hat, wird nun von seinem Leid er- Erlöser geworden, 

löst. Oder es hat als „höchsten Heiles Wunder“ eine Aus diesem Ge- 
tiefere Bedeutung. Der göttliche Erlöser soll selbst der dankengang her- 

Erlösung bedürftig sein. Eine göttliche Tragödie! Der aus mag Richard 

Sünder beleidigt nicht nur Gottes Majestät, sondern kränkt Wagner seinen 

sie auch, so daß Gott darunter leidet. Parsifal geschlos- 

Ein antiker Gott, ein vergöttlichter Mensch ist dieser sen haben mit dem 

Gott, aber nicht der unendliche, allmächtige Herr des Rufe: 

Himmels und der Erde, der in ewiger Wonne und himmlischer „Erlösung dem 

Herrlichkeit thront, den kein Sterblicher kränken kann. Erlöser!“ 



Parsifals Sünde soll als Herzlosigkeit erscheinen. Kundry 
hatte sich dieses Frevels in noch höherem Grade schuldig 
gemacht, da sie den leidenden Heiland verlachte. Darum 
ist sie zu diesem schrecklichen Lachen, zu dieser Herz- 
losigkeit verdammt, muß einen Gralsritter nach dem an- 
deren verführen. 

Wie wird solcher Frevel gesühnt? Einzig durch Par- 
sifals Mitleid, dem Abbilde göttlicher Barmherzigkeit. 
Parsifal erscheint, wie der katholische Priester, als „alter 
Christus“, als anderer Christus, als anderer Erlöser. 

Das ist die Religion des Mitleides, die Religion eines 
Künstlers; denn jedem großen Künstler wird sein Ideal 
zur Religion. Bei dem alternden Wagner war es die 
Verherrlichung edler Menschlichkeit. Das wirkliche Leben 
ist meistens dem Egoismus verfallen; der Künstler läßt 
nun auf der Bühne das Mitleid lebendig vor uns erstehen 

und zeigt uns ver- 



E. KLINGHAMMER 

als Kllngsor. (Leipzig« Pazsifal-Aufführung.) 


lockend das, was 
die Wirklichkeit 

brutal unter- 
drückt, um uns 
wieder dafür zu 
erwärmen und zu 
begeistern. Jedes 
Kunstwerk sollte 
dies tun; dann 
diente es der 
Menschheit eben- 
sogut wie die Re- 
ligion, dann wäre 
sein Schöpfer ein 
Priester, ein Er- 
löser. 

Erlösung dem 
Erlöser! — Der 
Künstler ist selbst 
der Erlösung be- 
dürftig, weil er 
auch nur ein 
Mensch, ein Sün- 
der, der vielfach 
strauchelt und 
fällt; ihn selbst 
erlöst das Kunst- 
werk, das der Gott 
in ihm gewirkt; 


Ein Gottgläubiger i. u N i G rini 

War Richard Wag- als Kundry. (Leipziger Parsifal- Aufführung.) 

ner nicht. Er 

spricht sich zwar über seine Gottesidee nirgends klar aus, 
erscheint aber als Pantheist. „Ein persönlicher Gott ist 
ihm eine eingeschmuggelte Idee vom jüdischen Schöpfer 
des Himmels und der Erde“ und des „jüdischen Jehovah 
als Vaters“. „Der Jehovah im feurigen Busche, selbst 
auch der weißbärtige, ehrwürdige Greis, der etwa als Vater 
segnend auf seinen Sohn aus den Wolken herabblickte, 
wollte, auch von meisterhaftester Künstlerhand dargestellt, 
der gläubigen Seele nicht viel sagen.“ (Religion und 
Kunst S. 6.) Christus am Kreuze ist ihm der Inbegriff 
aller mitleidsvollen Liebe; sein Beispiel reißt zur Nach- 
ahmung hin durch Brechung der Selbstsucht. 

„Die Armen im Geiste“ verstanden diese Lehre; den. 
„Reichen im Geiste“ war sie zu einfach; sie machten 
philosophische Probleme draus. Die Kirche aber schmie- 
dete sie zu Dogmen um und führte den „Göttlichen am 
Kreuze auf den jüdischen Schöpfer des Himmels und der 
Erde zurück“ (a. a. o. S. 6). Diese „alttestamentarische 
christliche Kirche“ ist darum auch unfähig geworden zur 
Regeneration des tief gefallenen Menschengeschlechtes. 

Die Entartung des Menschengeschlechtes ist bewirkt 
worden durch seinen Abfall von der Pflanzennahrung 
(a, a. O. S. 26). Darauf weist Christus hin, wenn er (statt 
der Tieropfer) Brot und Wein zum Mahle reicht und dies 
immerfort zu tun befiehlt. Im Parsifal hat Wagner dieser 
seiner Ansicht den schon hervorgehobenen poetischen Aus- 
druck verliehen. 

Wagners „Göttlicher am Kreuze“ ist also nicht der 
Gottessohn, zu dem der gläubige Christ betet. Parsifal, 
die Gralsritter, alle Menschen sollen ihn nachahmen. 
Manche Besucher des „Weihefestspieles“ sind ergriffen und 
gerührt, sind wieder „fromm geworden“, haben wieder 
„beten gelernt“. 

„Was soll das heißen?“ fragt H. v. d. Pfordten. „Wenn 
es mehr sein soll als Empfindungsschwelgerei und stam- 
melndes Entzücken, wenn wir wirklich wieder einmal ge- 
packt worden sind von einer Seite, von der wir es nicht 
mehr gewohnt waren, wenn längst verlorene Stimmungen 
wieder wach, längst verrauschte Empfindungen wieder 
lebendig geworden sind, wenn eine Ahnung uns. neu er- 
füllt von einer Welt von Mächten und Gestalten, die im 
Lärm des Alltags uns entschwunden waren, so ist es 
gleichgültig, wie wir das nennen: Andacht, ideale Re- 


271 


gung, oder wie wir sonst wollen. Sicher ist es etwas 
Schönes, Großes, Tiefes, was uns da berührt, etwas ganz 
anderes als die ganze Interessensphäre, in der sonst unser 
Leben sich abspielt. Wenn es nur nicht bei dieser Un- 
bestimmtheit bleibt; wenn nur der Eindruck, den das 
Kunstwerk uns vermittelt, nicht im Fluge verweht, so- 
bald die Feierstunde dem Werkeltage weicht. Lieber 
weniger schwärmen und mehr mitnehmen; nicht nur em- 
pfinden, sondern auch ein wenig darüber nachdenken; 
nicht ewig unbewußt genießen, sondern auch bewußt 
wollen — das wäre das Ethos der hohen Kunst.“ 

Ob mittelalterlich oder neuzeitlich, Epos oder Musik- 
drama, Parzival oder Parsifal: wahre Kirnst weckt wahres 
Gefühl. Wahre Kunst ist auch sittlich, weckt also wahres 
Ethos. „L’ärt pour l’art ist künstlerische Blasphemie 1 .“ 

Ganz anders urteilt Friedrich Nietzsche. „Ich war einer 
der korruptesten Wagnerianer . . . Ich war im Stande, 
Wagner ernst zu nehmen . . . Ah, dieser alte Zauberer! 
was hat er uns Alles vorgemacht! Das Erste, was seine 
Kunst uns anbietet, ist ein Vergrößerungsglas: man sieht 
hinein, man traut seinen Augen nicht. Alles wird groß, 
selbst Wagner wird groß...“ 

„Was für eine kluge Klapperschlange! Das ganze Leben 
hat sie uns von .Hingebung', von , Treue', von .Reinheit' 
vorgeklappert, mit einem Lobe auf die .Keuschheit' zog 
sie sich aus der verderbten Welt zurück! — Und wir 
haben’s ihr geglaubt.“ 

„Goethe hat sich einmal die Frage vorgelegt, was die 
Gefahr sei, die über allen Romantikern schwebt: das 
Romantiker- Verhängnis. Seine Antwort ist : am Wieder- 
käuen sittlicher und religiöser Absurditäten 
zu erstic ken . . . . Kürzer: Parsifal." 

Oder „ist der Parsifal Wagners“, fragte Nietzsche sich 
in „Jenseits von Gut und Böse“, „sein heimliches 
Ueberlegenheits-Lachen über sich selber, der Triumph 
seiner letzten höchsten Künstler-Freiheit, Künstler-Jen- 
seitigkeit — Wagner, der über sich zu lachen weiß? — 
Man möchte es wünschen; denn was würde der ernst- 
gemeinte Parsifal sein? — Ein Werk der Tücke, der 
Rachsucht, der heimlichen Giftmischerei gegen die Vor- 
aussetzungen des Lebens, ein schlechtes Werk. — 

Wir wollen, indem wir noch an das Gedicht erinnern, 
nicht weiter zitieren, setzen vielmehr den „Fall Wagner“ 
als bekannt voraus. Der Schluß des Gedichtes lautet: 

— Ist das noch deutsch? 

Erwägt! Noch steht ihr an der Pforte . . . 

Denn was ihr hört, ist Rom — 

Rom’s Glaube ohne Worte! 

Darin täuschte sich Nietzsche ganz gewaltig; denn nichts 
liegt Wagner ferner, wie wir gesehen, als Roms Glaube. 
Die evangelische Orthodoxie hat sich anfangs auch miß- 
gestimmt über die katholisierende Tendenz des Parsifal 
ausgesprochen. Die katholische kann ihn dagegen nicht 
entrüstet genug wegen seiner „Gottlosigkeit“ und „Frivoli- 
tät“ verdammen. 

„Ein Mysterium,“ schreibt 1885 der Jesuit Th. Schmidt, 
„soll Parsifal sein. Der Geist, der die Schrift „Religion 
und Kunst" eingegeben hat, der sie durchweht und aus 
ihr spricht, schafft allerdings auch Mysterien, doch nicht 
im Sinne der Freunde Wagners, sondern wie der hl. Jo- 
hannes im apokalyptischen Bilde auf der Stirne des Weibes 
geschrieben las: Mysterium: Babylon magna." 

„Christus, der Erlöser, den der Kirchenglaube gebunden 
hielt, findet Erlösung durch die Kunst. .Erlösung dem 
Erlöser!' Der ästhetische Genuß wird zum Gottesdienst, 
das Theater zum Heiligtum, wo wir selbst der Erlösung 
vorempfindend teilhaftig zu werden glauben. ,wenn alle 
Erscheinungsformen der Welt uns wie im ahnungsvollen 
Traume zerfließen'." 

Die Tendenz führt, nach demselben Kritiker, einen 


1 Danüt beweist H. v. d. Pfordten, daß er den Sinn dieses 
Satzes gründlich mißversteht. Red. 


„himmelschreienden“ Unterschied zwischen „Parzival“ und 
„Parsifal“ ein. 

„Parzival ruht auf positiv christlich-religiöser (katho- 
lischer) Grundlage. ... In der Parsifal-Dichtung Wagners 
möchte es dagegen allernächst schwer fallen, überhaupt 
eine alles verbindende, beseelende und belebende Grund- 
idee herauszufinden, wenigstens solange man die Dich- 
tung isoliert von .Religion und Kunst' betrachtet. An- 
ders freilich wird die Perspektive, wenn wir beide Zu- 
sammenhalten. Unser Urteil geht deshalb dahin, daß der 
Parsifal-Dichtung entweder gar keine höhere Grundidee 
unterliege, daß sie vielmehr nur ein geschickt und kunst- 
fertig gefügtes Spiel aus mehr äußerlich verbundenen 
Momenten der Parzival-Dichtung biete, oder daß der 
Grundton der ganzen Wagnerschen Bühnenschöpfung durch 
die in .Religion und Kunst' vertretenen, das Christen- 
tum verhöhnenden und verleugnenden Ideen 
gebildet werde. Wir sehen auch keinen Grund, das 
Letztere in Abrede zu stellen.“ 

So der Kritiker S. J. in den Laacher Stimmen 1884, 
der manchen gläubigen Katholiken den Genuß des Par- 
sifal gründlich verekelt hat. Von seinem Standpunkt aus 
allerdings mit einer gewissen Notwendigkeit; denn eine 
Kirche, deren Lehrgebäude auf Autorität und Dogma ge- 
baut ist, kann keine Religion gut heißen, die aus dem 
Gefühle des einzelnen Menschen geboren wird. Sie muß 
auch ein Kunswerk ablehnen, das von solcher Gefühls- 
religion durchtränkt ist. 

Der Jesuit läßt den Parsifal als Kunstwerk gelten. Die 
Tendenz wird ihm, meint er, „in unserer christusfeindlichen“ 
Zeit doppelten Erfolg verschaffen, zumal auch „die Loge“ in 
ihm „eine Kraft ersehen hat, die ihren Zwecken überaus 
dienlich ist.“ . . . Darum darf Wagners Kunst auch „des 
Beifalls dieser Welt für jetzt sicher sein; denn sie trägt 
ja auf ihrer Stirne leserlich genug das Schiboleth: 

Mysterium, Babylon magna, mater fornicationum et 
abominationum terrae.“ 

Und mit grimmigem Behagen zitiert er im Kontrast 
zu der Weihe des Festspieles Wagners burschikosen 
Trinkspruch am Vorabend der Aufführung 1882: 

„Meine Herrschaften! Wir Mitwirkende bei der Auf- 
führung des Parsifal, ich und die Künstler, wir haben 
den Teufel im Leibe. Wenn Sie Alle morgen Abend nicht 
ebenfalls den Teufel im Leibe haben — dann ist es mit 
dem Parsifal nichts.“ 

Extrema se tangunt. Der Jesuit und der Philo- 
soph kamen auf den verschiedensten Wegen zu der Ab- 
lehnung des „Parsifal“. Das richtige Urteil wird weder 
auf dem philosophischen noch auf dem theologischen, 
sondern auf dem geschichtswissenschaftlichen 
Wege zu gewinnen sein, der uns zu den antiken My- 
sterien führt. Wer ihn von diesem Standpunkt aus 
betrachtet, wird die Parsifal-Dichtung recht verstehen 
und bewerten. 


Für den Klavierunterricht.* 

Friedrich Chopin; Etüden op. 25. 

IV. 

D ie drei letzten Etüden No. 10 — 12 bedeuten in aus- 
gedehnten Formen angelegte Tongedichte, die gegen 
die vorhergehenden Miniaturen stark kontrastieren. Sie 
verlangen zu ihrer Lösung ausdauernde virtuose Technik 
in besonderem Maße und bilden daher in glücklicher Weise 
den geeigneten Uebergang zu op. 10, das ich, wie schon 


1 Die Artikelserie „Für den Klavierunterricht“, die wegen 
der umfangreichen Abhandlung über die Sonaten von Brahms 
unterbrochen worden ist, wird wieder regelmäßig fortgesetzt. 
Die vorhergehenden Aufsätze über Chopins Etüden stehen in 
den Heften 7, 9, 17 des vorigen Jahrgangs. 


272 


eingangs erwähnt, für bedeutender und schwieriger ein- 
schätze. Schwieriger nicht nur der technischen Aufgaben 
wegen, welche in ihm enthalten sind, sondern besonders 
aus dem Grunde, daß die Etüden des op. io helleren Glanz 
der Darstellung fordern als die anmutigeren Schwestern 
des op. 25. 

Den in Rede stehenden drei Etüden ist eine Eigenschaft 
gemeinsam, von welcher ihr Vortrag durchglüht sein muß, 
wenn die Wirkung nicht abgeschwächt werden soll, ich 
meine das Dämonische. Das wäre meines Erachtens in 
erster Einie zu bedenken. Einer unheimlichen Riesenschlange 
vergleichbar steigt No. 10 auf. Man beachte wohl die 
Vorschrift p poco a poco crescendo. Und vor allem legato. 
Zu letzterem ist zu bemerken, daß das Vorstudium, die 
Bindung des Daumens, von hohem Werte ist. Seine Ge- 
schmeidigkeit wird durch diese Vorübung wesentlich ge- 
fördert. Wie schon Etüde No. 8 erklärt, zeigen sich da 
so recht die Grenzen der Mögüchkeit des legato. Man 
belaste den Daumen nicht durch das Gewicht der schweben- 
den Hand, halte die letztere vielmehr leicht und hoch, um 
seine Tätigkeit nicht zu behindern. Durch geschicktes 
Drehen und Winden seiner vorderen Gelenke suche man 
nach Kräften ein legalissimo vorzutäuschen. Also zuerst 
folgendermaßen : 



Sind diese rudimenti überwunden, so kann mit dem Studium 
der beiden Hände in Oktaven begonnen werden, wozu sich 
zunächst der H dur-Teil, wenigstens für die rechte Hand, 
besonders empfiehlt. Man achte auf enge Bindung des 
4. und 5. Fingers beider Hände; hiebei hat man sich natür- 
lich vor einem Arpeggieren der Oktaven zu hüten. Die 
Zuziehung des 3. Fingers bedeutet für diejenigen, die 
es sich leisten können, eine große Erleichterung. Durch 
langandauemdes Studium wird endlich jene imponierende 
Oktaventechnik gewonnen — vorausgesetzt, daß die hiezu 
nötigen Bedingungen einer tadellosen Klavierhand ge- 
geben sind — , die gewaltige Wirkungen auszuüben im- 
stande sind, deren unser Instrument fähig ist, in denen 
es über alle anderen triumphiert. Aber diese dämonische 
Kraft wird nur durch ernsten Fleiß erzielt und erhalten. 
Keine Art von Technik verblaßt so jäh, als die des Ok- 
tavenspieles. Nach den ersten vier Takten des chroma- 
tischen Unisono, das als Introduktion bezeichnet werden 
kann, treten zur Andeutung der Harmonie füllende Stim- 
men hinzu; dieselben sollen kräftig angeschlagen werden 
und ihrem Werte entsprechend liegen bleiben. Auf die 
Bindung der Oktaven sollen sie eher von beförderndem 
Einflüsse als von hemmendem sein. Der Mittelsatz H dur 
ist Lento (J. = 42) überschrieben, also, wie der Metronom 
anzeigt, langsame %-Takte, nicht wie so vielfach mißver- 
standen, langsame Achtel. Das wäre eine arge Verkennung 
seines Inhaltes. Hinsichtlich der weiten Spannungen 



güt das bereits früher Gesagte, nämlich: Pedalanwendung 
bei kleinen Händen selbstverständlich notwendig, ebenso 
notwendig jedoch Wahrung der Reinheit der 
Harmonie. Die Baßnote, nicht die Tenomote, 
bringe man stets auf den betreffenden Taktteil, nicht 
vorher. Was den Ausdruck dieses Mittelsatzes anbelangt, 


so stehe er in starkem Gegensätze zu den beiden ihn um- 
schließenden Teilen; zart, lieblich sei sein Vortrag. Die 
Notwendigkeit des angegebenen Fingerwechsels bei dieser 
und ähnlichen Stellen 



wül mir nicht recht einleuchten; es ist Kraftvergeudung 
ohne ersichtlichen Grund. Ich meine, es genügte 



An der bezeichneten Phrasierung — zweitaktig, viertaktig, 
seltener eintaktig — ist festzuhalten. Die Darstellung 
des melodischen Inhaltes der überleitenden Takte erfordert 
volles Verständnis für ihre Zusammengehörigkeit, nämlich 



Die Vermutung, daß bei dem Eintritte der Dominante 
auf Fis ein Takt zu viel wäre, daß statt drei Takten deren 
zwei genügten, erweist sich, wie die Fortsetzung zeigt, 
als falsch. Die Wiederkehr des ersten Teiles, stark ge- 
kürzt, mit angefügtem Nachsatze beschließt dieses eine 
bedeutende künstlerische Interpretation voraussetzende 
Tongedicht, dessen harmonische Analyse aus allgemein 
musikalischen Gründen allen Kehrenden empfohlen sei. 

Das zweitaktige Motiv 


Lento 



bildet den thematischen Kern der folgenden ausgedehnten 
Etüde No. 11. Wie Chopin es verwendet, muß als genial 
bezeichnet werden. Zur Bestätigung dessen vergleiche 
man damit die Erzeugnisse eines Ch. Mayer, und anderer 
geschätzter Klavierkomponisten der damaligen Zeit, um 
zu begreifen, wie turmhoch Chopin sich über das biedere 
Musikantentum seiner komponierenden Kollegen . erhob. 

Die einleitenden vier Takte, gewissermaßen die Ueber- 
schrift, lento, d. i. langsam, aber nicht zu langsam; man 

übersehe nicht ifj. Wie bekannt, ist die Sextole, eine Auf- 
einanderfolge von 3x2 Tönen, nicht aber von 2x3; 
hieraus ergibt sich die folgende Einteilung der entschieden 
und kraftvoll abstürzenden chromatischen Skala, 



zu deren glatter Bewältigung in erster Kinie ein tadelloser 
Fingersatz empfohlen wird. Auch der Fingerwechsel bei 
der Akkordverbindung (in der linken Hand) 


273 





:güE— ' 


£ 


! 1 
5 3 


werde aus technischen Gründen wohl beachtet. Das ge- 
forderte Allegro con brio (J = 69) verlangt hochentwickelte 
Fingertechnik, die man bei Czemy und Clementi durch 
jahrelanges Studium bereits erworben haben muß. Und 
diese Fingertechnik darf nicht glatt und leer klingen, 
sondern sie muß erfüllt sein von vulkanischem Feuer und 
leuchtendem Glanze. Jeder Finger sei an Durchbildung 
ein Meister. Nur dann wird es gelingen, der Etüde in 
der vorgeschriebenen Weise auch nach ihrer poetischen 
Seite hin gerecht zu werden. Daß hiebei der linken Hand 
eine bedeutende Rolle zukommt, ist vollkommen klar. 
Aus diesem Grunde sei ihr Einzelstudium vorzunehmen. 
Viel Verständnis verlangt gerade bei dieser Etüde die 
Pedalbehandlung. Aus technischen und musikalischen 
Gründen ist seine Anwendung gewiß unerläßlich, aber man 
hüte sich vor Mißbrauch. Es ist zu hoffen, daß die musi- 
kalische Bildung und pianistische Kultur des Spielers 
hierin wohl das Richtige treffen werde. Bezüglich der 
Ausführung der Akkorde der linken Hand S. 106, 4. Zeile 



wird auf schon wiederholt Gesagtes hingewiesen, ebenso 
neuerdings die Analyse des Stückes empfohlen, um völlige 
Vertrautheit mit dem harmonischen Gerüste zu schaffen. 
Hierin muß absolute Klarheit bestehen, auch an Stellen, 
wie beispielsweise S. 109, Zeile 2, 



die den Unkundigen leicht verwirren können. Sache des 
Lehrers wird es sein, hier belehrend und aufklärend einzu- 
setzen. Nicht zu übersehen ist die Betonung des rhyth- 
mischen Motives S. 109, 4. Zeile: 


nflf 4 flf f f 

Die Schlußpassage läßt, je nach dem Stande des technischen 
Besitzes des Spielers, mehrere Arten der Ausführung zu, 
die jedoch sich darin gleichen müssen, daß sie eine mög- 
lichst rasche, virtuose Wiedergabe der Skala verlangen. 
Jedenfalls richte man die Sache so ein, daß der Abschluß 
ohne jede Erschütterung des rhythmischen Gefühles 
auf einen guten Taktteil erfolge, also auf eins oder drei. 
Dementsprechend setze man den Beginn der Passage fest, 
deren letzte Note scharf abgestoßen werden muß. 

Die letzte Etüde No. 12 erheischt nicht mindere Kraft 
und Ausdauer als die vorhergehende, wenn die Darstellung 
von Größe durchdrungen sein soll. Darin beruht vor allem 
das Geheimnis ihrer Wirkung. Und die Voraussetzung 
hiezu büdet vollkommene Durchbildung 
beider Hände, welche dem Spieler gestattet, all 
die feinen und feinsten Akzente im zartesten pp sowohl 
wie im dröhnenden ff auszuführen, welche das Kunstwerk 
von objektiver Starrheit zu subjektivem Leben zu erwecken 
imstande sind. Daß es daran nicht fehlen darf, ist bei 
einem wirklich künstlerischen Vortrage selbstverständlich. 
Ebenso selbstverständlich ist im vorliegenden Falle exaktes 


Zusammenspiel beider Hände und peinliche Sauberkeit. 
Ich empfehle, die Etüde in allen Stärkegraden, sowohl 
legatissimo 



als auch non legato und staccato zu üben. Die melodischen 
Konturen dürfen schon etwas auffällig hervortreten. Zu 
ihrer Veranschaulichung füge ich folgendes Bild an: 



Den Eintritt des II. Teiles (Takt 23 As dur) mache man 
durch eine Cäsur bemerklich. Nicht übersehen werde 
diminuendo p, von dem aus ein poco a poco crescendo 
durch 11 Takte in mächtiger Steigerung zu dem ff der 
einschneidenden None g — as führt. Nach zwei Takten 
holt verhaltene Kraft (mf) — zum //-Eintritt des 
III. Teiles — Wiederkehr des ersten — aus. (Anmerkung 
für Schwächlinge: drittes Viertel des letzten Taktes vor 
dem c moll-Eintritt cts!!) Nach weiteren neun Takten 
setzt ein bis zum Erscheinen des C dur-Akkordes — 13 . Takte 
vom Schlüsse gerechnet — währendes crescendo ein. 
Dieser selbst und die folgende Coda sollen mit jener impo- 
nierenden Fülle des Tones und sieghaften Bravour aus- 
geführt werden, die beweisen, daß der Spieler nicht bereits 
am Ende seiner Kraft angelangt sei, sondern noch über 
weitere Fonds verfüge. Ausdauerndes Studium, eine 
richtige Trainage wird ihn hiezu befähigen. 

Wie schon eingangs gesagt, bilden diese letzten drei 
Etüden eine vortreffliche Vorbereitung zu op. 10. Viel- 
leicht bietet sich Gelegenheit, an dieser Stelle auch darüber 
zu sprechen. 

München. Prof. Heinrich Schwartz, 

Königl. bayr. Hofpianist. 


Unsere Künstler. 

Ernst Wendel. 

E ine tief angelegte, das Höchste anstrebende Künstler- 
natur ist Prof. Ernst Wendel, der seit dem Jahre 1909 
als Leiter der philharmonischen Konzerte an der Spitze 
des bremischen Musiklebens steht. — Ernst Wendel ist ein 
äußerst vielseitiger Musiker. 1876 in Breslau geboren, trat 
er, um sich zum Violinvirtuosen auszubilden, schon früh in 
die Königl. Hochschule zu Berlin ein, wo er zuerst Schüler 
Emanuel Wirths war und dann vier Jahre hindurch von Jo- 
seph Joachim persönlich unterrichtet wurde. Daneben stu- 
dierte er fleißig Klavier und Orgel. Auf allen diesen Gebieten 
leistet er Hervorragendes; die eigentliche Domäne seiner 
künstlerischen Tätigkeit aber fand er bald als Orchester- und 
Chordirigent. Eine strenge Schule als Konzertmeister des 
großen Symphonieorchesters von Theodor Thomas in Chicago, 
wohin ihn Joachim empfohlen, kam ihm s ehr zu statten, um 
sich auf seine Dirigentenlaufbahn vorzubereiten. Er begann 


274 



sie mit der Leitung des Musikvereins in Königsberg so meister- 
lich, daß er schon 1908 als einer der ersten Festdirigenten 
des ersten ostpreu Bischen Musikfestes berufen werden konnte. 
Bin Jahr darauf errang er in einem eigenen Konzert in der 
Berliner Philharmonie einen großen Erfolg, der seinen Namen 
weit bekannt machte. Als man im Herbst 1909 in Bremen 
vor der schweren Frage stand, wer unter den 105 Bewerbern 
der Nachfolger Karl Panzners werden sollte, da entschied 
gleich das erste Auftreten Wendeis als Gastdirigent für ihn. 
Seine feinkünstlerische Art. zu dirigieren, gewann ihm sofort 
alle Herzen. Sie dokumentierte nicht nur seine unbedingte 
Sicherheit mit der Partitur, die er sehr oft frei aus dem Ge- 
dächtnis beherrscht, sondern besonders auch den warmbeseel- 
ten, kunstfreudigen Musiker, der sein reiches Innenleben auf 
seine Hörer zu übertragen und sie zu begeistern versteht. 

Wendeis Tätigkeit in Bremen ist reich an künstlerischen 
Erfolgen. Bach, Beethoven und dazu Brahms sind ihm be- 
sonders ans Herz gewachsen. Die Bach- und Beethoven- 
Abende der philharmonischen 
Konzerte unter seiner Leitung 
sind allen Musikfreunden wirk- 
liche Weihestunden geworden, 
unvergeßlichinsbesondere bleiben 
die Aufführungen der „Matthäus- 
passion“, der „Missa solemnis“ 
und der „Neunten Symphonie“. 

Dabei vernachlässigt Wendel 
durchaus nicht unsere Modernen, 
wenn er auch nicht mit ihnen 
durch dick und dünn geht. 

Auch als Komponist hat sich 
Emst Wendel einen Namen ge- 
macht. Er hat eine Ouvertüre, 
eine Symphonie und Chorwerke 
mit Orchester und a cappella 
geschrieben. Am bekanntesten 
sind seine Chorwerke, darunter 
das „Grab im Busento“, „Das 
Reich des Gesanges“, „Das 
deutsche Lied“ und das vielge- 
sungene poesie volle „Feldein- 
samkeit“. Der Bremer Lehrer- 
gesangverein, der Prof. Wendel 
als seinem Dirigenten viel ver- 
dankt — wie ebenfalls der phil- 
harmonische Chor — hat sie oft 
und mit Erfolg gesungen. Sie 
bekunden den tief empfindenden 
Musiker, der nicht nur mit dem 
Verstände schreibt, sondern auch 
mit vollem Herzen dabei ist. 

Mancherlei Ehrungen hat Emst 
Wendel erfahren. Der Bremer 
Senat verlieh ihm den Professor- 
titel, die Berliner Gesellschaft der 
Musikfreunde berief ihn 1913 als 
Nachfolger Fritz Steinbachs zum 
Dirigenten, und als Gastdirigent 
wurde er nicht nur in Berlin, son- 
dern auch in anderen Großstädten 
in Deutschland, sowie im Auslande gefeiert. Ganz besonders 
haben die Parsifalaufführungen im Bremer Stadttheater, die 
Wendel mit bewundernswertem Aufwand seiner geistigen und 
physischen Kraft leitete, bewiesen, was wir Bremer an Ernst 
Wendel besitzen. Die Bremer Musikfreunde einen sich des- 
halb in dem Wunsche, ihn noch lange den ihrigen nennen zu 
dürfen. J- Beyer. 


Von wem erbten unsere Tonmeister 
das Talent? 

Musikalische Plauderei von FRANZ DUBITZKY (Berlin). 

S chade, daß Ihro Majestät kein Virtuose geworden 
sind!“ äußerte sich der Oberkapellmeister Fux seinem 
Gebieter, dem Kaiser Leopold !., gegenüber, der von 
seinen Zeitgenossen einer der „fertigsten Kla viens ten ge- 
nannt wurde. Der kunstsinnige Herrscher wehrte jedoch ah: 
„Ich steh mich halt besser so!“ Eine verwandte Sinnesart 
bekundete Anton Rübinstein. als er einem Bekannten 
dringend riet: „Lassen Sie Ihre Kinder nicht Künstler 
werden ! “ Abweisend zeigten sich recht oft die Eltern unserer 
Tondichter, vom Kunstberuf wollten sie nichts wissen . 
Neben den Dornen, neben der materiellen Not und künst- 
lerischen Verkennung hatte der Künstler früherer Zeiten 
auch noch die .gesellschaftliche Zurücksetzung zu erdulden. 



ERNST WENDEL. 
Fhotogr. Boissonnas & Eggler, 


„Sänger, Virtuosen . . . Künstler sind zwar nicht eben ge- 
fährliche, aber desto eitlere und oft sehr zudringliche 
und unzuverlässige Leute. Sie fühlen nicht, daß man, 
um wahrhaft den Titel eines großen Mannes zu verdie- 
nen, mehr verstehen und mehr müsse bewirken können, 
als Augen zu vergnügen, Ohren zu kitzeln, Phantasien zu 
erhitzen und Herzchen in Aufruhr zu bringen, sehen viel- 
mehr ihre Kunst als das einzige an, was des Bestrebens 
eines vernünftigen Menschen wert wäre . . . Ich rate des- 
halb, einen vertrauten Umgang mit dieser Menschenklasse 
nur nach strengster Auswahl zu suchen“ — diese Worte 
finden wir in des edlen Freiherrn von Knigge 1788 er- 
schienener Lehre „lieber den Umgang mit Menschen“. 

Ein echtes Talent läßt sich zwar selbst durch die kränkend- 
sten, abschreckendsten Reden von seinem, ihm von der Muse 
vorgezeichneten Wege nicht für alle Zeiten verjagen, doch 
ereignete es sich oft genug, daß der junge Künstler, durch 
der Eltern Machtwort und durch die ruhige, sichere Existenz 

verleitet, erst einen Scitenpfad, 
einen besser dotierten Fehlweg 
wandelte. Hector Berlioz stu- 
dierte nach dem Willen seines 
Vaters, der selbst Arzt war, 
Medizin; mit welchem Interesse, 
das Besagt seine Klage: „Arzt 
sein ! Anatomie studieren ! sezie- 
ren! schrecklichen Operationen 
beiwohnen, anstatt mich mit 
Leib und Seele der Musik hin- 
zugeben, dieser erhabenenKunst ! 
Den Himmel im Stiche lassen 
um des traurigsten Aufenthaltes 
auf Erden willen!“ Robert 
Schumann mußte auf Geheiß 
des Vormundes Jus studieren. 
Bei einem Studiosus, der be- 
hauptet, „daß alle Kollegien 
überhaupt nur Eseln nützen 
können", ist es selbstverständ- 
lich, daß er das Kolleg zumeist 
schwänzt. Am 30. Juli 1830 
schrieb Schumann an seine 
Mutter: „Mein ganzes Leben 
war ein zwanzigjähriger Kampf 
zwischen Musik und Jus. Jetzt 
stehe ich am Kreuzwege und 
erschrecke bei der Frage: wo- 
hin ? Folg ich meinem Genius, 
so weist er mich zur Kunst, 
und ich glaube den rechten 
Weg.“ Das Corpus juris wurde 
nun" schnell in cue Ecke gewor- 
fen. Den Groll seiner Eltern 
zog sich Tschaikowsky zu, als 
er das Studium der Rechts- 
wissenschaft aufgab. Ebenfalls 
einen Rechtsgelehrten wollte der 
Homdrechslermeister Marschner 
aus seinem Sohne, dem Kom- 
ponisten des „Hans Heiling“, 
machen, aber nicht lange trieb Heinrich Marschner Juris- 
prudenz. Haydn sollte nach dem Wunsche seiner Eltern 
in den geistlichen Stand treten. Besonders die Mutter riet 
ihm flehentlich vom Broterwerb durch die Musik ab. „Ich 
mag kein Geistlicher werden!“ opponierte jedoch der acht- 
zehnjährige Tondichter, nicht aus Mangel an Frömmigkeit, 
sondern hingezogen mit Allgewalt zur Tonkunst. Und doch 
wäre er beinahe seinem Vorsätze untreu geworden, denn 
als singender und geigender, die Dörfer durchziehender „Spiel- 
mann“ lernte er gar bald den Hunger dermaßen kennen, 
daß er, um] seiner Not ein Ende zu machen, in den Orden 
der ~ Serviten zu treten gedachte. Seinem Oheim, einem 
Pfarrer, entfloh Spöntini, als er für den geistlichen Stand 
vorbereitet werden sollte. Dem väterlichen Beispiel ge- 
zwungen folgend, wandte sich Franz von Holstein, der 
Komponist der Oper „Der Haideschacht“, dem militärischen 
Berufe zu. Holstein senior war entschieden musikfeindlich, 
nur durch T die Versicherung, „es könne sehr gut als Tisch 
gebrauchte werden“, ließ er sich über den Einzng eines 
Klaviers beschwichtigen. Gleichfalls argen Widerstand fand 
der Komponist des „Messias“ beim Vater, der sich vom Bar- 
bier zum Brandenburgischen Geheimen Kammerdiener und 
Leibchirurgen aufgeschwungen hatte. Der Herr I<eibchirurg 
Händel verbot seinem Sprößling jegliches Musizieren. Doch 
was half es ? Der Knabe entdeckte ein ziun Gerümpel 

t eworfenes Klavichord in der Dachkammer und übte dort 
eimlieh und leise. Auch Verdis Eltern wollten anfangs 
nichts von der Musik wissen; der sehnlichste Wunsch des 
Knaben, ein Spinett zu besitzen, wurde erst erfüllt, um ihn 
über eine Ohrfeige zu trösten, die ihm. der Priester appliziert 
hatte, als er seiner Pflichten als Altardiener über dem Lauschen 


275 


auf die Orgelklänge vergessen. Einen Kampf mit den Eltern 
hatten die Meister des Liedes Robert Franz und Hugo Wolf 
zu bestehen, ehe ihnen die Erlaubnis ward, sich der Musik 
zu widmen — der Vater Wolfs hielt den Musiker für ein 
„verächtliches Individuum“. Ein Kaufmann sollte nach 
cles Vaters Bestimmung der Komponist der „Stummen von 
Portici“ werden, zwei Jahre fungierte Auber als Kommis 
in einem Londoner Geschäft. Frederick Delius entfloh dem 
Kaufmannszwange, indem er nach Florida auswanderte und 
Pflanzer wurde. Meyerbeer sollte ursprünglich in das Ge- 
schäft seines Vaters, eines Bankiers, eintreten, doch ließ 
man diesen Plan bald fallen. Nicht so schnell fand Richard 
Wagner den rechten Pfad, er berichtete: „Mein Stiefvater 
wollte, ich sollte Maler werden; ich war aber sehr ungeschickt 
im Zeichnen . . . Ich wollte studieren, an Musik wurde 
nicht gedacht.“ Als eins seiner Gedichte in der Schule 
durch einen Preis ausgezeichnet wurde, wollte Wagner 
Dichter werden. Bei einem Grobschmied wurde Rossini 
in die Lehre gegeben. Im Schauspielberuf begegnen wir 
dem Komponisten des „Barbier von Bagdad“, Peter Cor- 
nelius. der sich, der Not gehorchend, einmal Sogar um eine 
Souffleurstelle bewerben wollte. Der ehemals hochgefeierte 
Opernkomponist I/ully begann seine Laufbahn als — Küchen- 
junge; auch als Schauspieler und Tänzer wirkte er. Der 
— Bäckerlehrling Cimarosa, der für den noch nahrhafteren 
Beruf eines Metzgers ausersehene Dvorak und der im Biskuit- 
laden, später in einer Schuhfabrik tätige Komponist der 
„Hexe* , August Enna, mögen ebenfalls Erwähnung finden. 

Die Aufzahlung der dem Musikstudium feindlichen Väter 
und Mütter unserer Tonmeister gibt uns Aufschluß über 
die Frage: „V on wem erbten unsere Tondich- 
ter das Talent — nicht?“ Jedoch — mit Aus- 
nahmen ; denn mancher väterliche Musikabwehrer hegte 
eine heimliche oder auch offene Liebe für die Tonkunst, 
„vergnügte“ sich mit Eifer auf diesem oder jenem Instru- 
ment, oder war sogar schöpferisch tätig. Kurzum — unter 
den, ihre Söhne aus den Armen der Frau Musika mit Be- 
redsamkeit oder Gewalt losreißenden Eltern unserer Meister 
begegnen wir auch solchen, die „schuldig“ sind an der Kunst- 
liebe, an dem Kunstdrange ihrer Sprößlinge, indem sie ihr 
zumeist mehr oder weniger im Verborgenen, in der ruhigen 
Häuslichkeit sich regendes und bewegendes „Talent“ in 
gesteigertem Maße dem Sohne vererbten. So war 
z. B. der gegen das Musikstudium seines Sohnes Hector 
mit aller Gewalt sich stemmende Arzt Berlioz in der Ton- 
kunst wohlerfahren und darin der erste Unterweiser des 
Komponisten der „Fantastischen Symphonie“, während 
die Mutter allerdings auch nach der Aussöhnung mit dem 
Sohne (vier Jahre hindurch war Berlioz dem Elternhause 
entfremdet!) mit der Musik sich nicht „aussöhnte“, diese 
verhaßte Kunst durfte in ihrer Gegenwart nicht erwähnt 
werden. Bei Robert Schumann war es einzig die Mutter, 
die von einem Berufe, der eine „schwankende Zukunft und 
unsicheres Brot“ biete, nichts wissen wollte, indes des Ton- 
dichters musikalische Begabung von seiten des Vaters liebe- 
volles Entgegenkommen fand; von dem Vater, einem Ver- 
lagsbuchhändler, erbte, nebenbei bemerkt, der Meister das 
literarische Talent. Musikalische Begabung besaß zweifellos 
der Vater Marschners, die Damen Zittaus lehrte er das 
Harfenspiel, wohlvertraut war er mit der Flöte und den 
Taktstock schwang er als Leiter der Bürgerschützenkapelle ; 
trotz solcher Künste schätzte der Herr Horndrechslermeister, 
wie wir vernahmen, unendlich höher das Corpus juris. Haydns 
Vater wurde als ein „von Natur aus großer Liebhaber der 
Musik“ ausgegeben, der „ohne eine Note zu kennen“ die 
Harfe bescheiden zu behandeln wußte; des Abends, nach 
getaner Arbeit, pflegte er, im Besitz einer anspruchslosen 
Tenorstimme, mit seinem Söhnlein Duette zu singen. Ro- 
bert Franz schrieb die ersten haftenden musikalischen An- 
regungen ebenfalls seinem Vater zu, „dem erklärten Musik- 
feinde“ — wie er ihn nannte. „Wenn er gerade besserer 
Laune war, was in seinem vielbeschäftigten Leben nicht 
gar zu häufig vorkam, sang er uns Kindern allerhand selt- 
same Weisen, halb choralartig, halb arios vor, die mir noch 
heute in den Ohren klingen“ — erzählte der Meister des 
Liedes und fuhr fort: „Namentlich befanden sich unter 
ihnen zwei, die uns gewaltigen Spaß machten: .Lasset 
uns den Herrn preisen' und ,0 daß ich tausend Zungen 
hätte'. Es waren förmliche Koloraturen und Passagen, 
die dem alten Manne (Franz’ Vater wagte sich erst als Sech-' 
ziger in den Ehestand) aus der Kehle rollten und mich in 
ein wahres Delirium der Freude versetzten. Oft nahm 
mich mein Vater auch in die Kirche mit ... wo er sich als 
firmen Choralsänger, der im Schiff der Kirche fast aus- 
schließlich dominierte, zur Geltung brachte. Bei solcher 
Gelegenheit werde ich wohl auch initgeschrieen haben, s6 
gut ich’s eben konnte.“ Der hartherzige „Musikfeind“ 
Wolf senior offenbarte sich in Wahrheit als ein durch seinen 
Beruf (er war, der Laufbahn seines Vaters, Großvaters und 
Urgroßvaters getreu, Lederhändler) wenig zufriedengestellter, 
durch väterliche Gewalt unterdrückter Künstler ; in seinen 

276 


Mußestunden widmete er sich mit Feuereifer der geliebten 
Musik, die Violine und Gitarre handhabte er gut und auch 
die Kunst des Klavierspiels war ihm nicht fremd. Auf letz- 
terem Instrument und auf der Geige unterrichtete er seinen 
Sohn Hugo, aber ein „verächtliches Individuum“, ein Mu- 
siker, sollte dieser beileibe nicht werden. Ganz anders dachte 
in diesem Punkte der Vater Franz Liszts, der gleich dem 
Vater Hugo Wolfs durch die Ungunst der Verhältnisse 
daran gehindert wurde, als Künstler vor die Welt zu treten. 
„Du bist vom Schicksal bestimmt, du wirst jenes Künstler- 
ideal verwirklichen, das meine Jugend vergeblich bezaubert 
hielt, in dir will ich mich verjüngen und fortpflanzen” — 
vertraute er seinem Sohne; als Rechnungsführer weilte er 
bei dem Fürsten Nikolaus Esterhazy, in dessen Diensten 
zugleich Meister Haydn stand. Nicht geringschätzig dachte 
Aubers Vater über die Musiker, er selbst leistete als Sänger 
und Geiger Beachtenswertes; dennoch entschied der Kunst- 
händler, daß ein „praktischer“ Beruf vorzuziehen sei, und 
daß der Komponist des „Fra Diavolo“ als Kaufmann voraus- 
sichtlich größeren Erfolg erzielen werde. 

Man sollte annehmen, daß der „harte“ Sinn der Eltern 
und die schweren Jahre des Ringens den Söhnen stets in 
Erinnerung haften müßten, und daß die Söhne ihren eigenen 
Nachkommen gegenüber in einem ähnlichen Streitfälle 
milder gestimmt wären; dem ist aber nicht immer so, wie wir 
bereits im Falle Hugo Wolf sahen, und wie auch das Bei- 
spiel Johann Strauß Vater contra Johann Strauß Sohn 
lehrt. Strauß der Großvater nährte sich redlich durch seine 
„Schenke zum guten Hirten“ in Wien; er kannte das arm- 
selige Los der „Bratlgeiger“, die er oft genug in seiner Wirt- 
schaft zu sehen bekam, und schickte seinen Jungen zu 
einem Buchbinder in die Lehre. Erst als Johann daselbst 
nach einer gar zu unsanften Behandlung durch den groben 
Meister auf und davon gelaufen war, wurde die Einwilligung 
zum Musikstudium gegeben. Doch — wie die Alten sungen 
usw.: Strauß der Vater dachte geradeso wie Strauß der 
Großvater und sagte zu Strauß dem Sohne: „Ehe ich dich 
Musiker werden lasse; stecke ich dich lieber in den weißen 
Rock!“ (das galt damals als ein großer Schimpf). Heimlich 
lernte dann, der spätere Komponist der „Fledermaus“ das 
Klavier- und Geigenspiel. Die Kunde hiervon rührte den 
gestrengen Vater nicht allzusehr, Klavier und Geigenkasten 
wurden zugeschlossen, der Junge sollte etwas „Vernünftiges“ 
zum Lebensberuf erwählen, man schickte ihn in die Kauf- 
mannslehre. Die aufopfernde Liebe der Mutter führte aber 
schließlich eine friedliche und freundliche Lösung des Kon- . 
fliktes herbei. 

Bemerken wir im letzten Falle wie auch in manchem 
vorher gebrachten „Bilde aus dem Eltemhause“ wenig oder 
keine Forderung der musikalischen Anlagen unserer Ton- 
dichter, so erblicken wir im Heim des „Freischütz “-Kompo- 
nisten ein Zuviel. Vater Weber wollte Karl zu einem Wunder- 
kind erziehen, er sowohl wie sein Sohn Fridolin plagten 
den Knaben übereifrig, ohne gleich das erwartete Resultat 
zu zeitigen. „Karl, du kannst vielleicht alles werden, aber 
ein Musiker wirst du nimmermehr!“ rief einmal zornig der 
Stiefbruder — und die Prophezeiung schien sich zu er- 
füllen, denn als bei einem Brande in der Hauptsache die 
musikalischenErstlingskompositionen Karls vernichtet wurden, 
erblickte dieser hierin einen Fingerzeig des Himmels, wandte 
der Musik den Rücken und widmete sich emsig der Kirnst 
des Lithographierens; nach einem Jahr siegte jedoch end- 
gültig die Musik. Die Liebe zu dieser hatte ihm der Vater 
vererbt, der, seinen Beruf oft wechselnd (Offizier, Beamter, 
Theaterdirektor), auch als Stadtmusikus und Musikdirektor 
wirkte; eine Tochter (Konstanze) seines Bruders, eines 
Mannheimer Souffleurs und Kopisten, erwählte sich 
Mozart zur Frau. Eines „talentvollen“ Vaters konnte sich 
der ebengenannte Tonheros rühmen, hoch verehrte Mozart 
den Hofmusikus und späteren erzbischöflichen Kapell- 
meister. „Nach Gott kommt gleich der Papa, das war als 
Kind mein Wahlspruch und bei dem bleibe ich auch noch!“ 
erklärte der Schöpfer des „Don Juan“. Auch als Kom- 
ponist gab Mozart senior (Leopold Mozart) Schätzenswertes, 
Symphonien, zwölf Oratorien, Opern, Konzerte usw.. als 
sein Sohn die kräftigeren Schwingen regte, legte er bescheiden 
die Notenfeder beiseite. Eine wenig erfreuliche Zeit be- 
deuteten für Beethoven die Jahre, in denen er zum Wunder- 
kinde gedrillt wurde; unter der Härte und Strenge seines 
väterlichen Lehrers, hatte Ludwig schwer zu leiden, gar 
manche Träne fiel während der Unterweisung in der Musik. 
Nicht selten ereignete es sich, daß der Knabe nach der Heim- 
kehr des Vaters und des bei ihm wohnenden Sängers, tüchtigen 
Klavierspielers und nicht minder tüchtigen — Zechkumpanen 
Pfeiffer in der Nacht das Bett verlassen uiid bis zum frühen 
Morgen am Klavier sitzen mußte. Beethovens Vater (Jo- 
hann) war Kurfürstlicher Kapellsänger (Tenor), aber auch 
von seinem Großvater erbte der Meister zweifellos Musik- 
sinn, denn jener waltete ebenfalls als Kirchensänger (Baß) 
und weiter als Kurfürstlicher Kapellmeister; den Namen 
Ludwig erbte der Schöpfer des „Ffdelio“ auch vom Groß- 



vater. Bezüglich Schuberts hören wir von dem Vater des 
„Erlkönig “-Komponisten, einem Schulmeister: „In seinem 
achten Jahre brachte ich ihm die nötigen Vorkenntnisse 
zum Violinspiel bei und übte ihn so weit, bis er imstande 
war, leichte Duette ziemlich gut zu spielen.“ Um die Kunst 
des Vaters war es wohl nicht allzu hoch bestellt, denn beim 
Quartettspiel, bei welchem Franz Schubert senior das Cello 
behandelte, während Franz Schubert junior die Bratsche 
und seine Brüder Ferdinand und Ignaz die Geigen erklingen 
ließen, hatte der Tonmeister des öfteren Ursache, dem 
Herrn Cellisten mit freundlichem Lächeln zu melden: „Herr 
Vater, da muß etwas gefehlt sein!“ Bei Anton Bruckner 
war es ebenso der Vater, ein Dorfschullehrer, der ihm den 
ersten Musikunterricht erteilte. 

Chopin konnte in seinen ersten Lebensjahren Musik nicht 
hören, ohne in Tränen auszubrechen. Bei Rossini war es 
der Klavierlehrer, der ihm äußere oder innere Tränen ent- 
lockte; als talentlos gab man den Knaben auf und überwies 
ihn, wie schon oben mitgeteilt, einem — Grobschmied. 
Dieser Beruf behagte dem Kleinen nun ganz und, gar nicht, 
und bald erklärte er sich bereit, die verhaßten Tonleiter- 
studien von neuem aufzunehmen, die „Ehre des Hauses“ 
rettend, denn sowohl der Vater als auch die Mutter gehörten 
dem Reiche der Kunst an, ersterer als Stadtmusikus und 
Hornist im Theater und auf — Jahrmärkten, letztere als 
Sängerin auf kleinen Bühnen; von der Mutter erbte Rossini 
die schöne Stimme. Auch Richard Wagner stand mit dem 
Klavier auf dem Kriegsfuß — und nicht nur, wie es bei 
Rossini der Fall gewesen, in den frühesten Jugendtagen; 
er selbst erzählte: „Mein Lehrer sagte, aus mir würde nichts. 
Er hatte recht, ich habe in meinem Leben nicht Klavier- 
spielen gelernt. Es war mir unmöglich, eine Passage rein 
zu spielen und ich bekam deshalb einen großen Abscheu 
vor allen Läufen“ — und doch erkannte der Stiefvater 
des Dichterkomponisten als er, todkrank im Bette hegend, 
im Nebenzimmer den siebenjährigen Richard die Weisen 
„Ueb immer treu und Redlichkeit“ und „Wir winden dir 
den Jungfernkranz“ spielen hörte, daß hier Begabung vor- 
liege, denn er wandte sich an die Mutter des Knaben: „Sollte 
er vielleicht Talent zur Musik haben ?“ Vom Vater, einem 
Polizeiaktuar, erbte der Bayreuther Meister das Interesse 
für das Theater, welches durch den Umstand, daß sein 
Stiefvater (Ludwig Geyer) Schauspieler und Lustspiel- 
dichter war, noch verstärkt wurde. 

Auf eine stattliche Reihe von musikalischen Ahnen und 
Verwandten konnte ein anderer Großmeister im Tonreiche 
zurückblicken, Joh. Sebastian Bach. Sein Vater Ambrosius 
Bach war Stadtmusikus und als Violinspieler weithin ge- 
schätzt; ebenfalls als Stadtmusikus treffen wir den Groß- 
vater Christoph Bach (Christoph den Aelteren). Schon vor 
der Reformationszeit weisen Urkunden auf Musiker aus dem 
Geschlechte Bachs hin; der erste musikliebende Bach jedoch, 
über den mehr als der bloße Name in 'Erfahrung gebracht 
wurde, lebte am Ende des sechzehnten Jahrhunderts, war 
Veit geheißen imd nährte sich als Bäcker in der Nähe Gothas. 
„Er hatte sein meistes Vergnügen an einem Cythringen 
(Gitarre), welches er auch mit in die Mühle genommen 
und unter währendem Mahlen darauf gespielet. Es muß 
doch hübsch geklungen haben, wiewohl er doch dabei den 
Takt sich hat impnmieren lassen“ — so wird vermeldet. 
Veits Söhne, Hans (der Urgroßvater Joh. Seb. Bachs) und 
Lips benamset, wurden Musiker. Von Hans Bachs Söhnen 
sind von Wichtigkeit: Johann, der Vater der Erfurter Bache, 
Heinrich, der Arnstäater (Vater von Joh. Christoph und 
Joh. Michael) und der bereits erwähnte Großvater des 
Schöpfers der „Matthäuspassion“, Christoph der Aeltere. 
Manch treffliches Werk schufen die Vorfahren des großen 
Thomas-Kantors, in ernster Richtung komponierten Joh. 
Christoph Bach und sein Bruder Joh. Michael, während wir bei 
dem Sohne des ersteren, Nikolaus, neben einer hohes Talent 
bekundenden Messe einem nicht minder gelungenen komischen 
Singspiel „Der jenaische Wein- und Bierrufer“ begegnen. 
Mit dem Meister der Fuge erlosch das Geschlecht der Bache 
keineswegs. „Insgesamt aber sind sie (des Meisters Kinder) 
geborne Musici und kann versichern, daß schon ein Concert 
vocaliter und instrumentaliter mit meiner Familie formiren 
kann, zumale meine itzige Frau gar einen sauberen Soprano 
singet und auch meine älteste Tochter nicht schlimm ein- 
schläget“ — so heißt es in einem Briefe des Autors des „Wohl- 
temperierten Klaviers“. Des Meisters Sohn Philipp Emanuel 
stand bei den Zeitgenossen in höherer Gunst als er selbst 

S l. Heft 13). Die Kompositionen Friedemanns sind nicht 
eich, was zum Teil durch das unstete, unerfreuliche 
Leben des Künstlers, dem doch 74. Lebensjahre vergönnt 
waren, seine Erklärung findet. Die Freude am Trunk raubte 
ihm jeglichen Halt, in Dorfschenken spielte er zum Tanze 
auf. Etwas leichtlebiger Art war auch Christian Bach; 
kaum neunzehn Jahre zählend, verließ er in Begleitung 
einer italienischen Sängerin Berlin. Als ihm ein Freund 
wegen der auch in seinen zahllosen Kompositionen herrschen- 
den Leichtfertigkeit Vorwürfe machte und auf die ernstere 


Art seines Bruders Emanuel hinwies, erwiderte er: „Mein 
Bruder lebt um zu komponieren; ich komponiere um 
zu leben.“ Trotz seines respektablen Einkommens hinter- 
ließ der als Opernkomponist Gefeierte eine Schuldenlast 
von 30 000 Talern, die damals recht viel galten. Als Kom- 
ponist von Oratorien, Klaviersonaten usw. ist endlich noch 
Christoph Friedrich, der Bückeburger Bach, der Beachtung 
wert. Der Schöpfer der „Matthäuspassion“ besaß insgesamt 
zwanzig Sprößlinge, zwölf Buben und acht Mägdelein, von 
denen aber vielen eine nur kurze Erdenrast besc.hieden war. 

In der Regel erweist sich das Talent der Söhne großer 
Männer in der Kunst ihrer Väter als klein ; meisthin erscheint 
dies Talent jedoch noch kleiner, da die Welt es hebt, die Werke 
der bescheidener ausgerüsteten Söhne mit den Taten ihrer 
großen Väter emsig und streng zu vergleichen. Musikalische 
Fähigkeiten hatte Mozarts zweiter Sohn, der gleich ihm die 
Vornamen Wolf gang Amadeus trug, ererbt; unter der 
Schwere, unter dem Glanze des väterlichen Namens hatte 
dieser sehr zu leiden: mit dem Genius des „Don Juan“-Kom- 
ponisten vermochte er natürlich nicht zu wetteifern — aber 
die Welt dachte, der Name „Mozart“ verpflichtet, ebenso 
wie sie enttäuscht war,' daß Siegfried Wagner auf „Nibe- 
lungentöne“ verzichtete. Nicht erfolglos betätigte sich 
Adnen Boieldieu, der Sohn des Schöpfers der „Weißen 
Dame“, als Opemkomponist. Gar mancher Tonmeister be- 
wahrte die Welt vor dem Vergleich von Vater und Sohn, 
indem er von einer Nachfolge absah: unverheiratet starben 
Händel, Beethoven, Schubert, Auber, Bellini, Nicolai, Chopin, 
Brahms, Hugo Wolf, Bruckner, Robert Volkmann usw., 
kinderlos blieben die dem Ehebunde nicht abholden Meister 
Haydn, Gluck, Rossini, Tschaikowsky. Johann Strauß u. a. 

Nach der Abschweifung zu den Söhnen der Tonmeister 
kehren wir wieder zurück zu den ihre Musikanlagen ver- 
erbenden Vätern der Meister, und zwar zu solchen, die die 
Musik als Beruf pflegten. Ich nenne den Tanzkomponisten 
Charles d’ Albert, den Vater des Klaviermeisters und Kom- 
ponisten der erfolgreichen Oper „Tiefland“, ferner den seiner- 
zeit hochgeschätzten Tonkünstler Michele Puccini, den 
Vater des „Butterfly“-Komponisten (auch der Großvater 
und Urgroßvater wirkten im Reiche der Tonkunst, der letzte 
war Kirchenkapellmeister und vererbte dem Urenkel seinen 
Vornamen Giacomo). Vater und Großvater, beide Musiker, 
weihten Vinzenzo Bellini in die Geheimnisse der Tonkunst 
ein. Der Vater des „ Rosenkavalier “-Komponisten war 
Hornist in der Hofkapelle zu München, auch als Tonsetzer 
zeigte er sich; seine Wagnerfeindlichkeit vererbte er jedoch 
dem Sohne nicht. „Ich kann mir gar nicht vorstellen, 
Strauß, daß Sie ein solcher Anti-Wagnerianer sind, denn 
Sie blasen meine Musik so wunderschön!“ sagte der Bay- 
reuther Meister nach einer „Tristan “-Aufführung, worauf 
Franz Strauß unbeirrt, unbesiegt antwortete: „Was hat denn 
das damit zu tun ? ! “ Wie dieser so betätigte sich auch Brahms’ 
Vater als Hornist, später jedoch strich der Hamburger 
Spielmann den Kontrabaß; vom „unnötigen“ Klavier wollte 
Brahms der Alte nichts wissen und sonnt gab er seinem 
Sprößling zuerst die Geige und das Cello in die Hand. „Mit 
sechs Jahren begann ich Musik zu studieren. Den ersten 
Unterricht erhielt ich von meinem Vater, Bartolomeo Cheru- 
bim, Professor der Musik“ berichtete der Komponist des 
„Wasserträger“. Bizets Vater war der Musik als Lebens- 
beruf wohlgesinnt: „Der Junge muß mir auf das Konserva- 
torium und Musik studieren“ — entschied er, als er das 
Talent seines Sohnes bemerkte; er selbst erwarb seinen 
Lebensunterhalt als Gesanglehrer. In demselben Berufe 
finden wir Otto Nicolai, den Vater des Komponisten der 
„Lustigen Weiber von Windsor“. Als Klavier- und Kom- 
positionslehrer erfreute sich der Vater Carl Reineckes in 
Altona großer Beachtung. Unter den Kantoren seien die 
Väter Carl Loewes, Johann Adam Hillers und des Operetten- 
komponisten Jacques Offenbach erwähnt. 

Darwin lehrte, daß die Geistesanlagen nicht vom Vater 
auf den Sohn, sondern vom Großvater auf den Enkel sich 
vererben. Wenn wir die hier gebrachte stattliche und zu- 
dem bei weitem noch nicht erschöpfende Liste der musi- 
kalisch begabten Väter unserer Tonmeister betrachten, 
können wir der Lehre Darwins wohl schwer beipflichten, 
wenn wir auch auf manchen talentvollen Großvater trafen. 
Und wie steht es mit den Müttern unserer Meister ? Wir 
gedachten ihrer nur wenig und nebenbei; ein paar Hinweise 
mögen noch Platz finden. Von seiner Mutter (sie gehörte 
gleich ihrem Gatten der Bühne an) erbte Lortzing den köst- 
lichen Humor. Die erste musikalische Bildung erhielt Anton 
Rubinstein durch die Mutter: „Der Unterricht war ernst, 
streng . . . Sie unterwies mich, weil sie selbst musikalisch 
gebildet war. Zu unserem Repertoire gehörten Hummel, 
Moscheies, Kalkbrenuer, Czerny, Herz, Clementi und andere 
damalige musikalische Größen“ — erzählte der Tondichter 
(sein Vater widmete sich in dieser Zeit dem Gedeihen seiner 
gewinnverheißenderen Bleistift- und Stecknadelfabrik). Eben- 
falls der Mutter verdankte Richard Strauß im Alter von 
viereinhalb Jahren den ersten Klavierunterricht. Bei Bizet 

277 



war es neben der Mutter die — Tante (eine Schwester der 
Mutter), eine geschätzte Pianistin, die den Musiksinn des 
Knaben zuerst ausbildete. Aber eine Mutter, von der der 
große Sohn das Kompositionstalent -ererbt hat, will mir 
— wenigstens im Augenblick — nicht, einfallen. Doch — 
darüber bin ich nicht betrübt, es wird ohnehin vom starken 
Geschlecht, von feurigen Söhnen, von behaglichen Vätern 
und von noch mehr rückwärtsschauenden „Großvätern“ 
genug, übergenug komponiert — die von der Unmasse der 
eingesandten Lieder und Klavierstücke schier erdrückte 
Redaktion der „N. M.-Z.“ wird’s bezeugen können! 


Aus den Münchner Konzertsälen. 

D ie Leistungen des Konzert- Vereins-Orchesters haben sich 
dank der Tätigkeit Ferdinand Lowes in neuerer Zeit 
wieder allenthalben gehoben, wie dies an den Wieder- 
gabenverschiedener Werke von Brahms und Beethoven, Bruck- 
ner zu ersehen war. Die neunte Symphonie des letztgenannten 
Meisters hat man freilich unter anderen Umständen von Löwe 
schon viel vollendeter gehört, ebenso die „Penthesilea“ von 
Wolf, die trotzdem dieses Mal einen durchschlagenden und 
bedeutenden Erfolg errang. Von Novitäten soll der Bericht- 
erstatter in einer auswärtigen Zeitung hauptsächlich erzählen. 
Da bin ich nun in München ziemlich übel beraten, da es sich 
bei Novitätenerfolgen vorzugsweise um lokale Angelegenheiten 
handelte und uns eine allgemein interessierende Individualität 
fehlt. Daß Weingartners „lustige Ouvertüre“, ein unterhalt- 
sames Stück, nun auch an den Isarstrand gekommen, be- 
deutet kein Ereignis. Ebensowenig ist dies bei Rüdingers ro- 
mantischer Serenade für kleines Orchester, op. 9, der Fall, 
und selbst von Hermann Zilchers Lieder-Zyklus „Hölderlin“, 
für Tenor und Orchester wird es schwer, viel mehr zu sagen. 
Eines freilich hat Zilcher vor Rüdinger voraus, und das ist 
die ungleich größere Gewandtheit, Routiniertheit in der Fak- 
tur. Ist es auch recht fraglich, ob die Gedichte, die sich der 
Komponist zur Vertonung auserwählt, in ihrer Folge ein Bild 
von dem inneren Entwicklungsgang des Dichters zu machen 
fähig sind — das Programm bekundet diese Absicht, — so 
enthält immerhin Zilchers Partitur, rein musikalisch betrachtet, 
eine Reihe beachtenswerter Züge. Diese sagen dem Hörer 
zwar auch nichts Neues, von dem Komponisten, verraten aber 
immerhin, daß er sich von dem absoluten Schematismus, in 
dein er sich bisher bewegt, wenigstens im Klanglichen zu be- 
freien beginnt. Die Aufführung bedeutete für Zücher einen 
Erfolg, einen Erfolg an dem freilich auch der mitwirkende 
Solist, Otto Wolf, sein Teil hatte. Ich erwähne den Sänger 
um so lieber, als er in der der Novität folgenden Aufführung 
der Faust-Symphonie von Liszt ebenfalls Erfreuliches leistete. 
Im Gegensatz zu dem „Konzert- Verein“ versucht die „Musi- 
kalische Akademie“ Novitäten einzuführen, das heißt im vor- 
liegenden Falle anderweitig bereits bekannte Werke erstmalig 
in ihren heiligen Hallen zum Erklingen zu bringen. Maukes 
stimmungsvolle symphonische Dichtung „Einsamkeit“, Straus- 
sens „Don Quixote“ wären hier zu nennen. Die Eigenart 
Bruno Walters, seine Gabe durch fein nuancierte Details mehr 
zu geben als durch eine großzügige Gestaltung, sie erwies sich 
vornehmlich bei Beethovens „Neunter“. Zu den interessante- 
sten Veranstaltungen des ganzen Winters gehörte das von 
Max Reger geleitete Konzert der ausgezeichneten „Meininger 
Hofkapelle“, die ihre Artung und Tradition auch bei dieser 
Gelegenheit wieder voll bewährte. Die für München neuen 
Kompositionen des Meisters, ein Gesang für Alt und Or- 
chester, „An die Hoffnung“ (Anna Erler-Schnaudt) und einige 
symphonische Stimmungsbilder zu Böcklinschen Gemälden 
zeigen Reger auf den Bahnen moderner Orchestertechnik im 
tonmalerisch - illustrativen Sinn weiterwandeln, die er seit 
einigen Jahren betreten hat, die aber der spezifischen Münch- 
ner Musikkultur wenig Neuland mehr zu erschließen haben. 

Zur ersten Aufführung in Süddeutschland kam in Münchens 
Mauern Karl Prohaskas „Frühlingsfeier“ für Soli, Chor, großes 
Orchester und Orgel, eine in großen Dimensionen angelegte 
Vertonung der gleichnamigen Klopstockschen Ode. Die Kraft 
der Erfindung und Gestaltung, das was der Komponist mit 
seiner Musik tatsächlich zu sagen hat, steht mit diesen großen 
Dimensionen, somit auch mit den Mitteln, die er in Anspruch 
nimmt, in keinem rechten Verhältnis und ist, wenn man alles 
das in Abzug bringt, was unter den Begriff der Routine fällt, 
nicht eben groß zu nennen. Die Art der instrumentalen 
Technik selbst schließt sich der von Mahler und seinen Nach- 
folgern im Jungwienertum geschaffenen an. Es ist klar, daß 
die Wirkungen, die hier mit allenthalben popularisierenden 
viertaktigen Kantüenen sentimentalischer Natur erreicht wer- 
den, zu einem vollen Publikumserfolg verhelfen. Um die 
Wiedergabe unter persönlicher Leitung des Komponisten 
machte sich die „Konzertgesellschaft für Chorgesang“ verdient. 
Neben den vorzugsweise klassischen Programmen, denen 

278 


sich die Kammermusik-Vereinigungen des „Münchner“ und 
des „böhmischen“ Streichquartettes widmen, wäre der Wieder- 

f abe des großen B dur-Quartettes, op. 130, von Beethoven durch 
as Berliner Klingler-Quartett als einer erstklassigen Leistung 
zu gedenken. Das tüchtige Wiener Konzertvereins-Quartett 
beginnt neuerdings in München wieder festen Fuß zu fassen. 
Neben den bekannten einheimischen Solisten und ihren Ver- 
einigungen, die ich dieses Mal nicht besonders anzuführen 
brauche, dringen auswärtige Künstler allenthalben in erfreu- 
licher Weise durch: Adolf Busch, der talentierte junge Geiger 
käme hier als eine ernste Begabung in Frage, Elena Gerhardt, 
die glänzende Sängerin, zeigte sich auf der Höhe ihres Ruhmes, 
des Tenoristen Dr. Lauensteins Erfolge erscheinen gleichfalls 
allgemein, die technisch hochentwickelte Geigerin Katharina 
Bosch sei genannt. 

Die Sinfonietta des siebzehn j ähigen Erich W. Korngold 
hat Löwe im Konzertverein bekannt gemacht, und man 
mußte staunen, insofern man die Komposition für großes 
Orchester als die Leistung eines erst heran wachsenden jungen 
Mannes, der heute noch ein halbes Kind ist, bewertete. 
Die unglaubliche Routine, die, insbesondere auf den Ge- 
bieten des Orchestralen und Harmonischen, aus der Sin- 
fonietta spricht, deutet auf ein Phänomen, leider ist dieses 
Phänomen aber nur ein charakteristisches für die Ueber- 
kultur unserer Zeit. Daß Komgold nichts Selbständiges zu 
sagen hat, wird ihm gerade der nicht verübeln, der so gerne 
eine Begabung von natürlicher Entwicklungsfähigkeit in 
ihm begrüßen möchte. Daß aber in seiner Musik so gar nichts, 
so gar kein schöpferischer Kern steckt, von dem man wähnen 
möchte, er wird noch eigenartige Triebe entfalten, daß, 
mit einem Wort gesagt, nur die Routine aus ihrem Tun 
spricht und fast nirgends eine überschäumende quellende 
Jugendlichkeit zur Entfaltung drängt, das ist es, was die 
„Sinfonietta“ trotz aller ihrer Vorzüge zu einer wenig er- 
freulichen Erscheinung stempelt. Die Novitäten, die I/iwe 
im Winter 1913/14 aufführte, waren mit der „Sinfonietta“ 
erschöpft. Das Programm des letzten Abonnementskonzertes, 
das zur Zeit der Abfassung meines Berichtes noch nicht 
stattgefunden, koppelte den „Zarathustra“ von Strauß mit 
der „Achten Symphonie“ von Bruckner zusammen und 
sprach somit eine Stillosigkeit allerersten Ranges aus. Zu 
den Stunden, die im Konzertverein reinsten Genüssen ge- 
weiht waren, gehörte die, in der Sapellnikoff, der Meister- 
schüler Sophie Menters, das A dur-Konzert von Liszt spielte. 
Von der „Musikalischen Akademie“ wäre noch ergänzend 
zu berichten, daß Bruno Walter zwei Stücke für Orchester 
„presso il Clitunno“ und „Scherzo orgiastico“ von Alberto 
Gasco auf führte, an deren Stelle man gerne etwas Origi- 
nelleres aus dem modernen Italien gehört haben würde. 
Oskar Fried dirigierte die phantastische Symphonie von 
Berlioz mit Schwung und Feuer, wenn auch nicht frei von 
Manieriertheit. Immerhin habe ich die beiden letzten Sätze 
nur selten von gleichem Temperament beseelt vortragen 
hören. Busoni, der im gleichen Konzert mitwirkte, hat als 
Klavierspieler trotz seiner imposanten Technik, man möchte 
sagen, grausam enttäuscht. Auch seine „indianische Phan- 
tasie“ macht den Eindruck des Erkünstelten, so seltene 
und charakteristische Klänge sie im Besonderen enthält. 
Ernst Knoch, der schon früher in München aufgetreten, 
erschien abermals als ein musikalischer und geübter Diri- 
gent, der sich auf Steigerungen, klangliche Wirkungen und 
lineares Gestalten versteht. Dennoch verdarb er sich bei 
Mozart und Wagner das Beste durch recht gesuchte Effekte. 
,Auch die E dur-Symphonie von Hermann Bischoff erinnere 
ich mich noch gelungener gehört zu haben, so verdienst- 
voll auch Knochs Eintreten für das schöne, kräftige und von 
einem männlichen Emst erfüllte Werk war. Zu nennen 
wäre schließlich noch das Orchesterkonzert, das Ernst 
Hühner, ein tüchtiger junger Kapellmeister leitete, und in 
dem unter anderem Straußens prächtige „Verführung“ für 
Tenor und Orchester zu Gehör kam. Unter Rohrs Leitung 
hat der „Lehrergesangverein“ die „Jahreszeiten“ aufgeführt, 
wichtiger für die auswärtige Berichterstattung bleibt es, 
der „Münchener Bach-Vereinigung“ zu gedenken, die unter 
Alfred Sterns Leitung für einige sehr selten gehörte Kan- 
taten eintrat „Herr Jesu Christ wahrer Mensch und Gott" 
und „Die Elenden sollen essen“. Das „Neue Streichquartett" 
lenkte die Aufmerksamkeit seiner Hörer auf ein Quartett 
in d moll von J. Guy Ropartz, eine geistvolle Arbeit Franck- 
scher Schule. Dr. Hans Pfitzner, für dessen Kammermusik 
es weiterhin eintrat, begleitete in eigener Person Mientje 
Lauprechi van Lammen, die bekannte technisch hochent- 
wickelte Sängerin in ihrem Liederabend, neben dem der von 
Lula Mysz-Gmeiner fast einzig und allein noch anzuführeu 
wäre. In einem Kompositionsabend des einheimischen Ton- 
setzers Fritz Klopper lernte man ausschließlich Kammer- 
musik kennen. Man konnte dabei eine Begabung bewerten, 
die durchaus auf klassizistischen Bahnen wandelt, der es 
aber bis jetzt trotz mancher anerkennenswerter Züge noch 
an einer gewissen Konzentration zu fehlen scheint. Die 



Konzertsaison des letzten Winters hat trotz einer großen 
Fülle von Veranstaltungen, die sich besonders zu gewissen 
Zeiten geradezu drängten, im allgemeinen und zumal im 
Vergleich mit den Ergebnissen früherer Jahre ein gewisses 
Abflauen des Interesses am öffentlichen Musizieren gezeitigt. 
Man würde dies in mehrfacher Beziehung als ein günstiges 
Zeichen deuten können — wäre nur an Stelle der verschwin- 
denden Vielzuvielen die starke Individualität zu ersehen, 
die München zu wirklichen neuen Taten führt. Willi Gloeckner. 


Vom Musikleben in Düsseldorf. 

D em Konzertleben unserer Stadt hat die impulsive und viel- 
seitige Musikerpersönlichkeit des städtischen Musikdirek- 
tors Prof. Karl Panzner den Stempel aufgeprägt, und die 
von ihm geleiteten großen Orchesterkonzerte und Konzerte 
des städtischen Musikvereins stehen auf einer Höhe, die der 
Musikpflege der rheinischen Kunst- und Gartenstadt ein rühm- 
liches Zeugnis ausstellt. Der sehr vielseitige Panzner ist vor 
allem der Mann der blühenden Orchesterfarben. Auch Brahms 
verliert bei ihm das Asketische, was ihm so manche Diri- 
genten im Bestreben nach Größe und Stil geben. Er beherrscht 
sein Orchester, das er auf große Höhe gebracht hat, wie ein 
Feldherr und nicht minder den Chor, und versteht beide zur 
Hergabe des Letzten zu befeuern. Für die moderne Musik 
ist er besonders prädestiniert. Liszt, Tschaikowsky, Strauß 
hört man von ihm vollendet. Er ist ganz der Mann, den wir 
hier brauchten, und wir freuen uns seines Besitzes. 

In den Musikvereinskonzerten wurden als für hier 
neue Erscheinungen gebracht: Das Violinkonzert von Gold- 
mark, ein teilweise fesselndes, das Melodische betonendes 
Werk, das der treffliche Geiger Hubermann prächtig spielte; 
das Chorwerk mit Orchester und Soli „Lernt lachen“ von 
Bleyle ; Bruckners Große Messe in fmoll, bei der leider die 
Solisten versagten; das „Stabat Mater“ von Verdi für ge- 
mischten Chor und Orchester, das ebenso stimmungsvoll wie 
dankbar ist; die Zweite Symphonie op. 60 von Felix Woyrsch, 
ein ehrliches Werk eines guten Musikers, der immerhin einiges 
Eigene zu sagen hat. Solistisch traten in diesen unseren 
ersten Konzerten der hervorragende Pianist Eisenberger mit 
dem Brahmsschen dmoll-Konzert. sowie die ausgezeichnete 
Altistin Frau Charles-Cahier und der tüchtige Berliner Geiger 
Wittenberg mit Erfolg auf. 

In den großen Orchesterkonzerten, die sich durch besonders 
stileinheitliche Programme auszeichnen, sind vier Abende den 
Klassikern, zwei modernen Komponisten, je einer den Ro- 
mantikern, Tschaikowsky und Wagner-Liszt Vorbehalten. An 
Novitäten gab es: Scharrers Symphonie in dmoll „Per aspera 
ad astra", ein Werk, das Achtung für den Schöpfer erfordert, 
aber als Ding an sich wenig zu sagen hat; Kauns gefälliges, 
aber seichtes Klavierkonzert in esmoll, gut gespielt von Frau 
Chop-Groenevelt ; die packende Kamevalsouvertiire von Braun- 
fels; Norens sehr interessante Kaleidoskop-Variationen, die 
großen Erfolg hatten auch durch Panzners wundervoll farbige 
und lebendige Ausdeutung; Bleyles Violinkonzert, das einen 
hübschen Mittelsatz hat, aber in den Ecksätzen stellenweise 
etwas versandet, von dem tüchtigen Geiger Kapellmeister 
Reibold gut musikalisch vorgetragen. Em Tschaikowsky- 
Abend gestaltete sich zu einem besonderen Triumph für 
Panzner, in den sich die famose Pianistin Ella Jonas-Stoch- 
hausen, die das b moll-Konzert spielte, teilte. Der Kamevals- 
stimmung trug ein Abend mit „Klassischen Tanzweisen“ von 
Rameau und Gluck bis zu Brahms, DvoMk und Johann Strauß 
in feiner Weise Rechnung. 

Die Kammermusik wird in vornehmster Art von dem 
„Städtischen Musikverein“ in drei Konzerten alljährlich mit 
nur allerersten Künstlervereinigungen gepflegt. In dieser 
Saison erschienen das Trio Schnabel-Flesch-Gtrardy, dann an 
einem Abend vereinigt (Oktette von Mendelssohn und Svend- 
sen) das Wiener Fitzer-Quartett und das Brüssler Quartett, und 
als letztes das Rost-Quartett, die ja alle erstklassig sind und 
Erstklassiges boten. Dem Gipfel nahe und hinreißend durch 
Jugendfrische und -feuer ist das Wiener Konzertvereinsquar- 
tett 1 der Herren Busch, Rothschild, Doktor und Grümmer, die 
in einem Konzert der Gesellschaft der Musikfreunde auftraten. 
Wir besitzen auch zwei einheimische Streichquartette, die 
regelmäßig konzertieren, ohne indes bis jetzt höheren An- 
sprüchen gerecht werden zu können. Auf höherer Stufe steht 
das einheimische „Rheinische Trio", das mit einem Brahms- 
Abend vorteilhaft abschnitt. 

Von Solisten lassen sich in der Hauptsache von aus- 
wärtigen Künstlern nur Pianisten hören, dagegen nur wenig 
Geiger. Da muß schon die Firma Tietz kommen und Kon- 


1 Mit Ausnahme der Brüssler, die in diesem Jahre zum 
ersten Male vor leerem Saal spielten, sind alle diese Quar- 
tette in Stuttgart unbekannt. Red. 


zerte arrangieren zu populären Preisen mit mehr als popu- 
lären Programmen, bis Künstler wie Martin oder Petschnikoff 
sich hier hören lassen! Von Pianisten nenne ich den hervor- 
ragenden Musiker und glänzenden Klavieristen Eisenberger, 
der sich hier durchgesetzt hat, Emil Satter und die bereits 
hochstehende Amerikanerin Augusta Cottlow. Von Geigern 
ließ sich außer den beiden Genannten nur noch Burmester in 
einem eigenen Konzerte hören. Von den Sängern ist mir die 
über eine geradezu vollendete Stimmbildung und Gesangs- 
technik verfügende Hermine Bosetti und Hermann Gura als 
Löwe-Sänger m Erinnerung geblieben. Für die nicht geringe 
Zahl lokaler Konzerte wäre in den meisten Fällen eine pro- 
phylaktische Kritik im Sinn der Abschreckungstheorie das 
einzig Angebrachte. Ist’s nur hier so? Ueber die Städtische 
Oper ein andermal. Eugen Honold. 



Cottbus. Im Stadttheater hat die Uraufführung der Alfred 
Ernsfschen Oper „Das Fest auf Solhaug“ unter großem Bei- 
fall stattgefunden. Alfred Ernst, der jetzt, nachdem er lange 
Dirigent bedeutender Orchester in Amerika gewesen ist, in 
der nördlich von Berlin gelegenen Kolonie Frohnau seinen 
musikalischen Interessen lebt, ist kaum ein dramatischer Mu- 
siker, und es war, wenn auch interessant, kein guter Einfall 
von ihm, zwei Jahre seines Lebens an diese Jugendarbeit 
Ibsens zu verwenden (allerdings hatte sie Bülow einst dem 
jungen Richard Strauß als Opemunterlage empfohlen, siehe 
Bülow-Briefe). Fast wörtlich hat Emst den Ibsenschen Text 
komponiert, und nur am Schluß insofern eine Aenderung vor- 
genommen, als die Heldin nicht wie bei Ibsen ins Kloster 
geht, sondern (nach Anweisung Bülows) sich tötet. Diese poe- 
tische Lizenz ist aber sicher nicht so gut begründet wie die 
Ibsensche Fassung, der nach eigenem Ausspruch über dem 
Ganzen eine sommerliche Stimmung haben wollte. Die Um- 
gestaltung des Schlusses wirkt wie ein Requisit der alten eng- 
lischen Buhne, auf der um jeden Preis Blut fließen mußte; 
eine innere Notwendigkeit liegt für den Tod Margits nicht 
vor. Der Stoff des Werkes eignet sich gewiß für eine Oper; 
aber Emst hätte sich seinen Text selber schaffen müssen, 
denn die dramatischen Gesetze des Dichters lassen sich mit 
den Gesetzen des dramatischen Opemaufbaus nur sehr selten 
vereinen. Ueberall, wo die Dichtung ihm entgegenkommt, im 
Balladesken und Lyrischen, gelingt es Ernst, ein klares und 
reines Bild zu geben, während er in der seelischen Ausdeu- 
tung der Charaktere und Zustände in der Dichtung über An- 
sätze nicht hinauskommt. Bemerkenswert ist und charakte- 
ristisch für die Arbeitsweise Emsts, daß er längere Passagen 
des Dialogs lyrisch ansetzt, dann aber die Kraft verliert und 
im Sprechgesang weiter komponiert. Das Orchester weist 
eine Reihe gelungener und feiner Klangfiguren auf und er- 
hebt sich zum Schluß in eine Folge echter und wahrer Musik. 
Die sehr umfangreiche Partie der Margit wurde von dem be- 
gabten Fräulein Olga Blom6 (ab 1915 auf fünf Jahre an die 
Charlottenburger Oper als erste dramatische Sängerin enga- 
giert) in künstlerisch hervorragender Weise gesungen, -gh. 

Graz. Der Wiener Professor Julius Wachsmann hat sein 
„Hexlein“, eine komische Oper in drei Bildern am Opernhause 
zur Uraufführung gebracht. Der gewandte Richard Batka 
hat die Handlung nach einer Novelle Fritz Wittels bühnen- 
gerecht gemacht. Sie spielt ums Jahr 1600 in Wien. Im 
ersten Bude lernen wir die Hexenrichter Sch war zl, Finsterer 
und Duster, die in der schönen Jungfer Lois ob ihrer Männer- 
verachtung eine Hexe wittern, und den lebensfrohen Studio 
Leopold Wölfinger, der sie überführen soll, kennen. Bei diesem 
Büde scheint sich der Tondichter nicht sonderlich angestrengt 
zu haben. Weit bessere Werte bietet er im nächsten Auf- 
zuge, einer sehr ansprechend ausgemalten Szene, in der 
Jungfer Lois gar fromm und züchtig zur Ruhe geht, und dann 
aufgeschreckt den Hexenspion im Kamine wahmimmt. Der 
folgende Liebeszwiegesang enthält hübsche melodische Ein- 
fälle. Im letzten Bilde wecken Dichter und Komponist we- 
sentlich erhöhtes Interesse. Das drollige Ausschnuffeln der 
jüngferlichen Kemenate durch die drei Hexenhamer, das aber- 
malige Erscheinen des Liebhabers im Kamin und seine ko- 
fnische Beschwörung als vermeintlichen Teufel, die Blamage 
des dunkeln Ehrenmännertrifoliums und der schließliche Hocn- 
zeitsjubelchor machen, geschickt aufgebaut mit wirksamer 
Steigerung, besten Eindruck. Es ist durchaus gute, wahr- 
haftige Musik, die Wachsmann, jedoch ohne besondere Er- 
findungskraft und ohne starke moderne Farben, bietet. Das 
Werk fand, sorgsam von Kapellmeister Ludwig Seitz vor- 
bereitet, steigenden Beifall. Am Schlüsse wurde der Kom- 

S onist mit dem reizenden Hexlein (Olga Barko-Frank ) und 
en übrigen Darstellern oftmals gerufen. Julius Schuch. 


279 



Königsberg. Das Hauptereignis der letzten Monate war 
unstreitig die als Jubelfeier der „Musikalischen Akademie“ 
unternommene Aufführung der Achten Symphonie von 
Mahler. Nach monatelangen, mühevollen Vorbereitungen 
ging das hochbedeutsame Werk endlich unter Anteilnahme 
der ganzen Stadt der Verwirklichung entgegen. An der 
Spitze von 1000 Mitwirkenden konnte der Dirigent, Paul 
Scheinpflug, den wohlverdienten Dank für die gelungene 
— hinsichtlich Chor und Orchester sogar vortreffliche — 
Wiedergabe dieser Riesenchorsymphonie entgegennehmen. 
Auch die anderen musikalischen Vereine traten mit Auf- 
führungen an die Oeffentlichkeit, so die „Singakademie“ 
(unter Prof. Brode) mit einer Aufführung von Haydns 
„Schöpfung“, der ausgezeichnet geschulte „Lehrergesang- 
verein“ unter K. Hausburgs Leitung mit der Wiedergabe 
einiger moderner Werke, z. B. W. Bergers „Pharao“, Hegars 
„1813“, Thuilles „Landsknechtlied“. Auch die rüstig vor- 
wärtsstrebende „Melodie“ zeigte sich mit ihrem neuen Diri- 

f enten Eduard Walther schon größeren Aufgaben gewachsen. 
)as neue Königsberger Streichquartett (erste Violine Herr 
Becker) brachte an seinem zweiten Kammermusikabend 
Verdis selten gespieltes Streichquartett zu Gehör, und Frau 
Lotte Rosenow vermittelte uns die erfreuliche Bekanntschaft 
mit Paul Scheinpflugs „Worpswede“, einem Werke, das, 
im Reiche bekannter als bei uns, den Typus der modernen 
norddeutschen Landschaftsmusik erfolgreich vertritt. So- 
gar das Programm der „Königsberger Symphoniekonzerte' 
wies dieses Mal eine wirkliche Neuhat auf, Korngolds „Schau- 
spielouvertüre“, die mit Bewunderung und Beifall begrüßt 
wurde. — Im neuen Jahre stand im Theater Wagners „Par- 
sifal“ im Vordergründe. Berücksichtigt man, daß unser 
Stadttheater über ein Orchester von höchstens 60 Mann 
verfügt und daß die Träger der Hauptrollen bei uns beim 
besten Willen nicht Festspielkräfte sein können, so kann 
man, vorausgesetzt, daß man einer Besitzergreifung dieses 
Werkes durch eine bessere Provinzbühne nicht überhaupt 
entgegen ist, diese (durch Herrn Frommer musikalisch, 
Herrn Moor szenisch geleitete) Aufführung sehr wohl gut- 
heißen. Dr. E. Kroll. 


Neuaufffihrungen und Notizen. 

— In Stuttgart hat sich zur Gründung einer Festspiel- 
vereinigung ein Ausschuß gebildet. Sie hat den Zweck, 
periodische Festspiele in den Hoftheatan zu veranstalten, 
und zwar in der Regel im Mai jedes Jahres einen Zyklus von 
fünf bis sieben Aufführungen. Es sind dafür sowohl neue 
Bühnenwake der Oper und des Schauspiels als auch ältere 
in hervorragender Besetzung und künstlerischer Ausstattung 
vorgesehen. 

— „Die Traumprinzeß“, komische Oper in drei Akten, Text 
von Robert Misch, Musik von Wilhelm Gutmann, hat ihre 
Uraufführung in der Hamburger Neuen Oper erlebt. Das 
Werk war von Direktor Erhard inszeniert und von Dr. Goehler 
einstudiert worden. Vom zweiten Akt an konnte der Kom- 
ponist wiederhol! auf der Bühne ascheinen. 

— Schrekers Oper „Der ferne Klang“ ist nun auch im 
Hamburger Stadttheater unter Leitung des Kapellmeisters 
Meyrowitz und mit Frau Easton und Herrn Hensel in den 
Hauptrollen aufgeführt worden. 

— Engelbert Humperdincks neue deutsche Spieloper „Die 
Marketenderin“, Text von Robert Misch, soll jetzt am Stadt- 
thea ta in Köln noch in dieser Saison die Uraufführung er- 
leben. Hoffentlich wird’s nun wahr! 

— Die neue Oper des Züricha Komponisten Volkmar Andreae : 
„Ratcliff“ (Dichtung nach Heine) soll auf dem diesjährigen 
Deutschen Tonkünstlerfest in Essen Ende Mai zur Urauffüh- 
rung kommen. Das Ensemble des Düsseldorfer Stadttheaters 
wird das Werk zur Darstellung bringen. 

— Die Wiener Hofoper will nach Ostern „Werther“, „Lucia 
von Lammermoor“ und Hugo Wolfs „Corregidor“ heraus- 
bringen. In der nächsten Saison soll die neue Oper von 
Schillings, „Mona Lisa“, aufgeführt werden. 

— Der Wiener „Akademische Vaband für Literatur und 
Musik" hat an den Direktor da Hofopa Gregor einen offenen 
Brief gerichtet, in dem er ein würdigeres Repertoire verlangt. 

— In der Wiener Volksoper hat die deutsche Uraufführung 
da Oper des tschechischen Komponisten Karl Weiß „Der 
Sturm auf die Mühle“ (nach der gleichnamigen Erzählung 
Emile Zolas) stattgefunden. 

— Die erste amerikanische Aufführung von Charpentiers 
„Julien“ hat im Metropolitan-Operahause unter dem Dirigenten 
Giorgio Polacco in New York stattgefunden. Caruso und 
Farrar sangen in den leitenden Partien. — „Die Meistersinger“ 
wollen, wie der Wagner-Biograph Finck in der „New York 
Evening Post“ schreibt, „im Metropolitan - Opernhause ihre 
frühere Popularität nicht wiedergewinnen, seit Toscanini sie 
dirigiert und alle die weisen Striche wieder .aufgemacht' hat, 
die Anton Seidl einst darin anbrachte.“ 


— Das Liszt-Fest, das in 'Altenburg vom 25. — 28. April 
unter Leitung des Hofkapellmeisters Groß stattfinden wird, 
wird außer mehreren Werken Liszts eine Suite für Bläserchor 
von R. Strauß als Uraufführung bringen, ferner ein Streich- 
quartett und eine Symphonie des Amerikaners Kelley, Lieder 
von Weingartner für Tenor und Orchester und Orchester- 
kompositionen von H. Unger. 

— Man schreibt uns: Für das am 3. und 4. Mai in Dortmund 
(an der Kronenburg) stattfindende Musikfest zu Ehren von 
Friedrich Gernsheim, der im Juli ds. Js. sein 75. Lebensjahr 
vollendet, haben folgende Künstler ihre Mitwirkung zugesagt: 
Der Komponist, Frau Seret van Eyken (Gesang), Frau Lorle 
Meißner (Gesang), Herr Professor Henri Marteau (Violine), 
Frl. Guna Bräuning (Violine), Herr Gerard Bunk (Klavier), 
das Henri -Marteau -Quartett und das Philharmonische Or- 
chester. Das Fest besteht aus einem Kammermusikabend 
und zwei Orchesterkonzerten. Als Dirigenten fungieren Pro- 
fessor Hüttner und der Komponist. 

— In Heidelberg hat am 2. April das städtische Orchester 
das 25jährige Jubiläum seiner Gründung durch ein Monster- 
orchesterkonzert unter Beteiligung der benachbarten Hof- 
kapellen, speziell der Karlsruher Hofkapelle gefeiert. Sein 
Dirigent, Generalmusikdirektor Dr. Philipp Wolfrum regte 
auch die Gründung des Orchesters auf Grundlage der städti- 
schen Beamteneigenschaft mit an. Das Orchester ist innig 
mit dem musikalischen „Jung-Deutschland“ verbunden. Rieh. 
Strauß, Max Reger, Engelbert Humperdinck, Max Schil- 
lings, Siegmund v. Hausegger, Hans Pfitzner, Siegfried Wag- 
ner und andere jüngere Komponisten (auch Auslanderj sind 
in Heidelberg viel aufgeführt worden. Mehrfach fanden dort 
Tonkünstlerfeste des Allgemeinen Deutschen Musikvereins statt, 
zuletzt die große Franz-Liszt-Zentenarfeier. 

— Als nachträgliche Gedenkfeier für Verdi hat der Bach- 

Verein Karlsruhe unter Mitwirkung des Kirchenchors zu 
St. Bonifazio, des Großh. Hoforchesters und erster Solokräfte 
der Hofoper des italienischen Meisters Totenmesse in groß- 
angelegter Weise aufgeführt. Unter Leitung des Hofkirchen- 
musikairektors Brauer hinterließ das lange hier nicht mehr 
gehörte Werk einen tiefgehenden Eindruck. Schui. 

— In Kassel hat vor den Spitzen der Behörden und zahl- 
reichen geladenen Gästen die Einweihung der neuen Stadt- 
halle stattgefunden, die im Herbst vorigen Jahres schon provi- 
sorisch zu den Veranstaltungen anläßlich der Tausendjahrfeier 
benutzt worden war. Ein Konzert wurde von der heimischen 
königl. Opernsängerin Margarete Kahse-Schuster, dem Ora- 
torienverein, Philharmonischen Chor, Lehrergesangverein, 
Liedertafel und der Kapelle des 83. Inf.-Reg. unter den Diri- 
genten Emil Kürsten, Grosse und Hallwachs ausgeführt. Der 
Lehrergesangverein sang den 23. Psalm von Schubert in 
der Heubergerschen Bearbeitung und den Frankfurter Preis- 
chor 1813. Unter Hallwachs vereinigten sich die gemischten 
Chöre und sangen aus der Schöpfung „Die Himmel erzählen 
die Ehre Gottes“, die Kapelle leitete unter Grosse mit der 
Klughardtschen Festouvertüre das Konzert ein. Die Akustik 
des großen Konzertsaales ist ausgezeichnet. G. O. K. 

— In Berlin hat es eine Dame, die Pianistin J. Riß-Arbeau, 
fertig bekommen, in sieben Konzerten sämtliche Klavierwerke 
Chopins von op. 1 bis op. 65 zu spielen. 

— Der Violin- und Viola d’amour-Virtuose Conrad Berner 
hat bei einer Aufführung der Johannes-Passion unter Prof. Dr. 
Kretzschmar in der Königl . Hochschule in Berlin beide Viola d’a- 
mpur-Stimmen auf einer Viola d’amour in Originalgestalt ge- 
spielt. 

— Eine musikalische Aufführung zum Besten der Jung- 
deutschlandgruppe Groß-Berlin hat als Programm nur Kom- 
positionen von Max Battke gebracht. 

— Heinrich Grünfeld hat zwei alte Stücke von Wilhelm 
Friedemann Bach und Mozart für Violoncell und Klavier bei 
Simrock erscheinen lassen. Dort ist auch die von Ernst 
von Dohndnyi erstmalig gespielte „Suite nach altem Stil“, 
op. 24, erschienen. 

— In Magdeburg ist das geistliche Oratorium „Jairus“ von 
Fritz Zierau vor ausverkauftem Hause mit unbestrittenem 
Erfolg aufgeführt worden. 

— In Plauen ist die Symphonie in D dur von Erwin Lendvai 
aufgeführt worden; der anwesende Komponist hatte viel 
Beifall. 

— Die Liedertafel Ulm hat zwei Choraufführungen gebracht, 

die besonderem Interesse begegnen mußten. Unter des Kom- 
ponisten H. E. Seyffardt (Stuttgart) Leitung hörte man Bruch- 
stücke aus seiner Oper „Die Glocken von Plurs“, die durch 
die geklärten Qualitäten der Musik die wärmste Anteilnahme 
erweckten. — Der verdienstvolle musikalische Leiter der 
„Liedertafel“, Fr. Hayn, führte Volbachs lebensvolles Männer- 
chorwerk mit Baritonsolo und Orchester „König Laurins 
Rosengarten“ zu einem vollen Siege; es war die erste Auffüh- 
rung, die der Tübinger Universitätsmusikdirektor in Württem- 
berg hatte. X. 

— In Brandenburg a. H. hat der Königl. Musikdirektor 
Walther Schmidt sein 50. philharmonisches Konzert unter all- 
seitiger Anteilnahme veranstaltet. Eine große Zahl So- 


280 



listen von Weltruf (Joachim, d’Albert, Schnabel, Sarasate, 
Vecsey, Eltnan , Burmester, Petschnikoff, Carreno, Risler. 
Farrar, Dux, Herzog, Böhm van Endert usw.) weist die aus 
Anlaß des 50. Konzerts dem Programm beigegebene Liste 
auf. Der Dirigent wurde Gegenstand herzlicher Ovationen. 

— Im 8. Symphoniekonzert des städtischen Orchesters in 
Bochum hat Musikdirektor Merkert u. a. drei Intermezzi von 
H. F. Schaub mit Erfolg aufgeführt. Auch der „Tasso“ von 
Liszt stand auf dem Programm. 

— Unter Leitung des neuen Geraer Hofkapellmeisters 
Heinrich Laber haben die vereinigten Hofkapellen von Weimar, 
Altenburg, Rudolstadt und Gera in letzterer Stadt in einem 
Festkonzert Beethoven, Brahms und Wagner gespielt. 

— Ludomir Rozyckis Rhapsodie op. 33 für Klavier, Violine 
und Cello ist in fast allen Konzerten des ungarischen Streich- 
quartetts gespielt worden. 

— Ein Verein norwegischer Künstler ist in Berlin gegrün- 
det worden. Präsident ist Björn Bjömson, Vizepräsident der 
Musiker Christian Schiött. Auf der Mitgliederliste steht u. a. 
der Komponist Christian Sinding. 




(l) (dl KUNST UND KÜNSTLER 

— Zum Gluck- Jubiläum. Wir werden um Veröffentlichung 
folgenden Aufrufs gebeten: Die Gluck-Gesellschaft hat mich 
beauftragt, eine Sammlung der Briefe Christoph Wilibald 
Glucks vorzubereiten. Ich richte an alle Verehrer Glucks, 
insbesondere aber an die Besitzer von Autographen, die Bitte, 
mich auf die in ihrem Besitze befindlichen Gluck-Briefe auf- 
merksam zu machen, und mir möglichst die Originale oder 
Photographien davon für kurze Zeit zur Verfügung zu stellen, 
und zwar unter folgender Adresse: An die Geschäftsstelle der 
Gluck-Gesellschaft, Leipzig, Nürnberger Straße 36 (Breitkopf & 
Härtel). Erich H. Müller. 

— Um die Kaiserkette. Eine unerquickliche Affäre hat 
wieder mal das Kaiserpreissingen nach sich gezogen. Wie 
durch die Zeitungen bekannt geworden ist. hat die „Rheinisch- 
Westfälische Zeitung“ behauptet, daß der verstorbene Pro- 
fessor Fleisch durch „unbeschreiblich ungünstige Beurteilung 
im Gegensatz zu allen Preisrichtern“ den „Kölnern“ die Kette 
entrissen habe. Diese schwere Anschuldigung wurde natür- 
lich lebhaft kommentiert. Dann meldete sich die Witwe des 
Verstorbenen mit einer Erklärung in der „Köln. Ztg.“ zum 
Wort, daß die Behauptung der „Rheinisch-Westfälischen Zei- 
tung“ eine ungeheuerliche Verleumdung sei. Kein Wort davon 
sei wahr. Nun mußte das Blatt mit seinem Gewährsmann 
herausrücken: Geheimrat Professor Dr. Max Friedländer 
(Berlin) habe die Aeußerung getan zu Generalmusikdirektor 
Fritz Steinbach in Gegenwart des Justizrats Dr. Viktor 
Schnitzler in Köln. Daraufhin folgte in den Zeitungen die 
Erklärung: „Geleitet von dem Wunsche, die unliebsamen 
öffentlichen Erörterungen über die Preisverteilung beim letzten 
Frankfurter Sängerwettstreit zu beendigen, erklärt der Unter- 
zeichnete Geheime Regierungsrat Friedländer, daß er die 
Ehrenhaftigkeit und Gewissenhaftigkeit des verstorbenen 
Herrn Professors Maximilian Fleisch zu Frankfurt a. M. nie- 
mals, auch nicht bei der Unterredung mit den beiden anderen 
Unterzeichneten über den Frankfurter Wettstreit, in Zweifel 

B ezogen hat oder hat ziehen wollen. Im Anschluß hieran er- 
lären die beiden anderen Unterzeiclmeten nunmehr auch 
ihrerseits, überzeugt zu sein, daß der verstorbene Herr Pro- 
fessor Fleisch sein Amt als Preisrichter in gewissenhafter 
Weise ausgeübt hat, wie sie denn auch an der Ehrenhaftig- 
keit des verstorbenen Herrn Fleisch nie gezweifelt haben. 
Berlin und Köln, den 3. April 1914. Maximilian Friedländer. 
Viktor Schnitzler. Fritz Steinbach.“ — Man kann nicht 
gerade sagen, daß mit der Kaiserkette ein besonderer Segen 
verbunden sei. 

— Von den Konservatorien. Das 80 Köpfe starke, von Prof. 
Willy Heß geleitete Schülerorchester der Königl. Hochschule 
für Musik hat bei einem der letzten Schulkonzerte Werke 
von Richard Strauß und Max Reger „Till Eulenspiegel''. 
„Tod und Verklärung" und die „Hiller-Variationen" gespielt, 
und zwar zum erstenmal. Dabei erinnert die Schweizerische 
Musikzeitung an folgendes: Als um die Jahrhundertswende 
der Schreiber dieser Zeilen als Zögling der „Hdchschule" in 
Berlin auf der Bibliothek des Institutes nach der Partitur 
von Richard Straußens „Tod und Verklärung" fragte, da er- 
widerte ihm der Bibliothekar, der den Geist der Schule wohl 
keimen mußte: „Kommen Sie in 25 Jahren wieder, und ich 
kann Ihnen jetzt noch nicht versprechen, ob wir diese Parti- 
tur dann besitzen.“ — An das Königliche Konservatorium zu * 
Dresden sind berufen worden als Hochschullehrer für Violon- 
cello Herr Hofkonzertmeister Professor Georg Wille und als 
Hochschullehrer für Violine Herr Hofkonzertmeister Paul Wille. 



— Operettenjubiläum. Am 3. April hat die „Fledermaus“ 
von Johann Strauß ihr 4ojähriges Jubiläum gefeiert. Die 
Wiener Zeitungen berichteten von einem „beispiellosen“ Er- 
folg unter Leitung des Komponisten. Sehr scharf erklärte 
sich damals aber die Kritik gegen den Text: „Situationen, 
die man zur Not nur musikalisch nennen kann, sind hier 
durch einen Dialog voller haarsträubender Geschmacklosig- 
keiten aneinander gereiht, und schlechte Witze und schlech- 
tere Kalauer jagen sich wie Ungeziefer an unreinlichem Ort. 
Uns ist vollkommen klar, daß den patentierten Faiseurs des 
Theaters an der Wien (C. Haffner und Rieh. Gen6e) die Er- 
kenntnis des Möglichen und Unmöglichen, des Passenden und 
Unpassenden gänzlich abhanden gekommen ist, wenn sie die- 
selbe überhaupt je besessen haben.“ — Was hätten jene 
Kritiker nun aber zu Texten wie „Puppchen, du bist mein 
Augenstern“ gesagt, wo sie den reizenden Fledermaus-Text 
so zersausen? 

— Reisestipendien. Der „ Neuen Bach-Gesellschaft" sind von 
hochherzigen Gönnern wieder Mittel zur Verfügung gestellt 
worden, mit denen einer Anzahl unbemittelter Kantoren und 
Organisten aus Deutschland und Oesterreich der Besuch des 
am 9. — 11. Mai stattfindenden VII. Deutschen Bach-Festes 
in Wien durch Reiseunterstützungen ermöglicht werden soll. 
Anträge zur Gewährung solcher Reisebeihilfen, deren Höhe 
je nach der Entfernung vom Festorte und der Anzahl der 
Gesuche bemessen werden wird, sind bis zum 20. April an 
die Geschäftsstelle der Neuen Bach - Gesellschaft, Leipzig, 
Nürnberger Straße 36, zu richten. Berücksichtigt werden 
nur solche Gesuche, die von dem Ortskirchenvorstande oder 
einer anderen Vorgesetzten Behörde unterstützt sind. 

— Ein teurer Spaß. Das Pariser Gericht hat die Erben 
Massenets zu einer Entschädigung von 30000 Fr. an die 
Sängerin Arbeit verurteilt, weil sie entgegen dem Willen des 
verstorbenen Komponisten die Titelrolle in der Oper „Qeo- 
patra“ der russischen Sängerin Kusnezow übertragen haben. 

* * 

Personalnachrichten. 

— Der Intendant der Münchner Hofbühnen, Freiherr Clemens 
von und zu Frankenstein, ist, obgleich er einen Probevertrag 
von zwei Jahren hatte, schon nach eineinhalbjähriger Tätig- 
keit durch Signat vom 30. März zum Generalintendanten be- 
fördert worden. 

— Robert Laugs, dem Kapellmeister an der Kgl. Oper in 
Berlin, ist auf seinen Antrag für den nächsten Winter ein 
Urlaub gewährt worden, damit er seine noch bestehenden, 
weitgehenden kontraktlichen Verpflichtungen in Hagen er- 
füllen kann. Herr Laugs wird auch während des Urlaubs 
gelegentlich in Berlin dirigieren. 

— Kammersänger Ludwig Heß hat sich nach zwei sehr er- 
folgreichen Tourneen jetzt wieder ständig in Berlin nieder- 
gelassen. Der Künstler will sich wieder ganz dem deutschen 
Konzert- und Oratorienberuf widmen, aber auch eine begrenzte 
Anzahl Schüler unterrichten. 

— Musikdirektor Artur Wolf, der Kapellmeister des Flora- 
Orchesters in Köln, ist nach einem Probekonzert in der 
Koblenzer Festhalle von der dortigen Musikkommission ein- 
stimmig zum städtischen Musikdirektor von Koblenz gewählt 
worden. 

— Der Kapellmeister des Mailänder Scalatheaters, Serafin, 
tritt von der Leitung dieser Bühne zurück. An seine Stelle 
tritt für italienische Opemmusik der Italiener Marinuzzi, 
während Werke Richard Wagners von Artur Nikisch ein- 
studiert und dirigiert werden sollen. Es ist das erstemal, daß 
ein Deutscher Opemaufführungen im Scalatheater leitet. 

— Ernst Braunschweig, der erste Regisseur des königlichen 
Opernhauses in Berlin, ist im Alter von 63 Jahren gestorben. 
Der Verstorbene, der sich großer Achtung und Wertschätzung 
erfreute, hat zuletzt noch zusammen mit dem Generalinten- 
danten, Grafen v. Hülsen-Haeseler, den „Parsifal“ inszeniert. 
Emst Braunschweig gehörte der königlichen Oper 38 Jahre an. 

— Die „Internationale Stiftung Mozarteum“ in Salzburg 
gibt den Tod Dr. Robert Hirschfelds bekannt, der als künst- 
lerischer Beirat, als Inspektor und Mitglied des Direktoriums 
leider nur kurze Zeit gewirkt hat. 

— Aus Speyer kommt die Nachricht vom Tode einer Idea- 
listiii, Frl. Marie Retzer. Sie hatte sich in Freundschaft mit 
dem Komponisten Louis Lacombe und seiner Familie vereinigt, 
und war dann nach dem Tode des Schöpfers der „Sappho“ 
unablässig durch persönliches Einsetzen wie durch materielle 
Opfer bemüht, diesem Chorwerke die gebührende Anerkennung 
auch in deutschen Konzertsälen zu verschaffen. War Lacombe 
auch kein Richard Wagner, so ist das persönliche Verdienst 
des Frl. Retzer nicht geringer anzuschlagen, als das ihrer be- 
rühmten „Schwestern“. Ehre ihrem Andenken! 



281 



Amim Mr dlt AfetpilMa« 
NMparcUI«-Z«fU 75 Pleualg. 
Untss d«r Rubrik „Kleiner 
Aaselger“ 81 Pfennig :::::: 


Besprechungen und Anzeigen 


Alleinige Annehme von An- 
seigea durch die Firme Rudolf 
Moaaa, Stuttgart, Bertin. Leip- 
zig und deren elmtl. Filialen 


Gottfried Rüdinger, op. i: „ Märchenstunde “, acht Klavier- 
stücke, 2 Hefte je 1.80 M.; — op. io: „Sieben Bagatellen“, 
vierhändige Klavierstücklein für Anfänger 2 M. (Wunderhom- 
verlag in München). — Gottfried Rüdinger, von dem die Leser 
der „N. M.-Z.“ schon wiederholt feingearbeitete Klavierstücke 
kennen gelernt haben, zählt heute nach dem großen Erfolg, 
den seine „Romantische Serenade“ für kleines Orchester kürz- 
lich in München errang, zu den wenigen jungen Musikern 
Süddeutschlands, von denen wir hohe und bleibende Werte 
erwarten dürfen. Den Klavierspielern hat Rüdinger zwei 
technisch ziemlich leicht zugängliche, aber sehr anregende und 
darum im Unterricht ungemein fruchtbringende Klavierhefte 
geschenkt, deren poetischer Gehalt dem Titel „Märchenstunde“ 
sehr nahe kommt. Es wird nichts erzählt oder illustriert, 
sondern es sind Stimmungen von rührender Einfachheit, hei- 
terer Ruhe und beschaulicher Verträumtheit, unterbrochen 
von lebhaften Eindrücken einer fröhlichen Einbildungskraft. 
Die musikalischen Einfälle sind schlicht und sinnig und haben 
sich Formen geschaffen, deren erfreuliche Knappheit künstle- 
rische Selbstzucht verrät und deshalb wird man dort, wo die 
rechte Hausmusik gepflegt wird, dieser feinen Kleinkunst 
nicht überdrüssig werden' können. — Die vierhändigen Baga- 
tellen hat Rüdinger bescheidentlich den Anfängern im Kla- 
vierspiel zugewiesen, und ich kenne in der Tat kein ähnliches 
Werk jener Literaturgattung, das dem Neuling so viel An- 
regung und Vergnügen bringen könnte wie diese sieben Stück- 
lein. Wer nur erst auf der Klaviatur einigermaßen sich zu- 
recht gefunden hat, dem erschließen sich hier durch die ein- 
fachsten Mittel — der obere Part ist ganz auf den Umfang 
einer Quinte bei ruhender Hand unter Vermeidung der Ober- 
tasten beschränkt — musikalische Werte, deren reizvolles 
Melos durch eine im guten Sinne zeitgemäße Harmonik ge- 
würzt ist. Wem diese köstlichen Bagatellen durch einen ver- 
ständigen Lehrer in der ersten harten Lernzeit nahe gebracht 
werden, den wird doppelte Lust zum Weiterarbeiten anwan- 
deln. Der poetische Reichtum der Einfälle hebt diese Musik 
weit über den Bereich instruktiver Arbeiten empor zu der 
künstlerischen Bedeutung, die einigen Sachen von Robert 
Schumann zukommt, und darum wird auch der reife Musiker 


Neue Musikalien. 

(Spltofa Baapraahni witahaltan.) 

Bücher. 

Kapp, Jul., und Kästner, Ente- 
rich: Richard Wagners ge- 
sammelte Briefe. I. Band 
Lehr- und Wanderjahre 1830 
bis 1843. Brosch. 3 M., ge- 
bunden 3.50 M. Hesse & 
Becker, Leipzig. 

Johndorff, Rudolf: Das Tön- 
system der Zukunft (Die 
dichromatische Tonleiter). 
Gelsdorf & Co., Berlin NW. 7. 

1 Veber-Robini, Friedrich: Neu- 
land! Praktische Beiträge 
zur Existenzfrage ausübender 
Künstler. Verlagsgesellschaft 
„Berliner Brummbar“, Berlin- 
Wilmersdorf. 

Kurth, Dr. Ernst: Die Voraus- 
setzungen der theoretischen 
Harmonik und der tonalen 
Darstellungssysteme 5 M. 
Akademische Buchhandlung 
von Max Drechsel, Berlin. 

Riemann, Hugo: Musiklexikon, 
8. gänzlich umgearb. und mit 
den neuesten Ergebnissen der 
musikalischen Forschung und 
Kunstlehre in Einklang ge- 
brachte Auflage. Erscheint 
in ca. 20 Lieferungen zu je 
80 Pf., komplett brosch. ca. 
16 M., komplett gebunden 
ca. 18.50 M. Max Hesses 
Verlag, Leipzig. 

Wirth, Moritz : Parsifal in neuem 
Lichte. I. Heft mit Noten- 
beispielen und dem Ritt der 
Kundry, in Partitur 3 M. 
Oswald Mutze, Leipzig. 

282 


das wertvolle Heft mit wahrer Befriedigung aus der Hand 
legen. 

Derselbe, op. 7: „Heimliche Idyllen", sechs Stücke für Vio- 
line und Klavier, zwei Hefte je 2 M. (Wunderhomverlag, 
München.) Idyllisch ist der Grundzug dieser kleinen Suite, 
in der sich eine stille, ruhevolle Glückseligkeit, ein genuß- 
freudiges Lebensgefühl zu stimmungsreichster Musik verdichtet 
hat. Um der leichten Grazie der ersten drei und der schwärme- 
rischen Empfindsamkeit der beiden folgenden Stücke gerecht 
zu werden, bedarf es eines sorgsam abwägenden Geschmacks 
und eines mitschwingenden Temperaments. Technisch sind 
die Idyllen, vielleicht mit Ausnahme der letzten, nicht allzu 
schwer zu bewältigen. Wenn sie auch sicher im Haus und 
im intimen Kreis ihre besonderen Reize am unmittelbarsten 
mitteilen werden, so würden sie doch im Konzertsaal nichts 
von ihrer Wirkung einbüßen. Joseph Haas (Stuttgart). 

Hakon BSrresen: Morceaux ä 1.25 M. Verlag Hansen. 
1. Notturno al mare, eine wehmutvolle Klage über den Was- 
sern, unterbrochen vom wilden Lied des Sturmes. 2. Menuett, 
reizend in Melodie und Rhythmus. 3. Caprice, zeichnet sich 
durch eine machtvolle Steigerung und prächtige Dissonanzen 
aus. 4. Marche pittoresque (M. 1.50), ein sehr wirkungsvoller 
Marsch, doch mehr auf äußere Effekte gearbeitet, etwas 
schwieriger als die drei ersten Stücke, die besonders zu em- 
pfehlen sind. F. 

• • 

* 

Unsere Musikbeilage zu Heft 14 bringt ein Originalstück für 
Violine und Klavier, „Scherzo“ von Edgar de Glimes. Der 
unsem Lesern bekannte Dresdner Komponist zeigt auch hier 
wieder seine leichte Hand im Komponieren; das Stück ist 
melodiös und flott, dabei nobel geschrieben; der Mittelsatz 
bringt die rechte Abwechslung. Im 7. Takt vom Schluß an 
gerechnet gehört das A als Achtel zu den drei andern Achteln. 


Verantwortlicher Redakteur: Oswald Kühn ln Stuttgart. 
Schluß der Redaktion am 4. April, Ausgabe dieses Heftes am 
16. April, des nächsten Heftes am 28. April. 


Ferdinand Dai 

Erster Teil 

Der Anfänger 

Edition Breitkopf Nr. 1452 
Preis 1.60 M. 

Im biegsamen Naturleinenband kostet je 

Did; Violinschule 

Zweiter Teil 

Der vorgerückte Schüler 

Edition Breitkopf Nr. 1453 
Preis 2 M. 

■d. Teil 1 M. mehr, im Leinenband 1.50 M. mehr 

CA Ta Vit* p* sind es her, daß Ferdinand David, einer der berühmtesten Violin- 
Ul/ «10.111 C lehrer aller Zeiten, durch den lange Jahre hindurch Leipzig der 
Ruhm der hohen Schule des Violinspiels geworden war, seine Erfahrungen als Violin- 
lehrer in einer 20jährigen Tätigkeit am Leipziger Konservatorium und seine ungewöhn- 
lichen Lehrfähigkeiteh in seiner Violinschule niederlegte. Mit weitschauendem Blick 
hat er damals aas System, nach dem er seinen Lehrgang aufbaute, in dieser Violin- 
schule niedergelegt. Wie David die Materie angeordnet, wie er sie behandelt hat, ist 
geradezu bewunderungswürdig. Nichts ist zu viel, nichts zu wenig beachtet. So steht 
denn dieses Standwerk violinistischer Unterrichtsliteratur noch heute auf unüber- 
troffener Höhe, und so kam es, daß die jetzt zur Ausgabe gelangte 

Jublläums-Husgabe 

nur wenige, kaum bemerkenswerte, Aenderungen des Inhaltes nötig machte, die ganze 
Aufmerksamkeit konnte vielmehr der technischen Ausführung zugewendet werden. 
Durch vorzüglichen Neustich beider Bände, durch den klaren Druck und das feste 
Papier, wie die sonstige Ausführung kennzeichnen sich die Bände auch äußerlich als 
„Jubiläums- Ausgabe". Der erste Band bringt ein wohlgelungenes Bild Ferdinand 
Davids mit seinem Namenszug in Faksimile und Abbildungen über Haltung der Geige 
und des Bogens. Dem zweiten Bande wurde das ebenfalls in Faksimile nachgebildete 
Schreiben des Autors beigegeben, durch das er 1863 Breitkopf & Härtel in Leipzig 
sein Werk zum Verlag übertrug. Die Violinschule sei allen Lehrern, die die Gründ- 
lichkeit inj Studium obenan stellen, erneut empfohlen. :: :: 

, 

Edition Breitkopf 








Briefkasten 


E. K., D. Wir s*nd bereits versehen 
und danken für Ihr freundliches Angebot. 
Wegen der anderen Frage müssen wir erst 
Erkundigungen einziehen. 

E. M. Die Angehörigen dieser Kate- 
gorien wird jeder Vorurteilslose als Fach- 
leute ansehen. Es kommt ja auch stets 
auf d.is Können an; im übrigen haben 
wir diese Frage zunächst nun genug be- 
handelt. 

Brugg. Wir hatten erst in Heft 9 Aus- 
kunft darüber gegeben, daß die dem AUg. 
Deutschen Versicherung*- Verein a. G. in 
Stuttgart nahestehende Stuttgarter Mit* 
und Rückversicherung»- Aktiengesellschaft 
wertvolle Instrumente versichert. 2. Auch 
hier wieder unsere Bitte: wenden Sie sich 
auf direktem Wege an Ihren Musikalien- 
händler. 

Lehrer M. in S. Mit Vergnügen werden 
wir Ihnen Antwort geben, wenn Sie sich 
als Abonnent ausweisen. 

Dr. mus.l Die Notiz eines Blattes in 
Halle, die wir kürzlich zum Abdruck 
brachten, wird in folgendem berichtigt: 
„Wie -mir auf eine Anfrage die Universität 
Halle mitteilt, wird der Musikdoktor nicht 
verliehen, Musikwissenschaft gilt jedoch 
als Hauptfach. Damit erledigt sich 
auch eine Anfrage des Herr F. fe. — Wir 
bitten wiederholt, über alle derartigen 
Fragen auf direktem Wege Auskunft zu 
holen. Wenn z. B. jemand das Institut 
für Kirchenmusik in Berlin besuchen will, so 
ist es am zweckmäßigsten, über die Eintritts- 
bedingungen usw. an Ort und Stelle in 
Berlin anzufragea. 

Vom Musiker-Beruf. Zwei Anfragen lie- 
gen uns wieder vor, die Rat wünschen, 
wie ein junger Musiker zu Brot kommen 
könne. In dem einen Falle handelt es sich 
um eine junge Dame, eine Geigerin, die 
ein großes Konservatorium in allen Fächern 
mit Note I absolviert hat und dann noch 
Schülerin von Berber war, also um eine 
zweifellose „Kraft“. — Ja, wenn an den 
betreffenden Konservatorien Stellen nicht 
frei sind, nützt alles Talent nichts. Sie 
müssen eben so lange suchen, bis Sie Er- 
folg haben. Ein Universalrezept gibt es 
leider nicht. Der Musikerberuf ist eben 
überfüllt, wie alle anderen Berufe; und 
wenn Ihre Tochter Privat lehrerin werden 
will, so muß sie es ähnlich machen wie 
der junge Arzt, der Advokat : sich in einer 
günstig scheinenden Stadt nfederlassen und 
dort ihre Werbetätigkeit beginnen. Dazu 
kämen natürlich öffentliche Konzerte in 
Betracht. Im übrigen wenden Sie sich 
auch, wie hier schon Öfter empfohlen, an 
den Verband der Deutschen Musiklehre- 
rinnen, Berlin, Frl. H. Ribbeck, Pots- 
damerstraße X24. — Der zweite Fall be- 
trifft einen jungen Musiker, von dem Re- 
ger, ein strenger Lehrer, sagte, daß er 
nichts Neues mehr in der Musik lernen 
könne (was natürlich im rechten Sinne 
aufzufassen ist). Und nun sollen wir auch 
wieder roten, wie er zu Brot und Stellung 
kommt?. Hier käme der Zentralverband 
Deutscher Tonkünsller und Tonkünsllcr- 
vereinc, Vorstand Kapellmeister A. Gölt- 
mann, Berlin- Wilmersdorf, Kaiser- Allee 172, 
in Betracht. Im übiigen: anfangen als 
Musiklehrer, Männerchordirigent, dann 
sich um offene Stellen bewerben. Mehr 
können wir nicht tun. Viel Glück! 



i Böhmflöten q 


J. Mollenhauer & Söhne, FULDA 

Hoflieferanten Gegr. 1832 



Deutsche 

Dluslkbüdterei 

Band 1. 

Friedrich Nietzsche, Randglossen 
zu Bizets .Carmen“. Im Aufträge 
des Nietzsche Archivs heraus- 
gegeben von Dr. Hugo Dalfner. 
ln Fuppeinband . . . . M. 1.— 
Band 2. 

Prof. Dr. Arthur Seidl, Die Heller- 
auer Schulfeste und die Bildungs- 
anstalt Jaques-Dalcroze. Mit 16 
Kunstbeilagen, in Pappeinband 
M. 1.50 

Band 3. «- ■- 

Adolf Bernhard Marx, Anleitung 
zum Spiel der Beethovenschert 
Klavierwerke. Herausgegeben von 
Dr.Gugen Schmitz. Mit 1 läNoten- 
beispielen. In Pappeinband M.2.— 
Band 4. 

Prof. Aug. Weweler, Ave Musical 
Das Wesen der Tonkunst und die 
modernen Bestrebungen. In Papp- 
einband . . M. 2 

Band 5. 

Prof. Dr. Arthur Seidl, Moderner 
Geist in der deutschen Tonkunst. 
In Pappelnband .... M. 2.— 
Band 6 , 

Albert Lortzlng, Gesammelte 
Briefe. Herausgegeben von Georg 
Richard Kruse. Mit je einer 
Porträt- und Facsimile-Beilage. 
In Pappeinband .... M. 3.— 
Band 7. 

£ Bruno Schuhmann, Musik und 
Kultur. Festschrift zum 50. Ge- 
burtstag Arthur Seidls. Mit je 
einer Porträt- und Musik-Beilage, 
In Leineneinband . ... K. 3.— 
Band 8 . 

Prof. Dr. Arthur Seidl, StrauSiana. 
In Leineneinband . . . . M. 2.50 

Band 9. 

Hans Weber, Richard Wagner als 
Mensch. Mit einer Porträt-Bei- 
lage. In Leineneinband . M. 1.50 

Band 10. 

Otto Nicolai, Musikalische Auf- 
sätze. Herausgegeben von Georg 
Richard Kruse. MH je einer 
Porträt- und Facsimile-Beilage. 
ln Leineneinband . . . . M. 2.— 

== Urteile: — : 

Hermann Abendroth: ..... daß 
Sie mit feinem Verständnis wertvolle 
Werke herausgegriffen haben, um sie 
in vornehmer Ausstattung und zu ver- 
hältnismäßig niedrigen Preisen Jeder- 
mann zugänglich zu machen. Ich 
beglückwünsche Sie sehr zu Ihrem 
Unternehmen und bin überzeugt, daß 
Ihre Musikbücherei sich rasch viele 
überzeugte Freunde erringen wird.“ 

Prof. Iwan Knorr: .Das Ziel, das 
Sie sich durch die Herausgabe der 
.Deutschen Musikbücherei' gestellt 
haben, muß ja jedermann höchst er- 
strebenswert erscheinen und die Art, 
wie Sie Ihre schöne Idee in die Tat 
umsetzen, verdient uneingeschränktes 
Lob.“ 

Prof. Josef Pembaur d. J.t .ihr 
Werk ist sehr verdienstvoll, Druck und 
Ausstattung der Bücher einfach und 
doch vornehm , Preis äußerst entgegen- 
kommend. Werde die Werke soviel 
ich kann empfehlen.“ 

Hof rat Pro!. Dr. Max Reger : .Neh- 
men Sie meine besten Wünsche ent- 
gegen zu einem recht erfolgreichen 
Gedeihen Ihrer so sehr verdienst- 
vollen Idee." 

Dr.Eugen Schmitz: .Ihre , Deutsche 
Musikbücherei“ halte ich für ein außer- 
ordentlich wertvolles Unternehmen, 
namentlich soweit sie schwer zugäng- 
liche und doch wiclitigeoder wertvolle 
Quellenwerke neu vorlegt. Was Sie 
in dieser Hinsicht schon geleistet ha- 
ben und weiter noch in Aussicht stel- 
len, ist höchster Anerkennung wert. 
Ich habe bisher auch gerne jede Ge- 
legenheit benützt, die schmucken, 
schon durch ihr Aeußeres, sowie ihren 
staunenswert billigen Preis sich em- 
pfehlenden , blauen Bücher' ais Kri- 
tiker nach Möglichkeit zu empfehlen. 
Erfolgreiches Weiterarbeiten im glei- 
chen Gebiet wünscht Ihnen “ 

Prof. OeorgSchumann : .Ich finde 
diesesUnternehmen höchst verdienst- 
lich und wünsche ihm deshalb glück- 
lichen Fortgang und Erfolg.“ 

■ JederBand ist einzeln käuflich I ■ 
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Kongreß, London 1913, den Grand Prix 
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3. bei Magen- und Darmleiden 

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6. bei Kinderkrankheiten 

7. bei Frauenleiden 

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und Wöchnerinnen. 


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Zwei Kindertlnze 

Für das Klavier komponiert von 

Op- 44. E. Bresla nr, 

No. 2. Polka. ^ 

Der berühmte Musikpädagoge zeigt »ich hier « 1 » liebenswürdiger, 
feinsinniger Komponist. Vorstehende naive, leicht splelbare Kompo- 
sitionen, nach denen es sich, infolge des scharf ausgeprägten Rhyth- 
mus, auch leicht tanzen läßt, seien der Beachtung aller Lehrer und 
Eltern angelegentlichst empfohlen. Die nett ausgestatleten Kompo- 
sitionen sind mit Fingersatz, Phrasierung und dynamischer Bezeich- 
nung versehen, so daß sie außerdem auch instruktiven Zwecken dienen. 


Preis für jedes Heft 80 Pf. 


0^“ Zu beziehen durch jede Buch- and Musikalienhandlung, iowte 
zach gegen Einsendung des Betrags ln Briefmarken (zuzüglich 3 Pf. 
pro Heft für Porto) direkt vom Verlag 

Carl Grflnlnger ln Stnttgart. 


283 



Kompositionen 


(Redaktionsschluß am a. April.) 


Romantiker. Gutgemeinte Versuche. 
Kenntnisse für selbständige, einwandfreie 
Arbeiten unzureichend. 

L. S. „Auf der Wacht" ließe sich noch 
realistischer behandeln. Im übrigen gut. 

A. Scb— egg. Schlicht und innig. Der 
Volkston ist gut getroffen. 

Bittersüß. Mit solchen Produkten sind 
Sie nicht konkurrenzfähig, obwohl Ihre 
Weisen gar nicht so übel klingen. „Aus- 
fahrt" ist rhythmisch inkorrekt dargestelH; 

4 Achtel dürfen im <*/s-Tftkt nicht zu einer 
Halben zusammengezogen werden. „Thü- 
ringerland“ ist nicht einwandfrei im Be- 
gleitsatz. Auch die übrigen Rieder sind 
korrekturbedürftig. Die Bezeichnung 
„schallender Unsinn" verdienen Ihre No- 
ten nicht, Sie setzen sich auch keiner 
„Blamage“ aus, wenn Sie den betreffenden 
Dichtern Ihre Lieder zukommen lassen. 

A. O., Br. Ihr solides Können bei gut 
fundamentierten Kenntnissen verdient 
Anerkennung und Aufmunterung. Kommt 
dazu noch eioe beflügeltere Phantasie, dann 
werden Ihre Arbeiten an Bedeutung ge- 
winnen. Zu den relativ besseren Leistungen 
gehören die von Ihnen selbst bezeichne ten. 

J. B., B. Befriedigend. Als Frühlings- 
lied dürfte der Schülerchor noch origineller 
und belebter sein. 

Notenschrook. Ein liebenswürdiger 
Attentäter, dem man seine Tat gern ver- 
zeiht, weil sie keine Untat ist. Daß der 
Marsch „verstohlenerweise im Bureau 
immer nur Takt für Takt" entstanden ist, 
erhöhte unser Interesse an der frischen, 
sanber gesetzten Musik. 

A. E — wein, K. Gute, beachtenswerte 
Anläufe eines ausgesprochenen Talents. 

X. in A. Was Sie als Entwurf einer 
orchestral gedachten Symphonletla be- 
zeichnen, ist ein formloser Niederschlag . 
verschwommener Illusionen. Solche Kleck- 
sereien sollten Sie nicht aus der Hand 
geben. Versuchen Sie es nur mit jener 
Unterrichtsmethode. Lassen Sie sich von | 
Ihren früheren Musiklehrern beraten, wo [ 
für Sie der geeignetste Platz ln Bayern 
wäre. 

K. Gr— ger, R— a. Sie lassen auf die , 
beiden Walzer „Unter den Sternen“ und 
„In der Morgenröte" die Serenade „Sonnen- 
aufgang“ folgen. Eine Serenade ist eine 
Nacht- oder Abendmusik und würde besser 
„unter den Sternen“ gespielt. Wenn Sie I 
in der zweiten Hälfte Ihrer „Morgenröte“ 
das vorgezeichnete fis nicht streichen, dann ! 
wird es nie zum Sonnenaufgang kommen. ' 
„Der Traum in der Mondnacht“ wäre ' 
besser ungeträumt geblieben. Sie sollten 
Ihre Arbeiten wenigstens von den gröbsten [ 
Schnitzern säubern lassen. 

A. R. Ihre Spielmannsweisen hätten 
breiter ausgesponnen werden dürfen. Nach 
den Erläuterungen hierzu erwartet man 
erschöpfendere Illustrationen. Sonst gut. 

J. Th. A., L-kerg. Ihr Talent, von dem 
wir die beste Meinung haben, sollte zu- 
nächst einmal die Disziplin einer strengen 
künstlerischen Schulung kennen lernen. 
„Geheimnis“ verrät eine Neigung zu Geist- 
reicheleien. Sie folgen schon nicht mehr 
ganz den Eingebungen Ihres natürlichen 
Empfindens. Derartige Arbeiten blieben 
ohne Erfolg und führten zu Enttäuschun- 
gen, vor denen wir Sie angesichts Ihres 
jugendlichen Alters bewahrt wissen möch- 
ten. 

H. B. B. C. Die beiden Fugen sind ge- 
wichtige Argumente für Ihr Können. Nicht 
für die Reife Ihres Könnens, denn eine 
gründlichere Analyse führt zu der An- 
nahme, daß Ihnen die konlrapunktische 
Vorschule nicht genügend Gelegenheit zur 
Beherrschung und Durchdringung der ein- 
schlägigen Materie geboten hab Darum 
gelingt es Ihnen auch nicht, die an sich 
sehr interessanten Themen mit der er- 
forderlichen Konsequenz durebzu führen. 
Auch das Lied „Im roten Mohn" bietet 
nicht das, was wir erwarteten. — Ihre 
Frage wird Ihnen die Prüfungskommission 
für „Einjährige" gern beantworten. 






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XXXV. VERLAO VON CARL GRÜNINGER, STUTTGART-LEIPZIG 1914 
Jahrgang Preis des Jahrgangs (Oktober 1913 bis September 1914) 8 Mark. Heft 15 

Bnchclnt vierteljährlich In 6 Heften (mit Htulkbeilaeen, Kunst beilage und „Bathe, Olnstrlerte Geschichte der Musik“). Abonnementprels a M. vierteljährlich, 8 M. jährlich. 
Rinteln« Hefte 30 Ff. — Bestellungen durch alle Buch- und Musikalienhandlungen sowie durch sämtliche Postanstalten. Bei Kreuzbandversand ab Stuttgart Im deutsch- 
österreichischen Postgebiet M. 10 . 40 , im übrigen Weltpostverein M. ra. — jährlich. 




Inhalt * Eln Charakterbild Giuseppe Verdis auf Grund seiner Briefe. — Zur Kunstästhetlk unserer Zelt..; III. Das doppelte Gehör. (Sinnliches und geistiges Ohr.) 
lllllall • Ei n Beitrag zum Verständnis der modernen Musik. (Fortsetzung.) — Führer durch die Vloloncell-Uteratur. (Fortsetzung.) — Musikerköpfe. — Zur Deu- 
tung und Würdigung von Hauseggers Natursymphonie. (Fortsetzung.) — Von der Opernsaison an der Riviera. — Stockholmer Musikbrief. — Kritische Rundbehau: 
Halle a. 8., Krefeld, Paris, Petersburg. — Kunst und Künstler. — Besprechungen: Neue Klaviermusik. ZwethändlgepClavIerstücke für die Jugend. — Briefkasten. — 

Dur und Moll. — Neue Muslkallen. — Musikbeilage. 


Ein Charakterbild Giuseppe Verdis 
auf Grund seiner Briefe . 1 * * * * * * 

Von ALFRED EINSTEIN (München). 

Z um hundertsten Geburtstag Verdis hat die Stadt 
Mailand für ihren großen Bürger eine Form der Ehrung 
gefunden , die auch für uns Deutsche vorbildlich 
werden sollte. Sie hat natürlich auch nicht unterlassen, 
worauf wir uns bei Wagner so ziemlich beschränkt haben: 
sie hat Festaufführungen der Werke Verdis veranstaltet 
und durch den Auftrag an Enrico Butti, vor Verdis Musiker- 
Altersheim ein mächtiges Denkmal zu errichten, der ita- 
lienischen „ Statuomania “ den gebührenden Tribut dar- 
gebracht. Aber sie hat auch zwei Gelehrten — einem 
auch auf musikalischem Gebiet heimischen Literarhistoriker 
von Ruf und einem jungen Musikhistoriker deutscher 
Schulung — die Aufgabe gestellt, Verdis hinterlassene 
Briefkonzepte* zu veröffentlichen und zu ergänzen, und 
hat dies Buch rechtzeitig in einem in jeder Beziehung 8 
■würdigen Bande von 760 Seiten herausgegeben. Damit ist 
Verdi ein Denkmal errichtet, das an eindrucksvoller Größe 
und Schönheit keinem aus Erz oder Stein etwas nach- 
gibt. 

Ein Denkmal freüich, gegen dessen Schaffung Verdi 
selber sich ebenso heftig gesträubt hätte wie gegen die 
Enthüllung einer ihm errichteten Statue. Mit Recht 
hat das Scherillo in seiner kurzen, aber glänzend geschriebe- 
nen Vorrede hervorgehoben. Der Italiener, der auf. eine 
glänzende Vergangenheit der Epistolographie zurückblickt, 
verlangt ebenso wie von der öffentlichen Rede auch von 
dem publizierten Briefe ein hohes Maß formaler Abrundung. 
Als gerade Scherillo im Sommer 1880 intime Briefe Vincenzo 


1 Anm. der Red. Die „N. M.-Z.“ hat bereits in Heft 5 und 9 

dieses Jahrgangs Auszüge aus den Briefen Verdis veröffent- 

licht. Der heutige Aufsatz begnügt sich aber nicht mit bloßen 

Wiedergaben von Stellen aus dem hochinteressanten Buche, 
sondern sucht das Charakterbild des Künstlers und Menschen 

Verdi auf Grund der Briefe in schärferer Beleuchtung erstehen 
zu lassen. 

* I Copialettere di Giuseppe Verdi. Pubblicati e illustrati 
da Gaetano Cesari e Alessandro Luzio e con prefazione di 
Michele Scherillo. 

A cura della Commissione esecutiva per le onoranze a G. V. 
nel primo centenario della nascitä Milano 10. Ottobre 1913. 

8 Mit einer Einschränkung! Die beigegebenen Porträts 
durften nicht im gewöhnlichsten Netzdruck kommen; auch 
die FaksimUe sind infolge der Fapierwahl nicht ganz scharf 
geraten. 


Bellinis veröffentlichte — es war das erste Wagnis auf 
diesem Gebiet in Italien — , rief sein Büchlein einen Sturm 
der Entrüstung hervor, und auch Verdi schrieb am 18. Ok- 
tober 1880 an Arrivabene: 

„ . . . was für ein Zwang liegt vor, Briefe eines Kom- 
ponisten ans Tageslicht zu ziehen? Briefe, die immer 
eilig, unsorgfältig, gleichgültig geschrieben sind: denn der 
Musiker weiß, daß er keinen Ruf als Schriftsteller zu wahren 
hat. Genügt es nicht, daß man ihn für seine Musik aus- 
zischt? Nein! Auch die Briefe! Ach, welche Plage, die 
Berühmtheit! Die armen kleinen berühmten Größen 
haben ihre Popularität teuer zu bezahlen! Niemals eine 
Stunde der Ruhe für sie, nicht im Leben und nicht im 
Tod!“ 

Dieser Widerstand hängt zusammen mit Verdis mächtig 
entwickeltem Unabhängigkeitsgefühl: die .Oeffentlichkeit 
hat kein Recht auf die private Persönlichkeit des Künstlers 
— ihr gehört das Werk und sonst nichts. Man hat sich 
also damit abzufinden, daß diese Publikation dem ent- 
schiedensten und hundertmal aufs leidenschaftlichste ge- 
äußerten Willen des Meisters aufs stärkste zuwidergelaufen 
wäre. Aber, seine eigenen Briefe sind nicht der Art, wie 
er oben Musikerepisteln charakterisiert hat. Daß ihnen 
die formale Glätte oder Abrundung abgeht, ist für uns 
Deutsche wenigstens ein Vorzug und beginnt es immer 
mehr auch für die Italiener zu werden. Sie sind eilig 
geschrieben, ja: das beweist das aufatmende „addio addio“ 
am Ende fast jedes Freundesbriefes, das wie ein „Gott 
sei Dank“ klingt; aber gleichgültig, unsorgfältig sind sie 
so wenig als die musikalische Arbeit Verdis: Sie sind ge- 
drängt, kurz, sachlich, ohne Redensarten, scharf und klar, 
von dem gewaltigen Impetus wie eine seiner- Melodien 
oder Opemszenen: hier, wie immer, besteht eine Einheit 
in allen Aeußerungen eines bedeutenden Mannes! 

Verdis Konzeptbücher reichen, mit einigen bedeutenden 
Lücken, vom Jahre 1844 bis zu seinem Todesjahr; was 
Verdi darin aufzeichnete, waren natürlich Briefe, die er 
als Dokumente rasch zur Hand zu haben wünschte : Ge- 
schäftliches, Antworten auf Hostilitäten, „öffentliche“ 
Briefe. Der Briefwechsel mit Verlegern und Impresari 
nimmt den größten Raum ein, und, weit entfernt uninter- 
essant zu sein, gibt er den ungewöhnlichen Menschen in 
gewissem Sinne schon ganz. Am besten stimmt da der 
Vergleich mit dem Großbauern, der Verdi ja tatsächlich 
war. Er ist ruhig, bestimmt, sicher, kennt sich und seine 
Leute ; er stellt seine Bedingungen und wacht genau darüber, 
daß sie erfüllt werden mit der Peinlichkeit, mit der er selber 
seinen Verpflichtungen nachkommt. Er versteht zu 

285 







fordern. Lumley, der Direktor von Her Majestys Theater 
in London, hat seinen Dirigenten Costa an die Konkurrenz- 
oper von Coventgarden verloren und sucht Ersatz in Verdi. 
Nun denn, Verdi will auf drei Jahre (1849 — 51) kommen, 
dirigieren und jedes Jahr eine Oper komponieren; dafür 
verlangt er pro Jahr 90000 Franken, Landhaus und Wagen; 
auch der Textdichter geht auf Lumleys Kosten. Er ist 
auch mißtrauisch wie ein Bauer. Am 4. Juli 1846 fordert 
ihn Flauto, der Impresario von San Carlo zur Komposition 
einer Oper auf und läßt ein paar Redensarten fallen wie: 
Verdi möge den Napolitanem ein bißchen „grün“ sein. 
Verdi, der den Napolitanem gar nicht grün zu sein seine 
bestimmten Gründe hat, sucht in jedem Wort des Im- 
presario ein Versteck und pariert in seiner Antwort jede 
vermeintliche Spitze. Er braucht die Neapolitaner, die 
seine A 1 z i r a schlecht empfangen haben, nicht : wenn er 
will steht ihm die Große Oper offen ! Ein anderer köstlicher 
Brief ist der vom 5. Juni 1859 an den römischen Impresario 
Vincenzo Jacovacci, der unter Preßkabalen den „Masken- 
ball“ herausgebracht hatte, und dafür bei Ricordi die Preise 
drücken zu dürfen glaubte. Wenn ihm moderne Autoren 
zu teuer kämen, meint Verdi, „so stöbert im klassischen 
Repertoire, das der Oeffentlichkeit gehört, und Ihr werdet 
mit ein paar Baiocchi davonkommen. Ihr braucht drei 
Opern? Hier: Nina Pazza von Paisiello, Artnida von 
Gluck, Alceste von Lulli. Mit ihnen, außer der Ersparnis, 
seid Ihr sicher, Euch weder mit den Zeitungsschreibern 
noch anderen Leuten herumschlagen zu müssen. Die Musik 
ist schön, die Autoren sind tot, werden seit einem, seit 
zwei Jahrhunderten von allen gelobt, und werden weiter 
gelobt werden, und wäre es auch nur deshalb, damit man 
denen eins anhängen kann, die noch nicht die Narrheit 
begangen haben zu sterben.“ 

Wie Verdi nicht mit sich „handeln“ läßt, so ist er auch 
darin dem Bauern unähnlich, daß er nicht pfiffig 
ist. Wer sich einen Begriff von seiner Geradheit, Ent- 
schiedenheit, seiner Abneigung gegen alles Winkelwerk 
(Cavilli) machen will, lese den Brief an Ricordi vom 23. März 
1852. Einmal passiert es dem Meister trotz Besonnenheit 
und Konzeptbuch, daß die ■ Eigentumsfrage der franzö- 
sischen Bearbeitung des Troubadour unklar ist, mit andern 
Worten, daß er in den Verdacht gerät, ein Eigentumsrecht 
ein und desselben Werkes zweimal verkauft zu haben. 
Und hier, wo ihn Gedächtnis und Dokumente im Stich 
lassen, will er die Sache vom Halse haben, koste sie was 
sie wolle. Ist er seiner Sache aber sicher, wie etwa bei 
einer der Kontroversen mit Ricordi, ist es drollig zu be- 
obachten, wie wenig zugänglich er für die lebhafte Gesti- 
kulation und die Sentimentalitäten seines Verlegers ist. 
Er beachtet sie gar nicht, geht unbeirrt immer wieder 
auf den Kern der Sache los, sagt bloß: „Du schreibst mir 
da einen wunderschönen Brief, der Dich aber gar nicht 
entschuldigt.“ Und diese Ruhe, Ueberlegtheit und Be- 
stimmtheit ist dieselbe, ob es sich um das Honorar für Aida, 
um die Gründung eines Hospitals, oder um die Bestellung 
von Magnolien, um den Tausch einer Flinte handelt. »Schon 
anno 1846, in einem Brief an die Freundin Emilia Morosini, 
scherzt er: „Wer weiß, ob ich eines Morgens nicht als 
Millionär aufwache! Was für ein schönes Wort mit vollem, 
schönem Sinh! Wie leer, im Vergleich damit, Ruhm, 
Ehre, Geist usw. !“ Das hätte, mit dem halben Emst, der 
dahintersteckt, Wagner nie sagen können. 

Wir sprachen oben von der heftigen Abneigung Verdis 
gegen die Beschäftigung der Oeffentlichkeit mit seiner 
Person. Er empfindet sie als Angriff auf seine Unab- 
hängigkeit, als einen Eingriff in seine Selbstbestimmung, 
als eine Ungehörigkeit. Seine Landsleute wollen ihm zu 
Ehren in Busseto ein Theater errichten: er wehrt ab, so 
leidenschaftlich er nur kann; er ermahnt die Gemeinde 
in seiner Eigenschaft als Abgeordneter, die Gelder für den 
Theaterbau dem finanziell bedrängten Staat zur Ver- 
fügung zu stellen; sein Widerstand klingt aus in den Auf- 
schrei: „ein einziges Ding verlange ich von Euch: Ruhe, 

286 


und wenn Ihr wollt, auch Vergessenheit!“ Er ist 
den Bussetanem nichts schuldig. Wohl, er hat vor 
32 Jahren aus Gemeindemitteln 1200 Franken erhalten, 
und die moralische Verpflichtung, sein Dank wird immer 
bleiben. „Aber ich hebe den Kopf und sage voll Stolz: 
meine Herren, ich habe Ihren Namen ehrenvoll in alle 
Teile der Welt getragen! Das ist 1200 Franken wert!“ 
Am empfindlichsten wird er, wenn man über seinen Kopf 
hinweg eine Bestimmung trifft, in der Voraussetzung seiner 
Zusage über ihn verfügen zu dürfen glaubt. Der Sänger 
Maurel imputiert Verdi, er -habe ihm versprochen, 
die Rolle des Jago für ihn zu schreiben: Verdi weist das 
scharf und bestimmt zurück. Die tausend Aufforderungen, 
irgend einer Vereinigung zu wirklich oder angeblich kunst- 
förderlichen Zwecken seinen Namen als Mitglied, Ehren- 
mitglied oder Vorstand herzugeben, lehnt er ausnahmslos 
ab, und die Ablehnung erfolgt mit besonderer Gereiztheit, 
wenn die Ernennung ohne sein Wissen schon erfolgt ist. 
Nur in e i n e m Falle macht er eine Ausnahme, als er zum 
Ehrenmitglied des Vereins Beethovenhaus in Bonn ernannt 
wird. An Joachim schreibt er damals (7. Mai 1889) den 
charakteristischen Brief: 

„Obwohl von Natur abgeneigt an irgend einer Feier 
öffentlichen Charakters teilzunehmen, so kann ich doch 
in diesem Falle die Ehre, die mir angeboten wird, nicht 
ablehnen! Es handelt sich um Beethoven! Vor diesem 
Namen neigen wir alle uns in Ehrfurcht.“ 

Und als Gegenstück ein Brief an einen gewissen V. Rocchi, 
der ihm eine seiner Arbeiten zugeschickt hatte, und, anno 
1888!, die Unverschämtheit besaß, Verdi mit der Glosse 
zu mahnen, zu seiner Zeit sei Grüßen Artigkeit ge- 
wesen — Antworten ... Pf licht : 

„Herr! 

Sie erlauben sich mir eine Lektion zu erteilen, die ich 
zuriickweise. 

Und ich stelle meinerseits die Frage: 

Warum schicken Sie, der Sie mich nicht kennen, mir eine 
Ihrer Arbeiten? 

Und weshalb sollte ich mich damit befassen? 

Wissen Sie, wieviel Briefe, Artikel, Kompositionen ich 
täglich von allen Seiten erhalte ? Und ich sollte verpflichtet 
sein auf alle zu antworten? 

Ich sollte es, sagen Sie : ich dagegen sage, es wäre 
eine wahre Tirannei zu verlangen, ich sollte meine Zeit 
mit der Beantwortung aller Briefe, und der Prüfung all der 
Artikel und Kompositionen verlieren, die fast immer albern 
und unnütz sind. 

P. S. — Ich erinnere mich Ihres Buches nicht mehr recht; 
aber wenn es im August geschickt wurde, so ist es auf meinem 
Landgut, von wo ich es Ihnen gleich nach meiner Rück- 
kehr zusenden werde." 

Wie Verdi über Journale und Reklame dachte, kann 
man sich danach ungefähr vorstellen. Und wie er da 
immer auf dem Sprunge zur Abwehr und Verteidigung 
ist, so duldet er auch von seinen Allernächsten keine Ein- 
mischung in seine ureigensten Angelegenheiten. Es ist 
wenig bekannt, daß Verdi mit seiner zweiten Gattin 
lange Jahre in freier Verbindung lebte : unsere wohlerzogenen 
Biographen 1 verlegen schamhaft die zweite Heirat Verdis 
zehn Jahre früher als sie tatsächlich stattfand, am 29. April 
1859. Man l ese in dem Briefe vom 21. Januar 1852 an 
Antonio Barezzi, den Vater seiner ersten Frau, mit welcher 
Würde Verdi jede Befleckung seiner Gemeinschaft mit 
Giuseppina Strepponi abweist. Auch der Gattin Verdis 
ist übrigens in dem Bande ein briefliches Ehrendenkmal 
errichtet, das das wunderbare Verhältnis Verdis zu seiner 
Frau, die Höhe und Geistigkeit dieser Ehe, genügend 
begreiflich macht; Giuseppina steht uns mindestens so 
hoch als Chiara und andere weibliche Namen. 

Niemand ist mehr Privatperson als Verdi. Die Revo- 
lution von 1848 verlebt er in Paris. Und hier steht sein 


1 Z. B. die bei Reclam erschienene Biographie von Max Chop. 



Verhalten zu dem Wagners in schlagendem Gegensatz. 
Am 9, März schreibt er an Appiani: 

„Ich kann Ihnen nicht verhehlen, daß ich mich mächtig 
unterhalte, und daß nichts bisher meine Träume hat stören 
können. Ich tue nichts, gehe spazieren, höre unendlich 
viele Albernheiten, kaufe ungefähr zwanzig Zeitungen im 
Tag (wohlgemerkt ohne sie zu lesen), nur um den Ver- 
folgungen der Verkäufer zu entgehen, die mich in Ruhe 
lassen, wenn sie ein Bündel Zeitungen in meiner Hand 
sehen — und lache, lache, lache. Wenn nichts von Wichtig- 
keit mich nach Italien ruft, so will ich den ganzen April 
hier bleiben, um mir die Nationalversammlung anzuschauen. 
Ich habe alles gesehen, was an Ernstem und Komischem 
sich bisher ereignet hat (wobei ich Sie zu glauben bitte, 
daß gesehen heißen will: mit eigenen Augen) 
und will nun auch den 20. April sehen . . . “ 

Aber, hier handelt es sich eben um Pariser Ereignisse; 
die Vorgänge in der Heimat erregten ihn dann doch so 
stark, daß er Anfang April in Mailand, das am 18. März 
sich erhoben hatte, eintraf. Er verfolgt in der großen Zeit 
des risorgimento alle Vorfälle mit dem ganzen 
Ungestüm seines Naturells, dem ganzen Scharfblick seines 
Geistes, der ganzen Sicherheit und Untrüglichkeit seines 
Rechtssinnes. Es ist bekannt, wie er Cavour zu Liebe 
sich zur Annahme eines Deputierten-Mandats bewegen 
ließ; weniger bekannt, daß er 1861 mit Cavour die Ein- 
richtung von stehenden Nationaltheatem in Turin, Mailand, 
Neapel im Zusammenhang mit staatlichen Konservatorien 
beriet. „Es war ein Vorsatz — durchführbar nur mit 
Cavour, unmöglich mit anderen Ministem ..." Später 
hat Verdi über die italienischen Konservatorien und über 
die Möglichkeit stehender Theater in Italien gleich skeptisch 
gedacht. Seine Beobachtungen in der ersten Kammer 
genügten ihm, um 1865 eine Wiederwahl abzulehnen, 
denn in der Kammer „wird immer Streit gesucht und Zeit 
verloren". Er verachtet die Parlamentarier; selbst „in 
den besten steckt nur Eitelkeit und Eigenliebe; alles läuft 
auf Personalien hinaus." Ein reizendes Zeugnis für seinen 
Rechtssinn ist sein Urteil über Pio Nono, bei der Nachricht 
vom Tode des vielgeschmähten Papstes (1878): 

„Armer Papst! Sicherlich, ich bin nicht für den Papst 
des Syllabus, aber ich bin für den Papst der Amnestie und 
des Benedite, Gran Dio, l’Italia ... Ohne 
dies, wer weiß, wo wir heute wären! 

Man hat ihn beschuldigt, er sei zurückgewichen, habe 
es an Mut fehlen lassen und habe es nicht verstanden das 
Schwert Julius II. zu schwingen! Zum Glück! Auch an- 
genommen, er hätte 1848 die Oesterreicher aus Italien 
hinauswerfen können, was hätten wir jetzt ? Eine Pfaffen- 
regierung! wahrscheinlich die Anarchie und die Zer- 
stückelung! ... Besser so! Alles was er an Gutemund 
Schlimmem getan hat, ist zum Besten des Landes geraten ; 
und im Grunde war er eine gute Natur und ein guter 
Italiener, ein besserer als so viel andere die immer Vater- 
land, Vaterland schreien, und . . . Also Friede 
mit ihm, mit diesem armen Papst!“ 

Ist es Zufall, oder ein Zeichen des edlen Naturells von 
Verdi, daß die Briefe kein Wort gegen Oesterreich und die 
Oesterreicher enthalten? Verdi hat Napoleon III., hat die 
Franzosen abwechselnd geliebt und — nach Tunis 1881 
— gehaßt; die Deutschen hat er, weiß der Himmel, nie 
leiden können. Am 30. September 1870 schreibt er an 
Clarina Maffei: 

„Der Unstern Frankreichs senkt mir ebenso wie Ihnen 
die Verzweiflung ins Herz ! . . . Es ist wahr, die Auf- 
schneiderei, die Unverschämtheit, die Anmaßung der Fran- 
zosen war und ist, trotz all ihrem Elend, unerträglich; 
aber Frankreich hat schließlich doch der modernen Welt 
die Freiheit und Bildung gegeben. Und wenn es fällt, 
wird — täuschen wir uns nicht! — unsere ganze Freiheit, 
unsere Bildung fallen. Unsere Schriftsteller und unsere 
Politiker mögen nur das Können, das Wissen und sogar 
(Gott verzeih es ihnen) die Kunst dieser Sieger preisen; 


aber wenn sie ein bischen tiefer in sie hineinschauten, sähen 
sie, daß in ihren Adern noch immer das alte gotische Blut 
fließt, daß sie von einem maßlosen Hochmut sind, hart, 
unduldsam, Verächter von allem was nicht deutsch ist, 
und von einer grenzenlosen Habgier. Menschen von Kopf, 
aber ohne Herz; eine starke Rasse, aber keine gebildete. 
— Und dieser König, der immer Gott und die Vorsehung 
im Munde führt, und mit Gottes Hülfe den besten Teil 
Europas vernichtet! . . . Was für ein Missionärtypus!“ 

Sein Urteil über das Institut der deutschen Oper ent- 
spricht dieser Generalansicht. Als 1876 wieder die Frage 
des italienischen Repertoire-Theaters erörtert wurde, schrieb 
er an Arrivabene: 

„Das Repertoire-Theater wäre eine sehr gute Sache, 
aber ich halte es für unausführbar. Das Beispiel der Pariser 
Oper und das Deutschlands hat für mich sehr geringen 
Wert, da in all diesen Theatern die Aufführungen elend 
sind. An der großen Oper: glänzende Inszenierung, in 
der Treue und dem Geschmack des Kostüms allen Theatern 
überlegen, aber der musikalische Teil ganz schlecht, die 
Sänger stets sehr mittelmäßig (seit ein paar Jahren Faure 
ausgenommen), Orchester und Chor verdrossen und ohne 
Zucht. Ich habe an diesem Theater Hunderte von Auf- 
führungen gesehen, und nie und nimmer eine gute musi- 
kalische Ausführung. Aber in einer Stadt von drei Mil- 
lionen Einwohnern und mindestens 100 000 Fremden gibt 
es immer 2000 Leute, die den Saal füllen, auch bei schlechter 
Aufführung. 

In Deutschland sind die Orchester und Chöre aufmerk- 
samer und gewissenhafter, sie machen ihre Sache genau 
und gut; trotzdem habe ich in Berlin elende Aufführungen 
gesehen. Das Orchester ist stark und spielt auch derb. 
Die Chöre nicht gut, die Inszenierung ohne Charakter 
und Geschmack. Die Sänger ... oh die Sänger schlecht, 
ganz und gar schlecht. Ich habe heuer in Wien die Mes- 
linger 1 (ich weiß nicht ob ich richtig schreibe) gehört, 
die als die deutsche Malibran gilt. Lieber Gott! Eine 
armselige, müde Stimme, barocker und ungeschliffener 
Vortrag, ungeschicktes Spiel. Die drei oder vier ersten 
Sängerinnen von Ruf bei uns sind ihr an Stimme und Ge- 
sangsstil unendlich überlegen, und im Spiel wenigstens 
gleich. 

In Wien (das heute das erste deutsche Theater ist!) 
sind die Dinge besser von seiten der Chöre und des Or- 
chesters (beide ausgezeichnet). Ich habe mehreren Auf- 
führungen beigewohnt und habe die Ausführung der Massen 
sehr gut, die Inszenierung mittelmäßig, die Sänger unter 
der Mittelmäßigkeit gefunden. Aber die Aufführung 
macht für gewöhnlich wenig Mühe: das Publikum (es sitzt 
im Dunkeln) schläft oder langweilt sich, klatscht am 
Schluß jedes Aktes ein wenig Beifall, und am Ende der 
Aufführung geht es heim, ohne Verdruß und ohne Be- 
geisterung. Das mag für jene nordischen Naturen gehen; 
aber wage eine solche Aufführung einmal in einem unserer 
Theater, und Du wirst sehen, was für eine Sinfonie Dir das 
Publikum komponieren wird!“ 

Verdi war, im Leben wie in der Kunst, ein Italianissimo, 
ebenso weit entfernt von der deutschen Kunst (auch der 
Beeinflussung durch Wagner), wie von der Kunst der Pariser 
Großen Oper. Will man Verdi verstehen, so hat man die 
Art seiner Kantabilität zu untersuchen, das Verhältnis 
zwischen Gesang und Orchester in seinen früheren und 
letzten Werken — das Beste, was darüber zu finden ist, 
hat vor kurzem Alfred Heuß in einem Artikel „Verdi als 
melodischer Charakteristiker" gesagt. Die Gesangslinie ist 
bei Verdi die Trägerin des Ausdrucks, das Orchester, in 
seinen charakteristischsten Werken, Hintergrund: die Folge 
der unmittelbare, hinreißende Eindruck, der romanische 
Humanismus, im Gegensatz zu dem symbolisch 
vermittelten Eindruck, wie er aus dem „germanischen“ Ver- 

1 Der Vergleich mit der Malibran zeigt, daß es sich wirk- 
lich nur um eine Altistin, also die Meißlinger, handeln kann ; 
man dächte sonst eher an Amalie Materna. 


287 



hältnis von Gesang und Orchester entspringt. Freilich, 
die künstlerische Höhe Verdis ist dabei das Entscheidende, 
das, worin er in den besseren Werken 'ganz, in den übrigen 
immer ein paarmal vor dem strengsten Auge besteht, seine 
menschliche und künstlerische Lauterkeit, Reinheit; seine 
Liebe zum Einfachen, sein Wissen, daß das Einfachste 
zugleich immer das Stärkste. „Die Kunst, der es an 
Unmittelbarkeit, an Natürlichkeit und Einfachheit fehlt, 
ist nicht mehr Kunst.“ Aus dieser Gesinnung verabscheut 
er die harmonischen Gesuchtheiten, die orchestralen Künst- 
lichkeiten in der Oper; vor allem aber hält er den Einfluß 
der deutschen Instrumentalkunst für eine nationale Kunst- 
gefahr. Die überall in Italien auftauchenden Quartett- 
vereinigungen haßt er geradezu, obwohl er in Neapel 
im März 1873, uni eine gezwungene Muße auszufüllen, 
selber ein Quartett schreibt: ein Quartett freilich, das 
vielleicht eine Art Aufruf darst^llt, zum Cantabile zurück- 
zukehren! Aus dem April 1878 hat sich da ein bezeichnender 
Briefentwurf Verdis erhalten: 

„Wir alle tragen, ohne es zu wollen, bei zu dem Ruin 
unseres Theaters. Vielleicht ich, Ihr usw. usw. gehören 
zu diesen Leuten. Und wenn ich Ihnen Dinge sagen 
sollte, die augenscheinlich der allgemeinen Ansicht wider- 
sprechen, so sagte ich, daß die ersten Ursachen in Italien 
die Quartettvereinigungen waren; und eine neuerliche 
Ursache der Erfolg, den das Scala-Orchester in Paris für 
seine Ausführung — nicht für die ausgeführten Kompo- 
sitionen — davongetragen hat. Das ist meine Meinung: 
steinigt mich nicht . . . Die Gründe dafür zu sagen, wäre 
zu langwierig. Aber in Teufels Namen, da wir in Italien 
sind, warum machen wir deutsche Musik? 12 oder 15 
Jahre sind’s her, ich erinnere mich nicht, ob in Mailand 
oder sonstwo, da ernannten sie mich zu m Vorsitzenden 
einer Quartettvereinigung. Ich schlug es aus und fragte: 
Aber warum richtet Ihr nicht eine vokale Quartett- 
vereinigung ein ?. Das ist italienisches Leben. Das andere 
ist deutsche Kunst. Das war vielleicht schon damals eine 
Gotteslästerung wie es heute eine ist; aber die Begründung 
eines Vokalquartetts, das Palestrina, seine besten Zeit- 
genossen, Marcello usw. zu Gehör gebracht hätte, hätte 
in uns die Liebe zum Gesang lebendig gehalten, dessen 
Ausdruck die Oper ist. Heute bemühen sich alle um 
Instrumentation, um Harmonisierung. Das Alpha und das 
Omega: die IX. Sinfonie von Beethoven {erhaben in den 
drei ersten Sätzen; sehr schlecht als Arbeit im letzten 
Teil). Niemals werden sie die Höhe des ersten Teils er- 
reichen; leicht aber die üble Anlage des Gesanges im letzten 
nachahmen können, und auf Beethoven gestützt wird 
man dann schreien: so muß man’s machen ..." 

So spricht er, wenn er an die musikalische Zukunft 
Italiens denkt; als Hüter deren Reputation .sich der greise 
Verdi wirklich fühlt. Im übrigen ist er duldsam. Es ist 
nicht bloß seine gewöhnliche Scheu vor einem „offiziellen“ 
Urteil, wenn er an Enrico Bossi, der ihm Instrumental- 
kompositionen zur Beurteilung eingesandt hatte, schreibt: 
„Jeder besitzt, und muß seine Art zu fühlen besitzen 
und deshalb sind die Urteile verschiedenartig, unnütz, 
müßig und manchmal falsch . . . Sollte ich sagen, daß 
Ihre ganze Komposition .' mir im allgemeinen zu sehr auf 
die Dissonanz gegründet scheint, so könnten Sie mir er- 
widern: .Und warum nicht? Die Dissonanz wie die Konso- 
nanz sind Elemente, die die Musik ausmachen; ich wende 
die erstere mit Vorliebe an.‘ Und Sie hätten Recht. 
Andererseits: warum sollte ich Unrecht haben? ..." 
Und an Arrivabene ,*am 17. März 1882: 

„In Sachen musikalischer Ansichten muß man weitherzig 
sein, und ich meinerseits bin äußerst duldsam. Ich lasse 
die Melodiker, die Harmoniker, die Langweiler — die, 
die um jeden Preis der Mode zuliebe sich langweilen wollen, 
gelten; ich erkenne die Vergangenheit an, die Gegenwart, 
und ließe auch die Zukunft gelten, wenn ich sie kennte und 
gut fände. * Mit einem Wort, Melodie, Harmonie, Dekla- 
mation, Koloratur, Orchestereffekte, Lokalkolorit (ein 

288 


Wort, das man so viel gebraucht, und das meist nur dazu 
dient, die Gedankenlosigkeit zu verhüllen) sind nichts 
als Mittel. Macht mit diesen Mitteln gute Musik, und 
ich lasse alles, und jede Gattung gelten. Zum Beispiel, 
im „Barbier“ die Phrase 

Signor giudizio per caritä, 

ist weder Melodie, noch Harmonie: es ist deklamierter 
Text, richtig, wahr, und ist Musik — Amen.“ 

Bezeichnend ist, wie Verdi sich gegen den Vorwurf 
der Anlehnung verteidigt. Der Referent Filippi 
hatte in einer Melodie der „Forza del Destino“ eine Remi- 
niszenz an Schuberts Ave Maria gefunden. Verdi erklärt: 
Seit vielen Jahren habe er, in seiner ungeheuren musi- 
kalischen Unbildung, Schuberts Lied nicht mehr gehört. 
Diese Unbildung sei keine Art Aufschneiderei. „In meinem 
Haus gibt es fast keine Noten, auch bin ich niemals in eine 
Musikbibliothek gegangen, und niemals zu einem Verleger, 
mir ein Werk näher anzusehen. Ich bin auf dem Laufenden 
über ein paar der besten zeitgenössischen Opern, ohne sie 
aber je zu studieren, nur indem ich sie ab und zu im Theater 
höre ... Ich wiederhole Ihnen also: unter allen Meistern 
der Vergangenheit und Gegenwart bin ich der ungebildetste 
. . . freilich verstehen wir uns recht, an gelehrtem Wissen, 
nicht an musikalischem -Können. Ich löge, wenn ich 
sagte, daß ich in dieser Beziehung in meiner Jugend nicht 
lange und strenge Studien gemacht hätte ..." 

Noch Verderb icher für die Zukunft der italienischen 
Oper als die deutsche Instrumentalmusik hält er die große 
Oper. Schon in Rossinis Teil „bemerkt man diese fatale 
Atmosphäre der Opera," und deshalb ist der „Teil“ schwächer, 
nicht so frei und sicher wie der „Barbier“. Eine künst- 
lerische Welt trennt Verdi von Meyerbeer, mit dem man 
ihn früher so gern zusammengeworfen hat: Meyerbeer, 
der sein Publikum ein halbes Jahr vor jeder seiner Premieren 
mit Artikelchen bearbeitet, bis der Erfolg „gemacht" ist: 

„ . . . ich war gestern in der ersten Aufführung des Nord- 
sterns, und habe wenig oder nichts kapiert, während 
dieses brave Publikum alles kapiert hat, und alles schön, 
erhaben, göttlich gefunden hat. Und dies gleiche Publikum 
hat nach 25 oder 30 Jahren den Wilhelm Teil noch nicht 
begriffen, und deshalb wird er entstellt, verstümmelt, 
mit drei anstatt fünf Akten, und in unwürdiger Inszenierung 
auf geführt! Und dies ist das erste Theater der Welt!. ..." 

Auch Verdi kennt sein Publikum genau. Die „Due 
Foscari“ sind für Rom geschrieben; und Verdi hat von 
Anfang an seine Musik genau im Kopf, berechnet die 
Wirkungen, und weiß, daß er seinen Textdichter, Piave, 
zur größten Energie und äußerster Anspannung der Ein- 
bildungskraft anstacheln muß. Und dabei taucht die 
Frage auf, ob sich ein verabredeter Gondoliere-Gesang mit 
Volkschor nicht abends und mit Sonnenuntergang machen 
ließe ? Und Verdi denkt dabei keineswegs an den Meyer- 
beerischen Effekt, sondern wirklich an den venezianischen 
Sonnenuntergang, den „tramonto di sole che 
e cosi bellol“ Nebenbei : Venedig liebt er sonst nicht: 
er ist ein Bauer, kein Aesthet wie Byron oder Browning. 
Am 11. Februar 1846 schreibt er an den Bildhauer Vincenzo 
Luccardi, er sei des Aufenthalts in Venedig müde. „Diese 
traurige und schwermütige Stille versetzt mich jetzt in 
eine manchmal unerträgliche Stimmung.“ Genua ist 
d i e Stadt Italiens, wo er sich am wohlsten fühlt. 

Was ihn nicht nur von Meyerbeer, was ihn von sämt- 
lichen italienischen Opemschreibem seiner Zeit scheidet 
geht aus einem Briefe vom 14. Februar 1858 hervor, den 
er gelegentlich der Zensurschwierigkeiten mit dem „Masken- 
ball" schrieb: 

„Man rede mir nicht von Erfolg: wenn hie und da ein, 
zwei, drei Stücke beklatscht werden, so genügt das nicht, 
das musikalische Drama zu bilden. Im Punkte : Kunst 
habe ich meine ganz klaren und genauen Vorstellungen 
und Ueberzeugungen, auf die verzichten ich weder kann 
noch mag.“ 



Darin liegt begründet, wenn es niemals für den Text- 
dichter einen schwierigeren Komponisten gegeben hat als 
Verdi. Hätte Weber diese ungeheure Energie besessen, 
es wäre von ihm nicht bloß der Freischütz auf der Bühne 
wirklich lebendig; denn es ist ganz allein das Verdienst 
des Dramaturgen Verdi, wenn allein auf der deutschen 
Opembühne mindestens sechs seiner Opern fortwährend 
gespielt werden können. Die Wahl und die Ausführung 
des Rigoletto ist völlig die Sache Verdis. Sehr bezeichnend 
für die Notwendigkeit, die Verdi in seine Opem- 
form legte, ist sein Brief an den Cav. Carlo Antonio Borst, 
Gatten einer berühmten Sängerin (Teresa de Giuli), der ihn 
gebeten hatte, für sie zum Rigoletto eine Arie hinzuzu- 
komponieren: 

„Wärest Du der Ueberzeugung, daß mein Talent eben 
dazu hinreiche, es so gut zu machen, wie ich es im Rigoletto 
gemacht habe, dann hättest Du nicht eine Arie für diese 
Oper von mir verlangt. Armseliges Talent! wirst Du 
sagen . . . Einverstanden ; aber so verhält es sich. Dann 
aber, wenn Rigoletto stehen kann, wie er ist, so wäre ein 
neues Stück darin zu viel. In der Tat: wo einen Platz 
dafür finden? Man kann Verse und Noten machen, aber 
sie wären immer wirkungslos, so lange sie nicht richtig 
stehen. • Es gäbe einen Platz — aber Gott behüte uns 
davor! Wir würden verfemt. Man müßte Gilda mit dem 
Herzog in seinem Schlafgemach sehen!! Du verstehst 
mich? Es wäre auf alle Fälle ein Duett. Ein herrliches 

Duett!! Aber die würden Zeter 

schreien. O, glücklich die Zeiten, da Diogenes auf öffent- 
lichem Platze jedem antworten konnte, der ihn fragte, 
was er treibe: Ich suche einen Menschen ..." 

Das Feuer und dabei die geistige Klarheit, mit der er 
jeden neuen Stoff erfaßt, sind unbeschreiblich. Wie er 
z. B. Schillers Kabale und Liebe anpackt, ist für uns Deutsche 
besonders interessant und leicht kontrollierbar. Man höre 
die einzelnen Punkte eines Briefs an den Textdichter 
Cammarano vom 17. Mai 1849: 

1. Verdi hätte zwei gleichwertige Frauenrollen gewünscht 
wie bei Schiller, resigniert aber. 

2. Die Gegenspieler, der Präsident und Würm, scheinen 
ihm zu matt. (Ueberhaupt hat er seine Librettisten 
immer anzufeuern; schon 1844 schreibt er an Cammarano: 
„Man klagt mich an, ich liebte sehr den Lärm und miß- 
handelte den Gesang — ; kümmern Sie sich darum nicht, 
bringen Sie ruhig L e idenschaft in Ihr Libretto und 
Sie werden sehen, daß ich dann leidlich schreiben werde.“ 
Oder nach Cammaranos Tode, an de Sanctis 1853 : „ . . . Es 
ist unmöglich oder fast unmöglich, daß ein anderer meine 
Wünsche errät. Ich wünsche neue, große, schöne, 
wechselreiche, kühne Stoffe . . . Kühn bis zum 
Aeußersten, mit neuen Formen usw., und gleichzeitig 
komponibel. Sagt einer: ,Ich habe es so gemacht, weil 
Romani, Cammarano usw. es so gemacht haben/ so sind 
wir schon fertig. Gerade weil diese Größen es so gemacht 
haben, möchte ich es anders. Zu Venedig bringe ich eben 
die Kameliendame heraus ... Es ist ein Stoff aus unserer 
Zeit. Ein anderer hätte sie vielleicht nicht komponiert 
wegen der Kostüme, der Zeit und tausend anderer dummer 
Bedenken — ich mache es mit Vergnügen . . .“) 

3. Luise soll sich in dem erpreßten Brief nicht die Ge- 
liebte Wurms nennen (Kalb fiel in der Oper fort), sondern 
die von irgend jemand anderm; das sei natürlicher und 
glaubhafter. Hier erteilt Verdi wahrhaftig Schiller eine 
Lehre: denn daß Ferdinand auch nur einen Augenblick 
den Hofmarschall als Liebhaber Luisens ernst nehmen 
kann, stellt seinen Geisteskräften kein besonderes Zeugnis 
aus. 

4. Keine Schlußstretta oder -Kabaletta im ersten Finale, 
das Schillers Schlußszene des zweiten Aktes entspricht. 
Verdi traut sich einen „dramatischen“ Abschluß zu. Im 
übrigen ist er kein prinzipieller Gegner der Cabalette. 
Den „Verismus“ in Drama und Musik tut er mit dem einen 
schönen Satze ab: „Das Wahre nachahmen kann eine 


schöne Sache sein ; aber das Wahre e r f i n d e n ist besser, 
viel besser!“ 

5. Verdi empfiehlt Cammarano die Briefszene zwischen 
Luise und Wurm. Er freut sich da auf den Kontrast 
zwischen dem Schrecken und der Verzweiflung Luisens 
und der teuflischen Kälte Wurms. Wurm sollte, zur 
Steigerung des Schrecklichen, etwas Komisches anhaften. 
— Verdi drückt sich da etwas sonderbar aus, aber er hat 
recht: er meint das Alltägliche, Widerliche, Besondere in 
der Figur des Sekretärs, er will keinen „Bösewicht“ im 
konventionellen Sinn. 

6. Der Schluß des zweiten Akts mit nur zwei Personen 
flößt ihm Besorgnis ein. 

7. Das Duett zwischen Luise und ihrem Vater im dritten 

Akt muß „Tränen ziehen“. Drei Bässe in der Oper, Miller, 
der Präsident, Wurm: macht nichts! Aber Miller muß am 
meisten entwickelt werden. -l> 

Zum bloßen Handwerker, Ziseleur an der fertig gegossenen 
Statue wird der arme Textdichter im Falle der „Aida“. 
Die letzte Szene macht Verdi in seiner Ungeduld auf eigene 
Verse ; Ghislanzoni hat sie hinterher „bloß schön zu machen“. 
Verdi will neue Versformen — ähnlich wie einst Weber 
seine Wilhelmine von Chezy darum bat, ihm „in Gottes 
Namen das Leben mit schwierigen Versmaßen, unerwarteten 
Rhythmen usw. recht sauer zu machen; das zwingt die 
Gedanken auf neue Wege und lockt sie aus ihren Schlupf- 
winkeln heraus.“ Auf der anderen Seite verlangt Verdi 
wieder, die Personen müßten sagen, was sie sagen sollten, 
ohne sich im geringsten um die musikalische Form zu 
kümmern! 

Dieser Briefwechsel mit Ghislanzoni ist vielleicht der 
wertvollste Teil des wertvollen Buches; er gewährt in die 
Schaffensart Verdis einen tiefen Blick, und verdiente es, 
einmal an Hand der Aida-Partitur ausgeschöpft zu werden. 
Das gäbe dann freilich ein ganzes Buch. 

* * * 

Ein ganz großer Künstler hat nicht nötig, von der rück- 
haltlosen und unfrisierten Veröffentlichung seines Brief- 
wechsels eine Verdunkelung seines Bildes bei der Nach- 
welt zu fürchten. Die Probe stimmt auch umgekehrt: 
so haben die Briefe von Robert Franz z. B. die Gründe 
dafür gezfigt, warum sein Liedschaffen niemals in die reinen 
Höhen mit dem freien, weiten, herrlichen Blick eines 
Schubert gelangen konnte. Und bei Wagner wird schließ- 
lich auch die von allen Rücksichten freie Mitteilung seiner 
Briefe, trotz mancher Trübung im einzelnen, auch die 
menschliche Größe, Reinheit, Sittlichkeit des Künstlers 
erweisen. Bei Verdi fehlt auch die kleinste Trübung. Ver- 
tieft man sich in diese seine Briefe, so wird man am Ende 
erschüttert vor der Gewalt, Tiefe, Lauterkeit und seltenen 
Männlichkeit dieses ganz großen Charakters stehen.. 


Zur Kunstästhetik unserer Zeit. 

III. Das doppelte Gehör. 

(Sinnliches und geistiges Ohr.) 

Ein Beitrag zum Verständnis der modernen Musik. 

Von Dr. ALFRED SCHÜZ (Stuttgart). 

HI. 

W ährend das Wesen des Vorhalts im Beharrungs- 
vermögen, in der „vis inertiae“ (Gesetz der Träg- 
heit), dem Willen, sich gegen ein Neues zu behaupten, 
liegt, verhält es sich mit der Vorausnahme (Anti- 
zipation) umgekehrt: sie bedeutet eine Ungeduld, ein 
Drängen des Neuen, Kommenden. Eine eigenartige Anti- 
zipation haben wir in der bekannten, früher viel an- 
gefochtenen Stelle im ersten Satz der „Eroica“ bei der 
Wiederkehr des Themas, das vom Horn pp angedeutet 

289 



Bei der Synkope, bei welcher die Zeiteinteilung 
absichtlich verrückt und der Nachdruck vom guten auf 
den schlechten Taktteil verlegt wird (metrische Ver- 
schiebung), bekommen wir bald das Bild eines Vorhalts, 
bald einer Vorausnahme, eines Nachhinkens oder Voraus- 
eilens. Es entstehen dadurch allerlei dissonante Klänge, 
Verwicklungen und Verwirrungen, die der Geist mit über- 
legener Befriedigung entwirrt, da er sich in seinem Element 
fühlt, über das Tönechaos ordnend, sichtend und lichtend 
zu herrschen. Es ist bekannt, wie gern sich Beethoven 
der Synkopen bediente, und welche Rolle bei Richard 
Wagner die Vorhalte spielen. Noch komplizierter werden 
die Tongebilde, wenn es sich um Vorhalte vor alterierten 
Akkorden, die selber Vorhaltscharakter haben, wie z. B. 
vor dem übermäßigen Dreiklang, oder um doppelte Vor- 
halte handelt: 


a) Mozart, g moll-Symph. : 



b) L. Thullle (Lobetanz, Trauermarsch): 



Die Synkopenbeispiele e und f sind der Sonate op. 2, 3 
und op. 2, 1 von Beethoven entnommen, während 
das Beispiel g eine einfache Antizipation veranschaulicht. 

Auch der Orgelpunkt, die liegende Stimme im 
Baß oder in höherer Lage, bringt Dissonanzen mit sich, 
die dem sinnlichen Ohr widerstreben, aber durch den 
logischen Sinn, der darin liegt, nicht bloß erträglich, son- 
dern geradezu reizvoll werden. Der festgehaltene Grund- 
ton bei allem Wechsel der von ihm ausgehenden Har- 
monien wird als ein Bild der Einheit in der Mannigfaltigkeit, 
als der gebärende Mutterschoß der verschiedenartigsten 
Geschöpfe oder als der „ruhende Pol in der Erscheinungen 
Flucht“ empfunden. Wir sehen, daß die Musik in der 
Tat ein philosophisches Element besitzt: 




Bei Mozart haben wir zuerst einfache Terzvorhalte, hernach 
kommen noch Vorhalte in der Gegenbewegung hinzu, 
wodurch pikante Dissonanzen, z. B. g und gis zusammen 
(„gespaltene Töne“) entstehen. Bei Thuille begegnet uns 
zuerst der verminderte Septakkord mit Vorhalt des vor 
der Terz, dann derselbe (e g b des) mit Terzenvorhalt vor 
Terz und Quinte. Bei c) haben wir erst einen einfachen, 
dann einen doppelten Vorhalt. 


Wie das Gesetz der Logik und der Konsequenz über die 
harmonischen Gesetze bisweilen den Sieg gewinnen kann, 
sehen wir auch an der seit uralter Zeit in der Musik ein- 
gebürgerten Form der „Sequenz“. Es ist der Weg der 
Analogie, der Symmetrie, der Wiederholung ein und des- 
selben Motivs auf verschiedenen Stufen aufwärts oder 
abwärts, wodurch oft Tonverbindungen entstehen, die 
keine eigentlichen Akkorde oder geradezu dissonant sind. 
Auch die Gesetze der Stimmführung können durch die 
Sequenz momentan suspendiert werden: 


x 



290 







L. Thuille, op. 4, 5: 
8 



Oft ist es der Baß, der in regelmäßigen Schritten einher- 
gehend, Licht in das Chaos bringt, aber auch im Gang der 
andern Stimmen hat die logische Konsequenz das Wort. 
— Draeseke sagt dazu hübsch in seiner „Harmonielehre in 
lustige Reimlein gebracht“: 

„Manchmal dünkt selbst der Grundakkord 
h d f uns nicht falsch am Ort, 

So durch den log’schen Gang der Schritte 
Er motiviert auftritt, wer litte 
Bisweilen spröden Gast nicht gern. 

Wenn frohe nur nicht bleiben fern.“ 

Wie die Sequenz, so gehört ihrem ganzen Wesen nach 
die Kontrapunktik zur „Musik für den Geist“. Es 
ist geradezu wunderbar, was unser Gehör verträgt im 
polyphonen Stil bei Individualisierung der Stimmen. 

Schon bei einer Tonleiter in der Gegenbewegung, ein- 
stimmig oder in Terzen und Sexten, lassen wir uns die 
entstehende Disharmonie ruhig gefallen, wir sagen uns: 
es ist ja nur der, wenn auch bisweilen steinige Weg zum 
harmonischen Ziel: 



Bach Kantate f._Anli. wie fliichtit»“! : 



Aehnlich verhält es sich beim doppelten Kontrapunkt 
und der Fuge: 

Bach. Wohltemo. Kl. I, 24: 




Wir sehen hier das in der obersten Stimme beginnende 
Motiv von den drei übrigen Stimmen abwechselnd wieder- 
gegeben, sich durch die anderen Töne hindurchwindend, 
wobei es nicht ohne Dissonanzen abgeht, die aber anstands- 
los genossen werden, weil sie stets verständlich bleiben. 
Bach war im doppelten Kontrapunkt so sehr heimisch 
und in seinem Element, daß bei ihm im Vergleich zur 
modernen Kontrapunktik allzu schroffe Dissonanzen 
überhaupt selten sind. Nichts ist eben bei ihm erkünstelt 
und wider die Natur. So auch bei Mozart, wenn er einmal 
eine Fuge schrieb oder sonst doppelten Kontrapunkt an- 
wendet, so ist alles glatt, flüssig, und so natürlich, wie 
wenn es nicht anders sein könnte. Was z. B. bei Beethoven 
nicht immer der Fall war, dessen Fugen oft sehr harte 
Nüsse zu knacken geben. 

Es liegt ja im Wesen der polyphonen Musik, daß die 
Harmonie zur Melodie geworden ist, daß sie nirgends 
plump, massig hervortritt, sondern mehr als dem melo- 
dischen Stimmengang zugrunde liegend empfunden wird. 
Gerade in der Fuge entstehen häufig Zusammenklänge, 
die nicht harmonisch, sondern allein durch die melodische 
Bewegung der Stimmen zu erklären sind. Je mehr diese 
Zusammenklänge dem harmonischen Akkord oder dem 
Terzenbau sich nähern, desto einleuchtender und wohl- 
klingender werden sie, aber sie bleiben auch verständlich, 
wenn sie als Durchgangstöne, Vorhalte oder Vorausnahmen 
auftreten, es gibt auch allerlei Strebetöne und Strebe- 
akkorde, die nur im Blick auf das Ziel, den Naturklang 
zu verstehen sind. Der Zuhörer hat dabei oft das Gefühl 
des „Langens und Bangens in schwebender Pein“. Die 
moderne Musik, die von der Polyphonie wieder reichlichen 
Gebrauch macht, wimmelt von solchen Strebe- und Schwebe- 
akkorden, unaufgelösten, flüssigen Harmonien und das 
geistige Ohr ist oft lange Zeit in Spannung gehalten, bis 
die Lösung erfolgt und das sinnliche Ohr zu seinem Rechte 
kommt. (Fortsetzung folgt.) 


Führer durch die Violoncell-Literatur. 

Von Dr. HERMANN CRAMER (Berlin). 

(Fortsetzung.) 

Goens, D. van, op. 1: Reverie et Mazourka. 2 Frcs. 

— op. 2: Adagio. 2.50 Frcs. 

— op. 5: Aria et Gavotte. 5 Frcs. 

— op. 10: Elegie. 5 Frcs. 

— op. 12: Romance et Scherzo (s.). Hamelle, 3.60 Frcs. 

Schöne Stücke. Das Scherzo, weil sehr wirksam und 
prickelnd, wird viel gespielt. 

— op. 17: Largo et Gavotte. 11 Frcs. 

— op. 18: Polonaise de concert. 7.50 Frcs. 

— op. 19: Barcarole de brise. 7.50 Frcs. 

— op. 21: Prelude. 6 Frcs. 

— op. 23: Valse de concert. 7.50 Frcs. 

— op. 24: Tarantelle. 9 Frcs. 

— op. 25: Danse villageoise. 7.50 Frcs. 

— op. 26: Au bord du loing. 6 Frcs. 

— op. 34: Cantabile mit Orchester (ms.). Rahter, 2 M. 

Ein melodisch schön erfundenes, harmonisch reich 
ausgestattetes Vortragsstück. 

— op. 35: Saltarello (s.). Rahter, 2.50 M. 

291 



Höchst reizvolles, flüchtiges Stück von bester Wir- 
kung. Ein schöner, melodischer Mittelsatz und eine 
feurig-abschließende Coda zeichnen es aus. 

Goens, D. van, op. 38: Valse pittoresque. 2 M. 

— op. 44: Tarantelle. 1.50 M. 

— op. 45: Chant elegiaque. 1 M. 

— op. 46: Berceuse. 1.50 M. 

Gcllermann, G. Eine gewisse, allerdings in gewissen engen 
Gefühlsgrenzen sich haltende melodische Erfindungsgabe 
ist Goltermann eigen. Er hat das Verdienst, innerhalb 
dieser Grenzen und innerhalb mäßiger Schwierigkeit 
eine überaus große Zahl gefälliger Stücke geschrieben 
zu haben, die in weiten, etwas anspruchsloseren Kreisen 
besonderen Anklang gefunden haben. Sie sind melodiös, 
glatt und nett und stellen nicht zu hohe Ansprüche 
an die Auffassung der Hörer. Gewisse Windungen und 
Stimmungen kehren unfehlbar wieder, Feinheiten des 
Satzes, der Harmonisierung, der melodischen Linie 
sucht man vergebens, ebenso irgendwelche bedeutendere 
kontrapunktische Behandlung der Klavierstimme. 
Immerhin füllen seine Stücke eine gewisse Lücke aus. 
Es läßt sich an ihnen so manche Vortragsweise einüben, 
und ein geeigneter Klavierspieler wird bei der überaus 
bequemen Satzweise wohl überall zu haben sein. So 
sind die Goltermannschen Werke für den Unterricht, 
für das Blattspielüben und für die Verwendung als 
Gelegenheitsvorspielstücke in anspruchsloseren Kreisen 
als recht dankbar zu bezeichnen und in diesem Sinne 
zu empfehlen. Ich erwähne: op. 13: 2 Piöces de Salon. 
Peters, 1.30 M. — op. 15: Grand Duo. Peters, 2 M. — 
op. 17: Romanze. 1.50 M. — op. 22: Romance. 1. — M. 

— op. 24 : Capriccio. 3 M. — op. 25 : Grand Duo. Peters, 

2 M. — op. 35 : 4 Salonstücke. Andre, 3.20 M. — op. 41 : 

3 Charakterstücke. Schott, 4.50 M. — op. 42: Danses 
allemandes. 2.25 M. — op. 43: 4 Charakterstücke. 
Andre, 3.20 M. — op. 47: Danses allemandes. 2.25 M. 

— op. 48: 4 Stücke. 6 M. — op. 49: 4 Solos. 3.60 M. 

— op. 52: 3 Romances s. parol. 2.30 M. — op. 53: 

4 Stücke. 5 M. — op. 54: 4 Charakterstücke. 3.60 M. 

— op. 56: Andante religioso. 1.30 M. — op. 59: Not- 
turno und Saltarello. Andrö, 3.40 M. — op. 60: Ro- 

• mance und Tarantelle. 3.30 M. — op. 66: Fantasie 
aus „Oberon". 2.60 M. — op. 81: Ballade. 1.50 M. 

— op. 83: Adagio. 2.25 M. — op. 87: Romance. 2.25 M. 

— op. 88: Elegie. 1.80 M. — op. 90: 3 Romanzen. 
2.23 M. — op. 92 : 3 Salonstücke. 3 M. — op. 95 : 3 Ro- 
manzen. 2.60 M. — öp. 96: 4 Salonstücke. Peters, 
2 M. — op. 98: Fantasie über Melodien von Mendels- 
sohn. 2.50 M. — op. 99: 6 Tonbilder. 3.50 M. — 
op. 102: 4 Morceaux de Salon. 3.73 M. — op. 116: 
Traumbilder. 2 M. — op. 117: Lyrische Stücke. Pe- 
ters, 2 M. — op. 119: 2 Stücke. 3 M. — op. 126: Mo- 
derne Suite. Peters, 2 M. — Nocturnes, Bd. I und II. 
Andre, je 2 M. — Reverien und Serenaden. Andre, 
je 2 M. — Romanzen, Bd. I und II. Andre, je 2 M. 

Grammann, C., op. 8: 3 Stücke (s.). Döblinger, 2.40 M. 
Vornehm gesetzt, bei freiem, gutem Vortrag wir- 
kungsvoll. 

— op. 34: Notturno. 1.80 M. 

— op. 46: Romanze. Schuberth, 1.25 M. 

Grell, E. : Andante cantabile ( 1 .). Sulzer, 1 M. 

Stücke einfachster Art, von veraltetem Geschmack. 
Grimm, C., op. 60: 3 Charakterstücke (m.). 4.75 M. 
Grützmacher, F. Ein sehr bedeutender Künstler, der 
lange Zeit als glanzvollste, vornehmsten Zielen zuge- 
wandte Erscheinung und zugleich als Begründer einer 
weit verbreiteten gediegenen Schule seines Instrumentes 
wahrhaft erzieherisch gewirkt hat. Hier liegt seine 
Hauptbedeutung. Weniger wichtig ist seine Tätigkeit 
als Komponist. Es fehlt ihm der große melodische 
Fluß und schöpferische Erfindung erheblicheren Um- 
fanges. Dafür ist sein musikalischer Emst groß und 
sein kontrapunktisches Können bedeutend. Unmittel- 


bar Sinnlich-Schönes oder aus innerem Zwange des 
Herzens Kommendes, das auch wieder ans Herz sich 
wendet, vermißt man häufig in seinen Werken. Er hat 
augenscheinlich komponiert, weil er wollte, und nicht, 
weil er innerlich mußte. Trotzdem sind seine Stücke 
sehr beachtenswert. Sie gehören durchaus der deutschen 
Schule an. Die Klavierstimmen zeichnen sich durch 
besondere Sorgfalt aus, sie sind voll und kontrapunktisch 
bedeutend gesetzt, nie gewöhnlich oder gar nachlässig 
behandelt. 

Grützmacher, F., op. 3: Große Fantasie mit Orchester (ss.). 
Peters, 3 M. 

Glänzendes Stück über das gleiche Thema, das Dotzauer 
in den Variationen op. 79 und Servais in der Fantasie 
„O cara memoria" variiert. 

— op. 4: 5 Stücke (s.). Hofmeister. 4 M. 

Gut gesetzt und bei guter Ausführung auch gut 
wirkend. 

— op. 5: 6 Charakterstücke. Hofmeister, 4.50 M. 

— op. 7: Ungarische Fantasie mit Orchester (s.). Litolff, 
3 M. 

Sehr dankbares, schwungvolles Stück, zum Vortrage 
noch heute zu empfehlen. 

— op. 9: 10 Stücke im nationalen Stil (m. — s.). Hof- 
meister, 6 M. 

Gut charakterisierte Stücke. 

— op. 12: Fantasie. Peters. 

— op. 13: 4 Stücke ( 1 . — m.). Nagel, 3.50 M. 

Anspruchslose Gelegenheitswerke. 

— op. 16: Opemfantasien. Peters, je 2.30 M. 

Leicht gewogene Gelegenheitswerke. 

— op. 18: Grande Polka de concert mit Orchester (Dia- 
volina) (ss.). Hofmeister, 4.50 M. 

Schwieriges, reich ausgestattetes Stück. 

— op. 19: Roma nz e mit Orchester (m.). Kahnt, 1.50 M. 

Einfach, doch ansprechend. 

— op. 30: Im Frühling, 3 Stücke (ms.). Breitkopf & Härtel, 
3 M. 

Fein, von Mendelssohns Art beeinflußt. 

— op. 31: Variationen mit Orchester (s.). Breitkopf & 
Härtel, 3 M. 

Hübsch gesetzt über ein sehr ansprechendes eigenes 
Thema. 

— op. 32: 2 Konzertstücke: Notturno und Burleske (ss.). 
Breitkopf & Härtel, 5 M. 

Virtuos gehalten. Wenn sehr gut ausgeführt, sind die 
Stücke recht wirksam. Freilich ist die Burleske ganz 
besonders imbequem. 

— °P- 33: Große Fantasie Santa chiara mit Orchester (ss.). 
Litolff, 3 M. 

. — op. 51: 6 leichte Stücke. 6 M. 

— op. 65: Weihegesang mit Orgel. 1.80 M. 

— Nachgelassen: Suite nach Seb. Bach (s.). Bosworth, 2 M. 

Eine mit Klavierstimme versehene freie Zusammen- 
stellung verschiedener Stücke aus den Solosonaten für 
Violoncello. 

— Nachgelassen: Sonate nach Friedrich dem Großen (s.). 
Bosworth, 1.50 M. 

Nach Werken des König-Komponisten zusammen- 
gestellte schöne Sonate. (Fortsetzung folgt.) 


Musikerköpfe. 

Von Nervenarzt Dr. PAUL COHN (Charlottenburg) 

I n No. 24 des Jahrgangs 1914 von „Ueber Land und Meer“ 
habe ich einen Artikel über den Musikerkopf veröffentlicht, 
der im wesentlichen auf zwei', Grundbehauptungen hinaus- 
läuft. Erstens: die meisten Musikerköpfe haben einen im 
Grunde einheitlichen Bau, der vor allem durch den in die Breite 

1 Die beigegebenen Bilder sind größtenteils aus dem Ver- 
lage von Breitkopf & Härtel. 


292 



PIETRO MASCAGNI. 

Zu unserem Aufsätze: Musikerköpfe. 


gezogenen Schädel charakterisiert ist; zweitens: nach einigen 
erhaltenen Musikerschädeln drängt sich die Vermutung auf, 
daß dieser Bau nicht nur eine zufällige Varietät ist, sondern 
eine Art Rückfall in ein früheres Menschheitsstadium, den 
Urmenschtypus, darstellt. Was das erstere anbetrifft, so wurde 
darauf hingewiesen, daß der breite Bau des Musikerschädels, 
besonders im Stimteil, vornehmlich auf der Ausbildung be- 
stimmter Partien der beiderseitigen Schläfenlappen im Ge- 
hirn beruht, welche die Klangzentren enthalten. Viele 
Musiker hatten einen ungewöhnlich großen und breiten Schädel: 
Wagner, Bruckner, Marse hner, Beethoven, Schumann und 
andere *. Untersuchte Musikergehime, auch das Gehirn des 
sehr musikalischen Helmholtz, bestätigten diese Entwickelung 
des Gehirns in den Schläfengegenden. Die Schädel Beethovens, 
Haydns und Schuberts zeigten auffallende Verdickungen in 
den Schläfengegenden; ebenso der Bachs und der Schumanns. 
Diese Dinge smd kaum mehr auf zufällige Aehnlichkeiten 
Zurückzufuhren, sondern erlauben den induktiven Schluß, 
daß der Kopf des geborenen Musikers durch die Entwickelung 
des Gehirns in den Schläfengegenden gekennzeichnet ist. 
Des geborenen Musikers: Es gibt ja Menschen, die Musik 
machen können und solche die Musik machen müssen; unter 
geborenen Musikern sind selbstverständlich nur die letzteren 
verstanden. 

Nun weisen aber die Köpfe der Musiker und insbesondere 
die erhaltenen Schädel einiger hervorragender Musiker noch 
einige andere Eigentümlichkeiten auf, welche nicht gut allein 
durch jene Entwickelung des Schläfengehiras erklärt werden 
können. Beethovens und Schuberts Schädel machen dem 
anatomischen Blick zunächst einen geradezu monströsen Ein- 
druck. Beethovens Schädel insbesondere zeigt eine zuruck- 
fliehende Stirn, tiefe Augenhöhlen, breite dreieckige b,asen- 
öffnung, massige Breite des Oberkiefers und selbst einen deut- 
lichen Ansatz zur „Schnauzenbildung“. An Bachs Schädel 
fanden sich fliehende Stirn, niedrige Augenhöhlen, starker 
Stirnnasenwulst. Es ergab sich eine auffallende Aehnlicnkei t 
mit gewissen Urmenschschädeln, und insbesondere ist Beet- 
hovens Schädel dem Neandertalschädel unfraglich verwandt. 
(Beethoven ist auch in diesem Fundgebiet geboren, v. Lu- 
schan.) Andere, weniger studierte Eigentümlichkeiten an 
Musikerköpfen scheinen die Vermutung eines atavistischen 
Ursprungs zu bestätigen. So soll Mozarts Ohrmuschel eine 
Anzahl Varietäten aufgewiesen haben, die auf eine anthro- 
pologisch niedere Entwickelungsstufe deuten (das linke Ohr- 
läppchen Haydns soll eine ähnliche Verdickung zeigen wie 
das linke Ohrläppchen Mozarts). Aber es finden sich bei 
Musikerköpfen z. B. auch Kinn formen, die an weit frühere 
Typen des Unterkiefers erinnern. Die Zahne der Musiker. 

1 Diese und einige folgende Notizen aus dem mir erst nach- 
träglich zugegangenen Buche von Feis: Studien über die 
Genealogie und Psychologie der Musiker (Bergmann, 1910). 


wären auf solche Urmenschähnlichkeit (Grübchen) noch zu 
untersuchen. Es scheint auch sehr fraglich, ob die Mähne 
der Musiker eine nur gewollte Aeußerlichkeit ist oder nicht 
vielmehr gleichfalls ein Rudiment darstellt, das mit der 
früheren Behaarung des Urmenschen in atavistischem Zu- 
sammenhang steht. Da es sich bei dieser Auffassung des 
Musikerschädels als Zubehör zu einem bestimmten körperlichen 
Gesamtbau nicht nur um den Kopf handelt, müßte auch der 
übrige Körper der Musiker einer Untersuchung unterzogen 
werden. Es wären die Skelette hervorragender Musiker (ins- 
besondere z. B. die Gebeine Beethovens) zu untersuchen. 
Für die lebenden Musiker würde die Röntgenaufnahme be- 
sonders ihres Schädels eine weitere Bestätigung jener Ver- 
mutung zu erbringen imstande sein. 

Nun wird freilich eingewandt werden, daß die Musik eine 
außerordentlich hohe Kunst ist, daß der Urmensch doch 
wohl nur über primitive Laute verfügte und daß inan doch ein 
so hochentwickeltes Wesen wie ein heutiges Musikgenie nicht 
gut in eine Linie mit einem so primitiven Wesen wie dem 
Urmenschen stellen könne. Darauf ist zweierlei zu erwidern: 
erstens daß die Musik, auch in ihrer höchsten Form, noch 
eine Paraphrasierung menschlicher Affekttöne durch die In- 
strumentation erkennen läßt — eine hierauf basierte Musik- 
ästhetik habe ich unter dem Titel „Das Geheimnis der Musik“ 
in der Allgemeinen Musikzeitung 1905, No. 43, veröffentlicht — 
und zweitens, daß der Urmensch, wie wir aus heutigen Funden 
seiner Kunst im Zusammenhang mit andern Dingen wissen, 
durchaus kein so niedrigstehendes Wesen war. Man muß 
natürlich bei dem Worte Musik nicht gleich ein ganzes Or- 
chester im Kopfe hören, wenn man in der Musik die ursprüng- 
liche Gefühlssprache des Menschen noch wiedererkennen will. 
Dazwischen hegt ja die ganze Entwicklungsgeschichte der 
Menschheit, und mit dem übrigen Menschheitsgehim hat sich 
wahrscheinlich auch das Gehirn des Musikers verändert (und 
verändert sich heute noch ; hierauf beruht vielleicht größtenteils 
die Entwicklungsgeschichte der Musik). Urmenschlich ist 
das Verkoppeltsein des Affektzentrums mit dem Klangzentrum. 
Davon tönt heute noch in der gewöhnlichen Sprache des Men- 
schen etwas durch, wenn er in Affekt gerät; man kann sagen, 
daß dann die Affektlaute nur mit Worten umkleidet 
sind, wie sie in der Musik nur in Tönen paraphrasiert sind. 
Bei dieser Anschauung ist die heutige Musik weniger Musik 
und sind die früheren Affektlaute mehr Musik, als es zuerst den 
Anschein hat. Die Hypothese vom atavistischen Ursprung des 
Musikers verliert damit viel von ihrem Fremdartigen. — 

Es ergibt sich natürlich auch aus den letzten Ausführungen, 
daß von einer Herabwertung des Musikers durch das Wort 
atavistisch gar nicht die Rede sein kann; und daß der Musiker, 
als letzter Abkömmling dieser ausgestorbenen starken Rasse 
Mensch, sogar vielleicht den interessantesten Typus Mensch 
darstellt, der heute auf der Welt existiert. 



RICHARD STRAUSS (1907). 

Zu unserem Aufsätze: Musikerköpfe. 


293 



Zur Deutung und Würdigung von 
Hauseggers Natursymphonie. 

Eine Studie von Dr. HANS BURKHARDT (Frankfurt a. M.). 

(Fortsetzung.) 

N icht mit grüblerischem Sinnen, oder tastenden Versuchen 
hebt Hausegger an: die unabweisbare Frage nach dem 
Rätsel wesen Natur wird sofort in ungestümem, ja r üc k- 
sichtslosem Drange gestellt. Im Bewußtsein ihrer 
Kraft will die Menschheit dem Weltgeist näher kommen 
und des Lebens Sinn sich erschließen. Von diesem Rich- 
tungsimpuls getrieben, hebt sich die Stimmung bald zu 
triumphierender Höhe (Part. S. 122), und zuversichtliche 
Bewegtheit der Empfindung drückt sich (im Seitenthema, 
Part. S. 137) vernehmlich aus. Es ist wie eine Vorahnung 
der beglückenden Siegesgewißheit. Da setzt in rasendem 
Vorwärtsstürmen, alle Kräfte zusammenraffend, schon wieder 
das Anfangsthema ein. Möglich, daß eine breitere Ent- 
faltung des nun folgenden Teiles den kommenden Höhe- 
punkt noch mehr hätte heraustreten lassen; aber die Forde- 
rung einer bündigen Antwort läßt sich nicht länger nieder - 
halten. In immer riesenhafteren Formen reckt sich der 

E rometheische Drang dieser Akkorde (vergl. besonders den 
irgeleinsatz, Part. S. 157), und gewaltsam will der Ton- 
dichter den Schleier des ewigen Wesens der Dinge lüften. 
Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, den aufs höchste ge- 
steigerten Ausdruckswillen der Musik mit der,* begrifflich 
scharf umrissenen Wortsprache zu paaren, und mit Goethes 
Versen des „Proo m.i o n s A läßt Hausegger den Chor 
gewaltig einsetzen: 

„Im Namen dessen, der sich selbst erschuf! 

Von Ewigkeit in schaffendem Beruf; 

In Seinem Namen, der den Glauben schafft, 
Vertrauen, Liebe, Tätigkeit und Kraft; 

In Jenes Namen, der, so oft genannt, 

Dem Wesen nach blieb immer unbekannt: 

Soweit das Ohr, soweit das Auge reicht. 

Du findest nur Bekanntes, das ihm gleicht. 

Und deines Geistes höchster Feuerflug 
Hat schon am Gleichnis, hat am Bild genug. 

Es zieht dich an, es reißt dich heiter fort. 

Und wo du wandelst, schmückt sich Weg und Ort; 
Du zählst nicht mehr, berechnest keine Zeit, 

Und jeder Schritt ist Unermeßlichkeit.“ 

Nicht umsonst ist also das stürmisch geäußerte Verlangen 
nach Erkenntnis jenes unter so viel Namen verehrten, aber 
doch ^rätselhaften Wesens. Restlos es zu erfassen, kann 



HEINRICH G. KOREN. 

Zu unserem AufsaUe; Musikerköpfe. 



JAN KUBEUK. 

Zu unserem Aufsatze: Musikerköpfe. 


freilich niemandem glücken, und beim Inne werden Jder uns 
gesetzten, unüberschreitbaren Grenzen iiberkommt es uns 
wie Wehmut. Doch entscheidend ist für uns die Mög- 
lichkeit, Gott-Natur im Bilde, im Gleichnis zu erfühlen. 
Ahnend ermessen wir, daß dieses Wesen von Ewigkeit her 
„in schaffendem Beruf“ war, daß alles Große, „Glaube, 
Vertrauen, Liebe, Tätigkeit und Kraft“ aus ihm fließt und 
allen Wesen sich mitteilt. Wir können, von hier aus rück- 
schauend, wohl verstehen, warum sich Hausegger der Lösung, 
die der zweite Satz gab, so scharf widersetzt. Die neue 
Einsicht aber führt uns zu freudigem Aufschwung der Seele, 
sie ruft uns von stillem Verzicht und müder Resignation 
weg zu kraftvollem Schaffen, „es reißt dich 
heiter fort“. Und jetzt erkennen wir, aus enger Ge- 
bundenheit heraustretend, unsere innere Verwandtschaft mit 
Gott-Natur und sehen uns in die Lebensfülle eines all- 
umfassenden Zusammenhanges gestellt. 

So breitet sich denn der Schluß des Satzes machtvoll 
aus über dem letzten Wort von Goethes „Proömion“ : „Un- 
ermeßlichkeit.“ Feierliche Akkordfolgen halten diese 
letzte und gewisseste Erkenntnis in starker, ehrfürchtiger 
Andacht fest. Nicht gequälte Verzückung ist es, noch auch 
kalte Bewunderung, was uns im Angesicht solcher Unermeß- 
lichkeit ergreift. Die starren, ehernen Klänge der Ewigkeit 
( Des in den klangbeherrschenden Instrumenten, Part. S 200 
und 201) werden vielmehr umspielt vom Leben vielfach 
abgestufter Begleitfiguren, einem Leben, das wir mitfühlen 
können. Und doch sind alle diese Begleitbewegungen in 
den letzten Takten gedacht und empfindbar nur m Be- 
ziehung auf die Tonika (Des). So stehen wir am Schlüsse 
der Symphonie nicht etwa vor einem staunenweckenden 
Klangphänomen, das uns, weil wesensfremd, im Innersten 
abstieße, sondern vor einem von wirklichem Leben beseelten 
Klangbilde von einheitlicher Gesamtstimmung, in die alle 



ze Besprechung 

Mittel des Aufbaus. Hausegger hat mit dieser 
Tondichtung ein Werk von gebieterischer Einheitlich- 
keit geschaffen, die vor allem durch die Geschlossenheit 
des inneren Gehaltes gegeben ist. Die Gefahr einer Zer- 
splitterung war für den Komponisten nicht von vornherein 
abzuweisen, da ja der Natursymphonie nicht ein bestimmtes 
fest umrissenes Einzelerlebnis, sondern eine Reihe jahre- 
langer Eindrücke zugrunde liegt. Es ist Hausegger aber 
durchaus gegluckt, die verschiedenen inneren Vorgänge zu 
anem einheitlichen Bilde zusammenzuschließen dessen 
Einzel zuge sich dabei immerhin gegensätzlich verhalten 
mögen Die beherrschende Idee äußert sich in der Frage 
:h dem tiefsten Grunde der Natur. Zn 


möj 

nacJ 


, , „ , . , Natur. Zu diesem Mittel- 

punkte stehen alle noch so peripherischen Teile in Beziehung, 
so daß das ganze Tongebilde wirklich von innen heraus 
kqinpqmert erscheint. Es wahrt in eigenartiger Weise die 
Einheit nicht nur des Schauplatzes und der Zeit, sondern 
ebenso auch die der inneren Handlung, des Problems, das 
w!e ein gewaltiger örgelpunkt das Ganze durchdringt. 
Gefordert wird die Ueberschaubarkeit der s 


sym- 


294 


phonischen Anlage durch einen in künstlerischer Selbstzucht 
durchgeführten Verzicht auf breite Abschweifungen, durch 
strenge Beschränkung auf stoffgerechte Themen, d, h. solche, 
die zur Charakteristik der einzelnen Sätze Wesentliches 
beizutragen vermögen, und durch Abstufung der verschie- 
denen ^Themen nach ihrer Bedeutsamkeit. Was ist aber 
eine solche Architektur anders als die äußere Dar- 
stellung der inneren Einheit ? Die Rolle einzelner Bau- 
glieder fällt dabei den Themen zu. Den Nachweis, daß 
diese, in stets veränderter Umkleidung, die verschiedenen 
Teile der Natursymphonie unter sich verketten, können wir 
uns im einzelnen wohl erlassen. Doch auf das wertvolle 
Einheitsband sei hingewiesen, das die „mystischen Akkorde“ 
in ihrer geschickten Verwendung bilden! Sie beschließen 
den ersten Satz (vergl. oben), klingen kurz vor dem 
Schlüsse des zweiten Satzes in den Klarinetten leise an 
(Part. S. 115) und treten endlich im Chorsatze namentlich 
unmittelbar vor der großen Zäsur des „Proömions“ be- 
deutungsvoll hervor. Am allerwichtigsten aber ist für die 
thematische Verknüpfung der Sätze das sogenannte „Natur- 
thema“ (zum erstenmal Part. S. 4), das die ganze Kom- 
position durchdringt und dessen Entwicklungskurve uns 
noch beschäftigen wird. 

Die künstlerische Ueberlegung beim Aufbau der Symphonie 
zeigt sich ferner in der planmäßigen Aufreihung der einzelnen 
Teile nach dem Grundsätze der Steigerung. Die Einzel- 
spannungen dürfen nicht immer nur kurzlebig in sich enden, 
sondern müssen sich fortschreitend verdichten. Wenn nach 
den Forderungen der Aesthetik neben der Einheitlichkeit 
auch eine derartig festgefügte Gestaltung einem großen 
Kunstwerke eignen muß, dann zählt die Natursymphonie 
auch aus diesem Grunde zu den großen Schöpfungen. Nach 
den oben gegebenen ausführlicheren Darlegungen können wir 
uns liier kürzer fassen. Befindet sich der Tondichter im 
ersten Satze der Symphonie im Zustande ursprünglich- 
naturhafter Gebundenheit, die noch keinerlei 
Reflexion, noch keine Bewertung der Natur in sich 
schließt, so schreitet er im zweiten Satze zur gefühls- 
mäßigen Betrachtung derselben fort. Die Natur 
tritt ihm dabei in ihrer überragenden Größe als Todesmacht 
entgegen. Aber der Künstler kann sich bei dem Gedanken 
der Vernichtung als des letzten Sinnes der Natur nicht be- 
scheiden und vollzieht im dritten Satze mit Hilfe des Dichter- 
wortes die entscheidende Beurteilung ihres Wesens : 
eine im Ausdruck sich steigernde, auf ein festes Ziel zu- 
strebende und darum wirklich überzeugende Entwicklung! 

Weiter ist zu nennen die erfolgreiche Verwendung des 
-Gegensatzes. Zumal im vorliegenden Werk ist dieses 
Kunstmittel durchaus am Platze, da die Natin: ja selbst 
eine aus Dissonanzen gewobene ewige Symphonie darstellt. 
Im Rahmen des ersten Satzes zeigen sich uns in buntester 
Fülle die unerschöpflichen Gegensätze in den Lebensformen 
der Naturkräfte. Als Ganzes bildet dieser Teil mit seiner 





OTTO LOHSE. 

Zu unserem Aufsalze: Musikerköpfc. 



WILHELM BACKHAUS. 

Zu unserem Aufsatze: Musikerköpfe. 


vorwiegend „naiven“ Sprache zu dem auf „sentimentaler“ 
Naturbetrachtung ruhenden zweiten Satze einen ausdrucks- 
vollen Kontrast. Noch schärfer stehen sich die Ichlosigkeit 
des Naturempfindens im ersten und die straffe, bewußte 
Zielstrebigkeit im Anfänge des dritten Satzes gegenüber. Die 
beiden ersten Sätze zusammen bilden hinwiederum eine Art 
Vorspiel des dritten und das Durchgangsstadium zur end- 

t iiltigen Lösung. Auch äußerlich erhalt der letzte Satz durch 
ie Benutzung von Vokalmitteln gegensätzliches Gepräge. 
In vorbildlicher Klarheit endlich folgt im gleichen Satze der 
Spannung die Entspannung. 

Mit dem eben erwähnten künstlerischen Grundsätze ist 
der der Symmetrie ziemlich nahe verwandt. Wie 
Hausegger ihn im ersten Satze befolgt hat, kann man bei 
Siegel (S. 6 — 10) naclilesen. Faßt 'man die beiden vorbe- 
reitenden Sätze als Ganzes zusammen, so zeigt sich, daß sie 
von den starren Klängen des Naturthemas umschlossen sind, 
das von tiefen OrgeYtönen in geheimnisvollem pianissimo 
gebracht wird. In einer ganz prachtvollen Arehitektür aber 
sind die letzten Akkordfolgen der Symphonie aufgebaut. Mit 
dem Worte „Unermeßliehkeit“ langen Chor und Orchester 
anscheinend endgültig bei der Haupttonart Des diu an. Da 
rauschen, über einem neuen Grundton A aufsteigend, noch- 
mals lebensprühende Passagen aus der Tiefe herauf, um von 
der Quint E über Es und D nach Des zurückzusinken. I111 
Auszug notiert: 



usf. 

Das Klangbild wird dadurch noch sinnfälliger, daß die Orgel 
beim Eintritt von A dur zwei Takte lang schweigt, während 
sie den umrahmenden tonischen Des dur-Klang im fortissimo 
durchhält. Nicht nur, daß durch solches Gleichgewicht das 
Feierliche des Eindrucks verstärkt wird: bei dem nochmaligen 
Erklingen wirkt Des dur geradezu unausweichlich, wie auf 
Ewigkeit gegründet. 

Wir wenden uns nunmehr, im dritten Teil unserer Studie, 


zu den im engeren Sinne stilistischen Mitteln Hauseggers, 
seiner musikalischen Sprache, ohne natürlich 
eine erschöpfende Stilanalyse geben zu wollen. Ausdrücklich 
aber möchten wir gleich im Eingang betonen, daß wir uns 
hier nur auf die Natursymphonie beziehen unter Ausschal- 
tung aller früheren Werke des Komponisten, die teils 
ein ganz anderes Wesen tragen, teils, soweit sie einen Ueber- 
gang zur vorliegenden Tondichtung darstellen, die für die 
Natursymphonie charakteristischen Züge noch nicht so be- 
stimmt aufweisen. Ferner soll alle Verehrung für Hausegger 
unser Urteil nicht einseitig machen; wir sind den Lesern, 
uns selbst und nicht zum wenigsten dem Komponisten eine 
andere als nur panegyrische Darstellung schuldig. Um aller- 
dings gerecht zu urteilen, muß man beachten, daß die Natur- 
symphonie ein gedankenreiches Werk unseres Zeitgeistes 
darstellt, das nicht von klassizistischen oder romantischen 
Vorurteilen aus gemessen werden darf. Wenn z. B. ein 
Frankfurter Fachmann im Chorteile Koloraturen vermißte 


295 


— ach, wie rührend ist doch solche Pietät! Es ist wie in 
Wagners Meistersingern: „Keine Koloratur! Von Melodei 
auch nicht eine Spur!“ Da hält nun Beckmesser redivivus 
dem aus innerem Drang heraus schaffenden Künstler die 
Tabulatur vor, nach der er tun und lassen soll! Dort ein 
Strom heißquellender Empfindungen, und hier ein wohl- 
reguliertes Flußbett zur Aufnahme bereit! Der Unverstand 
wird eben nie einsehen, daß ein Künstler, der das Sehnen 
der eigenen Zeit versteht und uns in gesteigertem Ausdruck 
davon reden will, in der Sprache vergangener Geschlechter 
überhaupt nicht reden kann. Bleiben w i r gerechter- und 
vernünftigerweise bei zeitgemäßen Forderungen! 

Vergleicht- man Hauseggers Schaffen mit dem von Richard 
Strauß, so empfindet man, daß Hausegger weniger vielge- 
staltig ist als sein Zeitgenosse, dessen Phantasie die ver- 
schiedenartigsten Eindrücke, wie sie gerade auf ihn Zu- 
strömen, spielend leicht verarbeitet. Die Melodik der 
Natursympnonie atmet nicht jene tändelnde und einschmei- 
chelnde Anmut, in ihren etwas schwerer dahinfließenden 
Melodien wird man das elegante, schmiegsame Spiel der Form, 
das Strauß besitzt, seltener finden. Und auch die Leucht- 
kraft der Farben ist bei Strauß noch durchdringender. 
Wer sich an dem hellen Lachen und sprudelnden Jubel der 
Tonsprache eines „Rosenkavalier“ oder der „Ariadne auf 
Naxos“ berauscht, wer die oft strahlende Farbengebung und 
schönheitstrunkene Linienführung dieser Werke bewundert, 
wird sich in die „Natursymphonie“ nicht gleich zu schicken 
wissen. 

Weiteres lehrt ein Hinweis auf Mahler. Dessen Stärke ruht 
nicht so sehr in dem geschmeidigen Fluß als in der Sang- 
barkeit und Volkstümlichkeit der Themen. Seine 
Symphonik ist großenteils aus dem Geiste des Liedes ge- 
boren. Die Themen der Natursymphonie sind dagegen in 
ihrer Mehrzahl durchaus instrumental gedacht, und man trifft 
hier seltener auf eine liedmäßig breit entwickelte Melodie. 
So kann man sich den Fall denken, daß jemand, der von 
Mahlers Schreibart zu Hauseggers Symphonie herüberkommt, 
vor deren energischerer, ja mitunter steifnackiger Ausdrucks- 
weise zuerst förmlich zurückfährt. Wenn er dann allerdings 
in der tiefen Flut der Natursymphonie, freilich in ganz anderer 
Strahlenbrechung als bei Mahler, die ewigen Sterne sich spie- 
geln sieht, wird er sich Hausegger wohl bald gefangen geben.' 

Wir verhehlen uns bei diesem schlagwortartigen Urteilen 
durchaus nicht die Gefahr solch gedrängter Formulierungen. 
Es finden sich in der „Na tursymphonie" 1 Stellen, die gerade 
an Pracht der Melodieführung und Färbung in der gesamten 
modernen Orchesterliteratur ihresgleichen suchen (wir er- 
innern nur an den sehnsüchtig-ahnungsvollen Aufschwung 
gegen Ende des ersten Satzes, Part. S. 67 ff.), so daß man 



F. HEGEDÜS. 

Zu unserem Aufsatze: Musikerköpfe. 


beim Betrachten solcher Gestaltungen an der Richtigkeit 
der aus unseren Vergleichen gezogenen Erkenntnis wohl irre 
werden könnte. Aber wenn man das Ganze ins Auge faßt, 
so steht doch wohl fest: die besonderen Vorzüge der 
Natursymphonie, die Stiltugenden also, welche dieser Kom- 
position das Gepräge geben, liegen weniger in bewegter 
Form der Melodie oder bestrickendem Glanz der Farben, 
auch nicht gerade im Liedhaft-Sangbaren. Andere Züge 
im Antlitz der Natursymphonie erscheinen noch tiefer. 

Vischer hat einmal das „echt Schöne“ dahin charakteri- 
siert, es sei „groß und fest, beharrlichen Geistes, männlich 
und mit Kraft gepanzert“. Das können wir Wort für Wort 
auf die Tonsprache der Natursymphonie anwenden. Haus- 
egger ist ein ausgesprochen männlicher Künstler. 
Mit dieser Erkenntnis haben wir den Boden gewonnen, auf 
dem alle Teilerkenntnis erwächst. Seine Musik ist nie weich- 
lich, nie weinerlich schlaff. Selbst hochlyrische Stellen sind 
von kraftvoller Zartheit. Niemals ist bei ihm alles nur 
„liebenswürdig gesehen“. Ihrer Würde bewußt hält sich 
seine Kunst ebenso fern von trivialen Sangbarkeiten. die 
bloß dem Ohre schmeicheln, wie von aufdringlichen Gesten. 
Nicht der sogen, durchschlagende Erfolg ist ihr Endziel. Sie 
verschmäht es, durch glitzernde akustische Experimente und 
technische Witze — wofür doch manche Zeitgenossen eine 
gewisse Schwäche haben! — die Menge des Nur- Publikums 
zu locken. Wem sie nicht gefällt, der mag ihr fernbleiben ; eine 
Maske, um zu gefallen, bindet sie sich nicht um. Sie ist 
deutsch ; denn der Inhalt steht ihr noch höher als die Form, 
und wie kaum bei einer andern modernen Künstlerindividua- 
lität ist es bei Hausegger der Geist, der sich den Körper baut: 
darin liegt ja eine gewisse Begrenzung, zugleich aber auch 
das Geheimnis der tiefdringenden und nachhaltigen Wirkung 
seiner Kunst. Selbstzucht waltet in ihr; sie reißt sich darum 
vom Hergebrachten nicht blindlings los; wo sie aber die bis- 
herigen Formen verläßt, ist dies von innen heraus begründet. 
Nicht berechnet auf bloße Augenblickswirkung, kann sie gleich- 
sam warten, bis man ihrer Schönheiten gewahr wird, die in der 
Natursymphonie nicht so sehr im Duft der Melodie 
als im Pathos rhythmischer Kraftfülle und in an- 
dachtvoller harmonischer Tiefe liegen. Hinter dem 
strengen, oft herben Aeußern aber findet man eine Lebens- 
wärme, wie sie nur dem Herzen eines wahrhaften Künst- 
lers entquellen kann. (Schluß folgt.) 


Von der Opernsaison an der Riviera. 

Montecarlo, im März. 

I. 

E ine Rückschau über Opemereignisse hat etwas Tra- 
gisches an sich. Bleiben beim Schauspiel, überhaupt 
beim gesprochenen Drama, stets seelische und ver- 
standesmäßige Werte übrig, die sich in unserer Erinnerung 
mehr oder weniger standhaft festsetzen, so schwindet das 
Erinnerungsvermögen bei musikalischen Dingen, zumal wenn 
es sich um Bühnenwerke handelt, viel, viel schneller dahin. 
Die alte viel verspottete Vorliebe des großen Publikums für 
alle die Musik, die es „bequem nach Hause tragen kann“, 
sie hat doch auch für den ernsten Kunstbetrachter eine sym- 
tomatische Bedeutung ; denn letzten Endes besteht der Wert 
es echten, bleibenden Kunstwerkes doch in seiner Eignung, 
uns dauernde Genüsse zu verschaffen, und es unterscheidet 
sich Talent und Genie immer wieder durch die Fähigkeit, 
solche bleibende Werte zu geben. . . . Derartige Gedanken 
schießen mir durch den Kopf, wenn ich mich anschicke, die 
Ereignisse vor meinem geistigen Ohre und vor meinem inneren 
Ohr Revue passieren zu lassen, die das hochelegante Publi- 
kum des Opemspielsaales im hiesigen Kasino zu Beifalls- 
äußerungen veranlaßt haben. Beifallsäußerungen ? Da stock 
ich schon; hier bedeutet ja der Beifall nichts als der Ausdruck 
mondänen, huldvollen Befriedigtseins, nicht aber inneren 
Kunstverständnisses- Das ist traurig, wenn man bedenkt 
daß es sich um die bestdotierte europäische Opernbühne 
überhaupt handelt. Ohne die wohl schon oft kolportierten 
Märchenziffen der Gehälter aufzuzählen, aus denen sich die 
Honorare der Mitglieder des Opernhauses zusammensetzen 
ist es doch wichtig, sich zu vergewissern, daß wir in diesem 
Opernhause die einzige Bühne besitzen, der unbegrenzte Geld- 
mittel zur Verfügung stehen. Wäre also die utopisch ersehnte 
internationale.. Völkerverbrüderung schon zur Tatsache ge- 
worden, so hatten wir in Montecarlo das ideale Theater zur 
Verwirklichung all unserer Träume von Reformen des Opern- 
spielplanes. Statt dessen begnügt sich Direktor Gunsboarg 
immer wieder damit, ein paar Uraufführungen von Werken 
romanischer Komponisten zu veranstalten, unter denen es 
immer nur zwei oder drei wirkliche Künstler gibt, während 
. e , an j; er ^^ u ??^ 1 iJ^ e -der Salons in Paris, Rom oder I/ondon 
sind die über die Beziehungen zur Highlife und damit über 
die Möglichkeiten verfugen, in dem smartesten Opemtheater 


296 


der Welt aufgeführt zu werden! . . . Doch das ist nun einmal 
der Lauf der — wie sagt man doch! — der „großen Welt“, 
den wir armen Kunstenthusiasten von Traumkönigs Gnaden 
niemals aufhalten werden! So lasset uns denn mit fröhlicher 
Resignation Rückschau halten, auf daß dem Leser ja nichts 
entgehe, was sich hier ereignet hat! . . . 

Nachdem der „Parsifal“-Andachtsrausch auch hier einer 
Ermüdung gewichen war, kehrte man zunächst zu den Quellen 
der Oper zurück und führte eine der zu Unrecht vergessenen 
Ballettopem auf, in denen wir, nach dem Vorgang der floren- 
tinischen Intennedien, die Wurzeln aller Opernübung zu 
ersehen haben, Wer sich mit Musikgeschichte beschäftigt 
hat, kennt die prunkvollen mythologischen Balletts zur Ge- 
nüge, wie sie im 17, und 18,, teilweise auch noch im Anfang 
des 19. Jahrhunderts von den Hoftheatern aus in die Opern- 
biihne eingedrungen sind ; aber wenigen unter uns ist die Bällett- 
oper Rameaus bekannt. Das ist gerade in diesem Gluck- 
Rrinnerungsjahre bedauerlich; denn nur die Kenntnis des 
Rameauschen • Opemballettstiles und seiner inneren viel- 
deutigen Symbolik öffnet uns erst den Schlüssel zur Erkennt- 
nis des Gluckschen Reigenstiles ; so war denn die Wiederauf- 
führung der Rameauschen Ballettoper „Les fetes d’H6be“ 
(oder „Les talents lyriques“) ein glücklicher Gedanke, der 
in einer wahrhaft vorbildlichen Weise von dem kenntnis- 
reichen Direktor Gunsbourg, den man getrost den „fran- 
zösischen Reinhardt der Oper“ nennen darf, verwirklicht 
worden ist. Herr .Gunsbourg weiß sehr wohl, daß er einem 
internationalen, blasierten Publikum eine solche „alte Rari- 
tät“ aus dem Jahre 1739 nur in einer ganz „erstklassigen“ 
Aufmachung bieten darf; und da er nicht zu sparen braucht, 
so hat er den dekorativen Teil seiner Aufgabe so köstlich 
lösen können, daß die Aufführung für den Kenner der Zeit 
ein wahres Labsal bildete. Der seltsame Renaissancestil 
der Kostüme, der eine Hebe und eine Liebesgöttin mit einem 
aus antiken und hochrenaissancemäßigen Elementen ge- 
mischten Gewände umkleidete, wurde ebenso prächtig ge- 
troffen, wie der exzentrische Entwurf der Dekorationen; der 
Zweck dieser Augenweide war offenbar der, dem Zuschauer 
nicht zu viel Zeit zu lassen, über die tiefere Allegorik der 
lose geflochtenen Handlung nachzudenken. Wir sollten uns 
nur der Feste erfreuen, die wir der Einmengung der Jugend- 
göttin Hebe in die Geschicke der Liebenden in dem amourösen 
Renaissance-Hellas des * 18. Jahrhunderts verdanken. Wir 
sollten uns der Gesangskunst erfreuen, die noch immer in 
romanischen Landen ihre neuen, alten Quellen hat. Wir 
Nichtfranzosen staunten nur über die Kehlfertigkeit einer 
Lilian Grenville (H6be) oder einer Mlle. AlexandrowiU (Amor), 
aus dem Münde dieser Yokalgenies strömten die Arien so 
mühelos und dabei seelisch so verinnerlicht, daß alles preziös 
Raffinierte des Rameau-Stiles gleichsam vereinfacht schien 
und wir des Wohllautes und der Klassik Rameauscher Par- 
titur inne wurden, dieser Musik, die freilich ihr Unsterblichstes 
in den Ballettschätzen birgt; hier prickelt echteste altfran- 
zösische Rhythmengrazie, und gallisch liebliche Heiterkeit 
blüht aus den wohlig leichten Melodien der Tänze auf. Schade, 
jammerschade ist es nur, daß auf unseren deutschen Opern- 
bühnen nicht ein Gastspiel der Gunsbourg-Truppe nur schon 
allein mit dieser Rameau-Aufführung ermöglicht werden 


kann! . . . 

Der „alte Rameau“ ward natürlich von den Habitu&s der 
Montecarlo-Oper sofort zum alten Eisen geworfen, als die 
Affichen der großen Massenet-Premieren auftauchten und 
nun den Beginn der eigentlichen Opemsaison bezeichnten . 
Von jeher hat ja Gunsbourg den beiden Hauptmeistern der 
neueren französischen Oper, Massenet und Saint-Saens, herz- 
liches Gastrecht an seiner einflußreichen Bühne gewährt, 
und die Lebensgeschichte des alternden und des „letzten 
Massenet ist mit Montecarlo aufs engste verknüpft; so ist 
es auch verständlich, wenn sich seit diesem Jahre in nächster 
Nähe des Berlioz-Denkmales (auch dieses Meisters Werke, .zu- 
mal seine „Damnation de Faust" gehören ja zum hiesigen 
Spielplan!) und vor der Prunktreppe des Opernhau^ eine 
schlichte, von dem russischen, m Paris leiden Bildhauer 
Bernstamm herrührende Büste erhebt, bei deren Einweihung 
im Theater u. a. auch ein Fragment der „Suite parnassieime 
aufgeführt wurde, übrigens eines anscheinend n 
bemerkenswerten, mehr gelegenheitsmaßigen We ' 
Massenets letzten Monaten. Dieser Meister der „Manon 
ist und bleibt der Spezialist der Buhne; mcht aE Dramatiker 
dürfen wir ihn ansprechen, ja. kaum als eigentlichen Theatr a 
liker, sondern es ist Lyrik und Sentiment ,( mch ? 
mentalität!) in seiner Opernmusik wie m semem Samten 
Schaffen. Auch die letzte Oper, die seiner allzeit JJrX^e 
vielleicht allzu fleißigen Feder entsprossen ist, 

Eigenheiten des Komponisten, den man wie 
anderen romanischen Musiker in Deutschland einfach, 

entweder zu leicht oder zu schwer nimmt, statt ihn eintacn 
vom französischen, in diesem Falle gen = gessgt vom 1 panse- 
rischen Standpunkt aufzunehmen. M^ e ^.jS e ° h p at Ut 

sriaÄÄCÄ 


noch überhaupt jene blutdürstige Hetäre, wie sie als Typus 
weiterlebt. Obwohl uns Payens Libretto alle typischen Merk- 
male ihres Charakters aufzeigt, obwohl wir ihr tragisches 
Liebesieben, das sich in Marc Anton einen Stützpunkt sucht 
und doch zuletzt dem tobenden düsteren Liebeswerben des 
in sie brünstig verliebten Sklaven Spakos (einer vom Dichter 
frei und glücklichst hinzuerfundenen Figur!) erliegen muß, 
obwohl wir dieses Liebesieben Kleopatras aus der Dichtung 
deutlich entnehmen, trotz alledem bleibt uns in Massenets 
Komposition des Stoffes nur der sentimentale Umriß dieser 
Leidensgescliichte der Heldin gegenwärtig. Das eigentlich 
Dramatische oder gar das Perverse der Gestalt bleibt uns 
der Komponist bewußt ebenso schuldig, wie einstens in seiner 
„H6rodiaae“, dieser bei uns wenig bekannten Oper des Manon- 
Komponisten. Schließlich waren wir mehr Auge als Ohr. 
und Madame Kusnetzojfs wie gemeißelter, buhlenscher Kleo- 
patraleib übergleißte mit seinem weißen Schimmer unser 
Zuschauerempfinden so sehr, daß wir erst im letzten Akt wieder 
aufhorchten, als bei Kleopatras Todesszene die ganze süße 
(bisweilen fälschlich „süßlich“ genannte!) Innigkeit des Masse- 
netschen Melos offenbar wurde. Vielleicht ist diese Erscheinung 
rückwirkend und gegenseitig; vielleicht ward auch Massenet. 
der stets den Todesszenen seiner Frauengestalten besondere 
Liebe angedeihen ließ, liier erst warm, wenn Kleopatra ihrer 
menschlich-irdischen Schlacken ledig und ein Frauentypus 
schlechthin ward! Sonst sind die tragenden Gestalten nur 
recht konventionell charakterisiert, und nur in Ansätzen spürt 
man die Meisterhand noch. Neben Madame Kusnetzoff 
hatte sich Rousseli&re von der Pariser Groß.n Oper ganz 
in seine Rolle (als Spakos) eingefühlt; Herrn Maguenals Marc 
.Anton wirkte mehr durch die echt hellenistische Schönheit 
seiner geschmeidigen Gestalt, als durch seine Kunst, die 
noch nicht völlig durchgereift ist. Ueber alle Maßen schön 
war das dekorative Gewand, das der Oper gegeben war. Ka- 
pellmeister Jehin leitete die Aufführung mit Umsicht. Wohl 
nirgends auf europäischen Opernbühnen denkt man so wenig 
an den Dirigenten, wie hier, wo Tyrann Snob das Publikum 
regiert und immer nur auf die Stars achtet, oder sich höchstens 
dann für die Komponisten oder sonstige „nebensächliche“ 
Persönlichkeiten Interesse hat, wenn diese der „monde“, der 
Gesellschaft angehören. 

So erklären sich die großen Erfolge einer Reihe kleinerer 
Werke, „Iva tragedie de la mort“ von Georges Mousikant, 



MAX REGER. 

Zu unserem Aufsätze: MusikerkSpfe. 


297 


„Lei Iah“ von de Lorey und Bemberg , und „Kaatje“ von Victor 
Buffin. Das letzigenannte Werk verdient die große Beachtung, 
die ihm eine Aufführung in Montecarlo ein trug, zum Glück 
nicht lediglich um der hohen Stellung willen, die sein Ver- 
fasser, Baron Buffin, als ehemaliger Flügeladjutant des Königs 
von Belgien einnimmt, sondern Buffin erweist sich in dieser 
niederländischen Legende von dem Maler, der in Italien In- 
spiration und Liebesglück sucht, um beschämt zuletzt solches 
in der Heimat zu finden, als ein Musiker von gereiftem Kunst- 
verständnis und von durchgeistigtem Können. Seine Oper, 
die übrigens ihre Uraufführung bereits vor einiger Zeit in Brussel 
gefunden hat, zeigt, daß man sehr wohl Gesellschaftsmensch 
und ernster Künstler zugleich sein kann. Wer so strenge 
fugierte Sätze schreiben kann, wer in der Melodik und 
Harmonik so wagemutig den Modegeschmack ignoriert und 
seine Thematik so herbe’jind durchaus nicht leicht eingänglich 
gestaltet, der muß auch vom ernsten Kunstrichter ernst ge- 
nommen werden, der verdiente den Erfolg, der ihm hier teilweise 
auch durch die Darsteller der Hauptrollen, Mitglieder der 
Brüsseler „Monnaie“ (Herr Girod und Madame Heldy), herbei- 
geführt wurde. 

Desto trauriger erging es den Herren de Lorey und Bemberg 
mit ihrer „Leilah“. Charakteristisch für viele derartige 
Günstlingsopem, so auch für diese „Leilah“ ist zweierlei: 
einmal die Doppelfirma, und andererseits die Vorliebe fürs 
Exotische. Von Herrn de Loreys musikalischen Vorstrafen 
konnte ich beim besten Willen nichts in Erfahrung bringen; 
dagegen ward man in den „avant-premi^res “ der Tagespresse 
gebührend auf die „delikaten Melodien“ des Massenet-Schü- 
fers(!) Bemberg hingewiesen; auch war mir der Name des 
Librettisten Jules Bois nicht unbekannt; es ist dies ein über- 
zeugter Persiendichter, ein französischer Bodens tädt, der oft 
in dem Wunderlande geweilt und dort wohl auch die Legende 
von der Rose von Schiras aufnahm, die erst wieder blüht, 
wenn ihre Wurzeln von den Tränen unglücklicher Liebe benetzt 
werden; aber leider hat dieser zweite Teil des „Leilah “-Librettos 
mit dem ersten einen so losen Zusammenhang, daß auch vom 
dichterischen Standpunkt aus das Werk nicht ernst genommen 
werden kann. Geradezu unmöglich aber ist Bembergs Par- 
titur zu diesem süßlich-langweiligen Märchen von der schönen 
Haremsprinzessin Leilah, die durch einen von einer tückischen 
Nebenbuhlerin verhexten Schleier häßlich wird, dadurch vor 
dem um sie freienden König nicht mehr als die Schönste gilt, 
die aber zuletzt vor dem Dichter, der wahrscheinlich mehr 
Phantasie als der arme persische König hat, wieder in blühender 
Jugendschöne erstrahlt. Es fehlt in der höchst geschwätzigen 
Partitur nicht an persischen Originalmelodien; Herr Bemberg 
reiste nach Persien und „notierte“ die Melodien; aber diese 
Exotika bleiben auch seine einzigen Gedanken; im übrigen 
wirkt seine Partitur wie verwässerter Delibes, mit etwas 
Debussy aufgekocht ; manchmal wird auch noch etwas Operetten- 
musik-Gewürz hinzugefügt, und das große Publikum findet 
das dann, zumal in den Ballettszenen für die die Titelrolle 
kreierende Madame Kusnetzoff „entzückend“! Selig sind die 
Toren! . . . Doch, wir wollen dieses Opus nicht ernster nehmen, 
als es verdient und dem eleganten Komponisten seinen höchst 
chicken äußeren Erfolg in Montecarlo gönnen. Artur NelBer. 


Stockholmer Musikbrief. 

I n einem Aufsatz über Schwedische Musik der Gegenwart, 
der im Juni v. J. in dieser Zeitschrift erschien, schrieb ich, 
daß die Orchestermusik in Stockholm nur durch die all- 

J 'ährlich stattfindenden fünf Symphonie-Konzerte der Hof- 
Kapelle repräsentiert werde. Diese Bemerkung trifft nun er- 
freulicherweise nicht mehr zu. Seit dem Beginn dieses Jahres 
haben wir in Stockholm unter dem Namen „Konzertverein“ 
ein eigenes Symphonieorchester. Dieses, aus 60 Mitgliedern 
bestehend (erster Konzertmeister: Sven Kjellström). veran- 
staltet in dem neuerbauten, 1760 Personen fassenden „Audi- 
torium“ wöchentlich zwei Konzerte, das eine mehr ernsten 
Charakters, das andere leichtere Kost bietend. Es war an 
der Zeit, daß dem empfindlichen Mangel einer ständigen 
Institution zur Vorführung gediegener Orchestermusik end- 
lich einmal abgeholfen wurde. Wie stark das Bedürfnis nach 
einem derartigen Unternehmen war, beweist der andauernd 
sehr gute Besuch der Konzerte des Orchesters. Rühmend sei 
hervorgehoben, daß auf den Programmen die Symphonie — 
ab die vom Hörer am meisten Anspannung fordernde Num- 
mer — stets an erster Stelle erscheint. Von den größeren 
Orchesterwerken werden während der Konzerte am Eingänge 
des Saales Taschenpartituren verkauft, eine weise Maßregel 
— oder auch eine verhängnisvolle, wie man’s nimmt: die Ver- 
suchung, für den billigen Preis von einer Krone oder Kr. 1.50 
Musikbildung zu heucheln, ist gar zu groß. Ich glaube nicht, 
daß alle, die man während (!) der Konzerte in den soeben 
draußen erstandenen Partituren „nachlesen“ sieht, Noten lesen 
können. 


Seit dem Bestehen des Orchesters hält die Dirigentenfrage 
Stockholm in Spannung. Die Leitung des Konzertvereins 
konnte im Inlande keine geeignete Kraft finden und ver- 
pflichtete einen jungen Deutschen, H. Seeber van der Floe. 
Dieser hatte hier vor etwa zwei Jahren eine höchst weihe- 
volle Konzertaufführung des Parsifal veranstaltet, wurde aber 
damals vor dem Konzert von einem großen Teile der hiesigen 
Tagespresse in einer schließlich geradezu widerwärtigen Weise 
angegriffen. Allerdings hatte Herr Seeber allerlei auf dem 
Kerbholz, was ihn in den Augen eines richtigen Stockholmer 
Merkers, namentlich wenn dieser letztere sich selbst für ein 
verkanntes Dirigentengenie hält, anrüchig erscheinen lassen 
. mußte: Er hatte einige Jahre zuvor in einem Cafeorchester 
gespielt, war — das Schlimmste von allem — noch nicht in 
Deutschland abgestempelt und zwang so die Stockholmer 
Merker zu dem so verhaßten selbständigen Urteilen. Fast 
allgemein schalt man ihn — alles vor dem Konzert — einen 
Tempelschänder — für den Kenner der Musikgeschichte ein 
komisches Bild: die Tagespresse als Beschützerin der Heilig- 
tümer Richard Wagners gegen eine aufstrebende Begabung. 
Das Stockholmer Musikpubhkutn ließ sich durch jene Hetze 
aber nicht zurückhalten, das Haus bis auf den letzten Platz 
zu füllen. Herr Seeber van der Floe bekundete eine hervor- 
ragende Dirigentenbegabung, und mit Recht erinnerte man 
sich seiner, als es sich darum handelte, dem Konzertverein 
einen künstlerischen Leiter zu geben. Aber nun ging’s erst 
recht los: der offensichtliche künstlerische wie äußere Erfolg 
jener Parsifal-Aufführung hatte die Herren nicht vermocht, 
ihren Irrtum einzugestehen (ein richtiger Zeitungsmann irrt 
sich eben nicht), und so setzte man nun fort, was man da- 
mals begonnen. Amüsant ist’s, dabei immer und immer wie- 
der den Ruf zu hören: „Wir müssen eine europäische Be- 
rühmtheit haben!“ Natürlich: Nikisch, Weingartner u. a. 
warten nur darauf, nach Stockholm berufen zu werden. Wenn 
die misera plebs glaubt, nur berühmte Leute verstünden was, 
so ist das ja eine traurige Tatsache, mit der man sich abzu- 
finden hat. Wird dergleichen aber allen Ernstes von den 
berufenen Führern des Publikums geäußert, so verrät sich 
darin doch ein erschreckender Tiefstand. Leider setzt das 
mehr als vorsintflutliche schwedische Preßgesetz solchem Ge- 
baren auch dann keine Schranken, wenn es sich bis zu per- 
sönlichen Beleidigungen versteigt. Wenn dabei häufig, sehr 
häufig Worte wie Kultur, kultiviert u. dergl. fallen, so muß 
man an Lessings Wort denken: „Man spricht selten von der 
Tugend, die man hat. aber desto öfter von der, die uns fehlt.“ 
Erfreulicherweise verhält sich das Stockholmer Publikum 
genau wie damals: es sorgt für volle Häuser. Herr Seeber 
rechtfertigt durch seine Leistungen vollauf das in ihn gesetzte 
Vertrauen. Gleich das Eröffnungskon/.ert brachte u. a. eine 
glänzende Vorführung von Beethovens A dur-Symphonie. 

Es ist nicht das erste Mal in der Musikgeschichte, daß das 
Publikum seinen sicheren Instinkt von den „kritischen Stim- 
men“ nicht übertauben läßt. Für die Entwicklung des schwe- 
dischen Musiklebens werden aber auch diese betrübenden Er- 
scheinungen von Segen sein: mehr und mehr wird man die 
Unhaltbarkeit des jetzigen Verfahrens, die Musikreferenten- 
posten mit praktischen Musikern, Konservatoriumslehrem 
u. dergl. zu besetzen, erkennen und die Notwendigkeit ein- 
sehen, an den schwedischen Universitäten Lehrstühle für 
Musikwissenschaft einzurichten zur Heranbildung eines auf 
der Höhe der Zeit stehenden, den Fragen des öffentlichen 
Musiklebens mit der nötigen Objektivität gegenüberstehenden 
Kritikerstandes. Felix Saul. 



Halle a. S. Im Stadttheater bat Bruno Heydrichs neue ein- 
aktige Oper „Zufall“ bei ihrer Uraufführung einen recht 
freundlichen Erfolg gehabt. Die lustige Handlung spielt in 
Venedig zur Nachtzeit im Salon eines Advokaten, der durch 
eigenartige Verkettung von Umständen binnen weniger Mi- 
nuten in den Besitz einer Lebensgefährtin kommt. „Der Zu- 
fall naht auf wunderbaren Pfaden stets überraschend, niemals 
eingeladen.“ Hans Dahlmann hat den Stoff nach einer italie- 
nischen Novelle geschickt in einen Einakter zusammengedrängt, 
der eine Aufführungsdauer von etwa i 1 /* Stunden beansprucht. 
Heydrichs Musik zeichnet sich namentlich durch reiche, ge- 
fällige Melodik und durchsichtige Instrumentation aus. Im 
Stil will sie Altes und Neues verbinden. Es finden sich in 
der Partitur nach klassischen Mustern eine ganze Anzahl ge- 
schlossener Formen (Chöre, Lieder, Duette, Quartette) vor, 
während der gesungene Dialog nach Art der neueren Musik- 
dramatiker durch leitmotivische Verwendung der Haupt- 
melodien gestützt wird. In der musikalischen Charakteri- 
sierung ist dem Komponisten ein herumspionierendes, trunk- 


298 


festes Polizistenpaar ausgezeichnet gelungen. — Die Hallesche 
Oper setzte ihre besten Kräfte ein, um dem Werke des hier 
lebenden Komponisten eine möglichst glänzende Aufführung 
zu bereiten. — t. 

Krefeld. Musikdirektor Zey hat, wie schon kurz berichtet, 
das neue Oratorium „Kreuzauffindung“ — In hoc signo vinces, 
von Felix Nowowiejski zur Uraufführung gebracht. Nach 
dem Triumphzuge, den des jungen, damals 24 Jahre alten 
Laureaten (neunmal preisgekrönt) erstes größeres Chorwerk 
„Quo vadis?“ durch die ganze Welt machte, mußte man 
auf die „Kreuzauffindung“ gespannt sein und ich kann sagen, 
daß es meine Erwartungen übertroffen hat. Zwar fehlt dem 
Stoff das Rührend -Volkstümliche, was dem „Quo vadis 
Sujet zu eigen ist, aber dafür ist das Werk in sonstiger Hin- 
sicht ein großer Fortschritt in der Entwickelung des Autors. 
Der Aufbau ist lebendig-dramatisch gesteigert; die Chor- 
szenen sind voll Kraft, die Solopartien ergreifend, getragen 
von lebenswahrer Empfindung. Mit großem Glück verwendet 
Nowowiejski den Gregorianischen Choral, diesen Urvater der 
Musik, einmal, als typisch für die jeweilige Handlung (Pro- 
zession, Andacht) , dann auch aus inneren, ästhetischen Gründen. 
Dieses dreimal um eine Sekunde steigende chorale „Ecce 
lignum crucis“, die Katastrophe des Dramas, ist von starker 
Wirkung. Eines aber kann ich an diesem Werk, wie an vielen 
anderen neuen Chorwerken, nicht entbehren: die Schlußfuge. 
Das möchte ich allgemein gesprochen haben und es soll mir 
femliegen, den gegebenen Abschluß als nicht wirkungsvoll 
hinzustellen. Die Orchestrierung ist blendend, dann und 
wann verblüffend. Die Aufführung war gut vorbereitet. 
Von den Solisten gefiel mir am besten Frau Philipp-Locke 
mit ihrem wohlklingenden Alt-Mezzosopran, die ihrer technisch 
wahrlich schwierigen Rolle durchaus gerecht wurde. Der 
Komponist wurde mehrere Male gerufen und dankte dem 
applaudierenden Publikum zuletzt vom Dirigentenpult aus 
mit einer kleinen Ansprache. A. A. Knüppel. 

Paris. Generalmusikdirektor Fritx Steinbach hat eins der 
letzten Pariser „Colonne-Konzerte“ mit großem Erfolg diri- 
giert. Ein musikalisches Ereignis! wie die Kritik allenthalben 
schreibt. Auf dem Programm standen — außer einer von 
einem jungen „Revolutionär“, Al/redo Casella, komponierten 
und dirigierten Nichtigkeit („Akkordserien“ nach überdebussy- 
scher Manier !) „Notte di Maggio“ — Beethovens „Symphonie 
in c moll“ (No. 5], Bachs „Brandenburgisches Konzert“ (No. 5), 
arrangiert von Steinbach für Violine, Gambe, Cello, Kontra- 
baß und Cembalo, Mozarts „Serenade" für Blasinstrumente 
(2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Bassetthomer, 4 Hörner, 2 Fagotte 
und 1 Kontrafagott) und schließlich Brahms’ „Symphonie in 
e moll" (No. 4). Wenn auch sämtliche Werke unter des tief- 
gründigen Musikers Taktstock in einer durchweg schlacken- 
freien Wiedergabe herauskamen, so müssen wir doch vor allem 
betonen, daß er sich als Dolmetsch der Brahmssehen Seele 
ganz bedeutend hervorgetan hat. Die Werke werden nun 
auch in Frankreich, das ihnen bisher sehr skeptisch begegnete, 
rein musikhistorisches Interesse in hellflackernde Begeisterung 
verwandeln! — Steinbach steht übrigens der modernen Be- 
wegung der französischen Musik nicht ablehnend gegenüber; 
so wird er u. a. in Köln persönlich die 100. Wiedergabe (in 
Deutschland) von Gabriel Piernäs „Kinderkreuzzug" leiten. 

F. Laven. 

Petersburg. Die erste Bach-Feier hat, wie kurz gemeldet, 
in Rußland stattgefunden. Es ist ein Verdienst des Kapell- 
meisters Kussewitzky , daß er in Petersburg eine Bach-Feier 
zustande brachte, wodurch zugleich das Interesse des russi- 
schen Publikums auf den Altmeister gelenkt wurde. Es ist 
ganz seltsam, daß, während Anton Rubinstein bewußt einen 
Bach-Kultus im Petersburger Konservatorium getrieben hat, 
seine musikalischen Gegner, wie Balakirew und Rimsky- 
Korsakow, ebenso bewußt Bach abzulehnen bemüht waren. 
Die Feier brachte das herrliche d moll-Konzert für Klavier, 
das von Herrn Petri mit weichem Anschlag und mit der Ver- 
tiefung eines würdigen „Bachianers“ wiedergegeben wurde. 
Auch die „Choralvorspiele“ für das Piano von Busoni bearbeitet, 
kamen vortrefflich zu Gehör. Der Direktor des Berliner Hof- 
chors, Herr Rudel, der den ganzen Bach-Zyklus leitete, hatte 
Gelegenheit, die Ergebnisse seiner Erforschung des Bach- 
schen Stils zu zeigen in dem Vierten Brandenburger Konzert 
und in der dritten Suite. Was ihm weniger gut gelang ist 
nicht auf die etwa begrenzte Sphäre seines Könnens in der 
Bach-Literatur zurückzuführen , sondern vielmehr darauf, 
daß die russischen Sänger und Sängerinnen noch nicht genügend 
auf die Musik von Bach eingestellt sind. Von Vokalwerken 
wurden aufgeführt: Solokantate No. 60 „O Ewigkeit, du 
Donnerwort“ und die Serenade „Erhabener Leopold“ für 
Orchester und Altstimme. Anerkennenswert war Desonders 
die Leistung von Herrn Bosse, der auf der Höhe seiner Auf- 
gabe stand. — ny. 



Neuaufffihrungen und Notizen. 

— In München hat Richard Strauß seine „Elektra“ diri- 
giert. Die „Münchn. Neuest. Nachr.“ sprechen von einem 
imvergeßlichen „Ereignis“: Nie zuvor empfand man so ge- 
waltig die fürchterliche Wucht dieser grauenvollen Tragödie, 
in der der Muttermord als eine rettende Tat erscheint. Nie 
zuvor auch empfand man so sehr die unerbittliche Folge- 
richtigkeit, mit der sich diese musikalischen Szenen in ihrem 
kühnen Aufbau zu einer so großartigen Steigerung aufeinander- 
türmen. — Wer die „Elektra“ unter Strauß gehört hat — 
und das ist notwendig für den Eindruck — , wird dem Urteil 
zustimmen. 

— Das Hoftheater in Dresden gedenkt im September Herbst- 
Festspiele zu veranstalten, an deren Spitze der „Parsifal“ stehen 
soll; dann werden die neu einstudierten Hauptwerke Richard 
Wagners, ferner der „Rosenkavalier“, „Ariadne auf Naxos“ 
und Mozarts Opern folgen. Auf die Maifestspiele nun die 
Herbstfestspiele! Aber aas Programm ist gut. 

— Am 17. Mai soll im Darmstädter Hoftheater Weingart- 
ners „Kain und Abel“ die Uraufführung erleben. 

— Christian Sindings Oper „Der heilige Berg“ (Text von 

Dora Duncker) hat im herzoglichen Hoftheater zu Dessau 
unter Mikorey die Uraufführung erlebt. Bei prächtiger In- 
szene und lebendiger Darstellung hatte das Werk einen starken 
Erfolg zu verzeichnen. E. H. 

— „Immer der Andere“ betitelt sich eine neue Oper von 
Frau Amalie Nikisch, die vom Leipziger Stadttheater bereits 
zur Uraufführung im kommenden Herbst erworben sein soll. 
Frau Nikisch, cue soeben erst eine Operette in Hamburg 
herausgebracht hat, scheint eine beneidenswerte produktive 
Komponistin zu sein. 

— Wie die Zeitungen berichten, interessiert sich Herzogin 
Viktoria Luise für Musik. Dies Interesse habe sie neuerdings 
wieder darin bekundet, daß, wie es in Braunschweiger Theater- 
kreisen heißt, auf ihre Initiative hin ein neues musikalisches 
Werk zur Aufführung am Hoftheater angenommen wurde. Es 
handelt sich um die komische Oper „Die Waschleine“ von 
Albert Mattausch, dem Komponisten der Oper „Die Nachti- 
gall“ und der Operette „Der Minenkönig“. Es ist erfreulich, 
wenn Fürsten und Fürstinnen sich für die Kunst einsetzen. 
Im Braunschweiger Hoftheater scheint ja auch neues Leben 
einzuziehen. Die Auswahl von Werken wäre aber besser 
den Hofkapellmeistern zu überlassen. Außer bei König Lud- 
wig II. von Bayern ist in neuerer Zeit durch Fürstengunst dem 
Spielplan Ersprießliches nicht zuteil geworden. 

— Die Festspiele im Lauchstedter Goethe-Theater Mitte Juni 
bringen diesmal aus Anlaß des 200jährigen Geburtstages des 
Opernreformators Christoph Willibald Ritter von Gluck drei 
Aufführungen von „Orpheus und Eurydike“ und zwar in einer 
auf Grund des italienischen Originals hergestellten neuen Be- 
arbeitung von Prof. Dr. Hermann Abert (Halle a. S.). Diese 
Bearbeitung sieht eine Besetzung von Cembalo und eine Dar- 
stellung der Orpheuspartie durch einen Sänger (Bariton) vor. 
Da die Textübertragung ins Deutsche auch völlig neu ist, so 
wird man das Werk in einer Form kennen lernen, die in 
wesentlichen Punkten von den üblichen Orpheus-Aufführungen 
abweicht. 

— Ein neuer Versuch, Tennysons Dichtung „Enoeh Arden“ 
für die Bühne zu gewinnen, ist wieder unternommen worden. 
Im Kottbuser Stadttheater, das erst kürzlich eine Urauffüh- 
rung (Fest auf Solhaug) herausgebracht hatte, kam das Werk, 
eine Arbeit des Komponisten Max Weiderl und des Librettisten 
Fritz Droop, zur Uraufführung. 

— Alfred Kaiser hat eine neue Oper „Mariquita“ vollendet, 
die den Maler Murillo zum Helden hat. Die Uraufführung 
soll zu Beginn der nächsten Saison stattfinden. 

— In Saaz (Deutschböhmen) hat eine Oper „Hanna“ von 
A. Schotee, k. k. Professor, die erfolgreiche Uraufführung er- 
lebt 

— An der Scala in Mailand ist Alfanos Oper „Der Garten 
Don Juans“ zur Uraufführung gekommen. 

* 

— Der Allgemeine Deutsche Musikverein hat für das in den 
Tagen vom 23.-27. Mai zu Essen (Ruhr) stattfindende 
49. Tonkünstlerfest folgendes Programm aufgestellt: Sonn- 
abend, 23. Mai, vormittags 10 Uhr: Hauptprobe zum I. Or- 
chesterkonzert. Abends 7 Uhr: I. Orchesterkonzert. Richard 
Strauß, Festliches Präludium (aus Anlaß des 50. Geburtstages 
unseres Ehrenvorsitzenden); Theod. Huber-Anderach, Phan- 
tastisches Scherzo; Otto Naumann, Die Handwerksburschen, 
für Bariton mit Orchester ; Hermann Unger, Erotikon; Heinz 
Tießen, Symphonie frnoll. (Nach dem Konzert Begrüßung 
durch die Staat Essen.) Sonntag, 24. Mai, vormittags 11 Uhr: 
Hauptprobe zum II. Orchesterkonzert. Abends 7 Uhr: II. Or- 
chesterkonzert. Othmar Schoeck, Dithyrambe für Chor und 
Orchester; Emile Blanchet, Konzertstück für Klavier und 
Orchester; Siegmund v. Hausegger, Natursymphonie. Montag, 
25. Mai, vormittags 10 Uhr: I. Kammerkonzert. Walter 
Schultheß, Variationen für Klavier, op. 1; Ludwig Rotten- 
berg, Lieder; Joseph Haas, „Grillen“, für Violine und Kla- 


299 



vier. Abends 7 Uhr: „Herr Dandolo". heitere Oper in 3 Auf- 
zügen von Rudolf Siegel. Dienstag, 26. Mai. vormittags 
‘/*ii Uhr: Hauptversammlung. Nachmittags: Einladung zum 
Bootshaus „Hügel“. Abends 8 Uhr: II. Kammerkonzert. 
Alexander Jemnitz, Sonate für Orgel, mit Altsolo; Erwin 
Lendvai, aus „Nippon“ No. 1, 3, 4, 6, 7 für Frauenchor; 
Gottfried Rüdinger, Serenade für kleines Orchester; Emil 
Mattiesen, Lenore, Ballade für Bariton mit Klavier. Mitt- 
woch, 27. Mai, vormittags 10 Uhr: Hauptprobe zum III. Or- 
chesterkonzert. Abends */*7 Uhr: III. Orchesterkonzert. 
Julius Kopsch, Ouvertüre „Komödianten" ; Walter Braunfels; 
Lieder mit Orchester; Franz Schmidt. Symphonie Esdur. 
Nach dem Konzert Festbankett, veranstaltet von der Stadt- 
verwaltung. Am Vorabend des Festes, Freitag 22. Mai, 
bietet die Stadt Duisburg die Uraufführung der Oper „Rat- 
diff" von Volkmar Andreae, dargestellt durch das Ensemble 
des Düsseldorfer Stadttheaters. 

— Die Vorarbeiten für das VII. Deutsche Bach-Fest der 
Neuen Bach-Gesellschaft am 9. bis 11. Mai 1914 in Wien sind 
beendet. Wie bereits mitgeteilt, finden vier Aufführungen 
statt, ein Kantatenabend (Samstag, den 9. Mai), ein Kammer- 
konzert (Sonntag, den 10 Mai) und die Aufführung der „Jo- 
hannespassion“ (Montag, den 11. Mai, abends) sowie ein In- 
strumentalkonzert (Sonntag, den 10. Mai, mittags halb 1 Uhr). 

— Das dritte deutsche Brahms-Fest wird von der Deut- 
schen Brahms-Gesellschaft in der Zeit vom 4.-8. Juni 1915 
in Hamburg, der Geburtsstadt von Brahms, veranstaltet werden. 

— Das siebente Freiburger Kammermusikfest, das am 5., 
7. und 8. Mai stattfindet, wird in der Hauptsache von Stutt- 

f arter Künstlern ausgeführt: vom Wendling-Quartett und 
’rofessor Max von Pauer. Helene Martini-Siegfried wirkt 
weiter mit. 

— Ein dreitägiges „Weingartner-Fest“ hat am 29. Januar, 
11. und 26. Februar in Buenos Aires stattgefunden. Unter 
dem dortigen Konservatoriumsdirektor Emesto Drangosch 
brachte ein hundert Mann starkes Orchester an diesen drei 
Abenden sämtliche Orchesterkompositionen Weingartners zur 
Aufführung. Nun sollen sämtliche Kammermusikwerke Wein- 
gartners aufgeführt werden. Sehr erfreulich ; aber Musikfeste 
mit Werken deutscher Originale statt von Epigonen wären 
noch erfreulicher. 

— Beim norwegischen Musikfest, das zur Zentenar-Feier 
Norwegens vom 1. — 7. Juni in Kristiania stattfindet, sollen vier 
Orchesterkonzerte, drei Kammermusikabende und ein Kirchen- 
konzertveranstaltet werden. DasProgramm ist zusammengestellt 
aus einer Auswahl der in den hundert Jahren geschriebenen nor- 
wegischen Orchester- und Kammermusik: Edvard Grieg, 
Halfdan Kjerulf, Johan Selmer, Christian Sinding und Johan 
S. Svendsen stehen an der Spitze. .Außer einem Orchester 
von 90 Musikern und einem Chor von 500 Sängern werden 
die bedeutendsten Komponisten und Solisten Norwegens — 
in einer Anzahl von 50 — mitwirken. Unter den Komponist- 
Dirigenten befinden sich Eyvind Alnaes, Johannes Haarklou, 
Johan Halvorsen, Iver Holter, Oie Olsen und Christian Sin» 
ding, unter den Solisten die Sängerinnen Frau Ellen Gulbran- 
son, Borghild Langaard, Astrid Lous, Cally Monrad und Elisa- 
beth Munthe-Kaas, und die Pianisten Fridtjof Backer-Grön- 
dahl, Nils Larsen und Karl Nissen. 

— Der „Parsifal“ ist nun auch in der Kirche gegeben wor- 
den. Anhalts musikalische Kräfte, die nach dem Wunsche 
des Herzogs mit einer Bühnen-Aufführung des Werkes für die 
nächste Zukunft nicht rechnen können, haben den ersten und 
dritten Akt unter der Leitung von Generalmusikdirektor, 
Mikorey in einer Kirche (und zwar in Magdeburg) aufgeführt. 
Der zweite Akt war allerdings gänzlich gestrichen. Man darf 
es bezweifeln, ob diese Idee, die vom Dessauer Hoforchester 
und Mitgliedern der Oper, sowie von Dessauer Gesangvereinen 
durchgeführt wurde, besonders glücklich zu nennen ist 
— Der Marquis von Polignac, einer der reichsten und frei- 
gebigsten Kunstmäcene Frankreichs, hat in Reims ein Musik- 
fest veranstaltet, bei dem Teile aus Wagners Musikdramen 
im Konzertsaal zur Aufführung gebracht werden. „Tristan 
und Isolde“ ist allerdings nicht mit Orchester, sondern nur 
mit Klavierbegleitung zu den Gesangspartien vollständig auf- 
geführt worden. Den Klavierpart hatte Edouard Risler über- 
nommen, die Partie der Isolde Frau Leffler-Burkard, den 
Tristan Herr George Walter. In derselben Weise folgten der' 
erste Akt der „Walküre“, der dritte Akt von „Siegfried“ und 
der dritte Akt der „Götterdämmerung“, . wobei Frau Leffler- 
Burkard die Sieglinde und Brünnhilde sang. 

— Unser Mitarbeiter Prof. Otto Urbach in Dresden hat die 
als Beilage zu seinem „Führer durch die Klavierliteratur“ in 
der „N. M.-Z.“ erschienenen, von ihm bearbeiteten Klavier- 
stücke „Toccata“ von Sweelinck und „Pregians Ground“ von 
William Byrd im Dresdner Tonkünstlervereine zur Aufführung 

G ebracht. (Wie uns Herr Urbach mitteilt, wird der Führer 
urch die Klavierliteratur in allernächster Zeit fortgesetzt 
werden. Red.) 

— Im Musik-Salon Bertrand Roth, Dresden, hat die 182. 
Aufführung Zeitgenössischer Tonwerke Werke von Felix Gott- 
heit (Wien) gebracht: Hymnus (Asdur) für Harfe, Violine, 


Violoncell und Harmonium (Verlag Simon); „Zur Dämmer- 
stunde“, drei Tonbilder für Klavier (Manuskript) ; Lieder im 
Manuskript und ein Quartett (Cdur) op. 10 (Manuskript). 

— Fünf populäre Klavier- Abende hat der Pianist Friedrich 
Höckel in Mannheim gegeben: Beethoven, Schubert, Schu- 
mann, Chopin, Liszt. 

— Te Deum, Oratorium in drei Teilen für Soli, Chöre, 
großes Orchester und Orgel, komponiert und dem König Lud- 
wig III. von Bayern gewidmet von Franziskanerpater Dr. Paul 
Hartmann von An der Lan-Hochbmnn ist in Nürnberg unter 
persönlicher Leitung des Komponisten aufgeführt worden. 

— In einem Orchesterkonzert hat der braunschweigische 
Hofkapellmeister Richard Hagel in Leipzig die im Archiv des 
Fürsten zu Fürstenberg in Donaueschingen aufgefundene 
Haydn- Symphonie in D dur aufgeführt. 

— Eine erfolgreiche Erstaufführung des Lisztschen „Chri- 

stus“ hat die Glogauer Singakademie unter ihrem Dirigenten 
Rudolf Volkmann herausgebracht. Als Solisten wirkten mit: 
Frl. Erica Hehemann (Essen, Sopran), Frau Niessen-Mers- 
mann (Berlin, Mezzosopran), Karl Sattler (Berlin, Tenor), 
Prof. Fischer (Sondershausen, Baß). Es ist damit zum ersten- 
mal der Beweis erbracht worden, daß das monumentale Werk 
auch unter den beschränkten Verhältnissen einer mittleren 
Provinzialstadt in befriedigender Weise zur Geltung gebracht 
werden kann. B. 

— Im Gesangverein Mülheim-Ruhr ist unter Leitung des 
rührigen kgl. Musikdirektors Karl Diehl im V. Abonnements- 
konzert „Warum? Woher? Wohin?", Mysterium in 3 Teilen, 
nach Worten der Bibel, insbesondere des Buches „Hiob“, für 
Soli, Chor und Orchester von August Bungert (op. 60) auf- 
geführt worden. 

— Die Kreuznacher Konzertgesellschaft, mit der sich seit 

einiger Zeit der Männergesangverein Liedertafel zu gemein- 
schaftlicher Veranstaltung von Konzerten größeren Stils ver- 
einigt hat, hat die Wintersaison mit einer gut gelungenen 
Aufführung der Matthäus-Passion unter Leitung von Musik- 
direktor J. Knettel am Karfreitag beschlossen. Als Solisten 
wirkten mit Frl. Luise Schmidt (Kreuznach, Sopran), Frau 
Franziska Bergh (Godesberg, Alt). Die Partie des Christus 
sang Dr. Emanuel Kayser (München), die des Evangelisten 
August Gesser (Mainz), die übrigen Baßsoli Willi Ahrens 
(Kreuznach). Das durch zahlreiche einheimische Kräfte ver- 
stärkte Orchester wurde von der Kapelle des Inf. -Reg. No. 88 
aus Mainz gestellt. Der Knabenchor setzte sich aus Schülern 
des Kgl. Gymnasiums zusammen. Die Aufführung, die zuerst 
in der Pauluskirche stattfiriden sollte, mußte infolge des Ein- 
spruchs des evangelischen Kirchenchores im Kaisersaal statt- 
fmden. —er. 

— Max Reger hat seine Lieder „Aeolsharfe“, „Das Dorf" 
und noch einige andere jetzt auch für Orchesterbegleitung 
umgearbeitet. Sie sind im Verlag von Bote & Bock erschienen. 

— Joseph Haas hat ein „Lustige Serenade" betiteltes vier- 
sätziges Orchesterwerk vollendet, das von Generalmusik- 
direktor Max von Schillings zur . Uraufführung in einem Abon- 
nementskonzert der Kgl. Hofkapelle in Stuttgart angenommen 
worden ist. (Das Werk, erscheint im Wunderhom-Verlag in 
München.) 

— Der Verlag Anton J. Benjamin, Hamburg, hat von Giu- 
seppe Tartini in letzter Zeit folgende Werke erscheinen lassen, 
die zum Teü bei dieser Gelegenheit überhaupt zum ersten 
Male gedruckt werden: d moll-Konzert für Violine mit Beglei- 
tung des Streichorchesters (letzteres auch für Klavier be- 
arbeitet); 6 Sonaten in drei Suiten für zwei Violinen und 
Violoncell (Sonate a Trel; zwei Trios für zwei Violinen und 
Pianoforte (nach der vollständig ungedrackten Sammlung der 
Sonaten für 2 Violinen und Baß). Die Bearbeitungen sind 
von Emilio Pente, Ehrenmitglied der Königlichen Musik- 
akademie in Florenz. 



— Die beste Don-Juan-Uebersetzung. Das Preisrichter- 
kollegium, das über den vom Deutschen Bühnenverein für die 
beste Don-Juan-Uebersetzung ausgeschriebenen Wettbewerb 
zu entscheiden hatte, hat gesprochen. An den Sitzungen, die 
Generalintendant Baron zu Putlitz in Stuttgart leitete, nahmen 
teil die Herren Professor Fuchs (München), Hofrat Gerhäuser 
(Stuttgart), Direktor Illing (Stettin), Professor Krebs (Berlin), 
Dr. Otto Neitzel (Köln), Generalmusikdirektor Dr. v. Schil- 
lings (Stuttgart), Dr. Leopold Schmidt (Berlin), Geheimrat 
Lautenburg (Berlin) und Rechtsanwalt Artur Wolf (Berlin). 
Es lagen insgesamt 67 Bewerbungen vor. Der Preis, der 
10 000 Mark beträgt, wurde dem Werke mit dem Motto „Ora 
cantiamo“ zugesprochen. Die Oeffnung der verschlossenen 
Kuverts ergab, daß der Kammersänger Karl Scheidemantel 


300 



der Preisträger ist. (Im Anschluß an die Sitzungen hatte der 
König von Württemberg die Herren zu einer Frühstiickstafel 
geladen.) — Der Bühnenverein ging wohl bei dem Ausschreiben 
in erster Linie davon aus, daß es notwendig sei, für alle deut- 
schen Bühnen einen einheitlichen Don-Juan-Text zu haben. 
Ein praktischer Standpunkt also, und deshalb zu billigen. 
Im übrigen spricht man vorsichtigerweise von der „besten“ 
Uebersetzung, also die beste unter aen eingereichten, die des- 
halb noch nicht das künstlerische Prädikat „gut“ zu verdie- 
nen braucht. Es wäre ja zu wünschen, daß nach so viel 
Mißerfolgen endlich eine wirklich gute Uebersetzung des italie- 
nischen Originals erreicht worden wäre; aber man soll die 
Skeptiker nicht schelten, bevor die Uebersetzung nicht im 
Druck vorliegt. Das Ideal wäre freilich die Aufführung des 
Don Juan (wie aller Standardwerke der Literatur) in der 
Originalsprache. Das könnte man heute verlangen. 

— Beethoveniana. Professor Fritz Stein in Jena, dem Ent- 
decker der nach dem Orte ihrer Auffindung benannten „Jenaer“ 
Symphonie Beethovens, ist es vergönnt, die musikalische Welt 
wieder mit einem „neuen“ Beethoven bekannt zu machen. 
Er gab im Verlage von Breitkopf & Härtel in Leipzig soeben 
die „Variationen über ein Thema aus Mozarts Don Juan 
(Reich mir die Hand, mein Leben)“ für zwei Oboen und Eng- 
lisch Horn (oder zwei Violinen und Viola) auf Grund des sich 
jetzt in der Kgl. Bibliothek in Berlin befindlichen Beethoven- 
schen Originalmanuskriptes heraus, die bisher überhaupt noch 
nicht im Druck erschienen waren. Die Variationen entstammen 
wahrscheinlich der gleichen Zeit, in der Beethoven das bekannte 
Trio der gleichen Besetzung — op. 87 — komponierte, also 
dem Jahre 1795, oder auch früherer Zeit. Sie verdanken ihre 
Entstehung zweifellos Anregungen, die der Komponist durch 
Aufführungen von Künstlern erhalten hatte. Vielleicht einer 
Aufführung in der Tonkünstler Gesellschaft in Wien vom 23. De- 
zember 1793, auf deren Konzertzettel verzeichnet war: „Ein 
neues Terzett für 2 Oboen und 1 englisches Horn, von der 
Erfindung des Herrn Wendt, vorgetragen von den Herrn 
Brüdern Johann, Franz und Philipp Teimer“ ? Sicherlich 
werden die Variationen bald auch im Konzertsaal erscheinen. 

— Städtische Musik pflege. Aus London wird berichtet: 
Die Verwaltung der englischen Hauptstadt gibt den Kom- 
munalbehörden der europäischen Großstädte ein interessantes 
Beispiel städtischer Musikpflege. Mr. Hubert Bath ist zum 
Stadtrat für Musik in London ernannt worden. Ihm fällt die 
Ueberwachung der Programme jener Konzerte zu, die in den 
verschiedenen Stadtteilen Londons öffentlich veranstaltet 
werden; er hat somit Einfluß auf rund 50 Orchester. Der 
neue Stadtrat erklärte bei Antritt seines Amtes, darüber 
wachen zu wollen, daß fortan nur Musikstücke gespielt werden, 
die geeignet sind, auf das Musikverständnis und das musi- 
kalische Urteil der Allgemeinheit günstig einzuwirken. — Das 
ist in der Tat ganz etwas Neues! 

— Aus dem Bericht der Tonkünstlergenossenschaft. Die Ge- 
nossenschaft Deutscher Tonsetzer (Anstalt für musikalisches 
Aufführungsrecht) veröffentlicht ihren Geschäftsbericht für 
das Jahr 1913. Es wurde eine Gesamteinnahme von 610 700 M. 
(im Vorjahre 510100 M.) erzielt; an Aufführungsgebühren 
allein gingen 552400 M. (im Vorjahre 470600 M.) ein, wo- 
von 470 900 M . = 85,25 % (im Vorjahre 400 700 M. = 85.13 %) 
an die bezugsberechtigten Tonsetzer, Verleger, Textdichter, 
sowie an die Unterstützungskasse der Genossenschaft zur 
Verteilung gelangten. Von ihrem ersten Geschäftsjahr (1904) 
an hat die Anstalt für musikalisches Aufführungsrecht 
2 724 000 M. Gesamteinnahme erzielt, darunter 2511 000 M. 
an Aufführungsgebühren, von denen 2 045 000 M. verteilt 
worden sind. Die Genossenschaft Deutscher Tonsetzer ver- 
tritt die Aufführungsrechte von 584 Tonsetzem und 103 Ver- 
lagsfirmen. Aus der Pensionskasse der Genossenschaft wurden 
im Jahre 1913 Alterspensionen im Betrage von je 1000 M. 
an die 22 ältesten ordentlichen Mitglieder der Genossenschaft 
ausbezahlt. In der Hauptversammlung wurde der Vorstand 
der Genossenschaft in seiner bisherigen Zusammensetzung 
wiedergewählt. 

— Kapellmeisterverband. Die in den Operettentheatern, 
Varietes und Kabaretts beschäftigten Kapellmeister haben 
sich nunmehr auch organisiert, und zwar haben sie sich zu einem 
Kapelhneisterverband zusammengeschlossen. Der Verband 
bezweckt die Vertretung der wirtschaftlichen Interessen der 
Kapellmeister. Es soll eine Zentralauskunftsstelle in Berlin 
eingerichtet werden, durch die auch Stellen vermittelt werden 
sollen. Ebenso ist eine Rechtsauskunftsstelle vorgesehen und 
ferner die Unterstützung bedürftiger Mitglieder und ihrer 
Hinterbliebenen. Vor allem aber beabsichtigt der Verband 
ein Zusammengehen mit den Autoren und Komponisten und 
eine seiner programmatischen Forderungen ist daher auch 
ein Autorenschutz. Die Kapellmeister glauben, daß die 
Autoren und Komponisten an einem Zusammengehen mit 
ihnen ein besonderes Interesse haben, weil die Kapellmeister 
es ja sind, die die Musikstücke zum Vortrag bringen und daher 
eine Kontrolle über die vorgetragenen Stücke am besten 
ausgeübt werden kann. Der Sitz des neuen Verbandes ist 
Berlin. Vorsitzender ist Kapellmeister Paul Huhn (Friedenau), 


stellvertretender Vorsitzender Kapellmeister Wahlter, Schrift- 
führer Kapellmeister Viktor Röder und Schatzmeister Kapell- 
meister Antonius (Berlin). 

— Von den Konservatorien. Der Direktor des Höheren 
Musikinstituts zu Königsberg i. Pr., Carl Ludwig Treff, hat 
sein fünfundzwanzigjähriges Künstlerjubiläum gefeiert. Das 
Lehrerkollegium veranstaltete ein gutbesuchtes und wohl- 
gelungenes Konzert in den Räumen des Instituts. — Seinen 
Bericht über das 9. Schuljahr sendet uns das Spohr-Konser- 
vatorium in Kassel, Direktor Heinrich Stein. 

— Kirchengesang. Der XXV. Deutsche evangelische Kirchen- 
gesangvereinstag findet vom 4. bis 7. Mai in Essen-Ruhr statt. 

— Ein amerikanischer Musiktrust. Wie die Zeitungen 
melden, ist bei einer Versammlung, in der die bedeutendsten 
Musikverleger, Autoren und Komponisten vertreten waren, 
unter dem Namen „American Society of Authors, Composers 
and Publishers“ ein amerikanischer Musiktrust gegnindet 
worden, der es sich zur Aufgabe macht, Tantiemen für die 
Mitglieder des Trusts einzuziehen. Die Korporation will 
verhindern, daß ein gesetzlich geschütztes Musikstück bei 
einer öffentlichen Aufführung ohne Tantiemezahlung gespielt 
wird. Nach Angabe des Präsidenten des neuen Trusts wurde 
die Organisation nach dem Muster der in Deutschland, Oester- 
reich und Italien seit Jahren bestehenden Organisationen von 
Autoren, Komponisten und Verlegern geschaffen. 

— Das Ende einer A genten-Laufbahn. Unter diesem Kenn- 
worte war in den Zeitungen zu lesen, daß der bekannte In- 
haber der seinen Namen tragenden Konzertagentur Emil Gut- 
mann in Berlin (früher in München) wegen finanzieller 
Schwierigkeiten von der Leitung des Unternehmens zurück- 
getreten sei und Propagandäehef der Reklame-Abteilung des 
österreichischen Lloyds werden wolle. Dagegen teilte Herr 
Gutmann in den „Münchn. Neuest. Nachr.“ mit, daß diese 
Nachricht aus der Luft gegriffen sei. Richtig dagegen sei, 
daß er die Leitung des von ihm in München begründeten 
Berliner Konzertunternehmens niedergelegt habe, das nun- 
mehr von einem Konsortium als G. m. b. H. fortgeführt wird. 
Herr Gutmann werde in dem von ihm vertretenen Geschäfts- 
zweig auch weiterhin tätig sein. — Die Agentur Gutmann 
repräsentierte unsere Zeit in ihren künstlerisch weniger er- 
freulichen Seiten, des „Betriebes“. Doch hatten wir Herrn 
Gutmami auch manches zu verdanken: die Uraufführung der 
Mahleischen „Achten“ unter Leitung des Komponisten in 
München und die Strauß-Woche in München, auf der auch 
die Wiener Philharmoniker zu hören waren. Es bleibt abzu- 
warten, wie sich die G. m. b.. H. entwickeln wird. 

— Preiserteilung. Der „Hamburger Lehrer-Gesangverein“ 
teilt mit: Von den rechtzeitig eingelaufenen 313 Vertonungen 
des Sängerspruchs ist derjenigen des Organisten W. Buchmann 
in Charlottenburg der Preis von 100 M. zuerkannt worden. 


Personalnachrichten. 

— Wie das Berl. Tagbl. meldet, wird Richard Strauß seinen 
ständigen Aufenthalt nach München verlegen. Er hat im 
Osten der Stadt ein großes Terrain erworben, um sich dort 
eine Villa zu erbauen. — Da Richard Strauß nur verpflichtet 
ist, die Symphoniekonzerte der königl. Kapelle zu dirigieren, 
ist sein dauernder Wohnsitz in Berlin nicht mehr erforder- 
lich. Ob diese Nachricht in dieser Form zutrifft, wissen wir 
zur Stunde nicht. Jedenfalls ist sie nicht ohne Bedeutung. 

— Zum Nachfolger Paul Scheinpflugs, der, wie berichtet, 
an die Spitze des Berliner Blüthner-Orchesters tritt, haben 
dfe Musikalische Akademie, der Verein der Liederfreunde und 
andere Korporationen in Königsberg, Dr. Siegel in Berlin als 
gemeinschaftlichen Dirigenten gewählt. 

— Paul v. Klenau ist als Kapellmeister an das Freiburger 
Stadttheater engagiert worden. 

— Eugen d' Albert ist am 10. April 50 Jahre alt geworden. 

— Der Gesangsmeister Paul Merkel in Leipzig hat sein 
25jähriges Künstlerjubiläum gefeiert. Durch seine vielseitige 
künstlerische Tätigkeit ist er auch außerhalb als Musikschrift- 
steller und Komponist bekannt geworden. 

— Ein Familienkonflikt im Hause Wahnfried ist offenkun- 
dig ausgebrochen. Es handelt sich um die Anerkennung der 
Frau Isolde Beidler als rechtmäßige Tochter Richard Wagners. 
Die etwas peinliche Angelegenheit hat das Bayreuther Land- 
gericht in einem Termin beschäftigt, die Entscheidung soll 
am 8. Mai erfolgen. 

— In Weimar ist plötzlich auf einer Besuchsreise der Ka- 
pellmeister des Wiener Konzertvereins, Gustav Gutheil, ge- 
storben. Aus Blankenhein bei Weimar stammend, genoß er 
seine erste Ausbildung auf der Musikschule in Weimar und 
nahm während einer Reihe von Jahren an den Orchesterkon- 
zerten unter Liszt und Bülow in Weimar Anteil. 1895 — 97 
wirkte er als Kapellmeister in Straßburg und 1897 — 1900 in 
gleicher Eigenschaft am Hoftheater zu Weimar. Mit seiner 
Gattin, Frau Gutheil-Schoder, siedelte er dann nach Wien 
über. Gutheil ist auch bekannt als Liederkomponist. Er ist 
nur 46 Jahre alt geworden. 


301 



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Neue Klaviermusik. 

Claude Debussy: i, Deux Arabesques (1.75 Fr. und 2 Fr., 
zus. 3 Fr.). 2 . „La. plus que lente“, valse pour Piano (2 Fr.). 
3. Masques (3 Fr.). 4. L’isle joyeuse. Paris, A . Durand & Fils. 
Diese originellen, durch allerlei neue melodische und harmo- 
nische Einfälle und Effekte sich auszeichnenden Klavierstücke, 
die überdies nicht allzu große technische Schwierigkeiten 
bieten, werden den Freunden moderner und modernster Musik 
willkommen sein. Von schönem melodischem Fluß ist die 
erste Arabeske, und auch die zweite, ein reizvolles allegretto 
scherzando, ist ebenso wohlklingend als harmonisch inter- 
essant und als Vortragsstück besonders geeignet ; weniger das 
etwas eintönige und nicht angenehm klingende Maskenstück. 
Dagegen steckt in dem langsamen Walzer, wenn auch bis- 
weilen gleichsam unter der Asche glühend, Geist und Feuer. 
L’isle joyeuse, vielleicht das originellste von den vier Ton- 
stücken, ist reich an feinen Klangeffekten und akustischen 
Reizen, im Mittelsatz (molto rubato) von warmer Empfin- 
dung beseelt, auffallend ist der Schluß unter der (chinesischen) 
secbsstufigen Ganztonleiter. 

Maurice Ravel: Sonatine pour le Piano (3.50 Fr.). Verlag 
von A . Durand & Fils. Für eine Sonatine ein ziemlich kompli- 
ziertes und schwieriges Tonwerk, das für Schüler und junge 
Pianisten noch zu hoch steht. Die Häufung von Vorhalts- 
dissonanzen und ungewohnten Harmonieschritten und Akkord- 
bildungen wird auch manchen gewiegten Spieler stutzig ma- 
chen. Daß aber Geist in der Sonatine steckt, das wird man 
nicht leugnen, man sehe sich nur einmal das feine Reize 
bietende Menuett (II) an. 

Marcel Grandjany : Trois Piöcts. 1. Arabesque (2 Fr.). 2. Pasto- 
rale (1.3s Fr.). 3. Impromptu (2 Fr.). Der Stimmung nach 
zart und anspruchslos sind die beiden ersten Stücke, wäh- 
rend das Impromptu, dem Spieler schon etwas frischer und 
kräftiger in die Saiten zu greifen gestattet und auch die 
meiste Wirkung erzielen wird. Harmonisch wie melodisch, 
auch rhythmisch, sind diese Klavierstücke sehr eigenartig, 
das Pastorale von fast primitiver Art klingt wie Naturmusik, 
ehe sie zur Kunst geworden; am meisten Verwandtes mit dem, 
was man heutzutage noch Melodie nennt, bietet die Arabeske 
mit ihren sanft verschwebenden Tönen und der zwischen 
F dur, a moll und d moll schwankenden Harmonie. Erfrischend 
klingt die Ausweichung von G' nach emoll. 

Volkmar Andreae: Sechs Klavierstücke. 1. Präludium (i M.). 
2. Bacchantischer Tanz (1.50 M.). 3. Frage. 4. Katatonisches 
Ständchen (1 M.). 5. Adagio (1 M.). 6. Unruhige Nacht 

(1.50 M.) Verlag von Gebt. Hug & Co., Leipzig und Zürich. 
Die sechs Klavierstücke sind nach Form und Inhalt von sehr 
verschiedenem Charakter, deshalb wird auch jeder in dieser 
Sammlung etwas finden, was ihn freut oder interessiert. Wir 
bekommen hier zum Teü Charakterstücke mit einem Pro- 
gramm, das wie z. B. No. 2 und 6 schon von selbst allerlei 
harmonische Extravaganzen rechtfertigt. Oefters liebt es der 
Komponist, den gewohnten Harmonieschritten aus dem Weg 
zu gehen und auch durch eigentümliche stark dissonierende 
Vorhaltbildungen und Akkorclmischungen den Hörer zu frap- 
pieren. So in dem wuchtigen Präludium und in dem ernsten 
mysterioso der „Frage“ an das Schicksal, einem modernen 
Gegenstück zum Schumannschen „Warum?“ Von leichterem 
Gehalt und Reiz ist der „Bacchantische Tanz“ mit dem phry- 
gischen Anklaug und das joviale katalonische Ständchen, 
während die „unruhige Nacht“ teilweise an Beethovens Art 
erinnernd, ein entschieden wirksames Vortragsstück bildet 
Wer aber etwas Liebliches, Tiefgemütliches wünscht, der spiele 
das Adagio, das uns wie Weihnachtsglockenklang und wieder 
wie ein frohes inniges Dankgebet anmutet. Dr. A . Sch. 


Zweihändige Klavierstücke für die Jugend. 

Paul Zllcher, op. 85: Skiszenbuch für die Jugend. Sechs 
leichte Klavierstücke, Verlag Grüninger, Stuttgart, 1.20 M. 
1. — m. Unsere Leser werden einige von diesen frischen und 
so recht den Ton für die Jugend treffenden, zugleich instruk- 
tiven, gut befingerten Miniaturen, den „Spottvogel“ und das 
„Ständchen“ noch im Gedächtnis haben. Besonders hübsch 
sind außer den genannten die innige „Melodie“ (in der linken 
Hand) und das lustige „Tänzchen“. 

Fr. Burgmttller, op. 68: Corbeille de roses, neue befingerte 
Ausgabe von Dr. W. Niemann. Verlag Hansen, 1 M., 1. — m. 
Das sind vier längere, unterhaltende, für die Jugend passende 
Tonbilder im oberflächlich tändelnden Stil der Rondos von 
Hünten gehalten, sehr bequem spielbar und effektvoll, da der 
Linken nichts Schweres zugemutet wird ; zwischenhinein unter 


klassische Literatur zum Vomblattspiel und zur Ausspannung 
zu empfehlen. 

W. Niemann : Sonatine, op. 24, No. 3. Ddur, Verlag Hansen. 
1.50 M. Hübsche, wertvolle Gedanken und tüchtiger Satz! 
Der wuselig beginnende dritte Satz trifft mit seinem ersten 
Thema den munteren Sonatinenstü am besten und stellt etwas 
vor, wenn er gut vorgetragen wird. Das zweite Thema ist 
sehr gegensätzlich. Der erste und zweite Satz ist mehr innig 
und besinnlich. Eine Anzahl Druckfehler stören. Fingersatz 
ist angegeben. 

W. Niemann, op 19: Musikalisches Bilderbuch nach Käthe 
Greenaway, 16 Vortrags- und Uebungsstücke, 3 M. (1. — m.). 
Verlag Leuchart. Bei aller Einfachheit und Gefälligkeit der 
musikalischen Gedanken sind diese nicht ganz leichten Ton- 
bilder doch feinerer Art. Manch origineller Einfall und ge- 
legentliche harmonische Finessen heben das bunte Bilderbuch 
aus der Menge ähnlicher Kompositionen heraus. Alles, was ein 
Kinderherz bewegt, die Sorge für die Puppe, der Gedanke 
an Weihnachten, Soldatenspielen, Märchennören, ein Tänz- 
chen, der erste Schulgang, Geburtstagsfeier, ein Ausflug, ein 
Besuch in der Mühle, beim murmelnden Bächlein, im Zirkus 
u. s. f . ist mit einfachen, aber meist treffenden musikalischen 
Mitteln ausgedrückt. Technisch findet man allerdings manche 
Nuß zu knacken. Auch passen die englischen Verse bisweilen 
(z. B. bei No. 7 oder 12) gar nicht zum Stück. Offenbar 
halten sich die kleinen Tondichtungen an die allzufreie deutsche 
Uebersetzung. Unter der Ueberschrift findet sich immer noch 
der Uebungszweck jeder Nummer angegeben. Der Fingersatz 
ist nicht sehr reichlich, die Ausstattung dagegen prachtvoll. 

J. Reiter: Ein RosengärUein für die Jugend, acht Klavier- 
stücke zu Kinderreimen von Reinick, op. 98; Verlag Hug 
(1. — m.); einzeln ä 60 Pf., in 1 Heft 1.50 M. no. Hübsche 
und gut gesetzte musikalische Einfälle, die jedoch, abgesehen 
von No. 6, dem originellen „Bienenhaus“ zur dichterischen 
Ueberschrift nicht passen. Statt daß die Gedichte zum Ver- 
ständnis helfen, veranlassen sie zu vergeblichem Suchen nach 
der entsprechenden musikalischen Illustration. Fingersatz 
fehlt mit Ausnahme einiger Stellen. Da auch Oktaven Vor- 
kommen, wird das schön ausgestattete Opus sich zum Unter- 
richt für Kinder weniger eignen. Am gefälligsten ist No. 3, 
Bachstelzchen, und No. 7, Ringelreihen. 1 

0. Klauwell, op. 43: Bilder aus der Ferienzeit. Neun Kla- 
vierstücke m. Verlag Bisping, 1.50 M. Mannigfaltige, treff- 
lich gearbeitete, flüssige Stücke, im romantischen Gedanken- 
kreise von Schumann und Jensen gehalten, wie schon _ die 
Titel der Stücke andeuten. Technisch sind sie nicht leicht 
und wegen mancher dicker Griffe mehr für Vorgerücktere 
geeignet, leider auch ohne Fingersatz, daher für Unterrichts- 
zwecke nicht gut verwendbar. C. Knayer. 

• 

Hans Ferdinand Schaub, op. 5 : Drei Intermezzi (G dur, 
cismoll, hmoll) für kleines Orchester. Verlag N. Simrock, 
G. m. b. H., Berlin, Leipzig. Ein erfreuliches Zeichen von dem 
Vorhandensein einer frischen, gesunden Schaffenskraft in der 
jüngsten Komponistenwelt ist das immer reichere Aufblühen 
einer Musik, die fern von aller weltschmerzlicher Grübelei, 
von aller mystischen Umnebelung frei und froh nur auf Weckung 
der lichten, erwärmenden Musikfreude mit schön geschwunge- 
nen, leicht übersichtlichen Melodien, natürlich fließender Har- 
monik und fein gewähltem kontrapunktischem und klang- 
lichem Gefüge ausgeht. Solche Musik bietet Hans Ferdinand 
Schaub in seinen drei Intermezzi für kleines Orchester. — 
Gebrauchsmusik im edelsten Sinne des Wortes für alle Konzert- 
veranstaltungen vornehm künstlerischen Charakters und 
solcher, die nach Verfeinerung des Geschmacks streben. 
Also: Symphonieorchester, Militärkapellen, Dilettantenorche- 
ster greift zu diesen warm und leicht melodisch fließenden, 
idyllisch zart und reich klingenden Stücken! Ihr werdet 
euren Hörem damit mehr wirkliche Musikfreude vermitteln, 
als mit einem ganzen Sack voll tiefsinnig erquälter symphoni- 
scher Dichtungen und seichter Tagesmusik. 5. 


Unsere Musikbeilage zu Heft 15 bringt mit der Bearbeitung 
eines Andante von J. S. Bach (aus dem 2. Brandenburgischen 
Konzert in F) von August Stradal den Lesern der „N. M.-Z.“ 
einen wertvollen Beitrag. Stradal ist als Bearbeiter rühm- 
lich bekannt. Ernst Heuser in Köln hat ein modern empfun- 
denes Lied: „Klarer Abendhimmel“, für fortgeschrittene Sänger 
beigesteuert. 


Verantwortlicher Redakteur: Oswald Kühn ln Stuttgart. 
Schluß der Redaktion am 18. April, Ausgabe dieses Heltes am 
28. April, des nächsten Heftes am 14. Mal. 


302 






Briefkasten 


Für unaufgefordert eingehende Manu- 
skripte Jeder Art übernimmt die Redaktion 
keine Garantie. Wir bitten vorher an- 
xufragen, ob ein Manuskript (schriftstelle- 
rische oder musikalische Beiträge) Aus- 
sicht auf Annahme habe; bei der Fülle 
des uns zugeschickten Materials Ist eine 
rasche Erledigung sonst ausgeschlossen. 
Rücksendung erfolgt nur, wenn genügend 
Porto dem Manuskripte beilag. 

Anfragen für den Briefkasten, denen 
der Abonncmcntsauswds fehlt, sowie ano- 
nyme Anfragen werden nicht beantwortet. 


R. Br. ln Br. Die Ungarische Fantasie 
ist bei uns noch nicht eingetroffen. 

JT. P. ln R. Soviel uns bekannt Ist, fin- 
den außer ln Preußen (Berlln-Charlotten- 
burg) nur in Sachsen staatliche Prüfungen 
für Gesanglehrer statt, und zwar ln Leipzig. 

H. M., Lehrer. Sie werden cs also 
„ewig, ewig bleiben“? Nun, dann raten 
wir Ihnen A. Nlggll: Theodor Kirchner 
(1880). In der „N. M.-Z.“ sind erschienen; 
Jahrgang 1885 No. 9 biographische Skizze, 
und ein Essay 1904 No. 1. Es empfiehlt 
sich, sich das Nummernverzeichnis 
1 und 2 der „N. M.-Z.“ kommen zu las- 
sen. Der Verlag von Carl Grünlnger ver- 
sendet es gratis und franko. 

Komponist Es ist sonderbar, daß so 
oft gerade die allen Freunde unseres 
Blattes sowenig Uber unsere Einrichtungen 
unterrichtet sind. Schon oft haben wir 
im Briefkasten mitgeteilt, daß wir Aus- 
züge aus Berichten ttberunsunbekannte 
Werke (Uraufführungen etc.) nicht nach 
anderen Zeitungen veröffentlichen. Wir 
bringen prinzipiell nur die Notiz, die Tat- 
sache der Aufführung. Die Kritik haben 
unsere Referenten. In der Kunst ent- 
scheidet der Künstlerl Wir Deutschen 
sind ja gerade stolz darauf, daß wir keine 
musikalischen Chauvinisten sind und — 
zu sein brauchen; und wir wollen den 
Fehler der anderen keineswegs nachahmen. 
— Wir werden uns wegen des „Fach- 
mannes" übrigens erkundigen. 

W. Soh., A. Wir können uns leider 
nicht mehr entsinnen, um was es sich han- 
delt. Möchten Sie Ihre Frage wiederholen. 

B. St. Es wandert uns, daß die Post 
den Komponisten Emil Sjögren ln Stock- 
holm nicht gefunden hat. Eine nähere 
Adresse wissen wir auch nicht. Wenden 
Sie sich, bitte, mit Beziehung auf uns an 
Herrn Fell* Saul, Räsunda bei Stockholm. 

FrL L. Th. Ihr Wunsch ist inzwischen 
bereits in Erfüllung gegangen. 

L. W— ls, B. Wenn Sie bei Czerny 
bleiben wollen: „Schule der Fingerfertig- 
keit“ und dann „Schule des Virtuosen". 
Ein neueres progressiv geordnetes Etüden- 
werk verschiedener Komponisten: Thü- 
mer, 16 Bände (Verlag Schotts Söhne, 
Mainz). Band IX a bis Xb für die höhere 
Mittelstufe; mit Band XI beginnt die 
hohe Stufe. 


Kompositionen 


Sollen Kompositionen Im Briefkasten 
beurteilt werden, so ist eine Anfrage nicht 
erforderlich. Solche Manuskripte können 
jederzeit an uns gesendet werden, doch darf 
der Abonnemcntaauswds nicht fehlen. 


(Redaktionsschluß am 16. April.) 


0 . B — it, Dr. Wir wünschen dem Ope- 
rettenkomponisten, der In seinem Genre 
wenn auch nicht Immer Originelles, so 
doch Treffliches, wie die eingesandten Pro- 
ben beweisen, leistet, aufrichtig Glück zn 
seinem Beginnen. 

W. E. 54 . Verschließen Sie Ihren Männer- 
chor „Des Mägdleins Klage“ ruhig in Ihrem 
Notenschrein, bis 8!e als Konservatorist 
und Chorsänger so viel Wissen, Uebung 
und Erfahrung gesammelt haben, daß Sie 
sich selbst ein Urteil über Ihren ersten 
Anlauf bilden können. Sie werden uns 
dann sicherlich Dank dafür wissen, daß 
wir mit unserem Urteil zurückgehalten 
haben. 


Handbttcher der Muslklehre 

m Herausgegeben von Xaver Scharwenka @ 

Band XI: 

Pädagogik für Dlusiklehrer 

von RICH. J. EICHBERG. — Geheftet 1.50 M. 

Von demselben Verfasser erschien gleichzeitig: 

Ergänzungen zu X. Scharwenkas „Methodik des Klavierspiels“ 

Geheftet 60 Pfg. 

D ie Eichbergsche „Pädagogik“ würdigt die gerade für den Musiklehrer einschlägigen 
Verhältnisse eingehend und bezeichnet ihm diejenigen Richtlinien, innerhalb derer er 
seinen Beruf zu erfassen hat. Eichberg will ihm Freudigkeit zur Arbeit geben und in ihm 
in gemeinsamem Zusammenwirken mit dem Schüler das dauernde Frohbewußtsein er- 
wecken, etwas Nützliches zu schaffen, ja mehr, ein Berufener zu sein an der Kulturarbeit 
der Menschheit. — Die „Ergänzungen“ werden als Anhang zu der Scharwenkaschen 
„Methodik“, jedoch auch einzeln, geliefert, in beiden Fällen zum Preise von 60 Pfennig. 


Band XII: 

Hkkordlehre und Modulation 

Anleitung zum selbständigen Aufbau und zur Ausschmückung 
musikalischer Gedanken im vierstimmigen Satz 
von OTTO KRACKE. 

Geheftet 4 M., in Schulband geb. 4.60 M., in Leinwand 6 M. 

D er vorliegende Band gibt dem Musikstudierenden die Mittel an die Hand, logisch 
begründete und logisch berechtigte Akkordfolgen aus eigener Gestaltungskraft za 
harmonisch und melodisch wohlklingenden Sätzen zusammenzustellen. Mit Hilfe z. T. 
neuer, durch zahlreiche klassische und moderne Belege erhärteter Lehren erzieht der 
Verfasser zu eigenem Schaffen in den gebotenen Grenzen, von den ersten Versuchen 
bis zu den schwierigsten Problemen auf dem Gebiete der Modulation im weitesten Sinne. 


Verlag von Breitkopf & Härtel ln Leipzig 



Cefes-Edition. 


N eu I 



RIckard Wagner 

Neue Bearbeitungen 

Dr. Heinrich Schmidt, Kgl. Seminarmusiklehrer in Bayreuth. 

No. I. Spinnerlied aus „Der fliegende Holländer 4 . 

„ II. Aufing der Meieterilnger il Chor a. d. III. Akt „Die Meteterainger 44 . 

„ III. Paretfal und die Blumen m ft de hen aus „Parsifal“. 

„ IV. Einstig der Gftste auf Wartburg und Marach aus „TannMu*er M . 

„ V. Vonpiel „Tristan und Isolde 44 . 

Obige Werke erschienen »Amtlich ln folgenden Besetmngen (Retto- Preise): 
Violine und Planoforte No. I M. —.60, No. II— V A M. —.80. 

2 Violinen und Pianoforte I M. 1. — , II— V A M. 1.20. 

Violine, Viola und Planoforte I M. x. — , II— V A M. x.20. 

Violine, Cello und Planoforte I M. x. — , II — V A M. x.20. 

Violine, Flöte und Pianoforte I M. 1.— , II— V A M. x.20. 

3 Violinen, Viola und Planoforte I M. 1.50, II — V A M. 1.80. 

2 Violinen, Cello und Pianoforte I M. x.50, II — V A M. x.8o. 

3 Violinen und Pianoforte I M. x.50, II — V A M. x.8o. 

Violine, Flöte, Cello und Pianoforte l M. x.20, II— V A M. x.50. 

4 Violinen und Pianoforte I M. 1.80, II — V A M. 3. — . 

3 Violinen, Viola und Pianoforte I M. 1.80, II — V A M. 2.—. 

3 Violinen, Cello und Pianoforte I M. 1.80, II— V A M. 2. — . 

2 Violinen, Viola, CelJo und Pianoforte I M. 1.50, II— V A M. x.8o. 

4 Violinen, Viola und Pianoforte I M. 2.—, II-V A M. 2.40. 

4 Violinen, Cello und Pianoforte I M. 2. — , II — V A M. 2.40. 

3 Violinen, Viola, Cello und Planoforte I M. 2.—, II— V A M. 2.40. 

4 Violinen, Viola, Cello und Pianoforte I M. 2.40, II— V A M. 2.70. 

Violine, Pianoforte und Harmonium I M. 1. — •, II — V A M. x.20. 

2 Violinen, Planoforte und Harmonium I M. x.20, II — V A M. 1.50. 

Violine, Viola, Pianoforte und Harmonium I M. x.20, II — V A M. x.50. 

Violine, Cello, Pianoforte und Harmonium I M. x.20, II — V A M. 1.50. 

Violine, Flöte, Planoforte uud Harmonium I M. 1.20, II — V A M. x.50. 

2 Violinen, Viola, Pianoforte nnd Harmonium I M. 1.80, II — V A M. 3. — . 

2 Violinen, Cello, Pianoforte und Harmonium l M. 1.80, II — V A M. 3. — . 

3 Violinen, Pianoforte und Harmonium I M. 1.80, II — V A M. 2. — . 

Violine, Flöte, Cello, Pianoforte und Harmonium I M. 1 50, II — V A M. 1.80. 

4 Violinen, Pianoforte und Harmonium I M. 2. — , II— V A M. 2.40. 

3 Violinen, Viola, Pianoforte und Harmonium I M. 2. — , II — V A M. 2.40. 

3 Violinen, Cello, Pianoforte und Harmonium I M. 2. — , II — V A M. 3.40. 

2 Violinen, Viola, Cello, Pianoforte u. Harmonium I M. 1.80, II— V A M. 2. — . 

4 Violinen, Viola, Pianoforte und Harmonium I M. 2.40, II — V A M. 2.70. 

4 Violinen, Cellb, Pianoforte und Harmonium I M. 2.40, II — V A M. 2.70. 

3 Violinen, Viola, Cello, Pianoforte u. Harmonium I M. 2.40, II — V A M. 3.70. 

4 Violinen, Viola, Cello, Pianoforte u. Harmonium I M. 2.70, II — V A M. 3. — . 
Salon-Orchester (3 Violinen, Cello, Plöte, Planof. u, Harmonium) I M. 1,80, 

II — V A M. 2. — . Weitere Stimmen (auch Kontrabaß) A M. — .30 no. 

Bel Voreinsendung des Betrages portofreie Zusendung. 

L C. F. Schmidt, Hellbronn a. H. f 

...... ... m .... Musikalienhandlung und Verlag. **************** % 


♦♦♦♦♦ Patent ♦♦♦♦♦ 
Künstler -Bogen 

mit H. R. Pfretzschner’a „Monopol“ 

Haarbezug zum Salbatbehaaren. 
Deutsch« Reichs - Patent Nr. *70 .88. 
Diese BrBndung übertrifft All«, bisher 
Dagewczene u. Ist das vollkommenste. 

Hermann Richard Pfretzschner 

Kgl. Sächs. u. Großh. Weim, Hoflieferant 

Markneukirchen i. S. 569 A. 


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Sclwstir&Cä; 

Marknenklrchen Ho. SM 

(Dentsch-Cremoaa) 
Rr z tM a r z. Violinen, Bratze kn 
und VMnoolU In Meister- 
auzfübrug aus altem na- 
t mg et rechneten Tonholzt 
gearbeitet, frei von ktlnst- 
liekoa Einwirkungen. B.M 
Streich Instrument. 


laut logOorprelsltete, dar- 
unter 4 mm Ital. Initrum. 
zn M. 1150.—, 1*00.—, ' 
aaOO.-u.SOOO.— R.azra* 
turtz voa lfabtirhina. KzlutLtzua- 
pretw. Baklamafrolt, • gediegen. 
Leistung«- — Freia - Liste Int | 



Alte und eingespielte 

& Violinen 

Gelgenversand Euphonla 

(Htlnr. Elehmann) Hersfeld H.K. 



’e Germer Schule 
des Sonatinenspiels 


für Klavier. 

Das Beste vom Guten, 
ä Heft Mk. 1.— 
Bosworth & Co., Leipzig. 


303 









H. Hfcg., Br. „Das Heidelberger Faß“ 
ist als Studentenlied glücklich vertont. 
Nor die Begleitung läßt tu wünschen 
übrig. Unmöglich kann der Refrain in 
Ddur stehen. Bleiben Sie doch in der 
ursprünglichen Tonart und lassen Sie den 
verschrobenen Uebergaog weg. 

£. H. Die Musik Ihrer im übrigen gut 
deklamierten Ballade geht nicht sonderlich 
tief. Die Begleltmatlve scheinen wohl von 
den jeweiligen Stimmungsmomenten ein- 
gegeben zu sein, sind mitunter aber recht 
gewöhnlicher Art. 

D— gar, M- In Ihren Friihliugsliedem 
offenbart sich ein freundliches Talent. 
Frei von billigen. Bf fetten sind sie nicht 
Immer. Bel weiterer TJebung wird sich 
auch der vornehmereGeschmack entwickeln. 

B. P., R. Der Traum Ihrer Großmutter 
klingt angenehm heiter. lassen Sie sich 
noch ein ebenso gefälliges Trio hinzu- 
träumen. 

W. T— dorf, M» Ihre Tonideen sind 
molluskenhafte Wesen. Und was Sie nicht 
alles hineingebehnnlssen? Raffen Sie sich 
doch endlich mal zu etwas Greifbarem 
auf. Ein fescher Walzer wäre uns lieber 
als eine solche seltsame Gedankenbrut. 

F. S., G. Nun kann man sich eher mit 
Ihren SonatensMzen befreunden. Die ein- 
zelnen Teile sind klar disponiert und Weit- 
schweifigkeit ist vermieden. Nur der 
göttliche Funke fehlt. Dem Inhalt nach 
sind es Gespinste eines begabten mtisik- 
freudigen Dilettanten. 

E. D. 87 . Ihre Männerchöre scheinen 
nicht gerade einem inneren Drang ent- 
sprungen zu sein. Die Mache daran zeugt 
von Uebung und Erfahrung im Männer- 
gesang. Manches müßte korrigiert wer- 
den. „Mein Heimatland“ verträgt weder 
textlich noch musikalisch einen strengeren 
Maßstab. 

A. B. S. t Essen. Sie nehmen Ihre Auf- 
gabe zu leicht und haben noch nicht jenen 
Grad der Vertiefung erreicht, der in heißem 
Bemühen errungen sein will. Etwas Druck- 
reifes finden wir nicht unter Ihren Liedern. 
„Stumme Antwort“ weist wohl einige 
interessante Züge namentlich ln der Stimm- 
führuug auf, hat aber auch unklare Stel- 
len. Sie müßten sich intensiver mit klas- 
sischen Vorbildern beschäftigen. Ihrem 
Volkston fehlt die originelle Note. 

H. in N. Ihre Symphooie zeichnet sich 
mehr durch orchestrales Kolorit als Ge- 
dankentiefe aus. Sie sollten zuwarten 
können, bis Sie sich wieder inspiriert füh- 
len, statt verbrauchten AlltagsmoUven 
leichthin Zugang zu gewähren. 


Dur und Moll 


— Die Polizei gegen Pizarros 
.Trompeter. Mischa Elman er- 
zählt eine niedliche Geschichte, 
die er beim letzten Musikfest 
in Leeds erlebt hat. Um sich 
vor unerwünschten Störungen 
der Suffragettes zu hüten, hatte 
man ein Aufgebot von Schutz- 
leuten entsandt, das den Saal- 
bau in allen seinen äußeren 
Teilen unter Kontrolle hielt. 
Als drinnen nun die dritte Leo- 
noren-Ouvertüre gespielt wurde, 
trat der Trompeter zur rechten 
Zeit aus dem Saal heraus, um 
das berühmte Signal „aus der 
Entfernung“ zu blasen. Er 
hatte kaum sein Instrument an 
den Mund gebracht, als ein 
pflichteifriger Schutzmann auf 
ihn zustürzte und ihm dieTrom- 

g ete herunterriß. „Wie können 
ie sich unterstehen hier zu 
blasen“, fuhr er ihn an, „hören 
Sie denn nicht, daß drinnen im 
Saal Musik gemacht wird!“ 
Unterdessen mußte das Or- 
chester nach einigem Warten 
weiter gehen, ohne daß die An- 
kunft aes Gouverneurs gemel- 
det worden war. Das Publikum 
mochte denken, daß der Wind 
die Töne verschlungen habe. 



Kunst und Unterricht 

: 

1 

1 

m 

Adressen tat el fflr Künstler, Künstlerinnen, Muslklehrer und 

1 Wegen der Aufnahme wende man sieb an unsere 1 | 
LI Anzelgen-Abteilung, Stuttgart, Königstr. 31 B. Li 

m 


Professor Emanuel von Heovi 

Slavio x v ixtu oft# 

Bndaptat V, Marie-Valeriegasse xo. 

i Hnnle Beizäh i 

Vlolinvirtuosln 

Offen baoh a. M. Telef. 1392 


Anna C&cilia Ott 

Heszoeopran and Alt. Lied and Oratorium. 

Landau (Pfalz), Teichstraße 15. 


Jeanne Vogelsang 

Qaicarla 

TJtroeh.t. Holland. 


. — Madame Charles Cahier 
als Reformerin des Konzertsaals. 
Die berühmte Altistin Madame 
Cahier erzählt einem Intervie- 
wer: „Die Konzertsäle im all- 
gemeinen, und nicht am wenig- 
sten in Deutschland, sind zu 
nüchtern/ Ich glaube, daß das 
große Publikum nicht darüber 
nachdenkt, und infolgedessen 
sich nicht bewußt ist, weshalb 
es auch bei ganz hervorragen- 
den Künstlern manchmal nicht 
recht in Stimmung kommt, 
oder diese sich erst einstellt, 
wenn das Konzert fast aus ist, 
Wir leben heute in einem so 
nervösen Zeitalter, daß eine 
große Anzahl des Publikums 
geistig nicht recht aufnahme- 
fähig ist, bevor sie das lästige 
Drum und Dran des Alltages 
ausgeschaltet hat Und aas 
gilt hauptsächlich von dem Pu- 
blikum, das ohne persönliches 
Interesse an dem Künstler in 
die Konzerte kommt. Wenn 
mm aber die Konzertbesucher 
einen angenehm temperierten 
Saal antreffen, der mit künst- 
lerischem Geschmack ausge- 
stattet, und dessen Podium 
mit Pflanzen geschmückt ist, 
wenn ferner der Saal während 
der Vorträge verdunkelt wird, 
und das Podium durch Rampen- 
licht und, für das Publikum un- 
sichtbare seitliche Reflektoren 
mit gelben Scheiben beleuchtet 
ist, so daß der Vortragende in 
intensivem, harmonischemLicht 
steht, dann wird sich unfehl- 
bar die Stimmung schon beim 
ersten Tone von selbst einstel- 
len. Der Gesichtskreis des Pu- 
blikums ist alsdann nur auf die 
Vorgänge auf dem Podium kon- 
zentriert. Ein außerordentlich 
wichtiger Faktor ist bei dieser 
Einrichtung, daß nicht nur all- 
ein die ersten Reihen, sondern 
auch infolge der Beleuchtung 
die weiter weg Sitzenden oder 
Stehenden, die Möglichkeit ha- 
ben, die Mimik des Vortragen- 
den zu beobachten. Das große 
Publikum wird stets nur dann 
ganz und voll genießen, wenn 
es nicht nur allein hört, son- 
dern auch die mimische Aus- 
drucksfähigkeit des Vortragen- 
den mit dem Auge verfolgen 
kann. Was ich nun in bezug 
auf das große Publikum gesagt 
habe, trifft, vielleicht in noch 
höherem Maße, auf den Vor- 
tragenden selbst zu. Wenn ich 
zum Beispiel das Podium be- 
trete, das mir entgegenge- 
brachte Interesse fühle und das 
Empfinden habe, daß das Publi- 
kum infolge der auf mich ge- 
richteten Konzentration mit 
mir gleichsam den Inhalt der 
von mir vorgetragenen Lieder 
mitzuerleben imstande ist, dann 
bin auch ich in Stimmung. Daß 
dies, abgesehen von der von 
mir selbst empfundenen Genug- 
tuung, dem Publikum zugute 
kommt, ist wohl selbstverständ- 
lich.“ 

Franz Säubert 

Elf unbekannte Ländler. iSL. 

bearbeitet von Karl Wendl , . M. 1 . — , 
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Giacomo Puccini. 


Neue Musik-Zeitung 
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Inhalt * tliacomo Meyerbeer. Ein Gedenkblatt zu seinem fünfzigsten Todestage. — Führer durch die Literatur für eine Geige allein. — Meine Erinnerungen an 
llllldll • Adolf Henselt. (Zum 100. Geburtstag des Meisters, rs. Mai 1914.) Henselt als ausübender Künstler und Komponist. Henselt als Pädagog und Mensch. — 
Max Regers Rücktritt als Dirigent der Meininger. — Rückblicke auf das Straßburger Musikleben. — Vom Kölner Musikleben. — Das Musikfest der Franx-Liszt-Gesell- 
Schaft in Altenburg. — Kritische Rundschau: Barmen-Elberfeld, Karlsbad In Böhmen, Magdeburg, Prag. — Kunst und Künstler. — Briefkasten. — Neue Musikalien. — 
Besprechungen. — Musikbeilage. — Als Gratisbeilage: Batka-Nagel, Geschichte der Musik, Bogen 11 vom dritten Band. 




Giacomo Meyerbeer. 

Ein Gedenkblatt zu seinem fünfzigsten Todestage. 

I m Foyer des Hamburger Stadttheaters sind die Büsten 
von vier berühmten Tondichtern, die verschiedenen 
Epochen der Kunstgeschichte angehören, aufgestellt. 
Zur Linken erscheint neben Beethovens Dämonenhaupt 
der feine Kopf Mozarts; ihnen gegenüber auf dem rechten 
Flügel, zur Seite des Marmorporträts des unerbittlich 
energischen Wagner, die Büste — Meyerbeers. 

Wer über die Beziehungen dieser beiden Meister zu- 
einander unterrichtet ist, wird sich angesichts solch eigen- 
tümlich friedlicher Zusammenstellung malitiöser Gedanken 
kaum erwehren können. An der Decke des Theaterraumes 
sind alsdann die Namen beider einander geradewegs gegen- 
übergestellt. Ein Spiel des Zufalls mag diese viel bezeichnen- 
dere Konstellation herbeigeführt haben. 

Es ist bekannt, daß Meyerbeer zunächst kaum einen 
überschwenglicheren Lobredner, kurze Zeit darauf aber 
keinen fanatischeren Gegner als Wagner gehabt hat, der ihn 
heute als den würdigsten Nachfolger Händels, Glucks, 
Mozarts, als „ein deutsches Genie mit tiefem Gemüte“ 
bezeichnete, morgen jedoch ihn öffentlich als den „aller- 
gemeinsten Musikmacher“ hinstellte, dessen „spezifisch 
musikalische Begabung vollkommen auf Null zu setzen“ 
sei. — Es würde uns schwer fallen, an Wagners Urteils- 
fähigkeit zu glauben, wollte man diesen letzten Passus aus 
seiner Reformierungsschrift „Oper und Drama“ ernst 
nehmen. Er müßte alsdann selbst kein Musiker gewesen 
sein, denn gerade die absolute melodiöse Erfindung ge- 
hört zu den stärksten Seiten sowohl Meyerbeers wie auch 
des Wagner, der sich noch nicht mit Parsifal-Entwürfen 
trug. Die häufig gar sehr in Extremen sich bewegenden 
theoretischen Axisführungen des nach Anerkennung ringen- 
den Lohengrin-Schöpfers bedeuten letzten Endes (nament- 
lich wo sie grundsätzliche Anfeindungen anderer Künstler 
aus nationalen Gründen enthalten) kaum viel mehr als 
den Zomausbruch eines mit der Welt unzufriedenen Künst- 
lers, der, von seinen Fähigkeiten überzeugt, als politischer 
Flüchtling fern der Heimat zusehen mußte, wie andere 
Größen Triumphe feierten. Wagner hat vor 31 Jahren 
das Zeitliche gesegnet, und noch immer ist der Kampf um 
das Wesen der Bayreuther Lehre nicht endgültig ver- 
stummt, ja hat sogar in jüngster Zeit infolge eines wichtigen 
künstlerischen Ereignisses wieder neue Formen, lebendigere 
Gestalt angenommen; Meyerbeers Tod liegt 5 Dezennien 
zurück, und noch immer sind die Akten über die Bedeutung 


seiner Opern nicht geschlossen. Es ist erklärlich, daß 
man bei einem Rückblick auf das Schaffen Meyerbeers 
die künstlerischen Bildungswerte der jetzt zu höchster 
Blüte entfalteten Pflege des Wagner-Stiles sich vergegen- 
wärtigt. Man mag nun denken, wie immer man wolle: 
trotz der scheinbar gegensätzlichen Kunstprinzipien beider 
ist nicht hinwegzuleugnen, daß Meyerbeer vielleicht mehr 
als irgend ein anderer (sei es häufig auch nur unbewußt) 
auf seine Art die Entwicklung des modernen Musikdramas 
beeinflußt hat. Das gesteht selbst einer seiner schärfsten 
Kritiker, der bekannte Dramaturg Bulthaupt, unum- 
wunden ein: „nur“, fügt er hinzu, „daß dies auch Scribe 
getan, davon will ich nichts wissen.“ — Und in der Tat 
sind die umständlichen Libretti der Meyerbeerschen Opern 
das Grundübel, an dem sie ohne Ausnahme kranken, und 
das uns Modernen selbst ihren Komponisten oft verleidet. 
Die häufigen dramatischen Widersinnigkeiten werden über- 
dies durch die teilweise entsetzlich geschmacklosen deutschen 
Uebertragungen noch fühlbarer gemacht. Man hat durch 
allerhand Experimente dieser Textmisere abhelfen und den 
dramatischen Kern aus den Nebenepisoden und dem mehr 
äußerlichen Eüllwerk herausschälen wollen — um es gleich 
zu sagen, stets zum Nachteil, nie zum Vorteil des Typs der 
„Großen Oper“, die aller dieser szenischen Einzelheiten 
zur Erzielung einer Gesamtwirkung unbedingt bedarf. 
Sie erscheint alsdann nicht etwa als blühender von den 
abgestorbenen Zweigen befreiter Baum, sondern repräsen- 
tiert sich als verwüsteter Stumpf, der alles schmückenden 
Geästes beraubt ist. Der Weg, das Genre der Großen Oper 
dem modernen an Wagner erzogenen Publikum zu erhalten, 
ist nicht in der Vereinfachung, in der Konzentrierung der 
wesentlichen Hauptmomente auf ein verhältnismäßig kleines 
Stück Handlung zu suchen; im Gegenteil, je mehr Glanz 
und äußere Ausstattungsmittel zur Entfaltung kommen, 
je mehr für historische Genauigkeit der Details Sorge ge- 
tragen wird, desto mehr werden jene Werke fesseln. Im 
allgemeinen kümmern sich aber weder Theaterdirektor 
noch Regisseur sonderlich um diese Notwendigkeiten, hier- 
durch einer Kunstgattung, deren wesentlichste Lebens- 
bedingung Prunk der Szene bedeutet, gerade das ent- 
ziehend, was ihre Hauptwirkung ausmachen soll. Ja es 
scheint fast, als sei man bemüht, den Meister der „Huge- 
notten“ absichtlich durch die kläglichsten Bühnenbilder, 
durch die farblosesten Orchesterleistungen, die ungenügend- 
sten Besetzungen der Solopartien auf den Aussterbeetat 
zu setzen. Es ist wünschenswert, sich an das bewährte 
Vorbild des Berliner Generalintendanten Hülsen-Häseler 
zu halten, dessen ausgesprochene Begabung für die In- 


305 









szenierung gerade von Großen Opern oft gewürdigt ist. 
— Noch von der Beachtung eines weiteren unbedingten 
Erfordernisses hängt die Wirkung eines Meyerbeerschen 
Bühnenwerkes ab. Eine jede seiner Opern steht und 
fällt mit der künstlerischen Qualität des Sängerpersonals, 
insbesondere der Solisten, nicht zuletzt jedoch auch der 
Chöre. Meyerbeer verlangte stets von solchen Künstlern 
in erster Linie, schön singen zu können. Er hat die 
Aufführung seiner „Afrikanerin“ nur deshalb nicht mehr 
erlebt, weil er lange vergebens nach einem geeigneten Ver- 
treter für die Partie des Vasco gesucht hatte. Den An- 
forderungen des bei canto genügen nun zwar auch heute 
noch viele Sänger, die in italienischen Opern Vorzügliches 
leisten; allein die namentlich bei den Männerrollen Meyer- 
beers häufige Verquickung des lyrischen und des heroischen 
Elementes und die dadurch bedingte enorme Anspannung 
der physischen Kräfte verwehrt es Künstlern genannter 
Art durchaus, z. B. die gefürchtete und t doch auch wieder 
so begehrte Partie des Johann von Leyden zu singen. 
Einem ausgesprochenen Wagner-Sänger wird wiederum 
die Verkörperung des eleganten Höflings Raoul nur in 
Ausnahmefällen gelingen. An die Ausbildung von regel- 
rechten Meyerbeer-Sängem zu denken, ist wohl angesichts 
der jetzt herrschenden Richtung in Deutschland eine kaum 
zu verwirklichende Idee. Anders ist es im Auslande, 
namentlich in romanischen Ländern, wo die Bühnenleiter 
besondere Ursache haben, immer wieder auf Meyerbeers 
Opern zurückzugreifen. Um das zu verstehen, wird man 
sich einige Hauptmomente aus Meyerbeers künstlerischer 
Entwicklung vor Augen führen müssen. 

Den im Todesjahr Mozarts, am 5. September 1791 in der 
preußischen Residenzstadt Geborenen finden seine reich 
begüterten Eltern bereits im dritten Jahre seines Lebens 
am Klaviere, einmal gehörte Melodien mit noch ungelenken 
Fingern aus dem Gedächtnis nachspielend. Er wird auf 
den Rat einflußreicher Kunstverständiger hinTfür die 
Virtuosenlaufbahn bestimmt, und schon der 9jährige Knabe 
interpretiert im Jahre 1800 im öffentlichen Konzertsaal 
erfolggekrönt das d moll-Klavierkonzert Mozarts. Der 
bekannte Theoretiker und Freund Goethes, Karl Friedr. 
Zelter, wird auf ihn aufmerksam und unterrichtet den 
kleinen Pianisten in seiner deutsch-gründlichen, aber etwas 
rauhen und kurz angebundenen Weise. Der an feine 
.Umgangsformen gewöhnte Knabe, der neben Lauska auch 
dem vorübergehend in Berlin wehenden, damals berühmten 
Muzio Clementi manche Anregung verdankte, fühlt sich 
mehr zu dem liebenswürdigen Kapellmeister Bernhard 
Anselm Weber hingezogen, der ihn nun in Theorie und 
Praxis fortbildet. Bei dem trefflichen Kontrapunktisten 
Abt Vogler in Darmstadt Studiengenosse und treuer Freund 
Carl Maria v. Webers, erprobt er seine in der strengen 
Schule des berühmten Theoretikers erlernte Fähigkeit, 
alle nur erdenklichen technischen Schwierigkeiten des 
Kontrapunktes und der Harmonielehre spielend zu be- 
herrschen, an einer großen geistlichen Kantate „Gott und 
die Natur“. Sie bringt dem 19jährigen Jüngling die erste 
öffentliche Ehrung, seine Ernennung zum Hofkomponisten 
des kunstsinnigen Großherzogs Ludwig I. Eine Erstlings- 
oper „Jephtas Gelübde“ gelangt in München zur Auf- 
führung. .Allein das Publikum begeistert sich für den 
Klaviervirtuosen Meyerbeer; der Opernkom- 
ponist vermag mit seinem zwar streng-schulgemäßen 
und deutsch-gründlichen aber erfindungsarmen Werke nur 
einen Achtungserfolg zu erringen. Das Schicksal einer 
zweiten Oper „Alimelek“ ist kaum günstiger als das ihrer 
Vorgängerin. Da zeigt dem schon yöllig Ratlosen der 
bekannte Komponist Salieri den Weg zum Ruhme. Dem 
in allen technischen Regeln durchaus bewanderten Kunst- 
jünger fehlt zum Erfolge nur eine einzige, aber hoch- 
wichtige Fähigkeit : die Kunst, wirkungsvoll für Singstimmen 
zu schreiben. ■ Salieri lehrte ihn, den schulmeisterlichen 
Stil abzustreifen und sich fließende Melodik anzueignen. 
Nachdem er in Wien noch einmal die Huldigungen, die 

306 


einem gefeierten Pianisten dargebracht werden können, 
empfangen, alle Konkurrenten auf diesem Gebiete in den 
Schatten gestellt (Moscheies wagte seinetwegen nicht auf- 
zutreten), wendet er sich nun zunächst dauernd dem Aus- 
lande zu. Italien! heißt jetzt die Losung, Rossini, sein 
Ided. Aus dem Bewunderer des Tankred-Komponisten 
wird bdd dessen Epigone. Rossinische Partituren studiert 
er bis zum Auswendiglernen und komponiert selbst ita- 
lienische semi-seria-Opem. Er wird so ganz Italiener, 
daß er wirklich den ihm in der Heimat verwehrten Erfolg 
mit dem letzten Werke aus dieser Periode, dem heute 
gänzlich verschollenen „Kreuzritter“ findet. Dieser dringt 
bis nach Brasilien und macht den glücklichen Komponisten 
zum Ritter des Südstem-Orden. Sein Ziel ist erreicht. 
Gleichzeitig jedoch beginnt sich in ihm das künstlerische 
Gewissen zu regen. Er fühlt sich zu Höherem berufen, als 
Rossinis An- und Nachbeter zu werden. Die Seichtigkeit 
eines gewissen italienischen Tongeriesels offenbart sich ihm 
zur selben Zeit, als Freund Weber ihm wegen seiner Abkehr 
von der deutschen Kunst die bittersten Vorwürfe macht. 
Sie sind auf fruchtbaren Boden gefallen. — Diese in Deutsch- 
land noch immer nicht sine ira et Studio beurteilte Italien- 
reise ist das Kardinalverbrechen, das Meyerbeer die ge- 
hässigen Anfeindungen seitens der deutschen Kunstrichter 
zugezogen hat. Bis an sein Lebensende hat die heimat- 
liche Kritik ihn diesen in der Jugend verfolgten „Irrtum“ 
büßen lassen. Heute wird man einsehen müssen, daß diese 
Schaffens- und Studienzeit dennoch den glücklichsten 
Einfluß auf Meyerbeers Entwicklung geübt hat. In reiferen 
Jahren ist es dem Meister zwar passiert, daß er seine eigenen 
Themen aus diesem italienischen Lebensabschnitte nicht 
wiedererkannte. Allein die glückliche Verquickung deutsch- 
gelehrten und italienisch flüssigen Stiles, der später franzö- 
sische Rhythmik und vor allen Dingen eine Meyerbeer 
stets eigentümlich bleibende Neigung zu pathetischer Dekla- 
mation sich hinzugesellten, hat ihn Muster dramatischer 
Musik schaffen lassen. Die (vielleicht vorwiegenden) 
romanischen Kennzeichen in seinen Werken erklären die 
Erfolge des kosmopolitisch komponierenden Israeliten im 
Auslande und die besonders dort noch heute geübte 
Kultivierung seines Stiles. 

Der bekannte Wiener Musikästhet Dr. Ed. Hanslick 
entdeckt in Glucks Opern weit mehr französische und 
italienische, in Mozarts Werken weit mehr italienische 
Elemente als in denen Meyerbeers. Ohne uns von der Wahr- 
heit dieser Behauptung ohne weiteres zu überzeugen, er- 
kennen wir doch das Berechtigte seiner Forderung, nämlich, 
bei Meyerbeer recht sein zu lassen, was uns bei jenen billig 
ist. Tritt uns denn nicht das spezifisch Deutsche in Meyer- 
beers Werken auf Schritt und' Tritt unverfälscht genug 
entgegen ? Ist nicht die Beschwörung der Nonnen auf dem 
Klosterhof durch den finsteren Bertram (diesen Delavigne- 
Scribeschen Mephisto) mit seinem düsteren, schon im c moll- 
Vorspiel vorweggenommenen Dämonenmotiv musikalisch 
unleugbar von Webers grausiger Wolfsschlucht-Romantik 
befruchtet? Wohl bei dem Meister des „Freischütz“ aber 
bei keinem französischen Komponisten jener Zeit finden 
wir eine ähnliche bezeichnende Charakterisierung wieder. 
Tragen nicht das innige Duett zwischen Marcell (diesem 
Kurwenal der Großen Oper) und Valentine, der Spott- 
chor, das Septett (wenn dies vielleicht auch schon weniger), 
das Wächterlied, die Waffenweihe in den „Hugenotten“ 
viel eher deutsches als fremdländisches Gepräge? Wer 
anders als ein Deutscher konnte die reizvoll anheimelnden 
Ritomelle erfinden, die wir in Meyerbeers Konfessions- 
oper bewundern ? Ist es nicht Folge eines ganz oberfläch- 
lichen Urteilens, der Revolutionsszene im „Propheten“, 
den tiefempfundenen Gesängen der Fides und vor allem 
der unverkennbar mit größter Begeisterung und heiligem 
Ernste erschaffenen „Struensee “-Musik einen vorwiegend 
romanischen Charakter anzudichten ? Daß allerdings neben 
diesen prächtigen Zügen sich überall französischer Rhythmus, 
italienische Kantilene (oft genug stilverwirrend) breit 



macht, verwehrt eben die Gleichstellung Meyerbeers mit 
einem vollendeten Genius, wie er sich uns im Komponisten 
des „Don Juan“ darstellt. 

Wenn dem hochbedeutenden Gluck, dem unsterblichen 
Mozart die in glücklichstem Gelingen vollzogene Ver- 
schmelzung der Stile mit Recht nachzurühmen ist, wenn 
diese bei Meyerbeer oft unvermittelter und deutlich erkenn- 
bar nebeneinander stehen, so ist dies der Grund, weshalb 
wir den Organisator der Großen Oper doch nicht diesen 
Altmeistern (seine abgöttisch verehrten Vorbilder) koordi- 
nieren können. Er übertrifft zwar beide Meister im übrigen 
in mehr als einer Hinsicht, was allerdings im wesentlichen 
den Errungenschaften seines Zeitalters zuzuschreiben ist, 
das ihm erlaubte, seine 
Ideen mit ungleich voll- 
endeteren Mitteln auszu- 
drücken, als jene es ver- 
mochten; dem Urteil 
eines berufenen Musikers 
wie Heinrich Dom, der 
ihn selbst mit seinen Feh- 
lem Mozart an die Seite 
stellt, müssen wir heute 
aber ablehnend gegen- 
überstehen. 

Bei Lebzeiten und noch 
viele Jahre nach seinem 
Tode in manchen Schich- 
ten zweifelsohne über- 
schätzt, wird Meyerbeer 
in der Gegenwart, na- 
mentlich , von der An- 
hängerschaft der Bay- 
reuther Prinzipien, ganz 
erheblich unter schätzt. 

In diesen Kreisen hält 
man tatsächlich noch mit 
zäher Beharrlichkeit an 
dem Wagnerschen Ver- 
nichtungsspruche fest, der 
bei objektiv Urteilenden 
längst als ein historisch 
interessanter Beleg zum 
Studium Wagners (nicht 
Meyerbeers) gebucht ist. 

Der Bayreuther Meister 
kann sich in einem um 
1840 erschienenen Auf- 
sätze „Ueber Meyerbeers 
Hugenotten“ nicht genug 
tun in überschwenglichen 
Lobeserhebungen über 
seinen Helfer und För- 
derer: „Es ist nicht mehr nötig, große gelehrte und ritual- 
mäßige Messen und Oratorien zu schreiben ; wir haben durch 
diesen Sohn Deutschlands erfahren, wie auch auf 
der Bühne Religion gepredigt werden kann, 
wenn unter dieser Masse von Pracht und Leidenschaft 
ein so einfacher, edler und jungfräulicher Sinn erhalten 
bleibt, wie er in Meyerbeer als Quelle aller seiner be- 
rauschenden Schöpfungen, zugrunde liegt.“ 

Ueber eine so übertriebene Huldigung gegenüber der 
Meyerbeerschen Kunst werden auch deren Bewunderer 
nur interessiert lächeln. Indessen der damals sich so 
offen und ehrlich begeisternde Wagner wird doch auch 
nicht ohne Grund mit solcher auffälligen Nachdrücklich- 
keit die Vorzüge des Meyerbeerschen Schaffens ans Liebt 
gerückt haben. Es ist in der Tat nicht leicht', sich eine 
Vorstellung zu machen von der damaligen unerhörten 
Wirkung dieser mit allen möglichen Surrogaten gewürzten 
Kunstgattung, die mit Aubers „Stumme von Portici", in 
der Hauptsache aber doch erst mit „Robert der Teufel“, 
jenem epochemachenden Werke, dessen Aufführungszahl 


in Wien nur Mozarts „Don Juan“ erreichte, ins Leben ge" 
rufen wurde. Vor allem die blendend charakteristische 
neuartige Instrumentierung, von deren Wirkung Franz 
Liszt so begeistert spricht, im Verein mit der flimmernden 
Pracht der Szene, mag bedeutende Künstlererscheinungen 
wie Fetis, Blaze de Bury, Balzac, Heine, Berlioz, Liszt, 
ja einige Zeit lang doch selbst Wagner zu der Ansicht ver- 
leitet haben, dies sei Kunst in vollendetster Art, ein Höhe- 
punkt, wenn nicht gar der Höhepunkt überhaupt! Viel- 
leicht hat Wagner damals noch nicht geahnt, daß er selber 
berufen sei, den Gepriesenen in der Gunst des Publikums 
abzulösen! — Resümieren wir, was uns in der vielseitigen 
Künstlerpersönlichkeit Meyerbeers den bedeutenden Ton- 
dichter erkennen läßt, so 
haben wir in erster Linie 
seiner ausgesprochenen 
Begabung für eine un- 
gemein interessante, be- 
zeichnende Instrumentie- 
rung, seines Prinzips, das 
Orchester dramatisch 
charakterisieren zu las- 
sen, was auf der Szene 
vorgeht, zu gedenken. 
Sein Vermögen, immer 
neue Klangwirkungen, 
-mischungen zu erzielen, 
läßt zwar nicht selten, 
namentlich in den letzten 
Werken (Dinorah, Afri- 
kanerin) , das Gesuchte 
erkennen, man empfindet 
mitunter das Experimen- 
tierende, Gewollte; allein 
der Gedanke, die Haupt- 
personen seiner Bühnen- 
handlungen ihrem Cha- 
rakter nach durch ein 
bezeichnendes Klangkolo- 
rit (am auff allendsten Ber- 
tram im „Robert“, Mar- 
cell in den „Hugenotten“ 
und die Wiedertäufer und 
Fides im „Propheten“) 
zu individualisieren, ist 
ungemein neu und be- 
deutend gewesen. Für 
den weiteren Ausbau, die 
Verbesserung der Or- 
chester-Instrumente, für 
die erdenklichsten Ver- 
wendungen derselbenstets 
interessiert, macht er sich 
alle Neuerfindungen auf diesem Gebiete sofort mit klugem 
Scharfblick zunutze ; so die Ventilhömer und Ventiltrompeten 
(anstelle der Naturhömer und -trompeten), das Saxhorn und 
andere. Nachdem er das seit Berlioz nur, immer nach Bedarf 
gelegentlich zur Verwendung gelangende Englischhorn (das 
der Oboe verwandte Holzblasinstrument) dauernd seinem 
Orchester eingefügt hat, bereichert er dieses noch um die 
von ihm selber rekonstruierte Baßklarinette, die heute 
in keinem modernen Orchester mehr fehlt. Dann wieder 
entreißt er längstverscbollene Instrumente wie die Viola 
d’amore, mit der man zu Zeiten Joh. Sebastian Bachs 
operierte, der Vergessenheit, um sie in den „Hugenotten“ 
zur Erzielung einer ganz berückenden Wirkung zu benutzen. 
Der Tübinger Musikgelehrte Prof. Fritz Volbach faßt in 
seinem 1910 erschienenen Werkchen „Das moderne 
Orchester in seiner Entwicklung“ die Bedeutung Meyer- 
beers in treffende Worte zusammen. „In der Ausbeutung 
des Klanggehalts des einzelnen Instrumentes einerseits 
und in dem Streben nach einer durchgeführten drama- 
tischen Charakterisierung durch bestimmte Farben liegt 



GIACOMO MEYERBEER. 

Nach einer Ellhographle von Kriehuber. 


307 



das fortschrittliche Element der Kunst Meyerbeers. Hier 
hat auch Richard Wagner von ihm ge- 
lernt.“ 

Wenn im Jahre 1910 ein Fachgelehrter also schreibt, 
dann erscheint es schlechterdings verwunderlich, wie auch 
ein so bedeutender Musiker wie R. Schumann vor 80 J ahren 
mit seinem Urteil über den aufstrebenden Meister der 
„Hugenotten“ so auffallend daneben greifen konnte. 
„Meyerbeers Opern kann man getrost ihrem Schicksal 
überlassen, da Gemeinheit und Blasiertheit nur auf kurze 
Zeit zu täuschen vermögen.“ Mit solchen Worten suchte 
Schumann 1837 das Geschick der Meyerbeerschen Werke 
zu besiegeln. Wie gründlich unser hochgeschätzter Meister 
des deutschen Liedes und der Klaviermusik sich geirrt 
hat, beweist die Gegenwart. Aus der Oberherrschaft ist 
die Große Oper Meyerbeers durch die Werke des ungleich 
bedeutenderen Wagner verdrängt worden, noch immer aber 
besteht der Kampf zwischen den „Meistersingern“ und den 
„Hugenotten“, noch immer hat Siegfried den Leydener 
Zionskönig nicht entthront; noch jetzt kann man heute 
Isolde, morgen Selica ihren Liebestod auf der Bühne sterben 
sehen. Die Unfähigkeit Schumanns, dramatisch für die 
Bühne zu komponieren, ist mehr als einmal bewiesen. 
Dieser Umstand mag die Einseitigkeit seines Urteils er- 
klären und entschuldigen. Sonst hätte er gewahren müssen, 
welche ungeheure, bis zu jener Zeit überhaupt nicht er- 
hörte Glut der Dramatik im vierten Akte der „Hugenotten “ 
gehäuft ist. Niemand vorhel und nachher hat der fana- 
tischen Hitze der Glaubenswut so überzeugend Ausdruck 
in der Tonkunst zu verleihen gewußt, wie Meyerbeer es 
hier in seinem eigentlichen Gebiete, nämlich Dämonisches, 
Schreckliches zu schildern, gekannt hat. Die in bewunde- 
rungswürdiger Steigerung angelegte Szene wird nun und 
ewig nicht ohne Wirkung bleiben. Und die Volkserhebungs- 
szene im „Propheten“ (musikalisch-dramatisch ebensosehr 
ein Meisterwerk wie in technischer Hinsicht), der grandiose, 
bisher nicht wieder erreichte Krönungsmarsch, die ganze 
Domszene mit ihrer packend dramatischen Spannung, 
ihren schwungvoll geführten Chören, die gewaltig-pathe- 
tische, viel zu wenig gehörte „Struensee “-Ouvertüre, der 
rührende Sterbegesang Selicas — legen sie alle nicht un- 
widerstreitbares Zeugnis ab für die geniale Natur ihres 
Erfinders ? Ergreift nicht das wundervoll in die purpur- 
satten Töne des Ges dur getauchte Andante amoroso im 
berühmten Duett zwischen Raoul und Valentine auf das 
tiefste? Sogar der bereits Meyerbeer feindliche Wagner 
bestätigt noch, daß „dieser duftigsten Blüte gewiß nur das 
vollendetste aus Werken der Musik aller Zeiten an die 
Seite gestellt werden darf. " — Und ist es nicht ein Wagnis 
gewesen, mit der Tradition zu brechen und einen halben 
Akt lang ein Liebesduett singen, ja, mit diesem den Aufzug 
schließen zu lassen? Nur Meyerbeer als der erste konnte 
es seinerzeit durchführen, denn seine enorme Phantasie, 



giacomo meyerbeer. 


seine unleugbare Kraft der Erfindung gaben ihm die Mittel 
dazu in die Hand. Welche Analogie übrigens zwischen 
der Brautgemachszene im „Lohengrin“ und diesem Liebes- 
zwiegesang! Sollte nicht, wenn auch unbewußt, Wagner 
die Meyerbeersche Szene vorgeschwebt haben ? 

Welche befremdenden Geschmacklosigkeiten sich auch 
immer neben diesen bedeutenden Schönheiten in Meyer- 
beers Partituren finden mögen, sie können niemals Ur- 
sache sein, die Größe dieses Mannes gleichzeitig 
mit seinen Schwächen zu verdammen. 

Man denke aber über seine Kunst, wie immer man 
mag, über den Menschen Meyerbeer bestehen bei 
Gerechtdenkenden keine Zweifel. Unzählige Künstler und 
Privatleute haben von dem persönlich neidlosen, stets 
liebenswürdigen, überaus wohltätigen und bescheidenen 
Manne, dem, äußere Ehrungen aller Art stets nebensäch- 
liche Dinge geblieben sind. Beweise seiner grenzenlosen 
Güte und Freigebigkeit empfangen. Der Mensch Meyer- 
beer hat stets das Wort Goethes erfüllt, „edel, hilfreich 
und gut“ zu sein. Seine Werke sind zwar mit zu vielen, 
unreinen Elementen durchsetzt, als daß sie neben den 
hehren Kunstschöpfungen eines Beethoven voll bestehen 
könnten. Seinem großen Talente verdanken wir aber 
nichtsdestoweniger eine Fülle von dramatischen Gebilden 
höchster Wirkung, von musikalischen Schönheiten aller- 
ersten Ranges. Sie sichern ihm, der von seinen geistes- 
verwandten Zeitgenossen heute als der fast einzige auf der 
Bühne lebt, seinen Ruhm bis in ferne Zeiten. Pr — . 


Führer durch die Literatur für eine 
Geige allein. 

Von OTTO VOIGT (Köslin 1. P.). 

W er hätte nicht den Zauber empfunden, der einer 
schönen Violine eigen ist ? Sie scheint kein lebloser 
Stoff zu sein, sondern eine schlummernde Seele zu bergen, 
die unter des Spielers Hand zu erwachen beginnt und sich 
aus der fesselnden Hülle losringt, um den Raum mit tau- 
send Klängen zu erfüllen. Aber auch launenhaft kann das 
Instrument sein. Ist eine Saite etwas zu stark, so werden 
alle andern ungebärdig; sie fühlen jeden Witterungs- 
wechsel wie ein Barometer, und die Geige muß oft gerieben, 
gewännt und in gute Laune geschmeichelt werden wie ein 
verwöhntes Kind. Manches Mal, wenn man sie gelieb- 
kost und in eine glänzende Verfassung hineingespielt hat, 
wird man erstaunen über die sensitive Art, mit der das 
Instrument auf jede leise Berührung reagiert, und der 
Spieler selbst wird gänzlich bezaubert sein. So will es 
oft scheinen, als fände der Spieler ebensoviel Kraft im 
Instrument vor, wie er selbst ihm zuträgt; und ist er oft 
der Herrscher, so ist anderseits oft auch die Violine die 
Gebieterin, welche ihn bezwingt und ihn mit fortträgt 
mit ihrer lockenden Stimme, so daß er alles vergißt und nur 
der Führung seiner berückenden Gefährtin folgt.“ 

An diese Worte wurden wir erinnert, als wir neulich 
den jungen Virtuosen Franz v. Vecsey seine eigene Kom- 
position „Präludium und Fuget für Geige allein spielen 
hörten. Ja! nur eine Violine allein kann s o bezaubern, 
wie es in obigen Worten ausgedrückt ist, und in dem Konzert 
v. Vecsey dachten wir daran, einmal einen Ueberblick 
über die Literatur für Geige allein zu geben. — Seitdem 
Max Reger in seiner schnellen Art gleich sieben Solo- 
sonaten und mehrere Präludien und Fugen hingeworfen 
hat, scheint diese Gattung der Komposition wieder mehr 
beachtet zu werden, die einst, als man auch noch nicht 
darüber spöttelte, gepflegt wurde (vergl. dazu die Anzeige 
des Verlags Simrock unter „N. u. N.“, S. 321). 

Die Wiederbelebung der Werke für Violine allein ist an 
der Tagesordnung; im Kirchenkonzerte spielte neulich ein 


308 



namhafter Virtuose die Ciaconna von Max Reger, H. Marteau 
trug die ihm gewidmete zweite Solosonate Regers im Konzert 
in Berlin vor, Anna Hegner trug J. Weismanns Sonate 
öffentlich vor, und die Beispiele mehren sich, wo man Ge- 
fallen daran findet, Werke für Geige allein wieder an- 
zuhören. Die klavierspielende Welt lächelte wohl über 
Duos für zwei Geigen, doch mit Unrecht, denn ist die 
Zweistimmigkeit so übel ? Eine wertvolle Melodie von einem 
Meister der Komposition gesetzt, ist gewiß an sich schön, 
nur verwenden diejenigen, die nicht über eine überströmende 
Fülle von melodischen Eingebungen verfügen, diese lieber 
für reicheres Material. Ebenso, wie die harmonische und 
polyphone Zweistimmigkeit im Liede ganz allgemein 
wunderschön gefunden wird, so ist auch gegen ein in- 
strumentales Duo grundsätzlich nichts einzuwenden. 

Die ältesten Denkmäler dieser Kunst, die bis jetzt wieder 
ans Dicht gezogen wurden, sind eine Sonate von Fran- 
cesco Geminiani (1680—1762), dem großen Schüler Arcangelo 
Corellis, und eine Giga von Francesco Montanari. Sie sind 
die einzigen bekannten Werke für Violine allein in der 
altitalienischen Violinliteratur. Bruno Studeny, der 
Herausgeber (im Wunderhornverlag-Miinchen) schreibt über 
sie, daß die Originalhandschrift in der Bibliothek Dresden 
aufbewahrt wird. Die Ausführung des ersten Satzes blieb 
der Improvisationskunst des Vortragenden überlassen und 
der Satz ist vom Komponisten nur als Skizze notiert, wonach 
Bruno Studeny das Werk bearbeitet hat. Man k ann 
auch nach der beigedruckten Originalgestalt den Satz 
selber bearbeiten. Die Ausführung mit den reichen 
Arpeggien, wie sie vorliegt, ist aber sehr klangvoll und trifft 
geschmackvoll den Stil der altitalienischen Geigenmusik. 
Das folgende fugierte Vivace hat ein markantes Fugen- 
thema, in der Art, wie wir sie auch in den Fugen der Bach- 
schen Solosonaten finden. Ein Affettuoso (Grave) folgt, 
und schließt sich mit markigen G-Saitenklängen an den 
Schlußsatz, die Giga an, welche reizvoll mit Arpeggien 
und Staccatotonleitem die Sonate beschließt. Die Heraus- 
gabe ist ein Verdienst; möchten bald noch mehr Werke 
aufgefunden werden! Oeffentlicher Dank sei Herrn Bruno 
Studeny an dieser Stelle ausgesprochen. 

Der Zeit nach folgen nun die, durch Joachims Spiel 
geradezu populär gewordenen Solosonaten von /. S. Bach, 
die neulich sogar ein junger Konzertmeister (Reitz, Weimar) 
alle hintereinander auswendig im Konzert vortrug. 
Es mag dahingestellt bleiben, ob diese Art zu konzertieren 
nicht „exzentrisch“ genannt werden kann, jedoch ist es 
ein Zeichen von Vertiefung und Liebe zu den (namentlich 
in den Nebensätzen weniger ohrenfälligen) Solosonaten des 
großen Thomaskantors, wenn man sie alle auswendig 
kann. Hier seien auch die von Prof. Hermann Ritter für 
Bratsche (Altgeige) übertragenen vier Suiten für Violon- 
cell von Joh. Seb. Bach genannt. Dies herrliche Studien- 
material für die Altgeige könnte auch zum öffentlichen 
Vortrage benutzt werden, denn Joh. Seb. Bach hat be- 
kanntlich selber eigene Werke, und Konzerte von Vivaldi. 
auf andere Instrumente übertragen. Neuerdings ist Max 
Reger in seinem Op. 117 No. 5 seinem Beispiele gefolgt, 
indem er Präludium und Fuge G dur für Orgel von Bach 
für die Geige allein frei übertragen hat. 

Der Zeit nach folgen zwei Divertimenti von Stamitz 
(bekanntlich aus Böhmen stammende Künstlerfamilie, die 
in Mannheim im 18. Jahrh. als Komponisten und Hofkapell- 
meister tätig waren). Welcher Stamitz der Komponist 
dieser Divertimenti ist, schreibt D. Alard, der Heraus- 
geber, nicht. Die Folge der Sätze ist: Andante, Allegro, 
Minuetto, Fuga. Die Behandlung der Violintechnik ist 
äußerst klangschön und dankbar; jeder Satz verrät die 
meisterliche Beherrschung der Kompositionstechnik. Auch 
diese Werke verdienen öffentlich bekannt gemacht zu 
werden. Z. B. in der Art wie F. v. Vecsey es in seinem 
bereits erwähnten Konzerte mit einem eigenen Werke 
für Solovioline machte. Wir meinen, es müßten noch mehr 
Werke für Solovioline vorhanden gewesen sein, sowohl aus 


der ersten Blütezeit der italienischen Violinmusik, wie auch 
aus den französischen und deutschen Geigerschulen. Viel- 
leicht beschert uns bald die Musikforschung mehr davon. 

Von B. Campagnoli besitzen wir in den Maftres classiques 
v. Alard sowohl vier Preludes, wie zwei Fugen für die 
Violine allein. Der ausgezeichnete Violinkünstler wurde 
1751 bei Bologna geboren und seine Kunst stammte aus 
Lollys Schule, zu der sich Einflüsse der Tarti n ischüler 
gesellten. Nachdem er in Leipzig Konzertmeister gewesen 
war, kam er nach Neustrelitz, wo er 1827 starb. Wir 
können diese Präludien und Fugen zum öffentlichen Vor- 
trag sehr empfehlen. Die sieben Divertissements sind als 
Studienwerke für die sieben Lagen der Geige bekannt. 
Aber wir meinen, daß einzelne Stücke daraus ihre Wirkung 
auch beim Konzertvortrage nicht verfehlen würden z. B. 
Siciliano und Menuetto aus dem ersten Divertissement. Das 
ganze dritte Divertimento ist ebenso dazu geeignet. 

Gehen wir weiter, so kommen wir an P. Rodes und 
R. Kreutzers Capricen. Wäre es denn gar so übel, den 
schwungvollen Marsch von R. Kreutzer einmal z. B. als 
Zugabe in einem Konzert zu hören ? Oder die zweistimmige 
Caprice von Fiorillo, No. 32 ? Wir meinen, daß diese Stücke 
in ihrer Art ebenso schön sind, wie viele der Soli, die mit 
Klavierbegleitung oft in Konzerten zu hören sind! Aus 
ihrer Zeit heraus verstanden, und stilgemäß zum Vortrag 
gebracht, bereichern sie zweifellos die Violinliteratur. 

Paganini pflegte die Musik für Violine allein sehr! Seine 
Capricen: No. 1, 6, 7, 9, 14, 21 und die Variationen No. 24, 
die Robert Schumann bekanntlich schätzte, und über 
deren Thema Joh. Brahms Klaviervariationen machte) 
sowie auch das Duo pour Violon seul sind hochinteressante 
Violinstücke, denen wohl poetischer Reiz abzugewinnen ist, 
wenn die Schwierigkeiten restlos bewältigt werden. Die 
großen Spannungen in der linken Hand, die ja nicht allein 
bei Geigern ein Hindernis für kleine Hände bilden, 
können sehr einfach dadurch ins rechte Verhältnis für sie 
gebracht werden, daß man sich einer kleineren Geige mit 
dünnerem Halse bedient, wie denn die italienischen Geigen- 
bauer sehr viele kleinere Formen anwendeten, um allen 
Spielern gerecht zu werden. Kleine Geigen mit großem 
Ton kommen doch öfter vor, als man annimmt! Heute will 
jeder Geiger ein großes Modell spielen ! Deswegen 
bauen unsere Geigenmacher heute nur große Modelle. 
Aber, ob es immer richtig ist (für kleinere Hände), solche 
großen Geigen zu spielen, mag dahingestellt bleiben. J eden- 
falls sollte jeder Lehrer seine Schüler mit kleinen Händen 
darauf aufmerksam machen, daß sie leichter die gewaltigen 
Anforderungen der modernen Violintechnik erfüllen, wenn 
sie auf einer kleineren Geige spielen, und die ungefähr zu 
ihrem Körperbau sich so verhaltende Geigengröße wählten, 
wie es dasselbe Verhältnis bei Spohrs oder Paganinis 
Körperbau zur Geigengröße war. Man bedenke doch, daß 
die Meister ihre Kompositionen darnach eingerichtet haben. 
Der Lehrer, der auf einer für die Hand 
des Schülers zu großen Geige spielen 
läßt, begeht ein pädagogisches Unrecht 
und erreicht weniger, trotz quälerischer Bemühungen 
seines Schülers. 

H. W. Emsts Werke sind ebenfalls sehr weitgriffig. 
Die mehrstimmigen Studien für Solovioline verraten schon 
beim äußeren Anblick des Notenbildes, daß sie vornehme, 
dem Instrument wahrhaft genial angepaßte Gedanken und 
Einfälle gewandter Kompositionstechnik vereinen. No. 1 
in Fdur (Laub gewidmet) ist ein Scherzo in Rondoform. 
Geistvoll ausgedacht und mit dem gesangreichen Mittel- 
satz in As dur wirklich kompositorisch ein Prachtstück! 
Die graziöse Etüde No. 2 (Saiton gewidmet) ist im Allegretto- 
tempo wegen der weiten Spannungen sehr schwer aus- 
zuführen, aber auch hier muß man die Erfindungsgabe 
Ernsts bewundern, wie sie erstaunliche Kombinationen hin- 
stellte. Man wünschte nur, Virtuosen ersten Ranges sich 
dieser Stücke annehmen zu sehen. No. 3 (Edur) ist 
Joachim gewidmet und bietet ein völlig neues Noten- und 


309 



Klangbild. Es scheint hier, als ob Joachim in seinen Ka- 
denzen zu den großen Violinkonzerten (Beethoven, Brahms) 
ganz auf Emsts mehrstimmigen Studien fußt, denn das 
Polyphone, was Joachims Kadenzen alle so unvergleichlich 
wertvoll und unersetzlich macht, findet sich hier bei Emst 
schon vor. Es ist nicht nur Scheinpolyphonie, was man 
oft annehmen möchte, da die Mehrstimmigkeit' der Geige 
doch beschränkt ist, nein, in innerer Vielstimmigkeit 
reihen sich, wie bei Bach, wertvolle Gedanken in der 2. und 
3. Stimme an das Hauptmotiv an. Bei Emst, Paganini, 
J. Bach und Joachim ist es erstaunlich, wie ganz neu- 
entdeckte Klangformen der Geige abgewonnen sind, 
so daß ein Komponist von heute fast behaupten könne, 
die Klangmöglichkeiten seien erschöpft und doch können 
sie nie ganz erschöpft werden! No. 4 der mehrstimmigen 
Studien von H. W. Ernst ist Vieuxtemps gewidmet. Wie 
der Schmetterlingsflug sich in unbestimmten geschweiften, 
oft hin und her schwingenden Kurven und Kreisen be- 
wegt, so fliegt auch dies Stück dahin und ist doch in 
harmonischer (nicht polyphoner) Mehrstimmigkeit durch 
Arpeggien volltönend genug, um den Gebrauch eines 
Begleitinstruments entbehrlich zu machen. 

An Hellmesberger ist das Fünfte gerichtet. No. 6 end- 
lich, die Variationen über die schöne Volksmelodie „Fetzte 
Rose“ sind wirkliche „Grüße an Freunde und Kunst- 
brüder“, wie Emst sie so schön nennt, aber auch zugleich 
an das Volk. Mit feinem Takt ist hier Künstlerisches und 
Volkstümliches verschmolzen, so daß bei dem öffent- 
lichen Vortrag des Stückes in Berlin dutch den jungen 
Heifez dies Stück ganz außerordentlich viel Freude be- 
reitete. Man kann sich auch wohl vorstellen, daß gerade 
das Volk dem Spiel einer Geige nahe steht, wie auch 
die vielen Volkstänze Norwegens (Hardangergeige) be- 
weisen. Und sollten nicht gar in Ungarn, dem Heimat- 
lande des Geigenspiels, Tänze und Lieder in Mengen für 
Geige allein komponiert sein ? Ohne Zweifel! Diese fehlen 
noch leider in unserer Literatur. 

Zu erwähnen ist bei H. W. Emst auch noch die Konzert- 
fantasie op. 26 nach der Ballade „Erlkönig“ von Fr. Schu- 
bert für Violine allein. Die Sache ist genial gemacht, wenn 
wir auch die Idee verwerfen müssen, weil wir zu sehr an 
Schuberts „Erlkönig“ denken müssen und dazu die tiefen 
Bässe gehören. Eher, als diese Ballade würde sich ein 
leichtfüßiges Elfenlied für Violine eignen, obgleich die beiden 
tiefen Saiten der Geige auch schauerlichen, dämonischen, 
oder naturromantischen Klängen nicht unzugänglich sind. 
Wir erinnern an die Legende von H. Wieniawsky, wo die 
Sechzehntel der G-Saite zu dem gehaltenen Ton der 
D-Saite so geheimnisvoll murmeln und tiefpoetische Er- 
innerungen im Hörer erwecken. Aber man sehe doch 
selber die Uebertragung des „Erlkönig“ von Emst an, 
vielleicht ist die Meisterschaft so stark, daß wir uns irren. 

Die 16 Melodien für Geige allein op. 80 und 81 von 
F. Mazas, sind äußerst geschickt und routiniert geschrieben. 
Zum öffentlichen Vortrag könnte man wohl aus op. 81 
auswählen, denn sie enthalten klangschöne melodiöse 
Musik, die selbst anspruchsvolle Hörer und Komponisten 
für Violine allein anregen könnte. Denn gerade bei Werken 
für eine Geige verfallen die Tonsetzer oft in den Fehler 
(aus Vorliebe für akkordisches Spiel) die Kantilene außer 
acht zu lassen. Op. 80 ist fast durchweg einstimmig, und 
doch liegt in diesem Stückchen ein gewisser Reiz, weil sie 
eben „einstimmig“ erfunden, und gedacht sind. Es 
ist bekanntlich ein Unterschied zwischen einer Melodie, 
die ohne Begleitung gedacht ist, und einer, welche unter 
Weglassung der Begleitung gespielt wird. Bei der ersteren 
fehlt nichts, denn die Einstimmigkeit ist auch in der Musik 
berechtigt. Wir erinnern nur an die Hirtenweisen im 
Tristan und an den katholischen gregorianischen Choral. 
Unter diesem Gesichtspunkt wäre es nicht ausgeschlossen, 
daß ein erfindungsstarker melodienreicher Tonsetzer uns 
mit Werken für ein Instrument beschenkte, die ihren 
Ursprung nur in der Einstimmigkeit haben, und zu denen 


wir, wenn wir sie unter den richtigen Voraussetzungen 
hören, auch keine Begleitung und keine Harmonie zu 
hören wünschen werden. 

Ch. de Benot nennt sein op. 109: 12 Scenes au Caprices. 
Auch dies Opus ist für eine Violine. Die Titel der 12 Sätze 
lauten: 1. Die Trennung. 2. Polka. 3. Die Eidechse. 
4. Die Abreise. 5. Die Aufwallung. 6. Das Panier (Banner). 
7. Die Laune. 8. Saltarella. 9. Die Königin. 10. Russischer 
Marsch. 11. Die Unruhe. 12. Der Trost. Die Sachen 
vereinigen, ähnlich wie die von Mazas, gefällige Melodie 
mit geschicktester Ausnutzung dankbarsten Wohlklanges. 
Gerade dieser Wohlklang ist, im Gegensätze zu den Werken 
mit vielen gebrochenen Akkorden (die, wie wir zugeben, 
ein notwendiges Uebel für diese Literatur genannt werden 
müssen), so wohltuend. Besonders hervorheben möchten 
wir „Polka“ und „Saltarello“, welche, äußerst humorvoll 
und dankbar, wirkliche Zugabestücke fürs Konzert genannt 
werden müssen. Tiefaufwühlende Seelenstimmungen wie 
bei Bach und Max Reger, finden wir nicht in all diesen 
bisher genannten Tondichtungen, es sei denn bei Paganini, 
der seine dämonisch-romantische Persönlichkeit auch nicht 
in einigen Kompositionen verleugnet, in welchen es gleißt 
und glänzt und aufblitzt von genialen Einfällen. 

Nicht genug bewundern kann man das Universalgenie 
J. S. Bachs, der für seine Zeit die Ausgiebigkeit der Geige 
in ihren Eigentümlichkeiten ebensogut kannte, wie ein 
genialer Virtuose und Entdecker neuer Klangwirkungen. 
W i e macht J. S. Bach die technischen Mittel der Violine 
dem Ausdruck dienstbar ! Dem E dur-Präludium fehlt, 
um recht allgemein verständlich zu wirken (ebenso wie der 
ersten Caprice von Paganini in E) die Ueberschrift: „Am 
Springbrunnen“. Es ist diese „Schumannsche“ Ueber- 
schrift so recht poetisch empfunden, und im Schumannschen 
Sinn ist auch F. David mit seinem Stücke „Am Spring- 
quell“ dem poetischen Zeitgenossen gefolgt. Hier bei den 
beiden vorgenannten Violinstücken paßt sie besonders 
gut. (Schluß folgt.) 


Meine Erinnerungen an Adolf Henselt. 

(Zum 100. Geburtstag des Meisters, 12. Mai 1914.) 

Adolf Henselt hat in seinem Leben in dreifacher Weise 

LX Hervorragendes geleistet: als ausübender Künstler, als 
■JL Jk Komponist und als unübertroffener Klavierpädagog. 
Daß er aber trotz seines großen Könnens als professioneller 
Konzertspieler zu den Glückssternen gerechnet werden könnte, 
wie z. B. Liszt, Rubinstein, Paganim usw., wird jedoch nie- 
mand behaupten wollen, der ihn näher gekannt hat. 

Henselt als ausübender Künstler und Komponist. 

Seine durch maßloses Arbeiten und Studieren zerrütteten 
Nerven zerstörten ihm als Konzertspieler sein höchstes Ideal 
und Lebensziel. Er hatte während seiner Studienzeit öfters 
zwölf Stunden täglich gearbeitet und geübt, um seinen Jugend- 
traum rascher erfüllt zu sehen, und nun rächten sich diese 
achtlos forcierten Ueberanstrengungen an seiner Gesundheit 
und seinen Nerven, deren Spannkraft und Ausdauer mit zu 
den Hauptbedingungen eines ausübenden Künstlers gehören. 

Sein Landesherr, der König Ludwig I. von Bayern, dem 
Henselts großes Talent bekannt geworden war, interessierte 
sich für seine Studien, die er in jeglicher Hinsicht förderte 
und unterstützte. Nach ihrer Beendigung in München bei 
Frau v. Fladt, in Weimar bei Hummel und in Wien bei 
Sechter schien Henselt der glänzendsten Karriere eines Kon- 
zertgebers ersten Ranges entgegenzugehen. Sein Spiel war 
so tadellos, so seelenvoll und ergreifend, daß es Musiker und 
Laien begeistert um ihn scharte. Aus jener Zeit datiert das 
vielleicht einigen bekannte, maßgebende, neidlos anerkennende 
Urteil Robert Schumanns, das er in seinem Briefe an Clara 
Wieck ausspricht. 

„Leipzig, 5. Januar 1838. 

Also Henselt war da! — unser erstes Sehen, ich kann es 
sagen war das wie zweier Brüder. So kräftig männlich und 
derb von Gestalt habe ich ihn mir nicht vorgestellt und seine 
Worte und Urtheüe entsprechen dieser äußeren Haltung. Nun 
sind wir aber von Stunde zu Stunde inniger geworden, ob- 
gleich ich gar nichts Rechtes von ihm weiß, als daß ich ihm 


310 



überaus gut bin, doch muß ich Dir sagen, daß er als Spieler 
alle Erwartungen übertroffen hat, die ich mir nach Euren 
Aeußerungen über ihn gemacht. Er hat wirklich oft etwas 
Dämonisches, etwas wie Paganini, Napoleon, die Schröder — 
dann kam er mir auch oft wie ein Troubadour vor, weißt Du, 
mit einem großen, schönen Barett mit Federn darauf. Seine 
Bedeutung wuchs in meinen Augen von Stunde zu Stunde; 
nur einige Mal, wo er sich zu sehr angestrengt im Spielen, 
traf ich ihn schwächer; im Ganzen aber steigerte er sich bis 
zum Augenblick wo wir Abschied nahmen und schüttete die 
Musik noch einmal wie aus Eimern.“ 

Welch hoher Meinung auch Liszt über das vollendete Klavier- 
spiel Henselts war, erhellt aus seiner Antwort Lenz gegen- 
über, der da gemeint hatte, daß Henselts Spiel große Fort- 
schritte gemacht habe: 

„Erlauben Sie mir Ihnen zu sagen, daß solche Künstler, 
wie Henselt einer ist, keine Fortschritte mehr machen.“ 
Unter dem Nachlaß Henselts fand man auch noch einen 
Brief seines I^hrers Hummel, den er pietätvoll über 50 Jahre 
aufbewahrt hatte und der auch beweist, wie Hummel seinen 
gewesenen Schüler zu fördern und ihm nach Möglichkeit zu 
helfen suchte. Schon damals muß der Plan, nach Rußland 
zu gehen, aufgetaucht sein, denn Hummel schreibt: 

„Lieber Henselt, 

Ich melde Ihnen, daß die Großfürstin den Obermarschall 
von Spiegel richtig Ihretwegen gesprochen hat; ich speiste 
gestern im Belveder, wo er mir auftrug Ihnen zu sagen, daß 
es am Besten wäre, wenn Sie zwischen dem 8. dieses Monats 
bis 24. hierher kämen, da in Bälde fremde Herrschaften ein- 
treffen würden, später sei er nicht gewiß, ob es noch angehen 
könnte, weil er noch nicht wüßte, was sodann vorgenommen 
werden würde. . , . Ihr Freund 

Weimar 2. Sept 1836. Hummel 

Alles huldigte damals Henselt — alles vergötterte ihn! — 
Sein ersehntes Ziel schien erreicht zu sein! .... — Da griffen 
plötzlich seine zerstörten Nerven wie böse Geister hemmend 
in seinen Lebensweg und verwandelten seine Ideale in eine 
leere Fata Morgana. Er hat selbst erzählt, obgleich er darüber 
nicht zu sprechen liebte, wie er einmal wieder in Petersburg 
konzertieren sollte, aufs Podium hinaustrat, sich ans Klavier 
setzte, spielen wollte — aber in diesem wichtigen, von ihm 
damals noch heiß ersehnten Augenblick plötzlich alles ver- 
gessen hatte, was er spielen sollte! 

Diese spontane, das Gedächtnis lähmende Nervosität nen- 
nen die Menschen wohl auch Lampenfieber, es ist aber in 
Wirklichkeit eine schreckliche, unbesiegbare Krankheitserschei- 
nung, gegen die die Aerzte bisher vergeblich kämpfen. 

Henselt mußte natürlich damals spielen — er tat es auch, 
aber mehr wie eine musikalische Somnambule. Ein Glück für 
ihn war’s, daß auf seinem Konzertprogramm am Anfang nur 
seine eigenen, noch ungedruckten Kompositionen verzeichnet 
waren und daß ihm sein musikalischer Genius leitend zur 
Seite stand; denn wie er zu spielen aufgehört hatte, wurde 
rasend applaudiert und er wurde unzähligemal herausgerufen. 
Alle waren begeistert und froh, nur er selbst fühlte den Tod 
aller seiner Hoffnungen im Herzen, und es wurde ihm all- 
mählich immer klarer, daß seine unberechenbaren Nerven ihm 
nicht mehr erlauben würden, als Konzertspieler seinen Sieges- 
weg zu gehen; denn hauptsächlich sie waren den damaligen 
Reisestrapazen und den mit dem programmäßigen Konzertieren 
verbundenen Aufregungen nicht gewachsen, sie trugen die 
Hauptschuld an seinem oft versagenden Gedächtnis. 

Unser Petersburger Hof, dem Henselts Spiel auch ungemein 
gefallen hatte, überhäufte ihn mit Ehrenbezeigungen, ernannte 
ihn 1838 zum Hofpianisten und späterhin, 1857, zum Musik- 
Inspektor aller weiblichen Kronerziehungsanstalten in Ruß- 
land, deren Musikpflege unter seiner Leitung stand. In diesen 
Instituten hatte er zweimal jährlich zu inspizieren, zu exa- 
minieren und in Petersburg den befähigteren Schülerinnen 
Klavierstunden zu erteilen. 

Nach den deprimierenden Erfahrungen war es wohl sehr 
natürlich, daß Henselt trotz seines vollendeten schönen Spiels 
späterhin eine gewisse Scheu, sogar eine heftige Abneigung 
gegen sein Auftreten in öffentlichen Konzerten empfand, von 
denen er auch nur wenige in seinem Leben gegeben hat. Er 
fühlte sich auf ein ganz anderes Arbeitsfeld gedrängt, auf dem 
er zum Nutzen .anderer ebenfalls Großes geleistet hat, auf 
das Arbeitsfeld eines Musikpädagogen. 

Seine peinliche Gewissenhaftigkeit und sein ausgezeichneter 
Unterricht waren den ihm unterstellten Anstalten bis an sein 
Lebensende von größtem Nutzen. Durch die Kronsanstellung 
avancierte Henselt bis zum Staatsrat und Ritter hoher Orden, 
welch hohe Auszeichnungen er in edler Bescheidenheit nie 
prahlerisch zur Schau trug. 

Da Henselts große Pflichttreue ihn dazu veranlaßte, seine 
ganze Zeit und Arbeitskraft den ihm anvertrauten Anstalten 
zu widmen, so kam er späterhin gar nicht mehr dazu, viele 
Original-Kompositionen herauszugeben, denn die täglichen, 
vom Morgen bis zum späten Abend dauernden ermüdenden 
Klavierstunden hingen bleischwer und lähmend an den Flü- 
geln seines Pegasus. 



Seine Werke umfassen nach den Angaben der Verlagsanstalt 
Jürgenson in Petersburg ungefähr 74 Original-Kompositionen. 
44 Transkriptionen, 167 Bearbeitungen und Kompositionen 
für zwei Klaviere zu 4 Händen, die Onslowsche Klavier- Sonate 
vierhändig arrangiert, eine Komposition für zwei Pianoforte 
achthändig, ein großes Konzert für Pianoforte und großes Or- 
chester, ein Trio und ein Duo für Horn oder Cello und Klavier. 
Eine Gesamtausg 
immer noch nicl 

bürg und Gutheil in Moskau bringen last alle seine 
werke in sehr gutem Druck und äußerst billig. Henselts 
großes Konzert in fmoll für Klavier und Orchester ist bei 
Breitkopf & Härtel erschienen. Sein Duo für Cello (Horn) 
und Klavier, das er zu seinen bestgelungenen Werken zählt, 
bei Spina in Wien. 

Da Henselt nächst der Orgel das Klavier als Interpret der 
Polyphonie über alle anderen Instrumente stellte, so hat er 
meist Klavier-Kompositionen geschrieben, die fast alle die 
Verkörperung tief em- 
pfundener Poesie von 

unnachahmlicher 
Klangschönheit sind, 
man könnte sie „Lie- 
der ohne Worte“ nen- 
nen , wie z. B. das 
Frühlingslied op. 15, 
die Fontaine op. 6, le 
Poeme d’amour op. 3 
No. I usw. Desglei- 
chen viele seiner ge- 
nial-poetischen, meist 
die gleiche Ausbildung 
beider Hände berück- 
sichtigenden klassi- 
schen Meister-Etüden 
op. 2 und 5. Sein schö- 
nes, den höchsten An- 
forderungen der Kunst 
entsprechendes Kon- 
zert in f moll, das auch 
nicht jeder Künstler 
imstande ist, schön zu 
spielen, scheint man 
ganz vergessen zu ha- 
ben, da man es so 
wenig mehr in den 
Konzertsälen hört. — 

Henselt hatte es der 
Großfürstin Olga von 
Rußland, der nach- 
maligen Königin von 
Württemberg, gewid- 
met. Die Erinnerung 
an ein feingeistiges Ur- 
teil Liszts könnte dem 
Konzert vielleicht zu 
einer Auferstehung 

und zu neuem Leben in den Konzertsälen verhelfen. Liszt 
schickte in einem Brief an die Baronesse Wjera Wrangel in 
Petersburg die auf einem Notenblättchen eigenhändig ab- 
geschriebenen acht Anfangstakte des Larghetto-Motivs aus 
Henselts Konzert mit folgenden Worten zu: 

„Un diplomate de bonne renommee disait jadis, aux princes 
il ne faut offrir que des fleurs cueillies dans leur jardin. 
Henselt appartient aux princes et agreera le Souvenir d’une 
des plus heiles fleurs de son noble jardinage. 

Tres humbles respects 



ADOI.F HENSEI.T. 


Weimar, 20. Mai 1883. F. Liszt.“ 

Deutsche Uebersetzung: 

„Ein Diplomat von gutem Ruf sagte mir einst: ,Den Für- 
sten muß man aus ihrem eigenen Garten gepflückte Blumen 
überreichen, ' Henselt gehört zu den Fürsten, er wird mir ge- 
statten ihm zur Erinnerung eine der schönsten Blumen seines 
edlen Gartens zu überreichen!“ 

Diesen Brief hat die genannte Dame der Petersburger 
Kais, öffentlichen Bibliothek geschenkt. Er wurde mit dem 
schönen Urteil Liszts, dessen Devise stets war: „Gönie oblige“, 
zur 25jährigen Jubiläumsfeier im Palast des Prinzen Peter 
von Oldenburg öffentlich Henselt vorgelesen und rührte ihn 
bis zu Tränen. 

Wenn man das feingeistige Urteil Liszts liest und auch 
seinen Ausspruch über die Weber- Henseltsche Komposition: 
„Episodischer Gedanke! Nur Du allein konntest etwas so 
schön machen,“ so möchte man unwillkürlich auch Liszts 
Manen zurufen: „Nur Dü allein konntest so anerkennend 
feinsinnige Kritiken schreiben, die selbst schöne Blumen aus 
Deinem eigenen Garten sind.“ 

Selten fand. Henselt eine Komposition auch der von ihm 
verehrten Meister vollkommen schön; er hatte, besonders in 
seinem Alter, einen merkwürdigen Drang, immer wieder einige 
Stellen darin zu verändern. Fast in jedem Heft auch seiner 


311 


eigenen Kompositionen, die ich bei ihm spielte, waren viele 
Stellen von seiner Hand mit Bleistift immer wieder verändert 
worden. Dieses Schönheitsgefühl hat ihn auch im Alter dazu 
verlockt, mit Doppellinien versehene Editionen unter dem 
Titel „Compositions classiques et modernes arrangees et 
doigtees ä l’usage des Etablissements imperiaux d’Education“ 
usw. herauszugeben, es dadurch natürlich jedem überlassend, 
das Original mit oder ohne die kleinen Veränderungen zu 
spielen. Bei Henselt war es durchaus nicht Selbstüberhebung, 
was ihn zu dieser „Korrektur“ veranlaßte, sondern nur der 
unbesiegbare Drang, einen schönen Gedanken noch vorteil- 
hafter erscheinen zu lassen. Ein unparteiischer Kritiker wird 
wohl zugeben müssen, daß viele Kompositionen auch der be- 
rühmtesten Musiker durch die Henseitsche Wiedergabe nur 

f ewonnen haben, wie z. B. die Webersche „Aufforderung zum 
änz“, die Polonaise, das Konzertstück, die dmoll-Sonate 
desselben Meisters, die Liszt-Henseltschen „Reminiscences de 
Lucia di Lammermoor“ usw. Ein origineller Brief Liszts an 
Henselt bestätigt das eben Gesagte: 

„Hochverehrter Freund, 

Die Originalwerke Adolph Henselt’s sind edelste Kunst- 
juwele. Man verlangt nach Vermehrung derselben. 

Nebenbei wenn sich Henselt anläßt, andere Coinpositionen 
zu bearbeiten, interpretiren, effectuiren, gelingt es ihm so vor- 
züglich, daß Publicum, Pianisten und die Compositionen damit 
bereichert und begünstigt werden. Selbst meine geringe 
Lucia Transcription hat sehr gewonnen durch Deine Inter- 
pretirung, verehrter Freund. Herzlichen Dank für diese Re- 
minescenz unserer Petersburger Vertraulichkeit. 

Das Correctur-Exemplar schickte ich Dir einfach zurück 
unverändert und ungestrichen, weil alle Varianten vortreff- 
lich passen und überlasse ferner Deinem Belieben über die 
Herausgabe zu bestimmen. 

(In Rußland gilt wohl das deutsche Eigenthumsrecht Hof- 
meisters nicht?) 

Morgen gehe ich nach Paris, und werde dort Deiner Em- 
pfehlung der russischen Instrumente Folge leisten. 

Viele Deiner Verehrer. erzählen miroftmalen von Dir, zunächst 
Zschocher und Töpfer. . Ab und zu kommst Du nach Dresden 
und Leipzig. Warum nicht bis Weimar? • Beantworte persön- 
lich diese bescheidene Anfrage bei Deinem alten 

verehrungsvoll ergebenen 
Weimar, 5.. Juni 1878. F. Liszt.“ 

Nicht allein bei Liszt, sondern auch bei anderen bedeuten- 
den Musikern fanden Henselts Bearbeitungen und kleine 
Varianten große Anerkennung, was wir auch wieder aus einem 
Brief Hans von Bülows ersehen können, in dem er Henselt 
schreibt: 

„Hochgeschätzter Herr und Meister. 

Sie werden zweifelsohne ein wenig ärgerlich sein, daß ich 
das mir von Ihnen gütigst geliehene Manuscript Ihrer wahr- 
haft bezaubernden Bearbeitung der Weberschen D moll Sonate 
nicht noch während Ihres Sommeraufenthalts in Gersdorf 
zurückerstattet habe. Wohl trage ich die Verantwortung 
nicht aber ganz die Schuld. Ich habe eine sehr traurige Zeit 
durchgemacht, erst seit 14 Tagen bin ich von meinen körper- 
lichen Leiden so weit hergestellt worden, daß ich meine 
Clavierstudien wieder beginnen konnte. Der Copist hatte 
mich im Stich gelassen, — was^blieb mir übrig, als eine Ab- 
schrift Ihrer Bearbeitung meinem Gedicht-Museum einzuver- 



ADOLF v. HENSELT. 


leiben, denn unbenutzt wollte ich Ihre liebenswürdige Er- 
laubniß keinesfalls lassen, mein Concertrepertoir für nächsten 
Winter mit dieser Perle zu bereichern. Ich hoffe Ilmen mit 
meinem Vortrag derselben keinen Anlaß zu geben die erwiesene 
Gunst zu bereuen, vielleicht sogar später mich der anderen 
würdig zu machen nämlich der Mitteilung Ihrer Effectuirung 
der zweiten Weberschen Sonate. Herzlich wünsche ich, daß 
diese Zeilen welche nebst dem Manuscript von der Schlesinger- 
schen Musikhandlung zur Beförderung freundlich übernommen 
worden, Sie hochverdienter Meister in erträglicher Gesundheit _ 
und glücklicher Heiterstimmung treffen mögen. 

Mit dankbarster Empfindung gedenke ich stets der beneidens- 
werten Stunden die ich das Glück hatte mit Ihnen in Peters- 
burg zu verleben, vor Allem des unvergleichlichen Genusses 
die mir durch Ihre Güte eines Tages zu Theil ward, Ihrem 
unvergleichlichem Klavierspiel lauschen zu dürfen. Dasselbe 
hat sich mir, ich kann sagen, in ziemlich festen Zügen ein- 

f eprägt. Wenn ich jetzt nach einer langen unfreiwilligen 
üuse mit verdoppelter Aufmerksamkeit wieder an meine 
Uebungen begebe, schöpfe ich aus jener Erinnerung noch Be- 
lehrung und Anregung. 

Darf ich mir erlauben Ihnen beifolgende Arbeit zu Füßen 
zu legen, mit welcher ich glaubte einen nicht unnützlichen 
Beitrag für die Kenntniße der Klavierliteratur im größeren 
Publikum, so wie ein, zu instrucktiven Zwecken brauchbares 
Hülfsmittel zu liefern. Ich würde sehr glücklich sein, wenn 
es Ihren Beifall fände; doch beanspruche ich keineswegs Sie 
zu etwaiger Aeußerung derselben zu veranlassen. Ich darf 
an mir loben, daß ich die Kostbarkeit der Zeit großer Meister 
zu respectiren verstehe. 

Es wird Sie interessiren zu hören daß ich meinen Schwieger- 
vater Dr. Franz v. Listzt bei seinem kurzen Besuch in Deutsch- 
land während des vergangenen Herbstes in kräftigstem Wohl- 
sein und frischer Productivität gefunden habe. Leider hat 
meine Krankheit mich verhindert ihn auf seinen Excursionen 
nach Carlsruhe, Lövenberg, Weimar und Paris zu begleiten 
und ist mir also das seltene Glück eines längeren Zusammen- 
seins sehr geschmälert worden. Meine Frau hat ihren Vater 
noch nach Paris gebracht, von wo er vor etwa zehn Tagen 
sich nach Rom zurückbegeben hat, das er leider als seine 
letzte Heimath, für die Zukunft betrachtet. Bei dieser Ge- 
legenheit bin ich so frei Ihnen anzuzeigen, daß ich im Be- 

f raffe stehe nach München überzusiedeln, wohin mich der 
lönig Ludwig II v. Bayern berufen hat. Ich halte diesen 
Wechsel meines Wirkungskreises in jeder Beziehung für einen 
vortheilhaften. Die Ueberanstrengungen zu denen mich das 
Berliner Leben nötigte, die vielen damit verbundenen sterilen 
Nervenaufregungen verdanke ich ja, zumeist mein körper- 
liches Leiden von diesem Sommer. 

Während der zweiten Hälfte des Winters gedenke ich mein 
Concertgeben in Berlin, Hamburg, Dresden u. s. w. wieder 
aufzunehmen und überall mit der Dmoll von Weber zu er- 
öffnen. Ihrem Wunsche gemäß werde ich den Namen des 
Bearbeiters unerwähnt lassen. Dagegen legen Sie es mir 
hoffendlich nicht als Indiscretion aus, daß ich den sehr musik- 
verständigen persönlich gentlemanliken Nachfolger des Herrn 
Schlesinger, Herrn Robert davon schon gesprochen, der sehr 
darauf brennt mit Ihnen wegen deren Bearbeitung in Unter- 
handlung zu treten. — 

Ich habe schon zu lange Ihre Zeit in Anspruch genommen, 
hochverehrtester Herr. Sie haben Besseres zu thun, als aus- 
wärtige Briefe zu lesen. Darf ich die Bitte anfügen mir ein 
freundliches, wohlwollendes Andenken zu bewahren. Von 
meiner Seite dürfen Sie sicher überzeugt sein, daß ich mich 
stets mit Ihren schönen Werken, so weit sie meinen geringen 
Fähigkeiten zugänglich, beschäftigen werde. Genehmigen Sie, 
hochverehrter Meister, den Ausdruck unwandelbarer Bewun- 
derung und dankbarer Anhänglichkeit, mit der ich die Ehre 
habe mich zu zeichnen 

Ihr ganz ergebener Diener 

Berlin 27. October 1864. Hans von Bülow.“ 

Der kleinste Teil eines Konzertpublikums wird wohl die 
kleinen Varianten bemerken und sich nur von dem schöneren 
Gesamteindruck beeinflussen lassen, was auch ein so großer 
Klaviermeister wie Hans v. Bülow in dem angeführten Brief 
anerkannt hat. Daß Henselt sich sogar an Beethoven heran- 
gewagt hatte, haben ihm viele verübelt und seine Feinde 
haben es zu Hetzereien benutzt. Da aber ein Brief immer 
zu den besten Kommentaren gehört, so halte ich es für meine 
Pflicht, einen solchen von Henselt selbst an Bülow anzuführen, 
um mit seinen Anschauungen in dieser Angelegenheit bekannt 
zu machen und den Beweis zu liefern, daß es durchaus nicht 
Selbstüberhebung war, die Henselt zu diesen „Studien“, wie 
er es selbst nannte, gedrängt hatte. 

„Hochzuverehrender Meister, 

Nicht länger ertrage ich den Anschein als wäre mir die 
Erfüllung eines Ihnen gegebenen Versprechens etwas Gleich- 
gültiges, während ich von Verehrung all Ihrer bis zur Meister- 
schaft gediehenen Vielseitigkeit durchdrungen bin, und Ihnen 
dieselbe bei jeder Gelegenheit an den Tag legen möchte. Da 
ich aber diese meine Gefühle durch Bearbeitung der Weber 


312 








Faksimile des Briefes Hümmels an Henselt. 


Emoll Sonate nicht zu bethätigen im Stande bin und sie 
Ihnen blos Enttäuschung und die Unannehmlichkeit es mir 
zu sagen einbrächte, so greife ich natürlich zu dem, was 
ich eben habe und theile Ihnen in größter Intimität eine 
, Studie' über Beethoven mit, welche Sie gleichviel ob ein- 
verstanden oder nicht, wenigstens ein einziges Mal mit 
Interesse durchblättem werden, Ich weiß wohl, daß man mit 
Beethoven nicht wie mit Weber verfahren kann, bin aber 
überzeugt, daß Beethoven manchen Fortschritt in der Piano- 
behandlung nicht unbenutzt und z. B. ein so langes in Be- 
wegung gleichförmiges Stück, nicht ohne jegliche Steigerung 
gelassen naben würde. 

Dem sei übrigens wie ihm wolle, der Zweck meiner Sen- 
dung ist kein anderer als meine oben ausgesprochenen Ge- 
fühle zu bezeigen. 

In innigster Hochachtung 
ergebenst 

St Petersburg, 26 Sept 1885. Adolf Henselt“ 

Solcher „Studien“ über Beethovensche Sonaten, bei Gut- 
heil in Moskau herausgegeben, gibt es mehrere: Op. 13, — 
26, — 27 No. 2, op. 31 No. 2, op. 53 — 57 — 90. Es sind, 
wie gesagt, durchaus keine Korrekturen, sondern nur „Stu- 
dien“, veranlaßt durch die fortschreitenden Piano-Konstruk- 
tionen. 

Da alles wirklich Musikalische stets Henselts ganzes Inter- 
esse in Anspruch nahm, so stand er auch stets unter dem 
Zauber des poetischen, russischen Liedergeistes, denn eine 
Unzahl russischer Gesänge von Glinka, Soumaroknf, Ala- 
bief, Kotschubey, Wielhoursky, Davydow, Tschaikowsky, 
Taneef usw. hat er meisterhaft schön transkribiert. 

Henselt als Pädagog und Mensch. 

Niemand wird wohl Adolf Henselt das tiefste Mitgefühl ver- 
sagen, der da weiß, was es zu bedeuten hat, wenn ein von 
Freiheitsliebe und Schönheitsidealen beseelter Künstler, der 
durch sein Können die höchsten Höhen der Kunst erreicht 
hat, plötzlich durch jenen unbesiegbaren Nervendämon dazu 
verdammt wird, sein ganzes Leben hindurch Schülergeklimper 
anzuhören und den täglichen Aerger nicht allein mit den 
Schülern, sondern auch mit den ihm unterstellten Lehrkräften 
zu haben, die aus Bequemlichkeit und Unlust nicht immer 
den Anforderungen ihres Inspektors nachkommen wollten 
(worüber Henselt in einem Anhang zu seiner Broschüre „Ueber 
Klavierunterricht“ schwere Anklage führt, da das ewige Er- 
innern seine Geduld erschöpft zu haben scheint). 

Sigismund Thalberg gehörte auch zu den Freunden Hen- 
selts, die ihm wohlwouten und ihn ebenfalls der Schulmeisterei 
zu entreißen suchten. Nichts ahnend schrieb er ihm und lud 
ihn dringend ein, in London zu konzertieren; es wäre aus 
doppelten Gründen für ihn vorteilhaft; er schrieb unter an- 
derem: 


„Brighton, 19. Sept. 1839 
Verehrtester Freund. 

wegen der .Robert'-Variationen und etwa an- 
deren Piecen welche Sie stechen lassen wollen, habe ich mit 
dem Hause Cramer und Edditon (unstreitig jetzt das größte 
Haus in London und auch mein Verleger) gesprochen. 

Diese Herren nehmen Ihre Sachen sehr gern, allein trotz 
meinen Bemühungen, muß ich Ihnen gestehen, daß Sie sich 
nicht auf ein bedeutendes Honorar gefaßt machen müssen, 
denn dazu müssen Sie schon in England gewesen sein und 
die Sachen gespielt haben, wenn Sie einmal das thun, so wer- 
den Sie mehr als das Doppelte dafür bekommen, deshalb 
möchte ich Ihnen auch raten, so wenig wie möglich heraus- 
zugeben bevor sie England und Paris besucht haben. 

Wenn reisen Sie, lieber Freund, ich kann es nicht erwarten 
Sie einmal aus der Schulmeisterei zu wissen, auch möchte 
ich gar zu gern überall dabei sein, wenn Sie debutiren wer- 
den. Zagen Sie nicht, denn wenn Sie nicht festes Vertrauen 
haben, wer soll dann vertrauen? Also wie gesagt, geben Sie 
so wenig als möglich heraus und reisen Sie bald. — Ich bleibe 
noch zwei Monate in England 

Ich umarme Sie herzlich 

S. Thalberg.“ 

Um einen Begriff von Henselts Lehrmethode und seinen 
peinlich gewissenhaften Stunden zu bekommen, braucht man 
nur seine mit vielen Notenbeispielen versehene, in Notenheft- 
form bei Stellowsky unter dem Titel „Ueber Clavierunter- 
richt, einige Bemerkungen aus langjährigen Erfahrungen usw.“ 
herausgegebene Broschüre kennen zu lernen, die im Auslande 
wenig bekannt ist, jedoch manche Musikpädagogen und 
Pianisten interessieren würde, ebenso wie seine drei Hefte 
„Meister-Studien“ mit dem Vorwort Dr. Julius Aislebens, 
welche nach dem Tode Henselts in Berlin im Verlage von 
Challier & Comp, erschienen sind. 

Ganz ausgezeichnet für Lehrzwecke sind auch seine „Exer- 
cices präparatoires ä l'usage des Etablissements Impäriaux 
d’Mucation“ und ein weit umfangreicheres Heft „Exercices 
pr6paratoires“. Interessant und poetisch sind auch seine kur- 
zen „Präambules dans tons les tons“. Die Vorzüglichkeit 
seiner schon vorhin besprochenen 24 Meister-Etüden sind so 
allgemein bekannt, daß es unnütz ist, ihrer weiterhin hier 
noch zu erwähnen. Eine bewundernde Anhänglichkeit be- 
kundete Henselt sein ganzes Leben hindurch den Cramerschen 
Etüden gegenüber, zu denen er wunderschön und poetisch 
ein zweites Klavier hinzukomponiert hat und die er fast alle 
seine Schüler spielen ließ. Ich sehe noch den Meister, wie 







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Faksimile der letzten Seite des Briefes Hans v. Bfilows an Henselt. 


313 



er begeistert die Cramerschen Etüden in die Höhe hebend 
ausrief: „Das ist Moses mit den Gesetztafeln.“ 

Da Henselt natürlich das Ensemblespiel beim Klavierunter- 
richt für durchaus notwendig hielt, so hat er auch zu den 
Bertinischen Etüden als Vorbereitung zu den Cramerschen zu 
mehreren Moschelesschen Etüden und zu einigen seiner eige- 
nen ein zweites Klavier hinzugedichtet. Seine sogenannte 
„Vöglein-Etüde“ mit vorhergehender Romanze für zwei Kla- 
viere würde zu jeder Zeit auch eine interessante Nummer im 
Konzertsaal abgeben. Henselt zog gleich einer Biene den 
Melodien-Extrakt aus einer jeden Etüde für sein zweites Kla- 
vier heraus, oder komponierte eine passende Melodie hinzu, 
so daß das sogenannte zweite Klavier zur ersten Stimme 
wurde und die Etüden nur als Begleitung dazu gespielt wur- 
den. Da es Henselt meisterhaft verstand, dadurch auch der 
trockensten Etüde einen besonders poetischen Reiz zu ver- 
leihen, so können diese allen Musikpädagogen und Konserva- 
torien nicht genug empfohlen werden. 

Auf ein schönes legato, richtige Phrasierung und einen be- 
quemen normalen Fingersatz legte Henselt großen Wert und 
schenkte dem Auskalkulieren des Fingersatzes größte Auf- 
merksamkeit. Um bei der Stimmführung in den Fugen und 
auch sonst den fortlaufenden Gesang der einzelnen Motive 
so wenig wie möglich zu unterbrechen, gebrauchte er öfters 
den lautlosen raschen Fingerwechsel auf ein und derselben 
Taste. Alles vergaß er beim Spiel um sich herum: Schüler, Zeit 
und Ort; wenn auch manchmal ein Viertelstündchen von der 
Lektion darauf verwendet wurde, so war der Vorteil dieses ernsten 
Mitstudierens gewiß ein weit größerer als das verständnislose 
Herunterspielen vieler Stücke. 

Im Fugenspielen hat Henselt, trotzdem er durch und durch 
Romantiker war, wohl die meisten Pianisten übertroffen. 
Eine jede Stimme trat dermaßen plastisch mit ihren Motiven 
aus den sie begleitenden Füllnoten hervor, daß auch ein Musik- 
laie sie verfolgen und verstehen konnte. 

In Henselts Stunden wurde es den Schülern erst klar, daß 
scheinbar unüberwindliche Stellen mit dem für eine jede Hand 
praktisch ausgetüftelten Fingersatz zuletzt doch leicht er- 
scheinen und er der richtige Stratege fürs Ueberwinden. von 
Schwierigkeiten war. 

Ewig hatte Henselt gegen den allgemeinen Fehler der fleis- 
sigen, temperamentvollen, aber ungeduldigen Schüler zu käm- 
pfen, die beim Ueben eines ihnen aufgegebenen Stückes es 
immer wieder mit allen Fehlern von Anfang an durchspielen, 
ohne die ihnen schwierigen Stellen gleichsam herausschälend 
unabhängig vom Ganzen zu üben. Beim ersten Kennenlernen 
und Einüben einer Komposition, in der von ihm sogenannten 
ersten „Sitzung“, ließ er der Genauigkeit wegen jede Hand 
zuerst allein ihren Part dechiffrieren; ebenso ließ er beim 
Einüben schwieriger Stellen immer abwechselnd nur eine Hand 
üben, während die andere in Septimen-, Nonen- oder De- 
cimen-Akkorden je nach der Größe der Hand, auf lautlos 
niedergedrückten Tasten liegend, Dehnübungen machen mußte, 
aber me bis zur Ermüdung, um die Muskeln nicht zu über- 
anstrengen; darauf sah er streng. 

Durch ein derartiges Ueben entsteht natürlich ein sehr reines, 
gleichmäßiges, korrektes Spiel, wobei nie die eine Hand zum 
sogenannten „cache d£sordre“ der anderen wird. Die Dehn- 
übungen sind bei kleinen Händen besonders in jungen Jahren 
von großem Nutzen. Wenn man die Hand ganz am unteren 
Rand der Tasten ausgespannt hält, und dabei fast kein Hohl- 
raum zwischen der Hand und den Tasten entsteht, dann hat 


man eben alles an Dehnübungen mit seiner Hand getan, was 
man hätte tun sollen. 

Als ich mich nach Absolvierung des Stuttgarter Konser- 
vatoriums bei Henselt als Schülerin meldete, sagte er gleich: 
„So kleine Hände, was könnten Sie spielen?“ 

„Oh, Meister!“ antwortete ich ihm darauf, „meine Hände 
sind wie die Fledermäuse; wenn ich sie ausbreite, sind sie 
sehr groß, und ich greife mit Leichtigkeit Nonen-Akkorde, 
denn ich habe immer nach Ihrer Methode beim Ueben ab- 
wechselnd mit beiden Händen Dehnübungen gemacht!“ 

Er lächelte verständnisvoll, und ich hatte nach einigen 
Lektionen die Genugtuung, daß er mir sagte: „Ich sehe, Sie 
können alles spielen.“ 

Henselt selbst hatte verhältnismäßig kleine, breite Hände 
mit kurzen Fingern, aber fast in allen seinen Kompositionen 
findet man riesige, weitschweifende Akkorde, so daß man auf 
kolossale Hände hätte schließen können. 


Henselt war jederzeit ohne Bedenken bereit, nicht allein 
seinen Schülern und Mitarbeitern, sondern auch ihm ferner- 
stehenden Mitmenschen, falls sie in Not waren, so viel wie 
möglich zu helfen, manchesmal sogar auf Kosten seiner eige- 
nen Kräfte; auch ließ er sich durch die oft erfolgte Undank- 
barkeit nicht irre machen. 

Als Henselt von der großen Verlegenheit Anton Rubin- 
steins, des damaligen Direktors des kaiserl. Petersburger Kon- 
servatoriums hörte, die durch den Austritt der vier Pro- 
fessoren von Barwowka, Wölfel, Lütsch und Missendorf ver- 
ursacht worden war, schrieb er ihm gleich folgenden Brief: 

„Petersburg 4. Nov. 1887 
Lieber Herr Rubinstein. 

Ich habe gehört, daß Sie nachdem einige Professoren das 
Conservatorium verlassen haben, über Ihre Kräfte arbeiten 
wollen, dieses kann ich nicht zulassen, daher biete ich Ihnen 
von meinen noch nachgebliebenen Kräften sechs bis acht 
Stunden wöchentlich an, . aber nur mit der Bedingung, daß 
ich bei keiner Oeffentlichkeit eine Rolle spiele. Sobald Sie 
die nötigen Kräfte gefunden, ziehe ich mich sofort zurück. 

Ad. Henselt.“ 

Der hier folgende kurze, vielleicht Manche interessierende 
Briefwechsel zwischen beiden berühmten Meistern motiviert 
zur Genüge den Ein- und Austritt Henselts aus dem Kon- 
servatorium. An demselben Tage, an dem Henselt schrieb, 
kam die dankbar anerkennende Antwort Rubinsteins. 

„Petersburg 4. Nov. 1887 
Lieber Herr Henselt. 

Meine ganze CarrMre habe ich basiert auf künstlerische Be- 
friedigung; in letzter Zeit bin ich irre geworden, beinahe zur 
Erkenntniß gekommen, daß die Künstler nicht edler sind, 
als das Publikum; — da kommt Ihr Brief — also je vois, je 
sens, je croisü 

Gestatten Sie mir, mich ein paar Tage umzusehen und Ihnen 
dann mündlich zu antworten. 

Ihr in künstlerischer Brüderschaft 

Ant. Rubinstein 1 .“ 

Da man von hoher Seite auch riet, mit beiden Händen zu- 
zugreifen, so wurde Henselt Professor am Konservatorium. 
Aber schon nach einem Jahr bittet er Rubinstein in einem 
leider verloren gegangenen Schreiben um eine Gehilfin, was 
aber dieser ihm in folgenden Zehen rundweg abschlägt: 

„Sehr geehrter Herr Henselt. 
Es ist mir für dieses Jahr 
anz unmöglich, das Cadre 
er angestellten Lehrer und 
Lehrerinnen im Conserva- 
torium zu vergrößern, auch 
würde die Zulassung einer 
Gehülfin in Ihrer Classe Ihre 
Stundenzahl verringern, was 
ich unmöglich zulassen 
möchte und Ihre Schüle- 
rinnen zu sehr zu bedauern 
haben würden, ich hoffe wir 
lassen Alles wie es bisher 
war, ich freue mich auf’s 
baldige Wiederseh’n 
Ihr 

Anton Rubinstein.“ 
Petersburg 9. März 1888. 
Die ganze Angelegenheit 
scheint sich nach der hier 
folgenden Henseltschen Ant- 
wort leider zu beiderseitiger 


1 Seinen Namen hatte 
Rubinstein in diesem Brief 
in anerkennender Beschei- 
denheit vor Henselt sogar 
ausgestrichen. 






314 



Unzufriedenheit zuzuspitzen und auf eine baldige Trennung 
hinzudeuten. Henselt antwortet: 

„Mein lieber Rubinstein. 

Das sind nur Flausen! warum haben Sie mir so hohes 
Honorar angeboten? ich wollte gar nichts haben, nicht nötliig, 
und mit der Hälfte hätte ich auch zufrieden sein können! 
Jetzt werde ich das was ich für nöthig erachte auf privatem 
Wege erzielen und daran kann mich Niemand hindern und 
zwar durch ein conservatorisches Element in der Person des 
Frl. Blumenthal. 

Auf baldiges Wiedersehn 

9. März 1888. Ihr Henselt“ 

Die beiden hier nun folgenden Briefe scheinen die Kata- 
strophe heraufbeschworen zu haben, denn am 11. Mai 1888 
schreibt Rubinstein: 

„Hochgeehrter Herr Henselt. 

„Wie schmeichelhaft für mich und ehrend für das Conser- 
vatorium es auch ist, daß Sie geneigt sind, auch nächstes 
Jahr Ihre Tätigkeit 
diesem Institute zu 
widmen, so sehe ich 
mich doch verpflichtet 
Ihnen zwei Punkte 
mitzuteilen, die mich 
leider zweifeln machen 
müssen, daß Sie sie 
anzunehmen gewillt 
sein werden. 

1) ist das Budget 
des Conservatoriums 
so sehr im Deficit, 
daß Einschränkungen 
in jeder Beziehung zu 
machen als unabwend- 
bar sich herausstellen; 
ich Ihnen daher lei- 
der nicht mehr als 
100 Rbl für die jähr- 
liche Stunde vom 
näehstenLehrsemester 
ab bieten kann, 

2) ist die persön- 
liche Mitwirkung der 
Professoren an Sit- 
zungen, Musikalischen 
Schülerabenden und 
bei Examina unab- 
wendbar, was wie Sie 
mir erklärt haben, 

Ihnen durchaus nicht 
zusagt. — 

Sollten Sie jedoch 
diese zwei Punkte 
nicht abschrecken und 
sollten Sie sie anzu- 
nehmen nicht abge- 
neigt sein, so spreche 
ich Ihnen hiermit mei- 
nen herzlichen Dank 
aus und erwarte Sie 
mit offenen Armen im- 
Conservatorium am 
15. September d. h. 
an dem Zeitpunkt den 
Sie mir selbst ange- 
zeigt haben. Selbst- 
verständlich würden Sie dann einen Gehülfen (Herren oder 
Dame) zu bestimmen haben, die ohne Einwendung gegen ge- 
setzliches Honorar angenommen werden und zur selben Zeit 
mit Ihnen in Function eintreten können. 

Mit besten Wünschen zu einer glücklichen Reise und ge- 
sunder Rückkunft 

Ihr 

Ant. Rubinstein. 

Ich erwarte mit Ungeduld umgehend eine gefällige Antwort.“ 

Erst am 13. Mai gibt Henselt folgende definitive abschlägige 
Antwort: 

„Hochgeehrter Herr Rubinstein. 

Der erste Punkt nämlich der Geldpunkt spielt keine Rolle, 
denn ich habe ja meine Dienste unentgeldlicn angetragen und 
anstatt dessen haben Sie für mich ein so sehr hohes Honorar 
bestimmt, welches ich (freilich von einem ganz anderen Ge- 
sichtspunkte aus) sehr hoch angeschlagen wußte. Leider aber 
ist der zweite Punkt für mich unerfüllbar, indem ich aus 
meiner Natur heraus treten müßte, welches mir in meinen 
75 Jahren zu schwer fallen würde. Es ist mir sehr leid, daß 
meine gute Absicht nicht zu einem besseren Resultat führen kann. 

Ihnen und Ihren lieben Angehörigen einen glücklichen Som- 
mer und gute Gesundheit wünschend verbleibe 

Ihr dankbar ergebener 

13. Mai 1888. . Ad. Henselt.“ 


Die alte Erfahrung, daß es nicht gut ist, zwei Herren zu 
dienen, bewahrheitete sich im Konservatorium auch bei dieser 
Gelegenheit. Gerade in dem Hauptpunkte, der Heranziehung 
der Lehrkräfte an die Oeffentlichkeit, wollte Rubinstein Henselt, 
trotz seinem hohen Alter, keine Konzessionen machen, son- 
dern vertröstete ihn nur mit der Aussicht auf eine Hilfskraft, 
was aber nicht mehr zog. So trennten sich denn die beiden 
Koryphäen nach kurzem Zusammenarbeiten, an Idealen 
ärmer, aber um so reicher an Erfahrungen. 

Wie väterlich gütig Henselt seinen Hilfskräften gegenüber 
war, erzählt uns folgende Episode. Eines Tages sagte er einer 
seiner Gehilfinnen, Frl. Calvoer: „Sehen Sie, ich habe drei 
so schöne neue Flügel und die arme Heinrichsen (eine seiner 
treuesten Mitarbeiterinnen) hat einen so alten, ausgespielten 
— ■ was glauben Sie, könnte ich nicht einmal, wenn sie nicht 
zu Hause ist, meinen neuen .Beckerschen' Flügel gegen ihren 
alten Umtauschen ? Gern würde ich ihr Gesicht bei Entdeckung 
dieser Metamorphose sehen?“ Bald darauf führte er auch 

wirklich diesen Vor- 
satz aus, und der 
Flügel ist noch heute 
im Besitz des Frl. 
Sophie Heinrichsen 
in Petersburg. Diese 
selbe Dame hat mit 
so vielen anderen teil- 
weise auch ihre ganze 
Existenz Henselt zu 
verdanken. Als dieser 
erfuhr, daß ihre ihm 
wenig bekannten El- 
tern fast an einem 
Tage an der Cholera 
gestorben waren und 
tiinf mittellose Wai- 
sen hinterlassen hat- 
ten, von denen die 
älteste erst 17 Jahre 
alt war, gab Henselt 
ihnen unentgeltlichen 
Musikunterricht und 
erwirkte vom Prinzen 
Peter von Oldenburg 
die Erlaubnis, sie in 
verschiedenen Erzie- 
hungsanstalten unter- 
zubringen. Die er 
selbst musikalisch er- 
zogen hatte, stellte er 
später als Musiklehre- 
rmnen in den ihm an- 
vertrauten Instituten 
an. — Bei der Begna- 
digung des berühmten 
russischen Schriftstel- 
lers Dostojewsky aus 
seiner Verbannung 
war auch Henselt in- 
direkt beteiligt. Wo 
es galt, jemand etwas 
Gutes zu tun, da war 
Henselt jederzeit da- 
zu bereit. 

Henselt muß in sei- 
nem Alter in Peters- 
burg wohl ein ganz 
anderer Mensch geworden sein, als wie ihn „Diehl“ in seinen 
„musikalischen Erinnerungen“ als jungen Mann in Schlesien 
beschrieben hat. Solch einen Unterricht, wie ihn Diehl schil- 
dert, haben weder ich noch meine Bekannte bei Henselt ge- 
habt. Immer hat er seine Lektionen eingehalten, sie eher 
verlängert als abgekürzt, nie Hunde in seine Stunden hinein- 
gebracht, denn er litt überhaupt keine Tiere in seiner Um- 
gebung; weder Hunde noch Katzen noch Vögel konnte man 
in seiner Wohnung finden. Der Preis für seine Stunden war 
auch nicht außergewöhnlich; er variierte zwischen fünf und 
sechs Rubel; ein Preis, den auch weniger berühmte Musiker 
in Petersburg und in Deutschlands Hauptstädten verlangen. 
Ich müßte sehr undankbar sein, wenn ich meine Ueberzeugung 
nicht zum Ausdruck brächte, daß Henselt trotz seiner auf- 
brausenden Heftigkeit zu den seltenen Musikpädagogen ge- 
hörte, die ein so aufrichtiges Wohlwollen und so viel Interesse 
ihren Schülern gegenüber hegen. Noch jetzt habe ich den 
Brief, worin er mir so gütig schrieb: 

„Der Bequemlichkeit wegen biete ich Ihnen alle bei mir 
befindlichen neuen Noten an, auch in meiner Abwesenheit! 
Sie müssen also neue Stücke nehmen, in welchen Sie durch 
Gewohnheit noch nicht beeinflußt sind, denn Alles was Sie 
in der ersten Sitzung übersehen, das eignen Sie sich bei jeder 
Uebung mehr und mehr an.“ 

So wie ein jedes Konservatorium ich möchte sagen ihre 



SIGISMUND THAI.DI3RG. 


315 



Fegefeuer-Direktoren hat, welche die Schüler für die Stunden 
der Allmächtigen läutern und präparieren, so rekrutierte auch 
Henselt seine Hilfstruppen aus den Reihen seiner früheren 
Schülerinnen, die seine Stunden-Aspiranten in seine Methode 
einweihen mußten. Es waren das meist freundliche, gedul- 
dige, mit all den für diesen Posten notwendigen Charakter- 
eigenschaften ausgerüstete Damen, wie z. B. Frl. Calvoer und 
das schon erwähnte liebenswürdige Frl. Heinrichsen, die gern 
ihren verehrten Meister vor blutverderbenden Aergernissen 
bewahren wollten. 

Viele seiner Schüler haben Henselt als Lehrer Ehre und 
sich selbst später berühmte Namen gemacht, wie z. B. l'aneef, 
Balakiref, Hlavacz, die Bronsart noch als Ingeborg Stark usw. 
Nicht allein auf die ebengenannten war Henselt stolz, sondern 
auch auf seine Schülerin Ranuschowitsch. Vor ihrem Kon- 
zert in Petersburg war er so freundlich, mich zu fragen, ob 
ich sie nicht einmal vorher bei ihm hören wolle, wo sie ihr 
Konzert-Programm ihm vorzuspielen habe. Es interessierte 
mich natürlich sehr, und ich war 
ihm für seinen gütigen Vorschlag — 
dankbar. Um die bezeichnete 
Stunde war ich bei ihm. Henselt 
kam mir lächelnd mit geheim- 
nisvoller Miene entgegen. Die 
meisten genialen Menschen haben 
oft etwas harmlos Kindliches an 
sich. Er brachte mich durch sei- 
nen langen Korridor und mehrere 
Räume in sein Schreibzimmer, 
setzte mich auf seinen Diwan und 
öffnete die Türen zum Salon, in 
dem die junge Dame ihr Kon- 
zert-Programm ganz tadellos exe- 
kutierte. Dazwischen spielte Hen- 
selt selbst mehrere ihrer Stücke, 
wobei sein Spiel gerade diesmal 
so ergreifend schön und vollendet 
war, daß ich jedesmal tief be- 
dauerte, wenn er vom Klavier auf- 
stand. Seinem Gesicht sah ich es 
an, daß er auch selbst mit seinem 
Spiel zufrieden war, denn Henselt 
spielte, je nach dem Zustande sei- 
ner Nerven, sehr verschieden. Das 
„Dämonische“ im Spiel, das Ro- 
bert Schumann in Henselts Jugend 
an Paganini und Napoleon er- 
innerte, hatte Henselt im Alter 
abgestreift , und nur der gott- 
begnadete Troubadour mit seinem 
gleichmäßigen , die Nerven be- 
ruhigenden schönen Spiel war ge- 
blieben. Solange die junge Dame 
ihr Konzert-Programm absolviertet 
ging Henselt ganz harmlos mit 
knarrenden Stiefeln und glücklich 
zufriedenem Lächeln zwischen ihr 
und mir auf und nieder, wobei 
sich bei mir unwillkürlich die 
Ueberzeugung befestigte, daß, Henselt und Frau i 

wenn die junge Dame bei diesem Photogr. h. He« 

ungleichmäßigen Geräusch der 

knarrenden Stiefel nicht aus dem Konzept geriet, ein Bomben- 
attentat bei ihrem Konzert sie auch nicht aus der Fassung 
bringen würde. 

Es war rührend, wie die Fortschritte seiner Schüler Henselt 



für die Sünden ihrer Schüler verantwortlich, und seine laut 
geäußerten Bemerkungen waren recht gefürchtet. Oft tröstete 
er die Getadelten dann später, wenn es hieß, daß das Stunden- 
geben sie zu sehr angegriffen habe, und sagte: „Sie nehmen 
sich alles zu sehr zu Herzen, ich bin zu der Ueberzeugung 
gekommen, es lohnt sich gar nicht.“ 

Kleinlich empfindliche Naturen, die die tieftraurigen Ur- 
sachen seiner heftigen Ausfälle nicht in Betracht zogen, machte 
sich Henselt öfters mit seinen spitzen Bemerkungen zu Fein- 
den, die mir nur zu gern die schon allbekannte kleine Anek- 
dote erzählten, wie Henselt bei Hofe einer hochgestellten 
jungen Dame in seiner Heftigkeit das Notenheft mit ein paar 
Kraftausdrücken vom Notenpult reißend, es auf die Diele 
schleuderte, wie die junge Dame sich nicht aus dem Gleich- 
gewicht bringen ließ, sondern die Arme kreuzend ruhig sagte: 
„Wer aber wird nun das Notenheft aufheben?“ und der alte 
Meister, der hohen Stellung seiner Schülerin eingedenk, nolens 
volens sich bückend das Notenheft wieder an den Platz 

bringen mußte. — Im gewöhn- 
lichen Leben war Henselt in Ge- 
sellschaft meist still und schweig- 
sam und nahm nur dann gern an 
der Unterhaltung teil, wenn über 
Musik gesprochen wurde, oder 
über den Hof, für den er immer 
große Sympathie und großes Inter- 
esse an den Tag legte. So be- 
wahrte er bis an sein Lebensende 
innige Dankbarkeit und Verehrung 
der Herzogin von Mecklenburg, 
ihrer Tochter Helene und ganz 
besonders dem Prinzen Peter von 
Oldenburg, von dessen Liedern er 
„Die Nacht im Walde“ und den 
„Abendstem“ unter op. 46 und 52 
für Klavier bearbeitet heraus- 
gegeben hat. 

Um sich von- der nervenanstren- 
genden Tagesarbeit ein wenig zu 
erholen, machte Henselt wie die 
meisten Musiker des Abends gern 
ein unschuldiges kleines Karten- 
partiechen, was auch zwei humor- 
volle Zettel seines Freundes Franz 
Liszt bestätigen. Der eine dieser 
Zettel aus dem Nachlaß Henselts 
lautet: 

„Hochverehrter Freund. 

Unser Wiederseh’n ist mir eine 
Herzensfreude. Laut Deinem vor- 
letzten Briefe wolltest Du am 
19. d. M. kommen. Warum zögern? 


Henselt und Frau In Bad Warmbrunn. 
Photogr. H. Heusler, Warmbrunn. 


i edoch richte Dich ganz nach 
)einer Bequemlichkeit. Nur er- 
laube mir cue Bemerkung am Mitt- 
woch 23., Abends halb 9, bin ich 
bei Jemand eingeladen, wo absagen 
schlecht und dumm wäre, wohl 
Bad Warmbrunn. aber läßt sich an demselben Abend 

ff, warmbrunn. bei diesem Jemand unser extra 

Whist zu 3en arrangiren, wenn Du 
aufgelegt bist. — Dich erwartend in verehrungsvoller getreuer 
Freundschaft 

Weimar, 12. Juli 79. F. Liszt.“ 

Des anderen Zettels erwähnt auch L. Ramann in ihrem 


am Herzen lagen. Wenn ihm z. B. gute Ratschläge einfielen, 
die er in der Stunde mitzuteilen vergessen hatte, so schrieb 
er sie mir in einem Brief auf und trug ihn dann selbst bei 
seinen täglichen Sanitätsgängen des Morgens sehr früh in die 
Wohnung der mir befreundeten Familie, bei der ich wohnte, 
wobei es manchmal an humoristischen Zwischenfällen nicht 
fehlte. Henselt war eine so groß angelegte, über alle Klein- 
lichkeiten der Welt erhabene Natur, daß er. die äußere Form 
öfters außer acht lassend, dazwischen doch etwas drastisch 
auf die ungebildete Dienerschaft wirkte, die, die Berühmtheit 
in der originellen Ausstaffierung nicht anerkennend, über sein 
Kommen des Morgens so früh nicht anders berichtete als: 
„Der alte Deutsche, der beständig kommt, hat wieder einen 
Brief gebracht.“ 

Liszt blieb bis an sein Ende auch in der Kleidung der ele- 
gante Kavalier, während Henselt im Alter nur das anzog, was 
ihm angenehm, bequem und besonders warm war; daher er mit 
Vorliebe, außer den doppelten Röcken, an kalten Wintermorgen 
alle von seinen Verehrerinnen ihm gewidmeten wollenen Gegen- 
stände umlegte, was einem unwillkürlich ein Lächeln entlockte. 

Trotz allen kleinen Schrullen verstand Henselt sich doch 
durch seinen ausgezeichneten Unterricht, seine Güte und 
Gerechtigkeit überall in Respekt zu setzen, und alle waren 
in den Anstalten immer in Aufregung, wenn es hieß, Henselt 
kommt examinieren; denn er machte meist die Lehrkräfte 


Werk über Liszt. 

* • 

* 

Konzerte besuchte Henselt in den letzten Jahren seines 
Lebens fast gar nicht mehr, obgleich er natürlich Liszt, 
Bülow, das Ehepaar Bronsart, die Essipof und mehrere an- 
dere gern hörte. Selten befriedigten ihn die modernen 
Konzertspieler, sie spielten ihm alle zu wenig korrekt, hatten 
ein schlechtes legato, wenig Takt usw. 

Hierbei fällt mir eine kleine humoristische Episode ein, die 
Henselt in seinem gerechten Zorn über ein schlechtes legato 
und falsche Phrasierung sehr gut charakterisiert. Lachend 
erzählte mir eine ihm unterstellte Musiklehrerin, die er wie 
viele andere in seiner großen Gutmütigkeit auf ihre Bitten 
hin noch des Abends, wenn er sich schon zurückgezogen hatte, 
spielen ließ, um ihr dann seine Bemerkungen aus dem Neben- 
zimmer zuzurufen. Wie erschrak sie aber einmal, als bei 
einigen verdächtigen Stellen in ihrem Vortragsstück, zu denen 
Henselt seine Mißbilligung schon laut geäußert hatte, sie ihn 
plötzlich wie ein Gespenst, in langem weißwollenen Gewände, 
tief innerlich empört, auf sich zustürzen sah und sie mit den 
Worten: „Sie spielen das wie ein Hausknecht“ vom Klavier- 
stuhl schiebend, in seiner Entrüstung alles um sich her ver- 
gessend, ihr in diesem Aufzuge selbst das Stück so vorspielte, 
wie er es für richtig hielt. 


316 


Fast 30 Jahre hindurch wohnte Henselt im Petersburger 
Annenkirchenhause in der Kirotschnaja, das hoffentlich bald 
in Anbetracht der vielen Verdienste Henselts um die Musik 
von einer Gedenktafel zum Andenken an diesen langjährigen 
berühmten Einwohner geziert werden wird, Henselts Woh- 
nung war geräumig, bequem, aber durchaus nicht elegant 
eingerichtet: keine Teppiche, keine Vorhänge, die Möbel mit 
Leder überzogen. Das Wertvollste darin waren die drei 
großen Flügel, zwei Becker im Salon und ein Bechstein in 
einem anderen Zimmer, auf die er, wenn er übte, einen Däm- 
pfer schraubte, der jeden Ton fast klanglos machte. Ueberall 
herrschte bei ihm m der Wohnung, in der er jederzeit ein 
Gastzimmer für seine Freunde bereit hielt, die größte Ord- 
nung; auf den Etageren lagen seine Noten entweder inMap- 

E en oder unter hohen, braunen, übergestülpten Pappdeckeln. 

onst bemerkte man noch überall eine große Anhäufung ihm 
von seinen Verehrerinnen gewidmeter bordierter, gehäkelter 
und gestrickter Andenken verschiedenster Art, die weniger 
schön, als vielleicht angenehm waren. 

Im Alter führte Henselt ein sehr regelmäßiges Leben. Er 
versäumte des Abends nie bei einem Glase Limonade seine 
blutregulierende Gymnastik zu betreiben, die er, wie böse 
Zungen meinten, auch gern in unliebsame Lektionen zu ver- 
pflanzen liebte, was ich persönlich glücklicherweise wohl nie 
erlebt habe, da er bei den minderwertigen Stellen meines 
Vortrags nur beim Limonadetrinken blieb. 

In einem recht interessanten Aufsatz aus der Baltischen 
Monatsschrift von 1910 No. 12 hat Henselts ganz kurz ein 
Frl. Jordan erwähnt, die als Lehrerin in der Familie des 
Grafen Benkendorf deren Sommergast, die berühmte Henriette 
Sontag als Gräfin Rossi fast täglich zum Gesang begleitet 
hat. Sie erzählt in ihrem Tagebuch vom Jahre 1840, daß in 
jenem Sommer auch Henselt mit seiner Familie die Ferien 
am Revalschen Strande verbrachte und die Benkendorfsche 
Familie besucht habe, um mit deren Schwiegersohn, dem mit 
einer herrlichen Stimme begabten Fürsten Wolkonsky, und 
der Gräfin Rossi Musik zu machen. Ferner erwähnt sie auch 
eines interessanten Konzerts, das zum Besten der Revaler 
Armen in jenem Sommer von der Henriette Sontag, Henselt, 
Prume und dem Fürsten Wolkonsky gegeben wurde. 

Trotz der vielen Aufregungen aller Art, die ihm in seinem 
Leben nicht erspart geblieben sind, hat Henselt doch das 
Alter von 75 Jahren erreicht (1814—1889). nachdem er noch 
die Genugtuung hatte, das 50jährige Jubiläum seiner musi- 
kalischen Tätigkeit in Rußland zu feiern, das ihm zur zweiten 
Heimat geworden war und in dessen Untertanenverband er 
sich auch hatte aufnehmen lassen. 

Petersburg verließ Henselt nur während seiner Inspektions- 
reisen und seiner Sommerferien. Erst später, nach dem Tode 
seines einzigen Sohnes, als seine Frau ihrer Gesundheit wegen 
von ihm getrennt in Deutschland lebte, besuchte er sie des 
Sommers m Warmbrunn, wo er ihr ein reizendes Heim mit 
einem schönen Rosengarten und einem Blick auf den Kynast 
geschaffen hatte. 

Ende Mai 1889 reiste Henselt, als er sich schon sehr un- 
wohl fühlte, wieder einmal zur Kur nach Warmbrunn. Leider 
fand er diesmal nicht den erwünschten Erfolg, denn zu dem 
Herzfehler gesellte sich noch die Wassersucht mit ihren be- 
schwerlichen Folgen. Da Henselts Frau, die ihn noch um etliche 
Jahre überlebte, zu seinem großen Schmerz geistesschwach ge- 
worden war, so übernahmen zwei seiner früheren Schülerinnen 
und zwei Krankenwärterinnen die Pflege. Wir entnehmen 
einem Warmbrunner Bericht aus jener Zeit folgende Stelle: 
„Es ist wunderbar zu beobachten, wie selbst beim Sterben 
der Musiker den Menschen überdauerte. Bis vorgestern war 
das einzige Beruhigungsmittel in der größten Herzensangst, 
wenn wir ihm leise vorspielten, der wirre Blick des Auges 
wurde verständnißvoll und die Aufmerksamkeit concentrirte 
sich momentan auf die Musik. Gestern und heute, wo der 
größte Schwächezustand eingetreten, können wir ihn zu Ruhe 
bringen, wenn wir auf seiner Hand einen scharfen ausgepräg- 
ten Rhythmus leise trommeln. 

Schon seit Wochen konnte Henselt infolge von qualvollen 
Beängstigungen sein Bett nicht mehr benutzen. Er ging mit 
raschen Schritten seinem Ende entgegen. Am 10. Oktober 
um 10 Uhr morgens erlöste der Toa diesen großen Künstler 
und warmherzigen Menschen von allen irdischen Qualen, 
alle seine Freunde, Verehrer und Schüler in die tiefste Trauer 
versetzend. 

In Warmbrunn befindet sich auch Henselts Grab, für dessen 
Erhaltung 1200 Rubel bestimmt wurden, welche Summe das 
Ergebnis eines auf Anregung Frl. Heinrichsens und der Baro- 
nesse Wrangel, von Henselts Schülern Taneef, Frl. Ranu- 
schovitsch und Anderen arrangierten Konzerts war. 

In Veranlassung der Henseltschen Jubiläen und aus seinem 
Nachlaß wurden mehrere Stipendien auf seinen Namen in 
verschiedenen Instituten, wie z. B. dem Oldenburgschen, dem 
Pawlowschen, dem Konservatorium und einem Armenhaus, 
gegründet. — 

Henselt gehörte zu den „Je länger je lieber“-Naturen, denn 
nur allmählich lernte man alle seine guten, edlen Eigen- 


schaften kennen, die wie Sonnenstralilen durch das Gewölk 
seiner kleinen Schrullen und Heftigkeiten hervorbrechen. 

Man pflegt wohl zu sagen: „Der Stil ist der Mensch“, ich 
würde gern hinzufügen: noch mehr die musikalische Kompo- 
sition als immittelbarste Aeußerung des menschlichen Seelen- 
lebens. Ein Musikstück ohne Melodie ist wie ein Mensch 
ohne Gemüt. 

Die Henseltschen Kompositionen deuten alle auf Gemüt, 
Geist und Genialität und hätten es wohl verdient, gleich 
Phönixen der Asche der Vergessenheit zu entsteigen. 

Olga v. Haeckel (Dorpat). 


Max Regers Rücktritt als Dirigent 
der Meininger. 

M einingen, 30. April. Der Herzog hat das Entlassungs- 
gesuch Max Regers genehmigt. Reger wird am 1. Juli 
seinen Posten verlassen. Zum Nachfolger ist bereits 
Universitätsmusikdirektor Prof. Fritz Stein in Jena ernannt. 
Er hat die Stelle auch angenommen.“ — So lautet die lako- 
nische Nachricht, wie in jedem beliebigen Falle; als ob es 
sich um nichts Außergewöhnliches weiter handelte! In Wahr- 
heit ist aber die Nachricht von allergrößter Bedeutung für 
das deutsche Musikleben. Regers Rücktritt ist ein schier 
unersetzlicher Verlust für die Kunst, die Genehmigung des 
„Entlassungsgesuches“ ein Fehler, der schwer wieder gut ge- 
macht werden kann. Reger ist, wie man sich auch im einzelnen 
zu seiner Musik stellen möge, zweifellos eine der markantesten 
Musikerpersönlichkeiten unserer Generation, ja der ganzen 
Musikgeschichte. Sein Können ist enorm, seine rein musi- 
kalische Begabung* außerordentlich und um so charakteristi- 
scher und wertvoller, als sie sich von außermusikalischen 
Problemen, wie sie unsere Zeit bis heute reichlich, fast zu 
reichlich beschäftigten, fern hielt. Diesen Mann an der Spitze 
eines ganz vorzüglich geschulten Orchesters zu wissen, der 
Meininger, deren Reinheit des Orchestervortrags durch keinerlei 
Arbeit des modernen Opembetriebes getrübt ist, war eine 
Beruhigung für alle, die durch die Stars, Gastdirigenten, Pult- 
virtuosen sich beunruhigt fühlten. Max Reger, nicht nur der 
Musiker katexochen, sondern auch ohne Kunst-Fanatismus; 
kein Parteimann, für sich allein, ohne „Richtungs“-Fesseln 
als Dirigent der Werke von Beethoven, Mozart, Brahms, 
Bruckner, der eigenen Kompositionen, der neuen Meister! 
Der schöpferische Dirigent, und damit den Großen kon- 
genialer, innen näher stehend, als die andern alle. Nach- 
schöpfer im höchsten Sinne des Wortes. 

. Und Reger hat wahrlich nicht enttäuscht. In größerem 
Jubel als bei seinem Konzert in Stuttgart habe ich verstän- 
dige Musikfreunde noch nicht gesehen. Wie lebte eine D dur- 
Symphonie von Brahms unter mm auf; wie blühte es in dieser 
Tonwelt, welch ein Zauber des Klanges! Wie war das alles 
schattiert ; in Zeichnung und Farbe gleich schön und zusammen- 
stimmend; wie poetisch die Romantik, tief und heimlich er- 
lauscht. Das Orchester war wie ein Mann, wie ein Solist; 
diese Phrasierungen, dies Anschwellen der Bläserakkorde, 
dies Absetzen und Fallen-Lassen am Ende einer Phrase. 
Reinheit und Subtilität, Kraft ohne rumorendes Lärmen. Das 
war Kammerstil im schönsten Sinne, wie Reger mit den 
Meiningern eine Mozartsche Symphonie aufführte. Und das 
soll nun alles wieder, kaum geschaffen, dahin sein? Wir haben 
große Dirigenten in Deutschland, Reger aber ist eine Eigen- 
art unter ihnen. Warum müssen wir verlieren, was segens- 
reich, fruchtbringend für die Aufführungen im Konzertsaal 
überhaupt gewirkt hätte? Was ist vorgegangen, nachdem 
Reger sofort verständnisvolle Anteilnahme gefunden hatte? 
An die „Gesundheitsrücksichten“ können wir nicht glauben, 
trotzdem Reger momentan der Schonung bedarf. Er gehört 
wohl auch nicht zu denen, die sich ihrer hohen Aufgaben aus 
persönlichen Rücksichten entziehen. Kaum ausgeruht, ist 
er sogleich wieder auf dem Posten. Ging das „Geschäft“ nicht 
gut genug? Das wäre heute wohl die erste, naheliegendste 
Frage. Oder handelt es sich gar um eine höfische Etiketten- 
sache? Es ist trivial, dies nur anzunehmen. Die Allgemeinheit 
aber hat ein Recht darauf, nach den Ursachen des Rücktritts 
zu fragen; das musikalische Deutschland sollte diesen Verlust 
nicht ohne weiteres resigniert hinnehmen. Wir waren dem 
Herzog von Meiningen für seine künstlerische Tat, die er mit 
der Berufung Regers bewiesen hatte, von Herzen dankbar und 
verpflichtet. Aber auch er, der Herzog, hat Verpflichtungen, 
nachdem er sich als Förderer künstlerischer Arbeit bekannt 
hatte. Hier war ein Vorbild: Max Reger mußte Dirigent der 
Meininger bleiben. Und demnach: er muß es wieder werden, 
der Leiter gerade dieses. Orchesters. Im Namen der Kunst! 

Oswald Kühn. 


317 


Rückblicke auf das Straßburger 
Musikleben. 

D ie Oper, deren Leiter bekanntlich der mittlerweile 
zum Dr. und Professor ernannte Hans Pfitzner ist, hat 
in ihrem Personal einige bedeutsame Veränderungen 
erfahren. Vor allem besitzt sie jetzt einen veritablen 
Heldentenor. Herr Fritz Bischof (früher in Graz) hat sich 
bis jetzt als glänzender Vertreter dieses Rollenfachs erwiesen. 
Eine nicht minder treffliche Akquisition haben wir mit der 
neuen jugendlich-dramatischen Sängerin Frau Lilly Beraneck 
gemacht. Zur Stütze des Ensembles nach Maßgabe ihrer 
künstlerischen Individualität ist Frau Alma Saccur gewonnen, 
von der unzweifelhaft schöne Leistungen zu erwarten sind. 
Als Ersatz für den scheidenden tüchtigen Bassisten Wissiak 
ist Herr Waas (Wiener Volksoper) engagiert, neben dem sehr 
brauchbaren jungen Herrn Gieß — beides hiesige Kräfte 
mit schönen, vollen. Stimmen. Ein Operettentenor (Herr 
Beer) füllt sein Fach befriedigend aus und ein jugendlich- 
lyrischer (Herr Müller- Raven) bietet gute Aussicht, während 
der nominell als „lyrischer Tenor“ fungierende Herr Pörner 
infolge der unglücklichen Klangfarbe seiner Stimme künst- 
lerisch kaum mitzählen kann (ein hoffnungsvolles Ensemble, 
dem sich die sonstigen Mitglieder ebenmäßig anreihen). Von 
Kapellmeistern wirken neben Pfitzner Herr Büchel, Fried und 
der junge Wolfes-, der Chor ist leidlich, ein Hilfschor steht 
für besondere Fälle zur Verfügung. Mit dieser Künstler- 
schar ließe sich wahrlich ein reicheres und besseres Repertoire 
aufstellen als es leider der Fall ist. Die viereinhalb Monate 
(bis Februar) haben außer dem „Parsifal“, über den wir schon 
gesondert berichtet haben, nur 15 abendfüllende Opern werke 
gebracht, dazu einige Operetten und Einakter. Als wirkliche 
Novität erschien einzig Wolf-Ferraris „Schmuck der Madonna“. 
Der liebenswürdige Autor der „Neugierigen Frauen“ hat sich 
hier die dramatische Löwenhaut umgehängt, die ihn aber 
nicht sonderlich kleidet. Die lyrischen Teile sind weit besser 
geraten als die im Mascagni-Puccini-Stil einherschreitenden, 
die von Kakophonien, Zerrissenheiten, selbst Trivialitäten 
nicht frei sind. Die Handlung ist trotz — oder wegen ! — ihrer 
Gewaltsamkeiten recht bühnenwirksam, doch wird’s für den 
deutsch-italienischen Komponisten besser sein, wenn er diese 
hochdramatischen Seitensprünge unterläßt. — Ein orien- 
talischer Einakter „Mjrrrha“ von Freih. v. d. Goltz erwies sich 
leider als biedermeierliche Dilettantenarbeit ohne Lokalkolorit 
und dramatischen Nerv; sonst hörte man nur altbewährte 
Sachen. D’Alberls reizende „Abreise“ und eine obsolete 
französische Ausgrabung „Die Tante schläft“ (!). Also: 
Kein übermäßiger Reichtum des Gebotenen, das dafür 
wenigstens qualitativ meist gut war. Namentlich die 
Abende, denen Pfitzner selbst, nicht selten gleichzeitig als 
Regie- und Musikleiter, seine Kunst widmet, dürfen als Muster- 
vorstellungen gelten. 

Unter den Konzerten sind in erster Linie anzuführen 
die Abonnementskonzerte des städtischen Orchesters unter 
Pfitzners Leitung. Das erste brachte u. a. Mahlers fälschlich 
Symphonie genanntes „Lied von der Erde“ , sechs chinesische Ge- 
sänge in raffiniertem Orchestergewande, drei für Tenor (Bi- 
schof), drei für Alt (A. Hermann). Das zweite enthielt Rez- 
niceks liebenswürdige Lustspielouvertüre, eine Soloszene „See- 
jungfräulein“ (nach Andersen) für Sopransolo (Fr. Mahlen- 
dorf) mit Orchester von E. d’Albert, Schumanns Cellokonzert 
(H. Kieffer) und Mendelssohns schottische Symphonie; das 
dritte C. Francks nicht sehr bedeutende Symphonische Va- 
riationen mit Klavier (C. Friedberg, der auch Chopins As dur- 
Ballade prächtig vortrug), Rossinis Tell-Ouverture (!) und 
R, Straußens wunderliche Domestica. Im vierten gab es 
Regers teilweise recht witzige Ballettsuite und sechs Gesänge 
mit Orchester von H. v. Waltershausen. Der Autor des „Oberst 
Chabert“ schreibt hier etwas melodischer und weniger pessi- 
mistisch als in seinem Drama; die Liedertexte sind für orche- 
strale Wirkung geeignet ausgesucht und die Kompositionen ent- 
halten manche Schönheit, so besonders das stimmungsvolle 
„Aus dem Dreißigjährigen Kriege“, die leicht archaisierende 
„Romanze aus der Postkutsche“ und das zart empfundene 
„Versunkene Steralein“. Der hier beheimatete Komponist 
und seine Interpretin Frau Lauer-Kottlar aus Karlsruhe (der 
die Lieder auch gewidmet sind) konnte einen schönen Erfolg 
verzeichnen. Den Inhalt des fünften Konzerts bildete die 
Uraufführung von H. Zilchers „Liebesmesse“, über die ich auch 
schon gesondert berichtet habe. Das sechste Konzert war 
hauptsächlich klassischen Inhalts; der treffliche Pariser Bariton 
A Ibers sang eine Gluck- Arie und zwei interessante französische 
Orchesterlieder von Franck und Duparc. Das siebte Konzert 
bescherte wiederum eine Uraufführung, eine G dur-Sym- 
phonie des hiesigen Komponisten Erb, programmatisch-heroisch 
gedacht, doch in überlieferter Form und Bau, nur daß der 
thematische Inhalt zumeist wenig reizvoll und die Instru- 
mentation bei aller kontrapunktischen Geschicklichkeit so 
dick und unübersichtlich ist, daß die Linie des Melos häufig 

318 


unklar wird — ganz abgesehen von den vielen unnützen 
Kakophonien, Längen und ermüdenden Fortissimos. Er- 
staunlich war dagegen die instinktive Klarheit der Orchester- 
sprache und die thematische Prägnanz, mit der bei aller Mo- 
dernität der junge Korngold die Ideen seiner Schauspiel- 
ouvertüre vor dem Hörer auszubreiten weiß — jedenfalls eine 
Begabung, von der noch Großes erwartet werden kann ! Eugen 
d’Alberts monumentaler Vortrag des Beethovenschen Esdur- 
Konzerts bildete den Höhepunkt des Abends. — Die künst- 
lerische Höhe der sämtlichen Konzerte wird durch die Per- 
sönlichkeit Pfitzners genügend gekennzeichnet. — Von sonstigen 
größeren Aufführungen ist zu erwähnen das Konzert 
der Meininger Kapelle, das mit der „Romantischen Suite“ 
seines Dirigenten M. Reger bekannt machte, einem trotz der 
thematischen Kurzatmigkeit stimmungsvollen und ohne Ueber- 
ladung feinsinnig orchestrierten Werke, und ferner Beethovens 
G dur-Konzert. — von dem Straßburger Pianisten Möckel 
stilvoll interpretiert — , Wagners Siegfried-Idyll und Brahms’ 
(im Finale etwas zu schnell geratene) Zweite Symphonie 
enthielt. — Die katholischen Kirchenchöre unter Abbe Vic- 
tori führten Tinels klangschönes Oratorium Franziskus auf 
(Soli der Pariser Tenor Plamondon, Frau Lotze-Holz und 
H. Schützendorf), der Reformierte-Kirchenchor Händels Judas 
Maccabäus — mit hiesigen Solisten, Dirigent Nießberger — , der 
Wilhelmer Chor (Prof. Münch) gab zwei Bach-Konzerte, einmal 
mit der Motette „Jesu, meine Freude“, dazu den sehr tüchtigen 
Organisten Karl Müller. Der akademische Kirchenchor 
(Prof. Spitta) setzte sich für Herzogenbergs Weihnachts- 
oratorium ein. 

An Kammermusik vernahm man vom städtischen 
Quartett (Grevesmühl) nächst verschiedenen klassischen 
Werken ein geschickt gearbeitetes Streichtrio von Grabner, 
Theorielehrer am hiesigen Konservatorium ; in Tschaikowskys 
Klaviertrio stellte sich der neue erste Pianist dieser Anstalt, 
Herr Szulc, mit Erfolg vor. Bemerkenswert sauber spielte 
Marietta Froitzheim den Klavierpart in Schumanns herr- 
lichem Quintett. Ein Brahms-Abend gab Pauer (Stuttgart) 
Gelegenheit, seine Kunst in der fis moll-Sonate und dem 
g 1110II- Quartett zu erweisen, zugleich erfreute Hüblart im 
Klarinettenquintett durch seine geschmackvolle Behandlung 
des Blasinstruments. Volkskonzerte des städt. Orchesters 
(Fried) und ein „Volkskammermusikkonzert“ (!) seien weiter 
erwähnt. — Im Tonkünstlerverein konnte man Anna Hegners 
edles Geigenspiel bewundern ; das ausgezeichnete Pariser 
Geloso- Quartett spielte u. a. mit Mad. Barriere das elegante 
Faurfsche Klavierquartett, die „Böhmen“ interessierten 
besonders durch Verdis selten gehörtes, aber recht klang- 
schönes e moll- Quartett- Busoni wirkte feinsinnig in 

Pfitzners Fdur-Trio mit, einem der schönsten und ab- 

f erundetsten Werke dieses Komponisten. — Für Solisten- 
o n z e r t e ist Straßburg im allgemeinen ein schlechter 
Boden. Schwach besucht waren die Abende der ausge- 
zeichneten Gertrud Forstel, der unbekannten, zu „männ- 
lichen“ Geigerin Demharter, der Sopranistin Mahlendorf, des 
Ehepaars George A . Waller-Haas trotz hiesigen Beziehungen), 
des gediegenen Pianisten Galston, selbst der des tüchtigen 
Möckel mit dem gleichfalls lobenswerten Wiener Geiger 
Rotschild und des, ein wenig inhaltsreiches Programm ziem- 
lich nüchtern absolvierenden E. Risler. Mehr äußeren und 
auch künstlerischen Erfolg hatte die Geigerin A. Betzak 
mit dem Pianisten Höhn, der u. a. zwei unheimlich „futuri- 
stische“ Stücke von Cyr. Scott und Balakirew zum „Besten“ 
gab, ferner die Opernsängerin A. Hermann (u. a. mit sechs 
gar schlichten Kinderliedern von E. v. Strauß), und einen 
ausverkauften Saal erzielte die etwas uniforme M. v. Lammen 
mit Schubert und Schumann. Dr. Gustav Altmann. 


Vom Kölner Musikleben. 

D ie künstlerische Ausbeute der mm zu Ende gehenden 
musikalischen Saison der Rheinmetropole war nicht 
gering. In der Oper bildete natürlich, wie überall, 
Parsifal das Ereignis, mcht nur des Gegenstandes wegen, 
sondern auch dank einer sehr hochstehenden Aufführung, 
die von den Absichten des Kunstwerkes verwirklichte, was 
eben im Rahmen eines dem Wunsche nach Abwechslung 
sich beugenden Spielplans verwirklicht werden kann. In 
der Zeit vom 12. Januar bis 30. April fanden 25 Vorstellungen 
statt; ob man sich über diese Aufführungsziffer freuen soll, 
ist Sache des Geschmacks und der Stellungnahme zur Frei- 
gabe des Bühnenweihefestspiels. Prof. Leffler und H. Wilder- 
mann hatten den Bühnenrahmen geschaffen, von dem 
Hofrat Rimond bei der in ihrer Art musterhaften Inszenierung 
vielfach abhängig war, Gustav Brecher leitete die musikalische 
Einstudierung in einer Weise, die auch dem enragierten 
Bayreuthianer den höchsten Respekt abnötigte, und die 
Hauptrollen waren mehrfach besetzt. Sophie Wolf, Alice 


Guszalewicz (Kundry), Manztnsky, Winckelshoff (Parsifal), 
Göttges (Gurnemanz), v. Scheidt (Amfortas) seien besonders 
erwähnt. Als Uraufführung war der örtlichen Novität 
vorausgegangen: Julius Bittners „Abenteurer“, ein amüsantes, 
wenn auch nicht in allen Vorgängen ganz klares Buch, das 
das Avancement eines Gauklers und Wunderdoktors bis 
zum Schwager eines reichen Sonderlings von Grafen be- 
handelt, aber damit endet, daß der Vagant seine Freiheit 
mehr liebt als goldene Fesseln und unmittelbar nach der 
Trauung mit seiner ihn in Männer kleidem begleitenden 
schönen Geliebten auf dem durchaus ungewöhnlichen Wege 
eines den Burggraben überquerenden Seils entfleucht. 
Die Musik verrät viel Talent zu Witz und parodistischem 
Spott, ist oft nicht weit von einem sehr brauchbaren modernen 
musikalischen Lustspielstil, aber etwas ungleich, bleibt zu 
häufig in den Ansätzen stecken, der Verheißung die Erfüllung 
und uns das letzte Wort schuldig. Trotzdem Brecher die 
Partitur vielleicht über ihren Wert hinaus zu steigern wußte 
und RSmond für entzückende Bühnenbilder, ein jedes in 

f oldenem Rahmen gefaßt, gesorgt hatte, und trotz der ganz 
ervorragenden Besetzung mit v. Scheidt in der Titelrolle, 
Schröder als Grafen und Frau Rohr als Gräfin wollte sich 
kein anhaltender Erfolg einstellen. Eine Neueinstudierung 
von Marschners „Templer“, in der höchst sinngemäßen, 
alles dramatisch Bedeutsame fester zusammenschfießenden 
Bearbeitung Pfitzners teilte das Geschick. Massenets 
„Gaukler“, Adams „Postillon“, Kienzls „Evangelimann“, 
Verdis „Maskenball“ wurden ebenfalls neu herausgebracht, 
desgleichen die „Weiße Dame“. Mehr Pflege hatten die 
Klassiker finden dürfen. Der Wagnerschen Oper wie seinem 
Musikdrama gehörte mancher Abend, und das Ausland, 
Frankreich und Italien, besonders das letztere, kam wahr- 
lich nicht zu kurz. 

In den großen „Gürzenich-Konzerten“ spielte sich, wie 
immer, das vornehmste Konzertleben ab. Allzuviel Novi- 
täten waren diesmal von der Mehrheit der Musikfreunde 
nicht gewünscht worden, aber man hörte doch manch inter- 
essantes Neue. Straußens festliches, glanzvolles Präljidium 
fand hier seine erste Aufführung in Deutschland, ebenso 
des genialen Korngold Sinfonietta; Zöllners malerische 
Symphonie „Im Hochgebirge“ erlebte hier ihre Uraufführung, 
desgleichen Bossis Mysterium Johanna d’Arc, ein vielfach 
zwar äußerliches Werk, das aber auch wahrhaft frommer 
Momente und transzendentaler Klänge nicht entbehrt und 
mit sich fortreißt. Ferner haben wir erstmalig Mozarts 
c moll-Messe in der pietätvollen Vervollständigung durch 
Alois Schmitt, Hyperion von R. Wetz, in Brahmsschen Bahnen 
wandelnd, aber doch persönlich und zwingend, F. Delius' 
pittoreske Orchesterstücke „Beim ersten Kuckucksrufe“ und 
„Sommernacht am Flusse“. Regers feine Ballettsuite, Mozarts 
melodisch wundervolle, für eine Orgelwalze komponierte 
f moll-Fantasie, in der Schmittschen Bearbeitung für Streich- 
orchester und Orgel, Weingartners Violinkonzert und anderes 
mehr. Die Größten und Großen im Reiche der Tonkunst 
waren reich vertreten; durchweg erlesene Solisten wirkten 
mit, und Orchester und Chor standen unter Fritz Steinbachs 
stets suggestiver und impulsiver Leitung auf der Höhe. 
Die Zahl der Solistenkonzerte auswärtiger Künstler war 
wiederum gewachsen, aber nicht der Besuch, der oft kläglich 
ausfiel; man darf nicht vergessen, daß die „Musikalische 
Gesellschaft“, die 1912 ihr hundertjähriges Jubiläum feierte, 
an jedem Samstag ihren Mitwirkenden aus den Reihen 
der nachschaffenden Künstler verheißungsvolle, auch er- 
lesene Kräfte vor führt, auch daß das musikalische Vereins- 
leben in Köln sehr reich entwickelt ist. — Unter den Kölner 
Kammermusik-Vereinigungen nimmt nach wie vor das 
Gürzenich- Quartett der Herren Eldering, Körner, Schwartz 
und Grützmacher, als Ensemble gereifter, ernster Künstler, 
den ersten Platz ein. Noch sei erwähnt, daß Köln auch 
Arnold Schönbergs Kammersymphonie kennen lernte, aber 
nur die Ausführung dieses heiklen, alles Dreiklangmäßige 
ignorierenden Werkes zu bewundern vermochte. Brecher 
führte es vor. Karl Wolff. 


Das Musikfest der Franz-Liszt- 
Gesellschaft in Altenburg. 

D er günstige Erfolg des ersten, im Herbst 1912 in 
Sondershausen veranstalteten Musikfestes veranlaßte 
die Berliner Franz-Liszt-Gesellschaft diesen Versuch 
ein zweites .Mal, im Verein mit dem Hoftheater und der 
Hofkapelle in Altenburg, zu wiederholen. Als Auftakt 
gingen dem Fest zwei Opernuraufführungen voran, die dann 
«u Rahmen des Festes wiederholt' wurden. Der Bretone 
Guy Ropartz hat der sehnsüchtigen Heimatsliebe seiner 


. Landsleute - ein Denkmal gesetzt in dem tragischen musi- 
kalischen Drama „Die Heimat“, zu dem Charles Le Goffic 
ihm das von Paul Magnette gewandt verdeutschte Textbuch 
schrieb. Aber so wertvoll seine modern harmonisierte und 
instrumentierte Musik auch ist, für den tragischen Vorwurf 
des an seiner Heimatliebe zugrunde gehenden jungen Bretonen 
fehlt es dem Elegiker Ropartz doch an dramatisch wirk- 
samen Tönen. Nur an einzelnen Stellen, so besonders in 
dem prachtvollen Vorspiel, erhebt er sich zu solcher Be- 
deutung, daß an seinem Können kein Zweifel mehr mög- 
lich wäre, auch wenn man seine Kammermusik nicht kennte. 
Ebenfalls an der Armut an dramatischer Handlung scheiterte 
auch das andere Werk „Das Seegespenst“, Theodor Gerlachs 
gesprochene Oper. Was Heine in seinen Nordseegedichten 
wohlweislich in lyrische Form kleidete, ist hier in unmög- 
licher Weise dramatisiert. Wir hören nur unter melo- 
dramatischer Musikbegleitung die fieberhaften Phantasie- 
äußerungen eines Ueberempfmdsamen, der in dem Brausen 
des Meeres die Stimme eines Weibes hört, und krank an 
Sinnen, in die Arme dieser Meeresbraut sinkt. Es ist schade, 
daß Gerlachs wohlgemeinter und künstlerisch so inter- 
essanter wie berechtigter Versuch, das melodramatische 
Prinzip auf die Oper zu übertragen, an dem unglücklichen 
textlicnen Vorwurf scheitern mußte. Unter des Hofkapell- 
meisters Rudolf Groß Leitung kamen beide Werke annenm- 
bar zur Wiedergabe, erzielten aber schwächlichen Beifall. 

Das Musikfest bot in zwei Orchesterkonzerten und einer 
sonntäglichen Matinee wieder einmal zuviel. Festkonzarte 
von dreiundeinhalb Stunden Dauer sind musikalische Ueber- 
fütterung. Es interessierte Liszts symphonische Dichtung 
„Hungana“, mehrere seiner Männerchore, die von dem 
Solistenensemble der Franz-Liszt-Gesellschaft unter Leitung 
von Frau Marta Remmert außerordentlich schwungvoll vor- 

f e tragen wurden; ferner seine dramatische Szene „Jeanne 
’Arc vor dem Scheiterhaufen“, die Frau Marie Götze sang 
und sein bekanntes Es dur-Klavierkonzert, das seine ehe- 
malige, berühmte Schülerin, Frau Martha Remmert, ein- 
drucksvoll vortrug. Man interessierte sich ferner für den 
Enkel Liszts, den jungen Graf Gravina als Flötenspieler, 
für die selten gehörte große Arie aus Cornelius’ „Gunlöd“, 
für Paul Juons außerordentlich feinsinnige „Wächterweise“, 
die von einem Kopenhagener Glockenspiel das motivische 
Grundmaterial entnimmt, und für Debussys „La demoiselle 
älue“. — Der Nachdruck des gesamten Festes aber lag auf 
den dargebotenen Uraufführungen. Hermann Ungers Nacht- 
stück „Alb“ zeugt von solider Technik, bedeutendem Klang- 
sinn, lehnt sich aber in der Harmonisierung zu stark an 
Vorbilder an, um als persönlich wertvolle Arbeit angesprochen 
werden zu können. Das eigentliche Erlebnis des Festes 
war die Bekanntschaft mit Edgar Stillman Kelley, dem 
Theorielehrer am Konservatorium in Cincinnati. Sein 
Streichquartett in C dur (op. 25) wirkte zunächst etwas 
ernüchternd durch eine gelehrt-akademisch anmutende Art, 
erfreut aber durch sehr solide Durcharbeitung und be- 
deutenden musikalischen Gehalt. In seiner ganzen Struktur 
und seinem verstandesmäßigen Charakter wird es aber 
sofort verständlich aus der „New-England“-Sinfonie Kelleys, 
die in b moll geschrieben, leicht programmatisch gehalten, 
einen sehr bemerkenswerten Versuch dars teilt, spezifisch 
amerikanische Musik zu schaffen. Sie ist aus puritanischem 
Geiste geschaffen und will die Gedanken und Empfindungen 
wiedergeben, die die ersten puritanischen Einwanderer in 
Neuengland beseelte. Von den sehr gut und gleichmäßig 
wertvoll gearbeiteten Sätzen enthält das Allegro appassionato 
des ersten Satzes das die thematische Grundlage bildende 
Pflichtmotiv, das verschieden harmonisiert in allen Sätzen 
wiederkehrt und sehr glücklich kontrastierend verwertet 
wird. Das Andante in Fdur des zweiten Satzes ist ein 
Pastorale und vertritt die Stelle des Scherzo. Der dritte 
Satz kehrt in die Grundtonart b moll zurück und bringt 
das Pflichtmotiv verarbeitet mit einer altkirchlichen Hymne. 
Das Finale des vierten Satzes wird durch diese in anderer 
Harmonisierung auftretende Hymne gekrönt. Die zwingende 
Logik der Struktur, die vorzügliche instrumentale Be- 
handlung, und geistvolle Durchführung sicherten diesem 
Werke und dem selbst dirigierenden Komponisten ungewöhn- 
lich starken Beifall. Auch der tüchtige Leiter des sehr 
angestrengten Hoforchesters, Hofkapellmeister Rudolf Groß, 
wurde zum Schlüsse des Festes gebührend gefeiert. 

Franz E. Willmann. 



319 



Barmen-Elberfeld. Ein Ueberblick über die Saison zeigt, daß 
auf allen Gebieten der musikalischen Literatur außerordent- 
lich viel im Wuppertal geboten wurde. Unsere Konzertgesell- 
schaften in beiden Städten pflegen vornehmlich das klassische 
Oratorium (Händel: Saul und David; Bach: Johannispassion, 
hmoll-Messe), ohne die neueren Meister (Brahms: Schicksals- 
lied; Verdi: Requiem) zu vernachlässigen. Daneben erfreut 
sich auch Mendelssohn (Paulus) eifriger Pflege. Die für großes 
Orchester berechneten Werke lassen in der Aufführungsziffer 
eine gewisse Vorliebe für die neuere Zeit erkennen ; vertreten 
waren R. Strauß (festliches Präludium, Don Juan, ein Helden- 
leben), M. Reger (romantische Suite op. 125, Hiller-Variationen), 
E. Korngold (Schauspiel-Ouvertüre), F. Liszt (Tasso), Zöllner 
(Im Hochgebirge), A. Scharrer (Per aspera ad astra), Rauchen- 
ecker (f moll - Symphonie), Saint- Saens (op. 28: Romanze), 
Tschaikowsky (pathetische Symphonie), Brahms (3. Sym- 
phonie); die Klassiker wurden natürlich keineswegs vernach- 
lässigt. In hohem Ansehen steht die Kammermusik : Barmen 
und Elberfeld haben je ein Streichquartett, Elberfeld noch 
ein Trio, Barmen die sehr beliebten Soireen der Frau Saat- 
weber-Schließer.' Eine leise Bevorzugung der neueren Zeit 
macht sich bemerkbar. Außer Beethoven, Mozart. Haydn 
erhielten das Wort: Korngold (Sonaten, Trio), Scheinpflug 
(Streichquartett emoll), Brahms (Trio op. 8, 40; Streichsex- 
tett op. 18), Bossi, M. Reger (fis moll-Sonate für Klarinette 
und 2 Bratschen). — Sehr interessant gestaltete sich die Lied- 
pflege. Das am Klavier begleitete ein- und zweistimmige 
(Duett) Kunstlied des In- und Auslandes taucht aus alten 
Zeiten auf, wie folgende Namen beweisen: Paesiello, Bonon- 
cini, altniederländische Volkslieder, Jomelli, Martini, Gluck, 
Haydn, Mozart. Schubert, Schumann. Brahms, H. Pfltzner, 
Mahler, d' Albert, Levin, M. Reger u. a. Besondere Konzerte 
waren dem „Deutschen Volkslied“ (Männergesangverein 
„Deutsche Sänger“), dem „Internationalen Lied“ (Elberfelder 
Lehrergesangverein), der historischen Entwicklung des Kunst- 
lieds (Solisten-Abend der Konzertgesellschaft) gewidmet. Die 
Uraufführung erlebten durch die Elberfelder Konzert- 



HENRI PETRI t. 

Photogi. Eugen ScblfUer, Draden. (Text siehe S. 3«.) 


gesellschaft die Sonnenuntergangslieder für Sopran- und 
Baritonsolo, gemischten Chor und Orchester von Fr. Delius, 
ohne indes einen eigentlichen Erfolg zu erringen: die Lied- 
texte sind zu einförmig, die melodische Linie ist nicht aus- 
gebildet, die musikalische Illustrierung hat es fast nur auf 
die Erzeugung zarter Klangfarben abgesehen. Dankbar zu 
begrüßen war die Bekanntschaft mehrerer Werke für 3 und 
2 Klaviere von Mozart, Brahms, Hiller, die selten gespielt 
werden. — Außer Zöllners „Schützenkönig“ (Uraufführung, 
über die schon berichtet wurde) erfuhren Mozarts „Cosi fan 
tutte“, Adams „Wenn ich einen Tag König wär“ erfolgreiche 
Wiederbelebungen. Im Mittelpunkt des Interesses stand 
„Parsifal“, der in beiden Städten etwa je 2omal gegeben 
wurde. — Berühmte und weniger berühmte Solisten jeder 
Gattung hielten bei uns Einkehr: die Liedsängerinnen Claire 
Dux, Birgitt Engel-Hey, Therese Funck, Maria Philippi; die 
Geigenkünstler Franz von Vecsey. Fritz Rothschild, B. Huber- 
mann, W. Heß; Meister des Klaviers wie E- Sauer, E. d’Albert, 
Frau E. Saatweber-Schlieper ; der Lautensänger und -Spieler 
B. Kothe; die Orchesterdirigenten M. Reger und F. Steinbach. 
Alles in allem darf gesagt werden, daß durchweg nicht' bloß 
recht fleißig, sondern auch mit künstlerischem Einschlag an 
allen Ecken und Enden musiziert wurde. H. Oehlerking. 

Karlsbad in Böhmen. Die Musiksaison ist reichhaltig 
gewesen und gegen die Vorjahre insoferne ausgestalteter, 
als zu den Orchester-, Künstler- und Kammermusikkonzerten 
auch noch einige Opemaufführungen hinzukamen, was um 
so bemerkenswerter ist, als das Karlsbader Theater in musi- 
kalischer Hinsicht eigentlich nur das Operettengenre zu 
bieten hat. Man muß es also dem Direktor Dr. Hans Warnecke 
hoch anrechnen, wenn er das Möglichste daran setzt, die 
Oper hie und da zu pflegen. Aus der Reihe der Opern- 
aufführungen wäre das saubere Herausarbeiten der Brüll- 
schen Oper „Das goldene Kreuz“ und Verdis „Traviata“ 
zu nennen, bei welch letzterem Werke Frau Marta Manzer 
als „Violetta“ viel Erfolge erzielte. Oertliche Orchesterneu- 
heiten gab es in reicher Zähl, doch nur wenigem davon war 
ein Beifall beschieden. So fiel Sinigaglias „Piemonte-Suite“ 
gänzlich ab. Wenig Erfolg errang auch Pfitzner mit seiner 
einförmigen Ouvertüre „Das Christ-Elflein“. Nicht viel 
besser erging es Hugo Kaun mit der Ouvertüre „Am Rhein“. 
Cesar Franck teilte mit den Genannten dasselbe Schicksal 
mit seinem Poeme symphonique „Les Eolides“. Starken, 
warmen und herzlichen Beifall fand Scharrer mit seiner 
d moll-Symphonie „Per aspera ad astra“. Erwähnenswert 
wären die zur Uraufführung gebrachten Bruchstücke „Fran- 
zösischer Tanz“ und „Intermezzo“ aus der Pantomime 
„Pierrot träumt“ von dem Wiener Musiker Otto Schulhof. 
Beide Sächelchen sind hübsch erfunden und fein instru- 
mentiert. Das Konzertpodium betraten : Der Tenor W. Kor- 
tesz, dessen Singmanier nicht sonderlich zusagte, der Geiger 
Arrigo Serato, dessen unreines Intonieren auifiel, die etwas 
hastig zugreifende Pianistin Susanne Godenne, die bekannt 
gute Sopranistin Frau A. Kaempfert, Eugen d’Albert, der 
Baßbuffo Rudolf Bandler von der Volksoper in Wien, der 
mit gewaltigem Erfolge hier abschnitt und der noch jugend- 
liche, tüchtige Pianist Leo Schwarz. Die Orchesterkonzerte 
leitet der städtische Musikdirektor Herr Robert Manzer, der 
sich als brillanter Dirigent erweist. M. Kaufmann. 

Magdeburg. Es gibt in Magdeburg öffentliche und private 
Konzerte. Diese werden von geschlossenen zum Teil sehr 
leistungsfähigen Gesellschaften arrangiert. Ihre Vorstände 
haben ihre privaten Liebhabereien und schützen sich gegen 
unliebsame Kritik durch gelegentliche starke Betonung des 
gesellschaftlichen Charakters ihrer Veranstaltungen. Sub- 
trahiert man ihre Ansprüche von ihren Fähigkeiten, so bleibt 
die Leistung für die Oeffentlichkeit gering. Interessant, 
wenn auch nur für einen sehr begrenzten Kreis war ein von 
der Harmonie-Gesellschaft veranstaltetes Konzert der So- 
ciete des anciens instruments, deren Präsident Saint-Saens 
ist. Ein Quartett von Streichinstrumenten: die alte fünf- 
saitige Viola, die Viole d’amour mit ihren sieben Doppel- 
saiten, die Viole de gambe und Basse de viole, die Urbilder 
des Cellos und des Kontrabaß, verbanden sich mit Clavecin 
(Cembalo) zu einem eigenartigen Orchester, von dem unter 
anderem eine „Sinfoma“ von Haydn aufgeführt wurde. 
Sehr schön klang eine Fantaisie pour Viole d’amour et 
clavecin von G. Niccolini, weniger schön die Solovorträge 
auf dem immer gleich hart und kurz’ angebunden bleibenden 
„Kielflügel“. Emen größeren Zuhörerkreis, als ihn die Har- 
monie-Gesellschaft bieten konnte, hätte ich dem Konzert 
der Meininger Hofkapelle gewünscht. Dort hätte man von 
der ruhigen, jedes rubato und jede Luftpause und doch 
innerlich bewegten Direktionsweise Regers lernen können, 
daß ein Orchester doch viel mehr ein selbständiger Organis- 
mus ist als ein mechanisches Instrument, auf dem ein Diri- 
gent seine persönliche Ansicht und augenblickliche Stimmung 
jederzeit zum Ausdruck bringen darf. Bei den öffentlichen 
Konzerten der städtischen Kapelle unter Krug-Waidsee 
fällt zunächst — in der ersten Häute der Saison — die starke 
Betonung der klassischen Formen auf: Haydn, Beethoven, 


320 



Brahms, der junge Dvoräk. Der „Reblingsche Gesangverein“ 
unter Prof. Kauffmann bot eine Aufführung des Requiems 
von Sgambati und bewies damit, daß es leichter ist der 
naiv-sinnlichen Schönheit italienischer Kirchenmusik gerecht 
zu werden als der herben Größe Johann Sebastians. — Der 
„Lehrergesangverein“ mit seinem Damenchor brachte neben 
einer Wiederholung von Krug-Waldsees Ikarus und Pfohls 
Twardowsky ein ganz neues werk: Requiem für Werther, 
Text von Ricarda Huch, Musik von Rudolf Bergh. Der 
Trauerchor, der das Werk umrahmt, bringt die Grund- 
stimmung sehr wirkungsvoll zum Ausdruck. Die welt- 
entrückten Gedanken aber, in welche sich die romantische 
Ricarda weiterhin verliert, musikalisch zu charakterisieren, 
dazu bedarf es doch einer originaleren Gestaltungskraft als 
sie Rudolf Bergh zur Verfügung steht. Die Soli des Abends 
sang Frl. Sendler, eine junge Künstlerin mit einem frischen 
noch unverbrauchten Sopran und lebhaftem Temperament, 
das an unserem routinierten Orchester einen sicheren Stütz- 
punkt fand. Bessell. 

Prag. „Gefängnisse“, ein dreiteiliges symphonisches Drama 
des in Prag lebenden Dichterkomponisten Gerhard von Keußler, 
ist nach mannigfachen Zensurschwierigkeiten, die den mit 
einem erotischen Grundmotiv durchsetzten geistlichen Stoff 
betrafen, mit großem Erfolge am Neuen Deutschen Theater 
uraufgeführt. Die Oper kann man am kürzesten als l’art 
pour T’art Werk charakterisieren. Es ist eine reflexive tief- 
ernste Musik, die Keußler gibt. Eine Sprache, die durch 
ihren philosophischen Gehalt und ihre weihevolle stolze Hal- 
tung unnahbar ist für jene, die in der Musik etwa die ver- 
blüffenden Modewendungen lieben, oder in ihr Zerstreuung 
suchen nach des Tages Mühen. Der Komponist dirigierte 
sein Werk, über das noch einiges. zu sagen sein wird, selbst 
und wurde oft gerufen und sehr gefeiert. — Puccinis „Mäd- 
chen aus dem goldnen Westen“, em sensationslüsternes musi- 
kalisch-armes Drama hatte kurz vorher an der gleichen Bühne 
seine Erstaufführung erlebt. Der Beifall galt wohl der Aus- 
stattung und den Mitwirkenden. E. St. 


Neuaufführungen und Notizen. 

— . Die Bühnenfestspiele Bayreuth 1914, die vom 22. Juli bis 
zum 20. August stattfinden, bringen fünf Aufführungen des 
„Fliegenden Holländer“, sieben Aufführungen von „Parsifal“ 
und zwei Aufführungen (acht Abende) des „Ring des Nibe- 
lungen“. 

— In dem ersten Vierteljahr 1914 (vom 1. Januar bis 
30. März) hat Wagners Parsifal an 25 Bühnen 314 Auf- 
führungen gehabt. Die übrigen Werke Wagners brachten 
es zusammen auf 675, darunter Tannhäuser 150, Lohengrin 
122, Meistersinger 101. Die Höchstzahl der Parsifalauf- 
führungen erreichte Charlottenburg mit 32. Daran schließen 
sich Wien (Volksoper) 27, Köln 22, Berlin (Opernhaus) 21 usw. 

— Im Deutschen Opernhaus in Charlottenburg ist nunmehr 
„Monsieur Bonaparte“, komische Oper in drei Akten von 
Bogumil Zepler, ebenfalls in Szene gegangen. 

— Eine Oper „Don Juans letztes Abenteuer“, Text von 
Anthes, Musik von Paul Graener, soll demnächst unter 
Direktor Lohses Leitung am Leipziger Opernhaus zum 
erstenmal aufgeführt werden. 

— „Die Schmiedin von Kent“ heißt eine neue Oper von 
K. von Kaskel. Das Textbuch ist von Ralf Bematzky. Die 
Oper [ist vom Dresdner Hoftheater zur Uraufführung in 
der nächsten Spielzeit angenommen worden. 

— „Josephs Legende“, das Ballett von Richard Strauß, soll 
am 14. Mal in der Großen Oper in Paris durch das russische 
Ballett der Herren Serge de Djaghüew und Dimitri de Günz- 
bourg aufgeführt werden. Die Dichtung stammt von Hugo 
v. Hofmannsthal und Harry Graf Keßler. 

— In Paris ist das Opernhaus Astrucs, das den ganzen 
Winter über geschlossen war, von der amerikanisch-englischen 
Gesellschaft Higgings-Russell für einige Wochen gemietet wor- 
den, um moderne Opern zu geben. Der Anfang wurde mit 
der italienischen Aufführung von „L’Amore dei tre rd“ von 
Italo Montemezzi gemacht, obschon dieser Komponist bis jetzt 
in Paris ganz unbekannt war. Das Textbuch von Sem Be- 
nelli hat folgenden Inhalt: Die italienische Fürstin Fiora ist 
gezwungen worden, den Sohn des barbarischen Eroberers 
Archibaldo zu heiraten, bleibt aber ihrem früheren Verlobten 
Avito treu. Sie erregt dadurch nicht nur die Eifersucht 
ihres Mannes Manfredo, sondern noch mehr die des blinden 
Schwiegervaters, der zuerst die Untreue entdeckt und die 
Schuldige auf der Bühne erdrosselt. Um auch den Liebhaber 
zu strafen, bestreicht er die Lippen der aufgebahrten Leiche 
mit Gift, aber an diesem Gifte stirbt nicht nur Avito, son- 
dern gleich darauf auch Manfredo und so bleibt der blinde 
Vater allein zurück. 

* 

— Von einem Dreibund-Musikfest wird als Neuestes aus 
München berichtet; das großangelegte Musikfest soll eine 


Auslese der musikalischen Produktion und der reproduzieren- 
den Künstler der Dreibundländer umfassen. Es sind 6 bis 
9 Konzerte beabsichtigt, von denen je 2 — 3 der deutschen, 
österreichischen und italienischen Musik gewidmet sind. 
Außer dem Münchner Hoforchester und dem Konzertvereins- 
Orchester, die von Bruno Walter, Richard Strauß, Felix 
Weingartner, Art. Nikisch dirigiert werden, sollen die Wiener 
Philharmoniker und eventuell ein bedeutendes italienisches 
Orchester unter Leitung von Toscanini verpflichtet werden. 
Zur solistischen Mitwirkung sollen berühmte Künstler heran- 
gezogen werden. Da wird dann die Triple-Entente auch 
nicht Zurückbleiben wollen und Somit hätten wir dann das 
vielgenannte europäische Konzert mal in Wirklichkeit! 

— Ueber die neuesten Werke von Richard Strauß wissen 
die Zeitungen zu melden, daß der Komponist nunmehr 
sich wieder seiner Alpensymphonie widmen will, deren 
Skizzen er bis zum Herbst zu beendigen hofft. Die Orchester- 
partitur will er im kommenden Winter in Berlin nieder- 
schreiben, so daß das neue Werk voraussichtlich auf dem 
nächstjährigen Tonkünstler fest des Allgemeinen Deutschen 
Musikvereins die Uraufführung erleben kann. Nach dieser 
Symphonie ist ein großes abendfüllendes Bühnenwerk zu 
erwarten, dessen Textbuch wieder Hugo v. Hofmannsthal 
schreibt. Für die Richtigkeit der Meldung verbürgen wir 
uns nicht. 

— Das II. Konzert des Neuen Orchester- Vereins (e. V.), 
(Leitung: Prof. Hermann Zilcher) in München hat nicht weniger 
als drei Uraufführungen auf dem Programm : Variationen für 
kleines Orchester über das „Wiegenlied" von C. M. v. Weber 
von Karl Pottgiesser, Triptychon zu Leonid Andrejews „Das 
Leben des Menschen“ für großes Orchester, von A. Horn-Nori 
und Suite G dur für Orchester in drei Sätzen von Adolf Ger- 
heuser. 

— In Halle a. S. hat sich Karl Klanerts neue Passions- 

kantate „Die sieben Worte“ für Altsolo, gemischten Chor, 
Klarinette, Viola und Orgel (op. 40) bei ihrer Uraufführung 
durch den altehrwürdigen Stadtsingechor, dessen Dirigent der 
Komponist ist, als ein gediegen gearbeitetes, aus echt reli- 
giösem Empfinden heraus geborenes Werk erwiesen. Die Vor- 
tragsfolge des Konzertes ließ im übrigen nur moderne Kirchen- 
kqmponisten wie z. B. Hohmann, Zenoni, Sittard, Niemann, 
Karg-Elert, Göhler zu Worte kommen. Als Solist wirkte der 
bedeutende Orgelmeister Prof. Karl Straube von der Leipziger 
Thomaskirche höchst erfolgreich mit. —t. 

— In einem Kammermusik-Konzert der Bläser- Vereinigung 
der Großherzoglichen Hofkapelle zu Weimar ist ein Quartett 
für Flöte, Oboe, Klarinette und Fagott von Karl Groepfart 
aufgeführt worden. 

— In der Meininger Stadtkirche fand unter Musikdirektor 

Langguths Leitung eine Aufführung der vor nicht langer Zeit 
aufgefundenen Bachschen Solokantate „Mein Herze schwimmt 
im Blut“ für Sopran (Frl. Elisabeth Angelroth aus Meiningen) 
mit Orchester statt. Das Werk hinterließ tiefen Eindruck. L. 

— In einem geistlichen Konzert in Erfurt hat der Stutt- 
garter Organist Arnold Strebei erfolgreich mitgewirkt. 

— In einem Konzert des „Neuen Gesangvereins“ in Lauen- 
burg ist das „Vater unser “ für gemischten Chor und Soli 
von Spohr aufgeführt worden. Dies Werk kann man nur 
äußerst selten hören, da sich die Noten ausschließlich im 
Besitz der Familie Spohr befinden. Verwandtschaftliche 
Verhältnisse ermöglichten die Aufführung. Oberlehrer 
Schievelbein hat aas Spohrsche Werk einem besonderen 
Arrangement unterzogen. Aus der Orchesterpartitur ist 
eine Orgelpartie geworden. 

— In Insterburg (Ostpreußen) haben -in den letzten Jahren 
allmählich auch Werke von Franz Liszt Fuß gefaßt. Unter 
Franz Notz brachte der Oratorienverein zum Saisonschluß 
eine Aufführung der „Legende von der heiligen Elisabeth“. 
Vorhergehend waren die Aufführungen 1911 der Faust-Sym- 
phonie, ferner von „Les Pr61udes“, „Tasso“, der Orchester- 
Humoreske „Gaudeamus igitur“, und in einem Kirchenkon- 
zerte des 137. Psalms „An den Wassern Babylons“. 

— In Basel hat Karl Friedrich Davids Roma“, ein sym- 
phonisches Gedicht in drei Teilen, im Hiltskassenkonzert der 
„Allgemeinen Musikgesellschaft Basel“, unter Hermann Suter 
seine Uraufführung erlebt. Eine italienische Ouvertüre im 
strengen klassischen Stil läßt die große musikalische Ver- 
gangenheit Roms aufleben. Ein Largo lugubre hat mehr 
malenden Charakter, wir sehen die kontrastreiche Landschaft, 
das Volksleben, ahnen die verhaltene und ausbrechende 
Leidenschaft Latiums und werden endlich unvermerkt in eine 
prunkvolle Kirchenszene mit bunter Prozession, näher und 
näher rauschendem „Credo“ des Chors versetzt, das macht- 
voll (mit voller Orgel) abschließt. Das interessante, vornehm 
wirkende Werk fand eine durchaus begeisterte Aufnahme. Baur. 

— - Max Reger hat 6 Fantasien und Fugen für die Violine 
allein und 3 Duos für 2 Violinen komponiert, die im Laufe 
des Sommers bei Simrock erscheinen werden; ferner instru- 
mentierte Reger 5 Lieder von Brahms, darunter: „Immer 
leiser wird mein Schlummer“, „Auf dem Kirchhofe“, Sapphi- 
sche Ode u. a. 


3«I 




— Kaim-Orchester. Wie wir erfahren, ist die Gründung des 
neuen Kaim-Orchesters in Stuttgart gesichert. Bereits in der 
nächsten Saison wird das Orchester Konzerte geben. Wir 
werden darüber noch Näheres berichten. 

— Von den Theatern. Eine wenig erfreuliche Nachricht 
kommt zu all den Theatermiseren nun auch aus Regensburg. 
Der Fürst Albert von Thum und Taxis will' den für das 


Regensburger Stadttheater bisher gespendeten Zuschuß, der 
in den einzelnen Jahren einschließlich der Vergütung für die 
fürstlichen Logen 60000 Mark betrug, fortan nicht mehr 
geben. Damit ist der Weiterbestand des Regensburger Stadt- 
theaters in Frage gestellt, wenn sich nicht die Stadt selbst 
ihres Musentempels nachdrücklich annimmt. Die Maßnahme 
soll mit dem Rücktritt des bisherigen Direktors Vanderstetten 
Zusammenhängen. Das Regensburger Theater hatte keinen 
schlechten Ruf unter den Provinzbuhnen. Es wäre sehr zu be- 
dauern, wenn die Nachricht von dem finanziellen Verzicht 
des reichen Fürsten sich bewahrheitete. 

— Von den Konservatorien. Kammersänger Ludwig Heß 
ist vom Stuttgarter Musik-Pädagogium zur Abhaltung eines 
Meisterkursus für Tonbildung. Stimmkultur und Vortrags- 
studien (15. Mai bis 1. August) gewonnen worden. 

— Aufruf t Für J. J. ' Quant t, der vor 140 Jahren zu 
Potsdam starb, soll ein „Erinnerungsmal“ errichtet werden. 
Es heißt in dem Aufruf: „Der Gegenwart, die vor kurzem 
das 200jährige Geburtsjubiläum des großen Königs beging, 
erscheint es nunmehr als schöne Pflicht, auch das Andenken 
dieses Mannes zu ehren, dessen Name mit dem des könig- 
lichen Flötenspielers zu Potsdam unlöslich verknüpft bleiben 
wird. Quantz, der Ahnherr der modernen Flötenvirtuosität, 
ist auch als Komponist noch nicht ganz vergessen. Von un- 
vergänglicher Bedeutung ist aber der Meister durch seinen 
.Versuch einer Anweisung, die Flöte Traversifere zu spielen 1 . 
Mit Freude und Genugtuung ist daher die Anregung zu be- 
grüßen, diesem gut deutsch gesinnten Musiker und Erzieher 
m seinem Geburtsort Oberscheden ein Erinnerungsmal zu 
setzen. Da das Geburtshaus nicht mehr steht, ist die Errich- 
tung eines schlichten Brunnens in Aussicht genommen. Der 
geeignete Platz ist bereits erworben worden, ebenso hat sich 
der aus einem Nachbarorte von Oberscheden stammende Pro- 
fessor Eberlein zur Ausführung des büdhauerischen Schmucks 
bereit erklärt. Nunmehr güt es, die erforderlichen Mittel zu- 
sammenzubringen.“ — Der Aufruf ist von hervorragenden 
Musikern und Kunstfreunden unterzeichnet. Spenden sind er- 
beten an Kantor Brüggemann in Oberscheden (Kreis Münden). 

— Ein Viertelton- Klavier. In der modernen Musik steht 
bekanntlich schon seit längerer Zeit das Problem der Viertel- 
töne statt der bisherigen Halbtöne zur Diskussion. Auf 
Streich- und einigen Blasinstrumenten sind Vierteltöne zu- 
meist ohne besondere Vorrichtung zu erzeugen, auf dem 
Klavier dagegen nicht. Nun hat Willy Möllendorff ein 
Patent auf ein Viertelton-Klavier angemeldet, dessen Prinzip 
sich auch auf die Orgel übertragen läßt. 

— Musikaustausch. Der Direktor der Pariser Oper, 
Mr. Broussan, ist auf einer Auslandsreise, die er im Auftrag 
der französischen Regierung unternommen hat, von Stock- 
holm auch nach Berlin gefahren. Es ist seine Aufgabe, 
Mittel und Wege zu suchen, um französische Musik und 
französische Künstler im Ausland bekannter zu machen und 
zugleich gute ausländische Musik und Künstler in Frankreich 
einzuführen. Er will mit seinem Sekretär, Mr. Louis Thomas, 
die Musikstädte in Deutschland und Oesterreich-Ungarn be- 
suchen, und sich mit den musikalischen Persönlichkeiten 
über die besten Mittel des Musikaustausches verständigen. 

— Der Fall Gutmann. Wir hatten im letzten Hefte einen 
Brief des Konzertagenten Emil Gutmann an die „Münchn. 
Neuest. Nachrichten“ mitgeteilt, in dem Herr G. „berichtigt“, 
daß er nicht aus der Agentur austrete und nach Oesterreich 
ginge. Nun veröffentlichen die Blätter folgendes: „Herr Emil 
Gutmann ist allerdings sowohl als Gesellschafter wie auch als 
Geschäftsführer aus unserer 'Firma ausgeschieden. Seither 
hat Herr Gutmann seinen Wohnsitz nach Innsbruck verlegt, 
um sich in den Dienst des k. k. Oesterr. -Ungar. Unterrichts- 
ministeriums zu stellen. Der Betrieb unserer Firma nimmt 
ungehindert seinen Fortgang, nachdem nunmehr eine Einigung 
mit allen Interessenten erzielt worden ist. Konzert-Bureau 
Emil Gutmann G. m. b. H. Die Direktion gez. Junker Fran 
Fredrikshamn.“ 

— Preisausschreiben. Auf Anregung des italienischen Diri- 
genten Campanini hat eine Frau Edith Mc Comich einen Preis 
von 20000 Lire ausgesetzt, der alle drei Jahre einem italie- 
nischen Komponisten zufallen soll. Bedingung ist, daß von 
dem Komponisten, dessen Oper preisgekrönt werden soll, noch 
kein Werk zur Aufführung gelangt ist. 


Personalnachrichten. 

— Prof. Karl Wendling, der Leiter des nach ihm benannten 
Quartetts und 1. Konzertmeister der Hofkapelle in Stutt- 
gart, ist vom Hoftheater in Dresden als Nachfolger des 
Prof. Henri Petri berufen worden, hat jedoch diesen Ruf 
abgelehnt. Es ist das zweite Mal, daß Karl Wendling einem 
verlockenden Ruf widersteht und Stuttgart treu bleibt. 
Er darf aber auch davon überzeugt sein, daß Stuttgarts 
Musikfreunde diesen Entschluß zu würdigen wissen. Wir 
würden viel an diesem Künstler verlieren! 

— Die Zeitungen haben von einer Erkrankung Ernst 
v. Schuchs gemeldet. Wie nun aus Dresden berichtet wird, 
besteht die Krankheit des Generalmusikdirektors v. Schuch 
in einem schweren Nervenzusammenbruch, der nicht lebens- 
gefährlich ist, aber doch zur Folge hat, daß Schuch frühestens 
im Herbst seine Tätigkeit wiederaufnehmen kann. 

— Volkmar Andreas, der Leiter der Züricher Symphoniekon- 

zerte, ist bei der Einweihung der neuen Universität Zürich zum 
Dr. phil. honoris causa ernannt worden. Die gleiche Ehrung 
wurde dem Direktor des Züricher Stadttheaters, Alfred Rencker, 
auf Grund seines künstlerischen Schaffens auf dem Gebiete 
der Oper und des Schauspiels zuteü. E. Trp. 

— Dr. Kunsemüller ist zum Universitätsmusikdirektor in 
Kiel ernannt worden. 

— Artur Wolf, der bisherige Leiter des Kölner Flora- 
Orchesters, ist zum städtischen Kapellmeister von Koblenz 
ernannt worden. 

— Musikdirektor Friedrich Schörry, der 27 Jahre hindurch 
als Dirigent des Musikvereins in Pirmasens gewirkt hat, 
ist von dieser Stellung zurückgetreten und wird pich dem 
Unterricht widmen. 

— Professor Richard Hofmann, Lehrer am Königl. Konser- 
vatorium für Musik in Leipzig, trat am 30. April in voller 
körperlicher und geistiger Frische in das 70. Lebensjahr. Er 
ist bekannt als der Verfasser der großen siebenbändigen .In- 
strumentationslehre, der großen Technik des Violinspiels. so- 
wie einer ganzen Reihe anderer pädagogischer Werke. 

— Karl Wolff in Köln, unseren Lesern als Mitarbeiter der 
„N. M.-Z.“ bekannt, hat als Chefredakteur des Kölner Tag- 
blatts sein 25jähriges Jubiläum unter viel Ehrungen gefeiert. 

— Die Königl. Kapelle und das musikalische Dresden haben 
einen schweren unersetzlichen Verlust erlitten. Hofkonzert- 
meister Prof. Henri Petri ist nach kurzer Krankheit einer 
Lungenentzündung erlegen. Die Katastrophe führte in der 
Nacht zum 8. April, kurz nach seinem 58. Geburtstage (5. April) 
ein Herzschlag herbei. Am 1. Mai hätte Petri sein 25 jähriges 
Jubiläum als Hofkonzertmeister feiern können Tragisches 
Geschick! Viel zu früh ging dieser echte Künstler und viel- 
seitigster aller Joachim-Schüler dahin. Holländer von Geburt, 
der Sohn eines Musikers, errang er infolge seiner ungewöhnlichen 
Begabung schon in frühester Jugend glänzende Erfolge, be- 
sonders m Deutschland. Hier wurde er bald seßhaft. In 
Sondershausen und Leipzig kam seine Kunst zur vollsten 
Reife. Als Nachfolger Lauterbachs, der ihn nun mit seinen 
82 Jahren noch überlebt, wurde er 1889 in die erste Hof- 
konzertmeisterstelle nach Dresden berufen. Was Petri als 
glänzender Orchester- und Kammermusikspieler, nicht minder 
als Solist (Bach, Beethoven, Brahms usw.) und als Lehrer 
geleistet, ist noch in frischester Erinnerung und wird unver- 
gessen bleiben. Ein zartes Wiegenlied eigner Komposition 
gibt Kunde von dem treuen Musikerherzen Petris. Das klagt 
nun auch um den toten Meister. (Abb. s. S. 320.) H. PI. 

— In Soest in Westfalen ist der Komponist des von Emil 
Rittershaus gedichteten Westfalenliedes, Gottfried Hawer- 
kamp, gestorben. 

— In Jena ist die Klavierlehrerin Anna Spiering gestorben, 
eine der letzten Schülerinnen Liszts, die als Pflegetochter 
von Dr. Karl Gille tätigen Anteil nahm an dessen Bemühungen 
um den Allgemeinen Deutschen Musikverein und um die 
akademischen Konzerte in Jena. 

— In Wien ist Dr. Karl Navratil im 78. Lebensjahre 
gestorben. Er war Jurist und Eisenbahnbeamter, und hat 
als Musiktheoretiker viele junge Musiker ausgebildet. 


Unsere Muslkbellage zu Heft 16 bringt eine Romanze von 
Adolf Henselt, dessen 100. Geburtstag gebührende Beachtung 
in der „N. M.-Z.“ gefunden hat. Das Stück ist allerdings 
schon erschienen, aber es wird doch nicht allgemein bekannt 
sein. Es -ist eine fein empfundene Skizze, gehaltvoll bei aller 
Kürze. Das sentimentale Gedicht ist als Zeit-Reminiszenz 
zu verstehen. — An zweiter Stelle folgt ein übermütiges 
Liedlein, das Alexander Kömpel in München auf einen Text 
von Hermann Hesse im getroffenen volkstümlichen Ton kom- 
poniert hat. Wem der Schluß zu hoch liegt, transponiere es, 
die Arbeit ist leicht auszuführen. 

. ■ ■ ■ " ■ 1 ■ 1 =aaaa 

Verantwortlicher Redakteur: Oswald Kühn in Stuttgart. 
SchluB der Redaktion am 2. Mal, Ausgabe dieses Heftes am 
14 Mal, des nSchsten Heftes am 28. Mal. 


322 



Briefkasten 


EIN NEUER BEETHOVEN-ERSTDRUCK 



Sollen Kompositionen im Briefkasten 
beurteilt werden, so Ist eine Anfrage nicht 
erforderlich. Solche Manuskripte können 
jederzeit an uns gesendet werden, doch darf 
der Abonnementsausweis nicht fehlen. 

(KedaktlonsschluQ am 30 . April.) 

■Ihren 2. In ein gewählteres Programm 
passen die banalen Klänge vorliegenden 
Marsches nicht. Immerhin wäre'die Auf- 
fahrung ein festliches (Ereignis! für fden 
Schüler und seine Klasse. Das Trio müßte 
an 2 Stellen korrigiert werden. ^5 

L. E—ter, K. Unter Ihren 3 gemüt- 
vollen Chorliedern verdient „Wo zu fin- 
den?" den Vorzug. Die Weltabgeschlossen - 
heit scheint Ihr lyrisches Empfinden nicht 
ungünstig zu beeinflussen. Auch die satz- 
technische Darstellung läßt selten einen 
Wunsch offen. Als verständiger, sinniger 
Tonpoet werden Sie im volkstümlichen 
Genre Immer wieder etwas Hübsches her- 
vorbringen. 

0. Gr— mann, D. Das Streichquartett 
Ist mit guter Sachkenntnis behandelt. Die 
beiden neuen Stimmen fügen sich organisch 
ins Ganze ein; den Eigentümlichkeiten 
des Haydnschen Quartettstils ist vollauf 
Rechnung getragen. 

R. H., Brasl. Ihr „Sanktus“ Ist dgent- 
ltch nur eine Skizze. Kirchlich kann <fas 
Stück nicht genannt werden. Um Ihrer 
Neigung zur Sentimentalität zu steuern, 
sollten Sie sich 1m strengen Satz üben. 
Begabung ist ja da. 

B. 100. Melodisch reizvoll. Begleitung 
dürfte besser sein. Vorspiel passend. 

H. B— mann, B. Etwas nüchtern und 
farblos. Die Fähigkeit zur tieferen künst- 
lerischen Erfassung zeigt sich noch wenig 
entwickelt. 

0. W., Dr. ^ Ihre 3 Chöre lassen Ver- 
trautheit mit den Regeln desmuslka ilschen 
Satzes vermissen. -^Der Franenc höf .zeigt 
Spuren einer guten Veranlagung.) 


Soeben gelangte zur Veröffentlichung: 

Ludwig van Beethoven 

Variationen über ein Thema aus Mozarts „Don Juan“ 

(Lä ci darem la mano — Reich mir die Hand) 

Für 2 Oboen und Englisch Horn 

Zum ersten Male herausgegeben von Fritz Stein. E. B. 3967. 2 M. 

Für 2 Violinen und Viola bearbeitet von Herrn. Gärtner. E. B. 3970. 2 M. 

D em glücklichen Entdecker der bis jetzt von annähernd 250 Orchestern gespielten 
und in immer weitere Kreise dringenden „Jenaer Sinfonie“ von Beethoven, 
Professor Fritz Stein in Jena, ist es vergönnt, durch Veröffentlichung dieser 
„Variationen“ die musikalische Welt wieder mit einem „neuen“ Beethoven bekannt 
zu machen. Die von ihm auf Grund des Original-Manuskriptes herausgegebenen 
„Variationen“ erscheinen hier zum ersten Male. Sie entstammen wahrscheinlich der 
gleichen Zeit, in der Beethovens Trio in der gleichen Besetzung Op. 87 entstanden 
ist. Aufgeführt wurden die Variationen zum ersten Male am 23. Dezember 1797 in 
Wien in einem Konzert zugunsten der Witwen und Waisen des Nationalhoftheaters. 
In der Original- Bläserbesetzung werden die Variationen den Kammermusikvereinigungen 
sicherlich recht willkommen sein, da sie tatsächlich eine prächtige Bereicherung des 
nicht gerade großen Repertoires derselben bedeuten. Für die Hausmusik ist die 
Streichmusik eine vortreffliche Gabe. Sie ist um so mehr zu begrüßen, als in Be- 
rücksichtigung der Originalbesetzung mit ihrer Ausführung den Streichern kaum 
Schwierigkeiten geboten werden dürften. Von großem Reiz ist die Feinheit des Satzes 
für die verschiedenen Instrumente und die prächtige Klangwirkung. :: :: 


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2200. — u. 8000. — Repara- 
turen von Meisterhand. Keine Lexis- 
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Leistungen. — Freie - Liste frei. 


Allgemeine Gefchichte der Mufik 

von Dr. Ridiard Batka und Prof. Dr. Wllibald Nagel 

Mit reichem Bildfchmuck. Lexikon-Format 

In Leinwand gebunden Band I Mk. 5.—, Band II Mk. 6.— 

(Bel direkter Zufendung eines oder beider BSnde 50 Pf. Porto.) 

Nach den neueften Forfchungen gemeinverständlich bearbeitetes Studien- und Orlentlerangswerk 
allererlten Ranges. Zahlreiche glänzende Gutachten. Die beiden erßen Bände enthalten annähernd 

350 Abbildungen 

die zum Teil äufeerß feiten find. Der Text wird durch dlefe tn anregender Welfe ergänzt. — 
Der erße Band behandelt die Gefchichte der Mufik von den älteften Zelten bis zum Mittelalter, 
der zweite Bend führt bis zur Milte des 19. Jahrhunderts. Die In flüfßgem Stil gehaltene Darftel- 
lung bietet eine Fundgrube neuer, Intereflanter Daten, die man In anderen Nachfchlagewerken 
vergebens fuchl. Der dritte Band wird von Prof. Dr. Nagel fortgefetzt und tn Bogen periodlfch 
der „Neuen Muflk-Zeltung" beigefügt. 

Carl Grüninger in Stuttgart. 


323 








Türmer. Sie sind inzwischen ein anderer 
geworden. Es sind nicht mehr die blut- 
leeren, trockenen Reflexionen von früher. 
Wir setzen nun in Ihr Schaffen günstigere 
Hoffnungen und sehen gelegentlichen Be- 
weisen anhaltenden Aufschwungs entgegen. 

B — M. J. Der Inhalt beider Partituren 
ist ln jeder Hinsicht gediegen. Sie zeigen 
sich vertraut mit den Forderungen eines 
guten Quartettsatzes und vermögen dank 
Ihrer vorgeschrittenen Satztechnik inter- 
essant zu gestalten. 

K, A— eit, W. Ihre Arbeiten befriedigen 
leider nicht. Mit den beiden Orchester- 
partituren haben Sie nutzlos Zeit ver- 
geudet. Ebenso unbedeutend Ist „Am 
Abend". Die Geheimnisse wahrer schö- 
pferischer Kunst sind Ihnen noch ver- 
borgen, wiewohl sich nicht leugnen läßt, 
daß ein Talent, das sich schon an größere 
Aufgaben heranwagt, auch der Entwick- 
lung fähig sein muß. 

&7E ) — : 

Neue Musikalien. 

(Spätere Besprechung vorbrhaltm.) 

Instrumentalmusik. 

Chevillaro, Camille, op. 6: Bal- 
lade Symphonique, Partition 
d’Orchestre (format de Poche) 
7 Fr. A. Durand & Fils. Paris. 
Roparlz, J. Guy.: La Chasse 
du Prinze Arthur , Etüde 
Symphonique, Partition d’Or- 
chestre (format de Poche) 
7 Fr. Ebenda. 

Wagner, Richard: Album für 
Hausmusik, zum Gebrauch 
in Schulen, Musikinstituten 
und musikalischen Vereini- 
gungen, 2. Folge, No. 3 Ouver- 
türe zu „Tannhäuser“, für 
Klavier zu 4 ms. und Violine 
nebst II. Violine u. Violon- 
cello ad üb. eingerichtet von 
Dr. Heinrich Schmidt 3 M. 
Louis Oertel, Hannover. 
Braun, Rudolf, op. 38: Quin- 
tett, e moll, 2 Violinen, Viola 
und 2 Violoncello, Partitur. 
Universal-Edition, Wien. 
Marx, Joseph: Trio-Phantasie 
für Klavier, Violine u. Vio- 
loncell. Ebenda. 

Müller - Hermann , J ., op. 6 : 
Streich-Quartett Esdur, Part. 
Ebenda. 

Friedberger, E. : Streich-Quar- 
tett Ddur, Part. Ebenda. 
Smyth, Ethel: Streich-Quartett 
e moll, Partitur. Ebenda. 
Hartmann, Phil.: Feierklänge, 
50 klassische u. neue Stücke 
für Orgel oder Harm. 3 M. 
Karl Hochstein, Heidelberg. 
Sor, Ferdinand: Ausgewählte 
Gitarre - Werke. Nach den 
Original - Ausgaben revidiert 
von Georg Meier, Heft I 
(leicht). N. Simrock, Berlin. 
Schröck, F. A . : Praktischer Rat- 

f eber zum Arrangieren von 
farmoniumstimmen für Sa- 
lon-Orchester. Carl Simon, 
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Verantwortlicher Redakteur: Oswald Kühn in Stuttgart. — Druck und Verlag von Carl Qrüninger in Stuttgart. — (Kommissionsverlag in Leipzig: F. Volekmar.) 













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Jahrgang I Preis des Jahrgangs (Oktober 1913 bis September 1914) 8 Mark. I Heft 17 

Bnchdnt vierteljährlich In 6 Heften (mit Htuikbdlacen, Ktmmbeilage und „Batks, illustrierte Geschichte der Musik"). Abonnemeutpreii 3 M. vierteljährlich, t M. jährlich. 
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österreichischen Postgebiet M. 10,40, im übrigen Weltpostverein M, is. — jährlich. 




Inhalt * Ernst von Schuch f. — Führer durch die Literatur für eine Geige allein. (Schluß.) — Opernkritik und Reportage- — Pfltsner und Straßburg. — Ehre 
Ulli all . pariser „Straufl- Premiere". „La Lösende de Joseph" (op. 63). Handlung ln einem Auisug von Harry Gral Keßler u. H. v. Hofmannsthal. — Urauffüh- 
rungen deutscher Opern. „Die Marketenderin." Eine „deutsche Spieloper" von Robert Misch. Musik von Engelbert Humperdlnck. (Uraufführung im Kölner Opern- 
haus am 10. Mal 1914.) „Das Ungeheuer." Muslkal. Lustspiel in einem Akt von Anton Beer-Walbruna. (Uraufführung am Groüh. Hoftbeater in Karlsruhe.) Frans 
Schmidt: „Notre Dame." (Urauffühiung am Hofoperntheater in Wien.) — Hamburger Erstaufführungen. — Römisches Musikleben. — Kritische Rundschau: Chemnltx, 
Danzig, Dortmund, Essen-Ruhr, Kristiania. — Kunst und Künstler. — Besprechungen. — Briefkasten. — Nene Muslkallen. — Dur und Moll. — Musikbeilage. 


Ernst von Schuch f. 

Ein Nachruf von Prof. OTTO URBACH (Dresden). 

D resden in Trauer und Bestürzung — am io. Mai 
1914 ist unser Stolz, unser vergötterter Liebling, 
unser Schuch in das Reich der ewigen Harmonien ein- 
gegangen. Nie mehr werden wir uns dem Zauber dieser 
ganz eigenartigen Persönlichkeit hingeben können, nie 
wieder wird uns jener Rausch des Entzückens erfassen, 
der von seinem Dirigentenstabe ausging, nie wieder wer- 
den wir die Meisterwerke in der ganz besonderen Weise 
zu hören bekommen, wie Er sie vermittelte! Was ist 
es, was wir an Schuch bewunderten, was uns jubeln und 
erzittern machte, wenn Er unsere Königliche Kapelle, 
unsere Oper leitete? Was war es, das jede Bühne, jedes 
Orchester zwangen, ihr Bestes zu geben, wenn sein Blick, 
seine Hand befahlen? — Nicht der berühmte Name, den 
haben andere auch! — Aber warum erklang unter seiner 
Leitung jedes Orchester, jede Bühnenaufführung gewisser- 
maßen in Reinschrift? Warum spielte unter ihm die 
Kgl. Kapelle wie ein Solist, ja wie der beste! mit diesem 
unvergeßlichen Wohllaut, mit diesem eindringlichen Ge- 
fühl, mit dieser höheren rhythmischen Freiheit, die in 
der stärksten rhythmischen Genauigkeit ihre Wurzeln hat, 
mit dieser wunderbaren Gleichzeitigkeit des Zusammen- 
klangs uud nicht zuletzt mit dieser wundervollen Rein- 
heit der Intonation? Und was bewirkte diese spannende 
Gemeinschaftlichkeit zwischen Ausführenden und Hörem, 
sobald seine hohe Gestalt am gewohnten Platze erschien? 
— Nicht der berühmte Name allein, ich wiederhole es: 
es war die Kraft seiner Persönlichkeit, es war die Ueber- 
legenheit, die von ihm ausstrahlte, es war mit einem 
Worte die ganze ungeheure zusammengedrängte Begabung 
— das Genie. Wenn Schuch dirigierte, „klappte" alles! 
Seine Geschicklichkeit war dermaßen, daß er, wie man 
erzählt, in keiner der unzähligen Proben zur „Salome“ 
einen der ebenso zahlreichen Taktwechsel unsicher oder 
gar verkehrt angegeben hat. Und diese unfehlbare Sicher- 
heit teilte sich dem ungeheuren Werkzeuge der Bühne 
mit, der Wille, zu siegen ! Da unterblieb kein Einsatz, 
da gab es keine rohe Eigenmächtigkeit — wehe dem Un- 
glücklichen, der etwas „verpatzt“ hätte! Das kleinste 
Versehen wurde mit rücksichtsloser Härte und Schärfe 
geahndet, der ganze Sturm eines leidenschaftlichen Tem- 
peramentes brach auf ihn los. Dieses leidenschaftliche 
Temperament, die Grundlage aller Bühnenkunst, war 
der Grundzug des Schuchschen Wesens; im Lichte dieses 


jugendlichen Feuers erschienen wohlvertraute Werke oft 
wie neugeschaffen, erzeugten im Hörer eine atemlose 
Spannung, erschienen schwächere Werke auf eine höhere 
Stufe erhoben, wurden Niedrigkeiten geadelt, wurden aus 
Roheiten Aeußerungen eines überschwänglichen Gefühles. 
Dieses Temperament, so heftig und vernichtend es los- 
brechen konnte, so hinreißend liebenswürdig konnte es 
sein, und diese Liebenswürdigkeit im Verein mit welt- 
männischer Bildung und Geschliffenheit machten ihn zu 
einer so anziehenden, dem Theater so außerordentlich 
angepaßten Erscheinung. Ein gewisser Hauch des Uner- 
gründlichen war um ihn, rätselvolle Widersprüche barg 
sein Wesen ... an schwerblütigen tiefgründigen Werken 
konnte er Vorbeigehen und effektvolle Nichtigkeiten zum 
Siege führen . . . durch ihn wurde Dresden eine Zeitlang 
mit Qualvollalltäglichem überschüttet, wenn es italieni- 
scher Herkunft war — und andererseits war Er es wieder, 
der ein so stolz aufragendes Werk wie Draesekes „Herrat“ 
zum Leben erweckte und der die bewunderungswürdigsten 
Großtaten des letzten Jahrzehntes mit den glänzenden 
Uraufführungen der Richard Straußschen Musikdramen 
von Feuersnot bis zum Rosenkavalier vollbrachte. Dem 
machtvollen Glanze und dem Pathos Wagners wurde er 
ebenso gerecht wie der Vornehmheit und Feinheit Brahmsens ; 
übrigens war die c moll-Symphonie Brahmsens am 24. April , 
eins der letzten Werke, das er dirigiert hat: wer hätte bei 
dieser außerordentlichen, hinreißenden Aufführung wohl ge- 
glaubt, daß ein Todgeweihter sie 16 Tage vor seinem Ende 
leitete? 

Eine besondere Betrachtung erfordert seine eigentüm- 
liche Begabung für das Graziöse, geistreich Anmutige, das 
in schnellen Rhythmen Dahinhuschende, mehr an der 
Oberfläche als in der Tiefe Wurzelnde, in schneller Leiden- 
schaftlichkeit Auflodernde: so war er ein unübertroffener 
Dirigent der komischen Oper und wohl der beste aller 
Mozart-Dirigenten und wie geschaffen für die ältere und 
neuere ernste und heitere italienische Oper. Nicht ohne 
Grund wurden wir um unsere Aufführungen Puccinischer 
Werke beneidet: was anderswo unerträglich erschien, — 
in Dresden ward es unter Schuch zum Genuß. 

Erklärlich wird dies außer durch Begabung und Nei- 
gung durch Lebenslauf und Jugendeindrücke. Ernst 
Schuch ist ein Sohn der steirischen Hauptstadt Graz und 
entstammt ihr zu einer Zeit, da es noch fast ganz im 
italienischen Sprachgebiet lag. Er ist dort am 23. Nov. 
1847 geboren, lernte frühzeitig Violine und Klavier und 
ließ sich als Geiger bereits mit 7 Jahren, als Klavier- 
spieler mit 9 Jahren öffentlich in seiner Vaterstadt hören. 


325 









Sein Vater, k. k. Staatsbeamter, ließ ihm die Wohltat 
einer höheren Bildung zukommen und das Gymnasium 
besuchen, das er nach dem Tode des Vaters in Marburg 
a. d. Drau vollendete, um juristischen Studien an der 
Grazer Universität obzuliegen. Die Grazer Oper dieser 
Zeit war italienisch, und Schuch hat ohne Zweifel in jener 
Zeit seinen Sinn für den italienischen Bel canto, über- 
haupt seine innerliche und starke Empfindung für jede 
melodische Wendung, worin ja der italienische Musiker 
dem deutschen überlegen ist, gebildet; ebenso hat er 
sicher schon aus jener Zeit die vorbildliche Behandlung 
der Rhythmik, sodann die verblüffende Sicherheit in der 
Handhabung des Kapellmeisterhandwerkes. Schon als 
Studiosus dirigierte er, und zwar den Akademischen Ge- 
sangverein seiner Vaterstadt, Musikstudien betrieb er bei 
Eduard Stoltz, später in Wien, wo er übrigens auch als 
stud. jur. immatrikuliert war, bei Otto Dessoff, dem be- 
kannten dortigen Hofopernkapellmeister (später in Karls- 
ruhe und Frankfurt a. M.) und Dirigenten der Philharmo- 
nischen Konzerte. Der juristischen Laufbahn entsagte Schuch 
erst 1867 in Breslau, als ihn Direktor Lobe an sein Theater 
berief. Kurze Engagements in Würzburg, Graz und Basel 
folgten, die Schuch schnell einen solchen Ruf verschaff- 
ten, daß ihn Pollini 1872 für seine neugegründete italie- 
nische Operngesellschaft als ersten Kapellmeister verpflich- 
tete. Gleich die erste Aufführung dieser „stagione", die 
Aufführung von Donizettis „Don Pasquale“ am 19. März 

1872 in Dresden wurde für Schuchs ganzes Leben ent- 
scheidend: der feurige und geschmeidige junge Dirigent 
wurde bereits am 1. August desselben Jahres an die 
Dresdner Hofoper als kgl. Musikdirektor verpflichtet und 

1873 zum kgl. Kapellmeister ernannt, wo er zuerst neben 
Rietz, später neben Wüllner wirkte, u. a. auch 1875 
Liszts „Legende von der heiligen Elisabeth" aufführte 
und 1882 nach dem wegen Kompetenzstreitigkeiten er- 
folgten Weggange Wüllners Generalmusikdirektor der 
Dresdner Hofoper wurde. 1875 vermählte er sich mit 
Clementine Prochazka, der Zierde der Dresdner Oper im 
Fache des Ziergesanges. 

Den außerordentlichen Leistungen Schuchs entsprachen 
außerordentliche Ehrungen und^ Auszeichnungen: Kgl. Hof- 
rat, Geheimer Hofrat durfte er sich nennen; berühmte 
Künstlervereinigungen, wie der Dresdner Tonkünstler- 
verein, ernannten ihn zum Ehrenmitglied und Ehren- 
präsidenten; Opemkonkurrenzen, wie 1893 die Koburger, 
1896 die Münchner, Männergesangswettstreite, wie die von 
Kassel und Frankfurt a. M., beriefen ihn zum Preisrichter, 
Opernfestspiele zum Dirigenten, wie Wiesbaden 1897; auch 
die Bühnen von Petersburg, Moskau, Monte Carlo, soviel 
ich weiß auch italienische und amerikanische Opernhäuser 
verpflichteten ihn als Gastdirigenten. Hohe Orden wur- 
den ihm verliehen: durch den Orden der Eisernen Krone 
erhob ihn 1897 der Kaiser von Oesterreich in den erb- 
lichen Adelsstand mit dem Prädikat Edler von Schuch. 

Auffallend erscheint, daß er nie in Bayreuth dirigiert 
hat, wo es doch bekannt ist, daß Wagner ihn sehr ge- 
schätzt hat; soll dieser doch nach einer Aufführung des 
„Rienzi“ beim Pilsner (bei Kneist auf der Großen Brüder- 
gasse) über Schuch den Witz gemacht haben, „er sei der 
einzige Schuh, der ihn nicht drücke.“ Trotzdem auch 
seine Sänger, wie Therese Malten, Marie Wittich, Scheide- 
mantel, Perron u. a., häufige Gäste auf dem Festspiel- 
hügel waren und trotzdem an ihn wiederholt Einladungen 
ergingen, hat er keine Aufführung in Bayreuth geleitet. 
Desto größer war sein Ehrgeiz, die Wagner- Aufführungen 
in Dresden möglichst glanzvoll zu gestalten — und wie 
ihm das gelungen ist, das brauche ich niemandem zu be- 
schreiben, der auch nur eine miterlebt hat. 

Ein gütiges Geschick ließ ihn 42 Jahre an der Dresdner 
Hofoper wirken, an dem Platze, an dem einst Hans Leo 
Häßler, Heinrich Schütz, Adolf Hesse, Carl Maria von Weber 
und Richard Wagner Unvergängliches schufen; war ihm 
auch die schöpferische Tätigkeit in größerem Umfange 

326 


versagt, so steht als Nachschaffender er doch gewiß den 
Größten gleich und war allzeit ein Mehrer des Ruhmes 
des ihm unterstellten ehrwürdigen Kunstinstitutes. 

* * 

* 

Die Beisetzung des toten Dresdner Generalmusikdirek- 
tors gab ein weiteres Bild von der Bedeutung des Mu- 
sikers und seiner künstlerischen Wertschätzung. Die 
Zeitungen wußten davon zu berichten. Auch zahlreiche 
Beileidstelegramme waren eingegangen, so vom Hofopern- 
direktor Gregor in Wien, Professor Ochs, Geheimrat 
Lautenburg, Leo Blech, Paül Lindau, ferner vom Vor- 
stande der Dresdner Königlichen Musikkapelle Hausminister 
v. Metzsch, Grafen Hochberg, Nicod6, Therese Malten. 
Richard Strauß, der wegen der Aufführung seiner Josephs- 
Legende in Paris weilte, ist vom Tode Schuchs, der ihn 
mit am stärksten gefördert hat, besonders schmerzlich 
erschüttert worden. Ernst Schuch ist rasch gestorben; 
obgleich sein Befinden ernst war, glaubte man nicht an 
ein nahes Ende, das plötzlich abends nach 6 Uhr eintrat. 
Dem auf der Jagd weilenden König von Sachsen wurde 
sofort Mitteilung vom Ableben seines Generalmusikdirek- 
tors gemacht. — Der Kaiser hatte an den Grafen See- 
bach aus Wiesbaden folgendes Telegramm gerichtet: „Ich 
bedaure aufrichtig den Tod des hochverdienten General- 
musikdirektors v. Schuch. Vor einem Jahre sah ich ihn 
zum letzten Male in Frankfurt a. M. bei dem Sängerwett- 
streit und konnte hier erneut seine große Begabung und 
sein sicheres Urteil schätzen. Welch ein Verlust für 
Dresden und die ganze musikalische Welt! Wollen Sie 
den Angehörigen des Dahingeschiedenen meine herzliche 
Teilnahme aussprechen, insonderheit seiner so talentvollen 
Tochter. Wilhelm.“ — 

Wie Schuch „entdeckt" wurde, darüber weiß die Tochter 
Theodor Lobes, Fräulein Trude Lobe, im „Berl. Tagebl.“ 
zu erzählen: „Mein Vater war damals Direktor des Breslauer 
Stadttheaters und reiste nach Wien, um sich auf einer 
Agentur eine Sängerin anzuhören. Als er hinkam, fehlte 
der Klavierspieler, und ein Ersatz war so schnell nicht 
zu finden. Da meinte ein Angestellter der Agentur: 
Drüben im Kaffeehaus sitze um diese Zeit immer ein 
Student, der so fabelhaft musikalisch sei, daß er mit 
Leichtigkeit die Dame begleiten könne. Mein Vater 
meinte, das könne man ja einmal versuchen, und richtig 
erschien nach kurzer Zeit ein schmächtiger, blasser Jüng- 
ling, der sich sofort ans Klavier setzte und in so genialer 
Weise begleitete, daß mein Vater die Sängerin vollständig 
vergaß und nur Augen und Ohren für den Klavier- 
spieler hatte. 

Als die Probe beendet war, fragte er ihn, warum er 
sich bei seiner eminenten Begabung nicht vollständig der 
Musik widme. Darauf ein großer Tränenausbruch des 
jungen Mannes — es sei sein sehnlichster Wunsch, aber 
seine Eltern erlaubten es nicht, er solle absolut Jurist 
werden. Er studiere zwar Musik nebenbei, aber sein 
ganzes Sehnen und Dichten ginge darauf aus, Musiker 
zu werden. Mein Vater gab ihm daraufhin seine Karte 
und sagte ihm, falls es ihm doch gelingen sollte, die 
Eltern umzustimmen, solle er zu ihm nach Breslau 
kommen, er könne jeden Tag ein fengagement bei ihm haben. 

Ein paar Wochen später kam er auch wirklich an, 
er habe die Juristerei an den Nagel gehängt, sei von zu 
Hause durchgebrannt, und da wäre er. Er wurde auch 
gleich engagiert, erst als Korrepetitor, aber es dauerte 
nicht lange, dann durfte er kleine Balletts und Possen 
dirigieren und später hier und da eine Oper. Mit rüh- 
render Dankbarkeit hing er an meinem Vater, und 
meinem Vater hat sein Leben lang kaum eine Talentent- 
deckung so viel Freude gemacht, wie die von Emst Schuch. 

Ein merkwürdiger Zufall will es, daß beide Männer, 
die sich in Wien kennen gelernt haben, in dem kleinen 
sächsischen Ort Kötzschenbroda auf demselben Friedhof 
zur ewigen Ruhe gebettet sind.“ 



Führer durch die Literatur für eine 
Geige allein. 

Von OTTO VOIGT (Köslin 1. P.). 

(Schluß.) 

V or uns liegt das Buch: „Von der Violine“ von 
Paul Stoeving, das so unterhaltend, tief und poe- 
tisch das Werden der Violine erzählt. Aus dem Buche 
kann man sich viel Anregung holen und die reine Streich- 
musik lieben lernen, die im Streichinstrumenten-Solo, 
-Duo, -Trio, -Quartett usw. ohne Einmischung des Klaviers 
bekanntlich von Kennern am 
meisten geschätzt und mit 
Feinschmeckergenuß gespielt 
wird. Wenn zum Quartett 
der vierte Mann aus^eblieben 
ist, spielen die Liebhaber 
Streichtrios, blieb auch noch 
der andere vom Quartett aus, 
so ergreifen wohl die beiden 
nachbleibenden das Duo (sei 
es für Geige und Viola, oder 
zwei Violinen, oder für Violon- 
cello und eine Geige); ist gar 
ein Geiger ganz verlassen, nun, 
dann tröste er sich mit seiner 
vermeintlichen Stradivario, 

Guamerius oder Amati, und 
greife zur Literatur für Violine 
allein. Er wird auch hier die 
Wonne des kleinen Zauber- 
instruments, der Geige, spüren 
und genug Werke finden, die 
ihm eine entzückende Zwie- 
sprache mit einem musikali- 
schen Freunde (hier dem Kom- 
ponisten) gewähren. Wir kön- 
nen ihm viele schöne Werke 
von Meisterhand empfehlen 
und fahren nun fort in der 
Besprechung der Literatur für 
die Violine allein. 

F. W. Rust (1822 — 1892) 
komponierte mehrere Sonaten 
für Geige allein. Er wandelte 
in den Bahnen seines großen 
Vorgängers J. S. Bach, der ja 
auch Thomaskantor in Leipzig 
war. Die eine, bekanntere 
Sonate für Violine solo ist von 
Ferd. David herausgegeben und 
mit einer Klavierbegleitung versehen, in der Art, wie 
Mendelssohn und Schumann die Solosonaten von J. S. Bach 
bearbeiteten. Wir und der musikgeschichtlich wohlbegriin- 
dete allgemeine Geschmack nehmen die Werke so hin, 
wie der Komponist sie geschaffen hat, auch wenn sie 
nackt und bloß in reiner Schönheit für Geige allein er- 
scheinen. Das Kleid einer Klavierbegleitung wünschen 
wir Geiger ihnen gar nicht! Wer die Solo-Sonaten J. S. 
Bachs von Jos. Joachim gehört hat (moderne Künstler 
nicht ausgeschlossen), der wird es verstehen, daß er keine 
Begleitung verwendete, sondern ohne Klavier die allein 
auf sich selbst beruhenden Werke vortrug. Rusts Sonate 
d moll ist eine Zwitterform, zwischen altitalienischer So- 
nate und Suite. Der langsame Sat2 kommt zuerst, und 
diesem Präludium folgt die Fuge, wie in der altitalie- 
nischen Form, dann aber folgen Gigue, Chaconne, Gigue, 
Courante, Gigue. Die wiederkehrende Gigue verleiht dem 
ohne Unterbrechung zu spielenden dritten Teile einen 
rondoartigen Charakter, wobei die eingefügte Chaconne 
und die Courante die Zwischensätze vertreten. Eine ge- 


schlossene Rondoform ist aber nicht erreicht: wie gesagt, 
das Stück ist eine Zwitterform. Der Wert der Arbeit 
ist sehr hochstehend, wie es bei einem Thomaskantor in 
Leipzig nicht anders zu erwarten ist. 

Die zweite Sonate (von Singer herausgegeben) hat ähn- 
liche Zwitterform, auch sie vereinigt alte Sonatenform 
mit der Suite. 

Singer hat die Kadenzen sehr schön ausgeführt, so daß 
diese B dur-Sonate ein äußerst dankbares, dabei vorneh- 
mes Konzertstück geworden ist, das den Solisten ebenso 
zur Geltung bringt, wie z. B. ein klassisches Violinkon- 
zert. Die Tonart B dur ist fein gewählt und bietet neue 
Kombinationen für die Harmonien, die angenehm auffallen, 

da die Sonate die einzige aus 
B dur ist in unserer Literatur. 
Das Fugenthema hat moderne- 
ren Charakter, es gleicht mehr 
einem Thema aus der Zeit der 
Wiener Klassiker oder Stamitz’, 
als den Themen der Zeit Bachs, 
Händels, Tartinis, Corellis. 
Darauf folgt eine Aria auf den 
beiden tiefen Saiten, die ge- 
sangreich gegen die vier Double- 
teile (Variationen) absticht und 
als Schluß wiederkehrt. Bouree, 
Couplet, Gigue vervollständigen 
den dankbaren Ausklang des 
Werkes, welches virtuos wirkt, 
ohne übermäßig schwer zu 
sein, und musikalischen Wert 
besitzt. Auch diese Werke 
können und wollen ihren Zeit- 
charakter nicht verschweigen, 
sie sind eine Wiederbelebung 
alter Formen und füllen diese 
mit individuellem Inhalt an. 
der, wie die ganze musikalische 
Persönlichkeit Rusts, höchst 
vornehm und geistreich ist, 
jedoch nicht gerade Geniali- 
sches an sich trägt. 

Der Zeit nach folgt nun 
Ferd. Davids op. 43, Suite für 
Geige allein. 1. Menuett, 
2. Gavotte , 3. Siciliano. 

4. Gigue. Der Stil des rei- 
zenden Werkchens ist be- 
stimmt durch die Renaissance 
Bachscher Motive, die aber 
in weicher Gestalt wieder- 
kehren und den Stempel 
Mendelssohnscher Lyrik an 
sich tragen. Die Tonart gmoll wird für Violine allein 
sehr bevorzugt. Die Gründe dafür liegen nahe: Leere 
Saiten können die Klangschönheit in den Hauptakkor- 
den sehr befördern, und die so schwer zu erreichende 
Polyphonie ist nicht gefährdet durch allzurauhe Bogen- 
striche und unausführbare Griffe. Aus diesen Gründen 
finden wir noch mehr Werke, die aus der Tonart g moll 
gehen. J oseph J oachim hat außer seinen schönen Kadenzen 
zum Beethovenschen und Brahmsschen Konzert keine 
Kompositionen für Violine allein hinterlassen. In seinem 
ungarischen Konzert, das entschieden noch eine Zukunft 
hat, kommen in der Kadenz solch eigenartige Stellen vor, 
die einen ganz eigenen Stil der Violintechnik verraten, 
daß wir bedauern müssen, diesen Stil nur in Kadenzen, 
und nicht in einem eigenen Werke für Solovioline weiter 
entwickelt zu sehen. Seine Melodienerfindung und Kom- 
positionstechnik müssen wir höher einschätzen, als die 
sämtlicher bisher genannter Geiger; und ihn direkt neben 
Tartini und Spohr stellen. 

Es liegen nun noch einige Transkriptionen von Leon 

327 



ERNST v. SCHUCH t- 
Photogr. M. Hmfeld, Dresden. 


de Saint-Lubin vor, zum Konzertvortrage bezeichnet von 
Emil Kroß. i. op. 46 die Fantasie über ein Thema aus 
Lucia di Lammermoor. Sie ist im Emstschen Stil kompo- 
niert. Ebenso die Fantasie über das Beethovensche Lied 
„Adelaide“, das nach ähnlichen Grundsätzen wie der 
Emstsche „Erlkönig“ zu kritisieren ist. Zweifelsohne sind 
diese beiden Sachen aber äußerst dankbar und zum Studium 
sehr zu empfehlen. Schade daß . nicht Originalmelodien 
statt der Uebertragungen geboten sind! 

Die großen Komponisten Mendelssohn, Schumann, 
Brahms, haben uns ebensowenig Werke für Violine allein 
hinterlassen, als die klassischen Kammermusikkompo- 
nisten Haydn, Mozart, Beethoven. Duette für verschiedene 
Instrumente (meistens Blasinstrumente), deren Ueber- 
tragung für entsprechende Streichinstrumente sie selber 
gestatteten, sind vorhanden. Diese Heroen der Tonkunst 
standen dem speziellen Violinspiel (außer. Mozart in seiner 
Jugend) nicht so nahe, wie Joh. Seb. Bach, der ja selber 
eine Zeitlang Konzertmeister war. Den großen Helden 
der Tonkunst lag ihre Vorliebe für reicheres und reichstes 
Material so nahe, daß wir Beispiele nennen könnten, wo 
ihnen selbst das Klavier nicht mehr genügte, und ge- 
borene Klavierkomponisten das anfangs bevorzugte Klavier 
gegen das Orchestermaterial zurücktreten lassen. 

Etwa zwanzig große und größere Werke lassen sich 
nun in neuerer und neuester Zei,t noch anführen, und es 
lohnt sich darüber zu berichten. ; 

Zu einer Zeit, wo kein Geiger etwas herausgab, schrieb 
ein Vokalkomponist eine Suite für die Violine allein in 
Gdur. Es ist die siebensätzige Suite von Max Stange 
(Verlag: Raabe & Plothow, .Berlin W.) gemeint. Gesang- 
reich fließen die natürlichen, ungekünstelten Themen dahin, 
und selbst die Passagen z. B. in der Allemande, Courante, 
Gigue sind noch melodiös zu nennen. Sarabande und 
Air bevorzugen den celloartigen Gesang der G-Saite und 
treffen die charakteristischste Eigentümlichkeit der Geige 
besser als manches Werk, welches von einem Geiger 
herstammt. 

Auch Emile Säuret hat als op. 68 eine Suite komponiert, 
sie ist seinem Freunde Henri Marteau gewidmet, und 
steht wieder in g moll. Auffällig schwungvoll ist der letzte 
und vierte Satz. In prachtvollen, rauschenden gmoll- 
Figuren beginnt und endigt er, dazwischengeworfene, die 
Viertel hervorhebende Terzen verhalten sich melodie- 
bildend zü den begleitenden Sechzehnteln. Die poetische 
Idee gleicht einem ernsten dahinströmenden Gebirgs- 
bach, schäumend über Hindernisse in ernster Natur dahin- 
plätschemd. Ein Andante cantabile ist in seiner Art 
ebenso hübsch, es ist sehr stimmungsvoll und gesangvoll. 
Wir wissen, daß diese gesangreichen Stücke für Geige 
allein seltener Vorkommen, schon deshalb ist es wertvoll! 
Satz II soll con spirito vorgetragen werden, und verläuft 
lustig und frisch. Satz I, ein Andante maestoso, bringt 
bekanntere g moll-Stimmung, ist aber geistvoll erdacht 
und wird unterbrochen durch eine durch Nachahmungen 
interessierende D dur-Melodie. Alles zusammen betrachtet 
ein spielfreudig abgefaßtes, wertvolles Werk, welches 
durchaus zu empfehlen ist! 

Humoristisch, karnevalistisch und pikant ist besonders 
No. 1 der beiden „Extempore“ genannten Programm- 
zugaben von Jean Pechan. Gesund und geigerisch frisch 
zugreifend, sind diese beiden Stücke lustig zu spielen und 
angenehm zu hören, werden daher ihre Wirkung nicht 
verfehlen. 

Richard Barth, der hochverdiente Dirigent in Hamburg, 
wurde auch angezogen von dem Problem der Geigenmusik 
ohne Begleitung. Er veröffentlichte als op. 21 eine Ciacona. 
Dieselbe müssen wir sehr hoch einschätzen, denn kontra- 
punktische Arbeit, Kenntnis der Geige und Erfindungs- 
reichtum verbinden sich hier zu einiem Ganzen, welches 
durchaus eine kompositorische Leistung genannt zu werden 
verdient. Das Werk ist noch mehr aus der Natur der 
Geige heraus geboren als Max Regers Ciaconen und steht 

328 


sehr hoch im Werte da. Eins der bedeutendsten Stücke 
für Geige allein überhaupt! 

Max Reger brachte vor etwa zehn Jahren die Frage 
ins Rollen, ob eigentlich noch in unserer Zeit, bei all den 
großartigen symphonischen und dramatischen Werken 
eine einzige Geige etwas zu sagen habe ? Und er hat die 
Frage so kräftig bejaht, daß er jetzt schon recht viele 
Nachfolger gefunden hat, die auch für eine Geige schreiben. 
Jetzt weiß man es wieder, daß das schöne Instrument, 
die Violine, sich trotz Rieh. Wagner,, der sie nur im „Plural“ 
kennen wollte, noch immer, wie vorher die Menschen be- 
zaubert, auch wenn sie allein gespielt wird! Wir erinnern 
an das Zitat zu Anfang unseres Aufsatzes: „Wer hätte 
nicht den Zauber empfunden, der einer schönen Violine 
eigen ist ? Sie scheint kein lebloser Stoff zu sein, sondern 
eine schlummernde Seele zu bergen.“ Diese Seele ist 
geweckt und durch die Werke redet jetzt Seele zu Seele, 
bedeutende Menschen zu uns allen. Das folgende Gedicht 
von Friedrich Hebbel spricht vollendet aus, was wir sagen 
möchten: 

Auf eine Violine. 

• • Wenn deine Wunderklänge 

Den Saiten rasch entfliehen 
Und rauschend im Gedränge 
An mir vorüberziehn: 

Da wird’s in Herzenstiefen 
So wohl mir und so bang. 

Als ob da drinnen schliefen 
Viel Brüder zu jedem Klang. 

Da denk’ ich wohl zuweilen: 

Ach wär sie doch belebt! 

Da würde alles heilen. 

Was jetzt zu reißen bebt! 

Da wär der Freund gefunden. 

Der deinen Schmerz versteht. 

Der blutet an gleichen Wunden, 

Der lächelnd mit dir vergeht! 

Doch wenn ich recht bedenke, 

Wenn ich ins Labyrinth 
Der Töne mich versenke. 

Die dir entklungen sind — 

Da ruf’ ich aus mit Tränen: 

Bleib ewig unbewußt! 

Solch Weh und solch ein Sehnen 
Trägt keine lebendige Brust. 

Der Verfasser dieses Aufsatzes ist ein großer Verehrer 
Max Regers durch seine Orgelwerke geworden, in denen 
er nicht nur die geniale umfassende Technik auf den ersten 
Blick bewundern mußte, sondern auch die geniale Ver- 
tiefung des Komponisten in den Ausdruck. Näher auf 
die Orgelwerke einzugehen ist hier nicht meine Aufgabe; 
aber auch die Solosonaten für Geige, bei denen nicht die 
poetische Erklärung unter oder über den Noten steht, 
wie bei manchen Orgelwerken, sind voll von poetischem 
Ausdruck. Man muß aber erst ein gewisses Verhältnis 
zu ihnen gewonnen haben. Wer nach einmaligem Hören oder 
Durchspielen ein Urteil fällt, ist voreilig, wie solches auch z. B. 
bei Brahmsschen Kompositionen voreilig genannt werden 
muß. Zuerst ist mir das Larghetto aus der 2. Sonate lieb 
geworden. Es enthält durchaus eine geschlossene ernste 
Stimmung fest, und wenn am Schluß das Anfangsthema 
wiederkehrt, hat man das Gefühl, als ob man es nun, 
nachdem der Tondichter sich darüber verbreitet hatte,' 
ganz erneut auffaßt ; es ist einem nun erklärt worden, und 
infolgedessen reden seine ernsten Töne auch deutlicher 
als zü Anfang. Die schnellen Sätze sind graziös und ge- 
fallen, je länger man sie kennt, desto besser. Kunst für 
Kenner und Künstler wird der größte Teil der Kammer- 
musik ja überhaupt bleiben! Als nächstes Werk lernte 
ich das großartige Grave (Ciaconna oder Passacaglio) 
aus der 7. Sonate kennen, die Ossip Schnirlin gewidmet ist. 
Die Bildung des schönen Themas ist an und für sich merk- 
würdig ohne imnatürlich zu wirken. Es hat die erste 
größere Cäsur auf dem 5. und schließt auf dem 9. Takt. 
Die große Reihe von Varianten ist ungemein fesselnd 



aufgebaut. Ein Prachtstück für unser Instrument, an 
welches wir auch die Zuhörer unschwer gewöhnen können! 

Uns erscheinen im allgemeinen auch die Hauptallegro- 
sätze leichter zugänglich als die Bachschen Fugen für 
Soloviqline, man soll nur erst die knorrigen Themen- 
gebilde sich ordentlich einprägen. Volkstümliche Melodien, 
wie bei Bach in den Bourees, Gavotten und Menuetten 
kommen nicht vor, aber freudige Rhythmen genug. Dem 
Trivialen geht Reger bekanntlich geflissentlich aus dem 
Wege. Sonate VI ist durchweg sehr frisch und selbst das 
kleine Andante in e moll, ein Canon im Einklänge, hat 
noch durch den 5 /i-Takt einen fortgehenden Rhythmus. 
Sonate V ist Henri Petri gewidmet und spielt sich famos! 
Ein großes Larghetto läßt die weichere Seite der Geige 
auch zur Geltung kommen. Sonate IV in h moll, Karl 
Halir zugeeignet, ist ernster, enthält aber als Gegensatz 
ein Codamotiv mit lustigen Terzentonleitem im Staccato. 
Nach dem wunderbaren Gesang des Larghetto con moto 
folgt ein lustiges Scherzo mit Trio, den Abschluß macht ein 
energisches Allegro mit fugiertem, chromatischem Thema. 

Sonate III, Hugo Heermann gewidmet, fällt durch das 
erste ausdrucksvoll singende Allegrothema in B dur auf. 
Es ist einstimmig und doch so entzückend. Hier finden 
sich die scharfen Akkordbrechungen nicht so gehäuft, 
die so oft den Eindruck einer an den Haaren herbeigezogenen 
Mehrstimmigkeit erwecken. Ein Prestissimo-Scherzo fliegt 
jetzt vorüber und läßt im Trio eine ausdrucksvolle, schnelle 
in Terzen und Sexten begleitete Walzerweise hören. Vivace 
endigt diese stürmische B dur-Sonate, die mit Oktaven- 
gängen am Schluß ausgestattet ist und gefällig zu nennen 
wäre, wenn man dies Wort nicht mit „trivial“ verwechseln 
will. Die Sonate No. i folgt mehr der Bachschen (italieni- 
schen) Sonatenform. Ein pathetisches Grave beginnt. Schon 
das prächtige Notenbild zeigt schön geschwungene Linien, 
und die Stärkegrade steigen von pp bis zum //; alle 
Saiten, Höhe und Tiefe sind in Bewegung gesetzt. Vivace 
und in prickelndem Takt läuft ein kleines scherzoartiges 
Gebilde vorbei, und ein Andante mit etwas Siciliano- 
Rhythmus folgt, länger und singbar ausgesponnen. Eine 
richtige Fuge in Bachscher aber modernisierter Art be- 
schließt diese Sonate. 

Das bereits erwähnte Präludium und Fuge G dur (frei 
bearbeitet nach J. S. Bach) ist ein äußerst spielfreudigc-s 
Stück, zu dem die Geiger stets zurückkehren werden. 

Präludium und Fuge h moll (seinem lieben Henri Marteau 
zum 8. April 1909 gewidmet) ist ebenfalls ein Prachtstück. 
Persönlicher Geschmack mögen es uns dem Präludium 
und Fuge No. 3 (auch Marteau zur Erinnerung an den 
7. — 9. Mai 1910) vorziehen lassen ; jedoch ist das Werk 
ebensogut gearbeitet und bewundernswert aufgebaut. 
Die Ciaconne g moll ist weniger zugänglich. Aehnlich wie 
das Regersche Violinkonzert mit Orchester ist dies op. 117 
No. 4 eine hochinteressante Aufgabe für Violinisten, die 
aber wohl nur Wenige restlos und ^klangschön lösen. Reger 
ist hier ein Despot, der ein wenig tyrannisiert. Er geht 
über die einmal von Natur begrenzten Mittel der Geige 
wenn sie klangschön bleiben soll, hinweg; doch das hat 
ja Beethoven auch getan. Wir wollen bei dem großen Meister 
nicht Splitterrichterei treiben, sondern dem überragenden 
Geiste uns bescheiden vertrauend hingeben. Wer Reger 
kennen gelernt hat, als Orgelspieler, Improvisator, Klavier- 
spieler, Dirigent, weiß, wie poetisch er seine Werke zu 
gestalten vermag, und wir müssen den zuerst spröde er- 
scheinenden Tönen Weichheit und poetische Verklärung 
verleihen, genau so wie er es selber uns Vormacht. Un- 
vergleichlich schön, zart und gewaltig, haben wir ihn 
improvisieren hören auf der Orgel. Es war ganz chroma- 
tisch wie seine Werke, aber immer warm empfunden und 
nicht konstruierte Musik. Also soinder Art von ihm 
lernen wie seine Werke gespielt werden sollen! Das ist 
unsere Aufgabe! 

Sigfrid Karg-Elerts Sonate und Suite für Geige allein 
(J. Schmuller und G. Havemann gewidmet) zeigen deut- 


lich die Spuren des Reger-Stils. Diese beiden Kompo- 
sitionen erreichen jedoch nicht die innere Geschlossenheit 
des großen Orgelmeisters. Wir wollen nicht Karg-Elerts 
Bestrebungen um das Harmonium damit berühren, auch 
nicht das Urteil auf andere Werke ausdehnen, etwa auf die 
Orgelsachen, wo er zu Hause ist, jedoch ist außer den lang- 
samen Sätzen und einigen guten Einfällen in den Violin- 
solokompositionen nicht viel erquickende Musik zu finden. 
Ebenso müssen wir die „symphonischen Variationen“ für 
Geige allein von Pecoud in gleicher Weise beurteilen. 
Aeußerst gesucht und versehen mit übermodernen Künste- 
leien ohne Natürlichkeit! 

Julius Weismann hat als op. 30 eine Sonate für Violine 
allein herausgegeben (im Wunderhorn-Verlag-München er- 
schienen und Anna Hegner gewidmet). Das Stück baut 
sich auf Themen auf, die uns schon ein etwas befreundetes 
Gesicht zeigen, wahrt die vertraute Sonatenform, und 
ist gut für Geige geschrieben, ohne neue Klangwirkungen 
zu versuchen. So ist denn in dem Werke nichts mißglückt, 
sondern geschickt in den alten Bahnen weitergearbeitet 
mit Erfolg. 

Bei Fischer und Jagenberg (Köln) erschien Oktober 1910 
eine Paul Thoma gewidmete Sonate für Violine solo in 
a moll von Reinhardt Oppel als op. 12. Sie bewegt sich in 
ähnlichen Bahnen wie die vorgenannte Sonate. Die Form 
ähnelt der italienischen Sonatenform eher, als der neuerer 
Zeit. Mit einem Grave beginnt sie. Genau wie in der alt- 
italienischen Form in zwei größeren Teilen die wiederholt 
werden. Auch das dort beliebte Seufzermotiv kommt vor. 
Jedoch sind die melodischen Intervalle und der Umfang der 
Geigenstimme moderneren Verhältnissen entsprechend. 
Es folgt ein kurzes Allegro (sehr leidenschaftlich), welches 
die Form eines Scherzo mit Trio hat. Es ist gesund, nobel 
und ansprechend. Drittens kommt ein Thema und Varia- 
tionen. Das Thema erscheint breit und ausdrucksvoll 
ganz auf der G-Saite, also einstimmig. Ü U- und ‘‘/«-Takt 
greifen ineinander. Die Variationen sind geistvoll kom- 
poniert und im wirkungsvollen dreistimmigen Satz schließt 
die letzte. 

Als No. 4 hören wir ein hübsches Andante in dreiteiliger 
Form. Das Finale steht in D dur, Allegro moderato. Mit 



Schuch am Dirigentenpult, 

Nach einem Gemälde von Prof. Robert Sterl, Dresden. 


329 


kräftigen Rhythmen beschließt es wirkungsvoll die Sonate. 
Im ganzen überblickt, hat sie so viel des Interessanten, 
daß es sich lohnt, sie zu studieren. 

Alle neueren Werke für die Solovioline gehen mehr auf 
Wiederbelebung älterer Typen aus. Die Errungenschaften 
der Wiener Klassiker, das „singende Allegro“ fehlt allen. Die 
Technik des schönsten Gesangsinstrufnents erscheint hier 
gefesselt durch die notgedrungen anerkannte Mehrstimmig- 
keit. Einerseits mußte man diese auf alle Fälle haben, 
- und deshalb die in der Einstimmigkeit (höchstens Zwei- 
stimmigkeit) zu erreichende modern singende Cantilene der 
schnellen Sätze preisgeben. Regers Stil ist ja ohnehin so 
knorrig, daß es bei den Solosonaten nicht besonders auf- 
fällt, aber auch andere Tondichter singen hier nicht so 
(in den Allegrosätzen) als da, wo die Geige sich nicht um 
Begleitung zu kümmern braucht, sondern wo diese ein 
anderes Instrument übernimmt. So müssen wir bei einer 
Geige uns von vornherein auf eine Einschränkung gefaßt 
machen, weil es in der Natur der Sache und des Instruments 
liegt. 

Ganz neue Erscheinungen sind: Rezitativo und Scherzo- 
Caprice für Violine allein von Fritz Kreisler. So geschickt 
dieser Virtuose sein Instrument kennt, so wenig können 
wir dies Werk als ganz gelungen bezeichnen. Als inter- 
essantes Studienwerk für Doppelgriffe können wir es 
empfehlen. Zuletzt erschienen ist wohl ein »„Konzert für 
Violine allein“ von Paul Ertel op. 17. Der Begriff des 
Konzertierens, der nun einmal seit Händel, Bach, Mozart und 
Beethoven sowie den Romantikern, Brahms, und neueren 
Tondichtern in nicht mißzuverstehender Weise festgelegt 
ist, wird durch dies einzige Konzert für die Solovioline 
nicht umgestoßen, sondern nur um so markanter hervor- 
geboben. Es ist nämlich von konzertierenden Gegensätzen 
verschiedener Klangkörper darin nicht die Rede. Ob 
dies überhaupt auf einer Violine möglich ist, ist bis jetzt 
noch eine offene Frage. Bisher hat man deswegen nur 
Sonaten und Suiten und einzelne Stücke geschrieben. 
Man könnte sich höchstens das Konzertieren auf einer 
Violine so denken, daß vielleicht tiefere und höhere Klang- 
partien miteinander Wettstreiten gleichsam als Tutti und 
Solo. Da der ganze Begriff des Konzertierens also in diesem 
Werke fehlt und es auch sonst unzulänglich abgefaßt ist, 
kann man es ebenso als totgeboren erklären, wie Bur- 
mesters Versuch, eine Sonate von Bach zu einem Violin- 
konzert umzuarbeiten. 

* * 

* 

Nachträglich zu erwähnen sind noch: Edm. Singer, 
Prelude op. 5 (Kistner). Rieh. Hofmann, Spanische Tanz- 
weisen op. 76 (Leipzig, bei Dietrich). 

Inzwischen sind noch erschienen: Pisendel, Joh. Georg, 
Sonate a Violino solo senza Basso; Neuausgabe von 
B. Studeny (Wunderhom-Verlag). Halvorsen, Slatter, 
Norwegische Bauemtänze (Edition Peters). J. Scott, 
Skinner, The Scottisch Violinist (Glasgow: Bayley & 
Fergenson). E. Singer op. 8, Arpeggio für Violine solo. 
Joachim, Schottische Melodie. 

Außerdem ist unseres Wissens bis heute nichts Neues für 
unsere Literatur erschienen, und wenn auch der Zuwachs 
•der letzten Zeit nicht immer einen großen Gewinn be- 
deutete, so ist allein schon die Beschäftigung von allen 
Seiten mit der schönen Kunst der Komposition für Solo- 
violine freudig zu begrüßen. 

Vivant sequentes! 



Opernkritik und Reportage . 1 

D ie Tätigkeit des Verbandes Deutscher Musikkritiker ist 
nach § 2 der Satzung auch gerichtet auf die Kontrolle 
und Besserung der künstlerischen Arbeits- 
bedingungen der Musikkritiker und Stellungnahme 
gegen Mißstände in ihrem Berufsleben. Bei seinen Be- 
strebungen darf der Verband seine Aufmerksamkeit nicht, 
wie leicht angenommen wird, in erster Linie auf die Zustände 
bei kleineren ' Provinzblättern lenken; auch die großen 
Zeitungen der Hauptstädte geben oft genug Anlaß, ein Ein- 
greifen des Verbandes nötig erscheinen zu lassen. Das zeigen 
wieder einmal deutlich Vorgänge, die sich auf dem Gebiete 
der Opernkritik im „Berliner Lokal-Anzeiger“ 
in den letzten Monaten abgespielt haben. Da die regelmäßige 
Lektüre dieser Zeitung nicht zu den durch § 4 der Satzung 
den Verbandsmitgliedern auferlegten Pflichten gehört und 
die Fachzeitschriften mit einer Ausnahme die bemerkens- 
werten Vorgänge mit Schweigen übergangen haben, wird 
vielen Verbandsmitgliedem der Sachverhalt unbekannt sein. 
Es bedarf daher einer eingehenden Darstellung der An- 
gelegenheit an dieser Stelle. 

Ueber die erste Aufführung des Bühnenspiels „DasNot- 
hemd“ von Viktor v. Woikowsky-Biedau im 
Deutschen Opernhause zu Charlottenburg berichtete in der 
Morgennummer des „B. L.-A.“ vom 13. November 1913 
unter der Rubrik „Theater und Musik“ an erster Stelle der 
ständige Opemreferent der Zeitung: H. N., der auch der 
vorangegangenen Uraufführung des Werkes in Dessau bei- 
gewohnt hatte. Er stellte „eine freundliche Aufnahme“, 
„Beifall und Hervorrufe“ fest; „aber einen so starken Erfolg 
wie bei der Dessauer Uraufführung fand das Werk nicht.“ 
Den Grund hierfür sieht H. N. in der Aufführung, 
die er im einzelnen bespricht. Das Urteil über die Musik 
beschließt den Bericht: 

„ . . . die schwachen Seiten der Musik traten mehr hervor, 
als ihre guten. Man empfand stärker, daß die Rollen zwischen 
den menschlichen Stimmen und dem Orchester nicht richtig 
verteilt sind, daß gerade deshalb manchmal die erwartete 
dramatische Wirkung ausbleibt, und die Szenen, in denen 
der Gesang von höherem melodischen Schwünge getragen 
wird, sowie die in ihrem volkstümlichen Gepräge reizvollen 
Chöre und Tänze erschienen mehr als gelungene Einzelheiten 
denn als wesentliche Bestandteüe eines Werkes, in dem 
Schwächen und Vorzüge einander die Wage halten. Trotz- 
alledem gewann man wieder den Eindruck, daß „Das Not- 
hemd“ gegenüber den früheren Bühnenwerken des Dichter- 
komponisten Woikowsky einen ganz erheblichen Fortschritt 
bedeutet.“ 

Man sieht, H. N. steht dem Werke wohlwollend gegenüber; 
wer zu lesen versteht und den üblichen Premierenrummel in 
Betracht zieht, wird aus der Besprechung die richtige Vor- 
stellung von dem Eindrücke gewinnen, den die Oper ge- 
macht hat. 

Ein besonderes Interesse brachte die Schriftleitung 
des B. L.-A. aus unbekannten Gründen der Oper oder ihrem 
Komponisten entgegen : sie ließ dem Berichte ihres Opem- 
kritikers unmittelbar, nicht etwa im lokalen Teile, 
ein Referat ihres Festreporters A. H. über diese Premiere 
als „gesellschaftliches Ereignis“ folgen. Es kann dahin- 

f es teilt bleiben, ob wirklich der Frack häufiger als Be- 
leidungsstück sichtbar war, als bei sonstigen Premieren im 
Deutschen Opernhause, und ob die drei namhaft gemachten 
Damen nicht auch sonst manchmal „zu den Sangesgästen 
im Zuschauerraum“ gehören; man mag auch darüber hinweg- 
gehen, daß die Ausdehnung des A. H.-Berichtes nicht viel 
hinter der der eigentlichen Opemkritik zurückbleibt, und es 
mit einem Lächeln hinnehmen, daß A. H. den von H. N. 
konstatierten „freundlichen Erfolg“ bei dem sich „kühler 
verhaltenden“ Publikum in eine so „warme Aufnahme“ 
der „freudigen“ Zuhörerschaft verwandelt. Bedenklicher 
mutet es an, wenn A. H„ seine Repor ter bef ugnisse über- 
schreitend, v. Woikowsky-Biedau — gleichviel ob richtig 
oder falsch — als einen Komponisten bezeichnet, „dessen 


1 Anm. der Red. Wir bringen hiermit einen Artikel zur 
weiteren Kenntnis der Oeffentlichkeit, den die „Mitteilungen 
des Verbandes Deutscher Musikkritiker“ zuerst veröffentlicht 
hatten. Die geschilderten Zustände sind schwerwiegender 
Art; sie zeigen-, wie die Musikkritik in Deutschand von ge- 
wissen Verlegern und Redaktionen eingeschätzt wird. Und 
zwar auch von solchen Blättern, die zu den „führenden“ sich 
zählen möchten. Ort der Handlung: Berlin! und der „Lokal- 
Anzeiger“. Das Auftreten des Herrn Alfred Holzbock macht 
die Tragödie zum Satyrspiel. — Die Bemerkungen Wolffheims 
über die „Musikzeitungen“ sind unzutreffend. Wenn der Ver- 
band uns rechtzeitig unterrichtet hätte, wäre die „N. M.-Z.“ 
auf dem Plan gewesen. Die „N. M.-Z.“ hatte eine ständige 
Rubrik „Beiträge zur musikalischen Kritik“ lange bevor der 
Verband an seine Gründung dachte. 


330 



ehrliches Schaffen, dessen von echt künstlerischem .Geiste 
beseeltes Streben Beachtung und Anerkennung verdient.“ 

Anscheinend genügte aber dieser ergänzende Lobes- 
konimentar zur Kritik des H. N. der Schriftleitung des 
„B. L.-A.“ noch nicht: Sie ließ auch über die zweite 
Aufführung der Oper referieren. An sich wäre 
es wohl als eine lobenswerte Neuerung zu begrüßen, wenn 
dem Opemkritiker Gelegenheit gegeben würde, den ersten, 
oft iii eiligster Nachtarbeit niedergeschriebenen Eindruck 
eines belangvollen Werkes bei einer späteren Aufführung 
zu überprüfen und erneut in ruhiger Stunde darzulegen, 
auch wohl die gefestigte Darstellung noch einmal zu begut- 
achten. Es fragt sich aber, ob gerade im „Nothemd“ ein 
Werk zu erblicken ist, das begründeten Anlaß zu einer so 
umwälzenden Neuerung gab, zumal die Kritik von H. N., 
der die Oper bereits vorher in Dessau gehört hatte, schon 
eine zweite Besprechung darstellt. Der Schriftleitung des 
„B. L.-A.“ kam es auch offensichtlich nicht auf die Ein- 
führung eines neuen Brauches an, sondern auf eine be- 
sondere Gunstbezeugung für das Werk oder 
seinen Schöpfer; aus ziemlich durchsichtigen Gründen ver- 
traute sie diese zweite Besprechung nicht dem ständigen 
Opernreferenten H. N. oder einem anderen ihrer Musik- 
kritiker an, sondern einer mit „nn.“ zeichnenden Persönlich- 
keit, die — wie man hört — sonst im sogenannten „Innen- 
dienste“ des Scherl-Betriebes beschäftigt ist, dort auch 
hervorragende Verdienste haben mag, jedenfalls aber durch 
nichts qualifiziert erscheint, als Opernkritiker in 
Erscheinung zu treten. Trotzdem gestattet sich „nn.“ oder 
wird ihm von der Schriftleitung gestattet, über das ihm 
zustehende Reportern hinauszugehen und Kritik zu 
üben an dem Werk, den Darstellern, dem 
Orchester, der Regie und an der Kritik 
der berufenen Fachmänner. Während z. B. 
H. N. geschrieben hatte, „daß das Deutsche Opernhaus die 
für solche Aufgaben erforderlichen Kräfte entweder nicht 
hat oder nicht auf den rechten Platz zu stellen weiß“, ver- 
kündet „nn“: „So stand jeder bis zur kleinsten Rolle auf 
seinem Platze.“ Wenn dieses Lob auch mit dem Fortfall 
der „Nervosität des Premierenabends“ erklärt wird, so liegt 
darin, wie es ausgedrückt wird — wie übrigens in der ganzen 
Art der Besprechung — eine deutliche Spitze gegen das 
Referat des Herrn H. N. und die Fachkritik überhaupt. 
So scheutsich die Sc hriftleitung des „Ber- 
liner Lokal- Anzeigers“ nicht, ihren eigenen 
sachverständigen Opernkritiker durch 
einen Reporter desavouieren zu lassen. 
Ganz besonders verwerflich erscheint dies Verfahren noch 
durch den Umstand, daß der Bericht des Herrn „nn.“ nicht 
etwa im lokalen Teile des Blattes, sondern genau wie das 
Referat des Herrn H. N. an erster Stelle der Rubrik „Theater 
und Musik“ zum Abdruck kam und dadurch im Publi- 
kum der Anschein erweckt wurde, als handle es sich um 
die ordnungsgemäße Kritik eines Fach- 
mannes. 

Eine solche Täuschung der Leser war allerdings nicht zu 
befürchten, als die Schriftleitung des „B. L.-A.“ es für gut 
befand, die beiden Erstaufführungen des „Par- 
s i f a 1 “ in Berlin — am i. Januar 1914 im Deutschen Opern- 
hause und am 5. Januar 1914 im Königlichen Opernhause — 
wieder nicht von ihrem Opernreferenten oder 
einem ihrer Musikkritiker, sondern — und diesmal aus- 
schließlich — von jenem schon bei der Nothemd- Aktion 
bewährten A. H. besprechen zu lassen, der sich bei dieser 
festlichen Gelegenheit mit seinem vollen Namen: Alfred 
Holzbock Unterzeichnete. Da konnte kein falscher 
Schein erweckt werden. „Wer ihn kennt, wer ihn nennt 1 “ 

Hier bedarf es keines Kommentars. Es genügt die schlichte 
Feststellung dieser Tatsache. Es ist auch müßig, den ge- 
heimen Gründen nachzuspüren, welche die Schriftleitung 
des Blattes, das sich der besten Beziehungen zur Königlichen 
Generalintendanz rühmen darf, dazu bestimmt haben mögen, 
die beiden Parsifalaufführungen dem „zuständigen Richter“ 
zu entziehen. Jedenfalls hat sich die von manchen wohl 
bei der Lektüre der ersten Farsifalbesprechung gehegte und 
sehr nahe liegende Vermutung als unzutreffend erwiesen: 
der Opemreferent des „Lokal-Anzeigers“ — und mit ihm 
der Stab der Musikkritiker — habe infolge der Nothemd- 
Affäre mit dem 1 . J anuar das Amt niedergelegt und 
dadurch sei die aushilfsweise Heranziehung des Festreporters 
nötig geworden. Dem ist nicht so; auch jetzt ist eine er- 
kennbare Aenderung in der musikalischen Mitarbeiterschaft 
des Blattes nicht eingetreten. 

Diese höchst sonderbaren Vorgänge haben allem Anschein 
nach nur in den „Signalen“ (71. Jahrg. No. 48 S. 1791; 
72. Jahrg. No. 10 S. 8) Beachtung gefunden. Es wäre durch- 
aus mit Dank zu begrüßen, wenn solche Beobachtungen von 
den Fachzeitschriften öfter gemacht und in einer dem Emst 
der Sache entsprechenden Weise behandelt würden; wenn 
die Musikzeitungen nach dieser Richtung eifriger tätig 
wären, würden sie eine wirkliche Aufgabe erfüllen und damit 


Wichtigeres leisten, als mit unzähligen Berichten über alle 
Konzertveranstaltungen in jedem Städtchen. Allerdings 
wäre zu wünschen, daß jede Fachzeitschrift ihr Beobachtungs- 
feld möglichst weit ausdehnen und den prüfenden Blick 
nicht im Wesentlichen auf ein einzelnes Blatt richten würde. 

Die „Signale“ schließen ihren Hinweis auf die Besprechung 
der Parsilal-Aufführungen durch Alfred Holzbock mit dem 
Satze: „Wie wäre es, wenn ... der Musikkritiker- Verein 
sich einmal mit dieser Angelegenheit beschäftigte und fest- 
stellte, wieviel Zurücksetzung vom Zeitungsherausgeber sich 
ein Vereinsmitglied gefallen lassen darf, um sich mit Sanktion 
des Vereins in seiner Würde immer noch nicht gekränkt 
zu fühlen ?“ 1 • 

Diese Fragestellung verschiebt den Schwerpunkt: es kommt 
nicht so sehr darauf an, was sich ein Musikkritiker gefallen 
lassen darf, als darauf, was er sich gefallen lassen muß. 
Man wird, ohne die vorliegenden Verträge und die vielleicht 
langjährigen Redaktionsusancen zu kennen, ohne genau zu 
wissen, ob und inwieweit dem Opernkritiker des „B. L.-A.“ 
überhaupt die Möglichkeit gegeben war, den Anordnungen 
der Schriftleitung Widerstand entgegenzusetzen, kaum nüt 
leichter Hand über H. N., der übrigens nicht zu unserem 
Verbände gehört, den Stab brechen dürfen, wenn auch 
nicht in Abrede gestellt werden kann, daß dem äußeren 
Anschein nach seine Resignation erstaunlich stark ist. Noch 
weniger läßt sich über das Verhalten der anderen Musik- 
kritiker der Zeitung ohne eingehende Kenntnis der Sach- 
lage, insbesondere der vertraglichen Abmachungen — deren 
Prüfung dem Verbände doch nur in ganz beschranktem Um- 
fange möglich wäre — ein begründetes Urteil fällen, zumal 
die Frage offen bliebe, ob es kollegial gehandelt wäre, das 
Amt niederzulegen, wenn der Hauptbeteiligte H. N. dies 
nicht für nötig hält. Gesetzt aber den Fall, die Musik- 
kritiker des „B. L.-A,“ hätten Veranlassung und die Mög- 
lichkeitgehabt, geschlossen ihr Amt niederzulegen und hätten 
sich zu dieser Tat aufgeschwungen, so wird man — obwohl in 
diesen Dingen die praktischen Folgen nicht in erster Linie 
in Betracht kommen — doch fragen müssen : was wäre sach- 
lich dabei herausgekommen? Jeder weiß, daß es, wie die 
Dinge mm einmal liegen, der Schriftleitung des „B. L.-A.“ 
ein leichtes gewesen wäre, die freigewordenen Kritiker- 
steilen neu zu besetzen, zumal in Berlin, wo die Zustände 
nunmehr so geworden sind, daß ein Gerücht Glauben finden 
konnte, es gebe hier Blätter, die ihren Musikkritiker nicht 
nur nicht bezahlen, sondern sich von ihm für die Erlaubnis, 
die Musikkritik auszuüben, haben bezahlen lassen. Ob 
die in jene Stellen dann etwa einrückenden Kräfte mehr für 
die Hebung des Ansehens des Musikkritikerstandes gewirkt 
hätten, erscheint zum mindesten fraglich. 

Der Hebel ist anderswo einzusetzen : bei den Ver- 
legern und Schriftleitungen. Solange diese noch 
vielfach die Musik- und Opemkritik in ihren Blättern als im 
Grunde überflüssiges Beiwerk behandeln, solange manche 
von ihnen sich kein Gewissen daraus machen, unter Ueber- 
gehung der zuständigen Fachleute auch diesen Teil ihrer 
Zeitung selbst zu redigieren, wenn es ihnen gerade paßt, 
und, um persönlichen Rücksichten oder Neigungen Geltung 
zu verschaffen, sich von Reportern nach Wunsch bedienen 
lassen, solange wird eine durchgreifende Veränderung der 
Verhältnisse nicht eintreten. Es werden sich stets die Hilfs- 
kräfte finden, die gebraucht werden. Die Verleger müssen 
noch die Einsicht in Wesen und Wert der Musikkritik er- 
werben, wie sie, wenigstens überwiegend, das Verständnis 
für die Wichtigkeit der Kritik auf andern Kunstgebieten 
schon gewonnen haben: eine kunstkritische Würdigung des 
neuerworbenen Gemäldes von van der Goes durch Alfred 
Holzbock wäre selbst im „B. L.-A.“ heute nicht mehr möglich. 
Auf anderen Gebieten haben Verleger und Schriftleitungen 
allmählich gelernt, daß sie durch Herabwürdigung der Fach- 
kritik, als welche sich derartige Machenschaften, wie die ge- 
schilderten, darstellen, sich selbst herabsetzen und schädigen. 
Ein verständiger Leser wird sich in solchen Fällen sagen 
müssen, daß Verleger oder Schriftleitung bei ihren sach- 
verständigen Kritikern eben für ihre Absichten keine Unter- 
stützung fanden, und den einzelnen Kritiker nicht verant- 
wortlich machen, wohl aber Schlüsse auf den Wert anderer 
Rubriken des Blattes ziehen, bei denen die Arbeit hinter 
den Kulissen vorsichtiger verschleiert wird, und so zu dem 
richtigen Gesamturteil über eine Zeitung kommen, bei der 
solche Vorgänge auch auf nur einem Gebiete möglich sind. 
Aber nur ein kleiner Teil des Publikums gehört zu den ver- 
ständigen Lesern. Deshalb muß auch die große Lesermasse 
richtig beeinflußt und dazu erzogen werden, daß sie sich 
eine derartige Behandlung der Musik- und Opernkritik nicht 
bieten läßt. Daß es Aufgabe der Musikzeitungen 


1 Es sei ausdrücklich festgestellt, daß in beiden Fällen 
bereits vor dem Erscheinen der Notizen in den „Signalen“ 
zwischen dem Unterzeichneten und dem 1 . Schriftführer 
unseres Verbandes über die Behandlung der Angelegenheiten 
an dieser Stelle korrespondiert worden ist. 


331 



ist, nach dieser Richtung aufklärend zu wirken, wurde 
schon betont. 

In einzelnem zu behandeln, auf welchen Wegen vor- 
gegangen werden muß, ist hier nicht der Ort. Auch ist es 
wohl kaum Sache eines einzelnen, ein Aktionsprogramm 
aufzustellen; aus den Erfahrungen der Gesamtheit heraus 
muß gehandelt werden. Es ist zu hoffen, daß sich die nächste 
Mitgliederversammlung unseres Verbandes aus- 
führlich mit dieser Angelegenheit beschäftigt. Wenn bis 
dahin die zunächst beteiligten Herren für die wohl allseitig 
erwünschte Klarlegung des Sachverhaltes Sorge tragen 
würden, so leisteten sie damit nicht nur sich, sondern der 
Gesamtheit der Musikkritiker einen Dienst. 

Dr. Werner Wolffheim. 


Pfitzner und Straßburg. 

S eit etwa vier Jahren waltet Hans P/ttsner zu Straßburg 
des Amtes als Direktor des städtischen Konservatoriums 
und Leiter der Abonnementskonzerte, seit drei Jahren 
zugleich als Operndirektor. Daß es da in Anbetracht des 
Neuen, das er betätigte und infolge seiner scharf ausgeprägten 
Persönlichkeit nicht ohne allerhand Reibungen abging, liegt 
auf der Hand. Durch die energische Durchführung seiner 
Ideen, für die er in der Person des Bürgermeisters Dr. Schwan- 
det einen starken Rückhalt fand, zog er sich manche Gegner- 
schaft zu; anderseits aber stand die Mehrheit des kunstsin- 
nigen Publikums durchaus auf seiner Seite, mochte man über 
diese oder jene Einzelheit auch manchmal anderer Ansicht 
sein, ehrte in ihm den hervorragenden Künstler und bereitete 
ihm manche Vertrauenskundgebung, zu denen auch, nicht 
an letzter Stelle, die Verleihung des Doktortitels honoris causa 
seitens der Universität, und der Professorwürde durch die 
Regierung zu rechnen ist. So war also, trotz gelegentlicher 
kleiner Geplänkel, auch in der Presse, die Stellung Pfitzners 
wohlgefestigt und angesehen. In der letzten Zeit jedoch hat 
sich nun ein Vorkommnis ereignet, das doch auch in weiteren 
Kreisen Wellen geschlagen hat, und dessen eventuelle Folgen 
vorläufig noch gar nicht zu übersehen sind. — In einem 
Frankfurter Blatte erschien ein Interview, das ein Korrespon- 
dent mit Pfitzner gehabt haben wül , und demzufolge sich 
letzterer über die Straßburger Verhältnisse teüweise recht 
absprechend geäußert habe. Es sei eine Gegnerschaft ihm 
gegenüber am Werke, denen eine Schmiere lieber sei, als ein 
künstlerisch geleitetes Theater; er empfinde solches als klein- 
städtisch , als „Sumpf“, ' in dem die echte Kunstpflege ver- 
sinke usw. Diese Bemerkungen gingen, zum Teil aufgebauscht 
und verallgemeinert durch die Presse, wurden als Beleidi- 
gungen der Stadt Straßburg, deren Beamter Pfitzner doch 
sei, ausgelegt, und erweckten heftige Gegenäußerungen, sogar 
eine Interpellation im Gemeinderat. Nachdem inzwischen 
Pfitzner schon selbst ein kurzes Dementi erlassen, erklärte 
dann der Bürgermeister in Pfitzners Namen, daß dies Inter- 
view nur eine kurze Unterhaltung zwischen Tür und Angel 

f e wesen sei, daß es ihm fern gelegen habe, die Straßburger 
lunstgemeinde zu beleidigen, daß er speziell den Ausdruck 
„Sumpf“ nicht gebraucht habe, daß er allerdings auf eine ihm 
feindselig gesonnene Clique habe hinweisen wollen, als deren 
geistige Führer er die Musikreferenten zweier hiesiger Zei- 
tungen bezeichnete, denen er gleichzeitig die fachmännische 
Kompetenz zu einem Urteüe über ihn absprach. Diese Er- 
klärung wirkte nun erst recht wie der Funke im Pulverfaß. 
Die angegriffenen Blätter, ihre Referenten und deren An- 
hänger wandten sich in zahlreichen Artikeln aufs schärfste 
gegen die Pfitznerschen Aeußerungen, die erneut als Beleidi- 

t ung weiter Kreise der Bevölkerung bezeichnet wurden, und 
ie einem städtischen Beamten nicht zukämen; einer der an- 
gegriffenen Rezensenten erhob sogar gerichtliche Klage , auf 
deren Ausgang man sehr gespannt ist. Wir sehen selbstver- 
ständlich davon ab, die Berechtigung des Pfitznerschen Ur- 
teüs zu untersuchen, möchten aber doch bemerken, daß auch 
die vermeintlichen Feinde Pfitzners seine künstlerische Be- 
deutung als solche eigentlich nie bestritten, sondern nur an 
manchen Einzelheiten seines Tuns, insbesondere seiner Opem- 
direktion, eine freilich stellenweise ziemlich scharfe Kritik ge- 
übt haben. Bei der bekannten künstlerischen Empfindlich- 
keit -mag Pfitzner da wohl manches unfreundlicher ausgelegt 
haben, als es gemeint war, und eine prinzipielle Oppo- 
sition gegen sich angenommen haben, wo es sich nur um die 
Beanstandung einzelner Vorgänge handelte. Jedenfalls ist 
durch die ganze Sache das Straßburger Publikum in ziem- 
liche Aufregung versetzt, und auch der Gemeinderat gibt sich 
mit den bisherigen Erklärungen nicht zufrieden, so daß, wie 
schon bemerkt, die weiteren Konsequenzen des gegenwärtigen 
Zustands noch nicht abzusehen sind. Allerdings wird da- 
durch, daß Pfitzner — wie ihm schon vor diesen Ereignissen 
bewilligt — vorläufig auf ein Jahr die Leitung der Oper' 


niederlegt (behufs Vollendung eines begonnenen Opernwerkes, 
Palestrina), ein wesentlicher Stein des Anstoßes fiir den Mo- 
ment aus dem Wege geräumt — auf diesem Gebiete wurzelten 
die meisten der vorgekommenen Konflikte. So ist zu hoffen, 
daß die Wogen der Erregung sich doch allmählich wieder 
glätten werden, was im Interesse des Straßburger Musiklebens 
auch sehr wünschenswert wäre. Besteht doch in den wahr- 
haft künstlerisch interessierten Kreisen kein Zweifel daran, 
welche Bedeutung Pfitzner für das hiesige Kunstleben be- 
sitzt; aber natürlich kann ein Künstler nur dann ersprießlich 
wirken, wenn er mit Lust und Liebe, und nicht in verärgertem 
Gemütszustände bei der Sache ist. Und so wünschen alle, 
die es mit der Musikpflege in Straßburg ernst meinen, von 
Herzen eine friedliche Beilegung des Konflikts, da man es 
sehr bedauern würde, wenn die Stadt eine leitende Kraft von 
der künstlerischen Bedeutung Pfitzners einbüßen müßte, die 
zudem nicht leicht zu ersetzen wäre. So wird man abwarten 
müssen, welche Lösung der Differenzen die nächste Zeit bringen 
wird; eins kann man aber schon jetzt, frei nach Goethe, sagen: 
„Die Moral von der Geschieht’: 

Bilde, Künstler, rede nicht!“ — 

Dr. G. Attmann. 


Eine Pariser „Strauß-Premiere“. 

„La Legende de Joseph“ (op. 63). 

Handlung ln einem Aufzug von Hariy Graf KeBler u. H. v. Hotmannsthal. 

I ch werde heute abend meine „Josephs-Legende“ diri- 
gieren. Es ist dies das erstemal, daß eines meiner Werke 
seine Uraufführung in Paris erlebt, wo man mir seit 
langem mit soviel Sympathie begegnet ist, wo man meiner 
„Salome“ einen so glänzenden Empfang bereitet hat. Aber 
. es ist nicht das erstemal, daß ich meine Musik in Paris 
dirigiere: ich hatte dieses Vergnügen bereits vor einigen 
Jahren in den „Colonne“- und „Chevillard“-Konzerten, wo 
mir reichlich Gelegenheit geboten ward, die großen Pariser 
Orchester in nächster Nähe zu studieren und ihren hohen 
Wert würdigen zu lernen. 

Ich habe übrigens die französische Musik immer hoch- 
geschätzt und war von jeher darauf bedacht, sie in Deutsch- 
land bekannt zu machen. Ich bin der Ansicht, daß sie zu 
der unserigen in einem sehr glücklichen Widerspruch steht 
und daß die verschiedenen und entgegengesetzten Eigen- 
heiten dieser beiden großen Schulen wunderbar miteinander 
harmonieren. 

Ich habe die erste Aufführung von Saint-Saens’ „Samson 
und Dalila“ in Berlin selbst geleitet, ich habe vor fünfzehn 
Jahren Chabriers „Briseis“ herausgebracht ; die Namen der 
Vincent d’Indy, Debussy, Charpentier, Dukas haben oft auf 
meinen Programmen gestanden, und die musikalische Welt 
kennt die aufrichtige Verehrung, die ich stets dem, leider! 
in Frankreich viel zu wenig gespielten Berlioz entgegen- 
gebracht habe. 

Die „Josephs-Legende“ ist das erste von mir komponierte 
Ballett. Ich hatte bereits vor fünfzehn Jahren, als ich die 
Gemälde Watteaus, Fragonards und Bouchers bewunderte, 
den Plan gefaßt, ein anakreontisches Ballett im Stile dieser 
liebenswürdigen Meister zu schreiben, aber ich gab ihn bald 
wieder auf. Als mir nun vor Jahresfrist Graf Keßler sagte: 
„Haben Sie das .Russische Ballett’ schon gesehen ? Eine 
geradezu herrliche Offenbarung! Ein künstlerisches Unter- 
nehmen; von ganz hervorragender Wichtigkeit ! Eine Um- 
wälzung all unserer ästhetischen, plastischen, malerischen 
und musikalischen Auffassungen! An dieser Bewegung müs- 
sen auch Sie unbedingt teilnehmen!“, da übertrug er unbe- 
wußt das glühende Feuer der Begeisterung, das in ihm flackerte, 
auf mich, und ich hatte bald darauf eine längere Unterredung 
mit Serge de Diaghilew, dem Direktor des „Russischen 
Balletts“. Ich machte mich an die Arbeit; ein von Graf 
Keßler und Hugo v. Hofmannsthal ausgearbeiteter Plan 
diente mir als Unterlage. Einer Vorstellung des „Russischen 
Balletts“ aber wohnte ich erst sechs Monate später bei. 

„Warum, so fragte ich mich beim Lesen der über dem 
Theaterportal angebrachten Aufschrift, das Wort .Ballett’ ?“ 
Denn das, was ich da zu sehen bekam, überbot meine kühn- 
sten Erwartungen; ich empfand plötzlich den Odem einer 
neuen Kunst, neu im Ensemble, neu in ihren Einzelheiten, 
einer Kunst, die mir bis dahin undenkbar war. . . . 

Michel Fokine, der die „Josephs-Legende“ inszeniert hat, 
ist die Seele des „Russischen Balletts“: ein außergewöhnlicher 
Mensch! Er ist alles: Regisseur, Choreograph, Tänzer, 
Musiker, Maler, Bildhauer und Dichter. Und mit diesen 
bald getrennt, bald vereint einsetzenden Talenten wirkt er 
Wunder; seine geniale Phantasie lebt gewissermaßen auf, 
befruchtet sich in den lieblichsten Geschöpfen — oder Leben 


332 


und Geist ausstrahlenden Statuen ? — die ich je gesehen. , . . 
Einen hochwichtigen Anteil an dem Zustandekommen des 
Werkes nahmen ferner: der prunkliebende Dekorateur Jose- 
Maria Sert, der feinsinnige Maler Bakst, Madame Kusnetzoff, 
als verführerische, grausame Gattin Potiphars und der jugend- 
liche Leonidas Miassine mit seiner staunenswerten Mimik, 
in der nichts profan, in der alles erhaben und rein ist, als 
keuscher Joseph der „Schrift“. 

Das Pariser Publikum wird also heute abend einer großen 
und herrlichen szenischen Darbietung beiwohnen, an deren 
Zustandekommen mitgewirkt zu haben, der Dichter, der 
Schriftsteller und der Musiker gleich stolz und glücklich sein 
müssen. Richard Strauß .“ 

* * 

♦ 

Das ist die freie Uebersetzung der — wenn auch z. Teil 
nicht gerade notwendig gewesenen, so doch immerhin inter- 
essanten Mitteilung, mit der sich der Schöpfer der „Salome“ 
durch das Organ des „Matin“ den Parisern am Morgen der 
„Premiere“ vorstellte. 

Ehe ich mich nun mit dieser selbst beschäftige, mögen hier 
ein paar Worte über sich gewiß nicht vor jedem „neuen 
Strauß“ Zutragendes 
gesagt sein! 

Strauß hatte für 
die deutschen Presse- 
vertreter von ihm 
Unterzeichnete und 
durch die hiesige 
Firma A. Fürstner 
(bekanntlich Straus- 
sens Verleger) ver- 
teilte Passepartouts 
anfertigen lassen, die 
zum Besuche der letz- 
ten „intimen“ Probe 
am Mittwoch, den 
13. Mai, vormittags 
10 Uhr, berechtigten. 

(Eine „Repetition ge- 
nerale“ im französi- 
schen Sinne, der die 
Presse stets vollzäh- 
lig beiwohnt, fand 
nicht statt!) Bedin- 
gung: Strengste Ver- 
schwiegenheit der Oef- 
fentlichkeit gegenüber 
bis nach der Erstauf- 
führung! Diese Ver- 
schwiegenheit wurde 
nun — leider! — auf 
keine harte Probe ge- 
stellt ; denn Strauß 
sagte uns kurz nach 
der anberaumten Zeit, 
daß zu seinem großen 
Bedauern ein Einlas- 
sen in den Opern- 
saal unmöglich sei, 
da noch „mancherlei 
nicht klappe“. Und 
alle ohne Ausnahme 
— einbegriffen auch 
Neitzel und Spanuth 
u. a. m. — konnten unverrichteter Dinge wieder abziehen. 
Auch blieb es bei den Vertröstungen der Firma Fürstner, 
die anfänglich auf eine fernere, allerletzte Probe am Donners- 
tag morgen gelautet hatten; es hieß nun einfach: Platz 

suchen, so gut und schlecht das eben ginge, für die Premiere 
selbst! Das aber war ein Problem! Das Haus war seit 
Tagen von oben bis unten ausverkauft. Die der Presse vom 
Impresario „huldvollst“ eingeräumten 40 Plätze reichten 
nicht aus für 200 Harrende; d. h. 160 aus nah und fern 
herbeigestürmte Zeitungsleute aller Altersstufen mußten, 
mit dem Klavierauszug m der Hand, an den Eingängen zum 
Parkett stehend, von brummigen Munizipalgarden wie staats- 
gefährliche Manifestanten in Schach gehalten werden ! Wenn 
ich persönlich glücklicher abgeschnitten habe, dann verdanke 
ich das einer schlauen Eist, die mich der strengen Kontrolle 
an allen Türen zum Trotz, unbemerkt auf die Bühne gelangen 
ließ und es mir ermöglichte, hier in diesen Minuten jedenfalls 
für mich Unvergeßlicheres zu sehen und zu hören als jenseits 
des Vorhanges. Stand ich hier nicht ganz in der Nähe des 
großen Meisters, der da freundschaftlich im Kreise seiner 
ihn abgöttisch, verehrenden Mitarbeiter plauderte, war ich 
nicht der unbeobachtete Zeuge der herzlichen Begrüßung, 
mit der der deutsche Botschafter, Freih. v. Schön, Strauß 
noch vor dem „entscheidenden Schlage“ ehren wollte ? . . . 

Doch nun fort von hier! Schon gehen die elektrischen 
Klingeln! Hinunter in die buntfarbige, duftende, in Dia- 
mant- und Perlengeschmeiden strahlende Menge, die in solcher 



Der junge Tsc her kesse Leonidas Miassine als Joseph in der Josephs- Legende. 
(Photogr. Boissonnas & Epplcr, Paris.) 


Ueberzahl der Riesentempel Garniers zuvor wohl nie auf- 
zuweisen hatte! . . . 

* • 

* 

Sich nach allen Seiten hin tief verneigend, nimmt Strauß 
.das ihm entgegenrauschende, langanhaltende „Willkommen“ 
entgegen, lächelt dem Orchester wie alten Bekannten zu, 
öffnet die hoehseitige Partitur und erhebt den leichten, bieg- 
samen Taktstock. 

Nach kurzem, 17 Takte langem, einfach gehaltenem Vor- 
spiel in D dur geht der Vorhang langsam in die Höhe vor 
einer mächtigen Säulenhalle „im Stile des Palladio“. Wie ? 
Dieser sinnlich -üppige Rahmen aus dem Venedig des 16. Jahr- 
hunderts, aus den Tagen eines Carpaccio, Tmtoretto und 
Paolo Veronese für die sich, nach Mose, im alten Aegypten 
abwickelnde Legende von Joseph, dem Hirtenknaben ? . . . 
Warum nicht auch ? Der „truc“ ist nicht neu! Haben nicht 
gleichfalls Corneille und Racine und Moliere Hellas und Rom 
nach dem Hofe Ludwigs XIV. verpflanzt, hat nicht ein 
Zarcillo z. B. die Stühle seiner Abendmahlgruppe dem Zeit- 
alter Ludwigs XV. und der murcianischen Aristokratie seiner 
Tage entlehnt ? Und Raphael und Tizian und Leonardo 

da Vinci ? . . . Wäre 
es nicht gerade ein 
Fehler gewesen, einem 
Werke wie der „Jo- 
sephs-Legende“, die 
den Kult Straußens 
für eine stetig weiter- 
schreitende Verfeine- 
rung der Symbolik so 
klar zutage treten 
läßt, in die engen 
Grenzen einer streng 
historisch bestimmten 
Epoche hineinzupfer- 
chen, wo sein Genie 
in nie gekannter Form 
das ewige Lied von 
der Menschheit Freud 
und Leid in unseren 
Herzen ertönen läßt! 
Und wer von all den 
kritisierenden Nörg- 
lern, auf die ich spa- 
ter in den Gängen 
stieß, hätte mir wohl 
auf Ehre und Gewis- 
sen versichern kön- 
nen, daß er am Ende 
dieser „realistischen 
Feerie“ nicht die 
Wirkung eines Bildes 
empfunden hätte, in 
dem alles, aber auch 
alles und' jedes zu 
einer mächtig aus- 
klingenden, bewälti- 
genden Harmonie ge- 
worden wäre! 

Diese hätten sich 
freilich als schlechte 
Berater bei dem Zu- 
standekommen einer 
Dekoration erwiesen, 
die in so beredter, formvollendeter Weise den Absichten der 
Textverfasser und des Komponisten Rechnung trägt. Dazu 
gehörte nicht nur eine mehr als durchschnittliche Regisseur- 
Intelligenz, sondern vor allem intimstes Hineinversenken in 
die Straußsche Seele, abgeklärteste Bewertung seiner Künstler- 
individualität, sehlaekenfreie Verkörperung seiner ästhetischen 
Auffassungen! Und wie ist ihnen das alles gelungen! Wie 
gewissenhaft hat Josö-Maria Sert das Milieu herausgearbeitet, 
wie sinnig Leo Bakst die Kostüme entdeckt, die eine so 
meisterhafte Verquickung von Orient und Okzident herbei- 
führten! Und wie hat die Kunst des „einzigen“ Michel 
Fokine durch die Grazie, die abgewogene Dynamik der Geste, 
der Bewegung Leben hineingetragen in das Hin und Her des 
Festgelages, den in schwüle Sinnlichkeit getauchten Sklaven- 
handel, in das Erscheinen Josephs, in das Erwachen von 
Frau Potiphars Leidenschaft, in die Wollust und Herzens- 
reinheit atmende Nachtszene, in das majestätische Erscheinen 
des befreienden Erzengels! . . . 

Mit diesen kurzen Strichen ist der Charakter der an sich 
einfachen Handlung angedeutet. Hier jedoch weitere ge- 
nauere Einzelheiten ! Potiphar und sein Weib geben in ihrem 
herrlichen. Palast, inmitten von Säulen und Wänden aus 

f rünlichem Gold, ein großes Festgelage. Die Geladenen 
aben an reich gedecktem Tische vor der Loggia Platz ge- 
nommen, während die Gastgeber selbst rechts an erhöhter 
Sondertafel, um die sich das Heer der Sklaven schart, sitzen. 
Nach einer Serie choreographischer, äußerst charakteristischer 


333 


Merkwürdigkeiten (Kauf von Kostbarkeiten, erregende 
Tänze der „Verschleierten und Unverschleierten“, Ringen 
der Faustkämpfer) wird Joseph in Begleitung von Harfnern, 
Flöten- und Cymbelspielern, in einen gelben Hirtemnantel 
eingehüllt, auf einer goldenen Hängematte über die Loggia 
und die Treppe hereingetragen. Nach Tanzfiguren, die seine 
Unschuld, sein Ringen nach Gott mit Verzweiflungsmomen- 
ten, sein Gottsuchen und sein Gottfinden zum Ausdruck 
bringen, erwacht aus ihrer — Langeweile verratenden — 
Starrheit Frau Potiphar und läßt den Jüngling durch ihre 
Lieblingssklavin zu sich führen, hängt ihm ein Perlenhalsband 
um und gibt durch Berührung seines nackten Körpers die 
in ihr gewaltig auflodernde Leidenschaft unschwer kund. 
Nach aufgehobener Tafel wird Joseph in den inzwischen 
von Mondlicht hell beleuchteten Unterbau der Loggia, eine 
kellerartige Kammer, geführt, wo er sich nach kurzem Gebet 
zum Schlafe niederlegt. Potiphars Weib erscheint bald darauf 
in weißem, durchsichtigen Gewände, mit aufgelöstem Haar 
und wirbt mit allerlei Verführungskünsten — in und vor der 
Kammer — um die Zuneigung des Knaben. Doch das in 
ihm zu heldenhafter Mächtigkeit erwachte Schambewußtsein 
läßt ihn sieghaft der Versucherin widerstehen, die ihn bald 
flehend, bald herrisch auf fordernd in ihre Netze locken will. 
Das Geräusch dieses sinnlichen Ringens führt wachehaltende 
Fackelträger auf den Plan. Joseph wird gepackt; der Platz 
füllt sich mit der durch den Lärm aufgescheuchten Diener- 
schaft, schwarz gehüllte Sklavinnen scharen sich winselnd 
um die bloßgestellte Herrin und schützen sie mit „abergläubi- 
schen Abwehrbewegungen“ gegen den hoch aufgenchtet, 
regungslos dastehenden Jüngling. Auf Befehl des mittler- 
weile im Kreise seiner Gewappneten erschienenen Potiphar 
wird Joseph gefesselt. Und während das Weib mit der 
kriechenden Falschheit der Enttäuschten ihrem Gebieter den 
Mund zum Kusse bietet, schaffen Henker ein Kohlenbecken 
herbei, in dem grausames Folterwerkzeug glüht. Da fällt 
lötzlich eine himmlische Lichtwelle auf- den bleichen Körper 
es schmählichem Märtyrertod Entgegenharrenden. Ver- 

f ebens recken sich ihm die Züge seiner dämonischen An- 
lägerin, in der ein wilder Kampf der Zerknirschung und des 
Entsetzens wütet, entgegen. ... In goldenem Panzer er- 
scheint der erlösende Erzengel und geleitet seinen mutigen 
Schützling von dannen . . . Potiphars Weib aber erwürgt ach 
mit ihren Perlensträngen und wird von den Klageweibern 
in das Innere des Palastes hineingetragen. — 

Es steht außer Zweifel, daß sich mancher unserer modernen 
Komponisten mit Wonne an die Ausarbeitung eines so ver- 
führerischen Sujets gemacht hätte. Es geht hier ganz genau 
so wie mit der Malerei! Aber darf man nicht mit billigem 
Rechte die Frage, wer wohl der „prädestinierteste“ dafür 
gewesen, zugunsten desjenigen beantworten, der eine „Sa- 
lome“ geschrieben ? Denn mit der nun landläufig gewordenen 
Beherrschung der impressionistischen „Wissenschaft“ allein: 
Gefühle, Handlungen, vereinzelte und Kollektivgesten, Ge- 
dankenserien aus dem heutigen Orchesterapparat herauszu- 
„schälen“ und mit abgezirkelter Routine auf eine in Flitter- 
rausch wogende Szene zu werfen wie Farbenkleckse, wäre dem, 
was Strauß nicht länger mit dem banalen Ausdruck „Ballett“ 
bezeichnet haben möchte (der Klavierauszug sagt: Hand- 
lung), schon nicht mehr beizukommen. Man muß eben eine 
„aparte“ Gestaltungskraft besitzen, um Entdeckungen zu 
machen, deren Wichtigkeit desto mehr zutage tritt, je weiter 
man sie hinter sich läßt. Wenn mir ein bekannter fran- 
zösischer Komponist gleich nach der „Josephs-Legende“ 
hämisch lächelnd bemerkte: „(Ja, c’est du vieux jeu !“ (Das 
sind olle Kamellen), dann hatte er von seinem Standpunkt 
aus recht, wenn er die musikalischen Tastversuche der mo- 
dernen Sehlde seines Landes dabei im Auge behielt; da gibt 
es jedes halbe Jahr (ohne Uebertreibung!) „neue Bahnen“! 
Als ich ihn aber darauf aufmerksam machte, daß diesen 
Bahnen, ein „kleiner Start“ voraufging, und daß er mir 
sagen möchte, wo er diesen „Start“ zu suchen gedenke, da 
schwieg er still, da verfinsterte sich sein bis dahin triumph- 
sicheres Gesicht, da kam ihm ein heute alter Vergleich ins 
Gedächtnis, da biß er sich auf die Lippen beim Nennen eines 
„gewissen“ Wagner, dem z. B. auch der von ihm bis dahin 
als „Ichbegriff“ ganz beiseite gestellte C6sar Franck Vasallen- 
dienste geleistet hätte. Da wollte er von „Entwicklung“, 
„Seitenentwicklung“ nichts wissen, da hatte er die Begriffe: 
„charakteristischer Markstein“ und „nachschöpferische In- 
telligenz“ über einen Haufen geworfen und . . . sich stumm 
entfernt. 

Ich bin für meinen Teil froh darüber, daß man Straußens 
jüngstem Sproß das Epitheton ornans: „vieux jeu“ 
angehängt hat; das hat nämlich eine weit größere Bedeutung, 
als man auf den ersten Blick annehmen soll. Heißt das nicht 
auch: Einkehrhalten, Verinnerlichung eines reformatorischen, 
mit einer weit über seine Zeit hinausgehenden Fernsicht aus- 
gestatteten Schöpfergenies ? Weiß man überhaupt schon 
heute, drei Tage nach der bis jetzt einzigen Aufführung 
eines ganz neuartigen Strauß, was man eigentlich zu hören 
bekam ? Ist dieses Vor- und Nachspiel nicht gar ein Symbol, 


dem vielleicht eine weit würdigere Beachtung zu schenken 
ist, als den reizvollen Tänzen, die sicherlich als das will- 
kommenste „Füllsel“ der noch in derselben Nacht dem 
Draht anvertrauten Sensationsberichte über das „musikali- 
sche Ereignis“ gelten durften! 

Es liegt selbstredend nicht in meiner Absicht, diesem Be- 
richt eine detaillierte Analyse der „Josephs-Legende“ an- 
zufügen, er bezweckte vor allem, den Gesamteindruck zu 
schildern, den das Werk auf „fremder Erde“, wo es zur Welt 
kam, hervorrief. Aber ich darf diese Zeilen nicht beschließen, 
ohne wenigstens auf die mächtige Fülle neuer Formeln 
aufmerksam zu machen, auf den Gedankenreichtum in der 
Schöpfung neuer Kombinationen, in der prodigiösen Aus- 

f estältung rhythmischer, harmonischer und orchestraler 
Effekte, die zu einer den unbestreitbaren Erfolg sichernden 
Plastik führten. Abgesehen von allenthalben in wunder- 
baren Parallelen mit kontrapunktischen Wundern wetteifern- 
den, fast kindlichen Melodien, die an entfernte J ugendweisen 
erinnern, wird wohl die „Verachtungsszene der Klageweiber“ 
das Herrlichste sein, was an Nachahmung durch die Macht 
des Tones je erreicht worden ist (Klavierausz. No. 237 — 245 ). 

Nachdem sich Strauß im Verein mit den Hauptkünstlern 
am Schluß viermal vor dem Publikum zeigen durfte (eine 
in Frankreich nicht übliche Zeremonie), überreichte ihm der 
Unterstaatssekretär Jacquin persönlich das Offizierskreuz 

der Ehrenlegion. Ferdinand Laven. 

* * 


Im Anschluß daran seien noch folgende interessante Aeuße- 
rungen Straußens über seine Art zu schaffen mitgeteilt, die 
wir im „Schwäb. Merkur“ lesen: In der Großen Oper, wo 
„Salome“ mit einem für Paris unerhörten Erfolg gegeben 
wird, ist Richard Strauß zum erstenmal von Andri Messager 
empfangen worden, der ihn mit einer begeisterten Ansprache 
als den größten unter den zeitgenössischen Musikern will- 
kommen hieß. Strauß wurde auch von den führenden Pariser 
Kritikern jederzeit in einer fast überschwänglichen Art ge- 
feiert. Nur wo zugleich ein zünftiger Musiker den Kritiker- 
stab schwingt, bekam man Mißtöne zu hören. In den Tagen 
vor der Aufführung der „Josephs-Legende“ waren natürlich 
die Blätter voll von Artikeln, die sich mit dem deutschen 
Musiker befassen, und sie gaben derartig phantastische Schil- 
derungen von der Kompositionsweise, den Eigenheiten und 
Schrullen von Richard Strauß, daß dieser sich dagegen in 
einer Plauderei ironisch wehrte. Denn die geringste der 
Uebertreibungen besagt, daß Strauß ein gewafftätiges, vul- 
kanisches Temperament besitzt und nur sozusagen unter 
Donner und Blitz, auf hohen Bergesgipfeln, bei Gewitter- 
sturm komponieren kann! Strauß sagte dagegen: „Ich ar- 
beite an meinem Tisch, der sich von anderen Tischen durch 
nichts unterscheidet, und bin dabei entweder im Schlafrock 
oder in einem Cheviotanzug. Ich habe niemals das geringste 
Fieber und kann mir beim Komponieren die Haare schon 
darum nicht ausraufen, weil sie ziemlich rar sind und ich 
sie sehr kurz geschnitten trage. Auf die Berge klettere ich 
deshalb, weil ich ein leidenschaftlicher Bergsteiger bin, aber 
nicht etwa, um dort meine Inspirationen zu holen. Meine 
besten Einfälle kommen mir in Garmisch in meinem Land- 
haus, das von Linden umduftet ist. Mit dem Niederschreiben 
beginne ich im Winter, von November bis April, und ich 
arbeite sehr kühl, ohne Aufregung, fast ohne Emotion. Denn 
man muß Herr seiner selbst sein, um dieses grandiose 
Schachbrett zu meistern, das sich Orchestration benennt. 
Der Kopf, der „Tristan“ instrumentiert hat, war sicherlich 
kühl wie Marmor . . . Dazu arbeite ich sehr langsam. 
Von der ersten Idee zu einem neuen Werk bis zu dessen 
Vollendung vergeht stets ein recht beträchtlicher Zeitraum. 
Denn auch der Inspiration, falls sie vielfältig und abwechs- 
lungsreich sein soll, muß man viel Zeit lassen, und die wahre 
Kunst ist hier, warten zu können. Was die „Josephs-Legende“ 
betrifft, so schrieb ich dieses Werk im vorigen Jahre, sozu- 
sagen impulsiv, ohne nach einem neuen Stil zu suchen, denn 
ich glaube, daß jedes Werk seihen eigenen Stil in sich selbst 
trägt und der Tondichter nur die Intention seines jeweiligen 
Librettos voll erfassen muß. Eines schickt sich nicht für 
alle; ich glaube, daß man in der Kunst keine vorgefaßten 
ästhetischen Grundsätze haben soll und jedes neue Werk in 
einer sozusagen neuen Tonsprache geschrieben werden sollte, 
mit einem Kleid versehen, aas eigens dafür gemacht wurde.“ 
* * 

Die Premiere war ein Ereignis, das über das Rein-Künst- 
lerische hinausging. Mit Ausnahme des Präsidenten Poincarö, 
der zurzeit nicht in Paris weilte, waren alle Minister zur 
Vorstellung anwesend, ebenso das diplomatische Korps, der 
deutsche, und der russische Botschafter, der bayerische Ge- 
sandte usw. Es hat natürlich auch wieder nicht an Preß- 
stimmen gefehlt, die etwas auszusetzen hatten; so machte 
man es Strauß zum Vorwurf, weil er, als Deutscher, die erste 
Aufführung nach Paris verlegt hätte. Abgesehen von allem 
anderen — z. B. handelt es Sch um eine nir das „Russische 
Ballett“ geschriebene Musik — ist dieser Vorwurf engherzig. 


334 



Der deutsche Komponist hat in Paris einen Sieg davon- 
getragen! Und seit den Tagen des „Tannhäusers“, unseligen 
Angedenkens — hat ein deutscher Meister nie wieder die 
Pariser so beschäftigt wie Richard Strauß. 

* * * 

Die „große Pariser Kritik“ ist im günstigen Urteil nicht 
einig; was ja auch nicht weiter zu verwundern ist; denn 
im umgekehrten Falle könnte man sich wundem. Sie lobt, wie 
das „B. T.“ berichtet, mit einiger Reserve die Musik des 
Komponisten, geht aber mit dem Libretto des Grafen Keßler 
und Hugo v. Hofmannsthals sehr streng um. Der Kritiker 
der „Comoedia“ fängt mit der Erklärung an, daß die Neu- 
aufführung des russischen Balletts einen künstlerischen Rück- 
schritt auf der ganzen Linie bedeute. Er schreibt weiter: 
„Ich bin nicht der einzige, der da findet, daß die syste- 
matische Zusammenarbeit von Strauß, dem gewaltigen Kom- 
ponisten der „Elektra“, und von Hugo v. Hofmannsthal 
nicht gerade glücklich ist. Das Talent dieses Dichters ist 
nicht günstig für die Entwicklung der übermenschlichen 
Eigenschaften seines Mitarbeiters. Der Kritiker des „Figaro“ 
sagt von Richard Strauß' Musik: „In diesem Werk, das eine 
unzweifelhafte Macht und einen merkwürdig bezaubernden 
Charme besitzt, vollzieht sich alles mit strengster Einheit. 
Man kann aber nicht sagen, daß die einzelnen Glieder des 
schönen Ensembles gleichwertig sind. Mit dem besten Willen 
der Welt kann ich diesem Drama die Bewunderung nicht 
zollen, die andere aussprechen. — Isidor de Lara im „Gil Blas“ 
hat als „Komponist“ den Fall offenbar mißverstanden. Er 
redet immer von der „Heiligen Schrift“ : die Autoren haben 
uns eine Entstellung geboten, die einer Mystifikation nicht 
ganz unähnlich ist. Diese Ausschlachtung der Bibel im 
Namen der großen Kunst beunruhigt uns sehr. Ist das 
vielleicht trotz des großartigen Artikels nichts anderes als 
ein verkapptes Geschäft ? Herr Strauß ist einer der größten 
Musiker unserer Epoche. 

Jean Chantavoine schreibt im „Excelsior“ : „Zu dieser viel- 
gestaltigen Handlung hat Strauß eine außerordentlich klare 
Partitur geschrieben. Die Gefühlsmacht der Musik gestattete 
ihm, den vielleicht übertriebenen Intellektualismus des sym- 
bolisch gehaltenen Librettos zu korrigieren und vor allem 
zu vereinfachen . . . Die Themen sind immer ausdrucksvoll 
— wenn auch nicht immer besonders neuartig akzentuiert — ; 
die Harmonien sind bald voll, dicht und reich, bisweilen 
sogar rauh, und dann wieder, besonders in den Joseph- 
Motiven, leicht und klar bis zu einer gewissen Schärfe, die 
etwas vom herben Geschmack einer unreifen Frucht an sich 
hat und in der die Knabenhaftigkeit des jungen Helden zum 
Ausdruck kommen soll. Und dann das triumphierende 
Schlußmotiv, das mit dem Auftreten des Engels einsetzt 
und in herrlichem, blendendem Lichte erstrahlt. Schließ- 
lich trägt auch das von Strauß mit wundervoller Kraft und 
Zartheit geführte Orchester dazu bei, den wechselnden Aus- 
druck entgegengesetzter Gefühle klar und vielfältig heraus- 
zuarbeiten.“ 

Und schließlich Henri Quittard : „Die .Josephs-Legende' ist 
das Debüt eines der bewundertsten Meister der zeitgenössi- 
schen Musik auf dem Gebiete der Ballettkunst . . . Die 
Straußsche Partitur ist von einer Kraft, Gesundheit und 
Jugend, die mit der etwas krankhaften „Präziosität“ des 
Librettos kontrastierten. Sie bezeichnet' die sicherlich ge- 
wollte Rückkehr zu einer weit größeren Einfachheit, als ge- 
wisse frühere Werke des Komponisten erwarten ließen. In 
einer Zeit, wo diese Qualität bei den Musikern nicht besonders 
in Ehren steht, verdient der Fall besondere Beachtung. 
Doch schließt diese Einfachheit selbstverständlich den Reich- 
tum nicht aus. . . Der Erfolg war auf jeden Fall ein Triumph !“ 

Auch die deutsche Kritik weicht in ihren Urteilen ab: 
das Schönste was Strauß geschrieben hat, — das Schwächste, 
was Strauß geschrieben hat. Das sind die Pole. Wie im- 
mer, bleibt bei solchen Werken das endgültige Urteil der 
Zukunft Vorbehalten. 


Uraufführungen deutscher Opern. 

„Die Marketenderin.“ 

Eine „deutsche Spieloper“ von ROBERT MISCH. 

Musik von ENGELBERT HUMPERDINCK. 
(Uraufführung im Kölner Opernhaus am io. Mai 1914.) 

E ine Harmlosigkeit in zwei Bildern, die in ihrem billigen 
Appell an den Patriotismus an ein Gelegenheitsstiick 
für Kriegervereine erinnert. Allerdings steht im Mittel- 
punkt eine Liebesgeschichte, die sich nicht um berühmte 
Menschenkinder dreht, aber das ganze Drumherum von Sol- 
datenliedern , . dazu der Präsentiermarsch, von den Flüchen 


und Derbheiten Blüchers, der immer wieder versichert, daß 
es nach Paris geht, von militärischen Aufmärschen usw., und 
der Schluß, den der Auftakt zum Rheinübergange SUvester 
1813 bildet, verleiht dem Textbuch die Aehnlichkeit mit der 
erwähnten Gattung von Hurra-Komödien. Die Heldin ist 
eine ehemalige französische Marketenderin, Elsässerin von Ge- 
burt, Rose Meister, die eigentlich nicht aus deutscher Freund- 
lichkeit zu den Preußen übergeht, sondern weil sie ihren Schatz 
sucht. Ein mutiges Geschöpf, leistet sie der deutschen Sache 
dann aber schätzenswerte Dienste als Auskundschafterin; der 
Schatz hat sich nicht als ihrer würdig erwiesen, dafür findet 
sie einen anderen, einen besseren, der ihrem Herzen schon 
einmal nahe stand. Die Partitur ist die e r s t e Arbeit Humper- 
dincks nach seinem langen, schweren Leiden, sie stellt den 
Versuch dar, eine Musik in modernisiertem Lortzing-Stil zu 
schreiben, aber es fehlen dafür Ursprünglichkeit, zwingender 
Humor und auch Gemüt. Immerhin ist die Musik melodiös, 
anspruchslos und vielfach sehr schön instrumentiert. Zu 
mehr konnte das Textbuch auch wohl nicht anregen. Gewiß, 
ob das Werkchen im Kölner Opernhaus aufgeführt worden 
wäre, wenn es nicht von Humperdinck herrührte, das ist 
sehr fraglich, aber da es eine Schöpfung des Meisters der 
turmhoch darüberstehenden „Hänsel und Gretel“-Partitur ist, 
darf man doch auch nicht ungerecht sein und ihm die Epi- 
theta vorenthalten, die man der Musik, wenn ein unbedeuten- 
der Komponist sie geschrieben, zubilligen würde. Hübsch, 
mit einem gelegentlichen Stich ins Operettenhafte, sind zweifel- 
los die meisten der nicht sehr zahlreichen Nummern. In sehr 
guter szenischer, darstellerischer und musikalischer Wieder- 
gabe. von Direktor Hofrat RSmond und Kapellmeister Brecher 
mit Ueberlegenheit vorbereitet, hatte die Oper übrigens einen 
starken Erfolg, der zwar wesentlich mit auf die Beliebtheit 
des anwesenden Komponisten und die effektvollen militärischen 
Schlußbilder zurückzuführen war. Karl WolH. 


„Das Ungeheuer.“ 

Musikal. Lustspiel in einem Akt von ANTON BEER -WALBRUNN 

(Uraufführung am Großh. Hoftheater in Karlsruhe.) 

Nach dem Theaterstück „Der Bär“ des zu früh verstorbenen 
russischen Dichters Tschechow hat der Münchner Akademie- 
professor Beer- Walbrunn sein Libretto bearbeitet, das mit 
mehr Behagen als Witz die Geschichte aufzeigt, von dem das 
„Weib“ verachtenden Gutsbesitzer Smirnow, der zu der tief- 
trauernden, jungen, schönen Witwe Popow kommt, um in 
barscher Weise eine Wechselschuld ihres verstorbenen Gatten 
einzufordern. Die daraus sich entspinnenden „Wechselreden“ 
führen zu gegenseitigen Sottisen, Impertinenzen und schließ- 
lich zu einer Pistolenforderung des Mannes an die Frau. Was 
man längst voraussieht, tritt ein: der grimmige Haß wandelt 
sich in stürmische Liebe und statt das „Ungeheuer“ totzu- 
schießen, nimmt es die Witwe in ihre Arme auf. Eine zu 
wenig ergiebige Handlung für ein anderthalb Stunden sich 
hinziehendes sogenanntes Lustspiel, dessen keineswegs leicht- 
flattemdes musikalisches Gewand wenig geeignet ist,spannende 
Reize wachzurufen. Einige feine Züge leuchten aus dem, den 
Wortsinn zumeist treffenden musikalischen Konversationston 
dervor. Bei den lyrischen Stellen tauchen Erinnerungen auf; 
doch muß anerkannt werden, daß auch bekanntere Wen- 
hungen nie den Eindruck des Trivialen machen, wie über- 
haupt der ganzen Musik der Charakter einer gewissen Vor- 
nehmheit nicht abzusprechen ist Die Harmonik darf für einen 
„Modernen“ als zahm gelten; Probleme gibt sie keine auf. 
Die Instrumentation zeigt klanglich den erfahrenen Musiker, 
ist aber für den Stoff häufig zu konsistent. Wirkungsvoll 
sind die Singstimmen geführt, so daß es dank der ausgezeich- 
neten Darbietung der beiden Hauptdarsteller, Frau Lauer- 
Kottiar und Herrn Büttner sowie dank der Sorgfalt und Hin- 
gebung, mit der sich Hofkapellmeister Cortolezis des Werk- 
chens angenommen hatte, gelang, dem Autor zu einem Er- 
folge zu verhelfen. Schweikert 

* . * 

Franz Schmidt: „Notre Dame.“ 

(Uraufführung am. Hofoperntheater in Wien.) 

Franz Schmidt ist ein ausgezeichneter Musiker. Er saß 
jahrelang als Cellist im Hofopernorchester und ist kürzlich 
zum Professor an der Musikakademie ernannt worden, und 
zwar für — Klavier. Tatsächlich beherrscht er beide Instru- 
mente gleich meisterhaft und es . ist jedesmal ein Vergnügen, 
ihm im Konzertsaal zu begegnen. Daß er auch komponiere, 
erfuhr man aus den Aufführungen zweier Symphonien und eines 
symphonischen Zwischenspiels aus einer Oper. Dieses Zwischen- 
spiel hat vor einer Reihe von Jahren in einem philharmonischen 
Konzert Erfolg gehabt, und noch älter, mehr als zehn Jahre 
alt, ist die Oper, zu der es gehört, dieselbe Oper, über deren 
Uraufführung ich heute zu berichten habe. 


335 


In diesen zehn Jahren ist viel Musik gemacht worden, und 
man kann bestimmt annehmen, daß sie an Schmidt nicht 
spurlos vorbeigegangen ist. Mag sein, er hätte heute manches 
anders gemacht. . Man kann es nicht wissen. Man hat nicht 
einmal die Möglichkeit, seine Entwicklung an der Hand späterer 
Werke zu kontrollieren. Denn seine zweite Symphonie ist 
dazu nicht geeignet, und mehr als die oben genannten paar 
Opera ist von Schmidt nicht bekannt, wahrscheinlich auch 
mcht produziert worden. So müssen wir die neue Oper neh- 
men, wie sie ist, wie sie ja auch ihr Autor durch seine Zu- 
stimmung zur Aufführung approbiert hat. 

Was zunächst auffällt, imangenehm auffällt, ist der mehr 
als ungenießbare Text, für den der Komponist im Verein mit 
einem Herrn Wilk verantwortlich ist. Ist schon Victor Hugos 
berühmtes Hauptwerk, „Notre Dame de Paris“ mit seiner 
kitschigen Grellheit gehäufter Theatereffekte, seiner Exage- 
ration von Gräßlichem und noch Gräßlicherem, seiner melo- 
dramatischen Rührseligkeit heute unerträglich, so ist es ein 
derart plump daraus gezimmertes Libretto noch viel mehr. 
Wenn im Original die edle, revoltierende Tendenz, das hin- 
reißende Pathos der Rede, das historische Interesse an dem 
Kulturbilde des mittelalterlichen Paris versöhnend wirkte, so 
blieben in der Oper, unter Verzicht auf jegliche psychologische 
Vertiefung, nichts als bunt aneinandergeklebte, äußerliche 
Geschehnisse, die bald peinlich brutal, bald ebenso abge- 
schmackt süßlich wirken. — 

Im Mittelpunkt der romantischen Geschichte steht Esme- 
ralda, ein Zigeunerkind. Ein solches ist, wie man vom Trou- 
badour her begriffen oder auch nicht begriffen hat, in der 
Regel geraubt gewesen. Durch dieses professionelle Kinder- 
rauben ist ja der Zigeuner zu einem ebenso bequemen wie 
notwendigen Requisit der Pseudoromantik geworden. Der- 
artige Kinder tragen ausnahmslos ein Amulett, das in unserem 
Falle von geradezu wundertätiger Wirkung ist. Es hat näm- 
lich seiner Trägerin in all den Jahren, und in einem mehr als 
zweifelhaften Milieu ihre Tugend und Unschuld unversehrt 
zu erhalten vermocht, trotzdem es an Liebhabern wahrhaftig 
nicht fehlen würde. Der ist zunächst ihr — Mann. Bitte 
nicht zu erschrecken, er ist es nur mit einer entscheidenden 
Einschränkung . Sie hat den guten Gringoire nur pro forma 

f eheiratet, um ihm, den die Zigeuner sonst gehenkt hätten, 
as Leben zu retten. Aber, wie das Libretto so poetisch 
betont, „einen weiteren Schluß daraus zu ziehen,“ wurde ihm 
nicht gestattet. Immerhin zieht er den Schluß, daß er das 
Recht habe, auf die sozusagen — Gattin eifersüchtig zu sein. 
Er hat Grand dazu, da sie den hübschen Hauptmann Phoebus 
liebt, und ihn, trotz Amulett, glücklich machen will. Das 
Stelldichein wird durch den Gatten, der von Victor Hugos 
gutmütig liebenswürdigem Bohemien, hier zur anderen Be- 
deutung des Wortes, zum tobsüchtigen Zigeuner degradiert 
wurde, empfindlich gestört. Ein Messerstich sorgt für den 
ersten Aktschluß, und für die Entfernung dieser beiden Lieb- 
haber, deren einer schwer verletzt ist, deren zweiter, nun- 
mehr ebenso überflüssig, in die Seine geht. 

Es folgt der zweite Akt, und damit ein neues Drama der 
armen Heldin, mit zwei weiteren Liebhabern, dem Archidiakon 
und dem Glöckner von Notre Dame. Auch in ihnen zeigt sich 
die Verschlechterung dem Original gegenüber recht auffallend. 
Doch ist der Priester das treibende Moment des Ganzen und 
nicht wie ein flammendes Pamphlet, das der Revolutionär 
Hugo gegen die Klerisei des Mittelalters donnert. Er ist der 
Eifersüchtige, der den geliebten Phoebus erdolcht, er ist es, 
der auch weiterhin die als Mörderin und Hexe unschuldig 
gefolterte mit seiner verhaßten Liebe verfolgt, die durch 
Martern Gebrochene, zum Tode Verurteilte vor die grausame 
Wahl stellt, zu sterben oder dem Mörder ihres Geliebten sich 
hinzugeben. Hier wäre die scene a faire eines Theaterstückes. 
Aber es schien offenbar erwünscht, das Scheusal im Priester- 
kleid hofbühnenfähig zu machen. In unserer Oper gesteht er 
seine Liebe einer — Schlafenden, glaubt an ihre Unschuld, 
und ist sofort bereit, sie zu retten. Schon ist er daran, ihr die 
Türe zu öffnen, durch die die Freiheit winkt. Da, als sie sich 
ihm danküberströmend an die Brust wirft, fühlt er aufs neue 
das Auflodem seiner sinnlichen Begierde. Folglich muß sie 
sterben, damit seine heilige Seele wieder zur beschaulichen 
Ruhe und asketischen Reinheit komme. Folglich. Ein 
egoistischer, elender, kalt konstruierter Schluß, und überdies, 
wie vorauszusehen, ein Trugschluß. Weit schlimmer als jedes 
Verbrechen aus Leidenschaft. Seine Niedertracht geht so weit, 
sie, die ohne sein Zutun ins Asyl gerettet wurde, auch von 
dort noch an den Galgen zu hetzen. Das Asyl nämlich ist 
die Kirche Notre Dame, die jeden Missetäter, hat er sie erst 
erreicht, vor weiterer Verfolgung schützen soll. Dieses Asyl- 
recht war das notwendige, aber unsinnige Korrelat einer jäm- 
merlichen Justiz, die Verbrecher laufen ließ, da sie bewußt 
Unschuldige umbrachte. In das Asyl aber kam die Zigeunerin 
auf Quasimodos kräftigen Schultern. Auch dieser, der Glöck- 
ner von Notre Dame, ein häßliches, taubes, vertiertes Jammer- 
geschöpf, bisher willenloses Werkzeug des Archidiakons, auch 
dieser steht im Banne von Esmeraldens Zauber. Da sie zum 
Tode geschleppt wird, entreißt er sie den Henkern und rettet 

336 


sie in die Kirche. Und da sie auch hier ihrem Verderben 
nicht entgeht, stürzt er sich auf den Priester, seinen Wohl- 
täter, seinen Abgott, dem er hündisch zu folgen gewohnt war, 
stürzt sich, da er ihn nun durchschaut, wütend auf ihn und 
schleudert ihn von dem Dache der Kirche in die Tiefe. Mit 
ihm stirbt ein Theaterbösewicht, kein Mensch. Puppen und 
Drahtgestelle sind sie alle, alle diese Gaukler von Notre Dame. 
Vermag es die Musik, ihnen den Odem des Lebens einzu- 
blasen ? 

Aber das ist nun das Allermerkwürdigste. Daß nämlich 
dieser Autor, der Jahr um Jahr die erlesensten Schätze unserer 
Kunst auf seinem Platze im Orchester miterlebt, mitgeschaffen 
hat, daß er vom Theater so gar nichts behalten wollte. Wie 
im Texte nicht, ebensowenig in der Musik. Ja, er kompo- 
niert mit kindlicher Unbefangenheit geradezu am Theater 
vorbei. Die Undramatik par exeellence erscheint zum Stil- 
prinzip einer Oper erhoben, die überhaupt nur mit den Mitteln 
des Theaterdramatischen wirken könnte. Wie kindlich sorglos 
gleich die unbeholfenste aller Expositionsszenen als unbedeuten- 
des Kammermusikscherzo vorüberhuscht ! Wie wird jede Mög- 
lichkeit benützt, um durch ausgedehnte Orchesterzwischen- 
spiele die Handlung zu retardieren, statt zu befeuern. Die 
überaus spärlichen melodischen Einfälle, deren beste an Sme- 
tanas Lyrismen erinnern, gehen dramatischen Steigerungen 
und Höhepunkten ängstlich aus dem Wege. Eine ldäglicher 
im Sande verlaufende, eine ähnlich unerotische Liebesszene 
ist kaum mehr denkbar. Es ist sehr charakteristisch, daß 
symphonische Arbeit, daß Variation und Passacagliafdrm die 
einzige Möglichkeit für Schmidt ist, sein dürftiges thematisches 
Material zu entwickeln. Was soll das Theater damit? Was 
mit einem Chore, der an dem Höhepunkt der Handlung un- 
endlich lange im fugierten Oratorienstil singt, und damit den 
Eindruck von Esmeraldens unerwarteter Rettung ins Asyl 
gründlich verdirbt ? Und wo sind auch nur Ansätze, Menschen 
musikalisch zu charakterisieren? Gringoire und Quasimodo 
führen musikalisch überhaupt kein Eigenleben. Der äußerlich 
kalte, innerlich kochende Scheinheilige ist als einziges Charakte- 
ristikum mit einem lammfrommen Choralmotiv bedacht, mit 
dem er kommt und geht. Und Esmeralda selbst, von ihr 
r fährt man kaum mehr, als daß sie aus Ungarn stammt. 
Als wären alle Zigeuner Ungarn, als wäre das geraubte Kind 
überhaupt eine Zigeunerin ! Hier freilich kann mcht verschwie- 
gen werden, daß der hier gemeinte Orchestersatz, der Lassu-Teil 
einer stilisierten Czardäsmusik, auch als Zwischenspiel wieder- 
holt, eben jenes Zwischenspiel, das aus der Konzertaufführung 
bekannt war, daß dieses Stück alle Möglichkeiten eines erst- 
klassigen Streicherkörpers raffiniert zu nützen versteht, daher 
wundervoll klingt, und auch den Erfolg des Abends entschied, 
während andere Stellen der sauber gearbeiteten Partitur, nicht 
durchwegs so sicher gesetzt sind. 

Dieser Erfolg, an dem die Begeisterung der Orchesterkollegen 
und einer wilden, aus Akademiekreisen rekrutierten Anhänger- 
schaft starken Anteil hatte, ist auch einer ausgezeichneten 
Darstellung durch Frau Gutheil und die Herren Weidemann, 
Mayr, Maikl und Miller zu danken, und nicht zuletzt Herrn 
Schalk, der das herrlich spielende Orchester anführte. Er ist 
dem bescheidenen, tüchtigen Musiker herzlich zu gönnen, der 
die Schwächen seines Jugendwerkes wohl am besten kennt 
und es nun auch leichter haben wird. Besseres und vielleicht 
Bleibendes zu schaffen. Eine Hoffnung, die aus den kräftigeren 
dramatischen Akzenten, die zum erstenmal in der Schluß- 
szene wach werden, ihre Berechtigung schöpft. Quasimodos 
Glocke aber, fürchte ich, wird bald eine versunkene Glocke 
sein. Dr. R. S. Hoflmann. 


Hamburger Erstaufführungen. 

M it dem Begriff der Moderne werden gegenwärtig die 
verschiedensten Vorstellungen vom Wesen und Inhalt 
eines musikalischen Kunstwerkes verknüpft. Die Zeit 
ist vorüber, da sich in der Musik geschlossene Parteien gegen- 
überstanden', da man auf Wagner und Liszt oder auf Brahms 
schwor, für Gesamtkunstwert und Programmusik kämpfte 
oder sich zur Aesthetik des Klassizismus bekannte. Wer sich 
heute fortschrittlich gesinnt zeigen möchte, befindet sich in 
einer prekären Lage. Noch vor etwa fünfzehn Jahren konnte 
man das Problem der modernen Musik „Richard Strauß“ 
nennen; dann aber kamen, jeder aus einer anderen Richtung 
und einem anderen Ziele zustrebend: Reger, Dfbussy, Delhis, 
Schönberg. Strauß schrieb die fast reaktionäre „Ariadne“- 
Musik; die Mode in den Kreisen intellektueller Dilettanten 
wandte sich gegen die Tyrannei Wagners, und die Literarischen 
kokettieren mit Mozart. Ob nun einer sich die far.big-im- 
pressionis tische Manier der Jung- Franzosen zu eigen macht 
oder, gleich denen um Reger, bei Bach und Brahms wieder 
anknüpft, ob einer programmatisch komponiert oder Sonaten 
und Symphonien, Musik als Selbstzweck schreibt, von einer 


Synthese verschiedener Stilelemente oder von der Einführung 
der Vierteltöne das Heil erwartet — : der eine Komponistentyp 
kann so gut wie der andere als der moderne gelten, denn das 
Wollen der Zeit ist nicht eindeutig, und die Erkenntnis der 
Relativität aller künstlerischen Gesetze wird immer allge- 
meiner und beängstigender. Theoretisch ist alles diskutabel, 
und wie man sich zum praktischen Einzelfall zu stellen hat, 
hängt nur noch ab von der Macht der schöpferischen Per- 
sönlichkeit und von der Beweiskraft des Kunstwerkes. Kurz- 
um: man ist Fanatiker der Toleranz. Kaum einer der nam- 
haften Dirigenten, dessen Novitätenauswahl ein Parteipro- 
gramm zugrunde läge. (Dem widerspricht nicht, daß nur 
wenige den Mut haben, für die letzten Kompositionen Schön- 
bergs einzutreten.) Selbst ein Künstler von so scharf pro- 
filierter Eigenart wie Siegmund v. Hausegger, der Dirigent 
unserer Philharmonischen Konzerte, gewährt neuen Werken 
der verschiedensten Herkunft und Richtung Aufnahme in 
seinen Programmen. Hausegger brachte in dieser Saison von 
Max Reger die vier Tondichtungen nach Böcklin zu Gehör. 
Diese Suite bietet ein überzeugendes Beispiel für die musi- 
kalisch befruchtende Wirkung bildhafter Vorstellungen, für 
die wohltätige Steigerung der koloristischen Fähigkeiten durch 
seelische Hingabe an einen poetischen Vorgang, im besondern 
bei Naturen, die oft Gefahr laufen, sich im Abstrakten zu 
verlieren. Das „Festliche Präludium“ von Richard Strauß, 
eine Gelegenheitskomposition (nicht etwa im Goetheschen 
Sinne), fand beim Publikum eine sehr beifällige Aufnahme. 
Einer Prüfung auf symphonische Werte hält die in flotter 
Plakatmanier entworfene Komposition nicht stand. Die 
Münchner Schule war durch Walter Braunfels vertreten, der 
selber den Solopart seines Klavierkonzertes spielte. Das 
Klanggleichgewicht zwischen Orchester und Klavier ist in dem 
kraftvoll geformten Konzert gut gewahrt, die Themen sind 
natürlich erfunden (im Schlußsatz: natürlich bis an die Grenze 
der Banalität), und nur episodisch gefällt sich Braunfels in 
harmonischen Komplikationen, mit denen er nicht auf das 
Verständnis der Allgemeinheit rechnen darf. Die „Sinfonia 
espansiva von Carl Nielsen, dem dänischen Kapellmeister, ist 
ein Werk von solid fundierter Technik, bleibt aber als Stim- 
mungsausdruck und Persönlichkeitsmanifest hinter den Er- 
wartungen, die ihr Titel erweckt, zurück. Zur Uraufführung 
im Rahmen der Philharmonischen Konzerte kam Friedrich 
Gernsheims zweites Violinkonzert in Fdur unter Leitung des 
Komponisten und mit Henri Marteau als Interpreten des Solo- 
parts. Es umfaßt drei knapp gehaltene Sätze, die, pausenlos 
aneinandergereiht, ohne alle stärker angreifenden Momente 
vorüber ziehen. Die auffällige Beachtung, die des bejahrten 
Meisters kulturgesättigte, aber an Zündstoffen und Emen- 
werten arme Musik so plötzlich findet, läßt sich wohl schwerlich 
als Symptom der Zeit deuten. — Josl Eibenschütz, ein eifriger 
Förderer neuer Werke und ganz Temperamentskünstler, führte 
in den Symphoniekonzerten des Vereins Hamburgi scher Musik- 
freunde u. a.zwei Werke von Hugo Kaun zum erstenmal 
auf. Die Tonsprache Kauns ist stark eklektisch; der sym- 
phonische Prolog zu Hebbels Drama „Maria Magdalena“ ist 
auf allgemeine Wendungen orchestraler Rede beschränkt, und 
auch das später entstandene Opus „Am Rhein“ (eine Wande- 
lung fröhlicher Gesellen) läßt den Willen zur Originalität und 
Selbstkritik in bedenklichem Maße vermissen. — Die Novi- 
täten, die Artur Nikisch mit den Berliner Philharmonikern 
brachte, waren die dritte Symphonie „Im Hochgebirge“ von 
Heinrich Zöllner und die „Smfonietta“ von E. W. Korngold. 
Die spontan geschaffene, sinnlich warme und farbenprächtige 
Musik des jungen Wieners, dieser eminenten Begabung und 
Kunstin telhgenz, zwang zu stärkerer Teilnahme als das un- 
erlebte Pathos des schreibgewandten Zöllner, dessen neuestes 
Erzeugnis durchaus im konventionell Formalistischen wurzelt, 
trotz der programmatischen Satzüberschriften. — Der in der 
vorigen Saison gegründete „Verein für musikalische Erst- 
aufführungen“ brachte sich und seinen Daseinszweck mit der 
Wiedergabe der „Frühlingsfeier“ von Carl Prohaska in Er- 
innerung. Der hier bis dahin unbekannte Komponist stand 
selber am Pult und diktierte dem Chor des Cäcilienvereins 
und dem Musikfreundeorchester seine Intentionen. So per- 
sönlich selbständig Prohaska in seiner imposanten Vertonung 
der Ode von Klops tock (für Soli, Chor, Orchester und Orgel) 
sich auch gibt, so läßt sich doch mit den überlieferten musi- 
kalisch-technischen Begriffen das Wesen seiner Kunst erfassen. 
Sie ist im Sinne einer fortschrittlichen Entwicklung zu ver- 
stehen. und obschon der Autor in der Führung der Singstimmen 
und in der Orchesterbehandlung vor keiner Kühnheit zurück- 
schreckt, berührt sich seine Musik in ihren Tendenzen doch 
kaum mit denen der radikalen Verneiner der bislang geltenden 
harmonischen Logik. Die allzu breite Ausmalung realistischer 
Details (die Gewitterschilderung!) ist dem Gesamteindruck 
nicht förderlich und erweckt fast den Anschein, als ob die 
Phantasie des Komponisten sich im lyrisch Melodischen nicht 
voll entfalten könnte. — Die „Deutsche Motette“ von Richard 
Strauß hat in diesem Winter unter Alfred Sittards Leitung 
bereits zwei Aufführungen erlebt. (Die Wiederholung fand in 
einem der Philharmonischen Konzerte statt.) Nur mit einem 


Chor, wie dem der St. Michaeliskirche, der nicht groß an 
Stimmenzahl ist, sich aber vorwiegend aus Berufssängem re- 
krutiert, konnte die Wiedergabe der unsagbar schwierigen 
a capella-Komposition nach Worten Rücker ts so ausgezeichnet 
gelingen. Die Motette erweckt mit ihren sechzehn Chor- 
und vier Solostimmen bezaubernde Klangillusionen, hinterläßt 
aber nach mehrmaligem Anhören in manchen Partien doch 
den Eindruck eines gewaltsamen Experiments, die Ausdrucks- 
und Umfangsgrenzen der menschlichen Stimme über das 
natürliche Maß hinaus zu weiten. — Das auf breite Wirkungen 
abzielende, mit archaistischem Beiwerk reich geschmückte, 
im Grunde billig theatralische Oratorium „Quo vadis?“ von 
Felix Nowowiefsky fand in Prof. F. P. Neglia, der es am Kar- 
freitag mit seinem Philharmonischen Chor aufführte, einen 
begeisterten Anwalt. Ein anderer Hamburgischer Chordiri- 
gent, der ausgezeichnete Musiker John Julia Scheffler, der 
mehrere Gesangvereine leitet, trat für das Schaffen von Felix 
Gotthelf, Max Bruch und Max Reger ein. Der Wiener Dichter- 
komponist kennzeichnet sich in der Schlußszene aus dem 
Mysterium „Mahadeva“ als ein Wagner in jeder Hinsicht 
untertaner Geist, Bruch in dem hervorragend klangschönen 
dreiteiligen Messe-Fragment (Kyrie, Sanctus und Agnus) als 
Meister im Chorsatz, der tieferen Problemen gescmckt aus 
dem Wege geht, und Reger im „Hundertsten Psalm“ als der 
problemsuchtigste unter den zeitgenössischen Tonsetzem, aber 
auch als die gewaltigste musikalische Kraft und der größte 
Könner. — Auf kammermusikalischem Gebiet war es vor- 
nehmlich das Bandler-Quartett, das moderne Kunst pflegte. 
Es vermittelte die Bekanntschaft mit dem subtil gearbeiteten 
und empfindungsechten Streichquartett Ddur, op. 13, von 
Hans Pfitzner und, pianistisch unterstützt von Severin Eisen - 
berger, mit dem schwungvollen und wirkungssicheren a moll- 
Quintett des Böhmen Viteszlav Novak. Ferner gelangte, von 
Artur Schnabel und Konzertmeister Bandler gespielt, eine 
Manuskript-Sonate des Referenten für Klavier und Violine 
(G dur, op. s) zur Uraufführung. 

* . * 

Die Neue Oper, unter der Direktion von Hofrat Eduard 
Erhard, deren Weiterbestehen vor einiger Zeit in Frage gestellt 
war, nun aber durch Abonnementsgarantien für die nächste 
Saison gesichert ist, hat im ersten Jahr ihrer Existenz unter 
der künstlerischen Führung von Kapellmeister Dr. Georg Göhler 
und Oberregisseur Maximilian Moris eine erstaunlich große 
Summe wertvoller Arbeit geleistet. Ihr Repertoire umfaßt 
u. a. Werke von Mozart, Gluck, Lortzing, Wagner und Verdi. 
Die vielen Aufführungsprivilegien des Stadttheaters zwangen 
die Leiter des neuen Kunstuistituts, ihre Aufmerksamkeit 
auch einigen weniger gangbaren Opern zuzuwenden. So 
wurde zum Verdi- Jubiläum „La forza del destino“ (Die Macht 
des Schicksals) einstudiert — eine Schöpfung, in der allein 
die Abhängigkeit des genialen Komponisten von einem un- 
fähigen Librettisten tragisch berrüht — und zur Jahrhundert- 
feier der Schlacht von Leipzig die deutsch-italienische „Ger- 
mania“ von Alberto Franchetti. Aus der Opemproduktion der 
jüngsten Zeit sind der „Kuhreigen“ von Kienzl und „Stella 
maris“ von Kaiser dem Spielplan einverleibt. Eine drei- 
aktige komische Oper von Wilhelm Gultmann „Die Traum-, 
prinzeß“, kam zur Uraufführung. Das harmlose, schwach 
tierte Libretto stammt von Robert Misch. Mittelpunkt der 
dlung ist eine kleine Friseuse am Hofe eines Duodez- 
fürsten der Biedermeierzeit, die gerne Prinzessin sein möchte, 
im Traum ein trauriges Prinzessinnenschicksal erlebt und beim 
Erwachen froh ist, daß alles eben nur ein Traum war, und 
sie nicht aus Gründen der Staatsraison einen ihr unsym- 
pathischen Prinzen zu heiraten braucht. Der Lyrik Gütt- 
in anns, eines Schülers von Humperdinck und Juon, fehlt es 
an Farbe und Ausdrucks bestimmtheit, seinem Konversations- 
ton an rhythmischer Mannigfaltigkeit und Pikanterie. Zu- 
gunsten des Tonsetzers, der sich stilistisch an ältere Vorbilder 
hält, spricht einstweilen nur sein formalistisches Geschick und 
sein Verständnis für die Behandlung der Singstimmen. — Nicht 
höher war der künstlerische Gewinn, den die Uraufführung 
von „Daniel in der Löwengrube“ im Stadttheater brachte. 
Der Textverfasser E. v. Wolzogen und die Komponistin Frau 
Amelie Nikisch, die Gattin des berühmten Dirigenten, arbeiten 
sich in dieser burlesken Oper zu ihrem beiderseitigen Nachteil 
ständig entgegen. Die (von Ilse Friedländer überarbeitete) 
Travestie der biblischen Erzählung vom Propheten Daniel 
ist ein Sammelsurium von Offenbach-Reminiszenzen, Wilhelm 
Busch-Versen, Kabarettwitzen und satirischen Glossen der 
wohlfeilsten Art. Frau Nikisch, der man nicht jede Begabung, 
vor allem nicht das Instrumentationstalent absprechen kann, 
wollte höher hinaus; sie ließ sich durch ihren Ehrgeiz und ihre 
Partiturbelesenheit verführen, ehe Liebesszene des zweiten 
Aktes opemhaft ernst zu nehmen, übersetzte jeden Wortwitz 
ins Orchestrale und mordete so alle Pointen. — Daß die Liste 
der Stadttheater-Novitäten auf einen planvollen Kunstwillen 
schließen läßt, werden selbst die begeisterten Anhänger des 
Direktors Dr. Loewenfeld nicht behaupten. Im Hinblick auf 
ein Caruso-Gastspiel wurde Puccinis Kino-Oper „Das Mädchen 
aus dem goldenen Westen“ in den Spielplan aufgenommen. 



337 



Der „Parsifal“ brachte es unter der musikalischen Leitung 
von Kapellmeister Meyrowitz, unter der Regie Dr. Loewenfelds 
und mit Hensel (Parsifal), Ärmster (Amfortas), Lattermann 
(Gumemanz), Ckallis (Klingsor) und Frau Drill-Orridge (Kun- 
dry) in den Hauptrollen auf zwölf festliche Aufführungen . 
„Der ferne Klangt von Schreker wurde bereits nach drei Auf- 
führungen vom Repertoire abgesetzt. Mit den dramaturgischen 
Mängeln und den krassen Naturalismen der Handlung hätte 
sich das Publikum wahrscheinlich eher abgefunden als mit 
der feinnervigen und phantasievollen Musik Schrekers. Die 
ist nicht nur ein Produkt intellektueller Anstrengung und läßt 
auch dort, wo sie einen neuen farbig differenzierten Stil betont, 
ausdrucksvolle melodische Konturen für d e n Hörer deutlich 
werden, der die Erweiterung seines harmonischen Auffassungs- 
vermögens sich rechtzeitig zur Aufgabe gemacht hat. 

Robert MUller-Hartmann. 


Römisches Musikleben. 

Auch das Ende des Jahres 1913 stand im Zeichen Verdis 

ZA und bis zum Schluß wurden mit Eifer Verdi-Feiern ver- 
A V. anstaltet. In der Tat hat das Jahr, das so reich an 
musikalischen Auferstehungen, an „sante memorie“ und Festen 
zu Ehren des populärsten italienischen Opernkomponisten war, 
auch einen guten Abschluß gehabt. — Busseto, die Heimat 
Verdis, hatte ihren berühmten Sohn mit einer „Falstaff“-Auf- 
führung geehrt, die kein Geringerer als Toscantni dirigierte. 
Parma und Mailand folgten mit einem ganzen Zyklus von 
Opern, von „Oberto di San Bonifacio“ bis zum „Falstaff“ 
und „Requiem“. — Zuletzt ist auch Rom nicht zu vergessen. 
Wir hatten nur das „Requiem“, aber in tadelloser Auffüh- 
rung mit dem berühmten Tenor Bonci und Mascheroni (der der 
erste Interpret des „Falstaff“ am Scalatheater war) als Diri- 
gent. Mit dieser Aufführung wurde zugleich das „Augusteum“ 
für die Saison eröffnet. Trotz stark erhöhter Preise war der 
Riesenraum dreimal ausverkauft. Weiter hörten wir im Au- 
gusteum zwei Wagner-Konzerte vom hiesigen jungen Maestro 
Molinari dirigiert und zwei weitere von Guamieri, dem früheren 
Dirigenten der italienischen Oper in Wien. Gustave Doret aus 
Paris brachte uns französische Kompositionen wie die Sym- 
phonie von Franck und die Suite Namouna von Lalo, jedoch 
ohne tiefere Wirkung zu hinterlassen. — Einen ganz un- 
bestrittenen Erfolg errang dagegen in seinem Konzert Arriqo 
Seraio. Seit zehn Jahren hatte der Künstler sich nicht in 
Rom hören lassen und war so, trotzdem er in Deutschland 
längst populär ist, hier fast unbekannt. Er spielte das zweite 
Bachsche Violinkonzert und schon von den ersten Bogen- 
strichen an hörte man, mit was für einem Geiger man es zu 
tun habe. Besonders das Adagio war von tiefer Wirkung. 
Aber erst eigentlich im Beethoven-Konzert kam man zur 
vollen Würdigung des Künstlers. Es ist wohl nicht zu viel 
gesagt, wenn wir behaupten, nie im Augusteum so das Werk' 
gehört zu haben, trotz aller großen Meister, die es dort ge- 
spielt. Selbst die Erinnerung an Ysaye nahm dem Spiel von 
Serato nichts fort. Hoffentlich brauchen wir nun nicht wie- 
derum zehn Jahre zu warten, bis dieser Künstler wiederkehrt. 

— Pablo Casals, der nach ihm kam, war auch neu im Au- 
gusteum. Auch er feierte Triumphe, besonders in seinem 
ersten Konzert, mit dem Haydnschen D dur-Konzert ; einen 
etwas weniger tiefen Eindruck hinterließ er bei seinem zweiten 
Auftreten mit dem Schumann-Konzert; die Wiedergabe des 
Werkes erschien uns etwas nervös, doch mag das mehr an 
der Komposition denn am Künstler gelegen haben; ist doch 
dies Werk nicht gerade das gelungenste des Zwickauer Meisters. 

— Rosenthal ließ uns diesmal trotz seines eminenten Kön- 
nens und seiner fabelhaften Technik etwas kalt; man ver- 
mißte in seiner Darbietung ein wenig die detaillierte Aus- 
arbeitung. — Von jungen Violinisten ernteten Zuccarini und 
der Rumäne Barozzi Beifall. Mauen gefiel, ohne jedoch be- 
sonders zu enthusiasmieren. — Von den Dirigenten waren 
einige mit den besten Namen hier. Dibussy leitete ein Konzert 
von ausschließlich eigener Musik. Außer dem jugendlichen 
Werk „Ronde de Printemps“, einer weniger bedeutenden Ar- 
beit, war alles bekannt, wenngleich es nicht immer ganz ein- 
fach war, unter des Schöpfers Taktstock die Werke zu er- 
kennen. — Bruno Walter brachte uns zum erstenmal und 
zwar mit Erfolg Reger im Augusteum. Schnievoigt gefiel sehr 
mit der I. Symphonie von Brahms, die wir vielleicht niemals 
so vollendet hier hörten, auch machte er uns mit einer inter- 
essanten Symphonie von Sibelius bekannt. Wir möchten dabei 
einmal anfragen, warum uns die deutschen Dirigenten nicht 
etwas mehr Brahms bringen, die III. und IV. Symphonie 
kennt man kaum in Italien. Zur Osterfeier hatten wir eine 
ausgezeichnete Aufführung des Oratoriums „Jefte“ von Ca- 
risstmi, das wäre ein Werk auch den vielen deutschen Chor-, 
vereinen wärmstens zu empfehlen. Zum Saisonschluß erschien 
der Liebling der Römer, Af engelberg, der vier Konzerte diri- 

338 


gierte. Sein erstes Konzert brachte Mahlers 4. Symphonie, 
eine verdienstvolle Tat, da hier nur die 1. durch Mahlers 
eigene Interpretation bekannt ist. Der Erfolg war gut, aber 
nicht enthusiastisch, ein Zeichen, daß das hiesige Publikum 
ziemlich selbständig urteilt, trotz Mengelbergs Ausspruch, der 
diese Symphonie die „X.“ nennt, um damit anzudeuten, daß 
sie gleich nach den Beethovenschen kommt. Mit zwei Auf- 
fühnmgen von Beethovens „Neunter“ schloß das Augusteum 
Ende April seine Pforten. Bei der letzten Aufführung brachte 
Mengelberg uns vor der „Neunten“ das Meistersingervorspiel 
und „Les Präludes“ von Liszt — in der Programmzusammen- 
stellung hätten wir mehr Geschmack von ihm erwartet. — 
Die „Internationale Kammermusik- Gesellschaft“ hat ihre 
Konzerte wie immer mit einem Bach-Abend begonnen. In 
zwei weiteren Konzerten gab es zwei Novitäten — die Cello- 
Sonate von Dohndnyi und ein Quartett des jungen Bologneser 
Maestro Respighi, der jetzt hier an der Akademie von Sta. 
Cecilia tätig ist und dessen Arbeiten voll Kraft und Originalität 
sind. Von allem, was uns in letzter Zeit an modernen Streich- 
quartetten geboten wurde, geben wir diesem fein empfundenen 
und vornehmen Werk sicher den Vorzug. — Die „Societä del 
Quartette“ hat das Verdienst, uns die Bekanntschaft mit dem 
Quartett RosS vermittelt zu haben. In ganz glänzender Weise 
wurde Schuberts a moll- Quartett und vor allem das gewaltige 
amoll- Quartett von Beethoven interpretiert. Es ist für Rom 
ein seltener Genuß, eine so ausgegnchene und abgerundete 
Leistung auf dem Gebiete der Kammermusik zu hören, und der 
Einwand, daß das Quartett fast zu tadellos, etwas über- 
korrekt spiele, scheint uns übertrieben. Eher hätte uns das 
Programm auch ohne das Brahmssche c moll- Quartett schon 
genügt, es war fast des Guten zu viel. — Das Vokal- Quartett 
Batatlleaus-Faxis hinterließ keinen Eindruck, dagegen wirkten 
desto mehr die „Böhmen“, besonders mit Regers op. 109 und 
zwar speziell in dem reizenden zweiten Satz und in dem im- 
posanten, klangvollen vierten. Die „Societä del Quartette“ 
gab im ganzen 1 8 Konzerte zum größten Teil mit dem eigenen 
Instrumental- und Vokalquartett. — Im Costanzi-Theater 
hat die Wintersaison mit der Aufführung von Berlioz’ „La 
Dannazione di Faust“ begonnen. Wie bekannt, mußte dies 
Werk aber erst auf die Buhne gebracht werden, um in Italien 
populär zu werden; jetzt ist es aber Repertoirestück. Durch 
den schnell berühmt gewordenen Tenor Bemards de Muro 

f laubte man, die immer zugkräftige Oper „Carmen“ zu beson- 
erem Glanz zu bringen, leider aber mißglückte die Auffüh- 
rung so ziemlich. Dafür hatte einen ganz unbestrittenen 
Erfolg der für die hiesige Bühne neue Tenor Ippolito Lazzaro. 
Sicher wird dieser neue Stern bald auch im Ausland von sich 
reden machen. Mascagnis neue Oper „Parisina“ gefiel nicht, 
und ein vollständiges Fiasko erlitt des jungen Malipiero 
Oper „Canossa“. So kehrte man wieder zum altbewährten 
Repertoire zurück und zum „Bel canto“. Dabei erlebte man 
denn dank der Damen Storchio und Carelli und der aus- 

f ezeichneten Sänger Bonci, Lazzaro, De Luca, Battistini und 
laschmann noch manchen wirklichen Genuß. — Ueber die 
„Parsifal“ -Aufführungen in Italien ist schon von anderer Seite 
berichtet worden; in Rom gab es 23 Aufführungen stets vor 
ausverkauftem Hause. D. Alblnl-Ruggll. 



Chemnitz. Die musikalische Hochflut hat sich verlaufen. 
Es ist außerordentlich viel geboten worden und besonders 
hervorragend waren die fünf großen Klassikerabende der städt. 
Kapelle mit den Signaturen: Gluck, Haydn, Schubert, Mo- 
zart, Beethoven. Ganz vorzüglich gelang der Schubert-Abend, 
der u. a. das Forellen- Quintett und damit die große IJeber- 
raschung brachte, unseren Kapellmeister Malat a als aus- 
gezeichneten Pianisten kennen zu lernen. Daß Chemnitz die 
erste sächsische „Parsifal“-Aufführung herausbrachte, kann 
nicht unerwähnt bleiben, um so weniger, als es sich um eine 

f anz vorzügliche Darbietung in szenischer und musikalischer 
I insicht handelt. Es war ein durch und durch würde- und 
weihevoller Parsifal und daran kann auch der Umstand nichts 
ändern, daß infolge der starken Nachfrage ungefähr ein Dut- 
zend Wiederholungen stattfinden mußten. Gerade hier hat 
es sich gezeigt, daß die Freigabe des Werkes einem nicht 
mehr einzudämmenden Bedürfnisse entsprach. — Als andere 
Neuheit für Chemnitz winde des Polen Novmviejskis Chor- 
werk „Quo vadis“ vom Musikverein gesungen, ohne daß da- 
mit ein großer Erfolg erzielt wurde, was auf das Konto man- 
cher Schwächen des Werkes zu setzen ist. — h. 

Danzig. Der Lehrer-Gesangverein hat vor nicht langer Zeit 
ein mehrtägiges Beethoven-Brahms-Bruckner-Fest veranstaltet. 
Die „Neunte“ wurde von C. Schuricht (Wiesbaden), übrigens 
ein geborener Danziger, geradezu ideal unter begeistertem 



Beifall herausgebracht. Von Beethoven standen sonst noch 
z. B. drei Leonoren-Ouvertüren auf dem Programm des dritten 
Konzerts. Von Brahms kam das Schicksalslied und die erste 
Symphonie zur Aufführung, die der musikalische Leiter des 
Lehrer-Gesangvereins, E. Schwarz, trefflich dirigierte. Von 
Werken Bruckners wurden das großartige Tedeum und das 
Adagio aus der fünften Symphonie aufgeführt. Unter den 
auswärtigen Solisten, zum Teil hochbedeutenden Kräften, 
seien nur Elfriede Goette (Berlin) und Dr. Lauenstein (München) 
genannt. Das Orchester war durch die Kammermusik-Ver- 
einigung der Königlichen Kapelle Berlin, sowie durch Dan- 
ziger Künstler, z. B. Hugo Wemicke (Solo-Violine), verstärkt. 
In den Chören zeichnete sich der Lehrer-Gesangverein und 
der Frauenchor des Danziger Konservatoriums (Dirigent kgl. 
Musikdirektor Professor L. Heidingsfeld) aus. W. D. 

Dortmund. Bin Musikfest hat zu Ehren des 75jährigen 
Meisters Friedrich Gernsheim bei uns stattgefunden. Die 
Idee des Festes war von Henri Marteau ausgegangen, ver- 
wirklicht wurde sie durch Prof. Hüttner und unser Philhar- 
monisches Orchester, sowie die Solisten Frau Scret van Eiken, 
Lorle Meißner, Guna Bräuning, Henri Marteau, Kurt Schu- 
bert, Gerhard Bunk und das Marteau- Quartett (Berlin). 
Der Meister selbst betätigte sich mit einer für sein Alter 
erstaunlichen geistigen und künstlerischen Elastizität als 
Dirigent und Kammermusikspieler. Das Fest begann mit 
einer Orchestermatinee, daran schlossen sich tags darauf 
eine Kammermusikmatinee und ein Orchesterkonzert. Zur 
Aufführung kamen die erste und zweite Symphonie (op. 32 
und 46), die beiden Violinkonzerte op. 42 und 86, das c moll- 
Klavierkonzert (op. 16), die Szene „Agrippina“ für Altsolo 
und Orchester (op. 77), die Tondichtung „Zu einem Drama“ 
(op. 82), das Streichquartett (op. 25), das Klavierquartett 
(op. 47), die Violinsonate (op. 85) und eine Anzahl Lieder 
am Klavier. Das Fest war für Gernsheim ehrend. Nach- 
haltige Eindrücke hinterließen die beiden Symphonien, das 
prächtige Klavierquartett, das dankbare erste Klavierkon- 
zert, die Tondichtung „Zu einem Drama“ und das von 
Marteau meisterhaft gespielte neue Violinkonzert. Kurt 
Schubert und Guna Bräuning waren den beiden Konzerten 
vortreffliche Interpreten. Gernsheim wurde sehr gefeiert. 
Auch unsere Philharmoniker unter Hüttner haben sich sehr 
um die Veranstaltung verdient gemacht. Bei dem Fest- 
bankett im Saale des ‘alten Rathauses sprach Oberbürger- 
meister Dr. Eichhoff in warmer Weise von dem Meister und 
seiner Kunst. Ein Kommers, an dem außer, den Künstlern 
auch das Orchester teilnahm, beschloß das schöne Fest. 

Essen- Ruhr. Bei dem rapiden Wachstum der Großstadt 
Essen hat das Musikleben einen derartigen Aufschwung ge- 
nommen, daß es unmöglich ist, alle besseren Veranstaltungen 
einer Würdigung zu unterziehen. An der Spitze marschiert 
der Musikverein, der im verflossenen Wintersemester mit 
seinem Generalmusiker Abendroth folgende auserlesene Genüsse 
in zwölf Konzerten darbot: Brahms’ Parzenlied, G-Sonate, 
Serenade, Streichquartett in B; Beethovens 7. Symphonie, 
Romanzen, Klavierkonzert in Es, Streichquartett in D, Sonaten- 
abend, Händels „Samson“, Mozarts Klavierkonzert in D; 
Pfitzner- Abend , Verdis Requiem u. a. — auch anscheinende Ge- 
nüsse wie RegersBöcklin-Suite, Furtwänglers Tedeum , Korngolds 
Sinfonietta. Folgende glänzende Namen vertraten die Solls ten- 
partien: Marteau, Reger, Ehepaar Kraus, d’ Albert, Emmi Lais- 
ner, Pfitzner, Lamona, Rosö- Quartett u. a. Diesen vornehmen 
Aufführungen, die jedesmal an die 2000 Menschen in unserem 
herrlichen Saalbau vereinigten, reihten sich zehn Symphonie- 
konzerte des Städtischen Orchesters (68 Mann), ebenfalls unter 
Abendroths Führung, in würdiger Weise an. G. Obsner bot 
hervorragende Leistungen mit dem gemischten Chor des 
Kruppschen Bildungsvereins (u. a. verschiedene Szenen aus 
Parsifal, Meistersingern, Holländer, ferner Madrigale, fröhliche 
Weisen aus alter Zeit) und mit dem blühenden Frauenchor 
(Zilcher-Dehmel-Zyklus, Chöre von Brahms, Gade, Berg, 
ferner Schauspieldirektor, Kaffeekantate u. a.). Evangelische 
und katholische Kirchenchöre und die ersten Männergesang- 
vereine wußten durch interessante Vorträge ebenfalls einen 
engeren Kreis von Zuhörern zu fesseln. Jedenfalls wird das 
bevorstehende deutsche Tonkünstlerfest in Essen einen günsti- 
gen und ausgezeichnet, vorbereiteten Boden vorfinden, m. 

Kristiania. Das Petersburger Streichquartett hat unter Lei- 
tung von Grigori witsch außer einem Klassikerkonzert (Mo- 
zart-Beethoven-Schumann) eine Reihe äußerst interessanter 
russischer Abende gegeben. Als Novität sind Gliires gmoll- 
und Borodins A diu: -Quartette zu nennen, die trotz ihrer 
Schwächen mit großem Interesse aufgenommen wurden. Am 
Schlußabend spielte Johan Halvorsen mit den Künstlern zu- 
sammen Svendsens Quintett, natürlich mit stürmischem Bei- 
fall aufgenommen. — Das letzte Konzert der Musikforening 
zeigte ein ausschließlich norwegisches Programm und bildete 
dadurch gewissermaßen eine Einleitung zu den National-Musik- 
festen, denen wir entgegengehen. Auf Selmers etwas schwache 
„Scöne funebre“ folgte Svendsens Violinkonzert mit Leif Hal- 
vorsen in der Solopartie — ebenfalls ein Werk, das viele 
Schwächen zeigt und nicht zu den Meisterwerken des Kom- 


ponisten gerechnet werden darf. Desto größeren Eindruck 
machte Griegs „Bergliot“ (Deklamation Johanne Dybvad vom 
Nationaltheater). Vor allem der prächtige Trauermarsch 
ackte. Griegs „Herbst“-Ouvertüre beschloß das Konzert, 
as unter der tüchtigen, aber leider etwas kühlen Leitung 
von Karl Nissen stand. H. M. 


Neuaufführungen und Notizen. 

— Wie es heißt, wird die erste Aufführung des Mozart- 
schen „Don Juan“ mit dem von Kammersänger Karl Scheide- 
mantel hergestellten neuen und preisgekrönten Text noch vor 
Schluß der laufenden Spielzeit im Hoftheater in Dresden 
stattfinden. 

— Die Dresdner Hofoper hat ein veristisches, dreiaktiges 
Musikdrama „Gabina“ von Robert Overweg, Musik von 
Artur Wulfius, Domorganist in Petersburg, aufgeführt. 

— Eugen d'Alberts neue Oper „Die toten Augen“ (Text 
von Marc Henry) soll nunmehr im Oktober an der Hofoper 
zu Dresden die Uraufführung erleben. 

— In Lauchstedt wird, wie schon kurz berichtet, bei den 
diesjährigen Festspielen (19. bis 21. Juni) zur Feier von 
Glucks 200. Geburtstag „Orpheus“ in seiner ursprünglichen, 
italienischen Fassung gebracht, für die Bühne bearbeitet und 
übersetzt von Prof. Dr. Heinrich Abert (Halle a. S.). Den 
Orpheus wird nicht, wie üblich, eine Altstimme singen, 
sondern ein Bariton, Tossony (Leipzig); als Eurydice wird 
Charlotte Uhr (Frankfurt a. M.), als Eros Grete Merrem 
(Dresden) auftreten. Die musikalische Leitung dieses Ur- 
Orpheus hat Universitätsmusikdirektor Alfred Rahlwes (Halle), 
die Regie Dr. Emst Lert (Leipzig) übernommen. Die Chöre 
werden von hallischen Studenten und Damen der haiti- 
schen Gesellschaft gesungen. Die Dekorationen malt Uni- 
versitätszeichenlehrer Fischer (Halle). 

— Es bestätigt sich, daß Richard Strauß mit der Kompo- 
sition einer neuen dreiaktigen Oper beschäftigt ist, der Text- 
dichter abermals Hugo v. Hotmannsthal ist. Strauß sei 
von dem neuen Text sehr entzückt, der ein romantisches 
Märchen behandelt. Als der Komponist, so heißt es in der 
Notiz, „im Auto von Garmisch nach Paris zur Josephslegende 
reiste,“ sei der erste Akt schon fertig gewesen. 

— Rezniceks Operette „Angst vor der Ehe“ ist nun auch 
in Posen aufgeführt worden. Warum nimmt sich keine 
größere Bühne des doch namhaften Autors an ? 

— Als Einleitung eines Richard-Wagner-Zyklus, der mit 
Ausnahme des „Liebesverbotes“ sämtliche dramatischen 
Werke Wagners umfaßte, hat das Züricher Stadttheater das 
Jugendwerk „Die Feen“ am 3. Mai zur Aufführung gebracht, 
um die sich neben dem musikalischen Leiter Dr. Lothar 
Kempter die ausgezeichneten Darsteller der beiden Haupt- 
partien Willi Ulmer als Ariedal und Luise Modes-Wolf als 
Ada verdient machten. Der dekorativen Einrichtung lagen 
Anregungen der durch Hofrat Klein für das Münchner Prinz- 
regententheater geschaffenen Inszenierung zugrunde. E. Trp. 

— Direktor Brousson, einer der beiden Direktoren der 
Großen Oper in Paris, hat Hermann W. v. Waltershausens 
Oper „Oberst Chabert“ und „Notre Dame“ von Franz Schmidt 
erworben. Beide Werke sollen noch im Laufe der nächsten 
Saison in Paris zur Aufführung gelangen. 

In Paris hat die Große Oper unter Massenets Leitung 
das dreiaktige Musikdrama „Scemo“ von Bachelet, Text von 
M6r6, herausgebracht. Ein finsteres korsisches Bauerndrama, 
in dem der Held auf der Bühne sich selbst die Augen aus- 
reißt. (Nun ist’s aber bald genug!) 

— „ Parsifal “ ist in Rotterdam zum erstenmal während 
der Maifestspiele in der großen Schauburg durch die Elber- 
felder Oper in der Inszenierung des Intendanten v. Ger lach 
und mit Hans Krappertsbusch als Dirigenten unter Mit- 
wirkung des Amsterdamer Concertgebouw-Orchesters ge- 
geben worden. 

— Ein neues „Parsifal“ -Verbot ist in Rußland ergangen. 

In Moskau wurde die Aufführung vom Heiligen Synod ab- 
gelehnt, angeblich, weil Moskau zu patriarchalisch und reli- 
giös sei. ^ 

— Die Feier der Einweihung des Mozart-Hauses in Salz- 
burg scheint die Musikfreunde lebhaft zu beschäftigen und 
das weit über Salzburg hinaus. Obeuan ist die große Messe 
zu nennen, die in Berlin, Köln u. a. O. ihrer hohen Bedeu- 
tung würdig aufgeführt wurde. In Duisburg brachte unlängst 
Musikdirektor Abendroth aus Essen mit seinem vortrefflichen 
Orchester Teile aus der Großen Messe und aus Opern, dann 
auch die Es dur-Symphonie, das Krönungskonzert und mit 
ganz ungewöhnlichem Erfolge die Jupiter -Symphonie zur 
Wiedergabe ; in Düsseldorf hatte der feinsinnige Berner Theater- 
kapellmeister Schwarz sehr großen Wert auf - die subtilste 
Herausbringung der beiden Duette für Sopran aus Cosi fan 
tutte, sowie auf die Erstaufführung des unvergleichlichen 
Offertoriums „Sub tuum praesidium“ für Sopran, Tenor, zwei 
Violinen, Viola, Kontrabaß, Orgel neben anderen seltenen 


339 



Gaben gelegt und weiterhin aus Düsseldorf verlautet von 
einem aus Arbeiterkreisen unter Betonung des Künstlerischen 
für Mitte Mai in den Festsälen des Zoologischen Gartens ge- 
planten reinen Mozart-Programm, darunter große Chöre. 

— Im Musiksalon Bertrand Roth zu Dresden hat die 
183. Aufführung zeitgenössischer Tonwerke folgendes Pro- 
gramm gehabt: Karl Hasse (Osnabrück), Variationen für 
zwei Klaviere (op. 1); Lieder (op. 3, Manuskript); Trio 
(hmoll) für Violine, Violoncell und Klavier (op. 15, Manu- 
skript). — Die 184. Aufführung: Erwin Lendvai (Hellerau), 
Drei Fragmente für Klavier, op. 9, Verlag Rahter; Alt- 
japanische Lieder (Texte aus dem 9. und 10. Jahrhundert, 
übersetzt von Paul Enderling), op. 6, Verlag Simrock; 
„Venedig“, ein Noctumo nach Fr. Nietzsches gleichnamigem 
Gedicht, für Klavier, Verlag Hansen; Streichtrio (No. 2 in 
F dur), op. 14, Manuskript (erscheint im Herbst bei Simrock). 

— „Pappenheimer Kürassiere“, die neueste Schöpfung von 
Heinrich Platzbecker, für Männerchor und Orchester (Dich- 
tung von Maximilian Pfeiffer) hat im Jubiläumskonzerte des 
angesehenen Gesangvereins der Staatseisenbahnbeamten in 
Dresden, unter Prof. Hugo Jüngst, -die Uraufführung 
mit großem Erfolge erlebt. Beim Festaktus wurde dem 
Komponisten die Ehrenmitgliedschaft des Vereins verliehen. 

— In Aachen werden in einem Zyklus von 4 Orchesterfest- 
konzerten dirigieren Siegfried Wagner von eigenen Werken: 
Vorspiel zum II. Akt aus „Sternengebot“, Ouvertüre zu 
„Bruder“, Einleitung zum HI. Akt und Huldigungsreigen 
aus „Sternengebot“, Vorspiel zu „Banadietrich“, Einleitung 
zum III. Akt der Oper „Der Kobold“ und Kirmestanz aus 
„Herzog Wildfang“; Leo Blech u. a. sein Stimmungsbild 
„Waldwanderung“ ; Hans Pfitsner von eigenen Werken Ouver- 
türe zu dem Weihnachtsmärchen „Das Christ-Elflein“ und 
drei Stücke aus der Musik zu Kleists „Käthchen von Heil- 
bronn“ und Fritz Busch ausschließlich Werke von Brahms, 
darunter die Frauenchöre mit Harfe und 2 Hörnern. J. M. P. St. 

— In Halle a. S. ist durch den Lehrergesangverein (Lei- 
tung: Chormeister Max Ludwig) die ihrer musikalischen 
una technischen Schwierigkeiten wegen selten zu hörende 
Kantate „Columbus“ von Felix Draeseke mit viel Erfolg auf- 
geführt worden. Es handelt sich um ein nach Erfindung 
und Anlage charaktervolles Werk. Neue moderne Chorwerke 
von Hutter, Ludwig und Naumann (Ballade „Nis Randers“) 
ergänzten das Programm. Als Orchester war die Stadt- 
theaterkapelle tätig und die Soli der Kantate sangen erfolg- 
reich Ilse Helbing und Dr. Wolfgang Rosenthal. Kl. 

— Kapellmeister Ferdinand Neißer hat verflossenen Winter 

in seiner Geburtsstadt Eisleben eine reiche künstlerische 
Tätigkeit entfaltet. Er veranstaltete mit dem Stadttheater- 
orchester aus Halle a. S. eine Reihe von Symphoniekon- 
zerten .wobei auch namhafte Solisten mitwirkten, und außer- 
dem Konzerte mit dem Marteau- Quartett, mit Willy Bur- 
mester und Alice Ripper. Kl. 

— In Speier hat ein Kompositionsabend von Friedrich 
Wilhelm Karl stattgefunden. Das Programm brachte: Vor- 
spiel, Orakel- und Liebesszene aus „Todeskuß“ (komponiert 
1911). Sinfonietta für kleine Orchester (komponiert 1914). 
Drei Lieder für Sopran und Orchester (komponiert 1913). 
Ballade „König Abels Tod“ für Tenor- und BaBsolo, Doppel- 
chor und großes Orchester (komponiert 1912). 

— In Teplitz ist eine Symphonie von Dr. Georg Göhler 
vom Kurorchester zur Uraufführung gebracht worden. 

— In London hat die Uraufführung einer Symphonie mit 
dem Titel „London“ von R. Vaughan Williams stattgefunden, 
die fast eine Stunde währte. Aus dem ersten Satz schlägt 
der Atem des Londoner Straßenlebens heraus. Der zweite 
Satz mit den Rufen von Verkäufern und Hausierern erinnert 
an Charpentiers „Louise“. Im Scherzo (Nocturne) schildert 
der Komponist die nächtlichen Lustbarkeiten des Volkes an 
einem Feiertag auf Hampstead Heath. Im Finale scheint 
Williams gegen den bitteren Kampf ums Dasein zu revoltieren . 

— Professor Muck hat in Boston Rezniceks symphonisches 
Lebensbild „Schlemihl“ aüfgeführt. 

— Max Reger hat sich in der idyllischen Ruhe seines 
Landaufenthaltes soweit gekräftigt, daß er an eine neue 
größere Arbeit gehen konnte. Es sind dies Variationen über 
ein Mozartsches Thema für Orchester, die ihre Uraufführung 
im nächsten Winter in Köln erleben sollen. 

— Das Wiener Ros6- Quartett will im Anfang der nächsten 
Saison einen einsätzigen „Fantastischen Reigen für Streich- 
quartett“ von Julius Weismann zur Uraufführung bringen. 
(Das Werk erscheint bei Tischer & Jagenberg in Köln.) 

' — Fritz Kreisler hat nach Werken von Dvoräk fünf 
Violinstücke geschaffen, die bei Simrock erscheinen werden; 
sie heißen: „Indianisches Lamento“ (bereits bekannt unter 
dem Titel „Indian Canzonetta“), „Slavische Fantasie“, drei 
slavische Tanzweisen -(nach slavischen Tänzen). 

— Ferruccio Busoni hat für den Geiger Serato eine Kadenz 
zu dem Brahmsschen Violinkonzert komponiert, die das ganze 
Solo mit einer Paukenstimme unterlegt und vor dem Einsatz 
des Orchesters einige Ergänzungsstimmen der Streicher vor- 
schreibt. 



— Von den Theatern. In dem Bericht des Biirgeraus- 
schusses über den Antrag des Senats, betreffend einen wei- 
teren Staatszuschuß an die Stadttheater- Gesellschaft Ham- 
burg wird ausgeführt, daß die Gagen der Orchestermitglieder 
im Vergleich zu anderen großen Theatern von etwa ähn- 
lichem, zum Teil auch geringerem Range wie das Hamburger 
Stadttheater sehr unbefriedigend seien, und daß die Mit- 
glieder des Orchesters, konservatorisch gebildete Künstler, 
ständig nach Nebenverdienst ausschauen müssen. Der Aus- 
schuß ist sich einstimmig klar darüber, daß die Würde Ham- 
burgs und das Ansehen des Stadttheaters und dessen künst- 
lerische Leistungsfähigkeit eine Aenderung erheischen. Dem 
Orchester müsse eine Ruhezeit im Sommer gegeben werden, 
und eine Prüfung der Gagen- und Dienstverhältnisse des 
Chorpersonals habe ebenfalls ungemein unbefriedigende Ver- 
hältnisse ergeben. Das Personal sei ganz außerordentlich 
in Anspruch genommen, der künstlerische Betrieb 
des Theaters müsse aufs schwerste darunter lei- 
den. (Sehr richtig!) Der Ausschuß beantragt deshalb als 
vorläufige Hilfe, die keinen Aufschub vertrage, für die Zeit 
vom 1. September 1913 bis Ende August 1917 einen weiteren 
Staatszuschuß von jährlich 30000 M. Dem Franz-Liszt- 
Pensionsverein der Orchestermitglieder des Stadttheaters 
soll wiederum für die Jahre 1914 bis 1916 ein Staats- 
zuschuß von 16 500 M. gewährt werden. — Die Haltung 
des Hamburger Bürgerausschusses ist zu loben; man scheint 
dort künstlerisch zu empfinden. 

— Von den Konservatorien. Zum Direktor der Städtischen 
Musikschule in Nürnberg ist an Stelle des verstorbenen Direk- 
tors Mannschedel der Musikdirektor Karl Rorich in Weimar, 
ein geborener Nürnberger, ernannt worden. — Die türkische 
Regierung hat den früheren Direktor des Pariser Odeon- 
Theaters, Antoine, ersucht, die Leitung des in Konstantinopel 
zu errichtenden Konservatoriums und eines modernen, tür- 
kisch-nationalen Theaters zu übernehmen. Antoine habe den 
Antrag im Prinzip angenommen. 
ir — Die Musik an den Universitäten. An der Straßburger 

I Universität ist ein „Institut der Kirchenmusik für Theologie- 
studenten“ eingerichtet worden, zu dessen Leiter Prof. Dr. 
X. Mathias bestellt wurde. 

* — Eine Sympathieerklärung für Martersteig. Dem Inten- 

danten des Leipziger Stadttheaters, Geh. Hofrat Max Marter- 
steig, ist eine neue Sympathieerklärung überreicht worden, 
an der auch Musiker beteiligt sind. Es heißt: „Leipzig hat 
in Max Martersteig einen Leiter seiner städtischen Theater, 
der bei den Urteilsfähigen Deutschlands seit langem hohe 
Achtung genießt. Wir geben unvermeidliche, vielleicht auch 
vermeidbare Mißgriffe in seiner Wirksamkeit zu; wir ver- 
kennen aber nicht, wie sehr ihn mangelnde Unterstützung 
durch Publikum und Presse gehemmt hat. Dieses festzu- 
stellen empfinden wir als Pflicht gegen den ungerecht und 

' gehässig angegriffenen Künstler.“ — Die Erklärung ist unter- 
zeichnet von Max Klinger, Artur Nikisch, Operndirektor 
Otto Lohse, Prof. Karl Straube, Lambrinö, Joseph Pembaur 
und anderen. 

— Von der österreichischen Tantiemen-Gesellschaft. Die Ge- 
sellschaft der Autoren, Komponisten und Musikverleger in 
Wien hat unter dem Vorsitze ihres Präsidenten Herrn kaiserl. 
Rates Joseph Weinbeiger ihre 17. ordentliche Hauptversamm- 
lung abgehalten. Frau Sophie von Suppä hat der Gesellschaft 
in Anbetracht ihres rühmenswerten Wirkens auf humanitärem 
Gebiete und zum Andenken an ihren Gatten die namhafte 
Summe von 20 000 Kronen zugedacht. Diese Summe soll der 
Gründung einer den Namen Franz von Suppe führenden 
Stiftung dienen, deren Zinsen alljährlich notieidenden Mit- 
gliedern der Gesellschaft zugute kommen sollen. Die Ein- 
nahmen aus dem eigenen Betriebe der Gesellschaft im Deut- 
schen Reiche betrugen im Vorjahre 183000 Kronen, in den 
beiden ersten Geschäftsjahren 284 000 Kronen. Die Gesamt- 
einnahmen der Gesellschaft im Jahre 1913 betrugen 
458 578.38 Kronen, der Reingewinn 247 041.87 Kronen. Davon 
wurden satzungsgemäß dem Pensions- und Unterstützungs- 
schatze 52 296.97 Kronen, dem Sicherheitsschatze 12 887.65 Kro- 
nen überwiesen und an Gebühren 1 8 1 857.25 Kronen ausgezahlt. 

— Ein „Schuberteum“. In Wien hat sich ein Komitee 
gebildet, das die Errichtung einer Pflegestätte für die volks- 
tümliche Musik und vor allem für die Schöpfungen der großen 
heimischen Tonkünstler anstrebt. Dieses Institut, das den 
Namen „Schuberteum“ führen soll, will das Komitee zu einer 
Zentralstelle musikalischen Lebens entwickeln. Als Präsi- 
dent zeichnet Richard Graf Coudenhove-Kalergi. 

— Von der Orchesterschule in Bückeburg. Bereits 30 Stu- 
dierende sind bei Gewährung eines Stipendiums in der 


340 



Orchesterhochschule des Verbandes Deutscher Orchester- und 
Chorleiter aufgenommen worden. Es sind noch einige Stellen 
zu vergeben, und zwar kommen in erster Linie Kontra- 
bassisten und Blechbläser in Betracht. Anmeldungen zur 
Aufnahme sind bei Hofrat Ferd. Meister, Bad Wildungen, 
Villa Augusta, einzureichen. 

— Eine wichtige Erfindung für die Orchesterbläser. Ton- 
bindeapparat (Aerophor) nennt sich, wie erinnerlich, die neue 
Erfindung des Schweriner Kammermusiker Samuels, die 
höchst ingeniös ist. Es handelt sich um einen Apparat, der 
an die Instrumente der Orchesterbläser angebracht wird und 
der es ermöglicht, auf der Flöte, Klarinette, der Trompete, 
dem Bombardon etc. gehaltene Töne sowie ganze Passagen 
ununterbrochen zu spielen, Unterbrechungen der Phrase durch 
Atemholen also zu vermeiden. Herr Samuels gab im Stutt- 

f arter Hoftheater vor den Kapellmeistern, Orchestermitglie- 
em, geladenen Gästen, darunter Musiker, Kritiker und Aerzte, 
nach einem Vortrage Proben seiner Erfindung. Man konnte 
es danach -durchaus verstehen, wenn ein Richard Strauß 

f anz begeistert war und in einer neuen Komposition (das 
'estliche Präludium) vorschrieb: mit Aerophor zu blasen. 
Es ist in der Tat etwas ganz Neues, was wir zu hören bekamen 
und die Wirkung war außerordentlich. Es ist wieder mal eine 
Forderung erfüllt worden, die die genialen Komponisten von 
Bach (der besonders!) bis auf unsere Zeit gewissermaßen 
vorausgeahnt hatten, indem sie Dinge schrieben, die gar nicht 
auszufiihren waren, bis einer kam, der das Instrument ver- 
besserte. Daher haben die recht, die die Erfindung epoche- 
machend nennen. Als der Riesen wurm aus dem Rheingold 
(Tuba) diesmal wirklich „angekrochen kam“ und der Bläser die 
ganze Stelle ohne abzusetzen blies, bekam man erst den rechten 
Eindruck von der Sache. Nur bekam man es auch mit der 
Angst und wollte dem Bläser zurufen: „um Gottes willen, 
setzen Sie ab. Sie müssen ja platzen!“ Aber der Bläser atmete 
im Gegenteil ganz ruhig und die früheren Erscheinungen der 
Ueberanstrengung waren absolut verschwunden (wie auch die 
Aerzte feststellten). Und hier hat Samuels • seine Intelligenz 
bewiesen. Während früher der Bläser, wenn der Atem aus- 
ging, das Instrument absetzen mußte, um neuen Atem, Druck- 
luft durch die Lungen zu bekommen, behält er jetzt das In- 
strument unverändert an den Lippen. Die Nasenatmung 
beginnt, wodurch die Atmungswege des Mundes verschlossen 
werden. In diesen Hohlraum des Mundes wird nun durch 
einen mit den Füßen getretenen kleinen Blasebalg Druckluft 
geführt, die ihren Ausweg nur wieder durch das Instrument 
des Bläsers finden kann. Und diese Luft hat sozusagen Lebep, 
ist nicht mechanisiert; und daß es nicht so leicht ist, die Cre- 
scendi, Decrescendi bis zum kaum hörbaren Pianissimo zu 
machen, daß es sich um Kunst handelt, zeigte der Vortrag 
Samuels’ im Vergleich zu dem seiner „Schüler“. Die künst- 
lerischen, die hygienischen Vorteile sind in die Augen springend. 
Sollte aber einer glauben, daß es mit der feinen Phrasierung 
nur aus Bequemlichkeit vorbei sei, so halten wir ihm ein Ur- 
teil Weingaitners enteegen, der schreibt: „Der gute Bläser 
kann nunmehr viel schöner und freier phrasieren als bisher.“ 
— Verein der Deutschen Musikalienhändler zu Leipzig. 
Der Vorstand der Vereins der Deutschen Musikalienhändler 
setzt sich nach dem Wahlergebnis der am 8. Mai 1914 in 
der Bugra stattgefundenen Hauptversammlung Wie folgt zu- 
sammen: Herr Dr. Robert Astor (Leipzig) Vorsteher, Robert 
Lienau (Berlin) Vorsteherstellvertreter, Alfred Hoffmann 
(Leipzig) Schriftführer, Albert Stahl (Berlin) Schriftführer- 
stellvertreter, Richard Leede (Leipzig) Schatzmeister, Hein- 
rich Hothan (Halle) Schatzmeisterstellvertreter. In der 
Hauptsache beschäftigte sich die Hauptversammlung mit 
der Frage des nicht gewerbsmäßigen Handels und nahm 
energisch Stellung gegen das Eindringen von sogen. Auch- 
Musikalienhändlem und Selbstverlegem. 

— Konzertsaal der Bugra. Auf der in Leipzig stattfinden- 
den Internationalen Ausstellung für Buchgewerbe und Gra- 
phik haben die deutschen Musikverleger einen intimen Kon- 
zertsaal errichtet, der in erster Linie der praktischen Vor- 
führung ihrer Verlagswerke dienen soll, der aber auch Künst- 
lern, und Künstlervereinigungen für Konzerte zur unentgelt- 
lichen Benutzung zur Verfügung gestellt wird. 

— Verbandstag. Der Verband der Direktoren deutscher 
Konservatorien und Musikseminare hat seine Generalver- 
sammlung in Halle abgehalten. Zum Vorsitzenden wurde 
Musikdirektor C. Holtschneider in Dortmund gewählt. 

— Orgelsbielkurs. Aus M .-Gladbach wird uns geschrieben: 
Dem königl. und städt. Musikdirektor Hans Gelbke ist auch 
in diesem Jahre die Leitung des Kursus für Orgelspiel und 
Kirchenmusik vom Königl. Konsistorium der Rheinprovinz 
im Einverständnis mit der Rheinischen Provinzialsynode über- 
tragen worden. Die Teilnehmer, die ein öffentliches Organisten- 
amt bekleiden müssen, erhalten zum freien Aufenthalt wäh- 
rend der Dauer des Kursus Tagegelder und Fahrtvergütung. 

— Denkmalspflege. Das Geburtshaus von Johannes Brahms 
in Hamburg, Speckstraße 60 — 64, ist durch Kauf in das 
Eigentum der Deutschen Brahms- Gesellschaft in Berlin über- 
gegangen. Eine erfreuliche Nachricht! 


— Preisverteilung. Anläßlich der „Baltischen Ausstellung“ 
in Malmö hatte das Konservatorium von Malmö einen Wett- 
bewerb für Festkompositionen ausgeschrieben. Von den 
zehn Preisen sind nicht 'Weniger als drei deutschen Bewer- 
bern zuerkannt worden. Zwei davon sind auf einen Berliner 
Tonsetzer gefallen: Herrn Alexander Jemnitz, der einen ersten 
Preis für eine Konzertfuge und einen weiteren Preis für eine 
Lustspielouvertüre für Orchester erhielt. Dem Breslauer 
Domorganisten Hein wurde ein Preis für eine Symphonie 
für großes Orchester „Ausfahrt und Irrfahrt“ erteilt. 


Personalnachrichten. 

— Auszeichnungen. Dem Dresdner Violinvirtuosen Alfred 
Pellegrini ist das italienische Ehrenkreuz 2. Klasse verliehen 
worden. — Professor Bettrand Roth in Dresden hat aus An- 
laß seiner Mitwirkung beim Musikfest der Franz-Liszt- Gesell- 
schaft in Altenburg vom Herzog persönlich die goldene Medaille 
für Kunst und Wissenschaft erhalten. Auch Martha Remmert 
in. Berlin hat diese Auszeichnung erhalten. 

— Prof. Adolf Ruthardt, der Ende 1911 sein 25jähriges 
Jubiläum als Lehrer am Leipziger Kgl. Konservatorium der 
Musik begehen konnte,' wird sich in den Ruhestand zurück- 
ziehen. 

— An Stelle des bisherigen Kapellmeisters Serafin, der 
nach Ablauf seines Vertrags nach Südamerika geht, ist der 
junge Maestro Gino Marinuzzi an das Scalatheater in Mailand 
berufen worden. Marinuzzi dirigierte zuletzt den „Parsifal“ 
am Stadttheater in Triest und war vorher als Kapellmeister 
am Teatro Massimo in Palermo tätig. 

— Frau Marie Wittich, die gefeierte Primadonna unserer 
Hofbühne, hat am 1. Mai das 25jährige Jubiläum ihrer un- 
unterbrochenen Tätigkeit an der Dresdner Hofoper begangen. 
Das Rollenverzeichnis der Künstlerin umfaßt ungefähr 70 Par- 
tien, darunter 15 aus Wagnerschen Opern. Viele davon sang 
Marie Wittich auch in Bayreuth. Für August Bungert, dessen 
Homerische Welt in Dresden erstmalig aufgeführt wurde, setzte 
sie ihr volles Können ein und kreierte die Nausikaa, die Kirke 
und die Penelopeia. Die Künstlerin verabschiedete sich als 
Isolde vom Dresdner Publikum, sie wird nur noch gelegent- 
lich gastspielweise auftreten. Der König von Sachsen verlieh 
ihr als besondere Auszeichnung für ihre reichen Verdienste 
die Ehrenmitgliedschaft der Dresdner Hofoper. H. PI. 

— In München ist Prof. Dr'. Joseph Stich, der langjährige 
Ballettdirigent am Hoftheater und Lehrer an der Akademie 
der Tonkunst, im 65. Jahre gestorben. Stich ist seit 1878 
am Hoftheater engagiert gewesen und hat sich um das Münch- 
ner Musikleben Verdienste erworben. Er hat die ganze Ge- 
schichte des Hoftheaters in den letzten drei Jahrzehnten, 
die „große Zeit“ und mit ihr den Sieg der neuen Musik mit- 
erlebt. In Bayreuth war er 1882 mit der Einstudierung der 
Parsifal-Chöre beschäftigt. Er hat sich auch wiederholt als 
Komponist versucht, Lieder, Chöre, Orgelkompositionen, ein 
Streichquartett und die romantische Oper „Der Geiger zu 
Gmünd“ geschrieben, die in Düsseldorf, Rostock und München 
zur Aufführung kam. 

— Prof. Franz Nekes, Kanonikus am Aachener Münster, 
der vor kurzem unter allseitiger Teilnahme der kirchen- 
musikalischen Kreise seinen 70. Geburtstag feierte, ist ge- 
storben. 

— In Florenz ist im Alter von 68 Jahren der Gesangs- 
meister Vincenzo Lombardi gestorben. Als Leiter der Orche- 
ster von Neapel und Lissabon, besonders jedoch als Lehrer 
Carusos und zahlreicher anderer Bühnengrößen, hat er, die 
Traditionen des bei canto pflegend, großen Einfluß auf 
das musikalische Leben Italiens ausgeübt. 

— In Bologna ist der Arzt Dr. Bassi gestorben, der eine 

f roße Zahl von Erinnerungen an Richard Wagner zu einer 
ammlung vereinigt hat. Diese fällt der Musikbibliothek 
des Konservatoriums in Parma zu. 

— In Batavia ist am 11. Mai die berühmte amerikanische 
Sängerin Lillian Nordica gestorben (gerade einen Tag vor 
ihrem 55. Geburtstag). Sie war zu Farmington im Staate 
New York geboren, studierte in Boston und Mailand und 
begann in Brescia mit Verdis Traviata 1879 ihre ruhmreiche 
Theaterlaufbahn. Sie war dann zwei Spielzeiten an der 
Petersburger kaiserlichen Oper tätig, ging zur Großen Oper 
in Paris. über, verheiratete sich dort mit einem Herrn Gower 
und trat von der Bühne zurück. Ihr Gatte starb aber bald 
darauf, und schon 1886 trat sie in London wieder auf. In 
England wurde die frühere Koloratursängerin, nachdem sie 
1894 in Bayreuth die Elsa gesungen hatte, zur gefeierten 
Darstellerin der dramatischen Heldinnen Wagners. 1896 
vermählte sie sich mit dem ungarischen Tenoristen Zbltan 
Dome, wurde aber nach vier Jahren geschieden und ging 
1905 eine dritte Ehe mit dem Kapitän de la Mar ein. Seit 
1886 beschränkte sie sich auf Gastspiele und Konzertreisen. 
1909 trennte sie sich von ihrem (Bitten Gatten und ver- 
heiratete sich mit dem Bankier Young in New York. 


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Verschiedenes. 

Zacharlaes Klaviergymnastik. Eine große Anzahl von Spie- 
lern stößt im Gebrauch ihrer Muskeln und Gelenke auf Mängel, 
die ein geistiges Ueben unter Voraussetzung einer natürlichen 
Haltung erschweren. Besonders bei Kindern zeigen sich diese 
Mängel, z. B. Einknicken der Finger, Kraftlosigkeit des vierten 
und fünften Fingers etc. Den anatomischen Fehlem be- 
gegnete man bisher durch geistlose Fingerübungen. Diese 
festwurzelnde Anschauung wird von den Vertretern des mo- 
dernen Klavieranschlages bestritten. So sagt Steinhausen 
(Die physiologischen Fehler der Klaviertechnik, 2. Aufl., S. 75): 
„Einem Anfänger auf dem Klavier nützt keine noch |o eifrig 
vorher betriebene gymnastische Muskelzüchtung, Cr muß erst 
geistig arbeiten lernen; er kann stärkere Muskeln und be- 
weglichere Gelenke haben als ein geübter, guter Klavierspieler ; 
was ihm aber fehlt, das ist die Kette, der Bahnungen im Ge- 
hirn, der psychische Besitz der Technik, die Summe der im 
Zentralorgan aufgespeicherten psycho-physischen Erfahrungen 
und geistig erarbeiteten, automatischen Bewegungen.“ — 


Ferner begegnet man der vermeintlichen Förderung der Muskel- 
tätigkeit durch bloße Fingerübungen mit folgender Tat- 
sache: Der Sitz der Klaviertechnik liegt nicht Dloß in den 


Fingern, sondern im Spielkörper, der die Muskeln des 
Armes, der Schulter bis zu den Rückenmuskeln zur Mit- 
wirkung heranzieht. Mi thin ist es unsinnig, die Finger allein 
zu beschäftigen, um so mehr, als die Fingerübungen durch 
ihre einseitige Bewegung die schwachen Muskeln selten oder 
gar. nicht treffen. Um nur ein Beispiel zu erwähnen: um 


gar nicht treffen. Um nur ein Beispiel zu erwähnen: um 
schwache, einknickende Gelenke der Finger zu kräftigen, läßt 
man Finger und Hand krampfhaft spannen und erreicht 
trotz sehr langen Uebens in vielen Fällen doch nicht das Ziel. 
Nach früheren fruchtlosen Versuchen, die Pflege der kraft- 
losen Gelenke und Muskeln durch nicht geeignete Apparate 
zu besorgen, hat die Klavierpädagogin A. Zachariae (Hannover, 
Miesburgerdamm 3) durch ihren „Handentwickler“ den Weg 
gefunden, die ungelenken Teüe des Spielkörpers durch gesund- 


voll, und man mochte wünschen, daß es einen recht großen 
Abnehmerkreis finden möge, umsomehr als der Autor die Er- 
trägnisse des Buches dem Fonds zur Erbauung eines Mozart- 
Hauses in Salzburg überwiesen hat. Joseph Haas (Stuttgart). 

Neue Studienwerke für Klavier. 

Lazarus: 5 morceaux factles ei miiodiques. Verlag Ed. Cranz. 
Deichte und hübsche Stücke, der Wälzer allerdings stark an 
den „Graf von Luxemburg“ anklingend. 

Derselbe: 8 morceaux factles en forme de Fantaisie. Ebenfalls 
nicht schwer und sehr dankbar; wir heben den flotten Marsch, 
die gefühlvolle Romanze und das choralmäßige „Im Volkston“ 
hervor. 

Derselbe: 24 melodische Stücke in Etüdenform, 2 Hefte ä 2 M. 
Verlag Ed. Steingräber. Diese Etüden sind nicht für den ersten 
Anfang, auch gefallen sie uns weniger als die oben genannten 
Werke. Der Schluß ist oft gesucht und widerspricht dem 
harmonisch einfachen Charakter der Etüde. Der Fingersatz 
könnte manchmal mit einem Fragezeichen versehen werden; 
Beispiel No. 22, wo unter der Vortragsbezeichnung legatissimo 
die rechte Hand den Sextenschritt h-g mit dem dritten und 
fünften Finger, das folgende c dazwischen mit dem vierten 
nehmen soll! Zu No. 20 vergleiche der Komponist als getreues 
Gegenstück die bekannte Fanfare militaire von Ascher. 

C. Pieper: Technische Studien tu Chopins Klavier etüden, 
2 Hefte ä 2 M. Verlag C. F. Kahnt, Leipzig. Es gehört 
Mut dazu, angesichts dieser TJeberfülle von Uebungen sich 
an deren Studium zu wagen. Man muß es dem Verfasser, 
der sich in seiner Tätigkeit als Lehrer am Konservatorium 
die nötige Erfahrung gesammelt hat, zugestehen, daß er das 
Menschenmögliche an technischen Uebungen aus Chopins 
Etüden herausholt. Wer diese beiden Hefte durchstudiert 
hat, dem wird auch manches andere Virtuosenwerk wenig 
Schwierigkeiten mehr bereiten. 

Georg Eggeling: Munterer Fortschritt, 35 Vortragsetüden, 


gefunden, die ungelenken Teüe des Spielkörpers durch gesund- op. 176, 2 Hefte ä 1.50 M. netto. Verlag B: Schotts Söhne, 

heitliche sinngemäße Uebungen zu willigen Werkzeugen Mainz. Verhältnismäßig einfache Stücke, die das Prädikat 

der eigentlichen geistig musikalischen Arbeit bereit zu steifen. „munter“ mit Recht tragen. Wir machen auf dieses wie^auf 


Sie erreicht dieses in kürzester Zeit dadurch, daß sie stets 
den Herd der schwachen Muskeln mit einem Teil ihres Appa- 
rates trifft und immer gerade diejenige schwache Muskel 
kräftigt, die zur Ausführung einer musikalischen Tonreihe mit 
ihrer Schwäche im Wege steht. So befreit sie z. B. den vierten 
Finger von seiner geringen Selbständigkeit nicht durch Sprei- 
zung, sondern durch Einfluß des Apparates auf die inneren 
Muskeln der Hand, welche mit dem vierten Finger und seinen 
Nachbarn korrespondieren. Diese geniale Umwertung der 
Muskelkräftigung erreicht somit jedes Ziel eindringlicher als 
die althergebrachten Fingerübungen, ferner um das Zehnfache 
an Zeit k u r z e r als die Zeit, che wir sonst zu einer Bewälti- 
gung einer Technik gebrauchen. Man darf nun nicht den 
falschen Schluß daraus ziehen, daß mit einer Zachariaeschen 
Uebung eine musikalische Figur „sitzt“. Nein, die Uebung 
befähigt den Spieler nur zu schnellerer Bewältigung ; 
in willkürlichen Zahlen ausgedrückt: eine schwierige Stelle 
nach aller Art zwanzigmal gespielt, bedarf bei Voraussetzung 
der richtigen Zachariaeschen Uebung nur eines drei- bis 
fünfmaligen Spiels. Die Apparate bestehen aus. einem „Hand- 
entwickler“ zur Ausbildung aller notwendigen Muskeln, Ge- 
lenke, Spannweite der Hand, Entwicklung von Kraft und 
leichter Beweglichkeit — einem „Rücken- und Arm-Muskel- 
stärker“ und einem „Kugelstab“ zur Erziehung einer freien 
Beweglichkeit der Schulter-, Ellenbogen- und Handgelenke. 

Ludwig Riemann (Essen). 

Wolfgang Thomas: „ Mozart-Schatzkdsüein “ (Das Schöne im 
Sinne Mozarts), gebunden 2 M. (Wunderhornverlag. München). 
Der Wert dieses kleinen, aber inhaltsreichen und auch äußer- 
lich ungemein einladenden Büchleins, das mit der landläufigen 
Brevierluiteratur nichts gemein hat, ist darin zu erblicken, daß 
der Autor nicht eine persönliche, mit den Augen unserer Zeit 
gesehene Darstellung von den musikalischen Schönheits- 
begriffen Mozarts gibt, sondern daß er den Meister selbst in 
einer Folge von brieflichen oder mündlich überlieferten Aeuße- 
rungen seine Lehre vortragen läßt. Das hat einen großen 
Reiz und führt in der oft drastischen Ausdrucksweise Mozarts 
das Wesentliche seiner Kunstanschauungen und seines Stils 
dem Leser recht unmittelbar vor Augen. Da spricht Mozart 
von seinem musikalischen Schaffen im allgemeinen und von 
einzelnen Werken und von der Behandlung der verschiedenen 
künstlerischen Mittel im besonderen. Dabei vermeidet der 
Autor, der in der Auswahl der charakteristischen Aeußerungen 
den gründlichen und gediegenen Kenner verrät, keineswegs 
ein gelegentliches kritisches Wort. Das macht dieses Büch- 
lein für die Hand des musikalischen Laien erst recht wert- 


die folgenden Werke des Komponisten als eine wertvolle Er- 
gänzung der Klavierschule aufmerksam. 

Derselbe: 50 kurze, melodische und instruktive Etüden für die 
Mittelstufe, op. 122, 2 Hefte ä 2 M. Verlag A. P. Schmidt, 
Leipzig. Nicht ganz einfach, teilweise wird schon ziemlich 
große Spannung der Hand verlangt; im zweiten Heft ziemliche 
Schwierigkeiten . 

Derselbe: 25 melodische Etüden ohne Oktavenspannung, 
op. 170, 2 Hefte ä 2 M. Verlag Schotts Söhne. Zur Ausbildung 
eines gediegenen Vortrags eignen sich diese klangvollen Stücke 
besonders, die tüchtige Uebung verlangen. 

Derselbe: 7 Etüden zur Uebung weitgriffiger Akkorde und 
Erlernung eines guten Pedalgebrauchs, op. 172, 2 M. Verlag 
A. P. Schmidt, Leipzig. 

Derselbe: 18 melodische Oktavenetüden für die obere Mittel- 
stufe, op. 90, komplett 2 M. Verlag Schotts Söhne. Auch die 
beiden letztgenannten Werke sind für den speziellen Zweck, 
dem sie dienen sollen, sehr geeignet. In diesem Zusammen- 
hang seien auch noch nachstehende zwei Werke erwähnt, 
sämtlich im Verlag von Wilhelm Hansen erschienen und von 
Dr. Walter Niemann neu herausgegeben: 

Th. Kuliak: Kinderleben, 50 Pf. Leicht spielbare Charakter- 
stücke. 

Schumann: Album für die Jugend, 1 M. Es ist dem Verlag 
als Verdienst anzurechnen, miß er der klavierspielenden 
Jugend diese Auswahl Schumannscher Stücke zu so billigem 
Preis zugänglich macht. Der Druck ist zwar etwas eng, doch 
1 sehr deutlich, so daß die Lesbarkeit kaum beeinträchtigt 
wird. • A. F. 


Unsere Musikbeilage zu Heft 17 bringt einen neuen Beitrag 
unserer Schubertiana-Sammlung, die, wie aus viel Zuschriften 
hervorgeht, sich großer Beliebtheit im häuslichen Kreise er- 
freut. Der gewandte Bearbeiter, Kammermusiker W. Abert 
in Stuttgart, hat den prächtigen Militärmarsch No. 3 in Es dur 
für Trio (Violine, Violoncello und Klavier) herausgegeben. 
Wir hoffen auch mit dieser Bearbeitung Freude zu machen. 


Als Kunstbeilage überreichen wir unseren Lesern heute ein 
Bild von Giacomo Puccini. 

Verantwortlicher Redakteur: Oswald Kühn in Stuttgart. 
Schind der Redaktion am 16. Mal, Ausgabe dieses Heftes am 
28. Mal, des nächsten Heftes am 11. Juni. 


342 






Briefkasten 


Ed. Pr., Mehrerau. „Der strenge Satz" 
und dann „Kontrapunkt und Fuge Im 
freien Salz" von Ludwig Bußler. 

J. Th. A., L— berg. In No. 20 der Lie- 
der ohne Worte von Mendelssohn sind 
2 Achtel streng auf eine Triole zu ver- 
teilen. Ihr skizzierter Anfang ist dem- 
nach falsch.^ 

E. Kunz— mann, A. Klavierschule von 
Breslaur, r. Teil. Auch die von Söcbting. 
Hand halt ung und Anschlag lassen sich 
nicht aus Büchern erlernen. Ueber den 
Lehrgang informiert Sie die Klavierschule. 

Grammophon. Nach Ansicht der ln Be- 
tracht kommenden Fachleute und Künstler 
wird dem „Grammophon“ mit der aus- 
wechselbaren Nadel eine dominierende 
Stellung unter den Sprechapparaten inkl. 
PatHephon eingeräumt. Die Neben- 
geräusche existieren beim Pathephon genau 
so wie beim Grammophon. Je besser der 
Apparat, desto weniger Nebengeräusche. 
Aber die natürliche Wirkung einer Nadel 
auf eine rotierende Platte muß, wenn auch 
nur ein geringes, so doch .ein Geräusch 
geben. Das Grammophon bat sich heute 
in allen Kreisen eingebürgert. 

J. E. Die leichtesten Wagner- Auszüge 
mit Text sind die von Kleinmichel; sie 
sind aber bekanntermaßen etwas zu dünn. 
Die von Klindworth wären Ihnen zu em- 
pfehlen; sie wollen Sie ja wohl doch nicht 
im Konzert öffentlich spielen? Sehr Inter- 
essant sind die von Mottl bei Peters, die 
die persönlichen Regieangaben, Tcmpo- 
bezeichnuogen, erläuternde Bemerkungen 
Wagners enthalten, ParsUal, Nibelungen- 
ring. Tristan ist nicht ganz vollendet. 
Besten Dank für die Anregung. Der Er- 
laß war uns bisher nicht zugegangen. 

W. Sp. Wir empfehlen Ihnen für Ihre 
Zweck« Riemanns Katechismus der Musik- 
instrumente und der Orchestrierung. Ver- 
lag von Max Hesse, Leipzig. 

H. K., Wo. Um Mitglied des Aligem. 
Deutschen Musikvereins zu werden, wen- 
den Sie sich an ein Vorätandsmltglied ; 
etwa an den Schriftführer Herrn W. Klatle, 
Berlin \V. f Nettelbeckstr. 24. Sie erhalten 
dort auch die gewünschte Antwort. — 
Wegen der zweiten Frage erhalten Sie 
noch brieflich Antwort. 

J. H. Wir raten nach wie vor von 
„Selbstunterricht'' ab. Wir bitten, unsere 
Besprechungen zu verfolgen. Eine alt- 
bewährte ist die von Kummer. 

H. in M. Erstens geben wir nicht brief- 
lich Antwort. Zweitens ist der Aboone- 
mentsausweis nötig. Dritten» ist uns der 
Komponist unbekannt. Sollte es sich um 
Kritik handeln, so müßten wir sagen: 
jeder Kritiker urteile selber 1 Sonst ist 
er kein Kritiker. 

M. H. 26 . Ihre Frage ist falsch gestellt. 
Die Lösuug bringen die neuen Stuttgarter 
Hoftheater. Diese haben kein Schauspiel- 
haus und kein Opernhaus; sondern ein 
kleines und ein großes Haus. Das große 
für das historische Drama etc. und die 
Große Oper wie für das Musikdrama; das 
kleine für das entsprechende moderne 
Schauspiel und die komische Oper. 

A. N. .Warum muß man annehmen, daß 
Frau H. verschiedene Briefe als ungedruckt 
anskht, weil sie bei eioem die ausdrück- 
liche Bemerkung hinzufügt? Legen Sie 
besonderen Wert darauf, daß eine ent- 
sprechende Notiz nachträglich erfolgt? 
Dann sehr gern. Besten. Gruß. Wegen 
des Aufsatzes L. L. erhalten Sie Nachricht, 
die Sie interessieren wird. 

Astrachan. Sie werden die Prospekte 
der weltbekannten Fltma auf unsere Ver- 
anlassung direkt zugeschickt bekommen. 
Die Adresse genügt doch? 


Kompositionen 


(RedaicttoasschJuB am 14. Mal.) 


F. 8., L— »dt. Zwei gut« Tänie einer 
geübten Feder. Auch der allbekannte 
„Vorsatz“ wirkt ln Ihrer Vertonung an- 
sprechend. 


LUDWIG ERK 

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Eine Auswahl der beliebtesten Volks-, 
Vaterlands-, Soldaten-, Jäger-, Studenten- 
und Weihnachts-Lieder 

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E. B. Nr. 3843 Preis 3 Mark 
ZWEITER BAND 
E. B. Nr. 3844 Preis 3 Mark 
Gebunden jeder Band 4.50 Mark 

Die Neuausgabe des „Erkschen Lieder- 
schatzes“ hat mit der Originalfassung des 
Werkes gemeinsam die Verteilung des Ma- 
terials auf nur zwei Bände. Dagegen schien 
esgeboten, eine Anzahl der verblaßteren, dem ' 
heutigen Geschmack weniger entsprechenden 
Lieder auszuscheiden und andere dafür ein- 
zufügen. Daß dies nirgends bei Volks- 
liedern. sondern nur bei Arbeiten von dem 
Namen nach bekannten Autoren nötig war, ist aufs neue ein Beweis von der urwüch- 
sigen Kraft und unvergänglichen Frische der deutschen Volksweisen. Auf die Eintei- 
lung in „Liebes-, Vaterlands-, Soldaten- und Jagdlieder“ wurde verzichtet und das 
ganze Material alphabetisch geordnet. Dafür bietet der Herausgeber ein Gesamt- . 
Verzeichnis, das, nach den Namen der Komponisten geordnet, über Leben und Tätig- 
keit derselben in knapper Fassung Aufschluß gibt, und das die Volkslieder nicht nur 
(soweit bekannt) nach der Zeit, sondern auch nach dem Ort ihrer Entstehung 
und ihrer Nationalität ordnet. Auf die äußere Ausstattung ist ganz besonderer 
Wert gelegt worden; auf den prächtigen Einband in Dreifarbenprägung sei besonders 
liingewiesen. — So möge denn das Werk in seiner neuen Gestalt weiter leben zur 
Freude und Erbauung aller Freunde des deutschen Liedes! 



EDITION BREITKOPF 


Alt« und eingespielte 

Violinen 

Gelgenveraand Euphonia 

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Wilhelm Irgang, Leitfaden 
der allgemeinen Ifflnslhlehre 

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Karl Kirschmer. Brosch. M. 1. — 

Für Muslfclehrer, MusikinstHute und besonders auch für Semioarien kann 
es kaum ein praktischeres Unterrichts werk geben, das den modernen An- 
schauungen über die Elemente der Mas! kl ehre ln so erschöpfender und doch 
knapper Form Rechnung trägt, als Irgangs Leitfaden der allgemeinen Muslk- 
lebre. Ueber den Inhalt sollen hier nur einige der Hauptartikel genannt 
werden: Tonlshrs. Entstehung der Töne. Notenschrift von Ihrer frühesten 
Entwicklung an. Intervalle. Tonleiterbildung. Tongeschlechter. Tonarten. 
— Rhythmik und Dynamik. Geltang der Töne und Pausen. Tempo (Zeit- 
maß). Metronom. Takt. Verzierungen. — Akkord lehr«. Verbindung der 
Töne zu Melodien und Akkorden. Die konsonanten Akkorde. Die dissonanten 
Akkorde. Der Dreiklang und Beine Umkehrungen. Der Septimenakkord und 
seine Umkehrungen. Der Nonenakkord. Die Verwandtschaft der Tonarten. 
Die Verbindung der Hanptdreiklänge. — Formenlehre. Entstehung der Ton- 
stücke. Motiv. Satz. Periode. Liedform. Die Sonatenform. — Die Musik- 
instrumente. Die Saiteninstrumente. Die Blasinstrumente. Die Schlag- 
instrumente. Das Klavier. — Musikgesehiehtllehes. Die Musik der alten 
Völker. Der italienische, französische uod deutsche Stil. Alt- und neu- 
deutsche Schule. — Trotz des erweiterten Umfanges und der eleganten Aus- 
stattung ist der Preis auf nur M. 1 .— netto festgesetzt worden, so daß das inter- 
essante Werkdien In allen Schichten der musikalischen Welt Eingang finden wird. 

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musikalischen Fortschritt. II. Das musikalische Drama. III. Symphonie 
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musik. V. Ausübung und Pflege der Musik. 329 Seiten, geschmackvoll 
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343 







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lehrerinnen, Muslkinztitute usw. , 

i Wegen der Aufnahme wende men sich an unsue ■ 1 
_l Anzelgen-Abteliung, Stuttgart, Könlgstr. 3 t B. LJ 

m 


E. H. Auch ein volkstümlich gehaltener 
Liedsatz sollte bei aller Schlichtheit noch 
interessieren. Ihr Lied bietet nichts Neues. 

P. R., 5 . Eine kompositorische Be- 
tätigung in der Art der einges&ndten 
Stücke Ist zwecklos. Mit solchen kon tra- 
punk tischen Uebungen haben Sie leeres 
Stroh gedroschen. Es fehlt an den er- 
forderlichen Vorkenntnissen. Wenn wir 
ein Urteil über Ihr Talent gewinnen sollen, 
müßten Sie uns etwas Liedmäßiges vor- 
legen. 

H H. In Ihrem Symphoniesatz treten 
gewisse Manieren einer virtuosen Technik 
gar; zu | absichtlich in den Vordergrund. I 
Der Kern verschwindet dabei. 

Frits K., Kl. Ein nicht übler Anfang. 
Stören Sie damit aber die Ruhe der Dich- 
terin nicht, denken Sie auch noch nicht 
an den Kontrapunkt, sondern seien Sie 
bi* auf weiteres Ihrem „Helm" in Liebe 
zugetan . 

H. B- E-, D. Ihre Liebeslieder sind mit 
wechselndem Gelingen geschrieben. Nicht 
jeder musikalische Einfall ist aus echtem 
Empfinden geflossen, was Ihnen bei 
strengerer Selbstkritik selbst auch allmäh- 
lich bewußt werden wird. Daß Sie sich 
noch zu einem guten Liederkomponisten 
entwickeln werden, zeigt „Tröstung 44 , wie- 
wohl Ihnen später auch dieses Stück nicht 
mehr so wichtig Vorkommen wird. Ihr 
schönes Talent läßt einen strengeren Maß- 
stab zu. 

E. U. H. Ihre Mazurka ist eine an- 
erkennenswerte Leistung- Vielleicht ver- 
mag Ihnen Ihr Bruder zur weiteren För- 
derung Ihres Talents mit Rat und Tat 
beizustehen. 

Basta — Cz. Ein hypermodernes Empfin- 
den und Verstehen, das den Tonalitäts- 
begriff aufzageben den Mut hat. Wer 
Ihnen folgen kann, findet Ihre phantasie- 
vollen Gebilde interessant, eingefleischte 
Dlatoniker werden sie als Phantastereien 
bezeichnen. 


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Inhalt • Znr 49- TonkOnstlerver Sammlung des Allg. Deutschen Musikvereins in Essen. Rückblicke und Ausblicke. — Zur Kunstästhetik unserer Zeit. III. Das 
Ultimi , doppelte Gehör. (Sinnliches und geistiges Ohl.) Ein Beitrag zum Verständnis der modernen Musik. (Fortsetzung.) — Joan Munin, biographische Skizze. — 
Strindberg und die Musik. — Parslfal im Prinzregententheater ln München. — Siebentes deutsches Bach-Fest in Wien. — Vom Bonner Musikiest. (Erstes mittel- 
rheinisches Mnslkfest vom 19. bis ar. Mai.) — Deutsche Musik ln Londoner deutschen Kreisen. — Das Denkmal für den Heideröslein-Komponisten ln Braunschweig. — 
Kritische Rundschau: Detmold, Weimar. — Kunst und Künstler. — Briefkasten. — Heue Musikalien. — Dur und Moll. — Musikbeilage. — Als Gratisbeilage r^Batka* 

Nagel, Geschichte der Musik, Bogen 13 vom dritten Band. 


Zur 49. Tonkfinstlerversammlung des 
Allg. Deutschen Musikvereins in Essen. 

Rückblicke und Ausblicke. 

W enn immer und immer wieder Stimmen laut werden, 
daß die Tonkünstlerfeste des A. D. M. sich über- 
lebt hätten und deshalb einzustellen seien, der Verein über- 
haupt am besten aufgelöst würde, so muß diese kurzsichtige 
Anschauung vor der, gerne dem Negativen zuneigenden 
öffentlichen Meinung mit allem Nachdruck als falsch und 
irreführend ebensooft wieder zurückgewiesen werden. Worauf 
gründet sich denn die Auflösungsidee der Nörgler? Auf 
das Ergebnis? Ja, darf man denn den A. D. M. dafür 
verantwortlich machen, wenn nicht alle io Jahre ein neuer 
Beethoven am Komponistenhimmel auftaucht? Und ist 
es andererseits wirklich wahr, daß Cliquenwirtschaft be- 
steht, daß nur die „Gewappelten“ oder die Freunde und 
Anhänger einer bestimmten Richtung auf den Tonkünstler- 
festen mit Werken zu Worte kommen? Nein; erstens 
pflegen heute Leute, die als Komponisten bereits etwas 
können, auch in hervorragenden Stellen zu sein; es ist 
nicht so einfach, ein zum mindesten technisch fertiges 
Werk auf die Beine zu stellen; dazu gehören schon Reife 
und Erfahrung. Und was die Jugend betrifft, so hat der 
A. D. M. recht, wenn er fragt, wo denn die „übersehenen" 
Kompositionen eigentlich seien, und ob die später als Kom- 
ponisten wirklich Gewordenen nicht ihre Feuertaufen im 
A. D. M. gehabt hätten ? Er hat so lange recht mit dieser 
Abwehr, bis ihm nicht das Gegenteil bewiesen worden 
wäre. Andererseits ist nicht zu bestreiten, daß Fehler ge- 
macht werden; Fehler, die in einigen krassen Fällen dies- 
mal besonders in die Augen fielen und die Frage dring- 
licher machten, ob im Musikausschuß nicht doch manches 
von anderen £■ Gesichtspunkten aus betrachtet werden 
könnte ; großzügiger, weniger „programmäßig“ ; es ist kein 
sichtbarer „Fortschritt“ in den Programmen, man kommt 
nicht recht weiter. Nun geht freilich eine Entwicklung 
nicht von heute auf morgen vor sich. Aber mir scheint es, 
als ob unbewußt ein gewisser Bureaukratisnjus das Wort 
führte; hüten wir uns vor dem Altwerden, vor Ver- 
knöcherung; und vor Einseitigkeit, oder gar Furcht vor 
Problemen. Wenn Dr. Karl Storck in der Festnummer 
der Allg. Musikzeitung dem recht gibt, daß „Experimente", 
Werke von Schönberg oder Busoni auszuschließen seien, 
so muß dieser Anschauung ganz energisch widersprochen 
werden. Hic Rhodus! Auf den sicheren musikalischen 
Genuß kommt es wahrhaftig nirgends weniger an, als bei 


den Tonkünstlerfesten, und Rücksicht auf das Publikum 
ist noch mehr auszuschließen,! Fs wäre hundertmal wichtiger 
und lehrreicher gewesen, bei diesen „Versammlungen von 
Tonkünstlern“ einen der heute umstrittenen proble- 
matischen Komponisten aufzuführen, als Publikum 
und Fachleute mit Musikstücken anzuöden, die weder 
problematisch noch Musik sind. Davon noch weiter unten. 
Daß Reformarbeit als notwendig anerkannt wird, bewies 
eine Mitteilung in der Generalversammlung, wonach der 
Schluß des Einreichungstermins von Kompositionen bedeu- 
tend früher gelegt werden soll, als bisher. Wenn die damit 
gewonnene Zeit richtig ausgenützt wird, werden zum 
mindesten totale Entgleisungen nicht mehr Vorkommen. 

Die Notwendigkeit des Fortbestehens des A. D. M. 
geht aber neben allem anderen schon daraus hervor, daß 
die Förderung dramatischer Komponisten selber zur 
unbeweisbaren Notwendigkeit geworden ist; heute mehr 
als je. Und daß der A. D. M. auf dem Posten ist, 
Schwierigkeiten aller Art nicht scheut und überwindet, 
zeigten zwei Uraufführungen von Opern in den sechs 
Tagen des Festes. 

Das war eine Tat an und für sich, gleichviel wie das 
Endergebnis sich gestalten wird. Und die Generalversamm- 
lung unter Leitung von Max v. Schillings gab ein erfreuliches 
Bild davon, daß der A. D. M. nach dieser Richtung hin 
avanciert. Es genügte, vom Vorstandschaftstisch aus auf 
das mangelnde Interesse der für musikdramatische Ziele 
gegründeten Richard- Wagner-Stiftung hinzuweisen, um 
sofort Geldspenden zur Verfügung zu bekommen. Und 
es wurde beschlossen, sich an die Bühnen, an die große 
Oeffentlichkeit um weitere Förderung dieses wirklich not- 
leidenden, wichtigen Kunstzweiges zu wenden. (Darüber 
wird noch eingehender zu reden sein.) 

Absolut „reformbedürftig“ scheint mir aber die Förderung 
des, sagen wir gesellschaftlichen Verkehrs zu sein ; die sozialen, 
wirtschaftlichen Unterschiede unter den Mitgliedern haben 
Zustände geschaffen, die von dem Begriffe des Künst- 
lerischen als eines Gemeinwesens der Gleichberechtigten ab- 
weichen. Von innerer Harmonie ist auf den Tonkünstler- 
festen fast nichts mehr zu bemerken. Die Gruppen trennen 
sich und sondern sich ab. Man geht mit Höflichkeit an- 
einander vorüber. Der „Ton“ ist kühl wie es die offizielle 
Veranstaltung war in einem „erstklassigen“ Hotel, wo 
wir doch in unserer Gesamtheit — Gott sei Dank! gar nicht 
hingehören. Die so notwendige allgemeine „Aussprache" 
kommt nicht zustande. Es finden sieb die paar alten Freunde 
von früher her zusammen ; wie sich die Jugend zurechtfinden 
mag, kümmert niemand. Die Tonkünstlerfeste des A. D. M. 


345 





stellen aber auch die einzige Repräsentationsmöglichkeit 
des Komponistenstandes dar. Da sollten andere Formen 
als die konventionellen unserer Zeit maßgebend sein. Und 
damit hängt die Teilnahmelosigkeit, ja Gleichgültigkeit 
der „Großgewordenen“ zusammen. Früher, als sie noch 
nicht so groß waren, waren sie ständige Besucher der 
Tonkünstlerfeste. Der Ehrenvorsitzende Richard Strauß 
fehlte zum 50. Geburtstag, von Pfitzner ist auch nichts 
mehr zu sehen und zu hören, Reger pflegt seiner Gesundheit 
(um nur ein paar der wichtigsten Namen zu nennen). Hat 
„man“ nichts mehr für die ehemaligen Mitkämpfer übrig ? 
Auch die Kritik ist, mit ein paar Ausnahmen, spärlicher 
in ihren Hauptvertretern geworden. Das alles müßte aber 
wieder anders werden, wenn der A. D. M. weiter „leben“ und 
erstarken will. Hoffen wir, daß es bei der nächsten Ver- 
sammlung, die die Jubiläumszahl 50 trägt, zu neuem 
Aufschwung nach dieser Richtung hin kommt. Strauß 
hat ja die Uraufführung seiner Alpen-Symphonie bereits 
in Aussicht gestellt. — Ob Darmstadt oder Chemnitz der 
Ort der 50. Versammlung sein wird, ist noch nicht ent- 
schieden. Zu erwähnen ist noch die Aussprache über 
die Musikerkammem in der Generalversammlung. Auch 
darüber wird noch zu reden sein. Nun kurz zu den ein- 
zelnen Aufführungen selber. 


Sechs Tage hatte diesmal der A. D. M. zur Durchführung 
seines Programms bestimmt. Der Nachteil solcher Konzert- 
woche liegt darin, daß nicht jeder Teilnehmer über die 
Zeit verfügt, um alle Aufführungen hören zu können; 
der Vorteil, daß die einzelnen Konzerte von kürzerer 
Dauer sind — die meisten waren sogar vorbÜdlich — und 
so die Aufmerksamkeit und Aufnahmefähigkeit nicht 
beeinträchtigen. Beginnen wir in unserem Ueberblick 
mit den drei Orchesterkonzerten. Ihr Höhe- 
punkt war die „Natursymphonie“ von Siegmund v. Haus- 
egger unter Leitung des Komponisten, die in ihrem groß- 
artigen Schöpferwillen, mächtigen Aufbau und in ihrer rei- 
chen Phantasie erneut starke Eindrücke machte. Nament- 
lich die beiden ersten Sätze wurden allgemein bewundert; 
jedenfalls ist es ein Werk, das uns wieder mal in höhere 
Regionen führt. (Unsere Leser sind aus den Artikeln H. Burk- 
hardts genügend orientiert. Beider konnte der Schluß der 
Studie wegen Raummangels nicht mehr in dies Heft auf- 
genommen werden.) Zum 50. Geburtstage des Ehrenpräsi- 
denten des A. D. M., Richard Strauß, wurde das Festliche 
Präludium als Einleitung des Tonkünstlerfestes aufgeführt 
und zwar unter Leitung von Hermann Ahendroth, dem städt. 
Musikdirektor in Essen, so voller Schwung und mit Ver- 
ständnis für das Wesentliche . und den inneren Aufbau, 
daß es einen großen Erfolg hatte. Wie hoch Strauß als 
Künstler, als Könner steht, zeigt gerade diese „Gelegen- 
heitsarbeit"; freilich gehört auch ein wirkliches „Fest- 
orchester“ zur Aufführung; so wie in Essen mit 24 ersten 
Violinen etc., 12 Celli, 12 Kontrabässen, und oben auf der 
Galerie 16 Trompeten extra. Trotzdem haben wir keinen 
„Spektakel“; das Präludium ist mit „leichter“ Hand ge- 
schrieben; man hat es als nebensächlich beiseite tun wollen; 
es wird aber noch oft gehört werden. Dann sei auf zwei 
bemerkenswerte Aufführungen aufmerksam gemacht. Als 
talentvoller Komponist stellte sich mit seinem Eroticon 
(aus der phantastischen Suite „Nacht“) Hermann Unger 
vor; ein Schüler Regers, der aber dem Meister nicht „nach- 
ahmt“, und deshalb mit seiner, keineswegs blutleeren Musik 
viel Hoffnungen erweckt. Hermann Unger ist noch sehr 
jung, und weicht auch im Wesen von dem geschniegelten 
Komponistentyp ab. Der andere Name ist den Lesern 
der „N. M.-Z.“ gut bekannt: Heinz Tiessen hat sich mit 
seiner Studie über die Programmusik aufs beste als Musik- 
schriftsteller eingeführt. Nun trat er uns in seiner von ihm 
betonten Haupteigenschaft, als Komponist, entgegen und 
zwar ebenfalls vielversprechend mit seiner Zweiten Sym- 
phonie in f moll (op. 17). In ihm stecken Kraft und Tem- 

346 


peräment, und er besitzt Ehrlichkeit in der Art, wie er 
mit dem Stoffe ringt, den er nach der schwierigen Seite 
des organischen Aufbaus, der Disposition (!) eines Werkes 
noch nicht meistert. Die Symphonie, deren Sätze noch 
dazu ohne Pause gespielt werden, ist zu lang; eine Steigerung 
ist unter Umständen mehr wert, als mehrere, die in der 
Wirkung einander hinderlich sind, Tiessen hat seinem 
Werke den Titel „Stirb und Werde“ mitgegeben; und 
er erläutert ihn auch ausführlicher: der Genießende, der 
aus Unbefriedigtsein zum erstenmal symbolisch den Tod 
erleidet; dann der Mensch als Schaffender, der ein zweites 
„Stirb“ erfährt; diesmal als Schmerz über die Notwendig- 
keit des Verzichtens; und wieder ein neues Werden: reli- 
giöse Allgefühle, innerer Friede, dann das wirkliche Sterben, 
und darüber hinaus, über den subjektiven Tod hinweg, 
zu ewig weiterschreitendem neuen Leben. Es ist ohne 
weiteres zuzugeben, daß dieser allgemeine menschliche 
Gang der Ideen, der „Geschehnisse“ für die musikalische 
Umwertung in Betracht kommt. Andererseits aber vergißt 
der „Poet“ Tiessen den „Musiker“ durchaus nicht; er 
stellt seine Themen auf und führt sie durch und zwar mit 
zweifellosem Geschick; die Musik macht vielfach un- 
mittelbaren Eindruck, und sie interessiert andererseits. 
Sein Programm wäre nicht unbedingt notwendig; fast 
möchte ich eher bei Hauseggers Natursymphonie für einige, 
der Phantasie Richtung gebende erläuternde „Stichworte" 
sprechen. Tiessen will sein Werk umarbeiten, kürzen; 
er wird uns damit voraussichtlich ein anregendes Sym- 
phoniewerk geben. Sein Erfolg spricht dafür. 

Aus dem 1. Orchesterkonzert ist dann ein 
phantastisches Tonbild von Theodor Huber-Andernach noch 
zu erwähnen; Otto Naumanns Ballade für Bariton „Die 
Handwerksburschen“, auf einen etwas naiven Text von 
Heinrich Vierordt, ist ansprechend; aber etwa für einen 
Ersatz der „Konzertarie“ nicht nobel genug. Herr Käse 
sang das Solo sehr wirkungsvoll. 

Das 2. Orchesterkonzert brachte außer der erwähnten 
Hauseggersehen Symphonie eine Komposition von Othmar 
Schoeck: Dithyrambe (Goethe) für gemischten Doppel- 
chor, großes Orchester und Orgel, op. 22. Große Mittel, 
aber kleine Wirkungen; Schoeck ist weit besser im schlichten 
Liede; außerdem stellt die Dithyrambe Freude und Schmerz 
mit ein paar kurzen Worten nebeneinander; diese knappen 
Kontraste waren von vornherein schwierig in die musika- 
lische Form zu zwängen. Schoeck hat diese Schwierig- 
keiten auch keineswegs überwunden. Dann mischt er auch 
alte und neue Idiome in seiner musikalischen Sprache 
durcheinander. Ein Konzertstück für Klavier und Orchester 
von Emil Blanchet ist nicht gerade hinreißend; kapriziöse 
Gestaltungen mögen denen oder jenen gefallen; das Publi- 
kum blieb kühl. 

. Das 3. Orchesterkonzert brachte neben einer Ouvertüre 
von Julius Koßsch (Komödianten) 3 Lieder mit Orchester 
von Walter Braunfels, op. 19, für eine hohe Frauenstimme 
(Uraufführung). Die Texte stammen aus der „Chinesischen 
Flöte“ in der Uebersetzung von Bethge; es ist bemerkens- 
wert, daß nach Mahlers Vorgänge nicht weniger als drei 
Komponisten sich die Dichter aus China und Japan ver- 
schrieben haben. Aus der chinesischen Flöte wählte auch 
Rottenberg die geheimnisvolle Flöte, und Lendvai kompo- 
nierte gleich eine ganze Chorsuite nach altjapanischen 
Dichtungen. Walter Braunfels hat mit seinen feinempfun- 
denen, musikalisch interessanten und voll wirklicher Musik 
erfüllten Gesängen die nicht enttäuscht, die an ihn glauben, 
trotzdem seine Erfolge sich bisher noch nicht in gleich- 
mäßiger Linie aufwärts bewegten. Soviel ich in der Haupt- 
probe hören konnte, sang die Kammersängerin Eva Plaschke 
v. d. Osten die Lieder auch vortrefflich. Ueber die Aufnahme 
kann ich leider nicht selber berichten. Es war zu be- 
dauern, daß einige Hauptnummern erst am letzten Abend 
aufgeführt wurden; manch einer mußte gleich mir den 
sechsten Tag für die Heimreise benutzen. Daher konnte 
ich auch die mit der bekannten allgemeinen Spannung er- 



wartete Zweite Symphonie von Franz Schmidt in Es dur 
nur bruchstückweise hören. Ueber den Komponisten, 
der lange Zeit als Cellist in der Wiener Hofoper wirkte, 
haben unsere Leser schon einiges aus der Besprechung der 
Oper „Notre Dame“ im vorigen Hefte erfahren. Nun 
öffneten sich ihm auch die Pforten des deutschen Konzert- 
saales. Was ich von der Musik hörte, macht einen er- 
frischenden Eindruck. Vor allem klingt das Orchester 
Schmidts mal wieder anders als das der Strauß-Epigonen. 
In diesem Zusammenhang ist auch Walter Braunfels noch- 
mals zu erwähnen, dessen Orchester, wie ich schon in der 
Besprechung der Oper „Ulenspiegel“ hervorhob, eine selb- 
ständige Note bekommt. Nur ist Braunfels auch hierin 
weniger Eklektiker als Schmidt. Bruckner — Brahms! 
Diese beiden „Antipoden“ wurden mir kurz nacheinander 
als Vorbilder Schmidts genannt. Jedenfalls geht daraus 
hervor, daß Schmidt nicht einseitig ist. Seine Farben 
sind sehr geschickt gemischt; fast möchte man etwas wie 
Eigenart dahinter vermuten. Lebhaftigkeit, Klangreich- 
tum, andere Rhythmen- und Themenbildungen als sonst 
in den Werken der jüngeren Generation, ein geschlosseneres 
Allegro als das aus dem, kaum mehr erträglichen des „Leb- 
haft-Bewegt“ hervorgehenden, heben die Symphonie vom 
heutigen Orchestertyp ab. Ein näheres Urteil muß ich 
mir allerdings Vorbehalten, bis ich das ganze Stück in Ruhe 
gehört habe. Schmidt hat aber zweifellos Phantasie und 
gute Einfälle ; sicherlich wird das Werk in der kommenden 
Saison viel aufgeführt werden, und dann wird Gelegenheit 
zur Nachprüfung des ersten Eindrucks sein. Damit ist 
kurz skizziert, was in den Orchesterkonzerten, eingeschlossen 
die Gesänge mit Orchester, auf dem diesjährigen Ton- 
künstlerfest geboten wurde. Man kann ein gutes Niveau 
feststellen; gegenüber den früheren Monstra von sym- 
phonischen Dichtungen — die erste Essener Tagung mit 
ihren männermordenden Orchesterschlachten von aufreiben- 
der Dauer ist als ein „Markstein" in aller Gedächtnis ge- 
blieben — ist auch von einem Fortschritt zu reden ; 
nicht so sehr freilich in rein musikalischer Bedeutung, 
wie vom Standpunkt eines sich läuternden Geschmackes 
aus, eines Willens, aus den zu stark reflektierenden, 
gedanklichen Regionen wieder mehr herauszukommen. 
Allerdings müssen wir im allgemeinen vorerst noch das 
Wollen höher einschätzen als das Vollbringen. 

* * 

* 

Waren also die Orchesterkonzerte, trotzdem die Werke 
naturgemäß nicht alle auf gleicher Höhe künstlerischer 
Vollendung und Reife standen, durchaus entsprechend dem 
„Programm“ des A. D. M., so kamen in den Kammer- 
musikabenden ein paar Entgleisungen vor, für die 
man keine Erklärung findet. Wenn ein Jüngling sich am 
„Zarathustra" vergreift, so mag man das enthusiastischer 
Urteilslosigkeit zugute halten. Wenn aber ein reifer Mann, 
wie der Frankfurter Kapellmeister Ludwig Rottenberg, 
„Das Lied der Schwermut“ durchkomponiert, dann gibt 
es dafür von vornherein keine Amnestie. Wo bleibt die 
Selbstkritik einem Geiste wie Nietzsche gegenüber, dessen 
Sprache so von „Musik“ gesättigt, bisweilen sogar fast 
übersättigt ist, daß ein Nachkomponieren eines einzigen 
Textwortes Mangel an Stilgefühl, an Geschmack, einer der 
empfindlichsten Schwächen schaffender Begabungen, be- 
kundet? Wie hoch steht Richard Strauß, dem man ja auch 
Mangel an Geschmack vorwirft, als Künstler über seiner 
Zeit, da er erkannte, daß einem Nietzsche, musikalisch nur 
durch ein „umgewertetes“ Kunstwerk beizukommen seil 
Die Zarathustra-Idee als neues, angeregtes, aber in sich 
allein bestehendes Gebilde. Und demgegenüber 
quälen sich die Leute herum, um mit ihren paar armsäligen 
Tönen der Nietzscheschen Sprachwelt beizukommen. Es 
war einfach kläglich. Und weiter hätten sich wohl die 
Herren vom Musikausschuß sagen können, daß bei Rotten- 
bergs musikalischer Gestaltung nicht etwa ein Problem, 
sondern eine Parodie vorlag, die umso schlimmer wirkte, 


als sie unbeabsichtigt war. Man lachte verstohlen und 
schwieg — aus Höflichkeit. Etwas freundlicher wurden 
einige Lieder aufgenommen, die in der sonderbaren Art der 
begleitenden Ausführung auch teilweise nicht ohne Reiz 
sind, wenn auch die Kunst dabei nicht eben hoch bewertet 
werden kann. Therese Schnabel-Behr eignete sich für diese 
Lieder, die mehr Vortrag als Stimme verlangen, gut. Herr 
Ejnar Forchhammer konnte aber trotz seiner Vortrags- 
kunst — vielleicht machte er durch Unterstreichen die 
Sache noch schlimmer — weder den Nietzsche retten, 
noch auch der Phantasie (Goethe) mehr als einen schließ- 
lichen Achtungserfolg verschaffen. Es ist aufgefallen, 
daß man Rottenberg fast eine Stunde in der Kammer- 
musikmatinee für seine Musik, die sicher nicht „Zukunfts- 
musik“ ist, einräumte. Ebenso hätte der Musikausschuß 
die Komposition einer „Leonore“ (Bürger) für Bariton 
(Sistermans) und Klavier a priori ablehnen müssen. Leonore 
und Bariton ! Uebrigens hat der Komponist Emil Mathiesen 
manches gut getroffen. Eine direkte böse Ablehnung 
aber, ein energisches Zischen, ein eisiges Schweigen im großen 
Saal waren die Wirkungen einer Sonate für Orgel und 
Altstimme (Emil Leisner) von Alexander Jemnitz, womit 
sich und uns Karl Straube 42 Minuten herumquälte. Wer 
ist nun für solche „Irrtümer“, die den Gegnern des A. D. M. 
willkommenste Gelegenheit für berechtigte Angriffe 
geben, verantwortlich ? In einem parlamentarisch regierten 
Musikerstaate, dem natürlich ein Tropfen demokratischen 
Oels nicht fehlen dürfte, müßten derartige Schlappen 
zu einem Rücktritte der „Regierung“, zum mindesten des be- 
treffenden Ressorts führen. Eine solch peinliche, unzweifel- 
hafte aber berechtigte Ablehnung habe ich überhaupt 
noch nicht erlebt. Dann gab es ein, ein ganzes Stück für 
Klavier allein zu hören, Variationen für Klavier op. 1 
(Uraufführung) von Walter Schultheß. Ganz brav; aber ist 
das alles, was auf diesem Gebiete produziert wird ? Dann 
hätte man in der Tat das Klaviersolo ruhig unberücksichtigt 
lassen können. Denn es kommt doch nicht in erster Linie 
darauf an, alle Sprößlinge des weitverzweigten Stammes 
zu zeigen, sondern zunächst die wirklich lebensfähigeren. 
Von . den übrigen Stücken der zwei Kammermusikauf- 
führungen ist Günstigeres zu berichten. Zu den Kom- 
ponisten, die der Meinung sind, daß die Musik auch Freude 
machen darf, gehört der Stuttgarter Joseph Haas mit seinen 
reizenden, kapriziösen „Grillen“ für Violine und Klavier 
(Konzertmeister Koßman und Friedberg). Auch der junge 
Münchner, Gottfried Rüdinger (unseren Lesern aus der 
Musikbeilage nicht unbekannt) wandelt mit seiner hübschen 
und fein gedachten Serenade für kleines Orchester (übrigens 
Haas gewidmet) in ähnlichen Bahnen. Warum heißt aber 
die Serenade „romantisch" ? Erwin Lendvai hat auf japa- 
nische Texte gut klingende, in der Farbe eigenartige, über- 
haupt auf Farbenwirkungen gestellte Frauenchöre geschrie- 
ben; Suite für Frauenchor nennt er sie, in denen auch 
einige Soli Vorkommen. Der Essener Frauenchor sang 
sie unter Leitung von Giorgio E. Obsner sehr schön und 
brachte die fein getönten, wenn auch nicht gerade in die 
Tiefe gehenden Stücke zur besten Wirkung. Alle drei 
zuletzt genannten Komponisten hatten sehr guten Erfolg. 
Man wird ihren Werken in den Konzertsälen wieder be- 
gegnen. Damit sind die Aufführungen des Konzertsaales 
des 49. Tonkünstlerfestes skizziert. Es gebührt dem 
Orchester, 130 Musikern des städt. Orchesters zu Essen 
und des Philharmonischen Orchesters aus Dortmund, für 
seine Leistungen volle Anerkennung. Hermann Abendroth 
hat den Ruf, den er in der musikalischen Welt als Dirigent 
genießt, gerechtfertigt. Er ist auch ein „Festdirigent“ par 
excellence; ist seinen Musikern ein sicherer, temperament- 
voller Führer und dem Publikum ein guter Ausdeuter und 
Helfer in verwickelter Situation. In Abendroth pulsiert 
echtes Kapellmeisterblut und da er, noch jung an Jahren 
sich seine Routine erworben, seine Fähigkeiten entwickelt 
hat, so werden wir ihm sicher noch an hervorragender 
Stelle begegnen. Er wurde sehr gefeiert, auch vom Essener 


347 



Publikum, das ihm damit seine Anerkennung vor der 
musikalischen Fachversammlung in aufrichtiger Weise zum 
Ausdruck brachte. 


Von der Bedeutung von zwei Uraufführungen dramatischer 
Werke wurde oben schon gesprochen. Die Gegensätzlich- 
keit der beiden Opern ist als weiteres Moment von Wichtig- 
keit hervorzuheben. Rudolf Siegels dreiaktiges Werk „Herr 
Dandolo“ zieht im lustigen Gewände der „heiteren Oper" 
seine Straße; Volkmar Andreaes „Ratcliff“ tritt in schwerem 
Rüstzeug des modernsten Musikdramas auf die welt- 
bedeutenden Bretter. Eins allerdings haben beide — leider ! 
— gemeinsam: das ungenügende Textbuch. Die Geschichte 
des Herrn Dandolo ist von einer Harmlosigkeit, die es 
wieder mal beweist, wie wenig sich unsere Musiker um die 
Forderungen der Zeit zu kümmern pflegen. Man hält das 
ja wohl manchmal gar noch für einen Vorzug; im Grunde 
ist es ein Fehler. Es ist an der Zeit, zu erkennen, daß 
die Welt sich wieder mal gedreht hat. Immerhin wäre 
Siegels Buch zu retten, wenn er bei einer geplanten Neu- 
bearbeitung sich eines andern Mithelfers bedient, als es 
Willy Vesper war, der in einer fast ergreifenden Ungeschick- 
lichkeit und Naivität der Bühne gegenübersteht. Und da 
wird dann immer noch auf dem Hofmannsthal herum- 
geritten, der im „Rosenkavalier" einen, zum größten Teil 
hervorragenden Text für das neue musikalische Lustspiel 
geschaffen hat! Die Handlung des Herrn Dandolo reicht 
aber für drei Akte kaum aus; zum mindesten müßte der 
erste ganz anders und interessant, dramatisch schlagend 
und lustig gestaltet, mit einer guten Exposition versehen 
werden. Und die Wiederholungen! Siegel sollte Nach- 
bildungen des „Rosenkavaliers“ meiden, wie das Auftreten 
der beiden Diener, das Quintett (wenn ich nicht irre), 
das auch nicht mal gut klingt. Im übrigen ist seine 
Musik sehr erfreulich; er hat die nötige leichte Hand, die 
nur noch stilsicherer, beim Schreiben werden müßte, er hat 
gute Einfälle, schreibt melodiös und rhythmisch lebhaft, 
kurzum: er hat Talent zum Komponisten des heiteren 
Genres. Gelingt ihm die textliche Umarbeitung, weiß er 
für die Striche stärkere Reizmittel ergänzend hinzuzu- 
fügen, dann hätte unsere Bühne ein artiges Werkchen der 
komischen Oper. Die Aufnahme war bei bemerkenswert 
guter Aufführung durch das Essener Opemensemble und 
bei glänzender Leitung Abendroths sehr schmeichelhaft für 
den Komponisten. — Der Ratcliff, den unter anderem auch 
Mascagni schon komponiert hat, wurde im neuen, durch 
seine Dimensionen und Anordnungen imponierenden Duis- 
burger Stadttheater aufgeführt. Andreae hat es, wohl nach 
berühmtem Muster, gewagt, ein literarisches Gedicht 
(Heine) ohne Aenderung in Musik zu setzen. Ich wurde 
nach der ersten Aufführung nicht davon überzeugt, daß 
dies Wagnis in allen Teilen gelungen sei. Das erste der 
vier Bilder ist in der Stimmung ausgezeichnet getroffen; 
ich hoffte, daß hier mal jene „Unrealität" eines neu-roman- 
tisch-musikalischen Dramas auch im weiteren Verlauf er- 
reicht und festgehalten werden würde, die mir als 
eine, bewußt oder unbewußt erstrebte Stilart vor- 
schwebt. Nicht jene Unrealität von Maeterlink-De- 
bussy. Aber doch eine, die sich über die veraltete Romantik 
der Szene mit ihren realen Vorgängen erhebt. Zum Teil 
klingt der neue Ton fort (in der Figur der Amme) ; aber das 
Erhoffte erreicht der Komponist doch nicht. Der Anfang 
des zweiten Bildes in der Diebesschenke hält noch die 
Stimmung, die ich mir auf der Linie Hof f mann-Poe denke — 
dann aber wird die Geschichte einfache „Handlung“, und 
zwar nicht leicht verständliche und darum weniger inter- 
essierende Handlung. Die Welt des Dichterwortes ver- 
schwindet hinter der Musik. Und unsere dramatischen 
Komponisten machen auch noch den technischen Fehler, 
an wichtigen, für das Verstehen entscheidenden Momenten 
einen Höllenspektakel im Orchester loszulassen, so daß auch 
noch die Worte selber verloren gehen. Das nenne ich „über- 

348 


komponieren“, und selbst Rieh. Strauß schreibt manchmal 
dreifachen Kontrapunkt in Situationen, wo ein Geigentremolo 
(piano) besser am Platze wäre. Im übrigen möchte ich An- 
dreaes Dramatik zunächst im Lichte Straußens betrachten. 
In der Kopie merkt nun wohl jeder deutlich, wie prägnant 
auch der „Erfinder“ Strauß in seiner Dramatik ist, wie 
unnachahmbar er ist. Andreae hat aber eine sehr inter- 
essante Musik geschrieben; seine rücksichtslose Konsequenz 
in der Harmonie imponiert mir. Und da ein Dichter den 
Text schrieb, so wird das Werk, das aufgeführt gehörte, 
auch überall zum mindesten fesseln. Dutzendware ist es 
nicht! Die Aufführung, die freilich szenisch die Stimmung 
nicht genügend unterstützte, machte Eindruck und bewies, 
daß die Direktion des Duisburger Stadttheaters über 
keine schlechten Kräfte verfügt. Die Aufgabe war sehr 
schwer; ihre Ausführung machte dem künstlerischen 
Willen der Darsteller alle Ehre. Ganz vortrefflich war 
das außerordentlich stark besetzte Orchester — der Raum 
dafür ist vorhanden — unter Leitung des Düsseldorfer 
Kapellmeisters Alfred Fröhlich. 

Wie die künstlerischen Vorbereitungen auf entsprechen- 
der Höhe standen, so war auch der äußere Rahmen der 
„geselligen Veranstaltungen" wieder mal entsprechend. 
Der Fünfuhr-Tee im Botshaus Hügel, gegeben von Herrn 
und Frau Gesandter Dr. Krupp von Bohlen, dessen Reiz 
das ungünstige Wetter allerdings beeinträchtigte, der Fest- 
abend im Krupp-Saal des Saalbaues (dessen herrlicher 
Konzertsaal von neuem allgemein erfreute) und der Im- 
biß, den die Stadt Duisburg nach der Festvorstellung im 
Foyer des Theaters gab, waren würdige Repräseiitations- 
feiem. Möge der „alte“ Geist — in diesem Falle darf 
man mal ganz für ihn eintreten — diese Festlichkeiten 
wieder erfüllen. Oswald Kühn. 


Zur Kunstästhetik unserer Zeit. 

III. Das doppelte Gehör. 

(Sinnliches und geistiges Ohr.) 

Ein Beitrag zum Verständnis der modernen Musik. 

Von Dr. ALFRED SCHÜZ (Stuttgart). 

IV. 

W ir haben gesehen, welche Aufgabe durch die Viel- 
deutigkeit der Akkorde dem aufmerksamen Hörer 
zugewiesen ist: dem sinnlichen Ohr werden immer wieder 
dieselben Töne geboten, aber die geistige Auffassung macht 
bald dies bald jenes daraus, ganz verschieden klingende 
Akkorde, weil sie immer wieder andere Beziehungen haben, 
in ein anderes Mili en gerückt sind. Bei der Enharmonik 
bekommt der Ton oder Akkord im Klingen für den Geist 
einen wechselnden, veränderten Charakter. Beim Vorhalt 
hat das geistige Ohr die Aufgabe, zwei dissonierend zu- 
sammenklingende Akkorde getrennt zu hören und auf 
diese Weise den geschürzten Knoten zu lösen. Umgekehrt 
gilt es auch oft, in der Zeit getrennte Töne zusammen- 
zufassen und nach ihrem harmonischen Sinn als einen 
Akkord zu hören, so bei gebrochenen Akkorden, Har- 
peggien, Tonleitern, Vorschlägen etc.: 


Chopin, Nocturne: 



Mozart, Don-Tuan-Ouvertüre: 



Mozart, Sonate: 




usw. 


Auch eine Tonleiter kann dem Geist etwas zu sagen 
haben, wie die Beispiele von Mozart beweisen, da schon 
die einfache Durtonleiter die drei Kadenzakkorde andeutet, 
deren Töne sie enthält und in geordneter Tonreihe von 
oben nach unten oder von unten nach oben aufmarschieren 
läßt. Während die Durtonleiter es nur mit den einfachen 
natürlichen Dreiklängen zu tun hat und deshalb auch 
ihre einheitliche, unabänderliche Gestalt besitzt, hat die 
Molltonleiter etwas Schwankendes, Unbestimmtes; 
daher auch die verschiedensten wechselnden Formen, weil 
der Molldreiklang und damit auch die Molltonart nicht 
so wie die Durtonart auf der natürlichen Grundlage der 
Obertonreihe beruht, sondern mehr künstlichen, subjektiven 
Charakter hat, sei es, daß man den Mollakkord als Alte- 
rierung (Trübung) des Durdreiklangs, sei es, daß man ihn 
als Akkordmischung, z. B. a c e, als A + C faßt. Aber 
gerade durch die verschiedenartige Darstellung der Moll- 
tonart in der Tonleiter wird diese für die geistige Auf- 
fassung um so interessanter und charakteristischer. Die 
Unbestimmtheit der chromatischen Tonleiter ermög- 
licht überraschende Uebergänge, da sie durch alle Akkorde 
hindurchschreitet, wodurch das Tonartgefühl für das geistige 
Gehör momentan ausgelöscht wird. So gibt sie die Mög- 
lichkeit, nach Belieben überall wieder anzuknüpfen und 
einen'Anfang zu setzen: aus dem unklaren, dämmernden 
Halbdunkel der Chromatik können alle möglichen Akkorde 
aufsteigen, wie wir z. B. bei R. Wagner sehen: 


R. Wagner, Walküre: 






Bl 



SS 

■hf 









1 



iim 




Der rote Faden, der durch diesen ganzen akkordreichen 
Passus sich zieht und die heterogensten Akkorde als etwas 
scheinbar Selbstverständliches miteinander verbindet und 
zusammenhält, ist die ununterbrochene chromatische Ton- 
reihe vom c‘" abwärts bis #g\ Diese vom geistigen Ohr 
festgehaltene, sanft herabgleitende, das Erschlaffen der 
Glieder bei der Versenkung Brünnhildens in den Zauber- 
schlaf charakteristisch wiedergebende Halbtonleiter läßt 
den schroffen Wechsel der Akkorde logisch und psycho- 
logisch motiviert erscheinen, ja er klingt für unser Ohr 
noch dazu reiz- und geheimnisvoll. Eine ähnliche Akkord- 
kette fin det sich im Siegfried, während das Beispiel aus 
Tristan eine interessante chromatische Gegenbewegung mit 
Durchgangsakkorden aufweist bei der Stelle, wo Isolde, 
„dem furchtbarsten Ausbruch nahe, sich zusammenrafft“: 



Kehren wir zu den Molltonleitern zurück, die durch 
ihre Mannigfaltigkeit von 'größtem Interesse sind und 
neuerdings in der modernen Musik eine immer reichlichere 
Verwendung finden. Hat man früher bloß von zwei Ge- 
stalten der Molltonleiter, der „harmonischen“ und der 
„melodischen“, gesprochen, so ist dies heutzutage als eine 
armselige Beschränkung des Reichtums von Formen in 
dieser Tonleiter erkannt worden. (Mit der ausführlichen 
Darstellung und harmonischen Erklärung der Mollton- 
leitern hat sich Georg Capellen ein besonderes Verdienst 
erworben.) Wir beschränken uns auf die wichtigsten Ge- 
stalten der Molltonleiter mit Andeutung der zu der Tonart 
gehörigen Kadenzakkorde, die das geistige Ohr heraushört: 


i. „harmonische“ Moll-Tonleiter: 




EjfcsHpipJEl 


t=?=5= 

2. äolisches amoll: 






3. 4. dorische Tonleiter mit und ohne Leitton: 




Phrygisch a moll 


5. ohne 


6. mit Leitton: 




7. „Zigeunermoll“ : 




8. Dorisch mit Doppel-Leitton: 







Man beachte, daß No. 3 die bekannte „melodische“ 
Tonleiter im Aufstieg, No. 2 dieselbe in absteigender Linie 
gibt. Mischt man nach Art der „melodischen Tonleiter“ 
im Auf- und Abstieg bloß diese acht Gestalten der Moll- 
tonleiter, die sich durch einige weitere (z. B. bei No. 4 
und No. 7 mit b statt h) noch vermehren ließen, so er- 
hält man bereits 64 verschiedene Formen. Man sieht 
also, welche Ausdrucksmöglichkeiten mit diesen Tonleitern, 
die alle einen guten harmonischen Sinn haben, dem mo- 
dernen Komponisten zu Gebot stehen. Hiezu kommen 
dann noch die Molldurtypen: 


a) einfaches Molldur: 



349 


rrm 







Der (siebte) Leitton, an den sich unser Musikgefühl 
derartig gewöhnt hat, daß eine Schlußkadenz ohne ihn, 
also ohne Duroberdominante, fast immöglich scheint, wird 
neuerdings mit Vorliebe ganz oder teilweise umgangen, 
weil der Musikgeist immer wieder nach Neuem verlangt. 
Diesem Bedürfnis nach etwas ganz anderem kommen die 
alten Kirchentonarten, die zugleich auch mit gewissen 
exotischen Tonreihen zusammenfallen, glücklich entgegen. 
Auch der „Plagalschluß“ kommt wieder mehr in Gebrauch. 
Manche Komponisten vermeiden ängstlich den Durdomi- 
nantschluß als eine Trivialität: 


CI. Debussy: i 


Schluß: 





In diesem durchaus modernen, aber einfach gehaltenen 
Tonstück bewegt sich der Komponist mit Vorliebe in der 
phrygischen Tonart, daher auch der phrygische Schluß. 
— Im folgenden Beispiel, einem menuettartigen Sonatinen- 
satz von Maurice Ravel, sehen wir wieder einen inter- 
essanten Schluß (bei a und b) ohne Leitton: 



Statt mit dem Leitton der Oberdominante besteht die 
Neigung, mit der Unterdominante oder einem diese ver- 
tretenden Akkord (Plagalschluß) zu schließen. Im dritten 
Beispiel (l’isle joieuse) von Debussy begegnen wir der auch 
in der chinesischen Musik hie und da auftauchenden sechs- 
stufigen Tonleiter mit lauter ganzen Tönen, die übrigens 
mehr ein künstliches Gebilde und harmonisch schwer zu 
deuten ist. (Tonika wäre hier eigentlich der übermäßige 
Dreiklang a cis $ e.) Debussy harmonisiert sie mit Zu- 
hilfenahme zweier Hochquintklänge (g h dis und / a cis) 
und dem haften Akkordschritt G — A. Statt des Leit- 
tons gis der Dominante wählt er zum Schluß den Halb- 
tonschritt dis — e, also zur Quinte des Schlußakkords. 




350 











Die Tonleiter, die dem Schleiertanz in Salome zugrunde 
liegt, gibt sich als eine Abart der phrygischen Tonreihe 
mit Erhöhung des vierten Tons bald mit bald ohne Leit- 
ton (cf. oben No. 5 und 6), wobei das dis anfangs als es 
genommen wird. Das zweite Beispiel zeigt uns die 
phrygische Tonreihe : cis d e fis gis ais his mit Leitton und 
einem Durchgangston (fisis), wodurch eine achtstufige Ton- 
leiter (phrygisch mit chromatischer Beimischung) entsteht. 

Ein hervorragendes Ausdrucksmittel in der modernen 
Musik sind die Akkordmischungen. Wie der Maler 
nach Bedarf seine Farben mischt, so werden jetzt in der 
Musik nicht bloß die verschiedenen Töne zu Akkorden, 
sondern Akkorde mit Akkorden zu einem Zusammenklang 
verbunden, Akkordkoppelungen, die dem sinnlichen Ohr 
beim ersten Hören oft unmöglich scheinen, als die herb- 
sten Dissonanzen klingen, die aber das geistige Ohr, weil 
es zu trennen und zu unterscheiden versteht, mit Be- 
friedigung und Genuß aufnimmt. Akkordmischungen sind 
uns ja schon früher begegnet. Wir haben gesehen, wie 
schon ein scheinbarer Molldreiklang nichts anderes ist als 
die Verbindung von zwei Akkorden, z. B. a c e — C F 
(ebenso der Septakkord a c e g). Auch den „übermäßigen 
Dreiklang“ c e gis haben wir meistens als Doppelklang 
zu fassen (C + E). (Ich verweise hier auf die diesbezüg- 
lichen Ausführungen in dem ausgezeichneten Lehrbuch 
von Louis-Thuille, sowie auf Georg Capellen, dessen Lehre 
von den Doppelklängen in ihrer Bedeutung für die mo- 
derne Harmonik noch lange nicht ‘genug gewürdigt wor- 
den ist.) Besonders deutlich tritt die Doppelklangnatur 
bei den verschiedenen Nonakkorden zutag. Schon der 
große Nonakkord g h d f a, wiewohl er ein Oberton- 



Die drei Kadenzakkorde T (Tonika), 0 (Oberdominante), 
U (Unterdominante) lassen sich noch auf allerlei Weise 
mischen; z. B.: 1. T -(- 0, wobei die Oberdominante auch 
als Sept- oder Nonakkord sich der Tonika zugesellen kann; 
2. als U -j- T, ein zusammengesetzter, vielgebrauchter 
Akkord, der häufig über die Oberdominante nach der 
Tonika zurückführt. 


1. T + O 



gebilde, also im Grunde Naturakkord ist, wird doch mit 
Recht zugleich als eine Verbindung von G -+- F (0 -+- U) gefaßt. 

Grieg: 




:d j_ ij-= ig=i:.l 


-#■ 








Deutlich tritt dies zutag, wenn zur None noch die Un- 
dezime c hinzukommt. Bei Grieg haben wir den Un- 
dezimenakkord in dreifacher Gestalt: 1. als G + F, 

2. C + B, 3 . C + b moll. Bekannt ist, wie reichlich 
Wagner diesen Doppelakkord in Dur und Moll verwendet. 




In dem Beispiel von Schütt haben wir C -+- G 9 (T -f- 0) 
im zweiten Takt, 2. C 7 -j- T im vorletzten Akkord, und 
außerdem begegnet uns U + T noch als unvollständiger 
Nonakkord (der sogen. Mollseptakkord) mit Auslassung 
des Grundtons / als Vertreter der Tonika (vierter und 
achter Takt). Der erste Akkord des vierten Taktes, der 
sogen, große oder harte Septakkord, ist gleichfalls eine 
Akkordmischung, nämlich 7 + 0 . 



351 





In vielen Harmonielehrbüchern wird der Akkord e g h d 
einfach als Septakkord der dritten Stufe von Cdur oder 
der sechsten Stufe von Gdur aufgeführt. Damit ist er 
aber seinem Wesen nach nicht erkannt. Richtig ver- 
standen wird er erst, wenn er als Akkordmischung ge- 
faßt wird. Was hier bei Strauß als eine Mischung von 
e moll -j- G dur erscheint, ist vielmehr als C -f- G (U T) 
zu nehmen. (Fortsetzung folgt.) 


Joan Man6n. 

Biographische Skizze von EMIL HILB (Stuttgart). 

D as nordöstliche Spanien ist Katalonien, das ehemalige 
Fürstentum. Reich an Schönheit und Kultur, groß an 
Handel und Industrie, und bekannt wegen seiner Be- 
wohner, einer stolzen, arbeitsfreudigen und zielbewußten Rasse, 
bildet jenes Fleckchen Erde die landschaftliche, wie auch 
kultureüe Zierde der Pyrenäenhalbinsel. Mit besonders aus- 
geprägten Naturreizen begegnet uns Barcelona, die paradiesi- 
sche Hauptstadt der gleichnamigen Provinz, die Stadt, der 
mannigfaltigsten Kulturzweige, anregend durch ihre roman- 
tische Lage, bezaubernd durch ihre märchenhafte Schönheit. 
Eine rauhe Sprache, die in ihrem kernigen Klange gewisser 
Reize nicht entbehrt, ist die Sprache des Landes, die sich mehr 
an das Provenzalische, als an das Spanische anlehnt. 

In einer Stadt wie Barcelona mußte die Wiege eines Joan 
ManSn stehen, des modem-romantischen VoSblutmusikers 
Spaniens. Dort, wo sich die Stadt amphitheatralisch vom 
Meere abhebt, wo alte Schätze der Kunst sich zahllos anein- 
anderreihen, wo Bauten aus romantischen Zeiten von der 
Geschichte, Ruinen von entschwundener Pracht zeugen, dort, 
wo die Natur ihre Schönheiten hinterlegt hat, dort mußte der 
kleine Joan erzogen worden sein, der heute so deutlich jene 
erzieherischen Vorzüge in seiner Kunst widerspiegeln laßt. 

Das Todesjahr Wagners, 1883, zugleich auch Geburtsjahr 
Manens, fiel noch in jene Epoche, in der ein jeder Vater aus 
seinem musikalisch veranlagten Kinde ein Wunderkind, ein 
Phänomen machen zu können glaubte. Weniger die Kunst 
selbst, als der Glaube an sein geldbringendes Kind war es, 
der Joans Vater dazu bestimmte, ihn im vierten Jahre schon 
Klavierunterricht genießen zu lassen. Genießen! Vielmehr 
war es dem kleinen Joan eine Qual, auf den Klavierstuhl 
gefoltert zu werden. Trotz dieser Antipathie begriff er mit 
erstaunlicher Schnelligkeit, so daß ihm mit sieben Jahren 
keinerlei Literatur für das Pianoforte mehr fremd war. Ein 
inzwischen begonnenes, autodidaktisches Violinspiel hielt ihn 
vom eifrigen Klavierstudium ab, so daß sich sein Vater auf 
Anraten einiger Freunde veranlaßt sah, ihn vor die Alternative 
zu stellen: entweder Geige oder Klavier! Der kleine Joan 
entschloß sich für die Geige. Sein Lehrer sollte Ihar Gur ein, 
ein tüchtiger, wenn auch bis heute unbekannter Alard-Schüler, 
werden, der überdies auch Lehrer des großen Sarasate war. 
Der väterliche Ansporn ließ Joan neben Wege seines Lehrers 
noch eigene finden, die es ermöglichten, den jungen Geiger 
nach wenigen Studienjahren aut das Podium zu schicken. 
Manen war damals elf Jahre alt. Nun nach Amerika! Dort 
wollte man die günstige Konjunktur für Wunderkinder aus- 
nützen, um scheffelweise das Geld heimzubringen. Das ge- 
ringe Maß von Liebe zur Musik mag es gewesen sein, das ihm 
nicht die vom Vater erhofften Erfolge brachte. Das Talent 
hatte den Weg dazu gewiesen, das Genie jedoch hatte ihn 
wieder verrammelt. In dem jungen Musikanten steckte 
Geniales, das ihn instinktiv daran hinderte, sich zur Dutzend- 
ware momentan verblüffender Wunderkinder heranzubilden. 
Er sollte weit größer, weit künstlerischer werden. Nur jene 
lötzliche Lust und Freude, die ihm beim Lehren der musi- 
alischen Harmonie und des Kontrapunktes leuchtete, konnte 
ihm seine tatsächliche Begabung beweisen. Nun war er ganz 
der Musik zugetan. Kannte er nun doch das Gerippe der 
Musik, ihren Aufbau und ihre Seele, konnte er sich doch im 
Komponieren produzieren, sein „Alles der Musik“. 

Die Hoffnungen des Vaters trogen nicht, doch sollte er die 
künstlerische Hohe und das Wohlergehen seines Sohnes nicht 
mehr erleben. Wohl erlebte er noch die. großen, auf deutschem 
Boden errungenen ersten Erfolge seines 17jährigen Geigers 
in Berlin, wohl auch noch die Uraufführung von Manäns 
„Actä“ in Dresden, aber der große Klang des Namens Manän 
sollte ihm nicht mehr an das Ohr tönen, ihm, dem es seine 
Lebensaufgabe war, unter va banque-Spiel seines ganzen 
Vermögens, dem Sohne dazu zu verhelfen, was nun aus ihm 
geworden ist. 

Wie erwähnt, war es die Komposition, die Manän in hohem 
Maße fesselte, ohne daß er die Weiterbildung im Violinspiel 
darüber vergaß. Von Berlin aus begann sein Siegeszug durch 


die Großstädte aller Kontinente. Der Name Joan Manen 
wurde unter denen berühmter Geiger mit hoher Achtung ge- 
nannt, bis ihn die heutige Kritik zu den allerersten zahlte, 
ja ihn bisweilen als den König aller Geiger pries. Ab- 
gesehen von der fabelhaft spielenden Beherrschung sogen. 
„Griffbrettakrobatik“, ist Manen ein echter, wahrer Musiker, 
der ungeheuchelt die Empfindungen seiner katalonischen 
Musikematur aus der Geige quillen läßt, zum eigenen Berau- 
schen, wie zum Berauschen seiner Hörer. 

Der Geiger Manen war in Deutschland schon jahrelang ge- 
feiert, als man den Komponisten Manen noch nicht kannte. 
Das Verdienst, auch den Komponisten auf deutschem Boden 
vorgestellt zu haben, gebührt der Dresdner Hoftheaterinten- 
danz, die den Geiger Dei seinem dortigen Auftreten veran- 
laßte, sein in katalonischer Sprache bereits aufgeführtes Opem- 
werk „Actä“ zur Prüfung einzusenden. Alsbald erfolgte die 
Annahme, die eine Uebersetzung in die deutsche Sprache 
bedingte. Nach einer Verdeutschung von Schultz-Hencke ging 
die Oper im Januar 1908 im Dresdner Hoftheater unter 
großem Beifall in Szene, der selbst durch die Indisposition 
einiger Sangeskräfte nicht getrübt wurde. Trotz der allseitig 
guten Aufnahme währte es einige Jahre, bis das inzwischen 
bei Kranz in Berlin erschienene Werk von Opemdirektor Lohse 
für Köln erworben wurde. Unter seinem Stabe wuchs sich 
das Jugend werk Manäns zu einer ausgereiften, in allen Re- 
gistern interessanten Oper aus, die Lohse, in Verehrung zu 
ihr, für Leipzig erwarb, dem jetzigen Wirkungsorte des großen 
Dirigenten. 

Am 3. Februar erlebte die Oper ihre Leipziger Aufführung. 
Unter Lohses sicherem Stab und Dr. Lerts überaus feinfühliger 
Inszenierungskunst hatte ich Gelegenheit, die nuancenreiche 
Kunst eines Manän zu bestaunen. Wenn auch einige wenige 
Male der Schatten Meyerbeers, ja auch Richard Wagners über 
die Partitur huscht, so ist es doch im großen ganzen eine 
eigene, urgesunde Sprache, die Manän anschlägt. Musikalisch 
feinfühlig mit einer gewissen, imponierenden Nervosität läßt 
er sein Orchester singen, frei von allen kompositioneilen Un- 
manieren, melodisch bestrickend, rhythmisch zündend. Kom- 
positionsteile wie das Ballett, der Aufmarsch der Wachen, 
oder gar seines Vorspiels zum dritten Akt, des symphonischen 
Souvenirs an die gehörten Akte, sind wohltuende Inter- 
mezzi. Die Orchesterfarben schienen mir allerdings zeitweils 
etwas dick aufgetragen, doch mag das mir nur deshalb auf- 

f efallen sein, weil mir das viel zu hoch liegende Orchester 
es Leipziger Theaters ungewohnt vor kam. Auch in Leipzig 
setzte jener große Erfolg ein, der dem textlich frei nach der 
Nero- Actäschen Liebesgeschichte, aus der Hand des Dichter- 
komponisten geschriebenen Werke seine Runde an deutschen 
Theatern sichert. 

Manän arbeitet zurzeit an einer „symphonischen“ Oper in 
drei Teilen: „Der Weg zur Sonne“, deren Partitur einer bal- 
digen Vollendung entgegensehen kann. Den in „Actä“ bereits 
talweise angewandten, symphonischen Stil will Manen in 
seinem neuen Werke strikte durchführen. 

Im Laufe der letzten Jahre haben sich die Manenschen 
Konzertkompositionen im deutschen Konzertsaale eingeführt. 
Ein musikalisch erhebendes Denkmal setzte er seinem Heimat- 
lande mit seiner Symphonie „Catalonien“. Eine Jugend- 
symphonie („Juventus“), ein Violinkonzert, ein Fackeltanz, 
Chöre, Lieder u. a. m. halfen ihm den „Weg zur Sonne“ bahnen. 

Die Zeit möge es nun weiter lehren, daß nicht blinde 
Verehrung aus meinen Worten spricht, sondern Verehrung 
für einen großen, universal gebildeten Künstler, der als Mensch 
bescheiden und schlicht unter anderen Menschen lebt und 
nicht mehr sein will, als der andere auch; der mit Arbeit und 
Ausdauer in seinem Berufe erreichen will, was er zu erreichen 
vermag. 


Strindberg und die Musik. 

Von L. H. SCHÜTZ (Dresden). 

N och sind die Akten über den Dichter Strindberg 
nicht geschlossen, noch wogen die Meinungen von Pol 
zu Gegenpol. Und doch mehren sich die Stimmen, die 
von dem Zauber jener gewaltigen Persönlichkeit gepackt, ihm 
als der eigenartigsten Erscheinung der jüngsten literarischen 
Vergangenheit den ersten Platz zusprechen. Für sein Volk 
der große Sprachmeister, der bewies, daß auch die scheinbar 
dürre, knorrige Sprache Skandinaviens metrischer und laut- 
malerischer Schönheiten fähig ist, für die gebildete Welt der 
Dramatiker einer auf seelischen und sozialen Problemen ruhen- 
den Tragik, war Strindberg für seine Person der unerbittliche 
Richter über Denken und Handeln, der das Fazit der Jugend- 
torheiten und der Irrungen des Mannes zieht, indem er sich 
imbarmherzig der Welt in seinen autobiographischen Schriften 


352 


„Sohn einer Magd“, „Entwicklung einer Seele“, „Beichte eines 
Toren“, „Inferno“ und „Einsam“ enthüllt. Sein geistiger Ent- 
wicklungsgang verläuft aus dem durch Brandes eingeführten 
Naturalismus der Zolaisten heraus auf dem Umwege über 
einen durch Nietzsche beeinflußten Individualismus in sweden- 
borgschem Mystizismus. 

Der junge Strindberg — der extreme Wahrheitsucher, der 
„mit der Faust an die Sterne rührt“ ; der alternde Dichter • — 
der resignierende Mystiker, dem die Bibel die Quintessenz alles 
Forschens birgt. 

Für die Zeitgenossen und besonders für die ihm nahestehen- 
den Freunde und Fami lienglieder mag der Dichter desjRätsel- 
haften viel gezeigt haben, Grund genug, seine Eigenart als 
pathologisch zu beurteilen und seine Werke danach zu be- 
werten.. 

Uns, den Nachkommen, ist eine andere Möglichkeit er- 
schlossen: wir stehen staunend diesem vulkanischen Geiste 
gegenüber, der in alle Tiefen der Erkenntnis zu tauchen sich 
erkühnte, um ebenso alle Höhen der Kunst zu erklimmen. 
Kein Gebiet geistiger Tätigkeit, 
das sein forschendes Auge nicht 
prüfend angeschaut, keine Falte 
des menschlichen Herzens, in die 
der Blitz der Kritik nicht ge- 
leuchtet hätte. 

Angesichts der Bedeutung einer 
solchen Persönlichkeit wie Strind- 
berg, die noch ständig gewinnt, 
ist es von Interesse zu erfahren, 
welche Beziehung zur Musik der 
Dichter gehabt, welche Stellung 
er dazu genommen hat. Musi- 
kalische Fähigkeiten hat Strind- 
berg nachweislich besessen; will 
man der Vererbungstheorie fol- 
gen, so muß erwähnt werden, 
daß künstlerische Neigungen im 
allgemeinen von seinem Groß- 
vater Zacharias Strindberg (1758 
bis 1829), musikalische beson- 
ders vom Vater, dem Dampf- 
schiffspediteur Oskar Strindberg, 
berichtet werden. Im „Sohn 
einer Magd“ erzählt der 
Dichter von seinem Vater: „Er 
hatte eine Wunde, die er ver- 
bergen und heilen wollte *. Sein 
Vergnügen war ein Piano. Die 
eine Tochter der Schwester kam 
jeden zweiten Abend, und dann 
wurden Haydns Symphonien 
vierhändig gespielt. Nie etwas 
anderes. Später auch Mozart. 

Nie etwas Modernes.“ Eigen- 
artig berührt die Wahrnehmung, 
daß die nationale Musik 
Schwedens in dieser Bürger- 
familie, die wohl den Durchschnitt 
verkörperte, so wenig Achtung 
genoß. Wir erfahren zwar später 
aus derselben Quelle, wie ein älte- 
rer Freund des Vaters, der „Rendant“, neue Luft ins Haus 
bringt und die Trugbilder der Trauer verdunsteten : „Er war ein 
Spaßmacher ersten Ranges; dazu spielte er Geige, Gitarre und 
sang Bellmann." Aber die Musik dieses großen schwedischen 
„Nationalskalden“ K. M. BeUmann (1740-95) war zum kleinsten 
Teile eigenes Gut, die Mehrzahl der seinen Dichtungen unter- 
legten Melodien waren französischen, italienischen, deutschen 
Modeopem entnommen und bewerten sich etwa nach heutigem 
Kunstmaß als „Gassenhauer“. Die gleiche Schätzung hatte 
Strindberg als Jüngling vollzogen; denn auch die Studenten 
vertrieben sich die Weile durch Bellmannsche Melodien auf 
der Flöte mit Begleitung der Gitarre, die Strindberg in Upsala 
spielen gelernt hatte. „Man musiziert. Johann (Strindberg) 
singt zur Gitarre bald romantische Volkslieder mit weiner- 
lichem Vortrag, bald unanständige.“ Auf dem Heimwege er- 
hitzen sich die Gemüter wegen Bellmann. Strindberg hatte 
einen alten Groll auf diese nationale Berühmtheit. Während 
einer wochenlangen Krankheit über „Fredmans Episteln“ von 
Bellmann geraten, findet er das Buch verrückt. Vater und 
Oheim sind davon begeistert, ja letzterer stellt Be Um a nn über 
aUes, über Bibel, über Predigten! Es sei Tiefe dann. Stnnd- 
berg klärt uns dahin auf: „Wahrscheinlich war Atterboms 
romantische Parteikritik durch die Zeitungen durchgesickert. 
— Ljunggren und Eichhorn kamen dann als Forscher und 
mußten (!) noch mehr Schönheit und Geist als Atterbom 
finden. Dann übernahm die Geistlichkeit den Kultus und 



JO AN 

Nach einem Gemälde 


1 Die Zurücksetzung infolge seiner nicht standesgemäßen Ehe. 
ä Erster kritischer Untersucher der BeUmannschen Dich- 
ung (1812). 


damit war der Gott fertig.“ Strindberg faßt sein Urteil 
über den „Anakreon Schwedens“ (Niedner 1905, Berlin) in 
dem Satze zusammen: „Darum ist BeUmann der Dichter für 
Grogonkels und der Stammvater des garstigen alten Jung- 
gesellen Konjander.“ 

Als die Vermögenslage des elterlichen Hauses sich wieder 
hob, fand Literatur und Kunst mehr Eingang in die Familie. 
In des Vaters Bibliothek entdeckt der Wißbegierige Oulibicheffs 
„Mozart“, über dem Klavier hingen Bilder aller großen Kompo- 
nisten. Der Vater war Mitglied des „Vereins für nordische 
Kunst“, liebte, wie schon erwähnt, Musik, spielte Klavier und 
etwas Cello. Die erwachsenen Söhne und die älteste Tochter 
veranstalteten jetzt Geigenquartette, und zwar nur von Haydn, 
Mozart und Beethoven. Der Dichter selbst war nur Zuhörer 
dabei. „Er hörte so oft Tonleiter und Uebungen auf Klavier, 
Geige und Cello, daß er’s nicht mehr aushalten konnte: Die 
Musik wurde ihm, was die Kirchenglocken gewesen *. Er 
wollte spielen können, aber er wollte nicht die Tonleiter durch- 
machen. Er nahm insgeheim Noten und spielte sofort die 

Stücke. Es war schlecht, aber 
er hatte Vergnügen daran. Um 
sich zu entschädigen, unterrich- 
tete er sich bei allem, was die 
Geschwister spielten, über Kom- 
ponist und Werk, um ihnen in 
der Kenntnis der Musikliteratur 
überlegen zu sein.“ 

Spielten die Geschwister Quar- 
tette, so folgte er gespannt der 
Vorführung; „er war nie zufrie- 
den mit der Ausführung. Er 
spürte die Lust, aufzuspringen 
und ihnen die Instrumente fort- 
zunehmen, um ihnen zu zeigen, 
wie es sein mußte“. Zum Ein- 
üben seiner Singstimme (er sang 
fleißig Quartette) benutzte er das 
Cello, obgleich er nie Bescheid 
hätte geben können, wie die Sai- 
ten hießen. Doch wagte er sich 
als Student auf Zureden eines 
Tenorposaune blasenden Studien- 
genossen an das B-Kornett, um 
im Sextett der Landsmannschaft 
mittun zu können. Aber — „die 
Uebungen wurden unregelmäßig 
abgehalten und stifteten Zwie- 
tracht im Hause“., Zu tech- 
nischer Fertigkeit gelangte er auf 
keinem der erwähnten Instru- 
mente, wenngleich er von Zeit 
zu Zeit regelmäßiger spielte und 
übte ; dagegen hatte er zeitlebens 
Verkehr mit musikalischen Leu- 
ten, Dilettanten und Künstlern. 
Mit diesen unterhielt er sich über 
Kunst und Literatur; ein gesel- 
liger Kreis sammelte sich in der 
Familie eines jüdischen Arztes, 
dessen Knaben er in seiner Volks- 
schullehrerperiode unterrichtete; 
da sang der berühmte Tenor W., während Professor M. ihn 
begleitete; da spielte und sang der Komponist J . ; hier war 
Gefühlsleben in reichem, aber künstlerischem Maß. 

In jener Zeit flutete ein reicher Strom geistiger Anregungen 
von Norw egen nach Schweden herüber: „Björnson und Ibsen 
brachen in Schweden ein; Tidemand und Gude waren Sieger 
in der Kunstausstellung von 1866; Kjerulf und Nordraak 
beherrschten Lied und Klavier.“ Strindberg wirft der nor- 
wegischen Kunst Mangel an Freude vor, eine nationale 
Eigentümlichkeit, die sich der romanisierte und heitere Schwede 
nur zum Nachteil hat aufpflanzen. lassen: „darum klingt die 
moderne schwedische Musik so unharmonisch, als ein Nach- 
klang der Geige von Hardanger, die von Grieg neu gestimmt 
ist.“ 

Das Liebäugeln, mit französischem Wesen kennzeichnet den 
Schweden in Strindberg. So verstehen wir auch seine 
Begeisterung für Halävy und Offenbach, die er besonders 
betreffs des letzteren auf fünf Seiten seiner Autobiographie 
(„Sohn einer Magd“) zum Ausdruck bringt. Er schreibt u. a.: 
„Der Jüngling von 1865, — dessen Ohren von Glockenläuten 
und Kirchenliedern gepeinigt worden, kommt in den festlich 
erleuchteten Zuschauerraum, hört eine Musik, die ursprünglich 
ist, etwas Gemüt hat, denn Offenbach war germanisiert, lieder- 
reich, mutwillig. Schon die Ouvertüre bringt ihn zum Lächeln.“ 
Strindberg stellt rückschauend die Offenbachsche Operette 
als Symptom vom Ende einer Kulterperiode auf gleiche Linie 
mit den Komödien. des Aristophanes. Der Jüngling vermochte 

1 Als infolge des Todes des Königs Oskar I. täglich lange 
geläutet wurde, „schienen ihn die Kirchenglocken zu verfolgen“. 


MANÖN. 

von Ferdinand Herwig. 


353 



zunächst keinen rechten Standpunkt zu finden, von dem aus 
er seine zwischen moderner und veralteter ästhetischer Lehre 
hin- und hergezerrten Gefühle zu bestimmter Ansicht festigen 
konnte; denn auch den Betrieb des Unterrichts jener Tage 
infizierte die „Offenbachitis“, die wie ein Taumel das Frank- 
reich Napoleons III. gepackt hatte: der Lateinlehrer zitiert 
aus der „Schönen Helena“, die er als Bildungskoeffizienten 
schätzte, der Literaturprofessor, etwas pietistisch veranlagt, 
hüllte sich in die ästhetische Toga und sprach von schlechtem 
Geschmack. In Schweden, wie ja auch bei uns, wurde man 
der in Offenbachs parodistischen Götterfesten verborgenen 
politischen Satire des „Second empire“ nicht gewahr, sondern 
ergötzte sich daran in dem Gedanken an persiflierte Antike. 
Offenbach war ein durchaus bodenständiges Gewächs und 
seine Uebertragung ins deutsche oder schwedische Idiom wan- 
delte den eleganten Witz des Franzosen in Zote. 

Strindberg sagt selbst: „Der Schwede war mehr Franzose 
geworden, als er wußte.“ In den Konzertgärten hörte man 
daher zur Zeit des deutsch-französischen Krieges häufig die 
Marseillaise; das hinderte nicht, daß die schwedische „Nachti- 
gall“ Christine Nilsson ihre kurze und glänzende Laufbahn 
gerade in Paris damit schließen mußte, daß man sich weigerte, 
sie wieder zu engagieren und die Zeitungen die unpopulär 
gewordene Künstlerin mit Grobheiten bedachten. 

Während im „Sohn einer Magd“ der äußere Gang der Er- 
eignisse den Faden der Erzählung spinnt, sucht Strindberg 
in dem zeitlich parallel liegenden Bande „Entwicklung einer 
Seele“ sein Inneres zu analysieren. Von musikalischen Ein- 
drücken ist da nur vereinzelt die Rede. 

Ueber Kunst im allgemeinen kommt er damals zu dem für 
einen Jüngling recht unerwarteten Urteil: „Außerdem zeigte 
sich schon mer, wie er dunkel ahnte, daß die Kunst nur geringe 
Bedeutung habe und sehr überschätzt wurde.“ 

Zu seinem Verkehr zählte eine Gesellschaft von jungen 
Kaufleuten, die alle eifrige und begabte Dilettanten waren. 
„ — wieviel Talent diese Menschen besaßen ! Ein Buchhalter 
spielte virtuos die Geige, kannte die ganze Musikliteratur. 
Ein anderer spielte geradezu genial Klavier, ohne es studiert 
zu haben. — Hinzuzufügen ist, daß alle diese jungen Leute 
von Israels wachem und begabtem Stamme waren, denn ein 
so lebhafter Esprit fehlt dem Schweden, der auch ein schlechter 
Redner ist.“ Daß die Musikübung bei diesen Zusammen- 
künften einer strengeren Kritik kaum standgehalten, räumt 
Strindberg Weiterhin selbst ein: „und, was schlimmer war, 
man machte Jubelouvertüren aus freier Hand für Piano und 
Saiteninstrumente“ . 

Strindbergs Verhältnis zur Musik beschränkte sich auch hier 
aufs Hören, wobei es auch in seinem späteren Leben, wenn 
man von gesanglicher Betätigung (Duette von G. Wennerberg, 
1817 — 1901) und vereinzeltem Klavierspiel (vierhändig eine 
Fantasie in: „Beichte eines Toren“) absieht, bewendete. 

Zu mannigfacher Berührung mit Musik brachte ihn die 
Beteiligung an der Abfassung der Heimatgeschichte „A 1 1 - 
S t o ck hol m“; er verfaßte darin u. a. die Kapitel „Straßen- 
musik und Volksbelustigungen“. Auch hörte er eine Zeitlang 
Vorlesungen an der Musikakademie, freilich mehr in der Ab- 
sicht, bei dieser Gelegenheit mit seiner Braut zusammen- 
zutreffen. Musikalische Eindrücke der verschiedensten Art, 
die seinem Gehör sich einprägten, hat Strindberg in seinen 
autobiographischen Schriften, besonders aber auch in den 
dichterischen Werken aufgezeichnet und verwebt. Wir er- 
fahren, daß die Klänge des Marsches aus „Faust“ den Königl. 
Bibliothekar Strindberg seine Bücher vergessen lassen, daß 
das Lieblingsstück der Baronin, der Trauermarsch von Chopin, 
von der aufziehenden Garde ihr unter den Fenstern dargebracht 
wird. Finnländische Lieder, gesungen von der metallisch 
klingenden Stimme einer jungen Musikstudentin klingen ihm 
noch lange nach. 

Das Mannesalter Strindbergs ist erfüllt von einem reichen 
literarischen Schaffen. Von .^Meister Olof“ bis zum „Scheiter- 
haufen“, von „Heiraten“ zu den „Schwedischen Miniaturen“, 
vom „Roten Zimmer“ bis zu den „Schwarzen Fahnen“ eine 
Fülle von Gesichten in Dramen, Novellen, Romanen! Und 
fast in allen ist die Musik — sei es als geselliges, sei es als 
mystisches, stimmungleihendes Moment — vertreten; da ge- 
rade bei Strindberg mehr als bei sonst einem Autoren, fast 
alle Werke eigne Erlebnisse und Bekenntnisse formen und 
enthalten, so sind auch in ihnen für seine Stellung und Be- 
ziehung zur Musik wichtige Anhaltspunkte gegeben. 

In dem ersten, aufsehenerregenden Roman „Das rote Zim- 
mer“, 1879 erschienen, führt der Dichter das Literaten- und 
Künstlerleben jener Tage vor. „Berns Salon“, auch heute 
noch das meist besuchte Vergnügungslokal der nordischen 
Königsstadt, fing an, eine Art kulturhistorische Rolle im Leben 
der Stadt zu spielen. Des Wirtes Bemühungen, sein Publikum 
durch Pantomime, Turnkunst, Ballett u. dergl. zu amüsieren, 
scheiterten, man wollte sich unterhalten; und „da die Musik 
beim Gespräch nicht störte ( !), es eher in Fluß brachte, wurde 
sie geduldet und allmählich neben Punsch und Tabak ein 
Bestandteil der Stockholmer Abenddiät“. Wir erfahren auch, 
welche Art Musik dem Publikum vorgesetzt wurde: „Hör’ 

354 


uns Schweden“, „Eine feste Burg ist unser Gott“, „Hochzeits- 
marsch aus dem Sommemachtstraum“ zu Anfang, je weiter 
der Abend vorschritt, desto lebhafter wurde die Musik und — 
die Gespräche ebenfalls. Also ganz der Durchschnitt der all- 
gemein üblichen Bierkonzerte: ein bißchen Sentimentalität, 
etwas Patriotismus, dann klassisch, um schließlich im Sumpfe 
der banalsten Tanzmusik zu versinken. Auch das musikalische 
Leben der Gasse wird illustriert: „Die Uhr schlug elf in der 
deutschen Kirche, und das Glockenspiel begann: ,Hier ist ’s 
gut sein' und .Mein Leben eine Welle'; wie von der gleichen 
Idee ergriffen, begann ein italienischer Leierkasten mit obli- 
gater Flötenstimme ,An der schönen blauen Donau' herunter- 
zuleiem. Soviel Musik auf einmal brachte neues Leben in 
den Blechschmied, der mit verdoppeltem Eifer sein Blech 
vomahm.“ Die Geheimnisse der Redaktion eines Lokalblattes 
minderen Grades werden uns enthüllt; insbesondere interessiert 
die Entstehung der Kritik über ein Kirchenkonzert. Der 
„Lange“ übernimmt diese Arbeit, natürlich „in absentia“, 
kennt kaum den Namen des Sängers, dessen Urteil er fällen 
soll, erkundigt sich auch vorsichtig, wie stabat mater buch- 
stabiert wird ! Schließlich reicht ihm der dicke Redakteur 
den rettenden Strohhalm in Gestalt eines Programms mit 
anhängender Rezension (Waschzettel!). So etwas kommt bei 
uns natürlich nicht vor. (Oder sollte — ?!) 

Auch in den von hyperprüden Kritikern einst verfehmten zwölf 
Ehegeschichten „Heiraten“ (1884), die den Dichter sogar in 
einen Prozeß verwickelten, finden wir die Musik als Faktor 
des heutigen Gesellschaftslebens dokumentiert. Die sommer- 
lichen Dampferfahrten mit der Militärmusik, die „Norrköpings 
Schützenmarsch“ und „ Jäger chor aus dem Freischütz“ Dläst 
und mit diesen Klängen die Mittagssiesta des Herrn Blom stört, 
die Baronin, die ihren Kindern und Dienstboten „alte, weh- 
mütige Tänze, über die sich der Nordländer freut,“ am Flügel 
vorspielt, das alternde Ehepaar in „Herbst“, welches beim 
Klange des Brautzeitliedes ,/Wie mag das Land wohl heißen, 
in dem mein Liebster wohnt“ sich wehmütig vergangener Tage 
erinnert, sind vereinzelte Beispiele dafür. Strindberg rankt 
aber auch eine der Geschichten an einem musikalischen Thema 
auf: „Romeo und Julia“. Auch wieder sind es Erinnerungen, 
die beim Klange der Musik aufleben sollen. Der Ehemann 
hat „Romeo und Julia“ für Klavier vierhändig mitgebracht, 
Gounods schönste Komposition. Es sind zwanzig Jahre her, 
daß er die Oper zum erstenmal hörte *. Er entsinnt sich noch, 
wie er und seine Freunde Fritz und Philipp, nachdem sie 
vorher schon Gounods „Faust“ genossen hatten, von der Musik 
ganz hingerissen waren. Aber vergeblich sucht das Ohr das 
prächtige Marziale, die Mondscheinarie des 4. Akts, den herr- 
lichen Prolog mit Harfenbegleitung. Schal, langweilig macht 
die Begleitung: Tram — tramtram, während die Melodie wie 
aus dem Leierkasten klingt. Schließlich verzichtet der Mann 
auf die Fortsetzung, indem er kleinlaut sich wundert, daß 
Gounod so schnell veraltet ist. Und nun fühlen sich beide 
selbst auch gealtert, Runzeln, graue Schläfen werden bemerkt : 
„Und wie schauerlich ist es, zu fühlen, daß man alt geworden 
ist.“ Doch den Mann läßt die Erinnerung nicht los, er trällert 
leise die Melodie des Chores, die er vorher vergeblich suchte 
— das Rätsel löst sich: die gespielten Noten enthalten nicht 
Gounods klangvolle Musik, der Titel nennt als Komponisten 
Bellini, von dem ein gleichnamiges Werk herrührt. Auch in 
dieser kleinen Episode die Vorliebe Strindbergs für die f r a n - 
zösische Musik. 

Damit haben wir zugleich den Schlüssel in der Hand, um 
Strindbergs ablehnende Haltung der Person pnd dem Schaffen 
Richard Wagners gegenüber zum Teil zu enträtseln. Von 
Anfang seiner Bekanntschaft mit der Musik dieses Meisters 
bis in die späten Jahre der beiden „Blaubücher“ und der 
„Schwarzen Fahnen“ ergeht sich Strindberg in Aeußerungen 
schroffster Absage, ja des unbegreiflichsten Hasses über Wag- 
ner und seine Musik. In den „Schwarzen Fahnen“ (1904) 
spricht der Literat Kilo: „Handelt es sich dagegen um den 
Wert z. B. der Wagnerschen Musik, so kann man von An- 
sichten sprechen, denn hier liegt eine zusammengesetzte 
Tatsache vor. Zuerst ist die Vorfrage zu stellen: welche 
Musik Wagners ist gemeint ? Der „Fliegende Holländer“ ist 
schöne Musik, aber das ist noch nicht Wagners eigene, denn 
in der folgt er Meyer beer. „Lohengrin“ ist langweilig und 
armselig, denn das Schwanenmotiv, das 5 Takte schön ist. 
wird so oft wiederholt, daß man die Verlegenheit des Kompo- 
nisten fühlt. Das Leitmotiv ist nicht neu, denn der 
Gouverneur im „Don Juan“ hat schon sein Leitmotiv, das 
ihn charakterisiert. Die „Meistersinger“ sind häßlich, all- 
täglich, lächerlich, sind Epigonenmusik; aber das Stück 
wird getragen von Hans Sachsens volkstümlicher Persönlich- 
keit, vom Pathos der Opposition gegen das Veraltete, das 
herrschen und drücken will. Hier tritt der Text in den Vorder- 
grund und wirkt mit dem Stoff; abgesehen davon, daß die 
Wagnerianer eine Verherrlichung ihres Meisters und eine Ver- 
höhnung seiner Widersacher darin sehen.“ Es folgen dann 
die aus dem Lexikon Wilh. Tapperts genugsam bekannten 


1 1867 Erstaufführung. 



Termini: „Roheit und Geschmacklosigkeit“ (bezüglich der 
Instrumentation), „Kriegsmusik auf dem Exerzierolatze“ . 
Dann spukt auch wieder einmal die Erinnerung an Ounbicheff 
herein: „Wagner stellt Töne .gegen die Natur' zusammen, 
darum wirkt seine Musik auf ein unverdorbenes Gemüt un- 
heimlich, naturwidrig, ungesund, störend. Und dieses Zu- 
sammenwerfen feinducher Töne scheint oft aufs Geratewohl 
geschehen zu sein, aus Bosheit, aus Uebermut, aus Herrsch- 
sucht, aus Mangel an Geschmack, an Schönheitssinn. Mit 
einem Wort, es scheint von einem unmusikalischen Kapell- 
meister komponiert zu sein, der eigne Musik dirigieren will.“ 
In den „Blaubüchem I und II“ kommt dieselbe Ansicht, nur 
anders geformt, zum Ausdruck. Wir erblicken hier wieder 
einmal das betrübende Bild, daß ein unbestreitbar großer 
Geist einem andern ohne die geringste „Einfühlung“ entgegen- 
tritt. Will man den Einfluß Nietesches zum Teil mit neran- 
ziehen, so bleibt doch noch ein gut Stück des Problems dunkel. 

Dagegen Strindbergs Verehrung und Vorliebe für Beethoven. 
Wenngleich er den Mann selbst einen grämlichen Alten nennt, 
der „aus Furcht vor Störung und vielleicht aus Eifersucht 
für seine eigene Kunst sich nicht verheiraten wollte, obwohl 
er gute Gelegenheit hatte“, nennt er ihn doch wiederum den 
Größten“, der das ganze Leben gelitten hatte (vergl. „Ein- 
sam“) und seine Impressionen aus Beethovens Sonaten zeigen, 
daß er sich in die Welt dieses Meisters zu versetzen wußte. 
„Ich fing an, in meinem Ohre den letzten Satz der Mondschein- 
sonate zum Leben zu erwecken, die für mich der höchste 
Ausdruck des Seufzens der Menschheit nach Befreiung ge- 
worden ist; kein Gedicht in Worten hat sie je erreichen können ! 

Die Dämmerung war gekommen. ... Da hörte ich, deutlich 
scharf, als geschähe es im Zimmer nebenan, das gewaltige 
Allegro der Mondscheinsonate sich wie ein Riesenfresko auf- 
rollen; ich sah und hörte auf einmal . . . .“ 

Zu den Stücken, die ihm ein neuropathischer Zustand , ins 
Gehör halluziniert,. gehört auch „Aufschwung“ von Schumann. 
Er hört seinen einstigen Schüler, einen Russen, spielen. „Un- 
sichtbar spielt er hinter der grünen Mauer und seine magischen 
Harmonien steigen über ihre blühenden Ranken empor, als 
schwebten Falter der Sonne zu“ (vergl. „Inferno“). In diesen 
Worten lernen wir zugleich den Mystiker Strindberg kennen; 
in Swedenborgs eigenartig dunklen Schriften hatte er seinem 
unersättlichen Erkenntnisdrange neue Quellen zu erschließen 

f esucht, mit der Gefahr freilich, gänzlich in seelischer Erkran- 
ung zu enden. Der Mystiker spricht sich aus in der Ent- 
deckung geheimnisvoller Zusammenhänge zwischen toter Ma- 
terie und seelischer Regung. So schreibt er über das Klang- 
wesen der Geige: „Nicht das Alter des Holzes oder die 

Konstruktion macht die Geige; sie muß Jahrhunderte hin- 
durch an einem menschlichen Brustkorb, an einem Kehlkopf 
geruht haben, von einem Arm getragen, von einer Hand 
geliebkost sein. Sie muß Geiger mit erzogen haben, von der 
ersten beweinten (!) Tonleiter der Kindheit bis zu den vor 
offenem Vorhänge beklatschten Triumphen des Künstlers.“ 
Und der „Magier“ Wagner gewinnt für den „Alchimisten“ 
Strindberg verhängnisvolle Bedeutung; er schreibt darüber 
in seinem Tagebuche 1897, 3. Mai: „Beim Lesen von Wagners 
.Rheingold' entdecke ich einen großen Dichter und begreife, 
warum ich das Große an diesem Musiker nicht begriffen habe, 
dessen Musik allein Begleitung zu seinen Textworten ist. 
Uebrigens ist .Rheingolcr für meine Rechnung geschrieben: 

Woglinde : Weißt du denn nicht. 

Wem nur allein 

Das Gold zu schmieden vergönnt ? 

Wellgunde : Nur wer der Minne Macht entsagt, 
nur wer der Liebe Lust verjagt, 
nur der erzielt sich den Zauber, 
zum Reif zu zwingen das Gold. 

Woglinde : Wohl sicher sind wir und sorgenfrei, 
denn was nur lebt will lieben, 
meiden will keiner die Minne. 

Wellgunde : Am wenigsten er, der lüsterne Alp 


Alberich : entreiße dem Riff das Gold, 

schmiede den rächenden Ring; 
denn hör’ es die Flut: 
so verfluch’ ich die Liebe!“ 

Als die Nebel der Mystik sich allmählich wieder lichteten, 
hält Strindberg Revue über die Arbeit seines Lebens. Er 
schreibt seine „Blaubücher“ und „Buch der Liebe“, worin 
noch einmal der ganze Strindberg in seinem Haß und seiner 
Liebe, seiner Erkenntnis und seinem Irrtum, aber auch mit 
der an die altchristlichen Märtyrer oder die Blutzeugen der 
Denkfreiheit wie Giordano. Bruno gemahnenden Ueberzeu- 
gungs treue, die sich nicht durch Autorität noch Masse, nicht 
durch Ehre noch Gewalt wankend machen läßt, vor uns steht: 
hart wie Felsen und doch weich wie ein Kindergemüt. 


Parsifal im Prinzregententheater 
in München. 

N un ist auch das letzte Werk Richard Wagners in München 
erklungen, in der Stadt, die mit des Meisters Leben und 
Schaffen so vielfach verknüpft war. Am 22. Mai 1914, dem 
101. Geburtstage Richard Wagners, wurde das Bühnenweih- 
festspiel Parsifal im Prinzregententheater zum ersten Male 
aufgeführt. Oder besser gesagt, für die Oeffentlichkeit auf- 

f e führt, denn bereits in den Jahren 1884 und 1885 hatte sich 
lönig Ludwig II. in acht Separataufführungen, für die der . 
Zutritt des Publikums aufgehoben war, in seinem Hoftheater 
das Werk vorführen lassen. Heute steigen nun aufs neue in 
der Erinnerung unwillkürlich wieder die großen Zeiten auf, in 
denen der Meister hier gelebt und gelitten und weitgesteckte 
künstlerische Pläne unter dem Schutze des Königs verwirk- 
lichen wollte, Wie ihm dies gelang, ist hinreichend bekannt. 
Eis waren lediglich vier hervorragende Aufführungen seines 
Tristan, der am 10. Juni 1863 nach mancherlei Schwierig- 
keiten am Münchener Hoftlieater seine Uraufführung erlebte. 

Alle übrigen Intentionen des Meisters von weittragender 
Bedeutung mußten jedoch unter dem Drucke einer einfluß- 
reichen Kamarilla aufgegeben werden. Die erwähnten Tristan- 
Aufführungen sind als die erstenFestspiele anzusehen. 
Bei der Böswilligkeit der leitenden Kreise von damals, bei 
der Kurzsichtigkeit des größten Teiles des Publikums, das 
aus allen möglichen Gründen gegen den Meister vorein- 
genommen war, wurde diesem schließlich der Aufenthalt in 
der bayrischen Residenz verleidet. In der Sonntagsfrühe 
des 10. Dezember 1865, also genau ein halbes Jahr nach der 
ersten Tristan-Aufführung, verließ Wagner München, um es 
zu dauerndem Aufenthalte nie mehr zu betreten und die 
Errichtung seines Theaters, das ursprünglich für die bayrische 
Hauptstadt bestimmt war, blieb in weite Feme gerückt. 

Am 22. Mai 1872 konnte Richard Wagner den Grundstein 
zu dem Baue in dem oberfränkischen Städtchen Bayreuth 
legen. Was aber München durch den Verlust dieses Theaters 
an ideellen und materiellen Werten damals eingebüßt, ist un- 
ermeßlich und konnte auch durch die Errichtung des Prinz- 
regententheaters 1901, das vor allem aus spekulativen Gründen 
geDaut wrurde, nicht mehr gut gemacht werden. Nimmermehr 
ist das jetzige Haus als vollgültiger Ersatz anzusehen für das 
Denkmal, das Wagner im Vereine mit König Ludwig und 
Gottfried Semper auf der Höhe des Gasteig seiner Kunst 
zu weihen beabsichtigt hatte. Damals, zu des Meisters Leb- 
zeiten, hätte sich München den unvergänglichen Ruhm er- 
werben können, der ganzen Welt d 1 e geheiligte Pflege- 
stätte Wagnerscher Kunst zu sein. 

Nach der Gründung Bayreuths jedoch war ein zweites 
Festspielhaus überflüssig. Das bedeutete ein Verkennen des 
Bayreuther Gedankens, wie ihn der Meister gehegt. Wozu 
also ein zweites Bayreuth ? Es ist nicht zu leugnen, daß an- 
gesichts der bestimmten Weisungen Wagners die Ausbeutung 
seines Festspielgedankens etwas Betrübendes hat. 

So sind nun 13 Jahre vergangen, in deren jedem Fest- 
aufführungen Richard Wagnerscher Werke stattfanden; sie 
haben der Stadt München, wie man stets in den Zeitungen 
lesen kann, in den früher stillen Monaten August und Sep- 
tember einen bedeutenden Fremdenverkehr und gewaltigen 
Aufschwung gebracht. Der Zweck war also erreicht worden ; 
was die Stadtväter von 1865 an Wagner gesündigt, glaubten 
deren Söhne 1901 tilgen zu müssen. Und sie taten es in ihrer 
Weise, indem sie den „Sühnebau“ errichteten. Es war nun 
vorauszusehen, daß das Jahr 1914 auch den „frei gewordenen“ 
Parsifal ins Repertoire aufnehmen werde, denn weder Gesetz 
noch die deutlich zum Ausdruck gebrachte Verfügung des 
Meisters über sein Werk konnten verhindern, daß das Bühnen- 
weihfestspiel für alle Zeiten ausschließliches Eigentum von 
Bayreuth bleiben solle. Wo alles zugriff, durfte natürlich. 
München, die Wagner-Stadt, nicht fehlen. Zur Ehre unserer 
Bühnenleitung sei es aber gesagt, daß sie sich nicht sofort 
nach dem Erloschen der Schutztrist, wie so manche andere 
Bühne auf das Werk „stürzte“, sondern zuwartete, bis die 
Vorbereitungen für die Festspielaufführungen des Jahres 1914 
zu treffen waren. In deren Rahmen wird also heuer auch der 
Parsifal erscheinen. Für die Münchener Kunstfreunde wurde 
das. Werk, wie eingangs erwähnt, am 22. Mai quasi als öffent- 
liche Generalprobe zu den Festspielen zum ersten Male ge- 

f eben. Auf diese' Aufführungen gründet sich der nachfolgende 
Sericht. 

Die Bedingungen, unter denen an eine stilreine Aufführung 
des Parsifal gedacht werden kann, sind im Prinzregenten- 
theater, einem dem Bayreuther Baue nachgebildeten Hause, 
in vorzüglicher Weise gegeben, vor allem bietet das verdeckte 
Orchester Gewähr dafür-, daß die klanglichen Intentionen des 
Meisters yollauf erfüllt werden können. Wer je einer Auf- 
führung des Bühnenweihfestspieles in Bayreuth angewohnt, 
wird me vergessen, was das verdeckte Orchester gerade im 
Parsifal bedeutet. Ein Theater, das über diesen Vorzug 


355 



nicht verfügt, hat kein Recht, das Werk aufzuführen. Das 
sollte jedem Theaterleiter und jedem Kapellmeister das künst- 
lerische Gewissen sagen. Damit ist’s freilich heutzutage schlecht 
bestellt, es gibt mehr Geschäftsleute als Künstler. Aber auch 
außer dem verdeckten Orchester ist München in der Lage, 
die für eine stilechte Aufführung nötigen Forderungen zu 
erfüllen: erste treffliche Solisten, mächtige ausgezeichnete 
Chöre unter sachkundiger tüchtiger Leitung, ein wundervolles 
Orchester, eine verständnisvolle Regie, die die Bayreuther 
Tradition kennt. Kein Wunder also, wenn der Münchner 
Parsifal- „Premiere “ allseitig mit ganz besonderem Interesse 
entgegengesehen wurde. Die hochgespannten Erwartungen 
erfüllten sich denn auch zum größten Teile. Vor allem ist 
rühmend anzuerkennen, daß alle beteiligten Kräfte sichtlich 
bestrebt waren, vom Besten ihrer Kunst zu geben, daß in edlem 
Wettstreite jeder der Ausführenden mit voller Liebe und 
Hingabe sich in den Dienst der großen Sache stellte. Fleiß 
und Begeisterung haben denn auch überraschende Resultate 
zutage gefördert. Was die hiesige Inszenierung des Parsifal 
anbelangt, so ist das eben gespendete Lob auch auf sie aus- . 
zudehnen. Es ist bekannt, mit welch peinlicher Sorgfalt in 
Bayreuth sowohl zu Lebzeiten Wagners wie in späteren Jahren 
gerade dieser Teil des Werkes behandelt wurde, wie immer 
wieder und wieder von neuem geprobt und gefeilt wurde, 
daß Bewährtes nicht abbröckle, noch nicht völlig Zufrieden- 
stellendes verbessert werde. Angesichts seiner vollendeten 
Leistung darf man dem hiesigen Leiter der Inszenierung 
Professor Fuchs das Zeugnis ausstellen, daß er mit der 
Gewissenhaftigkeit seines hohen Amtes waltete, die wir an 
ihm gewohnt sind. Er stützte sich im ganzen und großen 
auf die Bayreuther Tradition und tat daran recht. In einigen 
Punkten zwar wich er davon ab. Nicht das gleich Günstige 
läßt sich vom dekorativen Teile der Inszenierung sagen. Schon 
das erste Bild leidet an einer gewissen düsteren Starrheit, 
die Wagner vermieden wissen wofite. „An dem Walde werden 
Sie .noch zu tun bekommen, — mehr Grün und Laub; er ist 
zu trocken. Der See muß heller hervorgehoben werden“ 
schreibt er an Brückner (s. Glasenapp Band 6, S. 608). Das- 
selbe läßt sich vom hiesigen Szenenbilde sagen. Die Wandel- 
dekoration, schon das Schmerzenskind Bayreuths, wurde 
fallen lassen, an ihre Stelle traten eilende Nebelschwaden, 
die hie und da einen Ausblick gewähren. Diese Lösung der 
schwierigen Aufgabe darf als sehr geschickt bezeichnet werden 
und ist jedenfalls der problematischen Wandeldekoration 
vorzuziehen. Einen prächtigen Eindruck ruft der Grals- 
tempel hervor, er ist der bestgelungenste Teil des gesamten 
Werkes und geeignet, jene weihevolle Stimmung zu erwecken, 
die der Meister beabsichtigte. Besonders die matt vergoldete 
Kuppel ist als ein Glanzstück dekorativer Kirnst anzusehen. 
Das Glockengeläute, das der Phantasie Wagners vorgeschwebt, 
jedoch bis heute selbst in Bayreuth nicht eine befriedigende 
Lösung fand, wird auch weiterhin zu den verbesserungs- 
bedürftigen Seiten einer Parsifal-Aufführung zu zählen sem. 
Ob darin überhaupt je ein nennenswerter Fortschritt zu er- 
zielen sein wird ? Ein wirkungsvolles Bild dämonischer Kraft 
bringt Klingsors Turm, der allerdings etwas dürftig ausgestattet 
ist; „Zauberwerkzeuge und nekromantische Vorrichtungen“ 
schreibt Wagner vor — ich habe nicht viel davon bemerken 
können. Der Zaubergarten hat mich enttäuscht, er ist etwas 
zu klein geraten und bei allem Reichtum an leuchtenden 
Farben doch nicht mit jener sinnverwirrenden Pracht er- 
füllt, die hier am Platze ist. Wie ihn der Meister gedacht 
siehe Glasenapp Band VI, S. 345. Ungemein charakteristisch 
wirkt dagegen das folgende Bud, der zur Oede verdorrte 
Garten. Die Blumenaue des dritten Aktes ist wohl der 
schwächste Teil der Ausstattung. — Hofrat Klein, der Leiter 
der szenisch-dekorativen Einrichtung hat sich mit Ruhm 
bedeckt. 

Von den darstellenden Künstlern sei an erster Stelle Herr 
Bender als Gumemanz genannt. Es war zu erwarten, daß 
dieser ausgezeichnete Künstler den von ihm geschaffenen 
vorbildlichen Gestalten eine neue von hoher Vollendung 
amreihen werde. In der Tat ist sein Gumemanz eine wunder- 
volle Verkörperung des prächtigen Alten, die manchmal 
an den unvergessenen Scaria erinnert. Ueberaus wohltuend 
wirkt bei Bender die eminente Deutlichkeit der Darstellung 
und des Vortrages; hier ist das erreicht, was Wagner mit Recht 
vom dramatischen Sänger fordert. Da ist nichts Unklares 
oder Verschwommenes, im Gegenteil, deshalb erweckt seine 
Leistung so unmittelbaren Eindruck. Auch Feinhals gab in 
seinem Amfortas ein ergreifendes Bild des kranken Königs; 
namentlich in den leidenschaftlich erregten Stellen wirkte 
er mit wahrhaft erschütternder Größe. Nicht im gleichen 
Maße deutlich und verständlich, wiewohl vieler hervorragender 
Momente nicht entbehrend, war die Kundry von Frau Mottl- 
Faßbender. Ihre Wiedergabe der dienenden Magd, ihr geist- 
reich eingreifendes Spiel im ersten und namentlich im dritten 
Akt gefielen mir besser, als die große Verführungsszene des 
zweiten, obwohl auch hier die Plastik ihrer Darstellung un- 
eingeschränkte Anerkenmmg verdient. Die Besetzung der 
Titelrolle ist eine der schwierigsten Aufgaben, die es gibt. Das 

356 


zu erreichen, was Wagner vorgeschwebt, wird wohl für immer 
unmöglich sein; ihm nahe zu kommen, ist schon eine Aus- 
zeichnung. Karl Erb, der hiesige Vertreter des Parsifal, gab 
sich alle Mühe, der vielen Schwierigkeiten Herr zu werden, 
doch gelang ihm dies nur teilweise. Die Rolle Vegt ihm nicht 
günstig. Am ehesten noch im ersten Akt; aber besonders in 
der großen Szene des zweiten Aktes, die sehr unter mangelnder 
Klangschönheit litt, versagte er. Die innere Wandlung, die 
hier in ihm vorzugehen hat, überzeugte doch zu wenig. Und 
gesangstechnisch zeigten sich manche Mängel, wie z. B. „Die 
Wonde sah ich bloten, non blotet sie mir selbst“. Das und 
anderes ist nicht gerade illusionsfördemd. Baubergers Klingsor 
bedeutet eine der besten Leistungen des Künstlers, die im Laufe 
der Aufführungen an bezwingender dämonischer Gewalt wohl 
noch gewinnen wird. Die kleine, unendlich wichtige und be- 
sonders schwierige Rolle des Titurel sang Herr Gillmann 
recht gut; wer jedoch seinerzeit Kindennann gehört, weiß, 
eine wie wahrhaft schaurige Wirkung, wie aus einem Grabe 
die wenigen Worte hervorzubringen imstande sind. Prächtig, 
stimmungsvoll sang Fräulein Färber die Stimme aus der Höhe. 

Und nun komme ich zu einem der erfreußehsten Teüe der 
ganzen Aufführung, ich meine die Chöre im allgemeinen, 
die Blumenmädchen im speziellen. Was diese liebreizenden 
Gestalten geleistet — an ihrer Spitze Künstlerinnen wie Frau 
Bosetti, Fraulein Jvogün — das war ganz einzig. An ihnen 
hätte der Meister gewiß seine, helle Freude gehabt. Aber 
auch die Chöre der Ritter, wie nicht minder die unsichtbaren 
Stimmen waren von absoluter Vollendung. Das waren Chor- 
leistungen, wie man sie im Theater selten, sonst in München 
überhaupt nicht zu hören bekommt. Chordirektor Zengerle 
kann mit Freude und Stolz auf dieses Resultat anstrengenden 
gewissenhaften Fleißes zurückblicken; ihm sei dafür herzlich 
gedankt. Der Orchestervortrag — last not least — recht- 
fertigte aufs neue den Ruf unserer Hofkapelle. Aufs beste 
bewahrten sich die angebrachten Verbesserungen — die 
„Jalousieen“ — der Schalldecke. Im Vorspiele noch ein 
wenig nervös — im fünften Takte vom Anfang ein unbegreif- 
liches Versehen! — zeigte der Körper während des ganzen 
Abends seine oft gerühmten ausgezeichneten Eigenschaften. 
Gleichwohl sei darauf aufmerksam gemacht, daß manchmal 
die dynamische und rhythmische Präzision zu vermissen war. 
So kam es vor, daß die Füllstimme eines Akkordes der Blas- 
instrumente zu scharf hervortrat, oder daß ein Crescendo 
bereits auf halbem Wege den Höhepunkt erreicht hatte, oder 
daß ein Akkord nicht gleichzeitig „saß“. Einige Unaus- 
geglichenheiten dieser Art werden zu beseitigen sein; den 
Celli, der Trompete, auch der Harfe wäre noch größere Poesie 
der Tongebung zu wünschen. Ganz ausgezeichnet war die 
Wiedergabe des Karfreitagszaubers; hier wie übrigens auch 
am Schlüsse entwickelte das Orchester ganz wunderbare 
Stimmungseindrücke. Abzustellen wäre das überflüssige 
Präludieren vor dem Beginne des Bjihneriweihfestspieles ; 
das wirkt in hohem Grade verletzend. Der verantwortliche 
Leiter des Ganzen, Generalmusikdirektor Bruno Walter, hat 
mit der Einstudierung und Wiedergabe des Parsifal von 
neuem den Beweis genauesten künstlerischen Nachschaffens 
erbracht, was er in erstaunlichem Fleiße geleistet, verdient 
uneingeschränkte Bewunderung. Manche Tempi waren nach 
meiner Erinnerung an Levi und Mottl zu langsam, jedoch 
wird dieser Umstand, soweit es sich um unbedeutende Schwe- 
bungen handelt, stets Sache des Gefühles bleiben, dessen lebens- 
voller Ausdruck zweifellos wichtiger erscheint als starre 
Tradition. Interessant wäre es jedoch, den letzten großen 
Zeugen der Wagnerschen Zeit, den hier das otium cum dignitate 
genießenden Generalmusikdirektor Franz Fischer einmal nüt 
der Leitung des Parsifal zu betrauen. Die denkwürdige erste 
Aufführung in München, die von 5 Uhr bis 20 Minuten nach 
10 Uhr wahrte, wurde von dem ausverkauften Hause, an der 
Spitze der König und sein Hof, mit dem beredten Schweigen 
der Ergriffenheit entgegengenommen. Prof. Heinrich Schwartz. 


Siebentes deutsches Bach-Fest in Wien. 

D as Programmbuch des Festes, dessen ausgezeichnete 
Analysen von Dr. Arnold Schering stammen, enthält 
den üblichen Bericht über die Tätigkeit der Neuen 
Bach- Gesellschaft. Was den Festort Wien anlangt, so heißt 
es da, man habe Wien insbesondere deshalb gewählt, um die 
Bach-Pflege der letzten zehn Jahre durch eine Veranstaltung 
in dieser Stadt selbst anzuerkennen. Es ist richtig, daß 
Hofkapellmeister Schalk als Leiter der Gesellschaftskonzerte 
ungefähr seit dieser Zeit Bach und immer wieder Bach auf- 
führt. Er tut das gewissermaßen systematisch und setzt 
mit größerem Glück und Gelingen durch, was seine Vorgänger 
von Johannes Brahms an für die Chorwerke Bachs zu tun 
bemüht waren. Daß die übrige Musik Bachs in Wien so 
eifrig gepflegt wird wie anderswo, braucht wohl nicht be- 
sonders erwähnt zu werden. Trotz alledem wird man Wien 


’VH •- 

. 


als Bach-Stadt kaum oder wenigstens noch lange nicht be- 
zeichnen können. Bach hat zu viele Voraussetzungen, die 
Wien seiner Natur und Vergangenheit nach nur schwer er- 
füllen, vielleicht sogar nur umgehen kann. Es fehlt hier wie 
überhaupt im Süden an der Organistentradition, aus der 
Bach erwachsen ist. Es fehlt an der Disziplin, die den Einzelnen 
einem Ganzen unterordnet; Chordirigenten bekommen das, 
da sie wesentlich auf die Mitwirkung von Dilettanten an- 
gewiesen sind, recht oft zu spüren. Dafür ist freilich der 
Klang der Wiener Chorstimmen besonders schön. Es fehlt 
aber auch, wenngleich oberflächliche Politiker darüber viel- 
leicht verwundert sein sollten, es fehlt an jener in sich ge- 
kehrten religiösen Inbrunst, der sich namentlich die großen 
Werke Bachs erst so recht erschließen. Und auch für die 
Erkenntnis der geistigen Freiheit und Kühnheit Bachs muß 
hier erst besondere Erziehung wirken; denn hier ist man 
allzu leicht geneigt, an- 
gesichts so ausgeprägter 
Formen allein das For- 
male festzuhalten und so 
auch Bach allmählich 
der Wiener Barockkultur 
und Barocktradition ein- 
zufügen. 

Hofkapellmeister Schalk 
hat nun das große und 
nicht genug zu rühmende 
Verdienst, der Wiener Be- 
quemlichkeit nicht nach- 
zugeben. Seine sorgsame 
Schulung des Chors (es 
ist der Singverein der 
Gesellschaft der Musik- 
freunde), seine reichen 
Fähigkeiten als Lehrer, 
seine Umsicht, seine in 
langer Praxis erprobte 
Tüchtigkeit tun das 
Uebrige. Er geht bis an 
die Grenzen seiner eige- 
nen Natur; weiter kann 
ja niemand. Deshalb ist 
es gut und nützlich, daß 
, Wien, wenigstens von Zeit 
zu Zeit, eine andere, durch 
ihren Gegensatz ergän- 
zende Persönlichkeit für 
dieVermittlungder Kirnst 
Bachs gewinnt. Solche 
Persönlichkeiten fanden 
sich etwa in Straube und 
in Siegfried Ochs. Ein 
Bach-Fest hätte die er- 
wünschte Gelegenheit ge- 
boten, Künstler von an- 
derer Art und erprobtem 
Können gleichfalls ge- 
währen zu lassen. Das 
ist leider unterblieben und 
Franz Schalk mußte die 
ganze Arbeit tun, soweit 
ihn nicht der Hofopern- 
direktor Gregor verhin- 
derte. „Aus dienstlichen 
Gründen“ durfte nämlich 

Schalk ein Sonntagmittag - Konzert des Philharmonischen. 
Orchesters nicht dirigieren; der Hofkapellmeister Luze trat 
für ihn ein und man wird nicht behaupten dürfen, daß das 
Konzert dadurch gewonnen hätte. Es steht immerhin in 
Wien noch nicht so, daß der auf seinem Gebiete gewiß 
schätzenswerte Hofkapellmeister Luze das darstellte, was man 
Gästen bietet. Uebngens kamen, wie es haßt, glachfalls 
„aus dienstlichen Gründen“ weiter noch ein erster Solo- 
bratschist und ein erster Flötenspieler dem Fest abhanden, 
und das in den beiden Chorkonzerten mitwirkende Orchester 
hätte schon auch festlicher gelaunt sein dürfen. Davon ab- 
gesehen boten die Chorkonzerte viele Freuden. Das erste 
brachte die Jugendkantate „Gott ist mein Kömg“, zur Rats- 
wahl in Mühlhausen geschrieben und sogar gedruckt. Dann 
die Kantate „Ich bin vergnügt mit. meinem Glücke“ (einem 
beinahe schmerzlichen Glück allerdings), die Motette „Furchte 
dich nicht“ in der sich der Chor besonderen Bafall erwarb, 
die wunderbare Ostermontags-Kantate „Bleib bei uns“ und 
nach all diesen Genüssen das Himmelfahrtsoratonum „J/ibet 
Gott in seinen Reichen“. Gesangssolisten waren die Damen 
Noordewier-Reddingius und Kraus-Osborne und die Herren 
Georg Walter und Prof. Felix v. Kraus. Sie wurden allesamt 
und leder für sich im Verlaufe dieses Festes mit Ehren über- 
schüttet- Frau Noordewier vielleicht noch ein klein wenig 
mehr als die übrigen. Die Kantaten selbst, die hier dem 
großen Publikum noch ziemlich neu waren, machten einen 


JOHANN SEBASTIAN BACH. 

Lithographie von R. Hoftoann, Ic. k. Hofbibliothek, Wien. 


überwältigenden Eindruck und es wird wohl die Aufgabe 
der nächsten Jahre sein, Bachs Kantaten öfter als bisher 
aufzuführen, ohne daß man darum auf das jährliche Passions- 
konzert verzichten müßte. Ein Passionskonzert mit der Musik 
nach Johannes bildete als zweite Choraufführung den Ab- 
schluß des Bach-Festes. Es verlief würdevoll wie sonst und war 
wie sonst mehr auf den Klang des Chors als auf dramatische 
Lebendigkeit und weihevollen Schauer angelegt. Inmitten 
dieser beiden Chorkonzerte aber stand ein recht anstrengender 
Sonntag. 

Er begann frühmorgens mit einem Gottesdienste im Stile 
der Bach-Zeit und schloß gleich daran ein Mittagskonzert, 
in dem die Orgel des Musikvereinssaales, von Prof. Irrgang 
aus Berlin gespielt, mit Präludien und Fugen vernehmlich 
ihr Wort sprach. Das Philharmonische Orchester spielte die 
Orchestersuite in Cdur, eine minder berühmte, aber sehr 

ernsthaft fröhliche, ja oft 
nur so strahlende Schwe- 
ster der D dur-Smte. — 
Außerdem trat Arnold 
Ros6 mit dem Violin- 
konzert in a moll als So- 
list vor das Orchester ; er 
spielte hinreißend wie 
immer und wurde en- 
thusiastisch gefeiert. Die 
Prof. Foll und Franz 
Schmidt von der Musik- 
akademie, dieser letzte, 
der Komponist der Oper 
„Notre Dame“ und ver- 
schiedener Orchester- 
werke, spielten die* Soli 
des Klavierdoppelkonzer- 
tes in d moll ganz vor- 
züglich. Das ist übrigens 
ein Geigendoppelkonzert 
gewesen, nur ein minder 
bekanntes als das an- 
dere Geigendoppelkon- 
zert, das ja auch in 
d moll steht; Bach hat 
es einfach für zwei Cem- 
bali übertragen. Ließ 
sich für den großen Saal 
der Ersatz^ des Cembalo 
durch das Klavier wohl 
rechtfertigen, so hätte 
man dagegen bei dem 
Kammer - Konzert des 
Sonntagabends in einem 
kleineren Saal geni das 
richtig^ Cembalo gehört; 
leider war auch aa das 

f ewohntere Klavier bei- 
ehalten worden. Das 
Kammerkonzert brachte 
drei Gesangsstücke aus 
Arien, von denen die Sor 
pranarie aus der Geburts- 
tagskantate für Kurfürst 
August III. „Schleicht, 
spielende Wellen“, _ mit 
drei Flöten und Continuo, 
so wunderbar klang, daß 
sie wiederholt werden mußte. Dazwischen eine Gamben- 
sonate und eine von den begleiteten Violinsonaten, die aber- 
mals Arnold Ros6 mit Prof. Schmidt am Klavier spielte. Zu 
Beginn des Abends stand die Sechste französische Suite (Prof. 
Schmidt), am Ende das Sechste brandenburgische Konzert 
in da kleinen Kammerbesetzung für zwei Violen, zwei Gamben, 
Cello, Baß und Continuo. Keine Bearbeitung kann die Raffine- 
ments und die besondere Kultur der mittleren und tiefaen 
Streichinstrumente und ihrer solistischen Verwendung auch 
nur entfernt wiedageben. 

Wir hatten also den Veranstaltern des Bach-Festes gar viel 
zu danken und - wollen nur hoffen, daß auch unsere Gäste 

g ute Eindrücke mitgenommen haben. In Bonn waden sich 
ie Mitglieder der Neuen Bach-Gesellschaft beim nächsten 
Feste treffen. Dr. Paul Stefan. 




357 



Vom Bonner Musikfest. 

(Erstes mittelrhelnisches Musiktest vom 19. bis 21. Mai.) 

W as mich veranlaßte, auf der Durchreise zum Ton- 
künstlerfest nach Essen einige Tage in Bonn zu ver- 
weilen, war die Aussicht, auf dem dortigen Musikfest 
verschiedene Werke verschiedener Komponisten hören zu 
können, ältere Werke, die mir als unumstrittene Meister- 
werke längst wohl vertraut, und andererseits moderne 
Werke, die, zurzeit im Mittelpunkt des Interesses und auch 
des Widerstreites verschiedener Richtungen stehend, mir 
bis dahin nur aus der Partitur bekannt geworden waren. 
Deren Aufführung durfte ich mit um so größeren Erwartungen 
entgegensehen, als sich zu diesem Musikfest die beiden 
städtischen Orchester und Gesangvereine von Bonn und 
Koblenz zusammengeschlossen und einen Chor von weit 
über 300 Stimmen, ein Orchester von fast 100 Musikern 
aufgeboten hatten; wenn nun- diese meine hohen Er- 
wartungen nicht nur erfüllt, sondern in mancher Hinsicht 
sogar weit über troffen wurden, so spricht dies in gleicher 
Weise für die künstlerische Bedeutung der aufgeführten 
Werke wie für ihre treffliche Wiedergabe. 

Der erste Abend, unter der Leitung von Prof. Grüters 
(Bonn), brachte zunächst eine wohlvorbereitete und wohl- 
gelungene Aufführung der Missa solemnis von Beethoven, 
m der neben Chor und Orchester auch das Solistenquartett 
Gertrud Forstel (Wien), Maria Philippi (Basel), Dr. Lauen- 
stein (München) und der Bassist von Raatz- Brockmann 
(Berlin) sehr erfolgreich hervortrat, und ferner als nicht 
unwillkommenen Gegensatz dazu Beethovens lebensfrohe, 
sonnige Siebte Symphonie in sorgfältiger Ausarbeitung, 
der nur an einigen Stellen, besonders im letzten Satz, etwas 
mehr Kraft und Feuer zu wünschen gewesen wäre. — Mit 
größter Spannung sah ich dem zweiten Abend entgegen, 
der Aufführung von Mahlers „Das Lied von der Erde“ 
und der „Deutschen Motette“ von Richard Strauß. Ueber 
beide Werke kann ich mich heute kürzer fassen, da sie dem- 
nächst in dieser Zeitung durch besondere, ausführliche Be- 
sprechungen eingehender gewürdigt werden sollen. Ueber 
die „Deutsche Motette“ nur so viel: Strauß hat hier nach 
ungemein stimmungstiefen Worten Rücker ts ein Werk für 
4 Solostimmen und iöstimmigen gemischten Chor a capella 
geschaffen, das mit seiner kühnen Harmonie und Polyphonie, 
mit dem kraftvollen Aufbau und der wirkungsscheren 
Steigerung seiner Themen den besten früheren Straußschen 
Chorwerken ebenbürtig zur Seite gestellt werden kann. 
Eine weihevolle Ruhe hegt über der Einleitung, dann steigen 
festliche Klänge, innige Bitten in immer reicherer Modu- 
lation empor, in mächtigem Aufschwung ertönen Hymnen 
auf die Macht des göttlichen Geistes und seiner Erscheinungen 
in der Natur; schließlich kehrt nach einer leicht wiegenden 
Ueberleitung die erste erhabene Stimmung zurück und in 
feierlich getragenen Weisen klingt das Werk leise aus. Die 
streng durchgeführte Selbständigkeit der Singstimmen führt 
in diesem Werk zu harmonischen und rhythmischen Klang- 
verbindungen und damit notwendigerweise auch zu Schwierig- 
keiten, wie sie bisher noch nie einem Chor gestellt wurden. 
Wenn dieses bis vor kurzem noch als unaufführbar erklärte 
Werk trotzdem eine so glänzende Wiedergabe erfuhr, so ist 
dies in erster Hinsicht der hingebenden Leitung des Kob- 
lenzer Generalmusikdirektors Willem Kes zu danken, der 
samt seinem vortrefflichen Festchor mit Recht stürmisch ge- 
feiert wurde. — Auf ganz anderem Boden steht Mahlers 
„Lied von der Erde“. Sechs alt-chinesische Gedichte sind 
hier für eine Alt- und eine Tenorstimme und Orchester 
unter dem vielleicht etwas irreführenden Namen „Sym- 
phonie“ zusammengefaßt, Gedichte, die trotz ihres ehr- 
würdigen Alters unserem heutigen Empfinden ganz über- 
raschend nahestehen, Gedichte, die in ihrer schillernden 
Farbenpracht dem Komponisten, zumal einem Orchester- 
techniker wie Mahler, die denkbar reichste Anregung bieten 
mußten. In diesen Gedichten klingen Freud und Leid 
der Welt in eindringlich beredten Worten wieder, ein grotesk 
ausgelassener Humor und tief schwermütige Resignation, 
freundliche Bilder froher Jugend und ernste Klänge des Ab- 
schieds von dieser Erde vereinigen sich zu einem fesselnden, 

i 'a geradezu erschütternden Gemälde über die Vergänglich- 
st und Nichtigkeit unseres Daseins. Wie Mahler mit 
größtem Geschick und wirklich staunenswerter Sicherheit 
für all diese so mannigfachen, so gegensätzlichen Stimmungen 
stets den richtigen Ton zu treffen, die richtige Farbe zu finden 
weiß, ist bewundernswert; trotz gelegentlicher Trivialitäten 
und einiger Längen im letzten Teil muß dieses Werk in seiner 
Wirkungskraft selbst auch diejenigen fesseln und überzeugen, 
die bisher Mahlers Kunst gegenüber sich ablehnend verhalten 
hatten. Auch hier riß die glänzende Aufführung unter Kes, 
an der auch die Solisten, Frl. Philippi und Dr. Lauenstein 
verdienstvollen Anteil nahmen, zu stürmischem Beifall hin. 
Am gleichen Abend kam noch — eine allerdings etwas 

358 


merkwürdige Zusammenstellung — J. S. Bachs Dialogus 
„O Ewigkeit, du Donnerwort“, zur Aufführung, in dem 
Frl. Phmppis hohe, reife künstlerische Meisterschaft auf- 
richtigste Bewunderung erregte, und ferner das Violinkonzert 
von Brahms, von dem vorzüglichen Geiger Adolf Busch aus 
Wien ganz prächtig gespielt, von Kes mit überlegener 
Ruhe und feinstem, vornehmstem Geschmack begleitet. 
Noch buntscheckiger, geradezu kaleidoskopartig, und viel zu 
lang war das Programm der von mittags n 1 /* bis '/»3 Ehr 
dauernden Matinee des letzten Tages. Hier galt mein 
Interesse vornehmlich dem jungen Wolfgang Erich Korngold 
aus Wien, der mit Busch zusammen seine neue Klavier- 
und Viölinsonate, dann noch einige kleinere Klavierstücke 
„Märchenbilder“ zum Vortrag brachte. Das Können dieses 
frühreifen, um nicht zu sagen überreifen jungen Musikers 
grenzt ans Fabelhafte, bedeutende Fortschritte, zumal als 
Klavierspieler-, - sind bei ihm nicht zu verkennen. Und 
doch wurde ich der ganzen Art und. Weise seines Musizierens 
nicht reckt von Herzen froh, sie hat für mich etwas ganz 
merkwürdig Unbehagliches, Beklemmendes; die Zeit wird 
lehren, ob weiter hm eine Entwicklungsfähigkeit seiner 
seltenen Begabung sich einstellen und seiner jetzigen rein 
technischen Kunstfertigkeit die notwendige geistige Reife 
des künstlerischen Schaffens folgen wird. Dazwischen sang 
Frl. Philippi sehr lustige alte Lieder von der Mitte des 1 8 . J ahr- 
hunderts aus der „Singenden Muse an der Pleiße“ von 
Sperontes und ein mir bisher ganz unbekanntes, aber höchst 
zeitgemäßes Lied von J. S. Bach über die studierenden 
Frauen : 

„Ihr Schönen höret an. 

Erwählet das Studieren, 

Kommt her, ich will Euch führen 
Zu der Gelehrtenbahn . . . 

Statt der genähten Tücher 
Liebt nunmehr neue Bücher“ usw. 

ein Lied, das in einer Universitätsstadt wie Bonn natürlich 
jubelnde Heiterkeit erregte. Im Gegensatz dazu waren 
die altbekannten Lieder von Schubert und Schumann, die 
Frl. Forstel dazu noch etwas reichlich theater-primadonnen- 
haft vortrug, .bei einem solchen Musikfest meines Erachtens 
fehl am Ort. . Das Solistenquartett sang noch Beethovens 
„Elegischen Gesang“ mit Streichorchester und ab fröhlichen 
Abschluß die „Liebeslieder — Walzer“ von Brahms. 

Der Gesamteindruck dieses ganzen Festes war, wie schon 
gesagt, trotz der angeführten kleinen Ausstellungen hin- 
sichtlich der Programme hoch erfreulich, reich an nach- 
haltigen Eindrücken und stellte dem künstlerischen Leben 
der beiden Städte und ihren Dirigenten das beste Zeugnis 
aus; so darf man denn der weiteren Entwicklung dieser 
mittelrheinischen Musikfeste, die von jetzt an alle zwei Jahre 
abwechselnd in Bonn und Koblenz stattfinden sollen, mit 
berechtigten Erwartungen entgegensehen. 

August Richard (Hellbroitn). 


Deutsche Musik in Londoner 
deutschen Kreisen. 

F ast wie jede größere Stadt in der Heimat bietet auch 
London reichlich Gelegenheit, gute deutsche Musik und 
gute deutsche Künstler zu hören. Es ist darum ein 
Wagnis, da nur mit Dilettantenkräften irgendwie in Wett- 
bewerb treten zu wollen; und wenn es in der deutschen. 
Kolonie des Londoner Südostens mit überaus erfreulichenv 
Erfolg bereits seit einigen Jahren regelmäßig im Frühjahr 
unternommen werden konnte, so müssen wohl besondere Ur-. 
Sachen mitsprechen. So wurde im Jahre 1911 Brahms. 191» 
Schütz, der Vorläufer Bachs, in der vollbesetzten Kirche zu. 
Denmark Hill durch Chöre, Soli und Streichmusik vorgeführt, 
1913 in der Rippmannhalle des Gemeindehauses ein Volks- 
liederabend veranstaltet, und Anfang März dieses Jahres gar 
an zwei Abenden vor überfülltem Hause ein Scharwenka-. 
Konzert gegeben. 

Ein Hauptgrund für so lebhaftes Interesse ist wohl darin-, 
zu sehen, daß diese musikalischen Abende im Rahmen der- 
Gemeindearbeit gehalten Waren, und daß das Gemeindeleben, 
im Ausland naturgemäß bewußter als in der Heimat pulsiert. 
Es wird auch von vornherein ein anderer Maßstab angelegt.. 
Sodann wird es sehr angenehm empfunden, daß jedesmal eine 
ausführliche Einleitung, Erklärung und Würdigung den ein- 
zelnen Programm-Nummern vorausgeschickt wird, die das 
Verständnis ungemein erleichtern. Endlich sind diese Kon- 
zerte immer unter einen einheitlichen, führenden Gedanken 
gestellt worden, wie die obengenannten Themen zeigen. 

Daß die Dilettantenkräfte mehrfach durchaus über gewöhn- 
liches Durchschnittsmaß sich erhoben, sei nur nebenher erwähnt. 


Das Scharwenka- 
Konzert dieses Jah- 
res, das den Brü- 
dern Xaver und 
Phil. Scharwenka 
und dessen Sohn 
Walter gewidmet 
war, bot insofern 
eine besondere An- 
ziehungskraft, als 
WalterScharwenka 
aus Berlin selbst 
gekommen war, 
um mitzu wirken. 
Neben dreistim- 
migen Frauen- so- 
wie vierstimmigen 
gemischten Chören 
und Soli. (Sopran. 
Bariton und Vio- 
line) war es Herr 
WalterScharwenka 
am Klavier, der den 
Reichtum Schar- 
wenkascher Musik 
in sympathischer 
Art zum Ausdruck 
brachte und in vor- 
nehmer Selbstbe- 
scheidung weniger 
den virtuosen Pianisten als vielmehr den feinsinnigen Inter- 
preten Scharwenkascher Klaviermusik hervorkehrte. (Sein 
in London mit großem Beifall aufgenommener Kreuzritter- 
marsch liegt diesem Heft in der Anlage bei.) 

Ein außerordentlich glücklicher Gedanke war es auch, 
am schulfreien Samstag der deutschen Jugend ein dem Kinder- 
verständuis angepaßtes Konzertprogramm mit launigen Erklä- 
rungen zu bieten, ein neuer Gedanke, mit dem der Künstler 
in Steglitz-Berlin bereits einen begeisterten Erfolg erzielt hatte. 
Auch in der Kirche an der Orgel erwies er sich als tüchtiger 
Spieler, der besonders fein sich dem Gesamtcharakter dieses 
Gottesdienstes („Kunst und Religion“ war das Thema) anzu- 
passen wußte. Der junge Künstler, dessen Wirksamkeit in 
Berlin mehr und mehr anerkannt wird, hat sich hier die Herzen 
aller im Sturm erworben und es ist ernstlich ratsam, seine 
weitere Entwicklung als Lehrer, Komponist, Organist und 
Orchesterdirigent mit Interesse in Musikkreisen im Auge zu 
behalten. 0 . Gg. 


Das Denkmal für den Heideröslein- 
Komponisten in Braunschweig. 

D em Komponisten des zum Volksliede gewordenen „Heide- 
rösleins“, Heinrich Werner, der hier 1833 im Alter von 
33 Jahren die Augen zu ewigem Schlummer schloß, 
ist am 3. Mai in Braunschweig ein Denkmal gesetzt worden. 
Wenn Odin, als er das Schicksal eines nordischen Helden 
bestimmte, wünschte, daß er der besten Männer wert erscheinen 
möge, so gilt dies auch von dem bescheidenen, tüchtigen 
Meister, der die Not des Lebens als Weggenossen hatte, durch 
diesen aber weder in der Schöpferkraft, noch in seinem un- 
beugsamen Willen gelähmt wurde, so daß er, rein menschlich 
betrachtet, der strebsamen Jugend als leuchtendes Vorbild 
dienen kann. In dem Dörfchen Kirchohmfeld auf dem Eichs- 
felde (Provinz Sachsen) geboren, besuchte er die Latein- 
schulen zu Clausthal und Braunschweig, sowie das Seminar 
zu Erfurt, übernahm nach bestandener Prüfung jedoch keine 
Lehrerstelle, sondern trat in den Singchor des Braunächweiger 
National-, späteren Hoftheaters ein und wurde bald „Präfekt“ 
(Chordirektor). Die freie Zeit füllte er mit Privatstunden 
aus, versuchte sich aber auch in der Kritik, Dichtkunst und 
Kömposition. Die Braunschweiger Revolution 1830, die mit der 
Vertreibung des Herzogs Karl und der Regierungsübemahme 
durch den jüngeren Bruder Wilhelm endete, war .insofern 
günstig, als ihn der letzte Weifenfürst in seinem 'Streben 
ermunterte, die äußere Lage aber picht besserte. Ehrlich 
und treu kämpfte er tapfer gegen das widrige Geschick, die 
Mannigfaltigkeit der Geschäfte zersplitterte seine Kraft und 
verhinderte jeden höheren Geistesflug, bis ihn nahe am Ziele 
ein tragisches Verhängnis frühzeitig seiner Wirksamkeit 
entriß Ein Schatten trübte auch seine höchste Lebensfreude : 
kurz nach der Verlobung machte sich ein tückisches Lungen- 
leiden bemerkbar, todesmutig ging er dem Ende entgegen 
und war bald vergessen. 

Den Nachforschungen einiger Konzertfreunde und ent- 
fernter Verwandter gelang es, aas verfallene Grab aufzufinden 


und durch ein vom liiesigeu Bildhauer Siedeniop ausgeführtes, 
treffliches Denkmal zu schmücken. Bei der Enthüllung, die 
durch Glockengeläute eröffnet wurde, sangen 400 Kinder 
der städt. Bürgerschulen das Lied: „Sah ein Knab’ ein Röslein 
stehn“. Wie auf dem Grabe Walters v. d. Vogelweide im 
Grashof des Neuen Münsters zu Würzburg, so stimmen 
auch hier in den alten Bäumen des Friedhofes die gefiederten 
Sänger imgestört ihre Lieder an. Neuerdings wurden 22 
„Vergessene Lieder" mit Klavierbegleitung und zwei Hefte 
vierstimmiger Männerchöre von Dr. Meeke (Duderstadt) 
herausgegeben ; trotz des ausgesprochenen Biedermeierstils 
und Werners Anlehnung an Marsenner, C. M. v. Weber u. a. 
zeigen die Werke eigenartige, schöne Einzelheiten, die wohl 
der Beachtung von Sangesfreunden und . Männergesang- 
vereinen wert sind. Nur als Kuriosität ist freilich die Kom- 
position des Erlkönigs für Männerchor zu bezeichnen. 

Dr. Friedrich Mecke hat auch eine Schrift herausgegeben: 
Heinrich Werner, ein Beitrag zur. Geschichte de? Liedes, 1913 
(Verlag Buchhandlung Aloys Mecke, Duderstadt), der das 
nebenstehende charakteristische Porträt entnommen ist. Mecke 
sagt über Werner: „Das Hauptschaffensgebiet Werners war 
das des Liedes Werners Lieder zeichnen sich aus hinsicht- 
lich der formalen Gestaltung durch Ebenmaß zwischen Wort 
und Ton und durch sangliche Melodien von hoher Klangschön- 
heit, hinsichtlich des Inhaltes durch die musikalisch stim- 
mungsvolle Gestaltung der zugrunde liegenden Dichtungen, 
durch Wahrheit und Reichtum des Empfindungsausdrucks. 
Mit seinen Liedern und Chören hat H. Werner zu seinem Teil 
mit dazu beigetragen, seine Zeit zu einer der liederreiclisten 
zu gestalten, die wir je erlebt haben. Ein Teil des Dankes, 
den wir den Komponisten dieser Blütezeit des deutschen 
Liedes schuldig sind, gebührt auch Heinrich Werner.“ — 

Das Denkmal fand allseitigen Beifall, der schlichte über 
2 m hohe Stein verkörpert die beiden Verse: 

„Lief er schnell, es nah’ zu sehn, 

Sah’s mit vielen Freuden.“ 

Darunter steht in Noten und Worten der Anfang des Liedes 
mit der Inschrift: „Hier ruht der Sänger des .Heidenrösleins' 
Heinrich Werner, geb. den 2. Okt. 1800, gest. den 3. Mai 1833. 
Auf der Rückseite sind die Worte eingegraben: „Errichtet am 
3. Mai 1914 von Freunden seines Liedes.“ 'Dieses ist ebenso geist- 
voll wie das bekannteste auf dem hiesigen Abt-Denkmal durch 
die Schwalben angedeutet. Beide leben im Volke und über- 
dauern jedenfalls die Erinnerung durch Stein und Erz. E. Stier, 



Dm Denkmal für den Heideröslein-Komponisten ip Braunschweig. 



359 




Detmold. Das II. Lippische Musikfest vom 22. — 24. Mai hat 
reiche musikalische Genüsse gebracht, ln Gegenwart des 
fürstl. Hofes begannen die Tage mit einem Symphoniekon- 
zert, dessen Programm leider zu breit war. Man stellte Brahms, 
der ja in Detmold geweilt hat, in den Mittelpunkt des Abends. 
Neben dem Violinkonzert, mit dem Münchner Professor Berber- 
Credner als gediegenem Geigenkünstler, wurde die Detmolder 
Serenade (Ddur) mit Ruhe und Eleganz vom königl. Musik- 
direktor Cahnbley dirigiert. Beethovens VIII. bildete den 
eindrucksvollen Schluß. Die folgende Matinee war ein Tour- 
nier zwischen den Gesangskünstlem Dr. Lauenstein, Frau 
Möhl-Knabl. Ernst Kverts, Frau Kuhl-Dahlmann und Bruno 
Bergmann. Als Einleitung wurde die Kreutzer- Sonate von den 
Professoren Berber-Credner und Weweler meisterlich wieder- 
gegeben, ferner boten die Stunden Mozarts Klarihettenquin- 
tett und Quartette von Brahms. Der Höhepunkt des Festes 
war die Uraufführung von dem dreiteiligen Oratorium „Die 
Sintflut“ von Professor Weweler, zergliedert in Noah und die 
Kinder der Welt, der Bau der Arche und die Flut. Noahs 
Dankopfer und der Bund mit dem Herrn. Die Bibel gibt dem 
Dichterkomponisten wenig Unterlagen und so hat er mit 
künstlerischem Stilgefühl ausschmückendes Beiwerk frei er- 
funden, bei glücklicher dramatischer Steigerung. Neben Noah 
und den Kindern des Gottes stehen in scharfem Gegensatz 
die Kinder der Menschen, die Schlangenanbeter. Eine reiche 
Melodik und kraftvolle Erfindung spricht aus dem Werke 
eines selbständigen Musikers auf modernem Boden. Die Mittel 
der modernen Orchesterkunst sind hauptsächlich im zweiten 
Teil angewandt, dem Glanzpunkt des Oratoriums. Ein sym- 
phonisches Gemälde ist vor allem die Schilderung der „Flut“ 
selbst. Der erste Teil ist mehr lyrisch gehalten und weist 
einige Längen auf. Nirgends verläßt der Komponist den 
Boden des Oratoriums. Das Werk verdient die Beachtung 
weitester Musikkreise. W. 

Weimar. Nun hat Hans Pfitsners „Rose vom Liebesgarten“ 
auch an unserer Hofbühne ihren Einzug gehalten, sehnlichst 
erwartet von all denen, die verwöhnt durch die starke Kost 
der modernen Opernproduktion doch noch nicht den Ge- 
schmack an dem weltentrückt Verträumten der Muse dieses 
Meisters eingebüßt haben. — Daß Pfitzner diesen mystischen 
Stoff mehr märchenhaft angefaßt hat, als man es beim Lesen 
des Textbuches vielleicht erwartet, kommt dem Werk nur 
zu / statten, mildert das Undramatische der Handlung und 
erhöht den Reiz der wundervollen Musik. Ein Frühlings- 
hymnus in des Wortes wahrster Bedeutung, der uns recht 
oft erklingen mag. Für die Erstaufführung des „ Parsifal “ 
hatte man die Zeit der Karwoche gewählt, die Zeit, in der 
die hierfür empfänglichen Herzen wohl am meisten erfüllt 
sind von dem, was Wagner hier in Wort und Ton so wunder- 
sam und ergreifend schön zu dichten weiß; und so übte die 
Verkündigung der „Religion des Mitleidens“ eine tiefe Wir- 
kung auf eine andächtig lauschende Zuhörerschar. Die Auf- 
führung war eine im großen ganzen sehr würdige und alle mit- 
wirkenden Künstler trugen nach Kräften dazu bei, den Ab- 
sichten des Dichterkomponisten gerecht zu werden; in aller- 
erster Linie ist Herr Mang als Gumemanz zu nennen.. Aus- 

f ezeichnet war das Orchester unter Peter Raabes Leitung in 
länglicher Beziehung, während seine Zeitmaße nicht immer 
dazu beitrugen, dem Werke jene Weihe zu geben, die bei 
strengster. Innehaltung der vorgeschriebenen Tempi unter Ab- 
streifung alles Opemhaften sich einstellen muß. In bezug auf 
die Ausstattung schien man sehr geteüter Meinung, doch muß 
zugestanden werden, daß der Intendant mit großem Emst 
an ihre Aufgabe herangetreten war. — Für das vorletzte 
Abonnementskonzert (Schluß des Beethoven-Zyklus) hatte 
man für den durch einen Unfall verhinderten Peter Raabe 
den Opemdirektor Otto Lohse aus Leipzig herbeigeholt, der 
sich mit der Achten und Neunten einen großen Erfolg errang. 
Einige Tage darauf dirigierte dann dieser ausgezeichnete Diri- 
gent noch die „Walküre“. Es war eine Freude, wieder mal 
einen Mann am Pult zu sehen, dessen souveräne Beherrschung 
des Stoff es an die ausgezeichneten Aufführungen unter Krzyca- 
nowski erinnerte, dessen so tragisches Ende heute noch von 
allen Eingeweihten als Verlust nir das Weimarer Hoftheater 
als Opern- und Wagner-Bühne empfunden wird. G. Lewin. 

1 • . 

* *, ..* 

Neuäufffihrungen und Notizen« 

— Die Straußsche „Josephs-Legende“ wird in Berlin. auf- 
geführt werden. Generahn tendant v. Hülsen-Häseler hat 
auf das ihm zustehende' Rücktrittsrecht verzichtet, er wird 
lediglich die „Freiheit der Kostüme“ ein wenig .einschränken. 

360 


Sonst werden die Aufführungen genau in derselben In- 
szenierung stattfinden wie in Paris. Das Straußsche Ballett 
kann nur durch .das Russische Ballett aufgeführt werden, 
da Herr v. Diaghilew einen Vertrag mit Richard Strauß 
geschlossen hat, wonach ihm allein das Werk auf eine Reihe 
von Jahren gehört. Es ist möglich, daß Nijinski bei der 
Berliner Aufführung die Hauptrolle durchführen wird. 

Im „Theater des Westens“ in Berlin werden in der 
Zeit vom 23. Juni bis 21. August eine Reihe Aufführungen 
von Wagners „Nibelungenring“ stattfinden. Als erster 
Kapellmeister wird E. v. Reznicek wirken, und das Solisten- 
ersonal ist aus Mitgliedern aller größeren deutschen Opern- 
ühnen zusammengestellt. 

— „Monika Vogelsang“ heißt eine neue Oper nach einer 
Novelle von Felix Phihppi, die Kapellmeister R. Schüller 
komponiert hat. Die Oper soll am Leipziger Stadttheater 
aufgeführt werden. 

— Felix v. Weingartner hat der „Neuen Freien Presse“ 
Näheres über seine Darmstädter Zukunftspläne mitgeteilt. 
Danach soll mit seiner Berufung als Generalmusikdirektor 
die vollständige Reorganisation der Hofoper verwirklicht 
werden; Orchester und Chor sollen wesentlich verstärkt, 
mehrere bedeutende Bühnensänger verpflichtet werden. 
Im September will Weingartner mit einem vollständig neu 
inszenierten „Figaro" herauskommen, dem eine Neu- 
einstudierung des „Othello“ und später vielleicht ein ganzer 
Zyklus der Weingartnerschen Musikdramen folgen wird. 
Der Künstler wird auch den Zyklus der acht Symphonie- 
konzerte der Hofkapelle übernehmen, die Konzerte der 
Wiener Philharmonie beibehalten und während seiner häufigen 
Darmstädter Urlaube Konzertreisen unternehmen. 

— „Julien“ von Gustave Charpentier, die Fortsetzung 
seiner „Louise“, ist am Tschechischen Nationaltheater in 
Prag auf geführt worden. 

— Hugo Wolfs Oper „Der Corregidor“ soll in einer Neu- 
inszenierung von Direktor Gregor im Wiener Hofopemtheater 
aufgeführt werden. Für die nächste Saison ist Pfitzners 
Oper „Der arme Hei n rich“ zur Aufführung angenommen 
worden. 

— In Paris hat die englisch-amerikanische Gesellschaft 
im Opernhaus Astruc auf italienische Aufführungen nun 
auch deutsche W agner- Aufführungen folgen lassen. , .Tristan“ 
machte den Anfang, die „Meistersinger“ unter Felix Wein- 
gartners Leitung folgten. 

— Generalmusikdirektor Schillings in Stuttgart ist von 
der Großen Oper in Paris eingeladen worden, Salome, Tristan 
und Parsifal zu dirigieren. 

— In Paris hat in der Großen Oper das Russische Ballett 
den „Goldenen Hahn“, das letzte Werk Rimski-Korsakows 
gegeben, und zwar zugleich als Pantomime und als Gesangs- 
werk. Alle Hauptrollen wurden von Tänzern gemimt und 
von Sängern konzertmäßig gesungen. Diese seltsame Kom- 
bination .hatte jedoch ein gerichtliches Nachspiel. Die 
Erben des russischen Komponisten verlangten, daß die 
weitere Aufführung untersagt werde, da die Art der Auf- 
führung den Absichten des Komponisten widerspreche. 
Das Gericht beschloß, die zweite Aufführung gegen eine 
Entschädigung von 3000 Francs an die Erben des Kom- 
ponisten zu gestatten, entschied aber, daß die weiteren 
Aufführungen nur erfolgen können, wenn eine Einigung mit 
den Erben zustande kommt. — Aehnliche Tendenzen ver- 
folgt der russische Ballettkomponist Strawinski in seiner 
neuen dreiaktigen „Nachtigall“. Er stellt aber Sänger und 
Tänzer nebeneinander, gibt beiden besondere Aufgaben 
und hat seine Musik zum voraus hierauf angelegt. 

— In Buenos Aires ist die Opernsaison durch eine Auf- 
führung von Wagners „Parsifal“ im Teatro Colon eröffnet 
worden. Der Vorstellung wohnten die Mitglieder des Staats- 
ministeriums mit dem Vizepräsidenten der Republik Plaza 
an der Spitze und ein vieltausendköpfiges Publikum bei. 

— Charles LevadS hat die Partitur zu einer lyrischen 

Komödie in 5 Akten und 6 Bildern: „La Rötissene de la 
Reine P6dauque“, dem berühmten Roman von Anatole 
France entnommen, vollendet. — Ferner soll Edmond 
Rostands „Cyrano de Berg6rac“ nun endlich einen Vertoner 
in der Person des jungen venezianischen Musikers Ricardo 
Zandonai gefunden haben. Der berühmte Dichter hatte 
diese hohe Gunst bis jetzt allen französischen und fremden 
Komponisten abgeschlagen. Dank den unausgesetzten Bitten 
des Mailänder Verlegers Tito Ricordi hat er sich also doch 
erweichen lassen und seine so lange aufrecht gehaltene 
Hartnäckigkeit zugunsten der italienischen Kunst ab- 
gestreift 1 Zandonai ist der Komponist der Opern ,.Con- 
chita“ und „Francesca da Rimini“. Lvn. 

* 

— Das achte Deutsche Bach-Fest soll 1916 in Bonn statt- 
finden. 

— Hugo Kaun hat die Komposition seiner dritten Sym- 
phonie (emoll) beendet. Das Werk ist Artur Nikiseh ge- 
widmet und erscheint Ende August im Verlage von Julius 
Heinrich Zimmermann in Leipzig. 



— In Leipzig hat die 16jährige Geigerin Florica Pursch, 
Schülerin des Konservatoriums, mit schönem Erfolg Bruchs 
g moll-Konzert gespielt. 

— Das Oratorium „Te Deum“ von Pater Hartmann ist 
in Nürnberg unter Leitung des Komponisten nicht zum 
ersten Male aufgeführt worden; Chordirektor Karl Pittner 
hat es bereits im Februar aufgeführt. 

— Aus Donaueschingen schreibt man uns: Den Abschluß 
der Winterkonzerte der Gesellschaft der Musikfreunde, deren 
beide letzte noch Pugnos hinreißendes Klavierspiel und 
Prof. Petschnikoff mit der Chaconne gebracht hatten, bildete 
eine glänzende Aufführung von Haydns „Jahreszeiten“. 
Solisten: Maria Lydia Günther aus Hannover, Hermann 
Ackermann und Ludwig Feuerlein aus Stuttgart. Die Be- 
gleitung der Rezitative wurde auf einem aus der Fürstl. 
Hofbibliothek stammenden Graffschen Flügel aus dem 
Jahre 1800 ausgeführt. Kapellmeister Heinrich Burkard 
leitete die Aufführung. 

— Der Emder „Verein zur Pflege volkstümlicher Musik“ 
(Dirigent: Kapellmeister Dr. Waller Müller aus St. Gallen) 
hat außer der Bachschen Kantate „Selig ist der Mann, der 
die Anfechtung erduldet“ das „Deutsche Requiem“ von 
Brahms aufgeführt. Dies war um so mehr zu begrüßen, 
als man bisher in Ostfriesland kaum Gelegenheit hatte, 
das Requiem zu hören. Als Solisten waren Marie Lydia 
Giintter (Hannover) und Herr Felix Lederer- Prina. (Berlin) 
gewonnen worden. 

— In Landshut (Niederbayern), wo der erste Chormeister 

der Liedertafel. H. Lehner, schon seit Jahren seine ganze 
künstlerische Kraft aufbietet, um das schon schöne Blüten 
reifende Musikleben immer mehr zu heben, ist Bachs 
„Matthäus-Passion“ als Glanzpunkt der Saison aufgeführt 
worden r Im ganzen stellten sich 600 Kräfte zur Verfügung. 
Solisten: Möhl-Knabl (München, Sopran); Kammersängerin 
Erler-Schnaudt (München, Alt); die Herren Dr. Fest (Bariton) 
und Horbelt (Baß). Der Bach-Sänger, Herr Krohmann 
aus* Frankfurt, sang den Evangelisten. S. 

— In Raab (Györ, Ungarn) hat der Philharmonische 
Verein und der Domchor A. Dvoräks „Stabat mater“ auf- 
geführt. Solisten waren: Anna Kalab (Wien), Jos. Winkler 
(Preßburg), Marg. Pokomy und Ad. Spal (Raab). Die 
Leitung war in den Händen des Domkapellmeisters Gabriel 
Fränek. 



— Aus Bayreuth. Wie durch die Tageszeitungen schon 
bekannt geworden ist, will Bayreuth eine großzügige Stiftung 
ins Leben rufen. Der Zweck der Richard - W a g n er- 
st i f t u hg fürdasdeutscheVolk wird nun in der 
München-Augsburger Abendzeitung offiziell vom Hause 
Wahnfried bekannt gegeben. Er besteht in der Aufführung 
von Werken Wagners im Geiste und nach dem Vorbilde des 
Meisters im „Hause Wahnfried“, in der Bildung einer Samm- 
lung, genannt „Richard-Wagner-Heim“, aus den vorhandenen 
Beständen, sowie in der Erhaltung und Wahrung dieser 
Sammlung. Das Erträgnis des Stiftungsvermögens dürfe zu 
Privatzwecken nicht verwendet werden. Neu berichtet 
zu werden verdient die vergessene Tatsache, daß Siegfried 
Wagner seinerzeit in dem Prozeß des Theaterdirektors 
Conried unter Eid ausgesagt hat, das Defizit einer Fest- 
spielsaison in Bayreuth betrage über 100000 M. Dieses 
Defizit wird demgemäß aus den Zinsen des Stiftungsvermogens 
gedeckt werden müssen. — Diese Nachricht, wenn sie auch 
in ihrer ganzen Tragweite heute noch nicht recht zu ubersehen 
ist darf wieder mal als Erfreuliches aus Bayreuth gebucht 
werden Der Streit im Hause Wahnfried findet inzwischen 
langatmige Erklärungen und Gegenerklärungen in der 
Münchner- Augsburger Abendzeitung. Wir verzichten auf 
eine Erörterung der peinlichen Vorfälle, bis das Uencht 

Se — IO mr\we DO n- Juan-Text. In Sachen des Don-Juan - 
Prejsausschreibens hat der Deutsche Bühnenverein auf seiner 
45. soeben in Altenburg stattgehabten Generalversammlung 
einen grundsätzlich bemerkenswerten Entschluß gefaßt. Man 
erinnert sich, daß vom Deutschen Bühnenverein aus die An- 
regung erging, zunächst versuchsweise einen Preis von 
10 000 Mark auszuschreiben für die beste Uebersetzung des 
Don Tuan“, und daß kürzlich Karl Scheidemantel. selbst ein 
ehemaliger Vertreter der Titelrolle äm Dresdner Hoftheater, 
einstimmig von einem aus allerersten Kennern zusammen- 
gesetzten Preisgericht erwählt wurde. Nun kommt es darauf 
an daß diese als gut befundene Bearbeitung auch möglichst 
überall aufgeführt wird, damit so allmählich auch an andere 
ähnliche Opern berangegangen werden und ein einheitlicher Text 


für die gesamte deutsche Opernbühne geschaffen werden kann. 
Baron zu Putlitt brachte deshalb den Antrag ein, daß binnen zwei 
Jahren jede dem Deutschen Bühnenverein zugehörende Opern- 
bühne gezwungen sein soll, diese preisgekrönte Bearbeitung auf- 
zuführen . Grundsätzlich wird man diesen Beschluß durchaus gut- 
heißen müssen da er einzig die Möglichkeit in die Hand gibt, nun 
die geplante Textreform auch praktisch durchzuführen. In 
der Diskussion aber zeigten sich bald mehrere Bedenken, so 
daß man sich entschloß, zunächst als Anfangstermin den 
15. April 1915 anzusetzen, dann die Frist auf drei Jahre 
auszudehnen und schließlich auch den unbedingten Zwang fallen 
zu lassen. Statt dessen lautet die nunmehr gültige Bestim- 
mung, daß jede Bühne, falls sie überhaupt den „Don 
Juan“ aufführt, ihn nur in dieser neuen Form geben darf. 
Zu den heftigsten Gegnern auch dieser Formulierung gehörte 
der Wiener Hofopemdirektor Gregor, der ebenso wie sein nicht 
anwesend gewesener Kollege aus München über eine seit 
längerer Zeit sehr beliebte und künstlerisch einwandfreie Be- 
arbeitung verfügt. Für diese Bühnen bedeutet der Zwang 
eine ungewöhnliche Härte, ganz abgesehen, daß bis jetzt die 
wirkliche Güte der neuen Bearbeitung des „Don Juan“ noch 
nicht praktisch erprobt worden ist. Doch hofft Graf Seebach, 
noch im Juni zur Uraufführung nach Dresden einladen zu 
können. Der Beschluß bedeutet einen großeh und grundsätz- 
lich wichtigen Sieg des um die Lösung dieser Textreform- 
fragen sehr verdienten Baron zu Putlitz, der daran denkt, 
weitere Versuche in dieser Hinsicht zu unternehmen. Daß 
dies dringend nottut und eine Einheitlichkeit sehr wünschens- 
wert ist, wurde auch in der „N. M.-Z.“ des öfteren aus- 
geführt. F. E. W—n. 

— Zum Gluck- Jubiläum. Zur Feier des 200. Geburtstags 
Christoph Willibald Glucks am 2. Juli wird von seiner Heimat 
Hammer bei Brüx in Böhmen eine Reihe großer Jubiläums- 
festlichkeiten geplant. Der Geburtsort Glucks ist zwar 
nicht Hammer, sondern Weidenwang in Mittelfranken, 
Gluck hat aber stets Deutschböhmen seine Heimat und dessen 
Bewohner seine Landsleute genannt, da er schon als drei- 
jähriges Kind mit seinen Eltern nach Hammer kam. Am 
28. Juni ist die Enthüllung einer Bronzeporträttafel in Ham- 
mer geplant, die der Kammerbildhauer Anton Grath in 
Wien geschaffen hat. Da aber das Komitee in der kleinen 
Gemeinde Hammer die bedeutenden Kosten nicht allein 
aufzubringen vermag, so ersucht es alle Verehrer und Lands- 
leute Glucks um Widmungen von Spenden zur Herstellung 
dieser Gedenktafel, die der Mit- und Nachwelt ein beredtes 
Zeichen der Verehrung eines großen Mannes unserer schönen 
Heimat unseres geliebten deutschen Volkes sein und bleiben 
soll. 

— Von den Konservatorien. Der Großherzogi. Musikdirektor 
Karl Rorich, seit 23 Jahren Lehrer an der Großherzogi. 
Musikschule in Weimar, ist zum Direktor der städtischen 
Musikschule in Nürnberg gewählt worden. Sein Weggang 
bedeutet für Weimar einen Verlust, da er als Theorielehrer 
während dieser Zeit Bedeutendes geleistet hat. Auch als 
stellvertretender Direktor amtierte er des öfteren mit aus- 
gesprochener Begabung für diesen Posten. — Der Komponist 




w 


THOMAS KOSCHAT f. 
Verlag Herrn. I^dser, Berlin- Wilm. 


361 


und Gesangsmeister C. L. Treff übernimmt vom i. Juli ab 
an dem von ihm geleiteten Höheren Musikinstitut in Königs- 
berg i. Pr. persönlich den Unterricht der Gesang- und Klavier- 
klassen für Berufsschüler. Der Unterricht findet das ganze 
J ahr hindurch statt und wird nicht durch Ferien unterbrochen. 

— Vom Männergesang. Der Leipziger Riedel-Verein hat 
sein öojähriges Bestehen mit einem schlichten Kirchenkonzert 
begangen, in dessen Programm Komponisten wie Bruckner, 
Liszt und Mahler vertreten waren, für die der Verein sich 
stets und nicht ohne bedeutendere Schwierigkeiten eingesetzt 
hatte. Von Karl Riedel gegründet, ist er aus einem einfachen 
Gesangsquartett zu einer der angesehensten deut-chen Chor- 
vereinigungen herangewachsen. Schon sein Begründer hatte 
den Verein vielfach auf Gastreisen innerhalb Deutschlands 
geführt. Während aber sein Nachfolger,' Professor Kretzschmar, 
mehr Nachdruck auf die innere Erstarkung legte und zu seiner 
Ergänzung die berühmt gewordenen „Akademischen Konzerte“ 
begründete, ließ dessen Schüler und Nachfolger, Dr. Georg 
Gohler, die alte Tradition wieder aufleben und leitete bekannt- 
lich die bedeutenden Aufführungen von Mahlers 8. Symphonie 
in München, Leipzig, Berlin und Hamburg, bei denen der 
Riedel-Verein an erster Stelle mitwirkte. Zu seinem Nach- 
folger wurde voriges Jahr Richard Wetz gewählt, der als Kom- 
ponist bekannt, als Dirigent und musikalischer Erzieher erprobt 
ist und in Leipzig großes Vertrauen genießt. F. E. W — «. 

— Die Organisation der konzertierenden Künstler. Der 
Vorstand des Verbandes konzertierender Künstler Deutsch- 
lands teilt mit: Die von dem Vorstand des kürzlich gegrün- 
deten Berufsvereins ausübender Künstler (Vorsitzender Prof. 
Xaver Schar wenka) angebahnten Fusionsverhandlungen mit 
dem Verbände konzertierender Künstler (Vorsitzender Kapell- 
meister Eduard Mörike) hatten bereits zu einer Einigung 
beider Vereinsvorstände geführt und die Hauptversammlung 
des Verbandes konzertierender Künstler hatte diese bestätigt. 
Die letzte Hauptversammlung des Berufsvereins ausübender 
Künstler hat hingegen wider Erwarten die Fusion dadurch 
zum Scheitern gebracht, daß sie im Interesse ihres Gründers 
Dr. Osterrieth neue und für den Verband konzertierender 
Künstler unannehmbare Forderungen stellte, obwohl Dr . Oster- 
rieth an den vorhergehenden Vereinbarungen teilgenommen 
und sich mit ihnen einverstanden erklärt hatte. Es ist 
bedauerlich, daß an einer Personenfrage eine Einigung 
scheitern mußte, gegen die keinerlei sachliche Bedenken vor- 
liegen und die nur im Interesse aller Künstler liegen kann. 
Es ist also den konzertierenden Künstlern nicht gelungen, 
was die Konzertagenten mit ihrer kürzlich erfolgten Or- 
ganisation erreicht haben. (Bei einem unruhigen Geiste, 
wie Herr Dr. Osterrieth es ist, darf man sich über den Gang 
der Dinge nicht wundem. Red.) 

— Ferienkurse für Klavierspieler. Vom 15. Juli bis Ende 
August findet in Partenkirchen ein Ferienkurs von A . Zacha- 
riae statt. Programm: 1. Höheres Klavierspiel. 2. Kursus 
für modernen Anschlag. 3. Gymnastik-Kursus für Klavier- 
spieler. 4. Kursus zur Beherrschung und Anregung der 
Nerven. (Nur im August.) System Zachariae-Hense. 
5. Ausbildung des Gedächtnisses und Konzentrations- 
vermögens. Honorar für die Kurse im voraus zahlbar. An- 
meldungen sobald wie möglich bei A. Zachariae, Hannover, 
Misburgerdamm 3. In Verbindung damit findet ein Ferien- 
kurs in rhythmischer Gymnastik und Gehörsbildung nach 
der Methode Jaques-Dalcroze statt. Anmeldung bei Joachim 
Winkelmann, Hellerau, Institut Dalcroze. 


Personalnachrichten. 

— Auszeichnungen. Dem Kammervirtuosen Prof. Emil 
Sauer in Dresden ist voih König vön Sachsen der Rang in 
Klasse 4 unter Nummer 1 der Hofrangordnung verliehen 
worden. — Beim II. Lippischen Musikfest in Detmold ist 
dem Kölner Sängör Ernst Eberts der Titel eines „Fürstlich 
Lippischen Kammersängers“ verliehen worden und Frau Marie 
Möhl-Knabl in München der Titel einer Kammersängerin. 

— Generalmusikdirektor Fritz Steinbach in Köln hat, wie 
es heißt, auf dringenden Rat seiner Aerzte seine Aemter als 
städtischer Musikdirektor, Leiter des Konservatoriums und 
der Gürzenich-Konzerte niedergelegt, nachdem er soeben eine 
sechswöchige Kur in Nauheim wegen eines Herzleidens 
erfolglos durchgemacht hatte. — Sollte ein berühmter 
Nachfolger gefunden sein ? 

— Joseph Thienel in Erfurt ist zum Dirigenten des Bremer 
Lehrergesangvereins gewählt worden. 

— Der Direktor der Hochschule in Mannheim, Karl Zu- 
schneid, hat am 29. Mai seinen 60. Geburtstag gefeiert. 
Geboren 1854 zu Oberglogau in Oberschlesien erhielt Zu- 
schneid seinen ersten musikalischen Unterricht von Therese 
Roschek, einer Tochter des Gräflich Oppersdorfschen Kapell- 
meisters Roschek auf Schloß Oberglogau. Erst im 22. Lebens- 
jahr wurde es ihm möglich, sich ganz der Musik zuzuwenden, 
er studierte mehrere Jahre am Stuttgarter Konservatorium, 
wo im Klavierspiel Lebert und Pruckner, in der Komposition 

362 


Seyerlen und Faißt seine Lehrer waren. 1897 wurde er 
als Dirigent des' Sollerschen Musikvereins und des Männer- 
gesangvereins nach Erfurt berufen; 1907 nach Mannheim. 
Als Komponist wie vor allem auch als Pädagoge hat sich 
Zuschneia einen geachteten, bekannten Namen- gemacht. 
Den Lesern der „N. M.-Z.“ ist er ja als Mitarbeiter ebenfalls 
.aufs beste bekannt. (Ein Verzeichnis der Kompositionen 
und Unterrichtswerke Zuschneids hat der Verlag Chr. Friedrich 
Vieweg, Berlin-Großlichterfelde, herausgegeben.) 

— Der bekannte Komponist und Pädagoge Prof. Hermann 
Grädener in Wien hat seinen 70. Geburtstag gefeiert. 

— In Wien ist im Alter von 71 Jahren Thomas Koschat, 
der Sänger des weltberühmten „Verlassen bin i“, gestorben. 
In Viknng bei Klagenfurt geboren, absolvierte Koschat 
dort das Gymnasium, studierte dann in Wien Naturwissen- 
schaften, gab sich aber dann ganz dem vokalen Beruf hin, 
erst als Chorführer an der Hofoper, dann als Mitglied der 
Dom- und Hofkapelle. Neben seinen zahlreichen volkstüm- 
lichen Liedern hat auch ein Singspiel „Am Wörther See“ 
auf der Bühne Glück gehabt. Koschat hat auch Gedichte 
ohne Musik und Feuilletons veröffentlicht. Soweit die 
deutsche Zunge klingt, werden seine Kämtnerlieder gesungen ; 
seinem „Verlassen“ darf aber die „Unsterblichkeit“ zu- 
gesprochen werden. (Siehe das Bild auf S. 361.) 

— Der schweizerische Komponist Musikdirektor Karl 
Attenhofer ist im Alter von 77 Jahren in Zürich gestorben. 
Karl Attenhofer wurde am 5. Mai 1837 in Wettingen bei 
Baden (Schweiz) als Sohn eines Wirtes geboren. Er be- 
suchte 1857/58 das Leipziger Konservatorium und wurde 
1859 als Gesang- und Musiklehrer in Muri (Aargau) an- 
gestellt. 1863 ging er nach Rapperswyl als Dirigent des 
Männergesangvereins und erregte auf dem Eidgenössischen 
Musikfest 1 866 daselbst derartiges Interesse, daß ihm gleich- 
zeitig die Direktion von drei Züricher Männergesangvereinen 
übertragen wurde („Zürich“, „Studentengesangverein" und 
„Außersihl“). .1867 siedelte er nach Zürich über. Die 
Universität Zürich ernannte ihn zum Dr. phil. h. c. Vonbden 
zahlreichen Kompositionen Attenhofers sind besonders seine 
Männer chöre populär geworden. 

— In Stuttgart ist der ausgezeichnete Klarinettist der Hof- 
kapelle und Lehrer am Konservatorium Kammervirtuos 
Heinrich Horstmann gestorben. Der Tod überraschte üin 
mitten in seiner künstlerischen Tätigkeit; nach Beendigung 
des II. Aktes der „Aida“ brach der Künstler, vom Herzschlage 
getroffen, zusammen. Horstmanns Kantilene war bekannt 
wegen ihrer Schönheit. Er ist über 60 Jahre alt gewoiden 
und hat der Hofkapelle lange Zeit hindurch angehört. 

* * * 

Unsere Musikbeilage zu Heft 18 bringt zunächst ein Stück 
für Klavier: „Kreuzrittermarsch“ von G. Walter Scharwenka 
aus Berlin, den wir unseren Lesern hiermit vorstellen. Ueber 
den Komponisten des effektvollen Marsches, der durch Be- 
nützung des Choräls „Jesus, meine Zuversicht“ prächtig ge- 
steigert wird, ist in dem Artikel „Deutsche Musik in Lon- 
doner deutschen Kreisen“ zu lesen. Der Kreuzrittermarsch 
wurde dort mit großem Beifall gespielt. G. Walter ist ein 
Sohn Philipp Scharwenkas. — Als zweites Stück steht ein 
Lied: „Das Mädchen von Sorrent“ von Robert v. Hornstein. 
Die Lieder des ehemaligen Freundes von Richard Wagner 
waTen früher bekannt; heute sind sie etwas vergessen, aber 
mit Unrecht. Sie sind fein empfunden und bei aller „Schlicht- 
heit" nicht ohne Reiz. Wir glauben mit dem Liede, das wir 
mit Erlaubnis des Sohnes des Komponisten abdjucken, eben- 
soviel Freude zu machen, wie mit dem Klavierstücke Henselts 
in Heft 16. Es sind Proben vortrefflicher Hausmusik. 


GratfsMIage: „Allgemeine Seschiebte der Musik / 1 

Von Dr. Richard Batka und Professor Dr. Wilibald Nagel. 

Diesem Heft liegt als Gratisbeilage Bogen 12 bei. 

Neu eingetretenen Abonnenten beehren wir uns Nachstehendes 
mitzuteilen: 

Vierteljährlich gelangen zwei Lieferungen zur Ausgabe. 

Band £ und II in Leinen gebunden (enthaltend annähernd 350 
Abbildungen) kosten zusammen M. 11. — , bei direktem Bezug 
zuzügl. 50 Pf. Porto. Auch einzeln erhältlich. 

Einzelne Bogen des I., II. und 111. Bandes können zum Preise 
von 20 Pf. für den Bogen jederzeit nachbezogen werden, auch von 
seitherigen Abonnenten, denen Bogen in Verlust gerieten. 
Leinwanddecken zu Band I und ü je M. 1.10, bei direktem 
Bezug M. 1.30. 

Zu beziehen durch jede Buch- u. Musikalienhandlg. sowie direkt vom 

Verlag der „Neuen Musik-Zeitung“ ln Stuttgart. 

Verantwortlicher Redakteur: Oswald Kühn in Stuttgart. 
Schluß der Redaktion am 30. Mal, Ausgabe dieses Heftes am 
11. Juni, des nächsten Heftes am 2. Juli. 


Briefkasten 


Für unaufgefordert eingehende Manu* 
«kripte jeder Art übernimmt die Redaktion 
keine Garantie. Wir bitten vorher an- 
zufragen, ob ein Manuskript (schriftstelle- 
rische oder musikalische Beiträge) Aus- 
sicht auf Annahme habe; bei der Fülle 
des uns zugeschickten Materials ist eine 
rasche Erledigung sonst ausgeschlossen. 
Rücksendung erfolgt nur, wenn genügend 
Porto dem Manuskripte beilag. 

Anfragen für den Briefkasten, denen 
der Abonnementsausweis fehlt, sowie ano- 
nyme Anfragen werden nicht beantwortet. 

G. F. Wir haben schon oft das Buch 
von Prof. Wilibald Nagel „Beethoven 
und seine Klaviersonaten 44 (2 Bände) em- 
pfohlen. Erst neulich wiesen wir ln un- 
seren Besprechungen auf die Schrift von 
Marx (Heft 13) der Deutschen Musik- 
bücherei hin. Wir bitten, unsere ..Be- 
sprechungen" zu verfolgen; für die Quar- 
tette empfehlen wir die Beethoven-Bio- 
graphie von Marx. Wegen Preise und 
Verlag wenden Sie rieh direkt an Ihre 
Musikalienhandlung. 

W. Th. Uns nicht bekannt. Es würde 
uns Interessieren, zu erfahren, wie Sie auf 
diese Frage kommen. 

G. Gr. Es ist doch sonderbar, was für 
Fragen gestellt werden. Wir sollen Ihnen 
effektvolle Klavierstücke zum Vorspielen 
in einem Öffentlichen Konzert nennen? 
Und dann noch ein „Applausstück"? 
Nun, wenn Sie soweit im Klavierspielen 
sind, daß Sie rieh öffentlich hören lassen 
können, dann müssen Sie auch selber 
wissen, was Sie spielen sollen. Wir er- 
innern z. B. an einen gewissen Franz 
Schubert, der auch „beim Publikum“ Er- 
folg hat. Spielen Sie doch vielleicht auch 
den Kreuzritter marsch in heutiger Beilage! 
— 2. Wenden Sie sich an den Verlag 
von Coppenrath In Regensburg. 


Kompositionen 


Sollen Kompositionen Im Briefkasten 
beurteilt weiden, so ist eine Anfrage nicht 
erforderlich. Solche Manuskripte können 
jederzeit an uns gesendet werden, doch darf 
der Abonnementsausweis nicht fehlen. 

(Redaktionsschluß am 28. Mai.) 

Mai. In Ihren Arbeiten fehlt es nicht 
an guten Gedanken; im Übrigen weisen 
sie einen bedenklichen Mangel an satztech- 
nisdtaen Kenntnissen und Fertigkeiten auf- 

A. W. L. 0. Da Sie nur nachahmend 
komponieren, ohne sich bisher mit Har- 
monie- und Formenlehre befaßt zu haben, 
bleiben Ihre Gespinate'Jbesser |unbespro- 
chen: Erfreulich ist, daßjlhre r rege Phan- 
tasie, die Sie vornehmlich von Mozart be- 
fruchten lassen, noch unverdorben ist, so 
«fofl man also von Ihrer späteren Entwick- 
lung Gutes erhoffen darf. 

R. Sch., Khg. Begabung und Neigung 
wenden sich bei Ihnen dem volkstümlichen 
Genre zu. Einer strengeren Kritik halten 
Ihre Stücke nicht stand ; manches, worunter 
der nicht üble Marsch, ließe rieh aber ver- 
bessern. Ihre Orcbesterpartltureo werden 
wohl ähnliche Mängel aufweisen. 

R. K. Ihren bescheidenen Verkenn t- 
nissen entsprechend rind auch die beiden 
Vertonungen zu bewerten. Die melodische 



Rosa Sucher: Aus meinem Leben 

Mit 4 Bildnissen. Geheftet 3 M., gebunden 4 M. 

Lebenserinnernngen einer der 


D ie Künstlerin gewährt dem Leser in diesen Blättern Einblick in die mit ernster 
Arbeit und unermüdlicher Schaffensfreude erfüllten Studienjahre und führt ihn 
in lebendigen Schilderungen durch die ganze Zeit ihres vielbewunderten künstlerischen 
Schaffens bis zu den größten Erfolgen ihrer glänzenden Bühnenlaufbahn. „Es hat 
einen besonderen Reiz, etwas Näheres aus dem Leben einer großen Bühnenkünstlerin, 
wie Rosa Sucher, zu hören. Man tut einen Blick hinter die Kulissen und sieht den 
Menschen ohne Schminke. Rosa Sucher, die s. Zt. als Isolde in Bayreuth unerhörte 
Triumphe erlebt hat, die alle Berühmtheiten ihrer Zeit persönlich kennen gelernt 
hat, weiß viel hübsches von ihren Erlebnissen zu erzählen. Und sie erzählt in liebens- 
würdiger, anspruchsloser Form.“ Vier vortreffliche Bilder schmücken das Buch, das 
durch die Erinnerungen der Verfasserin an bedeutende Zeitgenossen, vor allem 
Richard Wagner, von großem allgemeinen Interesse ist. :: 

Verlas von Breltkopf & Härtel In Leipzig 


Allgemeine Gefchichte der Mufik 

von Dr. Richard Baika und Prof. Dr. Wilibald Nagel 

Mit reichem Bildfchmuck. Lexikon-Format 

In Leinwand gebunden Band I Mk. 5.—, Band II Mk. 6.— 

(Bel direkter Zufendung eines oder beider Bände 50 Pf. Porio.y 
Noch den neueften Forfchungen gemelnverftändllch bearbeiteles Studien- und Orientierungswerk 
allererfien Ranges. Zahlreiche glänzende Gutachten. Die beiden erften Bände enthalten annähernd 

350 Abbildungen 

die zum Teil äufierft feilen find. Der Text wird durch dlefe ln anregender Welfe ergänzt. — 
Der erfle Band behandelt die Gefchichte der Mufik von den filterten Zetten bis zum Mittelalter, 
der zweite Band fährt bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Die In flüfOgem Sill gehaltene Darflel- 
lung bietet eine Fundgrube neuer, inlereffanter Daten, die man in anderen Nachfdilagewerken 
vergebens fuchi. Der dritte Band wird von Prof. Dr. Nagel fortgefetzt und In Bogen perlodlfdt 
der „Neuen Mullk-Zelfung" beigefügt. 

Carl Grüninger in Stuttgart. 



HANS SCHMID - KAYSER 


frriebricfi SHetoeg ©♦ «i. b. 

SJerltw— £td><erfeJbe 

Soeben erfdjtenen: 

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0d)ute t>e£ ßotttcttfbielS 

‘Segleifttng jtmt ©efang. ^reiS *3)1. 3.-, geh. SW. 4.- 

Cyr>er biefe Schute burdjgearbeltet bat — eS genügt baju etwa ein 
•vV^albed 3<*fw — lann ni d>t nur jebe Eautenbegteitung na<$ 9?oten 
fpieten, fonbern aud) {leb felbft richtige Begleitungen fe$en. 3(w befon- 
berer Borjug ift bie geriefte Berbtnbung bet $f>eotie mit ber^rajid. 





Linie echmlegt «ich befriedigend den Text- 
Wortes an. Begldtuag dürftig and nicht 
immer grammatikalisch richtig. 

W. Bi— Ct Thf ' t» lidiiwi Midt Denkco 

«ad Fühlen (Mit gdnsliclr lm Bann der 
modernen Note. Tiefgründigere Schulung 
lenen Öre 3 Lieder Terminen. Wenn Sie 
dch nicht alt einem beeeeren KflsUeng 
vertehtn, «erden die Früchte Ihren Fldües 
so keiner Seife gelangen. 

tu (t— er, H. Den nairen, unmittelbar 
ansprechenden Volketon treffen Ihre beiden 
Lieder nicht gern. Den Vers: 

»Hier wnr'e, hier blet da, Heben Qras, 
wo gestern ich und-LHa sag* — 

«»mmt ihre Mnelk denn doch gar na ernst. 
Zuviel Shre erweisen Sie dem Gren, wenn 
Sie (Ingen: 

»Steh eaf, eteh attf, da lieben Gran, 
verrate nicht; wer anf Ar saßl“ 

Km. Ihr Lied atmet Ftflhlingtfnmde 
in allen Tihtcn. Respekt vor Ihrem 



■ Kunft und Unterricht ■ 


Adreseentafä für Künstler, Künstlerinnen, Musiklehrer und -lehrcrlnnen, MnsfldnsUtqte usw. 
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===== > vom 16. Juli Ms Ende August 1914 ln Partenklrchen te Bayern. ===== 

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bdrtag. Sie werden non auch in anderen 
, Formen sich sa üben Gelegenheit haben. 
Dem Liedertafelgeist sollten Sie vor er st 
keine weiteren Opfer bringen, 

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daa aas Ihren angesnefaten KUngen qntcht, 
berührt sympathisch; -Man darf Sie als 
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«neUtq Formen wird Duma hoch reich- 
lich belohnt werden; nur verlangt die Kö- 
Bigta der Inetramente auch eine «trage 
theoretische Schulung. Duc Gebilde haha 
Wahl Flag, verraten aber als Versuche 
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«och ehre gut« Strecke Wege gehen müssen, 
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hochbedentend zu beidchna . . . tmid so Klnvltrvlrtuoeln • KlavlsrTlrlCOM , 

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XXXV. VERLAG VON CARL GRÜNINGER, STUTTGART-LEIPZIG 1914 

Jahrgang Preis des Jahrgangs (Oktober 1913 bis September 1914) 8 Mark. Heft 19 

Bncbeint vierte] Jährlich h> 6 Heften {mit MnsikbeUagea, Kmutbdlage und „Batta, Illustrierte Geschichte der Musik“). Abonneinentprei« s M. vierteljährlich, 8 M. jährlich. 
Btnsdne Hefte 50 Pf. — Bestellungen durch alle Buch- und Musikalienhandlungen sowie durch sämtliche Poetanstalten. Bei Kreuzhandvenand ab Stuttgart im deutsch- 

Ssteneichiscbcn Postgebiet M. 10.40, Im übrigen Weltpostverein M. rs. — jährlich. 


Inhalt • Christoph WUibald von Glnck. Der Zweihundert jährige. — Inszenierungsfragen der OpernbBhne. — Glucks I^bensbUd. — „Der Zauberbaum.* Eine neu 
IlIUsUI . entdeckte Gluck-Oper. — Vom Kongreß der Internationalen Mnsikgesellschalt In Paris. — Zorn so. Geburtstage von Rieh. Strauß. — leipziger Mtuik- 
brlef. — Kritische Rundschau: Kassel. — Kunst und Künstler. — Besprechungen: Bücher. Neue Klaviermusik. — Briefkasten. — • Neue Musikalien. — Musikbeilage. 


Christoph Wilibald von Gluck. 

Der Zwelhundertjährlge. 

Von Dr. MAX AREND (Dresden). 

W enn wir angesichts des 2. Juli 1914, des zwei- 
hundertsten Geburtstages Glucks, des herrlichen 
deutschen Mannes und prächtigen Künstlers uns 
vergegenwärtigen wollen, was wir an diesem Meister haben, 
so wird uns dies durch eine Betrachtung seiner verschiedenen 
Stile und Kunstgattungen besonders erleichtert. 

Wir sehen, wie der Siebenundzwanzigjährige als italieni- 
scher Maestro in Mailand mit seinem ersten Werk „Arta- 
serse“, dessen Partitur leider verbrannt zu sein scheint, 
meteorartig plötzlich als ein ganz Großer unter den zeit- 
genössischen Neapolitanern steht, wie sein zweites ziemlich 
bald für Venedig komponiertes Werk seinen, Ruhm „zu 
den Sternen hob“, und wie er sich in den nächsten drei 
Jahren durch verschiedene italienische Opern einen durch 
Ruropa nachhallenden Ruhm erwarb. Er ist hier Meister 
der ' neapolitanischen Schule, aber nicht ohne eine sehr 
deutlich erkennbare Eigennote: sein stürmisches drama- 
tisches Temperament, die lebensvolle Kraft der Führung 
seiner Melodien und Harmonien, die an die knorrige Eiche 
gemahnt und den Korrekten immer unbehaglich war, 
vor allem der leitende und die Zügel des Ganzen stets 
in der Hand haltende künstlerische Geist, der Eicht und 
Schatten richtig zu verteüen weiß, wiesen Gluck schon 
damals eine besondere Stellung an. Jedoch hielt sich 
dies in den Grenzen, die durch die damals herrschenden 
Opemtexte und durch die üppige Entwicklung reichster 
edelster Gesangskunst gezogen waren. Freuen wir uns, 
daß diese ernte rein italienische Zeit es dem jungen feurigen 
Meister erlaubten, sich dem Schwelgen in den Mitteln 
des herrschenden und durchaus im Mittelpunkt der ganzen 
Kunstübung stehenden Gesanges hinzugeben und Ge- 
sang zu schaffen von der „imdenkbaren Schönheit“ romani- 
scher Kunst. Es ist uns schwer, von diesen Werken eine 
einigermaßen richtige Vorstellung zu erhalten, weil uns 
eine Kluft völliger Stilwandlung von ihnen trennt. Be- 
sonders auch muß darauf hingewiesen werden, daß die 
Noten hier, zum mindesten demjenigen, der nicht fach- 
männisch im Gesang ausgebildet ist, nur eine höchst 
dürftige und ruinenhafte Vorstellung von der lebendigen 
Wirkung des schönsten und ausdrucksvollsten Instrumentes, 
das wir besitzen: der menschlichen Singstimme mit ihrem 
unendlichen Nuancenreichtum, ihrer durch kein Instrument 
erreichbaren Ausdrucksglut, verschaffen können. Und 


selbst der Musiker von heute ist gewohnt, seine musika- 
lische Aufmerksamkeit dieser Musik gegenüber falsch, 
nämlich so wie gegenüber der unsrigen, einzustellen, indem 
er Harmonien und Orchesterfarben verfolgt: alles dies 
aber liegt unausgesprochen und unaussprechbar durch die 
Notenschrift in dem lebendigen Reben und Strömen der 
Singstimme. So wie heute ein bedeutender Geiger nur 
für seine individuelle Geige schreiben mag und nur auf 
ihr spielen will, so schrieben damals in der Regel die Kom- 
ponisten für einen bestimmten Sänger, denn das kostbare 
Instrument der Stimme war eben bei jedem Vertreter 
ein wesentlich anderes. Natürlich erschwert uns dies 
heute erst recht, eine richtige Vorstellung von der Wirkung 
dieser Gesänge und dieser Formen ausgebildetster, ja 
überwuchernder Gesangskunst zu gewinnen. Wir fangen 
heute wieder erst an einzusehen, daß dieses Stilprinzip 
durchaus nicht zu verwerfen ist; daß der Wiedereinführung 
der großen Neapolitaner in unsere Musikpraxis vielleicht 
eine Mission harrt, für die wir in der Musikgeschichte 
das Analogon der Wiedererweckung? Bachs mit seinen * 
Harmoniekomplikationen nach Beethoven haben. Wir 
werden uns dann auch wieder allgemein des jungen Gluck 
und seines göttlichen Gesangs freuen können. 

Doch nicht Italien — die W e 1 1 war sein Feld, und so 
sehen wir, wie der stürmische Meister Ende 1745 durch 
Paris nach London eilt. Er besteht hier trotz der widrigsten 
und imgünstigsten Umstände zwar mit allen Ehren, 
erringt aber nicht den vollen großen, unbestrittenen, 
durchschlagenden Sieg, den er von Italien her gewohnt 
war und den er wohl hatte erringen wollen. Das Leben 
des Künstlers, besonders das Leben eines so feurigen 
Temperamentes, das es mit seiner Kunst so ernst nimmt, 
ist eine Kette von Arbeit und Leiden. Wir haben freilich 
den goldenen Ertrag dieses Mühens und dieses Leidens vor 
uns. Gluck sah mit Ernst die anderen Kunstgewalten, 
die ihm hier gegenübertraten: das Zurückgreifen auf das 
Einfache, das Urelement der Musik im Volkslied, das ihn 
bei Arne ergriff, er sah auf der anderen Seite die Schlag- 
kraft Händelscher Chöre, während er in Paris den scharfen 
dramatischen Zuschnitt der französischen Musiktragödie 
unter Ratneau gehört hatte. Er beobachtete an der Wirkung 
seiner eigenen Werke, daß auf die englische Nation anders 
als in Italien gerade das auf die einfachste musikalische 
Form Gebrachte am durchschlagendsten wirkte. Anderer- 
seits machte er die Beobachtung, daß die dramatische 
Wirkung höher war als die rein-musikalische im italienischen 
Sinne, was sehr verständlich ist, da er sich vom heimat- 
lichen Nährboden der italienischen Musik, von ihrem 









warmen und trockenen Klima, so weit entfernt befand. 
Infolgedessen wurde es hier dem Meister plötzlich offen- 
bar, wie eine aus einer Oper losgelöste Arie für sich einen 
großen Teil der Wirkung einbiißte, und daß dieselbe Musik, 
die an ihrer dramatischen Stelle voll verstanden war, 
gerührt und erschüttert hatte, losgelöst von der drama- 
tischen Beziehung nur lauen Eindruck machte. 

Wir finden in der nun folgenden Zeit, in der Gluck 
meist in Wien lebte und wirkte und in Italien von Zeit 
zu Zeit einen Triumphzug mit seiner 'Kunst erleben konnte, 
daß Gluck zwar noch im wesentlichen Meister der italieni- 
schen Oper ist, aber in noch viel höherem Grade fremde 
Stilelemente in das 
üppige Singen herein- 
nimmt. Diese zweite 
Periode, die wir etwa 
von 1747 — 1758 setzen 
können, ist die des 
souveränen italieni- 
schen Meisters, der, 
ohne den italienischen 
Stil zu sprengen, kraft 
persönlicher Bedeu- 
tung ihm eine uner- 
hörte Vertiefung zuteil 
werden läßt. Hierher 
gehören Werke wie 
der „Ezio“ oder „Ti- 
tus“, die auch heute 
noch unter der dop- 
pelten Voraussetzung, 
daß wir Sänger haben, 
die diesen Aufgaben 
gewachsen sind, und 
daß es gelingt, das 
Unerfreuliche der Me- 
tastasioschen Texte 
durch geschickte Büh- 
nenkunst unschädlich 
zu machen, das Be- 
deutsame herauszuar- 
beiten, das Unkraut 
der Handlung aber zu 
verdecken, eine volle 
und große tragische 
Wirkung zu machen 
imstande sind, und Ge- 
sangstücke von höch- 
ster klassischer Vollen- 
dung enthalten : ich 
erinnere nur an „Ecco 
alle mie catene“ und 
„Se mai senti spirati“. 

Zeigen sich die Einwirkungen und Spuren anderer Stil- 
arten in dieser zweiten Periode nur in Einzelheiten an 
Orten, die besonderen Anlaß dazu bieten, so greift in der 
dritten Periode der Meister mit Bewußtsein zu allerlei 
Neuem, das seinen dramatischen Instinkt fesselte. Zu- 
nächst sehen wir, wie plötzlich, und wohl zunächst aus 
äußerer Veranlassung, sein Blick auf die französische 
komische Oper fiel, die, abweichend von der italienischen, 
eine straffe scharfe dramatische Anlage hatte. Wir sehen 
hier den wunderbaren Stilinstinkt des Meisters: in dieser 
besonders entlegenen Kunst ist er sofort mit einem kleinen 
Meisterwerke, der „Zauberinsel Merlins“, auf dem Plane. 
Man ist überrascht von der trefflichen Prosodie, die der 
geborene Franzose nur schlechter machen kann, dann aber 
besonders von der Leichtigkeit, der feinen Grazie und der 
stets unaufdringlich gegebenen und nie aus dem Stil- 
rahmen fallenden Charakterisierungskunst. Diese Sachen 
sind heute ohne weiteres bühnenwirksam. Wir haben 
heute Ausgaben einiger dieser Werke, so des „Betrogenen 
Kadi“ (leider in einer stillosen Bearbeitung), des „Zauber- 

366 


baums“. Als reichste Blüte dieser französischen komischen 
Oper erscheinen die dreiaktigen „Pilger von Mekka“, ein 
eigentlich spezifisch deutsches Werk, das neben den 
komischen auch gemütreiche Teile enthält, und dessen 
Hauptfiguren einen Uebergang zur Tragödie darstellen 
— wobei es aber dem Meister mit Sicherheit gelingt, jeder 
Stilvermengung zu wehren und streng die ästhetische 
Grenze, bis zu der das Gemütvolle geht, zu wahren. 

Gleichzeitig beteiligt sich Gluck mit hohem Interesse 
an der Reform des Balletts, die er gemeinsam mit Gasparo 
Angiolini in Wien durchführte. Hier liegt, wie an anderer 
Stelle weiter ausgeführt werden mag, ein direkter Be- 
rührungspunkt mit der 
Gegenwart: die Tanz- 
pantomime als Aus- 
druckskunst ist es, was 
Gluck bereits geübt 
hat, was wir dann völ- 
lig vergessen haben, 
und was in unseren 
Tagen wieder auflebt. 
Hier sind die großen 
tragischen Ballettpan- 
tomimen Glucks zu 
nennen, von denen der 
„Don Juan“ einiger- 
maßen bekannt ist. 
Unsere Zeit ist eben 
im Begriffe, diese 
Werke wieder zu ge- 
winnen. Aus ihnen 
fällt dann ein Licht 
auf die hohe Aufgabe 
der Ballettkunst in den 
folgenden Musiktra- 
gödien des letzten Sti- 
les Glucks. 

Wir wollen diese 
dritte Periode bis etwa 
zum „Orpheus“ rech- 
nen, für den nun der 
künstlerische Boden 
geebnet war. Wie wir 
stets bei einem Großen 
der Geisteswelt finden, 
laufen in ihm alle' be- 
deutenden Bestrebun- 
gen und Gedanken sei- 
nerzeit, als ihrem Ver- 
binder und Vollender, 
zusammen. Die Zeit 
lehrte die „Rückkehr 
zur Natur“. Im musi- 
kalischen Drama hieß dies: eine Revision des ästhetischen 
Sinnes und Zweckes der Kunstgattung. Während die Kleinen 
munter weiter musizierten, erhob sich für den großen Gluck 
immer unausweichlicher die Frage: wozu musiziere ich? 
Diese Betrachtungsweise hatte sich in den beiden vorher- 
gehenden Perioden schon gelegentlichbemerkbar gemacht 
und die Werke Glucks stets vor Modegeschmacklosigkeiten 
bewahrt. Jetzt aber wird das Problem bei den Hörnern 
gepackt. Aus ist es mit dem selbstherrlichen Gesang, 
und wir sehen mit einer gewissen elegischen Wehmut, 
wie der Meister jetzt seinen Blick auf anderes gelenkt hat. 
Das ist freilich nicht mehr und nicht weniger, als die Her- 
stellung der Idee der griechischen Tragödie, eines Kunst- 
werkes von einer Reinheit und Erhabenheit' und einer 
unmittelbaren Ausdrucksgewalt, die es weit ab von fast 
allem sondert, was für das Operntheater — vor und nach 
Gluck — geschrieben worden ist, es leider auch mit sich 
bringt, daß die großen Werke, von denen jetzt die Rede 
ist, mit einer gewissen Notwendigkeit ein wenig außer- 
halb unseres Spielplans, weil über ihm, stehen. Für 



CHRISTOPH WIMBAim VON GLUCK. 
Zeitgenössisches Pariser Gemälde von Greiue, jetzt im I«ouvre. 


Wien schuf Gluck in dieser Zeit den italienischen „Orpheus“, 
die „Alceste“ .und „Paris und Helena", von denen die 
Charalctertragödie „Paris und Helena“ am wenigsten das 
Verständnis ihrer Zeit fand und eine Freude der Zukunft 
darstellen wird. 

pie nächste, letzte Periode ist durch den Wirkungs- 
ort : Par i s , und die Sprache : die französische 
charakterisiert. Es ist die Periode, in der Gluck zu den 
gewonnenen Idealen der vorletzten Epoche noch die Schärfe 
und Schlagkraft französischer Bühhenkunst fügte, und in 
der' ihm die reichsten Mittel der Welt, zur Verwirklichung 
seiner künstlerischen: Absichten, zur Verfügung standen. 
Mit „Iphigenie 'in' Äulis“, „Ärmida‘\ den mit großer künst- 
lerischer Mühe für den geänderten künstlerischen Rahmen 
der großen ' französischen Bühne umgeärbeiteten Werken 
„Orpheus“ und „Alceste“, mit der hoheitsvollen „Iphigenie 
auf Tauris“ und dem elegischen Schwanenlied des Meisters 
apf der Pühne '„Echo und. Narziß“ ist eine Periode ge- 
kennzeichnet, in der diese Kunst die ungeheuerste Wirkung 
tat, Paris auf den Kopf stellte und in der gesamten euro- 
päischen Kunstwelt entscheidend' nachwirkte. Die euro- 
päische Musikgeschichte heißt von 1774 — 1779: Glue k. 
„licht» , und’ Narziß“, däs; köstliche elegische feine Werk, 
das eines kleineren .Theaters Und eines aparten Rahmens 
bedarf, u'rii seinen Eigeristil völlig . zu offenbaren; wurde 
nicht 1 verstanden vmd durch Lauheit — gegen den Protest 
einer begeisterten Minorität — abgelehnt. Das schmerzte 
den greisen Meister so sehr, daß' er nichts mehr für die 
Bühne schrieb Urid ' sich nach Wien' in den Kreis, seiner 
Familie zurückzog, ü.m.eine temperamentvoll-beschauliche 
Muße' zu genießen, dic leider durch 'Schlagflußerseheinungen 
getrübt war. " . ‘ 

' Zwischenljet laufen besonders npeh dreierlei Stile, 
mit denen sich GlücEniitmehr oder weniger künstlerischem 
Eifer Und mehr oder weniger lange beschäftigt : die. reine 
Instrumentalmusik, diä Kirchenmusik und. die deutsche 
Natiönalmusik- Von. reiner Instrumentalmusik,, die dem 
Meister nach seiner Gesamtbegäbung nicht sonderlich 
lag, in der er aber mit dein einzigen sogleich zu erwähnenden. 
Werk ebenbürtig oder überlegen den zeitgenössischen 
Meistern (vor Haydn-Mozart) auftritt, sind die 7 Trios für. 
2. Geigen mit' Violoncell (und ausfullend.es Klavier) vor- 
handen, die RiCnlann im : 'pbUegjüm müsieuiü in unseren 
Tagen neu heräusgegeben und der musikalischen Praxis 
unserer Zeit wieder gewonnen hat. Von Kirchenmusik 
des; Kleisters ist uijs das' hochfeierliche, „De profundis“ für 
gemischten Chor, (yiolinloäes) Orchester mit Posaunen und 
Orgel' erhalten, , das der allerletzten Zeit. Glucks angehört 
und zuerst bei den Bestattungsfeierlichkeiten im November. 
1787 an der Bahre Glücks auf geführt worden' ist. Von der 
deutschen Nationalkunst haben wir das Beste und Größte 
nicht von Gluck aufgezeichnet bekommen: die gewaltig 
konzipierte „Hermannsschlacht“, die alle, die sie von Gluck 
selber haben vortragen hören, als eine neue Kunst em- 
pfunden haben, die aber von dem unter dem Schlagfluß 
leidenden greisen Meister nicht mehr zu Papier gebracht 
worden ist. Aber lange und leidenschaftlich hat Gluck 
sich mit der Klopstockschen Poesie beschäftigt, und wir 
haben wenigstens einige Oden für Gesang und Klavier 
erhalten, von denen die bedeutendste und umfangreichste, 
die prachtvolle „Ode an den Tod“, die mangels einer »Aus- 
gabe so gut wie völlig vergessen war, von mir in diesem 
Jahre neu herausgegeben worden ist. 

Auf jedem Gebiet aber, auf dem Gluck sich betätigt hat, 
hat er weit gesehen und Werke geschaffen, die von bleibender 
Kraft und Bedeutung sind. Wir brauchen nur zuzugreifen 
und wir stehen einer erstaunlichen Fülle gegenüber. Den 
vollen Nutzen und Genuß dieser Werke soll uns die mächtig 
einsetzende Gluck-Bewegung erschließen, die das Ziel hat, 
dem. großen Meister auch in unserer Musikpraxis wieder 
die ihm gebührende Stelle und dadurch Wirkungsmöglich- 
keit zu verschaffen. Dazu gehören freilich andere Auf- 
führungen als wir sie än“ unseren Bühnen gewöhnt sind. 



Christoph wir.uur.o von gi.uck. 

wo man hiü und Wieder. Gluck aus Anstaudspflichten 
gibt. Und selbst die Bühiienr die sich dazu verstehen, 
sind selten. Ohne Fiebe, Ernst, Glaubensfreudigkeit aber 
kein künstlerischer Erfolg! Möge das Gluck-Jubiläum 
dazu dienen, die schlummernden Gewissen wachzurütteln! 


Iriszenierungsfragen der Opernbühne. 

1. 

E in „rechtschaffener deutscher Mann, Christoph Ritter 
Gluck, der erhabenen Tonkunst großer Meister“, 
feiert in unserm Herzen seinen 200. Geburtstag. Gedenk-^ 
tage sind Festtage. Feste feiern aber heißt: sonntäglich 
empfinden, den Blick vom Alltag abkehren, heißt: ein 
Höheres suchen, heißt: reformieren. . Und wo wollen sich 
da unsere Gedanken lieber hinweudeh als zu dem 'Ge- 
biete; dem der Gefeierte die Sehäffe seines Verstandes, 



CHRISTOPH WIT.IBAI.D VON OI.LCK. 
Nach einem Stahlstich. 


3 ( >7 




Titelblatt der ersten, sehr seltenen Ausgabe der italienischen Partitur des Orpheus. 


die Fülle seiner reinen Empfindung und die Kraft seines 
Genies gewidmet hat? Als dahin, wo er selbst ein Re- 
formator war? „Es war mein Vorsatz“, so bekennt er 
mit stolzer Bescheidenheit, „alle jene Mißbräuche von 
Grund aus zu beseitigen, die in die italienische Oper ein- 
geführt worden waren und aus dem feierlichsten und 
schönsten aller Schauspiele das lächerlichste und lang- 
weiligste machen.“ Sein Werk steht fest. Einzelheiten 
mögen der Zeit unterworfen sein , aber der Gluck- 
Gedanke lebt ewig. Doch wie lebt er in uns? Wie 
dienen wir ihm? Wie erfüllen wir ihn an seinen und an 


aller Bühnenfragen ab, und wir alle, die wir uns in 
irgendeiner Weise seine Nachfahren nennen können, sin- 
nen, disputieren, eifern, streiten und arbeiten an der 
Erfüllung desselben Gedankens. Und dabei mag es zu- 
nächst gleichgültig sein, ob wir auch nur danach trach- 
ten, die Kasse zu füllen, oder ob wir aus tiefstem, inner- 
stem Empfinden heraus Goldsucher sind — allein das 
Resultat da oben auf der Bühne entscheidet. Wer ver- 
möchte denn auch noch in dieser, wie man sagt, schlech- 
testen aller Zeiten Geschäft und Kunst voneinander zu 
trennen ? Aber mit diesen Dingen wollen heute unsere 
Gedanken ganz und gar nichts zu tun haben: in unseren 
Herzen tönen Weisen wieder, die uns der irdischen Schwere 
entkleiden, und da will sich’s geziemen, daß wir uns auch 
einmal frei im Freien ergehen: das Resultat da oben auf 
der Bühne entscheidet! 

Dem inneren Gesichte Glucks schwebte, jedenfalls bei 
der Arbeit an seinen Meisterwerken, eine Welt vollkommen- 
ster Schönheit vor: Ton, Wort, Gebärde und Umwelt 
sollten sich zu einem Akkorde reinster Harmonie ver- 
binden. — Inzwischen sind ungefähr 150 Jahre seit der 
Erstaufführung des „Orpheus“ vergangen, und wie weit 
sind wir doch im Grunde noch von der Erfüllung solcher 
reinen Künstlerträume entfernt! Gerade der liebevolle 
Zuschauer, der sine ira et Studio künstlerisch zu betrachten 
versteht, wird immer wieder finden, daß die Verschmelzung 
von Musik und Bühnenvorgang nicht gelingen will. Daran 
darf uns auch der Gedanke nicht beirren, daß der Begriff, 
den wir mit den Worten „Oper“, „Musikdrama“ usw. 
verbinden, vielleicht unlösbare Probleme in sich birgt, 
oder aber, daß es überhaupt unmöglich ist, Schöpfungen 
einer Künstlerseele in irgendeiner Weise vollkommen dar- 
zustellen — darauf kommt es ja auch letzten Endes gar 
nicht an. Der echte Theaterbesucher wird kraft seiner 
gesteigerten Empfindung in jedem Falle viel mehr fühlen, 
als er jemals wird hören und sehen können. Uns, den Nach- 
schaffenden, liegt es aber ob, immer weiter hinein ins 
Wesentliche zu spüren, und sei es schließlich für niemanden 
anders als für uns selbst. Aus diesem ewig neuen Sehnen 
heraus geschehen die künstlerischen Taten. Wer wäre 
nicht schon nach einer mit allgemeinem, höchstem Lobe 
bedachten Erstaufführung, die das Letzte an kunstvollster 
Vertiefung und liebevollster Arbeit zu bieten schien, nach 
Hause gegangen mit dem Gefühl: es war doch nichts Rechtes, 
und mit der schmerzvollsten Sehnsucht, alles noch einmal 




den Werken unsrer Tage? Darauf wird zum Teil die zu beginnen und es viel besser zu machen? Und sollten 
Entwicklungsgeschichte der Musik gut und zuversichtlich uns diese Qualen der Enttäuschung über das Erreichte 
antworten können. Glucks Wirken ist aber auch von mutlos machen und hemmen ? Nein, nein und tausendmal 
den szenischen Fragen gar nicht zu trennen; denn er hat nein! Ist es doch gerade die schönste und erquickendste 
als Erster auch um die streng künstlerische Einheitlich- Eigenschaft der künstlerischen Fragen, daß sie eben un- 
keit der Aufführung gekämpft. Und wie steht 


es damit auf unseren heutigen Bühnen? Sollte 
es nicht ein treues Gedenken sein, sich auch 
damit einmal ernstlich zu beschäftigen? 
Und wenn es einstweilen nur. möglich ist, 
einige allgemeine Gedanken auszusprechen, 
so diene fürderhin folgendes Gluck-Wort zum 
Führer: „Je mehr man die Wahrheit und 
die Vollendung sucht, desto nötiger wer- 
den die Bestimmtheit und Genauigkeit.“ 
Die Redaktion der „N. M.-Z.“ hat aus An- 
laß des Gluck-Jubiläums die „aktuellste" 
Frage, die der' Inszenierung von Opern- 
werkeii der deutschen Bühne, in den .Spalten 
ihres Blattes auf die Tagesordnung gesetzt. 
Die Frage soll- in freier Folge gründlich 
behandelt werden; hoffentlich wird die „Dis- 
kussion" auch rege. Heute beginnen wir. 
* 

„Wie machen wir's, daß alles frisch und neu 
Und mit Bedeutung auch gefällig sei?“ 

Zehn Jahre nach Glucks Tode quält sich 



Goethes Theaterdirektor mit dieser Frage 


368 


Handschriften berühmter Musiker: Autograph von Gluck. 


erschöpflich sind, und daß sie dem leidenschaftlichen 
Sucher gewiß Schönes gewähren, aber noch viel Schöneres 
zeigen und ihn gerade dadurch jung erhalten. 

So wird denn auch natürlich niemals Abschließendes 
zu sagen sein. Jeder Tag kann am Anfang einer neuen 
Kunstwelt stehen, kann uns einen neuen Künstler schenken, 
der alles bisher Errungene weit überholt. Und doch, 
ein guter Freund und Führer wird uns ewig bleiben in 
unserem nachschaffenden Dichten und Trachten: die Ehr- 
furcht vor dem Kunstwerk. Sie allein ist unser Gesetz. 
Das heißt also in Anwendung auf unser Thema: 

„Jede Inszenierung, die nicht aus dem Geiste der Partitur 
heraus empfunden ist, und die nicht die tadellose Aus- 
führung der Partitur voraus- 
setzt und gewährleistet, geht 
auf falschen Wegen.“ 

Der Opernfegisseur sei also 
vor allen andern Dingen musi- 
kalisch, will sagen, er habe 
Musik in sich. Dann wird es 
ziemlich belanglos sein, wie 
weit seine eigentliche musi- 
kalische Bildung reicht — 
wenn er nur imstande ist, 

Musik zu lieben, Musik zu 
fühlen, Musik zu erfassen. 

Im Gegenteil wird man fast 
sagen können, je naiver er 
Musik zu empfinden weiß, je 
weniger er Fachmensch im 
eigentlichen Sinne ist, um so 
besser ftfr seine szenischen In- 
spirationen. Aber der Ein- 
klang muß da sein, muß ihn 
durchdringen und von ihm 
wieder ausstrählen. Der Ken- 
ner weiß, wie es um die Ver- 
wirklichung dieser selbstver- 
ständlich scheinenden Forde- 
rung bestellt ist. Wir rühren 
da an einen der schwersten 
Uebelstände unseres Opern- 
wesens, den näher zu cha- 
rakterisieren und zu unter- 
suchen nicht die Absicht die- 
ser Zeilen ist. Im engsten. Zu- 
sammenhang damit müßte 
auch die schwierige Position, 
in der sich die meisten Opern- 
regisseure befinden, bespro- 
chen werden, doch es genügt 
ja, zu wissen und zu konsta- 
tieren, daß die Vorbedingun- 
gen für eine ersprießliche Arbeit auf diesem Gebiete recht 
ungünstige sind. 

Mit dieser traurigen Tatsache scheinen auch unsre Kom- 
ponisten fest zu rechnen. Denn in vielen Fällen ist die 
Erwerbung einer Oper mit der Verpflichtung verknüpft, 
auch die vom Verlage herausgegebenen Regiepläne des 
betreffenden Werkes genau zu befolgen. Das hat seine 
großen Vorzüge und Nachteile. Dem Werke selbst wird 
dadurch überall ein gewisses anständiges äußeres Gewand 
gesichert — aber die Aufführungen bekommen natürlich 
etwas stark Schablonenhaftes, Gedankenlosigkeit und 
Schlimmeres wird gefördert — es ist ja alles so bequem — 
der feine Reiz und belebende Kampf verschiedener Auf- 
fassungen wird entbehrt, und es ist unter Umständen 
sogar strafbar Besseres zu versuchen und zu finden. Der 
Regisseur selbst wird zum Vollstreckungsbeamten, er 
wird zur Unselbständigkeit geradezu erzogen. Und das 
muß sich auf die Dauer ganz schwer rächen; denn gerade 
die Opernbühne braucht unter den obwaltenden Verhält- 
nissen starke Naturen, die den Mut haben, eigene Wege 


zu gehen, um neue Inszenierungsmöglichkeiten zu suchen. 
— „Was soll denn das ? Singt nur gut!“ Dies und ähnliches 
bekommt man noch oft genug zu hören. Es ginge doch 
nicht an, heißt es dann mit Vorliebe, daß alles immer gleich 
abgrundtief und beseelt sein, daß auch die leichteste Oper 
als schweres Kunstwerk wiedergegeben werden solle ; wie 
anders wisse da der Italiener oder Franzose die unsterb- 
lichen Melodien seiner Meister zu genießen usw. — Das 
ist natürlich ein Mißverständnis. Allerdings sind wir hier- 
zulande ganz andere Theaterbesucher als der Römer oder 
der Pariser, aber die Schwere und bleierne Gründlichkeit, 
die uns so oft angekreidet wird, wollen wir ja auch nicht. 
Wir wollen nur mehr, als an sich kostbare Einzelheiten, 

wollen z. B. im „Barbier von 
Sevilla“ nicht irgendeine Lieb- 
lingspassage hören, sondern 
möchten durch die Auffüh- 
rung ein unendlich heiteres, 
graziöses und befreiendes Gan- 
zes in uns mit allen Sinnen 
aufnehmsn. Nur — dieses 
Ganze gelingt uns leider noch 
nicht, wir haben, in unserem 
Sinne, ganz abgesehen von 
vielleicht unüberwindlichen 
Hemmungen bei fremden Wer- 
ken, noch nicht das Geheimnis 
musikalischer Darstellungs- 
weise gefunden. Unsere Auf- 
führungen, auch wenn in ihnen 
wundervoll musiziert wird, 
sind doch im Grunde noch 
zu nüchtern, zu erdenschwer, 
zu phantasielos — uneins mit 
dem Geiste der Musik. Das, 
was wir hören, verbindet sich 
nicht rein mit dem, was wir 
auf der Bühne sehen, oder 
doch hur ganz selten, und 
auch dann nur in Einzelfällen. 

Natürlich, wird man mir 
zurufen, Körper sind kerne 
Tonwellen. Doch den Ein- 
wand möchte ich nicht gelten 
lassen. Sind nicht viel schwe- 
rere Körper Erfüllt von Musik? 
Von musikalischem Geiste ? 
Die Pyramiden z. B. und die 
Memnonssäulen, auch wenn 
sie nicht tönten ? Nannte 
Goethe die Baukunst umsonst 
eine erstarrte Musik ? — Nein, 
ich möchte diese genannte 
Disharmonie auf eine allgemeine Schwere in der Darstel- 
lung und in der Ausgestaltung des Bühnenbildes zurück- 
führen, die man eben unmusikalisch nennen muß. Die 
Hauptschuld daran trägt vielleicht, oder sogar wahrschein- 
lich, die üble Gewohnheit, die Prinzipien der Schauspiel- 
regie einfach auf die Opernbühne zu verpflanzen. 

Hier eröffnet sich nun ein weites, weites Feld. Und 
es ist fast unmöglich, ohne ausführliche Beispiele fort- 
zufahren. Ich will mich hier vorläufig mit einem kurzen 
Nebeneinander begnügen. Beobachten wir Proben von 
Schillers Teil und Rossinis' Teil: ich glaube nicht, daß wir 
in der Art, wie beide Werke behandelt werden, wie die 
Bühnenproben stattfinden, große und, wie sie durchaus 
nötig wären, wesentliche Unterschiede finden werden. 
Schiller wird eben gesprochen, Rossini gesungen. Dabei 
spielt es dann auch keine Rolle, daß im Schauspiel der 
Chor reinhardtisch durcheinanderwogt, in der Oper aber 
streng nach den Stimmen malerisch gruppiert wird. Aber 
daß hier zwei ganz verschiedene Welten sind, daß in der 
einen strafbar ist, was in der andern anbefohlen werden 

369 



Hudsons Gluclt-Büäle nach dem lieben. 

Sie wurde au Egest eUtf~lm Foyer der Großen Oper zu Paris, ging aber bei 
einem Brande zugrunde. Kopie von Albert Hertel. 


muß, davon werden wir wohl, nichts bemerken. r 
Das Tand, in dem die Menschen singen und in 
Tönen leben, muß ein Wunderland sein, ein Zauber- 
land, ein ' in edelstem Sinne künstliches I v and oder 
kunsterfulltes Tand, ein Reich klingender Tuft, 
tönender Elemente, melodischer Seelen. Davon 
müßte .im Gegensatz zum Drama, ausgegangen 
werden. Nun muß der Regisseur sich in die Musik 
vertiefen und sich von ihr durchdringen lassen, 
um die Gesetze, die jedes einzelne Werk in sich 
trägt, .visionär empfangen zu können. Es genügt 
nicht, den Kirchhof und die Statue des Komturs 
möglichst schön aufzubauen; nein, es muß die 
unendliche Oede und Erhabenheit der Posaunen- 
takte über den Gräbern liegen und das Flirren 
der aufgescheuchten Schatten über die Gänge 
huschen, es müssen Don Juan und Teporello zwi- 
schen diesen Toten leben, im Pulsschlag von Mo- 
zarts Gnaden. 

. Nun wird auch hier neben der inbrünstigen 
Tiebe der größte Zartsinn und die entsagungs- 
vollste Bescheidenheit zu walten haben. Das Opern- , 
repertojre ist nicht sehr groß, dafür sind die Ge- 
fahren, die die Wiederholung einer einmal, gefundenen 
eigenen Inszenierungsart mit sich bringt, um so größer. 
Nichts ist schrecklicher für den Künstler als die Ma- 
nier, und nichts ist für den Regisseur im besonderen 
vernichtender, als wenn er sich in einer ihm eigen- ; 
türalichen Art über die armen Objekte hermacht, un 3 ?;§feU 
dann, meist noch mit Unterstützung eines kräftigen Schlhg- - 
Wortes, zur Strecke bringt. Wie denn diese Zeilen nicht 
etwa geschrieben sind, um die wilde Meute der Inhaber 
einer sogenannten persönlichen Note auf ein edles Wild 
zu jagen; sie mochten im Gegenteil die Tiebe erwecken»; 
die der Behandlung einer großen Reihe von namentlich 
älterem Opern vollständig fehlt. Es gibt unter ihnen. : 
Meisterwerke, die in unscheinbarster- Gestalt ,, afe Tüpkeh-, , 
bußer’ jn allen Verlegenheiten auffaüchen, und zw'äfc-i^N 
eiper Wiedergabe, die auch dem wohlerzogensten Abon- 
nenten' . Abscheu und Tangeweile erregt. -Das ist eine 
Schande., 

Und- ich glaube, daß gerade diese Werke zu ganz neuem . 
Typen , erweckt werden können. Wer möchte nicht einmal - r 
„Die weiße Dame“, „Freischütz“, „Die lustigen Weiber“, 
„Fra? Diavolo“, um nur einige zu nennen, in ihrer ganzen 
Schönheit genießen ? Um dies zu «möglichen, bedürfte 
fs freilich der eindringlichsten Arbeit, die von dem feinsten 
Stilgefühl geleitet werden müßte, und immer schwieriger 
wird. die Aufgabe, je weiter wir über unsere Tage hinaus 
zuruekwanderu. Da gibt uns die Musik keine äußeren 
Anhaltspunkte mehr, keine Illustrationen, Gefühl ist alles, 



• -Glucks Geburtshaus in Weidenwang (Oberpfalz). 


und-.jede Nuance wird erbarmungslos zum Mätzchen. ... Da 
'stelren schließlich einsam und unerreicht, wie gm ersten 
Tage* -die tjeiffen Kunstempfindungen und hohen .Gedanken 
,:t 3. Sofien sie nie Leben erhalten? : 

Emst Legal (Wiesbaden). 






■m. Glucks Lebensbild. 


i 


Von LUDWIG ROLL (München). 



Forjt«rhau3 jo Eiäenb^rg, wo Gluck ; seine Jugend v?tbrschte. 


u.den/großen Reformatoren auf dem Gebiete der dra,ma- 
tlsch 0 i : Musik gehört Christoph Wilibald Gluck, dessen 
290^4 Geburtstag wir heute feiern. Das Datum seiner 
v (&ba^dst- nicht genau bekannt. In den meisten -Werken 
finderpinah den 2. Juli (1714) verzeichnet, auf der, Gedenk- 
tafel' aber, die am Geburtshause Glucks angebracht ist, wird 
der 4. Juli angegeben, und das Taufbuch zu Weidenwang 
Vermerkt nur: „Den 4. Juli 1714 wurde von Pfarrer ' Smiön 
Pabst zu Weidenwang getauft Christoph Wilibald, ■ 8ohn- des 
Jägers Alexander Gluck und seiner Ehefrau Wailhufgä V.“ 
Wenn demnach der Knabe am 4. Juli getauft wurde, dann 
könnte die Angabe, daß er am 2. Juli geboren ist, wohl die 
richtige Sein. . . ' v “ 

Gluck ist in Bayern geboren, und zwar liegt der bereits 
genannte Ort Weidenwang in der Oberpfalz. Wiri: Qber- 
pfälzer — auch der Verfasser dieser Zeilen kann sich :zu ihnen 
zählen — sind stolz darauf, einen so berühmten Landsmann 
zn besitzen. Wer kennt Weidenwang? — Wehrt män mit 
der Bahn von Regensburg nach Nürnberg fährt,' kömmt man 
halbwegs an dem Städtchen Neumarkt vorüber; drei Stunden 
davon entfernt ist der Geburtsort Glucks. Glucks. Gebiurts- 
haus (s. Abbildung) ist ejn einstöckiges. 
Gebäude am südlichen Endfe'deS' Dorfes,- 
das sich in nichts von efeir 'Bauart der 
übrigen Häuser unterscheidet;: der.Vatet 
Glucks hatte es um 37 ! 5i,ß J ';gekauft. 
Die Gedenktafel am Hause trägt? ‘fol- 
gende Inschrift: 

; • t •; ■ . 

„In diesem Hause wurde. 

der Tondichter ‘ ‘ ‘ 

Christoph Ritter von' Gluck-' 
den 4. Juli 3714 gebaren:“; T': ; .1 : 

Noch uni die Mitte : (leS -vöriyeiT Jahr- 
hunderts war : man stehhübeü; die - ; Her- 
kunft Glucks, yollk-omniai, im unkten. 
Christoph. Wilibald ^wurde nämjich imt 
seinem Vetter Johann, Chnsföph GJuck 
verwechselt, detdiit^-Jafife iyöP'?rf'Neüf 
Stadt :pn der- nördlichen .Gberpfalzj gei- 
hpren war ..prst .der Jyijk- -JJniyersi-; 

T ;MitgetejJ,t von: denv.derzeitigen .Lehr 
rer vofi Weiaenwarig in der Zeitschrift 
„Die 'Gberpfäl'z“ (JShrgahjT 1907; Lieft 4 ). 
Auch sauf dem'' GlubkiDenfcmal .zu. 
.. ... - ; cMüftphen .§tahtv Johann Chpi^tfipk Gluck; 

••-/ . D^isolJ^^öch eüunäl geändert, wbrden : 


370 



täts-Kustos Dr. Anton Schmidt in Wien hat Licht in die 
Sache gebracht und die Abstammung des Komponisten Gluck 
von dem Förster Alexander Gluck in Weiaenwang nach- 
gewiesen •. 

Von 1717 an war der Vater Glucks bei verschiedenen Herr- 
schaften in Böhmen in Stellung, u. a. bei dem Fürsten Lob- 
kowitz in Eisenberg. So verlebte Gluck den größeren Teil 
seiner Jugend in diesem Lande, was seiner musikalischen 
Entwicklung nur förderlich war. In Kirche, Schule und 
Nachbarhaus fand er vielfach Gelegenheit zu Gesang und 
Spiel, so daß er frühzeitig Noten lesen und Violine und Violon- 
cell spielen lernte. 1726 schickte der Vater den Zwölfjährigen 
nach Komotau zu den Jesuiten. Der dortige Aufenthalt 
kam wieder der musikalischen Ausbildung Glucks zu statten, 
da es an Aufführungen kirchlicher und weltlicher Komposi- 
tionen und an Gelegenheit, die Orgel zu spielen, nicht fehlte. 
In seinem 18. Jahre wanderte Gluck zur weiteren Ausbildung 
nach Prag, wo die Musik ihm zum Broterwerb dienen mußte. 
Er sang auf dem Chore in der Teinkirche und in der Kloster- 
kirche zur heiligen Agnes, auch gab er Unterricht im Violin- 
und Cellospiel. Aber in den Ferien hatte er natürlich keinen 
Verdienst. Dann zog er von Dorf zu Dorf, von Haus zu Haus 
und spielte zum Tanz auf. Statt des Geldes erhielt er meist 
Eier, die er dann in anderen Orten gegen Brot umtauschte. 
So kümmerlich mußte sich der spätere geniale Künstler in 
seiner Jugend durchs Leben schlagen! Doch zog er schon 
damals die Aufmerksamkeit adeliger Kreise auf sich, nament- 
lich des Fürsten Lobkowitz, bei dem sein Vater, wie erwähnt, 
bedienstet war. Lobkowitz nahm den Jüngling mit nach 
Wien und ließ ihn dort höhere musikalische Studien machen, 
und nun tat sich eine neue Welt für Gluck auf. 

Entscheidend für seine fernere Laufbahn wurde aber der 
Umstand, daß er im Lobkowitzschen Hause den italienischen 
Fürsten Melzi kennen lernte, der ihn zu seinem Kammer- 
musikus ernannte und mit nach Mailand nahm. Dort übergab 
er Gluck dem berühmten Tonsetzer und Organisten Giovanni 
Battista Samartini, von dem er Unterricht in der Komposition 
erhielt — mit welchem Erfolge, das beweist der Umstand, 
daß schon damals mehrere Opern von Gluck in italienischen 
Städten aufgeführt wurden, nämlich:. „Artaserse“, „Demo- 
fon te“, „Siface“ und „Fedra“ in Mailand, „Cleonice“ und 
„Ipermenestra“ in Venedig, „Artamene“ in Cremona und 
„II R6 Poro“ in Turin. Diese 8 Opern schrieb Gluck innerhalb 
5 Jahren! (1740 — 1745.) 

1745 reiste Gluck in Begleitung des Fürsten Lobkowitz 
über Paris nach London, und am 7. Januar 1746 kam dort am 
Haymarket-Theater seine Oper „Caduta dei Giganti“ zur 
Aufführung, erlebte aber infolge der mangelhaften Wieder- 
gabe nur 5 Vorstellungen. Die zweite Oper „Artamene“ hielt 
sich etwas länger ; aber ein aus seinen besseren Arien zusammen- 
gesetztes, dem Texte von „Piramo e Tisbe“ angepaßtes „Pa- 
sticcio“ fand nicht den rechten Beifall, und besonders Händel 
soll sehr absprechend darüber geurteilt haben. So verließ 
Gluck in höchst imzufriedener Stimmung London und reiste 
Ende 1746 über Hamburg nach Deutschland. 

Da winde er nun mit Mingotti bekannt, dem Leiter einer 
italienischen Truppe, die in Hamburg und Dresden Vor- 
stellungen gab. Dieser engagierte Gluck als Kapellmeister; 
aber das Verhältnis dauerte nur kurze Zeit. Auf Mingottis 
Veranlassung schrieb Gluck in Dresden zur Vermählung einer 
Tochter des Kurfürsten August III. das Festspiel „Le nozze 
d’Ercole e d’Elbe“, das am 29. Juni 1747 im Pilhützer Schloß- 
garten aufgeführt wurde. Anfangs 1748 nach Wien zurück- 
gekehrt, verfaßte er dort zum Geburtstage Maria Theresias 
seine „Semiramide“, in der der Komponist sich stellen- 
weise schon zum Hochtragischen erhob. Auch nach Kopen- 
hagen drang der Ruf Glucks; dort wurde seine Oper 
„Artamene“ aufgeführt; zur Feier der Geburt eines Kron- 
prinzen schrieb Gluck die zweiaktige Serenade „Tetide , die 
am 9. April 1749 in Anwesenheit des Komponisten ge- 
geben wurde. Nach Wien zurückgekehrt, verlobte sich Gluck 
1751 mit der Tochter eines reichen Kaufherrn und ging dann, 
ehe er sich vermählte, nach Italien. In Rom wurde bei dieser 
Gelegenheit der „Telemaco“ aufgeführt, der einen weiteren 
Fortschritt zum Unvergänglichen in der Kunst bezeugt und 
den Gluck für seine späteren Meisterwerke sozusagen ge- 
plündert hat. Auch in Neapel gelangte eine Oper von Gluck 
zur Aufführung: „Clemenza di Tito' , worin der damals be- 
rühmte Caffarelli die Hauptrolle sang. 

Von 175? an lebte Gluck wieder in Wien und wurde 1111 
nächsten Jahre Kapellmeister am Hoftheater mit einem 
Gehalt von 2000 Gulden. Er blieb in dieser Stellung 10 Jahre 
lang, schrieb nicht nur Opern, sondern auch kleinere Ge- 
legenheitsstücke für Hoffestlichkeiten und unternahm in- 
zwischen mehrfach Reisen nach Italien, wo ihn der # Papst 
Benedikt XIV. zum Ritter vom goldenen Sporen ernannte. 


•Siehe: Christoph Wilibald Ritter von Gluck. Sem Leben 

und tonkünstlerisches Wirken“ von Dr. Anton Schmtd (Leipzig 
1854). Dieses Werk bildet die Grundlage des vorliegenden 
Gedenkartikels. 


In Rom wurden damals seine Opern „11 trionfo di Camillo" 
und „Antigone“ aufgeführt. In Wien folgte dann im De- 
zember 1756 „II R^ pastore“, ein Werk voll seltener Schön- 
heiten, 1761 das Ballett „Don Juan“ und 1762 die Oper 
„II trionfo di Clelia“ (bei Eröffnung des Theaters in Bologna 
zuerst aufgeführt). 

In der Zeit seines Wiener Aufenthaltes beschäftigte sich 
Gluck viel mit deutscher, französischer und italienischer 
Literatur, und nun fing er an, auch Opern mit französischem 
Text zu schreiben. Graf Durazzo, der I<eiter des Wiener 
Hoftheaters, der zu dem Pariser Theaterdirektor Favart in 
Beziehung stand, vermittelte ihm Aufträge, und so entstanden 
u. a. die komischen Opern „Le Cadi dupe“ (der heute im 
„Marionettentheater Münchner Künstler“ im Ausstellungs- 
park gegeben wird), „Le diable ä quatre“, „Arbre enchantfe“ 
und noch mehrere andere. In diese jetzt fast vergessene 
Reihe von Glucks Werken gehört auch die 1765 geschriebene 
komische Oper „La Rencontre imprevue“, deren Stoff kein 
anderer ist als der der „Entführung aus dem Serail“ von 
Mozart. 

Die bisherigen Leistungen Glucks würden ihm in der Ge- 
schichte der Musik etwa die Stelle eines besseren italienischen 
Opemkomponisten des 18. Jahrhunderts angewiesen haben. 
Aber Natur und Bildungsgang hatten Gluck ein höheres Ziel 
gesetzt. Die damals herrschende italienische Oper war weniger 
ein geschlossenes musikalisches Drama als ein Gewebe von 
Szenen, in dem dem Komponisten Gelegenheit gegeben wurde, 
lyrische Ergüsse und dramatische Steigerungen zum Aus- 
drucke zu bringen; es waren teils mythologische Szenen, teils 



Gluck- Denkmäler: Das Standbild in Mönchen. 


371 


Schäferspiele. In der Regel hielten nur dürftige Rezitative 
das Ganze zusammen, der Chor hatte mehr eine begleitende, 
die Szene abschließende, als eine handelnde Rolle, und die 
bezaubernden Leistungen einer seitdem gänzlich in Verfall 
geratenen Gesangskunst erforderten die Einlage von Bravour- 
Arien, welche die Handlung störend unterbrachen. Auf diesem 
Gebiete des musikalischen Rokoko wurde von den damaligen 
Komponisten wirklich. Großartiges geleistet. Aber Gluck hat 
es verstanden, alle diese fast unübertrefflich gehaltenen Schön- 
heiten einem höheren Zwecke : dem der Schöpfung eines 
musikalischen Dramas unterzuordnen . 

Der in Wien lebende Schriftsteller Calzabigi aus Livorno 
schrieb 1758 für Gluck den Text zu „Orfeo e Euridice“, welches 
Werk am 5. Oktober 1762 in der Wiener Hofbper zuerst auf- 
geführt wurde. Bald verbreitete sich der Ruf dieses Kunst- 
werkes in ganz Europa, so daß z. B. die Aufführungen in 
Bologna 20 000 Fremde anlockten, wobei 100 000 Zechinen 
eingenommen wurden. Und von der Pariser Aufführung wird 
berichtet, daß nach der kriegerischen Arie des Achill die 
Offiziere enthusiasmiert von ihren Sitzen aufsprangen und 
voll Begeisterung den Degen schwenkten. Die Königin selbst 
berichtete nach Wien: „Ich war von der Oper hingerissen." 

Einen zweiten großen Erfolg errang Gluck 1767 mit „Alceste“, 
die am 16. Dezember in Wien zuerst aufgeführt wurde; der 
Text stammte ebenfalls von Calzabigi. Gluck hatte das Werk 
der Kaiserin Maria Theresia gewidmet, und in dem der Partitur 
vorgedruckten Widmungsschreiben hat er seine bekannten 
Reformideen ausgesprochen. Da heißt es u, a.: „Ich suchte 
die Musik zu ihrer wahren Bestimmung zurückzuführen, 
das ist: die Dichtung zu unterstützen, um den Ausdruck der 
Gefühle und das Interesse der Situationen zu verstärken, 
ohne die Handlung zu unterbrechen oder durch unnütze 
Verzierungen zu entstellen. Ich glaubte, die Musik müsse 
für die Poesie das sein, was die Lebhaftigkeit der Farben 
und eine glücküche Mischung von Schatten und Licht für 
eine fehlerfreie und wohlgeordnete Zeichnung sind. Ferner 
glaubte ich einen großen Teil meiner Bemühungen auf die 
Erzielung einer edlen Einfachheit verwenden zu müssen ; 
daher vermied ich es, mit Schwierigkeiten zu prunken. Ich 
habe niemals auf die Erfindung eines neuen Gedankens. Wert 
gelegt, wenn er nicht von der Situation selbst herbeigeführt 
und dem Ausdruck angemessen war.“ — Das sind Grund- 
sätze, wie wir sie später bei Berlioz und Wagner wieder finden ! 



Glück-Denkmäler: Das Denkmal in Weiden wang. 
Aufnahme durch das photogr. Atelier Knauf in Eichstätt. 


Der „Alceste“ folgte un- 
nüttelbar die Oper „Paride 
e Elena“, gleichfalls von Cal- 
zabigi gedichtet. Auch die 
Partitur dieses Werkes hat 
ein längeres, an den Her- 
zog von Braganza gerich- 
tetes Widmungsschreiben, 
worin sich Gluck darüber 
beklagt, daß seine Ideen 
mehr verfolgt, als befolgt 
werden. Dramatische Män- 
gel des Gedichtes waren Ur- 
sache, daß dieses Werk — • 
trotz hoher Schönheiten — 
bald wieder von der Bühne 
verschwand. 

Nach so großen idealen 
Bestrebungen mußte Gluck 
doch wieder bestellte Musik 
schreiben, und zwar zu den 
1769 in Parma stattfinden- 
den Hoffestlichkeiten: „Le 
feste d'Apollo“, „L’atto di 
Baucis e Filomene", „L’atto 
d’Aristeo" und „L’atto di 
Orfeo“. Dann lebte er in 
einem Kreise von Freunden, 
zu denen auch Salieri, der 
spätere Gegner Mozarts, 
zahlte, mehrere Jahre zu- 
frieden in Wien. Verschie- 
dene Umstände deuten dar- 
auf hin, daß er damals seine 
Erfolge noch nicht für durch- 
greifend genug hielt und 
Paris als den Ort bezeich- 
nete, wo er den geeigneten 
Boden finden würde. 

Zur Erreichung dieses Zie- 
les verhalf ihm der Baron 
du Rollet, der damals bei der 
französischen Gesandtschaft 
in Wien angestellt war. Auf 
dessen Bemühungen bei Ma- 
ria Antoinette wurde Gluck 





Glnck-Denkmäler: Grabmal auf dem Matalefna- 
dorfer Kirchhof zu Wieu. 


im Jahre 1773 nach Paris 

berufen zur Aufführung seiner Oper „Iphigenia en Aulide“. 
Die dortige musikalische Welt schied sich bekanntlich in zwei 
Parteien, die Buffonisten, die Piccini als ihren Meister ver- 
ehrten, und die Anhänger von Lully und Rameau. Man er- 
wartete den zur Aufführung festgesetzten 19. April 1774 mit 
der lebhaftesten Ungeduld. Die erste Vorstellung war zwar 
nicht gleich von durchschlagendem Erfolg begleitet, aber selbst 
die Gegner fühlten, daß mit Glucks „Iphigenia“ ein neues 
Element in das Musikleben der Weltstadt gekommen war, 
und bald wurden die Wirkungen von Glucks Auftreten mäch- 
tig fühlbar. 

Am 2. August desselben Jahres (1774) brachte Gluck seinen 
für die französische Bühne umgearbeiteten „Orpheus“ mit 
dem größten Erfolge zur Aufführung. Er bearbeitete nun 
auch „Alceste“ für das französische Theater und setzte 
Quinolts Armide“ in Musik. „Alceste“ hatte zwar anfangs 
einen Mißerfolg, sie wurde geradezu ausgezischt, aber bald 
zeigte sich das Publikum gerade von dieser Oper begeistert, 
und Gluck beherrschte Jahre hindurch das größte Pariser 
Theater — trotz eines heftigen Streites der Meinungen, der 
um seine Musik entbrannte. Einzelne jener Streitschriften, 
namentlich die von Rousseau und Amaud, sind wahre Muster 
edler Kritik; in anderen dagegen fehlte es nicht an offenen 
und versteckten Angriffen, an Bosheit und Sarkasmus. Daß 
die „Gluclristen“ ihrerseits auch wieder ungerecht gegen die 
„Picdnisten“ wurden, lag in der Natur der Sache. 

Am 23. September 1777 kam „Armide“ zur Aufführung 
und errang sich nach und nach den Ruf eines klassischen 
Meisterwerkes. Gluck hat darin einen Melodienreichtum ent- 


wickelt, der die Oper später fast zur populären gemacht hat. 
Wieland hatte Gluck am 13. Juli 1776 geschrieben: „Orpheus, 
Alceste und Iphigenia haben Sie schon bearbeitet, was ist 
noch übrig, das Ihrer würdig wäre ?“ Und Gluck schrieb 
die „Armida“, der dann die „Iphigenie en Taurid“ folgte; 
am 18. Mai 1779 wurde diese in Paris zum ersten Male auf- 
geführt. Sie ist von allen Opern Glucks die erhabenste • und 
reinste; kein Liebesabenteuer stört hier die Darstellung des 
Menschengeschickes, das in Versöhnung ausklingt. Be- 
wunderungswürdig ist die Kunst, mit der Gluck das skythische 
und das griechische Element, sowie die einzelnen Personen: 
den finsteren Thoas, die stillduldende Iphigenie, den schwer- 
mütigen Orest und den lebhaften Pylades, zu charakterisieren 
verstand. „Iphigenie auf Tauris“ machte Gluck in Paris end- 
gültig zum Sieger ; selbst Piccini, der heimlich an einer Kon- 


372 


kurrenz-IphigenieTarbeitete, beugte sich neidlos vor dem 
deutschen Meister! Das Werk erlebte innerhalb 3 Jahren 
1 5 1 Vorstellungen, deren letzte noch 1 5 000 Franken eintrug. 
Auch die übrigen Bühnen Europas eroberte sich die Tauri- 
dische „Iphigenie“ im Fluge und hielt sich ständig auf dem 
Repertoire. Noch vor 20 Jahren, zu den Zeiten eines Vogl 
und Gura und einer Weckerlin haben wir in München wunder- 
volle Aufführungen der „Iphigenie“ erlebt. Diese Künstler 
besaßen eben noch den großen Stil, der zur Wiedergabe solcher 
Werke notwendig ist! 

Es war ein Fehler, daß Gluck bereits fünf Monate nach der 
„Iphigenie“ mit einer neuen Oper, „Echo und Narziß“, auf- 
trat, die schön ihrem Inhalte nach von der streng klassischen 
Richtung abwich und keinen Beifall fand. Nachdem so der 
Künstler seinen eigenen Erfolg überlebt hatte, zog er sich 
nach Wien zurück, wo er, in den besten Verhältnissen lebend, 
noch eine Reihe von Jahren verbrachte, bis schließlich am 
15. November 1787 ein Schlagfluß sein reiches Leben beendete. 

Auf dem Matzleinsdorf er Friedhof wurde die sterbliche 
Hülle des großen Meisters begraben; eine unscheinbare Ge- 
denktafel bezeichnete sein Grab, bis sie 1846 durch ein 
würdigeres Denkmal ersetzt wurde. In Paris wurde noch zu 
Lebzeiten Glucks (1778) im Foyer der Oper seine Büste, von 
Houdon in Marmor gemeißelt, aufgestellt; diese ging aber 
bei dem späteren Brande der Oper zugrunde. Eine von 
Dannecker gefertigte Kopie dieser Büste ließ König Ludwig I. 
von Bayern in der Walhalla aufstellen, und auch das Gluck- 
Denkinal auf dem Promenadeplatz zu München hat König 
Ludwig I. errichten lassen; es wurde modelliert von dem 
Bildhauer Friedrich Brugger und gegossen von Ferd. v. Miller. 
Gluck ist dargestellt in dem Kostüm seiner Zeit, die rechte 
Hand hält ein Notenblatt. Leider trägt dieses Denkmal, 
wie schon eingangs erwähnt, die falsche Inschrift:! Johann 
Christoph Gluck; als es nämlich (1848) errichtet wurde, waren 
die Forschungen Schmids über die Abstammung und den 
wahren Namen Glucks noch nicht bekannt. 

Aber auch im Geburtsorte Glucks, in Weidenwang, wurde 
dem Künstler ein Denkmal errichtet. Es ist den Bemühungen 
des Bezirksamtmanns Fischer von Beiingries, zu dessen Be- 
zirke Weidenwang gehört, zu danken; er erließ einen Aufruf 
und brachte dadurch die nicht unbeträchtlichen Kosten 
(2700 fl.) zusammen. König Ludwig II. von Bayern 
spendete 400 fl., Kaiser Wilhelm 175 fl., der Kaiser 
von Oesterreich 100 fl., ebenso der König von Würt- 
temberg und der Großherzog von Hessen — alle deut- 
schen Fürsten zusammen mehr als 1000 fl. Die fehlende 
Summe wurde gedeckt durch Gaben von Vereinen; so 
gab die Eichstätter Liedertafel 25 fl., der akademische 
Gesangverein Erlangen 50 fl., die Münchner Sänger- 
genossenschaft 25 fl., der Musikverein Regensburg 
25 fl., der deutsche Liederkranz in Paris 25 fl., die Ge- 
sellschaft zur Beförderung der Tonkunst in Amsterdam 
50 fl., die GeseÜschaft Felix meritis daselbst ebenfalls 
50 fl. usw. Von einzelnen Spendern seien genannt 
Baron Rothschild in Paris (46 fl.), Konsul Schätzler 
in Amsterdam (25 fl.), Konsul Schwab in Paris (23 fl.), 
Konsul Lürmann in Bremen (43 fl.) und Kaufmann 
Fuchs in Nürnberg (50 fl ). So gab sich überall ein 
reger Wetteifer kund. 

Am 4. Juli 1871 wurde das Denkmal enthüllt. Das 
war ein festlicher Tag für den kleinen Ort ! Das Monu- 
ment besteht aus einer Kolossalbüste aus Bronze, mo- 
delliert von dem Prof. Knoll in München; in Nürnberg 
winde es gegossen. Der Sockel ist aus rotem Unters- 
berger Marmor und wurde von dem Münchner Stein- 
metz Hauser ausgeführt; er ist mit einem erzenen Kranz 
und einer Lyra geschmückt, und darunter steht die In- 
schrift: 

Christoph 
Ritter von Gluck. 

Geb. in Weidenwang. 


„Der Zauberbaum.“ 

Eine neu entdeckte Gluck- Oper. 

W enn man' den Namen Gluck nennt, so kennen 
ihn die meisten nur als den Schöpfer der klas- 
sischen Müsiktragödie, als den Musiker, der auf 
hohem Kothurn einherschreitet und in ernsten, feier- 
lichen Tönen zu uns spricht. Als ein wahrhaft Berufener 
im Reiche der Tonkunst war Gluck auch ein Meister der 
kleinen Form, des heiteren Singspiels, das er in seiner 
Eigenschaft als österreichischer Hofkapellmeister zu 
den Festlichkeiten der Hofgesellschaft zu schreiben 
hatte. In der Oper der souveräne Beherrscher des 
dramatischen Stils, im Singspiel der Meister der Grazie 


und der leichtbeschwingten Melodie. S o erst erhalten wir 
das Gesamtbild der musikalischen Größe eines Gluck. 

Von diesen Singspielen, die Gluck in den Jahren 1755 — 1762 
komponierte, kennen wir ein ganzes Dutzend voll — dem 
Namen nach. Es sind von diesen Werken nur zwei in unserer 
Erinnerung geblieben: „Der betrogene Kadi“ und „Die Pil- 
grime von Mekka“, denn die als Glucks Werk bekanntgegebene 
„Maienkönigin“ zählt nicht dazu mit, denn sie ist nicht 
von des Meisters Hand geschrieben worden. 

Eines der bisher so gut wie verschollen gewesenen Werke 
Glucks ist sein musikalisches Lustspiel „Der Zauber bäum“, 
das im Jahre 1759 zuerst in Schönbrunn und dann 1775 in 
Paris aufgeführt wurde. Gluck nennt sein Werk einen „musi- 
kalischen Schwank“. Der Text hierzu ist nach La Fontaine 
von Vade und Mohne geschrieben worden. Die lustige Hand- 
lung des Singspiels laßt zuerst Lubin, den Schloßpächter, 
als Pierrot verkleidet auf der Bühne erscheinen, der ein Stell- 
dichein mit Klaudinen sucht, die als Mündel des alten bär- 
beißigen und vergeizten Thomas diesen heiraten soll. Blaise, 
der Fischer, rät Lubin die Geliebte zu entführen. Seine 
Barke steht bereit dazu. Aber der Alte muß überlistet werden, 
denn für heute ist bereits seine Hochzeit mit Klaudine be- 
stimmt. Guter Rat ist teuer. Doch Blaise weiß auch hier 
einen Ausweg. Der Schloßherr führt mit Thomas einen Prozeß, 
der den alten Geizhals sein gesamtes Hab und Gut kosten 
kann. Darum soll der Schloßherr auch der Retter in der Not 
werden, wenn sich Thomas nicht nachgiebig zeigt. Klaudine 
kommt mit ihrer Schwester Lucette in den Park. In einem 
unbewachten Augenblick gesteht ihr Lubin seine Liebe und 
erzählt von seiner Herkunft. Er spricht von seinem Ent- 
führungsplan, der aber nur mit List auszuführen möglich ist. 
Fröhlich gelaunt betritt der alte Thomas den Garten. Er 
begrüßt seine Braut und deren Schwester. Aber Klaudine 
macht keine fröhliche Miene. Sie möchte frische Birnen vom 
Baume gepflückt haben und Pierrot (Lubin) erhält von Thomas 
den Auftrag dazu. Kaum oben angelangt, erklärt Pierrot, 
der Baum sei verhext, denn Thomas küsse und umarme seine 
Braut noch vor der Hochzeit, ja, jetzt entfliehe er sogar mit 
ihr. Der Alte ist darüber höchst belustigt, denn er hat in 
ehrbarer Haltung neben Klaudinen gestanden und nun will 
er selbst erforsdien, ob man wirklich solche Wunderdinge 



Gluck -Denkmäler : Das Wiener Denkmal. 


373 


von diesem Baume schauen kann. Da muß er freilich sehen, 
wie' sich Klaudine und Pierrot küssen und wie sie dann zu- 
sammen fliehen. Vergnüglich ruft der so Geprellte von seinem 
Baume herab: 

„Das ist zu nett, ein wundervoller Baum, 

Für den bekomm’ ich tausend Taler bar. 

Zum Kuckuck auch, das ist zu wenig' noch, 

Er ist ja mehr als eine Erbschaft wert. 

Er ist ein Schatz, der mich bereichern soll 
Und das Vergnügen oft mir noch gewährt.“ 

• Lucette erklärt ihm lachend, daß e r der Betrogene sei. 
Aber nun hält er das junge Mädchen auch für behext. Blaise, 
der Fischer, verhöhnt ihn ebenfalls und mißmutig steigt er 
vom Zauberbaum herab, denn der Schloßherr führt ihm die 
beiden jungen Leute zu, denen er sein Jawort geben muß, 
will er nicht durch seinen Prozeß seines Vermögens verlustig 
gehen. 

Die Idee des Zauberbaums hat nach dem Dekamerone 
auch Suppä in seiner Operette „Boccaccio“ verwertet. So 
hat es auch Gluck sicher Freude bereitet, diese lustige Hand- 
lung in ein musikalisches Gewand zu kleiden. Nur fünf Per- 
sonen sind für dieses Singspiel nötig. Die beiden Schwestern 
Klaudine und Lucette (Sopran), Lubin (Pierrot) und der 
Fischer Blaise (Tenor), sowie Thomas nebst dem Schloßherrn 
(Bariton). Die Musik zum „Zauberbaum“ ist eine Quelle 
reinster Freude. Gluck hat che erste, im Jahre 1759 nieder- 
geschriebene Komposition im Jahre 1775 für Paris umgearbeitet 
und damit dem Singspiel seine endgültige Form als Bühnen- 
werk gegeben. Diese Umarbeitung unterscheidet sich von 
der ersten Fassung in der Hauptsache durch die Hinzufügung 
der ersten Gesangsnummer, die aus dem „Betrogenen Kadi" 
stammt sowie durch teilweises Höherlegen der Gesangspartien 
für Sopran und Tenor. Ganz besonders sorgfältig hat Gluck 
jedoch die Instrumentation ausgeführt. Sie ist für Streich- 
quartett, Flöte, Oboen, Klarinetten, Fagotte und Hörner 

f eschrieben. Damit ist der ganze Orchesterapparat gegeben. 

)ie Holzblasinstrumente haben Solopartien. Verfehlt wäre 
es, diesem Orchester noch ein modernes Mäntelchen anzu- 
hängen. Gluck muß Gluck bleiben! (Diesem Satze 
ist in seiner allgemeinen Fassung nicht beizustimmen. Wir 
erinnern wieder nur an die Bearbeitungen von Bruchstücken 
;aus Gluckschen Opern durch Felix Mottl, zwei Orchester- 
suiten. Red.) 

Eine Ouvertüre leitet das Singspiel ein. Quartett, Oboen, 
Fagotte und Hörner sind dazu vorgeschrieben. Lustig, wie 


CHRISTOPH WIUBAUD VOX GLUCK. 
Nach einem Gemälde von Rumpf, 



die Handlung des Werkes, so klingt auch diese Musik. Leicht- 
füßig hüpft die Melodie dahin, steigert sich zu fröhlichem 
Trällern, um dann in ein zierliches, echt höfisches Menuett 
überzuleiten. Wir befinden uns in der galanten Zeit, die solche 
Tänze liebte, denn auch im Hause des alten Thomas wird 
dieser Tanz zum Hochzeitsfest aufgespielt werden. Lubin, 
als Pierrot verkleidet, singt von seiner Sehnsucht nach Klau- 
dinen. Wie Gluck in der Opernarie die Melodie in einfach, 
edel geschwungenen Linien anlegte, so auch hier. Ganz 
reizend in der musikalischen Form und in der Melodie echt 
volkstümlich ist die Belehrung, die der Fischer dem Ver- 
liebten gibt. Neckisch singt er: „Will man Fischlein fangen 
fein, wirft man ihm einen Köder hin.“ Die letzte musikalische 
Phrase wiederholt fortissimo das Orchester. Das ist so natür- 
lich empfunden, so licht und klar, so von wirklichem Humor 
erfüllt, daß sich Gluck hier als ein Meister der musikalischen 
Komödie zeigt. Die Heiterkeit in der Musik steigert sich noch, 
als Klaudine die Liebe besingt, nachdem sie weiß, daß sie 
dem bösen Vormund nicht ihr Jawort geben braucht. Man 
müsse meinen, ein Mozart hätte nur diese Töne finden können. 
Auch hier ist die Melodie ohne jegliche Geziertheit. Sie ist 
das fröhliche beglückende Empfinden eines liebenden Herzens, 
das immer wieder fragt: „Ist denn Liebe ein Verbrechen ?“ 
Auch Lucette, Klaudinens Schwester, ist ein Sönnenkind. 
Ihr hat Gluck eine besondere Arie zugedacht, worin sie ihre 
Wünsche nach dem einstigen Manne kundgibt. In fröhlichem 
Plauderton zählt sie alle Eigenschaften des Zukünftigen auf 
und lachend wehrt sie sich dagegen, einen alten Griesgram 
zu heiraten. Musikalisch ist diese Arie im Orchester von 
Gluck besonders sorgfältig behandelt. In Vorschlägen, Sech- 
zehnteln und Triolen gleitet die Melodie der Orchesterbegleitung 
auf und ab, während die Bässe mit den Fagotten, meist im 
Achtelrhythmus, ebenfalls an der allgemeinen Fröhlichkeit 
teilnehmen. Der alte verliebte Thomas hat eine Bravour- 
ariette erhalten, die für jeden Buffo ein Gesangsstücklein be- 
sonderer Art bedeutet. Man hört aus jeder Note den polternden 
Geizhals heraus. Er girrt förmlich um die Liebe seines hübschen 
Mündels und im Orchester ist man nicht minder fröhlich. 
Neckische Flötentriller sind mit den Geigen vernehmbar. 
0 , der Alte freut sich, daß er ein so schmuckes Weibchen haben 
wird. 

Nach jedem heiteren Sang folgt eine sich in ruhigeren 
Bahnen bewegende Melodie. So auch nach dem fröhlichen 
Begrüßungsgesang des Thomas. Klaudine singt in innigen 
Tönen von ihrer Liebe zu Lubin, wobei Thomas glaubt, daß 
i h m dieses Liebesgeständnis gilt. So ist selbst in dieser Arie 
der fein-komische Charakter des Werkes gewahrt. Die eigent- 
liche Schwankhandlung beginnt erst, wenn Lubin den Zauber- 
baum besteigt. Mit der ersten Note verspüren wir auch 
wieder die musikalische Komik. Diese Ariette (No. 13 im 
Klavierauszug) kann allen denen, die eine komische Oper 
schreiben wollen, als Muster in ihrer Knappheit und köstlichen 
Einfachheit dienen. Sie ist des Studiums wert. Mit wenig 
Mitteln Großes erreichen, das kann nur ein Genie! 

Und nun will Thomas den Zauber bäum erklettern. Auch 
hier die gleiche Art der musikalischen Charakteristik. Jeder 
Takt ist dem heiteren Genre angemessen. Aber damit noch 
nicht genug. Auch Blaise, der Fischer, muß ein Spottlied 
auf den geprellten Geizhals singen: „Stets spielen die Mägdelein 
jung und schön dem Graubart so arglist’gen Streich.“ Nachti- 
gallenrufe ahmt dazu die Flöte nach und ab und zu pfeift 
der Fischer, das lustige Naturkind, ein paar Takte sein Lied- 
lein. Der Schlußgesang ist ein fröhlicher Kehraus, der Stim- 
mung der lustigen Handlung entsprechend. 

Gluck zeigt sich auch im „Zauberbaum“ als der geborene 
Musikdramatiker. Er gibt jeder Bühnenfigur die passende 
Note. Seine Musik selbst ist voll Grazie und Empfinden 
und steht in engster Gemeinschaft mit der Handlung und den 
Textworten. Da ist kein Takt zu viel oder zu wenig. Außer- 
dem ist seine musikalische Erfindungsgabe zu bewundern. 
Er bewertet das Singspiel in seiner Melodik gänzlich ver- 
schieden von seinem Opemstil. Ein Singspiel soll unter- 
haltend sein. Es muß in seinen Melodien wieder gehört 
werden wollen. So wählte er die volkstümliche Art in seiner 
Melodieführung. Wer die Gesänge im „Zauberbaum“ zwei- 
oder dreimal hört, wird sie nachsingen können. Und es wäre 
gut, wenn solche Gesänge wieder als fröhliche Hausmusik 
heimisch würden. Glucks Singspiele hat man auch mit der 
Bezeichnung „Operetten“ belegt. Das würde ihre musikalische 
Eigenart schmälern. Aber einen willkommenen Ersatz könnten 
sie für manche minderwertige Operette abgeben und uns 
von der herrschenden Operettenmisere befreien. Dazu könnte 
uns auch der „Zauberbaum“ verhelfen. Er war bisher nur in 
einigen Bibliotheken nachzulesen. Auch die Partitur war 
nur in teilweise unvollständigen Orchesterstimmen vorhanden. 
Die „Gluck- Gemeinde“ hat uns unter der Führung des be- 
kannten Gluck-Forschers Dr. Max Arend in Dresden zum 
Gluck-Jubiläum den Klavierauszug des „Zauberbaum“ ge- 
geben. Verlegt ist das reizende musikalische Werk beim 
„ Kunstwart verlag“ in München. Die Textworte hat Käthe 
Arend mit feinem Verständnis für Glucks musikalische Psyche 


374 




GPUCK-BÜSTE. 


übertragen und den Klavierauszug hat Adolf Steinbert ge- 
schaffen. (Eine Ariette daraus ist in der Musikbeilage des 
Gluck-Heftes abgedruckt.) 

Es soll ein Jubiläumstag nicht nur für einen Tag gelten. 
Auch Gluck soll weiter mit uns in seinen Werken leben. So 
soll auch der „Zaüberbaum“ neue Früchte tragen. Unsere 
Gesangs-, Musik- und Opernschulen müssen es als ihre Pflicht 
betrachten, dieses Werk zu studieren. Aber ebenso haben 
unsere Opernbühnen, auch die von Rang uhd Namen, die 
Pflicht, dieses köstliche Werk musikalischer Kleinkunst zu 
pflegen, denn es wird jederzeit herzliche Aufnahme finden 1 : 

Alfred Mello (Dresden). 


Vom Kongreß der Internationalen 
Musikgesellschaft in Paris. 

Von HERMANN GÜTTLER (Königsberg). 

N ach dreijähriger Frist hat die internationale Musik- 
wissenschaft, verkörpert durch die einzige internationale 
musikalische Körperschaft der Welt, die „Internationale 
Musikgesellschaft“,, wieder eine Heerschau über die Reihe 
ihrer aus allen Weltteilen zusammengekommenen Vertreter 
abgehalten. In der Folge der großen Kapitalen war auf 
London diesmal Paris gefolgt, das auf der Höhe seiner dies- 
jährigen musikalischen Saison stehend, schon mit seinem 
äußeren Glanz so recht dazu angetan war, dem Kreis inter- 
nationaler Musikgelehrten eine Reihe wertvoller Anregungen 
zu geben. Die musikalische Vergangenheit Frankreichs 
mit ihren reichen Schätzen aller Art von Musikübung konnte 
ja zu der offiziellen Arbeitstätigkeit des Kongresses in Oper 
und Konzert soviel Anziehendes bieten, so viel noch me Ge- 
hörtes dem für Historisches empfänglichen Musiker zu ver- 
arbeiten geben, daß Paris von vornherein zu den verlockendsten- 
Stätten für gelehrte uhd künstlerische Zusammenkünfte 
erscheinen modxte. Tatsächlich gehörte dieser fünfte Kongreß 
der „Internationalen Musikgesellschaft“ zu den schönsten 
und eigenartigsten musikalischen Veranstaltungen, die Europa 
in den letzten Jahren gesehen. Zwar erreichte er an äußerem 
Glanze nicht den vorangegangenen Kongreß in London 1911 
mit seinen offiziellen 'Empfangen und prunkvollen Einladungen. 
Die französische Regierung verhielt sich im Gegensatz zu 
der englischen ziemlich passiv, was wohl seinen Grund in 
der zurzeit bestehenden innerpolitischen Krise, Wechsel des 
Ministeriums etc. gehabt haben mag. Immerhin mußte jedes 
Land offiziell für derartige einzig dastehende internationale 
Kulturbestrebungen das tatkräftigste Entgegenkommen be- 

1 Anm. der Red. Mit diesem Aufsatze schließt die Reihe 
der Gluck-Aufsätze in diesem Hefte. Einige folgen noch in 
den nächsten Heften. 


sitzen. Dagegen war die Arbeit der französischen Fach- 
genossen, die hoffentlich durch Anschluß an die gemeinsame 
Zeitschrift noch engere Berührung mit den Bestrebungen der 
„Internationalen Musikgesellschaft“ erhalten würden, sehr 
hoch anzuschlagen. Was hier an Darbietungen von historischer 
Kunst geleistet, gehört zu dem Bewundernswertesten und 
in gewissem Sinne Originellsten, das man in dieser Art je- 
gehört hat. Was sonst als trockene gelehrte Arbeit erschien! 
wurde hier zum künstlerischen Erlebnis. Das Wunder dieser 
Wandelung war durch die Zuhilfenahme der Stimmung ge- 
schehen. Die Darbietungen jeder Zeit oder Stilepoche fanden 
in je einem jener zum Teil weltberühmten Räume statt, die 
in der bildenden Kunst als bleibende Denkmäler eben jener 
Stilepochen gelten. Ein künstlerisch genießender Paris- 
besucher hat wohl noch nie solch tiefe Eindrücke empfangen, 
als eben zu dieser Zeit in der Sainte-Chabelle, diesem wunder- 
barsten gotischen Kleinod der Welt, als er hier die musi- 
kalischen Werke hörte, die mit der Zeit der Erbauung der 
Kirche und ihres Architekturstiles in innigstem Zusammen- 
hang stehen. Oder wer hätte je die berühmte Spiegel- 
galerie des Schlosses zu Versailles und ihre 
Erinnerungen an Ludwig XIV. so genießen können, als au 
einem dieser denkwürdigen Tage, an dem die musikalischen 
Zeitgenossen des großen Königs, Couperin usw., mit ihren 
Werken sich hier zusammenfanden ? Der prachtvolle Saal 
mit seinen glänzenden Deckengemälden Le Bruns, der Blick 
über die weiten Gärten Le Nötres vereinigte sich mit den 
Klängen Couperins zu einem Gesamteindruck, der allen An- 
wesenden wohl unvergeßlich bleiben wird. 

Die gelehrte Arbeit des Kongresses wurde durch eine feier- 
liche Inaugurationssitzung im Amphitheätre Richelieu der 
Sorbonne eröffnet. Der Vorsitzende des Kongresses, der 
Deputierte Louis Barthon, ancien President du Conseile, 
begrüßte in seiner sympathisch-beredten Art den Kongreß 
in der französischen Hauptstadt. Prof. Guido Adler (Wien) 
sprach im Namen der ausländischen Vertreter sehr schmeichel- 
hafte Worte auf Frankreich und Paris, die in der Pariser 
Presse sehr freundlichen Nachhall fanden. Die Reihe der 
nun folgenden Vorträge, die zum Teil stark besucht waren, 
war fast durchweg sehr interessant und hatte meist längere 
Diskussionen zur Folge. Von Deutschen sprachen: Amalie 
Arnheim (Berlin) über „Die französischen Quellen deutscher 
Gelegenheitskompositionen im 17. und 18. Jahrhundert“, 
E. Istel (.Berlin) „Le problöme du Libretto“, M. Vogeleis 
(Straßburg) „Les douzes Maitres de Colmar“, Egon Wellesz 
(Wien) „Musikwissenschaft und Musikgeschichte“. F. X. Ma- 
thias (Straßburg) „Die Kirchenmusik im Elsaß“, H. Müller 
(Paderborn) „Die klassische Polyphonie des 16. und 17. Jahr- 
hunderts“, Karl Weinmann (Regensburg) „Palestrina und 
Papst Marcellus II.“, Hugo Goldschmidt (Berlin) „De l’esthetique 
du chant“, Hermann Gütller (Königsberg) „Die älteste asiatische 
Tonsystematik", Johannes Biehle (Bautzen) ^„Photographie 
der musikalischen Intervalle und Harmonien“, Philipp 
Wol/rum (Heidelberg) „La grande salle de concert d’Heidelberg 



CHRISTOPH WIUBAMVVONJGPUCK. 
Nach einem Gemälde von J. S. Daplessis. 


375 


et le probl&ne de l’architeeture musicale“, Th. Gerold (Frank- 
furt a. M.) „Remarques sur . . . un exemplaire de la biblio- 
tlteque d. M. Paul Hirsch ä Francfort", A. Schering (Leipzig) 
„Publication de facsimile photographiques d’anciennes im- 
pressions de musiques“, G. Schulz (München) „Musikbiblio- 
graphie und Musikbibliotheken“ und H. Springer (Berlin) 
„Methoden der bibliographischen Arbeit“. Fine immerhin 
recht stattliche Zahl Deutscher, die aber zu der im Verhältnis 
der anderen Länder an erster Stelle stehenden Mitgliederzahl 
der „Internationalen Musikgesellschaft“ angebracht erscheint. 

Die zahlreichen geselligen und künstlerischen Veranstaltungen 
des Kongresses sind schon in zwei ihrer eigenartigsten Konzert- 
darbietungen kurz gestreift. Der Empfang der Kongreßteil- 
nehmer im Saale des Fetes d’Excelsior hatte reichen künst- 
lerischen Anstrich, konnte man doch sogar das Spiel des ge- 
alterten, aber doch noch immer jugendlich frisch spielenden 
Dentere bewundern. Die Galaoper in der „Komischen Oper“ 
hatte sich den 200. Geburtstag Chr. W. Glucks zum Vorwand 
genommen. Unter der Direktion Paul Vidals gelangte je 
ein Akt aus „Iphigenie in Tauris“, „Orpheus“ und „Alceste“ 
zu Gehör, deren feierliche Klänge gewiß vielen das in der 
Moderne nicht recht gewürdigte Schaffen des großen Opem- 
reformators besser in Erinnerung brachten. Ein Konzert 
von Renaissancemusik, ein Empfang im „Figaro“ und be- 
sonders eine armenische Pfingstmesse in der 
armenischen Kirche unter Führung des um die armenische 
Musik verdienten Geistlichen R. P. Komitas (Konstantinopel) 
gehörte zu den eigenartigsten Eindrücken des Kongresses. 
Wie das Konzert der ältesten Franzosen in der Sainte-Chapelle , 
die alte Kammermusik in der Galerie des glaces zu Versailles 
war die Kirchenmusik des 17. und 18. Jahrhunderts in der 
freien Chapelle St. Louis des Invalides mit prächtigen Werken 
von Lully u. a. am besten aufgehoben. Als Gegensatz zu 
dem prunkenden katholischen Kultus gab es auch huge- 
nottische Musik in dem schlichten hugenottischen 
Tempel in der Rue Roquepine, zu der Herr Henri Expert 
einen interessanten historischen Vortrag hielt. Das offizielle, 
vom Ministerium der öffentlichen Arbeiten und schönen 
Künste veranstaltete Festbankett hatte ebenfalls nach den 
offiziellen Reden einen starken musikhistorischen Reiz. 
Führte man doch eine der ältesten französischen komischen 
Opern, „Les aveux indiscrets“ von Monsigny im Kammerstile 
im Saale auf, eine sehr reizvolle Erinnerung für die Festteil- 
nehmer. Das Ballett der Oper tanzte die alten Tänze am 
Schluß mit aller Grazie, die ihm ja seinem Rufe nach zur 
Verfügung stehen muß. Ein Mitglied der „Internationalen 
Musikgesellschaft“, die Prinzessin Polignac, hatte in ihrem 
Salon einen der erlesensten musikalischen Genüsse von a 1 1 - 
französischer Orchestermusik verschafft. Das 
Spiel der Landowska auf dem Clavidn wird wohl wieder 
weitere Kreise auf die Pflege dieses alten Instruments bin- 

f elenkt haben. Sogar der alte Saint-Saens saß am Flügel, 
‘hibaut spielte Geige und Vidal dirigierte. Lully, Rameau, 
Rousseau, Leclair, Couperin, GrStry, Mehul war der Modernste. 
Und doch konnte der- moderne Musiker von diesen alten 
Meistern viel lernen. Es wird ihm einiges entgegengeklungen 
sein, was er aus den in Deutschland im Uebermaß gepflegten 
Klassikern der Wiener Schule nicht gehört haben wird! Auch 
sonst gab es noch viel Interessantes zu hören. Indische, 
brasilianische, spanische und andere exotische Musik lockte 
den ständig wachsenden Kreis der Interessenten, und wer 
Geld, Zeit und Spannkraft der Nerven besaß, konnte sich 
genug in dem jetzt in Hochflut befindlichen Pariser Musik- 
leben muten. Das russische Ballett mit Richard Strauß’ 
neuer „ Josephslegende “ mochte da den Deutschen am meisten 
locken, aber auch die deutsche Wagner-Saison im Theater 
des Champs Elysäes unter Weingartner und Nikisch wird 
viel zu Betrachtungen über den Fortschritt der deutschen 
Geisteskultur in Frankreich angeregt haben. 

Das Komitee der Internationalen Musikgesellschaft hat 
beschlossen, den nächsten Kongreß 1916 in Deutschland 
abzuhalten. Berlin ist als Kongreßort gewählt und Hermann 
Kretzschmar ist an Stelle des um den Pariser Kongreß so ver- 
dienten Franzosen Jules Ecorcheville Präsident geworden. 
Berlin ist dazu kein leichter Boden, da hier die weiten Kreise 
der praktischen Musik wenig Fühlung zu den musikgelehrten 
Kreisen der Internationalen Musikgesellschaft besitzen. Um 
so mehr ist die Wahl Kretzschmars zu begrüßen, der ja von 
jeher bemüht gewesen ist, beides mit kluger Hand zu vereinigen, 
so daß zu hoffen steht, daß Deutschland wirklich über zwei 
Jahre zeigen wird, was es kann und — was es gekonnt hat. 



Zu m 50. Geburtstage von Rieh. Strauß. 

D ie „N. M.-Z.“ kommt diesmal etwas post festum. 
Ein Zufall in der Erscheinungsweise des Blattes trägt 
die Schuld daran. Aber dieser Zufall fügte es wiederum, 
daß unser Gebürtstagsartikel im Gluck-Heft erscheint. Gluck 
als der Schöpfer des spezifischen musikalischen Dramas, 
Strauß als sein Vollender nach der Erkenntnis von heute: 
Der Gedanke liegt zu nahe, als daß er nicht ausgesprochen 
werden sollte. Und da er tatsächlich wahr und von tiefer 
Bedeutung ist, so ist auch ein äußerlicher Ausdruck davon, 
wie er in einem „Gluck-Strauß-Hfefte“ erscheint, glücklich 
zu nennen. 

Es gibt Menschen, künstlerische Naturen sind es vor allem, 
bei denen die Zahl der Jahre keine Rolle spielt. Richard 
Strauß in die „Kategorie“ der Fünfziger mit ihren charakte- 
ristisch-typischen Merkmalen einreihen zu wollen, ist unmög- 
lich. Er ist wirklich alles andere als ein Fünfziger, welche 
belanglose Zahl sozusagen nur mit defti Zufall seiner Geburt im 
Jahre 1864 zusammenhangt. (Namhafte Kritiker haben freilich 
daraus, daß das Jahr 1864 zugleich auch das Todesjahr Meyer- 
beers ist, einen besonderen Fingerzeig des Schicksals nach 
Art weiser Kartenschlägerinnen erkennen wollen.) Der 
Fünfziger Strauß ist von beneidenswerter Elastizität des 
Geistes und des Körpers; die jugendlich schlanke Gestalt 
könnte einem frischen Dreißiger gehören, wenn nicht der 
von den Taten des Genius, von den Kämpfen und Leiden 
des begnadeten Menschen vertiefte Ausdruck seines Antlitzes 
den reifen Auserwählten verkündete. Die Elastizität und 
oft wechselnde Stilart seiner Musik finden geradezu ein 
Widerspiel in den Bewegungen dieses Körpers und in seinem 
Ausdruck. Ich habe noch keinen Menschen gekannt, der 
.in dem Maße immer „anders aussieht“ und doch stets der 
selbe bleibt, wie Meister Strauß. 

Es ist im allgemeinen ein Unfug, der durch geschäftliche 
Profitsucht veranlaßt wird, den fünfzigsten Geburtstag eines 
Künstlers mit viel Geschrei zu „feiern“! Aber es gibt auch 
hierin Ausnahmen. 50 Lebensjahre, 30 Schaffensjahre eines 
Richard Strauß bedeuten etwas ! Und so hat man diesen 
Tag denn auch allgemein gefeiert. Vor allem die Presse; dann 
auch einzelne Bühnen, München, die Geburtsstadt, mit einer 
ganzen Strauß- Woche. Und es war wohl nicht bloß die „feier- 
liche Stimmung“ des 50. Geburtstags, was so manche scharfe 
gegnerische Stimme von früher milder, manchmal sogar auf- 
fallend milde tönen ließ. Es war wohl auch nicht bloß diese 
Feststimmung, wenn andere sogar darüber hinaus begeistert 
die Bedeutung des Meisters anerkannten — die anerkannt 
werden müsse, ganz gleich, wie man zu seiner Kunst stünde. 
Einer der berühmten „kritischen Sätze“! Man tritt den 
Rückzug an — natürlich mit der nötigen Reserve — , nachdem 
der Sieg wieder mal sich an die Fahne des produktiven 
Genies geheftet hatte. Und wir sind die letzten, die diesen 
Rückzug etwa stören wollten. Wir dürfen vielmehr goldene 
Brücken bauen; denn die absolut unzweideutige, selbst- 
bewußte Haltung der „N. M.-Z.“ im letzten Dezennium der 
Musikgeschichte ist im „Falle Strauß“ in einer Weise gerecht- 
fertigt worden, die uns mit dem freudig-stolzen Gefühle der 
Genugtuung die Pflichten der Schonung und Großmut mit 
den Unterlegenen auferlegt, mit ihnen, die im Schatten des 
Irrtums fochten. Denn nur mit ihnen haben wir es zu tun; 
die anderen, die Böswilligen, kümmern uns nicht. Nim aber 
mal eine prinzipielle Frage: ist es so durchaus gleichgültig, 
wer schließlich recht behält ? Ist es ein Zeichen des berufenen 
Kritikers — und andere sollten gefälligst ihre Finger von 
dieser recht verantwortungsvollen Sache lassen — , wenn ihn 
die Tatsachen zwingen, von Zeit zu Zeit immer wieder umzu- 
lemen? fleh für meinen Teil müßte danken.) Oder milder 
ausgedrückt: Hat ein Mensch das moralische Recht, mit der 
ganzen „Macht seiner Persönlichkeit “ , mi t seinen tausend Zungen 
und tausendfachem Mund dem, oft in unerhörten Tönen, ent- 
gegenzutreten, der doch wahrhaftig das Zeichen des Auserwähl- 
ten deutlich lesbar an der Stirne trägt ? Muß der Kunstphilister, 
nach dem Strauß-Biographen Steinitzer der Mensch, der 
konsequent und a priori ein Feind des Neuen seiner Zeit 
ist, im Geschrei der Strauchritter vom Geiste oder im salbungs- 
vollen Tone des „objektiven“ Kunstrichters immer und immer 
eine Stütze für seine Beschränktheit, Faulheit und Kleinlich- 
keit finden? Unseren „Musikgelehrten“ aber mit den mehr 
oder minder tönenden Namen, den „ernsten Musikern“ (wie 
sie sich nennen) sei gesagt, daß es nützlicher wäre, wenn sie 
ihre Kenntnisse für die Erforschung und Ausdeutung der 
musikalischen Probleme und Abweichungen vom errungenen 
Feststehenden verwendeten, wenn sie den Wunderbau eines 
komplizierten Werkes wie Elektra, Rosenkavalier zu durch- 
leuchten suchten, als wenn sie ihre oft von Weltfremdheit 
und vorgefaßter Aesthetik zeugenden Ansichten und Urteile 
zum besten gäben oder sich in grotesker Weise selber wider- 
sprächen. So könnten sie auf ihre Weise nützen, indem sie 
o s i t i v e Kritik trieben, die durchaus nicht mit absoluter 
egeisterung identisch zu sein braucht. Das Werturteil 


376 



sollten sie aber den geborenen Kritikern überlassen ; 
den Menschen voll Phantasie und lebendiger Erfahrung, 
denen, die nur durch ein Spiel des Zufalls nicht die letzte 
Kraft mitbekommen hatten, um die Hülle zu sprengen und 
die heißen Empfindungen in die sichtbare künstlerische Form 
sich ergießen zu lassen; oder die aus „äußeren“ Gründen 
nicht „Künstler“ werden konnten. Jenen Berufenen, 
die viel erlebt und viel erlitten haben, deren Sinne in der 
Wirklichkeit geschärft wurden, deren Aufnahmefähigkeit so 
vermehrt und deren Empfindsamkeit für alles Eigenartige 
so gesteigert wurde, daß sie zu „reagieren“ fähig geworden 
sind. Das sind die Leute, die Werturteile abgeben sollen, 

f anz gleich, ob sie im Berufe tätig sind oder bloß im „Publi- 
um“ sitzen. „Wohlweisheit“ jedoch macht hochmütig im 
Geist und beschränkt im Urteil. — Das wären so „Geburtstags- 
wünsche“; freilich sind sie wohl wieder mal nur „fromme“ 
und das alte Spiel wird sich stets erneuern. Strauß hat zwar 
selber gesagt, daß er die 
schärfsten gegnerischen 
Kritiken am liebsten läse, 
weil der Gegner wie auf der 
Lauer nach Schwächen sitzt 
und so dem Künstler hilft. 

Es kommt aber weniger dar- 
auf an, daß Strauß auf ein 
paar Fehler aufmerksam wird, 
die er sicherlich selber ge- 
funden hätte, als daß die 
Allgemeinheit in ihrem Glau- 
ben an die Bedeutung eines 
erfühlten Kunstwerkes geför- 
dert werde. Dadurch wird 
dem Schund das Wasser ab- 
gegraben. der „Kultur“ ge- 
nützt ; darum : positive 

Kritik — das Negative 
in zweiter Linie ! 

* 

Es ist bekannt, daß Richard 
Strauß der Komponist seiner 
Zeit genannt wird. Man hat 
ihn damit in vieler Augen 
herabsetzen wollen, während 
es in Wahrheit der entschei- 
dende Vorzug einer Künstler- 
erscheinung ist, in seiner Zeit 
zu wurzeln. Ein bedeutender 
Künstler repräsentiert aber 
positiv stets die Bedeu- 
tung seiner Zeit im besten 
Sinne. Ein Erdenrest zu 
tragen peinlich stellt sich als 
negative Ausstrahlung aller 
Dinge dar. Es ist zuzugeben, 
daß die schlimmen Seiten der 
verschiedenen Epochen ver- 
schieden sind, und die der un- 
seren besonders in die Augen 
springend. Niemals aber ist 
ein Künstler wie Strauß der 
Diener seiner Zeit gewe- 
sen. Der „Musik- Journalist“ 

Karl Storcks ist nur schein- 
bar zutreffend. Daß Strauß 

in der Feuersnot“ einen, wenn die, durchaus überflüssigen 
persönlichen Einschaltungen weggefallen wären, tiefsinnigen 
und schönen, einen bleibenden Text gehabt hätte, den er 
deshalb etwa nicht hätte komponieren sollen, weil Ernst 
v. Wolzogen eine Zeitlang Direktor des Ueberbrettls war, 
darf doch niemand fordern; es sei denn, er gehöre zu den Uebel- 
gesinnten. Und wer sollte dem größten dichterischen Geiste 
unseres Zeitalters nahen dürfen, wenn nicht sein größter 
Tondichter, der im „Zarathustra“ eines seiner schönsten 
Werke und eines der eigenartigsten der Literatur geschaffen 
hat ? Wenn Strauß ferner die „Salome“ nicht komponiert 
hätte, hätte er die größte Sünde wider den Geist seiner eigenen 
musikalischen Kunst begangen. Und die „Elektra ist, nach 
persönlicher Quelle, für „seine Freunde und die ihn varstehen 
geschrieben. Außerdem steht die Tatsache fest, daß Strauß 
sich lange mit dem Plane der „barbarischen“ Elektra getragi 
hat, bis er sehr spät nachher zur Ausführung kam. U: 
schreibt man eine Elektra, wenn man der „großen Menge 
schmeicheln“ will ? Welche Torheit, welche Irreführung! 
Nein, Strauß ist nie und nimmer, seiner Zeit nachge- 
laufen, er ist ihr nur nicht ausgewichen! Keines seiner 
Werke ist von einem direkten Zeitbedürfnisse überhaupt 
nur angeregt, mit Ausnahme vielleicht des Rosenkayaliers, 
des populärsten (!) dramatischen Werkes, wogegen die übrigen 
gegenwärtig ein verhältnismäßig bescheidenes Dasein auf 
der deutschen Opernbühne führen. Gegenwärtig! Zum 
Tröste und zur Freude aller Freunde, die es im Zeitalter be- 


sonderer sozialer Evolutionen, das der Geldsack und der 
Geschmack eines neu sich bildenden Mittelstandes vor der 
sich zurückhaltenden Geistesaristokratie beherrscht, 
bedauern würden, Strauß unter den Bühnenkomponisteil 
der Masse zu sehen. Möge nun aber auch der Rosenkavalier 
im Hinblick auf die Erfolge der Operette mit entstanden sein, 
so hätte Strauß mit seinem bewußten Entschlüsse eine kulturelle 
Tat an und für sich begangen, indem seine komische Oper, 
die Steinitzer mit Recht ein Wunderwerk nennt, als die 
einzige erfolgreiche seit der Yolksoper Lortzings und den 
Meistersingern, der Operette den schwersten Schlag versetzte. 
Tatsächlich fällt der langsame, aber beständige Rückgang 
der modernen Operettenseuche mit diesem Erfolge Straußens 
zusammen. — 

Erkennen wir mm aber die positiven Kräfte unseres 
Zeitalters, so möchten wir ihm als Motto das nil admirari 


geben. Doch keineswegs im 



RICHARD STRAUSS ätr Fünfzigjährige. 
Neueste Aufnahme. Phot. Diibrlcoop, Berlin-Hamburg. 


nd 


blasierten Sinne, sondern als 
Ausdruck eines prächtigen 
Selbstbewußtseins, das vor 
keiner Schwierigkeit zurück- 
schreckt; das im hochge- 
spannten Gefühl eines berech- 
tigten Stolzes im Wunder- 
baren das Selbstverständliche 
sieht ! Mehr oder minder ver- 
kappte Gartenlaubenlyriker, 
Menschen auch, die über eine 
gewisse Gymnasiastenkultur 
Zeit ihres Lebens nicht hin- 
auskommen. die verschlisse- 
nen „Romantiker“ aller Grade 
mögen ja in den Gebilden un- 
serer Zeit keine „Poesie“ ent- 
decken können, sie als Aus- 
fluß einer rein verstandes- 
mäßigen Technik ansprechen: 
wir lachen über sie. Es gibt 
schon auch noch Poesie außer- 
halb des Gebietes des Erlen - 
bachs und der Mühle, des Lin- 
denbaums und Evchens und 
Walthers unter dem Plieder- 
strauch. Es gibt auch noch 
eine „Ethik“, von der sich 
unsere Schulweisheit offenbar 
nichts träumen läßt. .. U,nd 
was muß heute ein Künstler 
leisten, um nur auf die Höhe 
seiner Vorgänger zu kommen, 
geschweige denn sie zu über- 
treffen ? Richard Strauß re- 
präsentiert unsere Zeit in der 
ungeheuren Ktaft . des Willens 
und er r e c h t f e r t i g t sie 
im Vollbringen ! Der Flug sei- 
ner Phantasie steht dem' der 
großen wagemutigen „Phan- 
tasten“ auf den realen Er- 
findungsgebieten nicht nach. 
Seine Phantasie, seine E r- 
findungskraft haben der 
neuen Menschheit die neuen, 
adäquaten Gefühlswerte auf 
dem Ausdrucksgebiete der 
Musik gegeben. Doch nicht auf dem Wege des „Umstürzlers“, 
sondern in konsequenter Entwicklung seiner Persönlichkeit 
und der musikalischen Kunst. Für den, der Ohren hat zu 
hören, bedeutet die Straußsche Musik das herrlichste Bild 
seines eigenen Wesens, in dem er den Puls des Lebens zu fühlen 
wähnt. Und zwar in immer stärkerem Grade! Eine neue 
„unterschiedene“ Schönheit von solch starken Ausstrahlungen, 
daß das Auge schier geblendet wird, daß sich in das Gefühl 
des Bewundems ein leises Gefühl des Grauens mischt: das 
Staunen und Fürchten“. Wir sehen unser 
sondern durch die undefinier- 
barste Kunst in bildlich umrissener Darstellung erscheinen. 
Und zugleich erkennen' wir im Straußschen Schaffen eine 
"ge Synthese menschlicher Kräfte und menschlicher 
Jungen. 


Als der Bayreuther Meister, oder würdiger ausgedrückt: 
Richard Wagner, für seine Ideen gegen eine ganze Welt 
kämpfte, da mußte er, bewußt oder unbewußt, sein eigenes 
Ich in den Brennpunkt der Dinge stellen. Und er hat den 
guten Deutschen einen gehörigen Respekt vor sich und seiner 
Kunst eingeflößt (übrigens nicht seine j 


griechische 
Innerstes nicht umschrieben, 


: Tat). Wagners 

Welt- und Kunstauffassung wurde dann “aber, obgleich sie 
nicht in allen Teilen zu halten ist, was allein schon durch die 
Tatsachen widerlegt wird, von den Epigonen seiner „Jünger“ 
derart grotesk verallgemeinert, daß man meinen sollte, nicht 


377 


nur das Höchste und Tiefste der Kunst, Religion, Ethik, 
Philosophie und was sonst noch vor sich zu haben, sondern 
daß überhaupt nur der Glaube daran, es könne einer kommen, 
der größer ist als er, Schrecken, und Verwirrung hervorrufe, 
die sich in den heftigsten Invektiven äußern. Nun konnte 
Strauß Richard Wagner als den eigentlichen Schöpfer des 
„Musikdramas“ schon deshalb nicht übertreffen auf den Ge- 
bieten, wo er sich von ihm abhängig zeigt, weil er der Später- 
Geborene ist. Anderseits ist er aber wiederum der einzige, 
der aus dem Kreise der Wagnerschen Empfindungswelt — 
imd darauf kommt es an! — herauszuschreiten vermochte. 
Hierin erkenne ich die genialische Persönlichkeit ! 
Wagner, sein eigener Textdichter und deshalb vielfach über- 
legen, schafft die Welt des Musikdramas nach seinem Eben- 
bilde, subjektiv, wird aber, indem er den Charakter 
zum „Typus“ wandelt und noch dazu aus der deutschen 
Sagenwelt schöpft, der Künder des Allgemeinen 
und erreicht somit sein Ziel, „Volkskomponist“ im schönen 
Sinne des Wortes zu werden. Strauß wendet sich vom 
Typischen zum Individuellen. Sein Drama ist Einzelfall, 
sogar außergewöhnlich. Keine allgemein gültigen Ideen 
und „ethische Werte“, von denen Aesthetiker Für die Kinder- 
stube oft ihr Urteil hauptsächlich abhängig machen, „tragen“ 
sein Werk. Denn die Vergeltungsidee der Elektra • — 
richtigerweise nicht äußerlich beleuchtet und lehrhaft 
betont — ist unserer Zeit so fremd, daß man sie als „ethisch“ 
kaum ansprechen wird . Richard Strauß ist der Musikdramatiker 
der bisher am höchsten entwickelten objektivenKunst! 
Daher „kann Strauß alle s“, wie sein Gewachsensein jeder 
.Situation gegenüber, instinktiv richtig, populär ausgedrückt 
worden ist. Und daher ist er auch nicht „sentimental“! 
Interessant ist folgender Unterschied: Wagner wächst am 
Musikdrama selber einzig und allein, dichterisch wie musi- 
kalisch heran. Strauß schreibt die Salome, nachdem er 
mit den Mitteln der reinen Orchestermusik das denkbar Mög- 
liche ausgedrückt hatte. Der staunenerregende „Fluß“ seines 
musikalischen Dramas konnte auch nur dem Meister des 
Orchesters gelingen. Man kann darüber streiten, ob nicht 
Strauß z. B. in der Elektra — für uns die letzte und strengste 
Konsequenz des musikdramatischen Gedankens — dem 
Prinzip zu sehr geopfert habe. Lücken gibt es aber bei ihm 
nicht. Und seine Erfindung, die ihm so oft bestritten 
wird, ist reich (manchmal zu reich); ihm fällt stets etwas ein, 
an Phantasie steht der selbständig Gewordene hinter keinem 
zurück; an musikalischem Können übertrifft er die meisten. 
Die Schönheit seiner Musik, wo sie schön sein soll und schön 
sein darf, ist bezaubernd. Und an Wärme steht sie neben 
der Schubertschen, an rein künstlerischer Vollendung neben 
der Mozarts, mit dem der Dramatiker Strauß auch im objek- 
tiven Sinne harmoniert. Dem Wollen, aus allem Musik 
zu machen, dem Intellekt, den organisatorischen Fähigkeiten 



RICHARD STRAUSS als Dirigent. 

Verl. Herrn. Leiser, Berlln-WUm. Phot. Wikinger. 


gesellt sich eine sinnliche Klangwelt, der sich niemand 
entziehen kann. Und Blut hat Straußens Musik!. Er hat 
den Mut und die Kraft der Selbstverleugnung, auf die Schönheit 
zu verzichten, wenn es „die Wahrheit“ des Dramas erfordert. 
Und die imunterbrochen fließende Schöpferkraft charakteri- 
siert ihn, wie alle Großen! ^ , 

* * 

* 

’ Die Musik der musikdramatischen Idee unterworfen ! Auch 
der Rosenkavalier gehört im wesentlichen diesem künst- 
lerischen Glaubensbekenntnisse an. Da kam die, selbst bei 
Strauß als unmöglich angenommene große Ueberraschung: 
Ariadne auf Naxos. „Ich betrachte die Kunst 
als einen Schmuck des Lebens.“ Ich, dem sie 
eine „Erlösung“ bedeuteten, hatte das Glück, diese Worte wäh- 
rend der Stuttgarter Tage aus dem Munde des Komponisten 
selber rii hören. Wenn sie auch mit der Einschränkung des 
glücklichen Augenblicks aufzufassen sind und nur die momen- 
tane Stimmung widerspiegeln, so sind sie deshalb doch von 
unschätzbarer Bedeutung. Und Strauß hat sie in der Ariadne 
auch wahr gemacht! Die Kritik der Musiker hat, an gewissen 
Aeußerlichkeiten haften bleibend, vielfach die Ariadne als 
einen „Rückschritt“ auf dem Schaffenswege Straußens be- 
zeichnet. Dagegen hat der „Literat“ Frank Wedekind nach 
der Stuttgarter Generalprobe zu mir von einer„Rückkehr“ 
zu den Schönheiten der absoluten Musik gesprochen. 
Ich möchte dafür setzen: ein „Hindurchschreiten“ zu einem 
neuen Werden der absoluten Musik und ihre innigste Ver- 
mählung mit dem Dramatischen. „Wortkunst“ und „Ton- 
kunst“ haben sich zu neuem Bunde gefunden, sind ineinander 
aufgegangen. Ein Gipfelpunkt in der Entwicklung des 
musikdramatischen Schaffens überhaupt; vielleicht seine 
schönste Rechtfertigung ? Die Wiederbefreiung der 
„Dienerin“ Musik zur Selbständigkeit, ohne daß das Drama 
zur früheren dienenden Rolle erniedrigt würde, und in dem 
Sinne eine Synthese der dramatischen Forderungen Mozarts 
und Wagners. Und so viel Licht und Schönheit strahlen der 
Welt aus diesem Juwel von Partitur entgegen, daß diese Welt 
schier geblendet war. Es gab so gar nichts „Tiefes“, trotz 
den schönen Tiefen der HoFmannsthalschen Dichtung; keine 
„Welträtsel“, trotz dem größten Rätsel der Wandlungen der 
Liebe ; keinen philosophischen Ballast, trotz dem Hinabsteigen 
in die geheimnisvollen Gründe menschlichen Seins. Man 
sah neben dem lustigen Treiben einer Harlekiniade, deren 
kleine eingestreute Liedchen zu den köstlichsten Einfällen 
der neueren Musik überhaupt gehören, nichts weiter als eine 
Verlassene auf einer wüsten Insel; eine zum Sterben Bereite, 
den Tod Erflehende, der der Gott des Lebens naht! Und 
fast unmerklich, ohne heftige aufdringlichere Erschütterung 
schwindet mit den äußeren Umrissen der Szene einer grotesken 
Landschaft das Irdische; wir sehen nur noch den Himmel 
mit den ewigen Sternen, einen Himmel, der voll Geigen hängt. 
Wir hören wie aus anderen Sphären einen Liebesgesang in 
Klängen, die noch nicht gehört wurden. Die Welt ist ver- 
sunken. Aber mit feinem Gefühl unternehmen Dichter und 
Komponist das Wagnis, uns wieder auf diese Welt zurück- 
zurufen (Herr Jourdain reibt sich die Augen). Das Erlebnis 
wird zum holden „Abbild“, das in traumhafter Erinnerung 
nur um so schöner wirkt; eine „Illusion“, wie alles Schöne 
auf dieser Welt. Damit fehlt auch so jede Miene eines „Du 
mußt“ für den Zuhörer. Doch es scheint, daß unsere Zeit 
derartiges nicht vertragen kann, das Mystische, das Realistische 
und die große Geste beherrschen sie. Richard Strauß — der 
Unzeitgemäße ! 

Strauß als Dramatiker wird die Aesthetik noch viel be- 
schäftigen. Seine Orchesterwerke sind nun aber dort, wo sie 
mit Liebe gepflegt werden, Allgemeingut geworden. Im 
Konzertsaal gibt mehr das geistig Aristokratische den Ton 
an. Die Aesthetik ist ihrerseits nicht stehen geblieben, nach- 
dem die Tatsache des Werkes, der Straußschen sym- 
phonischen Dichtung als Programmusik, unumstößlich ge- 
worden ist. Ein Volksstück, wie es auf diesem Gebiete 
noch nicht geschrieben worden ist, ist der Till Eulenspiegel. 
Und in unserer für Denkmäler so ideenarmen Zeit wäre es 
vielleicht angebracht, in Mölln, wo die Sage den Till be- 

S aben sein läßt, ein Denkmal aus Stein zu setzen nüt dem 
elden und seinem musikalischen Neuschöpfer und dem 
ersten, berühmten Hornthema! — Richard Strauß, der die 
deutsche • Musik zu neuen Ehren auch im Auslande brachte, 
ist heute geehrt wie keiner unter den Musikern. Aber „ge- 
schadet“ hat es ihm nicht, wie er auch von der Umgebung 
von Berlin WW. — keinem idealen Spiegel „unserer Zeit“ — 
nicht berührt worden ist. Er ist auch als Mensch — wie 
stets als Künstler — sich selber treu geblieben! Viel noch 
erwarten wir von ihm! Und zum u. Juni selber noch nach- 
träglich die besten Glückwünsche der „Neuen Musik-Zeitung“, 
die wir ihm von Herzen darbringen! Oswald Kühn. 


378 



Leipziger MusjikM 


i in 



Die, t nfernitz-ßorctd,' Maria preuncf, Ifyerfineygeknfe- 

I<dpjäg ’^nd, Könzerttenor 

Boriiitdn 'wüifjaf Aen .enormen i S^^aigkefte^j Wer^pp 
ift.' hbheii^Map^igreqftt; außerdem 'erfordert 

;Bäß. o^er ' BäB^^totji^UFa^^^pispae 
cte§ B^üerii, ,’zi i£- Hauptfigur .einen Tenor von. ganz seltenen 
Ööatttäteä und' v.^BCTer^.Tieie. als'der np^g lam^ d & .ffihe 
begabte Hans ‘NächocC 'war. "' Dei 'künstlensime.^^^ 


stets — '“es mußten des volleren Streich tone^ ;wegenj ejge^tlicii 
mindestens -i so Mann, pde^aber sehr dipjcrete .Bläser da feüi— , 
*4pöa^..lib ‘.jßel^li l a fn fe n a t ä ^’ -$ef ', kiepe^ .994 

Natmstimmüigen,, "^je zum' Teil sdjön baidtet, jiat ,ijns 
dieser Winter von ScKonfcerg noch.' dä^eü$* - J $trei£hqnaftett 

f ebracht, -von den ; jPlönzaleys ^ . d as 
^a^t*y,vpn der Gewändliaiw-Kammejrnuisi^iVn^^fe/^s^fc 
Führung Herrlich geäpielt f ,;jEey^ -£/*- 

AVs^Ar p jnen .liederapend der trefflich ' jä$seij fljfrf behe^^chmdeh 
Dresdner KühstlerSöoi und Pfwod^r, ‘■.nun.soÖ jKir gafadenep 
Publikum das in der Oeffenthcbkeit etwaig gefalffHdie ^;^apimep- 
mrisitw^lbdram „Die Diede^^r^ 'K^dt il^äi^^i folgen. . 

‘ dm übrigen lunt.' :«taa ‘ 

f elächelt, .'Georg, Göhfy, ’agf.'nft/j, aa^.pr ’H^bidger ..Qpemr 

Schaft .besucht} fuhri^ die, nachgelassene. Neubearbeitung von 
GüstatiiMWer.t^Yünf^ ^^^phopiej'Jj^u -gawalVger;. Wirkung. 
Im" J Gewandhaus, ; . dessen * a?,’'jKQqjMsr$r -dieses, jim. lüpf 

größere Jfeiih^ten ; brachten,'^ erregte, , MrMzek^vkösmgfifii ,Ör- 
chestähuhiöre&e '„Max, ün‘d Moritz 1 *' ä^s jEntzupkp« dej.^t^ü. 

■*• J “ Maxr-Broddi^/S^elba.t böiBqQgi- 


hjerdferd, 'geg^i'jden Maa ^ ...... . 

"etWP§^«ing^endst i h.?'i' $&r 


wfe'khon vorher Strauß’,' #ßÜ»BJT 

dem.Exträ trompeten gegebenem ‘"„^rafcEScbäft ■ J^ 4 hjdium‘.‘-.er- 
hebhch\.'Ädi^dcte,' i^Efie, W«achh/eit .j^^^wung jd^!. CTqß^ 
Ijinie ,-läßt sich'-ebeii ihipht so ohne wejtefäa eweiphen. -, Df^ut 
fehlh' aber.'; et^a^ '..spezifisch ' Straumsch^.- • Julius ji Ijf#i smpr/?i§ 
i^'.'|^pji^y|M«K.'Wrfillani ^en^i^;gdstr^j«.JPivi(ffir 
könzett . trujgl'ifl- dhi. Albprfhafle fltta, , ffi&nreich,, yginj xßpfah 
sfMn-örchcster''begId.tet, mit' ■ sebpnstem ; G?lyigfin j dhd. pffj 
rpcbtlgt' Starkem ’ Befpheft,'de§.‘ sonst ,wßnig ' hp^pr^etwden; 
brölahte^I.^fedicnt^, yot- * Im“ „Ariönr r §iegte, .-£*# -Xqlbcu&s 
tempefaruenfT , dnd' Hangfrejidigc Männer ch9rkantat6 rJ i^önjg 
Länrinf . " Die Ge^ändnauskamnienuusik ehdhoh; ; yemut,teit 

Werk i$, YQiij^il.RpberfcHqnseii,^ AyLc^^irfieger&ßsfocil* 
iQii^rtetf, Werk' 121", feierte diese’ Vereinigung ejinfmihohen, 
kunstlerischen.^rfojg, ., AlsjG^tdirig^h) e t%hiWi^6ft w * ,ld " 
hanis, Hans 'Pßfyner 'B^tiBeefh^vmis „Siepe^aj-.St und:- dem 
gfößtdft „Katheten, v<^ ; Ifedhronri.“i 
Sfe'.Ersätid^genteh für. J^öhlef (J&ed< 4 -V<a«an.)i und,,gagei 
(Sihgak'ade'räieyr Hermann GßpfMn^vDaföcßard Wsf& beguijjsu 
hier BodeP, zu.geynm^,.ob^(Ä aqikginp sjpe^P^dwil'i.Größen 

aden 
Fuß 
«WS 

von niszm,neirucner ^raner/messq -, Qocp. aai; es jiin>Mege»b 
sä'tz'zu 'der glahzenden Xeicntigkeit’ mit Qsj GöhlfiX ,. des ^ 0 >ß^fr 
Apparat ii^-..Qang^ bie|t;,)Tdt d^^h^erigkeiten.der .j^dinik 

-;i i v .J ir .;;v. V. .... >,W lipß.« 

.. dj eberraschend ■ wrirkted, einzeln^ h e ^o^agend,;$ch?.^ih«*r t 
stiihgen ‘ühter weniger verbrdtetem ^ 

des prachtvollen jungen Pianisten Franz Wagner, des c famosen 



er V%se ein. * lnfere^‘ verrnqphte d^ihr ihreme tiefenl 
^iast,. t unge^ein : , anziehende,,. wenn, fipi&.nödi : nicht dw^häus 

zv^^^bloäönntie JfäiufiMfisiriqnnf. »ft d.ftioU,. hrachte iHm&t 


Bwc4;.ftift,gpw9hntmft jJ^nef/zn;. <Sehör;.. sfiimeff.Ätten) 
5t ia viWstuckeu^, ) Aüs,ipäfteni j; Qm.teir“' war.der,glei,che ! Au!Wtt't 
% WW* r .nv M.hh <tn< -ihn >iU 

Mi, der- Dper. .druckte,die ?\qrhcreitvuag de§a,Pars»falta 

mllofthiPie^aWfe iArt&tf 


-jmd Ausstattung in Weitzels , ,, , r B arharina,“ ^ dig bald wieder 
.yer^chwand’- Man ; ist hier.; nicht ghftz, zufrieden anit den ?#- 
;ständcn an der Oper,' deren Direktor ftftd 'erster K^fipethneister. 
moBtenteils jauph prste G^ahg^rte^ :ft»pjit,.ihren : .aÜeinigen 
&hwerpuhkt in' teipäg' hftben, .>q- 4 »ß 1 d^i W1W der.Inten- 
■4hn^%5if)tersjtei« allzu; generös g^^ten .tir^aube •W •ffe^W- 


^Igli^der) in., der. ßetätieirng pder\Uriterlassung' ' der-.iRp- 
eMagemehts (vergl..?idei\ Abgang .ScAön/eöers >,..yenmßjbiniaP 
.pg^adr.dfts MhßgCbehde.^reu^ künptLerischer, stjreng, sachlicher 
^nchis^pmkt^ ohne .im : einzelnen die-' YertejJuhg. dfhi iK'W 1 " 
Mfd n Sj*vdsclMäi; Inj^dafiS^wd.' 

Jfre JLn ^ Bl y ft wg ; dek .‘„Pflrsjfpl*), aift 22;. ,März ( . kam szenisch 
f^st «ner jttätas.trophe gldcli,, ..(diej denn auqh^wÄe j&iifflfe 
^pheini, dW ‘Rücktritt , dps. i,. Intendanten. .Geheiujfrat, ,#^«?- 
rfejgj.ft ach äch.hi^hh. j ^tsdchlicäi, hatte man.den iEinqrwk, 
,hls j^i. die yöirberpituhg dieses Verthhchtnip^? Wagners gerade 

m seiner Vaterstadt- zu, hiepigr etwt ®nhin i n e f} Wo?denr • Iw 

chatte vieles ßtimmungsiorende iuqht 'vernuedf p) so rot- 
gezackten kurzen und,! engen Böschen ,1 Pprsifals,, ,die Hcrr 
-tf jlus »ach, aejr ersten od<er, zweiten, Yorstelljupg -zugunsten 
seip^ /[hiwhph ^höch^t , kleidsamen Kostüms , wieder ablegte.; 
djp, .Kundry [ gheh in ihren .bläuuehrpten osnjanischen Beip- 
kleiderii.' uftd dem. aufdringlicjh , blaften 0 berkleid; türkischen 
.Wach^gihen .fth Fanpptikum ; der Grajsschrein erinnerte .trptz 
•äfefc jschöaieh vorhändenen Vcy bilden deutuclist ^an.eip Tauh^c 
haus', t^irmfi? la ii?L Hütte ah ein^.Deuschpber.;; ,I,n der .vom 
Theater selbst, berausgeg^nen r Ealbmonatsschrift „leipziger 
Bühne“ war die glänzende Eösung aller technischen Probleme 

j 1 __ ' ' j t' • a' kr.’ J..11 


■?y 4 t v ir^ rrV 1 ^uou<uv.uc a ui^u^tuo, su 

die Bresphe , traten, die pomphaft angekündigte Wandpldeko- 

P rusfiel und das Speerwuhder sdbst mit Hilfe .yon Blitz 
inkel vertagte: . Daß das Qanze szenisch ein Fiaskp 
te^schien an leit|en 4 er' Stelle tnicht gemerkt zu werden; 
fleunf i-; , Leipzig ist; nun einmal nicht Paris , 4 ^gm' : Xug,.nach 
def Erstauffuhmng erzählte' man ^ich vpn der im bekanntsten 
Weiplokal «Jjär.’ Stadt jin. ahnungsloser ,Froh)ichkeijt abgehaltenpi 

^^.fer^sänt' : w.ff , a,n. sjA. die 'idee ; äes intepdahte'iij‘ : die,fü}if 
Szchehbildez ,-d«* J,,Parsifal“ durchaus ,p la 5 tis.c.h .aufzuV 
bpuen, imtp^ft^ähme.^ der beiden Landschäft&hintergriinde 
und des Turrugmachs ; der theoretischen Konsequenz zuliebe 
blieb -dieses .1 n; tie jte Nacht gehüllt, da es der raschen Verwand- 
lung wegen nicht plastisch zu gestalten war. Im Zaubergarten 
aber trat noch das praktisch gefährliche^ ja stimraungsnjecä 
theoretische. Postul ät der Symmetrie und des, äußerrthn/P 
tivismus hinzu ; außerdem“' -Sprang - Kler'die 'Ausfümüng' 
Dekqratiön'Jund Dichtung ,u 

Da dieser ^zerstörte zweite Akt aiif die, auren nicht genügend 
aiiaprpbierte, ,1 a kustisc h t eil w ei se .. ganz _ungüwtige. Verteilung 
deK-Chöre ’b<eÖhiträchtigte-^b^fteiählsszeBe^^lg(^.-»\wär-<da§ 
künstlerische '•Rftßltngen eindeutig. 

-AWaä anüier: Ausstattung ^schön-Wari-difr ßzenerie däS'-GB^ils- 
tenipelsf< und die. Köstüme 'der ! Ritterschaft! haben Ihre' Deaer 
iirnnBildejigeseheMiüdesp < „sttüsierte.“ 'Zweite- ‘Akt; .machte 'm 
iilüstrieiteü Zeitaugöh öeben den- nicht stilisierten, ■ d .• h.-brderit“ 
lidh gemalten; * anderer u Bühnen «die^ ‘ eohderbär^t*' -'-Figur. ■ ■ -Es 
zeigt! sich ^dieu -Unerhörte ; Macht-r deSJ Frethd wörtes; tttafi-; lobt 
heute, iProspekteidn dergleichen' Ausführung, j-di#‘niah früiier* 
hei , dehii^dnicktbn , itoaleaux-- Bildern, «all •■■geriati 'dieselbe* Ati 
zu; malen, .die, gut' deutsch ü;gepÄtzty^e6chmiert,-gekl«Pt“- hieß/ 
genießt jetuta^ j, stilisier tü einen; ge wnssen; mystiSOhen‘ReSpiekt/ 
Esugibt; wohliauch Beutepdie sich Prügeli-veVabfölgen-laSsöB/ 
w enn ) man diesän^ymmLsch-lperkussor&ha JIvUnibahrtaisSage'“' 
nennte . u„ Stilisiert f* > -War-' bisher ein streng? umschriebener Und' 
festgelegter p höchst- -fruchtbarer- -'Begrifrd&r Künötgewerbte,' 
der.xnum^^Z-unber^htigtmdffdie-iSülmikfcurntJSüifli* da üh- 
geWendet werden; soll, ; w» [«üntfäch ,Zeit; S-uÄt; ■ Bezahlung oder 
FähigkeitZum ,FeddgsteUdn Jettlänglicher ‘Dekorationen fehlte;/ 
Der .böse . Engel deä lht^ndanten, sein- Mephisto- - f waS^Ämh 
nicht, weiß; idas ■ eben -brauchtö -ImanV^ ‘ klagt ‘Faust J Whrde 
Pröf.f. Engfelsü^Münchefryoderü skihv Wie-’s- heut^- „BranCh 'der 
Schul ‘V.xnaiiohmätiiniidas Tekthuch-'gar nicht küm'meüt^.*üNadt 
aüßenjhin wurde-, das Irliab«; iß ifd' der- Sachlage etwas verivi'sfchtr 
dutch dEH,.Dhistand,'Aaß sielt selbst -allererste Tageszeitungen, 
über! djeibiesigp i Oper /nicht -durch' Musiker' 4 tdeY ; TheaterfaCh- 
lead» Ibennhtfenf lässen; Deii MchthiOSikfef aber; leUhtMt' Seibst 
die - weitgahetedsten; Entstellungen -'vöh; WagitfetS' V-orst liriftert' 
nl^htad hart ap,? selbst ariiFaChblatt, tdas Vcai einetn solchen be-^ 
dient iwhd.wbrachte iden- m diesem'- Zusammenhang-' ästhetisch^ 
anarchistischen, Satz^ in an könne ■ nicht : ehrlicher 1 iirr fSiftne' des 1 
Bayreuther Meisters handeln, als immer neue Wege zu möglichst 
vollendeter szenischer Gestalturtg seines letzten Vermächtnisses 
zu suchen, ^ 9514 » W IfejpBg «S^WSÄPÄl^lDli« ^che nicht 
durchaus ernst nahm, bewies u. a.^chon der Umstand, daß man 
did :vdm 1 nächtlichem : Lager httfgeacHeUohttn - B 1 umenniädchen 
ih.koihpli'zierte, : ar abisch-türkwenei Gsfwänder -tön 'unerträghClV 
buhter Gesamtwif kung steckte und -die oberste-' 'Solostimme; 

3/9 



schematisch der Koloratursängerin übertrug, ohne danach zu 
fragen, ob deren Spiel und Erscheinung in türkischen Bein- 
kleidern zum Geist der ganzen Szene passe. Nicht einmal 
bei der Haartracht der Mädchen, die vieles hätte retten können, 
war dieser irgendwie berücksichtigt. Von allem geschah genau 
das Gegenteil, wie es in der erwähnten Theaterzeitung der 
Oberregisseur der Oper selbst in einem durchaus sachgemäßen 
Artikel gefordert hatte. Gesungen wurde freilich, von Urlus 
Parsifal, den Damen Rüsche-Endorf, Nigrini und Sunden, die 
als Kundry wechselten, den Herren Possony und Klinghammer 
(Klingsor), Käse und gastweise Perron (Amfortas), Karl Braun 
(Charlottenburg, Gumemanz) größtenteils trefflich. Aber 
selbst in dem von Lohse mit gewohnter Auszeichnung geleiteten 
Orchester störte gleich im Vorspiel der Mangel reiner In- 
tonation und präzisem Unison. Die Schönheitsfehler des 
Morgenweckrufs, der von der Gralsburg her tönen soll, schienen 
gleich vom Anfang des Spiels an zu trompeten: „Laßt den 
.Parsifal' jenen Buhnen, die sich Zeit nehmen, jede scheinbare 
Kleinigkeit genügend auszuprobieren!“ 

Einen vollen Erfolg bedeutete, dank nicht zuletzt der 
glänzenden Leistung Lohses (Orchester) und Dr. Lerts 
(szenische und Spielregie) sowie der beiden Hauptdarsteller 
Aline Sunden und Ernst Possony, die Uraufführung von 
Paul Gräners dreiaktiger kurzer Oper ,,Don Juans Ende“ 
nach dem Drama von Otto Anthes. Der einstige Mozarteums- 
direktor bewegt sich hier in modernsten Bahnen; trotzdem 
man ihm den Kenner der Singstimme überall anmerkt, 
liegt der Schwerpunkt in dem mit größter Differenzierung 
seelischer Werte behandelten Orchester. Der Verfeinerung 
und Vertiefung des Textbuchs — seit dem „Tiefland“ wieder 
einmal ein wirkliches Dichterwerk! — im Vergleich zur 
herkömmlichen Schablone, zeigt sich die Musik vollkommen 
gewachsen. Die Aufnahme bei dem musikalisches Neuland 
sonst leicht ablehnenden Leipziger Publikum war stürmisch 
begeistert, unter endlosen Hervorrufen der Hauptbeteiligten. 
Die Oper wird vom nächsten Jahr ab mit Urlus nunmehr 
einen Gastspielvertrag haben; seine Stelle nimmt Willy 
Tosta vom Grazer Stadttheater ein, der als Siegfried lebhaft 

f efeiert wurde. Bei einer Reihe mit der zu Ende gehenden 
pielzeit eintretender Veränderungen, unter anderem dem 
Weggang von Frau Marx-Schroth, wird man sich da und dort 
vergeblich den Kopf zerbrechen, aus welchen Gründen 
bei uns wohl Kontrakte verlängert, nicht verlängert, ge- 
schlossen usw. wurden. Darüber sei ein andermal — ge- 
schwiegen. Denn oft ist es schwer zu vermuten. 

Max Steinltzer. 



. Kassel. Die letzten Abonnementskonzerte der Königl. Hof- 
kapelle in Kassel unter Leitung von Prof. Dr. Beier haben 
verschiedene Neuigkeiten gebracht. So stand Claude Debussy 
mit seinen Vorspielen „La cour des lys“ und „La chambre 
magique“ aus der Musik zu d’Annuncios Mysterium „Le 
martyre de Saint-Sebastien“ neben Richard Straußens „Fest- 
lichem. Präludium“. Gewiß ein Zufall, daß diese beiden 
Führer der Moderne auf einem Programm standen und doch 
interessant wegen ihrer gegensätzlichen musikalischen Auf- 
fassungen. Im Gegensatz zu Strauß meidet Debussy jeden 
musikalischen Realismus und malt nur Stimmungen mit 
eigenartigen Klangwirkungen ohne Rücksicht auf Rhythmik 
und Melodie in fortlaufenden Harmoniefolgen, die unserem 
musikalischen Empfinden neu Vorkommen und doch natür- 
lich erscheinen. Außerdem erlebten das D dur-Violinkonzert 
von Tschaikowsky und die Violinsonate a moll von Max 
Reger mit dem Geigenvirtuosen Felix Berber ihre erfolg- 
reichen Erstaufführungen. Heinrich Zöllner ist als Dirigent 
in Kassel kein Neuling mehr. Diesmal dirigierte er selbst 
zum erstenmal seine „neueste d moll-Symphonie No. 3, Im 
Hochgebirge“. Die liebenswürdige Melodik Zöllners wird 
stets über eine versuchte Tiefgründigkeit siegen. Deshalb 
gelangen auch die ersten beiden Satze am besten. Im 
Scherzo mahnt uns der Komponist an die Eulenspiegeleien 
Straußens und im Schlußsatz läßt die große Tragik keine 
innere Befriedigung aufkommen. — Der Philharmonische 
Chor hat sich unter der talentvollen Leitung des Königl. 
Kapellmeisters Dr. Walter Pauli mit einer vollständigen Auf- 
führung des Lisztschen „ Christus “ verdient gemacht. K. 


Neuaufführungen und Notizen. 

— Das Deutsche Opernhaus in Berlin hat den 200. Geburts- 
tag Glucks durch eine Aufführung der „Iphigenie in Aulis" 
gefeiert. Der Aufführung lag Wagners Bearbeitung zugrunde. 


380 


— Im Goethe-Theater zu Lauchstedt ist Glucks „Orpheus“ 
in der ersten italienischen Fassung aufgeführt worden. Der 
Bearbeiter, Dr. Hermann Abert, hat die Titelrolle einem 
Bariton ( 1 ) übertragen. Wenn Musikgelehrte sich auf das 
praktische Musikcebiet begeben, gibt’s nicht selten ein Un- 
glück! (Bericht folgt.) 

— Die Elbinger Waldoper hat zweimal Glucks Orpheus 
und Euridike unter Leitung von Rasenberger auf geführt. 

— In Dresden ist in der Hofoper Humperdincks. Märchen- 
oper „Dornröschen“ in der Bearbeitung als dreiaktige Panto- 
mime aufgeführt worden. Ausführende waren Damen und 
Herren der Gesellschaft. Die Veranstaltung fand in Anwesen- 
heit der königlichen Familie unter Leitung des Kapellmeisters 
Striegler und des Opemregisseurs d’ Amais zum Besten des 
Roten Kreuzes statt. 

— In Mannheim ist Massenets Oper „Das Mädchen von 
Navarra“, von Bodanzky, in einen Akt zusammengezogen, 
aufgeführt worden. 

— Im Nachlaß von Hermann Zumpe hat sich ein musi- 
kalisches Lustspiel: „Das Gespenst von Horodin“ gefunden. 
Das Stadthallentheater in Lübeck hat es zur öffentlichen 
Aufführung für diesen Sommer erworben. 

— Das Scalatheater in Mailand bereitet für die kommende 
Saison 7 neue Opern vor: von Mascagni „Faida di Comune“ 
und „l’Allodoletta“, „Madame Sans-Gene“ von Giordano, 
„Notte di Leggenda“ von Franchetti, „Letre Maschere“ von 
De Lara, „II Madgno" vom jungen De Sabata und „Fedra“ 
von Pizzetti, letztere nach der Tragödie von D'Annunzio. 

— Die musikalische Komödie „Die vier Grobiane“ von 
Wolf -Ferrari, deren Uraufführung vor neun Jahren in Berlin 
stattfand, ist am 2. Juni in venezianischem Dialekt zum ersten 
Male in Italien im Teatro Lirico in Mailand aufgeführt worden. 

— Es war vorauszusehen, daß nach der „josephslegende“ 
Paris sich mehr um die dramatischen Werke von Richard 
Strauß kümmern würde, als bisher. Paris kannte nur die 
„Salome“. Nun ist „Elektra“ von Direktor Jacques Rouche 
für die Große Oper in Paris und „Rosenkavalier“ von den. 
Direktoren Gheusi und Isola Fr des für die Opera Comique 
in Paris erworben worden. Die Aufführung der „Elektra“ 
wird mit der französischen Uebersetzung von Gauthier- 
Villars, die des „Rosenkavalier“ mit der französischen Ueber- 
setzung von Jean Chantavoine erfolgen. So beginnt sich 
nun auch nach Richard Wagner der zweite deutsche Musik; 
dramatiker Paris zu erobern. 

— Umberto Giordano, der Komponist der Oper „Siberia“. 

hält sich augenblicklich in Paris auf, um die Rollenverteilung 
seines neuesten Werkes „Madame Sans-Gene“ vorzunehmen. 
Dieses soll Anfang Februar 1915 in der Oper von Monte Carlo 
zur Aufführung gelangen. Giordano und Gunsboiug sind 
sich heute noch nicht darin einig, wem sie die Verkörperung 
der „Mar Schale Lefebvre“ anvertrauen werden. Ehe „Madame 
Sans-GSne“, der man bereits allerlei Gutes nachsagt, jedoch 
die europäische Kritik beschäftigen wird, geht sie vorerst 
in italienischer Sprache im New Yorker „Metropolitan Opera- 
House“ mit Geraldine Farrar in der Titelrolle, dem Bariton 
Pasquale Amato als Napoleon, Martinelli als Marschall Le- 
febvre, unter der Leitung des Kapellmeisters Arturo Toscanini 
vom Stapel. Lvn. 

— Jean Sibelius hat die Musik für eine Pantomime, „Scara- 
mouche“, komponiert. Die Opern in Helsingfors, St. Peters- 
burg, Kristiania u. a. haben gleich auf die Erwerbung dieses 
hochinteressanten Werkes reflektiert. (Verlag: Wilhelm 
Hansen, Kopenhagen und Leipzig.) 

— Selim Palmgren arbeitet zurzeit an einer Oper, deren 
Sujet das Filmdrama „Der Student von Prag“ von Hans Heinz 
Evers ist. Das Textbuch hat der Dichter gemeinsam mit 
Heinrich Noeren geschrieben. Voraussichtlich wird das Werk 
schon im nächsten Winter zur Auffühnmg gelangen. Wenn 
die Oper ebenso gut gerät, wie das Filmstück, dann kann 
die Buhne sich freuen. 

— Die Leitung des Rigaschen Stadttheaters teilt mit, daß 
nach wiederholtem Ersuchen um Freigabe von Richard Wagners 
„Parsifal“ die Zensur in Petersburg aas Werk zur Aufführung 
endgültig verboten hat. 

— Das in. Leipziger Bach-Fest, Das 90. Niederrheinische 
Musikfest in Düsseldorf, Das Norwegische Musikfest in Kri- 
stiania können wegen Raummangels erst im folgenden Hefte 
besprochen werden. Red. 

— Von einem „Prima-vista-Singen in der Bugra“ wird aus 
Leipzig berichtet. Dort will am Sonntag, den 12. Juli, der 
von Kirchenmusikdirektor O. Bemraann nach eigener Methode 
(gründliche Anschauung in Verbindung mit Motiv- und Melodie- 
bildung) ausgebildete Kirchenchor der Petrigemeinde zu 
'Chemnitz eine Reihe Motetten und Lieder vierstimmig vom 
Blatt singen. Das Notenmaterial wird von neutraler Seite 
besorgt und dem Chore kurz vor der Ausführung ausgehändigt. 
Es steht auch jedermann frei, Noten in der Besetzung 24 So- 
prane, 12 Alte, 8 Tenöre und 8 Bässe mitzubringen. Be- 
dingung ist, daß die Musik im altklassischen Stil und deutlich 
geschrieben ist. 



— In Alzey (Hessen) ist unter der Leitung des Komponisten 
die nach einem von Georg R. Roeß wirkungsvoll aufgebauten 
Text von Fritz Erckmann komponierte Kantate „Hallelujah“ 
für Deklamation, Sopran- und Tenorsoli, Männerchor, Frauen- 
chor und gemischten Chor, mit Begleitung von Harmonium 
und Streichquartett aufgeführt worden. Die Kantate schildert 
die Lage der vereinsamten Jesu- Jünger, bringt mit dramatischer 
Lebendigkeit die Erzählung von der Auferstehung und schließt 
mit einem jubelnden Finale für Soli und die verschiedenen 
Chöre. Die Soli wurden gesungen von Frl. Betty Aßmuth- 
Darmstadt und Herrn Hans Berdes-Alzey. Die Aufführung 
währte eine Stunde. 

— In Beuthen (O.-S.) ist Brahms’ Requiem mit Gertrude 

Foerstel (Wien) und Cornelis Bronsgeest (Berlin) unter Ger- 
hard Fischer aufgeführt worden. Kurz darauf führte das 
gleiche Werk der bekannte Meistersche Gesangverein in Katto- 
witz unter kgl. Musikdirektor v. Lüpke auf. Der vortreffliche 
Geiger Otto Silhavy (Breslau) feierte zusammen mit dem 
Pianisten Willy Kopmann Triumphe. In der nächsten Saison 
bekommen wir im Stadttheater (Dir. Hans Knapp) ständige 
Oper. Dr. F. 

— Unter dem Namen „Westdeutsches Streichquartett“ hat 
sich eine neue Kammermusikvereinigung mit dem Sitz in 
Düsseldorf gebildet. Sie setzt sich zusammen aus den Herren: 
Kammervirtuos Hans Blume, Marcel Clerc, Adolf Siewert, 
Kammervirtuos Paul Ludwig. 

— In Nürnberg ist unter Beteiligung vieler Musikfreunde 
ein Verein zur Pflege alter Musik unter dem Ehrenvorsitz 
des Oberbürgermeisters Dr. Geßler ins Leben gerufen worden. 

— Das Sevcik-Lhotsky-Quartett hat einen Vertrag auf 
40 Konzerte in Nordamerika geschlossen. Das Quartett 
wird seine Reise im September antreten. 



— Die Musikwissenschaft auf den Universitäten. Die 
künftige Universität Frankfurt a. M. wird auch einen Lehr- 
stuhl für das Gebiet der Musikwissenschaft besitzen. Prof. 
Dr. Moritz M. Bauer, Dozent am Dr.. Hochschen Konser- 
vatorium, hat sich an der bereits bestehenden Akademie 
für das bezeichnete Gebiet als Privatdozent habilitiert. Am 
Samstag, den 23. Mai, hielt er seine Antrittsvorlesung über 
die geschichtliche Entwicklung der Programmusik. Die 
Vorlesung war öffentlich und, besonders auch von Damen, 
so stark besucht, daß der ursprünglich dafür bestimmte 
Hörsaal nicht ausreichte, um die Hunderte von Zuhörern 
zu fassen. Man mußte in einen der größten Hörsäle um- 
wandern. Die fesselnden Ausführungen des schon durch 
seine Tätigkeit im Hochschen Konservatorium und seine 
Vorträge im Freien Deutschen Hochstift bekannten beliebten 
Gelehrten fanden den üblichen studentischen Beifall. Aus 
der zahlreichen Beteiligung, die gewiß auch der Person des 
Redners galt, darf indessen auf eine besondere Vorliebe 
der musikalischen Kreise sowohl der studierenden männ- 
lichen und weiblichen Jugend als auch der Bürgerschaft 
Frankfurts für die Musikwissenschaft geschlossen werden. M. 

— Ein Richard-Strauß-Museum in Frankfurt a. M. Zum 
50. Geburtstag von Richard Strauß hat sich der Besitzer 
des bekannten Musikhistorischen Museums, Nikolaus Manskopf, 
entschlossen, in seiner Vaterstadt Frankfurt a. M., die die 
Uraufführung des „Heldenlebens" brachte, ein Richard- 
Strauß-Museum zu gründen, in ähnlicher Weise wie es seinerzeit 
Oesterlein in Wien durch Gründung eines Wagner-Museums 
dem Meister Wagner zu Ehren getan hat. Das Richard- 
Strauß-Museum soll im Laufe des Winterhalbjahres, spätestens 
jedoch Frühjahr 1915 eröffnet werden; es verspricht, da 
schon jetzt eine sehr bedeutende Anzahl Dokumente, Por- 
träts etc. im Besitze des Veranstalters sich befindet, außer- 
ordentlich reichhaltig und anziehend für das Publikum zu werden . 

— Die wiedergefundene Rheingold-Partitur. Unter dieser 
Ueberschrift veröffentlicht Dr. E. Istel in No. 307 des „Berl. 
Tagebl.“ einen aufsehenerregenden Artikel. Es geht daraus 
nichts mehr und nichts weniger hervor, als daß die von 
Wagner geschriebene Originalpartitur, die er Wesendoncks 
zusammen mit der Walküren-Partitur als „Pfand“ überließ 
und die später an König Ludwig II. kam, seit 40 Jahren aber 
als verschollen galt, sich im Hause Wahnfried in Bayreuth 
befindet. Es fällt auf, daß diese Partitur offenbar dort ge- 
heim gehalten worden ist, trotzdem in der Oeffentlichkeit 
nach ihrem Verbleiben mehrfach gefragt wurde. Das Haus 
Wahnfried wird nicht umhin können, zu dieser Annahme 
Stellung zu nehmen und eine — möglichst klare und allgemein 
verständliche Antwort zu geben. 

— Von den musikalischen Volksbibliotheken. Nun ist auch 
in Leipzig eine musikalische Volksbibliothek eröffnet und 


damit ein Unternehmen ins Leben gerufen, das zur Bekämpfung 
der musikalischen Schundliteratur und zur Förderung und 
Veredlung musikalischer Bildung und künstlerischen Ge- 
schmacks als ein zu begrüßendes Kulturwerk anzusehen ist. 
Justizrat Dr. Gensei, dem Ehrenpräsidenten der Gemein- 
nützigen Gesellschaft, Dr. Paul Marsop, der zuerst in München 
und seitdem in etwa zwölf anderen Städten solche musikalische 
Volksbibliotheken ins Leben gerufen hat, und Leipziger 
Kunstfreunden ist die Gründung zu danken. 

— Neue Singakademie. In Dresden ist jetzt eine Singakademie 
unter dem Vorsitz von J. L. NicodS gegründet worden. 

— Ein Kulturtheater von Volkes Gnaden. Das Kartell der 
Verbände deutsch-österreichischer Bühnen- und Orchester- 
angestellter in Frankfurt a. M. hat eine öffentliche Versamm- 
lung veranstaltet, um Propaganda zur Hebung der deutschen 
Bühnen und ihrer Angestellten zu machen. Wie der Präsident 
der Genossenschaft, Gustav Rickelt (Berlin) ausführte, soll 
ein allgemeiner Theaterreformverein gegründet werden, der 
zusammen mit den deutschen Schauspielern die Lösung der 
sozialen und kulturellen Frage des Theaterlebens betreiben 
soll. Den deutschen Städten ist die besondere Auf- 
gabe zugedacht, durch Uebemahme in eigene Regie dem 
„Kulturtheater“ die Bahn zu brechen. Wenn es gelinge, 
einen solchen allgemeinen deutschen Theaterverein zu gründen, 
sagt Nickelt, so muß es auch gelingen, das deutsche Kultur- 
theater von Volkes Gnaden zu schaffen. 

- — Von den Konservatorien. Am Essener Konservatorium 
hat Direktor Torshof vom 1. — 6. Juli Kurse in Zachariaes 
Gymnastiksystem für Musiker unter Leitung der Erfinderin 
eingerichtet. — Beim diesjährigen Wettspiel der Schüler des 
Konservatoriums Klindworth-Scharwenka in Berlin um den 
von der Firma Julius Blüthner in Leipzig gestifteten Konzert- 
flügel ist Miß Marguerite Mahn aus Chicago als Siegerin hervor- 
gegangen. — Ueber Musikferialkurse schreibt man uns aus 
Wien: In Verbindung mit dem XVI. Ferialkurs der Musik- 
schulen Kaiser für musikalische Fortbildung und Vorbereitung 
zur Staatsprüfung wird der bekannte Berliner Musikpädagoge 
Dir. Max Batike einen dreiwöchigen Methodikkurs mit prak- 
tischen Uebungen für Schulgesang, Gehörbildung und Musik- 
diktat und Dir. Rud. Kaiser einen Kurs für Klavier-Methodik 
(Einführung in die Unterrichtspraxis für Elementar- und Mittel- 
stufen) abhalten. (Näheres siebe im Inseratenteil des heu- 
tigen Heftes.) 

— Viertelston-Musik Wir werden um Aufnahme nach- 
stehender Zeilen gebeten: Durch die Presse geht folgende 
Notiz: „Der bekannte Musikfachmann Willy Möllendorff hat 
soeben das Patent für ein Viertelton-Klavier zur Anmeldung 
gebracht, dessen Prinzipien er gleichzeitig in einem Buche 
.Perspektiven der Viertefinusik' erläutert. Das Möllendorffsclie 
Patent läßt sich auch auf die Orgel übertragen.“ — Lehrer 
Georg Mager in Aschaffenburg-Damm hat nun aber bereits 
unterm 17. April 1912 mit Gebrauchsmusterschutzrolle 
No. 506093 ein Vierteltonharmonium patentiert erhalten. 
Nach Helmholtz ist das Harmonium das geeignetste Studiums- 
instrument für die Lösung akustischer Probleme. Deshalb 
ist auch das Vierteltonharmonium das zur Bearbeitung der 
immer aktueller werdenden Viertelstonforschung das zweck- 
mäßigste Experimentierinstrument. 

— Preiserteilung. Beim Wettbewerb des galizischen Musik- 
vereins „Echo“ ist unter 47 Kompositionen der Preis dem 
Komponisten Felix Nowowiefski für den Männerchor a cappella, 
„Danae“, zuerkannt worden. Der Text der Komposition ist 
nach einem Trauergesang von Simonides auf Keos, deutsch 
von Emanuel Geibel, polnisch von Michael Wyszynski. 


Personalnachrichten. 

— Auszeichnungen. Die Universität Oxford hat Richard 
Strauß beim Fest der Encoenia den Ehrendoktor der Musik 
verliehen, eine sehr selten verliehene Auszeichnung. (Richter, 
der sie erhielt, trug bei dieser Gelegenheit den Doktormantel, 
den Haydn ein Jahrhundert vorher anhatte.) — Marie Wieck, 
die Schwester Clara Schumanns, hat vom König von Sachsen 
den Titel einer „Professorin der Musik“ erhalten. — Dem 
Komponisten Jean lxruis Nicodi ist vom König von Sachsen 
das Offizierskreuz des Albrechts-Ordens verliehen worden. — 
Sigfrid Karg-Elert ist vom Senat des Royal College of Orga- 
nists zu London zum Ehrenmitglied (Honorary Member) er- 
nannt worden. — Kammervirtuos Karl Koch, erster Solo- 
Flötist der Königl. Hofkapelle in Stuttgart, ist am 1. Juli 
in den Ruhestand getreten und hat die Goldene Medaille für 
Kunst und Wissenschaft am Bande des Friedrichsordens er- 
halten. — Dr. Carl Ludwig Lauenstein in München ist vom 
Großherzog Friedrich Franz IV. von Mecklenburg-Schwerin 
die „Silberne Medaille für Wissenschaften und Künste, am 
breiten, roten Bande, um den Hals zu tragen“, verliehen und 
persönlich überreicht worden. 

— Der durch Ernst von Schuchs Ableben freiwerdende Diri- 
gentenposten an der Dresdner Hofoper wird vorerst nicht be- 
setzt werden (in einer Meldung stand zu lesen, daß zurzeit 

381 



kerne geeignete Kraft, vprhuhdeh seä l)- .Dagegen, ist; JKapel j- 
meister'Xmieri yöh 4 ef ;Bn<Jäpester'.Hofoper auf' zwer-Jahre 
fjir die ' Dresdner Hpföp’ir Verpflichtet worden. Reihert .ist 
känin 2^'^ahre. alt'.; , ; j ‘ 

'A‘ls Nachfolger; vqn.Brofe^orDr, Frifs Sfjeih-, , <jter,; wie 
berichtet,,' in' Meinin gen • an Max Eegers ' Stöfe -tritt, : ist : ■W- 
trtannPo'ppen aüs;Heiqelbefg zpm Ümversitätsmusikd)rektor 
in Heidelberg ernahnt ; wchdem ' ; ." ", 

, — , Theodore Spwihe ist ärt Stelle des nach Königsberg i/Pr. 
berufenen Pr, Siegel ,ald' Dirigent' "de? .Heuen/ Berliner' ,Tqn- 


yörgeschlagen; ’Sehr bekannte Direktbren;ha|:twsicii,.in dgU) 
Posten gemeldet; in die engere, Wähl kamen) X^ ^bnnpfß^jf- 
rach (Essen);.. 0ttp Mäürenb.rj?ch6r; (Cottbus). iinid. Sachse., Pie 
y?ahl bedarf hoch der' Genehnilgnhg.der städt. Behörden,- . Kl. 

t— Jiiphard fteffich, der.'.jn ‘ der .. „Glanzzeit des iMühc^ner 
Kftirii-prÖhest^rs ‘ als erster , Konzertmeister . Wirkte. ‘ und j dein 


erster Konzertmeister' £n., (Unheil gegnindete Käim/Qrdjestier 
fcr seiner 'JHe^t^Mt^^^M'^eabnwep. in- -• 
. — ' thiiä'Pläichingir nät sich imKgl.. Opernhaus zu Berlin als 
,'feiekfra 4 verabschiedet. ,Die KmsPerin. ‘geht auf. Urlatib) 
nm.;.?ui; Stätte, ilp-er langjährigeh'. Wirksamkeit, .pichti mehr 
Ziirückzukemeh. . ..Siejhat die Absicht, ^def Bühnentäftigkeit 
für imiher fcu, entsagen... . .. f ; . - 7 • imn-y > 

r j— „Der Komponist P.hilipfy fiüfer hat, .'am 7-_ Juni in Berlin 

S ieti. Siebzigsten Oehhrtstäg. gefeiert, Als Solpi eines deut- 
en^' Organisten in. Lüttich geboren, kam,,er, hächriMn ,er 
seine Studieb auf, dem Konservatorium seiner Vaterstadt, . und 
irf Leipzig, yOlleÜdet patte ,iihd kurpe 'Zeit *u» Musikdirektor, 
fit- EsSpn tätig . gewesen war, ' jj 87 } nach, ,I)|erlm. Hier- lebt, «s( 
als Mitglied des Senats .cjpr königlichen .Akademie der Künste 
UUji 'hauptsäphlich pädagc^seh Wirkend. . /,,. . "" 

'j-t Pie . Klage. -der Frau Kapellmeister /soWa BetÜ/er , gegep 
flpejMutter,, pfau^ima Wagner, 'auf Anerkennung der iVaf^-j 



Ffcau Beidier zivilrechtlich afs Tochter Han? ,v. jBülqiys; 



ien worden ■ ,, . , y .- 

;— In Berlin ipt .am .30.: Mai fler .Direktor der Mpaikab- 
tefluiig A^r. Kopf'ettnann, 

Ü&.filtei von .68 Jahren gestm - Wfl. < 3 ih; jp. der Sl^lle lemsig' 
schaffender Gelehrter 'ipt, nyt , ihm '«alnn§WMige^-.,0«rx.-|n4t, 
rastlosem, Eifer, ,;jjn^‘ .unermüdlicher . Iiebensijvürdigkeit , (sein, 
'^üiit.gerssh,,, ;j , ,• . .. / ? 


•, rf-jn'.r 



RlCtiard fcfrdüß'ycjii M&s ■ SÜiriitzei , fh, heuer, , unigearbeileter 



und ^scherzhaft gegen^p Bjchärd StraiiB., Schon 'dieser. Titel 
des’üm yerlageivqn^ CQt}faittünger-m Stuttgart,' ^sdpenjenen 
B^Chldns dem S(^llh'.^' vprässer es ^tel(t , aper .-nicht 

blpß. Lustiges, darm.-der weit bekannte und aherkahn^ Autor 
der- j^dnakaBseheri Stra^redigient‘ versteht .'e^Vl'sdir', .ernst- 
hafte; hhd nachdenkliche. Pinge nii1;.;der, Jtieneides „Humö- 
rfotäh“; vörzutrs^en.' .'.Wfr. 'machen', an? --die, 'Schrift), .di^ytm 
JPublikum und Presse,; gut , aufgenommen; worden 
3 jo$' nS'? iem aufmerksam (Preis.. 1.60 <£«).' ' : . “. 


- Neue Klaviermusik. , . 


■U-.-.r.r,' 


Ezfo Camussi: J, Pezsh' liri'cv Preludiö -(l M.J, : Gavotta 
(1130 M.); Aria ; tmd Intermezzo (je i.3q-M.),-BurlesCa (i.jo'M.). 
Verlag ;voh Carisch fk^Jäniehen} Mailand ,tmd. Leipzig-. "Ein 
Tondichter ; von Gemüt ünd- Teähperattient, Erfindungsgabe 
und ü selbständiger Behhfiilshhung-'derhjhiederheh TfaMnöhik 
Spricht ■- aus: diesen." Klavierstücken. die, v . VerSChiedehärtig : im 
Charakter, aber fast glüchwertigi waS-iltfenPmuSikaiisch'en Ge- 
halt anbe^ngt.v tüchtigen 1 Klaviferäpfelenl' Freüde • ftiächen 
werdend . '•»T - 1 

: C. ' A. . Bossl: 5 morCeaüX - pour Piano 0 Öenuet, : 'Serlirade, 
Bareaföla, Valse- galanter'- lEn slamUßaMti k 1.3& M. Verlag 
vaatfGtirisck ■&- Jänioheni' MttilaHd und" Ldpzigl '”Larftfet r -äh- 
mutige, leichte Stücke, - ; bteohders def W alzer; die Bäf kätolC 
imd 



‘Carisch 8c Jänithifi, Komponist 

bewegt 'sich mit Sicherheit auf dem 'Boden-'der modernen Par- 
monik und wenn auch hier und' da etwas Gesuchtes; - Gefeiim 
steltes zutage tritt, so geht doch ein feiner melodischer Zug 
durdi-diesevK lavier s t tiefer^ ^Man.h»r«=nuräas stimmungsvolle 
t *'*h'vAibefid'.‘ : uhd d i^-B erceusa -m it-dem reizvollen^Ahfä^s- 

CEsläifctabscits Vom 
«qrÜegeade-und-dGch- zura- Teüreeht dankbare 
^■Wgs^tücke. ‘ *7 -. 

^ Jfpre .. Boslo:_. i. ^PeixiSper Pimoforte . (CapriccioSar -Jhrtie 
hpus, Scharzo Danza, Fadmho portnguez, Minuetjtp, ä 4.30M.). 
Vfeflag 'CSriäche ^Jdr^cKen.^äilc^id .find 1 • ;Per 

Komponist prä$öiti^r£ sich 1 hier ein 'föhpöet von. Ge- 
schmack 1 und tüchtigem'.KÖmieh. Entschiedenen "Yprzttg vqtr 

Irloitia' 


«awuHvw* . »»wfrvvw vy , > /»""»K“; f w» vmi y ,tr.. Fr 4 *? 

(r.^O'MO.'Välge^ ^(f .7S ;: M.)',..Bnpromp.W Ci 'EiMe, : -Siäzurkä 
(je : r,; 3'0 M. ). ' ! Verlag ' Von' Carisch & J dnicheh^ ^Mailafiä^'asi^ 
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j£otüpoiiist iüicht J 


abe 1 zeugen. : Pa; .wo r ®öh ‘dt'r; 
Harmomeschritte find . Akkord'- 


die-' Baritafble, .Üfijd' zugleich- Von 1 großer.' h; 
heit,;' Aber noch Wwhsiüier Wird äöh'.der 
ein '' 


AüfWge.Ucg^.'daä' Wetk des ^^ehStrauß : Biographeh < ‘, ; Ma?, 
Steinitair.' nör' ufls'. (Verlag Vöri Schuster & Löffler, Berlin. 
Preis geh. 4 M„ geb. $ M.) pie Dreiteilung: Leben, Cha- 
rakter, Werke ist in der^ö^anbeitun^ durch eine einheit- 
lich fortlaufende uwPun«3fw^aft'4lrer‘mnlreichen Anmer- 
e . zum-, Teil verarbeitet sind) . 6 fließend 

italtvmÜ.; eine '^getitlidhe. Biographie, 'ersetzt.» ,.pje- 

- j . Ol — 4.1 aUa-ü I - 1 - i.a'aL- ir. ' 1 - 


Kühii-' 

— ... — ..alzer erweisen,' 

dti' originelles K’laVieMück 'Jföll 1 ' fdnei - ' melodischer'. Züge. ; ; 
-. G. Frügatta:" Prpparhziont äl Gradits ad. Parrtassu'm \ y M,),' 
Vörlag 'jöri Lari'idh .& r Jäniehen; Mailand.!' Pi^se 3-( Et,udeh 
bie r tet ! dW' Autor detti . Schüler ^( YOTbemitüng'^nf das Stu- 
dium veM- Clementis' berühmteirt)Uebungsweit.‘ ^WiewohTzu 
bemerken "l 4 t, ; daß-’ -die 1 Etüden- ; Auf ' m^ern« härmömschef- 
Gfühdl^e.anfgebaut sind-tttid äüch teilwefee schod sehritfroße' 

A am : /Iaw* CShtiiSfai/ ih'4-klfÄW PIS 1^1 0 P 1 rtoil 


EMyrökäiing des .künstlerischen Charakter? wie . die Entstehung; 
d£r; ‘einzelnen; Werke ,Wir 4 ^adurch [zum ihtegripi^fidejii Bft*', 
smnd)tii der äußerlich ja Ungemein emfächen I^behsumstaude^ , 
afe’E[auptiiih&lt des Buches; ergibf'sirih die .Parst^iüng.-der 
ihü^eh ' Reaköohefi !;von Strauß auf' .alle Zeitstrpmühgeiiö 
Uierarischen, ErlebrdsSe : und -;yor .allem auf . die . persönheh- 
künstlerisöhen- Einflüsse diirch 'deu. näheren 'Verkehr mit h? r " 
vorragehde'n 1 Zeitgenossen: Did ziemlich -genaue Analyse der 



Bjrwzraphie; verfrüht sei'. "Apieser' Vorwurf, ,jat aber mdjt 
stjcnhsfltig. ,.Es' hände.lt Asien nichY, im 1 ‘einr,Werk ? ( -äas^. wie; 
so)rtel Sohriften. der \ Ant|-$traußiapef den; Arisprueh uuf eiij; 
ahschließendeä. aflgemein. gültiges; l^rteij Wrhpbt. Steihitzer • 
hat,' in Mheiu; BUcha , ein^Basis gegeben.; .ps, ist, mit ebeii), 
soyiel^ ^ öei?t . Wie., ,Talft^- geschrieben und, ist* ein wertvolles 
Büch gewOfdeh; .das wür* nicht. ujVj^eh Freunden, der SträüßL; 
sthtn Kunst, Sondern darüber' hinaus allen empfehlen, , .die. für 
die Entwicklung .der Musik und ihrer vornehmsten- Vertreter 
überhaupt f IntereSse habep. .» ; ,jT. •(.• .< 

Mar Sieinltzef: Sträußiarid , und A hdres , Ein Büchlein müsi-j 
khlischen Humors, meist m i t ütid selten ohne, ernsthaft für 

3&2- 


■ ,f r. ,V,r -- t.* ; - il'-" r -. i ‘ •■•* ■ -- J »■ - . 

Unsere Muslkbeilage zu ffeft ^9, bringt,: -dem Gedenktage: ent- 
sprech>nd, , drm ausgesuchte Stiicke v<uü G/«eyr fGa,VDtte-.>aüsr 
Don Juan, Zug derrBriester ,®us.>;Atoester Brillante ;:aus idem 
Don Juau- Professor^ Heinrich ■, Sehwatte in, München hat> sie 
in, Ipekafinter vorbildlicher ; Weise- :für Klarier gesetzt: Bei 
schöner -Kiangwirkuug iabeu . sie/, dun . Vorteil leichter ISpiel- 
barkeit^ -Au zweiter \S.tellaisteht einc Ariette. der Klandme 
aus Gluck? .uhusikalischem : Schwanket, Der -Zauberbäuml 
If.äheresr daruberr,sagt , der Aufsatzviin , Glück-Hefte. Gewisse .- 
Aebuhphkeiten .mit; der berühmten -Qrpheus-Arie: „ Ach w. ich' 
habe.- si -Ü- verloren“, (.sind; -interessant» Per ganze. Klavieraus- 
z Ug!( 3 i 5 P)iiist bei fceorg-J). fö.-CaMwey ’ in München erschienen,: 


ahgedr^kt- : 

..Al? Kunstbeilage überreichen' wir heute, unseren Lesern :eiti 
Bild von Christoph Mfitibald Gluck. ■ • li . . * 

Verantwortlicher Redakteuri Oswald KOhri In Stuttgart. 
SchluS i'er Redaktlott am SO^ Junh Äuggabe dieses Heftes am 
2 . Juli, des nächsten Heftes am 16, Juli. 



Briefkasten 


Für unaufgefordert eingehende Manu- 
skripte Jeder Art übernimmt die Redaktion 
keine Garantie. Wir bitten vorher an- 
xufragen, ob ein Manuskript (schriftstelle- 
rische oder musikalische Beiträge) Aus- 
sicht auf Annahme habe ; bei der Fülle 
des uns zugeschickten Materials lat eine 
rasche Erledigung sonst ausgeschlossen. 
Rücksendung erfolgt nur, wenn genügend 
Porto dem Manuskripte beilag. 

Anfragen für den Briefkasten, denen 
der Abonnementsausweis fehlt, sowie ano- 
nyme Anfragen werden nicht beantwortet. 

H. L, Lehrer. Wenn Sie die neue Musi- 
kalische Volksbibllothek meinen, so werden 
Sie im heutigen Hefte eine aufklärende 
Notiz finden. 

H. Pf. in P. Wie Sie als Abonnent wis- 
sen werden, beantworten wir derartige 
Fragen nnr im Briefkasten, nicht schrift- 
lich. Ohne nähere Angabe, wann ungefähr 
die Notiz erschienen ist, können wir ihnen 
leider nicht dienen. 

A. E., Sam. Daß Sie Abonnent sind, 
kommt für den Artikel nicht in Betracht. 
Wir werden Ihnen zur gegebenen Zeit 
Nachricht zukommen lassen. 

Literatur für die Violine allein. Auf die 
verschiedenen Zuschriften folgt lm näch- 
sten Hefte Antwort. 

E. K. Wir bedauern. Ihnen in diesem 
Falle nicht dienen zu können, da die Re- 
daktion der „N. M.-Z.“ kein Institut für 
tfebcrsetzungen ist. — Eine Beschreibung 
über den heutigen Notendruck finden Sie 
in No. ro des Jahrgangs 1907 der „N. 
M.-Z.“ Es empfiehlt sich, das Verzeichnis 
von Aufsätzen vom Verlage Carl Grünluger 
ln Stuttgart kostenlos kommen zu lassen. 
Bin interessantes NaChschlagebuCh. 

Tonkunst. Sobald Ihre Kompositionen 
bei uns eingegangen sind, werden sie auch 
ln der Rubrik „Neue Musikalien“ ver- 
öffentlicht. Ohne Exemplar wird keine 
Notiz aufgenommen. 

W. L. in R. Wenn Sie Lust und Liebe 
zur Sache haben und das Geigenspiel nur 
als Laie pflegen wollen, so können Sie ge- 
trost wieder anfangen. Mit 36 Jahren ist 
man überhaupt nicht „zu alt“. Wir bit- 
ten, unsere Besprechungen genau zu 
verfolgen. Mehr als dort steht, kann der 
Briefkasten auch nicht sagen. Versuchen 
Sie es mit Eccarlus-Sleber: Einführung In 
das Lagenspiel. Verlag von Carl Grüninger 
ln Stuttgart. Preis z M. Wir raten Ihnen 
aber dringend, ohne Lehrer nicht wieder 
zu beginnen. Heute sind ja auch die Ver- 
hältnisse in Ihrer Stadt besser. 

R. In Seh. Lesen Sie die Artikel über 
Programmusik in der „N. M.-Z.“', z. B. 
Heinz Tlessen ln Heft 8 dieses Jahrgangs. 
Dann hat Otto Klauwell ein Buch ge- 
schrieben: Programmusik, Breitkopf. 7 M. 

H. L., H. Lieder für festliche Gelegen- 
heiten (Silberne Hochzeit). Verlag von 
P. J. Tonger in Köln a. Rh. 


Kompositionen 


Sollen Kompositionen im Briefkasten 
beurteilt werden, so ist eine Anfrage nicht 
erforderlich. Solche Manuskripte können 
jederzeit an uns gesendet werden, doch darf 
der Abonnementaauzweis nicht fehlen. 

(Redaktionsschluß am 18. Juni.) 

J. Kr., St— baoh. Ihre beiden Stücke 
werden den Forderungen eines guten 
Männerchorsatzes nicht In allem gerecht. 
Jeder Chorleiter kann Ihnen Ihre Fehler 
bezeichnen und begründen. Den z. Baß 
führen Sie in die Tiefen eines Orgelbasses. 

Lo- Da. HM. Sie doktern zuviel an Ihren 
Entwürfen. Je mehr Varianten 81e er- 
sinnen, um so unsicherer fühlen Sie sich 
ln Ihrem Urteil. Der Ihnen auch von 
anderer Sette bestätigte günstige Eindruck 
Ihres gewandt gesetzten Abendgebets darf 
Sie zu weiteren Taten ermutigen. Aber 
mir nicht pedantisch sein. Manche Ab- 
finderang war gar nicht nötig, bedeutet 
jedenfalls keine Verbesserung. Gruß! 

K. H., L — a. Ihr Walzerzyklus entspricht 
den Forderungen einer guten Tanzmusik 


Jedes Bändchen in Oxfordleinen gebunden l Mark 

Soeben ist erschienen: 

Dlrhavil Ctvsnft in ••iner Zeit von Max Steinitzer. Mit 

IUÜDhiH SIIsillH einem Abdruck der auf der Straußwoche zu Stutt- 
gart im Kgl. Hoftheater gehaltenen Rede und einem Bildnis. :: 

Früher ist erschienen: 


Robert Franz 

(von La Mara) 
Christ W. v. Gluck 
(von La Mara) 
Edvard Grieg 

(von La Mara) 
Georg Fr. Händel 

(von La Mara) 
Joseph Haydn 

(von La Mara) 
Adolph Henselt 

(von La Mara) 
Franz Liszt 

(von La Mara) 


Gustav Alb. Lortzlng 
(von Gg. R. Kruse) 
Felix Mendelssohn- 
Bartholdy 

(von La Mara) 
W. A. Mozart 

(von La Mara) 
G. P. da Palestrina 
(von E. Schmitz) 
Anton Rubinstein 

(von La Mara) 
F. Schubert 

(von La Mara) 


Joh. Seb. Bach Robert Franz Gustav Alb. Lortzlng Robert Schumann 

(von La Mara) (von La Mara) (von Gg. R. Kruse) (von La Mara) 

L. van Beethoven Christ W. v. Gluck Felix Mendelssohn- P. J. Tschaikowsky 

zx (v ° n „ La Mara ) „X La Mara) Bartholdy (von Otto Keller) 

Hector Berlloz Edvard Grieg ( von t a jr ara \ ' 

(von La Mara) (von La Mara) ' . Giuseppe Verdi 

Johannes Brahms Georg Fr. Händel w * A * Mozart (v. Arth. Neisser) 

(von La Mara) (von La Mara) I 0 !,,,«, Richard Wagner 

Anton Bruckner Joseph Haydn f- da Palestrina (von La Mara) 

(vonM.Morold) (von La Mara) (von E. Schmitz) 

Hans von BÜIow Adolph Henselt Anton Rubinstein u “• v * w * IM5r .. ir . 

(von La Mara) (von La Mara) (von La Mara) (von La Mara) 

Friedrich Chopin Franz Liszt F. Schubert Hugo Wolt 

( Von La Mara) (von La Mara) (von La Mara) (vonM.Morold) 

Die Kleinen Musikerbiographien bilden ein Unternehmen, das Lebensbeschreibungen 
aller bedeutenden Komponisten und hervorragenden Tonkünstler der Vergangenheit 
und Gegenwart bringt. Obwohl auf wissenschaftlicher Grundlage aufgebaut, wollen 
die Biographien doch volkstümlich — im besten Sinne des Wortes — sein. In mög- 
lichst erschöpfender Weise, aber in gedrängter, dabei anregender Form unterbreiten 
sie das Wissenswerte über den einzelnen Meister der Tonkunst und sind so gleich gut 
für den praktischen Musiker, wie für den Musikfreund, überhaupt für jeden Gebildeten 
geeignet, der sich für unsere großen Tondichter begeistert, Interesse an ihrem Werde- 
gang und Verständnis für ihr Schaffen hat. Trotz des überaus billigen Preises der 
Bände ist die Ausstattung der Bücher eine äußerst gediegene. Jedem Bande ist ein 
Bild des Komponisten — mit Unterschrift in Faksimile — und am Schluß ein syste- 
matisches Verzeichnis seiner Werke beigegeben. Ein ausführlicher zwanzigseitiger 
Prospekt ist kostenlos erhältlich. •. , 

Breltkopf & Härtel Inf Leipzig 


Gesammelte masikästhetisebe Aufsätze. 

Von William Wolf. — Preis brosch. M. 1 . 20 . 
INHALT: I. Ueber Tonmalerei. — II. Musikalische Darstel- 
lung von Schlaf und Tod. — III. Unhörbares in der Musik. 
— IV. Musikhören und -sehen. 

zrz Verlag von Carl Grüninger in Stuttgart. =1 


Alte und eingespielte 

a Violinen b 

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(Hslnr. Elohmznn) HenfsliB.il. 


w Umsonst und portofre i -w 

versende ich auf Verlangen das soeben erschienene 

Mnsikalien- Verzeichnis No. 372 

Streichinstrumente ohne Planoforte. 

(Kontrabaß mit und ohne Pianoforte.) 

INHALT: Kammermusik, Musik für Violine, Viola, 

Cello, Kontrabaß mit Orchesteroder Quartett, Studien- 
werke, Duos, Trios usw. usw. 

Ferner sind noch folgende Verzeichnisse umsonst und. 
portofrei zu haben: 

Hr. 865. Vokni-Muslk. T«H L Chorwerks mit Orshsiter oder Plznoforte, 
— Gemilchte Chöre. — Männerebtre. — Frsneneböre. — Weih- 
naehts-Huzik für mehrere Slugstimmen. 

„ 859. Musik für Bits- und SehUg-Instrnmente jeder Art; Xylophon- 
Seils mit Piunotorte oder Orchester; Scholen nnd Studienwerke. 
Musik für Glooken, Trommel, Pauken etc. Werke für fransAs. 
Besetzung, Huzik für Harft, Mandoline, Guitarre, Zither, Banjo, 
Bandoneon, Oearina etc. 

,, 868. Kirehen-Muaik jeder Art 

. „ 865. Vokal-Musik. Teil IL Gesangsehulen. KonsertUeder nnd Arien 
mit Oreh. Lieder tflr 1, 8 and 8 Singet Anslind. Lieder. Lleder- 
Albums. Opern und Operetten im Klavier-Auszug mit Text Opern- 
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>■ 888. Musik für Strsieh-Instru mente mit Planofort». 

» 869. Harmonie- (Milltär-)Musik. Blechmusik. 

» 870. Musik für kleines und groBsa Orchester, Salon-Orchester ete. 

■> 871. Musik für Planotorte, Harmonium und Orgel. 

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gewöhnlichen Genres. Worum schließen 
Sie denn in Bdur, da doch Adur die 
Haupttonart ist? 

F. Sch. W. 26. Als Mtxsikenthtisiast 
werden Sie bei eingehenden fachlichen 
Studien wohl auch den Weg zur schöpfe- 
rischen Betätigung finden. Die eingesand- 
ten Versuche sind unbedeutend und fehler- 
haft, lassen also ein sicheres Urteil über 
Ihre Begabung nicht zu. Wer z. B. erst 
zu buchstabieren anfängt, leistet damit 
noch keine schriftstellerische Talentprobe. 

Königsberg. Streichen Sie in der Ein- 
leitung Ihres schmucken Liedchens den 
Schlußtakt. Ein zweitaktiges Nachspiel 
fehlt noch. Bei wiederholter Durchsicht 
werden Sie da und dort im Be gldtsatz 
noch etwas zu verbessern finden. Aussicht 
auf Annahme ist leider nicht vorhanden, 

P, E — ler, SobÖnl. Eine formlose, taube 
Blüte, die berechtigte Zweifel über den 
Erfolg Ihres autodidaktischen Studiums 
erregt. Sie sollten nach einem Buch wie 
Weinberger (Harmonielehre) arbeiten und 
erst später auf R. zurückkommen. — Jene 
Etüdennamen sind willkürliche Erfindungen 
und werden darum auch in keiner Ausgabe 
beachtet. — Verlangen Sie Kataloge unter 
Angabe Ihrer besonderen Wünsche; siehe 
auch die Rubrik „Neue Musikalien* 4 auf 
dem Umschlag von Heft 18 der „N. M.-Z.“. 

W. Z., Erf. Wenn Sie sich die Mühe 
geben wollten, Ihre Notenbilder weniger 
flüchtig zu skizzieren, würden Sie auf 
manches Ungereimte selber stoßen. Was 
Sie als Tonsetzer leisten, ist wohl weniger 
durch theoretische 3 Studium, als durch 
fleißiges Spielen erworben. Gute Veran- 
lagung scheint vorhanden zu sein. 

E. H— w, K. Aus Ihrem Allegro spricht 
der gewiegte Musiker. Im 17. Takt er- 
wartet man nach dem Hauptsatz einen 
kontrastierenden Gedanken, einen sogen. 
Seitensatz. Schluß- und DurchfQhrungs- 
satz sind klassischen Mustern gut nach- 
gebildet. Sonatenausgaben wie die von 
Stark und Faißt (Ausgabe Cotta), Herrn. 
Kipper (Ausgabe Tonger) könnten Ihnen 
zum Fingerzeig für den Aufbau von So- 
naten- und Rondoformen dienen, da dort 
die Sätze nach ihren größeren Umrissen 
disponiert sind. 

A. H. 86. Ihre melodramatisch behan- 
delte Weihnachtsfantasie bietet in den 
eigenen illustrativen Zutaten eine ziemlich 
oberflächliche Musik. Als wirksame Stütz- 
punkte erweisen sich die befriedigend be- 
handelten Choräle und Arien, so daß das 
Ganze in anspruchslosen Kreisen einigen 
Gefallen erregen wird. 

0. W., Dr. Witzig und fein. 

Dich loben wir. Ihr geistliches Chor- 
werkchen hat Charakter. Der klug be- 
handelte Satz verbürgt eine wirksame 
Steigerung; nur der Schluß mit der ent- 
lehnten Choralschlußzeile im ersten Baß 
wirkt matt. Die TenÖre müßten höher 
gesetzt werden. 

W. H., Hdbg. Wenn Ihr Notensatz 
weniger schwülstig und üppig wäre, müß- 
ten Ihnen seine Unklarheiten, worunter er 
leidet, zum Bewußtsein kommen. In „Ver- 
lassen“ lassen Sie sich zu unnötigen Phan- 
tastereien verleiten. Der Gesang ist schlecht 
deklamiert. In H. gäbe es doch Gelegen- 
heit genug zur Disziplinierung Ihres Talents. 

x + y. Man gewinnt den Eindrude, 
daß Sie sich überfordern. Sie müßten sici 
zunächst innerhalb der Grenzen Ihres gei- 
stigen Besitztums bewegen. Zu einem 
gründlichen Studium der Fuge scheinen 
Sie nicht gekommen zu sein, sonst wäre 
die Einführung des Themas nicht so pro- 
blematisch ausgefallen. Der Gefährte 
müßte hier tonal beantworten, warum? 
Auch der weitere Verlauf befriedigt nicht. 
„Eeise zieht“ hat nicht gewöhnliche Fein- 
heiten. Der erste Gesang Ist ebenfalls 
nicht ohne empfindungstiefe Momente. 


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mit H. R. Pfretzschner’s „Monopol“ 

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Deutsches Reichs - Patent Nr. »70 iSS. 
Diese Erfindung übertrifft Alles bisher 
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<$% t + g*iebrid) 2 ttetoeg ©♦ m. b. 

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Schute be^ £attte»ft>iel 3 

als Begleitung ptn ©efang. ^reiö < 3R. 3-, geh. < 3Jt. 4- 

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3af>r — tonn nicht nur jebe Caufenbegleitung nach SQoten ; 
fpieten, fonbern auch Pd) felbft richtige Begleitungen fe$en. 3h* befon» 
berer 93or jug ift bte gefaulte Q3erbinbung ber Theorie mit ber ‘JürajiS. ■ 


Verantwortlicher Redakteur: Oswald Kühn in Stuttgart. — Druck und Verlag von Carl Orüninger in Stuttgart. — (Kommissionsverlag in Leipzig: F. Volckmar.) 












XXXV. VERLAG VON CARL GRÜNINGER, STUTTGART-LEIPZIG 1914 
Jahrgang Preis des Jahrgangs (Oktober 1913 bis September 1914) 8 Mark. Heft 20 

Erscheint viertel jährlich in 6 Heften (mit Musikbeilagen, Kunstbeilage und ,,Batka, illustrierte Geschichte derjMusik* 4 ).V Abonnement preis 3 M. vierteljährlich, 8 M. jährlich. 
Einzelne Hefte 50 Pf. — Bestellungen durch alle Buch- und Musikalienhandlungen sowie durch sämtliche Postanstalten. Bei Kreuzband Versand ab Stuttgart im deutsch- 
österreichischen Postgebiet M. 10.40, im Übrigen Weltpostverein M. 13. — jährlich. 


Inhalt* Bte Beethoven-Literatur der letzten zwei Jahre (1913 — 1914)- — Für den Klavierunterricht. Die ersten Klavierstunden. — Zur Deutung und Würdigung 
11111411 . von Hauseggers Natursymphonie. (Schluß.) — Herzog Georg II. von Sachsen-Meiningen f- — Musikpflege in Italien. — Scheidemantels Don Juan-Uelx.*r- 
setzung in der Dresdner Hofoper. — Drittes Leipziger Bach-Fest. Am 4. bis 6. Juni 1914. — Die I<auchstedter Festspiele. Gluck9 „Orpheus und Eurydike“. — 
90. Niederrheinisches Musikfest Düsseldorf, Pfingsten 1914. — 15. Schweizerisches Tonkünstlerfest. Bern, 37. und *8- Juni. — Das norwegische Musikfest. Vom a. 
bis 7. Juni 1914. — Kritische Rundschau : London. — Kunst und Künstler. — . Besprechungen: Dalcroze, Biensdorf und Eitz. — Briefkasten. — Dur und Moll. — Musikbeilagc. 


Die Beethoven-Literatur der letzten 
zwei Jahre (1913—1914). 

Zusammengestellt und besprochen von EMERICH KÄSTNER 

(Wien). 

H err Redakteur Oswald Kühn hat den Wunsch ge- 
äußert, ich möge über die Beethoven-Literatur der 
letzten Jahre einen allgemeinen Ueberblick verfassen. Nach- 
dem ich in meiner Beethoven-Bibliographie, die 19x3 bei 
Breitkopf & Härtel in Leipzig erschienen ist, bereits Rechen- 
schaft über die erschienenen Werke und Zeitungsartikel 
abgelegt habe, so bleibt mir nur übrig, sowohl die bisher 
eingelaufenen Nachträge für die Jahre 1913 und 1914 zu 
registrieren, als auch mehrere, seit der Zeit des Abschlusses 
dieses Werkes neuerschienene Bücher und Aufsätze in 
Kürze zu notieren und teilweise auch zu kritisieren. 

Im Jahre 1913. 

Von den Erscheinungen dieses Jahres sind bereits in 
meiner Bibliographie verzeichnet: „Die Stadt der Lieder“, 
enthaltend den Liebesroman Schuberts und Beethovens 
(Xenienverlag), der Aufsatz von Max Friedländer „Deut- 
sche Dichtung in Beethovens Musik“ im Jahrbuche der 
Musikbibliothek Peters für das Jahr 1912, die zwei Werke 
von Dr. Thomas San Galli über Beethoven, das eine als 
einführende Studie zur Ausgabe der Universaledition, das 
andere, selbständige Werk aus dem Verlag von R. Piper 
in München und das Buch Felix von Weingartners: „Die 
Symphonie nach Beethoven“. Seit der Herausgabe der 
Bibliographie erschienen die „Erläuterungen“ zur Eroica 
und c moU-Symphonie, von Th. Eylert, beide im Verlag 
R. v. Acken. Ferner ist der erste Band von Dr. von 
Frimmels „Losen Blättern zur Beethoven-Forschung“ kom- 
. plett geworden (Gerold & Comp.), der eine Fülle von geist- 
reichen Forschungen und wertvollen Dokumenten zu Beet- 
hovens Leben darbietet. In englischer Sprache sind als 
Neuauflagen zu verzeichnen: Beethoven: a critical Bio- 
graphie von Vincent d’Indy (Boston), die Studie über 
Beethovens neun Symphonien von Hector Berlioz (London), 
Vier große Musiker (Bach, Mozart, Beethoven und Mendels- 
sohn) von Bertha Bush (Chicago), The growth of music, 
11. Teil: the age of the Sonata from Bach to Beethoven 
von H. C. Coller (Oxford). Aus dem Deutschen ins Rus- 
sische übertragen wurden: „Beethovens Symphonien“ von 
W. Ogolievetz (Kiew), „Beethovens Leben" von Romain 
Rolland durch S. Tarasoff (St. Petersburg). Otto' Hauser 


brachte im selben Jahre eine deutsche Uebersetzung des 
dänischen Buches: „Beethovens IX. Symphonie“ von Hol- 
ger Drachmann, auch erwähne ich hier gleich ein schwe- 
disches Werk: „Skilda tiders musikmästere“ (Händel, Beet- 
hoven, Chopin etc.) von Ina Lange (Stockholm), Zu den 
wertvollsten Neuheiten des Jahres zählt jedenfalls das bei 
Wilhelm Engelinann in Leipzig als Faksimile veröffent- 
lichte Prachtwerk: „Beethovens eigenhändiges Skizzenbuch 
zur 9. Symphonie“, eine höchst interessante, Originaltreue 
Lichtdruck-Kopie. Ferner „Erinnerungen an Beethoven 
von 140 seiner Zeitgenossen“, gesammelt von Friedrich 
Kerst (Stuttgart, Julius Hoffmann *). Gustav Notte- 
bohms thematisches Verzeichnis der gedruckten Werke 
L. v. Beethovens, ein Standardwerk, das leider seit dem 
Jahre 1868 nicht wieder gedruckt wurde, lange Zeit ver- 
griffen und nur im Antiquarhandel um hohen Preis zu 
erlangen war, gaben die Originalverleger Breitkopf & Härtel 
in einem dankenswerten anastatischen Neudruck heraus. 
Sehr instruktive Ausgaben der letzten Sonaten Beethovens 
vermittelte uns Herr Dr. Heinrich Schenker, wovon das erste 
Heft, die Sonate op. 109, Edur, in der Universalbiblio- 
thek zu billigem Preise erschienen ist. Verschiedene 
illustrierte Werke wären noch zu erwähnen: Karl Bauers 
„Charakterköpfe zur deutschen Geschichte“ (Teubner), 
„Franz Schuberts Leben“ von Otto Erich Deutsch (Verlag 
Müller), das einiges über Beethovens Tod enthalten soll, 
und die illustrierte Geschichte der Musik von Hans Merian 
(Spamer). Einige poetische Darstellungen, unter andern 
„Motiv aus Beethoven“ von Ottokar Bfezina fand ich im 
„Bunten Buch“ (Leipzig, Kurt Wolff), in Georg Groddecks 
„Hin zur Gottesnatur“, 3. Auflage, S. Hirzel und in Tho- 
mas San-Gallis: „Beethovens geliebte Frauen“ (Xenienver- 
lag). Camille Hoffmanns: „Dokumente des Herzens“ 
(Bong & Comp.) bringen Seite 222 unter dem Subtjtel: 
„Sinfonia pathetique“ den Brief an die unsterbliche 
Geliebte. Die alte Novelle von Johann Peter Lyser 
liegt in einem, von L. Frankenstein besorgten, Neudruck 
„Vater Doles und seine Freunde“ im Hausbücherverlag 
(Berlin) wieder vor mir. Die Aufsätze von A. B. Marx über 
Beethoven hat Ludwig Hirschberg im Verlage Gadow 
& Söhne, Hildburghausen, der Vergessenheit entrissen, und 
auch Elise Polko ist mit der 4. Ausgabe ihrer musikalischen 
Märchen (Barth in Leipzig) neuerdings auf dem Plane er- 
schienen. Schließlich, wäre noch zu erwähnen, daß der 
Brüssler Maurice Kufferath eine vortreffliche Uebersetzung 


1 Auf dies Buch möchten wir den Liebhaber noch besonders 
hinweisen. Red. 


385 









des „Fidelio“ bei Breitkopf & Härtel erscheinen ließ, 
die konform mit dem Originalwerke zu sein scheint. Nun 
registriere ich noch das Programmbuch zum XI. Kammer- 
musikfest in Bonn mit einem Aufsatze von Dr. Ludwig 
Schniedermair: „Beethoven und die französische Revo- 
lutionskunst", geschmückt mit einem Blatte des Faksimiles 
zum Ritterballett des Grafen Waldstein. 

Unter den Zeitungsartikeln dieses Jahres wären hervor- 
zuheben: „Beethovens Missa solemnis und die katholische 
Liturgie“ von Alfred Schnerich (Musik Bd. 48, S. 150), 
ein Aufsatz über Silotis metrische Auslegung des Scherzos 
in Beethovens 7. Symphonie von Max Steinitzer (Signale 
No. 40). „Der Stimmungsgehalt in der 7. Symphonie“ von 
Dr. Alfred Ebert (Musik Bd. 47, S. 31), sowie „Beethoven 
und Anton Reichardt“ von Emst Brücken (ebendaselbst 
Bd. 46, S. 341). „Die Eroicagasse“ von Alois Ulreich 
(Neues Wiener Tagblatt, 26. Mai), Beethovens Aufenthalt 
in Heiligenstadt behandelnd, macht uns mit dem seiner- 
zeitigen Wohnhaus des Meisters vertraut, Dr. Chitz be- 
richtet über Beethovens Prager Zeit im Jahre 1796 (Deut- 
sche Arbeit), über die erste Aufführung der 9. Symphonie 
in Berlin schreibt Martin Jacobi (Vossische Zeitung vom 
18. Januar). Von Beethovens Aufenthalt in Berlin erzählt 
uns Adolf Weismann (Allgem. Musikzeitung No. 17). 
Dr. Friedrich Wellmann schildert uns des Meisters Be- 
ziehungen zu Bremen (Musik, Bd. 49, S. 279). Einen 
Artikel: „Beethoven-Schlüssel“ finde ich in der Grazer 
Tagespost am 19. Dezember, der Pester Lloyd vom 22. März 
brachte einen, „Beethoven“ betitelten Aufsatz von Edith 
von Terey, und eine kleine Plauderei: „Beethoven als 
Sprachreiniger“ war in der Zeitschrift des Allgemeinen 
Deutschen Sprachvereines am 6. September von Hermann 
Seeligers Feder zu lesen. Friedrich Kersts „Erinnerungen 
an Beethoven“ regten „Ignotus“ zu einem Artikel an, 
der am. 18. Dezember im Neuen Wiener Tagblatt erschien, 
und die heitere Erzählung „Ein Damensouper bei — Beet- 
hoven“ (mit Karoline Unger und Henriette Sontag) wurde 
durch „S. L.“ in derselben Zeitung am 8. Juni aufgefrischt. 
Briefe Beethovens an Bemard, E. T. A. Hoffmann, 
Steiner und Schindler waren abgedruckt in der Musik 
Bd. 49, S. 147, und das Schlußheft des obenerwähnten 
ersten Bandes von Frimmels „Losen Blättern“ enthielt eben- 
falls Briefe Beethovens an V. Meißel, an Bemard (?), an Has- 
linger und an Erzherzog Rudolf (nach Prof. R. Wallaschek), 
einen orientierenden Artikel über Ignatz und Leopold 
Sonnleitner, sowie einen Aufsatz des letzteren über Beet- 
hoven und Paer. 

Eine sehr hübsche Novelle (Ein Tag in St. Ludwig) von 
Alfred Heuß, wozu der geistreiche Aufsatz von Hector 
Berlioz im 2. Bande der Orchesterabende (im Brief des 
Shetland an Xylef) und zwar die Beschreibung der musi- 
kalischen Stadt Euphonia zu Gevatter stand, brachte die 
Musik im Bd. 46, S. 131, und ein Gedicht, „Beethoven- 
Sonate“ betitelt, von Hugo Salus erschien in Velhagen 
& Klasings Monatshefte vom Mai und ist zu poetisch 
empfunden, als daß ich mir’s versagen könnte, es hier zu 
reproduzieren: 

Wir saßen entrückt, ganz klangberauscht, 

’ Meister Ludwig hatt’ uns erkoren. 

Da ward unsern Seelen, die ihm gelauscht. 

Sein hymnischer Segen geboren. 

Wir schlossen die Lider, als ob seine Hand 
Sanft unsre Stirnen berühre 
Und uns weit in ein unirdisch Land, 

In seinen Himmel entführe. 

Doch als sein Adagio zärtlich ward, 

Liebe mit Sehnsucht verbunden, 

Da hat dein Finger, unsäglich zart, 

Meine offene Hand gefunden. 

Deine Hand in der meinen, wie ein Kind 
In der Wiege, so laß sie liegen. 

Andante. Auf Tönen, die in uns sind. 

Beginnt sich die Wiege zu wiegen. 


Als Anregung zu den, 1914 nach langjähriger Pause 
wieder aufgeführten Werken Beethovens („Schlacht bei 
Vittoria“ und „Der glorreiche Augenblick“) sind die warm- 
fühlenden Worte von Dr. Eugen Wrany in der Wiener 
Sonn- und Montagszeitung 19x3 am 15. September dank- 
barst zu verzeichnen und auch die Reproduktion des 
Modelles für das Beethoven-Denkmal in Karlsbad, das 
die „Neue Musik-Zeitung“ im Oktoberheft brachte, soll hier 
nicht unerwähnt bleiben. Jene Beethovcniana, die in 
dieser Zeitung zur Veröffentlichung gelangten, nenne ich 
nicht, da dieselben den Lesern des Blattes ohnehin bekannt 
sein dürften. 

Im Jahre 1914. 

Von Beginn dieses Jahres an habe ich notiert: einen 
sehr interessanten Artikel von Dr. Max Unger „Ueber. 
einige unbekannte, vererbte Stichfehler in Beethovenschen 
Symphonien“, der sich im 29. Jahrgang des deutschen 
Musikerkalenders der Firma Max Hesse in Leipzig befindet. 
An Neuauflagen sind mir zugekommen: eine Broschüre 
„Haydn, Mozart, Beethoven“ von Karl Krebs, die schon 
1906 in einer Sammlung „Aus Natur und Geisteswelt“ 
als Band 92 bei B. G. Teubner in Leipzig erschienen war, 
und eine Biographie Beethovens von Freiherr von der Pford- 
ten, die zu beiläufig gleicher Zeit wie Band 17 eines anderen 
Sammelwerkes: „Wissenschaft und Bildung“, Einzeldar- 
stellungen aus allen Gebieten des Wissens, im Verlage von 
Quelle & Meyer ebenfalls zur Ausgabe gelangte. Der 
Xenienalmanach brachte um die Jahreswende den bekann- 
ten Brief Beethovens an die unsterbliche Geliebte zum 
erneuerten Abdruck. Der laufende Jahrgang 1913— 1914 
der „Musik“ hat bereits zirka 6 größere Artikel zur Beet- 
hoven-Literatur beigesteuert, wovon sich der eine („Beet- 
hoveniana“) von Prof. Theodor Müller-Reuter in Krefeld, 
dem Verfasser des überaus wertvollen Werkes „Lexikon 
der deutschen Konzertliteratur“, von dem leider bisher nur 
der erste Bänd vollendet wurde (bei C. F. Kahnt Nach- 
folger, Leipzig), über eine ganze Reihe von Nummern 
ausdehnt (Heft 7 — 8). Der Pausentakt in der V. Sym- 
phonie c moll gab dem einstigen und unvergeßlichen Wiener 
Hofopemdirektor Felix von Weingartner Anlaß zu einer 
interessanten Betrachtung, ob dieser gewaltige Pausentakt 
auf einem Irrtum oder Schreibfehler Beethovens beruht; 
woran sich eine Polemik mit Emil Liepe und Fritz von 
Steffen, beide in Berlin, knüpfte. Ein Schwede, Herr 
Artur Rydin in Gefle, benützt die von Wegeier geschilderte 
Probe von Beethovens Cdur-Konzert zu der Erörterung, 
ob der Komponist wirklich den Klavierpart in Cis oder H 
gemeint hat, oder ob er die Umstimmung der Orchester- 
instrumente anordnete. Ueber die Aufführung der Orchester- 
werke des Meisters spricht das Wiener Fremdenblatt vom 
1. März, und zwar in einem Artikel von Ferreol „Das 
Palais Rasumövsky vor hundert Jahren“, und Dr. Theo- 
dor von Frimmel, unser überaus geschätzter Beethoven- 
Forscher, ni mm t gelegentlich der Aufführung der selten 
gehörten „Schlacht bei Vittoria" das Wort, um im „Neuen 
Wiener Tagblatt“ am 2. März einen Brief Beethovens 
an Redakteur Hartmann und eine Anzeige des Meisters 
de dato Dezember 1815 zu kommentieren. Mit verschie- 
denen „Eingesendet" Beethovens selbst (2. und 24. Januar 
1813) macht uns die Wiener Abendpost vom 6. und 
9. Januar bekannt, während die Kantate „Der glorreiche 
Augenblick“, wiederaufgeführt am 7. Mai durch den 
Örchesterverein in Wien, den Nachfolger des kürzlich 
verstorbenen Kritikers Dr. Robert Hirschfeld zu einem, 
mit „K“ (Kralik) Unterzeichneten Artikel über den Dichter 
Weissenbach und zu einer Würdigung desselben in diesem 
Blatte veranlaßte. In ersterem der oberwähnten „Einge- 
sendet“ Beethovens aus dem Jahre 1813 ist die Notiz 
zur „Wiederholung der Aufführung der Komposition über 
Wellingtons Sieg bei Vittoria, wozu die Eintrittsbillette täg- 
lich auf dem Kohlmarkte im Comptoir des Freiherm von 
Pasqualati für das Parterre zu 2 und für die Galerie zu 


386 



3 Gulden zu haben sind“, enthalten — in letzterem die 
Danksagung des Meisters in auffallender Antiqua im 
Intelligenzblatte der k. k. Wiener Zeitung. — Im Neuen 
Wiener Journal vom 15. Februar wird die (auch in die 
„N. M.-Z.“ übernommene) heitere Anekdote wieder erzählt, 
daß ein in England konzertierendes Pariser Orchester anläß- 
lich der Aufführung der großen Leonoren-Ouvertüre durch 
die gewaltsame Verhinderung des Solotrompeters in arge 
Verlegenheit geriet. Dieser unglückselige Trompetenbläser 
war im Hofe des Konzerthauses postiert, und als er eben 
sein Solo beginnen wollte, faßten ihn mit wuchtigen 
Händen zwei „Policemen“ und hinderten ihn an seinem 
Vorhaben, da er nach ihrer Meinung „mit seiner Trompete 
das schöne Konzert stören wollte.“ — Das neunte Nikolai- 
Konzert der Wiener Philharmoniker benützte Max Kalbeck 
im Neuen Wiener Tagblatt vom 5. Mai, tim auf die 
Chorfantasie op. 80 im Gegensatz zu der ihr folgenden 
Symphonie op. 125 hinzuweisen. Seit dem 9. Mai ist 
mir leider nichts Berichtenswertes mehr zu Gesichte ge- 
kommen, wahrscheinlich haben sich sowohl die Zeitungen, 
wie die Herren Autoren einem ergiebigeren Felde, als Beet- 
■ hoven es ist, zugewendet, und zwar dem Streite im Hause 
Richard Wagners, der ihnen mehr Stoff zur Entfaltung 
von Witz und Sarkasmen darbietet und Julius Bauer im 
Illustrierten Wiener Extrablatt am 24. Mai zu einem wohl- 
gelungenen, scherzhaften Gedichte „Wahnzwist“ Gelegen- 
heit gab. Vor einer Literatur, wie das Buch: „Richard 
Wagner oder die Entzauberten“ von Ludwig und der 
kürzlich erschienene Wagner-Roman: „Der Meister" von 
Eugen Zabel — Werke ä la Anton Langer und Breier ! — 
ist bisher unser Altmeister Beethoven glücklicherweise ver- 
schont geblieben. 


Für den Klavierunterricht. 

Die ersten Klavierstundeh. 

D ie erste Klavierstunde! — Sie bedeutet im Leben 
des Kunstjüngers ein Ereignis, an das er stets mit 
Freude zurückdenken soll; sie hat ihm die ersten Schritte 
gelehrt zur späteren Reise in jene Welt, deren magische 
Gewalt dem reifen Manne ein Wunderland erschloß, so 
köstlich, so erhaben, daß kein Reichtum der Erde im- 
stande wäre, ihm diesen einzigen Besitz zu ersetzen. Die 
hehre Himmelsgabe, die Sprache der Töne, sie befreit 
den Menschen von den Qualen des irdischen Lebens, sie er- 
hebt ihn in Regionen, die eine göttliche Bestimmung ahnen 
lassen. — Die erste Klavierstunde ein Ereignis! Bereits im 
Kindesalter soll es eintreten, wenn naive Freude am Klange 
das junge Menschenkind an das Instrument treibt und 
es mit zarten Händchen sich bemüht, die geheimnisvollen 
Stäbchen zum Erklingen zu bringen. Im Alter von 
6—8 Jahren, in Ausnahmefällen vielleicht noch früher, 
darf mit dem Unterrichte begonnen werden; allerdings 
kein Unterricht in dem strengen Sinne, daß der kleine 
Kunstfreund täglich zu anhaltendem Fleiße verpflichtet 
werde, sondern auf die spielende Weise, stets neue Lust 
in ihm zu erwecken. Nicht Zwang also, sondern frei- 
williges inneres Bedürfnis des Schülers muß in der ersten 
Zeit der leitende Gesichtspunkt sein, von dem aus die 
Begeisterung in ihm für die hehre Sache geweckt werden 
soll. Etwa eine Viertel- bis eine halbe Stunde täglich 
beschäftige sich der Lehrer mit dem kleinen Schüler; es 
wäre töricht, seine Auffassungskraft über Gebühr in An- 
spruch zu nehmen und in das zarte Gehirn Dinge in 
Masse hineinzupfropfen, die es anstrengen und ermüden 
müssen, nur damit die „Stunde“ ausgefüllt werde. In 
kürzester Zeit würde sich Widerwille und Abneigung gegen 
Kunst und Lehrer einstelten, ein Effekt, der natürlich 


unbedingt vermieden werden muß. Fröhliche Lust soll 
den Kleinen durchglühen, wenn er ans Instrument eilen 
darf. Im ersten Halbjahre also kein Stundenunterricht, 
sondern tägliche liebevolle Anregungen eines mit Kinderart 
wohl vertrauten und Kindersinn verstehenden Lehrers. 
Es ist nicht ganz leicht, hierin das Richtige zu finden, 
gar mancher Künstler von bedeutendem Können ist daran 
schon gescheitert. Auf der einen Seite wird in diesem 
Falle gefordert eine nie erlahmende Lehrfreudigkeit, ver- 
bunden mit einem gewissen Ernste, der freilich nicht in 
Strenge ausarten soll — denn die Fundamente für das 
zukünftige Gebäude müssen durchaus solide sein — , 
andrerseits ein Maß von Geduld und Entsagen, dessen 
Größe mit dem Ausdruck „staunenswert“ zu bezeichnen 
nicht als übertrieben einzuschätzen ist. Eines gibt es 
noch zu bedenken : durchaus unnötig ist es nämlich, daß 
jedes Kind zum Klavierspielen verpfüchtet werde, ledig- 
lich um der Mode zu gehorchen. Es tut jedem Musiker 
in der Seele weh, wenn er sehen muß, wie unvernünftige 
Eltern darauf beharren, ihren talentlosen SprÖßling 
im Klavierspiel unterweisen zu lassen. Was wird sich 
in der Folge zeigen? Qual auf allen Seiten. Die Mi- 
seren, welche das Musikstudium“ eines nicht begabten 
Kindes hervorruft, sind ja allbekannt. Wie viel Verdruß 
könnte erspart werden, wenn nur wirklich Begabte die 
Musik, und sei es auch nur zum Vergnügen, pflegen 
würden! Talentlose aber sollten um keinen Preis ans 
Klavier gezerrt werden. Wem eine ausgesprochene Be- 
gabung für die Tonkunst versagt ist, für den suche man 
eben eine andere Beschäftigung; es gibt der Künste 
mehrere und andere Dinge genug, in denen man segens- 
reich wirken kann. Der Fleiß allein ist bei Ausübung 
der Musik durchaus ungenügend; fehlt der göttliche Funke, 
so lasse man von ihr ab. In unserer Zeit, in welcher 
überhaupt zu viel Klavier gespielt wird, haben nur die 
Besten, auch unter den Amateurs, Anspruch auf Beachtung. 

Bevor also mit dem Klavierunterrichte begonnen wer- 
den soll, lege man sich wiederholt die Frage vor: „Hat 
das Kind wirklich Talent?“ Dies zu entscheiden, dürfte 
nicht immer ganz leicht festzustellen sein. Einsichtige 
Eltern werden bei Beantwortung dieser wichtigen Frage 
einen objektiven, erfahrenen Fachmann zu Rate ziehen, 
der bei einiger Bekanntschaft mit dem Kandidaten darüber 
Aufschluß geben kann. Denn die Eltern selbst sind in 
vielen Fällen nicht frei von Voreingenommenheit, und 
eine wie große Rolle auch hier die liebe Eitelkeit spielt, 
braucht nicht erst bewiesen zu werden. Als besondere 
Merkmale eines schlummernden Talentes können angesehen 
werden: Gehör, Temperament, innerer Zwang, eine nor- 
male Hand, Lust zu singen, begeisterungsflammendes 
Auge, heller Kopf, Tiefe des Gemütes usw. Bei Ver- 
einigung dieser Eigenschaften kann mit Sicherheit auf 
Begabung für die Musik, also auch für das Klavierspielen, 
geschlossen werden, während das Fehlen der einen oder 
anderen die Frage zunächst zweifelhaft erscheinen läßt. 
Welcher Entwicklung ein Talent fähig ist, das wird sich 
natürlich erst im Laufe des Unterrichtes, späterhin des 
Studiums offenbaren. Hierin zu prophezeien ist äußerst 
gewagt, ja unmöglich; nicht selten haben sich in dieser 
Beziehung die überraschendsten Wendungen gezeigt. Stellen 
sich Anzeichen ein, daß die vermeintlichen Fähigkeiten 
bereits erschöpft sind, so wird ein gewissenhafter Lehrer 
die Ausbildung abbrechen und auf Einstellung des wei- 
teren Studiums dringen; denn es wäre Geld-, Zeit- und 
Kraftvergeudung, das Kind noch weiter zu plagen. Die 
Wahl eines erfahrenen, aufrichtigen Lehrers im Anfangs- 
stadium ist überhaupt von allergrößter Bedeutung; sie 
wird in ihrer Wichtigkeit vielfach unterschätzt. Wie oft 
kann . man hören, für den Anfang „tue es auch“ eine ge- 
ringere Kraft, wogegen gewiß nichts einzuwenden ist, 
wenn damit der Begriff vollkommener Tüchtigkeit ver- 
bunden ist, wogegen jedoch protestiert werden muß, 
wenn gering etwa soviel bedeuten soll wie unzulänglich. 


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Es ist unbedingt zu verwerfen, daß irgend jemand, 
ohne die erforderliche musikalische Bildung zu besitzen, 
im Nebenberufe oder zum Zeitvertreib — wie das zu- 
weilen Vorkommen soll — den ernsten Klavierunterricht 
übernehme; der Betreffende muß vielmehr durch seine 
künstlerische Erziehung und seine eigenen Vorträge den 
Beweis eines tüchtigen Musikers erbracht haben, welcher 
der verantwortungsvollen Aufgabe wohl gewachsen ist, 
Ton, Technik und Vortrag zu entwickeln und zu ver- 
edeln, kurz mit einem Worte, ein Talent heranzubilden. 
Werden in der ersten Zeit speziell auf dem Gebiete der 
technischen rudimenti falsche Wege eingeschlagen, sich 
zeigende Unarten nicht abgestellt, so bedarf es späterhin 
zur Umkehr eisernen Fleißes und großer Energie. Auch 
der Bildung und Entwicklung des Anschlages ist bereits 
anfänglich große Aufmerksamkeit zuzuwenden, daß das 
entsetzliche Geklopfe, welches das Klavierspiel so sehr 
diskreditiert, überhaupt jede Härte vermieden werde. Wie 
man aus diesen Andeutungen leicht folgern kann, ist zur 
Leitung eines nutzbringenden Klavierunterrichtes eben ein 
Künstler vonnöten, gleichviel, ob es sich um die Aus- 
bildung für den Beruf oder um erträgliche Düettanten- 
arbeit handelt. Ein tüchtiger Lehrmeister wird mit mir 
darüber einig sein, wie segensreich das lebendige Vorbild 
zu wirken vermag, wie wichtig deshalb das Vorspielen 
ist. Es ist nach meiner Ansicht wertvoller als die aus- 
führlichsten Erklärungen. Nulla dies sine linea, sagte 
Apelles, was ich frei mit „keine Stunde ohne Vorspielen“ 
übersetzen möchte. Wer viel im Unterrichtsfache tätig 
war, kann bestätigen, einen wie tiefen Eindruck der Vortrag 
des Lehrers auf den empfänglichen Schüler stets ausübt. 

Ueber richtige und unrichtige Hand- und Fingerhaltung 
ist viel geschrieben und gestritten worden; welche ist die 
richtige? Mozart ließ sich darüber folgendermaßen aus: 
„Vor allen Dingen soll der Spieler eine ruhige und stette 
Hand besitzen, deren natürliche Leichtigkeit, Gelenkigkeit 
und fließende Geschwindigkeit so ausgebildet ist, daß die 
Passagen fortfließen wie Oel.“ Korrektheit, Deutlichkeit 
und Bestimmtheit in allen Einzelheiten „alle Noten, Vor- 
schläge mit der gehörigen Expression und gusto auszu- 
drücken“, waren ihm die ersten Erfordernisse. (Nach 
Otto Jahn.) 

Hummel, Mozarts Schüler, sagt in seiner Klavierschule 
u. a.: „Die Hände halte man ein wenig gerundet, und 
wie die Füße etwas auswärts, jedoch frei und ungezwungen; 
denn hierdurch wird der Gebrauch des Daumens auf den 
Obertasten sehr erleichtert. Ihre Lage darf weder höher 
noch niedriger sein als nötig ist, die Vorderglieder der 
Finger zu beugen, um die Taste mittelst des Ballens vom 
Finger anzuschlagen, so daß der Daumen mit dem fünften 
Finger eine horizontale Linie auf der Klaviatur bildet. 
Das platte Auflegen der Finger und das Einbohren in 
die Taste bei herabhängender Hand ist ganz fehlerhaft 
und verursacht ein mattes, lahmes Spiel.“ Diesen Ur- 
teilen könnten natürlich noch weitere hinzugefügt werden. 
Die Meinungen der großen Klaviermeister aller Zeiten, 
so verschieden sie auch sonst sein mögen, einigen sich in 
dem Punkte, daß die Hand bei lockerem Handgelenke 
stets ruhig zu halten und überflüssige Bewegungen zu 
vermeiden sind. Dabei wird der Anfänger am besten 
fahren. (Auf die höhere Ausbildung kann hier, da es 
den Inhalt des Vorgesetzten Themas überschreiten würde, 
nicht eingegangen werden.) Welche Methode man auch 
für die richtige halten möge, wichtig ist, daß man an 
der einmal gewählten festhalte und nicht grundlos wechsle. 
Das erzeugt Unsicherheit und Verwirrung. Das Drill- 
system, das nur geisttötende Fingerübungen verlangt und 
den Schwerpunkt des Unterrichtes in das Mechanische 
statt in das Musikalische verlegt, ist verwerflich. Es 
taugt nur für Talentlose. Ganz ohne Fingerübungen 
wird man zwar nicht auskommen, doch darf die Beschäf- 
tigung mit ihnen nicht zur Hauptsache werden. Moscheies 
sagt darüber: „Der Geist soll mehr üben als die Finger." 

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Dem gewählten Lehrer bringe man unbedingtes Vertrauen 
entgegen; vor Beginn des Unterrichtes wird es sich em- 
pfehlen, an autoritativer Seite sich über seine künst- 
lerischen Qualitäten zu informieren. Die allerersten Ver- 
suche wird ein tüchtiger Lehrer am besten nach eigenen 
Heften der Individualität seines Schülers entsprechend 
vornehmen, Schablone ist hier unbedingt von Uebel. 
Dabei könnte er mutig für b statt h eintreten und dem- 
entsprechend für bes und bis. Entscheidet er sich für 
eine Klavierschule, so bin ich der Ansicht, daß die an- 
spruchsloseste die beste ist. Nur nicht die umfangreichen 
Bände, an denen jahrelang gezehrt werden muß. Schon 
ihr monströser Anblick wird ein Kind abschrecken und 
ihr Inhalt es mit der Zeit langweüen. Dabei verkenne 
ich durchaus nicht, daß manche großangelegte Klavier- 
schule neben Weitschweifigem viel Wertvolles enthält, das 
namentlich dem zukünftigen Fachmanne von Nutzen sein 
kann, aber für den Anfang ist mir die Devise kurz und 
bündig doch lieber. In „Eschmanns Wegweiser durch die 
Klavierliteratur“ (Leipzig, Verlag von Gebr. Hug), einem 
Buche, das auch außerdem warm empfohlen werden kann, 
findet der sich dafür Interessierende viel des Brauchbaren 
und Nützlichen. Hat der kleine Schüler erst einmal ge- 
lernt, sich in der Klaviatur zu bewegen, so ist die gleich- 
mäßige Ausbildung aller Finger das zunächst 
anzustrebende Ziel. Hierzu dienen am erfolgreichsten 
kleine Stückchen, vorerst im Umfange der fünf Finger, 
alsdann vor allem die Skala. Sie ist die tägliche Be- 
gleiterin des Pianisten durch das ganze Leben; stets wird 
man an ihrer Vollendung feilen, ihre Glätte verfeinern 
können. Sie ist in allen Stärkegraden, allen Anschlagsarten, 
mit der einzelnen Hand oder beiden zusammen, in Oktaven, 
Terzen, Sexten, in Gegenbewegung zu üben — ein findiger 
Kopf wird immer neue Variationen entdecken, die ihm von 
Nutzen sein können. Die Skala ist das Fundament jeder 
Technik und gedankenlosen, überflüssigen Fingerübungen 
jedenfalls vorzuziehen. Es müßte denn sein, daß die 
Finger oder die Hände irgend welche Abnormitäten auf- 
zuweisen haben, zu deren Korrektur die eine oder andere 
mechanische Studie herangezogen werden muß. Soweit 
es sich jedoch nicht um Beseitigung vorliegender Fehler und 
Schwädien handelt, bin ich dafür, unnütze Fingerübungen 
auszuschalten. Größte Aufmerksamkeit wäre schon zu 
Beginn des Unterrichtes der Ausbildung des legato, der 
Tonverbindung zuzuwenden; bei unseren heutigen Instru- 
menten, die auch in dieser Beziehung so viel Vollkommenes 
aufzuweisen haben, ist diese Seite besonders zu berück- 
sichtigen. Auf dem Klaviere zu singen, muß von dem 
Spieler in erster Linie gefordert werden. Hinsichtlich des 
Schwierigkeitsgrades der auszuwählenden Stücke sei man 
nicht zu ängstlich; man darf vom talentvollen Schüler 
stets das Aeußerste verlangen, allzu Leichtes stumpft ab. 
Philipp Emanuel Bach sagt darüber in seinem „Versuch 
über die wahre Art, das Clavier zu spielen“ (Berlin 1753) : 
„Es ist schädlich, die Scholaren mit zu vielen leichten 
Sachen aufzuhalten; sie bleiben hierdurch immer auf einer 
Stelle, einige wenige von der ersten Art können zum An- 
fänge hinlänglich sein. Es ist also besser, daß ein geschickter 
Lehrmeister seine Schüler nach und nach an schwerere 
Sachen gewöhnet. Es beruht Alles auf der Art zu unter- 
weisen und auf vorhero gelegten guten Gründen, hierdurch 
empfindet der Schüler nicht mehr, daß er an schwerere 
Stücke gebracht worden ist.“ Diese wahren Worte haben 
heute noch, nach über 160 Jahren, Gültigkeit. Eine weitere 
wichtige Aufgabe des gewissenhaften Lehrers ist es, dem 
Schüler stets, also schon zu Beginn, nur beste Musik vor- 
zusetzen; jede Art von Talmimusik ist auszuschließen, da 
sie nur zu leicht Geschmacksverbüdung fördert. Zur Ver- 
edelung des Geschmackes ist vor allem so frühzeitig als 
möglich die Bekanntschaft mit Joh. Seb. Bach anzubahnen. 
Von seinen Werken sollen in vernünftiger Auswahl zunächst 
die leichtesten kleinen Präludien, Inventionen gegeben 
werden. Das Studium einzelner Teile aus den französischen 



Suiten wird alsdann die solide Grundlage bilden, auf 
welcher erfolgreich weiter gebaut werden kann. Trans- 
ponierübungen ist aus musikalischen wie technischen 
Gründen sehr das Wort zu reden, ebenso dem Auswendig- 
spielen, soweit dadurch nicht die Akkuratesse und Sauber- 
keit des Spieles gefährdet wird. Andernfalls ist jedoch 
davon abzusehen. 

Ich möchte allen Lernenden wünschen, daß die Ent- 
wicklung ihres Talentes stets von den richtigen Männern 
geleitet werde, allen Lehrenden, daß sie ihre Kenntnisse 
und ihre Mühe niemals an talentlose Schüler vergeuden 
müssen, denn die einzige Befriedigung, welche dieser ent- 
sagungsreiche Beruf gewährt, ist das Bewußtsein und die 
Freude, der kommenden Generation tüchtige Musiker, 
ernste Künstler herangebildet zu haben. — Soviel für 
heute; die weitere Entwicklung des jungen Pianisten wird 
in einem folgenden Aufsatze ins Auge gefaßt werden. 

München. Prof. Heinrich Schwartz, Kgl. bayr. Hofpianist. 


Zur Deutung und Würdigung von 
Hauseggers Natursymphonie. 

Eine Studie von Dr. HANS BURKHARDT (Frankfurt a. M.). 

(Schluß.) 

etzt zu Einzelheiten! Von selbständiger Eigenart ist in 
der Natursymphonie vielfach die Motivbildung. Es 
leuchtet ein, daß dem Wesen Hauseggers entsprechend die 
Schönheitswerte der melodischen Linie weniger rein und 
absolut, als vielmehr charakteristisch sind ; ferner, 
weil hier ein bewegter Stoff nach Gestaltung drängte, daß 
stark bewegter Ausdruck ein Hauptkennzeichen dieser 
Motivbildung sein wird. 

Nun ist bekannt, daß sich starke seelische Spannung in 
der Melodie oft mittels enger, häufig chromatischer 
Tonfolge äußert. Wir meinen hier natürlich kein scher- 
zendes Spiel in Halbtönen, auch nicht das Verflechten von 
Stücken der chromatischen Tonleiter in die eigentliche Me- 
lodie zu deren Verputz, sondern jene Chromatik, deren Halb- 
tonschritte eine naturgewachsene Melodie bilden. Der Nähr- 
und Heimatboden solcher Chromatik sind starke, aber 
verhaltene Gefühle. Meist handelt es sich dabei 
um schmerzlich-unruhvolle Seelenregungen , die sich unter 
Qualen nur zögernd ans Licht ringen: jeder Ton schließt 
sich da gepreßt und fast scheu an den andern, so daß eng- 
schrittige, aber darum nicht weniger vielsagende Motiv- 
bildungen entstehen (vergl. besonders Wagners „Tristan“). 
Stets aber bleibt für die psychologische Erklärung ausdrucks- 
voll-ernster Chromatik wesentlich die Zurückfuhrung auf 
Stimmungen, die sich nicht in stürmischer und lauter Leiden- 
schaftlichkeit äußern. Im ersten Satze der „Natursymphonie“ 
sinkt der hinreißende Aufschwung freudigen Natuxgefühls 
nach der Ueberschreitung des letzten Höhepunktes unter 
Verbreiterung des Zeitmaßes in einer meist chromatischen 
Tonfolge zusammen, die wir der Part. S. 76 im harmonischen 
Auszuge entnehmen: 



usw. 


An Stelle der bisher ungehemmt dahinströmenden Em- 
pfindungen treten hier sichtlich gebundenere Gefühle. Ebenso 
beredt ist die chromatische Figur am Schlüsse der Symphonie 
(Part. S. 200 und 201), die beim Zurücksinken aus Adur 
in die Haupttonart Des dur entsteht und auf. 'die wir in 
anderem Zusammenhang (oben S. 29s) schon 'hingewiesen 
haben. Zweifellos entspringt diese Gestaltung einer un- 
beirrbar in sich ruhenden, selbstsicheren Stimmung, aus der 
heraus die Symphonie ihren machtvollen Abschluß gewinnt. 

Wo aber ein solches An-sich-halten oder eine solche Bin- 
dung der Gemütskräfte nicht vorliegt, da äußert sich die 
innere Bewegtheit frei in der Spannkraft großer Inter- 
valle. Wenn Hausegger also den Instrumenten und selbst 
den Sängern nicht selten schroffe Oktav- und Septsprünge 
(beide gern in Verbindung) zuweist, so ist das in dem geistigen 
Gehalte des Werkes wohl begründet. Als Beispiele bringen 


wir die eindrucksvolle Führung des Kontrabasses (Part. 

f 5 . 65/66): 



und die Wiederholung des Anrufes „dessen, der sich selbst 
erschuf“, die durch die Parallelführung einzelner Stimmen 
so einmütig-gewaltig wirkt und den ersten Anruf noch über- 
strahlt (Part. S. iS)): 



„Im Na - men des sen, der . . .“ 

Anstatt den Zwischenraum zwischen zwei weiter vonein- 
ander entfernten Tönen einfach zu überspringen, kann man 
diese Töne auch durch eine mehr oder wemger tonleiter- 
artige Reihe von Gleittönen verbinden. 

Bei Hausegger sind oft beide Arten vereint, indem z. B. 
die Singstimmen einen höheren Ton durch Sprung, die Be- 
gleitinstrumente aber gleichzeitig im glissando erreichen. 
Charakteristische Gleitreihen in den Instrumentalstimmen 
allein finden sich am häufigsten im Schlußteile der Symphonie, 
und zwar meist zwischen Aeußerungen des Chores (vergl. 
Part. S. 160 — 200). Eine bezeichnende Stelle (S. 199) setzen 
wir her: 



Fast nach jeder sinngemäßen Zäsur im Chorgesange steigen 
solche rauschenden Passagen hoch und spitz empor, so daß 
nicht zuviel behauptet ist, wenn man hierin eine Monumen- 
talisierung der musikalischen Form erblickt, die an Gotik 
gemahnt. 

Es steht damit im Zusammenhang, wenn wir von der 
Bildung zackiger Motive in der „Natursymphonie“ 
sprechen. Während die S. 25 5 erwähnten „mystischen Akkorde" 
deutlich stufenweisen Aufbau zeigen, enthält der die Sym- 
phonie eröffnende „Weckruf“ in seiner zweiten Hälfte das 
Hauptbeispiel einer andern, weniger melodisch als figural 
bedeutsamen Gestaltung: 



in der das Erwachen der Naturkräfte durch immer höher 
übereinander sich erhebende Tonschritte treffend dargestellt 
ist. Eine klare Strichzeichnung ähnlicher Art ist das 
Trompetenmotiv aus dem dritten Satz (Part. S. 122 und 123) : 



das in freier Behandlung später wiederkehrt (Tenor- und 
Baßeinsatz Part. S. 171), aber auch liedhaft empfunden 
bereits im ersten Satze (Part. S. 36) in den Bratschen sich 
findet: 



Kb. 



389 




Zackigen Bau, doch in abwärtssteigender Folge, zeigt das 
Naturthema (in der Fassung Part. S. 5 und 6) in einem 
seiner Teile. 

Würde man im vorletzten Notenbeispiel die Reihenfolge 
der Töne in b, es, f oder es, /, b ändern, so erhielte man ein 
Beispiel Hauseggerscher Teilmotivbildung durch Kerbung 
eines Intervalles nahe einem der beiden End- 
töne. Das Gesamtintervall ist dabei eine übermäßige 
Quart, eine reine Quint, auch eine Oktave. Hierher gehören 
die eindrucksvollen Eröffnungstakte der Symphonie: 



(Vergl. auch die Umkehrung dieser Tonfolge oben S. 255!) 

Als Beispiel für die Teilung einer reinen Quint sei der 
Fagottruf (Part. S. 17) gebracht: 


rr *9 - — -*- -f- ♦f-t- f” f“ 


Der Oktavrahmen ist z. B. gegeben in der Holzbläserfigur 
(Part. S. 9): 



Vertiefung in das Werk wird ferner zu der Erkenntnis 
führen, wie Hausegger aus einzelnen musikalischen 
Gesten meisterhaft reicheie Motive aufbaut. Nur ein 
Beispiel dafür! Da er es liebt, Melodien durch Einführung 
des Hauptmotivs in Gegenbewegung fortzusetzen, so stellt 
gegenüber dem Teilglied des Fagott-Themas aus dem Be- 
ginne des zweiten Satzes (Part. S. 79): 



die rhythmisch veränderte Umkehrung (Part. S. 89): 



eine Weiterentwicklung dar (die von uns vorgenommene 
Herausschneidung solcher Tongruppen durch Klammern be- 
deutet natürlich keine Interpunktion und Phrasierung für den 
Vortrag!). Beide Formulierungen erscheinen dann, in um- 
gebildeter Gestalt, im Quintparallelen-Motiv (Part. S. 105) 
vereint: 



Die ganze Stelle ist also motivisch wohl vorbereitet: sie 
senkt ihre Wurzeln hinein in den tragischen Stimmungs- 
grund des zweiten Satzes. 

Wie die Motive in Schillerungen weiterverar- 
beitet werden, läßt sich am schönsten beim „Naturthema“ 
zeigen. Seine Entwicklungslinie läuft von einer durchaus 
„naiven“ und impersönlichen Fassung im Orgelklang (Part. 
S. 4 ): 



zunächst zu einer farbenreicheren, aber im Aufwand der 
Mittel immer noch zurückhaltenden Orchestrierung (Part. 
S. 5), wendet sich sodann zu einer weniger weltentrückt 
viinpftPTuipTi Durvariante (Part. S. 100/ 101 dem Blech, 
S. 176/177 dem Klein en Chor „Soweit das Ohr . . zu- 


gewiesen), und endet in einer von tiefer Rührung durch- 
zitterten „sentimentalischen“ Gestaltung (Part. S. 194 ff.): 


Sehr runig und feierlich 



Hausegger hat hier, wie man sieht, jede stilwidrige Ein- 
förmigkeit vermieden; das Thema erscheint vielmehr in 
seiner melodischen und harmonischen Umbildung der im 
Verlaufe der Symphonie sich vollziehenden psychologischen 
Veränderung angepaßt und stellt somit ein im höchsten 
Sinne Wagners und Liszts abgewandeltes „Leitthema“ dar. 

Von der Bildung charakteristisch gekerbter Intervalle 
führt uns ein kleiner Schritt zu einer kurz zu erwähnenden 
harmonischen Erscheinung. Hausegger läßt die Töne 
solcher Intervalle nicht nur motivisch nach einander, 
sondern auch — und zwar ohne peinliche Vorbereitung — 
harmonisch mit einander erklingen. Betrachten wir den 
Akkord auf der Silbe („hat schon am Bild ge-)nug“ (Part. 
S. 182). Wenn man die dortige Harmonie in eine Melodie- 
folge umwandelt: 



so ergibt sich ein zackiger Bau dieser kadenzartigen Fügung. 
Kehrt man die Reihenfolge der letzten vier Töne um, so 
erhält man das auf S. 389 gebrachte Trompetenmotiv aus 
dem dritten Satze. Legen wir die fünf verschiedenen Töne 
des Akkordes stufenmäßig nebeneinander, so läßt sich der 
zugrunde liegende Pentakkord a, h, cis, e, fis (der sich 
auch Part. S. 201 in Des dur in den Harfenakkorden findet) 
leicht erkennen. Die gleiche Fünftonleiter hat Mahler im 
„Lied von der Erde“ dem Hauptthema des dritten Teiles 
(„Von der Jugend“) untergelegt (b, c, d, /, g). Bei ihm, 
der hier chinesische Gedichte vertont, handelt es sich augen- 
scheinlich um einen absichtlichen Anklang ans 
Chinesische, den er in der genannten Tondichtung reich- 
lich oft anwendet, um den Text mit einer im Ausdruck 


39 ° 




verwandten melodischen Linie zu begleiten. Sei Hausegger 
dagegen ist — ebenso wie etwa bei der Benützung durch 
Schumann in seinem op. 16 „Kreisleriana — die Annahme 
einer Angleichung an ostasiatische Musik natürlich von 
vornherein abzulehnen. Gegen eine solche spricht schon 
äußerlich das nur vereinzelte Vorkommen des Pent- 
akkords in der Natursymphonie. Noch wichtiger ist der 
Unterschied, daß Mahler diese Tonreihe vorwiegend zur 
Melodiebildung, Hausegger aber mehr harmonisch 
gebraucht. 

Hierher rechnen wir auch die Darstellung derartiger 
Klänge sozusagen in Schummerung, etwa mit dem 
Zwecke der Schattierung und Umspielung eines beherrschen- 
den Tones (vergl. Part. S. 200). Indem nämlich der Kom- 
ponist in solchem Falle alle nicht den Hauptton festhaltenden 
Instrumentalstimmen teils in Gegenbewegung, teils in mög- 
lichst verschiedener Taktgliederung ansetzt, werden diese 
Begleitfiguren so stark differenziert und in ihrer 
Ausprägung innerhalb des ganzen Zusammenhanges der 
Hauptstimme gegenüber so sehr verflüchtigt, daß 
die gewollte Schattierung überzeugend erreicht wird. — Wenn 
sich Hausegger mithin als erfinderischen Synthetiker von 
Klängen zeigt, die er aus melodischem Nacheinander ge- 
winnt, so wird es begreiflich, warum in der Natursymphonie 
der Gefühlsausdruck manchmal unterhalb der Melodie in 
den Tiefen der Harmonie fließt. 

Daß diese Symphonie in Akkordverbindungen 
Fortschritte aufweist, indem der Komponist die Brücke 
auch nach entfernter verwandten Tonarten mit selbstbewußter 
Kühnheit schlägt, kann man besonders aus dem Chorteil 
ersehen. Dabei möchten wir ausdrücklich hervor heben, daß 
Hausegger Richard Wagners scharfer Absage an das „Mo- 
dulieren um jeden Preis” zustimmt, und so will er nirgends 
durch die billige Ueberraschung bloß auffallender Ueber- 
gänge verblüffen, kein derartiger Schritt geschieht bei ihm 
ohne innere Begründung. Darin liegt zugleich beschlossen, 
daß er das harmonische Werden vom rhythmischen nicht 
losreißt. 

Die bemerkenswertesten rhythmischen Werte birgt 
wohl das Quintparallelen-Thema im zweiten Satze: 

i-Bg jn 

Der unmittelbar vor dem sforzato stehende Teil gleicht dem 
Aufheben, der mit dem sforzato einsetzende dem Nieder- 
wuchten eines schweren Hammers. Nicht melodisch-liedhaft 
ist dieses Thema empfunden; seine Heimat liegt vielmehr 
in der vor allem durch den unbeugsamen Rhythmus gekenn- 
zeichneten Linienführung der Unterstimme, die dem 
Einsatz der Quintparallelen in den Oberstimmen zeitlich 
vorausgeht. Man vertiefe sich doch einmal in diese Stelle 
(Part. S. 104): 


Pk. Kb. 



des Textes auch nur eine nebentonige Silbe fällt — außer- 
halb der regelrechten Akzentuierung. Doch machen sich 
solche Bildungen, die übrigens bereits Hauseggers Liedern 
nicht fremd and, im Chorteile durch ihre Häufigkeit be- 
merkbar. Daß Fügungen, wie z. B. der unruhvoll- ver- 
schobene Schluß des ersten Aufzuges der „Walküre“, hierin 
eine wichtige Vorstufe für Hausegger bilden, sei kurz erwähnt. 

Man weiß, daß klug verwendete Pausen die Wirk- 
samkeit synkopischer Bildungen beträchtlich zu steigern 
vermögen. So wird beim Einsatz der Männerstimmen 
„Hat schon am Gleichnis, hat am Bild genug!“ (Part. S. 181) 
durch die den Synkopen vorangehende beredte Pause der 
Eindruck des Stockenden, des Stammelns meisterhaft ver- 
tieft. So hat auch das vom Chor zweimal gesungene „Der 
so o f t genannt“ (Part. S. 174 f.) bei der Wiederholung eine 
ungemein wirksame rhythmische Verschiebung erfahren. 

Es ist beim Studieren solcher Stellen in hohem Grade 
anziehend zu beobachten, wie Dichter und Komponist, 
jeder die Welt des andern durchdringt und befruchtet. 
Wer sich dieses gegenseitige Verhältnis vergegenwärtig!, 
wird auch den vielfachen Wechsel der Takt- 
arten (besonders im Schlußchor! verstehen: er entspricht 
eben dem stark bewegten gedanklichen Inhalt. Nur ein 
trockener Schleicher, dessen Gesichtskreis nichts als „Theorie“ 
der Musik umspannt, dem aber auch unsere alte Musik fremd 
ist, wird darin eine Ungeheuerlichkeit sehen können. 

Daß Hausegger in das Reich des Dichters, soweit er ihn 
beizog, ernstlich einzudringen suchte, zeigt sich in dem 
erfreulichen Zusammenfallen der Höhepunkte des 
Wortsinns mit denen der — meist deklamatorisch be- 
handelten — Melodie. Vorwürfe, wie man sie Brahms 
und Schumann als Liederkomponisten wegen solcher Wider- 
sprüche zwischen Wort und Weise gemacht hat, kann man 
gegen Hausegger nicht erheben. Er bewährt sich eben auch 
Hier als Meister mehr der charakteristischen denn der abso- 
luten Schönheit. 

- Darauf beruht es auch, daß er die .Singstimmen 
hinsichtlich der Schwierigkeit der zu überwindenden Inter- 
valle manchmal wie Instrumente behandelt. Erschwert wird 
die Ausführung solcher Tonschritte besonders für die Mittel- 
stimmen, wenn die beiden Endpunkte der Intervalle in ent- 
fernter miteinander verwandten Harmonien liegen. 

Bei weniger begleiteten Stellen werden die Singstimmen 
weit mehr m melodischen Stufen geführt. Die Durchhaltung 
der reinen Tonhöhe bei den feierlich schwebenden Harmonien 
kann von einem geschulten Chor verlangt weiden. 

Daß Hausegger im übrigen alle künstlerischen Mittel 

f ebraucht hat, die geeignet sind, den gesanglichen Teil 
edeutungsvoll zu gestalten, erweist die Durchsicht der 
Partitur uberzeugend. Es sei an die melodisch, dynamisch 
und rhythmisch so wohl gelungene Vertonung der Anfangs- 
worte des „Proömions“ erinnert: 



Im Ns - men de» aen, der . . . 



und wie von selbst wird bei Beachtung der rhythmischen 
Struktur das Quintparallelen-Thema als Melodie darüber 
aufsteigen. 

Majestätische Kraft und unerschütterliche Beharrlichkeit 
spricht aus dem rhythmischen Motiv der Schlußtakte (Part. 


S. 199 — 201), das in der Form | j J J | am klarsten 

hervortritt und dem Wagnerschen Walhallamotiv (_,_J-_^.) 
in seiner gemessenen Ruhe wesensverwandt erscheint. — 
Die Chorstelle „Du zählst nicht mehr, berechnest keine Zeit“ 
(Part. S. 189) ist durch prächtige Stimmungsrhythmen ge- 
kennzeichnet. 


Bemerkenswert ist Hauseggers offensichtliche Vorliebe für 
Synkopen. Da deren Wesen in der scharfen Verschiebung 
der Betonung gesucht werden muß, so ist die bei ihm be- 
liebteste synkopische Bildung | | allerdings eine 


Abart der vollwertigen Synkope. Denn in unserem Beispiel 
rückt bloß die nachschlagende Note — auf die beim Singen 


Im Gegensatz zu dieser und anderen unisono- Stellen stehen 
Partien mit erstaunlich individueller Behandlung der ver- 
schiedenen Stimmen. Wer z. B. die musikalische Entwick- 
lung der Worte „Du findest nur Bekanntes, das ihm gleicht“ 
in der Part. S. 177 — 179 nachliest, wird nicht umhin können, 
Hauseggers glückliche Hand in der Vertonung dieses Verses 
zu bewundern. Ueber alle Beschreibung ergreifend, weil 
innerlich berechtigt, wirkt hier der dynamischeTrug- 
schluß des Soprans auf der Silbe „ihm“ (Part. S. 179): 
vorher crescendo, jetzt plötzlich erschauerndes piano ! Psycho- 
logisch ebenso verständlich ist aber an derselben Stelle das 
Heranführen des Basses zu freudvoll-beglücktem fortel 
Während dieses jedoch im Verlaufe zweier Takte verklingt, 
steigert sich das piano des Soprans in dynamischer 
Gegenbewegung zu hinreißender Kraft, so daß das 
vorherige Zurücksinken dieser Stimme ins piano nach der 
ersten Steigerung gleichsam als Kräftesammeln zu einer 
zweiten mächtigeren Erhebung erscheint. Allgemein be- 
merken wir noch, daß die Stimmen nicht nur harmonisch, 
sondern in ausgedehntem Maße auch kontrapunk- 
tisch mit feinster Kunst geführt sind, so daß sich dem 
Hörer an solchen Stellen die Frage aufdrängt, ob der Kontra- 
punktiker in Hausegger den Harmoniker nicht vielleicht 
noch überragt. 

Alle Wirkungen werden glänzend zutage treten, wenn 
der Chor technisch auf der Höhe steht, aber auch genügend 
stark ist. Es ist ja doch eigentlich die Menschheit selbst, 
die den Ruf nach der Lösung des Rätsels der Natur erhebt! 
An sich müßte diese Chormusik auch in kleinerer Besetzung 
wirken; denn wahre Größe muß einem Werk selbst inne- 
wohnen, durch Vervielfachung der äußeren Mittel läßt sie 
sich nicht erreichen oder erhöhen. Jedoch ist für die Natur- 
symphonie an der Forderung eines starken Chores deswegen 


391 






festzuhalten, weil der Aufbau dieser Tondichtung ein Miß- 
verhältnis zwischen instrumentalen und vokalen Kräften 
gerade im abschließenden dritten Satze am allerwenigsten 
verträgt. 

Daß Hausegger das technische Rüstzeug der Instru- 
mentierung meisterlich handhabt, ist bei einem so 
sorglichen Stilisten selbstverständlich. Er erläutert den 
Text stets mit tauglichen Mitteln und verleiht auch den 
reinen Orchestersätzen eine charakteristisch abgetönte 
Sprache. Bewundernswert ist die motivgerechte 
Verwendung der Instrumente, die sich ihm aus der Rück- 
sichtnahme auf die Eigenart der einzelnen von selbst ergibt. 
Aus der Menge von Beispielen seien nur zweiherausgegriffen! 
Während im ersten Satze beim Beginn des Trios (Part. 
S. 35 ff.) die Streicher freudig vorherrschen, vollzieht sich 
allmählich (S. 43 ff.) eine Wandlung, die neben andern 
Zeichen an dem Hervortreten der Holzbläser kenntlich 
wird (Flöten im Verein mit Oboen und Klarinetten über dem 
Arpeggio der Harfen und dem /> /»-Tremolo der tiefgelegten 
Bratschen), so daß dem Wechsel der Stimmung der Farben- 
wechsel der Instrumentierung getreu entspricht. Ein 
anderes Beispiel: Im Anfänge des zweiten Satzes ertönt die 
gepreßte Klage der namentlich in hoher Lage angesetzten 
Fagotte über dem verschleierten Cw-Orgelpunkt der Kontra- 
bässe, und die so erzeugte Hohlwirkung des Klangbildes 
ist es, die neben der besonderen Melodik die Stimmung 
trauriger Einsamkeit in uns weckt. 

Daß sich Hausegger von den veralteten Einseitigkeiten der 
„obligaten“ Stimmführung freigehalten hat, braucht nicht 
erst betont zu werden; daß er aber bei der Herausarbeitung 
von Klangwirkungen das heute manchmal beliebte andere 
Extrem, me Zerstückelung eines Motivs unter allzuviele In- 
strumente, meist vermieden hat, sei hervorgehoben. Von 
grundlegender Bedeutung ist, daß man in der Natursymphonie 
bei allem Zauber des Orchesterklanges niemals das Gefühl 
hat, daß ein Klangeffekt um seiner selbst willen dasteht: 
trotz aller Ein dringlichkeit artet die Instrumentierung nie 
aus in V o r dringlichkeit. 

Legen wir endlich noch das Verhältnis der Natursymphonie 
zur Programmusik fest! Wer die äußersten Schö- 
pfungen dieser Art liebt, Werke, bei denen der Hörer, mit 
einem eingehenden Geleitsgedichte bewaffnet, dem Gang der 
Handlung folgt oder zu folgen sucht und sich kindlich freut, 
wenn er den Faden nicht verliert, oder bei denen nur der 
in der Partitur Mitlesende aus den beigeschriebenen An- 
merkungen wissen kann, was der Komponist gerade sagen 
will (so z. B. in Liszts „Idealen"), ein solcher Genießer wird 
in Hauseggers Symphonie viel zu viel absolute Musik finden. 
Wer andererseits ein unbelehrbarer Anhänger der reinen 
Musik ist, wird sich vielleicht von einem Werke abwenden, 
das erst einer Deutung zu bedürfen scheint. Und doch 
müßten sich auf einem so sehr mittwärts befindlichen Gebiete, 
wie dem der besprochenen Symphonie, auch gegensätzlich 
liegende ästhetische Gesichtskreise schneiden oder wenigstens 
berühren können! Ebenso wie unter seinen symphonischen 
Dichtungen der „Barbarossa“ muß die - Natursymphonie 
Hauseggers jener gemäßigten Richtung der Programmusik 
beigezahlt werden, die ihr Daseinsrecht schon lange erkämpft 
und erwiesen hat. Das will besagen: sie gehört innerhalb 
der von den Komponisten irgendwie und irgendwarum b e - 
reits gedeuteten Tonschöpfungen zu der zweifellos 
wohlberechtigten Gattung, bei welcher die mit- 
gegebene Deutung nicht in allen Einzelheiten zwischen 
Ereignissen der sichtbaren Welt und musikalischem Ge- 
schehen eine Parallele ziehen will. 

Wie aber der Komponist in der Zahl und Art seiner An- 
gaben in dem von ihm beigefügten „Programm“ eine gewisse 
Grenze nicht ungestraft überschreitet, so muß auch der 
Musikschriftsteller, der mit Deutungsversuchen an ein Kunst- 
werk ohne Programm oder an noch ungedeutete Teile eines 
Werkes herantritt, sich jener Grenze bewußt bleiben. Es 
liegt uns daran, im Hinblick auf unsere Deutung der rein 
musikalischen Teile der Natursymphonie hervorzuheben, daß 
wir im ersten Abschnitt unserer Studie (vergl. besonders 
S. 294/95) in der positiven Zusammenfassung über eine 
knappe Wiedergabe der in uns erweckten und von uns auf 
ihre Berechtigung hin nachgeprüften Empfindungen nicht 
hinausgegangen zu sein glauben. Sicher ist: nachdem die 
Natursymphonie in ihrem Schlußteil durch die Fingerzeige 
des Textes eine bestimmte Deutung erfährt, wird es immer 
locken, dem Sinn auch der vorausgehenden Teile näher zu 
kommen. 

Wenn Hausegger den drei Sätzen der Symphonie kurze 
Ueberschriften gegeben hätte, so wäre der Deutung weniger 
Spielraum gelassen. Wie stimmungklärend wirkt z. B. der 
Hinweis, den Mahler dem zweiten Satze seiner IV. Symphonie 
beigeschrieben hatte: „Freund Hein spielt auf !“ Gewiß kön- 
nen solche Hinweise auch unerwünschte Wirkungen haben, 
besonders wenn der Hörer sich daraufhin versucht fühlen 
sollte, an allem und jedem wichtigtuerisch herumzutüfteln; 
und Hauseggers Zurückhaltung in der Betitelung der einzelnen 


Sätze ist immerhin zu verstehen; auch Mahler hat den eben 
erwähnten Hinweis später gestrichen! Der Natursymphonie 
gegenüber läge allerdings eine solche Verirrung des Hörers 
nicht so nahe; denn sie enthält nirgends eine Tonmalerei im 
engeren Sinne und bewahrt trotz aller selbständigen Gestal- 
tung nach Möglichkeit die Formen der alten Symphonie. 

Es besteht kein Zweifel, daß die Natursymphonie rein 
musikalisch, d. h. allein ihrem Klangwert und Aufbau 
nach vollkommen zu befriedigen vermag und daß sie nicht 
erst durch ein Programm (in unserem Falle: Ueberschrift, 
Motto und Chortext) deutungsfähig und somit daseins- 
berechtigt wird. Ebenso gewiß ist jedoch, daß die Gedanken- 
welt, die bei dieser Tonschöpfung aus der Deutung des 
musikalischen Geschehens und aus dem Quellgrunde der bei- 
gezogenen Dichtung erwächst, die Wirkung noch ver- 
tieft. Wer eine solche Ueberschreitung des Rein-musikali- 
schen durch den Komponisten verwirft — und im geheimen 
tut das vielleicht mancher! — der müßte folgerichtig, von 
der Oper ganz zu schweigen, Lied, Kantate, Messe, Oratorium, 
er mußte Werke wie Mahlers VIII. und wegen de-* ähnlichen 
Ausmündens in eine Kantate besonders auch Beethovens IX. 
als Tonschöpfungen von getrübter Kunstreinheit ablehnen! 
Und doch stellt uns bei Werken von der Höhe der zuletzt 
Genannten der Dichter mehr die besonderen Er- 
scheinungsformen von Dingen der sichtbaren Welt 
oder auch von Eigenschaften, Tätigkeiten und Verhältnissen 
hin — im Texte von Beethovens IX. also die besondere Art 
einer Freude — , während die Musik die Idee dieser Er- 
scheinungen und Stimmungen, die dahinter und darüber 
hegt, allgemeiner und darum reiner wiedergibt. Wenn nun 
auch ein idealer Einklang der beiden Künste selten genug 
erzielt wird, so kann doch daraus gegen die Berechtigung 
der Verbindung der Musik mit einer Kunst- die sich anderer 
Ausdrucksmittel bedient, keine Waffe geschmiedet werden, 
solange bei dieser Verbindung — und in der Natursymphonie 
ist das der Fall ! — die Besonderheit jeder der beiden Schwester- 
künste unangetastet bleibt. 

Hauseggers Symphonie bedeutet uns neben einem fesselnden 
persönlichen Beke nntni s des Tondichters eine Offenbarung 
modernen künstlerischen Geistes überhaupt. Denn in dieser 
Komposition wird die Landschaft nicht mehr, wie noch in sym- 
phonischen Naturschilderungen der vorletz- 
ten Generation, von Nixen und Waldnymphen be- 
völkert, kein Berggeist erschreckt den Wanderer, kein blasen- 
der Triton vermittelt uns erst die Vorstellung der Meerflut; 
wir blicken nicht mehr durch die Kunstglaser gemachter 
Empfindungen in ein Kaleidoskop, dessen aus der Natur 
geborgte paar Formen und Farben als „die Natur“ aus- 

f egeben wurden! Siegmund v. Hausegger, der nach Wahr- 
en des Ausdrucks ringende, männliche Künstler, hat es ge- 
wagt, die Natur ohne derartige Staffage so, wie sie ihm 
wirklich erschien, zu schildern und zu werten. Und bei den 
augenblicklich oft etwas richtungslosen und weichlichen Stim- 
mungen in unserm Musikleben ist die energische 
Schönheit der Natursymphonie als Aeußerung eines 
tiefen und bestimmten Künstlerwillens freudig zu begrüßen. 


Herzog Georg II. von Sachsen- 
Meiningen f. 

S chon seit Wochen hat man das Unabänderliche kommen 
sehen. Der greise Fürst, dessen hohe Gestalt noch her- 
überragte aus großer, denkwürdiger Zeit, ist nicht mehr. 
Linderung seines in diesem Frühjahr heftiger als je auftreten- 
den Leidens erhoffend, begab sich der Herzog früher als sonst 
nach Bad Wildungen. Euer setzte der Tod seinem Leben, 
das im Sinne des Psal misten köstlich zu nennen ist, ein Ziel. 
Kam der Tod auch nicht unerwartet, so standen wir doch 
erschüttert, als auf dem Schlosse das Herzogsbanner auf Halb- 
mast stieg und die Glocken verkündeten, daß unser geliebter 
Landesvater nicht mehr unter den Lebenden weile. Mit ihm 
ist einer der hochbegabtesten, den Künsten und Wissenschaften 
ergebener Fürst aus dem Leben geschieden, ein gerechter und 
milder Herrscher, ein stets dem Fortschritt huldigender Fürst, 
ein Vater der Armen und Bedrückten ist gestörten. Ja, sie 
haben einen guten Mann begraben, uns aber war er mehr. 

An die Persönlichkeit des ehrwürdigen Herzogs Georg II. 
und an den Namen Meiningen knüpft sich ein eignes Kapitel 
der Kunstgeschichte. Es ist in aller Welt bekannt, welche 
Umwälzungen die reformatorischen Gedanken des Herzogs 
in der Bühnenwelt hervorriefen. War das Theater vor ihm 
nur Selbstzweck, so suchte er es von jetzt ab zu einem Er- 
ziehungsmittel des Volkes zu machen. Dazu mußte das 
Theater auf die höchste Stufe der Vollendung gehoben wer- 
den, weil damit der Kunstgenuß naturgemäß auch eine Steige- 


392 



rung erfahren mußte. T Die Dramen unserer Klassiker redeten 
eine gewaltige Sprache unter der Regie seines fürstlichen Lei- 
ters, dessen nie ermüdender Geist immer bessernd und ver- 
edelnd auf die Darstellung wirkte, dessen nie ruhende Hand 
immer neue Szenenbilder auf das Papier hinwarf. Er brauchte 
eigentlich keinen Spielleiter, aber in dem Intendanten Frei- 
herm von Stein, aber mehr noch in dem Direktor Ludwig 
Chronegk waren ihm Männer erstanden, die seinem hohen 
Geistesflug folgen und mit seltener Hingebung an der Aus- 
gestaltung und Verwirklichung der künstlerischen Gedanken 
des Herzogs mitarbeiten konnten. Das Charakteristische der 
Meininger Aufführungen bestand in der Massenwirkung, in 
dem Aufgehen des einzelnen, wenn auch noch so hervorragen- 
den Schauspielers in dem Ganzen, die Ausarbeitung selbst 
der kleinsten Statistenrolle zu einer künstlerischen Leistung. 
Als dann die Sterne am Meininger Himmel in die Welt hin- 
ausgingen, da wurde die Art der „Meininger“ zur Bühnen- 
kunst der Welt. 

Was der Herzog auf schauspielerischem Gebiete erreicht 
hatte, wollte er auch in der Musik zur Verwirklichung bringen: 
höchste Vollendung in der Vorführung der Musikstücke und 
damit verbunden höchsten Kunstgenuß. Klugerweise dachte 
er aber dabei nicht an die kostspielige 
Oper. Vorläufig blieb freilich alles 
noch beim alten, erst als seinerzeit 
der bekannte und gefeierte Pianist 
Hans von Bülow eine Kapelle suchte, 
die er zum Werkzeug seines Fühlens 
und Wollens zu machen gedachte, 
da griff der Herzog zu. Beide kamen 
sich ja in ihren Absichten entgegen. 

Hatte sich schon der Einfluß des 
Herzogs in den Konzerten vor Bü- 
lows Antritt bereits in der Aufstel- 
lung historischer Programme gezeigt, 
so verlegte der Herzog den Schwer- 
punkt der Orchesterkonzerte ganz 
und gar insofern, daß sie von jetzt 
ab öffentlich gegeben werden soll- 
ten; die Musik sollte also Gemeingut 
aller werden. Daß die Kapelle schon 
damals gute Leistungen aufgewiesen 
haben muß, geht aus der öfteren 
Anwesenheit Liszts und Wagners 
hervor. Liszt dirigierte öfters Werke 
von sich; Wagner erbat sich vom 
Herzog die Hofkapelle als Stamm- 
orchester für Bayreuth. Der Herzog 
willigte freudig ein, obwohl er da- 
mals noch nicht für Wagner einge- 
nommen war. Das Streichorchester 
und das Meininger Quartett wurde 
damals von dem Konzertmeister 
Fr. Fleischhauer geführt, dem der 
Herzog des öfteren seine Wertschät- 
zung zu erkennen gab. Im Jahre 1880 
wurde Bülow Hofkapellmeister, und 
nun begann für die Hofkapelle eine 
Zeit, in der auch sie wie das Hoftheater eine Mission zu 
erfüllen hatte. Die von ihm geübte hervorragende Aus- 
legung der klassischen Klavierwerke übertrug nun Meister 
Bulow auch auf die Orchesterwerke. Dazu konnte er sich in 
Meiningen Zeit gönnen, denn er hatte unter sich ein Orchester, 
das ganz unabhängig war und aus vortrefflichen Künstlern 
bestand. In dem Herzog erkannte Bülow bald einen enthusia- 
stischen Freund und Förderer klassischer Musik. In der ersten 
Zeit galt das Streben Bülows der Interpretation der Beet- 
hovenschen Symphonien, Ouvertüren und Konzerte, die bald 
als mustergültig angesprochen wurden. Es wird nicht allzu- 
bekannt sein, daß die Bülowschen Vortragsbezeichnungen für 
manches bedeutende Orchester vorbildlich und in die Summen 
eingetragen wurden. Der Herzog gab nunmehr seine Ein- 
willigung, daß Bülow seine Künstlerschar, mit der er bereits 
ein Herz und eine Seele geworden war, auf Kunstreisen führte. 
Sie hatten zur Folge, daß mit der hergebrachten Auffassung, 
daß es genüge, ein Kunstwerk technisch einwandfrei wieder- 
zugeben, allenthalben gebrochen wurde und eine durchgeistigte 
Auffassung des Kunstwerks an seine Stelle trat. 

In die Zeit Bülows fällt es, daß Johannes Brahms zum ersten 
Male den Boden Meiningens betrat und seitdem immer und 
oft ein gern gesehener Gast des Herzogs war. Viele Werke 
des Meisters erlebten hier ihre Uraufführung. Der Fürst war 
der Brahmsschen Muse sehr zugetan und verhalf dem auf- 
strebenden Genius in seinem Ringen um Anerkennung mit 
zum Siege. Bis zuletzt war der Herzog Protektor der deut- 
schen Brahms-Feste. Um Bülow teilweise zu entlasten und 
um ihm auch Gelegenheit zu geben, seine von ihm eingegangenen 
Verpflichtungen bez. privater Konzertreisen zu erfüllen, be- 
rief der Herzog im Jahre 1882 den Prof. Mannslaedt neben 
Bülow. Er dirigierte die Kapelle und trat auch ab Pianist 

. „ • 1 3! a . -1 — /Io R or non 



HERZOG GEORG II. VON SACHSEN-MEININGEN 1880. 


auf Anregung* des Herzogs {^gebildeten und j bis heute unter 
dem Protektorat der Prinzessin Marie Elisabeth von Sachsen- 
Meiningen, der kunstsinnigen Tochter des Herzogs, stehenden 
Singverein zur höchsten Blüte erhob. Mit ihm und der Hof- 
kapelle veranstaltete er größere Choraufführungen, wie die 
des „Deutschen Requiems“, das seit Bülows Zeit zum stän- 
digen Repertoire beider Meininger Institute gehört. Als Bülow 
seine Mission vollendet hatte, trat er 1885 von seinem Posten 
zurück, und Kapelldirektor Richard Strauß führte die Kapelle 
ein Jahr lang. 

Gewissermaßen als die Uebertragung'derVWahrheit von der 
Massenwirkung, die auf der Bühne mit so glücklichem Erfolge 
zur Anwendung gebracht wurde, müssen wir das Werk Fritz 
Steinbachs ansehen, der im Jahre 1886 berufen wurde, der 
Leiter der Kapelle zu werden. Er verstand es, ob es sich 
nun um Chor- oder Orchestermassen handelte, diese Massen 
fest zusammenzuschmieden und zu Triumphen zu führen. 
Die „Schöpfung“, die „Jahreszeiten“, den „Messias“, das 
Requiem von Brahms, „Judas Makkabäus“, die „Neunte“, 
das Requiem von Verdi, die Johannes- und die Matthäus- 
Passion, eine große Reihe Bachscher Kantaten, die Missa 
solemnis u. a. m. gelangten durch ihn meist in großen Chor- 
verbänden zur vollendeten Auffüh- 
rung. Die Chorvereine von Mei- 
ningen, Salzungen, Hildburghausen, 
Sonneberg und Saalfeld vereinigte 
er zu wirkungsvollen Massenchören 
in den unter dem Protektorate des 
Herzogs stehenden Landesmusik- 
festen. Im übrigen wandelte Stein- 
bach in den von Bülow vorgezeich- 
neten Bahnen. — Fast wollte es 
scheinen, als ob mit dem Weggang 
Steinbachs das Interesse des Her- 
zogs für die Veranstaltungen der 
Hofkapelle nachgelassen habe. 

Doch es schien nur so. Der Her- 
zog sah sich gezwungen, wegen eines 
immer hartnäckiger auftretenden 
Gehörleidens aller Teilnahme an den 
Konzerten zu entsagen, doch ge- 
stattete er dem als Hofkapellmeister 
berufenen Prof. Wilhelm Berger Kon- 
zertreisen auszuführen. Sie befestig- 
ten den guten Ruf der Kapelle. 
Welch hohes Interesse der Herzog 
noch in den letzten Jahren für die 
Musik hegte, geht aus der Berufung 
Max Regers zum Hofkapellmeister 
hervor. Welches Gefühl der Freude 
mag der fürstliche Gönner empfun- 
den haben, wenn ihm die Berichte 
der Zeitungen von den Konzertreisen 
sagten, daß der alte Glanz der Ka- 
pelle wieder erstrahle. Ja, sein Geist 
zwang noch einmal alle physischen 
Schmerzen nieder, als er dem ersten 
Weihnachtskonzert, das Reger diri- 
gierte, beiwohnte und den ganzen zweiten Teil des Konzerts, 
das von den Hiller- Variationen ausgefüllt wurde, anhörte und 
unaufhörlich beifallsfreudig an dem Hervorruf seines Hof- 
kapellmeisters sich beteiligte. 

Unser Bild von dem Wirken des Herzogs von Meiningen 
für die musikalische Kunst würde jedoch einseitig sein, 
wollten wir einen Zweig übergehen, in welchem der Segen 
seines Wirkens so recht zum Ausdruck gekommen ist. Es 
betrifft das Kirchenchorwesen unseres Herzogtums. 
Gelegentlich eines Besuches des damaligen Erbprinzen in der 
Stadtkirche zu Salzungen 1860 fiel diesem der schöne Gesang 
des von dem Lehrer und Kantor Bernhard Müller geleiteten 
gemischten Chors {Knaben und Männer) auf. Der Erbprinz 
befahl für den Herbst ein Konzert, das so gefiel, daß es auf 
Wunsch der hohen Herrschaften in der Stadtkirche zu Mei- 
ningen wiederholt werden mußte. Der künstlerische Erfolg 
war derartig, daß der Konzerttag als Gründungstag des 
Salzunger Kirchenchors angesehen wurde, der Erbprinz das 
Protektorat übernahm, Noten beschaffte, Mittel für die Unter- 
haltung des Chors bewilligte und dem Leiter alles Erdenk- 
liche zu seiner weiteren Ausbildung angedeihen ließ. Auf 
Wunsch des Erbprinzen unternahm der Chor Konzertreisen, 
sogar bis Frankfurt, Worms, Mannheim, Heilbronn und Stutt- 

t art, Nürnberg. Regensburg und Augsburg. Ueberall fanden 
ie Darbietungen glanzende Beurteilung. Bis zum Jahre 1883 
zählte der Chor in 48 Orten 133 Aufführungen. Der Salzunger 
Musterchor hatte die ihm vom Herzog zugewiesene Mission 
erfüllt. Im Meininger Lande entstanden an allen Orten Chöre 
in gleicher Zusammensetzung. Selbst über die Grenzen des 
Landes hinaus wirkte das Beispiel anregend zur intensiveren 
Pflege des Kirchengesanges. Von der tiefernsten Auffassung 
des Herzogs des kirchlichen Kunstgesangs legen zahlreiche 


tovor. befand darin, daß er den Briefe an früher beredtes Zeugnis &. In einkm der Briefe 


393 



lesen wir: „Mit allem, was Sie schreiben, bin ich einverstanden, 
nur damit nicht, daß man den Leuten während des Gottes- 
dienstes nicht nur im strengsten Stile Komponiertes vorführen 
dürfe, um auch die zu befriedigen, welche keine Kunstver- 
ständigen sind. Im Verfolg dieser Ansicht könnten wir es 
den Italienern von heute nachmachen, welche als Kirchen- 
musik nur Walzer, Galopps, frivole Lieder aus ihren Opern 
und Bravourstücke hören mögen. Es ist dies entsetzlich, 
jedoch nicht im entferntesten übertrieben. Diese greuliche 
Entartung ist nur daher gekommen, daß die Betreffenden 
dem Geschmack des Publikums immer nachgegeben haben, 
welcher eben immer tiefer gesunken ist. Ich glaube, daß die 
Kirche den strengsten Stil festhalten soll für ihre Musik.“ 
Die Kompositionen aus' der Blütezeit der klassischen latei- 
nischen Kirchenmusik waren ihm zusammen mit unseren deut- 
schen Meistern Eccard, Schütz, Bach, Handl u. a. ans Herz 

f ewachsen. Diese Liebe hat er bis in sein hohes Alter hinein 
er klassischen Kirchenmusik bewahrt. Auf des Herzogs 
Befehl mußte der Meininger Stadtkirchenchor bei der Ver- 
mählungsfeier des Großherzogs von Sachsen, die im Meininger 
Residenzschlosse im Jahre 1010 stattfand, nur lateinische 
Chöre von Baj, Palestrina und Lotti vortragen. So ist denn 
verständlich, daß dem Verstorbenen neben Badischen Weisen 
auch die alten strengen Tonsätze als letzte Scheidegrüße er- 
klangen, bei der Trauerfeier in der Stadtkirche vom Stadt- 
kirchenchor, an der Gruft von dem Salzunger Kirchenchor. 

Wohl war es Herzog Georg II. vergönnt gewesen, das neue 
Deutsche Rdch mit errichten zu hdfen, weitere politische 
Ziele aber hat ihm die Vorsehung nicht gewiesen. Er konnte 
deshalb seine ganze Kraft dem inneren Ausbau sdnes Landes 
widmen; und er hat es auch in nie erlahmender landesväter- 
licher Fürsorge getan in einer 48jährigen Regierungszeit, die 
für alle Stände, Kirche und Schule, Künste und Wissen- 
schaften Früchte gezdtigt hat, wie sie ein anderes Land von 
gldcher Größe nicht aufzuweisen hat. Daß er den Künsten 
eine Pflegestätte geschaffen hat, wo sie sich frei entfalten 
konnten, das müssen ihm alle Künstler und Kunstfreunde, 
die ganze Menschheit danken. Das Andenken dieses sdtenen 
kunstsinnigen Fürsten wird daher dn gesegnetes bleiben für 
alle Zeiten. H. L, Mngn. 


Musikpflege in Italien. 

Von Dr. jur. et phll. (mus.) H. R. FLEISCHMANN (Wien). 

I talien war, ist und bldbt das Land der Sehnsucht unserer 
Menschheit. Alljährlich wandern Tausende und Tausende 
den Apenninen zu, ein unersättlicher Menschenstrom ergießt 
sich über Stadt und Land und kaum gibt es einen Flecken Erde, 
den noch kein Fremder betreten hatte. Das hat seine Vor- 
tdle, aber auch seine Nachteile. Denn alle diese Menschen 
zieht im großen und ganzen nur ein Gedanke nach Italien 
und ein Trieb ist es, der jedermann ergreift, sobald er einmal 
die Grenze Italiens überschritten hat: das ist das Streben, 
möglichst viel Vergangenheit in sich aufzunehmen. 
Der Fremde sucht die Vergangenheit in den Museen, aber 
auch in den Bibliotheken, in den Schulen und Bildungsanstalten, 
auf der Straße, in den Gärten und Ländereien — und vergißt 
dabei zum großen und berechtigten Verdrusse der Italiener 
die Gegenwart, mißachtet das moderne Leben Italiens 
mit seiner aufblühenden Industrie, seiner hochstehenden 
Geldwirtschaft, seinem frei entwickelten öffentlichen Leben. 
Der Fremde, der mit seinen historischen Eindrücken heim- 
kehrt, bringt unrichtige und falsche Anschauungen mit nach 
Hause und nichts kann einem Lande verderblicher sein, als 
vom Auslande verkehrt beurteilt zu werden. Es wäre inter- 
essant und gewiß auch verlohnend, unsere Gedanken auf den 
mannigfachsten Gebieten menschlichen Lebens auszuführen, 
doch wollen wir uns hier, der fachlichen Richtung des Blattes 
entsprechend, aussdiließlich mit Musik und Musik- 
übung beschäftigen, hierbei allerdings die verschiedensten 
Zweige der Tonkunst berühren. 

|. Wir beginnen mit dem schaffenden Künstler, 
weil wir diesen als den Bannerträger aller Musik proklamieren, 
als das treibende Element, das jede Bewegung im musika- 
lischen Leben verursacht und dessen Werke, wie der grund- 
gelehrte Heinrich Schenker einmal sagt, jenen gewaltigen 
Geldumsatz auslösen, der dem Setzer, Drucker, Verleger, 
Dirigenten, Klavier-, Violinvirtuosen und sonstigen Instrumen- 
talisten, Sänger und Sängerin, Orchester mitgliedern , Opern- 
häusern, Chorvereinen, Berichterstattern, Lehrern, Konzert- 
bureaus, Schneidern usw. zugute kommt. Von den italieni- 
schen Komponisten hört man, wenn man natürlich 
von der Oper absieht, im Auslande, namentlich aber in Deutsch- 
land, herzlich wenig: man pflegt slawische, nordische, franzö- 
sische, ungarische — aber keine ltalienischeKonzert- 
m u s i k . Und doch gäbe es hier viele Namen zu nennen 


undSKünstler aufzuzählen, die^in T ihren~ehr liehen, wenn auch 
nicht immer erfolgreichen Bestrebungen unsere Aufmerksam- 
keit und Beachtung gewiß verdienen. Man kennt in Deutsch- 
land höchstens Altmeister Giovanni Sgambati, etwa auch 
Ferruceio Busoni, Ermanno Wolf-Ferrari und M. E. Bossi. 
Wo bleiben aber der in Paris lebende hochbedeutsame Alfredo 
Casella, der sich der besonderen Gunst Gustav Mahlers er- 
freuen konnte oder aber der insbesondere in letzter Zeit er- 
folgreiche Riccardo Pick - Mangiagalli ? Wir verweisen des 
weiteren auf Mezio Agostini, gegenwärtig Direktor des Liceo 
Civico von Venedig, dem die jung-italienische’ Musik eine 
ganze Reihe wertvoller Klavierstücke, Kammermusikwerke 
und Lieder verdankt; ferner der feinsinnige Edgardo Del Valle 
de Paz, am kgl. Musikinstitute in Florenz wirkend, der Kom- 
ponist einer von der Societä del Quartette di Milano preis- 
gekrönten Klaviersonate, der Autor zweier bei Augener ver- 
legter Orchestersuiten und vieler pädagogischer Werke; dann 
Giuseppe Ferrata (verlegt bei Ricordi, Schirmer und Fisher 
in New York), Giuseppe Frugatta (Werke in Ganzton-Skala!), 
L. E. Ferraria (rhythmische Uebungen nach Jaques-Dalcrozes 
Prinzipien !), Alessandro Longo (Klaviersonaten bei Fr. Kistner, 
Leipzig), Antonio Ricci- Signorini (je 2 Messen und symphonische 
Dichtungen, zahlreiche Lieder und Klavierstücke), Amilcare 
Zanella, Direktor des Liceo Rossini in Pesaro (Orchester- 
werke: „Vita“ und „Suite“, ferner „Canto eroico“ usw.); 
schließlich einer der modernsten italienischen Komponisten: 
Paolo Iitta, dessen Kompositionen ganz eigentümliche Ge- 
staltungen tragen und epochemachend scheinen, so „der 
Minne See“ für Eilavier und Violine, dessen einzelne Sätze 
nach Artur Smolian „ein erblühtes schwülharmonienduftiges 
Klanggebilde von gedanklich seltsamen zerfaserten Blatt- 
formen“ büden oder „die entschleierte Göttin“, ein esoterisches 
Tanzspiel für Klavier, Violine, Triangel und eine Tänzerin 
oder „der Tod Kleopatras“ für Sopran und. Orchester, sein 
jüngstes in der Universal-Edition erschienenes Werk. Unsere 
deutschen Pianisten seien insbesondere auf die hochstehende 
italienische Kla vier ( Salon )Musik aufmerksam gemacht, der 
wir in Deutschland nichts Gleichwertiges gegenwärtig an die 
Seite stellen können. Es sind duftige, sonnendurchwännte, 
formschöne Gebüde, in denen uns diese Musik dargereicht 
wird, welche größtenteils bei Carisch & Jänichen ihr Hege- 
plätzlein gefunden hat. 

Mit der Anerkennung ausübender italienischer Künstler 
im Auslande ist es, von den Opemgrößen abgesehen, nicht 
anders bestellt. So erinnern wir uns nicht, in deutschen 
Konzertsälen in letzter Zeit einem italienischen Instrumenta- 
listen außer Enrico Mainardi, dem jugendlich hervorragenden 
italienischen Cellisten und dem Geiger Arrigo Serato begegnet 
zu sein. Von der Sangwelt hat Ida Isori, die Florentiner 
Interpretin des Bel Canto beim deutschen Publikum Eingang 
gefunden. Gänzlich unbekannt sind hingegen noch in Deutsch- 
land Antonio Belletti (Orgel), Luigi Broglio (Cello), Mario 
Corti (Geige), Arturo Cuccon (Cello), Renzo Lorenzoni (Piano), 
Bernardino Molinari (Dirigent), Franco Tufari (Geige), Giulio 
Tartaglia (Mandoline) u. v. a. 

Unser nächstes Kapitel sei der italienischen Publizistik 
gewidmet. Eine Musikschriftstellerei etwa in dem Sinne, 
daß jede nur halbwegs ernst genommen sein wollende Tages- 
zeitung auch ihren fachlich ausgebildeten Musikreferenten 
hat, gibt es in Italien nicht. Die Leute, die in der Presse die 
spärlich genug erscheinenden Konzertberichte schreiben, ge- 
hören in der Regel ganz anderen Berufen an und genießen auch 
keinesfalls jene Wertschätzung und das Vertrauen, das im 
Auslande diesem Stande entgegengebracht wird. Eben mit 
Rücksicht darauf vermeidet es gewöhnlich der italienische 
Musikschriftsteller, die Tagespresse für seine Zwecke zu be- 
nützen, er findet seine Domäne eher in den zahlreichen hoch- 
stehenden Fachblättern, von denen die wichtigsten 
im nachstehenden genannt seien: die „Ri vista Musicale 

Italiana“, die erste und beste Fachzeitschrift Italiens, Organ 
der italienischen Musicologen, vierteljährig in einem statt- 
lichen Bande bei Fratelli Bocca in Turin erscheinend. Sie 
läßt sich am ehesten mit den Sammelbänden der Internationalen 
Musikgesellschaft oder mit der französischen „S. I. M.“ ver- 
gleichen, unterscheidet sich aber namentlich von ersteren in 
vorteilhafter Weise dadurch, daß sie auch zeitgenössisches 
Musikleben in hohem Maße berücksichtigt. Der Redaktions- 
kreis weist die besten Namen auf dem Gebiete der Musik- 
wissenschaft auf, darunter O. Chilesotti, V. Fedeli, J. Pizzetti, 
L. Torchi und F. Torrefranca. Mitarbeiter sind auch eine 
Reihe ausländischer Musikgelehrter wie Riemann, Adler, 
Pougin, Prod’homme, Brenet etc. Eine halbmonatlich 
herausgegebene Zeitschrift ist die in Florenz erscheinende 
„La Nuova Musica“, als deren Eigentümer und Chefredakteur 
der bereits einmal genannte E. Del Valle de Paz fungiert; 
ein ihm zur Seite stehendes Redaktionskomitee besteht aus 
den Schriftstellern Bonaventura, Pizzetti, Bastianelli, Bertini, 
Abate und Samuel. Diese bereits im 19. Jahrgange ihres 
Bestehens erscheinende Zeitschrift bringt nebst Aufsätzen 
belehrenden Inhaltes stets auch eine reiche Fülle von Nach- 
richten und Notizen über das allgemeine Musikgetriebe. Als 


394 


Wochenschrift erscheint, geleitet von dem vortrefflichen 
Raffaello de Rensis, in Rom die „Musica“, der etwa die Signale 
für die musikalische Welt zu vergleichen wären. Charakte- 
ristisch: Schnellster und zuverlässiger Nachrichtendienst, 

Fehlen gelehrter Abhandlungen oder historischer Beiträge. 
In Rossinis Heimat, in Pesaro, gibt der Direktor Andrea 
d’Angeli seit 18 Jahren mit unermüdlichem FleiJße die „Cronaca 
Musicale“ heraus, eine Fundgrube für jeden, der sich mit 
alter oder moderner italienischen Musik beschäftigen will, 
gleichzeitig grundgelehrt und äußerst anregend. Für die 
Bedürfnisse der Kirchenmusiker sorgt vornehmlich 
die bei Marcello Capra, Turin, erscheinende „Musica Sacra“, 
für mehr unterhaltende Lektüre Ricordis „Ars et labor“, 
über musikdramatische Vorgänge und Ereignisse informiert 
schließlich die „Illustrazione Teatrale“ in Mailand u. v. a. 

Die vorstehenden Zeilen bringen uns dazu, in einem weiteren 
Kapitel vom italienischen Musikverlag und Musik- 
han d e 1 im allgemeinen zu sprechen. Der italienische 
Musikverlag ist nicht zentralisiert, jedoch großzügig, 
von weittragenden Ideen geleitet. Der italienische Verleger 
ist gleichzeitig Sortimente-, Instrumentenhändler, Konzert- 
agent — kurz, er vertreibt alles, was mit Musik zusammen- 
hangt, geht mit seinen Waren auch in die Provinz und gründet 
in den kleinen Landstädten Zweigun temehmen seines Stamm- 
hauses. Ausschließlich dem Vertriebe und Verlage dienende 
Musikalienhandlungen gibt es im eigentlichen Sinne nur in 
Turin, wo Verleger wie Gustavo Gon, Marcello Capra, Luigi 
Perosino, Giuseppe d'Amato u. v. a. zeigen, welche Unter- 
nehmungen der rührige italienische Geschäftsgeist zu gründen 
und zu leiten vermag. Von bedeutenden Musikverlegem 
und -händlem in anderen Städten seien genannt: Lorenzo 
Sonzogno in Mailand, Guglielmo Zanibon m Padua, Ettore 
Brocco in Venedig, Francesco Bongiovanni in Bologna, Brizzi 
e Niccolai in Florenz, Verlagsanstalt „Musica“ in Rom und 
Raffaele Izzo in Neapel. Eine nicht genug hoch einzuschätzende 
Förderung hat jedoch die italienische Musik dem angesehenen 
Mailänder Hause Carisch & Jänichen zu danken. Nicht 
nur deshalb, weil es von Deutschen gegründet wurde und 

f eleitet wird, sondern vornehmlich, um der hohen Bedeutung 
ieses heute in Italien ohne Zweifel die erste Stelle ein- 
nehmenden Unternehmens, wenn wir von Ricordi als Opem- 
v erlag absehen, gerecht zu werden, wollen wir hier näher 
darauf eingehen. Das Haus wurde von Artur Jänichen und 
Adolf Carisch vor ungefähr 35 Jahren gegründet und führte 
10 Jahre nach der Gründung den Musikalienhandel ein; 
Vorstand und Direktor ist ebenfalls ein Deutscher namens 
Paul Schöne. Haben es sich früher Carisch & Jänichen 
angelegen sein lassen, gute deutsche Musik in Italien bekannt 
zu machen, so verfolgen sie jetzt den umgekehrten Weg: 
Carisch & Jänichen ist heute nach Ricordi der größte ita- 
lienische Musikverlag, der Verlagskatalog umfaßt mehr als 
13 000 Nummern und ist es eine der ersten Grundsätze des 
den Opernverlag gänzlich außer acht lassenden Unternehmens, 
moderne italienische Kammer- und Salonmusik, sowie ita- 
lienische Unterrichtswerke im Auslande zu propagieren. Von 
Komponisten, denen Carisch & Jänichen Aufnahme und 
Förderung gewähren, seien u. a. genannt: M. E. Bossi, Buon- 
amici, Frontini, Frugatta, Martucci, Mugellini, Ricd-Signorini, 
Tarenghi, Zanella. Bedenken wir, daß der Verlag auch die 
besten musiktheoretischen Werke in Italien herausgibt, so 
müssen wir sagen, daß hier von Deutschen wahre Kultur- 
arbeit geleistet , wird, deren eingehende Würdigung wir aller- 
dings anderen Fachblättem und Gelegenheiten Vorbehalten 
müssen, ebenso wie auch unsere Erfahrungen auf dem Ge- 
biete des Instrumentenhandels, sowie des In- 
strumenten- und namentlich Klavierbaus in Italien 
wohl hier nicht recht niedergelegt werden können. 

Es erübrigt jetzt nur noch, auf die Musikpflege der Italiener 
im allgemeinen einzugehen und namentlich die Stellung zu 
beleuchten, die das italienische Publikum deutscher 
Musik gegenüber einnimmt. Es ist vollständig unrichtig 
und entbehrt jeglicher Grundlage, wenn man, wie es leider 
so häufig geschieht, dabei nur Interesse für Opernmusik 
voraussetzt. Im Gegenteil! Wir haben wiederholt Konzerten 
von Pianisten, Kammermusikvereinigungen und Sängern bei- 
gewohnt und die Empfindung gehabt, daß selbst bei mittel- 
mäßiger Begabung der Künstler der Italiener ihnen seine 
ganze Aufmerksamkeit zuwendet und sich dort, wo etwa 
das Verständnis fehlte, Hochachtung vor dem Ausführenden 
und seiner Kunst einstellte. Auch in Italien sind unsere 
deutschen Klassiker das Um und Auf eines jeden Konzert- 
programmes. Zeitgenössische Musik deutschen Ur- 
sprungs ist in Italien nahezu unbekannt, Richard Strauß 
allerdings als Opemkomponist sehr geschätzt. Hervorzuheben 
ist auch das Interesse, das in jüngste Zeit speziell Arnold 
Schönberg entgegengebracht wird. Von Bruckner, Pfitzner, 
Reger, Wolf hört man in Italien nahezu gar nichts. Hier 
hieße es, von deutscher Seite aus einzugreifen, die 
Italiener durch deutsche Künstler auf deutsche Kunst auf- 
merksam zu machen. Ein deutsches Musikfest, 
etwa in Rom (Augusteum) oder Mailand (Scala-Theater) 


abgehalten, würde^im hohen Maße dazu beitragen, unsere 
zeitgenössischen deutschen Komponisten in Italien einzu- 
führen und gewiß wirksamste Anregung bieten, sich mit 
neuer deutscher Musik zu beschäftigen. Interesse hierfür auf 
Seite der Italiener ist ohne Zweifel vorhanden. 

Soweit, was die Musik in Italien anbelangt. Es konnte 
hierbei keinesfalls unsere Aufgabe sein, im einzelnen auf 
dieses oder jenes Gebiet musikalischer Betätigung einzugehen; 
ein solches bleibt vielmehr Spezial-Abhandlungen Vorbehalten. 
Was wir jedoch in trockenen Daten und Anführungen, wie 
es eben bei einem derartigen spröden Stoffe nicht anders 
möglich ist, dargelegt zu haben glauben, ergibt zur Genüge, 
daß italienische und deutsche Musik in vielen Richtungen 
nochnichtdierichtigenBerührungspunkte 
gefunden haben und daß es sich in beiderseitigem 
Interesse verlohnen dürfte, sich mit dieser Materie näher zu 
beschäftigen. Es ist durchweg nicht ausgeschlossen, daß 
diese Beschäftigung dem Verleger, Komponisten, reprodu- 
zierenden Künstler, Musikschriftsteller und Musikliebhaber 
seine Vorteile der einen oder anderen Art bringt und sollte 
das tatsächlich der Fall sein, so würde es uns den schönsten 
Lohn für unsere Zeilen bedeuten. 


Scheidemantels Don Juan-Uebersetzung 
in der Dresdner Hofoper. 

M ozarts unsterbliches Meisterwerk, die Oper aller Opern 
hat in der deutschen Spräche wonl die meisten 
Uebersetzungen der Originaldichtung Lorenzo da 
Pontes erfahren, von Neefe und Rochlitz über Grandauer, 
Viol, Wolzogen bis zu Levi und Scheidemantel. Fast jede 
deutsche Buhne nennt eine andere Uebersetzung ihr eigen. 
Es erschien daher als eine Art Notwendigkeit, daß der „deutsche 
Bühnenverein“ das Preisausschreiben erließ. Mozart kompo- 
nierte den Don Juan in lateinischer Sprache und nahm alle 
Vorteile dieses Idioms wahr, die hier den gesanglichen Glis- 
sando, Staccato- und Parlando- Vortrag ermöglichen. Nie- 
mand wird beispielsweise das Champagnerlied in der gleichen 
überschäumenden Leichtigkeit und in der vorgeschnebenen 
Presto-Vortragsart deutsch zu singen vermögen, wie es mit 
dem Finch’ an dal vino-Text gelingt. Das muß der Text- 
bearbeitung Karl Scheidemantels zugute gehalten werden, 
bezw. als unablässige Einschränkung gelten. Indessen darf 
man dem Dichter-Sänger nachsagen, daß er stets den Bühnen- 
sänger im Auge behielt, daß er auf dem goldenen Boden der 
Praxis steht, und vor allem den Text als einheitliches ge- 
schlossenes Ganzes gestaltet hat. Leider lag das Textbuch 
nicht im Druck vor. Nur Bruchstücke nebst Erläuterungen 
und Begründungen des Bearbeiters wurden bekannt. Scheide- 
mantel hat als oberstes Gesetz stets die leichte Sangbarkeit 
und Wortverständlichkeit berücksichtigt. Das erkennt man 
besonders an den Secco-Rezitativen und an den Ensemble- 
szenen, die erheblich an Eindruck gewonnen haben. Es wäre 
zu wünschen, daß er die alten Texte der beinahe volkstüm- 
lich gewordenen Arien als da sind: „Treibt der Champagner 
das Blut erst im Kreise, Horch auf den Klang der Zither, 
Wenn du fein fromm bist einfach, Reich mir die Hand mein 
Leben“ (! Red.) übernommen hätte anstatt an ihre Stelle Neues 
und doch nicht Besseres zu setzen. Die neue Bearbeitung 
nimmt ferner den seit Jahren gestrichenen Schluß mit dem 
Sextett wieder auf. Dadurch wird der Buffo-Einschlag, das 
drama giocose des Don Giovanni betont. Infolge dessen wird, 
so schön diese Musiknummer ist, das tragische Ende des 
Titelhelden, für den heutigen Geschmack, in der Wirkung 
entschieden beeinträchtigt. Wir haben es glücklich so weit 
gebracht, daß wir von der Oper nicht mehr verlangen, daß 
sie gut ausgehe, wie zu Webers Zeiten. Die Dresdner Neu- 
inszenierung benutzt das Proszenium für einzelne Arien und 
Ensemblesätze, ein Vorteil, der es gestattet, ohne Drehbühne 
die rückwärtige Szene rasch zu verändern. Die neuen Bühnen- 
bilder ergaben einen glänzenden, farbenfrohen Rahmen und 
die Kostüme im Stile des 17. Jahrhunderts zeigen den Prunk 
und die Ueppigkeit der Gemälde des Velasquez. Hand in 
Hand mit der sorgfältigen Inszenierung Oberregisseur Toller $ 
ging die musikalische Vorbereitung durch Hofkapellmeister 
Kutzschbach. Die königl. Kapelle bewährte ihren alten Ruf. 
Waldemar Staegemann sang die Titelrolle, der Künstler bot 
besonders darstellerisch eine Meisterleistung. Die Siems war 
eine großartige Donna Anna, die Seebe charakteristisch im 
Auseinanderhalten des Gefühls und des Keiftons, die Nast 
als liebreizende Zerline übertrafen sich selbst. Zu loben sind 
ferner Ermold als ausgezeichneter Leporello, Tauber als Ok- 
tavio, und Zottmayer als Komthur. Viele auswärtige Bühnen- 
leiter wohnten der Aufführung bei. PI. 


395 


Drittes Leipziger Bach-Fest. 

Am 4. bis 6. Juni 1914. 

D aß der Bach nicht der echte ist, den man meist in den 
Kirchen und Musikschulen im Lande herum und immer 
noch selten genug zu hören bekommt, sollte man schon 
daraus sehen, daß sich seine Interpreten auf die Ueberlieferung 
stützen, die durch Männer wie die beiden Rust, Doles, Hiller 
und die Berliner Schule gegangen ist, deren teilweis italienisch 
gefärbter blutarmer Rationalismus nicht imstande war, den 
Ausdruck der Kraft und Leidenschaft der Werke Sebastians 
zu vermitteln, die einer eben entschwundenen und sogleich 
belächelten Kulturepoche entsprossen waren. Nicht den 
Inhalt, nur Aeußerliches können wir noch von diesen Männern 
lernen, die Bach viel ferner standen als unsere Zeit. Daß 
unter den Organisten derjenige, der am entschiedensten mit 
dem alten Formalismus in der Wiedergabe der Orgelwerke 
gebrochen hat, der Leipziger Thomaskirchorganist K. Straube 
ist, war schon lange bekannt, daß sich Straube in zehnjähriger 
angestrengter künstlerischer Arbeit im Chor des Leipziger 
Bach-Vereins ein Instrument geschaffen hat, mit dem er die 
großen Vokalwerke Sebastians für unsere Zeit zu £ neuem, 
lebendigstem Leben zu erwecken vermag, ist zwar noch vor 
kurzem von Anhängern der alten Schule bestritten worden, 
kann aber nach dem dritten Leipziger Bach- Fest billigerweise 



Das Theater in I^uchstedt. 


kaum selbst von denen mehr geleugnet werden, die im einzelnen 
von Straubes Auffassung abweichen. 

Daß Bach auch als Kirchenkomponist nicht nur der kirch- 
lich gläubige Christ, sondern der ganze, geistige und 
sinnliche Mensch mit seinem Zorn, Stolz, seiner Kampfes- 
freude, seiner Verzweiflung, seiner irdischen und himmlischen 
Inbrunst ist, haben die zwei Chorkonzerte in der Thomas- 
kirche zu vollem Bewußtsein gebracht.. Das erste mit seinen 
teilweis seit Bachs Zeit nicht wieder erklungenen Kantaten, 
der jubelnden „Lobe den Herrn", der unruh voll beginnenden 
„Es ist nichts Gesundes“ und „Alles nur nach Gottes Willen", 
der kampf- und siegesfreudigen „Dazu ist erschienen“, das 
letzte mit der h moll-Messe, deren innere Zusammenhänge 
Straubes Wiedergabe eindringlich dar legte, freilich, schien 
es mir, in anderem Sinne als das Programmbuch beweisen 
will. Wie es gelang, den Chorälen der Kantaten bei subjek- 
tivster Schattierung, bei allen plötzlichen Temporückungen 
die monumentale Größe zu wahren, wie ohne alle Künstelei 
die innerste Seele jeder Kantate sprach, war nichts als be- 
wundernswert. Die einzigartige virtuose Koloratur des Bach- 
Vereinschores stand auf der gleichen Höhe wie die Tonschönheit 
der erschütternd gesungenen Qui tollis, Et incarnatus, Cruci- 
fixus. Daneben hat Straube den Mut, seinem Chore alle falsche 
konventionelle Mäßigung der Gefühlsausbriiche, alles kirchliche 
Pathos abzugewöhnen und die Freuden- und Kampf chöre 
mit der irdischen Lust singen und wenn es sein muß ekstatisch 
rasen zu lassen, deren Aufrichtigkeit allein vor der Heiligkeit 
Gottes bestehen kann. 

Der Instrumentalkörper wurde vom Gewandhausorchester 
gestellt, das unter den Bläsern und Streichern über aus- 

f e zeichnete Solisten verfügte. Von den Gesangskünstlem 
ieser 2 Konzerte übertraf Fanni Leisner (Alt) an Tiefe der 
Empfindung ihre Partner Frau Stronck-Kappel (Sopran), 
Dr. Rosenthal, dessen weicher Baß nicht allen Anforderungen 
gerecht wurde, und Dr. Römer, der in den Rezitativen und im 
letzten Duett von „Herkules am Scheidewege“ weit glück- 

39 6 


licher war als in den Tenorarien der Kirchenkonzerte. In 
einem 3. Kirchenkonzert, das außer einigen Gesängen (Leisner) 
nur Orgelkompositionen brachte, spielte Domorganist Zorn 
aus Braunschweig an Stelle des überbürdeten Prof. Straube 
Choralvariationen, Präludien, Fugen und Passacaglia, an dem- 
selben Tag noch Organist Fest (Leipzig) in der Thomaner- 
motette Choralbear bedungen und f moll-Fuge. Einen dritten 
Orgelkünstler hatte man schon am Tag vorher im Kammer- 
konzert im Gewandhaus in dem jugendlichen G. Morvaren 
kennen gelernt, der die 5. Orgelsonate technisch klar und 
poesievofl registriert vortrug. 

Auch die zwei Gewandhauskonzerte leitete Straube. Im 
ersten führte Straube nach dem Orgelvortrag Morvarens mit 
dem Gewandhausorchester das festliche erste Brandenburgisehe 
Konzert auf, ganz verinnerlicht vor allem den 2. Satz. Gerade 
vor der Instrumentation dieses Konzertes konnte dem Hörenden 
die Richtigkeit der Straubeschen Registrierkunst klar werden, 
von deren Art Morvaren eben eine Probe gegeben hatte. Dann 
sang Frl. Forstel (Wien) die Hochzeitskantate „Weichet nur 
betrübte Schatten“, deren Naturromantik und Land- und 
Tanzlust die ganze Romantik vorausahnen; es folgte das in 
der durchbrochenen Arbeit der Instrumentation und in- 
haltlich an Beethoven gemahnende a moll-Konzert {Pembaur : 
Klavier, Konzertmeister Wollgandt : Violine, Schwedler : Flöte) 
und das Dramma per Musica „Herkules auf dem Scheide- 
wege“, das durch einige Striche an Schlagkraft gewann. Die 
Rokokomusik des Chores wurde überraschend leicht ge- 
sungen, unter den Solonummem gehört wohl das Duett „Ich 
bin Deine, Du bist meine“ zu den wärmsten, innerlichsten 
Liebesgesängen, die je erfunden worden sind. Das drei- 
stündige Konzert ermüdete nicht im geringsten. Das zweite 
Kammerkonzert enthielt die vollendet wiedergegebene h moll- 
Suite, in der Schwedlers Flötenkunst triumphierte, die dritte 
Suite für Solocello (Klengel), die Solokantaten „Ich habe 
genug“ (Rosenthal) und „Jauchzet Gott“ (Stronck-Kappel), 
die a C dur Solosonate für Violine (Busch) und die A dur-Sonate 
füri.Klavier und Violine (Reger und Busch), sowie 4 Präludien 
und Fugen aus dem 2. Teil des Wohltemperierten Klaviers 
(Reger). Regers ganz persönliches Spiel und Büschs blühender 
Geigenton und ausdrucksvolle Technik erregten gleiche Be- 
geisterung. 

Am Schlüsse feierte man Straube, dessen Riesenausdauer 
und die Kompositionen durchglühende Gestaltungskraft in 
einem glücklich gewählten Programme alle Seiten Bachs 
glanzvoll zur Geltung gebracht hatte unterstützt vom Ge- 
wandhausorchester, dem Bach- Vereinschor, den genannten 
Solisten und dem unermüdlichen diskreten Cembalisten 
Hermann Mayer. 

Es ist wohl am Platze, zu dem Programmbuch, das Dr. 
A . Heuß verfaßt hat, einige Anmerkungen zu machen. Es 
ist gewiß verdienstlich, das Publikum zum Nachdenken und 
zur Erfassung der Persönlichkeit anzuregen, die sich in einer 
Komposition ausspricht, und in einem Teil derfErläu terungen 
ist das Heuß sicher gelungen. Ichmöchte aber doch vor einem 
Irrweg warnen, auf den mir ein anderer, fast größerer Teil 
der Heußschen Ausführungen zu leiten scheint, das ist der 
häufige Mangel formaler Erklärung und die übermäßige 
Hochachtung vor Begriffen öder Ideen, die der Künstler 
dargestellt haben soll. Es erscheint mir unbedingt 
nötig, dem Leser kurz Wort und Satz der musikalischen 
Rede klar zu machen, nicht um der Form willen, sondern um 
ihm das Erleben des Inhalts zu erleichtern. So war leider nur 
zu häufig zu beobachten, daß die Hörer während der Auf- 
führung die Phüosophien des Programmbuchs studierten und 
hinterher wohl Herrn Dr. Heuß, aber nicht Sebastian Bach 
verstanden hatten, sich aber, geblendet durch die Menge 
der»Heußschen Ideen, einbildeten, das Kunstwerk wirklich 
erlebt zu haben. 

Zweitens: die Ueberschätzung von Begriffen! Es verrät 
einen Mangel an Hochachtimg vor dem künstlerischen Trieb- 
leben, dessen Folgerichtigkeit man mit Worten logisch freilich 
nicht immer beweisen kann, eine Geringschätzung des. Ge- 
fühls, einen verhüllten Rationalismus, wenn man mit Begriffen 
wie Gegensatz zwischen Griechentum und Christentum an 
H dur-Präludium und Fuge des Wohltemperierten Klaviers (II). 
herantritt, nicht etwa zur kurzen, übrigens verfehlten Charakte- 
risierung, sondern auf der Behauptung, Bach habe das „zur 
Darstellung gebracht“. Noch gefährlicher sind die Aus- 
führungen zur hohen Messe, weil Heuß geradezu behauptet, 
daß der Ideengang, den er ihr zugrunde legt, auch der Bachs 
gewesen sei, ohne dessen verstandesmäßige Kenntnis man 
die Messe nicht als Ganzes begreifen könne. Abgesehen von 
dem Verkennen ursprünglichen Schaffens, das sich in Worten 
äußert wie „das Motiv, dieser Satz bedeute t“, „der Ge- 
danke wird dargestellt“, dreht Heuß geradezu das Verhältnis 
von Form und Inhalt um, wenn er im Erkennen der angeb- 
lichen Idee das Erfassen des Inhalts sieht. Denn ein Ge- 
danke kann wohl die Gruppierung der Soli und Chöre u. ä. 
bestimmen, aber wenn ich den Grund dieser Form nur durch 
logische Konstruktionen, nicht durch gefühlsmäßiges Erleben 
finden kann, so erkenne ich eben nur etwas Aeußerliches, 



Die' Orpheus-Inszenierung in. LauchstedtJFurienchor, Orpheus: Emst- Possony.) 


nicht Wesen und Gehalt. Uebrigens sind die äußeren philo- 
logischen und die inneren Beweise Heußens für die Richtig- 
keit seiner Anschauung keineswegs zwingend, ja aus S. 88/89 
des Programmbuchs könnte man seine „philologischen“ Be- 
weise mit seinen eigenen Ideen widerlegen (Erklärung der 
Parodien). Aber auch die inneren Beweise halten nicht Stand 
und ich bedaure nur, aus Platzmangel meine Behauptung 
nicht beweisen zu können, um schlichter das Wesen der h moll- 
Messe zu kennzeichnen. Mit diesen Bemerkungen will ich 
natürlich nicht Heußens Verdienste um die Bach-Erklärung 
— - ein garstiges Wort — angreifen, sondern nur auf eine be- 
denkliche Seite hingewiesen haben. 

Schließlich muß das Kunstwerk Bachs selbst am deut- 
lichsten für sich sprechen, und wo hat es das dringender getan 
als zum dritten leipziger Bach-Fest ? Dr. Martin Faick. 


Die Lauchstedter Festspiele. 

Glucks „Orpheus und Eurydike“. 

W ir leben im Gluck-Tahre! Bei der vollkommenen 
Vernachlässigung Glucks durch unsere Theater 
können nur ganz wenige von sich sagen, ein wirkliches 
inneres Verhältnis zu diesem Meister zu haben. Für die Art 
und Bedeutung seines tragischen Stils muß erst wieder Liebe 
und Vers tändni s geweckt werden; eine verlorene, wahrhaft 
große Kunst muß von neuem belebt werden. Es lag darum 
ür den Lauchstedter Theaterverein und seine künstlerischen 
Berater nahe, gerade in diesem Jahre des Opernreformators 
zu gedenken. Indem man den „Orpheus“ aufs Programm 
setzte, hatte man wohl eine der adeligsten und erhebendsten 
Schöpfungen Glucks, doch nicht seine bedeutendste Leistung 
gewählt. Als erstes Reformwerk bricht der „Orpheus“ noch 
nicht völlig mit der älteren italienischen bezw. französischen 
Oper, vertritt er noch nicht den tragischen Stil in höchster 
Reinheit und Kraft. Es ist hier namentlich an die allegorische 
Rolle des Eros und an den undramatischen, ganz außerhalb 
des tragischen Problems liegenden Schluß zu erinnern, der 
überdies auch musikalisch abfällt. 

Die Lauchstedter Aufführung bedeutete über die Erfüllung 
einer bloßen Anstandspflicht hinaus ein künstlerisches Er- 
eignis. Einerseits durch die Art der Bearbeitung — daß 
man nämlich den „Orpheus“ in einer von der landläufigen 
Bühnenpraxis erheblich abweichenden, auf die italienische 
Originalfassung von 1762 zurückgreifenden Form kennen 
lernte — andererseits aber auch durch die außergewöhnlich 
sorgfältige, den dramatischen Kern in allen Teilen wirkungs- 
voll herausschälende Wiedergabe. Die Bearbeitung von Prof. 
Dr. Hermann Abert (von der Universität Halle a. S.) legt das 
Hauptgewicht auf die Wiederherstellung des Gluckschen 
Orchesterkolorites durch Hinzunahme des Cembaloklanges, 
sowie auf eine Neuübersetzung des italienischen Textes. Beide 
Aufgaben sind glücklich und geschickt gelöst. Sodann über- 
trug Prof. Abert aus natürlichem Empfinden und drama- 
tischen Erwägungen heraus die Oipheus-Partie einem Bariton, 
wobei sich, weil me ursprüngliche Fassung für Alt ist, keinerlei 
Umschreibung nötig machte. Der Versuch, der in Lauch- 
stedt in Anlehnung an ähnliche Fälle bei Händel zum ersten 
Male gewagt wurde, ist als gelungen anzusehen. Freilich muß 
man bei dem Experiment auf die gerade dem Alt eigenen 
Registermischungen verzichten und infolge der neuentstehen- 
den Intervallbeziehungen einige seltsam-ungewohnte Klang- 
wirkungen in Kauf nehmen. Von den'.: langen *; Ballett- 
sätzen vor dem Chorfinale des letzten , Aufzuges v_sah die 


Aufführung mit Recht ab. Schmerzlich vermißte man 
indes in der Szene „Gefilde der Seligen“ die Eurydike- 
Arie mit Chor „Diese Auen sind seligem Frieden geweiht“, 
ein musikalisches Juwel von wunderbar weicher Stim- 
mung und wonnigem Ausdruck. Es handelt sich damit 
offenbar um ein für die Pariser Aufführung hinzukomponiertes 
Stück, das im Wiener Original nicht enthalten ist. Ob Aberts 
Bearbeitung für die künftigen „Orpheus“-Aufführungen unserer 
Bühnen grundlegende Bedeutung bekommen wird, das wird 
die Zeit lehren. Eine bestimmte Meinung darüber erscheint 
zum mindesten verfrüht 1 . 

Leben und Gestalt gewann die Partitur in erster Linie 
durch Kapellmeister Hermann Hans Wetzler. Die Verhält- 
nisse gestatteten ihm. seine Intentionen bis in die geringsten 
Einzelheiten hinein durchzusetzen . Von feinstem Stilempfinden 
und vollendetem musikalischem Geschmack geleitet, hat er 
das Werk dynamisch und agogisch bezeichnet, die Phrasierung 
sinngemäß eingerichtet und die Stricharten festgesetzt. Mit 
echter Begeisterung griff er den Stoff an und vermittelte so 
Eindrücke, die nachhalten werden. Die wirkungsvolle Heraus- 
arbeitung der orchesterbegleiteten Rezitative erheischt hier 
besondere Hervorhebung. Wenn die Lauchstedter „Orpheus“- 
Aufführung den Charakter eines Gluck-Festspieles trug, 
Kapellmeister Wetzler darf gewiß das Hauptveraienst daran 
für sich in Anspruch nehmen. Das Stadttheater-Orchester 
aus Halle {22 Musiker) spielte ganz im Sinne des Dirigenten 
und entfaltete gleicherweise Ausdruck wie Tonschönheit. Der 
Chor, aus Damen der Gesellschaft und Studenten bestehend, 
beherrschte seine Aufgaben technisch und musikalisch aus- 
gezeichnet; die Furienchöre des zweiten Aufzuges kamen 
realistisch-effektvoll heraus. Mit den Solisten hatte der 
Lauchstedter Theaterverein durchweg Glück. Emst Possony 
(Leipzig), ein höchst intelligenter Sänger und Darsteller, gab 
den Orpheus, Elfriede Goette (Berlin), in der Erscheinung 
ideal schön und mit wundervoll leicht fließender, glocken- 
reiner Stimme begabt, verkörperte die Eurydike, Grete Merrem 
(Dresden) sang den Eros mit frischem Organ und zartem 
Ausdruck. Bei der Regie lernte man in Dr. Ernst Lert (Leipzig) 
einen hochinteressanten Künstler kennen. Die Orpheus-Musik 
erschien in den auf der Bühne verwirklichten Gedanken ins 
Szenische übersetzt. Ueberraschend schnell gelang Dr. Lert 
gleich in der ersten Szene die Einstimmung des Zuschauers 
in die Glucksche Kunst. In den Bewegungen und Gesten 
der einzelnen während der Pantomime lag Sinn und Stil. 
Weniger glückte vielleicht in dieser Beziehung der Reigen 
der seligen Geister (2. Aufzug), mit dem seinerzeit ja Hellerau 
(J. Dalcroze) so wundervolle Wirkungen erzielt haben soll. 


1 Anm. der Red. Eine bestimmte Meinung scheint uns 
durchaus nicht verfrüht, und zwar eine absolut und deutlich 
ablehnende. Die Baritonidee des Hallenser Musikgelehrten 
ist so unglücklich, daß man darüber weinen könnte. Ein be- 
kannter Sänger äußerte zutreffend: „Damit hat man dem 
Stück das Herz aus dem Leibe gerissen!“ Jenes Undefinier- 
bare der Frauengestalt (siehe dagegen auf untenstehendem 
Bilde den Bariton!), der Frauenstimme ist zerstört, die 
„Seele“ entflohen. Dr. Leopold Schmidt schreibt im „Ber- 
liner Tageblatt“: „Die Bearbeitung überträgt den Orpheus 
einem Bariton. Dadurch vermeidet sie zwar jede Aenderung 
der Tonarten, entkleidet aber die Parlie völlig ihres musika- 
lischen Charakters und jeder Wirkungskraft. In all den Stellen, 
in denen der Alt seinen Glanz und höchste Ausdrucksfähigkeit 
entwickeln kann, versagt der Bariton; die Transposition um 
eine Oktave (!) stört nicht nur das Verhältnis zwischen 
Singstimme und Begleitung, sondern auch (im Duett mit 
Eurydike) der Singstimmen untereinander. Der Versuch 
ist so unglücklich, daß man nicht versteht, wie 
er überhaupt unternommen werden konnte. 



Zur. Orpheus-Inszenierung in Lauchs tedt, 


397 


Ein ungemein charakteristisches Bild bot in Lauchs tedt so- 
dann aber der Furienchor; zu Anfang das schaurige Anlaufen 
der Schatten gegen den eindringenden Orpheus und dann — 
als des Sängers Töne das „Gemenge des Höllenschlundes“ 
umgestimmt haben — das scheue Zurückweichen. Dazu 
eine äußerst glückliche Ausnutzung der räumlichen Verhält- 
nisse und eine raffiniert ausgeklügelte Beleuchtung. Mit 
dem Licht überhaupt wußte Dr. Lert, von einigen unmoti- 
vierten „Effekten“ abgesehen, glänzend umzugehen. Alles 
Dekorative entsprach un großen ganzen dem (Seist der Tra- 
gödie. Kunstmaler Otto Fischer (Halle) entwarf die Kostüme 
und Dekorationen und zeigte namentlich bei ersteren eine 
glückliche Hand und persönlichen Geschmack. An kleinen 
Stilwidrigkeiten, wie sie mancher wohl gefunden haben mag, 
soll nicht herumgenörgelt werden. 

Jedenfalls hat der Lauchs tedter Theater verein auch im 
Gluekjahre seine Mission nach besten Kräften erfüllt. Die 
Generalprobe und die drei Aufführungen waren lange vorher 
aus verkauft und wurden von einem gewählten Publikum, 
unter dem die Künstler- und Gelehrtenwelt stark vertreten 
war, besucht. Gewiß das sicherste Zeichen, daß man die 
Bestrebungen des Vereins zu würdigen weiß. 

Paul Klanert (Halle a. S.). 


90. Niederrheinisches Musikfest. 

Düsseldorf, Pfingsten 1914. 

W ie viele und stichhaltige Einwendungen man auch 
gegen die mangelnde Berechtigung und Unzeitgemäß- 
heit der Musikfeste herkömmlichen Stils, zu denen 
auch die Niederrheinischen gehören, machen kann, so wird 
man, wenn eine solche Ziffer zu Beginn steht und eine Tra- 
dition von neun Dezennien im Hintergrund steht, sowie wenn 
ein derartig hohes Niveau erreicht wird, wie dies hier an den 
drei Pfingsttagen erreicht worden ist, doch einigermaßen ver- 
söhnt. Daß diese ragende Höhe erreicht wurde, das ist das 
hohe Verdienst des das Düsseldorfer Musikleben durchaus be- 
herrschenden städtischen Musikdirektors Prof. Karl Panzner. 
Seine impulsive und vielseitige Dirigentenpersönlichkeit war 
Seele und Mittelpunkt des wahrhaften musikalischen Festes 
so sehr, daß er alles überlichtete und unter die zwingende 
Macht seiner Musikseele bannte. Das Programm zeigte wie 
gewohnt das vornehmlich nach rückwärts gewandte Gesicht 
und wäre gewiß kürzer und einheitlicher ausgefallen, wenn 
man Panzner freie Hand gelassen hätte. Unnötig waren die 
in den letzten Jahren öfter gehörte. G dur-Symphonie No. 13 
Haydns, die im Rahmen des Musikfestes unangebrachten vier 
bekannten Brahms- Lieder mit .Klavierbegleitung und das 
Bruchstück aus dem letzten Akt der Meistersinger, der Ver- 
legenheitsschluß so vieler Musikfeste, mochte man auch 
den Chor dabei einmal größer und besser hören als im 
Theater. 

Den Höhepunkt des Festes bildete der erste Tag. Nur zwei 
Werke, aber diese vollendet in jeder Hinsicht. Die Auffüh- 
rung von Verdis Requiem bedeutete so die ergreifendste Verdi- 
Ehrung im Verdi-Jubiläumsjahr. Der 653 Personen umfassende 
Chor löste seine Aufgabe ebenso begeistert, wie das 123 Mann 
starke Orchester und die Solisten (die Damen Noordewier- 
Reddingius, Hoffmann-OnSgin (eine wundervolle Altistin, zu 
deren Besitz ich meinem lieben Stuttgart gratuliere), die Herren 
Alexander Kirchner und Dr. Felix von Kraus) waren gut zu 
einander abgestimmt und sangen prächtig. Eine Großtat 
Panzners war die aufreizend großartige Vorführung von Tschai- 
kowskys pathetischer Symphonie. Außer vielleicht Nikisch 
wüßte ich keinen Dirigenten, der in diesem Werk Gleiches 
vermöchte. — Am zweiten Tag hoben sich zwei wundervolle 
Chorleistungen leuchtmd heraus: die selten gebrachte, wirk- 
lich festlich pompöse Krönungshymne „Zadock der Priester" 
von Händel und die imposante Bach-Kantate „Nun ist das 
Heü und die Kraft“. Dann spielte Frau Elly Ney das B dur- 
Klavierkonzert von Brahms mit Rasse und Leidenschaftlich- 
keit und bedeutender, allerdings hier und da noch ungeklärter 
Kraft; am besten den Finalsatz. Am Schluß stand Beet- 
hovens „Eroica“, mit dem rechten Brio und großem Atem 
von Panzner monumental hingestellt. 

Der letzte Tag brachte das bim teste Programm. Zuerst die 
Haydn-Symphonie, dann Beethovens Violinkonzert, sehr gut, 
nur im ersten Satz etwas unruhig gespielt von Hubermann, 
darauf Bruckners eminent schwerer und wenig dankbarer 
150. Psalm, weiter Regers etwas elegisch abgestimmte, nicht 
allzu originelle, immerhin wirkungsvolle BaUettsuite für Or- 
chester op. 130. dann Richard Straußens geistre.che und ülier- 
sprudelnae Burleske für Klavier und Orchester, von Elly Ney 
zündend gespielt und zu guter Letzt wie gesagt die Meister- 
singer-Schlußszene, bei der als Sachs Tillmann Lissewski von 
Köm eingesprungen war, der jedenfalls Besonderes, Musik- 

398 


festliches nicht zu geben hatte, und Löltgen als Walther ent- 
täuschte. Der Chor war glanzvoll. Um mit dem Namen, 
mit dem ich begonnen, aufzuhören, so wurde Panzner für 
seine exorbitanten Leistungen auch in einer Weise gefeiert, 
die hier wohl kaum je dagewesen ist. Eugen Honold. 


15. Schweizerisches Tonkünstlerfest. 

Bern, 27. und 28. Juni. 

I m Gegensatz zu früheren Jahresfesten, deren Konzert- 
programme sich in der Hauptsache aus neuen Schöpfungen 
der Mitglieder des Schweizerischen Tonkünstlervereins zu- 
sammensetzten, zog man für die diesjährige „Schweizerisch 
nationale Musikschau“ in der großen Festhalle der Schwei- 
zerischen Landesausstellung vorwiegend bewährte Namen mit 
Werken heran, die ihre Feuerprobe schon gelegentlich früherer 
Feste oder in Konzertsälen während der letzten Jahre be- 
standen haben. 

Das erste der vier Konzerte am Samstagnachmittag wurde 
durch einen a capella-Doppelchor: „Der 117. Psalm“ (op. 12) 
von Otto Barblan (Genf), eine vornehm empfundene una sorg- 
fältig gesetzte Komposition, eingeleitet. Fritz Niggli (Zürich), 
Walter Courvoisier (München) und Carl Munzinger f (Bern) 
waren mit Liedern für eine Singstimme und Klavier vertreten, 
unter denen die Kompositionen Barblans — von Frau Klara 
Wirz-Wyß tonschön und ausdrucksvoll gesungen — an musi- 
kalischem Werte am höchsten standen. In den Gesängen 
Courvoisiers, denen Maria Philippi die denkbar beste Inter- 
pretin war, schien mir vieles mehr gesucht als empfunden. 
Von Emil R. Blanchet (Lausanne) hörte man drei fleißig 
gearbeitete Klavierstücke und von Emil Frey (Moskau) die 
etwas prätentiöse „Sonata dramatica“ in dmoll (op. 27). 
Den Höhepunkt des Konzerts bildete dessen Schlußwerk: die 
ausgezeichneten Quartette nach Texten aus Goethes „West- 
östlichem Divan“ für vier Solostimmen und vierhändige 
Klavierbegleitung von Hans Huber mit Elsa Homburger 
(Sopran), Maria Philippi (Alt), Alfred Flury (Tenor), Paul 
Böpple (Baß) und am Klavier der Komponist und Emst 
Levy (Basel) als Ausführenden. 

* Der Samstagabend brachte das große Orchesterkonzert, 
dem Friedrich Hegars prächtige Festouvertüre ein schwung- 
voller Auftakt war. Prof Henri Marteau (Berlin) spielte 
das 1. Konzert (cmoll) für Violine und Orchester von Emil 
T aques-Dalcroze (Dresden-Hellerau) mit allen Vorzügen seiner 
bedeutenden Ktinstlerschaft. Pierre Maurice (München) 
steuerte dem Programm seine poesievollen Stimmungsbilder 
„Der Islandfischer“ nach Pierre Lotis gleichnamigem Roman 
bei, von Gustave Doret (Paris) hörte man die mit großer Stim- 
mungstiefe und reichem technischem Können geschaffene 
Gesangsszene für eine Altstimme (Maria Philippi) und Orchester, 
und Hans Huber beschloß auch dieses Konzert mit seiner in 
Erfindung, Empfinden und technischer Arbeit bedeutenden 
e moll- Symphonie (op. 1 1 5), der sogenannten „Böcklin- 
Symphonie“. 

j Das Sonntagvormittagskonzert galt der Kammermusik mit 
einem vom Quartett der Bemischen Musikgesellschaft, den 
Herren Brun, Tromp, Cousin und Renaud, in ausgezeichneter 
Weise zu Gehör gebrachten Streichquartett No. 2 in Ddur 
von Alexandre Deniriaz (Lausanne), dem fein gearbeiteten 
zweiten Trio für Klavier, Violine und Violoncello (op. 14) 
von Volkmar Andreae (Zürich) (von W. de Boer, Fritz Reitz 
und dem Komponisten vorzüglich gespielt) und dem inter- 
essanten Streichquartett No. 2 in cis moll von Hermann 
Suter (Basel), dem die Aufführung durch das Basler Streich- 
quartett (die Herren Kötscher, Krüger, Küchler und Treichler) 
bis auf einige rhythmische Ungenauigkeiten in befriedigender 
Weise gereimt wurde. 

Das vierte Konzert enthielt Chor- und Orchesterwerke. 
Von Chorwerken begegnete die mit technischer Meisterschaft 
zu glanzvoller Steigerung aufgebaute Komposition: „Un chant 
de fete de Neron“ für Tenorsolo, gemischten Chor, großes 
Orchester und Orgel von Friedrich Klose (München) dem größten 
Interesse. Die farbenprächtigen musikalischen Schilderungen 
und das echte Empfinden, das aus diesem grandiosen Werke 
spricht, ließ den lebhaften Beifall, mit dem der Komponist 
und der tüchtige Solist (Rud. Jung aus Freiburg) ausgezeichnet 
wurden, vollauf berechtigt erscheinen. „Trois poteies paiens“ 
für eine Singstimme und Orchester von Frank Martin (Genf) 
gefielen diesmal weniger als vor drei Jahren beim Feste in 
Vevey. Die Aufführung litt allerdings auch an der nicht 
besonders guten stimmlichen Disposition und an musikalischer 
Unsicherheit des Solisten (L. de la Cruz-Froelich). In einem 
Konzertstück in hmoll für Klavier und Orchester (op. 4) 
zeigte Rud. Ganz (Berlin) gute Erfindung und in der Ausführung 
des Soloparts seine bekannte pianistische Meisterschaft. Von 
Karl Heinr. David (Basel) hörte man „Das hohe Lied Salo- 


monis“ für Sopran- und Tenorsolo, Frauenchor und Orchester, 
ein großzügig angelegtes Werk von bedeutenden satztechnischen 
Qualitäten. Um die Gesangssoli machten sich die Sopranistin 
Marie Luise Debogis (Gent) und der Tenorist Alfred Flury 
(Zürich) gleichermaßen verdient. Robert F. Denzler (Luzern) 
offenbarte in seiner II. symphonischen Tondichtung „Die 
Richmodis“ für großes Orchester und Orgel aufs neue seine 
Gewandtheit in der Beherrschung der Ausdrucksmittel des 
modernen Orchesters, wie auch seine starke Abhängigkeit 
von Richard Straußscher Tonsprache. Othmar Schoeck (Zürich) 
endlich war mit seiner durch guten Stimmungsgehalt und 
vornehme Erfindung bedeutsamen „Dithyrambe“ für gemischten 
Doppelchor, Orchester und Orgel erfolgreich vertreten. 

Mit der Vorbereitung und Aufführung der zum größten Teil 
ziemlich anspruchsvollen Werke hat der Festdirektor, Kapell- 
meister Fritz Brun (Bern) ein reichliches Maß an fleißiger 
und verständnisvoller Arbeit geleistet. Das erheblich ver- 
stärkte Orchester der Bernischen Musikgesellschaft wurde, 
ebenso wie die beteiligten Chöre: Cäcilienverein der Stadt 
Bern, Berner Liedertafel und Petit Choeur aus Genf der großen 
Aufgabe mit Hingebung gerecht. Ed. Trapp. .) 


Das norwegische Musikfest. 

Vom 2. bis 7. Juni 1914. 

N orwegen feiert in diesem Jahre das hundertjährige 
Jubiläum seiner Unabhängigkeitserklärung. Was nor- 
wegischer Fleiß und norwegische Ausdauer, was Indu- 
strie, Handel, Gewerbe und Ackerbau in den verflossenen 
hundert Jahren aus dem Lande gemacht haben — von alle- 
dem gibt die große nationale Ausstellung in Christiania 
einen Begriff. Da ist es klar, daß neben Kunst und Wissen- 
schaft, die beide ebenfalls in reichem Maße vertreten sind, 
die Musik, die norwegische Musik nicht fehlen durfte. 
Acht große Konzerte gaben uns ein Bild der Entwicklung 
norwegischer Musik. 

Eine von Christian Sinding zur Eröffnung der Ausstellung 
komponierte Kantate, die hoffentlich bald noch einmal vor 
einem nicht geladenen Publikum wiederholt wird, gab den 
Auftakt. Das erste Orchesterkonzert in der großen Halle 
der Ausstellung (wo sämtliche vier Orchesterkonzerte statt- 
fanden, die drei Kammermusikkonzerte fanden im alten 
Logensaal und das Kirchenkonzert in Vor Frelsers Kirke 
statt) eröffnete am zweiten Pfingsttag den Reigen. Auf 
Waldemar Thranes behaglich altmodische Ouvertüre „Fjelde- 
ventyret“, dem ein von Th. Caspari gedichteter Prolog folgte, 
hörten wir weiter Hjalmar Borgströms Violinkonzert mit 
Leif Halvorsen in der Solopartie (Uraufführung), Alnaes’ 
Pianokonzert mit Nils Larsen am Flügel (beide Werke unter 
Johan Halvorsens Leitung), ferner Svendsens B dur Sym- 
phonie unter Iver Holter. Frau Borghild Langaard gab 
einige Gesänge mit Orchester von Seltner, Oie Olsen und 
Aspestrand, unter Leitung von Oie Olsen. Das lange Konzert 
wurde mit Selmers „Der Selbstmörder und die Pilger“ (für 
Soli, Chor und Orchester) abgeschlossen, ein phantastisches 
wertvolles Werk, dem Karl Nissen eine schöne und klang- 
volle Wiedergabe zuteil werden ließ. 

Am zweiten Orchesterabend hörten wir: Johannes Haar- 
klou, In der Westminsterabtei, Suite für Orchester (unter 
Leitung des Komponisten), Lieder von Alnaes mit Orchester- 
begleitung, vorgetragen von Frau Cally Monrad, Hialmar 
Borgströms symphonische Dichtung „John Gabriel Borkman“ 
(unter Borgströtri) und Sindings prachtvolles Klavierkonzert 
(Klavier: Alf Klingenberg). Der zweite Teil wurde von 
Catharinus EUings Oratorium „Der verlorene Sohn“ aus- 
gefüllt, schöne klangvoll warme Musik, die leider durch den 
sehr banalen Text beeinträchtigt wird. Auch dieses Werk 
leitete der Komponist selbst. 

Das dritte Konzert bildete wohl den Glanzpunkt der ganzen 
Reihe. Zuerst Griegs a moll-Klavierkonzert unter Halvorsen, 
mit Fridtjof Backer-Gröndahl am Flügel. Ein musikalisches 
Erlebnis ersten Ranges. — Dann dirigierte Sinding seine 
wirkungsvolle erste Symphonie (d moll), die mit Enthusias- 
mus aufgenommen wurde, trotzdem sie den Abschluß des 
Abends bildete und deshalb ein vielleicht minder aufnahme- 
fähiges Auditorium fand. Eine Ouvertüre von M. A. Udbye 
(unter Oie Olsen), eine norwegische Rhapsodie unter Leitung 
des Komponisten Per Reidarson sowie ein Symphoniesatz 
von Wilhelm Gomnaes bildeten einen weiteren Teil des 
Programms. Ellen Gulbranson sang Griegs „Fra Monte 
Pindo", „Solveigs vuggevise“ und „En svane‘ y und schließlich 
bekamen wir noch Johan Halvorsens Orchestersuite „Fosse- 
grimen“ zu hören, ein farbenreiches ausgezdchnet instru- 
mentiertes Werk. Der Komponist dirigierte selbst und 
spielte dabei die obligate Stimme auf der alten Hardanger- 
Violine. — Der überaus lange Abend brachte noch einige 


Streichorchestersachen von Oie Bull, sowie Fragmente aus 
Oie Olsens Oper „Stallo“ mit Ellen Gulbranson und Thorleif 
Sohlberg als Solisten. 

Der vierte Abend begann mit- Selmers „Sc&ae funäbre“ 
und brachte dann Griegs „Den Bergtekne“ (mit Halfdan 
Rhode — Bariton), Hjalmar Borgströms symphonische 
Dichtung Hamlet (Solo, Klavier Karl Nissen), Gerhard 
Schjelderups symphonisches Drama „Brand“ und Svendsens 
Pariser Karneval, die beiden letzten Werke unter Halvorsen. 
Der zweite Teil bestand aus Griegs unvergänglicher i. Peer 
Gynt Suite, einer Ouvertüre zu „Quo vadis" von Andersen 
Wingar, einem Springtanz von Oie Hjellemo (unter Leitung 
des Komponisten) und schließlich als Abschluß des Ganzen 
einer Kantate „Til Faedrelandet“ (An das Vaterland) unter 
Leitung des Komponisten Iver Holter. — • 

Die drei nationalen Kammermusikabende brach- 
ten an Bemerkenswerterem das Folgende: Erster Abend: Jo- 
hannes Haarklou, Violinsonate (Henrik Due und Mary 
Barratt), Lieder von Kjerulf und Nordraak (Elisabeth 
Munthe Kaas), 5 Etudes lyriques von Bäcker Lunde, Griegs 
G dur- Violinsonate (Arve Arvesen und Hildur Andersen) und 
schließlich Griegs herrliches Streichquartett (Arvesen, Hansen, 
Eriksen, Buschmann), das besonders gut glückte. — Zweiter 
Abend: Thomas Tellefsen, B dur- Klaviertrio (Birger Hammer, 
Leif Halvorsen, Otto Buschmann) zwei Sätze aus Sigurd 
Lies Quintett (Hammer, Gustav Lange, Solberg, Eriksen, 
Buschmann). Beide Werke machten den Eindruck echter 
guter Kammermusik, wurden aber von der Glanznummer 
des Abends, Sindings Quintett, etwas in den Schatten ge- 
stellt. Ferner Klaviersachen von Neupert und Agathe 
Gröndahl (Birger Hammer), Lieder von Tnorvald Lammers, 
Gröndahl Arne Eggen, Signe Lund und Grieg (Halfdan 
Rode, Frl. Lous). Dritter Abend: Violinsonaten von Anders 
Rachiew und Alf Hurum, sowie Sverre Jordan, Romanzen 
von Kjerulf, Winter-Hjelm, Per Winge, Per Lasson, Selmer 
und Borgström (Frau Munthe Kaas), Svendsens schönes 
Streichoktett machte den Beschluß. 

Auch das Kirchenkonzert, das als Abschlußkonzert in 
Vor Frelsers Kirke gegeben wurde, zeigte ein glänzendes 
und reichhaltiges Programm: Lieder und Kirchenarien von 
Lindeman und Cappelen, Grieg u. a., Orgelsoli von Paulus, 
Meiling, Cappelen und Lindeman und zwei Chorwerke mit 
Orgel von Winter-Hjelm und Haarklou. 

1 . Alles in allem bildete das norwegische Musikfest ein für 
die hiesigen Verhältnisse einzigartiges Erlebnis. Leider waren 
die einzelnen Konzerte nicht so stark besucht, wie man dies 
wohl hätte erwarten können, aber daran waren vielleicht 
die allzu geschraubten Preise („Ausstellungspreise“) schuld. — 
Die großen Symphoniekonzerte mit der für hiesige Verhält- 
nisse außerordentlich starken Besetzung (90 Mann) wurden 
des Mittags 1 Uhr in der großen luftigen Festhalle der Aus- 
stellung abgehalten, die übrigen Konzerte fanden des Abends 
statt. — Eine Reihe nicht miteinander in Verbindung stehen- 
der nationaler Konzerte wird wahrscheinlich im Laufe des 
Sommers noch folgen. Hans Mauke. 



London. Als Einleitung der Aufführung der Josephs- 
Legende von Richard Strauß hat der hiesige Music Club 
einen Empfang gegeben, zu dem auch Claude Debussy und 
Ignor Stravinsky erschienen waren. In einem sich daran 
anschließenden Konzert wurden, abgesehen vom Siegfried- 
Idyll, nur Kompositionen des deutschen Meisters aufgeführt. 
Artur Nikisch und Elena Gerhardt wirkten mit. Zum ersten- 
mal seit vier Jahren hat Strauß in London wieder ein Sym- 
phoniekonzert dirigiert. In diesem Konzert in der Queens 
Hall wurden eine Reihe seiner populärsten Werke und eine 
Mozart-Symphonie aufgeführt. Elena Gerhardt sang eine 
Reihe Lieder, die Strauß speziell für sie fürs Orchester be- 
arbeitet hat. (Strauß hat einem Vertreter der Daily News 
anvertraut, daß er seit seiner Rückkehr aus Paris in Gar- 
misch eifrigst an einer neuen Oper gearbeitet hat, deren erster 
Akt beinahe fertig sei.) Ueber die Aufführung der Josephs- 
Legende im Drury Lane-Theater selber wird Derichtet, daß 
das Ballett die gleiche russische Truppe unter Diaghilew, 
wie vor sechs Wochen in Paris, vorführte; aas gewaltige Theater 
war bis auf den letzten Platz gefüllt von einem sehr auserlesenen 
Publikum, in dem besonders der Premierminister aller Augen 
auf sich lenkte, wie er mit dem russischen Sänger Tschaliapme 
in einer Loge zusammensaß. Das Publikum nahm das Ballett 
sehr warm auf und Strauß, der dirigierte, erhielt beim Er- 
scheinen wie zum Schluß eine sehr stürmische Ovation. Der 
Beifall kam von allen Seiten des Hauses und wollte nicht 
aufhören; als ihm Strauß das letztemal folgte, zog er Sir Joseph 


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Beecham mit sich. Die Aufnahme durch die Berufskritik ist 
weniger günstig mit Ausnahme des „Daily Telegraph“. Be- 
merkenswert ist, daß London sehr frühzeitig mit der Auf- 
führung auf dem Plan war, und daß sich keiner an dem „nack- 
ten“ Joseph gestoßen hat. — n. 


Neuaufführungen und Notizen. 

— Max Schillings’ neue Oper „Mona Lisa“ soll am i . No- 
vember am Stuttgarter Hoftheater die Uraufführung erleben. 
Für die männliche Hauptrolle wurde Kammersänger Forsell 
engagiert. Wenige Tage später gelangt das Werk an der Wiener 
Hofoper zur Auffühning, von Direktor Gregor inszeniert, 
mit Frau Jeritza als Mona Lisa. Auch das Hamburger Stadt- 
theater hat das Werk angenommen und bringt es m der In- 
szenierung von Direktor Löwenfeld gleichzeitig mit Wien. 

— Die Münchner Hofoper hat die Oper „Stranddress" der 
Komponistin Ethel Smith zur Aufführung erworben. 

— In Dresden werden, wie mitgeteilt, vom 23. August bis 
zum 21. September in den Hoftheatem „Herbst-Festspiele“ 
Veranstaltet werden. Sie sollen in der Hofoper Aufführungen 
von Werken Wagners, Rossinis und R. Strauß’ bringen. Die 
musikalische Leitung haben Richard Strauß, Dr. Karl Muck 
und R. Kutzschbach. 

— Das Programm der Dresdner Hofoper für die nächste 
Spielzeit umfaßt an Erst- -md Uraufführungen folgende Werke: 
„Die toten Aug.-n“ von d’ Albert, „Ellga" von L.endvai, „Die 
Josephslegende“ von Strauß, „Die Schmiedin von Kent“ von 
Kaskel „Der arme Heinrich“ von Pfitzner und „Die Liebe 
dreier Könige“ von Montemezzi. 

— Der Leiter der Stagione im Mailänder Scala-Theater, 
Direktor de Marzi, wird demnächst mit seinem Ensemble 
eine Tournee durch die größeren Städte Deutschlands und 
Oesterreichs unternehmen und dabei Wolf-Ferraris Opern 
„Die vier Grobiane“ und „Die neugierigen Frauen“ aufführen. 

— Die seit einiger Zeit stattfindenden Opemaufführungen 
im alten Amphitheater in Verona sollen fortgesetzt werden. 
„Carmen“ mit Frau Gay-Zenatello in der Titelpartie steht 
auf dem Programm. 

— Im nächsten Winter sollen an der von Gatti-Casazza 
geleiteten Metropolitan Opera in New York folgende Tenöre 
vor das Publikum treten: in den deutschen Opern Urlus, 
Berger, Sembach und Reiß, in den italienischen und franzö- 
sischen Opern Caruso, Martinelli, Piccaver, Martin und Botta. 
Bei dem Mangel an ersten Tenören wird gewiß so mancher 
deutscher Opernleiter diese Liste nicht ohne Wehmut und 
Neid betrachten können. Aber die deutschen Bühnenleiter 
sind nicht ganz schuldlos an den Zuständen. 

* 

— Selim Palmgrens Konzert „Der Fluß“ soll bei einem 
Gewandhauskonzert im Januar 1915 unter Direktion von 
Artur Nikisch und mit Ignaz Friedmann am Klavier ge- 
spielt werden. 

— Im Musiksalon Bertrana i<oth in Dresden hat die 185. Auf- 
führung zeitgenössischer Tonwerke Kompositionen von Joseph 
Reiter (Wien) gebracht: Streichquartett (fmoll), Werk 33 


Francis Aranyi und den Herren E. Hofmann, K. Schauer 
und Ludan Horwitz den ersten • Kammermusikabend : ver- 
anstaltete. Durch die junge Vereinigung kamen zur Auf- 
führung: Beethovens Streichserenade (Triojop. 8 und Edward 
Griegs Quartett op. 27, welches bei dem zahlreich erschienenen 
Publikum (zumeist Kurgäste) stürmischen Jubel fand, und 
außerdem hörte 'man eine : Novität - für Srieichinstrumente 
von C. Nilsen „Kleine - Suite“ op. 1, deren Aufführung durch 
Kapellmeister Hummer lebhaft akklamiert wurde. Em. Kästner. 

— Von den wenigen jungen Virtuosen, die sich neuer Kom- 


positionen annehmen, ist der Violinist Telmdnyi zu nennen. 
In seinen Konzerten der nächsten Saison in Holland, Skandi- 
navien, der Schwdz und Italien wird er u. a. das Busonische 
Violinkonzert spielen. 

— Im vergangenen Mai hat der Konzertagent Carreras 
eine Tournee von 19 Konzerten in den größten Städten Italiens 
veranstaltet mit dem von Busoni dirigierten Bologneser 
Orchester. Als Solisten nahmen daran teil Arrigo Serato 
(Violine), Egore Petri (Klavier), Angelo Consolini (Bratsche). 
Der Erfolg für die Solisten war lebhaft, der des Orchesters 
und seines neuen Dirigenten gut. 


KUNST UND KÜNSTLER 




— Wagneriana. Die Breitkopf & Härtelschen Mitteilungen 
schreiben : Daß Wagner neben seinen großen Meisterschöpfungen 
auch kleinere Werke geschaffen hat, ist allgemein bekannt; 
besonders seine fünf Gedichte werden ja viel gesungen. Völlig 
überraschend, auch für deu Wagner-Kenner, aber kömmt 
die Veröffentlichung von sieben Kompositionen zu Goethes 
„Faust“, die Wagner im Jahre 1832 in Leipzig als op. 5 nieder- 
schrieb. Unter diesen Stücken befinden sich u. a. Branders 
Lied „Es war eine Ratte im Kellemest“, die beiden Lieder 
des Mephistopheles „Es war einmal ein König“ und „Was 
machst du vor Liebchens Tür“, „Meine Ruh ist hin“ und ein 
Melodram „Ach neige du Schmerzenreiche“. Diese Kom- 
positionen, denen allerdings manches Skizzenhafte anhaftet, 
ans Tageslicht gezogen zu haben, ist das Verdienst Michael 


Gebr. Hug & Co.). — Die 186. Aufführung brachte Werke von 
Friedrich Niggli (Zürich): Sonate (a moll) für Klavier und 
Violoncell, Werk 6, Lieder am Klavier, Werk 8, Sonate (E dur) 
für Klavier und Violine, Werk 7, Lieder am Klavier (Schweizer- 
deutsch von Adolf Frey), Werk 4 und 5- (Alte Werke bei 
Gebrüder Hug & Co.) — In der 187. Aufführung spielte 
das Waldemar-Meyer- Quartett aus Berlin: Streichquartett 
(C dur) op. 25 von Edgar Stillman-Kelley (Verlag Albert Stahl), 
Streichquartett No. 2 (Es dur) op. 1 1 von Eugen d‘ Albert 
(Verlag Bote & Bock). 

— Das russische Trio Press ist in diesem Sommer in Kol- | 
berg für zehn Kammermusikabende engagiert worden, die , 
am 10. Juli begonnen haben. 

— In München-Gladbach wird unter Leitung des Städ- 
tischen Musikdirektors Gelbke mit Ernst und Eifer musi- 
ziert. 5 Cäcilienkonzerte (Chor und Instrumentalwerke) und 
6 Symphoniekonzerte finden in nächster Saison statt. An 
Neuigkeiten wird die Jungfrau von Orleans von Enrico Bossi 
aufgeführt. Die Symphoniekonzerte sehen vor: einen Bruckner- 
Liszt-Abend, ein geistliches Orgelkonzert (Buß- und Bettag), 
einen Beethoven-Abend, einen Strauß-Mahler-Abend, einen 
Brahms-Schumann-Abend, einen Grieg-Abend (Peer Gynt). 

— Eine venezianische Suite von Francesco Paolo Neglia, 
op. 32 (Manuskript), hat unter der Leitung des Komponisten 
in emem Künstlerkonzert des Winderstein-Orchesters in Bad 
Nauheim die Uraufführung erlebt. 

— In Bad Ischl konzertiert, wie alljährlich, das Wiener 
Tonkünstlerorchester unter der Leitung des tüchtigen und 
tatkräftigen Musikdirektors und bekannten Komponisten 
Andri Hummer. Aus den Solisten des Orchesters hat sich nun 
ein neues Streichquartett gebildet, das am 24. Juni unter 
der Führung des außerordentlich begabten Konzertmeisters 


Samtausgabe (Preis 30 M.) — Subskriptionspreis 15 M. — 
veröffentlicht worden. Der Band enthält noch B Prangers 
„Les Adieux de Marie Stuart“, sowie Jean Rebouls „Was 
du hier siehst, sind flücht’ge Träume“ und auch drei Kom- 
positionen für eine Singstimme mit Orchester; darunter Ein- 
lagen zu Bellinis „Norma“ und Marschners „Vampyr“. Auch 
in dem bereits erschienenen 16. Bande- der Gesamtausgabe 
(Chorgesänge) sind einige bisher völlig unbekannte Kom- 


positionen Wagners, u. a. eine Neujahrskantate für gemischten 
Chor mit Orchester, sowie ein Huldigungsgesang auf Friedrich 
August den Gerechten für Männerchor und Orchester ver- 
öffentlicht. 

— Zum Gluck-Jubiläum. Als Festgabe zum Gluck- Jubiläum 
erscheint jetzt in den unter Leitung von Prof. Dr. A. Sand- 
berger in München herausgegebenen Denkmälern der Ton- 
kunst in Bayern ein neuer Band, der Glucks Festspiel „Le 
nozze d’Ercole e d’Ebe“ enthält, das am 29. Juni 1747 im 


Doppelhochzeit. Der stattliche Band ist von Prof. Hermann 
Abert revidiert. 

— Gluck-Feier in Weidenwang. Von einer etwas sonderbar 
verlaufenen Gluck-Feier wird den Zeitungen aus Nürnberg 
berichtet: „Fernab dem Schienenstrang der oberpfälzischen 
Sekundärbahn liegt das 300 Seelen zählende Dörfchen Weiden- 
wang mit seinem im Jahre 1871 errichteten Gluck-Denkmal. 
Dies und das Geburtshaus waren zum 200. Geburtstag des großen 


Dies und das Geburtshaus waren zum 200. Geburtstag des grollen 
Komponisten prächtig geschmückt; auch die Gluck-Gesell- 
schaft in Leipzig hat Kranzspenden gesandt. Eine einfache 
Feier wurde in Anwesenheit von verschiedenen oberpfälzischen 
Vereinen und Vertretern der Behörden abgehalten. Die Be- 
teiligung war Jedoch infolge des schlechten Wetters ziemlich 
gering. Die Festrede hielten ein Oberlehrer und ein Pfarrer. 
Er sprach von vielen Dingen, am wenigsten aber von dem 
zu Feiernden. Er sagte nichts von der Jugend des Ton- 
dichters, dagegen betonte er, daß Gluck stets treu zu Thron 
und Altar gehalten habe. Dann sprach er von der Wiener 
Stellung Glucks und kam dabei auf die Ermordung des öster- 
reichischen Thronfolgerpaares zu sprechen. Schließlich be- 
tonte er den gemeinsamen Glauben Bayerns und der Habs- 
burger Monarchie. Diese Gluck-Festrede schloß mit der Auf- 
forderung zu einem dreimaligen Hoch auf den bayerischen 
König und die apostolische Majestät aus dem Hause Habs- 
burg!" — Die Rede war wohl etwas „fehl am Ort“! 


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— Von den Konservatorien. Der Musikpädagoge und Pianist 
Prof. Xaver Sckarwenka hat seine \'erbindimgen mit dem 
Klinaworth-Scharwenka-Konservatoriuin in Berlin geläst und 
scheidet aus dem Direktorium und dem Lehrerkollegium 
aus. Er wird eine Meisterschule begründen und im Laufe 
des nächsten Winters mehrere Konzerte veranstalten. — An 
der Akademie der Tonkunst in München hat eine Prüfung 
für Militärmusikmeister stattgefunden, der sich ein Hoboist 
des i. Infanterie-Regiments und ein Trompeter-Sergeant des 
i. Ulanen-Regiments unterzogen haben. — Das unter Leitung 
vom Königl. Musikdirektor Dt. Albert Mayer-Reinach stehende 
Konservatorium der Musik in Kiel hat erstmalig größere 
Opernaufführungen seiner Opemschule herausgebracht. — Den 
36. Jahresbericht sendet uns Dr. Hochs Konservatorium in 
Frankfurt a. M. ; den 37. Jahresbericht der Musikverein 
Innsbruck. — In der Mannheimer Hochschule für Musik hat 
Diplomprüfung für Musiklehrerinnen stattgefunden, der sich 
die Damen Emilie Detzner (Speyer), Maria Dillinger (Lud- 
wigshafen a. Rh.) und Liesel Pfeffer (Heidelberg) mit bestem 
Erfolge unterzogen hatten. 

— Für dramatische Komponisten. Wir lesen: „Die Ver- 
einigung künstlerischer Bühnenvorstände“, der Männer wie 
Reinhardt, Antoine, Beerbohm-Tree, Stanislawski angehören, 
und die an nahezu allen Theatern Deutschlands ihre Ver- 
treter besitzt, hat in ihrer jüngsten Generalversammlung 
beschlossen, künftig nicht nur Dramatiker, sondern auch 
Komponisten als außerordentliche Mitglieder auf- 
zunehmen. In der Oper wie im Schauspiel bestehen zwischen 
Autoren und praktischen Bühnenleuten über viele nicht nur 
rein praktische Fragen noch so viele Mißverständnisse, daß 
es wünschenswert erschien, durch eine „Entente“ nähere 
Fühlungnahme zu suchen, die dem gesamten Theater nur 
zugute kommen kann. 

— Unbekannte Wagner- und Liszt-Briefe. Drei unbekannte 
Briefe Wagners und acht ebensolche Liszts sind in dem Archiv 
der Gesellschaft zur Förderung der Tonkunst in Amsterdam 
aufgefunden worden. Die Briefe Liszts sind in Weimar, die 
Wagners in Zürich und Luzern geschrieben und stammen aus 
den Jahren 1854 — 1857. Sie sind an den Gründer der vor- 
genannten Gesellschaft Vermeullen gerichtet. Ein weiterer 
Brief Liszts ist im Aufträge der Fürstin Wittgenstein ge- 
schrieben. 

— Zur Tantiemenfrage. Der Prozeß zwischen der deutschen 
und der österreichischen Tonsetzer-Genossenschaft ist am 
29. Juni durch ein Urteil des Berliner Kammergerichts dahin 
entschieden worden, daß den österreichischen Komponisten 
erlaubt wird, ihre Urheberrechte im Reiche selbst wahrzu- 
nehmen. 

— Denkmalspflege. Am 15. Oktober sind es 70 Jahre, daß 
Friedrich Nietzsche geboren wurde. Es hat sich nun ein Ko- 
mitee gebildet, dem u. a. Hugo v. Hofmannsthal, Richard 
Strauß, Karl Lamprecht, Thomas Mann, Richard Dehmel 1 
angehören und das einen Aufruf um Beiträge für einen Nietzsche- 
Fonds veröffentlicht. Dieser ist für ein Nietzsche-Denkmal 
bestimmt, das man in Weimar zu errichten gedenkt, und das 
diel, dauernde > Erhaltung des Weimarer Nietzsche- Archivs 
sichern soll. — Am 28. Juni ist in Hammer am See am ehe- 
maligen Wohnhause Glucks die Gedenktafel enthüllt worden, 
die der Wiener Bildhauer Grath mit Glucks Büste geschmückt 
hat. Dr. Max Arend aus Dresden hielt die Weiherede, in 
der er in eindringlichen Worten den „herrlichsten deutschen 
Mann und großen Künstler“ pries. Eine begeisterte Sänger- 
schar von über 400 Stimmen sang die Fest- und Weihegesänge 
aus den beiden „Iphigenien“ und so wurde dieser Tag zu einem 
Volksfeste zu Ehren des 200. Geburtstages Glucks. — Die 
Büste Johann Sebastian Bachs wird nach der Anordnung 
des Königs von Bayern in der Walhalla aufgestellt werden. — 
In Riva am Gardasee soll Giuseppe Verdi nun ebenfalls ein 
Denkmal erhalten. Es besteht aus zwei Blöcken roten Mar- 
mors, die von der Bronzebüste Verdis gekrönt werden. Sie 
wurde nach dem Original des Neapeler Bildhauers Vincenzo 
Gemito gegossen. — Der Ausschuß für „Wallonische Propa- 
ganda“ hat an Cäsar Francks Geburtshaus in Lüttich eine 
Gedenktafel anbringen lassen. — Im Atelier des Bildhauers 
Zocchi in Rom. ist die für den Ort Palestrina bestimmte Statue 
des Musikers Pierluigi da Palestrina ausgestellt gewesen. Das 
Werk ist aus Bronze, der Sockel in Barock aus Travertin. 
Der Meister ist stehend dargestellt, die linke Hand hält eine 
Partitur, während die rechte die Geste des Dirigierens be- 
schreibt. Die Einweihung wird im September stattfinden. 

— Eine Reform des Dresdner Hofopernchors. Die General- 
direktion der Hoftheater hat dem Chordirektor Kapellmeister 
Karl Pembaur die Einrichtung einer Vorbereitungsschule für 
den Hofopemchor genehmigt. Die Schule zerfallt in eine 
Singschule für Anfänger und in eine Chorschule für Fort- 
geschrittenere. Der Unterricht in der Singschule kostet nur 
eineTMark monatlich, während er in der Chorschule ganz 
umsonst ist; die vorgeschritteneren Schüler werden zu Auf- 
führungen herangezogen und erhalten das übliche Spielgeld. 
Der Unterricht wird im September dieses Jahres beginnen. 
Eine beachtenswerte „Reform“! 


— Vom Männergesang. Der „ Kurhessische Sängerbund", 
der seinen Sitz in Kassel hat und Mitglied des großen Deutschen 
Sängerbundes ist, hat vom 27. — 29. Juni das Fest seines 
75. Stiftungstages gefeiert. Von den vorgetragenen Chören 
interessierte besonders die erstmalige Aufführung einer Kom- 
position „An die Kunst" von dem Kasseler August Klein. 
Neu war für Kassel das „Lied der Walküre“ von H. van Eyhen. 
Aus der Fülle der Chorleistungen, die alle ein intensives Stu- 
dium bei den spröden Hessenstimmen voraussetzten, verdienen 
die Gesamtchöre und das „Wächterlied“ unter den Bundes- 
dirigenten Schwarz und Hallwachs schon aus dem Grunde 
ein besonderes Lob, weil die hier herausgearbeiteten dy- 
namischen Schattierungen für gewöhnlich zu den Seltenheiten 
des Massenchorgesangs gehören. — In Koblenz hat der Männer- 

f esangverein „Rheinland“ sein sojähriges Bestehen feiern 
önnen. 

— Eine Richard-Strauß-Straße in München. Der Rat der 
Stadt München hat zum 50. Geburtstage von Richard Strauß 
eine neue Straße auf seinen . Namen getauft. 

— Preiserteilung. Der Verwaltungsaussehuß der Mozart- 
Stiftung zu Frankfurt a. M. schreibt uns: Unserer Aufforderung 
zur Anmeldung für das diesjährige Stipendium entsprachen 
98 Bewerber, von denen nach Prüfung einer Kommission 
von Sachverständigen 12 zur engeren Konkurrenz zugelassen 
wurden. Die eingereichten Bewerbungsarbeiten dieser Zu- 
gelassenen unterlagen der Beurteilung eines Kollegiums von 
3 Preisrichtern: Prof. Paul Juon, Berlin, Prof. Dr. Hugo 
Riemann, Leipzig und Generalmusikdirektor Fritz Steinbach 
und von diesen bezeichneten 2 die Arbeiten des stud. pliil. 
et mus. Werner Wehrli, geb. 8. Januar 1892 in Aarau (Schweiz), 
als die vorzüglichsten. — Auf Grund dieses Urteils und der 
uns bereits früher vorgelegenen günstigen Zeugnisse erteilte 
der Verwaltungsausschuß dem genannten Herrn Werner 
Wehrli in Aarau das 21. Stipendium seiner Stiftung für den 
Zeitraum von 4 Jahren, beginnend mit dem 1. September a. c. 


Personalnachrichten. 

• — Dem Musikdirigenten Clemens Großjohann in Detmold 
ist der Titel „Fürstl. Musikdirektor“ verhehen worden. 

— Zum neuen Direktor des Regensburger Stadttheaters 
ist Direktor Willy Stuhlfeld, bisher in Tilsit, gewählt worden. 

— Dr. Friedrich Hegar, seit 1875 erster Direktor des Züricher 
Konservatoriums, ist von seiner Stelle zurückgetreten, nach- 
dem der zweite Direktor der Anstalt, Dr. Carl Attenhofer, 
gestorben ist. Als alleiniger, neuer Direktor des Konserva- 
toriums ist nun Universitätsmusikdirektor Dr. Volkmar An- 
dreae gewählt worden. 

— Der frühere Direktor des Berliner Königl. Hof- und 
Domchors, Prof. Hermann Prüfer, ist nach kurzem Leiden 
im 70. Lebensjahre in Berlin gestorben. Er war 1844 in Neu- 
salz in Schlesien geboren. In den 70er Jahren trat er als 
Musiklehrer in den Berliner Schuldienst, trieb aber daneben 
Studien bei Grell. Den Schuldienst vertauschte er später 
mit der privaten Stellung am Zwölf- Apostel-Chor, bis er 1892 
zunächst zweiter Dirigent und Gesanglehrer am Hof- und 
Domchor wurde und diese Stellung bis zu seiner Pensionierung 
am 1. Oktober 1910 bekleidete. 

— Carl Andri. Inhaber der Firmen C. A. Andre in Frank- 
furt a. M. und Johann Andr6 in Offenbach und Leipzig, ist 
64 Jahre alt, plötzlich am Herzschlag verschieden. 

— In Berlin ist nach längerem Leiden die Konzert- und 
Oratoriensängerin Lude Haenisch, die durch ihre erfolgreiche 
Konzerttätigkeit bereits weiteren Kreisen bekannt geworden 
war, gestorben. 

— In Kiel ist im Alter von 79 Jahren der frühere Uni- 
versitätsmusikdirektor Prof. Dr. h. c. Hermann Stange ge- 
storben. 

— In Hannover ist im Alter von 83 Jahren während einer 
mit seinem Sohne gespielten Schachpartie der kgl. Hof- und 
Kammermusiker Johann Sobeck gestorben. Er hat über 
50 Jahre im Hoftheater am ersten Klarinettenpulte gesessen. 
Er trat im Jahre 1851 unter Marschner in das Orchester ein 
und hat dann weiter unter den Dirigenten: Fischer, Bott, 
v. Bülow, Herner, Franck, Kotzky und Doebber gewirkt. Er 
war auch korrespondierendes Mitglied der Gesellschaft „Beet- 
hoven“ in Bologne-sur-mer, längere Jahre auch zweiter Kapell- 
meister in Bad Norderney. Als Komponist hat er viele 
Kammerwerke, besonders für Blasinstrumente, und Soli für 
Klarinette der Oeffentlichkeit übergeben; auch eine Oper 
„Hermann der Befreier“ ist erstanden. 

— Albert Werkenthin, früher bekannt als Musikschriftsteller, 
Pianist und Komponist von Klavierwerken, Liedern und 

e uartetten, ist, 73 Jahre alt, in Berlin gestorben. Er war 
chüler von Julius Stern, Weitzmann und Hans von Bülow. 
Ein mehrbändiges Werk von ihm behandelt Lehrstoff und 
Methode des Klavierspiels. Werkenthin wirkte lange Jahre 
als Musikkritiker an der „Berliner Volkszeitung“. 


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Briefkasten 


Für unaufgefordert eingehende Manu- 
skripte jeder Art übernimmt die Redaktion 
keine Garantie. Wir bitten vorher an- 
ru fragen, ob ein Manuskript {schriftstelle- 
rische oder musikalische Beiträge) Aus- 
sicht auf Annahme habe; bei der Fülle 
des uns zugesch Ickten Material« ist eine 
rasche Erledigung sonst ausgeschlossen. 
Rücksendung erfolgt nur, wenn genügend 
Porto dem Manuskripte beüag. 

Anfragen für den Briefkasten, denen 
der Abonnementsausweis fehlt, sowie ano- 
nyme Anfragen werden nicht beantwortet. 

K. Y. A. Stücke für die Schalmei sind 
im Verlag von Jul. Heinrich Zimmermann, 
Leipzig, erschienen: ein Album und eine 
Schule. 

W. 0 . Sic können jederzeit als Abon- 
nent Lieder zur Beurteilung einsenden. 
2. Wir glauben es Ihnen, also ist es nicht 
nötig. 3. Steht in Ihrem Belieben. Nur 
nicht so umständlich, frisch drauf los! 

Anexo GuamivL Besten Dank für die 
Zuschrift, die ja großes Interesse für die 
Frau Musica verrät. Die Sextolen-Folge 
3x2, wie sie Prof. Schwartz als richtig 
bezeichnet, wird bei uns anerkannt. Ob 
nicht der oder jener Theoretiker trotzdem 
abweicht, können wir Ihnen freilich nicht 
mit Gewißheit sagen. In der spanischen 
Uebersetzung von Danhausers Theorie fin- 
det sich die kategorische 'Erklärung der 
Zweiteilung der Sextole? Das ist inter- 
essant zu hören. Man sieht wieder, daß 
die Gelehrten nicht einig sind. 


Kompositionen 


(Redaktionsschluß am 2. Juli.) 

M. — nik. In Ihrem Impromptu, das 
Phantasie voller sein dürfte, stören einige 
Schreibfehler. Den Sinn des Vivacissimos 
mit der 28maligen Wiederholung eines un- 
schönen Motivs ergründeten wir nicht. Der 
Anhängsel auf dem Orgelpunkt eis wirkt 
garstig. Ihre Vorliebe für den vermin- 
derten Septimenakkord hat wohl als Sym- 
ptom eines zurzeit bedrängten Herzens zu 
gelten. 

J. B., E. Wo ein Gesangunterricht bei 
Kindern mit Lust und Liebe gegeben wird, 
dürften Ihre Bearbeitungen nicht unwill- 
kommen sein. Wir zweifeln aber doch an 
einem Erfolg. Korrekturkosten fürs Ganze 
ca. 25 — 30 M. 

E. H. Ihre Chöre sind nicht einwand- 
frei im Satz. Auch die Erfindung läßt zu 
wünschen übrig. Dilettantische Arbeiten, 
nicht reif für den Gebrauch. 

E. Lst , H. Ihr Marsch verrät zu sehr 
den Anfänger, kann also nicht empfohlen 
werden. Auch Korrektur wäre ausgeschlos- 
sen. Die zusammengestoppelten melodi- 
schen Phrasen sind bekannt und verbraucht. 

K. Gr — er, R — a. Es will mit Ihren 
Leistungen nicht besser werden. An me- 
lodischer Erfindung fehlt es nicht. Bei 
dem dermaligen Stand Ihrer theoretischen 
Kenntnisse werden Ihre Tonsätze stets 
minderwertig bleiben. 

E. H-, Pr. Das Wiegenlied wird in sei- 
ner natürlichen Anmut Gefallen erregen. 
Auch das Schwarzwaldlied ist volkstüm- 
lich gefaßt, dürfte aber wegen seines am 
Anfang und Schluß zur UeberschwängUch- 
keit neigenden Ausdrucks nicht leicht Ein- 
gang finden. 


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gebracht, die die Einordnung der musikgeschichtlichen Fakta in den allgemeinen 
geistigen und künstlerischen Entwicklungsgang der Menschheit erleichtern helfen. 
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Band I. 


und das Verzeichnis Ihrer Klavierkompositionen 

I Band II. I ■»»«* *»• 



No. i. Boghen, Campane a festa. — 
2. Bosil, Canzone Serenata. — 3. Boui, 
Caresses. — 4. Florida, Serenata (ellce. 
— 5. Cool, Pensäe iogitive. — 6. Fron- 
Uni, En songe. — 7. Frontini, Grand' 
mire qui danse. Menuet. — 8. 
Glarda, Rtverie. — 9. Maresealshi, 
Duettlno d'amore. — 10. Mingirai, 
Melodla. — it. Oswald, Nocturne. — 


No. Agostini, Berceuse. — 2. Bosii, 
Ländler. — 3. Boltasso, Minuetto. — 
4. Brogi, Saltarello. — j. Cartursn, 
Sarabanda. — 6. Del Vaile de Pu, 
Impromptu. — 7. Do Sena, Pompon- 
nette. — 8. Ferrari, Capriccio. — 
g. Frontini, SOrdnade Arabe. — xo. Gas- 
parlni, Pizzicato. — ix. Ricci Signo- 
rlnl, Arietta. — 12. Rosil, Nult cham- 


xa. Roooi, Notturnino. — 13.R0satl.Pre- petre. — 13. Tarengbl, Chanson Joyeust. 
Indio. — 14. Setaooioli, Causone-Sere- — 14- Taronghi, Le retour du paysan. 
nata. — 15. Taronghi, Chant d'amour. — 15. Zanella, Mazurka, La magg.^ 


No. 1. Bollio, Notturno. — 2. Bosai, 
II casteilo incontato. — 3. Botsi, Chi- 
(arrata. — 4 . Ferraria, Grilll. — 3. 
Frontini, Chiiarrata sidllana. — 0 . 
Frontini, Souvenir de Chopin. — 7. Fru- 
gatta, Melodla. — 8. Gerosa, Berceuse. 
— 9. Mortacel, Serenata. — 10. Rava- 
nollo, Gavotta. — 11. Roheit. Aftllc- 
tlon. — 12. Serpieri, Sconforto. — 
13. Soontrino, Scher2o. — 14. Ta- 
renghl, Cavatcade. — 13. Tarengbl, 
Bagatelle. 




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Dur und Moll. 

— Jeanne d’Arc, die man erst 
wieder vor einiger Zeit mit 
nie zuvor gekanntem Pomp in 
Paris und ganz Frankreich ge- 
feiert hat, ist eine jener seltenen 
Charaktere der Weltgeschichte, 
zu deren Verherrlichung die 
ersten Koryphäen der Gesamt- 
kunst mitgewirkt haben und, 
wie die Tatsachen zeigen, noch 
mitwirken werden. Daß auch 
die Musik hierbei reichlichen 
Anteil genommen hat, versteht 
sich von Selbst. Mit welchem 
Interesse dies aber geschehen 
ist, das mögen die hier folgen- 
den Daten beweisen: Bereits 
. 1790 wird in Paris eine Oper 
von Kreutzer gegeben, in deren 
Mittelpunkt wir die „Jungfrau 
von Orleans“ vorfinden, 1793 
schließt sich eine andere von 
Andreozzi in Venedig daran an, 
eine von Volckert 1817 in Wien, 
eine von Carafa 1821 in Paris. 
Ferner bringt das Jahr 1830 
eine Partitur von Padni, 1841 
eine von Johann von Hoven, 
1845 eine von Verdi, 1865 eine 
von Gilbert Duprez, 1876 eine 
von Mermet, 1881 eine von 
Tschaikowsky. Andere ver- 
suchten sich im Anschluß an 
das Schillersche Drama in Kan- 
taten, so 1806 Anselm Weber, 
1810 Andreas Romberg und 
Abraham Schneider, 1845 Liszt, 
1857 Leopold Damrosch, 1859 
Max Bruch, 1871 Gaston Ser- 
pette, 1873 Gounod, 1874 Char- 
les Poisot. Wenn schließlich 
die im November vorigen Jahres 
von dem Italiener Enrico Bossi 
vollendete Oper hier angeführt 
sein möge, so will dies bei wei- 
tem nicht sagen, daß die Liste 
dieser reichen Literatur hiermit 
erschöpft sei. Lvn. 

— Sterben ist Privatsachet 
In Berlin ist vor kurzem der 
Konzertagent Gumbert, der na- 
mentlich Im Geschäft der klei- 
neren musikalischen Kapellen 
tätig war, und sich hier großer 
Beliebtheit erfreute, gestorben. 
Er hat ein nicht unerhebliches 
Vermögen hinterlassen, das er 
der Religionsgemeinschaft ver- 
machte, der er angehörte. Al- 
lerdings knüpfte er an dies 
Vermächtnis eine besondere Be- 
dingung. In seinem Testament 
schrieb er: „Sterben ist Privat- 
sache. Darum wünsche ich, 
daß mich auf meinem letzten 
Wege niemand anders begleitet, 
als der Geistliche, der die 
Trauerrede- halt.“ Natürlich 
wurde diese Bestimmung re- 
spektiert, und so geschah es, 
daß der Geistliche seine Grab- 
rede vollständig ohne Zuhörer 
hielt. Es war wohl die selt- 
samste Grabrede, die ein Ber- 
liner Friedhof jemals gesehen hat. 




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Inhalt * Aufgaben des Verbandes Deutscher Musikkritiker. — Zur Kunstästhetik unserer Zeit. HI. Das doppelte Gehör. (Sinnliches und geistiges Ohr.) Ein 
111 Hall • Beitrag zum Verständnis der modernen Musik. (Fortsetzung.) — Friedrich Gernsheim. Ein Gedenkwort zu seinem 75. Geburtstage (17. Juli). — Noch- 
mals der V. Kongreß der „Internationalen Musikgesellschaft* ‘ zu Paris. — Franz Uszts Urteile über Tonkünstler, Sänger und Sängerinnen. — Die N. I. A. — Henseltlana. 
(Noch ein Beitrag zum Jubiläum Henselts.) — Von der Opemsaison an der Riviera. — Musikbrief aus Brüssel. — Kritische Rundschau: Danzig, Heilbronn, Karlsruhe, 
I*inz a. D. — Kunst und Künstler. — Besprechungen : Frauenchöre. — Briefkasten. — Dur und Moll. — Neue Musikalien. — Musikbeilage. — Als Gratisbeilage: Batka- 

Nagel, Allgemeine Geschichte der Musik, Bogen 13 vom dritten Band. 




Die Aufgaben des Verbandes 
Deutscher Musikkritiker . 1 

1. 

Am 23. Mai fand zu Essen die zweite Hauptversamm- 
Xzlung des Verbandes Deutscher Musikkrit ik er statt. 
Sie war recht gut besucht: so Mancher hatte eine weite, 
kostspielige Reise unternommen, lediglich um sich an den 
Beratungen dieses einen Tages zu beteiligen. Die Opfer- 
fähigkeit, die sich hierin aussprach, kennzeichnet den in 
der Vereinigung herrschenden Geist. Nicht minder brach- 
ten ihn zum Ausdruck der sachliche Emst, der in Rede 
und Meinungsaustausch durchweg gewahrt wurde, und die 
allerseits betätigte Rücksicht, die sich darin zeigte, daß 
man, wie auf Verabredung, abweichende Meinungen nach 
Möglichkeit zurückstellte, um in entschiedenem Betonen 
gemeinsamer Ueberzeugungen den Ergebnissen und Be- 
schlüssen der Sitzungen größeren Nachdruck zu verleihen. 
Es herrechte wirkliche Kollegialität — was ich unter 
Musikern zuvor noch nie erlebt hatte. Woraus zu ent- 
nehmen, daß die Kritiker jedenfalls nicht die schlechtesten 
Menschen unter den Musikern sind. 

Zum Eingang gab es geschäftliche Mitteüungen. Alfred 
Heuß, der die Verhandlungen leitete, hatte zu berichten, 
daß die Zahl der Verbandsmitglieder auf einige vierzig 
gestiegen ist. Erscheint es wünschenswert, daß diese 
Ziffer in absehbarer Zeit um ein Erhebliches ansteige? 
Ich glaube nicht. Es liegt im Aufgabenkreise der Körper- 
schaft, eine Art Reinigungs- und Eäuterungsprozeß duxchzu- 
führen. Die Satzung spricht ausdrücklich vom Zusammen- 
schluß derer, „die durch Bildungsgang und künst- 
lerisch gediegene wie moralisch einwandfreie 
Ausübung ihres Berufes als vollwertige Vertreter 
des deutschen Kritikerstandes angesehen werden können." 
Wer im Zeitungs- und Zeitschriftenwesen einigermaßen 
Bescheid weiß, für den ist es kein Geheimnis, daß es 
gegenwärtig an so mancher Stelle mit dem erforderlichen 
allgemeinen Wissen, mit zureichenden Fachkenntnissen, 
mit den unumgänglich nötigen schriftstellerischen Fähig- 
keiten und Fertigkeiten, mit der verschiedenartigen Ver- 

1 Anmerkung. Mit den Ausführungen dieses Aufsatzes will 
ich die bei der heurigen Hauptversammlung des Verbandes 
gehaltenen Referate nicht im Einzelnen wiedergeben, sondern 
sie hier und da aus langjährigen Erfahrungen und Beobach- 
tungen ein wenig ergänzen. Der authentische Bericht wurde 
in No. 4 der „Mitteilungen“ des Verbandes veröffentlicht. 
Abzüge werden auf Wunsch durch den Schriftführer, Herrn 
Paul Bekker, Frankfurt a. M., übermittelt. 


lockungen gegenüber gestählten Charakterfestigkeit hapert. 
Wollte da die „Aufnahmekommission" ein Auge oder gar 
anderthalb zudrücken, so würde das Tun des Verbandes 
bald zur Komödie werden. So geht es denn mit natür- 
lichen Dingen zu, wenn man hier und da auch einen 
bekannten Kritikemamen im Mitgliederverzeichnis vermißt 
— unbeschadet des ja immerhin vorkommenden Falles, 
daß ein sachkundiger, begabter, streng gewissenhafter 
Mann von mehr behaglich -bequemer als altruistischer 
Denkart es vorzieht, allein und „ungeniert“ seine Straße 
zu wandeln *. Bis also jener Klärungs- oder Durchsiebungs- 
prozeß vollzogen ist, hätte man füglich die Stimmen des 
Verbandschores nicht zu addieren, sondern zu wägen. 
Je mehr wir es dann — nach und nach — eben durch 
die dem Verbände obliegende Arbeit erreichen, daß nur 
begabte, gut vorbereitete Musiker zum kritischen Amt 
berufen werden, je weiter wir darin vorschreiten, daß der 
insbesondere sich der Tageskritik widmende Kunstrichter 
nach Gebühr bezahlt wird und somit weniger der Ver- 
suchung ausgesetzt bleibt, bei zur Ergänzung des Ein- 
kommens durchgeführten „Nebenbeschäftigungen“ anfecht- 
bare Zugeständnisse zu machen: um so höher wird sich 
die Summe der Verbandsmitglieder ausrunden. 

II. 

Es folgten Einzelreferate, an die sich anregende, förder- 
same Diskussionen schlossen. 

Dr. Georg Schünemann brachte „Vorschläge und An- 
regungen für die Mitwirkung des Verbandes bei der Be- 
setzung von Musikkritikeretellen". — Wer „besetzt" diese 
Stellen bei den politischen Zeitungen? Der Verlag. Mit- 
unter auf Vorschlag des Chefredakteurs, der ja ein leb- 
haftes Interesse daran haben müßte, sich in allen Sparten 
auf leistungsfähige, fleißige und streng ehrenhafte Mit- 
arbeiter stützen zu können. Mitunter über den Kopf des 
Chefredakteurs : hinweg. Nicht selten wird irgend ein 
Protektionskind, das weder in der Musikgeschichte noch 
in den theoretischen Fächern hinlänglich beschlagen ist, 
dafür aber tagtäglich die deutsche Sprache mit kalter 
Grausamkeit verhunzt, von einem einflußreichen Herrn 
oder einer vielvermögenden „Dame der Gesellschaft“ auf 
Hintertreppen eingeschmuggelt. Hingegen sind Verlag und 
Chefredakteur stets darin einig, daß sie den Musikkritiker 


1 Anmerkung. Für Fernerstehende sei noch einmal erwähnt, 
daß, laut Beschluß der ersten Hauptversammlung des Ver- 
bandes (Jena, 1913), Eigentümer und leitende Redakteure 
von Musikzeitschriften nicht als Verbandsmitglieder aufgenom- 
men werden — in ihrem eigenen, bestverstandenen Interesse. 

405 









eben nicht als wichtigen, den anderen Abteilungshäupt- 
lingen gleichzustellenden Mitarbeiter, sondern als Flick- 
arbeiter anzusehen pflegen. „Das 1 , ... . braucht infam 
viel Platz, erlaubt sich neuerdings noch gar, Ansprüche 
zu machen und schreibt doch nur über Musik.“ Aeuße- 
rung eines Zeitungseigentümers, die ich, als unfreiwilliger 
Ohrenzeuge, einmal zu hören bekam. Die Tätigkeit eines 
mittleren Lokalredakteurs, der die Nachrichten über an- 
rüchige Ehebruchsprozesse, den Verkauf frischer Seefische 
und den feierlichen Staatsbesuch Heinrichs XXIX. in der 
benachbarten Residenz zusammenzustellen hat, dünken 
noch heute in der Regel dem Verlage wie dem Chef un- 
endlich bedeutsamer als das mühevolle, Gehirn und Nerven 
verzehrende Tun des „Musikmenschen“. Hier liegt der 
Hase im Pfeffer. Es gilt vor Allem, die verehrten Herren 
darüber aufzuklären, daß es nicht Endzweck der Oper 
ist, begüterte Fremde zum Besten schröpflustiger Hoteliers 
in dieser oder jener Stadt einen Tag länger festzuhalten, 
und daß die Ursachen der Konzerthochflut nicht allein 
in dem unersättlichen Begehren der Agenten und in der 
Verblendung beschränkter, mittelmäßiger Halbkünstler zu 
suchen sind. Sondern daß in eine verständige Musikpflege 
sehr bedeutsame volkserzieherische Probleme 
mit hineinspielen, und daß an der ernsten, schweren, 
verantwortungsvollen Arbeit der Volkserziehung der echte 
und rechte Musikkritiker in hervorragendem Maße be- 
teiligt ist. 

Haben wir das den entscheidenden Stellen so lange und 
so energisch vorgetragen, daß sie außer Stande sind, es 
zu ignorieren, dann werden sie sich nach und nach ge- 
nötigt sehen, bei der Neubesetzung eines Musikkritiker- 
postens die gleiche Sorgfalt anzuwenden, die sie bei der 
Berufung einer für den politischen oder wirtschaftlichen 
Teil zu gewinnenden Kr aft pflichtgemäß an den Tag legen. 
Sie werden sich in erster Linie darüber vergewissern, wie 
angesehene, auf die Wahrung ihrer Standesehre eifrig be- 
dachte Fachvertraüte über diesen und jenen Kandidaten 
denken. Will sagen: sie werden den Verband Deutscher 
Musikkritiker um Auskunft angehen. Derart, daß der 
Verband — wenigstens bis auf Weiteres — zwar keine 
regelrechte Stellenvermittlung einrichtet, doch ihm vor- 
gelegte Anfragen auf Grund systematisch gesammelten, 
scharf durchsiebten Materials beantwortet. In diesem 
Sinne sind mit dem Verein Deutscher Zeitungsbesitzer 
bereits Unterhandlungen eingeleitet worden. Auch darf 
man sicherlich darauf rechnen, daß der Vorstand es sich 
angelegen sein lassen wird, die Beziehungen zu dem 
Reichsverband der Deutschen Presse und dessen regionalen 
Zweigvereinigungen nach Möglichkeit zu pflegen und zu 
stärken. — 

Der mit allem Bedacht ausgewählte Kritiker wird dann 
vollbefriedigende materielle Gegenleistungen vom Verlage 
zu fordern haben. Hinsichtlich der Höhe des Gehaltes, 
der kontraktlich zu sichernden Stellung, der Pensions- 
ansprüche. Vor dreißig Jahren gab es im ganzen deut- 
schen Sprachgebiet sage und schreibe drei politische 
Zeitungen, die ihre ständigen Mitarbeiter auf dem Felde 
der Musik leidlich gut honorierten. Heute zählt man 
ihrer höchstens acht bis zehn. Dazu leben jetzt noch 
viele tüchtige Kritiker von der Hand in den Mund: sie 
sind nicht durch schriftliche Verträge gedeckt, können 
also Knall und Fall an die Luft gesetzt werden, wenn sie 
einmal über die Fähigkeiten etwelcher Sängerin, für die 
ein Großaktionär des betreffenden Blattes eine persönliche 
Vorliebe hat, auch nur einen gelinden Zweifel zu äußern 
wagen. Sie sind sachlich zuständig, persönlich unangreifbar 
und — rechtlos. Und da bestreite man noch, daß die 
gewichtigsten Gründe das Inslebentreten des Kritiker- 
Verbandes zur Notwendigkeit machten! Ich gebe ein paar 
Beispiele. Heinrich Porges und Oscar Merz, die nicht 
nur durch ihr Wissen und Können, sondern besonders 
auch durch ihre Charakterstärke den „Münchner 
Neuesten Nachrichten" weit über das Musikgebiet hinaus 

406 


ein Relief gaben, wurden Zeit ihres Lebens nur „nach 
Zeilen“ honoriert — und das nichts weniger als glänzend. 

— Für einen jüngeren, anderswo tätigen Kollegen, einen 
der ganz wenigen Hochbefähigten, die wirklich produk- 
tive Kritik leisten, war drei Jahre lang zäh zu käm- 
pfen; bis der Verlag ihm einen festen Kontrakt bewilligte 

— dazu ein Verlag, in dem durchweg Intelligenz und 

Wohlwollen regieren. Aber „es war eben noch nicht da- 
gewesen", daß man Jemandem, der im heiklen Nachprüfen 
und Auswägen sonderlich delikater Dinge mit das Schwerste 
vollbringt, was einem höher organisierten Schädel zuzumuten 
ist, das Gleiche zugestand, das man einem biederen Setzer 
oder Paketverschnürer von eh und je bewilligt hatte. 
Nun: auch der Kritikerverband wird das Seine dazu tun, 
daß künftig in Deutschland der Geistesarbeiter hinsicht- 
lich der ihm gebührenden Entlohnung nicht gar zu 

sehr hinter dem geschickten Handwerker zurückstehe. 

III. 

Neben der auskömmlichen, in bindender Vereinbarung 
für angemessene Zeit festgelegten Besoldung muß dem 
Kritiker noch Eines ohne Einschränkung zugebilligt wer- 
den: daß er Herr im eigenen Hause ist! Das 
heißt: daß von Außenstehenden vorgebrachte Wünsche 
bezüglich der Haltung und Färbung der Kritik, wie sie 
gegenwärtig noch häufig genug an die Leitung und den 
Verlag eines Blattes herantreten, grundsätzlich abgewiesen 
werden. Daß ferner der Kritiker, sofern er sich just bei 
redlicher (und taktvoller) Ausübung seiner Pflichten in 
Fehden verstrickt sieht, unter allen Umständen an denen, 
deren Zeitungsuntemehmen er seine Kraft widmet, einen 
festen Rückhalt hat. Daß ihm weiterhin Niemand 
das Konzept verschneidet, an seinen Berichten und Auf- 
sätzen etwas streicht oder ändert. Daß kein Versuch 
unternommen wird, ihn bei irgendwelcher Gelegenheit 
auszuschalteri, ihn, sei es auch nur ganz ausnahmsweise 
einmal, durch einen Dritten zu ersetzen — sozusagen den 
Holzbock zum Gärtner zu machen. Daß endlich kein 
aus anderer Feder stammender Beitrag, der in die Sparte 
Musik einzureihen ist, keine wie nur immer geartete ein- 
schlägige Notiz Aufnahme findet, wenn sie nicht zuvor 
sein „placet" erhalten hat. Daß, mit einem Wort, der 
Kritiker die Stellung eines unabhängigen, innerhalb des 
gesamten Musikbereiches selbständig verfügenden, nur dem 
Chef der Zeitung gegenüber direkt verantwortlichen 
Musikredakteurs erhält. 

Die letztere Forderung wurde von der heurigen Haupt- 
versammlung des Kritiker-Verbandes einmütig erhoben — 
als Ergebnis einer Aussprache, die sich an ein Referat 
von Heuß über den „auswärtigen Nachrichtendienst“ 
schloß. Mit diesem Dienst sieht es großenteils jammer- 
voll aus: dürftige Achtungserfolge von Werken und aus- 
übenden Künstlern werden da mit unglaublicher Behendig- 
keit in Triumphe, offenkundige Niederlagen in Erfolge 
umge — fabelt. Eine sachdienliche Illustration: fast in 

jedem Winter wohne ich Uraufführungen von italienischen 
Opern bei, die, ungeachtet eines schon mit geringem 
Brennstoff leicht zu entfachenden, südlichen Kunst- 
Chauvinismus, des öfteren nur spärlichen, erzwungenen 
Beifall auslösen oder eben gerade noch an einer Kata- 
strophe vorbeigleiten. Schlage ich ein paar Tage später 
deutsche Blätter auf, so lese ich, daß die Zuhörerschaft 
sehr freundlich gestimmt gewesen, daß hier und da der 
Enthusiasmus in hellen Flammen aufgelodert wäre. Nagele 
ich dann später im kälteren Deutschland den Widerspruch 
fest, dann entgegnet man mir: „Was wollen Sie? Wir 
sind doch nicht im Stande, uns für das bischen Kunst 
einen eigenen römischen oder mailänder Korrespondenten 
zu halten!“ Die Folge: der sehr ehrenwerte Vertrauens- 
mann der Zeitung, der am gegebenen Orte „in Politik 
macht“, muß auch über die wichtigeren musikalischen 
Ereignisse Bericht erstatten. Zu ehrlich, um seine Gehör- 
losigkeit zu bemänteln, geht er lieber gar nicht erst ins 



Theater, sondern um die Zeit, da die Vorstellung beendet 
wird, direkt aufs Telegrafenamt. Ahnung slos, ganz zu- 
fällig trifft er dort wirklich jemanden, der etwas von der 
Sache versteht. Nämlich den Verleger der Oper, der, 
wie das in Italien noch üblich, bei der Zusammenstellung 
des jeweiligen Saisonspielplans einer Stadt, bei der Be- 
setzung der Hauptpartien wie bei der Inszenierung das 
entscheidende Wort spricht — und es dem seiner Pflege 
sich anvertrauenden Komponisten von Herzen gönnt, daß 
seine Oper auch in möglichst zahlreichen deutschen Städten 
aufgeführt werde. Man setzt die Schicksalsdepesche auf 
— und beschließt wohl auch den angebrochenen Abend 
mit einem vortrefflichen, durch Sekt und Havannas auf- 
gehöhten Souper. 

Die Moral der Geschichte: der gleichsam als notwen- 
diges Uebel geduldete, einflußlose Musikkritiker ohne re- 
daktionelle Befugnisse ist natürlich nicht im Stande, den 
auswärtigen Nachrichtendienst sachgemäß zu kontrollieren. 
Hingegen vermag es der nach allen Seiten so gut wie 
unabhängige, sein Arbeitsfeld auf Jahre hinaus bestellende 
„Musikredakteur“ recht wohl, sich überall, wo musikalische 
Ereignisse von irgendwelchem Belang vor sich gehen, eines 
ordentlich beschlagenen Vertrauensmannes von annehm- 
barer Ehrlichkeit zu versichern. 

Ist nun aber der Nachrichtendienst innerhalb der deut- 
schen Reichsgrenzen stets zuverlässig? Unlängst hörte 
ich im Kölner Opemhause die zweite Aufführung von 
Humperdincks „Marketenderin“. Der Saal war leer; 
nach den Aktschlüssen regte sich kaum eine beifallspendende 
Hand. Herzlich betrübt darüber, daß der verehrte Meister 
nicht soviel Selbstkritik besaß, die mehr als schwächliche 
Partitur im Pulte zu verwahren, fragte ich einige orts- 
ansässige, wahrheitsliebende Freunde: „Wie verhielt sich 
denn das Publikum bei der ersten Vorstellung?“ „Be- 
greiflicherweise lau und teilnahmslos." Und doch hatte 
ich von einer „warmen Aufnahme“ gelesen. Wer war 
hier der kluge Mann, der sich bemühte, den Erfolg zu 
korrigieren? 

IV. 

Ach ja: es ist so Manches verzwackt oder faul im 
Staate Musikkritik! Je mehr man das vom neuen Ver- 
bände durchzuführende Reformprogramm verarbeitet, um 
so deutlicher gewahrt man, wie im Kunstrichtertum rechts 
und links offene, schwärende Wunden aufklaffen. Hüben 
wird der Kritiker A. durch den Musiklehrer A., drüben 
der Kritiker B. durch den Komponisten B., andernorts 
wieder der Kritiker C. durch den vom Annoncenerwerb 
lebenden Zeitungseigentümer C. in Schach gehalten. Man- 
cher fischt dabei im Trüben. Gewiß: es fehlt keineswegs 
an hoch ehrenwerten Kollegen, die mit peinlicher Gewissen- 
haftigkeit, bei stets erneuter Selbstprüfung, die genannten 
Betätigungen voneinander getrennt zu halten suchen. 
Doch können sie die Grenzlinien, auch beim' redlichsten 
Wollen, stets genau innehalten? Geht das nicht, um ein 
Wort Bjömsons zu gebrauchen, „über unsere Kraft“? 

Es ergeben sich da heikle Situationen — auch wenn 
tadellose, besterprobte Charaktere in Frage stehen. 

Eine Hypothese. Der Tonsetzer U. hat beim Stadt- 
theater zu X. Y. in Mitteldeutschland eine Oper eingereicht. 
Die Entscheidung über die Annahme des Werkes ruht 
beim führenden Kapellmeister des Institutes. Jetzt muß 
aber der Komponist in seiner Eigenschaft als ständiger 
Musikkritiker des zu X. Y. erscheinenden „Spezialauzeigers“ 
die Direktionsleistungen selbigen Kapellmeisters fast tag- 
täglich besprechen. Und wenn er lauter und fleckenrein 
wie ein Engel vom Himmel wäre: kann er dem Manne, 
in dessen Händen ein wesentliches Stück seiner Zukunft 
liegt, bei der Formulierung seiner kritischen Urteile mit 
der ganzen erforderlichen Objektivität begegnen? Nehmen 
wir an, ein nicht oder nur teilweise verdientes Lob quelle 
ihm unter solchen Umständen aus der Feder, ohne daß 
es ihm auffiele: stiftet deshalb die Verschiebung des 


Tatsächlichen nicht doch Verwirrung in der Oeffentlichkeit 
an? Nicht genug damit: bringt er nicht die in der glei- 
chen Stadt tätigen nicht komponierenden Kollegen dem 
Publikum wie den ausführenden Künstlern gegenüber in 
eine peinliche Lage? Hält man das, was sie schreiben, 
mit dem zusammen, was jener Berufsgenosse sagt, so er- 
scheinen sie leicht als Nörgler, als krittelnde Neunmal- 
weise — und schwere, redliche, auf notwendige Verbesse- 
rungen und Aenderungen abzielende Anstrengungen werden 
halb oder ganz lahmgelegt. Denn Theaterdirektoren, 
Kapellmeister und andere Künstler, die etwas auf dem 
Kerbholz haben, stützen sich der Oeffentlichkeit gegenüber 
begreiflicherweise auf die „mildere“ Kritik. — 

Andere Möglichkeit. Ein Kritiker, der sich auch als 
Klavierspieler etwas zutraute, unternähme im Verein mit 
einem ruhmreichen Heldentenor eine Konzertreise. Am 
Tage nach ihrer Rückkehr ginge die „Walküre“ in Szene, 
und der furchtfreie Recke sänge den „Siegmund“. Nach 
Schluß der Vorstellung würde der Kritiker voraussichtlich 
eine mit Superlativen gespickte Kritik über seinen gestri- 
gen Mitstreiter verfassen. Was wäre das für eine 
Komödie! Welche Rolle aber möchte die Redaktion des 
in Frage kommenden Blattes spielen — zumal wenn sie 
von der Proteusnatur ihres Schützlings Kenntnis hätte — 
und über seine Verwandlungskünste lächelnd hinwegsähe! — 

An derartige Eventualitäten war zu denken, als Werner 
Wolffheim die Frage: „In welcher Weise kann der Ver- 
band Kontrolle über Vorgänge im Musikleben und Miß- 
stände in der Musikkritik üben?“ des Eingehenden be- 
antwortete. Er forderte die Verbandsmitglieder auf, alle 
ihnen bekannt gewordenen Fälle von Unregelmäßigkeiten, 
von Vorkommnissen, die mit der Standesehre der Kritik 
nicht vereinbar wären, dem Vorstand anzuzeigen. Darin 
läge nichts weniger als eine „Denunziation“, vielmehr eine 
unabweisliche Wahrung berechtigter Berufsinteressen. Im 
Weiteren stellte Wolffheim den Antrag, die Verbandsleitung 
möchte an alle Musikkritiker eine auf die Arbeits- 
bedingungen (Gehalt, Honorar, Nebenbeschäftigung) be- 
zügliche Rundfrage richten. Aus diesem Anträge, der 
allseitige Zustimmung fand, kann nicht wenig Gutes her- 
vorwachsen. Vorausgesetzt, daß nicht Dieser und Jener 
aus falscher Scham Schönfärberei treibe. Es ist nicht 
erfreulich, aber keine Schande, für gute Leistungen schlecht 
bezahlt zu werden; es ist nur eine Schande, für ungenü- 
gende Leistungen ein reichliches Honorar zu verlangen. 

V. 

Zum Beschluß sprach Paul Bekker über „Verband und 
Musikzeitungen“ . 

Unsere Musikzeitungen: ein eigenes, ein heikles 
Kapitel, das, seiner Wichtigkeit gemäß, in einer Sonder- 
reihe von Aufsätzen behandelt werden müßte. Hier stehen 
für die betreffenden Organe wichtige Fragen zur Debatte. 
Und diese mit allen gegebenen Voraussetzungen selbst 
nur obenhin zu erörtern, das hieße, den Rahmen meiner 
heutigen Darlegungen sprengen. Auch spricht so Manches 
dafür, Ausführungen, die sich mit den Interessen aller 
Fachblätter zu beschäftigen haben, eben nicht in einem 
Fachblatt, sondern an neutraler Stelle zu bringen. 
Dies soll in Bälde geschehen. — — 

Es war meine Pflicht, über die Aufgaben des Kritiker- 
Verbandes unumwunden zu reden. Soll die breitere 
Oeffentlichkeit die höchst wünschenswerte Teilnahme für 
die Bestrebungen des Verbandes gewinnen, so muß sie 
vorerst eine möglichst weitgehende Aufklärung darüber 
erhalten, unter welchen Voraussetzungen und in welchem 
Umfang die Musikkritik den heutigen Verhältnissen 
gemäß eine gedeihliche Wirksamkeit zu entfalten fähig ist. 

Keiner vermag mir zu helfen, wenn er sich nicht über 
meine Situation vollkommen klar ist — und wenn ich mir 
selbst den Emst der Situation, in der ich stehe, mit süß- 
lich leerem Gerede und faserigen Traumgespinnsten ver- 
schleiere. Entgegenstehende Hindernisse richtig ein- 


407 



schätzen, heißt den ersten — und vielleicht schwersten 
Schritt zu ihrer Ueberwindung bereits getan haben. Der 
Verband Deutscher Musikkritiker weiß genau, welche 
Hemmnisse, Angriffe und Fallgruben er auf der von ihm 
zu wandelnden Straße vorfindet. Somit besteht begründete 
Hoffnung, daß er sein Ziel erreichen wird. — Paul Marsop. 


Zur Kunstästhetik unserer Zeit. 

III. Das doppelte Gehör. 

(Sinnliches und geistiges Ohr.) 

Ein Beitrag zum Verständnis der modernen Musik. 
Von Dr. ALFRED SCHÜZ (Stuttgart). 

V. 

S chon diese einfachen Akkordmischungen sind für das 
sinnliche Ohr zum Teil die herbsten Dissonanzen, 
das denkende Ohr zerlegt sie einfach in ihre beiden Teile, 
die konsonanten Dreiklänge, die beide nach ein und dem- 
selben Ziele führen, und genießt sie so im Zusammenklang. 
Man sieht hier, wie zwei Akkorde, die beide zu einem 
dritten führen, auch im Zusammenklang zu diesem 
dritten führen können: 


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Aber nicht bloß die Kadenzakkorde, auch einander 
femerstehende Dreiklänge lassen sich wirksam mischen, 
wenn sie beide nach einem Ziele führen, so die beiden 
terzverwandten Akkorde C + E, und zwar nicht nur als 
Dreiklänge, sondern auch als Septakkorde. 




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Bei Wagner (Siegfried II. Akt) haben wir die Mischung 
D + Fis, die aber diesmal nicht nach G führt, sondern 
nach G + h moll, so daß jeder Akkord wieder seine eigene 
Auflösung hat. Direkt nach G, wenn auch vorübergehend, 
führt der Doppelakkord im 2. Beispiel. Wir lernen auf 
diesem Weg auch die wahre Natur des sogen, übermäßigen 
Dreiklangs kennen. Durch Verbindung der beiden Sept- 
akkorde C 7 + E 1 entstehen zwei (alterierte) Nonakkorde; 
der eine mit großer, der andere mit kleiner Septime, je 
nachdem man C 7 oder E 1 vorherrschen läßt. 


Sehr häufig ist die Akkordmischung C + Ges. Beide 
Akkorde führen glatt nach Fdur, lassen sich deshalb 
auch verbinden. 



Noch inniger verbinden sich die Akkorde als Septakkorde. 

Es sei noch bemerkt, daß der Zielakkord F eigentlich 
wieder als Dominante (von B) zu fassen ist. Wir er- 
kennen hier die währe Natur des sogen, übermäßigen 
Quart- und Quintsextakkords. In eine Tonleiter aufgelöst, 
ergibt der Doppelakkord: 

oder: 



In Form eines gebrochenen Akkords verwendet ihn 
Tschaikowsky (op. 37, 1) in reizvoller Weise als G + Des; 
als D -{■ As Mozart in der Fdur-Sonate: 


Tschaikowsky: 




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17 * L ^ l — nrr — ir 


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Wie die schon besprochene Akkordmischung 17 -f- T 
in Dur sehr häufig, so gibt es auch Mischungen derselben 
in Moll, und zwar in Molldur (1) wie in Durmoll (3), die 
in der modernen Musik mannigfache Verwendung finden: 


1. 2. 3- 


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L..'. ‘ p— r 11 — : 



J. Dalcroze : 




* 1 * 


Der Mollnonakkord f as c es g ( fmoll -f c moll bezw. 
B 9 + Es) führt leicht auch zur Parallel-Durtonart Es dur, 
wie das Beispiel aus J. Dalcrozes „Festival" zeigt. 

Mit der Mischung 0 + U moll, z, B. G + f moll, dem 
kleinen Nonenakkord mit oder ohne hinzugefügter Un- 
dezime, haben wir schon Bekanntschaft gemacht. Man 
weiß, wie mächtig R. Wagner besonders im Nibelungen- 
ring damit wirkt: 


408 




Alle drei Teilakkorde führen nach C dur, getrennt und 
vereinigt. 

Tristan I, 2. Sz.: 












0 



W‘ 



Si 

K 

11 







Der kleine Nonakkord, selber schon ein Doppelklang, Aber auch nach c moll führt der Akkord as h dis ohne 
kann auch noch als Oberdominante mit seiner Tonika Zwang, in welchem Fall er besser as h es geschrieben wird. 

verbunden werden, als T + 0 U , wodurch folgender , q gi , T _| ir 

Akkord entsteht: ( rrr — s l s> ~ : ~| IP» 

E. Grieg, op. 28, 2: ™ 1 p F I * 


r ' 1 ~ 

Auch mit der Molltonika oder, statt dieser, mit deren 
Durparallele läßt sich der kleine Nonakkord mischen, 
z. B. F* mit bmoll oder Ges dur: 



D® + gmoll: C® + f moll: R. Schumann, op. 66, 6: 

-fl r ir li-G-fea» fcr 




1 | i 1 Götterdämmerung II, 5: 

•Äf*- hi « — iT-fl — r-H i — ■ : 




Erhöht man die Quinte des Tiefnonklangs (kleinen 
Nonakkords), so entsteht eine dreifache Akkordmischung 
(Tripelakkord), ein Akkord, der ebensogut vollständig wie 
unvollständig, zu einem Septakkord oder Dreiklang ver- 
kürzt, auftreten kann (a). In letzterem Fall, bei Weglassung 
von Grundton und Septime, entsteht ein Scheinmoll- 
dreiklang. Wir haben so zu den früher angegebenen acht 
Bedeutungen des Molldreiklangs noch eine weitere ge- 
wonnen: einen Molldreiklang mit Dominantbedeutung; 
einen andern solchen haben wir schon früher kennen 
gelernt (b): 

a ) 


Schubert, „Aufenthalt 


=£=1 


I I ffl 


Bei Schubert haben wir denselben A kk ordschritt von 
Schein-c moll nach e moll. Waren wir vorher im wirk- 
lichen c moll, so verwandelt sich bei x enharmonisch das 
es in dis, und wird so gleichfalls zum unvollständigen 
Hochquinttiefnonklang (h) dis fisis (a) c. (Takt I und 2 
haben wir den umgekehrten Schritt von e moll nach c moll.) 

Haben wir schon in den bisherigen Akkordmischungen 
eine Bereicherung der Harmonik gefunden, so begegnen 
uns neuerdings noch viel kühnere Kombinationen, be- 
sonders in der Orchestermusik, wo durch die Verschieden- 
heit der Instrumente und Instrumentengruppen (Streicher, 
Holz-, Blechbläser) eine völlige Verschmelzung ausgeschlossen 
ist und die verschiedenen Akkorde vom geistigen Ohr 
leichter auseinandergehalten werden können. So mischt 
z. B. R. Strauß (Salome: „Ich hab’ ihn geküßt, deinen 
Mund”) den A -Septakkord mit dem Gts-Nonakkord, wobei 
ersterer übrigens als übermäßiger Sextakkord a-cis-fisis 
(Dis + A dur) zu verstehen ist: 


r 1 • — m 

j 

£EE3= g= 


jgdjky 













dieses Nachspiel mit dem Doppelakkord, der dazu noch 
durch ein sf hervorgehoben ist, die sehr gemischte Em- 
pfindung jenes Kusses und der schneidende Kontrast 
im Charakter der beiden (im Kuß sich berührenden) Per- 
sonen ausgedrückt werden soll? Damit wäre die auffallende 
Akkordmischung harmonisch und psychologisch erklärt. 

Wir haben hier nur ein einziges Beispiel von einer 
Menge ähnlicher kühner Akkordkombinationen, und wir 
bekommen jetzt einen Begriff davon, welche Möglichkeiten 
dem modernen Komponisten offen stehen, mit Anwendung 
von Vorhalten, Antizipationen, liegenden Stimmen, Akkord- 
mischungen usw. musikalische Wirkungen hervorzubringen, 
Offenbarungen in Tönen, von denen man früher keine 
Ahnung hatte und die vor ioo Jahren vielleicht niemand 
verstanden hätte, weil ohne Uebung des geistigen Auf- 
fassungsvermögens die neuen Inspirationen dem Ohr ver- 
borgen bleiben müssen. (Fortsetzung folgt.) 


Friedrich Gernsheim. 

Ein Gedenkwort zu seinem 75. Geburtstage (17. Juli). 

E inen 75. Geburtstag in vollkommener geistiger und 
körperlicher Frische zu erleben, gehört zu den großen 
und schönen Seltenheiten, und ein Fest der Freude 
ist es, wenn der Jubilar noch in der Vollkraft seines Schaffens 
steht, von dem die letzten kaum verklungenen Werke Kunde 
geben zugleich mit der Gewißheit, daß dieser Schaffende auch 
in Zukunft noch etwas zu sagen haben wird. 

In die kleine Gemeinschaft so seltener Jubilare trat Friedrich 
Gernsheim am 17. Juli, und wenn wir den Wunsch haben, 
uns in sein Lebenswerk zu versenken, so liegt dieses, ein auf- 
geschlagenes Buch, in seiner Kompositionstätigkeit vor uns. 
Die letzte Saison bot die Erstaufführung seines jüngsten Opus, 
des neuen Violinkonzerts, das die künstlerische Persönlichkeit 
Gernsheims scharf profiliert hervortreten läßt in der Frische 
der Erfindung und der reifen Meisterschaft des Könners. 

Ganz besonders das letzte Jahrzehnt brachte uns der Gerns- 
heimschen Musik näher, wir sahen sein Lebenswerk reicher 
aufgehen, sein Opus 8z „Zu einem Drama“ gehörte zü den 
meist gespielten modernen Orchesterstücken, als Komponist 
von Kammermusik nimmt er unter den Lebenden eine ge- 
achtete Stelle ein, seine Lieder und Klavierstücke ziehen immer 
mehr Freunde in den Kreis ihrer farbenreichen Melodik. 
Audi als Symphoniker ist Gernsheim hervorgetreten. Alle 
diese Werke, die nur ihren Hauptgattungen nach hier ge- 
nannt seien, liegen im Druck vor und sind jedem Interessenten 
leicht zugänglich. Zur Jubelfeier eines 75. Geburtstages aber 
möchten wir gern auch etwas Besonderes von dem Gefeierten; 
unser Blick schweift rückwärts, wir wünschen ein Büd aus 
seinen Kindertagen, aus der Jugendzeit, in der sein Kunst- 
ideal sich zu gestalten begann, in der der Werdende um sein 
künstlerisches Glaubensbekenntnis rang. 

Ein poesievolles Büd des Knaben Friedrich Gernsheim ent- 
wirft August Stoeber, Professor am Kollegium in Mühlhausen, 
bekannter Dichter im Elsaß, der mit seinem Bruder Adolf 
das Deutschtum hochhielt und in der Geschichte Elsaß- 
Lothringens unvergessen bleibt. 

Fritz Gernsheim. 

Wenn der Genius ruft, so sitztest Du, priesterlich Wesen, 
Vor dem geweihten Altar, heü’ger Begeisterung voll. 

Bald aus himmlischem Reich rauscht mächtiges Fluten der 

Töne, 

Oder wallet gelind bald nur, wie mailicher Hauch. 
Mannesmutig durchzuckt’s die zarte kindliche Hülle, 

Doch mit bezaubernder Kraft hemmet Dein Finger den 

Sturm. 

Wie ein Schiffer den Kahn, mit markig schwellenden Armen, 
Also lenkst Du die Flut goldener Töne zum Bord. 

Jetzo sind sie verhallt — Du schüttelst siegreich der Locken 
Dunkle Fülle, und streifst ab von der • Stirne den Glanz. 
Priesterlich Wesen erst, springst Du vom geweihten Altar, 
Bist nun wieder — o bleib es noch lange — ein Kind! 

Diese Verse wurden im Jahre 1852 geschrieben, als Gerns- 
heim auf einer Konzertreise Elsaß und das Badensche Land 
zu jubelndem Beifall hinriß, es folgten Studienjahre in Leipzig, 
während deren er sich als hervorragend begabter Schüler 
des dortigen Konservatoriums auszeichnete. Männer wie 
Moscheies, Hauptmann, Richter, Ferd. David und Dreyschock 
vereinigen sich zu einem glänzend abschließenden Urteil, 
der damalige Direktor Konraa Schleinitz kommt auf die Bahn 


und überreicht dem scheidenden Knaben eine Locke Felix 
Mendelssohns, die Gernsheim heute noch als kostbare Re- 
liquie verwahrt. 

Das fernere Ziel ist Paris, die Metropole musikalischer Kunst 
jener Zeit, hier öffnet sich ihm das Haus Altmeisters Rossinis, 
Rubinstein und Liszt hört er zum ersten Male, er wohnt der 
ersten Tannhäuser-Aufführung bei, für den Menschen und 
Künstler beginnt die Zeit der Reife. 

Auf ein junges, künstlerisch empfängliches Gemüt mußte 
das bunte Pariser Leben und Treiben die mannigfaltigste 
Wirkung ausüben, tief ging dem jungen Gernsheim der Zauber 
des Katholizismus ein, der Marienkultus regt ihn schaffend an 
und findet mehrfachen Niederschlag im „Salve Regina“ und 
einem bisher nicht publizierten „Ave Maria“, das Gernsheim 
nach seiner Rückkehr aus Paris im Jahre 1860 in seiner Ge- 
burtsstadt Worms komponierte *. Es erblühte dem religiösen 
Empfinden, das im Göttlichen auch den Begriff des Schönen 
in sich schließt. Das Stück ist für eine Sopranstimme mit 
Klavier, in schlichter Reinheit der Melodik leitet ein kurzes 
Vorspiel ein, dem sich im vorletzten Takt der Kadenz die 
Singstimme mit „Ave Maria“ einfügt. Erst das „Gratia“ 
fällt mit dem Wiederbeginn der Periode und Rückgang der 
Tonika zusammen, wodurch auf dem „Gratia“ der deklama- 
torische Schweipunkt zu ruhen kommt. So fällt wohl Licht 
durch bunte Kirchenfenster und ergießt sich in vielfach ge- 
brochenen Prismen über die andächtige Gemeinde. Die Füh- 
rung der Singstimme zeigt eine schon geschwungene Linie 
und entspricht dem natürlichen Empfinden für die ästhetischen 
Gesetze der Vokalkunst; die Klavierbegleitung ordnet sich 
nicht unter, sie greift vielmehr melodiemhrend ein oder eint 
sich der Singstimme im Zwiegesang. 

War bisher die Grundstimmung fast übersinnlich heiter, 
so breiten sich jetzt im „Ora pro nobis“ die Schatten Erbarmen 
heischender Menschenschicksale, im Klavier erhebt sich 
murmelnde Bewegung, sie bringt sich fort und fort steigernd 
den Wiedereintritt des ersten Teils und damit die Gewißheit, 
daß über allem Erdenjammer der Erlösergedanke lebt. 

Dieses Stück aus der Frühperiode des Schaffenden eröffnete 
eine weite Perspektive für die Fortentwicklung des damals 
21-Jährigen, wenn wir die letzten Schöpfungen des nun 75-Jäh- 
rigen diesem jugendlichen Opus entgegenhalten, so zeugt die 
Tatsadle, daß der reife Künstler hielt, was der Jüngling ver- 
sprach. Ein Grundzug aber ist dem Gesamtschaffen Gerns- 
heims von Beginn an charakteristisch, die Frische impulsiven 
künstlerischen Erlebens und der Enthusiasmus, der den 
Meister bis zum heutigen Tage jung erhalten. 

K. Schurzmann (Berlin). 


Nochmals der V. Kongreß der „Inter- 
nationalen Musikgesellschaft“ zu Paris. 

Von FERDINAND LAVEN (Paris). 

W ährend der im vorletzten Hefte dasselbe Thema be- 
handelnde Artikel vor allem bezweckte, die hervor- 
ragenden Beiträge der deutschnationalen Mitglieder 
der „I.M.G.“ gebührender Beachtung zu würdigen, soll in 
folgenden Zeilen — außer einigen allgemeinen Erwägungen — 
dem internationalen Gepräge dieser großartigen, nicht nur 
von spezifisch musikalisch angehauchten Elementen so auf- 
richtig begrüßten Kundgebung auf musikhistorischem Gebiete 
Rechnung getragen werden! 

* ' 

Wenn in den schwülen August- oder Septembertagen jedes 
dritten Olympiaden jahres die Pythischen Spiele zu hochedlem 
musischen Meistertumier luden, dann vereinte sich, von hei- 
liger Kampfbegier erfüllt, das Pilgerheer der Amphiktyonen 
und Pylagoren zu Füßen der schroffen unter Phokis A sanftblau- 
fahlrotem Firmament weit in die Lande hinausgrüßenden 
Phädriaden, dann bevölkerte sich der „temenos“, zu dem fünf 
breite Stufen aus grauem Kalkgestein hinanführten, und die 
Götteratmosphäre des Apollotempels und all der die kost- 
barsten Ex-voto bergenden Schatzbauten mit ihren sich gegen- 
seitig übertrumpfenden Friesen und Metopen gewann che sie 
suchenden Herzen. Und plötzlich erscholl mitten in diesem 
von Gold, Bronze und Marmor strotzenden Haine ein von 
melodischen Lyren und Kitharen begleiteter Jubelhynmos zu 
Ehren des delphischen Gottes, der da oben im Massiv des 
Parnasses thronte. 

An diese erhebende Einleitungsfeier schlossen sich dann 
historisch-bedeutsame, ernster „Arbeit“ gewidmete Tage an, 
während derer in Gegenwart von Schriftstellern, Philosophen, 
Politikern usw. instrumentale, gesangliche und dichterische 


1 Das Stück ist in der heutigen Musikbeilage veröffent- 
licht Red. 


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Darbietungen mit Vorträgen, Vorlesungen und dionysischen 
Theatervorstellungen harmonisch wechselten. . . . 

Ist es nicht bezeichnend, daß das 5. Jahrhundert vor Chri- 
stus den Entwurf zu einem Programm zu liefern in der Lage 
ist, das — sagen wir’s ruhig ! — bereits alle diejenigen Punkte 
ins Auge gefaßt hatte, die auch dem im 20. Jahrhundert 
unserer Zeitrechnung soeben beendigten V. Kongreß • der 
„I.M.G.“ als Richtschnur dienten ? Und wenn mich bei dieser 
Annäherung zweier so himmelweit entfernt liegenden Epochen 
die Versuchung zu einem andern Vergleiche treibt, wird man 
mir dann auch den verzeihen ? . . . Ich erwähnte oben die 
fünf den heiligen Bezirk erschließenden Stufen! Bedeuten 
nicht ebenfalls die heute hinter uns liegenden fünf Kongresse 
der „I.M.G.“ (Leipzig, Basel, Wien, London, Paris) fünf 
wesens verschiedene Grade, deren letzter den hochwichtigen 
Abschluß eines bemerkenswerten, grundlegenden Kraftauf- 
wandes darstellt ? 

Und liegt nicht die Belohnung dieses Kraftaufwandes in 
den dem ausgereiften Neophytenauge mm hinfüro freundlich 
winkenden Heiligtümern, deren in solidem Schrein nach 
Olympiadenmuster gesammelte reiche Schätze fruchtbringen- 
der Aussaat harren ? Diese Aus- 
saat tut uns ja so dringend not bei 
einer sich unheimlich mehr und 
mehr fühlbar machenden Zersplitte- 
rung der Urbegriffe aller Kunst. 

Aber noch ist es nicht zu spät, 
noch ist es Zeit, noch hat in aller- 
letzter Stunde eine dem „Orfeö Ca- 
talä“ aus Barcelona zu verdankende 
wahrhaft glorreiche Apotheose nicht 
nur des 5. Kongresses, sondern der 
gesamten Pariser Konzertsaison — 
so dürftig wie nie zuvor an über- 
zeugenden Triumphen — ein ver- 
söhnendes Gefühl neuer Hoffnungs- 
freudigkeit in uns aufkommen lassen. 

Trösten wir uns also, vergessen wir 
die tausend von dilettantischer Un- 
erfahrenheit und Eingebildetheit dik- 
tierten Minderwertigkeiten, all die 
sich in schwülstigem Domgestrüpp 
selbst erstickenden Verirrungen fa- 
den Scheinvirtuosentums und be- 
herzigen wir andererseits den im Vor- 
hof des Apollotempels angebrachten 
bekannten Spruch eines der sieben 
Weisen: „Med6n ägan“, auf gut 
deutsch: „Ihr übereifrigen Musiko- 
graphen, ihr Reformatoren der Inter- 
pretation, ihr pedantisch verfahren- 
den Ausleger vermoderter Epochen, 
ihr ehrgeizige Veranstalter von tüfte- 
ligen Experimenten mit dem .be- 
wußten gefährlichen historischen 
Hintergrund', ihr unzähmbaren Neu- 
menjäger! Maß und Ziel, Respekt 
vor der Forschung, aber auch mutig 
voran, mit den Stigmaten un- 
serer Zeit auf der freien Stirn!“ 

Der ganze V. Kongreß war ein einziger, herziger Sympathie- 
beweis für die aus affen Himmelsrichtungen : aus Deutschland, 
England, Oesterreich, Belgien, Dänemark, den Vereinigten 
Staaten Griechenland, Holland, Italien, Rußland, Schweden 
und der Schweiz nach der fieberhaft pulsenden Seinestadt 
herbeigeeilten männlichen und weiblichen Teilnehmer. Ueber- 
-• — * = -Re für sie: in den „Excelsiorsälen“, der 

Kirchen, den öffentlichen 



FRIEDRICH GERNSHEIM. 
Photogr. Atelier Neuhaus, Dortmund. 


all glänzende Empfänge für sie: in 
„Sorbonne“, in den Theatern, den 
und privaten Kunstzentren enthusiasmierter Mäzene. 

Besonders zeremoniös gestaltete sich die Begrüßungssitzung 
in der Sorbonne“, in der der ehemalige Ministerpräsident 
Barthou’u. a. mit beredten Worten die Fortschritte der fran- 
zosischen Musikwissenschaft feierte. Und wenn er am Schlüsse 
betonte: „Es gibt zwei Kategorien von Musikfreunden die 
unsere großen Konzerte besuchen: die, welche einfach hören 
(entendent), und die, welche lauschen (e c o u t e n t) . Ich 
habe festgestellt, daß die, welche lauschen muner zahlreicher 
werden. Die Musik ist nicht nur eine Kunst; sie ist auch 
eine Wissenschaft“ . . • dann kann man dem nur bedingungslos 
beipflichten. Es steht außer Zweifel, daß Frankreich mit 
seltenem Eifer an seiner musikalischen Emanzipation arbeitet 
und in kurzer Zeit wohl nennenswerte Erfolge aufzuweisen 
haben wird, die der Gesamtentwicklung musikalischen Wesens 
nur zugute kommen können. ... . . . , 

Zu einem besonders wertvollen Ensemble vereinigten sich 
die am Morgen des V Juni im „Hötel des Ingenieurs Civils 
gemachten Mitteilungen: der „Sektion für rehriöse Graduchte 
(Georgio Barini [Rom] über Neumen und Akzente , Be- 
werung [Irland] über den „Gregorianischen Gesang , Ko- 
mitas [Konstantinopel] über „Alte Notenschrift und armenische 
M usi k"); der „Sektion für Bibliographie ; der „Sektion 


für Profaugeschichte“ (Arnold Schering über „Gesang und 
Instrumente in der polyphonen Musik des 15. Jahrhunderts“; 
Tessier über die „Oper im 17. Jahrhundert“; Eeorcheville 
über den „Lautenspieler Mouton“); der „Sektion für Ethno- 
logie“ (Vorträge von Mitgliedern aus Schweden, Hannover, 
Irland und Schottland). Warme Aufmerksamkeit erregten 
ferner am 4. Juni die Ausführungen Müllers in der „Sektion 
für religiöse Geschichte“ über die „Klassische Polyphonie 
des 16. und 17. Jahrhunderts“, Scherings in der „Sektion 
für Profangesehiehte“ über den „Gebrauch der Instrumente 
bei den polyphonen Werken des 15. und 16. Jahrhunderts“, 
Lyons in der „Sektion für Unterricht“ über die „Logische 
Numerierung der Noten der chromatischen Tonleiter“, des 
Dr. Marage über die „Photographie der Stimme“, die das 
fehlerlose Ablesen der Tonschwingungen beim Sprechen und 
Gesang bezweckt. „Wir können heute,“ so meinte der Vor- 
tragende, „den Ton künstlich darstellen und für eine mehr 
oder minder naheliegende Zukunft den wissenschaftlich ver- 
wirklichten .sprechenden Film' vormerken.“ 

Zu regem Meinungsaustausch veranlaßten am 5. Juni die 
Beobachtungen des R. P. Komitas aus Konstantinopel über 

„Die armenische Volksmusik“ jind 
die reizende Plauderei der Frau 
Eugenie Lineff über „Alte russische 
Volkslieder“. Ganz besonders ab- 
geklärtes Beherrschen des Stoffes 
verrieten die akademisch-vollendeten 
Aufschlüsse des Regens Dr. F. X. 
Mathias (Straßburg) über „Kirchen- 
musik in Elsaß“, dessen so überaus 
wichtige Anteilnahme an dem im 
Dezember vorigen Jahres in Trier 
(Mosel) abgehaltenen „Choral-Kur- 
sus“ hier nicht unerwähnt bleiben 
soll. Göhlinger schilderte im An- 
schluß daran die „Geschichte der 
religiösen Musik Straßburgs wälireud 
der ersten Hälfte des 17. Jahrhun- 
derts“. Tiersot verbreitete sieh über 
die „Organisation der Bibliothek des 
Pariser Konservatoriums “ , Peyrot 
über die „Systematischen Forsch- 
ungsmethoden und die sich aus 
ihnen ergebenden Resultate“. In 
der „Unterrichtssektion“ wußte einer 
der modemst denkenden Musiker 
Frankreichs, Jean Hure, Wichtiges 
über die „Bildung von Akkorden 
vermittelst natürlicher Harmonien 
im Laufe der Jahrhunderte“ zu sa- 
gen. Eine mit zahlreichen Projek- 
tionen genährte Konferenz Sche- 
rings über den „Gebrauch der Mu- 
sikinstrumente bei den polyphonen 
Werken des 15. und 16. Jahrhun- 
derts“ bot viel des Interessanten. 
Den Abschluß des arbeitsreichen 
Tages bildete ein der Renaissance- 
musik gewidmetes Konzert bei Ga- 
veau, in dem Motetten und ver- 
schiedene andere a capella-Stücke von Claudin Lejeune, Jos- 
quin Despres, Costeley usw. wirkungsvoll von der „Schola“- 
Saint-Louis zum Vortrage gelangten. 

Erwähnenswert sind die am letzten ernster Arbeit gewidmeten 
Kongreßtage gefaßten Beschlüsse u. a. der Sektion für „Theorie 
und Unterricht“. Dorsan van Reysschoot wünscht als erster, 
daß „das Studium der musikalischen Formen in den Kon- 
servatorien und den höheren Unterrichtsinstituten für Musik 
verallgemeinert werde; daß man den Verlegern, die sich mit 
dem Vertrieb von volkstümlichen Orchesterpartituren befassen, 
anraten möge, nur den Violin- und Baßschlüssel anzuwenden 
und die transponierten Instrumente so zu notieren, wie sie 
wirklich klingen“. Hure ist für Abschaffung des „Tritonus“- 
Verbotes beim elementaren Kontrapunkt, für das obligatorische 
Studium der Ornamente (wenigstens in der Instrumental- 
musik) beim Unterricht in der Technik unter Hinzuziehung 
der klassischen Exempel der Couperin, Rameau, Forkel usw., 
für das obligatorische Elementarstudium der Harmonie, des 
Kontrapunktes und der musikalischen Formen bei Schülern 
der Instrumentalmusik und bei Sängern. ... Die Sek- 
tion für „Akustik“ tritt für die Einheitlichkeit des Kammer- 
tons ein und zwar für das französische „a 3 “, das in allen Ländern 
eingeführt zu werden verdient; auch soll der Diapason während 
der Aufführungen stets unverändert bleiben. . . . 

* * * 

Die Pariser Kritik war nicht ganz zufrieden mit dem Verlauf 
des Kongresses; sie behauptete, die zeitgenössische französische 
Musik — wir wissen genau, um welche es sich dreht! — sei 
zu wenig zu Worte gekommen. ... U. E- war das nicht gerade 
ein Fehler; denn die gewählten Proben hätten nicht eben dazu 
beigetragen, die ohnehin schon gestörte Verdauung während 

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der zehntägigen ' Expreß-Musikkur zu fördern. Jedenfalls 
vermochte diese kleinliche Bemängelung nicht die großartigen, 
imvergeßlichen Eindrücke zu verwischen, die ein jeder von 
den Konzerten der „Sainte-Chapelle“ — diesem zur Wieder- 
gabe der primitiven französischen Musik mit ihrer gallischen 
Derbheit und brutalen, kraftstrotzenden Polyphonie wie ge- 
schaffenen Rahmen — und dem Spiegel-Eden des Versailler 
Schlosses mit nach Hause nehmen Konnte. 

Und nun sei schließlich des schönsten, den Kongreß auf 
die herrlichste Weise krönenden Ereignisses gedacht: der ganz 
wunderbaren, formvollendeten Offenbarung des „Orfeo Catalä“ 
aus Barcelona, der sich im „Theätre des Champs Elysöes“ 
und im „Trocadero“ — bereits bei den ersten Akkorden lor- 
beergeschmückt — dem von Spannung geblähten, saisomnüden 
Publikum vorstellte. Wir werden sicherlich noch Gelegen- 
heit haben, ausführlicher über diesen Riesenchor mit seinen 
250 männlichen und weiblichen Stimmen zu berichten, der 
unter der phänomenalen Leitung Louis Millets zu einer einzig- 
mächtigen Symphonie wird. Wie himmelhoch doch das Re- 
pertoire dieser kunstdurchsetzten Schar über das ewige Einerlei 
unseres landläufigen Singsangwesens hinausragt, wie sie be- 
weist, daß es auch eine dem modernen Orchester entsprechende 
„evolution des voix“ gibt! Ich könnte keine treffendere 
Kritik des „Orfeö Catalä“ hierhin setzen als die eines Franzosen, 
der sich nicht scheut, seinen Landsleuten zuzurufen: „Der 
Vergleich (mit unsem Gesangsvereinigungen) ist vernichtend! 
Niemals werden wir solche Disziplin verwirklichen! Der 
Versuch ist zu häufig gemacht worden: er läßt uns keine 
Hoffnung mehr ! . . . len rate unsem Sängern, den Konzerten 
des „Orfeö Catalä“ femzubleiben; das ist für sie das einzige 
Mittel, ihren Stolz, Franzose zu sein, bewahren zu können!“ 

Mir deucht, daß eine Verallgemeinerung dieses Gedankens 
dem geistreichen „Kompliment“ keinen Abbruch tun dürfte ! . . . 


Anmerkung. Wie jetzt gemeldet wird, ist auf dem 
Kongreß die Herausgabe einer großen Sammlung musikalischer 
Theoretiker des Mittelalters beschlossen Worden. Zur Unter- 
stützung sollen außer der französischen auch die anderen 
Regierungen aufgefordert werden. Ferner wurde beschlossen, 
einen internationalen Ausschuß zu bilden, durch den alle 
Untersuchungen über die Musik primitiver Völker zentralisiert 
werden sollen. 


Franz Liszts Urteile über Tonkünstler, 
Sänger und Sängerinnen. 

Von Dr. ADOLPH KOHUT. 

F ranz Liszt war nicht allein ein Vorzüglicher Schrift- 
steller, der in seinen zahlreichen Werken als ein mit 
dem ganzen musiktheoretischen Rüstzeug und der 
ganzen wissenschaftlichen Bildung des Jahrhunderts aus- 
gestatteter Autor erscheint, sondern er zählte auch zu den 
anregendsten und espritvollsten Briefschreibem. Mit den 
namhaftesten und bedeutendsten Komponisten, Dichtem, 
Schriftsteilem und sonstigen bemerkenswerten Persönlich- 
keiten seiner Zeit in einer regen Korrespondenz stehend, äußerte 
er sich in diesen seinen nicht für die Oeffentlichkeit be- 
stimmten Zuschriften über Tonkünstler, Sänger und Sänge- 
rinnen in unumwundener Weise. Ist auch sein Urteü wer 
und da nicht unbedingt maßgebend, so ist es doch der 
Ausdruck einer wahren und reinen Ueberzeugung und zugleich 
einer lauteren Gesinnung, von dem Gerechtigkeits- und 
Billigkeitsgefühl, sowie von der vornehmen Denkart des 
Schreibers Zeugnis ablegend. Einige solcher Urteüe, die sich 
in seinen Briefen und Schriften zerstreut vorfinden und die 
im allgemeinen wenig bekannt sind, seien hier zusammen- 
gestellt. 

Aufrichtige Verehrung hegte Franz Liszt für seinen Lehrer, 
den Klavierpädagogen und Komponisten Karl Czerny (geboren 
den 20. Februar 1791 zu Wien und dort gestorben den 15. Juli 
1857). Wo er nur Gelegenheit hatte, verkündete er mit feurigen 
Zungen das Lob des Meisters, dessen Klavieretüden so ge- 
waltig die Technik des Klavierspiels gefördert haben. Auch 
in den Zuschriften, die der junge Virtuose an Karl Czemy 
richtete, spricht er sich in begeisterter Weise über ihn aus. 
So heißt es z. B. in einem in französischer Sprache verfaßten, 
im Musikvereinsarchiv zu Wien befindlichen Brief Liszts — 
Paris, den 26. August 1830 — , daß er, der Jünger, in allen 
Künstlerkreisen, die er in der Hauptstadt Frankreichs besuche, 
„furchtbar“ für den Meister plädiere, und daß alle Welt wünsche, 
daß Czemy nach Paris kommen und dort eine Zejt verweilen 
möge. Er sei auch in Seine-Athen so allgemein geachtet, daß 
er ohne Zweifel mit dem Empfang, der ihm dort zuteil werden 
würde, sehr zufrieden sein könnte. Sollte er diese seine Ab- 


sicht verwirklichen wollen, so werde er für ihn tun, was er 
für seinen Vater täte. Dann heißt’s wörtlich 1 : „Auf Ihre 
bewunderungswürdige Sonate (opus 7) habe ich ein besonderes 
Studium verwendet, und sie sodann in verschiedenen Gesell- 
schaften von Kennern (oder wenigstens sogenannten) gespielt. 
Sie können sich die damit hervorgebrachte Wirkung nicht 
vorstellen, ich war davon völlig verwirrt. In seiner Begeisterung 
über das Prestissimo bat mich Herr Luden 1 um zwei Worte 
zur Einführung bei Ihnen. Ich kenne Ihre Güte, nie wird sie 
aus meinem Gedächtnis schwinden. So empfehle ich den- 
selben also getrost Ihrer Freundlichkeit. In Erwartung des 
Glücks, Sie umarmen zu dürfen, und Ihnen (wenn auch nur 
schwach) alle die Dankbarkeit und Bewunderung zu bezeugen, 
von der ich für Sie durchdrungen bin. Franz Liszt.“ 

Und 26 Jahre später läßt er sich in einer Zuschrift an 
D. Pruckner über Czemy dahin aus, daß von allen jetzt 
lebenden Komponisten, die sich speziell mit dem Klavierspiel 
und dem Klaviersatz befaßt haben, er keinen außer Czerny 
kenne, dessen Ansichten und Beurteilungen einen so richtigen 
Maßstab des Geleisteten darbieten würden. In den zwanziger 
Jahren des vorigen Jahrhunderts, wo ein großer Teil der 
B eetho venschen Schöpfungen für die meisten Musiker eine 
Art von Sphinx gewesen sei, habe Czemy ausschließlich 
Beethoven mit ebenso vortrefflichem Verständnis wie aus- 
reichender wirksamer Technik gespielt und später habe er 
sich auch nicht gegen einige neue Fortschritte m der Technik 
verschlossen, sondern wesentlich durch seine Lehren und 
seine Werke dazu beigetragen. Schade sei es nur, daß er 
nicht durch eine zu übermäßige Produktivität auf dem Wege 
seiner ersten Sonate (op. 6, As dur) und einiger anderer Werke 
dieser Periode, die er als bedeutsame, der ältesten Richtung 
angehörige und schön geformte Kompositionen hochschätze, 
weiter fortgeschritten sei. „Leider aber waren damals die 
Wiener gesellschaftlichen und verlegerischen Einflüsse schäd- 
licher Art und Czerny besaß nicht die notwendige Dosis von 
Schroffheit, um sich ihnen zu entziehen und sein besseres 
Ich zu wahren.“ 

Ueber die Kritik selbst äußerte sich Liszt unter anderem: 
das beste Resultat der Kritik bestehe darin, daß es zu neuem 
Schaffen anrege. Eine Kritik, die nur die schwachen Seiten 
an einem Kunstwerk hervorhebe, sei verwerflich, sie müsse 
vielmehr auch seine Schönheiten aufsuchen. Leider werden 
jedoch die Würde und die mühevollen Pflichten des Unter- 
richts und der Kritik, von denen die letzteren nichts anderes 
als ein allgemeines Lehren sei, nur von einem sehr kleinen 
Teil verstanden. Die Mehrzahl der Lehrer und Kritiker von 
Beruf kümmere sich blutwenig um das, was sie tue und sage, 
denn sie seien vor allem Männer des Handwerks und des 
Handels. Sei es nicht beklagenswert, so ruft er einmal aus, 
ein schönes Werk dem albernen Gähnen, den witzelnden 
und höhnischen Bemerkungen .solcher Kritiker ausgesetzt 
zu sehen, die am nächstfolgenden Tag der Aufführung ihre 
Unwissenheit und ihre elende Parteilichkeit dem Publikum 
aufoktroyieren wollen ? „Ohne Zweifel,“ so meint er wörtlich, 
„lehren und schreiben hochverdienstvolle Männer. Aber ab- 
gesehen von ihrer geringen Zahl sind ja gerade sie es, die 
wir als Zeugen aufrufen können. Sie sind es, die mehr als 
wir noch die Leere, die Sinnlosigkeit und die Mißbräuche 
des Unterrichts und der Kritik in ihrem gegenwärtigen Zustand 
beklagen. Ohne Zweifel wäre es, um dem Uebel wenigstens 
teilweise zu steuern, notwendig, daß keiner sich das Recht 
zu lehren und öffentlich das Amt eines Kritikers auszuüben 
anmaßen dürfte, bevor er eine Prüfung bestanden und ein 
Zeugnis erlangt hätte.“ Einmal macht er den paradoxen Vor- 
schlag, daß der Kritiker, um an Klarheit zu gewinnen, über 
ein neu erschienenes Werk zwei verschiedene, aber gleich- 
zeitig erscheinende Beurteilungen geben solle, anstatt die 
Vorzüge und Schwächen der Novität in einer Wage abzu- 
wägen. Ein solches Verfahren würde der doppelten Pflicht 
des Kritisierenden Genüge leisten, nämlich der strengen 
Pflicht, die ihm der Kunst gegenüber obliege, ihren Tempel 
von Verkäufern und Marktschreiern zu reinigen und der 
heiligen Pflicht gegen den Künstler selbst, seinem rastlosen 
Verlangen, seinem imbestimmten Wollen, seinem Ueber- 
strömen, seinem ängstlichen Forschen und seinem tiefen Leid 
Rechnung zu tragen. 

Von dem hier angedeuteten idealen Standpunkt aus geht 
nun Liszt an die Beurteilung der Komponisten und Virtuosen, 
Sänger und Sängerinnen. 

Ludwig van Beethoven feiert er wiederholt mit begeisterten 
Worten. Anläßlich einer Besprechung von Beethovens 
„Fidelio“, aus dem Jahre 1854, meint er, daß diese Oper 
einen der vornehmsten Plätze in der Reihe jener erhabenen 
Schöpfungen einnehme, deren anerkannte Schönheit den 
Hörer in die wohlige Sicherheit versetze, sich ohne Furcht 
vor Enttäuschung seinem Gefühl der Bewunderung hingeben 


1 Vergleiche die deutsche Uebersetzung dieses Briefes im 
II. Band der von La Mara herausgegebenen „Musikerbriefe aus 
fünf Jahrhunderten“. Leipzig, Breitkopf & Härtel. S. 210. 
1 Pianist aus Kopenhagen. 


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zu können. Die lyrischen und orchestralen Schönheiten, an 
denen das Werk überreich sei, seien so hervorragend, daß 
sie die eigentlichen dramatischen Effekte ersetzen, ja sie sogar 
durch das siegreiche Sicherheben über die Schwächen des 
Gedichts vergessen machen. 

Wundervoll ist die Abhandlung Liszts über die Musik Beet- 
hovens zu „Egmont“. Der Meister habe hier der Kirnst einen 
ganz neuen Weg eröffnet, indem er mit mächtiger Hand 
den ersten Baum eines bis dahin noch unbekannten Waldes 
gefällt und diesen Weg Selbst betreten habe, nachdem durch 
ihn das erste Hindernis hinweggeräumt und Hand ans Werk 
gelegt worden sei. 

Dem göttlichen Mozart zu Ehren leitete Franz Liszt ge- 
legentlich der hundertjährigen Mozart-Feier in Wien die 
Mozart-Konzerte am 27. und 28. Januar 1856. Was der 
Weimarer Meister über Mozart schrieb, gehört mit zu dem 
Treffendsten und Interessantesten, was je veröffentlicht wurde. 
Mozart sei von allen Musikern der glücklichste und kühnste 
Erfinder seiner Zeit, der mit dem größten Erfolge schöpferisch 
zu gestalten, zu entdecken, Neues zu machen gewagt und 
mit jedem neuen Versuch sein Ziel erreicht habe. Wie jedes 
Genie habe zwar auch er zur Erfüllung seiner Mission leiden 
und dulden gemußt, doch ohne das tröstende Beispiel einer 
wenn auch späten, aber unausbleiblichen Gerechtigkeit vor 
Augen zu haben, die die Nachwelt den wahrhaften Ueber- 
zeugungen der Standhaftigkeit, den Anstrengungen und 
gewissenhaften Arbeiten der Künstler früher oder später immer 
noch angedeihen lasse. Mozart haben wir den größten Teil 
dessen, was wir als Musiker seien, zu verdanken, mm, der vor 
allen andern mit der größten Fülle, dem staunenswertesten 
Reichtum, der wunderbarsten Elastizität und der herrlichsten 
Verbindung der verschiedensten, sogar oft einander aus- 
schließenden Eigenschaften mit der schönsten Harmonie 
von Adel und Grazie, von Erfindung und Kombination, von 
Leidenschaft und Beherrschung, von Majestät und Zartheit 
begabt gewesen sei. Die Vielseitigkeit seines Genies habe 
sich auf alle Zweige der Kunst erstreckt, selbst die Virtuosität 
nicht ausgenommen, die er im Verhältnis zu der damaligen 
Technik bis zur höchsten Höhe gesteigert habe. Sein unend- 
liches Verdienst um die Kunst, das alle übrigen zusammen- 
fasse, bestehe in ihrem Einpflanzen in das soziale Leben, 
daß sie nun als ein Element der geistigen Bildung die Kluft 
ausfülle, die. die gelehrte von der naiven Musik getrennt habe. 
Es bestehe in der innigen Verschmelzung und Vereinigung 
der Melodie, dieses instinktiven Naturerzeugnisses des musi- 
kalischen Volksgeistes, mit der Harmonie dieser durch hundert- 
jährige Arbeit unserer Meister ruhmvoll geschaffenen Wissen- 
schaft. Mit ihm habe ein neues Zeitalter für die Musik be- 
gonnen, jene Zeit des sinnlichen Wohlklanges und Genusses 
im Verein mit glänzendsten Taten, jene so reizvolle Zeit, wo 
der Gedanke im Besitz seiner ganzen Reife noch den Hauch 
seiner Jugendfrische trage. 

Interessant ist das Urteil Franz Liszts über den großen 
Romantiker unter den Opemkomponisten, Carl Maria v. Weber. 
Obschon er ihn nach Gebühr hochschätzt, hervorhebend, 
daß er im „Freischütz“ dem volkstümlichen Stoff nicht allein 
seine volle musikalische Wirksamkeit verliehen, sondern 
auch dessen Dimensionen durch seinen poetischen Hauch 
erweitert, die Charaktere verschönert, die innere Wärme ge- 
steigert und das Kolorit erhöht habe, ist er nicht blind für die 
Vorzüge jener Oper des Komponisten, die von jeher am meisten 
angefemdet wurde und die bis heute zu einer allgemeinen 
Volkstümlichkeit nicht gelangen konnte. Ich meine die 
„Euryanthe“. Scherzhaft und nicht ohne Ironie bemerkt er, 
daß die zahlreichen Aufführungen, die der „Freischütz“ er- 
lebte, nicht nur der Musik, sondern auch dem Umstande zu- 
zuschreiben seien, daß in dieser Oper die Eule, die Skelette, 
die wüde Jagd und der rote Samiel für den Zuschauer an- 
ziehende und unwiderstehliche Momente haben. In der 
„Euryanthe“ freilich gäbe es keine Eulen, keine Skelette, 
keine Wolfsschluchten und keine roten Samiele, ja nicht 
einmal einen kleinen Walzer, den alle jungen Damen mit 
Wonne spielen und tanzen können, keine Brautliedchen, 
um es in spe vor sich hinzusummen, ja nicht einmal einen 
Jägerchor, der für den Leierkasten zu gebrauchen wäre. 
Allerdings fände man auch in der „Euryanthe“ einen Jäger- 
chor, aber hier seien die J äger nicht mehr lustige Bergbewohner, 
denen eine frische, lebhafte Melodie mit graziösen, originellen 
Rhythmen genüge, es seien Ritter und Edelleute, die mit 
Noblesse dem edlen Weidwerk obliegen. Auch sei der Chor 
vermöge seiner edlen Wendungen und seiner deklamatorischen 
Phrasierung kein Stück zum Pfeifen oder für den Leierkasten. 
Im Gegensatz zu den meisten Kritikern „Euryanthes“, die 
sowohl den Text wie die Musik für minderwertig erklärten, 
betont Liszt mit allem Nachdruck, daß beides vor dem „Frei- 
schütz“ den unverkennbaren Vorzug eines erhöhteren Strebens 
und einer erhabeneren Begeisterung habe. Dem Text wie 
der Musik seien höhere Ausgangspunkte eigen. Sie erhöben 
sich über häusliches und ländliches Leben und nähmen einen 
kühnen Aufschwung zu heroischer Entfaltung. Mit der 
Komposition der „Euryanthe“ habe Weber den ersten Fuß 


in ein neues Land gesetzt. Hier sei er sich als Vorläufer der 
neuen Aera bewußt geworden und hätte eine Vorahnung des 
zukünftigen „Tannhäuser“ und „Lohengrin“ gehabt. 

Nun zieht Liszt eine sehr lehrreiche Parallele zwischen 
dem Verhalten Webers und dem Richard Wagners zu den be- 
treffenden Textdichtern. Weber sei, im Gefühl seiner Fähig- 
keit, sich der ganzen poetischen Kraft solcher Stoffe be- 
mächtigen zu können, die höheren Sphären als der „Freischütz“ 
entnommen und von mächtigeren Leidenschaften als dieser 
bewegt seien, mit dem vom Stoff losgelösten musikalischen 
Wert seiner einzelnen Stücke zufrieden gewesen und habe dabei 
nur das eine vergessen, daß der Text mcht .seinen Fähigkeiten 
entsprochen hat« und daß daher dessen Mängel den Schön- 
heiten seiner Kompositionen einen unheilbaren Schaden habe 
zufügen müssen. Wagner dagegen habe sich sehr wohl Rechen- 
schaft von dieser Mesalliance zwischen dem Genius Webers 
und dem Talent seiner Dichterin Helmine von Ch£zy gegeben 
und habe mit seinen eigenen Schöpfungen energisch gegen 
all derartige Mesalliancen protestiert, die, ohne den mittel- 
mäßigen Poeten zu erheben, den großen Musiker nieder- 
ziehen. „Durch diese beredte Protestation,“ sagt Liszt, 
„welche ausspricht, daß der Genius des Musikers sich nur mit 
einem ebenbürtigen Dichtergenius verbinden darf, und daß 
die beste Musik immer ein mehr oder minder ungünstiges 
Geschick haben wird, sobald sich mittelmäßige Poesie zu ihrem 
Träger aufwirft, leistete Wagner der dramatischen Kunst 
einen unberechenbaren Dienst.“ 

Felix Mendelssohn-Bartholdy schätzt Liszt als einen mit 
äußerst zarter, feinfühlender und vollkommen gebildeter 
Intelligenz ausgestatteten Komponisten, der in seiner Weise 
besonders auf die Annäherung und innigere Verschmelzung 
von Musik und Literatur eingewirkt und beide mit einer Art 
wohltätigen Zwanges in die gleichen Strömungen zu leiten 
geholfen habe. Besonders hoch stellt er die Musik zu. Shake- 
speares „Sommemachtstraum“. 

Ganz anders sei Robert Schumann geartet. Der verschlossene, 
trübe und düstere Hang dieses Komponisten habe sich mit 
Vorliebe auf Stoffe voll unruhigen Verzagens, voll rätsel- 
hafter Schwermut und voll erhabenen Bangens neben über- 
menschlicher Kühnheit geworfen. In „Manfred“ erscheine 
zwar auch eine Fee, doch sei sie kein in ihrem Schmollen, 
in ihrem Eigensinn reizendes Weib, das ebenso unüberlegt 
sich räche, als es inkonsequent treulos sei — es sei eine Seele, 
eine durchsichtig schimmernde Seele, welche geweihte Grazie 
atme und poetische Pfeile ausstrahle. Schumanns „Genoveva“ 
nennt er in musikalischer Hinsicht „Die Schwester von Fidelio“, 
nur daß ihr die Pistole der Leonore fehle. Uebrigens wende 
sich die Musik dieses Meisters mehr an sinnende Gemüter und 
ernst gestimmte Geister, die nicht auf der Oberfläche umher- 
treiben, sondern es verstehen, in die Tiefen zu taudien, um 
dort die verborgenen Perlen zu suchen. Je mehr man in seine 
Ideen eindringe, desto mehr Kraft und Leben entdecke man 
in ihnen; je mehr man sie studiere, desto mehr sei man von 
dem Reichtum und von der Fruchtbarkeit überzeugt, die 
uns früher entschlüpft sd. 

Mit welcher Begeisterung und leidenschaftlicher Verehrung 
Franz Liszt dem Genius Richard Wagners huldigte, ist zu 
bekannt, um hier angehend erörtert zu werden. Wie ein roter 
Faden zieht sich dies Thema durch die Schriften und Briefe 
Liszts. Mit neidloser Bewunderung verherrlicht er seinen 
großen Freund. „Seine Mdodien sind gewissermaßen personi- 
fizierte Ideen. Ihre Wiederholung bezeichnet Gefühlsmomente, 
welche die Worte allein nicht vollständig auszusprechen^ ver- 
mögen. Ihnen erteüt Wagner die Aufgabe, uns alle Geheim- 
nisse des Herzens zu enthüllen. . . .“ 

Doch nicht allein deutschen Komponisten und Tonkünstlern 
suchte Liszt als Kritiker gerecht zu werden, sondern er war 
auch bemüht, die Eigenarten und Eigentümlichkeiten aus- 
ländischer Musiker zu würdigen und deren Wert und Be- 
deutung in der Musik- und Kulturgeschichte festzustellen. 

Wir wissen, daß er über den von ihm als Klavierkünstler 
wie Komponisten gleich hochverehrten Friedrich Chopin ein 
umfangraches Wert schrieb, das zu den anziehendsten musik- 
biographischen Schriften aller Zeiten gehört. Den Grund der 
unermeßlichen Volkstümlichkeit Chopins findet er in dem in 
allen seinen Werken innewohnenden überquellenden Gefühl, das 
diesen ihre Ausbreitung gewonnen habe, ein Gefühl, das seiner 
Natur nach romantisch, dem Komponisten spezifisch eigen- 
tümlich gewesen sei. Indem sich dieser ausschließlich auf 
das Reich des Klaviers beschränkte, habe er eine der wert- 
vollsten Eigenschaften des Komponisten betätigt, nämlich 
die richtige Erkenntnis der Form, in der er berufen gewesen 
sei, Hervorragendes zu leisten. Er sagt einmal wörtlich von 
ihm 1 : „Chopins Genie war tief und erhaben, war vor allem 
reich genug, um von dem weiten Gebiet orchestraler Kunst 
Besitz ergreifen zu können. Seine musikalischen Gedanken 
waren groß, bestimmt, fruchtbar genug, um sich über die 
volle Breite des Instrumentalrahmens zu erstrecken. . . . 


1 Wir zitieren hier nach der freien Uebertragung von Liszts 
Friedrich Chopin durch La Mara. (Leipzig. Breitkopf & Häitel.) 


413 



Malibran und deren Schwester Pauline Viardot-Garcia so- 



Schubertiana: „Der Lindenbaum." Schauplatz: Alteudorf an der Werra. 
(«9« gestürzt.) 


Wohl schwerlich hätte ein anderer im Besitze solch reicher, 
hoher, melodischer und harmonischer Fähigkeiten der Ver- 
suchung widerstanden, alle Kraft des Orchesters zu ent- 
fesseln, vom Gesang des Vogels, dem schmachtenden Laut 
der Flöte bis zum Schmettern der Trompete. . . . Welche 
Gereiftheit der Erkenntnis bedurfte es nicht, um sich auf einen, 
dem Anschein nach unfruchtbaren Kreis zu beschränken, den 
er gleichwohl durch sein Genie und seine Kraft mit Erzeug- 
nissen schmückte, die, oberflächlich betrachtet, einen anderen 
Boden zu fordern schienen, um daselbst ihre ganze Blüten- 
racht zu entfalten. Welchen Scharfblick verrat er nicht in 
ieser Ausschließlichkeit, indem er gewisse Orchestereffekte 
ihrer eigentlichen Domäne entriß und sie in eine eng umgrenztere, 
aber idealere Sphäre hineintrug. . . . Weit entfernt, den 
geräuschvollen Lärm des Orchesters anzustreben, bemühte 
sich Chopin, seine Gedanken voll und ganz durch die Tasten 
des Klaviers wiederzugeben, und er erreichte seinen Zweck. 
Der Gedanke verlor nichts an Energie, ohne jedoch die Massen- 
wirkung und den Pinsel des Dekorateurs zu beanspruchen.“ 

Hector Berlioz und seine Kompositionen stellt Liszt un- 
gemein hoch. In allen Werken dieses Meisters sei das Prinzip 
enthalten : der Künstler könne das Schöne außerhalb 
der Regeln der Schule verfolgen, ohne befürchten zu müssen, 
es dadurch zu verfehlen. Wie immer auch die Muse von Berlioz 
gestimmt sein möge, herb oder mild, verzweifelt oder lächelnd, 
fromm oder phantastisch, überall, in Kirchen, im Theater 
und im Konzert träte sein Genius als eine der gewaltigsten 
Erscheinungen des Jahrhunderts vor uns hin. Nicht seine 
ungewöhnliche Behandlung der Form sei der unverzeihlichste 
Fehler, den ihm seine Gegner vorwerfen, sondern vor allem 
der Umstand, daß für ihn die Form nur eine dem Inhalte nach 
bestehende Wichtigkeit habe und daß er zugleich Dichter und 
Denker sei. 

Nicht sehr erbaut ist er dagegen von Fr. Ti. E. A über. Seinen 
Gedanken fehle es zwar nicht an einer gewissen Feinheit, 
aber. sie seien aphoristisch abgebrochen, schwach entwickelt 
und ungenügend verbunden. Man finde darin mehr Schein 
als Inhalt, mehr Flitter als Gold und mehr Tänzeln und Hüpfen 
als Schwungkraft. Selbst sein bestes Werk „Die Stumme 
von Portici“ wimmle von Gemeinplätzen (siehe dazu Wagners 
Urteil). Auch über Donizetti urteilt Liszt im allgemeinen 
abfällig. Wenn dieser auch hier und da die übliche Schablone 
und die bequemen Handgriffe des Metiers geopfert habe, 
um einem, wenn auch kurzen, doch ergreifenden Momente 
der Begeisterung Raum zu lassen, so trage ihn doch seine 


wie Karoline Unger-Sabatier. Er schwärmte für das ge- 
sangliche Genie dieser Divas und hat in seinen Schriften 
wiederholt deren Lob gesungen. Die beiden ersteren hörte 
er wiederholt in Paris und Italien und war von ihrem 
Gesang ebenso wie die Franzosen und Italiener entzückt. 
So konstatierte er z. B. einmal, daß die Malibran, als sie 
in Mailand die „Nachtwandlerin“ gesungen, nicht weniger 
als 3Ömal gerufen worden sei. Doch kann er nicht um- 
hin, daran die Bemerkung zu knüpfen, daß eine derartige 
Ueberschwenglichkeit nicht am Platze sei; denn gerade 
wenn Künstler mächtig ergreifen und die Erregung tief 
sei, wenn die Kunst uns aus der Wirklichkeit in das Reich 
der Ideale gerückt habe, dann sei dieses Rasen wie ein Glas 
eiskalten Wassers, das man einem Fiebernden ins Gesicht 
schleudere. 

Als die Malibran noch in der Blüte ihres Lebens plötz- 
lich starb, widmete ihr Liszt einen tief empfundenen 
Nachruf, schmerzhaft beklagend, daß sie ihre Schönheit, 
ihren Ruhm und ihr Genie mit ins Grab genommen, ehe 
die Zeit sie zerstört habe. 

Pauline Viardot-Garcia war anfänglich Pianistin und 
Schülerin Liszts, die erste, die Thalbergs große Mose- 
und Hugenottenfantasie in Belgien und Deutschland mit 
außergewöhnlichem Erfolg spielte. Vom ersten Augenblick 
ihrer Bekanntschaft bis zum Tode des Meisters verband 
beide eine innige Freundschaft, und Liszt hat sich über die 
geniale Frau wiederholt in bewundernder Weise geäußert. 
Er nennt sie eine Primadonna mit geistvollem Nachtigall- 
geschmetter und „aus tiefer Seele quellenden Tönen“ sowie 
„die bewunderungswürdigste dramatische Sängerin der Gegen- 
wart“ . 

Auch den Sängerinnen Giuditta Pasta, Henriette Sontag 
und Wilhelmine Schröder-Devrient trat Liszt näher. Von ihnen 
entwirft er sehr anziehende und fesselnde künstlerische 
Silhouetten. Gleich seinem Freunde Richard Wagner war 
er ganz hingerissen von Gesang und Spiel der Devrient, 
namentlich als „Fidelio“. Schwerlich, so schreibt er einmal, 
werde sich ein Zuschauer finden, der nicht vom Enthusiasmus 
ergriffen sei, wenn diese reizende Frau im Männer kostüme 
mit einer Bewegung, deren Akzent jedes Herz erbeben ge- 
macht habe und doch dabei mit einer unnachahmlichen 
Anmut der Gebärde, die Pistole auf den vor Schrecken er- 
starrenden Gouverneur angeschlagen. 

Mit Manuel Garcia, Luigi Lablacke, Rubini und Mario, 
diesen einst so gefeierten Sängern, war er befreundet, und es 
bot ihm allezeit einen hohen Genuß, dieses vierblättrige 
Kleeblatt in der „Hochzeit des Figaro“ in der Pariser italieni- 
schen Oper zu sehen und zu bewundern. Besonders froh ge- 
launt war er, wenn Pauline Viardot die Rosine sang, wobei 
er die graziöse Lieblichkeit ihrer Koketterie, ihre backfisch- 
artige und doch nicht ungezogene Widerspenstigkeit, ihre 
entschieden lebhafte und dennoch züchtige Gebärde, ihr vor- 
nehmes Schmollen, ihre höchst elegante Spitzbüberei im 
Hänseln und Necken bewundern konnte. Das Zusammenspiel 
dieser fünf Künstler hatte für ihn etwas ungemein Reizvolles. 

Nicht minder fesselte ihn Duprez als „Wilhelm Teil“ in 
Rossinis Oper. Diesem Sänger sei es zu verdanken, daß über- 
haupt die Oper einen Erfolg erzielt habe. Der große Tenor 
Duprez mußte erst eine Arie darin finden, die die wunder- 
baren Mittel seines seltenen Organs hervorhob, um die Menge 
herbeizulocken, die nur wegen des berühmten hohen C sich 
unzählige Male einstellte und das übrige mit in den Kauf 
nahm, wodurch aber glücklicherweise dem Werk die nötige 
Frist gegönnt wurde, die es brauchte, uni verstanden und 
gewürdigt zu werden. 


Die N. I. A. 


Empfindung und Phantasie bis zu jenen Regionen, wo der __ 

wahrhafte Künstler von dem geringsten Mangel an Freiheit | 7* s ist ein großes Unternehmen, diese Neue Instruktive 
sich empört und verletzt fühle. Ausgabe der klassischen Klavierwerke, die Wiehmayer, 

Dagegen imponiert ihm Sainl-Saens, den er in einem Brief ■ »der angesehene, jetzt am Stuttgarter Konservatorium 
an die Fürstin Caroline von Sayn- Wittgenstein einen „fran- wirkende Klavierpädagoge, im Verlag Heinrichshofen-Magde- 
zösischen Rubinstein“ nennt. Er sei ein gleichzeitig hervor- bürg erscheinen ließ und die jetzt circa 20 Bände ä 1 M. 50 Pf. 
ragender Virtuose und ein sehr produktiver Kopf und so all- umfaßt. Aeußerlich entspricht sie allen Anforderungen, die 
gemein begabt, daß er auf allen Gebieten glanzen könnte: unsere Zeit an Ausstattiuig, Druck und Treue der Textwieder- 

Symphonien, Oratorien, Kammermusik, Salonmusik und gäbe stellt. Das ist eine selbstverständliche conditio sine 
Oper, alles sei ihm zugängig, überdies spiele er wundervoll qua non. Druckfehler sind selten und auch den Finger- 
Orgel. s a t z muß jeder natürlich denkende und nicht auf Speziali- 

Franz Liszt, dieser Wandervirtuose par excellence, ist in täten emgeschworene Spieler oder Lehrer als vortrefflich 
seinem reichbewegten Leben auch mit zahlreichen Sängern anerkennen. Nicht so einfach dagegen steht’s mit der Frage 
und Sängerinnen in Berührung gekommen, stand mit ihnen der Pedalbezeichnung und der Phrasierung, 
vielfach auch in Briefwechsel und hat über ihre Fähigkeiten Die Ausgabe ist wohl die erste, in der der Versuch gemacht 
und Leistungen so manches treffende Wort gesprochen. Von wird, die P e d a 1 i s i e r u n g bis ins Einzelnste durch- 
den gefeierten Primadonnen seiner Zeit, mit denen er bekannt, zuführen. Sie charakterisiert sich damit als eine Ausgabe 
ja befreundet war, seien hier vor allem genannt Maria Felicita für Unmusikalische. Wir könnten das Verfahren allenfalls 


414 



für die der Jugend und den Anfängern bestimmten 2 Bände 
Sonatinen und Stücke billigen (obwohl wir bei den 
ersteren wenig oder kein Pedal anraten), ja bei den Stücken 
von Burgmüller, Kullak, Schumann, Haydn sogar als bequeme 
„Eselsbrücke“ willkommen heißen. Der Spieler jedoch, der 
zum Studium der bedeutenderen Werke der klassischen und 
romantischen Großmeister vorgedrungen ist, der braucht und 
will zu detaillierte Pedalvorschriften nicht mehr. Nim ja, 
er kann sie ignorieren; oft aber beunruhigen sie einen. Auch 
wer die Vorschriften genau befolgen wollte, würde oft bedenk- 
liche Wirkungen erzielen, wenn er dabei mechanisch vorginge 
und sich nicht von seinem Ohr sagen ließe, wie's klingen 
muß. Ich will nicht wiederholen, was äußerlich gegen die 
neue Form der Pedalangaben vielfach eingewendet worden 
ist. Wer gute Augen hat und im Ueberblieken geschickt 
ist, wird sich bald damit befreunden und ihre relative Genauig- 
keit anerkennen und schätzen, Ueber das Maß der Pedal- 
verwendung werden die Anhänger der verschiedenen Schul- 
und Stilrichtungen sich nie einigen können; jedes einzelne 
Stück, ja jeder Takt gäbe Anlaß zu Kontroversen. Wieh- 
mayer schreibt das Pedal sehr reichlich vor, nicht bloß zum 
Fortklingenlassen und zum Binden von Akkorden, sondern 
sogar bei langsamen, stufenweise fortschreitenden Einzeltönen 
zwecks Beseelung und klanglicher Verstärkung. Vor ro- 
mantischem Uebermaß der Pedalbenützung, wie sie z. B. 
Jensen hie und da verlangt, und die dann zu einem unan- 
genehmen Verschwimmen der Konturen und zu einer Schwel- 
gerei in einem Klangbrei führt, hütet er sich glücklicherweise. 

Im einzelnen ließen sich manche Ausstellungen machen. 
Wie oft fragt man sich : warum hier Pedal und dort dann nicht ? 
Sind die //-Stellen im Schubert - Band (der leider auch wieder 
den alten fehlerhaften Titel moments musicals den Enkeln 
überliefert) S. 68, 3. und 4. Reihe, Druckfehler ? Oder soll 
wirklich das Pedal von Akkord As I zum VI, oder vom I zum 
IV oder gar Des I zum oIV (-moll) hinüberklingen ? Warum 
hört im Mendelssohn- Band, der 27 ausgewählte Dieder ohne 
Worte bringt, S. 10, 4. Reihe und S. ri, 2., 4. und 5. Reihe, 
die Pedalbezeichnung plötzlich auf ohne ein „simile“ oder 
eine ähnliche Bemerkung ? Im Sonatinenband I sollte der 
falsch dargestellte Passus S. 26, 2. Reihe, letzte Note im 
Baß und die Parallelstelle in der 3. Reihe verbessert werden in 



statt 


d e 


wie es dasteht. In den 


kleinen Präludien und Fugen und in den Inven- 
tionen von Bach dürfte manchmal genauer und deutlicher 
angegeben sein, mit welcher Hand eine Mittelstimme genommen 
werden soll. Da ist die Czernysche Methode bei Bach vor- 
bildlich, die womöglich die rechte Hand immer im oberen 
System! die linke stets im unteren einzeichnet. Das Weg- 
lassen der über dem 3. Präludium Bachs stehenden Notiz 
pour le luth (für die Daute) und der Bemerkung Mendelssohns 
quasi fantasia“ beim Vorspiel des Dieds ohne Worte No. 9 
in A dur bedaure ich, da solche Kleinigkeiten oft wertvolle 
Winke für die Auffassung und den Vortrag eines Stücks geben. 
Alles was an historischen und persönlichen Beziehungen 
vorhanden ist, so z. B. bei Schumann Bemerkungen wie quasi 
satvra bei einer Fuge, quasi oboe etc., Widmungen, sollte 
man als Hilfsmittel und Fingerzeige konservieren; selbst wenn 
sie apokryph sind; wenn sie nur nicht etwa irreführen. Die 
Ausführung der Verzierungen dürfte bei einer Aus- 
gabe für Unmusikalische häufiger angegeben sein. Sehr 
schmerzlich wird das Fehlen der großen formalen® i n - 
Schnittbezeichnungen von manchem empfunden 
werden. Die Germer-Ausgaben bieten darin .viel mehr Am 
leichtesten ist das Erkennen der Formglieder in der Liedform. 
Bei den Sonatinen und Sonaten, Rondos usw mußte eine 
instruktive Ausgabe unbedingt Anfang und Ende der großen 
Satzteile anveben Am besten, wie die Cottasche, mit Haupt-, 
lerSiTgl- Seiten-, Schluß- Durchführungs-, Mittelsatz, 

R Was Ä endlidT die VlagTder’ P hfa s i e r u n g betrifft, so 
kömfen ^ auch hierinder neuen Ausgabe kamn. den Vorzug 
vor der eben genannten, der Germerschen oder den revidierten 
neueren der Peters-, Litolff- oder Umversal-Editionen geben, 

ga ^persSüclfwären für den Unterricht die ge mäßig- 
und k genau ophpn bei Riemann dann die inner- 

(Motiva%enzmgs)^en geto Gedanken 

Iicl, 8 motivisch. iSSTatfs elfteste wieder, 

Einsetzen hervor». 


hebenden Anfang einer Phrase und das durch allmähliches 
Abnehmen der Tonstärke zu charakterisierende Ende der- 
selben bequem überblicken, während Wiehmayer die „A r - 
tikulation“ (Bezeichnung der durchs Legato zusammen- 
zufassenden Figuren, der tenuto, staccato, portato, leggier- 
mente, sforzato usw. zu gebenden Töne oder Motive) zur 
Hauptsache macht, und die Endpunkte der Phrasen 
durch das fürs Auge weniger leicht von ferne übersehbare 
große Lesezeichen | für hörbare Trennung, und das kleine 1 
(Halbstrich) für nicht hörbare, gedankliche Trennung notiert. 
Feinere phraseologische Beziehungen, wie z. B. Umdeutung 
eines endigenden in einen Auftaktsgedanken, lassen sich 
damit wohl nicht so anschaulich darstellen wie mit der Kreu- 
zung der Bögen - — C '. Immerhin sind wir für jede Phra- 
sierungsangabe auch in dieser Form dankbar und empfinden 
die nicht einseitig das Auftaktssteckenpferd reitende Auf- 
fassung Wiehmayers als gesund und ■ unbefangen. Betreffs 
der Häufigkeit des Absetzens möchten wir unsem Standpunkt 
dahin präzisieren: Lieber zu weitgezogene Phrasierungslinien 
als zu kurzatmige, zerstückelte und unruhige. C. Knayer. 


Henseltiana. 

(Noch ein Beitrag zum Jubiläum Henselts.) 

U nzählig sind die Anekdoten, die in Petersburg über 
Henselts Originalitäten kursierten. Aus jener Zeit, 
wo er noch im doppelten Glorienschein seiner Jugend 
und seines Genies stand, erzählte man folgenden authen- 
tischen Zug. Die Damen der russischen Aristokratie wett- 
eiferten um die Ehre, den berühmten Meister bei sich zu 
sehen. Einst hatte er sich als Tischgast bei Frau v. Böm 
geborenen Martynoff angemeldet, der Schwester seines 
(und Liszts) Freundes Nicola de Martynoff, ausgezeichneter 
Pianist (Lehrer von Ingeborg v. Bronsart). Die Hausfrau 
hatte eine Anzahl Gäste geladen in der Erwartung eines 
Hochgenusses,, der ihnen auch zuteil wurde, aber in ganz 
origineller Weise. — Henselt kommt, wie gewöhnlich lange 
vor der bestimmten Zeit und setzt sich sofort an einen der 
Flügel „pour faire ses ind^pendances“, als ob er ganz allein 
wäre. Er war um zwei Uhr gekommen; das Diner sollte 
um vier Uhr stattfinden nach damaliger Sitte. 

Die Lakaien annoncieren die Gäste, die nach und nach, 
etwa dreißig an der Zahl, anlangen. Die Dame des Hauses 



Musikerkarikaturen : Schubert und sein Sänger Michael Vogl ziehen aus zu Kampf 
und Sieg. Bleistift-Karikatur von Schober {?), Original bei Frau B. Wolf, Dresden. 


415 



geht den Ankommenden entgegen und geleitet sie in den 
Speisesalon, erwartend, daß Henselt zu spielen aufhören 
würde. Der Majordomus kündigt zweimal an, die Tafel sei 
serviert — Henselt spielt weiter. Ein Kammerdiener, der 
in des Meisters Gunst stand, wird abgeschickt, um ihn, der 
ganz hingerissen von seinem eigenen Spiel, aus seinen Phanta- 
sien zu wecken. Da aber auch dies nicht gelingt, so bittet 
die Hausfrau ihre Gäste sich zu setzen und befiehlt den 
Dienern, Henselt sein Diner apart am Flügel zu servieren. 
Gesagt, getan! — Ein kleines Tischchen wird zu seiner 
Rechten gedeckt. — Während nun Henselt mit der rechten 
Hand die Speisen zum Munde führt, fährt er fort mit der 
linken ganz reizende Sachen zu spielen. Für die Gäste 
verlief das Diner in dieser Weise auf die aller angenehmste 
Art — sie hatten die aller feinste Tafelmusik, von der ihnen 
gewiß keine Note verloren ging. 

Im Palais des Prinzen Peter von Oldenburg war Henselt 
jede Woche an einem bestimmten Tage — Tischgast. Er 
hatte dort ein besonderes Kuvert, besonderes Brot etc., 
wie denn seine hohen Gönner in liebenswürdigster Weise 
auf des Meisters Eigenheiten Rücksicht nahmen. Nur in 
einer Sache mußte er sich der Etikette fügen und im Frack 
erscheinen. Dies war ihm sehr, unbequem, um so mehr, 
da ihn leicht fröstelte. Was tun ? . . . Henselt verfiel auf den 
Gedanken, einen zweiten, sehr weiten Frack über den ersten 
zu ziehen und erschien im doppelten Frack. 

Seine Bemerkungen waren oft von unwiderstehlich trockener 
Komik und Scherzhaftigkeit. Eines Tages speiste er bei 
seinem Freunde, dem Arzt und bekannten baltischen Schrift- 
steller Dr. Schultz-Bertram. Sein Lieblingsgericht, das er 
sich bestellt hatte — ein Spanferkel wurde aufgetragen. 
Eine sentimentale Dame vom Lande, die zufällig zugegen 
war, meinte ihr Zartgefühl dadurch zu bekunden, daß sie 
den Ausspruch tat: „Spanferkel könne sie für nichts in der 
Welt essen, es sähe doch ganz aus wie ein gebratenes kleines 
Kind,“ worauf Henselt, ohne von seinem Teller aufzusehen, 
gemütlich antwortete: „Aber es schmeckt doch anders.“ 

Ein anderes Mal, bei dem gleichen Freunde zu Gast, wandte 
er sich am Schluß des Essens an die anwesenden Kinder 
und sagte mit feierlichem Ernste: „Liebe Kinder, ich habe 
schon bessere Mittage gehabt, als diesen“ — bedeutungs- 
volle Pause, in der er sich an den bestürzten Gesichtern 
weidete — um dann fortzufahren: „aber selten, man kann 
sagen — gar nie.“ 

Bei einem Bekannten, den er unangemeldet besuchte, 
wurde ihm beim ersten Schellen nicht gleich aufgemacht.- 
Er trat mit den Worten bei ihm ein: „Sie, lieber Freund, 
bei Ihnen muß man gleich mit dem dritten Klingeln an- 
fangen.“ 

Humor hatte eine große Gewalt über Henselt. Leicht 
verstimmt genügte oft ein drolliges Wort, ein kleines ab- 
surdes Ereignis, um ihn vollständig umzuwandeln. Mit 
Vorliebe las er den neuen Pitaval oder Saphirsche Schriften, 
deren leichte Lektüre den schwergeplagten durch Musik- 
unterricht überreizten Mann oft ergötzten. Hatte er doch, 
wie er in einem Briefe klagt, mit 1 5 Instituten zu tun „und 
was mehr ist, mit 15 Direktricen.“ 

Wie unfreiwillige Komik einer Situation zuweilen be- 
sänftigend auf den Meister wirkte, zeigte folgende kleine 
Begebenheit, die Dr. Schultz-Bertram in folgender Weise 
erzählt: „Henselt und ich kamen eines Abends von einer 
Gesellschaft zurück. Henselt tritt in sein Musikzimmer, 
in dem die Temperatur genau geregelt sein mußte; sein 
Diener eilt mit der Lampe voraus — plötzlich donnert Henselt 
ihn an, in seinem allerwütendsten ff: ,Kerl, hast du ge- 
heizt?' — Der Diener, bleich wie das böse Gewissen, nicht 
erratend ob sein Herr böse war, w e i 1 er geheizt hatte, oder, 
ob er im Gegenteil wollte, daß noch geheizt werden sollte, 
antwortete mit demütig schlauem Augenzwinkern, während 
die Lampe in seiner Hand zitterte: .Sollte ich ge- 
heizt haben?' Auf diese Frage konnte Henselt nur 
ja oder nein antworten und in jedem Falle hätte der 
Hasenfuß beteuert, den Willen seines Herrn ausgeführt zu 
haben. Henselt durchschaute die naive List — wir sahen 
einander an und brachen beide in ein herzliches Lachen 
aus. — Das Gewitter war über dem Haupte des Schuldigen 
hinweggezogen, die Spannung löste sich m eine erfrischend 
gute Laune und noch lange nachher hatte das geflügelte 
Wort: .Sollte ich geheizt haben ?' die Macht, Henselt in 
große Heiterkeit zu versetzen.“ 

Zu Hause liebte Henselt es sich behaglich zu machen und 
sich für die anderwärts erduldete Gene zu entschädigen. 
So enttäuschend dies auch klingen mag, aber der Autor des 
vornehmen f moll-Konzertes, des duftigen Frühlingsliedes 
— er komponierte nicht etwa im Spitzenjabot und in Spitzen- 
manschetten, nein, in einfachen — Hemdärmeln oder in 
einer Hausjoppe, die an Unschönheit des Schnittes nichts 
zu wünschen übrig ließ, — Beengende Kleider waren ihm 
Tortur. Wenn er eine jener duftigen, zarten D.oppelgriff- 
passagen, z. B. aus seinen E dur-Variationen oder aus dem 
Finale seines Konzertes spielte, dann zupfte er, vorher die 


Aermel seines Rockes zurückstreifend, an beiden Ellbogen, 
wie etwa ein Boxer, der sich erst der Freiheit all seiner Glied- 
maßen versichern will, ehe er den entscheidenden Gang 
macht. 

Obgleich von Natur mit vortrefflicher Gesundheit aus- 
gestattet, war Henselt doch sehr ängstlich und stets besorgt, 
sich diesen Schatz durch besondere Systeme zu erhalten. 
So gab er sich den Kaltwasserkuren eine Zeitlang mit Leiden- 
schaft hin, vor allem aber den gymnastischen Uebungen. 
Seine Freunde trafen ihn oft dabei an, zuweilen der Lange 
nach auf dem Boden liegend. Er ließ sich aber nicht stören 
und führte das Gespräch in dieser Lage fort, trotz der er- 
staunten Gesichter um ihn herum. — Sehr stolz war er 
auf seine, durch diese Uebungen gewonnene Geschicklich- 
keit. Als ihm Sophie Menter einmal eine ihrer Glanznummern 
vorgespielt hatte, meinte Henselt in treuherzig bayrischem 
Tone: „Das kann ich Ihnen nicht nachmachen, meine Ver- 
ehrteste, aber etwas kann ich doch, was Sie mir nicht nach- 
machen können“ und dabei schwenkte er mit dem rechten 
Bein über den Flügel hinweg. 

Mit jedem Jahr wurde es schwerer, Henselt zum Vor- 
spielen zu bewegen. Anfänglich aber fanden in seinem 
Hause in der Kirotschnaia, das er 30 Jahre lang bewohnte, 
gewissermaßen Sonntagsmatineen statt, bei denen sich das 
Publikum, höchstens 8 — 10 Personen, im Nebenzimmer 
möglichst unsichtbar und lautlos verhalten mußte, weil 
jedes fremde Gesicht dem Meister unangenehm war und 
ihn verstimmte. 

Dennoch gelang es einmal einem jungen, ihm ganz im- 
bekannten Manne, sich auf folgende Weise den ersehnten 
Genuß zu verschaffen. Er traf, am Vorabend seiner Ab- 
reise in den Kaukasus, Henselt bei einer befreundeten Familie 
und erkundigte sich, wie es möglich wäre, eine Einladung 
zum folgenden Tage, der ein Sonntag war, zu erhalten. 
„Es ist umsonst, die Eingeladenen sind vollzählig — doch 
versuchen Sie selbst ihn darum zu bitten“ — lautete die 
Antwort. Kühn vortretend redete der junge Mann den 
Meister also an: „Verehrter Herr Henselt, ich reise morgen 
in den Kaukasus, erlauben Sie mir morgen Ihrem göttlichen 
Spiel zu lauschen.“ — „Sind schon zwölf vollzählig“ knurrte 
der Meister etwas ungnädig. — Aber lieber Herr Henselt, 
wie kann ich abreisen — wenn die Tscherkessen erfahren, 
daß ich in Petersburg gewesen und Sie nicht gehört habe, 
dann schlagen sie mich tot.“ — Ueber Henselts Gesicht 
zog ein Lächeln: „Nim, dann kommen Sie nur.“ — Und 
am nächsten Tag war er die Liebenswürdigkeit selber. „Was 
wollen Sie, daß ich Ihnen spiele ?“ fragte er. „Nun, meinte 
der junge Mann, am liebsten möchte ich eine gewisse Vöglein- 
Etüde hören — vielleicht kennen Sie die ?“ „Ja, die kenne 
ich“ versetzte Henselt in eigentümlich mürrischem Tone, 
der ihm eigen, wenn er guter Laune war, setzte sich an sein 
Instrument und spielte ein Stück nach dem andern. Aber 
wie spielte er sie ? Wer ihn nicht gehört, kann sich keine 
Vorstellung machen. E, Adaiewsky. 


Von der Opernsaison an der Riviera. 

11. 

D er kaum dreißigjährige Petersburger Komponist Mousi- 
kant, dem dieser Name symbolisch bereits in die Wiege 
gelegt worden ist — „’s ist mein Malheur,“ meinte der 
junge Mann skeptisch zu mir, „daß jeder glaubt, das sei mein 
Pseudonym!“ — hat bei Rimsky-Korsakow fleißig studiert; 
er hat, wie er in einer kleinen Autobiographie von sich in 
naiver Selbstkritik konstatiert, bereits mit neunzehn Jahren 
als Kapellmeister an der Oper in St. Petersburg gewirkt und 
als Klavierwunderkind Triumphe errungen. Seine hoch- 
angesehene Stellung an der kaiserlichen Oper in Petersburg 
mag ihm wohl die diplomatischen Kreise eröffnet haben, 
so daß es ihm möglich wurde, seinen Bühnenerstling, eben 
diese „Tragödie des Todes“ (die Ren6 Peter nach einem Ander- 
senschen Märchen gedichtet hat), im privaten Kreise in der 
deutschen Gesandtschaft (ob in Paris oder Petersburg, ver- 
schweigt die Autobiographie) vorzuspielen. „Zufällig“ wohnte 
der Fürst von Monaco dieser Aufführung bei, und so erklärt 
sich das glückliche Debüt des jungen Musikers, dessen Fleiß 
jedoch durch seine frühe Karriere nicht gemindert worden 
ist. Sieht man von den, allerdings sehr offen ersichtlichen 
Einflüssen von Borodine, Mussorgski u. a. ab, so verrät die 
Partitur noch immer eine sehr sympathisch berührende Frische 
und eine gewisse Kraft in der Plastik der Situationsschilderung. 
Nur ist es dem Komponisten noch nicht gelungen, den poetischen 
Schimmer, der über dieser tragischen Geschiente von der Mutter, 
die ihres toten Kindes Seele im Lüiengarten des Todes wieder- 
findet, ausgebreitet ist — — nur daß er diesen verklärten 
poetischen Schimmer durch seine allzu slawisch-derbe Instru- 
mentation hier und da verwischt und in der Thematik allzu 



deutlich russisches Melos ertönen läßt. In seiner Harmonik 
zeigt sich ein Streben nach Eigenem, das doch nicht gesucht 
anmutet; kurz, wir dürfen in Mousikant getrost eine Hoffnung 
erblicken. Die Aufführung gerade dieses auf fünf Bilder im 
nächtlichen Feenwalde ausgedehnten Märchens gab Herrn 
Direktor Gunsbourg Anlaß, sein Regiegeschick zu bewähren. 
Die Freyschen Projektionsdekorationen ermöglichten wunder- 
sam natürlich wirkende, tiefe Horizonte und Farbentöne. 
Auch die anderen der genannten kleineren Opern zogen deko- 
rativ Nutzen von diesen so plastisch wirkenden Freyschen 
Projektionen, so daß Herr Visconti, der eigentliche Szenen- 
maler der Monte-Carlo-Oper, scharfe Konkurrenz bekommen 
hat; aber in Frankreich „arrangiert sich bekanntlich alles“, 
um ein Wort von Alfred Capus zu gebrauchen. So haben denn 
auch Viscontis etwas vergilbte Dekorationen den Wert 
der interessanten Ponchiellischen Oper „Die Mauren in Va- 
lencia“, die Arturo Cadore in geschickter Weise überarbeitet 
und instrumental ergänzt hat, nicht verdunkeln können. — 
Gewaltsam muß man sich hier stets wieder auf die streng 
kritische Besprechung der Opemereignisse einstellen; so- 
lange unnormales Wetter herrscht, wie das in dieser Saison 
nur zu oft der Fall gewesen ist, so lange fühlt man die 
Opern Vorstellungen fast als etwas Organisches, das zu Monte- 
Carlo eng gehört; aber „der schlimmste Feind unseres Theaters 
ist — der Sonnenschein“ ! So äußerte sich einmal Herr Direktor 
Gunsbourg gesprächsweise nur allzu richtig; und wenn ich 
nun, inmitten Knatternder in mein Zimmer dringender Ge- 
räusche wettfahrender Motorrennboote über die letzten Novi- 
täten hier berichten soll, so scheint die weiße Sonne und das 
blaue Meer draußen des nüchternen, grimmig deutsch be- 
brillten Kritikus fast spöttisch zu lachen! Fassen wir uns 
also so knapp und so frühlingsmilde wie möglich, damit die 
allmächtige Ri vierasonne uns auch im nächsten Jahre wieder 
gnädig bescheine ! ... 

Ponchiellis Oper „Die Mauren in Valencia“ ist nach den drei 
Pflichtaufführungen an der hiesigen Oper, wie ich höre, leider 
wohl für immer vom Spielplan verschwunden, auf den sie 
ja auch nur einer jener schonen Daunen eines kunsts inni gen 
Theaterleiters wegen gesetzt ward, denen wir schon so manches 
interessante künstlerische Erlebnis zu verdanken hatten. Es 
scheint doch nun einmal ein für allemale unmöglich oder zum 
mindesten sehr schwierig zu sein, den Kredit eines großen 
Künstlernamens, den dieser Name einem bestimmten Werke 
zu danken hat, nachträglich durch die Neueinstudierung 
anderer Kompositionen zu erhöhen. Ponchieüi wird auch 
weiterhin der Komponist der „Gioconda“ bleiben, und man 
wird seinen anderen, ziemlich zahlreichen Opern auch ferner 
nicht begegnen. Was die „Mauren in Valencia“ anbetrifft, 
so hat bereits vor Jahren der Sohn des Meisters, Annibale 
Ponchielli, eine Neubearbeitung resp. Beendigung der nach-. 

f elassenen Oper versucht, ohne damit Glück zu haben. Der 
laestro Arturo Cadore, der das Wägestück nunmehr unter- 
nommen hat, ist, wie dies so vielen Bearbeitern ergeht, zu 
einseitig von der Partitur her an seine Aufgabe herangegangen. 
Es hätte zunächst gegolten, Ghislanzonis Textbuch von den 
Dangen und Konventionalismen zu befreien, für die unser 
heutiges Publikum kein Interesse und keine Geduld mehr hat. 
Auch diese Oper wird an dem mangelhaften Dibretto zu- 

f runde gehen müssen. Wenn der Handlung auch dramatische 
pannung innewohnt, so ist doch die eigentliche Katastrophe 
zu opernhaft herbeigeführt, und der eigentliche Intrigant, 
der den Untergang der Heldin besiegelt, ist nichts als eine 
schwächliche Statistenrolle, die, falls das Werk deutsch be- 
arbeitet werden sollte, gründlich vertieft werden müßte. 
Es handelt sich in dieser Intrige um die Feindseligkeiten, 
denen die Mauren in Spanien unter der Herrschaft Philipps in. 
ausgesetzt waren. Delascar, ein Maurenfürst, hat eine lieb- 
liche Tochter, Elema und einen Sohn, der wegen seiner rebel- 
lischen Gesinnung mit dem Tode bestraft werden soll. Der 
König verliebt sich in Elema und begnadigt um ihretwillen 
nicht nur den Bruder, sondern er erläßt auch den verhaßten 
heidnischen Mauren die Verbannung, unter der Bedingvmg, 
daß Elema im Dande bleibe; daraus folgert die Hofintrige, 
daß Elema des Königs Geliebte sein müsse. Ein feiler Höf- 
ling flüstert den Mauren dieses Gerücht zu, und letzterer 
ersticht im Zorne sein Kind, Elema, die in Wahrheit nicht für 
den König, sondern für einen anderen Höfling, Fernando er- 
glüht, der aber der Etikette wegen eine edle Dame heiraten 
muß. Man wird schon aus dieser knappen Inhaltsangabe 
ersehen, daß Elema in echt romantischer Art zur tragischen 
Heldin der Oper gestempelt wird, damit sich die notwendige 
Ariensentimentalität ergibt und damit vor allem die Schluß- 
szene in die rechte Tragik getaucht wird, die von jeder echten 
Oper im alten Stile untrennbar ist. Was man aber nicht 
ahnt, das ist die schöne Echtheit der melodischen Empfindung 
und die ungezwungene Erfindungsgabe, über welche Ponchielli 
verfügt. Er erfüllt die Arien mit einer Musik, die zwar ganz 
und gar im Fahrwasser Verdis schwimmt, die aber doch auch, 
in manchen originellen Biegungen der Melodie, persönliche 
Farbe hat. Es ist mir während meiner Verdi-Studien nicht 
aufgefallen, daß zwischen dem Meister der „Aida“ und Pon- 


chielli irgendwelche nähere Beziehungen bestanden hätten, 
die einen unmittelbaren gegenseitigen Einfluß wahrscheinlich 
machen könnten. Immer hm könnte das ja der Fall sein; 
dann bliebe aber auch immer noch festzustellen, welcher 
Einfluß der primäre ist. Wir wissen ja aus der Musikgeschichte 
zur Genüge, daß derartige Wirkungen sehr oft wechselseitig 
gewesen sind. Ganz ungeachtet dessen aber ist die Partitur 
nir sich betrachtet nicht veraltet. Schon allein die macht- 
vollen Chöre, die dramatisch in die Handlung eingreifen, 
sind interessant genug, um eine Aufführung der Oper auch in 
Deutschland wünschenswert erscheinen zu lassen. Hoffent- 
lich wird dieser unser Wunsch kein frommer bleiben! 

Wir möchten aber dann auch den prächtigen Darsteller der 
Rolle des Maurenfürsten, den russischen Baritonisten Baklanoff, 
nicht vermissen, der mit der Kraft seines Erlebens und mit 
dem Glanz seiner Stimme das Ganze durchleuchtete; auch 
Madame Dipowska, als Elema, spielte und sang ihre an- 
strengende Partie mit rührender Schlichtheit, ebenso wie der 
Tenorist Martinelli seine Arien fühlte und sie nicht nur virtuos 
sang. Ein besonderes Lob verdienen die Chöre, die eine gute 
Disziplin verraten, und zwar auch die Frauenchöre. Detzteres 
ersahen wir aus der Aufführung von Messagers neuer Oper 
„B6atrice“, in deren erstem Akte die Nonnenchöre überaus 
wohllautend, wie aus einem echten Mysterium entnommen 
klangen. Diese Degende von der Schwester Beatrice ist 
nämnch, besonders textlich, nichts weniger als ein durch- 
geführtes Mysterium. Vielmehr haben die Textdichter, de 
Piers und de Caillavet, absichtlich keinen Uebergang zwischen 
den Kloster- und den Diebesszenen herbeigeführt, sondern 
sie haben sich damit begnügt, Bilder aus dem Deben der 
Schwester Beatrice aneinander zu reihen. So konnte auch 
Messager nichts weiter tun, als aus der Degende so viel heraus- 
holen, als die Dichtung ihm gestattete. Das hat dieser feine 
Musiker denn auch grundlichst getan: er hat den ersten Akt 
ganz für sich gestaltet; Beatrice schwärmt da unter ihren 
Mitschwestern in echt liturgischer Form von ihrer fana- 
tischen Diebe zur Mutter Gottes, die ihrem Jugendgespielen 
Dorenzo dereinst das Deben gerettet habe von schwerer 
Schlachtennot. Beatrice schwärmt so feurig, daß es Dorenzo 
nicht schwer fällt, sie zu entführen, auf daß wir im zweiten 
und dritten Aufzug dem Fall der „Schwester“ Beatrice zur Dime 
„von Stufe zu Stufe“ beiwohnen, bis sie zuletzt, an Deib und 
Seele vernichtet, reuig und bußbereit in das Kloster zurück- 
kehrt, wo inzwischen die Mutter Gottes Beatricens Stelle 
vertrat . . . Messager hat, ähnlich wie Audran und Decocq, 
als junger Anfänger geistliche Werke geschrieben; seine 
Degendenmusik im ersten Akt der „Beatrice“ zeigt ganz den 
Stfl akademischer Kantaten: einfach, ein wenig simpel im 
Harmonischen, dabei deutlich sich anlehnend an den Modus 
der Ditaneien und an die Marienlieder des Kultus. Im zweiten 
und dritten Akt aber ist Messager wieder ganz der Alte, der 
elegante opera-comique-Kompomst: die schwärmerische Träu- 
merei der „Beatrice“ wird bei ihm zur süßen Theatersenti- 
mentalität, und die Melodik ist ohne Gene lediglich auf Effekte 
angelegt, die denn auch nicht ausblieben. Daß sich in der 
Polyphonie des Orchesters und in der kontrapunktischen 
Arbeit auch in dieser neuen Oper der gut musikalische, vor- 
nehme Sinn des Komponisten der „Veronique“ und des „For- 
tunio“ verrät, das kann uns doch nicht über den Mangel an 
Originalität hinwegtäuschen. Aber was mühen wir uns 
kritisch ab ? Der Leiter der Pariser Großen Oper, der elegante 
Pariser Dirigent Andrö Messager hat wieder einen großen 
Erfolg errungen, und die Kritik seiner Freunde war sogar 
auch über die meines Erachtens recht mäßige Deistung der 
Madame Vally in der Titelrolle entzückt. „Böatrice“ wird in der 
Pariser Komischen Oper den gleichen offiziellen Erfolg erleben 
wie hier; damit ist (fieses Kapitel für uns vollständig erledigt! 

Am Schluß der Saison wurde uns auch noch einmal Ge- 
legenheit gegeben, die „Parsifal“-Inszenierung Gunsbourgs 
kennen zu lernen, die uns, im szenischen und im großen und 
ganzen wenigstens, auch im musikalischen Sinne leider eine 
recht herbe Enttäuschung bereitet hat. Die Dekorationen 
Viscontis atmeten jenen konventionellen Kulissenstil, der sich 
mit einem Weihefestspiel im Wagner sehen Sinne ebensowenig 
verträgt, wie die Noten taktiererei des Kapellmeisters Jehin 
irgendwie etwas von der ekstatischen Hoheit des Grund- 
charakters der Partitur hervortreten ließ. Wenn wir trotz- 
dem weihevoll erhoben wurden, so verdanken wir dies einzig 
und allein Herrn Rousselieres Parsifal, den ich nicht anstehe, 
Schulter an Schulter mit den allergrößten Vertretern dieser 
Gestalt zu stellen. Es war ergreifend, wie Rousseli&re in Er- 
scheinung und Spiel, aber auch im Gesanglichen, Wagners 
Träume verwirklichte, und ich bin überzeugt, selbst in Bay- 
reuth würde man überrascht sein, wenn man RousseMre 
inmitten des dortigen Ensembles sehen könnte. Leider wird 
das nie der Fall sein, da der heute über Fünfzigjährige kaum 
noch die deutsche Sprache zu erlernen Dust und Muße hat; 
reist er doch direkt nach Schluß der hiesigen Saison nach 
Buenos- Aires, um dort zu gastieren! Und ist doch ganz und 
gar Künstler geblieben, der sich keine Ruhe gönnt, weil es 
ihn immer water treibt, zu ferneren künstlerischen Taten! 


417 



Soll ich nun zum Schluß noch mich selbst und den Leser 
entniichtem, indem ich von den Mißerfolgen des neuen Direktors 
Salignac der Nizzaer Oper erzähle ? Nein; ich will mir diese 
undankbare Aufgabe schenken und nur erwähnen, daß, wenn 
man in Nizza in der verflossenen Saison echte Opemgenüsse 
erleben wollte, man sich an das städtische Kasino halten 
mußte, wo u. a. Zandonais Jugendoper „Conchita“ in der 
französischen Fassung als „La Femme et le Panthin“ einen 
berechtigten Erfolg errungen hat, an dem die im Spiel noch 
etwas allzu jugendlich überschwängliche Bianca Bellindoni, 
der großen Gemma Tochter, einen großen Anteil hatte. 

Arthur Neisser. 


Musikbrief aus Brüssel. 

D er Saisonschluß hat uns im Bach- Verein noch zwei 
pietätvolle, schöne Aufführungen der Matthäus- Passion 
unter Alb. Zimmers Leitung gebracht. Orchester und 
Orgel ließen zwar etwas zu wünschen übrig, aber der trefflich 
vorbereitete, prächtig klingende Chor und die Solisten boten 
so viel Schönes, daß das Werk einen tiefen Eindruck hinter- 
ließ. Von den Solisten seien die Damen Noordewier-Reddingius 
und de Haan, sowie der Tenor G. A. Walter als ausgezeichneter 
Evangelist, besonders gelobt. Herr Stephani schien dem 
weihevollen innigen Charakter des Christus-Partes nicht recht 
gewachsen. Es folgte ein großes Wagner-Festspiel im Monnaie- 
Theater. Nachdem „Parsifal“ vor stets ausverkauftem Hause 
in seiner französischen Uebersetzung 3 5 mal gegeben war, 
kamen die anderen Werke in deutscher Sprache an die Reihe. 
„Tannhäuser“ dirigierte Herrn. Kutzschoach, „Tristan“ und 
„Ring“ Otto Lohse. Am gelungensten waren sicher die Auf- 
führungen unter Lohse; dieser Kapellmeister kennt das aus- 
gezeichnete Orchester, und alle Klangschönheiten, alle pracht- 
vollen Wirkungen weiß er herauszubringen . Auch war die 
Besetzung der Solorollen im allgemeinen sehr gut. Als beste 
Kräfte mochte man nennen: den Tenoristen Urlus (Lohengrin, 
Tannhäuser, Tristan, Siegmund und Siegfried); und wenn 
er auch noch zu oft ein Konzertsänger auf der Bühne bleibt 
und die Aufmerksamkeit auf seinen herrlichen Gesang haupt- 
sächlich lenkt, so konnte er doch anderseits als Darsteller aus- 

f ezeichnet sein, n ämli ch in der „Götterdämmerung“. Die 
Irünnhilde der Frau Rüsche-Endorf war ungleich; im dritten 
Akt Siegfrieds sicherlich nicht ideal; steif und unschön waren 
die breiten Gesten beim Erwachen, und im Gesang wirkten 
die forderten hohen Töne sehr unangenehm. Dafür war sie 
in der Walküre, aber vid mehr noch in der „Götterdämmerung“, 
wo sie alle Gottheit abgelegt hat, eine erschütternde Erschei- 
nung, und die schwere Partie sang sie, bis zur letzten Note, 
tadellos, mit herrlicher Stimme und heroischem Mute. — Ganz 
ausgezdchnet, ja einzig, ist der Mime von Dr. Paul Kuhn; 
musikalisch, darstellerisch, gesanglich ist es eine Meisterleistung ; 
sein „Sprechgesang“ ist tadellos nach den besten Bayreuther 
Traditionen; seinesgleichen findet sich nicht leicht mehr. 
Sdn „Nibelungenkollege“ Alberich des Herrn v. Schddt war 
auch sehr gut; ebenso der Loge von C. Gentner, wenn er 
nicht übertrabt. Die dunkle, volle Stimme von Karl Braun 
gab den Hunding- und Hagen-Partien den echt düsteren 
Charakter; auch ist die künstlerische Auffassung zu loben. — 
Wotan wurde hier zum ersten Male von Hans Soomer dar- 
gestellt. Er singt schön, wenn auch nicht immer scharf genug. 
Aber „Gott“ ist er nie gewesen; wie die wuchtigen Riesen 
(Gillmann und Liszewski) hat er nur auf den „Erdenrücken“ 
und gar nicht „auf wolkigen Höh’n“ gewohnt. Trotzdem 
verdient seine Leistung große Anerkennung. Der Günther 
bleibt eine undankbare Partie; so gut der Künstler sein mag 
(Liszewski), so sieht er doch immer aus wie ein Kartenspiel- 
König. — Die Gibichungstochter, sowie Freia und Sieglmde 
wurden von Frau Petzl-Perard schön gesungen und sehr 
poetisch dargestellt. Die Partien der Erda und Waltraute 
waren der vor einer glänzenden Karriere stehenden Frau 
Hoffmann-Onegin anvertraut. Endlich verdienen auch die 
Nomen und Rheintöchter für ihr wohlklingendes Ensemble 
viel Lob; daraus ist Frau Kuhn-Brunner, deren goldhelle 
Stimme auch entzückend in des Waldvögeleins Weise klang, 
besonders zu nennen. 

Tristan und Isolde haben Herr Urlus und Frau Mottl-Faß- 
bender, wie im vorigen Jahre, dargestellt und gesungen. In 
Lohengrin und Tannpäuser waren mehr Unvollkommenheiten, 
die meisten im Orchester. Auf der Bühne verdienten die 
Damen von der Osten (Elsa-Elizabeth) und Mottl (Ortrud) 
ebenso die Herren Urlus (Lohengrin-Tannhäuser) und Plaschke 
(Telramund, Wolfram) Worte racher Anerkennung. So waren 
es im ganzen gewaltige Eindrücke, die wir aus diesem Fest- 
spielzyklus mit uns nehmen konnten. Endlich sagen wir 
noch ein Wort über die Musik am Hof. Die so musikhebende, 
begeisterte Königin Elizabeth hatte in der letzten Saison 
viele Musiker eingeladen und empfangen, u. a. Saint-Saens 

418 


und Richard Strauß. Kammermusik hat man bei ihr sehr 
viel gepflegt. Zum Hofkapellmeister ist der große belgische 
Geiger Engine Ysaye ernannt worden, er wird zuerst eine 
Aufführung von Glucks Orpheus im kleinen, neu restaurierten 
Hoftheater der Kgl. Residenz Laeken, bei Brüssel, dirigieren. 
Dies hat als Hintergrund die Dekorationen der Orangerie 
im wundervollen Wintergarten; die Königin selbst will sich 
mit der Inszenierung beschäftigen. Von i&em künstlerischen 
Geschmack darf man Gutes erwarten. May de Rüdder. 



Danzig. Die Leitung der „Danziger Waldspiele“ im Guten- 
berghain, die sich die höchsten Ziele steckt, hat das Wag- 
nis unternommen, Siegfried im Freien zu geben und es hat die 
kühnsten Erwartungen übertroffen. Zwar brachte es die 
Unsicherheit der bisher abnorm heißen Witterung mit sich, 
daß am ersten Abend (9. Juli) in Gegenwart der noch in Zop- 
pot weilenden Frau Kronprinzessin nur der erste Akt gegeben 
werden konnte, indem danach ein starker Regen einsetzte; 
der zweite und dritte Akt folgten am nächsten Abend. Von 
dem zweiten Gesangsfest des preußischen Sängerbundes in 
Danzig her hatte man das Bluthner-Orchester aus Berlin, 
dieses Mal unter Leitung von Selmar-MeyrowiU (Hamburg), 
übernommen, ebenso Kammersänger Hensel als Siegfried. 
Dazu kamen als neu für Danzig: Kammersänger Spies 
(Braunschweig) als Wanderer, Kammersänger Zador (Dresden) 
als Alberich, Peter Kreuder (Hamburg) als unübertrefflicher 
Mime und Louis van de Sande (Berlin) als Fafner. Von den 
mitwirkenden Damen zeichnete sich Kammersängerin Sophie 
Palm-Cordes (Stuttgart) als Brünnhilde aus. Desgleichen boten 
Ethel Hansa (Charlottenburg) als Waldvogel und Konzert- 
sängerin Hertha Frank (Danzig) als Erda vortreffliche Lei- 
stungen. Die plastischen Dekorationen sind nach Entwürfen 
des Kunstmalers Wehreus (Berlin) aus dem Atelier von Pro- 
fessor Lütkemeyer (Berlin-Koburg) hervorgegangen und zeigten 
oft wunderbare Bühnenbilder. Der Lindwurm war ein Meister- 
stück von Dekarationskunst. Der Darstellung von Tageshelle 
und „wabernder Lohe“ durch künstliche Beleuchtungseffekte 
sind auf der Waldbühne freilich Schranken gezogen, die 
Spielleitung suchte sie zu überwinden. W. D. 

Hellbronn. Eine führende Stelle im Musikleben unserer Stadt 
haben die von der „Konzertgesellschaft“ veranstalteten Auf- 
führungen eingenommen. Eines von den sechs Konzerten 
war wieder der Kammermusik gewidmet, und zwar hatten 
wir diesmal den Genuß, das „Böhmische Streichquartett“ 

i zum erstenmal in Heilbronn!) zu hören. Die fünf Orchester- 
mnzerte unter der wechselnden Leitung von August Richard 
und Hermann Eschrich brachten wertvolle alte und neue 
Werke. Das Orchester war stets durch Mitglieder der Stutt- 
garter Hofkapelle (für moderne Werke • besonders ansehnlich !) 
verstärkt, und bedeutende Solisten wirkten mit. Es gab 
einen Bach-Beethoven- Abend (mit Kammersängerin Kämpfert, 
Frankfurt). Weiterhin dirigierte Eschrich einen „Modernen“ 
und einen Brahms-Abend. Richard einen „Klassischen“ und 
einen zweiten „Modernen Abend“. Besonderes Interesse ver- 
dienten die beiden modernen Abende, die aber am wenigsten 
gut besucht waren. Der erste brachte Werke von Hugo Wolf 
(„Penthesüea“), E. N. v. Reznicek (Walzerzwischenspiel aus 
„Donna Diana“), A. Glazounow („Melodie“ und „Serenade“) 
und Richard Strauß („Also sprach Zarathustra“), der zweite 
solche von L. Thuille („Romantische Ouvertüre“), Fr. Klose 
(„Elfenreigen") und Schillings („Von Spielmanns Leid und 
Lust“) und außerdem Orchesterlieder von G. Mahler („Lieder 
eines fahrenden Gesellen“) und R. Strauß („Morgen“ und „ Pilgers 
Morgenlied"), die von Kammersänger Steiner (Wien) ganz 
ausgezeichnet gesungen wurden. Im Violinkonzert von Brahms 


ließ sich Ferd. Kaufmann aus Frankfurt hören. Im klas- 
sischen Abend war Max Pauer Solist. — Der „Singkranz 
Heilbronn“, dessen künstlerischer Leiter ebenfalls A. Richard 
ist, gab drei interessante und wohlgelungene Konzerte. Im 
ersten Konzert hörten wir vom gemischten Chor mit Or- 
chester Beethovens „Meeresstille** und „Glückliche Fahrt“, 
Schumanns „Nachtlied“ und Mendelssohns 42. Psalm (Solistin 
Hilda Saldera aus Stuttgart). Das Programm des zweiten 
Konzerts umfaßte neben Klavier vorträgen einer jungen Pia- 
. nistin (Schumann und Brahms) Männer- und gemischte Chöre 
ä cappella, von denen besonders vier stimmungsvolle Chöre 
von Reinecke und zwei groß angelegte, schwierige achtstim- 
mige von P. Cornelius („Der Ted, aas ist die kühle Nacht“ 
und „An den Sturmwind“) hervorgehoben seien. Im letzten 
Konzert (in der Kilianskirche) kam Bachs Kantate „Wachet 
auf, ruft uns die Stimme“ und Brahms herrliches deutsches 
Requiem zu ausgezeichneter, eindrucksvoller Aufführung, die 
dem Verein und seinem Leiter reiche Anerkennung eintrug. 


Die beiden vorzüglichen Solisten , Frau Cahnbley-Hinken 

i Wiirzburg) und Dr. R. Ligniez (Heidelberg) trugen wesent- 
ich zum Gelingen bei. Den Abschluß der Konzertzeit bildete 
eine außerordentliche, künstlerisch wertvolle Veranstaltung 
des „Württembergischen Bach- Vereins“, wiederum unter A. 
Richards Leitung und unter Mitwirkung einer größeren Zahl 
bedeutender Solisten, des Vereins „Singkranz“ und der durch 
Stuttgarter Kräfte ergänzten Regimentsmusik. In den Vor- 
mittagsgottesdienst (26. April) eingefügt wurde die Kantate 
„Wie schön leuchtet der Morgenstern“, und abends war in 
der Harmonie ein Konzert mit weltlichen Werken Bachs. 
Aufgeführt wurden die „Kaffee- Kantate“ und die erst kürz- 
lich in der Partitur gedruckte „Herkules-Kantate“, die große 
Schönheiten enthält und eine Wiedererweckung nach über 
eineinhalb Jahrhunderte währender Vergessenheit wohl ver- 
diente. Zwischen diesen Vokalwerken hörte man das herr- 
liche Doppelkonzert dmoll für zwei Violinen und Streich- 
orchester. von Wendling und Michaelis ganz wundervoll ge- 
spielt. Für diese ganze Veranstaltung gebührt dem Bach- 
Verein als dem Urheber und Herrn A. Richard (der auch die 
Cembalostimme zur Herkules-Kantate ausarbeitete) als dem 
Leiter besonderer Dank. Leider entsprach dem künstlerischen 
Erfolg nicht auch der finanzielle! /. S. 

Karlsruhe. Die Leitung unseres Hoftheaters zeigt wenig 
Scharfblick in der Aufspürung von Opernneuheiten. Den 
Fehlgriff mit dem „Ungeheuer“ wiedernolte sie bald beim 
„Tantchen Rosmarin“, das Werk der Herren Strobl und 
Mojsisovics. Wenn diese heitere Oper in vier Akten als Grad- 
messer für die Wertung unserer heutigen Opemproduktion 

f eiten müßte, dann wäre es nicht besonders darum bestellt. 

)en Stoff zu der Oper hat die bekannte Novelle von Zschokke 
geliefert. Während aber die heikle Geschichte von Schön- 
Suschen, das trotz aller Warnungen der Tante vor den Fall- 
stricken der Männer bei der erstbesten Gelegenheit von dem 
erstbesten Manne verführt wird, in der Novelle durch die 
liebenswürdige Art der Erzählung das Anstößige verliert, 
•tritt dies in der dramatischen Behandlung schon durch die nicht 
immer genug gewählte Sprache unverhüllt hervor. Der 
Textdichter versteht es aber, einige unterhaltende, bühnen- 
wirksame Situationen zu schaffen, die musikalisch zu illu- 
strieren und auszugestalten, dem Komponisten nicht gelungen 
ist. So fehlt dieser „heiteren“ Oper gerade das, worauf sie 
Anspruch machen will: der Humor. Das fortwährende Um- 

f ehen von reinen Konsonanzen in der Harmonisation läßt 
eine befreienden Momente aufkommen; die wenig glückliche 
Mischung der verschiedenen Instrumentengruppen kein reiz- 
volles, farbenreiches, instrumentales Gewand erstehen. Dem 
Sujet angemessen, müßte die Musik entweder schlicht im 
volkstümlichen Sinn, oder pikant durch Ausnützung moderner 
Orchestereffekte sein — sie ist aber weder das eine, noch das 
andere, sondern schwerfällig. Einzelne Versuche zu höherem 
Aufschwung bleiben Versuche. Hofkapellmeister Cortolezis 
dirigierte, unsere ersten Bühnenkünstler wirkten mit. 

F. Schweikert. 

Linz a. D. In der zweiten Hälfte der Saison gastierte das 
Wiener Tonkünstlerorchester mit dem rassigen Dirigenten 
Nedbal. Das Vorspiel zu „Parsifal“, die Dritte Symphonie 
von Beethoven, das a moll-Klavierkonzert von Schumann 
(mit Paul Weingarten am Flügel) und „Don Juan“ von 
R. Strauß wurden gespielt. Nedbal und das virtuos arbeitende 
Orchester fanden eine begeisterte Aufnahme. ... Zu einer 
ungekürzten „Christus“ -Aufführung wurde das Wiener Konzert- 
vereins-Orchester gewonnen. Direktor Göllerich schwelgte in 
der Partitur seines Meisters. Manches, wie das Stabat mater 
(von 5ominutiger Dauer) hätte belebenderen Rhythmus ver- 
tragen. Von Künstlern erschienen heuer im Konzertsaal 
Hubermann, Burmester, die Schwestern Paszthory, die Cel- 
listin Bokmayer, der Kontrabaßvirtuose Madenski und Hof- 
opernsänger Maikl (mit dem vornehm begleitenden Musik- 
direktor Bayer am Flügel), Viktor Heim, ein Poet unter den 
Sängern und ein Meister der Atemtechnik, Hermann Gürtler, 
der mit dem Komponisten einen Josef-Reiter- Abend veranstal- 
tete, Mena Töpfer-Nechansky, eine Zukunftsgröße der Pia- 
nistenzunft (mit zwei Klavierabenden). Zum erstenmal kam 
das gediegene Busch- Quartett, ungetrübten Genuß bereitete 
das „Fitzner-Quartetl“. Sie brachten außer Tschaikowskys 
Opus 11 mit dem Soloklarinettisten des Wiener Hofopern- 
orchesters Franz Behrends das Klarinettenquintett von Brahms 
und das himmlische Mozartsche Klarinettenquintett. Das 
geradezu ideale Zusammenspiel weckte eine Begeisterung bei 
den zahlreichen Zuhörern, die sich auch auf die Ausführenden 
zu übertragen schien. Als Rarität gab es ein Orgelkonzert 
des gewiegten Domorganisten Herrn Neuhofer. F. Gräflinger. 


Neuaufffihrungen und Notizen. 

— Der „Parsifal“ hat den Spielplan der vergangenen Saison 
beherrscht. Interessant ist, daß das Chemnitzer und das 
Augsburger Stadttheater das Weihefestspiel in der nächsten 
Spielzeit nicht mehr aufführen wollen und daß Lübeck, Regens- 


burg, Münster, ferner Görlitz, Karlsruhe, Kolmar, Neu- 
strelitz und Altenburg das Werk überhaupt nicht heraus- 
bringen wollen. Vielleicht folgen noch mehr Bühnen? 

— Das K. Hoftheater zu Stuttgart will auch in der neuen 
Saison 1914/15 eine größere Anzahl von Opemnovitäten 
bringen. Bereits im September soll die Uraufführung der 
„Lieder des Euripides“ von Botho Sigwart stattfinden, deren 
Text von Wildenbruch stammt. Es folgt am 1. November, 
wie schon gemeldet, die Uraufführung von Max v. Schillings’ 
neuestem Tonwerk „Monna Lisa“, das bereits am 2. November 
in der Wiener Hofoper gegeben werden wird. Ferner gelangen 
erstmalig zur Aufrührung „Marcella“ von Giordano, „Sma- 
mith“ von Paul v. Klenau, „Der Liebhaber ab Arzt“ von 
Wolf-Ferrari. Weiter ist „Samson und Dalila“ von Saint- 
Saens erworben worden. 

— Der letzte Abend der diesjährigen Kölner Festspiele 
hatte Mozarts „Entführung aus dem Serail“ mit den Damen 
Bosetti und Fladung gebracht. Die Aufführung fand als erste 
Opemvorstellung im Werkbundtheater statt. Von den be- 
sonderen Eigentümlichkeiten der Bühne wurde aber aus 
praktischen Gründen nicht Gebrauch gemacht. 

— Das Marionettentheater Münchner Künstler im Aus- 

stellungspark hat ebenfalls eine Gluck-Feier veranstaltet, 
und zwar aus Anlaß des 11. Deutschen Tonkünstlertages, der 
vom 4.-6. Juli in München stattfand. Das Marionettentheater 
führt Glucks heitere Oper „Der betrogene Kadi“ ständig auf 
dem Repertoire; die Gesangspartien werden von ausgezeich- 
neten Solokräften (den Damen Graha und Hirt und den 
Herren Guldenschuh, Scheibenpflug und Göbel) hinter der 
Szene ausgeführt. Zur erwähnten Gluck-Feier, die am 5. Juli 
stattfand, hatte nun Prof. Schmid-Lindner ein kleines Orchester 
von 15 Mann zusammengebracht und damit eine sehr gelungene 
Aufführung des Werkcnens erzielt. So hat das Marionetten- 
theater die Ehre Münchens gerettet. Das Hoftheater nahm 
vom Gluck- Jubiläum keine Notiz. Wie schön wäre es ge- 
wesen, wenn man im Prinzregententheater den „Orpheus“ 
oder die „Iphigenie“ aufgeführt hätte! R. 

— In der Walhalla bei Regensburg, in der bekanntlich 

auch eine Gluck- Büste aufgestellt ist, hat der Regensburger 
Pomchor unter Leitung seines Dirigenten, Geistlichen Rats 
Engelhart, eine Gluck-Faer veranstaltet; dabei wurden einige 
Chöre aus Glucks Opern vorgetragen. R. 

— In Bad Wildungen hat, wie uns geschrieben wird, die 
Symphonie No. 1 a moll von Gustav Cords, Berlin (Präsident 
des Allgemeinen Deutschen Musikerverbandes), durch ihre 

S rägnanten Themen und gute Instrumentation unter Leitung 
es Komponisten großen Erfolg gehabt. 

— In Donaueschingen hat man zur Feier der Silberhochzeit 
des Fürstenpaares wieder eine Reihe Kompositionen früherer 
dortiger Kapellmeister ausgegraben und aufgeführt, nämlich 
eine Festmesse von Johann Wenzel Kalliwoda und ein Tedeum 
von Konradin Kreutzer. 

— In Wien wird als nachträgliche Geburtstagsfeier eine 
Richard-Strauß-Woche im November veranstaltet werden. 
Der Strauß-Woche wird eine Gustav-Mahler-Woche unter 
Leitung Bodanzkys und dieser eine Max-Reger-Woche unter 
Leitung des Komponisten folgen. Im Mai 1915 wird dann die 
große Wiener Musikwoche abgehalten. 

— In Tournai (Beigen) hat die tausendunderste Aufführung 
des „Franziscus“ von Tinel unter großem Beifall stattgefunden. 
Die Witwe des Komponisten hörte zu. Die Titelrolle wurde 
von dem Tenoristen R. Plamondon (Paris) herrlich gesungen. 
Auch waren die Chöre sehr schön. -r. 



— Der Zwangs-„Don Juan“. Unter dieser Spitzmarke geht 
eine Nachricht einer Berliner Korrespondenz durch die 
Zeitungen, wonach im Deutschen Bühnenverein immer mehr 
die Verstimmungen gegen den Zwang wachsen, den „Don Juan“ 
in der Scheidemantelschen Uebersetzung aufzuführen, nach- 
dem sich viele Direktoren erst jetzt darüber klar geworden 
sind, mitwelchenKostenin Zukunft die „Don Juan“- 
Aufführungen verbunden sein werden. Das Preisausschreiben 
des Bühnenvereins, aus dem der Scheidemantelsche „Don 
Juan “-Text als Sieger hervorging, ist nämlich mit eigenartigen 
finanziellen Begleitumständen verknüpft. Der Preis von 
10 000 M., den Scheidemantel erhalten hat, wurdenäm- 
lich gar nicht vom Bühnenverein gezahlt, 
sondern von dem Verlag Bote & Bock in Berlin, der die Scheide- 
mantelsche Uebersetzung in Verlag genommen hat und nun 
die Mozartsche Musik in Gestalt von Klavierauszügen und 
Gesangspartien mit dem Scheidemantelschen Text neu drucken 
läßt. Da die Mitglieder des Bühnenvereins den „Don Juan“ 
in der Scheidemantelschen Uebertragung aufführen müssen. 


419 



müssen sie nun auch, das gesamte Material dafür von der 
Firma Bote & Bock kaufen, die also das Hauptgeschäft dabei 
macht. Sie erhält außerdem auch noch von jeder „Don Juan“- 
Aufführung zweieinhalb Prozent Tantieme der Gesamteinnahme. 
Während bisher der „Don Juan“ tantiemenfrei war, kostet 
er von jetzt ab den Direktoren, die ihn aufführen, noch Geld. 
Das alles macht die vorhandene Mißstimmung begreiflich. — 
Wenn diese Nachricht in allem richtig ist, so erscheint das 
Vorgehen des Preiskollegiums zum mindesten nicht klar 
und der Wahrheit gemäß. Wir enthalten uns jedes Kommentars, 
bis der Bühnenverein entgegnet hat, wie wir uns jedes Kom- 
mentars über die Scheidemantelsche Ueber Setzung selber 
bisher enthalten hatten. Wir wollen warten, bis das ganze 
Werk im Druck vorliegt. Die Stichproben freilich waren 
alles andere als „erhebend“! 

— Von den Konservatorien. Die Schlußprüfungen des Kgl. 
Konservatoriums für Musik in Stuttgart haben in sieben 
Abenden von neuem die Leistungsfähigkeit dieser von Max 
Pauer vorbildlich geleiteten Anstalt bewiesen. . Violine und 
Orgel sind hervorzuheben, die Klavierleistungen stehen auf 
hofier Stufe. Willi Hülser, ein Pauer-Schüler, erweckt viel 
Hoffnungen. Auch das Orchester unter Wendling macht gute 
Fortschritte. Fine Theatervorstellung glückte. In den darauf- 
folgenden Prüfungen zur Erlangung eines Befähigungszeug- 
nisses als Musiklehrer ist den nachgenannten Schülerinnen 
das Reifezeugnis zuerkannt worden: Im Hauptfach Klavier: 
Charlotte Delffs aus Pforzheim, Eveline Engelhardt aus Neu- 
dorf i. B., Comelie Hoffmann aus Stuttgart, Trudi Huber 
aus Zürich, Martha Leyh aus Stuttgart, Berta Pfahler aus 
Beuren, Nellie Tochor aus Melrose. Im Hauptfach Solo- 
gesang: Klara Hartmann und Ida Schultz aus Stuttgart, 
Hermine Herrlinger aus Waiblingen und Klara Weizsäcker 
aus Heilbronn a. N. — Das Stemsche Konservatorium für 
Musik in Berlin, Direktion Professor Gustav Holländer, sendet 
uns den 64. Jahresbericht ein; die Städtische Musikschule 
in Aschaffenburg (gegründet 1810) den über das Schuljahr 
1913/14; der Pettauer Musikverein den Schulbericht über das 
36. Vereinsjahr; der Steiermärkische Musikverein in Gras 
den über das Schuljahr 1913/1914. — Im Raff-Konservatorium 
in Frankfurt a. M.. das im Laufe des letzten Jahres seinen 
Mitbegründer und Mitdirektor Prof. Maximilian Fleisch durch 
den Tod verloren hat, ist auch dessen Witwe Frau Maria Fleisch 
als Gesanglehrerin aus der Anstalt geschieden. Die Herren 
Karl Brach und Karl Lembke sind als Gesanglehrer der Fakultät 
beigetreten. Alleiniger Direktor des Instituts ist nunmehr der 
Mitbegründer Pianist Max Schwärs. — Bei dem am Kon- 
servatorium zu Parma zum erstenmal veranstalteten Opem- 
wettbewerb um den Preis des Amerikaners Mac Cormick 


liefen, wie die „Münchn. Neuest. Nachr.“ mitteilen, 39 Arbeiten 
ein. Der erste Preis in der Höhe von 20000 Lire wurde 
dem Militärkapellmeister Giovanni Pennacchio in Florenz für 
die Oper „Erika“ zugesprochen. 

— Glucks Geburtstag. In dem Artikel „Glucks Lebensbild“ 
in Heft 19 der „N. M.-Z.“ wurde eingangs bemerkt, der Ge- 
burtstag Glucks sei nicht genau bekannt, da auf der Ge- 
denktafel am Geburtshause zu Weiden wang der 4. Juli, in 
den Biographien aber der 2. Juli angegeben sei. Wie aber 


aus der Giuck-Biographie von Dr. Anton Schmid, die in 
jenem Aufsatz angeführt ist, hervorgeht, ist der 2. Juli als 
Geburtsdatum nachgewiesen. Dr. Schmid veröffentlicht 
nämlich u. a. auch ein sogenanntes „Lebens Zeugnis“, das 
im Jahre 1785 in Wien ausgestellt wurde, und in dem aus- 
drücklich der 2. Juli 1714 steht. Gluck brauchte dieses Zeugnis 
zur Erhebung seiner in Paris fälligen Tantiemen. R. 

— Delegiertentag. Der „Zentralverband Deutscher Ton- 
künstler und Tonkünstlervereine" hat in den Tagen vom 
4. — 6. Juli in München im Festsaal der Kgl. Akademie der 
Wissenschaften seinen XI. Delegiertentag abgehalten. So- 
wohl Kultusministerium wie Magistrat hatten Vertreter zur 
Begrüßung entsandt. — Der Verband wird nach Eintritt 
derjenigen Vereine, die ihren Beitritt in nahe und sichere 
Aussicht gestellt, fast sämtliche Tohkünstlervereine Deutsch- 
lands umfassen. — Aus dem Jahresbericht des Vorsitzenden 
Adolf Göttmann, Berlin, ist hervorzuheben, daß der Verband 
die zurzeit brennendsten Fragen: Die staatliche . Versiche- 
rung der Musiklehrer und die Einführung einer staatlichen 
Prüfung mit großem Nachdruck bearbeitet und daß er amtlich 
zur Begutachtung dieser Angelegenheiten herangezogen und 
in Konferenzen gehört ist. Wesentliche Erfolge in bezug 
auf die Erleichterung der ursprünglich für Musüdehrer sehr 
unbequemen Bestimmungen sind zu verzeichnen und stehen 

! fix — *1. v r - 1 a n.'.t 


in weiterer Aussicht. An Vorträgen wurden geboten: Rieh. 
J. Eichberg, Berlin (im Aufträge des Verbandes) „Was ist ein 
Motiv ? Was ist ein Thema ?“ — Prof. M. E. Sachs, München, 


„Das temperierte ipstufige Tonsystem und eine dafür passende 
Schrift“. — Hans Diestel, Berlin, „Violintechnik und Geigen- 
bau“. — Sämtliche Vorträge wurden mit Beifall aufgenommen 
und riefen zum Teil eine eingehende und angeregte Aussprache 
hervor. Die Wahlen ergaben für den Vorstand die Wieder- 
wahl der Herren A. Göttmann, Rieh. J. Eichberg, Ed. Behm, 
sämtlich Berlin. Der Delegiertenausschuß besteht aus folgen- 


den Personen: Prof. W. Meyer (Berlin), Fischer (Krefeld), Krüger 
(Düsseldorf), Frl. Henckel, Prof. Rehberg, Lemke (Frankfurt 
a. M.), Prof. Franck (Köln), Raillard (Leipzig-Dresden), Prof. 
Vogel (Leipzig), Schweitzer (München), Hammacher (Trier). 

— Musikgeschichtliches. Die Musikgeschichtliche Kom- 
mission für Deutschland hat in diesem Sommer einen Mit- 
arbeiter in die Rheinprovinz geschickt, der die Inventari- 
sierung aller musikalischen oder theoretischen Werke vor 
1 800 vornehmen soll. Jede Angabe über Musikalien in Privat- 
besitz oder kleineren Bibliotheken nimmt Dr. H. Mersmann 
in Bonn (Kronprinzenstraße 22) entgegen. 

— Isolde Beidler schreibt .' Unter diesem Kennwort geht 
folgende Notiz durch die Zeitungen : „Die Familienauseinander- 
setzungen im Hause Wahnfried scheinen ihren Abschluß noch 
nicht gefunden zu haben. Frau Isolde Beidler ist mit Ab- 
fassung eines Buches beschäftigt, das sie unter dem Titel 
.Erinnerungen an meinen Vater' zu veröffentlichen gedenkt. 
Es kann nach dem bekannten Prozeß nicht zweifelhaft sein, 
wen Frau Isolde Beidler als ihren Vater betrachtet. Da sie 
bei dem Tode des Bayreuther Meisters bereits 18 Jahre alt 
war, ist anzunehmen, daß in dem Buche eine Reihe von bisher 
unbekannten Einzelheiten auch aus den letzten Lebenstagen 
Wagners in Venedig zur Veröffentlichung kommen.“ 

— Von den Theatern. Die Krise an der Pariser Großen Oper 
ist beendet. Die Direktoren Messager und Broussan haben 
dem Unterrichtsminister ihre Demission überreicht. Der Rück- 
tritt der Direktoren erfolgt am 1. September. 

— Denkmalpflege. Der König von Bayern hat angeordnet, 
daß die Büste Johann' Sebastian Bachs in der Walhalla auf- 
gestellt wird. — Aus Dresden wird berichtet: Der Ausschuß 
Für das Richard-Wagner-Denkmal hat den Vorschlag des 
akademischen Rates der Kunstakademie, das Denkmal im 
Foyer der Hofoper aufzustellen, abgeleimt, und zwar mit 
Redit, da es dort dem größten Teil der Bevölkerung nicht 
zu Gesicht kommen würde. Es soll ein Wettbewerb für das 
Denkmal veranstaltet und die Wahl des Platzes den Künst- 
lern überlassen werden. Da ein Richard -Wagner -Freund 
kürzlich 10 000 M. schenkte, stehen bis jetzt für das Denkmal 
50 000 M. zur Verfügung. — Alois Hennes, der einst berühmte 
Klavierlehrer und Verfasser der früher weit verbreiteten 
Klavierschule in Briefen, 1889 in Berlin gestorben, hat auf 
dem Reinickendorfer Friedhöfe ein würdiges Grabdenkmal 
erhalten. Da dieses jetzt zu verfallen droht, ruft man zu 
einer Sammlung für die Wiederherstellung auf, und zwar 
angesichts der Tatsache, daß Hennes sich um die märkische 
Touristik besonders verdient machte, seitens der Vereinigung 
Berliner Wanderfreunde“ (Geschäftsstelle Berlin NW. 87, 
Huttens tr. 70 I.). — Ein Häuflein kunst- und sangesbegeisterter 
Männer hat sich zusammengetan, um Thomas Koschat ein 
Denkmal zu bauen. Einfach und würdig soll es sich erheben 
in seinem geliebten Pörtschach an den Gestaden des von ihm 
besungenen Wörther Sees. Spenden an Oberlehrer Thomas 
Wieser, Schriftführer und Kassier, Pörtschach am See. — 
An dem Geburtshaus des ersten Schubert-Sängers, Johann 
Michael Vogl in Steyr, ist auf Anregung des Musikdirektors 
Franz Bayer vom Mannergesangverein „Kränzchen“ eine ge- 
schmackvoll ausgeführte Gedenktafel enthüllt worden. — 
Die auch in Deutschland bekannte kgl. italienische Kammer- 
sängerin Ida Isori hat in Florenz am Hause des altitalienischen 
Komponisten Giulio Caccini eine Gedenktafel anbringen 
lassen. — In Capua bei Neapel ist ein Denkmal für den vor 
5 Jahren verstorbenen Komponisten und Dirigenten Giuseppe 
Martucci eingeweiht worden. Er war der größte Verbreiter 
der deutschen Klassiker und Wagnerscher Musik in Italien. 
— In Lucca will man dem Komponisten Alfredo Catalani ein 
Nationaldenkmal setzen, und Pucdni steht an der Spitze des 
zu diesem Zweck gebildeten Komitees. In Deutschland sind 
die Hauptwerke des Komponisten „Wally“, „Edmea“ und 
„Loreley“ so gut wie unbekannt. 

— Brahmstana. Die Wiener Brahms-Gesellschaft hat ihr 
Archiv und Einrichtungsstücke der Wiener Wohnung des 
Meisters übergeben. Es soll darnach ein eigenes „Brahms- 
Archiv“ entstehen und im Neuen Städtischen Museum ein 
Brahms-Zimmer. Die Gesellschaft wird übrigens das Archiv 
jährlich mit einem Betrage von über 1000 Kronen dotieren. 

— Schlesische Gesangskurse. In Breslau hat der erste Spezial- 
kursus der Schlesischen Gesangskurse stattgefunden, die 
von dem Gesangspädagogen und Direktor der Breslauer 
Akademie für Singen und Sprechen, Theodor Paul, veranstaltet 
und geleitet werden. Mein als 200 Teilnehmer aus Breslau 
und den Provinzen Schlesien und Posen waren erschienen. 
In seiner Eröffnungsrede erklärte Direktor Paul, daß ihm 
in Dortmund, wohin er als Dozent für die Westfälischen 
Gesangskurse schon wiederholt berufen worden war, nahe- 
gelegt worden sei, auch in Schlesien Gesangskurse für Lehrer 
und Lehrerinnen, zunächst einen Spezialkursus zur Einführung 
in den neuen Lehrplan, zu veranstalten. Paul selbst sprach 
in drei Vorträgen über Atmungs- und Tonbildungsübungen 
und über Sprech- und Singstimmbildungsübungen . Von den 
vier außer ihm lesenden Dozenten behandelte Dr. med. Alfred 
Guttmann (Berlin) die physiologischen, Rektor Joseph Hoffmann 


420 



die methodischen und die Gesanglehrer Rudolf Büke (Breslau) 
und Bernhard Schneider (Dresden) die einschlägigen musi- 
kalischen Fragen. Zum Kursus hatten auch die Breslauer 
und Schlesischen Schulbehörden Vertreter entsandt. 

— Ein musikalisches Museum. Man schreibt uns aus 
St. Petersburg: In einem Saale des Konservatoriums sind 
nunmehr die wichtigen Dokumente aus dem Leben von zwei 
großen Tonkünstlem vereinigt, deren Sammlung dem Mu- 
siker W. M. Afanassjew zu danken ist. Es handelt sich hierbei 
um Glinka, den Schöpfer der russischen Oper, und um Anton 
Rubinstein, den Gründer der Kaiserlich Musikalischen Ge- 
sellschaft und des Konservatoriums in St. Petersburg. Rubin- 
steins Lebenswerk ist und bleibt eine bahnbrechende Kultur 
tat für Rußland. Durch die genannten Institutionen wurde 
das musikalische Interesse in den maßgebendsten, und weitesten 
Kreisen geweckt und andererseits der musikalischen Hoch- 
schulbildung die Pfade gewiesen. Dem Konservatorium in 
Petersburg, an dessen Spitze Anton Rubinstein selbst stand, 
folgte bekanntlich bald dasjenige in Moskau unter Leitung 
von Nicolaus Rubinstein und allmählich entstanden auch 
in Odessa, Kiew und in anderen russischen Großstädten 
bedeutende höhere Lehrstätten der Musik. Es darf daher 
nur als ein Akt wohlverdienter Dankbarkeit angesehen werden, 
daß eine würdige Gedenkstätte für Anton Rubinstein, den 
musikalischen Erzieher Rußlands, errichtet wird, dessen Ver- 
dienste jahrzehntelang von seinen Gegnern mit heißem Be- 
mühen in den Schatten gestellt wurden. Die Erkenntnis, 
daß das Publikum sich mit lebhaftester Teilnahme in die 
Betrachtung des Museums vertieft, um die Erinnerung an 
die Meister Glinka und Rubinstein zu beleben, hat zu noch 
einer andern Anregung geführt. Sie besteht darin, die Samm- 
lung zu erweitern und mit Hinzunahme der angrenzenden 
Foyerräume des Konservatoriums ein musikalisches Museum 
für alle hervorragenden russischen Tonkünstler zu schaffen. 
Der Gedanke ist um so berechtigter, als jetzt noch Nach- 
kommen oder Verwandte großer Komponisten leben wie 
von Balakirew, Tschaikowsky, Rimsky-Korsakow, Dargomy- 
schesk, Borodin, Sjerow, Rachmaninow und viele andere mehr. 
— Zweifellos werden alle im Familienbesitz befindlichen 
Andenken und Manuskripte gern hergegeben werden für die 
Zwecke einer dauernden Aufbewahrung in einem Museum, 
wo alle sich daran erfreuen können. M. B. 

— Die reingestimmte Orgel. Auf der Ludwigsburger Gewerbe- 
und Industrieausstellung hat die Firma E. F. Walcker & Co. 
auch eine reingestimmte Orgel ausgestellt. Man schreibt uns 
darüber: Die reingestimmte Orgel ist ein Versuch, die voll- 
kommen reine Harmonie im Unterschied von der temperierten 
Stimmung der Tasteninstrumente (Orgel, Harmonium, Klavier) 
auf einem brauchbaren Instrument zur Darstellung zu bringen. 
Die Terzen und Sexten der gewöhnlichen Stimmung sind viel 
zu hoch und deshalb dem Ohr unangenehm; auch die Quinten 
sind unrein. Bei diesem Instrument aber ist die Reinheit 
vollkommen durchgeführt. Sämtliche Musikstücke werden in 
Cdur und amoll gespielt, und zwar werden nur die weißen 
und die hinteren schwarzen Tasten benützt. Die Abweichungen 
davon werden durch einen Strich vor den Noten angezeigt, k 
wenn statt der weißen die links zunächst liegenden schwarzen 
und statt der hinteren schwarzen die davor liegenden schwar- 
zen Tasten zu drücken sind. Ein Eingehen hebt den Strich 
im betreffenden Takt auf. Durch das Spiel in C dur ist aber 
nicht die Tonhöhe für alle Stücke festgelegt, vielmehr kann 
durch Verschiebung der neben der Klaviatur liegenden Scheibe 
jede gewünschte Tonhöhe eingestellt werden. Diese Anordnung 
ermöglicht, die übliche Klaviatur zu benützen. Es sind nur 
die schwarzen Tasten in 2 und 3 Teile geteilt und zwischen 
h und c, e und ./ kleine Tasten eingefügt. Während bei der 
temperierten Stimmung die Oktave in 12 gleiche Teüe oder 
Halbtöne und Tasten zerlegt ist, sind es hier 40 Pfeifen in 
einer Oktave. Die enharmonische Verwechslung der hinteren 
Tasten (von fis nach ges usw.) geschieht durch einen unter- 
halb der Tasten angebrachten Druckknopf. Der praktische 
Wert dieser Orgel besteht nicht etwa nur in ihrer Benützung 
zu musiktheoretischen Unterrichtszwecken, sondern in erster 
Linie zur Einstudierung von Gesangschören und Sologesängen 
und zur Begleitung von solchen und von Streichinstrumenten. 


Personalnachrichten. 

— Auszeichnungen. Dem Berliner Universitätslehrer Prof. 
Dr. Max Friedländer ist vom Großherzog von Weimar das 
Ritterkreuz erster Klasse des Ordens der Wachsamkeit oder 
vom Weißen Falken verliehen worden. Friedländer ist seit 
vielen Jahren musikalischer Berater der Goethe-Gesellschaft; 
er hat einen großen Teü des musikalischen Nachlasses Goethes 
im Aufträge der Gesellschaft herausgegeben und deren letzte 
Tagung organisiert. — Prof. Max Meyer-Olbersleben, der 
Direktor des Würzburger Königl. Konservatoriums, hat den 
Titel eines bayrischen Hofrats erhalten. — Dem Komponisten 
und Sänger Ihr. Georg Henschel ist vom König von England 
der Adelstand verliehen worden. Henschel ist 1850 in Breslau 


geboren, trat schon früh als Pianist hervor und bildete sich 
im leipziger Konservatorium aus. Seit 1877 wirkte er in 
England. Sir Georg Henschel hat sich dieses Jahr in einigen 
Rezitals unter außerordentlicher Teilnahme als Sänger von 
der Konzertbühne verabschiedet, wirkt aber als Dirigent 
(Händel- Gesellschaft) und Lehrer fort. 

— Hofkapellmeister Hugo Röhr ist von seinem Posten als erster 
Dirigent des Lehrergesangvereins München zurückgetreten. 

— Dem Direktor der Hochschule für Musik in Mannheim, 
Kgl. Musikdirektor Karl Zuschneid, ist vom Großherzog von 
Baden der Titel Professor verliehen worden. 

— Aus Mannheim wird gemeldet: Das Gesuch des Hof- 
kapellmeisters Arthur Bodanzky, ihn wegen des an ihn er- 

f angenen Rufes an die Oper in Chicago vorzeitig aus seinem 
is zum 1. September 1915 laufenden Vertrag zu entlassen, 
ist von der Theaterkommission abgelehnt worden. 

— Der bisherige Dirigent des Leipziger Philharmonischen 
Chores, Dr. Alfred Stephani aus Eisleben, hat diese Stellung 
niedergelegt, da auf die Dauer eine Teilung seiner Tätigkeit 
zwischen Leipzig und Eisleben, wo er als Lehrer, Dirigent, 
Organist und Komponist eine ersprießliche Tätigkeit ent- 
wickelte, sich nicht als durchführbar erwies. An seine Stelle 
soll Hofkapellmeister Richard Hagel zurückberufen werden, 
der seine Braunschweiger Stellung an der dortigen Hofoper 
aufgegeben und in Leipzig bereits früher diesen Chor geleitet 
hat. F. E. Wn. 

— Prof. Karl Heinrich Döring, der dem Lehrkörper des 
Dresdner Konservatoriums angehört, hat am 4. Juli sein 
80. Lebensjahr vollendet. Prof. Döring steht seit sechs Jahr- 
zehnten im pädagogischen Berufe, in dem er noch tätig ist, 
und begründete am Dresdner Kgl. Konservatorium das Seminar 
für Musiklehrer. Er doziert die Fächer Harmonielehre, Kontra- 
punkt und Chorgesang und das Klavierspiel. Döring hat sich 
auch durch Unterrichtswerke sowie durch Komposition von 
Männerchören und volkstümlichen Liedern einen geschätzten 
Namen gemacht. 

— Emer der Senioren unter den deutschen Tonsetzem 
und Musikkritikern, Alexander Winterberger, hat in Leipzig 
am 13. Juli in aller Stille seinen 80. Geburtstag gefeiert. Als 
Pianist, Orgelspieler und auch als angesehener Kritiker hat 
er in früheren Jahren einen bekannten Namen gehabt; seinem 
seit über 40 Jahren betriebenen kompositorischen Schaffen 
ist die richtige Einschätzung fast ganz versagt geblieben. 
Winterberger ist einer der jüngeren Liszt-Schüler und hat 
des Meisters Einfluß vornehmlich in seinen sakralen Ton- 
schöpfungen mit Dank verwertet, in denen seine eigentliche 
Bedeutung beruht. Aber auch in der profanen Musik hat er 
viel Gutes, stets vornehm Empfundenes geschaffen. Ihm zu 
Ehren veranstaltete die Leipziger Singakademie ein Fest- 
konzert, in dem nur Werke des greisen Jubilars zur Aufführung 
kamen. F. E. Wn. 

— Ein hoffnungsvoller junger Tonkünstler, Max Denk 
in München, ist einem Unglück in den Bergen zum Opfer ge- 
fallen. Im Tod ist ihm sein Freund und Mitarbeiter German 
Rüger, mit dem er in die Berge zog, vereint geblieben. (Die 
„N. M.-Z.“ wird eins der Lieder Denks, die uns unlängst erst 
zugegangen sind, sowie einen Nachruf ihres Mitarbeiters ver- 
öffentlichen. Red.) 

— Ueber den in Kiel nach erfolgreichem Wirken gestorbenen 
Prof. Dr. Hermann Stange sei noch nachgetragen: Stange hat 
auf das Musikleben Kiels und Schleswig-Holsteins einen großen 
und dauernden Einfluß gehabt. An der Schaffung der schles- 
wig-holsteinischen Musikfeste hat er mitgewirkt und diese Ver- 
anstaltungen später in leitender Stellung gefördert. Als 
schlichter Organist in Schleswig trat er auf dem ersten Musik- 
fest 1875 so hervor, daß seitdem sein Name mit den großen 
Musikfesten untrennbar verknüpft blieb. 1878 wurde er 
Musikdirektor an der Universität Kiel. Als solcher wirkte er 
bis Ende 1913. Die Universität verlieh ihm bei seinem Rück- 
tritt die Ehrenwürde eines Doktors der Philosophie. 

— In Fulda ist nach kurzem Krankenlager Herr Thomas 
Mollenhauer im Alter von 75 Jahren gestorben. Thomas 
Mollenhauer war Seniorchef der weit über die Grenzen seines 
Vaterlandes bekannten Firma J. Möllenhauer & Söhne. Seine 
Ausbildung genoß er zuerst m der Volks- und Realschule 
seiner Vaterstadt. Dann widmete er sich dem Instrumenten- 
bau und trat in das 1822 gegründete Geschäft seines Vaters 
Johannes Mollenhauer, seine Studien in diesem Fache setzte 
er in den Jahren 1862 — 64 als Schüler Theobald Böhms, 
München, des Erfinders des heute die Welt beherrschenden 
Systems seines Namens fort. Bekannt wurde er hauptsächlich 
als Pionier für die idealen Ziele Böhms; namentlich deshalb, 
weil die Arbeiten Böhms zu jener Zeit nur von ausländischen 
Instrumentenbauern aufgegriffen und verwertet winden. 

— In Olmütz ist Wladimir Labler, ein Mann, der sich um 
die musikalischen Verhältnisse der Stadt Olmütz große Ver- 
dienste erworben hatte, gestorben, nachdem er noch kurz 
zuvor in aller Stille den 50]ährigen Gedenktag seiner Tätigkeit 
hatte feiern können. Er gehörte auch zu denen, die auf Ein- 
ladung Wagners bei der Grundsteinlegung zum Festspielhause 
die Neunte Symphonie mitgespielt haben. 


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Anzeigen für die 4 gespaltene 
Nonpareille-Zeile To Pfennig. 
Unter der Rubrik „Kleiner 
Anzeiger" 55 Pfennig :::::: 


Besprechungen und Anzeigen 


Alleinige Annahme von An- 
zeigen durch die Firma Rudolf 
Mosae, Stuttgart, Bertin, Leip- 
zig und deren s5mll. Filialen 


Frauenchöre. 

Wer für Frauenchor komponieren will, muß vor allem die 
Haupteigenschaft dieser Chorgattung, den ihr eigenen zart- 
poetischen Klangcharakter berücksichtigen. Vorwürfe, die 
Kraft, verschiedenartige Färbung, Tonumfang, Charakteri- 
sierung verlangen, werden andere Besetzung erheischen. Die 
Texte, die Wilhelm Berger für seine dreistimmigen Frauen- 
chöre mit Eliavierbegleitung, op. 98 {Arthur Schmidt, Leipzig) 
auswählte, eignen sich in hohem Grade zu dieser Behand- 
lung. Fein-poetischer Duft und weicher Wohlklang liegt schon 
in den Gedichten verborgen und nur das eine, das von Anna 
Ritter verfaßt wurde und den eigentlich obige Stimmung 
verheißenden Titel „Sehnsucht“ tragt, hat leidenschaftlichen 
Charakter und weist dem Frauenchor eine weit über das 
Zart-lyrische hinausgehende Aufgabe zu. Es hat einen heißen 
Atem und ist auch in der Vertonung sehr lebendig-kräftig 
angefaßt. Mit der ungestümen Frage: „Sturm, wer gab dir 
Atem?“ beginnt es gleich im ff! Ruhigeren Ausdruck nimmt 
es bei der Stelle an: „Ich weiß, ich weiß, es geht eine alte 
Melodie.“ Von da ab steigert es sich aber fast fortwährend, 
um schließlich mit dem Ausruf: „Sehnsucht, treibende Macht !“ 
mächtig zu schließen. Fürwahr ein geradezu männliche Kraft 
und männliche Ausdrucksfähigkeit verlangender Vorwurf. 
Auch die übrigen Vertonungen verraten die Hand eines Mei- 
sters. Selbstverständlich dürfen nur Frauenchöre, die über 
ein stimmlich und geistig durchgebildetes Material verfügen, 
sich an solche Aufgaben wagen. Bei der reichen Modulation 
und der meist selbständigen Behandlung der Stimmen ist 
jedes im Fahrwasser des billigen Dilettantismus segelnde Hei- 
ratsvereinchen von vornherein ausgeschlossen. Sehr fein, von 
Eichendorffscher Romantik erfüllt, wirkt „alte Romanze“ 
(Rieh. Zoozmann). Wie ist das Ganze durchzogen von einer 
oft geradezu üppigen Klangschönheit, wie sie eben nur die 
Neuromantik geben konnte, wie idyllisch einfach wirkt die 
unbegleitete Stelle des Chors „Das Rößlein ließen sie grasen“, 
dem dann das Klavier in zartesten /»/»-Klängen antwortet, 
wie echt romantisch hören sich die am Schluß sich ebenso 
pp wiederholenden Waldhomklänge an. Nur noch eine kleine, 
die musikalische Orthographie betreffende Frage. Gleich im 
5. Takt ist ein Terzengang cis ais | hi£ a \ h gis |. Diese 
Schreibart wird an verschiedenen andern Stellen verwendet. 
Nach meiner Auffassung muß eine Terz als Terz notiert 
werden und nicht als übermäßige Sekunde, also c a. ebenso 
S. S (unten) nicht d eis, sondern d f, wenn nicht alle Logik 
trügt. Iu dem „Seid verschwiegen“ (Gedicht von P. J. Wil- 
latzen) wechseln frisch-volkstümliche Klänge mit geheimnis- 
vollen, im pppp ( ! )-Echo verklingenden ab. Es müßte eine 
Lust sein, mit einem feingeschulten Chor eine solche im Falle 
des Gelingens höchst dankbare Aufgabe zu erfüllen. Nor- 
disch-schwer und melancholisch gibt sich das Gedicht von 
Erik Stagnelius (deutsch von Wülatzen), „Der Nix“. Etwas 
Griegisch wirkt der Anfang, der wie in klagenden Oboen- 
tönen von leisen Arpeggien begleitet, stimmungsvoll den Chor 
einleitet. Das Gedicht behandelt den greisen Nix, der, an 
das Irdische gefesselt, trotz all seines Klagens doch keiner 
höheren Seligkeit teilhaftig werden kann. Diese geradezu trost- 
lose Stimmung ist durch die Musik gehoben und verklärt 
worden, so daß das Grau des Ganzen doch gemildert erscheint. 

Auf einem ungleich andern Niveau stehen die in demselben 
Verlag erschienenen beiden Frauenchöre von Reinhold L, Her- 
mann. Sie sind zwar durchaus nicht geistlos und oberfläch- 
lich gearbeitet, allein schon die Texte „Tanzlied“ von Bier- 
baum-Herman und das bekannte „Die Musik kommt“ von 
Liliencron deuten den heiteren, mehr gesellschaftlich-unter- 
haltsamen Zweck an. Höher steht wohl das erstere. Dieses 
kann wohl auch in einem Vereinskonzert vorgetragen werden, 
da es besonders auf klangliche Schönheit hm gearbeitet ist. 
Zwar ergeben sich bei der mehr absolut musikalisch ent- 
wickelten Komposition S. 10 und 11 einige in puncto Dekla- 
mation ungut wirkende Stellen, doch das sind ja nur mehr 
oder weniger belanglose Einzelheiten (z. B. „Einst muß doch", 
„Da träumt sie“, besonders aber „Deß Tor ein Engel dir 
wahre, der alles“. Für einen Scherzkranz eignet sich das 
lustige, auf den Ueberbrettelton eingestimmte „Die Musik 
kommt“. Es ist gewiß Gold gegen den Blödsinn, den man 
so vielfach bei solchen der Kamevalszeit Rechnung tragen- 
den Veranstaltungen vorgesetzt bekommt. Etwas grotesk 
nimmt es sich aus, wenn bei der Stelle „treu bis ans Grab“ 
(eine altbewährte Phrase, die Liliencron leider auch über- 
nommen hat!) auf das letzte Wort plötzlich feierlich Heil 
dir im Siegeskranz“ ertönt mit vor- und nachgehendem Fan- 
farengeblase, doch soll so was besonders beim norddeutschen 
Vetter und bei gewissen Leuten sehr beliebt sein. Ich per- 
sönlich bin der Ansicht: Um Gotteswillen solche Dinge von 


einem lustig sein sollenden Abend weglassen! Etwas zu ba- 
nal wirkt die Stelle mit den „zwei Leutnants, rosenrot und 
braun“. Lustig und nett ist’s ausgedrückt, wie „der bunte 
Schmetterling“ mit tsching bum um die Ecke zieht und mit 
einem quasi niente = pppp in der Ferne verschwindet. „Fein 
war’s!“ denken Mine und Trine. Karl Eichhorn, Stuttgart. 

* ♦ 

Mottls Wagner-Auszüge. Im Wagner-Jahre, das uns 
neben den freien Bühnenaufführungen auch die Wagner- 
Literatur in neuen Auflagen und zu billigen Preisen gebracht 
hat, verdient eine Publikation ganz besondere Beachtung: 
die Klavierauszüge, die aus dem Nachlasse Felix Mottls von 
der Edition Peters in Leipzig herausgegeben worden sind. 
Die Auszüge sind richtig als ein „Vermächtnis Mottls an die 
musikalische Welt“ bezeichnet worden. Der große Bayreuther 
Dirigent hat nämlich eine Fülle erläuternder Bemerkungen, 
Regieanweisungen, Tempobezeichnungen etc. seinen Auszügen 
beigefügt, die aus dem Munde Richard Wagners selber stammen, 
die uns die Wünsche und Anordnungen, wie er sie auch auf 
den Proben im Festspielhause ausgesprochen und gegeben 
hat, kundtun. Mottl war wie kaum ein zweiter in die Ideen 
Wagners, des „Spielleiters“, eingeweiht. Vor uns liegen die 
Auszüge zu „Parsifal“ und „Tristan“. Es ist in hohem Grade 
interessant, sie durchzusehen, zu beobachten, mit welcher 
Peinlichkeit Wagner gerade im Kleinen gedacht hat. Diese 
Klavierauszüge können als die „authentischen“ Wagner- 
Auszüge bezeichnet werden. Erschienen sind Parsifal, Tristan 
(von Brecher vollendet), Nibelungenring zu wohlfeilen Preisen. 

„Bayreuth 1914 .“ Das unter diesem Titel seit 20 Jahren be- 
kannte Festepieihandbuch des Leipziger Gesangmeisters Fried- 
rich Wild ist rechtzeitig zum Beginn der Bayreuther Fest- 
spiele erschienen. Aus dem Inhalt sei für heute angeführt: 
Prof. Arthur Prüfer, „Parsifal daheim und draußen“, zwei 
Parsifal-Essays von Moritz Wirth, „Dekoration und Technik 
im Ur-Parsifal“: (I. Die Parsifal-Dekoration als Wiederschein 
der Speerhandlung. H. Technik der Gralswunder: Licht- 
strahl, Wein, Brot.) und „Wagners Parsifal, ein Versuch zur 
Vereinigung der christlichen Religionen". Ferner zwei Ab- 
handlungen über den „Ring". Als Bildschmuck sind dem 
464 Seiten starken Buche {Const. Wilds Verlag, Leipzig, 3 M., 
geh. 4 M.) 48 Künstlerporträte mit Biographien beigegeben. 

Für die Jugend. Der Verlag Schuberth & Comp, hat wieder 
Klavierstücke für die Jugend herausgebracht, die wir empfehlen 
möchten. Da ist zunächst Paul ZUcher, der bekannte frucht- 
bare Komponist, der mit leichter Hand den klavierspielenden 
ABC-Schützen seine Gaben bringt. „Wandern im Mai“ heißt 
die neue Serie von 6 Stücken op. 116 (Preis je 75 Pf.), die in 
der frischen, fröhlichen Art das Kindergemüt erfreuen werden. 
— Auf höherer Stufe steht Martin Frey, der in zwei Heften 
von je drei leichten, instruktiven Stücken: Tanzbilder im 
alten Stil (Heft 1) und Stimmungsbilder (Heft 2) eine ganz 
reizende, fein und flüssig gearbeitete Musik geschrieben hat. 
Diese beiden Hefte sind wirklich „instruktiv“, auch nach 
Seite der Geschmacksbildung hin. Da das Heft nur 1 M. 
kostet, wird Frey hoffentlich viele Käufer finden. Er verdient 
es und die Spieler werden nicht enttäuscht werden. 

* * * 

Unsere Musikbeilage zum Heft 21 bringt ein Lied von 
Friedrich Gernsheim: Ave Maria. Das Stück. 1860 geschrieben, 
ist bisher Manuskript geblieben. Näheres sagt der Aufsatz 
im heutigen Hefte. 



Von Dr. Richard Batka und Professor Dr, Wilibald Nagel. 

Diesem Heft liegt als Gratisbeilage Bogen 13 bei. 

Neu eingetretenen Abonnenten beehren wir uns Nachstehendes 
mitzuteilen: 

Vierteljährlich gelangen zwei Lieferungen zur Ausgabe. 

Band / und II in Leinen gebunden (enthaltend annähernd 850 
Abbildungen) kosten zusammen M. 11. — , bei direktem Bezug 
zuzügl. 50 Pf. Porto. Auch einzeln erhältlich. 

Einzelne Bogen des I., IL und III. Bandes können zum Preise 
von 20 Pf. für den Bogen jederzeit nachbezogen werden, auch von 
seitherigen Abonnenten, denen Bogen in Verlust gerieten. 
Leinwanddeeken zu Band I und II je M. 1.10, bei direktem 
Bezug M. 1.80. 

Zu beziehen durch jede Buch- u. Musikalienhandlg. sowie direkt vom 

Verlag der „Neuen Musik-Zeitung* 4 ln Stuttgart. 

Verantwortlicher Redakteur: Oswald Kühn in Stuttgart 
Schluff der Redaktion am 18. Juli, Ausgabe dieses Heftes am 80. Juli, 
des nächsten Heftes am 20. August. 


422 





Kompositionen 


Sollen Kompositionen im Briefkasten 
beurteilt werden, so ist eine Anfrage nicht 
erforderlich. Solche Manuskripte können 
jederzeit an uns gesendet werden, doch darf 
der AbonnementsausweU nicht fehlen. 


Richard Wagner aber Tannhäuser 

Aussprüche des Meisters über sein Werk. Aus seinen Briefen und Schriften 
sowie anderen Werken zusammengestellt und mit erläuternden Anmerkungen 
versehen von Edwin Lindner. Geheftet 6 M., gebunden 7.50 M. 


{Redaktlonsschhiß am t6. Juli.) 


H., AlbreehU. Der flgurativen Choral- 
behandlung zeigen Sie sich nicht gewach- 
sen; es fehlen die erforderlichen Vorstudien. 
Auch die Choraleinleitung zu „0 Gott, 
du frommer Gott“ bewegt sich auf niede- 
rem Niveau. Versuchen Sie es zunächst 
mit zweistimmigen kontrapunktischen 
Uebungen, indem Sie zu einer Chotal- 
melodle eine Gegenstimme schreiben (zu- 
erst zwei, dann drei, dann vier Noten 
gegen eine). Ihre Uebungen wollen wir 
gern durchsehen und mit Instruktiven 
Notizen versehen. 

E. B-, R — g. Die Anlage Ihrer Motette 
verrät Erfahrung und Geschick. Zu dem 
phry gischen Charakter des einleitenden 
Chorsatzes paßt gut der spätere Choral. 
Der arienmäßige Mittelsatz klingt gemüt- 
voll, nur fällt er stilistisch aus dem Rah- 
men. Dilettantisch nimmt sich der über- 
leitende Anhängsel „Verzage nicht" aus. 
Ihrem Talent wäre Weiterbildung zu gön- 
nen. Als Autodidakt kämen Sie aber 
wohl auf keinen grünen Zweig. 

B. Ch. Ihrer „Lauret. Litanei“ fehlt, 
so gefällig das melodische Gepräge mit- 
unter ist, die harmonische Abrundung. 
Die Haupttonart Cdur kommt durch ein 
breites, behagliches Weiterspinnen nament- 
lich in den Kreuztonarten zu wenig zur 
Geltung. Sie sollten sich kürzer fassen, 
um den Ueberblick nicht zu verlieren. 
Auch das Instrumentalstück beweist, daß 
Sie glücklich veranlagt sind, vor allem eine 
gute Erfindungsgabe besitzen. Ihr der- 
maüges Können erlaubt Ihnen aber nicht, 
sich schon mit schwierigeren Aufgaben zu 
befassen. 

L. S. Ein ziemlich mattes Produkt. Sie 
dürften im 8. Takt nicht in C dur schließen. 
Verhängnisvoll wirkt der Ton b für den 
weiteren Verlauf, der einer völligen Ent- 
gleisung' gleichkommt. 

G. F. 338. Sie haben den Musenkuß 
noch nicht erhalten, vielleicht weil Sie 
erst r8 Jahre alt sind. Dem Begriff Kunst 
stehen Sie noch völlig fremd gegenüber, 
sonst wären Ihre Liedchen nicht gar so 
unbedeutend. In No. z haben Sie ver- 
gessen, in As dur zu schließen. No. 3 
lehnt sich stark an eine bekannte Volks- 
weise an. Was dürfen wir sonach von der 
Orchestereerenade, von der Sie schreiben, 
erwarten? 

H. W. 26 . Iu Ihrem der Frau Nachti* 
galt' gewidmeten Duett heißt es: 
Nachtigall, ich hör’ dich singen, 

Das Herz im Leib möcht’ mir zerspringen— 
Nachtigall, ich hör’ dich laufen, 

Aus dem Bächlein tust du saufen. 

Und da wundem sich die Vogelfreunde 
darüber, warum die edle Philomele immer 
seltener in Deutschland werde. — Die me- 
lodische Behandlung verrät einiges Ge- 
schick, ebenso der Begleitsatz. 

K. H. p L — a. Weder das Lied noch die 
MännerchorbearbeRungen können als reif 
bezeichnet werden. Sie müßten sich noch 
tiefer in die Tonsatzlehre elnarbeiten. 

Vätergruft. Die Baitode zeigt den ge- 
wiegten Tonsetzer, ist aber nicht originell 
und kraftvoll genug, um einen nachhalti- 
gen Eindruck zu erwecken. „Ave Maria' 
hat bei allerhand bekannten Anklängen 
einen scharmanten lyrischen Zug. 

S. L., H. Zwischen den Liedern von D. 
und Ihrer pittoresken Darstellungswrise 
scheint eine innere Verwandtschaft z’> um- 
stehen. Einiges von Ihnen nähert sich 
den Wald- und Wandrerpoesien für Kla- 
vier von St. Heller. Einheitlichkeit lassen 
manche Ihrer Zeichnungen vermissen in- 
folge des unruhigen harmonischen Kolo- 
rits. Wir glauben Ihnen früher schon ein- 
gehende kontrapunktische Studien em- 
pfohlen zu haben. Für einen Impressio- 
nisten Ihres Schlags wäre Bach von bestem 
Einfluß. Er führte Ihre Gebilde zu mehr 
Geschlossenheit und reicherem melodi- 
schem Leben. 


Vorliegendes Werk will als Führer durch Richard Wagners Tannhäuser dienen, 
ist doch Richard Wagner in seinen Schriften und Briefen selbst der beste Führer 
durch sein Werk, sowohl für das Publikum, wie auch für die mitwirkenden Künstler. 
Tindners ähnliche Werke über Tristan und Isolde und Parsifal haben reiche An- 
erkennung gefunden. Von diesen unterscheidet sich vorliegende Sammlung nur inso- 
fern, als bei der Fülle des Materials der Umfang ein größerer geworden ist, denn über 
keines seiner Werke hat sich der Meister wohl auch nur so annähernd in so ausführ- 
licher Weise ausgesprochen, wie gerade über seinen Tannhäuser. Den Wagner-Ver- 
ehrern wird Lindners Zusammenstellung hochwillkommen sein, umsomehr, als viele 
erklärende Anmerkungen die Lektüre erleichtern. 

Weiter liegt vor: 

Richard Wagner über „Die Meistersinger von Nürnberg“ 

von Erich Kloß. Aussprüche Richard Wagners über sein Werk in Schriften 
und Briefen. IV, 86 Seiten. Geheftet M. 1.60, gebunden M. 2. — 

Richard Wagner über „Tristan und Isolde“ 

Aussprüche des Meisters über sein Werk. Aus seinen Briefen und Schriften 
zusammengestellt und mit erläuternden Anmerkungen versehen von Edwin 
Lindner. XXXII, 390 Seiten. 8°. Geheftet M. 6. — , gebunden M. 6.50 

Richard Wagner über den Ring des Nibelungen 

Aussprüche des Meisters über sein Werk in Schriften und Briefen. Begonnen 
von Erich Kloß. Fortgesetzt und mit Anmerkungen versehen von Hans 
Weber. XII, 13z Seiten. 8°. Geheftet M. 8. — , gebunden M. 4. — 

Richard Wagner über Parsifal 

Aussprüche des Meisters über sein Werk. Aus seinen Briefen und Schriften 
sowie anderen Werken zusammengestellt und mit erläuternden Anmerkungen 
versehen von Edwin Lindner. XLVHI, 221 Seiten. 8°. 

Geheftet M. 4. — , gebunden M. 6. — 

Verlas Breitkopf & Härtel In Leipzig 


Franz Schubert, 


vod K»rl Wendl M. 1. — . Für Violine und 
Klavier beerb, von Hau Sebmldl M. r.zo. 


Elf «Mannti Landler. “ *■*“ 


bearbeitet 


! Carl 6rQninger,vimg, Stuttgart, 


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HARFE 

(Instrumentalbesetzungen mit Harfenbegleitung) 

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GLINKA, M., Die Lerche, Russisches Lied für 2 Violinen, Flöte und Harfe 1.50 

— do. für Violine, Viola, Flöte und Harfe 1.50 

— do. für Violine, Cello, Flöte und Harfe 1.30 

— Der Zweitel, Romanze für 2 Violinen und Harfe ......... 1.50 

— do. für Violine, Viola und Harfe 1.50 

— do. für Violine, Cello und Harfe 1.50 

— do. für Flöte, Violine und Harfe 1.50 

— do. für Flöte, Viola und Harfe x.50 

— do. für Flöte, Cello und Harfe 1.50 

HÄNDEL, G. F„ Melodie: Toehter Zion aus Judas Maccab tu* (bearbeitet 

von P. Wetzger) für 2 Violinen und Harfe — 

— do. für Flöte, Violine und Harfe — 

— do. für 2 Flöten und Harfe . . . .' x. — 

— do. für 2 Violinen, Viola und Harfe 1.20 

— do. für 2 Violinen, Cello und Harfe 

— do. für 3 Violinen und Harfe 

— do. für 2 Violinen, Viola, Cello und Harfe 1.50 

— do. für 3 Violinen, Viola und Harfe 1.50 

— do. für 3 Violinen, Cello und Harfe 1.50 

— do. für 4 Violinen und Harfe 1.50 

— do. für 4 Violinen, Viola und Harfe t.öo 

— do. für 4 Violinen, Cello und Harfe 1.80 

— do. für 4 Violinen, Viola, Cello und Harfe a. — 

Binzeine Stimmen ä 0.30 

JÜAN IV., König von Portugal (1604 — 1656), Crux fldelis für Streich- 
quintett und Harfe. Partitur und Stimmen . . . . z.20 

UNK, B., Chant d’amour. Melodie romantique f. VIoL, Harmonium u. Harfe 1.20 

— do. für Violine, Pianoforte und Harfe 1.20 

— do. für Violine solo, Streichquartett und Harfe . 2. — 

MEYER-MAHLSTEDT, AD., op. 29. Albumblatt für Violine und Harfe . 1. — 
OHNESORG, CARL, Die verlassene Mühle, Charakterstück für Streich- 
instrumente, Harfe und Schlagzeug. Partitur und Stimmen .... 2. — 
Dublierstimmen & 0.20 

SCHUMANN, CAM., op. 33, z. Erotikon für Violine und Harfe .... 1. — 

— op- 35 » 2. Serenade für Violine und Harfe i.ao 

WETZGER, P., op. 37. Weihnachtstraum f. Strekhquint. m. Glocken ü. Harfe 2. — 

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423 




Briefkasten 


' Für unaufgefordert Kam- 

Skripte jeder Art übernimmt die Red a kt ion 
kein« Garantie. Wir bitten vorher «n- 
zufragtn, ob dir Manuskript (achriftetelto- 
fische oda mnelkaUacbe Ddträge) ' Ans- 
alcht »nt. Annahme Babe; bei der PfQte 
de* an* zugcschlckten Material« Ist eine 
lasche Erledigung sopst ausgeschlossen. 
Rücksendung erfolgt nur, «renn genügend 
’ Porto dem Manuskripte beilag. 

Anfragen für den Briefkasten, denen 

. der Abonnenten tsanswei* fehlt; sowie ano- 
nyme Anfragen werden nicht beantwortet. 

Br. A. W. r. Die 'Adresse desOesangs- 
pAdagögen G. Armin -war vor ktmem noch:. 
Berhn-tVihnendorf, Klngbabnstr: 356 IV. 
s. Der II. Teil seines Buches: „Das Stau- 
pdnxlp oder dtetehre von dem Dualismna der 
menschüchen Stimme“ Ist unseres Wissens 
noch nicht erschienen; ebenso glauben wir 
nu wissen, daO seit diesem Buch kein 
tNlteres' Werk- desselben Verfassers er- 
schienen ist. Sie erfahren das am sichelt 
gten durch direkte 'Anfrage, j 


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."Wegen der Aufnahme wende man sich an nnaere Ant etgen-Abt ellaog» Stuttgart, Könfgstr .81 B. 



Kammersinger E. Rob. Wall 

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Erna Rückboll-Hillor, SS 

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Königsberg 1. Pr. r 

«statines- 10 Ö /101 «• Ll 1 n » 1 

Bmpf. v. d. Meistern Beaoit, Gcvairt, 
Mabeülnl, Schroeder. Prospekte frei. Als 
Gesangspfidagoge ist Herr T. als hoch- 
bedeutend zu bezeichnen .... und so darf 
man ihm eine Sonderstellung unter den ent. 
Ve rtret e rn sein. Faches wohl zubüUgen. 
' Wien. Gustav Mahler. 


Jeanne Vogelsang 

Gelgsdn 

ntzscM. aoUsutjl. 


Msm o sspra n aal All Usd und Orsteritm. 

Landau (Pfalz), Teichstraße 15. 


Msoo n. Alt, gshfflsrin t. Mm*. Gharlss Oahlsr 
Hornbe rg, bad. SchwarzwaMbahn 
Telegr.-Adr.: Mllsrhasssltash Henriarg. I 
•ehwartwsldk. Femspr.-AmtHorabsrf gr. A | 


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Uer&anD Hcuifcfier Örckj^r-u.ftiar-reitpr 


BsrehunujmitwrdenlbeatieF- ftorueri-u Chordirlgenlen durch 
anhr rtw nam iflcftes BQra.Tlürnbcrg.Hdteiflc21 hoflrmoa naettoemfefen. 
ffojVat ffarttTTtelfter, OofKopeUmeifter. UorftUenaer. 


Fritz Vol bach 

Der Troubadour, 32SÜL 1 - 

choc, Bariton- (oder Tenor jaolo und Os. 
dg» (o dm Km vter). Par Utm M. ,^— , 

M. — .je, Xlavierauasug (vom Kompo- 
nisten) . M. *-40, 

Verlag Carl Qrflnlnger, Stuttgart. 


[AAlAmAAAAlmlZIIIIIi: 


6 ro$$bcrzogl.Kon$er 9 atorium für musiK, Karlsruhe (Badt.) 

zugleich Theater sehn le (Opern- und Schauspielschule). 

Unter dem Protektorat Ihrer Königlichen Hoheit der Großherzogin Luise von Baden. 

Beginn de» neuen Sehpljahrea ‘ am IS. September 1914 . 


Die ausführlichen Satzungen sind kostenfrei durch das Sekretariat zu beziehen. 

Alle auf die Anstalt bezüglichen Anfragen und Anmeldungen zum Eintritt in dieselbe sind zu richten an den 

" Direktor Heirat Professor Heinrich Ordenstein, Sophienstraße 35. 


f 


ans der Spieloper 



VOÖ 

Wörden - d 

oder ybm.Vi 


isMKBDStaflSdrllcke^ 


von Pr. Llttertchel A 
Origin. brosch. SO Pf. 
Carierflnlngcr, Stuttgart 


Engelbert Htunperdlnifc 

Partitur , M. 8. — netto 

Orcheste^timmen ... „ iS.— „ 

• jede Dublier stimme ..... „ 1. — „ 

' ' Für Klavier zu a Händen . . „ 2. — „ 

Die Partitur steht auf Wunsch zttr Ansicht zur Verfügung. 

' Ueber die Kdlner IfamfHUirnng. dm Werkes schretbtder Berlins* LskaUMtlgar: <0 
„Die heutige tTmaftÜhrnag .von Engelbert Hnmperdjncks neuer Oper im ■'< I 
hiesigen atädttheater erzielte slun ssfer IsMsftea crfelg. Der BeUsll erklang 4 » 
bercitf nSeh ist Otvsrt&n, die mH ernsten Tönen einsetzt und dann mit dem 4 4 
- If&tft des SoldatmHnVte „Was blaseh die Trompeten“' frisch In volkstümliche 4 > 
UBfefBriit. Humperdinck Ist hier sU maätrasr Mifrriag, der sich durch die 4 
dw ^ii irti^f t» B dmftdhtag tn^ t nw>|wit^fifi> (Hw diwum v dhttlBiflchoi Ktaä-' i 
prariften erhebt, sowie sin SeUpfst msls ä iäser Usdsr, Zwlsfwtag« gal OMra. 4 

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HÄ4.BSÖ»*»«*. AlWmbtstt jmlttd- Tuns aatgeaplclt haben fl.f so PL a. 

aefrw. «Atem Stofe) «o Pf. u. Heft j. Ossrg Hggsllig, Onocaentens 

Heft j. . fl SS fg «gfriisg, Zwei. Kta* . (mlt tel a ch w e r unter* 8t) jo Pt a, 
vierstftds*. a).Atzbeike, b) Moto Heft 4- B. Görfslsr, MslkOnigto, Om 
- p erpetuq (mtttdsdrW. oben Stahl votte (mHtdschw. m. 8t) so Pf. a. 

S0.pt 1 n. . Heft j. L itslnassi, a) Sptonerlled, 

Htft S. KsUbmraw, Rondo, prfo6df bl JagdtMlmsaw. ob. St) so Pf.n. 

«Tun« tottodacUod, Bsdttr (mlttä- Heft 6. J. M. Hsma«i, Rondean tevori 
sefrws* Oben 8tule) r M. a. \ (hdttrisehw. ob. St) 60 PL a. 

BEH' Zu beriehtn, zoch etnzrin, durch jede Bud- and Mnslk« Hm handlang - 
sowie nach dirtkt (zuziteHdi j Pf. pro Htfr Porto) vom 

VtfUff Carl Irflniigcr, Stnttaart 


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, tmd Vcrlig ibk Cort ÜrüHÖtgef in stütigah. —• (Kemmterioflsverlag ln Ldpdg: F, Votdmar.) 
















XXXV. VERLAG VON CARL GRÜNINGER, STUTTGART-LEIPZIG 1914 
Jahrgang Preis des Jahrgangs (Oktober 1913 bis September 1914) 8 Mark. Heft 22 

Erscheint vierteljährlich ln 6 Heften (mit Musikbeilagen, Kunstbeilage und „BatJca, illustrierte Geschichte der Musik"). Abonnementpreis 2 M. vierteljährlich, 8 M. jährlich- 
Elnrelne Hefte jo Bf- — Bestellungen durch alle Buch- und Musikalienhandlungen sowie durch sämtliche Postanstalten. Bei Kreuzbandversand ab Stuttgart im deutsch. 

österreichischen Postgebiet M. 10.40, im übrigen Weltpostverein M. 12. — jährlich. 


Inhalt* Unsere Pflichten! — Die musikdramatischen Theorien Glucks und Wagners. — Führer durch die Violoncell-Utbratur. (Fortsetzung.) — Ule Amsel. Eine 
111 II Stil • omithologisch-m usikalisch e Plauderei. — Staatlicher Fortbildungskursus für Gesangslehrer an höheren Schulen. — Nachrufe an zwei deutsche Männer. 
Franz Beier f und Hugo FaiBt f- — Das Paganini-Cello. — Ton der Münchner Hofoper. Rückblick. — „Orpheus“ auf der Eibinger Waldbühne. — Sigfrid Karg- Eiert: 
de Kunst des Registrieren.. — Kritische Rundschau: Freiburg 1 . Br., Graz, Eemberg, Münster 1 . W., Weimar. — Kunst und Künstler. — Besprechungen: Neue Klavier- 
musik zu zwei Händen (Unterhaltungsstücke), ijeder. — Briefkasten. — Dur und Moll. — Neue Musikalien. — Musikbeilage. 


Unsere Pflichten! 

D er Weltkrieg ist entbrannt. Schier auf allen Seiten 
von tollblinder Raubgier umstürmt, von asiatischen 
Barbaren und Helfershelfern, die ihr Europäertum 
verraten haben, hinterrücks, angefallen, kämpft Deutsch- 
land um sein Leben. Richard Wagners Wort, daß man 
unter Volk den Inbegriff ' derer, die eine gemeinsame 
Not empfinden, zu verstehen hat: es wird in Blut und 
Feuer erhärtet werden. Weitaus mehr steht auf dem Spiel 
als redlich durch schweres Mühen errungener Wohlstand: 
in Verteidigung der nationalen Ehre schirmen wir das Beste 
abendländischer Geistesarbeit und Gesittung, stehen wir 
für die Güter ein, die sich unser Erdteil als höchsten Edel- 
besitz schuf. Unterliegt .— was eine barmherzige Vor- 
sehung verhüten möge ! — das Land, das das Universum 
mit dem Geiste Kants, Goethes und Johann Sebastian Bachs 
befruchtete, dann sind auch die Enkel Shakespeares und 
Molieres dem Kosakengeist verfallen. Eines Tages wird es 
Engländern und Franzosen aufdämmem, wie just jene, die 
sie mit bitterstem Haß verfolgten, vom Geschick dazu be- 
rufen wurden, auch für ihren Kulturschatz miteinzustehen ! 

* * 

■ * 

Glücklich alle, die für Vaterland, Weib und Kind die 
Waffe führen, die auf dem Felde der Ehre ihr Leben er- 
setzen! 

Doch was liegt uns ob, uns, denen es versagt ist, der 
Fahne zu folgen? 

Gewichtige Pflichten sind uns auferlegt. Schande uns, 
wenn wir sie nicht restlos erfüllen! 

Zugewiesen ist uns die Pflicht, den Familien derer, die 
dem Feind die Stirn bieten, zur Seite zu treten. Da kommen 
nicht allein Sorgen für Lebensnotdurft und -Unterhalt in 
Frage. Hier ist der Ernährer, dort aber der weltkundige, 
klarblickende Berater den Seinen entrückt: auch da güt 
es. zu helfen, zu stützen. Des Ferneren haben wir die Auf- 
gabe, selbst unter dem Hall und Schall der Waffen, so gut 
es irgend gehen mag, die Werke der Kultur 
weiterzuführen. Dies ist Schuldigkeit gegen das 
Vaterland: draußen und drinnen, im Großen wie im Kleinen, 
bis zum letzten Augenblick in der Pflicht 
zu verharren. Dies vor Allem hat Deutschland er- 
höht im Range der Völker; dies soll in der Stunde der 
Gefahr sein Wahlspruch sein. Ob Sieg, ob Verhängnis: bis 
das Auge bricht, muß jeder auf dem ihm zugewiesenen Ge- 
biete dem Gebot der Pflicht nachleben. Da gibt es nichts, 
was als klein, als bedeutungslos zu werten wäre ! In erster 


Linie auf dem Felde der Erziehung. Das heranwachsende 
Geschlecht ist ununterbrochen darin zu unterweisen, denen 
Ehre zu machen, die es auf der Wahlstatt gegen erbar- 
mungslose Feinde decken. Die Jugend darf nicht auf den 
Gassen verlumpen. Ich kann mir einen Lehrer denken, 
der es sich abzwingt, seine Stunde ruhig zu Ende zu geben, 
selbst wenn schon Brandflammen gegen das Nachbarhaus 
hinzüngeln. Auch dieser Mann wäre für mich ein Held. 
Einer, an dessen Charakter sich das Fühlen der Soldaten 
der Zukunft aufranken wird. 


Fürs Erste hat J e d e r in seinen Kreisen zu 
wirken. Schon weil er am besten weiß, wie es dort aussieht. 

Viel Not, Elend und Kummer unter Musikern erheben 
ihre Stimme. Geholfen werden muß nicht nur den Familien, 
denen das Schicksal ihr Teuerstes unwiderbringlich nimmt, 
nicht nur den Berufsgenossen, die aus der Schlacht krank, 
siech, verkrüppelt heimkehren. Schon der Ausbruch des 
Krieges hat über nicht Wenige Hungerqualen gebracht. 
Kaum erschien der Mobilmachungsbefehl, da wurde in einer 
vielgerühmten Kunststadt ein großes, zur Lösung hoher 
Aufgaben bestbefähigtes Künstlerorchester Knall und Fall 
entlassen. Mit einem Bettler-Almosen, knapp dazu hin- 
reichend, den Einzelnen ein paar Tage über Wasser zu 
halten. Wissen Sie, was Sie taten, meine Herren, als Sie, 
bei noch stattlichem Vereinsvermögen vom Kündigungs- 
recht des „Kriegsparagraphen“ in der ersten Minute un- 
erbittlich Gebrauch machten, auch den. deutschen 
Mitgliedern des Orchesters gegenüber? Noch ehe die Ge- 
wehre losgingen, haben Sie die ersten Wunden geschlagen. 
Sehen Sie im Musiker keinen Menschen? Um was sind 
Weib und Kind des auf die Straße gesetzten Musikeis 
besser daran als die Angehörigen des im Felde stehenden 
imbemittelten Soldaten ? Ein Aushilfsberuf ? Man findet 
ihn nicht von einer Stunde zur anderen. Und will es für 
Aushilfsberufe nicht auch Sonderfähigkeiten, ausreichende 
Vorschulung und ein eigen Maß von körperlicher Taug- 
lichkeit ? 

Gewiß: wo es sich um Sein oder Nichtsein des starken, 
kulturgewaltigen, des bismarckischen Deutschlands handelt, 
da denke der Teufel an Konzerte! Wenn die eisernen 
•Würfel fallen, erscheint uns sogar Manches, das uns sonst 
zu Höhen des Ideals emportrug, matt, winzig, spielerisch. 
Vergessen wir jedoch nicht ganz daran, daß es Beethoven 
war, der sagte: „Die Musik soll dem Manne Feuer aus 
dem Geist schlagen !“ Nicht den schlechtesten unter denen, 
die jetzt in ernstester Schicksalsstunde den Lorbeer an des 


425 








Kölligs Rock heften, ist Weihe und Kraft des unüberwind- 
lichen Willens auch aus den Partituren Ludwig van Beet- 
hovens zugeflossen! 

Nur daß Ihr mir die Idee sogenannter Wohltätigkeits- 
veranstaltungen, sei es auch bei gediegenstem Programm, 
mit aller Entschiedenheit von der Hand weist! Wohl- 
tätigkeitsaufführungen machen ste.ts Kosten — und von 
dem, was Patriotismus, Gemeinsinn, Menschenliebe jetzt 
zu den edelsten Hilfszwecken aufbringen, darf kein Groschen 
verludert werden! Davon nicht zu reden, daß hinter dem 
Aushang des Wohltätigkeitskonzertes immer der Kunst- 
auswucherer lauert, der kaum anders wie der Brotwucherer, 
sich sonder Scham mit der Not des Volkes bezahlt macht ! 

Nein: wer heute hilft — und es ist daran, daß wir 
herzugeben haben, was wir irgend ent- 
behrenkönnen! — , der opfere seine Gabe freihändig, 
ohne „Gegenleistung“, ohne wohlaufgereihte Spender- 
paraden! Sonst müßtet Ihr tief erröten vor dem armeh 
Weibe, das seinen schmalen goldenen Trauring gegen einen 
eisernen eintauscht ! Es leben eine ganze Anzahl schaffender 
und ausübender deutscher Tonkünstler, die in den letzten 
Jahrzehnten ansehnliche Goldemten einheimsten: sehen wir 
zu, ob sie sich als wahrhaft großherzig erweisen werden! 
Ansehnlich sind dann die Scharen der Musiker und der im 
Musikhandel Tätigen, denen es „ganz leidlich geht“. Ihnen 
legt die Zeit, legt der Ehrenname des Deutschen die Ver- 
pflichtung auf, sich nach Möglichkeit zu bescheiden, ein- 
zuschränken, und, was sie sich nur immer abzusparen ver- 
mögen, der Vaterlandsverteidigung und dem Wohltim in 
hohem Sinne zuzuführen. 

Das letzte Wort sei gesagt. Seit den ruhmreichen Tagen 
des gewaltigen idealen Aufschwunges von 1870 und 1871 
haben sieh wieder mancherlei üble Geister in Deutschland 
eingenistet. Auch unter uns Musikern hätte Dieser und 
Jener etwas gutzumachen. Mammonismus, ungezügelte 
Genußsucht, abirrende Ehrbegier, Streberei, die, auf krum- 
men Wegen wandelnd, Lüge und Verleumdung übt, Neid, 
Eifersucht und Parteiwahn haben Häßliches in unsere 
Reihen getragen. Da güt es Sühne. Da gilt es, sich zu 
reinigen, sich wieder ehrlich zu machen — nicht mit Worten, 
sondern mit Werken. Wer seine Schuld durch gute 
Tat löscht, der darf wieder, erhobenen Hauptes vor uns 
hintreten! 

Die Zeit ist des bitterschweren Ernstes bis zum Rande 
voll: der grausige Schnitter Tod rüstet sich zu furchtbarer 
Ernte. Aber die Zeit ist auch groß! Sie läßt von denen, 
die noch ein Gewissen haben, das Kümmerliche abfallen 
und lenkt sie dem ewig Heiligen zu. 

Deutsche Musiker: zeigt Euch der großen Zeit nicht 
unwürdig! Paul Marsop. 


Die musikdramatischen Theorien 
Glucks und Wagners. 

Beitrag zum Gluck- Jubiläum von STEPHAN WORTSMANN 
(Erlangen). 

E benso abgedroschen wie der Vergleich zwischen 
den beiden Revolutionären Gluck und Wagner ist 
die heute stereotyp gewordene Redensart, daß sie sich da- 
durch unterschieden, daß Gluck die Tyrannei der Sänger, 
Wagner die Alleinherrschaft der Komponisten bekämpft 
hätte. Zweck der nachfolgenden Zeilen soll daher nicht 
sein. Allbekanntes in neuen Worten zu wiederholen, sondern 
in einem kurzen, vergleichenden Ueberblick zu zeigen, 
daß die besagte Redensart jeden Grundes entbehrt. 

Wie so eine Anschauung entstehen konnte ist leicht zu 
verfolgen und interessant. Entsprungen ist sie aus den Aus- 
führungen über Gluck in Wagners „Oper und Drama“, in 
denen Wagner, wenn auch nicht absichtlich, so doch ober- 

426 


flächlicherweise die Verdienste seines Vorgängers schmälerte. 
Obgleich diese Aeußerungen wenig wissenschaftlichen Rück- 
halt besitzen, sind sie doch zunächst von unkritischen 
Parteigängern wie Nohl, Brendel u. a. akzeptiert und propa- 
giert worden und heute bekennen sich leider fast alle 
Musikwissenschaftler dazu, darunter der Größten einer: 
Kretzschmar. 

Zur Vermeidung von Mißverständnissen sei darauf 
hingewiesen, daß wir hier nicht von den Werken oder 
der Musik reden ; wir wollen nur nachweisen, daß die 
Tendenzen, die musikdramatischen Theorien 
der beiden Meister die gleichen waren. 

Nun ist die Theorie Wagners ja leicht durch die 10 Bände 
„Gesammelte Schriften und Dichtungen" nebst den zahl- 
reichen Briefsammlungen u. dergl. zu umschreiben, nicht 
so einfach ist das aber bei Gluck. Es ist sehr wenig, was 
hier anzuführen ist: vor allem die zwei berühmten Vor- 
reden zu „Alceste“ und „Paris und Helena", dann eine 
kleine Anzahl offener Briefe und sonstiger Publikationen 
in schöngeistigen Pariser Zeitschriften, schließlich noch 
eine große Zahl ungesammelter privater Briefe. Dazu 
gehört die Ueberlieferung mündlicher Auslassungen, die 
uns durch verschiedene „Erinnerungen an Gluck" erhalten 
ist. Angesichts dieses kleinen Materials darf man Gluck 
nur deshalb als Theoretiker bezeichnen, weil seine Lehren 
bedeutend genug waren, um eine neue Epoche in der Auf- 
fassung der Oper herbeizuführen und weil das Beispiel 
eines großen Komponisten, der sein System selbst begründet, 
in der Musikgeschichte jener Zeit doch recht vereinzelt 
dasteht. 

Von weniger Belang ist für uns ein zweites Moment, 
daß verschiedentlich Bedenken gegen die Autorschaft 
Glucks an den unter seinem Namen veröffentlichten 
Schriften erhoben worden sind. Unwichtig sind diese 
Bedenken für unsere Untersuchung deshalb, weil sie nicht 
begründet sind und nur aus ganz irrtümlichen Zweifeln 
an Glucks geistiger Büdung entstanden sind. Nachdem 
aber kein anderer als gerade Gluck öffentlich die Verant- 
wortung für diese Theorien auf sich genommen hat, 
sind sie so einwandfrei als sein musikalisches Glaubens- 
bekenntnis festgelegt, daß es sich nur darum handeln 
kann, ob die Stilisierung sein geistiges Eigentum ist oder 
nicht. Und das ist begreiflicherweise für uns höchst gleich- 
gültig. 

Und nun zum Inhalt der Theorien selbst! Im Vorder- 
grund unserer Vergleichung soll die übereinstim- 
mende Auffassung von dem Verhältnis 
zwischen Text und Musik stehen, denn sie 
hat hier wie dort alles Weitere bedingt. Es gibt da ein 
paar Sätze, an denen sich das recht hübsch konzentriert 
zeigen läßt. Wagners berühmte Formel aus „Oper und 
Drama" (Drama = Zweck, Musik = Mittel des Ausdrucks) 
ist ja heute in aller Munde; auch Gluck hat seine Ge- 
danken in ein paar knappe Worte zusammengefaßt, die 
weniger mathematisch präzis als die Wagners sind, aber 
doch deutlich den gleichen Sinn erkennen lassen. Am 
radikalsten ist ein oft angefochtener Ausspruch, der durch 
die „Erinnerungen“ Coranceys, eines Pariser Redakteurs 
und Freundes Rousseaus, beglaubigt ist: „Ehe ich an die 
Komposition einer Oper gehe, suche ich vor allem zu ver- 
gessen, daß ich Musiker bin“. Klarer und genauer sind 
die Leitsätze der „ Alcesten“-Vorrede : „Ich suchte die 
Musik zu ihrer wahren Bestimmung zurückzuführen, das 
ist, die Dichtung zu unterstützen ..." und „Ich glaubte, 
die Musik müsse für die Poesie das sein, was die Lebhaftig- 
keit der Farben und eine glückliche Mischung von Schatten 
und Licht für eine wohlgeordnete Zeichnung sind, welche 
nur dazu dienen, die Figuren zu beleben, ohne die Umrisse 
zu zerstören“. 

Diese drei Sätze müssen wohl jedem naiv Denkenden 
als überzeugend und unzweideutig einleuchten, aber man 
hat sie so oft „auszulegen“ gesucht und in neuerer Zeit 
besonders versucht, das „Wagnerische“ aus ihnen hinaus- 


und eigene tendenziöse Auffassung hineinzuinterpretieren, 
daß wir uns noch etwas näher damit befassen müssen. 

Auch an einem Meisterworte soll man nicht deuteln 
und rütteln wollen, es ist doch nur vom Uebel. Gluck 
hat seine Anschauung nicht so von ungefähr unvermittelt 
hingeworfen, wie sie hier dasteht und der Zusammenhang 
mit dem Ganzen ergibt erst den rechten Sinn. Die Vorrede 
zu „Alceste“ geht wohl von dem Kampf gegen die Prima- 
donnenherrschaft aus, allein das ist nur die Einleitung, 
der Bruch mit dem Bisherigen, das Negative ; das Positive, 
zu dem die Vorrede in ihrem wunderbaren, logischen 
Gedankenaufbau führt, ist die Wiederherstellung des 
Musikdramas nach hellenistischen Idealen, d. h. die Wieder- 
aufnahme der Ideen der Venetianischen Camerata. Das 
ist fast die gleiche Disposition, wie die der Vorrede zu 
„Oper und Drama“ und genau wie hier wirken in solchem 
Zusammenhang die oben erwähnten Sätze Glucks. Auch 
er will ein neues, besseres Operngenre, in dem die Dichtung 
die Hauptsache, „die Zeichnung“ des Stückes sein sollte, 
die Musik — ganz schroff gesprochen — Surrogat, das 
„Zufügen der Farbe“. 

Ebenso verhält es sich mit dem Ausspruch „Ehe ich an 
die Komposition einer Oper gehe, suche ich vor allem 
zu vergessen, daß ich Musiker bin“. Er erzählt Corancey, 
wie er beim Komponieren sich mitten ins Parkett eines 
Theaters hineinversetze und dort vom lebendigen Ein- 
druck der Handlung sich zum Schaffen inspirieren ließe; 
er setzt ihm gelegentlich der Aufführung von „Iphigenie 
in Aulis“ auseinander, wie seine Musik, eng der Handlung 
angepaßt, nur aus der szenischen Situation heraus ver- 
standen werden könnte; er spottet noch hochbetagt über 
die schönsten Melodien nach der Manier Piccinis und seiner 
Landsleute, „daß sie zu sehr nach Musik röchen“ usw. 
Alles das sind Züge, die den obigen Ausspruch nicht mehr 
als alleinstehend und vieldeutig, sondern als im Sinne 
Glucks ganz wörtlich zu verstehend erscheinen lassen. 

Ein sehr hübscher indirekter Beweis ist Eugen Schmitz 
(München) gelungen. Er fand in einer von ihm neu 
herausgegebenen Schrift von J. F. Mosel: „Versuch einer 
Aesthetik des dramatischen Tonsatzes“ (1813) in fast, 
identischem Wortlaut den oben berührten , berühmten 
Leitsatz des Wagnerschen Prinzips ausgesprochen. Mosel, 
ein begeisterter Verehrer Glucks betont in den „Vorerinne- 
rungen" seiner Broschüre ausdrücklich: „Nicht ich, sondern 
Gluck spricht aus diesen Blättern“, er kann auch dem 
Inhalt des Werkchens nach unbedenklich der Schüler des 
Meisters genannt werden. Gibt es nun noch einen schlagen- 
deren Beweis für die Verwandtschaft zwischen Gluck 
und Wagner, nicht im Aeußerlichen sondern im Geiste, 
als wenn die Konsequenz seiner Lehre, die Fortführung 
seiner Gedanken wortwörtlich in die Formel aus „Oper 
und Drama“ einmündet? 

Es ist das, wie erwähnt, die Uebereinstimmung mit dem 
wichtigsten Punkt der Wagnerschen Theorie und ein längeres 
Verweilen war hier wohl geboten, alle weiteren Parallelen 
können wir kurz abhandeln. 

Der Gedanke des Gesamtkunstwerkes 
ist von Gluck nicht direkt ausgesprochen worden ; in seinem 
Bewußtsein muß er aber vorhanden gewesen sein, denn in 
seinen einschneidenden Reformen im Betriebe der Pariser 
Oper bei der Aufführung seiner Werke zeigt sich offen- 
sichtlich der Wille, auch die Tanzkunst dem einheitlichen 
Zusammenwirken von Dichtkunst und Tonkunst dienstbar 
zu machen. Wir meinen mit „Tanzkunst“ natürlich nicht 
nur im engeren Sinne des Wortes die Versuche, das 
Ballett in einen logischen Zusammenhang mit der Handlung 
zu bringen und die Musik dazu charakteristisch und in- 
dividuell zu gestalten, sondern im weiteren, Wag- 
nerschen Sinne die Bemühungen auf dem Gebiete der 
Mimik, des Spiels und Vortrags. Gluck hat auch tat- 
sächlich, soweit die zeitgenössischen Berichterstatter ver- 
lauten lassen, in den wenigen Vorstellungen, die seinem 
unmittelbaren Einfluß unterworfen waren, sowohl Chor 


als Solisten auf einen zuvor nur im Schauspiel bekannten 
Grad von innerer Teilnahme und äußerem Darstellungs- 
vermögen gebracht. Jedenfalls aber dürfen wir Gluck, 
wenn nicht direkt so indirekt den Gedanken des Gesamt- 
kunstwerkes zusprechen. Mit einer geradezu zwingenden 
Notwendigkeit kommen fast alle bedeutenderen Kritiker 
des Gluckschen Reformwerkes in irgendeiner Weise darauf 
zu reden. Es genügt hier, auf oft zitierte Aussprüche von 
Wieland, Herder, Lessing u. a. zu verweisen. 

Die Verschmelzung von Arie und Rezi- 
tativ, d. h. die teilweise Verwischung ihrer Grenzen 
ist in der Tat ebensowenig das Werk Wagners wie 
Glucks. Peri und Cacdni und häufig auch Lully schrieben 
schon in vorwiegend deklamierendem Stil ohne merkliches 
Hervortreten des Arioso, und auch in der Zeit vor Wagner 
schrieben Weber, Marschner, ja selbst Meyerbeer durch- 
komponierte Opemfinales und Szenen, die prinzipiell 
wenigstens vom „Holländer“ und „Tannhäuser" nicht 
weit abstanden. In die T h e o r i e aber ist der Grundsatz 
— ohne den Begründern der Oper zu nahe treten zu wollen — 
mit Entschiedenheit erst durch die beiden großen Re- 
formatoren gekommen. Bei Gluck heißt er: „Ich bin 
der Meinung, daß man vermeiden soll, im Dialog einen 
zu großen Zwischenraum zwischen dem Rezitativ und der 
Arie zu lassen, um nicht . . . den Gesang und das Feuer 
der Szene am Unrechten Ort zu stören“, Wagner sagt 
(„Ueber die Aufführung des , Tannhäuser'“, Ges. »Sehr. V, 
S. 128): „Das bestimmte Aufhören des .Gesanges 1 und das 
bestimmte Einsetzen des sonst üblichen .Rezitatives', wo- 
durch in der Oper gewöhnlich die Vortragsweise des Sängers 
in zwei ganz verschiedene Arten getrennt wird, findet bei 
mir nicht statt". Auch die Bedeutung und die Konse- 
quenz dieser Maximen lassen sich in Parallele setzen: 
Gluck hat im Verfolge seiner Anschauung zwar nicht das 
„recitativo accompagnato“ erfunden, aber doch zuerst 
zum Stilprinzip erhoben und damit der dramatischen 
•Komposition der Folgezeit den wesentlichsten Fingerzeig 
gegeben, Wagner ist letzten Endes mit eben demselben 
Prinzip zu seiner „unendlichen Melodie“ gelangt, unter 
deren Zeichen die ganze Moderne steht. Gluck focht gegen 
die Konzertoper der Neapolitaner, wie Wagner die aller- 
dings nicht mit analogen Fehlem behaftete „Meyerbeer- 
Oper“ über den Haufen warf. 

Die Ouvertüre ist der einzige Punkt der Gluckschen 
Reform, den Wagner als mit seinen Anschauungen über- 
einstimmend anerkennt, wenn er auch in seiner Abhandlung 
„Ueber die Ouvertüre“ vollständig ignoriert, daß Gluck 
ihm auch die theoretische Begründung voraus- 
genommen hatte. Oder kann man daran zweifeln, daß 
der Satz: „Ich bin der Meinung, daß die Ouvertüre den 
Zuhörer auf den Charakter der Handlung, die man dar- 
zustellen gedenkt, vorbereiten und ihm den Inhalt derselben 
andeuten soll“, gleichbedeutend ist mit dem Wagners: 
„Die höchste Auffassung bestünde bei dieser Auffassung 
der Ouvertüre darin, daß mit den eigentlichen Mitteln 
der selbständigen Musik die charakteristische Idee des 
Dramas wiedergegeben und zu einem Abschluß geführt 
würde, welcher der Lösung der Aufgabe des szenischen 
Spiels vorahnungsvoll entspräche (Ges. Sehr. I, S. 204)“ ? 
Der Unterschied ist nur der, daß dieser Gedanke, der uns 
heute so naheliegend erscheint, zu Glucks Zeiten das Ei 
des Kolumbus war, während er im 19. Jahrhundert durch- 
aus nicht besonders originell wirkte. Aber wenn nicht die 
Erkenntnis, so wurde doch das Werk von Wagner anerkannt. 
Er rühmt (in der angegebenen Schrift) die Gluckschen 
Ouvertüren im allgemeinen und stellt im speziellen als 
eines der Musterbeispiele für sein Ideal „Iphigenie in 
Aulis“ hin. Wie schon oben angedeutet, möchte ich das 
Verdienst um die Entwicklung der Ouvertüre hier nicht 
gleichsetzen, sondern auf die Gefahr hin, Stockwagnerianem 
als sehr ketzerisch zu erscheinen, Gluck als den bedeuten- 
deren bezeichnen. Gluck war wirklich neu und schuf mit 
seinem freien Orchesterprolog eine neue, von der stereo- 


427 



typen französischen und italienischen Ouvertüre gänzlich ab- 
weichende Form, R. Wagner stellte nur ein Ideal, das in 
den beliebten Potpourriouvertüren bis zur Unkenntlich- 
keit verblaßt war, wieder her und unterschied sich — wenig- 
stens anfangs bis zum „Lohengrin“ — nicht formal, sondern 
nur inhaltlich von eben diesen Potpourriouvertüren. Ob 
die Form der „Ring“-Ouvertüren, der bloßen Einführung 
in die erste Szene, durch die Wagner besonders Schule 
gemacht hat und die direkt zu dem neuerdings beliebten 
Anfängen ex abrupto geführt hat, ein besonders frucht- 
barer Gedanken gewesen ist, muß hier dahingestellt bleiben. 

Ein weiterer Berührungspunkt besteht auf dem Ge- 
biete der Instrumentation. Gluck stellte auch 
hier zwei ziemlich neue Forderungen auf: i. Das Orchester 
soll wenigstens einen bescheidenen Anteil am Ausmalen 
der Dichtung haben, d. h. es soll sich vom bloßen Begleiten 
des Gesanges emanzipieren und 2. die Instrumentation soll 
durch Ausnützung gewisser sinnlicher Klangwirkungen die 
Phantasie in der Vorstellung bestimmter Bilder unter- 
stützen. Während sich die letztere Regel, die offensichtlich 
eine Annäherung an das Instrumentationsprinzip der Ro- 
mantik verrät, nur aus der Praxis des Komponisten ent- 
nehmen läßt, hat die erstere ihren Ausdruck auch in der 
Vorrede zu „Alceste“ gefunden: „Die Instrumente müssen 
immer nur im Verhältnis mit dem Grade des Interesses 
und der Leidenschaften angewendet werden“. Das deckt 
sich im Grunde bereits mit der modernen Auffassung 
von der Stellung des Orchesters in der dramatischen Musik; 
Wagners: „Das moderne Orchester wird zu den Motiven 
der Handlung in einen so innigen Anteil treten, daß es . . . 
die Motive stets mit überzeugendster Eindringlichkeit 
dem Gefühle mitteilt“ („Zukunftsmusik“, Ges. Sehr. VII, 
S. 130) besagt nichts anderes. Nur hat die Zeit, d. i. der 
technische Fortschritt trotz gleichbleibender Auffassung 
einen immensen graduellen Unterschied in der Ausführung 
bewirkt. Während Gluck sein Orchester nur leise und 
schüchtern mitreden läßt, verleiht ihm Wagner volle 
Gleichberechtigung und Richard Strauß läßt schon bei 
heftigen Gefühlsausbrüchen die schwache menschliche 
Stimme im mächtigen Schwalle der Instrumente unter- 
tauchen. Aber die Parallelität des Prinzips bleibt bestehen. 

Wie aus einem Munde klingen auch die folgenden beiden 
Aussprüche: „Wenn es sich nun darum handelt, eine Musik 
nach den vön mir aufgestellten Grundsätzen aufzuführen, 
so ist die Gegenwart des Tonsetzers dazu ebenso nötig 
als die Sonne den Schöpfungen der Natur“ (Vorrede zu 
„Paris und Helena") und: „Es gehört zu den größten 
Peini g ungen, die ich in neuerer Zeit empfinden mußte, 
daß ich bei den stattgefundenen einzelnen Versuchen, 
meine dramatischen Arbeiten aufzuführen, nicht zugegen 
sein konnte“. („Ueber die Aufführung des ,Tannhäuser“‘, 
Ges. Sehr. V, S. 124.) Wollte man auf beiden Seiten 
die tiefsten Wurzeln dieser Sätze aufdecken, so erhielte 
man ein Doppelbild von seltener Aehnlichkeit. Hier nur 
einige Züge: Es ist nicht nur der gleiche, erbitterte Kampf 
um das Verständnis ihrer Reformmusik, der aus diesen 
Worten spricht, sondern allgemein überhaupt ihre Er- 
kenntnis, für die sie beide noch heftig zu streiten hatten, 
daß die Interpretation für das Verständnis eines Musik- 
werkes und insbesondere neuartiger Musik etwas ungeheuer 
Wichtiges sei. Dadurch brachten Gluck und Wagner es 
dazu, in gleichem Sinne epochemachend in der Geschichte 
des Dirigierens dazustehen. Gluck focht allerdings den 
Zeitverhältnissen entsprechend mehr für seine eigene Sache, 
während Wagner zumeist für die Allgemeinheit wirkte, 
dafür hat Gluck viel kategorischer, stürmischer als sein 
Nachfolger die Forderung aufgestellt, die für den Diri- 
gentenberuf den Anbruch der Neuzeit bedeutet: „Während 
der Aufführung ist der Kapellmeister unumschränkter 
Alleinherrscher über Alles 1 “ In wie vielfacher Beziehung 
dieser Kampf noch Aehnlichkeiten aufwies, besonders auf 
dem gleichen Boden Paris, wollen wir beiseite lassen. Ein 
wesentlicher Unterschied war freilich der, daß Gluck stets 

428 


Herr über die Intrigen blieb, während ihnen Wagner zu- 
meist unterlag. 

Schließlich noch eine kleine Parallele von besonderem 
Reiz! Auch au 4 einem Gebiete, das als ausschließliche 
Domäne des Bayreuther Meisters gilt, in der Betonung 
des germanisch-nationalen Elements, der Erschaffung des 
nationalen deutschen Musikdramas, ist Gluck der Voran- 
deuter des Gedankens gewesen. Es ist ja wohl Tatsache, 
daß Gluck außer den paar Klopstockschen Oden über- 
haupt keine deutschen Texte komponiert hat, aber Reichardt 
und Schubart berichten uns übereinstimmend, daß Gluck 
beim Komponieren der „Hermannschlacht“ von Klopstock 
die Erschaffung eines nationalen deut- 
schen Musikdramas zum Ziele gehabt hätte. Die 
„Hermannschlacht“ ist freilich nie niedergeschrieben wor- 
den, doch war sie im Geiste ihres Schöpfers vollständig 
fertig — Gluck fing i mm er erst zu schreiben an, wenn ein 
Werk in seinem Kopfe vollendet war — und die Zeugen 
ihrer Entstehung erzählen, daß sie „das herrlichste Musik- 
drama geworden wäre, das die Deutschen je gesehen“. 
So belanglos dieser Zug in Wirklichkeit ist, man sieht doch 
auch hier: „Nil novi sub solo!", denn wenn der 73jährige 
Greis nicht über seinem letzten Werke gestorben wäre, ! 

Es ist Zeit, daß wir hier abschließen. Die Hauptpunkte 
der Prinzipien unserer Musikdramatiker haben wir im 
vorstehenden Rundblick durchgemustert und einander 
gegenübergestellt, zu einer Betrachtung unwesentlicher 
Einzelheiten fehlt Raum und Interesse. Wir wollen aber 
nicht mit dem billigen „Nil novi sub solo!" und der scherz- 
weise in Gedankenstrichen verschwiegenen Schlußfolgerung 
unsere Betrachtung ausklingen lassen, denn das wäre 
eine krasse Ungerechtigkeit gegen das viele Neue und Ori- 
ginelle in Wagners Wort und Tat. Unsere Absicht war 
nur, gegen die übliche Unterschätzung Glucks Protest 
einzulegen. Gluck hat nicht sein ganzes Leben an eine 
so unwichtige Bagatelle gehängt, wie es der Kampf gegen 
die Tyrannei der Sänger allein gewesen wäre, sondern er. 
hat der Oper fast in jeder Beziehung neue, ernstere Ziele 
aufgefunden. Und da seine Auffassung von der Bestimmung 
der Oper sich noch mehr mit der Wagnerschen deckt, als 
seine Werke mit denen des späteren Meisters, muß er 
ebenso musiktheoretisch wie musikgeschichtlich als sein 
Vorläufer anerkannt werden. 


Führer durch die Violoncell-Literatur. 

Von Dr. HERMANN CRAMER (Berlin). 

(Fortsetzung.) 

Groß, J. B., op. 8: Divertissement (m.). 1.50 M. 

— op. 12: Rhapsodies (ms.). Andre, 2.50 M. 

— op. 26: Pieces lyriques (m.). Andre. 2.50 M. 

— op. 32: Serenade. 2 M. 

— op. 33: Rhapsodies. 4 M. 

— op. 40: Ballade (ss.). Meyer, 3.50 M. 

Eine dankbare Aufgabe für fertige Spieler. Großzügig 
und reich äusgestattet. 

Giith, J. L., op. 42: Frühlingslied ( 1 .). Aibl, 1.80 M. 
Leichte Ware. 

Gulbins, M., op. 14: 4 Stücke mit Orgel (m..) Leuckart, 3 M. 
Ohne Besonderheit. 

Hamerik, A., op. 27: Konzertromanze mit Orchester (s.). 
Andre, 2 M. 

Stimmungsvoll, fein, mit schönem Aufschwung im 
Mittelsatze. 

Hartog, E. de, op. 53: Impromptu, Mazurka (m. — s.). 
Kistner, 1.50 M. 

Nicht allzu anregend. 

Heberlei», H., op. .10: Spinnerlied ( 1 .). Andre, 2 M. 

Eine schlichte Melodie, getragen von der lebhaft 
dahinsurrenden Klavierbegleitung. 


Heberlein, H., op. 27: Fantaisie hongroise mit Orchester (s.). 
Andre, 2.50 M. 

Kommt nicht recht zu bedeutender Wirkung. 

— op. 32: Hexentanz (s.). Andre, 3 M. 

Sehr charakteristisch und als virtuoses Vortragsstück 
zündend. 

Hegner, A., op. 2: Romanze. Breitkopf & Härtel. 

Ein gutes Stück für angehende Spieler. 

— op. 3: Elegie. Breitkopf & Härtel, 1.50 M. 

— op. 20: Suite. Breitkopf & Härtel, 3.50 M. 

— op. 24: Devotion. Breitkopf & Härtel, 1.30 M. 
Hegyesi, L., op. 5: Czardas (s.). Spira, 1.30 M. 

Feuriger Satz von bester Wirkung. 

— op. 9: Slavische Melodien und Spanische Serenata. 
Hansen, 4 M. 

Sehr empfindungsvoll und bei gutem Vortrage wirksam. 

— op. 12: Nocturne und Ständchen (ms.). Andre, 
3.60 M. 

Hübsch erfunden, zum Vortrag wohl geeignet. 
Henriques, R., op. 1: Romance und Capricdetto. Kahnt, 

2.50 M. 

Einfache und anspruchslose, ungesucht melodiöse 
Stücke. 

— op. 4: Albumblatt (m.). Kistner, 1.70 M. 

Feinsinnig, schön melodisch und schlicht inniges Stück. 
Henselt, A., op. 14: Duo (ms.). Spina, 4 M. 

Eine Art freier Fantasie von lieblicher Wirkung bei 
gutem Vortrage. 

Herbert, V '., op. 3: Suite. 7.50 M. 

Herzogenberg, H. v., op. 12: Duo (m.). Fritzsch, 4 M. 
Wenig anmutende, im Gegensatz zu den Sonaten des 
Meisters nicht fesselnde Stücke. 

Heubner, K. : 3 Stücke (m.). Rieter-Biedermann, 4.50 M. 

. Weit ab vom Gewöhnlichen liegende, aber nicht 
gerade hervorstechende Musik. 

Hitler, F. : Serenade (m. — s.). Kistner, 4.50 M. Preludio, 
Arrioso, Capricdetto, Elegia, Rondino. 

Charaktervoll in allen seinen Sätzen, wohlklingend 
und geschickt gesetzt. 

Hiller, H. : 2 geistliche Stücke mit Orgel (m.). Hug. 

Ganz einfach, aber gut klingend. 

Hofmann, H., op. 63: Serenade (m.). Breitkopf & Härtel, 

4.50 M. 

In 5 Sätzen mit einem reizenden, einfachen Gavotten- 
schluß. Ist ein melodiöses, musikalisch ansprechendes 
Werk des feinsinnigen Meisters. 

— op. 48: Romanze (m.). Ries, 1.50 M. 

Schön und blühend, stark empfunden. 

Hoffmann, L., op. 19: Rondo (ms.). Berens, 3 M. 

Etwas trocken und steif. 

— op. 20: Romanze. 1.20 M. 

Huber, H., op. 30: 2 Romanzen (m.). 

Höchst besondere, vornehme und schöne Stücke. Wer 
die erste Romanze gehört hat, vergißt sie nicht wieder. 
Ob der Anklang an Schumann absichtlich oder zufällig 
ist, bleibt dabei gleichgültig. Jedenfalls hat H. das 
Verdienst, eine auch bei Schumann vorkommende 
Phrase in wundervoller Weise für die beiden um die 
Wette singenden Instrumente verwendet zu haben. 

— op. 89: Suite (m. — s.). 

Auch dieses Werk strahlt von Feinheit und guter 
Erfindung. Sie ist lange nicht so bekannt, als sie es 
verdiente. 

Jacobi, M., op. 31: Romanze ( 1 .). Heinrichshofen, 1.50 M. 

— op. 39: Preghiera und Serenata ( 1 . — m.). Heinrichs- 
hofen, 3.20 M. 

Zwei hübsche Vortragsstücke, das erste eine schlichte, 
sinnige Melodie, das andere ein reizend anmutiges Stück, 
das seiner Wirkung sicher ist. 

Jacobowsky, K., op. 6: Russisch. Junne, 1.25 M. 

— op. 9: Souvenir de Jassy. Junne, 2 M. 

Jensen, G., op. 8: 5 kleine Stücke ( 1 .). Rühle, 2.50 M. 
Musikalisch anregend, zur Fortbildung geeignet. 


Jeral, W., op. 6: 2 Stücke (s.). Rahter, 3.60 M. 

Eigenartige melodische Erfindung und hübscher 
Klangsinn zeichnen diese Stücke aus. Der Zigeuner- 
tanz ist blendend bei gutem Vortrag. Er nutzt alle 
nur denkbaren Klangfarben des Violoncellos aus. 

— op. 7: 2 Stücke (s. — m.). Rahter, 3.60 M. 

Hierin eine hübsche, zierliche Gavotte mit wirksamer 
Begleitung. 

— op. 8: Romanze (m.). Rahter, 1.20 M. 

Hübsches Vortragsstück. 

— op. 9: 2 Stücke (m.‘ — s.). Rahter, 1.20 M. 

Die Polonaise fantastique ist mit Schwierigkeiten 
gespickt, bei gutem Vortrag zündend. 

— op. 11 : legende Intermezzo. Universal-Edition, 3 M. 

— op. 12: Danse exotique. Universal-Edition, 2 M. 

d'Indy, V., op. 19: Uied (ms.). 1.50 Frcs. 

— op. 55: Choral varie. Durand, 2.80 Frcs. 

Jonas, E., op. 20: Suite. Junne, 4.50 M. 

— op. 70: Mazurka. 1.50 M. 

Juon, P., Märchen. 2 M. 

Kaan, H. v., op. 12: 3 Stücke (m.). Rahter, 3.50 M. 

— op. 25: Serenade (m.). Rahter, 1.80 M. 

Kahn, R., op. 25: 3 Stücke (m.). Ueuckart, 5.50 M. 

Feine, gelegentlich zu spielende Augenblicksbilder. 
Am wirksamsten ist die Serenata. 

Kaiser, R., op. 6: Romanze ( 1 .). Ebersw.-Kaiser, 2 M. 

— op. 28: Nachtgesang mit Orgel ( 1 .). Ebersw.-Kaiser, 
1.73 M. 

Beichte Stücke für den Unterricht. 

Kalliwoda, /., op. 24: Rondo concertant. Peters, 3.50 M. 

In veralteter Weise gesetztes, viel verziertes Werk. 

Kaun, H., op. 35: Gesangsszene mit Orchester (s.). Rahter, 
2 M. 

Sehr anregend, von mannigfacher Empfindung. Reich 
ausgestattet und harmonisch besonders fesselnd. 

Kiel, F., op. 9: 4 Melodien (m.). Peters, 4 M. 

Feinste Kirnst im reinen Kammerstil. Das Adagio 
hat stellenweise fast Beethovensche Größe. 

— op. 11 : Reisebilder (m. — s.). Peters, 10 M. 

Entzückende Kabinettstücke des Kammerstiles. Das 
Klavier ist ebenso wichtig wie das Violoncello, stellen- 
weise sogar recht schwer. Sie verdienten häufiger in 
Kammermusiken vorgetragen zu werden. 

— op. 12: 3 Stücke (m. — s.). Simrock, 6 M. 

Aus diesen überaus feinen Augenblicksbildern ist das 
Allegretto in ungarischem Charakter besonders hervor- 
zuheben. 

— op. 69: 3 Romanzen (s.). Bote & Bock, 4 M. 

Etwas trocken, nicht so erfindungsreich als die übrigen 
Stücke. 

Kirchner, Th., op. 79: 8 Stücke (m.). Hofmeister, 10 M. 

Sehr feine, von Anmut und Klangreiz getragene 
Stücke eines großen Meisters der kleinen Form. 

Klengel, J. Vereint leichtes Schaffen mit großer Gediegen- 
heit des Satzes und natürlich bester Behandlung der 
Violoncellstimme, ohne daß die Klavierbegleitung zu 
kurz käme. 

— op. 1: Suite (m, — s.). Breitkopf & Härtel, 2 M. 

Im alten Stil. Edel und einfach. 

— op. 2: 3 Stücke. Breitkopf & Härtel. 

— op. 3: Capriccio. Breitkopf & Härtel. 

— op. 6: Scherzo. Breitkopf & Härtel. 

— op. 7: Concertino (m.). Breitkopf & Härtel, 4.50 M. 

Ein liebenswürdiges, ungesuchtes, reizendes Werk. 

— op. 8: Intermezzo. 

— op. 9: Notturno (s.). Breitkopf & Härtel, 2 M. 

Reizendes, wirkungsvolles Stück. 

— op. 10: Konzertstück (m.). Breitkopf & Härtel, 5 M. 

Mit sehr hübschem Mittelsatze. 

— op. 11 : 6 Stücke. Breitkopf & Härtel. 

— op. 12: Polonaise. Breitkopf & Härtel. 

— op. 13: Gavotte. Breitkopf & Härtel, 2 M. 

— op. 14: Mazurka. 


429 



Klengel, J„ op. 16: Konzertetüde (ss.). Breitkopf & Härtel; 

Sehr dankbares, freilich schweres Stück. 

— op. 17: Humoreske. 

— op. 18: Tarantelle. 

— op. 19: Variationen (ss.). Breitkopf & Härtel, 3 M. 

Virtuos gehalten. Geistvoll und anregend. 

— op. 26: 6 Stücke. Breitkopf & Härtel, 4.50 M. 

Hierin das reizende, vielgespielte Wiegenlied. 

— op. 27: Caprice. Breitkopf & Härtel, 1.50 M. 

— op. 29: 6 Stücke. Breitkopf & Härtel, 1.50 M. 

— op. 32: Sarabande. Breitkopf & Härtel, 1.50 M. 

— op. 40: Suite (s. — ss.). Breitkopf & Härtel, 3.60 M. 

Dem Violoncello auf den Leib geschrieben, aber be- 
sonders im letzten Satz recht schwer. Die Entrada 
spannt die Erwartung. Sehr hübsch und ansprechend 
sind das Arioso, sowie das Scherzo-Menuett. Vornehm 
wirkt die Sarabande. Das Klavier hat bedeutenden 
Anteil am Ganzen. 

— op. 41: Concertino (ms.). Breitkopf & Härtel, 3.60 M. 

Flüssig und dankbar, von bester Form. 

— op. 44: 6 Stücke. Breitkopf & Härtel, 4.50 M. 

— op. 46: Concertino (ms.). Breitkopf & Härtel, 3 M. 

Aeußerst gefällig und natürlich erfunden. 

Kletzer, F., op. 7: Ungarische Rhapsodie (ms.). Kahnt, 
2 M. 

— op. 9: Erinnerung an Pesth (ms.). Kahnt, 2 M. 

Flotte Vortragsstücke in ungarischer Weise. 

— op. 11 : Souvenir de Gluck. 1.50 M. 

— op. 12: Lettische Lieder. 2 M. 

— op. 14: Fantasie über russische Lieder. Kahnt, 3 M. 

— op. 16: Capriccio. Kahnt, 2.25 M. 

— op. fg: 3 Charakterstücke. Kahnt, 5 M. 

— op. 20: Adagio ( 1 .). Kahnt, 1.25 M. 

Hübsches Vortragsstück. 

— op. 24: Zigeunerweisen (s.). Kahnt, 1.50 M. 

Der Violinschlüssel ist hier augenscheinlich eine Ok- 
tave tiefer zu spielen gedacht als er sonst heute für 
das VioloncelL gebraucht wird. 

Kousnetzoff, A., op. 3: Caprice. Rahter, 3 M. 

— op. 4: Au berceau (m.). Rahter, 1 M. 

Aeußerst einschmeichelnd und reizvoll. 

— op. 5: Un recit (s.). Rahter, 1.80 M. 

Weiche, schöne Melodie. Harmonisch sehr warme 
Begleitung. 

— op. 7: Idylle (m.). Rahter, i<8o M. 

— op. 10: Le regret ( 1 .). Rahter, 1.50 M. 

Mit weichem Tone vorzutragen. 

— op. 12: Romance s. par. (m.). Rahter, 1.20 M. 

Koch, F. E., op. 1 : 3 Novelletten (m.). Präger & M., 4.50 M. 

Hierbei eine sehr hübsche flüchtige Humoreske. 

— op. 2: Variationen über ein deutsches Lied. 2.30 M. 

— op. 11 : 4 Tanzstücke (ms.). Simrock, 4 M. 

Sehr hübsche, schlichte Stücke, gewählt in Form und 
Inhalt. 

— op. 14: 4 lyrische Stücke ( 1 . — m.). Rieter-Biedermann, 
2.50 M. 

Ganz einfache, aber hübsch erfundene Stimmungs- 
bilder. 

— op. 17: 3 Charakterstücke (m. — s.). Aibl, 4.80 M. 

Vornehm und gut gesetzt, dazu frisch erfunden. 

Kronke, E., op. 24: Suite. Steingräber, 6 M. 

Kummer, F. A. Die Kummerschen Werke haben sämtlich 
den Vorzug, für das 'Violoncello vorzüglich gesetzt zu 
sein. Große Sanglichkeit zeichnet sie aus, während sie 
Tiefe und Bedeutung vermissen lassen. In mancher 
Beziehung sind sie Beriots Violinwerken zu vergleichen. 

— op. 9: Divertissement über die „Stumme“. 1.50 M. 

— op. 10: Adagio und Variationen. 1.25 M. 

— op. 26: Fantasie über „Robert den Teufel“ und ein 
Orig. -Thema von Molique. Hofmeister, 2.50 M. 

— op. 30: Souvenir de la Suisse, Concertino (s.). Hof- 
meister, 2.50 M. > 

Gute Vortrag- und Flageolettübung. 


Kummer, F. A., op. 36: Piece fantastique mit Orchester 
(s.). Hofmeister, 2 M. 

Zum Unterricht sehr geeignet. Dreisätziges Konzert- 
stück. 

— op. 56: Große Fantasie über russische Themen mit 
Orchester (s.). Hofmeister, 2 M. 

Dankbares Vortragsstück in älterem Geschmack. 

— op. 62: Introduktion und Variation über ein Bellinisches 
Thema, Andante und Rondo über ein Donizettisches 
Thema. 3 M. 

— op. 64: Introduktion und Rondo über Lucrezia Borgia. 
2.25 M. 

— op. 72: La cantilena, Elegie (s.). Hofmeister, 1 M. 

Gute Uebung in gesanglichem, geschmackvoll ver- 
ziertem Spiel. 

— op. 80: Caprice über 4 schottische Melodien (s.). Hof- 
meister, 3 M.; Universal-Edition, 1.20 M. 

Gleich op. 36 und 56 ein sehr dankbares Stück. Es 
macht beide Hände frei und gewöhnt an geschickten 
Vortrag. 

— op. 82: Notturno über ein Lied von Proch. 1 M. 

— op. 86: Les arpeges ou le tremolo sur un theme de 
Beethoven (ss.). Hofmeister, 1.50 M. 

Ein mit Schwierigkeit gespicktes Fantasiestück über 
den Mittelsatz der Beethovenschen Kreutzer-Sonate. 

— op. 96: Fleurs de Salon: 4 Melodien. 3 M. 

— op. m : Andante serioso und Marche funebre. 2 M. 

— op. 115: Les soirees du nord, 8 Fantasien über russische 
und böhmische Weisen. 11 M. 

— op. 119: Pieces de salon, Abendempfindung über 
Schmerz und Heiterkeit. 1.75 M. 

— op. 157: Capriccio über ungarische Motive (s.). Andre, 
3.50 M. 

Krug, A., op. 47: 3 Skizzen (m. — s.). Steingräber, 3 M. 

— op. 60: Romanze mit Orchester (m.). Leuckart, 2 M. 

Diese sehr schönen Werke sind leider in Violoncellisten- 
kreisen wenig bekannt geworden. Es handelt sich um 
besonders feinsinnige Musik. Ein allerliebstes Aquarell- 
bild ist das Stück „Der Hirte bläst im Mondenschein“, 
während die Romanze, von edlem Ausdruck beseelt, 
ein sehr dankbares Vortragsstück ist. 

Lach, A . : Polonaise, Romanze, Gavotte, Andante (m. — s.) 
Döblinger, 7.20 M. 

Dankbare, wenn auch nicht bedeutende Stücke. 

Lachner, F., op. 140: Suite. Ries & Erler, 4 M. 

Lachner, /., op. 83: 3 Charakterstücke (m.). 5.30 M. 

Gut gesetzte, aber schon etwas verblaßte Musikstücke. 

Lachner, V. : Pieces caracteristiques (ms.). Schott, 10 M. 

In verschiedensten Stimmungen gehaltene hübsche 
Stücke. 

— op. 65: 6 deutsche Tanzweisen (ms.). Leuckart, 2.50 M. 

Ueberaus schöne, anmutvolle, noch jetzt in Jugend- 
frische strahlende, in ihrer sinnigen Art hoch meister- 
liche Stücke, die Schuberts Ländlern an die Seite zu 
setzen sind. 

Lahee, H. : Suite 1 — 6. Schott, 5.75 M. 

Lalo, E., op. 14: Chanson villageoise ( 1 .). Senff, 1.50 M. 

Sehr hübsches, fein empfundenes Stück. 

Lazarus, E., op. 72: Elegie. Universal-Edition, 1.20 M. 

Lewandowsky, M., op. 3: 2 Stücke ( 1 . u. m.). Andre, 
3.80 M. 

Das erste Stück, ein Andante cantabile, zeigt aus- 
gesprochene Melodiebildung und Eigenart, die bis zum 
Ende gewahrt bleibt, das andere, Andante quasi alle- 
gretto, fällt dagegen ab, ist trocken und wenig klang- 
voll gesetzt. 

Lange, S. de, op. 38: Adagio und Tarantelle (s.). 3 M. 

— op. 46: 2 Stücke (m.). 2.50 M, 

Laurischkus, M., op. 3: 2 Stücke. 1.50 M. 

— op. 12: 12 kleine Stücke ( 1 .). Rahter, 4 M. 

— op. 15: Walzermelodien (s.). Rahter, 4 M. 

Für Klavier und Violoncello gleich schwer. Bei guter 
Ausführung von musikalisch trefflicher Wirkung. 


430 



Leoncavallo, R.: Serenade (m.). Brockhaus, 2 M. 

Macht eine gewisse Wirkung durch die südliche Leiden- 
schaft des Gesanglichen. Musikalisch ausgesucht ist 
das Stück nicht. 

Lindner, A., op. 21: Chant d’amour. Litolff, 2 M. 

Einfaches Gesangstück. 

— op. 26: 6 Stücke. Nagel, 5 M. 

— op. 29: Der Savoyardenknabe, Humoreske. Nagel, 
1.75 M. 

— op. 33: 2 Salonstücke. 3 M. 

Liszt, F. : Romance oubliee (m.). Simon, 2 M. 

Liszt hat dies wundervolle Klavierstück auch für 
das Violoncello gesetzt. Diese Eigen-Uebertragung be- 
reichert die Violoncelloliteratur um ein sehr schönes, 
von feiner Stimmung getragenes Werk. 

Litolff, H., op. 91: Serenade. Litolff, 1.50 M. 

Graziös-melodisches, einfaches Stück, das wohl zu 
empfehlen ist. In der Form gehört es der älteren Zeit an. 

Lübeck, L., op. 9: Mazurka. 1 M. 

— op. 12: Valse-caprice. Junne, 2 M. 

— op. 13: Andante serioso. Junne, 1.25 M. 

— op. 19: 2 Stücke. Steingräber, 3 M. 

(Fortsetzung folgt.) 


Die Amsel. 

Eine ornithologlsch- musikalische Plauderei. 

Von PHILIPP GEORGE (Wiesbaden). 

V or mehreren Jahren entspann sich in einem der Wies- 
badener Tageblätter über die Nützlichkeit und Schäd- 
lichkeit der Amsel ein heftiger Streit, in dem schließlich 
der Tierschutzverein mit seinen, nicht nur wohlwollenden, 
sondern auch sachlich richtigen Ansichten über die ganz 
belanglose Schädlichkeit dieses, schon in seinem Aeußem 
und ganzen Gebaren so anspruchslosen Stadtanlagen- und 
Waldbewohners bei allen urteilsfähigen Tierfreunden Bei- 
fall fand. 

Der Verfasser des Nachfolgenden hat sich seit April 1907 
und ipo8 (der Artikel ist im März 1909 geschrieben worden) 
auf semen Spaziergängen in Stadt und Wald mit dem schwarz- 
gerockten Orangegelbschnabel , der Amsel, in musikalischer 
Richtung beschäftigt — und es ist erstaunlich, welche Fülle 
interessanter Beobachtungen hiebei gemacht — , welche fast 
unerschöpfliche Quelle musikalischer Genüsse entdeckt werden 
konnten. 

Die nachfolgenden Betrachtungen stützten sich also auf 
ca. 150 — 160 m den Jahren 1907, 1908, 1909 gesammelte 
„Amselrufe" (so sollen sie zunächst genannt werden). 
Die Sammlung wurde gelegentlich in den späteren Jahren 
vereinzelt noch fortgesetzt und sie hat das Ergebnis der ersten 
Beobachtungen vollauf bestätigt. 

Die Plätze, an denen diese „Amselrufe" zufällig gesammelt 
wurden und an denen sie mit wenig Unterbrechungen, je nach 
Witterung — vereinzelt schon im Februar und März, am 
lebhaftesten an schönen, aber auch an regnerisch-warmen 
Tagen der Monate April, Mai und Juni unmittelbar vor oder 
nach Sonnenaufgang, zu den anderen Tageszeiten vereinzelt, 
gehört werden können, sind nicht allein in der Einsamkeit der 
Wälder (hier sind sie allerdings am schönsten und inter- 
essantesten), sondern in allen Anlagen der Stadt, wo sich 
Bäume befinden. 

Aber auch mitten im Straßenlärm und Menschengewoge, 
in nächster Nähe lärmender Militärmusik steht der Schwarz- 
rock auf dem Ast eines hohen Baumes, auf einer Telegraphen- 
oder Telephonstange, auf der Spitze einer architektonischen 
Villenverzierung und pfeift seine jahrtausendalten, wohl- 
klingenden Rufe in die Luft. Und wenn er so ruhig dasteht, 
unbekümmert um alles, was um ihn vorgeht, könnte man 
ihn für einen mitten im Menschengewühl vereinsamten, seinen 
Gedanken nachhängenden Philosophen halten, der von seinem 
erhabenen Standpunkt aus durch Pfeifen zu verstehen gibt, 
daß ihm das alles unten bekannt und infolgedessen gleich- 
gültig ist. Verdreht der Vogel aber nach jedem wohlgelungenen 
Ruf anmutig und kokett das Köpfchen und die Aeugelchen 
nach allen Richtungen, als wolle er Anerkennung ernten, 
daß er seine Sache gut gemacht habe — oder als wolle er 
graziös danken, daß ihm aufmerksam und verständig zu- 
gehört wurde, so könnte man zu der Ansicht kommen, daß 
man einen ganz exzellenten Musiker und lyrischen Sänger, 
ja sogar einen, wenn auch vielleicht unfreiwilligen Komiker 


vor sich hat, der vor allem wegen seines Gesanges die größte 
Achtung — , auf alle Fälle aber auch Schonung und Nachsicht 
dann verdient, wenn er vielleicht kurz vorher in einem der 
benachbarten Nutzgärten eine leckere Erdbeere angepickt oder 

f ar ganz verzehrt haben sollte. — Die Gewohnheit der Amsel, 
eim Gesang immer auf derselben Stelle der einmal gewählten 
Plätze zu stehen, ermöglicht deren ständige und untrügliche 
Beobachtung. So konnte der Vogel (Beispiel No. 1 1909) während 
zweier „Amselkonzertsaisonen" immer an derselben Stelle 
als alter Freund im Walde begrüßt werden. I111 zweiten 
Jahre war er aber, nach längerer Abwesenheit des Verfassers 
verschwunden und wurde auch seitdem nicht mein gehört. 
Auf Grund persönlicher Beobachtungen und Erlebnisse konnte 
geschlossen werden, daß der Vogel entweder gefangen oder, 
noch wahrscheinlicher, mit andern an einem Ritterplatz ab- 
geschossen wurde. — 

Die Stimme der Amsel ist leicht erkennbar. Bei den meisten 
ein Mittelding zwischen Piccolo und Flöte. Der Gesang 
mancher, wie es scheint, älterer Vögel hat eine weiche, satte 
Klangfarbe, besonders in den tieferen Tönen, und in einzelnen 
Rufen ist das Timbre ausgesprochen das der Flöte. 

Die sehr wohllautende Stimme, die scheinbar nicht mehr 
als ein mäßiges Mezzoforte entfaltet, ist für den aufmerksamen 
Hörer mitten im Straßenlärm noch auf 30 — 50 m Entfernung 
gut unterscheidbar; im stillen Wald hat sie, je nach Wind- 
richtung, Dichtigkeit und Gelände eine Tragfähigkeit von 
300 — 500 — 1000 m; es entspricht dies ungefähr dem Umfang 
des Geländes, in dem sich der Vogel nach den Beobachtungen 
des Verfassers gewohnheitsmäßig aufhält. Selten wird sein 
Ruf im Wald durch das Zwitschern von den vielen anderen 
Vogelplauderstimmchen mäßig gedeckt; — er selbst, als ge- 
borener 'Konzertsolist, dominiert und steht auch, wie der Sonst 
auf dem Podium — immer in thronender Höhe und niemals in 
nächster Nähe einer anderen Amsel. (Auf dem Boden oder 
im kleinen Untergehölz zwitschert er nur.) 

Als t| Sänger und Musiker ist der Vogel eigenartig und selb- 
ständig mit einer bei der übrigen sangesfrohen Vogelwelt 
nicht mehr anzutreffenden Mannigfaltigkeit der Originalität. 
(Einzelne interessante Tonfolgen sind ja auch bei andern Vögeln 
zu hören, aber es sind fast immer die gleichen.) Die Intonation 
ist stets rein; die Rufe bestehen stets aus mehreren Tönen, 
welche musikalisch korrekt aufeinanderfolgen. Die Tonfolgen 
büden ausgesprochen abgegrenzte, durchaus gut sangbare, 
wenn auch kurze Melodien aus 2 — 8 und noch mehr Tönen. 
Diese Melodien, obgleich manchmal etwas fremdartig, vom 
Herkömmlichen oder zu Erwartenden abweichend, tragen 
einen ausgeprägt deutschen Charakter und erinnern nicht 
selten an Volksweisen und an Einzelmotive selbst unserer 
größten alten klassischen Komponisten. 

- In den meisten Fällen ist die Abgrenzung der Motive, wie 
sie der Vogel selbst gibt, für die Taktart, in welcher notiert 
werden will, maßgebend (vergl. die Notenbeispiele). 

Die Einteilung der Melodie in Einzelmotive hängt bei dem 
Vogel neben dem vorhandenen Rhythmusgefühl, jedenfalls 
auch mit dem Atmen zusammen und ist von diesem abhängig; 
aber nur äußerst selten ist der Sänger so unwirtschaftlich, 
daß er ein M o t i v nicht vollenden kann, weil ihn der Atem 
ausläßt. — Die Einzelmotive bestehen aus 2, 3, 5, 8 und mehr 
Tönen; sie bilden wiederum im Zusammenhang Sätze, die 
sich sehr häufig durch den Tonfall am Ende, gegenseitig wie 
Frage und Antwort und umgekehrt verhalten. Ist aber der 
Vogel ungestört im richtigen Plaudern, so reiht er wohl acht 
und noch mehr verschiedene Einzelmotive in kurzen Pausen, 
zwar etwas im einzelnen geändert, aber ganz musikalisch 
logisch aneinander, die sich bei genauer Notierung und ent- 
sprechender Einteilung als eine in sich folgerichtig im Zu- 
sammenhang stehende, wenn auch melodisch nicht ganz 
ausgeglichene und etwas abgehackt vorgetragene Periode 
erkennen lassen. (Beispiele Periode I und II.) Selbstver- 
ständlich sind auch mehr oder weniger musikalisch 
veranlagte Sänger zu beobachten. 

Die Einzelmotive bewegen sich ' bei den meisten unserer 
Sänger in den Tönen der G dur-Tonleiter, doch kommt auch 
gmoll, Fdur und Adur, amoll vor; jedenfalls lassen sich 
auch noch andere vom Grundton g nicht allzu weit entfernte 
Tonarten feststellen. Manchmal bewegt sich auch die Ton- 
folge auf einem, von den vorstehenden Tonarten auf- oder 
abwärts detonierenden Grundton. Dieser Wechsel, wenn bei 
einem und demselben Vogel beobachtet, beruht vielleicht 
auf physischen Aenderungen der Stimmbänder, wie Ermüdung, 
Mutierung. 

Die Einzelmotive beginnen mit allen Tönen des Dreiklangs, 
nur mit der Oktave sehr selten ; sie bewegen sich im allgemeinen, 
rhythmisch verändert in den arpeggierten Intervallen des 
Dreiklangs und schließen auch mit jedem Ton des Dreiklangs, 
inklusive Oktave; auch die Sexte kommt als Schlußton vor; 
innerhalb der Motive treten, jedoch nicht allzuhäufig, Sekunden- 
und Quartschritte auf ; ein Septimensprung konnte einmal, 
und m demselben Ruf mußte kopfschüttelnd zweimal der 
Tritonus mit dem Sekundenschritt h a am Schluß notiert 
werden: Natura fadt saltum! (A. Allgemeine Beispiele t, 2, 


431 


3, 3 a - 3 b.) — Auch der Sprung in die None kam einmal 
vor. (B. Spezielle Beispiele IV.) 

Und nun kommt das Merkwürdigste an den musikalischen 
Leistungen unseres Sängers: Jeder Vogel hat seine 
eigenen Motive und verfugt, besonders wenn er älter 
ist, über ein ziemliches Repertoire von Einzelmotiven, die er 
in immer wieder anderer Form bringt. Dazwischen schiebt 
er auch neue, mit den variierten nicht verwandte Motive 'ein 
und wechselt sogar hiebei die Tonart. — Stets aber 
kehren bei jedem Vogel bestimmte und besonders schöne 
und charakteristische Motive in ein und derselben Tonart 
wieder; diese bevorzugt er bei seinem Gesang, man erkennt 
ihn daran unter anderen heraus und — kann sie getrost als 
seine „Leitmotive“ bezeichnen. — Aehnlichkeiten sind 
allerdings nicht ausgeschlossen; bei benachbarten Vögeln 
lassen sie sicher Nestgemeinschaft, also Vererbung, oder Nach- 
ahmung der Eltern vermuten. 

Nicht weniger sonderbar klingt es vielleicht, wenn be- 
hauptet wird, bei einem Vogel eine Erweiterung und Vervoll- 
kommnung der Melodienmotive, gewissermaßen mit Schulung 
der Stimme beobachtet und festgestellt zu haben. Bei diesem 
Vogel (der sich gewohnheitsmäßig bei seinem Gesang auf 
einem dürren Ast einer aus Niederholz hoch emporragenden 
Eiche stets an derselben Stelle aufhielt, konnte im April und 
Mai 1908 ein äußerst dürftiges Motiv ghd 1 (Viertel oder Achtel) 
unzählige Male gehört und notiert werden. Noch im Mai des 
gleichen Jahres wurde es erweitert durch Anfügung des h 
und lautete : g h, d 1 h\ wenige Wochen später lautete es : ghd 1 h, 
— g c 1 e 1 (B. Spezielle Beispiele I 1908) ; es waren also 2 Takte 
und 2 Einzelmotive zu emer Melodie zusammengefaßt. 

Im April 1909 wurde nun dasselbe Motiv in anderer sehr 
schöner Form gehört (Beispiel I 1909). 

Wenige Tage später hatte nun dieser Vogel den letzten, die 
Melodie ganz gut abschließenden Ton d l mit deutlicher Beto- 
nierung durch es 1 (oder über dis 1 ) nach e 1 getrieben, aber 
die Melodie lautete f ad 1 a e‘. Es war gerade, ab wollte er 
auf diesem Wege die Oktave /, die er noch in keinem seiner 
sonstigen Motive hatte hören lassen, erreichen. Der Phanta- 
sie kommt nun der Gedanke, daß der Sänger, weil ihm die 
Oktave e 1 in G dur im ersten Motiv ghd 1 schon unerreichbar 
schien, das ganze Motiv mit der Einschaltung eines die Er- 
reichung erleichternden Sprunges nach F dur transponiert 
hat. Doch kann dies, wie schon erwähnt, auch in physischer 
Aenderung der Stimmittel (Mutierung) begründet sein. Bei 
diesen Uebungen hörte es sich nun manchmal ur drollig und 
possierlich an, wenn den Sänger, infolge der derzeitigen Un- 
zulänglichkeit seiner Stimmittel, manchmal bei einem Ton, 
den er sonst gut erreichte, doch Puste oder Gedächtnis, oder 
ab leich tsinni gen Schüler die Aufmerksamkeit ausließ und 
ihm das bis zum d 1 korrekt durchgeführte Motiv beim Sprung 
vom a zum e 1 umschlug, das e 1 mißlang und er das Motiv statt 
mit e 1 , mit einem detonierenden sinkenden Ton ungefähr in 
der Nähe von h oder a schloß und dann nach einer kurzen 
Pause einen mit dem Motiv nicht zusammenhängenden tieferen 
Ton, gleichsam ab suche er ' von neuem den Faden, nach- 
schleifte. Diese Wendung hat oft großen Spaß bereitet. — 
Außerdem hatte dieser Vogel noch mehrere Motive, darunter 
eines, das zwar abgerundet und rhythmisch gut hörbar, aber 
in seiner Tonfolge sehr schwer zu unterscheiden und zu fixieren 
war, sich in undeutlich zusammengeschliffenen Tönen vom 
Ton d 1 (Ansatz), diesen kurz streifend, bis zum h abwärts und 
von diesem zum e 1 aufwärts bewegte. Alle Notierungen, 
die versucht wurden, erwiesen sich als nicht hinlängliche 
Nachahmungen; doch war von Tag zu Tag zu erkennen, daß 
das Motiv sich deutlicher gestaltete. Aehnliches konnte bis 
jetzt noch bei keinem andern Vogel beobachtet werden und 
ist vielleicht überhaupt selten (Beispiel e). 

Sehr viele Vögel hängen ihren Motiven manchmal noch 
einen der Tonart fremden Ton an, und schieben ein kurzes 
Motiv in einer tieferen Tonart mit satterer Klangfarbe 
ein. — Oft verlängern sie das abgeschlossene Motiv mit 
einem eigentümlichen Zwitschern, Girren und Gurren, das, 
weil es Jteber gegeben wird, überhört wird. Aber gerade 
auf dieses sei die Aufmerksamkeit des musikalischen Natur- 
freundes gelenkt; es ist höchst anmutig und unterhaltend. 
Man könnte es wegen des fragenden oder zustimmenden 
Tonfalb ab zum Motiv gehöriges Anhängsel betrachten. 
Drei solcher Anhängsel reizten zu großer Heiterkeit: Das eine 
hatte einen höchst ärgerlichen Charakter und hörte sich an, 
wie schlecht unterdrückte, halblaute Verwünschungen eines 
Menschen, der sich soeben die Finger verbrannt hat — das 
andere, wie das Verlegenheitsräuspem eines ausgesungenen 
Dorfkirchentenors nach einem verunglückten „Et incamatus"- 
Solo. Das dritte war dem behaglichen Schmatzen und 
Schnalzen eines fetten Schlemmers bei einem guten Bissen 
zu vergleichen. — 

Nach neueren Beobachtungen sind diese Anhängsel die 
melodische Grundlage für neue Motive, die junge Sänger 
zwar im Kopf, aber noch nicht in der Gesangskehle haben. 

Zwei weitere Motive wiesen eine überaus komische Schluß- 
figur auf, wenn diese auch vielleicht ganz anderen ab komischen 


Gefühlen z. B. Angst oder Schrecken entsprungen waren. 
Obgleich an verschiedenen Tagen, aber an benachbarten 
Plätzen gehört, rührten sie zweifellos von demselben Vogel 
her und waren vielleicht Gewohnheits- oder Leitmotive. Mög- 
licherweise entsprangen sie aber auch denselben Gründen, 
wie bereits oben erwähnt; nur schlug der Ton hierbei in die 
None um. — Die Komik lag nun darin, daß nach zwei korrekt 
gesetzten Motiven mit gesteigertem Schluß ton die None mit 
Sforzato-Ansatz genommen und dann mit raschem smorzando 
in die jedoch nur leise klingende Terz heruntergeschleift 
wurde; es hörte sich an wie ein Klarinettengigser — an dem 
moderne Komponisten hätten ihre helle Freude haben können. 
— (Beispiel B. Spezielle Beisp. IV.) 

Der Charakter der Melodien bt fast durchweg heiter, frisch 
im Tempo und, wie bemerkt, deutschvolkstiimlich. Auch 
weiche, getragene Motive sind zu finden. — Manche haben 
einen energischen, streitbaren und kriegerischen Charakter, 
weil die Tonfiguren rasch nacheinander herausgestoßen werden 
und hierbei auch die Oktave im Sprung verwendet wird. Motive 
mit Triolen lauten überaus frisch und keck, gemahnen an 
“/s-Marschtempos und regen unwillkürlich zu marschähnlicher 
Fortentwicklung an ; mit entsprechender Aenderung der Noten- 
werte auch zu Walzer (Beispiele A, 6). 

Mehrmab wurde ein Ruf an der gleichen Stelle notiert, der 
sich wie ein Kavallerieangriffssignal (Bebpiele B VII) anhörte. 
Nur unter solchen herausfordernden, geradezu auf stachelnden 
Klängen kann der Angriff einer Anbei auf einen Professor 
gemacht worden sein. (In dem eingangs dieser Betrachtung 
erwähnten Streit wurde nämlich von dem Angegriffenen 
selbst hierüber berichtet; es erregte naturgemäß das größte 
Aufsehen.) 

Demgegenüber sind wieder unendlich treuherzige, kindlich 
drollige und naive Motive zu hören; zwar auch manche mit 
trotzköpfigem und rechthaberischem Charakter, die aber 
trotzdem ganz und gar nicht vermuten lassen, was für ein 
gefährliches Tier dieser würmchen- und käfermordende Sänger 
m raufboldiger Vermessenheit werden kann, wenn er sich 
ab Dessert eine Erdbeere stibitzen will und ihm jemand zum 
Schutze seiner Erdbeerbeete mit dem Gartenspaten drohend 
entgegentritt, wie es bei besagtem Angriff geschildert wurde. 

Bekannt bt, daß Naturbursche und musikalisch gut ver- 
anlagte Knaben die Rufe mit tadelloser Sicherheit nachpfeifen 
und besonders leicht zu fassende von ihnen sogar ab Er- 
kennungszeichen und Signale gebraucht werden. So wurde 
einmal auf der Straße von dem Verfasser eine nach Klang- 
farbe und Motivbildung einem Amselruf verblüffend ähnliche 
Melodie von einem buntbemützten Schüler gehört. Auf die 
Frage: Woher er diesen Pfiff habe,' wurde der Junge verlegen 
und gab erst auf die Ermunterung : „Es sei interessant, es 
zu wissen !“ die Antwort: „Vom Vogel!“ (Vielleicht konnte 
er diesen, wie man dies bei vielen Stadtkindern bemerken 
kann, nicht mit dem Namen nennen.) 

Die leichte Sangbarkeit reizt unwillkürlich, besonders im 
herrlichen Wald das frohe Herz zum Nachahmen und aus 
diesem Umstande könnten Musikgelehrte, die die Nach- 
ahmung der menschlichen Stimme ab vorbildlich für die 
Musikinstrumente und ab Prototyp aller anderen Mittel, 
Töne hervorzubringen, hinstellen, am ehesten entnehmen, 
wem die Musikinstrumente, wenigstens die flötenähnlichen 
(vielleicht waren diese überhaupt als erste auch die einzigen) 
ihre Entstehung verdanken. — Es kann vielleicht ab sicher 
vermutet werden, daß es zuerst die Vogebtimmen, dann 
andere Tierstimmen und zuletzt auch andere Naturlaute, 
wie Donnern, Rauschen, Rasseln etc. etc. waren, die dem 
Menschen teils zum Vergnügen und zur Unterhaltung, teils 
aus Nützlichkeitsgründen (wie Jagd auf Wild — Sicherung 
gegen Raubtiere und anderes) zum Anfertigen von primitiven 
tönenden (also Musik- Jlnstrumenten Anlaß gaben. 

Man kann vielleicht auch ab sicher annehmen, daß die 
melodischen Vogellaute in der Entwicklung der Erdenbewohner 
schon länger vorhanden waren, ab die Aechz-, Krächz-, 
Schmatz-, Schnalz-, Pfeif-, Seufz- und andern Laute, die zur 
ersten Verständigung zwischen den Urmenschen angewendet 
wurden und .aus denen sich die Sprache entwickelte. (Teil- 
weise werden ja solche Laute wie z. B. Seufzer jetzt noch 
mit großem Erfolg bei den Natur- und sogar Kulturvölkern 
angewendet und waren bb vor 60 und 70 Jahren noch mit 
einer eigentümlichen Klammerbemerkung ab Verstärkung 
des inbrünstigen Gebetes in Gebet- und Gesangbüchern vor- 
geschrieben.) 

Die weichen Töne der Vogebtimmen haben vielleicht 
ebensoviel zur Ausbildung des Wohllautes der menschlichen 
Sprechstimme beigetragen, ab sie sicher für’ die Ent- 
wicklung der Musikinstrumente, ja es könnte sogar im Hin- 
blick auf «die verblüffenden musikalischen Lebtungen unseres 
schwarzgerockten Sängers angenommen werden, für die Ent- 
wicklung der Musik überhaupt grundlegend waren. Denn 
auch die Feststellung der Harmonien verdankt ihre Ent- 
stehung wahrscheinlich nur dem Umstand, daß bei den den 
Vogelstimmen nachgebildeten Instrumenten die Naturtöne 
auftraten und beobachtet werden konnten. Es muß doch 


432 



als sehr fraglich betrachtet werden, daß es Berechnung des 
menschlichen Geistes a priori war, die zur Konstruktion und 
Anfertigung tönender Instrumente nach mathematischen Ge- 
setzen Anlaß gab. Der Zufall war es, der dem menschlichen 
Geist, wie in vielen anderen Fällen, Geheimnisse 
der Natur aufdeckte, die er dann allerdings mit seinen steigen- 
den Verstandesfähigkeiten weiter erforschte und 
aus denen er weitere Schlüsse zog, die er nun wieder wissen- 
schaftlich ordnete und praktisch verwertete. 

So konnte nun freilich der Genius eines Joh. Seb. Bach, 
eines Beethoven und Rieh. Wagner, als die hervorragendsten 
Erscheinungen in der stetigen Entwicklung der Kunstmusik 
aus den Uranfängen, mit einfachen Motiven die gewaltigsten 
und großartigsten Werke schaffen. — Aber woher hat die 
Amsel solche Motive ? 

Es wird schwer fallen, ein vom Verfasser notiertes Motiv 
(Beispiel B III) als Nachahmung des ersten Motivs zum 
Scherzo im Streichquartett op. 18 No. 2 von Beethoven hinzu- 
stellen; denn die Amsel wird kaum zu einem Konzert, in dem 
dieses Quartett gespielt wurde, Zutritt gehabt haben. Freilich 
könnte es auch von einem bei offenem Fenster spielenden 
Liebhaberquartett erlauscht worden sein. Dann wäre aber 
immerhin das musikalische Auffassungsvermögen des Vogels 
noch wunderbar genug und ebenso imerklärlich, wie das mehr 
oder minder verständig scheinende Sprechen eines Papageis. 

Man wird auch kaum bestreiten wollen, daß die Aeußening 
dieses Motivs bei Beethoven und der Amsel voneinander 
unabhängig geschehen konnte — der Ursprung aber die 
gleiche Quelle hat, die sich ewig gleich bleibt — mag man 
sie nun Erd- oder Weltgeist heißen. 

Von den Motiven weichen Charakters konnte ebenfalls 
ein besonders schönes notiert werden; es entspricht mit geringer 
Aenderung dem Anfangsmotiv einer Violinsonate von Tartini 
(Beispiel B II). 

Gewiegte Musikliteraturkundige würden vielleicht beim 
Anlegen einer Sammlung von Amselrufen noch mehr An- 
klänge und Verwandtschaft mit Motiven von Komponisten 
finden können. Einer, dem aus der Sammlung des Verfassers 
einige besonders schöne Motive vorgepfiffen wurden, sagte 
sofort: „Das klingt, wie Wagner!“ — 

Bei der großen Mannigfaltigkeit dieser Amselrufe bildet das 
genaue Beobachten nicht allein für den musikalischen, sondern 
überhaupt für jeden Naturfreund eine fast unerschöpfliche 
Quelle erheiternder Unterhaltung. 

Aber auch unseren modernen, technisch hervorragend ge- 
schulten Tonsetzem bietet dieser natürliche Schatz der 
Emanationen des ewigen Weltgeistes eine Fülle fertiger Motive 
und direkter Anregung zur melodischen und kontrapunk- 
tischen Ausbeutung. Durch Verlegung der Interpunktion, 
durch rhythmische Aenderung, Transponierung und andere. 
Verarbeitung können diese Motive eine unerschöpfliche Quelle 
musikalischer Gedanken werden und manche Komponisten 
würden von dem Verdacht frei bleiben, bei alten und modernen 
Meistern „entlehnt" zu haben, ja vielleicht sogar in den Ruf 
der Originalität kommen; denn die Plagnerung der Motive 
des orangegelbschnabeligen, schwarzgerockten Sängers und 
Philosophen ist schwer nachweisbar. 

Um einer naheliegenden irrtümlichen Auffassung dieser 
Bemerkungen bei Laien vorzubeugen, sei hier beigefugt, daß 
unter Verwendung solcher Amselrufe nicht deren ton- 
getreue Wiedergabe und Einfügung in ein programmatisch- 
naturschildemdes Tonstück z. B. Kuckucks- oder Pirolrufe 
mit einem Holzblasinstrument, sondern deren thematische 
Ausbeutung mit allen musikalischen Ausdrucksmitteln und 
-Formen gemeint ist. Das „Amselmenuett“ in der Musik- 
beilage und einige andere Beispiele am Schluß sollen das in 
melodischer Richtung erläutern. (Die Motive wurden ge- 
hört und einzelne haben eine verblüffende Aehnlichkeit mit 
bekannten Melodien.) Selbstverständlich gehört mehr als die 
in dem Amselmenuett angedeutete melodische Ausbeutung 
dazu, um aus einfachen Motiven Kunstwerke zu schaffen, 
wie unsere großen Meister. 

Aus Vorstehendem könnte vielleicht auch von zoologischen 
Fachgelehrten (wenn nicht schon geschehen) die Anregung 
entnommen werden, diesem Gegenstand bei Forschungs- 
reisen, wenn möglich durch phonographische Aufnahmen 
solcher Amsel- und der Rufe von anderen melodiereichen, 
exotischen Vögeln Aufmerksamkeit zu schenken. Hierbei 
würden vielleicht nicht nur die für das gewöhnliche Ohr 
schwerer hörbaren Neben töne, Triller etc. genauer fixiert, 
sondern auch durch Vergleiche untereinander eventuell wesent- 
liche Anhaltspunkte oder Beiträge zur Anfangsentwicklung 
unserer Musik gefunden werden können. — Es könnte fast 
vermutet werden, daß die alten Kirchen tonarten, zum mindesten 
aber die religiösen Gesänge aller alten und mithin auch 
modernen Kulturvölker mit diesen Naturmelodien im Zu- 
sammenhang stehen. — Wenn diese Forschungen auch kein 
endgültig grundlegendes Ergebnis liefern, unterhaltend und 
anregend smd sie jedenfalls. 

Zum Schluß muß noch angefügt werden, daß dem Verfasser 
bei Abfassung des Artikels (1909) nicht bekannt war, ob 


schon etwas und was über diesen Gegenstand veröffentlicht 
wurde. Es. muß deshalb dahingestellt bleiben, ob sich die 
hier niedergelegten Beobachtungen und Ansichten mit denen 
anderer in Uebereinstimmung oder Widerspruch befinden, 
f Die Beispiele sind der im April 1907 begonnenen, nach 
Platz und Tageszeit der Beobachtung und Notierung datierten 
Sammlung entnommen und aus den besonders charakteri- 
stischen ausgewählt. Neu sind Beispiel a — d. 

I/eicht ist es dem, der sich mit den Rufen noch weiter be- 
schäftigen will, bei Notierung aller gehörten Rufe in kurzer 
Zeit eine große Anzahl zu sammeln, und der Zweck dieses 
Artikels ist erfüllt, wenn Naturfreunde und auch berufene 
Forscher in dem Gegenstand die gleiche hohe Befriedigung 
finden, wie der Verfasser. 


A. Allgemeine Beispiele. 
1. 1907. 2. 


3. 1908. NB! 

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4 a. Frage. 


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4 b. Antwort. 

5 . Zustimmung. 

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6. Marschtempoähnlich. 





B. Spezielle Beispiele. 

I. 1908. 


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II. Tartini. 


III. Beethoven. 




IV. Klarinettengigser. 






V. gleichmütig. 

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Via. sehr lebhaft. b. 


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433 




VII. sehr energisch (Kavallerieangriffssignal!). 



d. Der nämliche Vogel. 



Amselruf. Marsch. 



(Siehe auch das Amselmenuett in heutiger Musikbeilage.) 


Staatlicher Fortbildungskursus für 
Gesangslehrer an höheren Schulen. 

D urch die staatliche Gesangslehreiprüfung wie anderseits 
durch die Reform des gesamten Schulgesangunterrichts 
ist die Einrichtung der staatlichen Fortbildungskurse 
für Gesangslehrer höherer Lehranstalten notwendig geworden. 
• Zur Prüfung gibt sie Hinweise — für den Unterricht regt sie 
zum Weiterarbeiten an. Diese Anregung verlangt eine fleißige 
„Nacharbeit“, die das in den Kursen Gebotene nicht nur befestigt 
und vertieft, sondern vielmehr erweitert Rastloses Streben 
sichert den Erfolg! 

Der staatliche Fortbildungskursus (für Gesangslehrer 
höherer Schulen der Provinzen Brandenburg, Pommerh und 
Sachsen) wurde vom 29. Juni bis ii. Juli d. J. im Königlichen 
Akademischen Institut für Kirchenmusik in Berlin abgehalten. 
Die Leitung lag in der bewährten Hand des um die Förderung 
des Schulgesanges verdienstvollen Geheimen Regierungsrates 
Prof. Dr. KreUschmar. Als Dozenten wirkten die Professoren 


Rolle, Thiel, Koch, Dr. Joh. Wolf und Sanitätsrat Dr . Pielke, 
Es waren 23 Gesangslehrer (darunter 2 Königliche Musikdirek- 
toren) zur Teilnahme am Kursus berufen. 

Professor Rolle gab in seinen unterrichtlichen Vorführungen 
mit Sextanern und Quintanern einer Berliner Realschule den 
Beweis von der Richtigkeit und Vortrefflichkeit seiner Methode, 
die er bereits in dem Werke „Didaktik und Methodik des 
Schulgesangunterrichts“ dargelegt hat. Rolles Lehrgeschick 
ist bewundernswert! Es war eine Lust zu schauen, wie die 
J ungen „anpackten“, wie sie au der Hand ihres Meisters mühe- 
los die zum Teil gerade nicht sehr leichten Aufgaben auf dem 
„Wege zum selbständigen Singen“ lösten. Ganz besonders 
zeigte sich der Erfolg dieser Methode in denSehulchor-Uebungen. 
(Sopran und Alt sangen die Schüler, Tenor und Baß die Teil- 
nehmer des Kursus.) Dabei wurden von den Knaben die 
teilweise recht schwierigen Vokalsätze von Blumner, Grell, 
Mendelssohn etc. mit großer Sicherheit überwunden und „glatt 
abgesungen“. Entschieden ein unvergleichlicher Erfolg! — Die 
gesamten Vorführungen wurden von Prof. Rolle häufig unter- 
brochen, damit er an geeigneten Stellen Erläuterungen und 
Hinweise für die Teilnehmer einstreuen konnte. Die beiden 
letzten Stunden galten der „Aufstellung von Programmen 
für Schüleraufführungen“, der „Chorliteratur“ etc. 

Professor Thiel führte die Teilnehmer in die „Chormusik' ' 
ein. Werke niederländischer, italienischer und deutscher Kompo- 
nisten älterer Zeit wurden gemeinsam besprochen und mit 
Vortragsbezeichnungen versehen. Aus dem „Kaiserlichen 
Volksliederbuch für Männerchor' ’ wurden etliche ältere Weisen 
durchgesprochen und dann gesungen, so z. B. das herrliche, 
von Kreizschmar bearbeitete Lied: „Grünet die Hoffnung". 
Mancher Teilnehmer wird sich über die Fülle der Schönheiten 
gewundert haben, die die alte Chormusik“ aufzuweisen hat. 
Professor Thiel gebührt aas Verdienst, diese edlen Werke 
durch die Bearbeitungen der Allgemeinheit erschlossen und 
somit zu, neuem Leben gebracht zu haben. — In weiteren 
Vorträgen zeigte Thiel, was sich von der Methode Jaques 
Dalcroze praktisch in der Schule verwenden läßt. Die an- 
schließenden Uebungen erstreckten sich auf rhythmische Gang-, 
Hand- und Armbewegungen, Taktierübungen, rhy thmi sche 
Atemübungen, Gehör- und Denkübungen. 

Professor Koch, der sich auf kompositorischem Gebiete 
schon einen weitgehenden Namen erworben hat, behandelte die 
Struktur der Vokalformen (Choral, Lied, Motette, Kantate) und 
erklärte sie an Meisterwerken. Einige leichte Arienbässe 
älterer Komponisten wurden ausgearbeitet. Es folgten einige 
Bearbeitungen einstimmiger Lieder für Kinder- und gemischten 
Chor. 

Professor Dr. Wolf verstand es, seine Zuhörer mit inter- 
essanten, freien Vorträgen aus der Geschichte der Vokal- 
musik zu fesseln. Er behandelte eingehender die Hauptver- 
treter des a cappellä-Stils und deren Werke. Im weiteren 
verbreitete er sich über die Geschichte des Schulgesangs. 
Durch zahlreiche Beispiele am Flügel verdeutlichte er seine 
Darbietungen. 

Sanitätsrat Dr. Pielke war die Aufgabe geworden, „die 
physiologischen Vorgänge beim Sprechen und Singen“ klar- 
zulegen. Seinen vortrefflichen Ausführungen lauschten die 
Zuhörer mit wachsendem Interesse. — 

Mit großer Befriedigung können die Teilnehmer auf den 
Kursus zurückblicken; sie werden viel wertvolle Anregungen 
mit in ihre Heimat zurücknehmen. Und Kursusleiter und 
Dozenten werden überzeugt sein, daß die hier „ausgestreute 
Saat reife Früchte“ bringen wird. — 

„Grünet die Hoffnung, halb hab’ ich gewonnen ; 
blühet die Treue, so hab’ ich gesiegt!" 

so klang es noch einmal im Männerchor durch den herrlichen 
Raum der Aula, und mit herzlichen Worten des Abschieds 
trennten sich die Freunde, die gemeinsame, edle Arbeit für 
leider so kurze Zeit zusammengeführt hatte. 

Max Petzold, Gesangslehrer (Angermünde). 

Nachrufe an zwei deutsche Männer. 

Franz Beier f. — Hugo Faißt f . 

M itten in der Ferienzeit, während alle Kunstfreunde und 
Künstler in fernen Orten zur Erholung weilten, haben 
sie den ersten musikalischen Leiter des Kasseler Hof- 
theaters, den Führer des Musiklebens Kassels, nach langem 
schmerzhaftem Leiden zu Grabe getragen. Nur ein kleiner Teil 
der Theatermitglieder war erschienen. Während der Geistliche, 
Pfarrer Stein, dem Menschen warme Worte widmete, feierte 
der Intendant, Graf Bylandt, den Künstler und legte am Grabe 
zwei Kränze nieder. Unter Vorantritt der 83. Infanteriekapelle 
wurde der Sarg zur Gruft getragen, und hier sang der Lehrer- 
gesangverein, dessen Ehrendirigent der Verstorbene war, einige 


434 







Hofkapellmeister FRANZ BEIER t- 


Trauerchoräle. Mit einem Grablied der 167. Infanteriekapelle 
fand die erhebende Trauerfeier einen weihevollen Abschluß. 

Prof. Dr. Franz Beier war 1857 in Berlin als Sohn eines 
Stabshornisten, des Dirigenten der Bataillonsmusik des Kaiser- 
Franz-Regiments, geboren. Er studierte in Berlin und Rostock 
Philosophie und Kunstgeschichte. An der Mecklenburger 
Universität promovierte er 1885 auf Grund seiner in der Graf 
Walderseeschen Sammlung musik-wissenschaftlicher Abhand- 
lungen erschienenen Dissertation „Joh. Jacob Froberger und 
seine Suite“ zum Dr. phil. Die musikalisch-künstlerische Aus- 
bildung erhielt der junge_ Franz Beier im Stemschen und 
Kullakschen Konservatorium in Berlin. An dem Institut von 
Stern wirkte er nach beendigtem Studium als Lehrer. 1884 
wurde er Musikdirektor am Stadttheater in Aachen. Schon 
im folgenden Jahre aber wurde der 28-Jährige als Nachfolger 
Gustav Mahlers nach Kassel berufen, wo er bis zum Jahre 1899 
neben dem damaligen ersten Kapellmeister Wilhelm Treiber 
wirkte Nach dessen Tode leitete er die Kasseler Hofbühne. 
Sein bedeutendes Werk war neben vielseitiger musikschrift- 
stellerischer Tätigkeit die Bearbeitung der Spohrschen Oper 
Die Kreuzfahrer', die zum ersten Gesangswettstreit in Kassel 
als Galavorstellung in Szene ging. Wie sehr der Kaiser 
Franz Beier schätzte, bewies seine jedesmalige Berufung in 
das Preisrichterkollegium der Wettstreite. Vielen Autoren 
verhalf Beier durch Uraufführungen ihrer Werke in die Oeffent- 
lichkeit und die moderne Opernproduktion fand in ihm einen 
eifrigen Förderer. Mitten in der Vorbereitung zur „Parsifal“- 
Aufführung zwang ihn das wiederkehrende älte Nierenleiden 
auf das Krankenbett, von dem er nicht wieder aufstehen sollte. 
Als Künstler wie als Mensch wird Prof. Beier dem Kasseler 
Musikleben unvergessen bleiben. G. O. Kahse. 

Wir möchten diesen Nachruf für einen verdienten Mairn 
nicht ohne ein paar Worte von unserer Seite aus veroffent- 
üchwi Franz Beier war ein ausgezeichneter Kimstier, eine 
Natur ein Mensch, den man heb gewinnen 
mnßte Alles Ueberspannte, Krankhafte lag diesem ehrlichen 
Musiker fern KaSPfet nicht ein Ort der im musikalischen 
Musucer iei spielte. Deshalb drang der Ruf Beiers 

Deutschland eine * X Oeffentlichkeit. leine Verdienste 
laÄsop in einem Artikel der „N M- 
7 to “( Heft 7 des 31. Jahrganges) gebührend gewürdigt. 

\ J 3 - -Lanz Beier ein treues Andenken bewahren. 

Wir werden Franz neier ei N , m.-Z. 

*- * * 

Freund*<Je“ iIi^'Kk^ Musen war irnd Urnen allein diente. 


Ganz anderen Bahnen folgen die Gedanken; und man fragt 
sich unwillkürlich, ob denn jetzt andere Arbeit und Tätig- 
keit als die für das Vaterland überhaupt nicht überflüssig, 
im würdig sei? Und doch: wir dürfen nicht vergessen, daß 
wir, bei voller Anerkennung der Bedeutung des Augen- 
blickes, nicht für den Augenblick allein leben; der Chronist 
tue seine Pflicht für spätere Tage. Und es soll nicht einer 
unter der Ungunst der Zeit leiden, dem ein Gedenkblatt ge- 
bührt. Dazu gehört der Stuttgarter Rechtsanwalt Hugo 
Faißt, der „Freund Hugo Wolfs . Faißt war Liebhaber der 
Musik, Dilettant, und als solcher der Begeisterung, als dem 
schönsten Rechte der Dilettanten, ergeben. Er hatte keine 
„Pflichten" der Kunst gegenüber im weiteren Sinne ; er folgte 
der Stimme seines Herzens, wie nur einer. Und war damit 
der Einseitigkeit verfallen wie nur einer. Aber es war eine 
Einseitigkeit, die Früchte trug, reichen Segen brachte. Und 
das ist das Entscheidende. 

Faißt war nicht der Entdecker Hugo Wolfs fürs Schwaben- 
land — dieser Ruhm gebührt dem früheren Tübinger Uni- 
versitätsmusikdirektor Kauffmann — , aber er war einer der 
eifrigsten und erfolgreichsten Förderer Wolfs und seiner 
Kunst. Nicht nur mit Geldmitteln, die ihm reichlich zur 
Verfügung standen, sondern auch in tätiger, aufopfernder, 
selbstloser Weise. Man kann sagen, Faißt sei Sänger geworden, 
tun Wolfs Lieder verbreiten zu helfen; er wurde als reicher 
Mann geboren, um Wolf persönlich in zarter Weise helfen und 
ein ganzes Heer von Sängern mobil machen zu können, die 
für seine Kunst eintraten. Darunter die besten Namen. Wir 
beide haben uns ja nicht immer verstanden; aber Faißt sagte 
mir doch vor nicht zu langer Zeit noch: „Wissen Sie, der 
Liederabend der Gmeiner neulich, den habe ich mir zum 
50. Geburtstage geschenkt.“ Wolf und Wolf: für ihn war dem 
Rechtsanwalt im Nebenberufe kein Opfer zu groß. Die Grün- 
dung des früheren Hugo- Wolf- Vereins (der vernünftigerweise 
sich aufgelöst hat, nachdem seine Aufgabe erfüllt worden war), 
ist Faißts Werk. Wer zählt die Wolf-Abende, die er selber 
gab, und die er veranstaltete, pekuniär unterstützte, möglich 
machte ? Das Stuttgarter Hugo- Wolf-Fest ist noch nicht ver- 
gessen (trotzdem es künstlerisch nicht ganz zu rechtfertigen 
war), ja, Faißt glaubte sich auch berufen, selbst berühmten 
Sängerinnen die richtige Interpretation des Wolfschen Stils 
beizubringen. Daß viel jüngere Kräfte Rat und Unterweisung 
bei ihm suchten und fanden, ist als erfreuliches Zeichen für 
gute Tradition zu begrüßen. Eine eharakteristis9he Anekdote 
sei liier nacherzählt: Es war einer der ersten Wolf -Abende 
in Stuttgart. Der Kartenabsatz war sehr gut gewesen, aber 
erst von Faißt erfuhr man unter dem Siegel der Verschwiegen- 
heit, wie es zugegangen war. Er hatte die Karten selbst ge- 
kauft und zwar durch Mittelsleute, immer in einer Anzahl 
von drei bis sechs Stück, um es ganz unauffällig zu machen! 

Hugo Faißt, ein geborener Heilbronner, hat nur ein Alter 



Rechtsanwalt HUGO FAISST f. 


435 


von 51 Jahren erreicht. Er ist rasch gestorben. Aber er hat 
viel geleistet für die Kunst in seinem verhältnismäßig kurzen 
Wirken dafür. Die äußere Anerkennung fand er in der Ver- 
leihung der Goldenen Medaille für Kirnst und Wissenschaft 
durch den König von Württemberg (1903). Ernst Decsey 
spricht von ihm ausführlicher in seiner Wolf-Biographie; der 
Briefwechsel zwischen Wolf und Faißt, den Michael Haber- 
landt (1903) herausgegeben hat, gilt als charakteristisches 
Dokument der Freundschaft zwischen den beiden. Stuttgart 
betrauert einen für seine Sache ehrlich Begeisterten, einen 
wackeren Schwaben, der nicht bloß das Wort zur Verfügung 
hatte; und über unsere Musikstadt hinaus wird der Tod dieses 
Mannes in der deutschen Musikwelt Bedauern finden. O. K. 


Das Paganini- Cello. 

V on einem wertvollen interessanten Instrumente wollen 
wir heute unseren Lesern erzählen. Viele Instrumente 
haben ihren eigenen Namen, der sich oft vom Besitzer, 
dann vom Aussehen oder sonstigen Eigenschaften ableitet. 
So nennt sich das Cello, das wir im Bilde vorführen, das 


P8 



Das Paganini- Cello (Vor de rausicht). 


„Paganiui-Cello“. Es stammt aus . dem Nachlaß des größten 
Geigenspielers, um dessen Haupt die Legende schon zu seinen 
Lebzeiten einen geheimnisvollen Sagenkranz «woben hat. 
Die Abkömmlinge des großen Genuesen, die Barone Paga- 
nini, haben vor nicht zu langer Zeit dessen Nachlaß in Flo- 
renz versteigert. Darunter befand sich ein Cello, auf dessen 
Besitz der Hexenmeister nicht wenig stolz war. Es hat den 
Pietro Giacomo Rogeri in Brescia zum Verfertiger. Nicht zu 
verwechseln mit einem der Rugieri oder Ruger {in der Cremo- 
neser Mundart). Es gibt nämlich zwei gleichzeitig lebende 
Geigenmacherfamilien, die aber nichts miteinander zu tun 
haben: die Rogeri in Brescia und die Rugieri, auch Rnggieri, 
Rugier oder Ruger in Cremona. Der berühmtere Namens- 
träger Rogeri war der Vater von Peter Jakob: Giambattista, 
ein Schüler des Nikolaus Amati. Wie der Vater, so lehnte 
sich auch der Sohn und Nachfolger, geb. um 1680, gest. 
nach 1730 in seinen Arbeiten an die Amati-Schule an. Vater 
und Sohn gehören also , trotzdem sie in Brescia lebten und 
wirkten, doch nicht zur Brescianer, sondern 2ur Cremoneser 
Schule. Bei beiden Künstlern sind die Violoncells noch ge- 
schätzter als die Geigen. Der bekannte Cellist Alfred Piotti 
spielte auch ein Instrument des Pietro Giacomo in seinen 
Konzerten. 

Der Zettel unseres Instrumentes lautet (gedruckt): 

„Petrus Jacobus Ruggerius de Nicolai 

Amati Cremonensis fecit Brixiae 1734.“ 

Das sehr schöne Deckenholz ist mitteljährig, Boden und 
Zargen von schöngeflammtem Ahorn. Die Arbeit ist pünkt- 
lich und schön, das Modell an Amati angelehnt, die Wölbung 
flach, die Maße sind normal. Der Lack von goldbrauner 
Farbe (ein Hellbraun, das ins Goldige spielt) ist dick, weich 
und mollig. Die wundervoll geschnittenen ff sind ziemlich 
offen, die Ecken ausgeprägt. Die kühn geschwungene 
Schnecke ist sehr schön und tief ausgestochen. Die Erhal- 
tung ist ganz vorzüglich. Das Instrument ist kerngesund, 
sehr stark im Holz, der Boden besonders kräftig gehalten. 
Der große, gesangsreiche Ton bestrickt durch Süße und 
Wärme. 

So ist es nicht zu verwundern, daß das Cello im Katalog 
der Versteigerung in Florenz mit 25000 Lire (= 20000 M.) 
angesetzt war. Es ist, nachdem es von seinem heutigen 
Besitzer Eugen Gärtner in Stuttgart erworben worden ist, 
mit größtem Erfolg öffentlich in Stuttgarter Konzerten ge- 
spielt worden. Die Dokumente für die Echtheit des Instru- 
ments und dafür, daß es aus Paganinis Besitz stammt, sind 
in Händen des Eigentümers. Eugen HonoM. 


Von der Münchner Hofoper. 

Rückblick. 

M it einer Aufführung des „Tannhäuser“ hat am 29. Juni 
unsere Hofbühne das Spiel jalir 1913/ 14 beschlossen. 
Eine kurze Pause von etwa vier Wochen — und 
es begannen die Wagner- und Mozart-Festspiele im Prinz- 
regenten- bezw. Residenztheater. (Dieser Artikel wurde vor Aus- 
bruch des Krieges geschrieben. Inzwischen sind, wie die Zei- 
tungen berichten, die Münchner kgl. Theater geschlossen worden, 
was auch das Ende der Festspiele herbeiführte. Auch die Pri- 
vattheater schlossen sich sofort an, während in anderen Städten, 
z. B. Frankfurt, weiter gespielt wurde.) Eine gewaltige Summe 
künstlerischer Arbeit liegt hinter uns. Die abgelaufene 
Saison hat manchen interessanten Abend gebracht, darunter 
einige Premieren, wie Klenaus „Sulamith“ (Uraufführung), 
Wolf-Ferraris „Der Liebhaber als Arzt", Franz Schrekers „Der 
ferne Klang“, schließlich Wagners „Parsifal“, über deren 
Aufführungen an dieser Stelle eingehend berichtet worden 
ist. Was Uraufführungen anbelangt, so sind wir hierin sehr 
bescheiden geworden; ein Ereignis von kunstgeschichtlicher 
Bedeutung hat sich im Münchner Hoftheater seit Jahren nicht 
abgespielt. Im ganzen fanden 226 Vorstellungen statt, an 
denen 27 Komponisten beteiligt waren; weitaus die größte 
Anzahl von Aufführungen, nämlich 52, fallen auf Richard 
Wagner (NB. ohne die Festspiele!). Seine in diesem Spiel- 
jahre meistgegebene Oper war „Tannhäuser“ (elfmal). Zu 
den Volksauffuhr ungen, die anläßlich des 100. Geburtstages 
des Meisters stattfanden, hatten sich an die 200000 Kunst- 
freunde angemeldet, von denen in neun Vorstellungen etwa 
16 200 berücksichtigt werden konnten. Welch ein Beweis 
für die immense Anziehungskraft der Werke des Bayreuther 
Meisters! Wie tief ist seine Kunst in das Volk gedrungen! — 
In großem Abstande folgt mit 24 Aufführungen Verdi, gegen 
den Mozart um eine zurückbleibt; nicht gerechnet die Fest- 
spiele, so daß er eigentlich an die zweite Stelle rückt. Sieb- 
zehn Abende entfallen auf Richard Strauß; ihn an seinem 
50. Geburtstage in seiner Vaterstadt zu feiern veranstaltete 


4S 6 



die Hofbühne in den Tagen vom 2. — 10. Juni eine Strauß- 
Woche, die „Tod und Verklärung“, „Salome“, „Elektra“ 
(unter Leitung des Komponisten), „Rosenkavalier“ und 
„Ariadne auf Naxos“ umfaßte. Bei diesem Anlasse konnte 
Strauß begeisterte Huldigungen entgegennehmen; die Stadt 
München wird eine Straße nach ihm benennen. 

Wie wiederholt bemerkt, bewegt sich das Repertoire unseres 
Hoftheaters in allzu engem Rahmen; manche hervorragende 
Meister wie Weber, Marschner, Boieldieu, Donizetti, Auber 
werden überhaupt nicht berücksichtigt, von Meyerbeer er- 
lebten lediglich die Hugenotten (in 4 Akten !) zwei Aufführungen, 
von Gluck gelangte nur „Echo und Narziß“ als Gastspiel 
der Duncan-Tanzschule in verfehlter Aufmachung einmal 
zur Darstellung. Dagegen werden „Mignon“, „Martha“, 
„Hoffmanns Erzählungen“ und die Werke Puccinis reichlich 
oft gegeben, sogar die „Fledermaus“ ist nun auch außerhalb 
der Faschingstage hoftheaterfähig geworden. Warum auch 
nicht ? Sie ist die klassische Operette, und birgt einen reichen 
Schatz köstlicher Musik, um den sie manche Oper beneiden 
könnte. Und vor allem: sie ist nicht langweilig und bekannt- 
lich tous les genres sont bons, hors le genre ennuyeux. 

Die beabsichtigte Gluck-Feier wurde bis zum Herbste 
vertagt; was sie bringen wird, steht noch nicht fest. An- 

f ekündigt ist eine Neueinstudierung des „Oberon“, indes 
er „Freischütz“ vermutlich bis zur Zentenarfeier (Juni 1821) 
zurückgestellt ist. Mit der schönen Gepflogenheit Mottls, 
im Laufe des Winters das eine oder andere Werk aus dem 
Archive herauszuholen — ich erinnere an „Der Widerspenstigen 
Zähmung“, „Cid“ von Cornelius, „Norma“, „Teufels Anteil“ 
u. a. — nat man leider wieder gebrochen. Gar manche Perle 
der Opernliteratur würde sicherlich bei hervorragender Be- 
setzung das Interesse der Kunstfreunde erwecken, z. B. der 
lange versprochene „Templer" und die „Jüdin“, „Fra Diavolo“, 
ein Meyerbeersches Werk. 

Von Neuaufführungen sind für die kommende Saison in 
Aussicht genommen: „Palästrina“ von Pfitzner, „Die Ge- 
zeichneten von Schreker, „Das Strandrecht“ von Ethel Smith, 
„Der Abenteurer“ von Bittner, der den nächsten Winter in 
München verleben will und die „Josephslegende“ von Richard 
Strauß. Fünf Novitäten in einer Saison — - ein sehr ver- 
heißungsvolles Programm! Ob es zur Tat wird, werden wir 
ja sehen. 

Ausgeschieden aus dem Verbände der Königl. Hofbühne 
sind Ella Tordek, Marcella Craft, sowie der Baritonist Rudow. 
Auch Maud Fay wird nach Ablauf ihres Kontraktes die hiesige 
Bühne verlassen. Die Versuche für den abgehenden Rudow 
einen Ersatz zu finden, haben bisher zu keinem Resultate 
geführt. An Gästen war nicht Mangel; es waren erschienen 
die Damen Madame Sylva, Frau Bahr-Mildenburg ; die Herren 
Soot, Wissink, Zador, Bara, Bahling, Breitenfeld, Fenten, 
Hutt, Fleischer, Helgers u. a. Außerordentliche Erfolge 
errangen sich wieder die Meistersänger Battistini und Caruso. 
Engagiert wurde Fräulein Krüger ; in ihr scheint unsere Bühne 
eine hervorragende Künstlerin gewonnen zu haben. Unter 
der Leitung des Chordirektors Zengerle ist im Vorjahre eine 
Opemchorschule ins Leben getreten, die bereits schöne Er- 
folge zu verzeichnen hat; sie wird zweifellos segensreich wirken. 
Generalintendant Baron v. Franckenstein steht nun etwa 
1 1/ 2 Jahre an der Spitze der Königl. Hoftheater ; unter seiner 
Führung hat das Institut entschiedenen Aufschwung ge- 
nommen. Es wäre ungerecht, dies nicht anzuerkennen. 
Umgeben von ausgezeichneten Musikern wie Bruno Walter 
und 8 Otto Heß hat er der Bühne ein gut Teil des Ansehens 
früherer Zeiten wieder zurückgewonnen. Der Personalstand 
der darstellenden Künstler weist hervorragende Namen auf 
wie Frau Bosetti, Perard-Petzl, Mottl-Faßbender, die Herren 
Bender Feinhals, Dr. Bary, Knote, denen sich eine große 
Anzahl’ überaus tüchtiger Kräfte anschließt. Manche der 
genannten Größen hören wir freilich etwas selten; sie stehen 
mit der Intendanz im sogenannten Gastspielvertrag und sind 

daher sehr oft auf Reisen. _ 

Dem gemeinsamen Wirken einer schaffensfreudigen Kunstler- 
schar verdanken die Münchner md auswärtigen Theater- 
freunde viele stimmungstiefe Eindrücke und Aufführungen 
die sich sehen“ lassen können. Speziell Mozart gemeßt 
bei uns eine Feinheit der Ausführung — dazu der entzückende 
Rahmen des Residenztheaters s — , von der man sagen darf, 
sie sei unübertrefflich. Auch Wagner erfreut sich m München 
liebevollster Pflege, wenngleich. Eier manche Wunsche noch 
ueuevo t> j7 lru „ e Beispiele sollen folgen. In den 

Meistersingern halte ich die Szenerie der Schusterwerkstatt 
wfnc 4 chsens (3. Akt) nicht für richtig, sie ist räumlich 
zu groß während Wagner einen kurzen Raum fordert. 
Ete intimes ’ Bühnenbild wiirde poesievoller wirken und er- 
schiene glaubhafter. Hierdurch wurde auch der Gegensatz 
, fSLjSApt, Szene der Festwiese, die m den größten Dimen- 
z ^ folg !„ h^l^fst mehr in die Erscheinung treten. Im 
"Fliegenden Sander“ stört die Unterbrechung durch die 
zStenakte; Wagner schreibt darüber, daß er diese einen 


Onernabend kaum ausfüllende Musik einst zur 
Akte bestimmt hatte. Dara 


ffSTSnäg«* Akte 


Auf- 
Daraufhin 


deuten auch die beiden — überflüssigen Zwischenaktsmusiken, 
sie sind nämlich lediglich Wiederholungen. In der letzten 
„Siegfried“-Aufführung blieb der aufflatternde Waldvogel 
weg. Warum ? Wird Siegfried den Weg zum Brunhilden- 
stein auch ohne ihn finden ? „So wird mir der Weg gewiesen, 
wohin du flatterst, folg’ ich dir nach“ — singt der Held, wir 
aber müssen ihm mit Brunhilde antworten „staunend versteh’ 
ich dich nicht“. Daß es dem Festspielgedanken Wagners 
entgegen ist, in den Ring eine Mozartsche Oper hineinzu- 
zwängen, ist schon früher bemerkt worden. Im „Parsifal“ 
wäre noch manches zu verbessern, wie der Flug des Schwanes, 
das Schleudern von Klingsors Speer, im 3. Akte die Stelle 
„ihm seh’ ich heil’ges Blut entfließen“ — ich sah nur die im 
roten Lichte erglänzende Speeresspitze. 

Wir wissen, welche Bedeutung Wagner allen szenischen 
Vorgängen beimaß, wie wichtig ihm die Deutlichkeit der Dar- 
stellung auch in den kleinsten Dingen war, um ja nicht miß- 
verstanden zu werden. Wir wissen ferner, mit welcher pein- 
lichen Aufmerksamkeit in Bayreuth stets die genauen Vor- 
schriften des Meisters befolgt wurden — wir wissen aber 
auch, daß man in München nicht hinter Bayreuth zurück- 
stehen will; so wird es Ehrensache der verantwortlichen 
Stellen sein, die Forderungen des Dichters restlos zu erfüllen. 

Prof. Heinrich Schwartz. 



Das Paganml-Cello (Rückansicht 


437 



„Orpheus« auf der Elbinger Waldbfihne. 

T rotz der großen Konkurrenz der benachbarten Wald- 
bühnen in Danzig und Zoppot hat es eine um das El- 
binger Musikleben verdiente Persönlichkeit, Musikdirek- 
tor Franz Rasenberger , verstanden, die Elbinger Waldoper, 
die seine ureigne Schöpfung ist, lebenskräftig zu erhalten. 
Das ist um so mehr anzuerkennen, als ihm nur wenig Unter- 
stützung von anderer Seite wird, preßt doch sogar der Magi- 
strat eine Lustbarkeitssteuer aus dieser rein künstlerischen 
Veranstaltung heraus. Drei Jahre finden jetzt Opernauffüh- 
rungen auf der prächtigen Naturbühne in dem herrlichen 
Vogelsanger Walde bei Elbing statt, und der Erfolg steigerte 
sich von Jahr zu Jahr. Nachdem in den beiden ersten Jahren 
Webers „Freischutz“ und Kreutzers „Nachtlager in Granada“ 
szenisch und musikalisch ausgezeichnet gegeben worden waren, 
fanden in diesem Jahre, in dem der Geburtstag Glucks sich 
zum 200. Male jährte, vor einem zahlreichen, interessierten 
und begeisterten Publikum 2 Aufführungen von „Orpheus 
und Eurydike“ statt. Der Erfolg, den Rasenberger damit 
errang, ist um so bemerkenswerter, als er die Oper mit durch- 
weg heimischen Kräften geben konnte. Es war erstaunlich, 
wie sehr Franz Rasenberger die sonst gerade nicht immer 
einwandfreie Elbinger Stadtkapelle zu schulen wußte. Es 
hätte nahe gelegen, daß der Veranstalter nach dem Lauchstädter 
Beispiel auch in Elbing den Orpheus durch einen Baritonisten 
hätte singen lassen; jedoch wurde — sicherlich nicht zum 
Schaden der Oper — der von Gluck zuerst vorgeschriebene 
und in Deutschland lange geübte Modus beibehalten,, den 
Orpheus als Altpartie zu geben. Die Vertreterin des Orpheus 
war eine junge Elbinger Künstlerin, die aus der Schule 
Franz Rasenbergers hervorgegangen ist: Fräulein Meta Stein- 
brück, die kürzlich am Detmolder Hofe bemerkenswerten Erfolg 
hatte. Fräulein Otto vom Barmer. Stadttheater, die schon bei 
den früheren Elbinger Waldoperaufführungen hervorragend 
mitgewirkt hat, wurde den Anforderungen als Eurydike vollauf 
gerecht. Vielen Beifall fand der temperamentvolle, zierlich- 
graziöse Eros des Fräulein Kolloff , deren Leistung um so 
lobenswerter war, als sie, die Dilettantin, zum erstenmal 
öffentlich auftrat. Die Elbinger Gesellschaft nahm überhaupt 
einen regen ausübenden Anten an der Aufführung und stellte 
einen sehr stattlichen Chor. Besonderes Lob aber verdient 
die wirklich hervorragende szenische Ausstattung, die der 
Kunstmaler Prof. Pfeiffer (Königsberg) besorgt hatte. Unter 
geschickter Ausnutzung der gegebenen Mittel verstand es der 
Künstler, Bilder von bezaubernder Schönheit zu schaffen, wobei 
ihm die Natur selbst aufs beste zu Hilfe kam. Noch blaute 
zwischen dem tiefen Dunkel des Waldes der Himmel und der 
letzte Abendschimmer schien auf die Szene, als Orpheus am 
Grabe seiner Gattin trauerte, doppelt ergreifend bei der leicht 
sentimentalen Stimmung, die der scheidende Tag auf empfäng- 
liche Gemüter ausübt. Als Orpheus in den Orkus trat, hatten 
sich die Abendschatten schon herabgesenkt und breiteten über 
die düsteren Gestalten der Unterwelt und die ganze Szene 
einen violetten Mantel. Prächtig wirkten später im Licht der 
Scheinwerfer die hellen Gestalten des freundlichen und Freude 
atmenden Elysiums, die sich plastisch von dem dunklen 
Waldeshintergrund abhoben. Von dramatischer Eindringlich- 
keit waren auch die Reigen und Tänze sowohl der Furien und 
Larven, die den Orkus bevölkerten, wie der lichtumflossenen 
Bewohner des Elysiums. Die Elbinger Waldoper wird wohl 
einzigartig dastehen insofern, als sie getragen wird von dem 
Geiste ei ne s tüchtigen und unternehmungslustigen Musikers, 
als sie aufgeführt wird von heimischen Kräften, wie man sie 
von solcher Tüchtigkeit selten in einer Mittelstadt wie Elbing 
findet. Paul Kessels. 


Sigfrid Karg-Elert: Die Kunst des 
Registrierens. 

E in Hand- und Nachschlagebuch für Spieler aller Har- 
moniumsysteme. I. Teü: Das Druckluftsystem. Musik- 
verlag Carl Simon, Berlin. Preis broschiert mit Bei- 
heft M. 24. — . 

Der Name Karg-Elert ist mit der Entwicklung der modernen 
Harmoniumkunst aufs engste verknüpft. Der Leipziger Meister 
darf ohne allen Zweifel als der bedeutendste Vertreter des 
künstlerischen Harmoniumspäels betrachtet werden. Wer ihn 
gehört hat, wird seine Anschauung über das vielfach noch 
verpönte Instrument revidieren müssen , falls er nicht schon 
vorher gewußt hat, daß das Harmonium in seinem vollendetsten 
Typ nicht bloß den farbenreichsten Vortrag, sondern auch 
die glänzendste Virtuosität zuläßt. Das Kunstharmonium mit 
Doppelexpression macht die landläufige Anschauung, als sei 

438 


das Harmonium ein eigentlich nicht ernst zu nehmendes Haus- 
instrument, lediglich für Dilettanten, völlig zu Schanden. Ein 
Crescendo, ein Sie., ein Vibrato; ferner Klangwirkungen, die wir 

S eradezu orchestral bezeichnen müssen (Flöten-, Klarinetten-, 
icharakter u. dgl.): das sind Errungenschaften des moder- 
nen Kunstharmoniums, die dieses Instrument weit darüber 
hinausheben, nur ein Tummelplatz für gewöhnlichen Dilettantis- 
mus zu sein. Karg-Elert hat denn auch diese Ausdrucksmög- 
lichkeiten benützt, um eine Reihe von Werken zu schaffen, 
die wir dem Besten , das auf diesem Gebiet vorhanden ist, 
beizählen müssen.' Ja, man darf kühnlich behaupten: Manches, 
was der Komponist auf diesem seinem Spezialgebiet geschaffen 
hat, überragt das Seitherige um ein Beträchtliches. Genannt 
seien vor allem die geniale Passacaglia op. 25, das Präludium 
mit Fuge op. 39 (beide auch für Orgel gesetzt), eine Anzahl 
Sonaten und Sonatinen, ferner die in das Gebiet der Programm- 
musik gehörenden — ich möchte fast sagen außerordentlich 
dramatische — Stücke „Jagdnovellette“ und „Totentanz“ usw. 
Was nun diese Literatur in erster Linie vor allem bisher 
Erschienenen (ich nenne hier R. Bibi, L. A. Zellner, Reinhard, 
Kistler, Laurischkus, Camillo Schumann u. a.) auszeichnet, 
das ist das koloristische Element. Als Kolorist steht Karg- 
Elert unerreicht da. Wie in seinen Orgelkompositionen bringt 
Karg-Elert auch in seinen Werken für Harmonium neuartige 
Klangeffekte, die auf den Laien, wohl auch auf den Fachmann, 
manchmal verblüffend wirken können. Vielleicht ergeht’s dabei 
dem Harmoniummeister zuweilen wie' dem Schraber dieses, 
der vor ein paar Jahren nach einem Studienaufenthalt in Paris 
Orgelwerke französischer Meister — wie sich’s geziemt — auf 
französische Art vortrug. Da behauptete eine gewisse „heilige 
Einfalt“ (mit der „Heiligkeit“ ist es bei solchen Leuten freilich 
nicht immer zum besten bestellt 1 ), der Vortragende „könne 
nicht registrieren“. Wie sagt doch der Dichter? „Unsinn, du 
siegst. . . .“ 

Nun zu Einzelheiten des monumentalen Registrierwerks 1 
Der Verfasser hat mit diesem theoretischen Opus eine all- 
umfassende Enzyklopädie des Harmoniumspiels auf den Tisch 
des Harmonisten gelegt, eine Arbeit, die von der erstaunlichen 
Sachkenntnis, dem fernen künstlerischen Empfinden und dem 
eminenten Fleiß des Meisters das beredteste Zeugnis ablegt. 
Der vorliegende erste Teil des Werkes enthält über 1000 Noten- 
beispiele aus der in- und ausländischen Literatur und ist 
außerdem mit einer Anzahl illustrierender Zeichnungen versehen. 
Ein Beiheft dient als Schlüssel für das Registrieren einer Anzahl 
von Notenbeispielen. Besonders eingehend behandelt ist die 
Charakterisierung der einzelnen Register, die einfache und die 
Doppelexpression, das selbständige Registrieren unregistrierter 
Noten usw. Das letzterwähnte Kapitel gibt dem Kunstjünger 
eine gewiß außerordentlich willkommene Anleitung zu künst- 
lerischem Vortrag. Gerade dieses Kapitel ist um so wichtiger, 
als viele Harmoniumschulen für das so wichtige Registrieren 
keine oder nur dürftige Andeutungen geben. Eingehend ist 
auch das Kapitel von der Perkussion behandelt. Die Perkussion 
ermöglicht eigentlich erst, eine klare Gliederung und Phrasie- 
rung, ein Umstand, der namentlich beim Bach-Spiel zu be- 
achten ist. Freilich sind da dem Harmonium gewisse Grenzen 

f ezogen. Bachsche Polyphonie — und Regersche erst recht 1 — 
ann eben doch am wirksamsten nur auf einem großen mehr- 
manualigen Orgelwerk zur Geltung kommen, ebenso wie auch 
ein großer Teil der Klavierliteratur für das Harmonium nicht 
in Betracht kommt. Das ist ja selbstverständlich. Wozu auch 
soll das Harmonium Kompositionen vergewaltigen, die ihm 
nun einmal nicht „liegen“? Die Originalliteratur für Harmonium 
wächst zusehends, und wer ein Freund von Harmonium- 
Bearbeitungen ist, findet namentlich bei alten Meistern — 
genannt seien nur Rameau, Lully, Couperin, Martini u. a. — 
eine Anzahl reizender Kabinettstücke. 

Von weiteren Einzelheiten seien erwähnt Karg-Elerts ebenso 
eingehende als von größter Sachkenntnis zeugende Ausfüh- 
rungen über das Prolongement. Wenn der Verfasser es auch 
für die Orgel wünscht, so kann man ihm hierin nur bedingt 
beipflichten. Bei kleineren Orgeln mag ein Prolongement viel- 
leicht angebracht sein; bei großen Werken, wenn sie z. B. mit 
Super- und Suboktavkoppeln ausgestattet sind, erscheint es 
nicht absolut notwendig. Noch möge auf das Kapitel über 
die Celesta hingewiesen sein. Diese, 1886 von Mustel in Paris 
erfunden, ist bekanntlich neuerdings seit dem Vorgang von 
R. Strauß als Orchesterinstrument besonders beliebt geworden 
(Mahler, Sehönberg, Piemä u.a.). Durch Kombination der 
Cälesta mit dem Kunstharmonium entstehen ganz aparte Klang- 
wirkungen, namentlich wenn die klangvolle tiefste Lage der 
C&lesta verwendet wird. Das Registrierwerk ist wie schon er- 
wähnt, mit seiner außerordentlich großen Anzahl von Noten- 
beispielen versehen. Daß das Werk auch die ausländische 
Literatur berücksichtigt, sei dem Verfasser als besonderes Ver- 
dienst angerechnet. Namentlich Frankreich, Belgien, in letzter 
Zeit besonders auch Italien, sogar Spanien, ermöglichen eine 
reiche Auslese. 

Der um die Muse Karg-Elerts auch sonst hochverdiente Ver- 
leger hat offenbar kein Opfer gescheut, um das Werk aufs vor- 
nehmste auszustatten. Mögen die Bemühungen des Verfassers 


und des Verlegers um das Harmoniumspiel von nachhaltigem 
Erfolg begleitet sein ! In England ist der Meister jüngst vom 
Senat des Royal College of Organists in London zum Ehren- 
mitglied- ernannt worden. Ehren wir ihn durch öftere Auf- 
führung seiner Werke! 

Ulm a. D. Karl Beringer 

(Organist an der Gamisonskirche). 



Freiburg i. Br. Der 12. Zyklus der Harmsschen Künstler- 
konzerte hat uns die wundervollen Vorträge der Meininger 
Hofkapelle unter Regers Leitung mit Fritz Hirt (Violine) als 
Solisten gebracht; ferner das Pariser Kellert-Trio, das sich hier 
bestens einführte. Anna Hegner, als gediegene Geigerin hier 
gut bekannt, mit unserem Tonkünstler Julius Weismann am 
Klavier, endlich die beiden holländischen Meistersingerinnen 
Aal tja Noordewier-Reddingius und Pauline de Haan-Mani- 
farges unter Mitwirkung des Pianisten Adolf Knotte. — Die 
Freiburger Kammermusik-Feste, eine weitere höchst dankens- 
werte Schöpfung des Herrn E. Hanns, iährten sich diesmal 
zum siebenten Male. An den Abenden aes S-, 7. und 8. Mai 
wurden uns lauter Stuttgarter Künstler — das Wendling- 
Quartett unter Mitwirkung der Mitglieder der Kgl. Hofkapelle 
von Akimoff, Jakob, Kozäk und Berthold (Streichinstrumente), 
Max v. Pauer und Hermann Weil — zu Vermittlern herr- 
licher Genüsse, als welche wir hier nur die wahrhaft künstle- 
rische Wiedergabe von Beethovens Trio op. 97, Brahms’ 
Quartett op. 26, Friedrich Kloses für hier neuem Streich- 
quartett Esdur, Mozarts Streichquintett gmoll und den 
Streichoktetten von Svendsen und Mendelssohn hervorheben 
möchten. — Schließlich seien noch erwähnt ein Kammer- 
musikabend unserer einheimischen gediegenen Musiker, Rud. 
Weber (Violine), Thom. Jackson (Violoncello), und des famosen 
Pianisten Alfred Hoehn (Frankfurt), sowie die beiden treff- 
lichen Aufführungen unseres „Chorvereins“ unter K. Beines’ 
Leitung: Bachs Matthäuspassion mit dem hervorragenden 
Evangelisten des Stuttgarters George Meader und Berlioz’ 
Fausts Verdammung mit den prächtigen Solisten Anna 
Kaempfert, Hans Vaterhaus und Antoni Kohmann. /. — 

Graz. Von den bedeutsamsten Taten heimischer Kräfte und 
nicht von den vielen Gastspielen und Konzerten auswärtiger 
Künstler soll die Rede sein. Im alten Graz herrschte in der 
letzten Spielzeit im Zeichen der modernen Meister reges Kunst- 
getriebe. Mit dem Opernorchester, vereinigt mit dem steier- 
märkischen Musikverein, boten Dr. R. v. Mojsisovics und 
L. Seite höchst anregende Symphoniekonzerte. Musikvereins- 
direktor v. Mojsisovics führte von Modernen Rudi Stephan 
(eins. „Musik f. Oreh.“), Hausegger („Gesänge“ für Bariton 
u. Orch.), Liszt („Orpheus"), Wolf („Penthesilea") und Strauß 
(„Festl. Präludium") wirkungsvoll vor. Opemkapellmeister 
Seitz hatte Liszt („Faustsymphonie"), Schillings („Glocken- 
lieder" und „Pfeifertag" -Zwischenspiel), Nicod6 (Symph. 
Variat.) und Strauß („Also sprach Zarathustra' ) gewählt. 
Auch O. Posa ließ es sich an der Spitze des Opernorchesters 
nicht nehmen, dem größten modernen Meister zu huldigen, 
indem er den oft bejubelten „Till Eulenspiegel" Straußens 
zu klingendem Leben erweckte. Hypermodern ließ sich auch 
der „Deutsche Konzertverein" mit seinem Dirigenten Dr. Lem- 
berger an, als er u. a. die Bekanntschaft mit A. Schönbergs 
etwas seltsamer „Kammersymphonie" vermittelte. Einen er- 
habenen künstlerischen Genuß bereitete der „Grazer Männer- 
gesangverein" (Dir. Frans Weiß) mit der wiederholten Auf- 
führung von Bachs „Matthäus-Passion“ und zur Sensation 
gestaltete sich die sehr gelungene Wiedergabe der , Achten" 
Mahlers durch den deutsch-akadem. Gesangverein „Gothia" 
(Dir. Dr. /. Weis v. Ostborn) mit ersten Gasten, einem ver- 
stärkten Orchester und einem Riesenchore von über einhalb - 
tausend Kehlen. Ueber die erfolgreichen Uraufführungen an 
unserer Oper, von Sepp Roseggers „Litumlei" und J. Wahr- 
manns „Hexlein", habe ich bereits Kunde gegeben. 

Julius Schuch. 

Lemberg. Die heurige Konzertsaison war reich an künst- 
lerischen Erfolgen und sensationellen Begebenheiten. Für die 
ersten sorgte das seit einer Reihe von Jahren ersprießlich wir- 
kende Konzertbureau M. Türk, für die zweiten eine neu ent- 
standene Agentur des Joseph Lau. (Ueber die Tätigkeit dieses 
Herrn wollen wir nicht water berichten. Wir können unsere 
Meinung in dem Wunsche zusammenfassen, daß uns Herr Lau 
in Zukunft mit seinen „Unternehmungen“ verschonen möge.) 
Die Konzerte des Galizischen Konzertbureaus M. Türk er- 
freuten sich eines großen Zuspruches, was als selbstverständ- 
lich betrachtet werden kann, wenn man die Namen der konzer- 
tierenden Künstler liest: Selnia Kurz (zweimal), Pablo Casals, 
Joseph Sliwinski, Eugene Ysäye, Wanda Landowska, die 


Prager Philharmonie (zweimal), unter Dr. Zemanek, Georg 
Baldanoff, Lydia Lipkowska, Eugene d’Albert, MischaElman, 
Ignatz Tiegermann, der kleine Geiger Feuemiann, Dalmores, 
die Schwestern Wiesenthal u. v. a. Außerdem gab es einen 
Beethoven-Zyklus (5 Abende), in dem die Brüsseler sämtliche 
Quartette mit vollendeter Meisterschaft vortrugen. Ein zweiter 
Zyklus war den Klavierwerken Chopins gewidmet und Artur 
Rubinstein der ausgezeichnete Interpret. — Der Galizische 
Musikverein brachte als einen Höhepunkt die seit längerer 
Zeit vorbereitete „Missa solemnis“. — Zu Ehren des sein 
5ojähriges Künstlerjubiläum feiernden Direktors des Musik- 
vereines in Krakau, Dr. Wladislaw Zelenski, fand ein Jubi- 
läumskonzert statt, dessen Programm ausschließlich die Werke 
des greisen Künstlers bildeten. Immer größerer Beliebtheit 
erfreuen sich die Kaminermusikabende des Musikvereines, an 
denen die Professoren des Konservatoriums uns hauptsächlich 
mit neuen Werken bekannt machen. — Von einheimischen 
Künstlern konzertierten das Künstlerpaar Robert Perutz und 
Vilem Kurz (Sonatenabend), deren großes Können allgemein 
anerkannt wurde, dann die Sängerinnen Matylda Lewieka und 
Eleonore Tatarczuch, sowie die Geiger Waclar Kochanski und 
Szwar zenstein. — Als Neuheit führte der hiesige Gesangverein 
„Lutnia“ solche Vortragsabende ein, wie sie früher mit großem 
Erfolge das „Kolo Muzyczne“ arrangiert hat. — Von der Oper 
ist nicht viel zu berichten. Nur zwei neue Werke „Pieque 
Dame“ und „Tiefland“ wurden aufgeführt und „Norma“, 
„Robert der Teufel“ sowie „Othello“ wurden neu einstudiert, 
keines dieser Werke jedoch erfreute sich einer größeren Auf- 
führungszahl. Das Ensemble war im großen und ganzen das- 
selbe, wie in den früheren Jahren. Von neuen Kräften wären 
der mit einer ausgezeichneten Stimme begabte Tenor Ignatz 
Mann und der intelligente Baritonist Franz Freszel zu nennen. 

Alfred Plohn. 

Münster 1. W. Reges Musikinteresse findet man in unserer 
Stadt. Die von Umversitätsmusikdirektor Dr. Niessen ge- 
leiteten acht Konzerte des Musikvereins haben an neuen 
Werken die liier zum erstenmal gespielte Bläserserenade von 
R. Strauß, Pfitzners Ouvertüre „Christelflein“ und Weismanns 
Kantate „Macht hoch die Tür“ gebracht. Gernsheim diri- 
gierte im dritten Konzert seine II. Symphonie in Esdur, 
dem Andenken Draesekes war im zweiten Konzert eine Auf- 
führung seiner tragischen Symphonie gewidmet. Die Gdur- 
Serenaae Max Regers, die im vorigen Jahre unter Leitung 
des Komponisten hier aufgeführt wurde, erfuhr „auf viel- 
faches Verlangen“ eine Wiederholung, ein Beweis, welche 
Hochschätzung die Kunst dieses Komponisten hier findet. 
Beethoven, Bach, Brahms, Bruckner (II. Symphonie), Schubert 
waren als Meister früherer Epochen vertreten. Im Kammer- 
musikabend trat das Böhmische Streichquartett auf (im 
Verein mit Dr. Niessen). Das zweitägige Cäcilienfest brachte 
am ersten Abend F. Woyrsdis Totentanz, am zweiten Brahms’ 
Haydn- Variationen und Gesang der Parzen, ferner die Bach- 
sche Kantate „Mein Herz schwimmt in Blut“, Wagners Sieg- 
fried-Idyll, mehrere Gesangssoli und das • von Bottenmmd 
tadellos gespielte Cellokonzert von d’Albert. Als neue Er- 
scheinung in unserem Musikleben trat in diesem Jahr eine 
Kammermusikvereinigung auf, die, von hiesigen Künstlern 

f ebildet, in mehreren Konzerten verschiedene Meisterwerke 
er klassischen Kammermusik zu Gehör brachte. Unser 
Theater, das trotz ungünstiger äußerer .Umstände unter 
Leitung des Herrn Leopold Sachse zu respektabler Höhe sich 
emporgeschwungen hat, brachte in Oper und Operette manches 
Interessante; von neuen Werken Fivriers „Monna Vanna“ 
sowie die witzige Offenbachiade „Die Heimkehr des Odysseus“ 
von Ettlinger und Motz, Musik von Dr. Leopold Schmidt, 
der das Werk selbst leitete. Im übrigen hielt sich das Re- 
pertoire in den gewöhnlichen Bahnen, erwähnen könnte man 
noch Saint-Saens’ „Samson und Dalila“, Wagners „Rhein- 
gold“ (mit Frederich als Loge) und die seit zwölf Jahren 
wieder zum erstenmal aufgefuhrte „Versunkene Glocke“ von 
Zöllner. K. L. 

Weimar. Nachdem ich das letztemal über die Haupt- 
momente der Oper berichtete, gilt es heute, der wichtigsten 
und für Weimar interessanten Konzerte zu gedenken. Wunder- 
volle Genüsse vermittelten da wieder die Brüsseler, einen be- 
achtenswerten Erfolg hatte auch das J enenser Streichquartett. 
Einen vollen Saal hatte Ludwig Wüllner, der wieder wie im 
Vorjahre starke Anziehungskraft ausiibte, aber bisweilen doch 
enttäuschte, besonders da, wo das rein gesangliche Element 
zu stark in den Vordergrund zu treten hat. Man kann bei 
Wüllner doch nur das Dramatische allein ungetrübt genießen. 
Wertvolles in jeder Beziehung und Hochkünstlerisches gaben 
vor allem Frau Lula-Mysz-Gmeiner, ilire Schwester Frl. Luise 
Gmeiner wirkte erfolgreich als Pianistin mit, und eine für 
Weimar neue Sängerin war Frl. Elisa Stintzner aus Dresden, 
die mit prächtigen Stimmitteln ausgestattet, eine staunens- 
werte Vielseitigkeit des Charakterisierens mit seltenem Charme 
vereinigt. Von Sängerinnen, die eigene Konzerte gaben, war 
es in erster Linie Frl. Leonore Wallner, die sich eines bedeu- 
tenden künstlerischen Erfolges zu erfreuen hatte, und in ihrer 
innerlich gesteigerten Vortragskunst au Wüllner erinnern 


439 



konnte. Neu für Weimar waren ferner der beachtenswerte Geiger 
Fidelmann (Sain). Gegen Schluß der Saison hörten wir dann 
noch Gura, der meisterhaft schön Balladen sang und als Extra- 
fconzert der Hofkapelle gab es die „Graner Messe“ von Liszt, 
unter Peter Raabes Leitung. So endigte in Weimar eine 
Konzertsaison, die an Genüssen viel des Guten und Künst- 
lerischen brachte, viel des Mittelmäßigen, das hier keine Er- 
wähnung fand. Welche Flut an Veranstaltungen einsetzen 
wird, wenn erst die neu zu erbauende und bereits in Angriff 
genommene Konzert-Stadthalle fertig ist, läßt sich jetzt schon 
mit Schrecken voraussehen — doch bis dahin ist noch Zeit. 

Gustav Lewin. 


Neuaufffihrungen und Notizen. 


— Das K. Hoftheater in Stuttgart kündigt außer der Ur- 
aufführung der „Monna Lisa“ von Schillings eine Reihe Neu- 
einstudierungen an. Gleich der Beginn der Saison bringt 
Meyer beers große Oper „Die Hugenotten“ in völlig neuer 
Ausstattung. Vor allem ist dann Mozarts „Zauberflote“ zu 
nennen, die nun ebenfalls, wie bereits früher die übrigen 
Mozart-Opern, mit von Prof. Pankok entworfenen neuen Deko- 
rationen in Szene gehen wird. Ferner wird Puccinis Boheme“, 
Adams „Postillon von Lonjumeau“, Wolfs „Corregidor“, „Or- 
pheus und Eurydike" von Gluck, zugleich als Feier seines 
200. Geburtstages, Kreutzers „Nachtlager von Granada" und 
Boieldieus „Weiße Dame“ nach längerer Pause wieder neu 
einstudiert im Spielplan erscheinen. 

— In der Zoppoter Waldoper ist im Juli Webers „Freischütz“ 
gegeben worden. Den Erwartungen, wie die szenischen 


Schwierigkeiten überwunden sein würden, entsprach ein glän- 
zender Erfolg. Die „Wolfsschlucht" wirkte in dieser Auf- 
machung auf der Waldbühne mit Naturtreue. Hier feierte 
die nun schon so oft in der Zoppoter Waldoper bewährte Regie- 
kunst von Oberregisseur Paul Walther-Schäffer (vom Neuen 
Stadttheater in Chemnitz) ihre Triumphe. Zu den Solopartien 
waren hervorragende, auswärtige Kräfte herangezogen: Lotte 
Lehmann (von der Hofoper in Wien) als Agathe, Paula Ulm 
(von der Hofoper in Dresden) als Aennchen, Richard Tauber 
(von der Hofoper in Dresden) als Max, Kammersänger Otto 
Göritz (vom Metropolitan-Opera-House in New York) als Caspar 
und Georg Zottmayr (von der Hofoper in Dresden) als Eremit, 
neben denen noch der Dirigent Dr. Heß (erster Kapellmeister 
am Stadttheater in Danzig) rühmlich zu erwähnen ist. Auch 
die dekorative Malerei von Kunstmaler Theodor Urtnowski- 
Zoppot fügte sich sehr eindrucksvoll in den Rahmen der 
Waldbühne ein. W. D. 


— Alfred Kaiser hat sein neues Werk „Das Bild der Beatrice“ 
vollendet. Der Stoff behandelt eine tragische Episode aus dem 
Leben Guido Renis. Den zweiten Akt hat Kaiser viermal 
komponiert, ehe er sich mit dem Resultat seiner Arbeit zu- 
frieden gab. 

— Von den englischen Kritikem hat sich keiner so abfällig 
über Straußens „Josephs-Legende“ ausgesprochen, wie gerade 
Ernest Newman. Selbst die „Signale“ bemerken aber dazu, 
daß Newman über das Ziel hinausschieße, wenn er meint, 
man müsse Strauß nunmehr zu den musikalisch Toten zählen. 
— Ein altes Sprichwort sagt, daß die Totgesagten das längste 
Leben haben. Und Strauß ist schon oft totgesagt worden. 


— Ueber die Konzertskala der verflossenen Saison werden 
folgende Angaben gemacht: Während sich in Berlin die Kon- 
zerte in letzter Saison noch um ein halbes Hundert gegen den 
vorangegangenen Winter vermehrt hatten, ließ sich in München 
ein geringes Nachlassen konstatieren (etwa ein Dutzend Kon- 
zerte weniger). Dafür kommt Wien mit einer Zunahme von 
etwa 30 Prozent. Daran ist in erster Linie die Eröffnung 
des Neuen Konzerthauses schuld. In den meisten anderen 
deutschen Städten ist eine geringe Zunahme, in anderen eine 
geringe Abnahme zu konstatieren. 

— Der Akademische Gesangverein zu St. Pauli in Leipzig, 
einer unserer besten studentischen Gesangvereine, hat unter 
Leitung seines Dirigenten, des Universitätsmusikdirektors 
Prof. Dr. Friedrich Brandes, in seinem letzten Sommerkonzert 
eine Tondichtung „Im Nachtschnellzug" aufgeführt, deren Text 
aus der Frühzeit von Gerhart Hauptmanns Schaffen stammt. 
Der Komponist des erstmalig gesungenen Werkes, Willy 
v. Moellendorf, hat für die Eigenart dieser Dichtung, die stark 
stimmungsmalend angelegt ist, prägnanten musikalischen Aus- 
druck gefunden; sein Werk wurde stark beifällig aufgenommen. 

F. E. W—n. 

— Eine eigenartige musikalische Veranstaltung war von der 
Leipziger Buchgewerbeausstellung geplant. Im russischen 
Pavillon sollte während der Monate August und September 
ein Zyklus von Konzerten gegeben werden, der die Entwicklung 
der russischen Musik von Glinka bis zur Gegenwart (das rus- 
sische Volkslied, Kammermusik, Oper) zum Ausdruck bringen 
wird. Den einleitenden Vortrag sollte der Petersburger Musik- 
schriftsteller Eugen Braudo halten. Uraufführungen von 
Mussorgski, Skrjabin, Prokofiew und Nettner sollten ver- 


bunden sein. Dieser Plan ist natürlich nicht zur Ausführung 
gekommen. 

— Piemis „Kinderkreuzzug" hat seine hundertste Auf- 
führung auf der Kölner Werkbundausstellung erlebt; der Kom- 
ponist war zu dieser Gelegenheit von Paris herübergekommen, 
um sein Werk selbst zu dirigieren. 

— Beim 12. Fränkischen Sängerbundesfeste zu Bamberg 

hat die Sängervereinigung Nürnberg (600 Sänger) unter Leitung 
ihres erprobten Bundeschormeistos, Hauptlehrer L. Freitag, 
eine der jüngsten Kompositionen des bekannten Stuttgarter 
Komponisten Julius Wengert, „Fata morgana“, in geradezu 
vollendeter Weise aufgeführt. In andachtsvoller Stille lausch- 
ten die versammelten Sänger (über 7000) den Melodien., Als 
der Schlußteil im duftigsten „pp“ verklungen war, setzte 
brausender Beifall ein, der sich wiederholte, als der anwesende 
Komponist an der Seite des Dirigenten auf dem Podium 
erschien. — n. 

— Das Waldemar Meyer-Quartett , das das Streichquartett 
des amerikanischen Komponisten Stülman-Kelley auf dem 
Altenburger Musikfest, in Dresden und in Berlin in der ameri- 
kanischen Kolonie gespielt hat, ist aufgefordert worden, das 
Werk in 30 Konzerten in Amerika zu spielen. 



— Ein unveröffentlichter Lohengrin-Brief Wagners an Liszt. 
Michael Balling, der die Revision der neuen Partiturausgabe 
der Bühnen werke Richard Wagners besorgt und diese Revision 
an Hand der Originalpartituren vomimmt, veröffentlicht in 
der Vorrede zur soeben erschienenen „Lohengrin“-Partitur 
einen bisher noch unbekannten Brief Wagners an Franz Liszt, 
der, wie die Vorrede dieses Bandes überhaupt auch weitere 
Kreise interessieren wird. Sie seien deshalb beide hier mit- 
geteilt: In einem schönen Schrein gotischen Stiles bewahrte 
Franz Liszt die ihm von Wagner im Jahre 1853 dedizierten 
Partituren zum „Fliegenden Holländer“, zu „Tannhäuser“ und 
„Lohengrin“ auf. Nach Liszts Tode kam der Schrein mit 
seinem wertvollen Inhalte in den Besitz seiner Tochter, Frau 
Cosima Wagner. Da ich nun die „Lohengrin“-Partitur zum 
erstenmal im Wahnfried- Archiv aus dem Schreine nahm, 
traute ich meinen Augen kaum — denn der Band, der die 
Partitur sein sollte, war nur wenig stärker als der gedruckte 
Klavierauszug des Werkes; ich bekam einen kleinen Schrecken, 
als ich diese Wahrnehmung machte und sagte mir sogleich — 
das kann höchstens nur ein Akt, nicht aber die ganze „Lohen- 
grin“-Partitur sein ! — Beim Aufschlagen des Bandes wurde ich 
schnell eines anderen belehrt, — es war die ganze Partitur, 
alle drei Akte | — und den Grund, wie das möglich sei, erkannte 
ich auch sogleich — das Papier, welches Wagner für die Partitur 
benutzte, ist fast so dünn, wie japanisches Seidenpapier. — 
Wie der Meister es möglich machte, daß auf einer einzigen 
Seite der wundervoll geschriebenen Partitur die Noten von der 
vorhergehenden Seite durchgeschlagen sind, ist mir ein Rätsel; 
seine Hand muß wie ein Zephyr über das Papier geschwebt 
sein; dabei ist die Schrift nicht etwa sehr dünn und klein, 
sondern sehr deutlich und leicht lesbar. Ich halte die Hand- 
schrift dieser Partitur für ein Wunderwerk der Schreibekunst. 
— Der Partitur lag folgender Brief bei: „Liebster Freund! — 
Den Schrecken, den ich beim Erhalt Deines letzten Briefes 
durch das Innewerden eines Irrtbumes Deinerseits, oder einer 
Vergessenheit meinerseits (noch weiß ich nicht, an was mich 
halten ?) empfand, konnte nur die Freude überbieten, wahr 
zu nehmen, welchen Werth Du auf ein beziehungsvolles Ge- 
schenk von mir legst. Was nach dieser Erfahrung meine 
Original-Partituren m meinem Schranke, wo sie von mir ziem- 
lich lieblos und unbeachtet gehalten werden, noch länger zu 
vertreten haben, begreife ich nicht; das aber weiß ich, daß ich 
ihnen keine bessere Bestimmung bieten kann, als von Dir als 
Eigenthum bewahrt zu sein. Um die Trilogie vollständig zu 
machen, mußte ich auch den Tannhäuser nnt einschmuggeln, 
der allerdings wohl mittelbar, nicht aber unmittelbar von meiner 
Handschrift herrührt: jedenfalls wird aber auch Er besser die 
Stelle eines Freundesgeschenkes vertreten, als jene von einem 
Kopisten geschriebene Holländer-Partitur. Mach’ mir nun die 
größte Freude, die drei Kinder wohl aufzunehmen! Meine 
Dir noch schuldige Antwort kann ich Dir erst Mitte Februar 
zukommen lassen. — Lebe wohl und verzeih’ Deinem ewig 
verpflichteten R. W.“ 

— Zum Gluck-Jubiläum. Der Vorstand der „Gluck- Gesell- 
schaft“ (Prof. Dr. Hugo Riemann, Dr. H. Loewenfeld, Dr. 
O. v. Hase) teilt mit, daß die Gesellschaft als „Jubelgabe“ 
für ihre Mitglieder den Orpheus in der Bearbeitung von Pro- 
fessor Hermann Abert vorbereite, die soeben in den öster- 
reichischen Denkmälern erschienen ist. Ferner sind als Ge- 


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seilschaftsgaben für die Mitglieder das Gluck- Jahrbuch 1913 
veröffentlicht worden, herausgegeben von Prof. Dr. Hermann 
Abert, sowie ein Heft bisher noch unveröffentlichter Stücke 
des ersten Aktes aus Glucks Oper „Demofbonte“ nach den 
in der Bibliothek des Pariser Konservatoriums befindlichen 
handschriftlichen Vorlagen herausgegeben von. Julien Tiersot, 
Paris. Die Gluck- Gesellschaft legte zu Ehren des Andenkens 
Chr. W. Glucks an seinem 200. Geburtstage (2. Juli) an dem 
ihm in seinem Geburtsorte Weidenwang errichteten Denkmale 
einen Lorbeerkranz nieder. Auch bei der von der Gemeinde 
Weidenwang -zu Ehren ihres großen Sohnes am Sonntag, den 
5. Juli, veranstalteten Jubelfeier war die Gluck-Gesellschaft 
vertreten. 

— Zur Abwehr. In der Zeitschrift der Internationalen Musik- 
Gesellschaft (Jahrg. 15, Heft 10/11) schreibt unter dem Stich- 
wort „Zur Abwehr“ Herr Prof. Dr. Abert sehr ärgerlich über 
unsere Bemerkung in Heft 19 zu seiner Verarbeitung 'des 
Gluckschen „Orpheus“. Dort hieß es: „Wenn Musikgelehrte 
sich auf das praktische Mnsikgebiet begeben, gibt’s nicht selten 
ein Unglück.“ Dieser Satz bezieht sich durchaus nicht, wie 
Herr Abert fälschlich bemerkt, auf alle Musikgelehrte (wie 
jeder, der lesen kann, von selber sieht). Daß er bedingte 
Gültigkeit hat, ist vom Haller Musikprofessor unumstößlich, 
wie selten, bewiesen. Wenn Herr Abert in seinem Aerger 
auch aufs persönliche Gebiet übergeht und ironisch bemerkt, 
daß unser Redakteur ihn vor einiger Zeit aufgefordert habe, 
einen Aufsatz über Gluck für unser Gluck-Heft zu schreiben, 
so können wir ihm versichern, daß wir Herrn Abert ohne jede 
Aufforderung gelassen hätten, wenn uns sein Orpheus damals 
bekannt gewesen wäre. Es ist jetzt keine Zeit zum Polemi- 
sieren. Wir möchten uns nur die Frage erlauben, warum es 
Herr Abert verschweigt, daß diese Aufforderung zur Mit- 
arbeit vor der Orpheus-Aufführung lag? 

— Beethoveniana. Wir lesen: Es geschieht nicht oft, daß 
große Originalmanuskripte Ludwig van Beethovens 
in den Handel gelangen. Die meisten Handschriften liegen 
für immer wohlverwahrt in Museen und kommen nicht mehr 
in die Gefahr, unstät von einer Sammlung in die andere durch 
die Welt zu wandern. Um so interessanter ist die Tatsache, 
daß ein Manuskript Beethovens unlängst aus Wiener Privat- 
besitz in den Handel gekommen ist und nun in einem Leipziger 
Antiquariat zum Verkauf steht. Es handelt sich um das 
43 Blätter in Querfolio umfassende Manuskript zu Beethovens 
berühmtem Opus 120: „33 Variationen über einen Walzer 
von A. Diabelli.“ Die Blätter, deren Echtheit außer allem 
Zweifel steht, sind in einem eleganten resedafarbenen Plüsch- 
einband mit vergoldeten Beschlagen gebunden, die mit Email 
und imitierten Rubinen besetzt sind. In dem Mittelschilde 
steht der von dem blauen Pappumschlage des Manuskripts 
entnommene, nicht von Beethovens Hand herrührende, schön 
gravierte Titel. 

— Von den Genossenschaften. Die Genossenschaft Deutscher 
Tonsetzer ist mit ihrer Klage gegen 31 Musikalienverleger am 
14. Juli vor dem Landgericht I in Berlin kostenpflichtig ab- 

e wiesen worden. Der Rücktritt der Musikalien Verleger von 
em Vertrage mit der Genossenschaft besteht somit zu Recht. 

— Trauerfeier für Herzog Georg. In Meiningen ist eine 
Trauerfeier für Herzog Georg, vornehmlich auf Max Regers 
Veranlassung und unter seiner Mitwirkung veranstaltet worden. 
Der Ertrag der Feier lieferte den Fonds für das Denkmal, 
das dem Herzog in Meiningen gesetzt werden wird. Reger 
spielte drei Choralvorspiele von Sebastian Bach; ein Prolog, 
in dem Max Grube, der langjährige Regisseur der Meininger, 
seiner Liebe zu Herzog Georg und Meiningen Ausdruck verlieh, 
wurde von Regisseur Franz Nachbaur (Meiningen), der dem 
Herzog auch persönlich sehr nahegestanden hat, gesprochen. 
Alma Moodie spielte eine Chaconne für Violine von Vitali, ein 
Largo von Reger und mit ihm zusammen die fmoll-Sonate 
von Bach, für Violine und Klavier. Dr. Rolf Ligniez (Heidel- 
berg) sang Schubert-Lieder. Eine freie Orgelphantasie von 
Reger, eigens für die Feier komponiert, bildete den Abschluß, 
zugleich den Höhepunkt der Feier. 

— Von den Konservatorien. Seinen 30. Jahresbericht sendet 
uns ein das Großh. Konservatorium für Musik in Karlsruhe 
(die Stadt gibt jährlich 6000 M. Zuschuß) ; den 20. das Kon- 
servatorium der Musik in Mannheim (mit einem Vorwort, 
Literatur für den Musikunterricht und die Kunst, von Heinrich 
Neal); den 15. die Hochschule für Musik in Mannheim (nebst 
einer Abhandlung : Tonmalerische Momente in Schuberts Lieder- 
begleitungen von Prof. Karl Zuschneid). 

— Jahresberichte. Seinen X. Jahresbericht: „Zehn Jahre 
Berliner Volkschor“ sendet uns diese Vereinigung in Berlin. 
Man ersieht daraus, wie verdienstvoll und großzügig der von 
Dr. E. Zander ins Leben gerufene Chor im ersten Dezennium 
seines Bestehens gewirkt hat. (Die „N. M.-Z." brachte eine 
Abhandlung in Heft 19 des 33. Jahrgangs.) — Den 1. Jahres- 
bericht sendet uns der St. Michaelis-Kirchenchor in Hamburg. 
Dirigent ist der bekannte Organist Alfred Sittard. 

— Von dem Tonkünstlerverein. Der „Berliner Tonkünstler- 
Verein“ versendet den von dem langjährigen Vorsitzenden 
Adolf Göttmann verfaßten Jahresbericht über das verflossene 


Vereinsjahr. Seine 20000 Nummern starke Bibliothek hat 
der Verein seit dem 1. November 1908 zur Volksbibliothek 
erweitert. Die Zentrale der Musik -Volksbibliothek, von 
der Stadt Berlin unterstützt, hatte im abgelaufenen Jahre 
9082 Ausleihungen, die Filiale, von Charlottenburg sub- 
ventioniert, deren 9116. Die Einrichtung einer Stunden- 
und Konzertvermittlung beginnt ebensolche segensreiche 
Früchte zu tragen wie die seit Jahren stark in Anspruch 

f enommene Krankenkasse sowie die Unterstützungs- und 
Jarlehenskasse. Das Gesamtvermögen betrug am Ende 
des vorigen Jahres 81 795 Mark. 

— Erfreuliches von der Operette. Der Operettenkomponist 
Edmund Eysler hat fiir das vor einem Jahr eröffnete Inter- 
nationale Musiker-Erholungsheim in Baden (bei Wien) eine 
Stiftung errichtet. Er widmete dem Institut den Betrag von 
zweieinhalb Prozent aller seiner Tantiemen und Verlegerhono- 
rare. Oskar Nedbal hat dem Heim ein Prozent seiner Tantiemen 
und Verlegerhonorare gewidmet. 

— Ein Protest Carusos. Eine Musikpädagogin hatte Caruso 
vor einiger Zeit beschuldigt, für sein neuerdings viel erörtertes 
Buch über Gesangstechmk aus einer ihrer Schriften ganze 
Seiten entlehnt zu haben. Im „Corriere della Sera“ erklärt 
Caruso jetzt, daß er das betreffende Buch überhaupt nicht 
verfaßt habe, daß er gegen diesen Mißbrauch seines Namens 
vielmehr protestieren müsse. 

— Ernst v. Schuch und Graz. Professor Otto Urbach in 
Dresden schreibt uns: In meinem Nachruf für Ernst v. Schuch 
(Heft 17 dieses Jahrgangs) sind mir zwei falsche Angaben 
unterlaufen, deren öffentliche Berichtigung ich für eine Khren- 

S flicht ansehe. Es handelt sich um die Angaben, daß Graz, 
ie Geburtsstadt Schuchs, zu jener Zeit „noch fast ganz im 
italienischen Sprachgebiete“ gelegen habe und daß die Grazer 
Oper damals „italienisch“ gewesen sei. Ich möchte aus- 
drücklich betonen, daß es wohl kaum jemand nüt höherer 
Freude erfüllen kann, daß obige Angaben nicht den Tatsachen 
entsprechen, als mich selbst. 


Personalnachrichten. 

— Generalmusikdirektor Dr. Philipp Wolfrum in Heidelberg 
ist vom Großherzog von Baden zum Geheimen Hofrat ernannt 
worden. 

— Die Chorvereinigung Berliner Aerzte hat in ihrer letzten 
Generalversammlung Prof. Siegfried Ochs zum Ehrenmitglied 
gewählt. 

— Intendant Bernau hat die Leitung des Mannheimer Hof- 
und Nationaltheaters niedergelegt. Seme Stellung, die er erst 
im vergangenen Jahre antrat, war durch verschiedene Um- 
stände unhaltbar geworden. Das Vertragsverhältnis ist mit 
gegenseitigem Einverständnis gelöst worden. 

— Musikdirektor Fr. Hayn in Ulm ist vom Göppinger 
Oratorienverein als Dirigent gewählt worden; er wird in Göp- 
pingen erstmals das Brahmssche Requiem zur Aufführung 
Dringen. 

— Hellmuth Gringel ist nach Beendigung seiner wissen- 
schaftlichen und pianistischen Studien am Höheren Musik- 
institut in Königsberg i. Pr. dort als Lehrer eingetreten. 

— Der bekannte finnische Komponist Jean Sibelius, der 
kürzlich auf eine Einladung des Norfolk Music Festival hin in 
Amerika die Uraufführung seines neuesten Orchesterwerkes 
„Die Oceaniden“ veranstaltete, ist bei diesem Besuche von 
der Yale University in New Haven (Connecticut) zum „Doctor 
of Music" ernannt worden. Präsident Hadley, der Rektor 
der Universität, promovierte Sibelius, der übrigens früher Jura 
studiert hat, mit einer Rede, aus der folgende Sätze mitgeteilt 
seien: „Dr. Jean Sibelius, durch und durch national in seiner 
musikalischen' Erfindung, hat sich schon lange Finnland, 
Deutschland und England erobert. . . . Was Wagner für die 
altgermanische Sagenwelt bedeutete, das wurde Dr. Sibelius 
in seiner besonderen Art für die finnischen Legenden, die in 
der Kalevala, dem finnischen Nationalepos, verkörpert sind.“ 

— In Leipzig ist im Alter von 67 Jahren ein Musiker gestorben, 

der in langjährigem Wirken im Ausland den deutschen Namen 
und deutsche Kunst zu Ehren gebracht hat: August Reiter. 
Er wurde 1847 in Wiesenfeld im Thüringischen geboren und 
studierte in Leipzig Musik von 1869 — 75" an der Universität 
und dem Konservatorium. Das Kriegsjahr 1870/71 unterbrach 
seine Studien Der damalige Leiter des Konservatoriums, 
Schleinitz, empfahl später den tüchtigen Schüler an Mendels- 
sohn und erwirkte ihm die Aussicht auf Anstellung als Lehrer 
am Konservatorium. Reiter lehnte indes ab und ging nach 
Aberdeen, der bekannten schottischen Universitätsstadt, wo 
er schnell auf die musikalischen Verhältnisse bedeutenden 
und leitenden Einfluß gewann. In den dreißig Jahren seines 
Wirkens entstand dort eine Philharmonische Gesellschaft; er 
gründete auch ein großes Orchester, um fortan Konzerte 
großen Stües zu veranstalten, wie sie in Leipzig üblich waren. 
Die letzten Lebensjahre hat Reiter in aller Stille in Leipzig 
zugebracht. F, E. W — n. 


441 



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Neue Klaviermusik zu zwei Händen (Unterhaltungsstücke). 

Paul Seellg: Lagoe-lagoe, lyrische Stücke aus dem Sunda- 
archipel. 2 Hefte, op. 18 und 21. Zu beziehen durch Hug 
ä 2.50 M. netto, (m.) Eine merkwürdige Sammlung ! Diese volks- 
tümlichen, liedartigen Sätze in ihrem klangvollen, eleganten 
Satz sind wirklich originell. Schade, daß wir die offenbar 
holländisch oder norwegisch ? gehaltenen Ueberschriften der 
16 Stücke nicht verstehen. Lagoe bedeutet wohl „See“, 
Krontjong „Krönung“, Stambul wohl Konstantinopel. Sonst 
aber bringt man nichts heraus, das uns Anhaltspunkte für 
Entstehung und Auffassung der Stücke gäbe. Die Verse 
über einzelnen Nummern hätten wohl in eine Kultursprache 
übersetzt werden dürfen. Allem Anschein nach sind es teils 
musikalische Stimmungs- und Landschaftsbilder, teils Auf- 
zeichnungen von Volksliedern verschiedener Herkunft, die 
oft interessant und raffiniert harmonisiert sind. Ein Teil 
ist in alten Tonarten gehalten und fremdartig; so ist I No. 3 
vielleicht phrygisch, No. io nordisch in fis moll ohne leitton. 
Heft II No. 3 ist dorisch mit fehlender Sekund und Sexte; 
manche Melodien ließen sich nicht genauer harmonisieren 
und sind über einem stereotypen, dudelsackartigen, natur- 
völkischen Orgelpunkt aufgebaut. Die 2 Hefte sind eine 
Bereicherung der mittelschweren Literatur und machen mit 
einem begabten, feinsinnigen Tonsetzer bekannt, der Neues 
bringt. Wie weit seine eigene Erfindung geht, läßt sich aus 
der Sammlung nicht schließen. 

Emil Kronke, op. 79: Trois valses Srotiques, k 1 M. Verlag 
Leuckart (m.). 

Derselbe, op. 85: Moments valsants, 4 Walzer zusammen 
2 M. Verlag Zimmermann (m.). Der schreibfrohe Komponist 
ist unern Lesern als Autor des riesig dankbaren pathetischen 
Konzertpräludiums op. 25 (Verlag Schmidt) und der Etüden 
in Chopins Stil (Verlag Schweers & Haake, Bremen) vor- 
teilhaft bekannt. Er bewegt sich mit wachsender Geschmeidig- 
keit und viel Glück auf dem glatten Parkett des Salons, vor 
allem des Tanzsalons. Die obigen Walzer sind von bezaubern- 
dem Wohlklang, bequemster Spielart, vornehm, wenn auch 
hie und da schmachtend, mannigfaltig und formvollendet. 
In seinem 

op. 82, 4 Humoresken (2J0 M. Verlag Zimmermann, m.) 
kommen wieder die geraden Taktarten zu ihrem Recht. Leicht- 
füßige, graziöse Rhythmen (No. 1, 2 und 4) wechseln mit 

J iathetischen Gedanken (No. 3 ä la Schumann). Es sind 
auter flüssige, wohlklingende, unwiderstehlich bestrickende 
Plaudereien am Klavier. Ihr Studium fördert die Leichtigkeit 
der Hand und Eleganz des Vortrags. 

Robert Oehme, op. 8: Zwei Klavierstücke, Gavotte (1 M.) 
und Ständchen (80 Pf.). Verlag Fritz Baselt, Frankfurt a. M. 
Der Autor zeigt hervorragendes Talent für die leichtgeschürzte, 
aber anständig bleibende Muse und französische Pikanterie. 
Es gilt für sie, was wir eben über Kronkes Stücke sagten. 

Kath. Paula Funcke: Drei Lieder ohne Worte. Verlag Baselt, 
k 60 — 80 Pf. Gebet, Nachtlied, Klosterliedchen; melodiöse, 
einfache Stückchen; einige ungeschickte Wendungen verraten 
die Anfängerin. 

Elnar Nilson: „ Jedermanns “ Marsch- und Tanzlied, für 
Klavier gesetzt, 1.50 M. netto (m.). Verlag Bote & Bock. 
Nicht bloß die Besucher von Hofmannsthals eindringlicher 
„Moralität“ mit ihrer altdeutschen Anschauungs- und Rede- 
weise (auch hier in Stuttgart im März 1913 aufgeführt) werden 
sich freuen, beim Durchspielen der zwei reizenden Stücke 
aus Nilsons Bühnenmusik sich wieder in die aus zartem Scherz 
und grausigem Schreck gemischte Stimmung zurückversetzen 
zu können. Auch wer das Bühnenspiel nicht kennt, wird 
sich an den naivfröhlichen Klängen der zwei hübschen Ton- 
sätze ergötzen. 

Bungard-Wasem, op. 53: Conchita (in Kommission bei 
'Althaus, Godesberg, 2 M., m.). Noch eine Erinnerung an die 
Zeit kolossaler Walzerproduktion, hervorgerufen durch den 
Wettbewerb der „Woche“. Der Tanz enthält viele hübsche, 
aber kaum neue Einfälle, ist nicht schlechter und nicht besser, 
auch nicht vornehmer als die einst preisgekrönten Elaborate. 

H, Engelmann: Souvenir de Biarritz, 1.50 M. Verlag Klöh- 
ner (m.); ein schneidiges spanisches Walzerintermezzo. 

Oeza HorvÄth, op. 112 a und b: Sirinade franfaise und Bur- 
lesque hongroise. Verlag Klökner, ä 1.25 M. (m.), mit Finger- 
satz. Das erste ein leicht beschwingtes, nicht hervorragendes 
Stück. Das zweite ist wertvoller, es stellt einem energischen, 
rassigen Mollthema echt ungarischen Charakters ein helles, 
lustiges Durthema effektvoll und in dankbarem Satze gegen- 
über. — Das Papier ist leider zü dünn. 

Dr. Kärp&th: Valse de la Riviera. Verlag Klökner, 1.60 M. 
(m.), drei hübsche, nobel gehaltene, leichtspielbare Themen. 


Eugen (Jenö) Kerner: Trois morceaux caracttristiques. 

(Verlag Klökner, ä 1.25 M., m.). I. Cantabile, sehr melo- 
diös und leidenschaftlich, von Grieg beeinflußt; eine Stelle, 
S. 3 und 4 vorletzte und letzte Reihe, findet sich bei St. Heller. 
II. Salome, ein hübscher Walzer, der aber trotz anfänglichem 
Moll von der Leidenschaftlichkeit der Titelheldin nichts an 
sich hat. III. Erotika, ein temperamentvoller Walzer. Kerner 
versteht sich ausgezeichnet auf den Klaviersatz, das merkt 
man auf Schritt und Tritt. 

Laszld: Kinderszenen. 1. Heft, Verlag Klökner, 1.25 M., 
(1. — m.); drei sehr hübsche, leichtverständliche, naiv-herz- 
liche musikalische Bildchen. Befingert. 

K. Pikethy Tibor, op. 5 und 10: je 5 lyrische Stücke ä 2 M. 
(m.). Verlag Klökner. Nicht bloß Titel, wie „Warum ?“, 
„Romanze“, „Klage“, sondern die ganze vornehme Haltung 
der Stücke nach Melodie, Harmonie, und vor allem das cha- 
rakteristische häufige und so unbequeme Iheinanderschieben 
der Hände deuten auf Schumann als das Vorbild für den 
ungarischen Komponisten. Er weiß viel Schönes und Inniges 
zu sagen. Der Fingersatz ist streckenweise angegeben. 

M. Moszkowsky, op. 89: Tanzmomente, 5 Stücke ä 1.50 M., 
Verlag Hainauer. 1. Valse prölude (m.), mit interessanten 
Vorhaltstönen ; 2. Valse mignonne (m), schwer zu lesen, aber 
unschwer zu spielen, sehr niedlich, in Menuettart; 3. Valse 
triste m. — (s.), von Chopinscher Eleganz, Finesse der Har- 
monie und voll Melancholie; 4. Valse tendre (m.), im 1. Thema 
einfach und leicht. Der Mittelsatz in Schumannscher Spiel- 
art. C. Kn. 

Haquinius: Drei schwedische Tänze für Klavier, k 1.50 M. 
(Edition Hansen ). No. 1 ist ganz munter, im Mittelsatz scheint 
die Erfindung etwas zu versagen; No. 2 ist in der Art Schar- 
wenkas gehalten, aber etwas unruhig flackernd; am besten 
dürfte No. 3 wirken. Größere Schwierigkeiten sind nicht 
vorhanden. F. 

Lieder. 

C. Knayer. Des Christen Lied, Musiklieft für Haus und Ge- 
meinde. Unter Mitwirkung hervorragender Tonkiinstler heraus- 
gegeben von Albert Zufavern. Pforzheim. Heft II (M. 150). 
Das Heft enthält 7 Sololieder, zwei Duette und einen dreistim- 
migen Frauenchor mit Harmonium ( Klavier), letzteren auch noch 
mit Violine, und drei Stücke für Harmonium oder Piano. Die 
musikalische Leitung dieses Unternehmens wird von C. Knayer 
besorgt, liegt somit in guten Händen, da Knayer stets dafür 
sorgen wird, daß die hier gebotene religiöse Musik (wenn auch 
die Texte der Lieder „positiv gläubig“ bleiben sollen) nicht den 
Stempel der Heüsarmee- und anderer unserem deutschen 
Empfinden wenig sympathischer Gesänge trage, sondern nach 
dem Wahlspruch: „frisch, fromm, fröhlich, frei“ geartet sei, 
und ein gesunder religiöser Geist die Blätter durchwehe. Aus 
dem uns vorliegenden II. Heft sei besonders die ansprechende 
Vertonung des „Vaterunser“ von B. Leipold, das anmutige 
Lied von P. Hassenstein, das choralvorspielartige Stück von 
A . Kowalsky hervorgehoben. Von C. Knayer wird der dreistim- 
mige Frauenchor, das Karfreitagslied und ganz besonders das 
schlichtschöne Duett , J esus ist da“ mit dem wirksamen Durschluß 
entschiedenen Beifall finden. ’ Dr. Schüz. 

Heinrich Neal: Drei Gesänge: i. Wasserrosen (1 M.), 2. 0 
dürft' ich kämpfen (1.20 M.), 3. Ballszene (1 M.). Verlag 
H. Neal, Heidelberg (Leipzig, Hug & Co.). Der Komponist, 
der uns durch seine „Deutschen Rhapsodien“ seinerzeit schöne 
Proben seiner Kompositionskunst gegeben hat, ist zugleich 
Dichter dieser Gesänge, und den warm, ja heiß empfundenen 
Worten, die vom Leid der Liebe erzählen, entspricht auch 
seine technisch fein ausgebildete Tonsprache. Durch Zartheit 
einerseits und wieder durch Leidenschaft und Kraft des Aus- 
drucks fesselt besonders No. 2. Originell und von ganz eigen- 
artiger Wirkung ist die „Ballszene“, in der ein fein harmoni- 
sierter schwermütig süßer Walzer die Begleitung bildet zu 
den Worten eines Gesangs von hoffnungsloser Liebe. Sch. 


Unsere Musikbeilage zu Heft 22 bringt ein Lied „Mein 
Wesel“ von Gustav Lewin in Weimar. Ein glücklicher Um- 
stand will es, daß das für dies Heft schon früher ausgesuchte 
Lied in seiner Stimmung etwas an die Stimmung dieser Zeit 
anklingt. Hurra, die Regimentsmusik! — Das Amselmenuett 
ist ein musikalischer Scherz zum heutigen Aufsatz von Philipp 
George, Schriftsteller und Major a. D. Es ist sehr hübsch aus 
verschiedenen Amselmotiven zusammengestellt. 


Verantwortlicher Redakteur: Oswald Kühn in Stuttgart 
SchluB der Redaktion am 8. August, Ausgabe dieses Heftes am 
20. August, des nächsten Heftes am 8. September. 


442 





Briefkasten 


Für unaufgefordert eingehende Manu- 
skripte jeder Art Übernimmt die Redaktion 
keine Garantie, Wir bitten vorher an- 
ruf ragen, ob ela Manuskript (schriftstelle- 
rische oder musikalische Beiträge) Auf- 
sicht auf Annahme habe ; bei der Fülle 
des uns zugeschickten Materials ist eine 
rasche Erledigung sonst ausgeschlossen. 
Rücksendung erfolgt nur, wenn genügend 
Porto dem Manuskripte beilag. 

Anfragen für den Briefkasten, denen 
der Abonnementsausweis fehlt, sowie ano- 
nyme Anfragen werden nicht beant wartet. 


A. Soh. in Kl. Die Verhältnisse haben 
sich geändert seit Ihrem Schreiben an uns. 
Wenn Sie uns heute einen guten patrioti- 
schen Text zur Verfügung stellen könnten, 
wären wir von Herzen dankbar. 

SohÜtzenmarseh. Wenn Sie den Marsch 
gleich beurteilt haben wollen, so ist der 
Briefkasten der geeignete Weg- Sonst 
müssen Sie sich gedulden, bis die Reihe 
an ihn kommt. — Hug & Comp, in Leipzig. 

GIuek-Feier in Weidenwang. Sonst sehr 
gerne. Aber in diesen Zeiten hat die 
Polemik zu schweigen. Besten Dank für 
die Zusendung. 


Kompositionen 


Sollen Kompositionen im Briefkasten 
beurteilt werden, so ist eine Anfrage nicht 
erforderlich. Solche Manuskripte können 
jederzeit an uns gesendet werden, doch darf 
der Abonnementsausweis nicht fehlen. 


(RedaktlonSschluß am 6. August.) 


W. K., Sa. Ihren beiden Gesängen nach, 
sind Sie von einem tieferen musikalischen 
Interesse durchdrungen. Die Begleitsätze 
haben ein selbständiges Gepräge, die melo- 
dische Führung ist anmutig, die Stimmung 
ist nicht Übel getroffen. 

. A. B. D. Wenn Sie Ihr Komponieren 
später der Disziplin eines geregelten Unter- 
richts unterwerfen, werden sich ln Ihren 
Arbeiten mehr Spuren einer quellenden 
Empfindung entdecken lassen. Sie machen 
sich Ihre Aufgabe oft gar zu leicht und 
sind zu wenig wählerisch beim Nieder- 
schreiben Ihrer musikalischen Einfälle. . 

B-la H-l, R-ta. Ihr Musizieren ist zu 
oberflächlich, als daß es ein tieferes In- 
teresse zu beanspruchen vermöchte. Sie 
müssen sich erst den Weg zu einem metho- 
dischen Betrieb Ihrer Studien zeigen lassen. 
Temperament und Fleiß seien gern an- 
erkannt. 

Sebastian» Bel aller Einfachheit eine 
sehr nette, ansprechende* Vertonung. 

H. V.» M— bürg. In manchem noch un- 
reif. Sie sollten sich mehr mit klassischen 
Delikatessen beschäftigen. Eine schwache 
Leistung Ut das Oigelpräludium ; es weist 
allerhand Verstöße gegen ganz elementare 
Regeln der Harmonielehre auf. 

H. K. X. Sehr freundliche Gebilde, nur 
ohne Anspruch auf Originalität. 

Car.Lib. „Rokoko“ ziemUch phantastisch. 
Bei wiederholtem Überprüfen gewinnt das 
eigentümliche Stück immer mehr. Es ist 
nicht ohne Feinheiten. 

Max D— nfc. Beide Gesänge bestätigen 
eine nicht gewöhnliche Empfindungstiefe. 
Auch die Begleitsätze lassen künstlerischen 
Feinsinn erkennen. 

K. L. Sp. Ein schönes Talent, das wirk- 
sam zu gestalten versteht. Durch eine 
etwas modernere Untermalung käme der 
schwungvolle Zug Ihrer Gesänge noch mehr 
zur Geltung. 

El nieht doch. Die Fughette ist mit gutem 
kontrapunktischem Geschick behandelt. Die 
Eigennote Ihrer Arbeiten wendet sich nicht 
ans leichte Verstehen; sie geht Herkömm- 
lichem aus dem Weg, dabei mitunter in 
Bizarrerie verfallend. 




Kleins Handbücher der Musikgeschichte 

Herausgegeben von Hermann Kretzschmar: Band V, 1 


ßmbicbte der weltlichen Solokantate 

I. Teil der Geschichte der Kantate und des geistlichen Konzertes 
von Eugen Schmitz. — Geheftet 7 M., gebunden 8.50 M. 

I n vorliegendem Werke wird zum ersten Male eine geschlossene Darstellung 
der Entwicklungsgeschichte der weltlichen Solokantate geboten. Da sich 
die Arbeit mithin fast durchweg als primäre Quellenforschung gibt, mußte in 
ihr der Handbuchcharakter etwas zurücktreten. Besonders wichtige Partien hat 
der Verfasser eingehender, andere dafür wieder mehr skizzenhaft behandelt. Die 
italienische Solokantate, als Ausgangspunkt und Grundlage für alle weitere 
Verbreitung der Form, wurde ihrer Entwicklung nach im ersten Buch besonders 
ausführlich untersucht. Im zweiten Buch fällt der Schwerpunkt auf das die 
Geschichte der deutschen Solokantate schildernde Kapitel, da sich hier sehr 
bedeutsame, bisher kaum beachtete Beiträge zur Kenntnis der vaterländischen 
Musikentwicklung, speziell zur Vorgeschichte des neuen deutschen Kunstliedes 
gewinnen ließen. Dagegen konnte sich die Darstellung der Geschichte der französi- 
schen und mehr noch die der englischen Solokantate im Hinblick auf die relativ 
geringe Rolle, welche unsere Kunstform in jenen Ländern spielte, in engeren Grenzen 
halten. — Erwähnt sei noch, daß dem Werke ein Namenregister angefügt ist. 


Verlag Breitkopf i Härtel ln Leipzig 



Ein modernes hervorragendes Unterrichts werk 
für Klavier! 

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Nene Schule der Technik und 
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In 9 Bänden 


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Nr. 2972/74. Band I — III mit tschech. Text ä M. 3. — 
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443 










Neue Musikalien. 

(Späten Besprechung Vorbehalten.) 

Klaviermusik. 

Schütt, Eduard, op. 95 : Thema 
mit Variationen für Klavier 
3 M. Simrock, Berlin. 

— op. 96: Deux Canzones pour 
Piano Xo. 1 und 2 ä 1.50 M. 
Ebenda. 

Grosz, Ernst : Caprice pour Pia- 
no ä 2 mains 1.20 M. Stein- 
gräber- Verlag, Leipzig. 

— Melodische Vortragsstück- 
chen im Umfange von 5 Tö- 
nen für Klavier 4 ms. H. I/II 
ä 1.50 M. Ebenda. 

Reichel, Bernhard : „Es war 
einmal“, 3 Klavierst. 2 111s. 
2 M. Ebenda. 

— „Grüße von fern“, 3 Klavier- 
stücke 2 ms. 2 M. Ebenda. 

— „Epheublätter“, 7 Klavier- 
stücke 2 ms. Heft I/II ä 
1.60 M. Ebenda. 

Söchting, Emil, op. 146: „Ein 
Abend in Venedig“, Serenade 

2 ms. 1 M. Ebenda. 
Schubert, Fr., op. 51, 3: Marche 

militaire, 2 Klaviere zu vier 
Händen, arrgt. von G. Hor- 
vath 1.60 M. Ebenda. 
Schütze, C. : Vortragsstücke, 

Sonatinen und Sonaten 4 ms. 
Heft I: Unterstufe, Abtei- 
lung 1 x.8o M. Heft II; 
Unterstufe, Abteil. 2 1.80 M. 
Heft III: Mittelstufe, Ab- 
teilung 1 1.80 M. Heft IV: 
Mittelstufe, Abteil. 2 1 .80 M. 
Ebenda. 

Wagner - Tausig : Siegmunds 

Liebesgesang aus „Die Wal- 
küre“ für 2 Klaviere zu vier 
Händen bearbeitet von B. 
Reichel 1 M. Ebenda. 
Gretchaninow, A , op. 61: Pa- 
stels 2me cah. Muit Mor- 
ceaux miniatures pour Piano 
cplt. 2.50 M.. Jul. Heinr. 
Zimmer mann, Leipzig. 
Liapounow, S., op. 57: Trois 
Morceaux pour piano 2.50 M. 
Ebenda. 

— op. 58: Prelude et -Fugue 
pour Piano 2.50. M. Ebenda. 

Puccini, G. : Tosca, Musik- 
drama in 3 Akten, Klavier- 
auszug 2 ms. 2 M. G. Ri- 
cordi & Co., Mailand. 

Gluck, Chr. W. v. : „Der Zauber- 
baum“, musikal. Schwank in 
einem Aufzug, herausgeg. von 
Dr. Max Arend, Klavier- 
auszug von Adolf Steinbert. 
Georg D. W. Callwey, Mün- 
chen. 

Dupin, Paul: Trois Esquisses 
Fuguües (2me Serie) pour le 
Piano, Heft IV— VI a 2 bis 

3 Fr. A. Durand & Fils, 
Paris. 

Grovlez, Gabriel : Trois Pikees 
pour le Piano 3.50 Fr. Ebd. 



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Alle auf die Anstalt bezüglichen Anfragen und Anmeldungen zum Eintritt in dieselbe sind zu richten an den 

Direktor Hofrat Professor Heinrich Ordenstein, Sophienstraße 35. 


Verantwortlicher Redakteur: Oswald Kühn in Stuttgart. — Druck und Verlag von Carl Orüninger ln Stuttgart. — (Kommissionsverlag ln Leipzig: F. Voldtmar.) 











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MUSIKZEITUN& 


XXXV. VERLAG VON CARL GRÜNINGER, STUTTGART-LEIPZIG 1914 
Jahrgang Preis des Jahrgangs (Oktober 19)3 bis September 1914) 8 Mark. Heft 23 

Erscheint vierteljährlich in 6 Helten (mit Musikbeilagen, Kunstbeilage und „Batka, illustrierte Geschichte der Musik"). Abonnement preis 2 M. vierteljährlich, 8 M. Jährlich- 
Einzelne Hefte 50 Pf. — Bestellungen durch alle Buch- und Musikalienhandlungen sowie durch sämtliche Postanstalten. Bei Kreuzbandversand abStuttgart im deutsch. 

österreichischen Postgebiet M. 10.40, im übrigen Weltpostverein M. 13 . — jährlich. 


f fl fl alt* ^ uns * rc Leser und Freunde. — Hilfsstellen für Berufsmusiker. Opferwilligkeit deutscher Sänger. — Der Spuk von Richard’ Wagners Irrsinn. — Unsere 
111 II dH* Künstler. Jeanne Vogelsang und Elsa Weigl-Pazeller, biographische Skizzen. — Der älteste und Lieblingssohn Johann Sebastian Bachs. Ein Erinnerungs- 
blatt zum 130. Todesjahr. — Georg Richard Kruse: Otto Nicolai. — Ueber das Musikhören bei Heren. — Neuaufführungen und Notizen. — Kunst und Kunst ler. £ — 
Besprechungen: Religiöse Lieder, Kriegskonipositionen, Neue Klavierstücke zu 2 Händen. Neues fürs Harmonium. — Neue Musikalien. — Musikbeilage 




An unsere Leser und Freunde! 

D ie große Zeit, die unser Vaterland jetzt erlebt, erfordert 
auch große Opfer. Daß die Musen zuriiekzutreten haben, 
solange Mars das erste Wort spricht, ist eine schmerzliche, 
aber unabänderliche Tatsache. Und doch : Auch sie treten 
in den Dienst der heiligen Sache. Die kurze Spanne Zeit, 
seit der der Krieg wütet, hat die deutschen Dichter auf 
den Plan gerufen und manch schöne Gabe ist dem Volke 
bereits zugeflossen. Da sollte die Musik zurückstehen? 
Nimmermehr! Bald wird sie ihre Stimme erschallen lassen, 
wenn unsere Waffen weiter gesegnet . werden. In Kon- 
zerten, die dem besonderen Zwecke der Stunde gewidmet 
sind, werden- wir erhebende Klänge, Trost und neuen Mut 
gewinnen. Wie tief und erhebend werden da die alten 
Meister, voran Johann Sebastian Bach, in den Kirchen zu 
den Herzen andächtiger Gemeinden sprechen! Und die 
erhabenen Töne eines Beethoven werden in den Konzert- 
sälen die Menschen begeistern und sie über Stunden der Not 
leichter hinwegkommen lassen. Aber auch die heitere Muse 
soll im Ernste der Tage ihr Haupt nicht ganz verhüllen, 
sobald ihr Antlitz rein und schön ist. Nein, wir wollen 
unsere Musik nicht vergessen, sie ist ein bedeutungsvoller 
seelischer Faktor, ohne sie ist das deutsche Volk gar nicht 
denkbar. 

Doch nicht nur innere, auch äußere Gründe sprechen 
dafür, das musikalische Leben, soweit das möglich ist, 
wieder aufzunehmen. Wenn unsere Jünglinge und Männer 
als Soldaten vor dem Feinde ihre Pflicht tun, so sollen 
wir Haus und Herd daheim hüten! Und das 
geschieht, neben der Tat barmherziger Hilfe, durch die 
Arbeit! So wie das Geld wieder allgemein, wenn natür- 
lich auch in bescheidenem Maße, rollt, ist die Hauptgefahr 
für unser Vaterland im Innern ebenfalls beseitigt. Darum 
gebt auch den deutschen Musikern in dieser 
Zeit Gelegenheit zu verdienen, damit das 
vaterländische Bild später in der Geschichte keine Lücke 
aufweise. Wir dürfen trotz einigen betrübenden Vorgängen 
hoffen, daß das Musikleben, wieder langsam beginnt, An- 
zeichen dafür sind da. 


Deshalb haben auch wir beschlossen, die „Neue Mus‘ik- 
Zeitung" weiter erscheinen zu lassen. Freilich 
können wir das vorläufig nur in etwas bescheidenerem 
Umfange als bisher tun, und wir rechnen auf die Zustim- 
mung aller unserer Leser, wenn sie die durch die -Verhält- 
nisse bestimmte Maßnahme gutheißen. Daß eine Musik- 
zeitung jetzt nicht auf ihre Kosten kommen kann, brauchen 
wir wohl nicht erst weiter auseinanderzusetzen. Wir bringen 
das Opfer, um die Zeitung auch während des Krieges auf- 
reeht zu erhalten, um den Musikern und Musikschriftstellem 
auch unsererseits Gelegenheit zum Verdienen zu geben. 
Wir bitten unsere Leser um ihre freundliche Mithilfe und 
um Erneuerung ihres Abonnements für das nächste Viertel- 
jahr. Indem sie ihrer Musik-Zeitung helfen, helfen sie 
dem ganzen Musikerstande und tragen damit ihr Teil 
zum Wohl des Ganzen bei! 

„Neue Musik-Zeitung.« 


Hilfsstellen für Berufsmusiker. 

Z u München ist eine „Hilfsstelle für Berufsmusiker“ ge- 
gründet worden. Ueber ihren Zweck gibt der nachfolgend 
abgedruckte „Aufruf“ Aufschluß. Sie soll für die Dauer 
des Krieges bestehen. Verwaltet wird sie durch je zwei Mit- 
glieder der Unterzeichneten Musiker-Vereinigungen ; die laufen- 
den Arbeiten werden zu öffentlich bekannt gegebenen Stunden 
erledigt. 

Es sei angeregt, den zu München gemachten 
Versuch auch in anderen deutschen und öster- 
reichischen Städten durchzuführeni P. M. 

Aufrufi 

Hilfsstelle für Berufsmusiker. 

Ueber eine große Zahl von Musikerfamilien hat schon der 
Ausbruch des Krieges die bitterste Not gebracht. 

Viele zu den Waffen einberufene Musiker haben Frau und 
Kind ohne jegliche Existenzmittel zurücklassen müssen. Und 
zu Hunderten und Aberhunderten zählen die größeren und 
kleineren Orchestern Angehörenden, die man plötzlich aus 
ihren Stellungen entließ, sei es mit einer knappen Abfindung, 
durch die sie ihr Leben für einige Tage notdürftig fristen 
können, sei es ohne die geringste Unterstützung. 

Nicht weniger beklagenswert ist das Los derer, die Unter- 
richt erteilen und über Nacht ihre Stunden einbüßten. 

Unter den Unzähligen aus allen Ständen und Berufsarten, 
die durch ernste und heitere Musik Freude, edlen Genuß, 
Erhebung finden, sind sicherlich nicht wenige, die jetzt auch 

445 








der Familien der ins Feld gezogenen und der ins Elend ge- 
ratenen Musiker gedenken und ein Scherflein zur Milderung 
ihrer Lage beitragen werden. Wir bitten sie, Spenden, vom 
kleinsten Betrage an, der in Rücksicht auf die Zeitumstände 
gegründeten 

Hilfsstelle für Berufsmusiker 

zu Händen des Herrn Kapellmeisters Theo Freitag, München , 
Luisenstraße 7 1 /II, Fernruf 8135, freundlichst übermitteln zu 
wollen. — Auch bitten wir alle , die ihre Unterrichtsstunden 
schon gekündigt haben, sie nach Möglichkeit wieder aufzu- 
nehmen. 

Des weiteren ersuchen wir alle, die auf längere oder kürzere 
Zeit für leichtere körperliche oder Büroarbeit verschiedenster 
Art tüchtiger und zuverlässiger Hilfskräfte benötigen, sich 
zwecks Vermittlung an die genannte Stelle zu wenden. Nicht 
gering ist die Zahl der Musiker, die sprachkundig sind, mit 
Buchführuug, Maschinenschrift u. a. m. vertraut sind und 
gegen bescheidenes Entgelt innerhalb und außerhalb Mün- 
chens sich mit Eifer und Hingebung betätigen möchten. 

München, den 10. August 1914. 

Paul Ehlers. Richard Strauß. Paul Marsop. 

Münchner Tonkünstlerverein. Münchner Musikerverbindung. 

I. A. : Julius Schweitzer. I. A.: Albert Knüppel. 

Münchner Ensemblemusiker-Bund 
I. A. : Theo Freitag. 

* * 

* 

Nachschrift der Redaktion: Wir hoffen, daß dies Münchner 
Beispiel soweit wie möglich Nachahmung finden möge. Wie 
es um viel deutsche Musiker bestellt ist, das möge folgendes 
eine, in die Augen springende Beispiel veranschaulichen. Aus 
Meiningen wird uns unterm 18. August geschrieben: Herzog 
Bernhard hat in diesen Tagen unsere beiden Kunstinstitute, 
Hoftheater und Hofkapelle, aufgelöst. Prof. Stein hat, ehe er 
seine Stelle antrat, die Kündigung erhalten. 

Aus diesem Beispiel erhellt doppelt, daß Selbsthilfe der 
Musiker bitter not tut! 

Im Gegensatz zu solcher Entscheidung eines deutschen 
Fürsten in jetziger Zeit, deren nähere Umstände wir nicht 
kennen, steht die Nachricht aus Stuttgart, daß sowohl das 
Konservatorium für Musik wie auch das Musikpädagogium . 
das neue Schuljahr eröffnen werden. 

* * 

In der ,,Frkf. Ztg." lesen wir folgenden Aufruf: Zu den 
vielen Berufsklassen, die durch den Krieg in eine sehr be- 
drängte Lage gekommen sind, gehört auch der Musik- 
lehrerstand. 

Im Namen vieler Kollegen möchten wir uns an das soziale 
Empfinden des Publikums wenden und bitten, wenn es irgend 
möglich ist, den gewohnten Musikunterricht nicht aufgeben 
zu wollen. 

Manche Stunde ist wohl nur in der ersten Aufregung ab- 
gesagt worden und es bedarf sicher nur des Hinweises auf 
die ganz trostlose Lage, in die viele unserer Kollegen und 
Kolleginnen mit ihren Familien dadurch schon jetzt ge- 
kommen sind, manche, deren Verhältnisse es einigermaßen 
gestatten, zu veranlassen, den Unterricht wieder aufzunehmen. 

Das Publikum erfüllt dadurch nicht nur eine soziale Pflicht 
dem Musiklehrerstand gegenüber, es wahrt auch das Inter- 
esse der Musikschüler, deren Unterricht durch eine größere 
Unterbrechung außerordentlich leiden würde. 

Frankfurter Tonkünstler-Verein. Frankfurter Musikgruppe. 

I. V. Prof. Eugen Hildach. I. A. Sophie Henkel. 

Obenstehenden Aufruf unterstützen auf das wärmste: 

Frau de Bary-Osterrieth, Frau Hüda Bolongaro-Crevenna geb. 
von Neufville, Frau Eva Borgnis, Dr. Oswald Feis, Herr 
Pfarrer Foerster, Frau Ferdinand Hirsch, Frau Hertha Jay, 
Geh. Konsistorialrat Pfarrer Kayser. Prof. Knorr, Herr Walter 
Melber, Frau Else Nassauer-Horkheimer, Herr und Frau 
Adolf von Neufvüle, Kapellmeister Egon Pollak, Frau Walter 
vom Rath, Polizeipräsident Rieß von Scheumschloß, Freifrau 
Mathilde von Rothschild, Kapellmeister Dr. Rottenberg, Ba- 
ronin Schey, Justizrat Dr. Sieger, Dr. Heinrich Simon, Geh. 
Sanitätsrat Professor Dr. Gustav Spieß, Frau Konsul Siebert, 
Baronin Ninia von Steiger, Herr Emil Sulzbach, Herr Pfarrer 
Urspruch, Herr Oberbürgermeister Voigt, Intendant Volkner, 
Herr Pfarrer Werner, Frau Major Weise. 

* # * 

Wie auch unter ,, Neuaufführungen und Notizen" mit- 
geteilt ist. hat die Direktion des Deutschen Opernhauses in 
Charlottenburg beschlossen, weiterzuspielen. Nachstehende 
Ankündigung sei als Musterbeispiel nier mitgeteilt: „Wir 
haben beschlossen, weiterzuspielen. Wir werden das Deutsche 
Opernhaus am Sonntag, 30. d. M.. wieder eröffnen mit einer 
Vorstellung, deren voller Ertrag den bedürftigen Frauen und 
Kindern unserer tapferen Krieger gewidmet ist. Nach unsern 
Verträgen gäbe uns der Krieg wohl das Recht, unsere An- 
gestellten (Künstler, Beamte und Arbeiter), fast 600 an der 
Zahl, zu entlassen. Aber wir wollen sie und ihre Familien 


nicht der Not preisgeben, sondern alle Kräfte daransetzen, 
den Betrieb aufrechtzuerhalten. Das erfordert aber große 
Opfer von allen Seiten. Nachdem die Angestellten auf den 
nur irgend entbehrlichen Teil ihrer Bezüge, die städtischen 
Behörden Charlottenburgs auf die ihnen vertraglich zu- 
stehende Pacht und Nebenausgaben verzichtet haben, müssen 
unsere Freunde im Publikum das beste tim: sie müssen uns 
treu bleiben. Allen voran die Abonnenten! Wir sind über- 
zeugt, daß sie ihre Abonnements in der dafür bestimmten 
Zeit — 10. bis 29. August — einlösen werden, nicht nur auf 
Grund ihrer vertraglichen Pflicht, sondern aus Gemeinsinn, 
um 600 Menschen im Brot zu erhalten." 


Opferwilligkeit deutscher Sänger. 

Als erste uns bekannt gewordene Opferwilligkeit veröffent- 
lichen wir die bergischer Sänger. So hat die Solinger 
Liedertafel beschlossen, 300 Mark für die Angehörigen der ins 
Feld gezogenen Krieger zu bewilligen. Eine gleich große 
Summe hat die Solinger Liedertafel noch zur Unterstützung für 
die Hinterbliebenen ihrer eigenen am Kriege teilnehmenden 
Mitglieder bestimmt. Insgesamt beträgt also die Kriegsspende 
der Solinger Liedertafel aus ihrem Veremsvermögen 1000 Mark. 
— Der Solinger Mannerchor hat einen Betrag von 600 Mark 
zur Unterstützung der Familien einberufener Mannschaften 
bewilligt. Hiervon sollen 200 Mark der Stadtkasse bezw. dem 
Hilfsausschuß überwiesen werden, während 400 Mark für die 
Familien einberufener Mitglieder bestimmt sind. — Die Ver- 
einigung Männerchor Liedertafel in Gräfrath bewilligte für die 
Angehörigen ihrer zur Fahne einberufenen Mitglieder einen 
Betrag von 300 Mark. — Weiter hat am 20. August der 
Schwab. Sängerbund als Spende zur Unterstützung der Fa- 
milien der ins Feld gezogenen Krieger die Summe von 
2000 Mark beschlossen in der Weise, daß 1500 Mark den 
Familien des Landes, 500 Mark dem Städt. Hilfsausschuß 
von Groß- Stuttgart zugewendet werden sollen. — Der Aache- 
ner Männergesangverein „Orphea“ hat seine beim Brüsseler 
internationalen Gesangwettstreit errungene, vom belgischen 
König Albert gestiftete große goldene Medaille, deren Wert 
auf etwa 800 Mk. geschätzt wird, dem Roten Kreuz zum 
Einschmelzen Übergaben. Bravo! — Der Männergesangver- 
ein „Concordia“ in Leipzig hat in Anbetracht der Kriegs- 
zeiten sein für diesen Herbst angesetztes fünfzigjähriges Jubi- 
läum bis auf weiteres verschoben. Auch hat er seiner Unter- 
stützungskasse als erste Rate 1000 Mark entnommen, die 
durch den Krieg in Not geratenen Vereinsmitgliedem zur 
Unterstützung dienen sollen. 


Feinde hinaus l Der „Allgem. deutsche Musikerverband“ 
erläßt folgende Bekanntmachung: Wie aus den Berichten der 
Tageszeitungen ersichtlich, werden unsere deutschen Brüder 
und Schwestern in den mit uns Krieg führenden Ländern — 
wir erinnern an Belgien, Frankreich und Rußland — in einer 
Weise behandelt, die aller Zivilisation Hohn spricht. Wir 
haben deshalb beschlossen, dem Beispiel des Lokalvereins 
Berlin folgend, alle die aus unserem Verbände auszuschließen. 
die den uns feindlichen Nationen angehören. Wir halten es 
nicht für angebracht, solchen Kollegen die Wohltaten unseres 
Verbandes zuerkennen zu müssen, und verzichten natürlich 
auch auf deren Leistungen." 


Der Spuk von Richard Wagners Irrsinn. 

Von EUGEN DÜMMLER, Geh. Justizrat (Gräfelfing). 

P arsifal! . . . Parsifal! . . . Rings um uns her ertönt das 
Mysterium vom reinen Toren. — Nicht die Pietät vor 
dem Willen des Meisters, nicht die Scheu vor der Ent- 
weihung des Grals schützten das Werk vor dem Wandern: 
Mit der Lösung des gesetzlichen Hemmschuhs trat es seine 
Reise in alle Weltteile an. 

Wer gedenkt in diesem Parsifal- Jahre an jene Periode 
der deutschen Literatur zurück, da allen Ernstes Richard 
Wagner für psychisch entartet, für geisteskrank erklärt wurde ? 
Der literarisch-musikalische Kampf um die Zukunftsmusik 
verzog sich nun auch auf medizinisches Gebiet, wo gerade 
ein auf geistige Erkrankung Wagners zielender Hieb schwer 
verfangen mußte. In der Tat erfolgte der Hieb, und zwar 
nicht von einem blinden Fanatiker, sondern von einem Manne 
der Wissenschaft, von einem „Spezialisten der Psychiatrie“. 

Die Kunstgeschichte darf diese Episode nicht übersehen. 
Dem Kultur nis toriker erscheint sie als dunkler Spuk. Als 
solchen erkennt sie der imbefangene Forschergeist, der nicht 
hinter jedem großen Künstler Wahnsinn wittert. Hans 
v. Wolzogen geht in den „Erinnerungen“ als Intimer des 
Hauses Wahnfried mit Schweigen über die Episode hinweg. 


446 



In seinem Königsroman „Majestät“ läßt der Autor M. G. Con- 
rad den jungen schönheitstrunkenen König in auflodemdem 
Zorne die ihm vorgelegte Schrift gleich einer TeufelsausgebuTt 
verbrennen. Ludwig Nohl (Musikerbiographien V, S. 92) 
tut die Schrift kurz als Machination der Feinde ab und Wagners 
Biograph Glasenapp verfemt sie als böswillige Verleumdung. 
Aber auch, wenn man dem Spuk näher zu Leibe geht, hat das 
Bild des Meisters in der Kulturgeschichte eine Trübung nicht 
zu fürchten. 

* » * 

Richard Wagner. Fine psychiatrische 
Studie von D r. Theodor Puschmann, prakt. 
Arzt und Spezialist der Psychiatrie in 
München. 1872. 2. Aufl. 1873. 

Genie sei der Bruder des Wahnsinns. Wagner sei ein Genie. 
Als Aasflüsse dieses Genius seien nur die alteren Werke bis 
etwa „Lohengrin“ anzuerkennen, die zum Teil unerreicht 
dastünden und Unsterblichkeit sicherten. Dagegen sieht 
Puschmann in Tristan, Meistersinger und Ring Wahnsinns- 
produkte. Den Menschen Wagner kennt Puschmann nicht. 
Er will aber sein Auftreten rechtfertigen durch die kultur- 
historische Bedeutung Wagners, die ihn zum Führer einer 
großen, wenn auch krankhaften Bewegung gemacht habe. 
Nach Puschmann sind nicht allein Richard Wagner, sondern 
auch dessen ' Anhänger verrückt, die zu heilen ein gutes 
Werk sei. 

In der wissenschaftlichen Darstellung des bei Wagner vor- 
liegenden Krankheitsbildes konstruiert Puschmann Größen- 
wahn, Verfolgungswahn . und moral insanity. Das ist zuviel 
auf einmal, urteilte mit Recht damals eine medizinische Zeit- 
schrift. Für eine so harte, in der breitesten Oeffentlichkeit 
aufgestellte These erwartet nun der Leser triftige Beweise. 
Statt dessen findet er nur dürftig leere Redensarten. Die 
Arbeiten der letzten Jahre sollen „durchweg den Stempel 
einer geistigen Mittelmäßigkeit, einer flüchtigen Unfertigkeit 
und wilden Zerrissenheit“ tragen. „Die Meistersinger, Tristan 
und Isolde, Rheingold sind sowohl nach Inhalt wie nach 
Form, in Wort und Ton unschön, zerfahren, verwahrlost!“ 
Der Größenwahn wird in den Gesammelten Schriften gefunden, 
die eine „maßlose Selbstüberschätzung, wirklich krankhafte 
Eitelkeit und Selbstüberhebung, Ideenarmut und zunehmende 
geistige Verödung“ verraten. Wagner soll die großen Meister 
seiner Kunst mißachtet, sogar Beethoven nicht voll anerkannt 
haben — Beethoven, der nach Wagner die Weltgeschichte 
der Musik geschrieben, dessen IX. Symphonie das Festspiel- 
haus in Bayreuth einweihte! In seinem. „Kunstwerk der 
Zukunft“ suche Wagner, der sich einst den Bismarck der 
Kunst genannt habe, auch andere Künste wie Malerei, Archi- 
tektur etc. etc. zu umfassen, ja sogar Philosophie, Politik, 
Religion, Staat ziehe er in seine Zukunftspläne. Dann werden 
einige wie die Faust aufs Auge passende Aussprüche des be- 
rühmten Irrenarztes Griesinger angeführt und der Größen- 
wahn ist fertig. Die Magerkeit der Beweisführung leuchtet 
jedem Leser sofort ein. 

Für den Verfolgungswahn muß die Schrift „Das Judentum 
in der Musik“ herhalten. Wagner glaube sich von Juden, 
Rezensenten, Intendanten, musikalischen Neidern verfolgt. 
Waren denn die Jahrzehnte dauernden unsagbaren Anfein- 
dungen eitel Wahn ? Nicht gegen Windmühlen gab Schwager 
Olivier den Rat: Ne repondez pas. 

Die Sucht, neue Worte zu bilden, wie „Waldweben“, „Miß- 
wende“ soll krankhaft sein. Was würde Puschmann zu Beet- 
hovens gewagten Wortbildungen gesagt haben, der für Trom- 
pete „Schmetterrohr“, für Trompeter „Schmettermessing- 
werker“ vorschlug ? 

Zum Kapitel des Gemütswahnsinns spricht Puschmann 
von „Verkehrtheit der Neigungen, Perversität der Begierden 
und Wünsche, von dem vollständigen Mangel der sittlichen 
und sozialen Gefühle“. Er verdammt natürlich das Verhältnis 
zu Frau Cosima, das doch durch Seelenverwandtschaft längst 
geadelt war. Bei tieferem Blick in das Seelenleben seines 
Kranken hätte er dessen Gefühlstiefe, dessen Gefühlsreinheit 
in Werken und Taten erkennen müssen. Am Schlüsse erfleht 
er die Heilung der verblendeten Anhänger Wagners mit dem 
pastoralen Rufe: Das walte Gott. 

* * * 

Die Aufnahme der Puschmannschen Schrift im Publikum 
war geteilt. Tagespresse und Fachzeitschriften nahmen 
Stellung. Die Allgemeine Zeitschrift für Psych- 
iatrie von Laehr, Bd. 29, S. 712 ff., kommt zu einem 
im ganzen abfälligen, wenn auch nicht gerade wegwerfenden 
Urteil und spricht vom „Dilettantismus der psychopatho- 
logischen Kritik“. Eine 1873 erschienene Schrift: Ricnard 
Wagner und der Spezialist der Psych- 
iatrie von C. P. beschäftigt sich mit den Puschmann- 
schen Zitaten aus Wagnerschen Schriften und erklärt sie für 
Fälschungen. 

Eine geradezu vernichtende Abfuhr erlitt Puschmann durch 
die alsbald erschienene Gegenschrift: Richard Wagner. 
Streiflichter auf Dr. Puschmanns psych- 
iatrische Studie von Dr. Franz Herrmann, 


zurzeit Physikatsassistent in München. Der Verfasser, Medi- 
ziner und Musiker zugleich, zerpflückte sozusagen Satz für 
Satz die Ausführungen und Schlußfolgerimgen seines Geg- 
ners. Dessen Belegen für angeblichen Größenwahn stellte 
er die Aussprüche großer Männer aller Zeiten und Völker 
von Horaz und Cicero bis Shakespeare und Goethe gegen- 
über.. Er geißelt die gleichzeitige Konstruktion von Größen - 
ünd Verfolgungswahn, also von psychischer Exaltation und 
Depression. Er bekämpft mit eiserner Konsequenz die wissen- 
schaftliche These des Verfolgungswahns, da die Klagen Wagners 
über Preßfehden, Flugschriften, Intendanzen nicht Wahn- 
gebilde, sondern leider bittere Wahrheit waren. Sogar in 
ernsten musikalischen Werken, wie in den Gesanunelten Auf- 
sätzen von Otto Jahn, waren Tannhäuser (Sopransolo mit 
Kuliglocken) und Lohengrin (Schwanengesang naclitwäcliter- 
hafte Melodie) verhöhnt worden. Für Wagners Philosophie 
in dem „Kunstwerk der Zukunft“ als auf Feuerbach beruhend 
bricht Herrmann eine Lanze; auch weist er bezüglich der 
Sucht zu ungewöhnlichen Wortbildungen in interessanter, 
mit attischer Würze durchtränkter Zusammenstellung auf die 
Wortbereicherungen durch alt- und neudeutsche, griechische 
und römische Klassiker hin. Auch gewisse angebliche Eigen- 
heiten Wagners, von Puschmann als „charakteristisches Sym- 
ptom der vorhandenen Geisteskrankheit“ angesehen, wie 
Dichten und Komponieren mit dem altdeutschen Barett auf 
dem Haupte, bestimmte Farbe von Schlafrock, Pantoffeln, 
Taschentuch werden besprochen und als Ammenmärchen 
oder wertlos für die Diagnose bezeichnet. Endlich wird auch 
die Theorie des Gemütswahnsinns energisch bekämpft. Wenn 
Wagners Schriften auch keine Jugenaschriften seien, so sei 
die Lektüre für unverdorbene Jugend weniger gefährlich als 
mancher Klassiker, ja als die Bibel. Man vergleiche nur 
Goethe, Shakespeare, Lord Byron, Wieland, Heine, Bürger, 
Tasso, Ariost, Bocaecio, Cervantes etc. etc., von den alten 
heidnischen Klassikern gar nicht zu reden. Der geradezu 
absurde Vorwurf, als preise Wagner die Männerliebe der 
Hellenen, konnte durch wörtliche Anführung der betreffenden 
Stelle aus dem „Kunstwerk der Zukunft“ gründlich entkräftet 
werden. Zum Schluß wird Puschmann zu den von ihm als 
unsittlich und unzüchtig bezeichneten Tonmalereien über 
Klang und Ton nach physikalischen Gesetzen dahin belehrt, 
daß die musikalische Empfindung nur vom Individuum selbst 
und dessen subjektivem Fühlen abhängt. 

Glasenapp, Bd. V, S. 17, wundert sich über das Erscheinen 
von Gegenschriften. Eine Verwunderung ex post. Er selbst 
spricht von der Wiedergabe der verleumderischen Angriffe 
in einflußreichen Tagesblättern wie beispielsweise der „Ber- 
liner Nationalzeitung“ und zwar ohne direkte Ablehnung, 
nur mit dem Zusatz: in ärztlichen Angelegenheiten mitzureden, 
liege außerhalb ihres Amtes. An anderer Stelle, S. 47, bezieht 
er einen Passus der „Kölner Nachrichten“ auf die „damals 
die Gemüter bewegende und von der feindseligen Presse ge- 
stützte Puschmaimsche Schmähbroschüre, in welcher 

der Münchner Haß gegen den Meister seinen giftgeschwollen- 
sten Ausdruck gefunden“. Da war doch die Abwehr des An- 
griffs gerade durch einen medizinischen Fachmann eine ver- 
dienstliche Tat und geboten. 

* 

Der Spuk ging vorüber. Und heute ? Difficile est satiram 
non scribere. Jetzt nach 40 Jahren fragen wir verwundert: 
Wie war eine solche Entgleisung nur möglich f Wir finden 
nur eine Antwort: Die ganze Episode war eine Ausgeburt jener 
Zeit, Jedwede Zeit hat ihre Wehen, sagt Freihgrath. In 
München wehte damals gegen Wagner Konfliktsluft. Die 
Menge wandte sich drohend gegen den erklärten Liebling 
des kunstbegeisterten Königs, tne drängte auf Verbannung 
des Meisters aus dem nach der „Last des gemeinsten Lebens- 
druckes“ (Mein Leben, S. 870) gewonnenen Asyle. In diese 
Zeit der Verbannung aus München fällt das Erscheinen der 
Studie Puschmanns. Sie entstammte wie eine Epidemie 
dem Boden, auf dem er lebte. In einem Briefe an Hermann 
Levi von 1875 will Wagner zwar über Münchner Publikum 
und Künstler nicht klagen: „aber es sind Gespenster dort, 
denen ich nicht mehr begegnen mag“. Glasenapp V, S. 212. 
Was waren das für Gespenster ? Dachte er dabei an unseren 
Spuk ? 

Der Zeitpunkt des Erscheinens jener Studie konnte für 
das Lebenswerk Wagners kritisch sein. Im Münchner Hof- 
theater waren Tristan, Meistersinger, auch gegen den Willen 
Wagners Rheingold und Walküre aufgeführt. Das Urteil des 
königlichen Mäzens war aber für die Menge nicht entscheidend. 
An den Vorstadtbühnen wurde das Waa Waga Wagalaweia 
in allen Tonarten travestiert. Der Grundstein zum Festspiel- 
haus in Bayreuth war 1872 gelegt. Die Idee eines eigenen 
Festspielhauses für Wagner-Werke erschien manchem Böotier 
denn doch verrückt. Das Volksgemüt war durch böswillige 
Kritiker vergiftet, die sogar in bedingter Form Deutschland 
aus der Reihe der Kulturvölker streichen wollten (Conrad: 
Wagners Geist und Kunst in Bayreuth, S. 21). Da kam noch 
der „Spezialist der Psychiatrie". Hat er auch nicht, wie 
manche meinen, unehrlich und gegen besseres Wissen gekämpft, 

447 



so spielte doch ein gewisses Haschen nach Popularität mit. 
Aber das Wagner angedrohte Schicksal, wie es den vom Be- 
wunderer zutn Feind gewordenen Nietzsche ereilte, blieb ihm 
erspart. Der „flügellahme, ideenarme“ Kranke konnte noch 
„vollenden das große Werk“ (Rheingold), er konnte eine natio- 
nale Kunst in dem deutschen Olympia schaffen. Der Prophe- 
zeiung Puschmanns, daß die neueren Werke schon im Ent- 
stehen begraben wären, erging es wie den Weissagungen anderer 
Propheten, beispielsweise Paul Lindaus (vom Ring und dem 
Militärkapellmeister); auch Generalintendant v. Hülsen hat 
sich über die Lebensfähigkeit Tristans und des Ringes sehr 
geirrt. In der Musik ist eben gerade so schwer zu prophezeien 
wie sonstwo. Wer wollte sich heute vermessen, dem „Futuris- 
mus“ die Prognose zu stellen ? Bei Wagner ist das von Pusch- 
mann angerufene Urteil der Welt längstgesprochen. Nichtdurch 
Heilung der kranken Wagnerianer, sondern durch Bekehrung 
der feindlichen Scharen vollzog sich die Wandlung. Nicht 
Wahnsinn, sondern Genie des Meisters befeuerte die frühen 
Anhänger, die das Goethe- Wort auf sich anwenden dürfen: 

Das Edle zu erkennen ist Gewinnst, 

Der nimmer uns entrissen werden kann. 


Strebens, der hohen Aufgabe, die sie sich gestellt, und den 
bedeutenden musikalischen und geigerischen Fähigkeiten der 
holländischen Geigerin konnte sicli niemand verschließen. 

Jeanne Hymans, wie die Künstlerin mit ihrem Mädchen- 
namen heißt, ist am 8. Oktober 1873 in Rotterdam aus sehr 
kinderreicher Familie geboren. Mit 5 Jahren schon lernte sie 
das Klavierspiel, in dem sie es, wie ich selbst Gelegenheit 
hatte zu konstatieren, zu anerkennenswerter Fertigkeit ge- 
bracht hat. Zehnjährig bekam sie den ersten Geigenunter- 
richt und mit 17 Jahren studierte sie Gesang, was auf die 
Ausbildung ihres Geigentones gewiß nicht ohne Einfluß ge- 
wesen ist. Schon in ihren Mädchenjahren knüpfte sie Be- 
ziehungen mit Deutschland an, als sie in Biebrich a. Rh. ins 
Pensionat kam. Mit bedeutender Allgemeinbegabung aus- 
gestattet, erwarb sie sich eine fiir Frauen ungewöhnlich um- 
fassende Bildung und ansehnliche Sprachkenntnisse. Seit dem 
Jahre ipoi ist sie mit dem Professor der Kunstgeschichte an 
der Universität Utrecht, Dr. W. Vogelsang, einem geborenen 
Deutschen, verheiratet und seit 1902 glückliche Mutter eines 
reizenden Töchterchens. Zusammen mit ihrem Gatten hielt 
sie in Haag und Amsterdam Vorträge über „Parallelen und 
Antithesen in Musik und Malerei“. 


Bedenkt man unsern Spuk und alle gegen Wagner ersonnene 
Falschheit der Welt, so muß man in den wie Ahnung klingen- 
den Sang am Vorabend seines Todes einstimmen: 

Traulich und treu 
Ist’s nur in der Tiefe. 


Unsere Künstler. 

Jeanne Vogelsang — Elsa Weigl-Pazeller. 

D ie folgenden Zeilen sollen einen Hinweis auf eine noch 
nicht zu lange in der Geigerwelt aufgetauchte, dafür 
aber reife, geschlossene und fesselnde Persönlichkeit 
geben; auf eine Geigerin, die sich die Pflege der Kammer- 
musik, speziell der Sonate, zum vornehmen Ziel gesetzt hat. 
So verhältnismäßig kurz indessen ihre öffentliche Laufbahn 
auch ist, so ist ihr doch von Anfang an überall in Deutsch- 
land und Holland, wo Jeanne Vogelsang konzertiert hat, 
höchst wohlwollende Anerkennung gefolgt. Dem Emst ihres 



Im Geigenspiel waren ihre ersten Lehrer Franz Coenen, 
Joseph Cramer . und Miroslaw Weber. Dann kam sie auf die 
Hochschule für Musik nach Berlin, wo Altmeister Joachim 
sie, nachdem sie ihm vorgespielt hatte, unter Dispens von 
der Aufnahmeprüfung ihres Tones wegen in seine wöchent- 
liche Klasse aufnahm und ihr das Zeugnis einer „sehr talent- 
vollen, musikalisch ungewöhnlich begabten Violinspielerin“ 
ausstellte. Gleichzeitig genoß sie noch Unterricht bei 
Emanuel Wirlh. 

Au ihrem Spiel fällt zunächst der für eine Frau ganz un- 
gewöhnlich große, kraftvoll nervige Ton auf und ein breiter, 
markiger Strich, die unwillkürlich an Wilhelmi erinnern. 


sie aber auch für den Vortrag speziell alter Sonaten, wir 
denken an Veracini, Tartini, Bach. Händel u. a., geradezu 
prädestiniert erscheinen lassen. Ihre Technik ist solide und 


rag spe: 
, Bach. 


Händel u. a., geradezu 


JEANNE VOGELSANG. 


gefestigt genug, um allen Ansprüchen gerecht zu werden, 
welche die Pflege des von ihr kultivierten Gebietes erfordert. 
Und gerade dieses Ziel, die Pflege der Sonate, zeigt den tief 
musikalischen Sinn und die ernsthafte Hingabe an die Kunst, 
zu der sich Frau Yogelsang mit Recht berufen und aus- 
erwählt fühlt, zumal man ihr stets vornehmen Geschmack 
und feines Stilempfinden nachrühmen darf. Da es große 
Solisten genug gibt, so ist die Beschränkung auf dieses ebenso 
interessante wie anspruchs- und verantwortungsvolle Spezial- 
gebiet nur freudigst zu begrüßen, das eine zielbewußte und 
ausschließliche Pflege verdient und so wohl vertragen kann. 

Das von ihr benützte Instrument ist eine sehr gut er- 
haltene Petrus Cuarnerius mit schöngeflammtem Boden. X. 


Obgleich erst _ seit wenigen Jahren in der Oeffentlichkeit 
stehend, hat die junge Liedersängerin Elsa Weigl-Pazeller 
es schon verstanden, sich in Wien und neuerdings auch im 
Auslande einen Zuhörerkreis zu sichern , zu dem nur jene 
gehören , die die Kunst wirklich ernst nehmen. Selbst tief 
ernst in dem Sinn, daß sie sich nur ganz echte Kunst zu eigen 
macht, kennt sie keine Konzession an Kleines und Geringes, 
wie sie auch beliebte Liedersängerinnen zuweilen machen, 
vornehmlich in Wien , wo die Freude am rein „Gefälligen“ 
allzugroß ist. Steht Elsa Weigl schon in der Wahl ihrer 
Programme somit ziemlich allein da, in denen sie nicht nur 
das Allbeliebte bringt, sondern auch für neue Künstler oder 
unbekanntere Lieder Anerkannter eintritt, so tut sie es noch 
mehr durch die Art ihres Vortrags, der, ganz aufs Seelische 

f esteilt, von allen zierlichen Mätzchen) allem Haschen um 
leifall weltenweit entfernt ist. Nicht zu oft wird man eine 
Sängerin von so viel künstlerischer Redlichkeit hören. Die 
feine Kultur, die ihr warmer dunkler Sopran in der Schule 
des Professors Reß erhalten hat, gibt ihr die Möglichkeit, den 
Ausdruck für ihr Empfinden zu finden, wie sie ihn braucht. 
Sie hat Töne von der ergreifendsten Wärme, wenn sie etwa 
Schuberts Suleika-Lieder singt, aber sie weiß auch die süßeste 
Verklärung, der es doch auch an Schalkhaftigkeit nicht fehlt, 
über Hugo Wolfs Gottfried-Keller-Lieder zu breiten — wie 
sie denn in ihrer festen, ernsten Art etwas von Gottfried 
Kellerschen Frauen zu haben scheint. Als Interpretin Mahler- 
scher Liedkunst darf sie als mustergültig angesprochen wer- 
den; und es soll ihr nicht vergessen werden, daß sie eine der 
Wenigen ist, die mit ihrer vollen Kraft für die Schönheit 
Pfitznerscher, Lyrik eintreten. Ihre Wärme, der es doch völlig 
an Sentimentalität fehlt, ihre Reife, die noch die ganze Glut 
des Enthusiasmus hat, machen Elsa Weigl zu einer der ganz 
wenigen Erscheinungen, zu denen man das tiefste künstlerische 
Zutrauen hat. Alles, was man wünschen kann, ist, daß sie 
sich ihre edle Echtheit erhalten möge, auch wenn sich zu dem 
großen Erfolg im kleineren Kreise, der ihr heute schon zuteil 
geworden ist, jener draußen in der „Welt“ gesellt. 

L. Andro (Wien). 


448 




Der älteste und Lieblingssohn 
Johann Sebastian Bachs. 

Ein Erinnerungsblatt zum 130. Todesjahr. 


D er große, unsterbliche Leipziger Thomas-Kantor Johann 
Sebastian Bach war bekanntlich aus seinen zwei Ehen 
mit Maria Barbara und Maria Magdalena reich mit 
Kindern gesegnet, von denen Karl Philipp Emanuel, Johann 
Christoph Friedrich, Johann Christian, sowie auch einige Enkel 
das Genie des Vaters und Großvaters erbten. Ueber den ältesten 
und zugleich Lieblingssohn Joh. Seb. Bachs, - Wilhelm Friede- 
mann, den sogenannten „Hallischen“ Bach, sind die Ur- 
teile der Biographen und Musik -Kritiker vielfach geteilt. Wäh- 
rend die einen ihn als Orgelvirtuosen und Komponisten un- 
gemein hoch stellen, betrachten die andern ihn nur als ein 
verkommenes und verdorbenes musikalisches Genie, das mehr 
durch seine losen Streiche und Exzentrizitäten, als durch 
seine Leistungen sich hervorgetan habe. Wie bei so viel 
glänzenden Geistern, die durch ihr Leben und ihre Werke 
die Aufmerksamkeit von Mit- und Nachwelt in ungewöhnlicher 
Weise in Anspruch genommen haben, so muß auch bei 
Wilhelm Friedemann Bach das Wort gelten: „Alles begreifen 
heißt alles verzeihen!“ Auch hier liegt die Wahrheit in der 
Mitte. Nur eine objektive und das Milieu berücksichtigende 
Darstellung ist imstande, Licht und Schatten gerecht zu 
verteilen. Es steht fest, daß der älteste Sohn des Leipziger 
Thomas- Kantors aufs sorgfältigste von seinem Vater und 
den Lehrern für die höchste Stufe der Kunst vorbereitet 
wurde. In der Tat spielte der Knabe Klavier und Orgel wie 
ein Meister, und sein genannter Bruder Karl Philipp Emanuel 
behauptete daher mit Fug und Recht: „Er könnte seinen 
Vater eher ersetzen als wir alle zusammen genommen.“ Auch 
als Violinkünstler brachte er es zu großer Virtuosität. Als 
Orgelspieler stellten ihn einige noch über Joh. Seb. Bach. 
Durch seine immense Fertigkeit und Gewalt auf dem könig- 
lichen Instrument, seinen Phantasiereichtum und seine hin- 
reißende Poesie erfüllte er denn auch Jahrzehnte hindurch die 
Zuhörer mit frommen heiligen Schauern. Es ist daher nicht 
zu verwundern, daß schon der23jährige Jüngling die Organisten- 
stelle an der Sophien-Kirche in Dresden, nachdem er beim 
Probespiel über alle Mitbewerber den Sieg davongetragen 
hatte, erhielt und daß er 13 Jahre später einen Ruf nach 
Halle an die dortige große Marktkirche, Liebfrauenkirche, 
bekam, wo er dann gleichfalls bis 1764 als Orgelspieler und 
Leiter der Kirchenmusik und Fugist staunende Bewunderung 
hervorrief. 

Es wird interessieren, wenigstens auszugsweise den Bewer- 
bungsbrief kennen zu lernen, den im Juni 1733 W. F. Bach 
an den Rat von Dresden richtete, und den La Mara im ersten 
Band ihrer „Musikerbriefe aus 5 Jahrhunderten“ nach dem 
Original aus dem Ratsarchiv zu Dresden mitgeteilt hat. 
Mag daraus nur die nachstehende Stelle hier angeführt werden : 
„Es wird Eu. Magnific. und Hoch Edelgeb. Herrligk. nicht 
unbewust sein, was massen der Herr Pezold, gewesener Or- 
ganist bey der Sophien-Kirche, dieses Zeitliche gesegnet, und 
also dessen vacante Station mit einem subjekto wieder zu er- 
setzen; wenn demnach bey Eu. Magnificence und Hoch Edel- 
st, Herrligk. als einen competenten mich gehorsamst melden 
wölte (obgleich derer kein Mangel seyn dörffte). Als ergehet 
an Eu. Magnific. und Hoch Edelgeb. Herrligk. meine unter- 
thänige Bitte, daß Dieselben gnädig geruhen wollen, bey dieser 
vacance meine Wenigkeit in hohe consideration zu ziehen, 
und nebst andenn competenten mich zur probe gnädig zu 

1 • / / “ (4 

E beider hielt der Mensch mit dem Künstler nicht gleichen 
Schritt Sein schwächlicher, hin und her schwankender Cha- 
rakter seine Neigung zur Trunksucht und seine oft würde- 
w Haltung brachten ihn sowohl in Dresden wie in Halle 
wiederholt m Konflikt mit seinen Aufsichtsbehörden und 
ließen selbst seine besten Freunde vor den Kopf. Auch 
st . , T Zerstreutheit und sein Mangel an Pflicht- 
erfüllung^ untergruben seine Stellung. Die Philister und Spieß- 

Saften nod ästet nicht beherrschen konnte So verlor er 
«iVnHolt und lebte an verschiedenen Orten in Leipzig, 
Berlin BrSmschweig etc. unstät und flüchtig em Ahasver 

t« Friedrichs des Großen, die Prinzessin 
gebildete Sc wa ren gerecht gegen ihn und wandten 

Amaha. von i f zu j n Berlin war er wiederholt Gast 

ihm ihr Woh cich f ür ihn lebhaft interessierte und die 

der Pr 1 ^ Z fkräftig unterstützte. Aus Dankbarkeit widmete 
ihn auch taticraiug o p„ CTM 

er ihr im 


Tahre 1778 acht Fugen, die man als die letzten 
, ctrengpolyphonen Schreibart bezeichnen könnte. 

Er S mu^ß te der* Prinzessin oft auf der Orgel Vorspielen, und 



ELSA WEIGL-PAZELLER. 


sie war wie alle Welt von seinem herrlichen und wunderbaren 
Spiel entzückt und ergriffen. Besonders staunte sie die 
Schnellkraft seiner Finger an und kargte auch nicht mit Aus- 
drücken des wärmsten Lobes. Sein Selbstgefühl verließ ihn 
auch im Alter nicht, als er bereits an den Bettelstab ge- 
kommen war. In dieser Beziehung erzählt man allerlei ihn 
und sein Wesen bezeichnende Anekdoten, von denen hier 
nur die eine erwähnt werden soll. Als er wieder einmal in 
Potsdam der Prinzessin Amalia von Preußen Orgel vorspielte, 
bestellte die hohe Frau eine Tasse Tee. Als er dies hörte, 
sagte er, ohne sich übrigens in seiner Fuge stören zu lassen: 
„Auch ich bitte mir eine aus.“ Der Komponist und berühmte 
Theoretiker Johann Philipp Kirnberger, der gleichfalls von 
der Prinzessin zur Tafel geladen worden war und hinter ihm 
stand, mußte wegen der im trockensten und befehlshaberischen 
Tone ausgesprochenen Bitte W. F. Bachs unwillkürlich laut 
auflachen. Die gütige Prinzessin jedoch flüsterte ihm ins 
Ohr: „Lieber Kirnberger, so was darf sich schon ein Bach 
erlauben.“ Der Tee wurde aufgetragen und die Prinzessin 
reichte mit eigener Hand dem Orgelvirtuosen die erste Tasse, 
die ihr gebracht wurde. Er schlürfte sie mit Wohlbehagen. 

Danke untertänigst,“ sagte er, und nachdem sie ausgetrun- 
ken, reichte er sans fa?on die leere Tasse der Herrin des 
Hauses, als wäre sie dazu berufen gewesen, sie aus dem 
Wege zu räumen. 

W. F. Bach ist als Komponist, Fugist und Theoretiker bis- 
her noch nicht seinem vollen Werte nach gewürdigt worden. 
Zahlreiche Kompositionen von ihm befinden sich handschrift- 
lich in der Musik-Abteilung der Berliner königl. Universitäts- 
Bibliothek. Eine Auswahl von. Konzerten, b'onaten, Phan- 
tasien, eine Suite usw. für Klavier und eine Trio-Sonate 
B dur gab Hugo Riemann heraus, während sein Orgelspiel 
dmoll und eine Phantasie und eine Fuge von A . Stradal 
für Klavier ediert wurde. Eine Sonate für zwei Klaviere 
befindet sich im 43. Jahrgang der Ausgabe der Bach-Gesell- 
schaft als Werk seines Vaters verzeichnet, doch rührt sie 
nicht von diesem, sondern von Wilhelm Friedemann her. 
Alles in allem beträgt die Zahl seiner Instrumental-Kompo- 
sitionen etwa 60 Nummern. Einige dieser Instrumental-Fugen, 
besonders seine Konzerte, sind in großem Stil gehalten, tönen 
zugleich graziös und glänzend und entbehren jene kontra- 
punktische Steifheit, die sonst vielen seiner kirchlichen Kom- 
positionen anhaftet. 

Am Abend seines Lebens, im Jahre 1778, beabsichtigte 
Wilhelm Friedemann, der bis dahin nur Klavierkonzerte, 
Orgelfugen, Fughetten, Klaviersonaten, Polonaisen für Kla- 
vier, Advents- und Pfingstmusik usw. geschrieben, eine Oper 
zu komponieren. Seine ganze erfinderische musikalische Kraft 
wollte er hier konzentrieren. Der Theaterdichter des Berliner 
Natiohaltheaters, das damals unter der Leitung von Theo- 

449 


philus Döbbelin stand, namens Plümecke, hatte ihm dazu 
einen wirksamen Text nach der Erzählung des französischen 
Dichters Marmontel geschrieben, der ihm sehr gefiel. Bach 
beabsichtigte in dieser Oper die Theaterchöre der Alten wie- 
der auf die Bühne zu bringen, doch fehlte es dem alten Mei- 
ster damals schon an der nötigen Schwungkraft und Energie, 
um seine Oper zu vollenden. 

'Es sei noch daran erinnert, daß er sich auch als Theo- 
retiker bekannt machte. ■ Er hat mehrere längere und kürzere 
Aufsätze über die Theorie der Musik, unter anderem auch 
eine Abhandlung vom „harmonischen Dreyklang“ geschrieben. 

Ueberblickea wir das Leben und das Schaffen und Wirken 
des am i. Juli 1784 im 74. Lebensjahre in Elend und Not 
verstorbenen Musikers, der so Großes verheißen und so wenig 
Dauerndes und Bleibendes geschaffen hat, so müssen wir mit 
dem Dichter ausrufcn: „Welch edler Geist ward hier zer- 
stört!“ A. K. 


Georg Richard Kruse: Otto Nicolai. 

V or einiger Zeit ist ein neues großes Werk aus der 
Feder dieses überaus verdienstvollen Forschers er- 
schienen, das meines Wissens bisher leider noch 
nicht diejenige allgemeinere Beachtung und Aufmerksam- 
keit gefunden hat, deren es mit vollem Recht wert und würdig 
ist: ich meine die Biographie Otto Nicolais 1 . — Und doch 
— sollte man meinen — hätte gerade ein solches Werk 
ganz besonderem Interesse auch in weiteren Kreisen be- 
gegnen müssen, denn einerseits zählt ja Nicolai als Schöpfer 
der „Lustigen Weiber von Windsor“ gewiß zu unseren be- 
kanntesten und beliebtesten Komponisten anf dem Gebiet 
der Spieloper, andererseits weiß und kennt man von seinem 
Leben und Schaffen, abgesehen von diesem einen Werk, 
ganz auffallend wenig, und zudem mußte gerade Georg 
Richard Kruse, der Verfasser eines so trefflichen, umfang- 
reichen Werkes über Albert Lortzing, als der geeignetste 
Mann für eine Biographie auch dieses Lustspielkomponisten 
erscheinen. 

Mit gutem Grund weist Kruse in der Vorrede seines Buches 
darauf hin, daß mit Ausnahme der schon früher veröffent- 
lichten Briefe und Tagebücher Nicolais über sein Leben 
und seine Persönlichkeit, über seinen künstlerischen Werde- 

t ang und die Entstehungsgeschichte seiner zahlreichen, 
eutzutage größtenteils verschollenen Werke eine zusammen- 
fassende, übersichtliche Arbeit bisher noch fehlte und daß 
gerade eine so unruhige und wechselvolle Künstlerlaufbahn 
wie die Nicolais, so „überaus reich an inneren und äußeren 
Erlebnissen, an Kämpfen und Mühen, an schönen und ge- 
fährlichen Impulsen, an stolzen Erhebungen und nieder- 
drückenden Enttäuschungen, an leidenschaftlichem Glück 
und verzweiflungsvollem Kummer, an interessanten Be- 
gegnungen und komischen Abenteuern“, daß gerade eine 
solche Künstlerlaufbahn einer besonders eingehenden Er- 
örterung und Klarlegung bedarf. 

Kruses hervorragendste Eigenschaften, sein bewunderungs- 
würdiger Fleiß, sein reiches Wissen und sein leicht fließender 
Stil lassen ihn für eine solche bedeutungsvolle, große Auf- 
gabe geradezu prädestiniert erscheinen; sei es daß er Nico- 
lais eigene Aufzeichnungen , frühere Veröffentlichungen oder 
noch unbekanntes Material mit kritischem Urteil verarbeitet, 
sei es daß er dessen persönliche Beziehungen zu verschiedenen 
bedeutendsten Persönlichkeiten, zu den schönsten Gegenden, 
zur ganzen Zeit- und Sittengeschichte darstellt oder den 
tiefsten Geheimnissen des künstlerischen Schaffens nach- 
geht, stets weiß er den Leser durch die gediegene Vornehm- 
heit seiner geistvollen Ausführungen aufs lebhafteste zu 
interessieren und zu fesseln. 

Schon die ersten Kapitel über Nicolais Jugendzeit sind 

f länzende Beispiele von Kruses meisterhafter Darstellungs- 
unst. Mit fast plastischer Deutlichkeit entwirft er vor 
unserem geistigen Auge ein scharf gezeichnetes Bild des 
musikalischen Lebens in Berlin während der Jahre 1827 
bis 1833. Dorthin war Nicolai nach einer freudlosen Kinder- 
zeit bei seinem in moralischer Hinsicht ganz haltlosen Vater 
als siebzehnjähriger Jüngling auf Vermittelung einsichts- 
voller Freunde gekommen, um sein schon früh erwachtes 
musikalisches Talent auszubilden. Bald hatte er sich durch 
wohlwollende Empfehlungen, durch seine trefflichen Lei- 
stungen in Gesang und Klavierspiel und seine liebenswürdige 
Persönlichkeit Eingang in die besten musikalischen und 
gesellschaftlichen Kreise verschafft: Der allmächtige Spon- 
tini als Generalmusikdirektor der Hofoper, der alte Zelter, 
sein verehrter Lehrer, der junge Mendelssohn, auch Schleier- 
macher und andere, alle nahmen sich des jungen hoffnungs- 


1 Otto Nicolai, Ein Künstlerleben von Georg Richard 
Kruse, Berlin, Verlag „Berlin-Wien“. 


vollen Künstlers bereitwilligst an. Bald gibt er, fast selbst 
noch ein Schüler, Unterricht in den vornehmsten Häusern 
Berlins, seine ersten Kompositionen, zunächst meist Lieder 
und Duette, später auch Chor- und Instrumentalwerke, 
werden gern gespielt und gesungen — leider ist von diesen 
nur sehr wemg erhalten geblieben und bekannt, das meiste 
verschollen. Seine zumal bei Zelter betriebenen Gesangs- 
studien befähigen ihn sogar bei einer Aufführung der „Mat- 
thäuspassion“ unter Mendelssohns Leitung im Jahre 1831 
die Partie des „Jesus“ zu singen, eigene Konzerte in der Sing- 
akademie, wo er gleichzeitig als Komponist (cmoll-Sym- 
phonie), Dirigent (Mendelssohns Ouvertüre zum „Sommer- 
nachtstraum“ ), Pianist (Beethovens c moll-Klavierkonzert) 
und Sänger (Konzertarie von Mozart) auftrat, erregten 
großes, berechtigtes Aufsehen und verbreiteten mehr und 
mehr seinen künstlerischen Namen wie auch seine persön- 
lichen Beziehungen zu den einflußreichsten Kreisen. Deren 
Fürsprache hat er auch seine Berufung als Organist an 
die preußische Gesandtschaftskapelle in Rom zu verdanken; 
nach langer, aber ungemein genußreicher Reise traf er am 
26. Januar 1834 in der „ewigen Stadt“ ein. 

Auch deren reichbewegtes Leben in seinen vielen bunt- 
schillernden Gegensätzen findet in Kruse einen trefflichen 
Zeichner: die tiefen künstlerischen Eindrücke, die Nicolai 
aus den Werken der Malerei und der bildenden Kunst, aus 
der Oper, der Kirchenmusik, besonders aus den Werken 
Palästinas in der weltberühmten Sixtinischen Kapelle, 
schöpfte, die mannigfachen persönlichen Einflüsse und Er- 
lebnisse, die ihm sein anregender Verkehr in den ersten 
Künstler- und Gesellschaftskreisen, sein Musikunterricht in 
vornehmen englischen und russischen Familien, die heiteren 
Künstlerfeste, die tolle Ausgelassenheit des Karnevals in 
so reicher Fülle boten, das alles ist von Kruse zu einem 
wirkungsvollen farbenprächtigen Bild zusammengefaßt. Seine 
berufliche Tätigkeit nahm Nicolai ja nur an Sonn- und Feier- 
tagen in Anspruch, seinen höchst bescheidenen Gehalt sucht 
er, wie schon erwähnt, durch Stundengeben zu verbessern; 
daß er sich gleichwohl in Rom sehr wohl und zufrieden 
gefühlt haben muß, bezeugt ein Brief an seinen Vater, in 
dem er schreibt: „Bei alledem spiele ich in Rom eine ele- 
gante Rolle, bin in den vornehmsten Zirkeln eingeführt 
und amüsiere mich außerordentlich gut. Ich muß in allen 
Gesellschaften spielen, so wie ich in Berlin singen mußte, 
und bin auf einmal zum großen Klaviervirtuosen avanciert, 
ohne selbst zu wissen wie. Dabei tue ich gewöhnlich nichts 
als fantasieren und benutze italienische Themas zu kontra- 
punktischen Ideen, wodurch ich immer besondere Auf- 
merksamkeit errege; denn hier, wo die Musik fast immer nur. 
eine Melodie mit ein bißchen harmonischer Begleitung ist, 
erregt ein kleines Fugato mehr Interesse und Bewunderung 
als bei uns der ganze Johann Sebastian Bach.“ Daß Nicolai 
in Rom auch zum erstenmal mit Franz Liszt zusammentraf 
und einmal mit dem jungen Ambroise Thomas, dem späteren 
berühmten Komponisten der „Mignon“, zusammen in einer 
Gesellschaft die damals noch fast ganz unbekannte „Frei- 
schütz-Ouvertüre“ vierhändig spielte, sei der Merkwürdigkeit 
wegen noch kurz erwähnt. Auch manche neuen Werke, 
zum Teil Gelegenheitskompositionen zu irgendwelchen be- 
sonderen Anlässen, z. B. ein Trauermarsch auf Bellinis Tod, 
entstanden in Rom, leider sind sie aber, nur dem Namen nach 
aus seinen Tagebüchern bekannt, fast ausnahmslos unauffind- 
bar geblieben. Auch seine ersten Versuche als Musikschrift- 
steller fallen in jene Zeit, „Italienische Studien“, die Robert 
Schumann in seiner kurz vorher gegründeten „Neuen Zeit- 
schrift für Musik“ veröffentlicht hat. 

Nach zwei Jahren ging Nicolais Anstellung zu Ende und 
ausgezeichnet mit den Titeln eines Kgl. Preußischen Musik- 
direktors, eines römischen Kapellmeisters und Professors ver- 
ließ er schweren Herzens die „ewige Stadt“. Während der 
nächsten Monate durchzog er nun Italien kreuz und quef; 
bald hier bald dort suchte er frühere Bekanntschaften mit 
einflußreichen Kreisen und bedeutenden Musikern wieder 
aufzufrischen, neue Beziehungen auf Grund wertvoller Emp- 
fehlungen anzuknüpfen, durch die spärlichen Einnahmen 
aus kleineren Gelegenheitskompositionen und einigen Kon- 
zerten konnte er sich mühsam seinen Lebensunterhalt ver- 
dienen, bis ihn endlich im April 1837 in Mailand der Ruf 
als Kapellmeister und Gesangslehrer an die Kaiserliche Oper 
in Wien erreichte. Doch schon im nächsten Jahr mußte 
er diese Stellung wieder verlassen, verdrängt anscheinend 
durch die fortgesetzten böswilligen Intrigen seines vor- 

f esetzten Kapellmeisters, Konradin Kreutzer, des bekannten 
Komponisten des „Nachtlagers in Granada“, der wahrschein- 
lich die ihm selbst so gefährliche große Begabung seines 
jüngeren Kollegen vorausgeahnt hat. Wieder wendet er 
sich nach dieser herben Enttäuschung, wie Kruse sehr ein- 
gehend beschreibt, nach Italien und nach Rom, diesmal in 
der ganz bestimmten Absicht, durch die Komposition einer 
erfolgreich durchschlagenden Oper mit einem Mal ein be- 
rühmter und reicher Mann zu werden. Die Aufführung 
seines ersten dramatischen Versuchs, der Oper „Enrico II. , 


450 



.in Triest erfüllte freilich diese seine Hoffnung noch nicht, 
um so mehr aber dann seine zweite Oper „II templario“ 
(Der Tempelritter) nach Walter Scotrs „Ivanhoe“ von 
Marini bearbeitet, die im Jahr 1840 in Turin zum erstenmal 
gegeben- wurde. Schrieb Nicolai über seine erste Oper dem 
Vater: „Der Erfolg ist ein halber gewesen . . . der Ausgang 
war übrigens ein solcher, wie ihn ein Deutscher, der seine 
erste Oper in Italien gibt, nicht anders hoffen darf", so 
konnte er über die Aumahme seines zweiten Bühnenwerkes 
in seinem Tagebuch bemerken: „Der Erfolg ist ein un- 
geheurer gewesen; er hat alle Erwartungen und Hoffnungen 
ubertroffen. So habe ich denn, ein Deutscher, in Italien 
einen entschiedenen Furore gemacht . . . man erweist mir 
jetzt hier eine Menge Ehrenbezeugungen. So geht die 
Welt! — auf und ab!“ Dieser Erfolg blieb denn nun auch 
dem Werk überall treu, nicht nur auf sämtlichen Bühnen 
Italiens, auch im Ausland, selbst in Petersburg, Konstanti- 
nopel und New York wurde im Lauf der nächsten Jahre 
„II templario“ stets mit dem größten Beifall aufgeführt, 
ein in der Tat riesiger Erfolg, der aber gleichwohl unsern 
Künstler für den entschiedenen Mißerfolg seiner beiden 
nächsten Opern nicht entschädigen konnte. 

Unzufrieden deshalb mit Italien nahm er mit um so größerer 
Freude die Einladung an, die erste Aufführung seines 
„templario“ am Kärntnertor-Theater in Wien selbst ein- 
zustudieren und zu leiten. Der allgemeine Erfolg dieses 
Werkes auch hier trug ihm seine Anstellung als erster Kapell- 
meister an diesem Theater ein, wo er nur den berühmten, 
freilich mehr in Paris als in Wien lebenden italienischen 
Komponisten Donizetti als kaiserlich königlichen Kammer- 
kapellmeister und Hofkompositeur zum Vorgesetzten hatte. 
So glücklich sich auch Nicolais Tätigkeit als Opemkapell- 
meister anließ, sieht Georg Richard Kruse doch mit Recht 
sein weit größeres Verdienst in der Gründung der philhar- 
monischen Konzerte, die nach mancherlei anfänglichen 
Schwierigkeiten mid Unterbrechungen sich, dann- vom Jahr 
1859 an bis auf den heutigen Tag als vornehmstes Kunst- 
institut Wiens erhalten haben. Die Aufführung seiner schon 
früher in Italien mit mäßigem Beifall gegebenen Oper „II 
Proscritto“, jetzt als deutsche Oper umgearbeitet unter dem 
Titel „Die Heimkehr des Verbannten“, bringt ihm weitere 
Erfolge in Wien, während die deutsche Bearbeitung des 
„Templario“ sehr wenig gefiel. Seine Anwesenheit bei der 
300jährigen Jubelfeier der Universität seiner Vaterstadt 
Königsberg bringt ihn endlich wieder in engere, wertvolle 
Beziehungen zu seinem Vaterland und besonders zu dem 
kunstsinnigen König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen, 
die sich ihm bald darauf noch sehr nützlich erweisen sollten. 

Auf der rastlosen Suche nach einem brauchbaren Opem- 
stoff kam Nicolai auch auf Shakespeare, für den er stets 
eine ganz besondere Vorliebe gehegt hatte; in dessen Lust- 
spiel „Die lustigen Weiber von Windsor“ glaubte er endlich 
einen Stoff gefunden zu haben, dessen heiter-gefälliger Stil 
ihm selbst gut zu liegen und auch gerade dem Charakter 
des Wiener Publikums besonders zu entsprechen schien. 
Langer und umständlicher Arbeit verschiedener Textdichter, 
selbst Nicolais eigener Mithilfe bedurfte es, dies Textbuch 
schließlich fertig zu stellen. Welch bedeutsamen Anteil 
in der Tat unser Komponist an der dichterischen Ausarbeitung 
seiner Oper hat, weist Kruses Buch in einem Schreiben 
Nicolais ausführlich nach; doch langsam nur, häufig unter- 
brochen durch allzugroße dienstliche Arbeit und durch wieder- 
holte Krankheit, schreitet währenddessen die Komposition 
allmählich weiter. Da trifft ihn plötzlich der härteste Schlag; 
Balochino, der Direktor der Wiener Oper, lehnt die Am- 
führung der fast vollendeten „Lustigen Weiber“ aus nichtigen 
Gründen ab und erneuert Nicolais ablaufenden Vertrag nicht 
mehr weiter. Aufs tiefste getroffen und niedergedrückt ver- 
läßt der fast verzweifelte Künstler Wien und wendet sich 
nach mancherlei Irrfahrten endlich nach Berlin, wo er in 
König Friedrich Wilhelm IV. einen Gönner, Freund und 
Verehrer gefunden hatte, der auch wirklich Nicolais Hoff- 
nungen mcht trügen sollte: im Jahr 1848 wurde er zum 
Kapellmeister am Königl. Theater und zum Dirigenten des 
Königl. Domchors ernannt. Für diesen letzteren schrieb 
er in der nächsten Zeit eine Anzahl kirchlicher Werke, zu- 
meist Psalmen, die, größtenteils erhalten, zwar keine beson- 
ders starke Eigenart aufweisen, ihm jedoch die hohe Zu- 
neigung seines Königs erwarben. Interessant ist sein Ver- 
gleich zwischen den Orchestern in Wien und Berlin, wenn 
er schreibt: „Die Königl. Kapelle scheint mit mir zufrieden 
zu sein, dagegen habe ich viel an ihr zu wünschen gefunden. . . . 
Die Berliner haben nicht die entfernteste Ahnung von Sym- 
phonieaufführungen in der Vollendung, wie ich die Phil- 
harmonischen Konzerte in Wien hinstellte; dabei glauben 
sie aber, daß sie es besser als die ganze Welt machen. Die 
traurige Arroganz, die mir bei den Berlinern immer vor- 
waltend erschien, finde ich auch jetzt wieder an ihnen.“ 

Unter den immerhin gut geordneten und geregelten neuen 
Verhältnissen findet er allmählich auch seine frühere Schaffens- 
lust und Schaffenskraft wieder, so daß er seine „Lustigen 


Weiber" vollenden und am 8. März 1849 z mn erstenmal 
in Berlin zur Aufführung bringen konnte. Dieses in der Tat 
mit Recht als allgemein bekannt vorauszusetzende Werk 
selbst bespricht Kruse nicht näher, wohl aber um so aus- 
führlicher seine bedeutsame Stellung in der Entwicklungs- 
geschichte seines Schöpfers und im Zusammenhang mit 
anderen komischen Opern. Wenn Nicolai, wie Kruse erzählt, 
schon während seines ersten Aufenthalts in Rom gesagt 
hat: „Deutsche Schule muß da sein, das ist die erste 
Bedingung, aber italienische Leichtigkeitjmuß dazu kommen. 
So ist Mozart entstanden, und wenn ich Geist hätte, so 
könnte ich auch was Gutes machen“, so hat er hiermit da- 
mals schon jene künstlerische Idee aufgestellt, die er weit 
später in den „Lustigen Weibern“ erst verwirklichen sollte; 
denn daß ihm der Geist nicht fehlte „was Gutes zu machen“, 
das bezeugt eben dieses Werk. Mit ihm wandte er sich 
in ganz bewußter Absicht und Entschiedenheit von seinen 
bisherigen italienischen Vorbildern ab und deutschen Vor- 
bildern zu: an Mozart gemahnend ist nach Kruses Meinung 
der wirkungsvolle Aufbau der Finali und die anmutige 
Zeichnung der Frauengestalten, an Lortzing erinnert die 
kernige Art des Humors und die plastisclie Gestaltung 
der derbgeschnitzten Männerfiguren, an Weber der roman- 
tische Elfenspuk im Mondscheinzauber mit seinen phan- 
tastischen Erscheinungen. An der Hand dieser Vorbilder 
hat uns Nicolai eine echte deutsche komische Oper in den 
„Lustigen Weibern“ geschenkt, seine erste — leider auch 
seine einzige. Die Aufnahme bei Publikum und Presse 
war zunächst zwar recht freundlich und herzlich, keineswegs 
aber begeistert oder gar enthusiastisch und ließ nicht im 
mindesten den Siegeszug vorausahnen, den dies Werk bald 
darauf von Bühne zu Bühne durch die ganze musikalische 
Welt an treten sollte; sich dieses Ruhmes zu erfreuen war 
seinem Komponisten nicht mehr vergönnt, wenige Wochen 
nach der ersten Aufführung, am 1 1 . Mai, raffte ihn ein Schlag- 
anfall plötzlich dahin. 

Das Bild, das Georg Richard Kruse so ausführlich in wirk- 
lich meisterhafter Darstellung von Nicolais Leben und Schaf- 
fen entwirft, habe ich in einigen großen Umrissen nachzu- 
zeichnen versucht, um damit die Aufmerksamkeit des musik- 
liebenden Publikums auf dessen Werk zu lenken. Zahlreiche 
interessante Bilder, Notenbeispiele und andere wertvolle 
Beilagen erhöhen seine Bedeutung und illustrieren seinen 
Inhalt in dankenswerter Weise. Möge das Buch, das mit 
so viel Liebe geschrieben ist, ebenso viel Gegenliebe als 
wohlverdiente Anerkennung finden! August Richard. 


Ueber das Musikhören bei Tieren. 

M usik ist das Herz des Menschen“ sagt Wagner. Wir 
wissen nicht, wann sie entstanden ist, wann das We- 
sen gelebt hat. das die erste harmonische Ton- 
verbindung sang, aber wir müssen entschieden sehr weit 
zurückgreifen, wenn wir an den Ursprung musikalischer Pro- 
duktionsfähigkeit gelangen wollen, selbst auch dann, wenn 
die Annahme, daß die menschliche Sprache sich überhaupt 
erst aus der Musik entwickelt hat, der Sington des Menschen 
sich also früher gebildet hätte als der Sprechton, sich als 
imhaltbar erweisen würde. 

Was den ersten menschlichen oder menschenähnlichen 
Wesen jedoch in rauhen unartikuliert singenden Ruftönen 
aus der Kehle drang, hat die Kultur der Jahrtausende in das 
umgewandelt, was wir heute Musik nennen, was in weichen, 
sich ineinander gliedernden Harmonien unser Ohr umschmei- 
chelt und uns gewissermaßen zum seelischen Bedürfnis ge- 
worden ist. Die Steigerung der Aufnahmefähigkeit von Musik, 
des musikalischen Erfassens, charakterisiert in unseren Augen 
den geistig hochstehenden Menschen, wir freuen uns, wenn 
schon- das Kind Gefallen beim Anhören von Musik zeigt und 
schließen daraus auf eine gewisse geistige Befähigung. Allein 
wir vergessen vielfach ganz, daß auch das Tier und nicht 
immer nur das hoch- und höchstorganisierte Tier, die Fähig- 
keit besitzt, Musik als solche zu hören und zu erkennen. 

Das Musikhören eines Tieres wäre natürlich an und für 
sich keine besondere Leistung, denn sobald, sein Gehörapparat 
normal funktioniert, wird der Gehörnerv so gut wie alle anderen, 
auch die musikalischen Töne dem Gehirn zuführen. Es handelt 
sich vielmehr darum, ob die Gehimsphäre, in der die Um- 
wandlung des Tonhörens in das Tonempfinden vor sich geht, 
beini Tier so funktioniert, daß die Musik nicht nur als bloßes 
Geräusch, sondern auch wirklich als etwas, von den das Tier 
sonst umgebenden Lauten verschiedenes, ja manchmal viel- 
leicht direkt angenehmes empfunden werden kann. Daß 
dies aber der Fall ist, beweist uns ein ziemlich reichliches 
Tatsachenmaterial. 

Natürlich sind nicht alle Tiere musikempfänglich. Es 
steht auch durchaus nicht fest, inwieweit solche Tiere in ihrer 


451 



Fähigkeit der Tonperzeption miteinander Übereins timmen und 
es ist wohl auch kaum anzunehmen, daß eine solche Ueber- 
einstimmung bei den in der Organisation ihrer Gehörsorgane 
doch verhältnismäßig ziemlich verschiedenen Tieren über- 
haupt besteht. Ebensowenig bedeutet die Empfänglichkeit 
eines Tieres für Musik gleichzeitig auch dessen Fähigkeit, 
die Musik als solche überhaupt auffassen zu können. In 
den meisten derartigen Fällen wird das Anhören von Musik 
wohl unwillkürlich ein angenehmes, wohltuendes Gefühl hervor- 
rufen, ohne daß jedoch das Tier auch nur den leisesten Begriff 
besitzt oder sich klar machen kann, wodurch gerade dieses 
Gefühl verursacht wurde. Demgegenüber stehen indes auch 
wieder zahlreiche Beispiele, die uns den sicheren Beweis liefern, 
daß die Musik oft genug erkannt und demgemäß nicht nur 
mit Sympathie sondern häufig auch mit deutlich kundgegebener 
Antipathie aufgenommen wird. Und gerade das letztere 
ist hier von nicht unwesentlicher Bedeutung. Derselbe Hund, 
der z. B. beim Beginn irgendeiner Instrumentalmusik in 
lautes Heulen ausbricht, wird auf andere ebenso laute und 
lautere Geräusche, wie Klopfen, Feilen u. dergl. gewiß nie- 
mals reagieren, er vermag aber die Musik als solche zu emp- 
finden und zwar in diesem Falle als eine ihm wahrscheinlich 
direkt unangenehme Lautgebung. Allerdings mag es auch 
Fälle geben, in denen die Musik völlig unbewußt 
als widerlich und lästig empfunden wird. 

Sobald wir einen Unterschied machen zwischen eigentlich 
musikempfänglichen Tieren, d. h. solchen, die das, was der 
Mensch als Musik bezeichnet, erkennen und anderseits solchen, 
die nur die von ihren Artgenossen hervorgebrachten Töne 
zu erfassen imstande sind, erhöht sich die Anzahl der „musik- 
oder tonempfindlichen“ Tiere natürlich um ein Beträchtliches. 
Wir müßten in diesem Falle unsere ersten Beispiele schon 
dem Insektenreiche entnehmen und mit den Heuschrecken 
und Grillen beginnen, deren Zirptöne von den Weibchen 
der Tiere, für deren Anlockung sie bekanntlich auch bestimmt 
sind, stets gut erkannt und in der Regel auch vollauf gewürdigt 
werden. Allein wir wollen diese Art individueller 
Tonempfänglichkeit beiseite lassen und uns aus- 
schließlich mit der zuerst genannten Gruppe, also denjenigen 
Tieren, die unsere Musik wahrzunehmen und zu erkennen 
vermögen, beschäftigen. 

Der recht hübsche, aber nicht eben wahrscheinlich klingende 
Bericht einiger älterer Autoren, daß Spinnen sich durch 
Musiktöne anlocken lassen, mag zwar erwähnt, doch keines- 
falls als gültiges Beispiel hingestellt werden. Und so finden 
wir denn wahrscheinlich die ersten musikempfänglichen Tiere 
erst unter den Wirbeltieren und zwar zunächst unter den 
Schlangen. Obgleich die akustischen Organe der 
Schlangen noch einen verhältnismäßig primitiven Bau auf- 
weisen, sind nichtsdestoweniger einige der tropischen Schlangen, 
darunter die gefährliche Brillenschlange, ausge- 
sprochene Musikliebhaber. Mit Hilfe der Musik, gewöhnlich 
langgezogenen Klarinettönen, werden sie von den indischen 
Gauklern, den sogen. Schlangenbeschwörern, angelockt und 
gezähmt, ja sogar auch zu Tanzbewegungen, die allerdings 
nur aus einfachen Bewegungen des Oberkörpers bestehen, 
animiert. Jedenfalls muß also eine gewisse Musikerkenntnis 
vorhanden sein, um bei dem Tier aas angenehme Gefühl, 
durch das es zu den von seinem Herrn gewünschten Bewegungen 
veranlaßt wird, auszulösen. 

Bei den Vögeln, unter denen sich ja bekanntlich eine 
ansehnliche Menge von „Berufsmusikem“ vorfindet, treffen 
wir Liebhaber unserer Musik nicht allzu oft an. Die weitaus 
größere Mehrzahl von Singvögeln besitzt höchstwahrscheinlich 
nur die Fähigkeit, die Töne ihrer eigenen Artgenossen wahr- 
zunehmen, darauf zu reagieren und sie nachzuahmen, ohne 
jedoch für andere Musik besonders tonempfindlich zu sein. 
Daß im Zimmer gehaltene Singvögel durch starkes Klavier- 
spiel oft zum Singen angereizt werden, scheint immerhin noch 
kein genügender Beweis für ihre Fähigkeit des Musikerkennens, 
da beispielsweise das Geräusch einer Nähmaschine oder auch 
nur lautes Sprechen sehr häufig denselben Effekt bei ihnen 
hervorzubringen pflegt und in dieser Hinsicht vermutlich der 
Lärm an und für sich die Tiere zum Singen veranlaßt. Gleich- 
wohl ist diesen Vögeln ein Unterscheidungsvermögen ihrer 
und unserer Musik nicht abzusprechen, denn ein Zeisig wird 
wohl niemals versuchen, eine ihm vorgepfiffene Melodie nach- 
zupfeifen, während er einen ihm vorsingenden Artgenossen 
sicher eifrig nachzuahmen bestrebt sein wird. Daß es ander- 
seits unter den Vögeln auch Individuen gibt, die für unsere 
Musik ein sehr feines Gehör besitzen (wie z. B. Stare und 
Amseln) und sich mit großer Vorliebe Melodien, die sie 
oft hören, aneignen, ist eine allseitig bekannte Erscheinung, 
sie steht aber un Tierreich auch insofern einzig da, als wir 
selbst bei den musikempfänglichsten Tieren keine musikalische 
Nachahmungsfähigkeit mehr finden. 

Die Säugetiere, bei denen sich gleichzeitig mit ihrer 
sich allmählich vervollkommnenden Körperorganisation auch 
eine verstärkte Gehirn tätigkeit entwickelt, bieten uns in bezug 
auf ihr musikalisches Wahrnehmungsvermögen wohl die 
interessantesten Beispiele. So sind z. B. in der Gefangen- 

452 


Schaft gehaltene Mäuse sehr häufig durch Musik anzulocken. 
Auch bei Ratten wurde’ ein primitives m usika lisches Er- 
fassen beobachtet, was man in früheren Jahrhunderten in 
Frankreich dazu benützte, die Tiere zum Tanzen nach Ballett- 
musik abzurichten, wobei angeblich sogar der Takt eiijgehalten 
wurde. Die Sage vom Rattenfänger gründet sich übrigens 
aller Wahrscheinlichkeit nach ebenfalls auf der im Volke 
offenbar bekannten Musikliebe der Ratten. 

Bei Gebirgskühen kann man häufig die Beobachtung 
machen, daß sie sich nur dann melken lassen, wenn die Sennerin 
während des Melkens singt oder jodelt. Im Augenblick wo 
das Singen eingestellt wird, beginnt das Tier zu bocken, und 
sich der Milchentnahme heftig zu widersetzen. Weniger naeh- 

f e wiesen, wenn auch von manchen Autoren behauptet, ist 
ie Musikliebe von Schafen. Ein sehr hübsches Beispiel 
von Tonerkennung erzählt uns Darwin von Maultieren, 
die er auf seiner Reise durch Südamerika zu beobachten 
Gelegenheit hatte. Die Leitstijte der Herden trüg um den 
Hals eine kleine Glocke, deren Klang die Tiere ihrer Herde 
zusammenhielt. Befanden sich nun mehrere Herden zu gleicher 
Zeit auf derselben Weide, so kannte doch jedes und auch das 
jüngste Maultier unter den verschiedenen anderen Glocken- 
tönen genau die Glocke seiner Leitstute heraus und es kam 
niemals vor, daß Tiere einer Herde sich einer anderen an- 
schlossen. 

Ob die Angabe eines älteren Autors, daß sich der Hirsch 
durch den Klang einer Flöte oder Schalmei anlocken ließe, 
auf einer Tatsache beruht, möchte ich stark bezweifeln, durch 
Waldhomklänge läßt er sich indes gern zur Fütterung rufen. 
Große Musikliebhaber sind dagegen die Kamele, die ihre 
großen Lasten am andauerndsten dann tragen, wenn die Führer 
während des Zuges ihre eintönigen Weisen singen oder pfeifen. 
Daß man stark ermüdete Kamele durch Musik wieder etwas 
aufmuntem kann, ist gleichfalls ein jedem Kamelführer be- 
kannter Kniff. 

Auf die Fabeln, mit denen die alten Griechen und Römer 
den Delphin schmückten, der auf Musikklänge hin aus 
weitet Feme herbeigeschwommen kommen sollte, wollen wir 
an dieser Stelle lieber verzichten, obgleich es durchaus möglich 
scheint, daß die Erzählungen ursprünglich auf Grund irgend- 
einer tatsächlich gemachten Beobachtung entstanden. 

Unser vornehmstes Haustier, das Pferd, das in jüngster 
Zeit so verschiedene Talente offenbarte, ist nur in gewissen 
Fällen, dann aber ein um so leidenschaftlicherer Musikfreund. 
Eine nähere Besprechung scheint, wenn wir an Militär- und 
Zirkuspferde denken, die uns so vielfach ihr scharfes musi- 
kalisches Wahmehmungs- und Unterscheidungs vermögen zei- 
gen, wohl unnötig. Es dürfte sich hier in den meisten Fällen 
wohl auch nur um Gewohnheits- oder Dressurergebnisse 
handeln, die aber, wenn das betreffende Tier nicht die nötigen 
geistigen Anlagen besäße, immerhin unausführbar blieben. 
Gute Dessur mag übrigens auch gelegentlich manches Raub- 
tier zum Musikliebhaber machen, nachdem aber solche Fälle, 
wenn sie auch als wahrscheinlich annehmbar sind, doch nicht 
als Regel aufgestellt werden dürfen, sollen sie auch nicht 
näher in Betracht gezogen werden *. 

Manchmal werden Bären als musikliebend hingestellt 
und zwar wahrscheinlich deshalb, weil sie häufig zum Tanzen, 
d. h. zur Ausführung hüpfender Bewegungen nach den Klängen 
einer einfachen Musik, abgerichtet werden. Wer jedoch die 
höchst grausame Dressurmethode kennt, mit deren Hilfe 
man den Tieren das sogenannte Tanzen beizübringen pflegt, 
der wird wohl nicht mehr daran zweifeln, daß hier von einem 
Wohlgefallen an der Musik von seiten des Bären nicht gut 
die Rede sein kann. Viel eher kann man an manchen Affen 
ein gewisses Behagen beim Anhören von Musik beobachten, 
auch Elefanten sollen bisweilen musikfreundlich gesinnt 
sein, die hübschen Erzählungen aber, die von Wolfen 
berichten, deren Appetit durch das Geigenspiel eines in ihr 
Bereich geratenen, geistesgegenwärtigen Musikers beschwich- 
tigt wurde, wollen wir doch lieber als eine recht — seltene 
Ausnahme betrachten. 

In zoologischen Gärten hat man in letzter Zeit wiederholt 
Versuche angestellt, um die Wirkung der Musik auf Tiere zu 
prüfen, indem man ihnen Grammophonmusik Vorspielen 
ließ und nun ihr Verhalten den aus dem Apparat heraus- 
flutenden Tönen gegenüber beobachtete. Ob diese Methode 
wirklich zu empfehlen ist, möchte ich allerdings dahingestellt 
sein lassen. Denn das vollkommen Neue und bisher nie Ge- 
hörte mag manches Tier, das sich etwa beim Anhören einer 
einfachen Instrumentalmusik unbewußt wohl gefühlt hätte, 
ohne weiteres erschreckt, zum mindesten aber doch un- 
sympathisch berührt haben. Vollkommene Teilnahmslosig- 
keit war übrigens auch in verschiedenen Fällen zu konstatieren. 
Das höchste, was ein Tier an musikalischem Erkennen zu 


1 Katzen scheinen übrigens zuweilen Musikempfindung 
zu besitzen. Wenigstens berichtete seinerzeit Aug. Weis- 
mann von einem Hauskater, der jedesmal, wenn Klavier 
gespielt wurde, hinzukam und sich still neben den Spieler 
setzte. 



leisten imstande ist, bietet uns der Hund. Die verblüffenden 
Resultate, die man diesbezüglich beim Hunde gewonnen hat, 
sind aber durchaus nicht ms bloße Ergebnisse einer guten 
Dressur zu betrachten, sie beruhen viel eher auf den geistigen 
Entwicklungsfortschritten, die sich das Tier durch Gene- 
rationen hindurch sich steigernde Gehörsfeinheiten angeeignet 
hat. Ist doch der Hund ein ausgesprochener Kulturfolger, 
der die Nähe des Menschen nicht mehr missen kann. Sehr 
häufig scheinen die Hunde eine entschiedene Abneigung gegen 
die Musik zu empfinden und musikhebende Hunde sind daher 
fast ab Ausnahmen zu betrachten. Immerhin hat man in 
dieser Beziehung wohl auch noch nicht allzu viele Beobach- 
tungen gesammelt. 

Ob nun der Hund der Musik sympathisch oder antipathisch 
gegenübersteht, mag in seiner jeweiligen individuellen Ver- 
anlagung zu suchen sein, jedenfalls hat er aber wenig oder 
nichts zu tun mit der bei manchen Hunden beobachteten, 
geradezu phänomenalen musikalischen Unterscheidungsgabe, 
die durch die vor einigen Jahren von Dr. Kalischer in Berlin 
vorgenommenen Versuche festgesteht wurde. Kahschers 
Experimente, von ihm „Hörprüfungen“ genannt, die 
zunächst die „genaue Lokalisierung der Gehörsemdrücke im 
Gehirn“ bezweckten, bestanden darin, daß der Hund, wenn 
ein ganz bestimmter Ton — zuerst auf der Orgel, 
später auf dem Klavier und Harmonium — angeschlagen 
wurde, nach einem Fleischstück schnappen durfte, was ihm 
dagegen bei den anderen Tönen untersagt war. Sehr bald 
wurde der „Freßto n“ von den 'sämtlichen anderen Tönen, 
den „Gegentöne n“, unterschieden, ja beim Anhören der 
letzteren wandte sich der Hund sogar direkt vom Freßnapf 
ab. Nach einiger Uebung wurde der Freßton, auch wenn 
man ihn mit anderen Tönen zugleich anschlug, noch prompt 
erkannt, schließlich aber aus einer Tonfülle herausgehört, 
die selbst einem musikalischen Menschen das Ausnehmen des 
einzelnen Tones nicht mehr gestattete. Interessant war übri- 
gens dabei, daß die Hörprüfungen von den weiblichen 
Tieren — Kalischer experimentierte mit Jagdhunden, 
Terriers und Pudeln — besser bestanden wurden als von den 
männlichen'. 

Und so hat denn die fortschreitende Kultur nicht nur das 
musikalische Verstehen des Menschen entwickelt, sondern 
auch das Tier, wenn auch natürlich nur bedingungsweise, 
musikempfänglicher gemacht. Es wäre lebhaft zu wünschen, 
daß auf diesem Boden noch mehr gebaut würde und weitere 
Untersuchungen auf diesem Gebiet uns neues Beweismaterial 
zuführen könnten. M. A. von Lüttgendorff. 


Neuaufführungen und Notizen. 

— Die Berliner König!. Hofoper hat ihre Ferien einstweilen 
bis zum i. September verlängert; das Deutsche Opernhaus 
in Charlottenburg will dagegen seinen Eröffnungstermin am 
30. August programmäßig einhalten. 

— Die Königliche Generaldirektion in Dresden gibt bekannt, 
daß die Königlichen Hoftheater bis auf weiteres geschlossen 
bleiben. Dagegen wird erwogen, ob es nicht möglich sein 
wird, trotz der zahlreichen Einberufungen des Personals zur 
Armee in einiger Zeit patriotische Aufführungen und Abende 
zu veranstalten, deren Reinertrag auf Befehl des Königs vor- 
nehmlich dem Roten Kreuz und dem in der Bildung Degrif- 
fenen Landesverein zur Unterstützung der zum Kriegsdienst 
eingezogenen Mannschaften zufließen soll. 

— Die Schweriner Hofoper gedenkt u. a. auch den „Schnei- 
der von Malta" von Wendland und „Kain und Abel" von 
Weingartner in der kommenden Spielzeit aufzuführen. 

— Das Darmstädter Hoftheater beabsichtigt, in der näch- 
sten Spielzeit Mozarts Jugendoper „La finta giardiniera" in 
einer Bearbeitung von Oskar Bie aufzuführen. 

— Im Krefelder Stadttheater soll in der neuen Spielzeit 
die Uraufführung einer Oper von Otto Neitsel „Der Richter 
von Kaschau" stattfinden. 

— Die der Stadt Budapest gehörende Volksoper ist für 
v.o: läufig zwei Jahre an die Buaapester Hofoper verpachtet 
worden. Die Pacht beträgt etwas über 100 000 Kronen. Die 
Hofoper hat das Recht erhalten, nach zwei Jahren die 
Volksoper samt dem Grundstück und den Baulichkeiten für 
2600000 Kronen in ihr Eigentum zu übernehmen. 

— In Pesaro ist die vieraktige Oper „Francesca da Rimini" 
von Zandonai zum erstenmal aufgeführt worden. 

— Der Allgemeine Deutsche* Musikverein hat beschlossen, 
sein 50. Tönkünstlerfest 1915 in Chemnits abzuhalten. Die- 
jenigen Werke, die für die Aufführungen des nächstjährigen 
Tonkünstlerfestes berücksichtigt werden sollen, sind bis zum 
1 . November, große Chor- sowie alle musikalisch-dramatischen 
Werke jedoch schon bis zum 1. Oktober einzureichen. 

— Das Berliner Blüthner-Orchester teilt mit. daß es zwar 
durch die Einberufungen zur Fahne auf 32 Mitglieder zu- 


sammengeschmolzen ist, aber trotzdem seine Volkskonzerte 
fortsetzen wird und sich in der Lage befindet, kompetente 
Hilfskräfte heranzuziehen. 

— An Stelle des achttägigen Musikfestes, mit dem das neue 
Mozarteum in Salzburg eingeweiht werden sollte, wird eine 
interne Feier zum Beginn des neuen Schuljahres stattfinden. 



— Erinnerungen der Musik- und Theaterwslt an 1870. Wir 

lesen im Berliner Börsenkurier: Nach Beginn des deutsch- 
französischen Krieges stellten sich die königlichen Sänger Al- 
bert Niemann und Franz Betz als Krankenwärter zur Ver- 
fügung. Sie wurden der zweiten Armee zugeteilt. — Herr 
v. Loen, der Generalintendant des Weimarer Hoftheaters, trat 
als Johaniterritter dem deutschen Heere bei. — Aufsehen er- 
regte der Aufruf der Operettensängerin Minna Hansel (am 
31. Juli 1870) zur BUdung. eines „Amazonenkorps“ unter Hin- 
weis auf den ähnlichen Beschluß der deutschen Frauen in den 
Freiheitskriegen von 1813. Minna Hänsel hatte für dieses 
„berittene Amazonenfreikorps“ 53 junge Damen geworben und 
dieses am 6. August dem General Vogel v. Falkenstein behufs 
Teilnahme an der Küstenbewachung zur Verfügung gestellt, 
was dieser jedoch ablehnte. — Der älteste Sohn Max Schnecken- 
burgers, des Dichters der „Wacht am Rhein“, diente als Jäger 
bei der württembergischen Felddivision. — Die Zahl der 
Kriegslieder, die in der Zeit vom 16. Juli bis 22. August ent- 
standen, betrug nicht weniger als 634 Dichtungen. Hiervon ent- 
fielen 491 auf Orte des damaligen „Norddeutschen Bundes“ und 
143 auf solche der „Süddeutschen Staaten“. — Von den 
28 Theatern, die Berlin vor dem Kriege besaß, waren im 
August 1870 nur noch 9 tätig. Nach Mitteilung der General- 
intendanz der Kgl. Theater wurden 43 Mitglieder des Personals 
(Kammermusiker. Chorsänger, Maschinisten usw.) zu den 
Fahnen einberufen. Zwei trugen bereits im August auf dem 
Felde der Ehre Wunden davon. — Baron v. Rahden, der Gatte 
Pauline Luccas, wurde als im Kriege getötet gemeldet. Frau 
Lucca befand sich, ehe sie die Todesnachricht empfing, auf 
dem Wege nach Pont-ä-Mousson, um ihren Mann pflegen zu 
können, fand ihn aber noch lebend und veranlagte seinen 
Transport nach Berlin. — Das Musikkorps des 4. Posenschen 
Infanterieregiments machte in der Schlacht bei Sedan 13 Fran- 
zosen mit 3 Pferden zu Gefangenen, Kapellmeister W. Müller 
erhielt das eiserne Kreuz für seine Tapferkeit. — Ein rühren- 
der Anblick war es, als in der Schlacht bei Metz am 18. Au- 
gust bei dem 1. Gardedragonerregiment abends Appell geblasen 
wurde und 602 reiterlose Pferde von allen Seiten her diesem 
militärischen Rufe folgten und teils matt, teils verwundet sich 
dem Regiment treu anschlossen. — Unter den im Kriege Ge- 
storbenen befand sich auch der Militärkapellmeister Wolle n- 
haupt, H. W. 

— Von dir Rheingold-Partitur. Die verschollene Rheingold- 
Partitur, die, wie berichtet, im Archive des Hauses Wahn- 
fried aufgefunden wurde, wird jetzt von der Vermögens- 
Verwaltung des Königs zurückverlangt, da Wagner die 
Partitur, die Eigentum des Königs Ludwig war, leihweise 
der Bibliothek des Königs entnommen hat, ohne eine Be- 
scheinigung darüber zu geben. Die Partitur ist dann im 
Hause Wahnfried geblieben. Schon der frühere General- 
intendant Freiherr v. Perfall hatte diesbezügliche Unter- 
suchungen angestellt, die aber aus besonderen Gründen 
wieder eingestellt wurden. 

— Von den Theatern. Ueber das Vermögen des Inhabers 
der Neuen Oper in Hamburg, Hofrat Eduard Erhard, ist der 
Konkurs eröffnet worden. Die im Vorjahre eröffnete Bühne 
hatte von vornherein mit allerhand Schwierigkeiten zu kämpfen. 
Trotz ganz respektabler Leistungen ist es nicht gelungen, die 
Bühne zu erhalten , wozu auch viel die unvorteilhafte Lage 
der Oper in der Vorstadt St. Pauli beigetragen haben mag. 
Gegen Ende der ersten Spielsaison . schon richtete sich Hofrat 
Erhard mit einem Appell an das Publikum, durch Zeichnungen 
auf Abonnements mit dazu beizutragen, die Bühne zu er- 
halten. Den letzten Rest gaben ihr die Kriegsereignisse. 

— Von den Konservatorien. Ihren 40. Jahresbericht sendet 
uns die Kgl. Akademie der Tonkunst in München über das 
Schuljahr 1913/14. 

— Musikpädagogisches. Aus Norwegen kommt die hoch- 
erfreuende Nachricht, daß sich die dortigen Musiklehrenden 
nun auch zu einem Landesverbände norwegischer Musikpäda- 
gogen zusammengeschlossen haben. Die Konstituierung fand 
wahrend des großen norwegischen Musikfestes zur Hundert- 
jahrfeier Norwegens statt. 

— Musikalische Naturklänge. Wir lesen: Eine seltsame 
Naturerscheinung beschäftigt seit längerer Zeit die Physiker 
und Geographen, ohne daß man bisher zu einer ausreichenden 


453 



Erklärung gelangt wäre. Das Tal von Thrg necken im west- 
lichen Hunsrück keißt im Volksmunde allgemein das „singende 
Tal“, und wie Reuleaux nachgewiesen hat, trägt es diese 
Bezeichnung auch zu Recht. Man hört dort ein seltsames 
Klingen wie fernes Glockengeläute. Die Klänge werden dann 
stärker, indem sich die Tonwellen von dem unteren engen Tal- 
ausgange fächerförmig ausbreiten und langsam anschwellend 
voruberziehen. Neuerdings hat man eine neue Erklärung für 
diese eigenartige Erscheinung zu geben versucht. Man hat 
die singenden Töne des Tals von Thronecken mit den sogen. 
Wasserfalltönen verglichen und gefunden, daß sie sich sehr 
nahestehen. Nun findet . man allerdings in dem Tal keine 
Wasserfälle, wohl aber wird es von einem Bach durchströmt, 
der über mehrere hohe Wehre herabstüjzt, was natürlich 
ein starkes Brausen hervorruft. Rein an sich sind solche 
Geräusche musikalischen Klängen nicht vergleichbar, aber 
die Erfahrung hat gelehrt, daß sie in weiterer Entfernung 
musikalische Klangfarbe annehmen. So liegt die Vermutung 
nicht fern, daß das Singen im Hunsrücktale an dem Orte, 
an dem es in Erscheinung tritt, auch entsteht, und daß die 
mit einer Bewegung in Verbindung gebrachte Schwellung 
und Abnahme der Töne als rein örtliche Pulsation anzusehen 
ist. Diese Naturerscheinung steht übrigens nicht vereinzelt 
da, auch sonst findet sich in der Natur und in der Welt der 
Physik ähnliches. So steht es heute fest, daß man durch 
wechselnde Wärmezufuhr eine Gasmasse zum Tönen bringen 
kann. 

— Preiserteilung. Bei dem Opernwettbewerb am Konserva- 
torium zu Parma hat den ersten Preis {20000 Lire) der Militär- 
kapellmeister Giovanni Pennacchio iu Florenz fiir die Oper 
„Erika" erhalten. 

* * 

* 

Personalnachrichten. 

— Von deutschen Musikern befinden sich u. a. zurzeit im 
Frontdienst bezw. im Felde: Dr. Ludwig Lauenstein als Ober- 
leutnant beim Bayerischen Leibregiment, der Kasseler Hof- 
kapellmeister Dr. Pauli als Leutnant, der Berliner Chormeister 
Professor Heinrich Pfannschmidt als Hauptmanq der Land- 
wehr, der Duisburger Kgl. Musikdirektor Josephson iu der 
gleichen Eigenschaft. Von ausübenden Künstlern ist Fritz 
Kreisler als Reserveoffizier bei seinem steiermärkischen Re- 

f imente eingerückt. Von der Familie Gmeiner sind drei 
fitglieder zum Kriegshandwerk nach Oesterreich abberufen 
worden: der Baritonist Rudolf Gmeiner und sein Bruder Julius 
(Gesanglehrer am Hochsclien Konservatorium in Frankfurt) 
tun zurzeit beide Dienst als Artillerieoffiziere, und der Gatte 
von Lula Mysz-Gmeiner , Dr. Mysz, steht als Offizier der 
Küstenartillerie auf einem Fort beim Kriegshafen Pola. — 
Von der Redaktion der Allgem. Musikzeitung führt Dr. Friedr. 
Schwabe als Hauptmann eine Kompagnie beim 12. Landwehr- 
regiment. — Leutnant Parsifal. Walter Kirchhoff, der Helden- 
tenor der Berliner Oper, hatte noch am letzten Bayreuther 
Spieltage den Parsifal gesungen. Tags darauf sah man ihn 
auf dem Leipziger Bahnhof den Zug erwarten , der ihn zu 
seiner Truppe führen sollte. Kirchhoff war, bevor er zur 
Bühne ging, Offizier, und folgte nun, wie man ihm ansah, 
mit freudigem Herzen dem Ruf zur Fahne. — In eine eigen- 
tümliche Lage ist durch den Kriegsausbruch Henri Marteau 
geraten, der, wie bekannt, als ordentlicher Lehrer an der 
Königl. Preußischen Hochschule für Musik wirkt, als fran- 
zösischer Staatsangehöriger aber zugleich Reserveoffizier im 
französischen Heere ist. Nach einer Mitteilung im „Berl. 
Tageblatt“ hat er sich in Lichtenfels in Bayern, in dessen 
Nähe der Künstler ein Landgut besitzt, den deutschen Be- 
hörden gestellt und ist bis auf weiteres in Kriegshaft ge- 
nommen worden. Henri Marteau hatte die Absicht , sich in 
Deutschland naturalisieren zu lassen, sobald er aus seinen 
militärischen Verpflichtungen in Frankreich heraus war. Nun 
hat ihm der plötzlich ausgebrochene Krieg diesen fatalen 
Streich gespielt. 

— Zum Tode Max Denks. Wie schon kurz berichtet wurde, 
hat der kaum 24 jährige talentvolle Münchner Musikschrift- 
steller und Komponist Max Denk am 7. Juli d. J. seinen Tod 
im Kaisergebirge gefunden. Als Sohn des unter dem Pseud- 
onym Otto von Schaching schreibenden Romanschriftstellers 
Kgl. Rat Otto Denk, des Herausgebers des „Deutschen Haus- 
schatzes“ und „Aar“, zeigte sich bei ihm frühzeitig schrift- 
stellerisches Talent. Dreizehnjährig veröffentlichte er seinen 
ersten Artikel ; später lenkte er die allgemeine Aufmerksamkeit 
mit einem längeren Aufsatz im Berliner Tageblatt, „Die Re- 
form der Operette“, auf sich. Er sollte Medizin studieren, 
widmete sich aber ganz seinem innersten Wesen getreu und 
allen Widerständen Trotz bietend der heißgeliebten Frau 
Musika. Vor einigen J ahren wurde er Mitarbeiter unserer , .Neuen 
Musik -Zeitung", schrieb auch für Westermanns Monats- 
hefte und war endlich seit 2 */» Jahren Opern- und Konzert- 
referent der „Münchner Post"; überall geschätzt und Achtung 
gebietend durch sein gründliches, fachliches Wissen und un- 
parteiisches Urteil, Neidlos freute ihn die Bekanntschaft 

454 


eines schönen, zeitgenössischen Tonwerkes, begeisteit trat er 
u. a. fiir Gustav Mahler und Hugo Wolf eiu. — Seine eigenen 
Kompositionen gehören der modernen Richtung an, wie seine 
zirka 70 Lieder (davon 5 im Wunderhorn -Verlag erschienen), 
sein Quintett, ein großes Orchesterlied, einige Klavierstücke, 
darunter ein klanglich reizvoller Walzer beweisen. Sein letztes 
Werk, 33 Narrenlieder, ist durch den Tod unvollendet; nur 19, 
mehr als die Hälfte liegen in ihrer herben Süße und tiefen 
Traurigkeit vor uns. — Letzten Winter wurden wiederholt 
seine Lieder in Münchner und Berliner Konzertsälen vor- 
getragen, jedesmal gab es außergewöhnlichen, nachhaltigen 
Erfolg. Gerne begleitete er seine Lieder selbst, war er doch 
auch ein ganz ausgezeichneter Klavier- und Orgelspieler. 
Kurz vor seinem Tode wurde noch das mir gewidmete Quin- 
tett im Freundeskreise geprobt; im Winter soll die schöne 
Komposition vom Rebner-Quartett aus der Feuertaufe ge- 
hoben werden. (Ein Wiegenlied von Max Denk wird voraus- 
sichtlich für unsere Leser als Behage erscheinen.) — Mitten 
aus dem Schaffen, aus dem „Ringen nach dem Höchsten" 
wurde ein genialer Mensch, ein heißer, moderner Kämpfer, 
eine bald wild stürmende, bald kindlich einfache Seele ab- 
gerufen. Laßt uns kämpfen und ringen fiir ihn, in seinen 
Werken! Möchten doch viele deutsche Musiker, Sänger und 
Sängerinnen seinen Namen in die Welt tragen, ihnen zur 
Freude und dem Toten zur Ehre ! - 

München, 28. Juli 1914. Bertha Manz. 

— Adolf Zander, Kgl. Musikdirektor, der Gründer und Chor- 
meister der Berliner Liedertafel, ist am 1. August in Berlin 
gestorben. Von 1884 bis 1904 stand er mit im Brennpunkte 
nicht nur des Berliner, sondern des ganzen deutschen Sänger- 
lebens. Seinen 70. Geburtstag feierte er am 16. Januar 1913. 
Zander war Lehrer und ist als solcher erst vor wenigen Jahren 
in den Ruhestand getreten. Bis zu seinem Tode hat er jedoch 
noch das Organistenamt au der Sophienkirche verwaltet. 

— In Hamburg ist im Alter von 77 Jahren der frühere 
Hofopemsänger Emil Fischer gestorben. In seiner Glanzzeit 
feierte er Triumphe über Triumphe; sein Wotan, sein Hans 
Sachs, ferner sein Sarastro usw. waren einzigartig, seine 
Stimme von wunderbarem Klang. Von 1880 bis 1885 wirkte 
Fischer in Dresden, dann ging er unter Bruch seines Ver- 
trages nach Amerika; er hatte dort neue glänzende Erfolge. 
Jahre hindurch war er in New York der beliebteste Gesangs- 
lehrer. Die letzten Jahre seines Lebens verbrachte er in 
Hamburg. 



Religiöse Lieder. 

C. Knayer. I. Zwölf geistliche Lieder für eine Singstimme mit 
Begleitung des Klaviers oder Harmoniums zum Gebrauch in 
Kirche und Haus op. 4. Verlag I. G. Oncken Nachf., G m. b. H. 
Kassel. „Es ist sehr leicht, schwere Musik, aber sehr schwer, 
leichte Musik zu machen“ — wir dürfen dieses geflügelte 
Wort auch auf Knayers religiöse Musik anwenden: etwas so 
Schlichtes in Melodie und Harmonie zu schaffen, das doch 
nicht trivial wirkt, sondern, weil wahr und ernst empfunden, 
auch zu Herzen geht, gelingt nicht jedem, während so manche 
„schwere“ und komplizierte Musik heutiger Tonsetzer wohl 
von viel Fleiß und Arbeit, aber von wenig Erfindungsgabe 
. zeugt. Dabei geht ein frischer . kräftiger Zug durch diese 
Lieder, ohne daß es an innigen, zarten Weisen wie z B. das 
Herbstlied, die „Weihnachtsklänge“, das liebliche Erntelied u. a. 
fehlte. Man höre nur das feit rliche Neujahrslied und den 
Gcibelschen „Ehespruch“. Schön und ergreifend ist das „Den- 
noch bleibe ich“ aus Psalm 73. 

II. Lobsinget I 14 geistliche Lieder für mittlere Stimme 
mit Begleitung des Harmoniums oder Klaviers, herausgegeben 
vom christlichen Sängerbund deutscher Zunge. Verlegt bei 
Jobs. Schergens, Bonn (M. 1.20.) Auch diese Lieder tragen den 
Stempel edler, herzansprecheuder Einfachheit; leichtfließende 
Melodien und ein entsprechender gediegener, niemals erkünstel- 
ter und doch immer wieder eigenartige, feine Züge aufweisender 
Tonsatz schmiegen sich den frommen, von einer kindlichen 
Religiosität zeugenden Textesworten an. Der gesunde Geist 
dieser schlichten Gesangmusik sticht erfreulich ab gegen den 
oft süßlichen, weichlichen und sentimentalen Ton in anderen, 
heute noch viel gehörten religiösen Gesängen. Dr. Schüz. 

Kriegskomposltionen. 

W. Luppe, Württembergs Panier! Im Verlag der Efwarschen 
Musikalienhandlung, Inhaber Heinz Müller in Stuttgart, ist 
ein flotter Marsch unter diesem Titel erschienen und dem 
König Wilhelm II. von Württemberg gewidmet. Der Trio- 
melodie ist ein patriotischer Text untergelegt. (Preis 1.20 Mk.) 



Populäre Kriegskont Positionen* Leo Blech hat des Berliner 
Generalintendanten Georg von Hülsen’s Verse „Gott, Kaiser, 
Vaterland“ in eine schwungvolle Marschmelodie eingekleidet, 
Viktor Hollaender hat einen „Gardemarsch“ geschrieben. Ver- 
lag von Bote & Bock in Berlin. 

Nene Klavierstücke zu 2 Händen aus dem Verlage Simrock. 

Edouard Schütt, op. 94: Pages gracieuses, 4 Stücke. 3 M. 
m. Schütt, der wiener magister elegantiarum, bietet hier 
seinen Verehrern und Verehrerinnen eine neue kostbare Gabe 
voll Klangzaubers, voll träumerischer Zartheit. Alle die 
Stücke zeigen, daß der Komponist nicht bloß reich an melo- 
discher, harmonischer und (seltener allerdings) rhythmischer 
Erfindung und Meister im spezifischen Klavierstil ist, sondern 
auch mit der Zeit zu gehen bestrebt ist und überraschenden 
Wechsel in der Harmonie, neue Wendungen in Intervallen 
und Melodien bieten will; man vergleiche daraufhin die Bur- 
leske und das reizende Puppen-Wiegenlied. Die Abfassung 
der Titel in französischer Sprache ist bezeichnend für sein 
Wesen, das dem französischen nahe verwandt ist. 

Edouard-Schütt-Album. 2 M. no. m. Nicht weniger als 10 
der beliebtesten Stücke des Autors, darunter eine ganze Reihe 
leichter (No. 2, 3, 5, 7 und 8) und mittelschwerer (No. 4, 6, 
9 und jo), sind hier vereinigt und für billigen Preis erhält- 
lich, darunter die berühmte, weiche Valse ä la bien aimie 
(No. 2), die bezaubernde Reverie du soir (No. 3), die pikant- 
geistreiche Sirinade d'arlequin (No. 4), das elegante mot 
d’amour (No. 5), die harmonisch interessante Caprice: „un 
peu baroc “ (No. 6), das zart-einfache „ä ma chirie “, die kapri- 
ziösen, betörenden „doux moments “ (No. 9), die aparte, har- 
monisch gewürzte Scherzino- Serenade. Die geschmackvolle 
Ausstattung des Heftes macht es zu einem Geschenkwerk für 
vorgerücktere Spieler, die für feine Salonmusik schwärmen. 

Edouard Poldlnl, op. 59: Walzerfrühling, Heft I No. 1 — 5. 
m.— (3.). 3 M. no. Poldini ist vom selben Geist der Eleganz 
erfüllt und gleich Schütt Meister des klangvollen Satzes und 
geistreicher causerie. Voll Anmut und Leichtbeschwingtheit 
sind seine Gedanken, voll Feuer und rauschendem I&ang. 
Nur ist dieses Album, weil für den Konzertgebrauch bestimmt, 
schwieriger als das vorherige. No. 3 und 5 sind die leichte- 
sten, auch No. 4 läßt sich bald bewältigen, am schwierigsten 
sind No. 1 und 2, oft schwerer zu lesen, als zu spielen. 

A. Bortz: 6 lyrische Stücke op. 14. 3 M. m. — (s ). Alle 
diese eingänglichen und doch gehaltvollen, anregenden, vor- 
nehmen, oft im Satz reichen Poesien tragen eine deutliche 
nordische Färbung* in der Art von Grieg und Mc Dowell, 
am stärksten No, 1 : „Der Hirt • auf dem Berge “ und No. 2 : 
„Im Frühling “, letzteres bezeichnenderweise in der Tonart 
Edur gehalten. No. 3: „Das alte Lied “ fesselt durch seinen. 
Rhythmus und ■ die interessante Verarbeitung des Themas. 
Die „Klänge aus der Dorfschenke “ (No. 4) sind volkstümlich, 
aber für den Vorwurf dodi zu vornehm. Ein zartes „Wiegen- 
lied' ist No. s, etwas zu weit ausgesponnen, aber durch Mo- 
dulationen abwechslungsreich gestaltet. No. 6: „Bei den 
Kobolden“ klingt an Mendelssohns Sommemachtstraum und 
Jensens Irrlichter an; im übrigen ein gedankenreiches und 
wirksames Vortragsstück für gute Spieler. 

Bizet: Djamileh und Perlenfischer, Potpourris und Vorspiele 
(von 30 Pf. bis 2 M.). 'Mit Unrecht bleiben die früheren 
Werke Bizets unbeachtet, und wir möchten unsre Leser, die 
sicher an der trefflichen Bearbeitung der Arlüsienne-Suite in 
den früheren Heften unsres Blattes Freude hatten, auf die 
in Simrocks Verlag erschienenen Werke Bizets aufmerksam 
machen. Viele derselben sind im Preis ermäßigt, z. B. das 
bezaubernd innige, leicht spielbare „Vorspiel zu den Perlen- 
fischern“ (30 Pf.), oder jene von verhaltener Leidenschaft 
zitternde, von Caruso bevorzugte hinreißende Romanze (Tran- 
skription von Godefroid) (80 Pf.). Auch für Anfänger ist eine 
leichte Bearbeitung der schönsten Melodien der Perlenfischer 
und der Oper Djamileh vorhanden (ä 1 M.). Tüchtige Spieler 
finden in der Ouvertüre, dem Hindutanz und dem ägyptischen 
Tanz daraus interessante, eigenartig gefärbte Tonstücke. Es 
wäre zu begrüßen, wenn der Verlag eine Auswahl der besten 
Tondichtungen Bizets veranstaltete mit Ausschluß von Car- 
men, die ja in aller Händen ist. 

Dvoräk: Largo aus der 5. Symphonie „Aus der Neuen Welt“ 
■op. 95. 1.50 M. Wer diese originelle, farbenprächtige Sym- 

phonie einmal vom Orchester vortragen hörte, den wird be- 
sonders das Largo entzückt haben mit seiner mystisch-feier- 
lichen Einleitung, seiner weichen, heimwehkranken, vom 
■englischen Horn gesungenen 1 . Melodie. Dieser herrliche Satz 
ist den Klavierspielern vom Simrocksehen Verlag in mittel- 
schwerer Bearbeitung zugänglich gemacht worden, ebenso wie 

Dvoräk : z Klavierstücke aus seinem Nachlaß, Berceuse und 
Capriccio (2 M.). Mit der überzeugenden Natürlichkeit und 
Echtheit der Empfindung, die Dvofdk mit seinem großen 
österreichischen Vorgänger Schubert gemein hat, verbinden 
sich hier gelegentliche harmonische und rhythmische Fein- 
heiten, die den einfachen und wohlklingenden Stücken ein 
"besonderes Gepräge geben. 


National -Tänze für Haus und Konzert. 3 M. m. — (s.). 
82 Seiten. Dieses reichhaltige, mit hübschem Umschlag ge- 
zierte Album enthält teils echte Nationaltänze ver- 
schiedener Völker, z. B. einen hübschen, leichten norwegischen 
Bauemtanz von Blaß, eine ganz merkwürdige Doina (rumä- 
nischer Tanz) von Caudella, zwei der beliebtesten ungarischen 
Tänze in erleichterter Brahmsscher Fassung, einen der berühm- 
ten slawischen Tänze von Dvotäk, einen spanischen von Sara- 
sate, teüs Phantasietänze ohne Anlehnung an völkische 
Originale, so schwedische Tänze von Bruch, Tänze von Bizet, 
Bortz. Bülow, Fuchs, Noväk, Rubinstein, Schytte. Auch von 
Liszt finden wir ein Konzertstück: die berühmte Friska aus 
der II. Rhapsodie (erleichtert). 

R. Andersson: „Schwedische Tänze“. 2 Hefte zwei- und vier- 
händig. Während die von Brahms und Dvotäk überlieferten 
ungarischen und slawischen Tänze Lieblinge der klavierspie- 
lenden Welt geworden sind, ist das mit den schwedischen 
Tänzen nicht in gleichem Maß der Fall, und doch verdienten 
sie es nicht minder. Wieviel köstliches Volksgut ist in diesen 
Tänzen aufbewahrt, welcher Reichtum an gesunden rhyth- 
mischen und melodischen Wendungen und welche Eigenart 
in manchen nordisch gefärbten Harmonien 1 Manche derselben 
finden sich auch in der norwegischen Musik und sind uns von 
Grieg übermittelt worden. Lange schien’s, als ob Schweden 
hinter dem knorrigeren Volk der Norweger in literarischer und 
musikalischer Hinsicht Zurückbleiben würde, aber das schwe- 
dische Musikfest in Stuttgart offenbarte, daß in Schweden 
bedeutende Kräfte rege sind, die sich bemühen, mit der rasch 
voranschreitenden Entwicklung Schritt zu halten. Statt aber 
mitteleuropäische Durchschnittsmusik zu schreiben, sollten 
die. jungen Schweden lieber zu den „Müttern“ hinabsteigen, 
zur Volkspoesie und -melodie, zum Volkstanz, um daraus 
gleich Antäus aus deren Urkraft neue Anregung zu schöpfen 
und das national Schwedische, wie es in diesen Tänzen lebt, 
wieder zu Ehren zu bringen. C. Kn. 

Neues fürs Harmonium. 

Präludienalbum für Orgel oder Harmonium, Vor-, Zwischen- 
uud Nachspiele in allen Dur- und Molltonarten, bearbeitet 
und herausgegeben von H. Bungart. Verlag Tonger, 1 M. 
Dieses Bändchen, eines der nüt Recht beliebt gewordenen 
Tongerschen Taschenalbums, verdient warme Empfehlung und 
weiteste Verbreitung. Der Inhalt ist gediegen und reich in 
der Auswahl, tüchtig im Satz und so verhältnismäßig leicht, 
daß jeder Spieler von mittlerer Fertigkeit die schönen, nach 
Tonarten geordneten Stücke vom Blatt spielen kann. Neben 
ganz kurzen finden wir auch weiter ausgeführte Präludien, 
Fughetten, Fugen, Choralvorspiele und lyrische Stücke. älterer 
und neuerer Orgelmeister, wie Albrechtsberger, Fischer, 
Händel, Hesse, Kittel, Knecht, Mühling, Rinck, Vierling usw. 
Außer emstgerichteten Harmoniuinspielem werden haupt- 
sächlich Landorganisten, die über kerne große Pedaltechnik 
verfügen, gerne zu dem handlichen, reichhaltigen und billigen 
Büchlein greifen, das für den gottesdienstlichen Gebrauch, 
wie für die häusliche Erbauung gute Dienste tut. 

J. Brahms: 15 Lieder, für Harmonium bearbeitet von 
K. Kämpf. Verlag Simrock (in.). Rein technisch ist diese 
Uebertragung aus der Feder des angesehenen Fachmanns 
ein Meisterstück, eine solche ist gerade bei Brahms besonders 
schwierig wegen seiner eigenen Rhythmik und der unruhigen 
Bässe. Im großen ganzen sind diese Lieder dafür nicht 
sehr geeignet, am ehesten geben No. 4 „Sonntag“, No. 5 „Wie- 
genlied“, No. 10 „Sapphiselie Ode“, No. 13 „Immer leiser“ 
und No. 14 „Auf dem Kirchhofe“ ein selbständiges, befriedigen- 
des Tonstück ab, bei den andern ist Kenntnis der Originale 
nötig, damit der Spieler den vorliegenden Harmoniumstucken 
beikommen kann. Er sollte womöglich Prolongement an 
seinem Harmonium haben oder das „Feststecken“ der Orgel- 
punkte verstehen. Wer ein „Normalharmonium “ hat, erhält 
eine geschmackvolle Registrierung vorgeschlagen. Nur rou- 
tinierte Spieler werden diese mit übergelegtem Texte ver- 
sehenen Arrangements der schönsten Brahmsschen Lieder-, 
perlen brauchen können. C. Kn. 

* * * 

Unsere Musikbeilage zu Heft 23 trägt diesmal äußerlich ein 
etwas anderes Gesicht aus technischen Gründen. Es ist eine 
Komposition, die der Stimmung der heutigen Zeit entspricht:! 
„Deutscher Trost“. Der Organist und Theorielehrer am Stutt- 
garter Konservatorium, Professor Heinrich Lang, ist der Kom- 
ponist der feierlichen volkstümlichen Weise, die den alten 
und doch so neuen Worten Ernst Moritz Arndts gerecht wird. 
Das Stück ist im Kriegstagbuch aus Schwaben 1914 erschienen, 
auf welche zeitgemäße Schrift wir unsere Leser hinweisen 
möchten. Näheres siehe die Ankündigung auf der letzten Um- 
schlagseite. 

Verantwortlicher Redakteur: Oswald Kühn ln Stuttgart; 
Schluß der Redaktion am 22. August Ausgabe dieses Heftes am 
S. September, des nächsten Heftes am 17. September. 


455 


Briefkasten 


Für unaufgefordert eingehende Manu- 
skripte jeder Art übernimmt die Redaktion 
keine Garantie. Wir bitten vorher an- 
tuf ragen, ob ein Manuskript (schriftstelle- 
rische oder musikalische Beiträge} Aus- 
sicht auf Annahme habe; bei der Fülle 
des uns »geschickten Materials ist eine 
rasche Erledigung sonst ausgeschlossen. 
Rücksendung erfolgt nur, trenn genügend 
Porto dem Manuskripte beilag. 

Anfragen für den Briefkasten, denen 
der Abonnementsausweit fehlt, sowie ano- 
nyme Anfragen werden nicht beantwortet. 


Zur Notiz. Es sind bei der 
Redaktion keine Anfragen an 
den Briefkasten eingelaufen, 
weder solche allgemeiner Natur, 
noch solche zur Beurteilung von 
Musikstücken. 


Eingesandt. 

,,Die Apollinaris Co. Limited 
in London, die inNeuenahr a. Rh. 
den Versand des durch seine 
große Reklame allbekannten 
Apollinaris- und Juliusbrunnens 
(früher auch Heppinger und 
Landskroner B runnen) und große 
Glashüttenwerke in Rheinau 
(2 Mill. Mk. Betriebskapital) be- 
treibt, ist eine rein englische 
Gesellschaft. Ihre hohen 
Dividenden, von 1892 an bis 
83 Proz. (Reingewinn von etwa 
500000 Mark jährlich durch- 
schnittlich) wandern in die 
Hände englischer Kapitalisten. 
Es wäre wohl an der Zdt, den 
Verbrauch dieser Wasser in 
Deutschland einzustellen. Kdn 
guter Deutscher trinke diesen 
Brunnen, kein deutsch gesinnter 
Wirt stdle ihn noch auf seine 
Getränkekarte, wenn er nicht 
die Kriegsmittel unsrer Fdnde 
stärken will.“ 

Dem „Dresdner Journal” vom 
10. August ist obige Notiz ent- 
nommen. Der Artikel schließt 
mit den Worten: „Um allsei- 
tigen Abdruck dieser Notiz wird 
ersucht.“ 


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österreichischen Postgebiet M. 10.40, im übrigen Weltpostverein M. 12. — jährlich. 




Inhalt a Mendelssohn und die Ballade. — Zur Kunstästhetik unserer Zeit. HI. Das doppelte Gehör. (Sinnliches und geistiges Ohr.) Ein Beitrag zum Ver- 

llllla.ll' gtändnis der modernen Musik. (Fortsetzung.) — Der Krieg und die Kunst Mitteilungen über Aufführungen, Aufrufe, Geldspenden usw. — Die Musik 
vor hundert Jahren. — Aus Christoph Glucks Lehrjahren. — Kunst und Künstler. — Besprechungen: Für Gesang und Klavier. — Zum Quartalswechsel. — Neue Musi* 
kallen. — Musikbeilage, — Als Gratisbeilage : Batka-Nagel, Allgemeine Geschichte der Musik, Bogen 14 vom dritten Band; sowie Titel und Inhaltsverzeichnis zu d. Jahrg, 


Felix Mendelssohn und die Ballade. 

Von Dr. LEOPOLD HIRSCHBERG (Berlin). 

W enn man den Brief, den Mendelssohn im Juli 1831 
von Genua an die Frau von Pereira nach Wien 
schrieb, liest, so könnte man angesichts des Vemichtungs- 
urteils, das er darin über die Gesangsballade fällt, eigent- 
lich von vornherein den Versuch aufgeben, über Mendels- 
sohn als Balladenkomponisten zu schreiben. Die Dame 
hatte ihn gebeten, die bekannte Zedlitzsche Ballade „Die 
nächtliche Heerschau“ zu komponieren ; und seine Antwort 
lautete folgendermaßen: 

.Nun scheint es mir überhaupt unmöglich, ein be- 
schreibendes Gedicht zu componiren. Die Masse von Com- 
positionen der Art beweisen nicht gegen, sondern für mich, 
denn ich kenne keine gelungene darunter. Man steht in der 
Mitte zwischen einer dramatischen Auffassung, oder einer 
blos erzählenden Weise? der Fine läßt im Erlkönig die Weiden 
rauschen, das Kind schreien, das Pferd galoppiren — der 
Andere denkt sich einen Balladensänger, der die schauerliche 
Geschichte ganz ruhig vorträgt, wie man eine Gespenster- 
geschichte erzählt. Das ist noch das Richtigste (Reichardt 
hat es fast immer so genommen), aber es sagt mir doch nicht 
zu; die Musik steht mir im Wege; es wird mir phantastischer 
zu Muth, wenn ich solches Gedicht im Stillen für mich lese, 
und mir das Uebrige hinzudenke, als wenn ich es mir vor- 
malen, oder vorerzahlen lasse. — Die nächtliche Heerschau 
nur erzählend aufzufassen, geht nicht, denn es spricht eben 
keine bestimmte Person; und den Balladenton hat das Ge- 
dicht gar nicht; es kommt mir mehr wie eine geistreiche Idee, 
als wie ein Gedicht vor; mir ist, als hätte der Dichter selbst 
nicht an seine Nebelgestalten geglaubt. Nim hätte ich es 
vielleicht beschreibend componiren können, wie es Neukomm 
und Fischhöf in Wien gethan ; ich hätte einen originellen 
Trommelwirbel im Baß, und Trompetenstöße im Discant, 
und sonst allerlei Spuk anbringen können — , dazu habe ich 
aber wieder meine ernsthaften Töne zu lieb; so etwas kömmt 
mir immer vor wie ein Spaß, etwa wie die Malereien in den 
Kinderfibeln, wo man die Dächer knallroth anstreicht, damit 
die Kinder merken, daß es ein Dach sein soll " 

Die durchaus unreifen kunstästhetischen Gedanken, die 
dieser Brief enthält, müssen der Jugend des Schreibers 
zugute gehalten werden; sie beweisen aber fernerhin, daß 
Mendelssohn, der schon durch seine frühesten Werke zu 
so großem Ruhm gelangt war, den zeitgenössischen Ton- 
dichtern zu gleichgültig, ja vielleicht zu überhebend gegen- 
überstand. Waren doch bis zum Jahre 1831 schon viele 
der gewaltigen Balladen Loewes erschienen. Von „keiner 
gelungenen Composition der Art“ zu sprechen, wo es 
schon den Edward, den Erlkönig, den Oluf, die Walpurgis- 
nacht von Loewe gab, ist unüberlegt oder arrogant. Die 
weiteren Ausführungen über die Aesthetik der 'Ballade 


einer ernsten Kritik zu unterziehen, ist überflüssig, da 
sie den jungen Meister völlig in unklaren Begriffen und 
Aeußerlichkeiten befangen zeigen. Zum Balladenkompo- 
nisten muß man geboren sein; das Tonbild des gelesenen 
Gedichtes muß im Geiste des Komponisten fertig dastehen ; 
und Ueberlegungen, ob man „einen Trommelwirbel im 
Baß und Trompetenstöße im Diskant anzubringen habe“, 
müssen fortfallen. Ein eigentümliches Mißgeschick hat es 
gefügt, daß Loewes „Nächtliche Heerschau“ erst ein Jahr 
nach diesem Briefe in Musik gesetzt und erst zwei Jahre 
später veröffentlicht wurde. Wir nehmen zu Mendels- 
sohns Ehre an, daß er nach dem Kennenlemen dieses 
Meisterwerkes seine Meinung einer Revision unterzogen 
hat. Eine Aeußerung darüber läßt sich in seinen Briefen 
nicht finden; überhaupt hat er nirgends die geringste Mit- 
teilung über Loewe gemacht, wiewohl er notorisch mehr- 
mals mit ihm zusammengetroffen ist. Wie wohltuend 
berühren dagegen die zwar kurzen, aber vielsagenden 
Berichte Loewes über den an J ahren so viel jüngem Mendels- 
sohn 1 Neidlos und bewundernd tritt er dem vom Glücke 
so Begünstigten gegenüber. „Ich freue mich in der Stadt \ 
die Mendelssohn auf Händen trägt, auch etwas geworden 
zu sein,“ schreibt er an seine Frau. Und an einer andern 
Stelle : 

..Heute Morgen habe ich den Klavierauszug des Paulus 

f elesen. Das Werk ist mächtig, mächtig gearbeitet, und ich 
egreife nun den großen Ruhm, den es überall davon getragen 
hat. Ich wundere mich nur über die Rheinländer, daß sie 
ein so großes Werk so tief aufgefaßt haben. Ich hätte wohl 
Lust, dieses Werk in Stettin zu geben. Der Styl ist einzig, 
ernst, interessant. Ich begreife jetzt Alles, auch seinen 
Ruhm." 

Loewe begriff also Mendelssohn, Mendelssohn nicht 
ihn. Welches war der Vereinigungspunkt der beiden? 
Auf den ersten Blick scheinen Lebensführung und Kunst- 
richtung beider Meister, die gewöhnlich — allerdings mit 
Unrecht — sogar zu derselben „Schule“ (der romantischen) 
gerechnet werden, in einer Weise zu divergieren, wie man 
dies selten bei Zeitgenossen findet. Loewe, in engbeschränk- 
ten, wenn auch nicht gerade dürftigen Verhältnissen ge- 
boren, frühzeitig auf einen Lebensberuf hingewiesen — 
Mendelssohn im Schoße des Reichtums aufwachsend und 
in der Lage, ganz seiner Kunst leben zu können, ohne 
Sorge um Gelderwerb. Loewe, vom ersten Erwachen des 
Genius bis zum letzten Atemzuge in der Hauptsache der 
Vokalmusik zugewendet, Mendelssohn im wesentlichen 
Instrumentalst. Diese Gegensätze ließen sich noch viel 


1 Düsseldorf. 


457 









weiter fortspinnen ; aber nur einer sei noch hervorgehoben, 
weil er einerseits beweist, daß eine spezifische Begabung 
nicht von Aeußerlichkeiten abhängig ist, andererseits 
dartut, daß der Genius selbst über die Grundursachen 
seines Schaffens im unklaren sein kann und, sich völlig 
unbewußt, aus einem innem unabweisbaren Drange heraus 
schafft. Von seinen spärlichen und künstlerisch vielfach 
enttäuschenden Ferienreisen abgesehen, hatte Loewe sein 
ganzes Leben in dem damals weltabgeschiedenen und höchst 
unkünstlerisch gesinnten Stettin zuzubringen, das ihm von 
außen durchaus keine Anregungen für seine Schöpfungen 
geben konnte. Er selbst empfand sein beschränktes Dasein 
im Vergleich mit dem unabhängigen Mendelssohn so leb- 
haft, daß ihm, dem Neidlosen, einmal 1 * * folgender Stoß- 
seufzer entfährt: 

„Mendelssohn ist reich und unabhängig und treibt die 
Kunst wie ein echter Dilettant*; da muß es gehen, wenn 
man so viele Fähigkeiten hat, wie er. Ich müßte das Schul- 
meistern aufgeben können und die Welt sehen, da würde 
sich’s bald machen; ein Künstler muß vagabondiren, wenn er 
berühmt werden will.“ 

Und doch, trotz dieses Fehlens äußerlicher Eindrücke, 
war die Phantasie so stark i n ihm, daß sie ihn mit gleicher 
Stärke in die glutvolle Welt Indiens und Arabiens, wie 
in die eisigen, öden Gefilde des Nordens führte, daß sie 
ihm Rom mit dem ganzen hierarchischen Gepränge einer 
Papstkrönung ebenso greifbar vorzauberte, wie sie ihm 
die grausig-gespenstige Nacht eines Totentanzes auf dem 
Kirchhof erstehen ließ. Hat doch Schiller, ohne jemals 
in der Schweiz gewesen zu sein, die Landschaften des 
„Teil“ so plastisch dargestellt, daß man sich dies Wunder 
nur durch ein inneres Erschauen erklären kann; hat doch 
Jean Paul im ersten Kapitel seines „Titan“ die Boro- 
mäischen Inseln, ohne sie je gesehen zu haben, so geschildert, 
wie es vor oder nach ihm keiner vermocht hat. 

„Des Menschen ThatenTund Gedanken, wißt. 

Sind nicht wie Meeres blind bewegte Wellen; 

Die inn’re Welt, ihr Mikrokosmus, ist 

Der tiefe Schacht, aus dem sie ewig quellen" 

sagt Wallenstein und hat recht. Mendelssohn hatte alles 
das, was Loewe so glühend ersehnte, und ist doch als 
Balladenkomponist so weit von diesem entfernt; viel weiter, 
als Loewe von ihm als Kirchenmusikerl 

Bei alledem ist Mendelssohn auf dem Gebiete der Ballade 
eine Erscheinung, bei der man nicht achtlos vorübergehen 
darf. Man muß sogar gestehen, daß er, was Reinheit des 
Stils in dieser so viel umstrittenen und so oft (selbst von 
großen Meistern) verfehlten Kunstform anlangt, Loewe 
am nächsten steht. Und das kommt daher, weil er sich 
stets in dem kleinen Rahmen des rein Volkstüm- 
lichen bewegt. Seine einzige große sogenannte „Ballade “, 
die „Walpurgisnacht“, ist gar keine solche, während von 
den io andern hier in Betracht kommenden Stücken kein 
einziges diese „offizielle“ Bezeichnung trägt, sondern 
„Lied“, höchstens „Romanze“ heißt. Aber falsch wäre 
es und unzureichend, wenn man für die Beurteilung Mendels- 
sohns als Balladenkomponisten nur die Vokalwerke berück- 
sichtigte. Was selbst bei Loewe durchaus erforderlich 
ist *, darf bei unserm Meister nicht fehlen. 

Unbewußt, fast noch im Knabenalter, hat Mendels- 
sohn seine erste Ballade in einem Instrumentalwerke 
niedergelegt, in der „Sommernachtstraum- 
Ouvertüre“. Karl Simrock übersetzt „Walpurgis- 
nachtstraum“; und einen solchen erzählt uns der Ton- 
dichter in einer Viertelstunde lieblichsten Instrumental- 
spiels. Mit ein paar zur Höhe verschwebenden Akkorden 
bannt er uns sofort in Oberons und Titanias Reich; dann 


1 Selbstbiographie (Berlin 1870), p. 259. 

* Hier natürlich nur in dem Sinne aufzufassen, daß M. 

die Kunst nicht als Broterwerb zu treiben brauchte. 

• Ich verweise auf meine demnächst in der „Deutschen 

Musikbücherei“ erscheinende Monographie „Carl Loewes 

Instrumentalwerke“. 

458 


läßt er die Elfen wirbeln und tanzen und durch einen 
plötzlich hemiederschwebenden verminderten Septimen- 
akkord eine anmutige Gruppe bilden. In den lustigen 
Spuk hinein dringen mit einmal laute Hörnerklänge, die 
das ängstliche Geistervölkchen verscheuchen: der Herzog 
Theseus zieht zur Jagd. Kaum haben sich die Elfen von 
ihrem Schrecken erholt, so macht sich das „hausgebackne 
Volk“ der Rüpel im Walde breit, bis schließlich — nach 
mancherlei neuen Störungen — der unterbrochene Tanz 
zu Ende geführt wird und die Geister in hold-sehnsüchtigen 
Tönen Abschied nehmen. — Die Ouvertüre ist also weiter 
nichts als eine kurz zusammengedrängte, epische Erzählung 
der fünf Akte des Dramas, eine echte Ballade, in sich 
abgerundet und geschlossen. 

Es gibt einige Balladen von Loewe, die von einem Volks- 
liede kaum zu unterscheiden sind. Ich erwähne als be- 
sonders charakteristisch „Graf Eberhards Weißdom“ (op. 9, 
Heft 5), „Das Muttergottesbild im Teiche“ (op. 37, No. 1), 
„Jungfräulein Annika“ (op. 78, No. 1), „Die Riesen und die 
Zwerge“ (op. 84, No. 4) ; sie sind sämtlich (von ganz geringen 
Abweichungen der letzten Strophe abgesehen) als reine 
Strophenlieder anzusehen — und dabei trotzdem echte, 
rechte Balladen. So rechtfertigen gerade diese Stücke 
am schlagendsten die Tatsache, daß die Ballade ihren 
Ausgangspunkt vom Volkslied nimmt und die strophische 
Kompositionsweise für sie als maßgebend zu gelten hat. 
Wenn man nun auch nicht ohne weiteres behaupten kann, 
daß jeder Tondichter, der sich eingehend mit dem Volks- 
liede beschäftigt, darum ein hervorragender Balladen- 
komponist sein müsse (Brahms z. B. ist der schlagendste 
Beweis für das Gegenteil), so wird er doch immerhin über 
ein gewisses Prae denen gegenüber verfügen können, die 
diesem Zweige der Kunst fremd gegenüberstehen. Bei 
Mendelssohn finden wir nun eine ungemein liebevolle 
Vertiefung in alles, was mit dem Dichten und Singen des 
Volkes in Beziehung steht. „Die natürlichste Musik von 
allen ist es doch, wenn 4 Leute zusammen spazieren gehen, 
in den Wald, oder auf dem Kahn fahren, und dann gleich 
die Musik mit sich und in sich tragen“ schreibt er 1839 
an Klingemann *. Und wie schön ist es, was der 21-Jährige 
über Volkssagen und alte deutsche Lieder dem Freunde 
sagt*!' Von Volksliedtexten hat Mendelssohn komponiert: 

1. O Jugend, o schöne Rosenzeit*. 

2. Mit Lust tät’ ich ausreiten 4 * . 

3. Es ist ein Schnitter, der heißt Tod 6 . 

4. Legt in den Sarg mir mein grünes Gewand 8 . 

Es kommt ferner in Betracht: 

5. Fantaisie sur une Chanson irlandaise (Letzte Rose). 

6. Heil dir im Siegerkranz (Schluß der a moll-Symph.). 

7. Das Amen der Liturgie, gewissermaßen das Mendete- 

sohnsche Gralsmotiv: 



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(erster Satz der Reformationssymphonie), 

8. Ein’ veste Burg ist unser Gott (letzter Satz der 
Reformationssymphonie) . 


1 Briefwechsel, p. 241. 

2 Ibid., p. 85/86. 

* Rheinisches Volkslied aus der Sammlung Zucalmaglios, 
dem man allerdings mit starkem Mißtrauen entgegentreten 
muß (vergl. seine dreiste Mystifikation bei Beethovens Septett). 

4 Aus des Knaben Wunderhom. 

8 Altes Kirchenlied. 

* Todeslied der Bojaren (uraltes Volkslied) aus Immermanns 
„Alexis“. 



Als 23. der „Lieder ohne Worte“ finden wir das „Volks- 
lied“. Der höchste Lohn, der ihm für all dies zuteil ward, 
besteht darin, daß mehrere seiner Gesänge (Wer hat dich 
du schöner Wald, Nun zu guter Letzt, Es ist bestimmt in 
Gottes Rat) selbst zu wirklichen Volksliedern geworden 
sind, selbst wenn sie in der Sprache der Wissenschaft auch 
noch „Volkstümliche Lieder“ heißen. — — 

Die erste der 9 Gesangsballaden Mendelssohns 1 ist 
seine zweite Liedkomposition: „Wartend“ (op. 9, No. 3). 
Das Volkstümliche dieser feinsinnigen, viel zu wenig ge- 
würdigten Tondichtung liegt in dem durch alle Strophen 
wiederkehrenden Refrain „Komme du bald!“ der teils 
als sehnsuchtsvoller Lockruf, teils als kühne Jagdfanfare, 
mannigfach variiert der Ballade (Romanze) ihr durchaus 
eigentümliches Gepräge gibt. In gleicher Weise stellt 
sich auch das bekannte „Winterlied“ (op. 19, No. 3) durch- 
aus auf den Boden des reinen Volksliedes und verdankt 
diesem Umstand zumeist seine tiefgehende, ja erschütternde 
Wirkung. Die Begleitung ist bei beiden Stücken durchweg 
einfach und schlicht. Als eine große Geschmacklosigkeit 
aber, kombiniert mit einer vollständigen Verständnislosig- 
keit. für die Tiefen Heinescher Kunst, muß Mendelssohns 
Komposition der „Tragödie“ (op. 41, No. 2 — 4) betrachtet 
werden. Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß der 
Komponist die drei unauflöslich zusammengehörigen 
Nummern des Gedichts als gesonderte Stücke betrachtet 
und ihnen — ebenfalls ganz willkürlich — die Ueberschrift 
„Drei Volkslieder“ gegeben hat. Die „Tragödie“ liegt 
eben darin, daß sich zwischen das erste und dritte Gedicht 
scheinbar absichtslos und dadurch um so frappierender 
ein schlichtes Volkslied einschiebt, welches die Folgen 
der unüberlegten, leidenschaftlichen Tat, wie sie das erste 
Gedicht schildert, gleichsam allegorisiert. Daß es außer- 
dem den Vermittler zwischen 1 und 3 darstellt, indem es 
die vornehme Welt (1. Gedicht) mit der des Volkes (3. Ge- 
dicht) verbindet und dadurch ähnlich ausgleichend und 
versöhnend wirkt, wie etwa das Wunder des Goetheschen 
„Paria“, habe ich schon in meiner Arbeit „Robert Schu- 
manns Tondichtungen balladischen Charakters“ (Musi- 
kalisches Magazin, Heft 51) beleuchtet. Schumann hat 
— =■ feinsinnig empfindend — diesen Gegensatz in wahrhaft 
großartiger Weise durchgeführt, so daß die „Tragödie“ 
als seine beste und für ihn charakteristischste Balladen- 
komposition bezeichnet werden kann. Bei Mendelssohn 
hätte höchstens der Volkston des zweiten Gedichtes Geltung 
und Berechtigung; alles übrige ist übel und höchst phili- 
strös, schon darum, weil er ein so ungemein subjektives 
Gedicht von einem gemischten Chor ( 1 ) singen läßt. 

Sehr vortrefflich dagegen sind die beiden e moll-Balladen: 
„Der Königssohn“, wie wir vielleicht die „Romanze“ aus 
dem Liederspiel „Die Heimkehr aus der Fremde“ (op. 89, 
No. 1) überschreiben können, und „Das Waldschloß" (dp. 
posth.), durchgeführt. Zum ersten Male finden wir hier 
das Charakteristiktim der Loeweschen Strophenform: die 
„Umbiegung“ (Spitta) der Melodie, d. h. rhythmische 
und dynamische Veränderungen, verbunden mit Wandlungen 
der Begleitung. Wie schön ist in dem ersten Stück die 
herbe Heftigkeit des Refrains: 



Doch wü - de, wU • de Ja • geod, wer hüt’t die 


und in dem anderen das tonlose Verklingen der letzten 
Strophe .nach der kurz vorangegangenen dramatischen 
Steigerung! 

„Das Schifflein“ (op. 99, No. 4), von der Trias Loewe, 
Schumann und Mendelssohn komponiert, ist eine Ballade, 
die die ^Musik geradezu herausfordert. Weder Loewe 
noch Mendelssohn vermögen hier Schumann den Preis 

1 „Die Nonne“ (op. 9, No. 13) ist von Mendelssohns 
Schwester Fanny komponiert. 


streitig zu machen. Um das seltsame und so tief .be- 
obachtete Uhlandsche Gedicht ganz zu erschöpfen, ist ts 
eben nötig — wie Schumann es getan — das Waldhorn, 
die Flöte und die Menschenstimme wirklich zu differen- 
zieren; das Edingen der beiden Blasinstrumente darf bei 
den Worten: 

„Das Mädchen saß so blöde. 

Als fehlt’ ihr gar die Rede“ 

nicht aufhören wie bei Mendelssohn; gerade der 
ununterbrochene Strom der Instrumentalmusik 
ist es, der die Sangesfreudigkeit des Mädchens erzeugt. 

Von den beiden balladischen Meisterwerken ist 
Heines „Neue Liebe“ (op. 19, No. 4) ja genügend bekannt 
mit seiner märchenhaften Sommemachtstraum-Stimmung, 
seiner reizenden Schilderung der Elfenhömer und -Glöcklein 
und der sehnsüchtigen Todesfrage am Schlüsse. Un- 
begreiflich aber bleibt es, warum Sängerinnen an einer der 
genialsten Eingebungen, die die Vokalmusik überhaupt 
aufzuweisen hat, an dem „Hexenlied“ (op. 8, No. 8) so 
achtlos vorübergehen, daß man es vor lauter Wolfs und 
Strauß und anderen eigentlich niemals in Konzerten zu 
hören bekommt. Es ist ein Stück von so elementarer 
Kraft und so teuflischer Dämonie, daß es nur mit der 
grandiosen „Hexe“ (Walpurgisnacht) Loewes zu vergleichen 
ist, jenem Werke, das zu Lilli Lehmanns Meisterleistungen 
gehört. Die wenigen Dur-Takte der letzten Strophe führen 
den Frühling wie ein magisches Bild inmitten winterlichen 
Sturmgebrauses vorüber. Ganz abgesehen von ihrem 
künstlerischen Werte, ist diese Ballade noch ein so effekt- 
volles, hinreißendes Tonstück, daß sie ihres Erfolges selbst 
bei einem großen Publikum sicher sein kann. 

Die „große Walpurgisnacht“, wohl das bekannteste und 
mit Recht beliebteste Chorwerk Mendelssohns, ist im 
Gegensatz zu dieser kleinen, wie ich schon hervorhob, 
keine Ballade vom künstlerisch-ästhetischen Standpunkte 
betrachtet, wiewohl sie diese Bezeichnung trägt, denn in 
dem Momente, wo in einem erzählenden Gedichte einzelne 
Personen von verschiedenen Stimmen sprechend 
eingeführt werden, verläßt das Gedicht die epische Sphäre 
und tritt in die dramatische ein. Wir müssen also, ohne 
diesem und ähnlichen Werken ihre künstlerische Berechtigung 
bestreiten zu wollen, gegen ihre Bezeichnung als „Balladen“ 
protestieren. Goethe selbst hat ja das Gedicht „Kantate“ 
genannt. Echte Balladen aber, wie Goethes „Höchzeit- 
fied“ oder Uhlands „Glück .von Edenhall“ u. a. „drama- 
tisch“, d. h. mit der Einführung mehrerer Solostimmen 
zu komponieren, wie dies noch neuerdings geschah, ist ein 
künstlerischer Mißgriff schlimmster Art, ein Rückschritt 
in die vorloewische Zeit, wo man sich über das Wesen 
der Ballade noch nicht im klaren war. 

Und es sei nicht vergessen, daß Mendelssohn uns mit 
seiner, Ouvertüre „Die schöne Melusine“ die lieblichste aller 
Instrumentalballaden beschert hat. „Wie er dazu kam, 
mag selbst er sagen“ — sein Brief an die Schwester Fanny 1 
gibt darüber reizend Auskunft: 

„Ich habe diese Ouvertüre zu einer Oper von Conradin 
Kreutzer geschrieben, welche ich voriges Jahr um diese Zeit 
im Königstädter Theater hörte. Die Ouvertüre (nämlich die 
von Kreutzer) wurde da capo verlangt und mißfiel mir ganz 
apart; nachher auch die ganze Oper, aber die Hähnel nicht, 
sondern die war sehr liebenswürdig, und namentlich in einer 
Scene, wo sie sich als Hecht präsentirt und sich die Haare 
macht, da bekam ich Lust, auch eine Ouvertüre zu machen, 
die die Leute nicht da capo riefen, aber die es mehr inwendig 
hätte, und was mir am sujet gefiel, nahm ich (und das trifft 
auch gerade mit dem Mährchen zusammen) und kurz die 
Ouvertüre kam auf die Welt, und das ist ihre Familien- 
geschichte.“ , 

1 Briefe, a. Band (p. 37). Leipzig 1863. Vergl. auch Brief- 
wechsel mit Klingemann, p. 123. 



459 




Zur Kunstästhetik unserer Zeit. 

III. Das doppelte Gehör. 

(Sinnliches und geistiges Ohr.) 

Ein Beitrag zum Verständnis der modernen Musik. 

Von Dr. ALFRED SCHÜZ (Stuttgart). 

IV. 

S chon in bezug auf die rein formale, technische Seite 
eines Musikstücks bedarf, wie wir gesehen haben, 
der Hörer eines potenzierten Gehörs, genügt der bloß sinn- 
liche Eindruck nicht. Es gibt eine Menge dissonanter 
Tonverbindungen in der Musik, die dem physischen Ohr 
zuwider, aber dem Geist, der sie im Zusammenhang mit 
den vorhergehenden und nachfolgenden Akkorden erfaßt, 
interessant und „schön“ erscheinen. Es gibt Doppel- und 
Tripelakkorde, die erst der apperzipierende Geist recht 
verstehen und genießen kann, weil er sie in ihre Teile zu 
Zerlegen und die einzelnen Akkorde herauszuhören vermag, 
wie er bei der Fuge die einzelnen Stimmen heraushört. 
Welchen Reiz hätte die Polyphonie, wenn bloß das sinn- 
liche Ohr dabei beteiligt wäre ? Schon die einfache Ton- 
leiter in der Gegenbewegung findet ihre Rechtfertigung 
nur in logischen Gründen; ebenso die chromatische: 



Die Tonverbindung h, /, a, cis ist rein harmonisch nicht 
verständlich, sondern durch die chromatische Gegenbe- 
wegung motiviert. Mancher Harmonieschritt ist nur zu 
verstehen nach den Gesetzen der Analogie, der Symmetrie 
(Sequenz) oder durch den logischen Zwang melodischer 
Schritte, z. B. das konsequente Herabsinken in halben 
Tönen: 



Akkordbrechungen dagegen werden vom zweiten Gehör 
nicht melodisch, sondern rein harmonisch als Zusammen- 
klänge aufgefaßt. — Weil der hörende Geist immer ver- 
gleicht, und neben dem momentanen Eindruck der Töne 
auf das Ohr zugleich ganze Partien, ja das Tonstück als 
Ganzes zusammenfassend genießt, wirken oft die einfachsten 
Harmonien so mächtig auf uns, nachdem wir lange Strecken 
durch Vörhalte und Dissonanzen hingehalten wurden. Um- 
gekehrt stumpft der Reiz der Konsonanzen durch öftere 
Wiederholung sich ab, man will nicht immer blauen Himmel 
sehen, nicht immer in Wohllaut schwelgen, der ermüdete 
Geist verlangt den Wechsel. Die modernen Komponisten 
haben sich das sehr wohl gemerkt: sie lassen den Hörer 
oft lange, sehr lange durch öde Strecken, durch die Wüste 
unaufgelöster, immer neu sich verwickelnder Tonreihen 
wandern, bis endlich eine Oase auftaucht, und die ersehnte 
Lösung kommt. Mit Entzücken iauschen'wJr- dähn wieder 
auf die klare Schönheit reiner Näturdreiklange, kindlich 

460 


einfacher Melodie- und Harmonieschritte ; dem naiven Hörer 
ist es zu Mut, als empfange er etwas ganz Neues wieder, 
niegehörte, zauberische Klänge: eine frisch, sprudelnde 
Quelle, ein Hain schattenspendender Bäume, was wir sonst 
gering geachtet, dünkt uns jetzt ein Paradies. Und 
doch sind es nur die alten lieben Dreiklänge, die nach 
langen Fasten dem nach Schönheit dürstenden Ohr wieder 
geboten werden. So lohnt sich dann dem Komponisten 
die Sparsamkeit in bezug auf Konsonanzen, daß sie in 
ganz neuem Glanze aufstrahlen. Nur darf die Absicht, 
das Raffinement dabei dem Hörer nicht zum Bewußtsein 
kommen! 

Eine wichtige Rolle spielt das zweite (geistige) Gehör 
auch beim viel umstrittenen „Charakter der To n - 
arten“. — Daß jede Tonart einen bestimmten Charakter 
besitze, davon war man früher lebhaft überzeugt. So 
versicherte z. B. der seinerzeit berühmte Musiker und 
Theoretiker J. Mattheson (f 1764), daß „C dur eine ziemlich 
rüde und freche Eigenschaft habe, übrigens zur Rejouissance 
nicht ungeschickt sei,“ dagegen sei Fdur „kapabel, die 
schönsten sentiments von der Welt zu exprimieren, es sei 
nun Großmut, Standhaftigkeit, Liebe oder was sonst im 
Tugendregister oben ansteht“. Nach andern soll in C dur 
Unschuld, Einfalt und heroische Größe, in gmoll sanfte 
Wehmut oder unglückliche Liebe, in d moll dumpfes Brüten 
und Schwermut liegen. Auch Beethoven scheint an den 
eigenartigen Charakter der Tonarten geglaubt zu haben 
(„der Klopstock ist immer maestoso — Des dur, nicht 
wahr ?“). R. Schumann sprach von As dur-Seelen. „Ant- 
worten Sie mir bald,“ schreibt er an einen Bekannten, 
„aber nicht aus dem grimmigen Cis dur, sondern dem 
milden Des dur.“ „Auch im Leben,“ fügt er sinnig bei, 
„lassen sich die meisten Dinge enharmonisch drehen , und 
verwechseln.“ 

Da durch die gleichschwebende Temperatur alle Unter- 
schiede der Intervalle verwischt sind, so kann als objektiver 
Grund für den Tonartencharakter nur die verschiedene 
Tonhöhe und der auf dieser beruhende (wohl auch durch 
verschieden vorherrschende Obertöne bedingte) Klang- 
farbenunterschied angenommen werden. Wie wenig jedpch 
der Unterschied der Tonhöhe hier zu bedeuten hat, ersieht 
man daraus, daß das zunächst bei C dur gelegene Cis dur 
einen weit fremdartigeren Charakter zu haben scheint, als 
das von C dur viel entferntere G dur. Eher könnte man 
bei Streichinstrumenten an eine wirkliche Tonartverschieden- 
heit denken, weil die Töne der „leeren“ Saiten bei der Geige 
etwas heller und kräftiger klingen. Auch andere Instru- 
mente erzeugen ihrer Natur nach verschiedene Färbungen 
im Tonartencharakter. Und doch treten diese objektiven 
Gründe für den eigentümlichen Tonartencharakter fast ganz 
in den Hintergrund gegenüber den viel mächtigeren, rein 
subjektiven. Unser musikalisches Ohr beurteilt eben 
jede Tonart von dem einfachen Cdur aus, je nach der 
näheren oder entfernteren Verwandtschaft mit seinem 
C dur. Auch die musikalische Theorie nimmt ja C dur als 
den Standort und Ausgangspunkt für die anderen Tonarten. 
Der erste Schritt im Quintenzirkel nach Gdur entfernt 
uns noch wenig vom Standort, so daß wir auch bei G dur 
noch das Gefühl des Schlichten, Gewöhnlichen haben. Je 
.weiter wir aber im Quintenzirkel uns von diesem Standort 
entfernen, und die Kreuze sich mehren, haben wir das 
Gefühl, vom festen Grund und Boden in mehr luftige 
Regionen zu geraten; in denen man sich nicht mehr so 
sicher bewegt. Es ist bemerkenswert, daß die klassischen 
Meister die einfacheren Tonarten bevorzugt haben, während 
die Romantiker und noch mehr gewisse moderne. Kompo- 
nisten die Tonarten mit vier und über vier, ja bis zu sieben 
Kreuzen oder Ben mit Vorliebe wählen. Das Seltenere ist 
eben immer das Interessantere, Wirkungsvollere. Wären 
die meisten Stücke in Fis oder Cis dur geschrieben, so 
würde schließlich C dur oder G dur einen aparten Charakter 
erhalten. Und dazu kommt nun noch der Unterschied der 
Kreuz- und B-Tonarten. Der Schritt von C dur nach der 




Dominante G dur macht für das geistige Ohr den Eindruck 
der Steigerung, der Erhöhung der Kraft, der Schritt ab- 
wärts von C dur nach der Unterdominante E dur den Ein- 
druck des Herabsteigens, des Nachlassens, des weicheren, 
dunkleren Empfindens. Schon die Vertiefung eines einzigen 
Tons, so der Terz im Dreiklang, erscheint als Erweichung 
(„moll“), während die Erhöhung eines Tons, z. B. der 
Quinte im Dreiklang als Verschärfung empfunden wird. 
Die Folge davon ist unausbleiblich, nämlich, daß alle 
B-Tonarten für unsere subjektive Auffassung die weicheren 
sind. Ja sogar bei den enharmonischen Tonarten, z. B. 
Ges- und Fis dur unterscheidet die subjektive Auffassung 
zwischen dem weicheren dunkleren Ges- und dem helleren 
Fis dur-Klang. — Der subjektive Schein eines bestimmten 
Tonartcharakters wird noch dadurch vermehrt, daß wir 
uns unbewußt in der Phantasie ein Bild von jeder Tonart 
machen, je nach den in den betreffenden Tonarten ver- 
faßten bedeutenderen Tonstücken. So schwebt uns wohl 
bei cmoll die Beethovensche c moll-Symphonie oder die 
Sonate „pathetique“, bei der ds moll-Tonart die. „Mond- 
scheinsonate“ usw. vor! 

Der Charakter der Tonarten ist also tatsächlich mehr ein 
subjektiver, wie ja auch die Festlegung eines Normaltones 
eine willkürliche, konventionelle ist. Dasselbe Cdur, das 
für mich auf meinem Klavier den Charakter des Schlichten, 
Einfach-Großen, aber auch des Gewöhnlichen hat, erklingt 
meinem Freunde auf seinem um einen halben Ton tiefer 
gestimmten Instrument als das seltene, „romantische“ Cis- 
oder Des dur. Der beste Beweis, wieviel Illusion hier mit 
im Spiel ist. 

Ein Vergleich mit optischen Täuschungen liegt nahe. 
Man betrachte z. B. die beiden folgenden Einien und jeder 
wird, die erstere für die längere halten, während sie beide 
gleich lang sind. 



Was die beiden Einien ungleich lang erscheinen läßt, sind 
die spitzen Winkel, die bei der zweiten nach innen, bei der 
ersten nach außen gekehrt sind. Wie ein und derselbe 
Ton oder Akkord je nach den harmonischen Beziehungen 
zu den Nachbarakkorden verschieden klingt, so ist es hier 
die verschiedene Umrahmung der beiden Einien, die den 
Gesichtseindruck modifiziert. Wohl entpuppt sich die Auf- 
fassung zuletzt als eine Illusion — aber ohne Illusion geht 
es ja beim Kunstgenuß nicht ab, weü hier die Illusion eine 
notwendige und gewollte ist. 

Daß die Sonne um die Erde wandelt, daß der Mond am 
Horizont größer ist, als im Zenit, ist ja auch bloßer Schein, 
aber ein allgemein menschlicher, nicht individuell subjek- 
tiver. Und so kommt auch der Subjektivität des Ton- 
artencharakters, soweit sie eine allgemeine ist, wieder eine 
gewisse Objektivität zu und darf sich der Komponist, wenn 
er charakterisieren will, ohne Bedenken darauf stützen. So 
wird er für einfachere musikalische Gedanken nicht der 
selteneren Tonarten sich bedienen, vielmehr sich diese für 
den Fall reservieren, wo er den Hörer in eine außergewöhn- 
liche Stimmung oder Situation versetzen will. Dieselbe 
Melodie in einer fremden Tonart auftretend, wirkt wie ein 
Bild in neuer Beleuchtung. Das Charakteristische haben 
wir überhaupt viel weniger in der einzelnen Tonart an und 
für sich als in dem Verhältnis der Tonarten zueinander 
zu suchen. Das dauernde Verweilen in der Haupttonart 
wird meistens Ruhe und Stetigkeit, der öftere Wechsel der 
Tonarten Unruhe und einen erregten, aus dem Gleichgewicht 
gekommenen Gemütszustand bedeuten. Unvermitteltes 
Auftreten einer entfernten Tonart versetzt uns im Geist 
in eine ferne, wundersame Gegend oder will es einen plötzlich 
veränderten Seelenzustand ausdrücken. Rückkehr in die 
anfängliche Tonart ist wie die Rückkehr in die vertraute 
Heimat und wirkt demnach befriedigend und beruhigend. 
Die überhandnehmende Sucht zu modulieren und in aUeq 


möglichen Tonarten und Harmonien umherzuschweifen, 
schwächt die charakteristische Wirkung der Tonarten 
wesentlich ab, da ohne die stete Beziehung auf eine Einheit 
auch das Mannigfaltige seine Bedeutung und seinen Reiz 
verliert. Wie es in der Sprache als das Zeichen eines guten 
Stils angesehen wird, sich der stärksten Ausdrücke, der 
Superlative, mit Maß, ja nur im äußersten Notfall zu be- 
dienen, so ist auch in der Tonkunst Sparsamkeit im Tonart- 
wechsel zu empfehlen (wie selbst R. Wagner es einmal 
ausdrücklich ausgesprochen hat) und führt die Verschwen- 
dung des Wirkungsvollen zur Wirkungslosigkeit. 

Der „Charakter der Tonarten“, und, wenn er auch ein 
bloß subjektiver wäre, ja eben weil er vorwiegend ein solcher 
ist, beweist überzeugend, wie der vergleichende Geist beim 
Musikhören sich aktiv betätigt, wie sehr es beim Musik- 
genuß auf die subjektive Auffassung ankommt. Wohl mag 
die Aktivität beim Exekutierenden, der das Tonstück in der 
vorgezeichneten Tonart vor Augen hat, noch eine lebhaftere 
sein, aber auch der Hörer kann mit dem passiven Em- 
pfangen der Töne ohne geistige Betätigung, nicht auskom- 
men. Nicht bloß für den ausführenden Künstler gilt es, 
das vom Komponisten geschaffene Tonstück zu „reprodu- 
zieren“, auch der Hörer muß verstehen, das Gehörte sich 
im Geist zurechtzulegen, es gleichsam nachzuschaffen, um 
es recht genießen zu können. Wie das spielende Kind aus 
dem einfachsten Stoff, und wäre es auch nur ein Haufen 
Sand oder ein Stück Holz, etwas zu machen weiß, so daß 
sich der gegebene Stoff, vermöge seiner schaffenden Phan- 
tasie, zu allem möglichen gestaltet, so muß auch im Hörer 
ein geistiger Spieltrieb rege werden, ob er gleich selber 
nicht mitzuspielen hat. — „Das (ästhetische) Gemüt des 
Menschen,“ sagt Schiller, „das sich am Schein weidet, er- 
götzt sich nicht an dem, was es empfängt, sondern an dem, 
was es tut.“ 

Wir haben bis jetzt die Musik mehr als Tonspiel, wenn 
auch als geistvolles Tonspiel ins Auge gefaßt. Die Musik 
hat mm aber neben ihrer rein formalen Seite, und zwar 
gerade in ihren bedeutendsten Erzeugnissen, auch noch 
einen geistigenlnhalt. Die Theorie von den „tönend 
bewegten Formen“ als dem wahren Wesen der Tonkunst, 
ist ein längst überwundener Standpunkt, weil eben die 
Musik nicht bloß Tonspiel, sondern zugleich Tonsprache ist. 
„Die Musik als Ausdruck“ ist jetzt ein allgemein aner- 
kannter Begriff. Nicht als ob ein Tonstück immer etwas 
Bestimmtes uns sagen müßte — dann wäre ja freilich die 
Programmusik erst die wahre Musik — , aber sie muß uns 
doch etwas zu sagen haben, obschon wir es nicht immer 
in Worte fassen können. Es liegt eben eine unbewußte 
Symbolik in der Musik, vermöge deren sie unsem Geist 
zu f esseln vermag, auch wo die symbolische Bedeutung ihrer 
Töne uns nicht immer klar zum Bewußtsein kommen sollte, 
Alles Vergängliche, auch der flüchtige Ton, wird uns zum 
Gleichnis. Das musikalische Ohr hört nicht bloß die Töne, 
ihre wechselnden Verbindungen und Verschlingungen, der 
Geist nimmt alles symbolisch, wie Goethe, als ihm ein be- 
deutender Organist einst eine Bachsche Fuge spielte, be- 
wundernd es aussprach: „mir war’s, als wenn die ewige 
Harmonie sich mit sich selbst unterhielte, wie sich’s .etwa 
in Gottes Busen vor der Weltschöpfung mochte zugetragen 
haben — so bewegte sich’s auch in meinem Innern ..." 
Wer nicht bloß mit den Ohren, sondern mit dem Geist zu 
hören versteht, dem gibt die Musik eine Ahnung der welt- 
bauenden Gesetze: „Uns ist, als ob nach diesen Harmonien 
das Weltgebäude sich gefügt, das Breite sich gestreckt, das 
Tiefe sich gesenkt, das Hohe sich, emporgereckt, das Runde 
sich gebogen und gewölbt hätte“ (Fr. Vischer). Ein bloßer 
Dreildang von Hörnern im Walde erklingend, und in den 
Bergen widerhallend, kann uns ein Gleichnis* ja eine Ge- 
währ sein für die Harmonie in der Welt trotz aller in ihr 
herrschenden Dissonanzen, ein Symbol für den Glauben an 
ein höheres vollkommenes Dasein, wo jede Dissonanz sich 
lösen soll. Und wenn wir in einem Tonstück das Thema, 
einen kemhaft und klar ausgesprochenen Gedanken, sich 

46z 



entfalten, in allerlei Wandlungen sich erweitern, unter allerlei 
Tonfiguren sich verbergen und wieder auftauchen sehen: 
haben wir da nicht das Bild der Pflanze, die aus dem Keim 
hervorsproßt und nach dem. gegebenen Modell in Zweigen 
und Blättern und Blüten sich auswächst ? Und wie deutlich 
spricht der Orgelpunkt zu unserem Geist von einem die 
Vielheit der Erscheinungen der Welt und der Geister als 
Einheit umspannenden Allgeiste ! So kann schon das reine 
Tonspiel dem denkenden Geist reiche Anregung bieten; 
aber es kann auch zur wirklichen Tonsprache werden, zum 
charakteristischen Ausdruck eines besti m mten Geistesinhalts, 
ohne im geringstetT'seinen eigenen Gesetzen untreu zu 
werden. 

Die Phantasie, dieser wunderbare Sinn im Menschen, 
der auch zwischen dem Entfemtliegenden Brücken baut 
und die gegenseitigen Beziehungen unbewußt entdeckt, 
diese Zauberin, welche, dem spielenden Kinde vergleichbar, 
die ganze Vorstellungswelt mit ihren einzelnen Bildern gleich- 
sam durcheinanderwirft und daraus wieder neue Bilder 
entstehen läßt: sie kann auch jeden Eindruck, sei es ein 
innerer oder äußerer, kann alles in der Welt, selbst den 
Duft der Blumen, in Musik aufgelöst, uns wiedergeben. 
„Wenn sich in dem sinnlichen Element der Töne Geistiges 
in angemessener Weise ausspricht, erhebt sich die Musik 
zur wahren Kunst, ob nun dieser Inhalt durch Worte aus- 
drücklich seine nähere Bezeichnung erhält oder unbestimmter 
aus den Tönen heraus empfunden wird“ (Hegel). Wem 
tritt nicht beim Finale von Beethovens cis moll-Sonate das 
Bild einer Wogenmasse entgegen, die immer gewaltiger 
heranrollend, sich zuletzt am Felsen bricht ? Aber damit 
ist der Inhalt dieser geistvollen Musik noch lange nicht 
ausgeschöpft. Denn das Bild von den heranstürmenden 
Wasserwogen wird wieder zum Bild für den Sturm in der 
Seele des Komponisten, wir empfinden so diese Musik als den 
künstlerischen Niederschlag eines seelischen Erlebnisses, das 
auch in unserer Brust wieder ein Echo findet. Wenn Kant 
in der Musik „ein Spiel der Empfindungen“ gefunden hat, 
so hat er mit wenigen Worten das Richtige getroffen: es, 
ist in der Tat vorzugsweise die Welt der Gefühle, welche 
den Inhalt der Musik bildet, aber nicht um den Ausdruck 
wirklicher Gefühle handelt es sich, sondern um ein freies 
Spiel mit diesen Gefühlen, wodurch sie zu ästhetischen, zu 
Scheingefühlen werden. Also ein Spiel mit Gefühlen, wie 
das Kind mit seiner Puppe spielt, mit ihr lacht, weint, 
sich ängstigt, sich freut. Welch reichen Inhalt muß 
damit die Musik bekommen 1 Jeder glaubt die besonderen 
Geheimnisse seiner Brust aufgeschlossen: aber auch dazu 
gehört ein Hörer, der nicht bloß „mit den Ohren hört“. 
Auch der Geist will dabei zu seinem Rechte kommen. 
Auch wo ein Tonstück ohne jedes Programm als „absolute 
Musik“, ja als Tonspiel uns geboten wird, darf es nicht 
ein Spiel in bloßer Daune und Willkür sein, es muß sich 
eine Entwicklung von Gefühlen und seelischen Zuständen 
im ästhetischen Widerschein, ja eine gewisse Logik und 
Gesetzmäßigkeit in der Folge der Gefühle offenbaren. In 
der absoluten Musik müssen nicht bloß die Tonfolgen und 
-kombinationen musikalisch sinnvoll sein, eine musikalische 
Logik aufweisen, es soll auch im Stimmungsausdruck ein 
innerer Zusammenhang, ein Gesetz der Entwicklung durch- 
sichtig sein, wo nicht, so bekommt der Hörer leicht den 
Eindruck des Willkürlichen, Launenhaften, Stillosen. Anton 
Bruckner war ausschließlich musikalisch veranlagt, außer 
seiner Kunst hatte er wenig geistige Bedürfnisse, interessierte 
sich nicht für die Fragen der Zeit, für die Geistesströmungen 
der Gegenwart. Auch für die Schwesterkünste, nicht einmal 
für die Dichtkunst vermochte er sich lebhafter zu inter- 
essieren. Daß er bei großem Reichtum der musikalischen 
Phantasie ein starker musikalischer Denker war, beweist 
seine Meisterschaft im polyphonen Stil. Darum bietet 
auch seine Musik reichen Stoff für das geistige Ohr." Aber 
seine Beschränkung auf das rein musikalische Gebiet der ab- 
soluten Musik in seinen Symphonien, die den Hörer durch 
den Wechsel von allerlei klangzauberischem, harmonisch 

462 


interessantem, melodisch reizvollem Detail fesseln und dann 
wieder durch die Wucht des Ausdrucks in ernsten, feier- 
lichen Partien in eine erhabene oder religiöse Stimmung 
versetzen, macht, daß wir oft wie vor einem Rätsel stehen 
und stutzend fragen, was soll es bedeuten ? Während der 
sprudelnde Humor seiner Scherzi sofort verständlich und 
packend wirkt, wird es dem mit dem Geist Lauschenden 
in anderen Partien manchmal schwer, die psychologische 
Motivierung seiner Tonreihen herauszufühlen, und zur vollen 
Klarheit darüber zu gelangen, was der Komponist in seinen 
wundersamen Symphoniesätzen gerade da, wo eine Ueber- 
raschung, ein plötzlicher Sti mmungs wechsel eintritt, im 
Grunde sagen wollte. Auch zu einer einheitlichen Allge- 
meinstimmung zu gelangen wird uns manchmal nicht leicht. 

Als Grundsatz darf ja wohl von einem Tonstück gefordert 
werden, daß es, wenn es nicht ausdrücklich durch ein Pro- 
gramm motiviert ist, psychologisch und musikalisch restlos 
vor dem mit dem Ohr des Geistes lauschenden Hörer sich 
selbst rechtfertige. Daß ein Werk nicht immer beim ersten 
Hören nach seinem geistigen Inhalt sich uns offenbart, ist 
ja freilich zuzugeben. „Es gibt Werke, die zu uns kommen,“ 
sagte Liszt einmal (die sofort einleuchten), „aber auch 
solche, zu denen wir hingehen müssen.“ Sobald wir einmal 
den Eindruck, und wäre es nur die Ahnung , erhalten haben: 
hier spricht ein bedeutender Geist in Tönen zu uns, dann 
gilt es auch, was Goethe von Beethoven sagte, den er nicht 
verstand, weü er ihm nicht sympathisch, ja seine dämonische 
oft gewaltsam aufregende Art ihm geradezu unbehaglich 
war: „was ein solcher vom Dämon Besessener ausspricht, 
davor muß ein Laie Ehrfurcht haben. Denn hier walten 
Götter und streuen Samen zu künftiger Einsicht.“ Erst 
nach und nach gewöhnt sich das Ohr an die neuen Töne, 
aber es muß dazu erzogen werden. In diesem Sinn ist das 
Wort „Zukunftsmusik“ ein durchaus berechtigter Begriff 
und nicht bloß ironisch zu nehmen. — Obwohl nun ein 
geistiger Inhalt in den bedeutenderen Werken der absoluten 
Musik auch dann angenommen werden muß, wenn dieser 
Inhalt nicht in deutlicher Bestimmtheit, sondern mehr ins 
Dunkel des Unbewußten gehüllt uns sich bietet, so besitzt 
die Tonkunst doch wieder, ohne , jede Beihilfe durch das 
Wort oder das Programm, eine Menge Ausdrucksmittel, 
um etwas ganz Bestimmtes dem Hörer mitzuteilen, in der 
Tonmalerei. Wir wissen ja, daß es gewisse geheime, 
hinter der Grenze des . Bewußtseins liegende Beziehungen 
der Sinne untereinander gibt, welche die Phantasie des 
Tondichters entdeckt. Da gilt es auch für den Hörer, 
manches zwischen den Zeilen zu lesen, was nicht direkt 
ausgesprochen ist. Doch versteht es mancher Tondichter, 
man denke an die packende Realistik R. Wagners, hie und 
da sehr deutlich zu sprechen. Am leichtesten ist das Pro- 
blem zu lösen, wenn es sich um die Vertonung von rhyth- 
misch bewegtem Sichtbarem handelt: der Trab oder Galopp 
des Pferdes, der rasche Flug des Vogels, das Eilen oder 
Zögern, Rennen, Hüpfen oder Schleichen, das harte Auf- 
prallen oder sanfte Anschmiegen ist in Tönen unschwer 
wiederzugeben. Das Eckige, Zackige und wieder das Wellen- 
förmige, Gerundete läßt sich leicht durch ein staccato, bezw. 
durch ein sanftes legato musikalisch kennzeichnen. Dem 
sichtbar Hohen und Tiefen entspricht die Höhe oder Tiefe 
der Töne und damit ist zugleich das entsprechende Ton- 
bild vom Auf- und Herabsteigen, -stürzen oder -fliegen, 
und auch der Unterschied zwischen dem Hellen und Dunkeln 
gegeben. . Dem Hohen entspricht das Lichte, Leichte, 
Aetherische, und umgekehrt. Für das Gefühl des Weichen 
und Harten, des Warmen, Heißen oder Kalten, gibt es ohne 
Zweifel musikalische Analoga, z. B. kann der Eindruck des 
Harten, Kalten durch eine leere Quinte, oder andere hart- 
klingende Akkorde hervorgebracht werden, während die 
Darstellung glühender Hitze dem Komponisten durch hohe 
tremulierende Geigentöne, entsprechend der Pulsbeschleuni- 
gung in der Fieberhitze, oft treffend gelingt. Wir sehen, 
wie die Tonkunst nicht bloß für Seelenstimmungen, sondern 
■auch für unmittelbare Natureindrücke eine für den auf- 



merksamen Hörer verständliche Sprache besitzt. Wir 
können ans einer Beethovenschen oder Brucknerschen Sym- 
phonie (man denke auch an die neuesten „Natursympho- 
nien“) oft das Schaffen und Weben von Naturkräften, das 
Ringen der Elemente, das Aufziehen und die Entladung 
eines Gewitters, das frische'Friihlingssprossen usw. heraus- 
hören. Ja, ist es nicht oft, als ob eine ganze Welt von 
Gestalten, Menschen, Tieren, als ob Winde, Wasser, Feuer, 
alle Elemente, die ganze Schöpfung im Paradezug an uns 
vorüberzöge? Und alle diese Gestalten der Welt — sie 
dringen nicht auf uns ein in plumper, uns so vielfach störender, 
beängstigender Wirklichkeit, sie erscheinen vor uns in ihrem 
Festgewand, nach ihrer innersten Natur, als der Ausdruck 
des „inneren, in sich eingehüllten Bebens und Webens der 
Welt“. Die Musik ist in der Natur wohl noch latent: die 
Kunst aber macht sie offenbar, sie bringt die Stumme zum 
Reden. Aber auch hier gilt es wieder: „wer Ohren hat, zu 
hören, der höre ! “ Wir müssen lernen, ohne jedes Programm, 
ohne jede Erklärung darüber, was dieser und jener Passus 
zu bedeuten habe, den Sinn der Töne herauszuhören. Er- 
läuterungen. sind Krücken, die der wegwirft, der auf eigenen 
Füßen gehen kann. Wenn schon bei der Programmusik 
die Forderung aufgestellt werden muß, daß sie auch ohne 
Kenntnis des Programms, auch ohne ausführliche Erläute- 
rungen dem Hörer musikalische Werte biete, so gilt dies 
noch viel mehr bei der absoluten Musik. Aber es gehört ein 
geistig geübtes Ohr dazu, eine .aufhorchende Musikseele, 
Liszt spricht geradezu von einem „sechsten Sinn“, der von 
nöten sei, um hinter das Geheimnis zu gelangen, und das 
alles zu verstehen und zu genießen, was der vom Geist der 
Musik Inspirierte uns offenbaren wollte. 


Der Krieg und die Kunst. 

Mitteilungen über Aufführungen, Aufrufe, Geldspenden usw. 

Berlin. Folgender Aufruf wird uns mit der Bitte um Ver- 
öffentlichung übersandt: 

Wer hilft unseren Künstlern ? Ihnen, die sonst und auch 
jetzt noch in den Tagen der Not selbstlos ihre Kunst in den 
Dienst der guten Sache und der Allgemeinheit gestellt haben ! 
Ihnen, die durch den uns aufgezwungenen Krieg in bittere 
Not gerieten: den Musikern, Sängern, Rezitatoren, Musik- 
lehrem und Vortragskiinstlemf 
Mittellos sind die meisten geworden und wissen keinen Rat; 
denn, wo finden sie für ihre Arbeit Ersatz ? Ihre Not spricht 
zu uns tagtäglich in ergreifenden Tönen. Darum hat sich die 
„Hilfsvereinigung für notleidende Künstler“ gebildet. 

Sie richtet an die wohlhabende Bevölkerung und an alle 
Musikfreunde die herzlichste Bitte, bei Liebes t^tigkeit nicht 
die zu vergessen und hungern zu lassen, die ihnen so oft im 
Leben imvergeßlich schöne Stunden der Erhebung und Er- 
bauung schenkten ! 

Die Vereinigung erbittet Spenden, um nach Möglichkeit 
den Bedürftigen Nahrung und Unterstützungen zu gewähren, 
mit Rat und Tat zu helfen, Arbeitsgelegenheit und damit 
Brot zu verschaffen. 

Wer hilft denen, die so oft halfen ? ! Die Not ist groß ! 
Gedenket unserer Künstler 1 

Die „ Hilfsvereinigung für notleidende Künstler 
Groß-Berlins“. 

Spenden erbeten an den Syndikus Herrn Dr. Armin Oster- 
rieth, Berlin-Schöneberg, Salzburgerstr. 4 (Kurfürst 4654) 
(werden auch auf Wunsch abgeholt). 

Allgemeiner Deutscher Musikerverband. Berliner Lehrer- 
Gesangverein. Berliner Sängerbund. Berliner Tonkünstler- 
verein. Berufsverein ausübender Künstler. Gesellschaft für 
Verbreitung von Volksbüdung. Mozartchor. .Studentenbund 
für künstlerische Volkserziehung. Verband konzertierender 
Künstler Deutschlands. Verein Berliner Gesanglehrer. Verein 
Berliner Musikalienhändler . Verein zur Förderung der Kunst. 
Chordirektor Max Battke. C. Bechstein, Hofpianofortefabrik. 
Prof. Oskar Bie. Sophie Braun. Dr. Cahn-Speyer. Gustav 
Cords. Richard Eichberg. Chordirektor Rudolf Fiering. 
Kammersänger Kurt Frederich. Prof. Friedrich Gernsheim. 
Kgl. Musikdir. Adolf Göttmann. Prof. Heinr. Grünfeld. 
Dir. Paul Heller, . Prof. Gust. Hollaender. Prof. Engelbert 


Humperdinck. Prof. Bemh. Irrgang. Dr: med. I. Kastan. 
Justizrat Leo Kempner. Dr. Alfred Koeppen. Emil Kühne. 
Prof. Dr. Karl Krebs. Dir. Gustav Lazarus. Dr. Hugo 
Leichtentritt. Verlagsbuchhändler Robert Lienau. Kapell- 
meister Eduard Mörike. Dir. Otto Neumann-Hofer. Prof. 
Siegf. Ochs. Dr. Armin Osterrieth. Prof. Walter Petzet. 
Amandus Prietzel. Franz Reckentien. Dir. Rob. Robitseheck. 
Rektor Bernhard Runge. Prof. Phillip Rüfer. Prof. Xaver 
Scharwehka. Prof. Felix Schmidt. Prof. Georg Schumann. 
Steinway )& Sons. Dr. Arthur Tetzlaff. Johann Tews. 

Kgl. Musikdir. Friedrich Wiedermann. 

Zur Nachahmung in anderen Städten dringend empfohlen. 

* 

Der Allg. Deutsche Musikerverband erläßt in seinem Organ, 
die „Deutsche Musikerzeitung“ in Berlin, folgende Bekannt- 
machung: Wie aus den Berichten der Tageszeitungen ersicht- 
lich, werden unsere deutschen Brüder und Schwestern in den 
mit uns Krieg führenden Ländern — wir erinnern an Belgien, 
Frankreich und Rußland — in einer Weise behandelt, die 
aller Zivilisation Hohn spricht. Wir haben deswegen beschlos- 
sen, dem Beispiel des Lokalvereins Berlin folgend, alle die- 
jenigen aus unserem Verbände auszuschließen, die den uns 
feindlichen Nationen angehören. Wir halten es nicht für an- 
gebracht, solchen Kollegen die Wohltaten unseres Verbandes 
zuerkennen zu müssen und verzichten natürlich auch auf 
deren Leistungen. — Bravo! So soll es sein. Nicht aber 
wollen wir dem Beispiel eines Debussy oder auf anderem Gebiete 
eines Maeterlinck und Shaw folgen, die sich in Schmähungen 
deutscher Kultur oder deutscher Art ergehen. 

Die vaterländische Oper „Franzosenzeit“, Musik von Jo- 
hannes Doebber, hat unter des Komponisten Leitung im Nollen- 
dorf-Theater in Berlin ihre Uraufführung erlebt. Der Text 
ist nach Fritz Reuters Erzählung für die Oper bearbeitet. 

Breslau. Das seit vorigem Jahr unter städtischer Regie 
stehende Stadttheater, das jetzt lediglich Opernbühne ist, ist 
am 17. September eröffnet worden. Freilich ist ein voller 
Betrieb nicht möglich; deshalb wird zunächst die Zahl der 
Vorstellungen auf wöchentlich vier beschränkt werden. Ein 
Abonnement wird nicht aufgelegt, dafür aber der Eintritts- 
preis um 30—40 v. H. für sämtliche Plätze ermäßigt. Be- 
sondere Vergünstigungen erhalten Militärpersonen und ihre 
Angehörigen. Der Spielplan wird in der Hauptsache Werke 
deutschen Geistes umfassen: ausgeschaltet werden alle Opern 
französischen, russischen und englischen Ursprungs. Die Er- 
öffnungsvorstellung (zum Besten des Roten Kreuzes) war 
„Lohengrin“. 

Dresden. Die kürzlich erfolgte Anstellung von Michael Preß, 
dem ersten Konzertmeister an der Hofoper, ist rückgängig 
gemacht worden, da der Künstler ein russischer Staatsan- 
gehöriger ist. 

_ Halle a. S. Eine erfreuliche Nachricht kommt vom Saale- 
strand. Das Stadttheater wird seine Pforten in altgewohnter 
Weise wieder öffnen. Der Spielplan stellt u. a. zahlreiche 
Neueinstudierungen von Gluck, Mozart, Rossini und an völ- 
ligen Neuheiten Humperdincks „Marketenderin“ und Zöllners 
„Ueberfall“ in Aussicht. In Anbetracht der Zeitverhältnisse 
hat die Stadt die Pacht erlassen und der Direktor, Geh. Hof- 
rat Richards , jeder Entschädigung für seine persönliche Ar- 
beit entsagt. Auch die Mitglieder verzichten auf Teile ihres 
Einkommens. Ein etwaiger Ueberschuß soll dem „Nationalen 
Frauendienst“ zugute kommen. K. 

Hamburg. Die Mitglieder der Neuen Oper , die durch den 
Zusammenbruch dieser Bühne in Notlage geraten sind, haben 
sich bereit erklärt, auf Teilung zu spielen. Oberregisseur 
Moris ist zum künstlerischen Leiter bestellt worden. Die Vor- 
stellungen werden in etwa acht Tagen wieder aufgenommen 
Werden. 

Ischl. Infolge der Anwesenheit des Kaisers von Oesterreich 
war Ischl der Ort, an dem die Kriegserklärung an Serbien 
am frühesten bekannt wurde. Die Folge hiervon war, daß 
das Ischler Theater sofort geschlossen und die Schauspieler 
entlassen wurden. Die Künstlerschar stand nun plötzlich 
brotlos da. Als Frau Schratt, ihre einstige Kollegin und 
frühere Hofburgschauspielerin, von ihrem Jammer hörte, ließ 
sie dem ganzen Personal aus ihren Mitteln die Gage für drei 
Monate auszahlen. Bravissimo! 

Leipzig. In der deutschen „Sängerbundeszeitung“ findet sich 
folgende Ankündigung: Vereinigte Norddeutsche Liedertafeln. 
An sämtliche Vereine des Bundes. Liebe Sangesbrüder! Ge- 
tragen von der in dieser schweren Zeit des Krieges in ganz 
Deutschland entflammten Begeisterung für unser geliebtes 
Vaterland hat sich der heute in einer Sitzung zusammengetre- 
tene Bundesausschuß veranlaßt gesehen, aus der Bundeskasse 
den Betrag von 300 M. für das Rote Kreuz zu bewilligen. 
Wir hoffen damit im Sinne sämtlicher Bundesvereine gehan- 
delt zu haben. Möge Gott unseren Waffen den Sieg verleihen ! 
Mit sangesbrüderlichem Gruß. 

Nienburg a. d. Weser, den 6. August 1914. 
Der Leipziger Baritomst Alfred Käse hat vor einem etwa 
4000 Köpfe starken Publikum ein Konzert zum Besten des 

463 



Vor hundert Jahren. Ein Idyll: Schwind und Bauernfeld auf einer I^andpartie. (Ölgemälde von Schwind.) 


Roten Kreuzes gegeben; das Programm war der Kriegsstim- 
mung geschmackvoll angepaßt. — Was Leipzig kann, können 
das nicht auch andere Städte ? 

Meiningen. Das Hoftheater wird nun doch seine Winterspiel- 
zeit eröffnen. Der Herzog hat den Mitgliedern des Hoftheaters 
die Bühne und den gesamten Fundus für die Spielzeit zur 
Verfügung gestellt, damit sie auf eigene Rechnung spielen 
können. Direktor Osmarr schließt als Leiter dieser Vereini- 
gung die Verträge ab. — Unter dem alten Herzog wäre diese 
Lösung sicher nicht gewählt worden. Aber der Ausweg ist 
immerhin besser als gar nichts. 

Stuttgart. Das Hoftheater hat seine Spielzeit am Samstag 
den 5. September in feierlicher Weise eröffnet: Zum Besten 
des Roten Kreuzes und der zurückgebliebenen Angehörigen der 
ins Feld gezogenen Krieger. Die Vorstellung kennzeichnete 
in eindrucksvoller Weise den Geist, in dem diese waffen- 
umtoste Spielzeit geführt werden soll. Die Anwesenheit des 
Königs und der Königin in dieser ernsten Zeit gab ihr eine 
besondere Weihe. Es war fast mehr ein Gottesdienst als eine 
Theatervorstellung. Dem kraftvollen Orgelvorspiel, mit dem 
Musikdirektor Schlegel den Abend eröffnete, lag als Thema 
der erste Satz des trutzigen glaubensstarken und zuversichts- 
vollen Chorals „Ein’ feste Burg ist unser Gott“ zu Grunde; 
und als dann zum Schluß das Vorspiel mit machtvollen Po- 
saunen- und Trompetenklängen in den eigentlichen Choral 
überging, da erhoben sich wie ein Mann die Hunderte der 
Anwesenden, mit ihnen das Königspaar, in vaterländischer 
Ergriffenheit von den Sitzen. Es folgten die schicksalsschweren 
Klange der Beethovenschen Egmont-Ouvertiire , an die sich 
die herrlichen kampfbegeisterten , todesmutigen Schlußworte 
Egmonts anschlossen. „Deutschland, Deutschland über alles“ 
klang es in unmittelbarem Anschluß aus dem Orchester her- 
vor, und wieder erhob sich alles von den Sitzen und sang 
kraftvoll aus tiefstem Herzen mit. Es war ein wundervoller 
Einklang, wenn mitunter auch ein Ton im Halse stecken 
blieb, da ihm eine Träne, die aufsteigen wollte, vorübergehend 
den Weg versperrte. Schuberts „Allmacht“ : Groß ist Jehova, 
der Herr .... in machtvoller Tonfülle vorgetragen vom Stutt- 
arter Liederkranz unter Musikdirektor Möskes’ Leitung, 
raust von der Bühne herab, schlichte Soldatenlieder folgen 
und dann — ein Höhepunkt des Abends — die heldenmütigen 

f ottentflammten Altniederländischen Volkslieder. Zum Schluß 
as Dankgebet: 

Wir loben dich droben, du Lenker der Schlachten, 

Und flehen, mögst stehen auch ferner uns bei . . . 
„Wallensteins Lager“ war der zweite Teil der Aufführung. E.M. 


Die Musik vor hundert Jahren. 

W ie ist es in Kriegzeiten um das Theater; um die Kunst 
bestellt? Das ist heute die brennende Frage, die 
Antwort heischt. Anno 70 war bekanntlich ein glän- 
zendes Theater jahr, nachdem die ersten Siege errungen waren. 
Soll unser Jahrhundert, unsere Zeit zurückstehen? Wollen 
wir, in Verkennung ihrer Bedeutung, den Musen die Tore 
ganz verschließen? Es darf nicht sein! Sehen wir, wie es 
vor 100 Jahren aussah. Zunächst noch wenig erfreulich. 
Doch bald trat Besserung ein, mau kehrte zur Kunst, zur 
unentbehrlichen, zurück! 

464 


In den schweren Kriegsjahren 
bis Ende 1813, wo die Sorge um 
Vaterland und Familie alles andere 
überwog und die Verhältnisse 
schwankend und unsicher gewor- 
den waren, konnte allerdings von 
einem geregelten Konzert- und 
Theaterwesen keine Rede sein. 
Musikkapellen und -vereine lösten 
sich auf; der Krieg forderte seine 
Opfer auch unter den Jüngern der 
Tonkunst und die überlebenden 
Künstler gerieten durch Verlust 
ihrer Anstellungen in schwere Not 
und suchten, von Ort zu Ort rei- 
send, durch Theatervorstellungen 
und Konzerte ihr Leben zu fristen. 

Aber kaum war der Kanonen- 
donner verstummt, als sich über- 
all musikalisches Leben wieder 
regte; die Fürsten kehrten in ihre 
Residenzen zurück und beriefen 
sofort Künstler an ihre Bühnen 
und in ihre Orchester und so zeigt 
uns schon das Jahr 1814 ein ganz 
verändertes Bild. Die „Allgemeine 
Musikalische Zeitung“, damals das 
einzige bedeutende Fachblatt, das 
durch die Vornehmheit seines Stils und die Gründlichkeit 
und Sachlichkeit seiner Kritiken für alle späteren Musik- 
zeitungen vorbildlich geworden ist, bringt in diesem Jahre 
wieder Musikberichte aus Petersburg, Stockholm, Mailand, 
Zürich, Wien und vielen deutschen Residenzen. Sehen wir 
uns diese etwas näher an! 

Zuerst ist in ihnen immer von der Oper die Rede, die 
eine weit höhere Bedeutung hatte, als die verhältnismäßig 
wenigen Konzerte, für die sie Solisten, Orchester und selbst 
ihren Bühnenraum herlieh ; ebenso wie Bruchstücke von Opern 
die Hauptnummem der Konzertprogramme bildeten. Wien 
war das große musikalische Zentrum ; auf drei Bühnen wiuden 
dort Opern und Singspiele von den ersten Kräften gegeben. 
Dresden war die einzige deutsche Stadt, wo noch die italienische 
Oper bestand, sonst wurde in Deutschland auch deutsch ge- 
sungen. Straßburg, als Grenzstadt, hatte neben dem deutschen 
auch ein französisches Theater ; dafür gab es nun in Amsterdam 
eine deutsche Oper. 

Das Repertoire enthielt überall dasselbe ; Cherubinis „Wasser- 
träger“ und „Lodoiska“, Spontinis „Vestalin“ und „Ferdinand 
Cortez“ — Opern, die wir nicht mehr kennen. Von Mozart 
wurden „Don Juan“ und „Zauberflöte“ nur selten, dagegen 
sehr häufig „Titus“ und „Cosi fan tutte“ mit dem deutschen 
Titel „Mäachentreue“ gegeben, und diese letzten bedeutend 
höher bewertet, als wir Modernen es tim. Daneben spielte 
man Opern von Nicolo Isouard, Gr£try und Daleyrac. Boiel- 
dieus „Johann von Paris“ wurde gerade in Mannheim zum 
erstenmal aufgeführt. Weigls sentimentale „Schweizerfamilie“, 
kleine Singspiele von Kauer („Donauweibchen“) und Wenzel 
Müller waren sehr beliebt. Gegen Ende 1814 trat Meyerbeer 
mit seiner ersten Oper „Die beiden Kalifen“ hervor, die aber 
wenig Beifall fand und die Kritik gab dem Komponisten den 
verblümten Rat, doch lieber sein ausgezeichnetes Klavierspiel 
zu pflegen. 

Ziemlich heruntergekommen scheint die Oper in Mailand 

f e wesen zu sein, wo man in der Scala Mozarts „Don Juan“ 
ei der ersten Aufführung auspfiff, und „Cosi fan tutte“ nur 
möglich wurde, nachdem man einen Teil der Mozartschen 
Arien durch solche moderner italienischer Komponisten er- 
setzt hatte. 

Das für die Musikgeschichte bedeutendste Ereignis des Jahres 
ist die Aufführung von Beethovens „Fidelio“ in seiner end- 
gültigen Fassung, der dritten Bearbeitung, die dann endlich 
den Beifall von Kritik und Publikum fand, acht Jahre nach 
dem Erscheinen der Oper. Beethoven mußte sich mehrmals 
vor dem Vorhang zeigen, und die einzelnen Nummern, wie 
die umkomponierte Ouvertüre, wurden lebhaft beklatscht. 

Aus den Berichten der Konzerte geht deutlich hervor, 
daß diese auf einer weit niedrigeren Stufe standen als die 
heutigen, selbst in großen Städten. Nur an ganz wenigen 
Orten bestanden regelmäßige Konzerte, in denen das Orchester 
den Hauptfaktor bildete; meist waren es reisende Virtuosen, 
die bald hier bald dort musikalische Aufführungen veranstalte- 
ten, bei denen das Theaterorchester das Programm mit einigen 
Nummern vervollständigte. Ganze Symphonien wurden kaum 
gespielt; man begnügte sich mit einzelnen Sätzen; ferner gab 
man Ouvertüren von Opern und Arrangements für Orchester. 
Die Hauptsache waren die Solovorträge: Duette, Terzette, 
Arien aus beliebten Opern, Potpourris, Variationen und Kon- 
zerte für Klavier, Cello oder Violine. Daneben wurden In- 
strumente, die wir zum Teil jetzt nur noch als Orchester- 
instrumente kennen, in den bedeutendsten Konzerten zu Solo- 
leistungen herangezogen. Es gab Doppelkonzerte für Oboe 




und Flöte, für Klarinette und Fagott, sogar Variationen für 
Fagott allein, deren Wirkung wir uns nicht recht mehr vor- 
zustellen vermögen. Gegen ein Konzert für Kontrabaß erhob 
aber die Kritik, als gar zu ungenießbar, Widerspruch. Harfe, 
Gitarre und sogar Harmonika fanden häufig Verwendung. 

Beim Durchlesen der Konzertberichte fällt uns auf, daß der 
betreffende Dirigent — bei uns die Hauptperson — fast 
nirgends erwähnt wird. Das Dirigieren vom Pult aus mit 
dem Taktstock kam damals erst in Aufnahme; sonst saß der 
Kapellmeister mit der Partitur am Klavier und gab mit Kopf- 
und Handbewegungen die Einsätze an, oder aber der erste 
Konzertmeister, Musikdirektor genannt, dirigierte von seinem 
Platz aus mit dem Violinbogen, während er selbst mitspielte. 
Das affektierte Gebaren einiger dieser Herren wird in einem 
launigen Artikel der „Allgem. Mus. -Zeitung“ persifliert. Es 
heißt darin: „Er setzt die Geige ans Kinn, hebt sich mitsamt 
dem Instrument auf den Zehenspitzen empor, legt den Bogen 
nahe am ‘Frosch auf die Saiten und streicht nun, als ob er 
alle Saiten durchschneiden wollte, seinen Körper mit diesem 
Herunterstrich tief abwärts neigend. Dieser eine Bogenstrich 
mit allem, was dazu gehört, ist einem Salto mortale ähnlich. 
Der Boden zittert ringsumher, der Staub fliegt aus allen 
Ritzen und der Bogen zählt 4 — 5 Haare weniger. Schnell 
erhebt sich nun unser Direktor und streicht rüstig drauf los, 
so daß die Töne sich vor allen andern durch Rauheit und 
Stärke auszeichnen. Dabei schlägt er den Takt bald mit dem 
Bogen, bald mit dem Fuße, bald mit dem Kopfe, gibt rechts 
und links das Zeichen zum Anfang der einzelnen Stimmen und 
macht ein gar mürrisches Gesicht bei vorkonmienden Feh- 
lem“ usw. — Ein Vorläufer unserer modernen Pultvirtuosen 
zeigte sich etwas verfrüht in Königsberg und veranlaßte die 
Kritik zu der Aeußerung: „Wir glauben, ein gutes Orchester 
habe alle diese Ermunterungen zum Paßt auf, dieses Zischen 
und Aufschlagen, diese zunehmenden Körperbewegungen beim 
crescendo, dies Herzählen der kleinen Taktglieder an den 
Fingern gar nicht nötig. Die Herren haben ja das piano, 
forte, crescendo usw. vor sich, und haben doch wohl Ver- 
stand und Gehör; wenn sie diese nicht brauchen, so ist 
doch alles vergebens!“ — Daß man damals an feine Ausfüh- 
rung seitens des Orchesters bei weitem nicht die Ansprüche 
maSite wie heutzutage, erkennt man aus den Kritiken, die 
sich darauf beschränken, festzustellen, daß die Symphonie 
„ohne Fehler“ ging. . . ^ , 

Die berühmteste Sängerin in Deutschland war die Milder- 
Hauptmann an der Wiener Hofoper; als Klavierspieler glänzte 
in diesem Jahre zum erstenmal der junge Carl Maria v. Weber, 
der mit seinen ersten Klavierwerken und Ouvertüren schon 
großen Erfolg hatte. Als Cellist wurde Bernhard Romberg 
hochgefeiert; tüchtige Geiger wie Rode und Mayseder wurden 
durch den leuchtenden Glanz eines Paganini in den Schatten 
gestellt. Von ihm wird aus Mailand, wo er innerhalb . sechs 
Wochen elf Konzerte geben mußte, folgendes berichtet: „Sein 
Spiel ist wahrhaft unbegreiflich! Er hat Gänge, Sprünge, 
Doppelgriffe, die man noch von keinem Geiger gehört hat; 
er spielt die schwersten zwei-, drei- und vierstimmigen Sätze, 
ahmt viele Blasinstrumente nach; er gibt in den allerhöchsten 
Tönen dicht am Steg die chromatische 
Skala so rein zu hören, daß es fast un- 
glaublich scheint; er spielt die schwie- 
rigsten Sätze auf einer Saite, kneipt wie 
im Scherze auf der andern den Baß da- 
zu — kurz, er ist der künstlichste Vio- 
linspieler, den je die Welt gehabt hat.“ 

Freilich verhehlt die Kritik nicht, daß 
ihm im „gefühlvollen“ und „schönen 
Spiel wohl mancher überlegen sei und 
daß er andere als seine eigenen Kompo- 
sitionen meist nicht im Sinne des Kom- 
ponisten spiele. . . 

Erst seit kurzem hatten sich in 
Deutschland größere Chorvereine gebil- 
det, die es aber doch schon unternahm^, 

Kompositionen wie Haydns „Schöp- 
fung“ und „Jahreszeiten“, Rombergs 
„Lied von der Glocke“, Grauns „Tod 
Jesu“ und „Die sieben Worte am Kreuz 
von Haydn aufzuführen. Bachs große 
Kompositionen waren zu schwierig und 
damals nur wenigen bekannt; aut Han» 
del wurde man gerade von England aus, 
wo schon regelmäßige Handei-Feste 1 
stattfanden, aufmerksam gemacht. Merk- 
würdigerweise erfreute sich dessen Ale- 
xanderfest“, das heute wenig geachtet 
wird, der größten Beliebtheit. Der „Mes- 
sias“ wurde nur selten gegeben und der 
„Samson“, der Ende 1814 m Wien zu 
einer mit großer Spannung erwarteten , 

Auff ühr ung gelangte, enttäuschte all- cZ 

gemein. - Es war im Jahre 1814. als 
in Wien die großen Konzerte stattlan- 


den, die musikgeschichtlich geworden sind, weil sie Beet- 
hoven mit einem Schlage zur europäischen Berühmtheit 
machten und in seinem l^ebensgang den Höhepunkt äußern 
Erfolgs^bedeuten. Der „Wiener Kongreß“ hatte eine große 
Zahl von Fürstlichkeiten und Diplomaten in der Donaustadt 
vereinigt ; ihnen zu Ehren fand die große Akademie statt, in 
der Beethovens „Schlacht bei Vittoria“, die Kantate „Der 
glorreiche Augenblick“ zusammen mit der „Siebten Symphonie 
in A dur“ mit größtem. Beifall gegeben wurde. Zweimal mußte 
das Konzert wiederholt werden und der Komponist wurde 
mit Ehren überhäuft. Die Symphonie wird von der Kritik 
als die „gefälligste und melodiereichste“ bezeichnet, die Beet- 
hoven bis dahin geschrieben habe ; weit weniger Anklang fand 
die kurz nachher erscheinende „Achte“. 

„Wellingtons Sieg“ oder die „Schlacht bei Vittoria“ ver- 
dankte ihren großen Erfolg hauptsächlich dem Umstand, daß 
sie durchaus aktuell war; musikalisch wurde sie weder von der 
Kritik noch vom Komponisten selbst sonderlich hochgestellt. 
Schlachtsymphonien waren durch die kriegerischen Ereignisse 
Mode geworden; auch Schneider und Winter hatten solche 
komponiert, die fast höher als die Beethovensche bewertet 
wurden. Sogar das Klavier mußte sich zur tonmalerischen 
Wiedergabe von Kanonendonner und Kriegsgetünimel be- 
quemen. Daniel Stübelt, der berühmte Virtuose, trat mit 
einer Klavierfantasie betitelt „Die Zerstörung Moskaus“ auf, 
die ihren Höhepunkt in der Sprengung des Kremls fand. Wenn 
sich die Klavierspieler damals solche Aufgaben stellten, kann 
man wohl den Schluß ziehen, daß die Virtuosität doch höher 
entwickelt war, als man gewöhnlich von der Vor-Lisztschen 
Epoche annimmt. 

Betrachten wir das Musikleben in den einzelnen Städten, 
so war Wien wohl die einzige Stadt, deren Konzertwesen sich 
mit dem unseren vergleichen läßt. Hier fanden außer größeren 
Orchesterkonzerten auch regelmäßige Quartettabende statt. 
Leipzig hatte in Joh. Gottfried Schicht einen Musikdirektor 
von hohem Verdienst, der besonders den Chorgesang und die 
Kirchenmusik zu heben suchte. In Weimar stand Goethes 
und Karl Augusts Freundin, Caroline Jagemann, an der Spitze 
der musikalischen Veranstaltungen. Zugleich vorzügliche 
Sängerin und hochbegabte Schauspielerin, verkörperte sie 
vielleicht schon damals das Ideal, das Richard Wagner vor- 
schwebte. Ihr zur Seite stunden treffliche Gesangskräfte, wie 
das Ehepaar Unzelmann. Amsterdam zeichnete sich durch 
großen Musiksinn aus; seit mehreren Jahren bestunden dort 
die Musikvereine „Eruditio musica“ und „Felix meritis“, die 
in der Veranstaltung von großen Konzerten mit erlesenem 
Programm wetteiferten. 

Der Jahrgang 1814 der „Musikalischen Zeitung“ bringt 
einige bemerkenswerte Artikel über die Einführung des Mälzl- 
schen Metronoms, das gerade erfunden war. Andere befür- 
worten eine einheitliche Orchesterstinunung, denn der Unter- 
schied in der Stimmung der einzelnen Orchester betrug bis 
zu %-Ton und es konnte passieren, daß ein Geiger, der morgens 
in der Kirche, nachmittags in einem Konzert mid abends in 
der Oper spielte, jedesmal sein Instrument um einen halben Ton 
herauf- oder herunterstimmen mußte. Die Virtuosen der Blas* 



•7 /« 


Vor hundert Jahren. Drei Freunde: Jenger, Hüttenbrenner, Schubert. 


465 



-'nstrumente aber verlangten, daß das ganze Orchester nach 
ihrem Instrumente umstimmte. Einen eigenartigen Vorschlag 
macht der angesehene Musiker Gottfried Weber zu Mannheim. 
Er wünscht die Pauken statt rund rechteckig gebaut, damit 
das Fell, dessen kreisrunde Gestalt eine reine Stimmung 
schwierig und umständlich macht, in ebenfalls rechteckiger 
Form, mittels einer einzigen Walze nur der Länge nach ge- 
spannt und gestimmt zu werden brauche. Mit diesem Wunsche 
scheint er nicht durchgedrungen zu sein. 

Unter den Toten des Jahres finden wir die Kapellmeister 
Himm el, Vanhall, Reichardt und den berühmten musikalischen 
Charlatan Abbe Vogler. Unter den noch lebenden Kompo- 
nisten wird auch ein Sohn Mozarts mit Werken für Klavier 
und Geige erwähnt. 

Wenn wir nach dieser Ueber sicht auf unser fast zu reges 
Konzertleben, auf unsere Riesenorchester, unsere Massenchöre 
blicken, so sagen wir uns, „wir haben es herrlich weit gebracht“. 
Während 1814 Beethoven in einsamer Größe über einer Schar 
von Eintagskomponisten thronte, nur die kurz vorher verstor- 
benen Meister Haydn und Mozart zu Genossen, denn Bach 
und Händel waren in Vergessenheit ges unk en — besitzen wir 
jetzt, außer diesen Fixsternen, die Planeten eines Schubert, 
Schumann, Mendelssohn, Brahms, Wagner, Strauß und einer 
Menge Sterne zweiter und dritter Größe, die über unserem 
Musikhimmel strahlen. Das Orchester ist durch Verbesserung 
und Einführung neuer Instrumente um viele Tonwirkungen 
bereichert worden; die Ausführung der Kompositionen hat sich 
bedeutend verfeinert und vertieft. Mittel wie Ansprüche sind 
gestiegen und eine gewisse Blasiertheit, ein Hunger nach Sen- 
sation macht sich beim Publikum geltend. Zurückgegangen 
ist nur die Pflege der Musik im Hause und das Dilettantentum 
in der Oeffentlichkeit, das zu Anfang des vorigen Jahrhunderts 
florierte. Sollen wir es bedauern ? Gewiß, vom ethischen 
Gesichtspunkte aus, denn der veredelnde Einfluß der Musik 
macht sich nirgends so fühlbar als in dem von selbstloser 
Liebe zur Sache eingegebenen, von Eitelkeit und Ruhmsucht 
entkleideten Musizieren im häuslichen Kreise. Anders sieht 
es vom musikalischen Standpunkt aus, wo es geradezu als 
Fortschritt zu bezeichnen ist, daß man sich mit stümperhaftem 
Klavierspiel, unreinen Geigentönen und falschem Geschmack 
in der Auffassung nicht mehr begnügen will, sondern es vor- 
zieht, in guten Konzerten die Kompositionen so ausgeführt 
zu hören, wie sie den Absichten des Autors annähernd ent- 
sprechen. 

Jedenfalls würde nach hundert Jahren die Beschreibung der 
Musikzustände von 1914 einen weit größeren Raum erfordern, 
als er bei diesem Ueberblick auf das Jahr 1814 notwendig war. 

S. St. 


Aus Christoph Glucks Lehrjahren. 

Novellette von KORNELIE KARDOS. 

E s war etwa um das Jahr 1718, als der berühmte Ton- 
setzer Bohuslav Cemohorsky Musikdirektor und Orgel- 
spieler in der Jakobskirche in Prag wurde. Lange 
Jahre hatte er in Padua an der herrlichen Basilika di San 
Antonio als Magister der Musik fungiert und sich dort hohes 
Ansehen errungen; dann aber ergriff ihn plötzlich eine un- 
bezwingliche Sehnsucht nach jener grauen, märchenhaften 
Stadt an der Moldau, wo er seine Kinderjahre verlebte, und 
er batte zu ihr pilgern müssen — oder wäre, wie er meinte, 
vor Heimweh gestorben. Dort war er auch geblieben, ob- 
gleich er täglich im mürrischen Tone davon redete, in das 
Uand der Sonne wieder zurückzukehren, weil man doch nur 
unter Italiens Himmel zu leben vermöge. 

Daß sein Ruhm viele Schüler von nah und fern herbeizog, 
die von ihm in der edlen Kunst der Musik gründlich unter- 
wiesen werden wollten, ist selbstverständlich. Er galt freilich 
für einen sehr strengen Lehrmeister, vor dem che Schüler 
gewaltigen Respekt hatten, aber das zog sie nur um so mehr an. 

Zu seinem größten Vergnügen zählte, wenn er bei guter 
Laune war, sich in Schilderungen aus der „bella Italia“ ein- 
zulassen, dann blitzten seine Augen ganz wundersam, die 
Falten und Runzeln des dunklen Gesichtes glätteten sich 
und ein Schimmer von Jugend verklärte die mächtige Musiker- 
stim. Auch die jungen Schüler strahlten hellauf vor Ent- 
zücken bei der Beschreibung der Pracht der Kunstschätze, 
der ewiggrünen Natur mit ihrem Balsamduft und dem azur- 
blauen Himm el. Dann unterbrach sich der Meister oft plötz- 
lich in seiner phantastischen Schilderung und riß seine jungen 
Zuhörer wieder unsanft in die Wirklichkeit — in die große 
düstere Arbeitsklause hinter der Jakobskirche zurück, wo sie 
sich mühten, ihre verschiedenen Instrumente zu meistern 
und ihre schweren Fugensätze im Schweiße des Angesichtes 
aufs Papier zu bringen. 

466 


Besonders gerne erzählte Bohuslav auch seinen Schülern 
von dem hochberühmten Geigenspieler Giuseppe Tartini, 
dessen Meister er gewesen. „ 1 $ wird der Einzige sein und 
bleiben, der mir Ehre macht“ — setzte er eines Tages hinzu — ,• 
„denn er war eben so fleißig, wie ihr alle faul seid. Der brave 
Junge brachte es auch so weit, daß sein Zauberbogen sich 
alles zu erringen vermag: Gold in Hülle und Fülle — Ruhm — - 
und, Küsse der schönsten Frauen obendrein! — Und wie 
sieht’s dagegen mit euch aus ? ! Euch gibt noch niemand an 
armseliges Almosen für euer Gedudel! Das hat man' von 
all der Plackerei!“ 

Diese Worte waren vornehmlich an drei jugendliche Schüler 
gerichtet, die eben ihre schweren Lehrjahre bei dem Ge- 
strengen durchmachten. Da war der kleine Franz Tuma, der 
später in Wien durch seine herrlichen Responsorien zu den 
Lamentationen bekannt war, dann Jöseph Zach, dessen 
Bedeutung als Orgelspieler, den seines Lehrmeisters weit 
überstrahlen sollte. — und endlich ein hochaufgeschossener 
Jüngling, den sie alle den „Christophorus“ nannten. Er 
besaß eine hübsche Stimme, zeigte für die Bratsche und vor- 
nehmend für das Violoncello — aber ganz besonders für den 
Kontrapunkt große Begabung. 

Auf keinen der drei machten die Worte des Lehrmeisters 
einen tieferen Eindruck, als auf Christophorus; war er sich 
doch bewußt, daß er so fleißig wie nur irgend möglich war 
und mit seinen Aufgaben nie im Rückstand blieb, seit jener 
letzten Aeußerung seines Meisters, träumte er Tag und Nacht 
von nichts anderem, als von jenem glücklichen Zauberkünstler 
Tartini, und in dem jungen Kopte und ehrgeizigen Herzen 
wirbelte ein Chaos von Gedanken und kühnen Plänen auf, 
die alle nur auf ein Ziel lossteuerten, seinem Lehrmeister zu be- 
weisen, daß man sich auch ein Almosen zu erringen vermochte 
durch das, was man im Schweiße seines Angesichtes und im 
Feuer seiner Seele auf der Bratsche und aut dem Violoncello 
gelernt; wie oft hatten sich doch in den Abendstunden, wo 
er sich auch auf der Orgel in der Kirche loslassen durfte, Zu- 
hörer eingefunden, die bis zum letzten Tone voll Andacht 
ausharrten ! 

Es käme also nur auf einen Versuch an — und das konnte 
nur geschehen, wenn man vollen Mutes für ein paar Stunden 
in die Welt hinauszöge. Das „Wie“ machte ihm freilich 
vorderhand noch viel Kopfzerbrechen: Mit dem Violoncello 
auf dem Rücken konnte man schwer von Haus zu Haus ziehen 
— aber dafür wird die Bratsche als hilfreiche Gefährtin zu 
benützen sein; am nächsten Sonntag feiert man ja eine Kirch- 
weih, da mußte es doch nicht mit rechten Dingen zugehen, 
wenn man sich nicht manchen Groschen erspielen könnte, 
um es dem gestrengen Lehrmeister zum Beweise heimzubringen, 
wenn es auch nicht so viel wie das Verdienst Tartinis ist! 

Der Sonntag kam, obendrein im schönsten Frühlingsschmuck, 
und die projektierte Wanderung wurde von Christophorus 
wirklich und wahrhaftig angetreten; mit nicht ganz gefülltem 
Magen wie gewöhnlich, und selbstverständlich ohne einen 
Kreuzer Geld in der Tasche, nur mit seiner geliebten Bratsche 
unter dem Arm. 

Gar bald verschwand die alte Praga mit der HraSinkrone 
wie eine Königin im blauen Duft der Feme. Der Fr ühling 
war ja da, das beglückende Märchen war vor ihm lebendig 
geworden, und der wandernde Spielmann fühlte sein Herz 
schneller schlagen, vor Glück und Mut. Die Lerchen sangen 
alle im heitersten Dur in der warmen, wonnigen Luft — ; wie 
in Dur klang auch das Rauschen der jungen grünen Blätter 
und das Geflüster der Bäume ringsumher. Und was für 
Farben waren vom Maler „Lenz“ hergezaubert worden, selbst 
die Maler von Padua, von welchen der Meister oft erzählte, 
hätten gewiß bei ihm noch in die Schule gehen können! 

Der sonst so ernste Jüngling wurde ganz toll und über- 
mütig und strich auf seine Bratsche schon vor dem ersten 
Dorfe, das sich ihm in den Weg schob, los, daß die Künder 
aus allen Türen und Winkeln herbeistürzten und die Hunde 
in Freudengeheul ausbrachen; und bald war der Spielmann 
so umdränjp:, daß er nur langsam vorwärts schreiten konnte. 
Immer heller glänzten die Augen des Christophorus, denn vor 
die Türen traten mm auch die Alten und lachten mit den 
Kindern um die Wette, und winkten ihm zu, wie alte Be- 
kannte. Die drolligen Kleinen hielten ihm Kuchen, Wurst 
und Weißbrot entgegen, dazwischen boten ihm Frauen Milch 
an — und dann und wann schob man ihm eine kleine Münze 
zu. Wie es in dem einen Dorfe ging, so ging es auch in dem 
anderen, und es wurde ihm, wie noch nie, so selig ums Herz, 
bei dieser offenkundigen Bewunderung. 

Es war der schönste Tag, den Christophorus jemals erlebt, 
und der Gedanke, daß nun sein Lehrmeister in Prag nimmer 
mehr zu ihm sagen durfte, daß er sich nicht einmal Almosen 
zu verdienen vermöge mit seiner Musik, machte ihn geradezu 
trunken vor Glück. 

Aber wie alles ein Ende nimm t, Freud wie Leid, so ver- 
rannen auch diese glücklichen Stunden, und die Sonne be- 
reitete sich schon zum Untergange vor. Christophorus mußte 
an den Rückweg denken. Sein Zweck war erreicht — und 
vollständiger, als er es je zu träumen gewagt; so nahm er 


Abschied von seinen lärmenden kleinen Freunden. Plötzlich 
stand er vor dem offenen Tor einer schönen Villa, wo sich 
eine' Menge zierlich gekleideter Mädchen auf einem großen 
Rasenplatz tummelten. Angelockt nahm er jetzt abermals 
seine Bratsche zur Hand und spielte nach einer Melodie, die 
sein Lehrmeister mit Vorliebe auf der Orgel feierlich vor 
seiner Gemeinde vorüberziehen ließ, eine Gavotte, auf deren 
Rhythmus die kleinen Dämchen die Füßchen hoben, um 
danach zu tanzen. 

Wie es kam — er wußte es nicht — aber mit einem Male 
brannte, wie ein Blitz aus heiterem Himmel, eine gewaltige 
Ohrfeige auf seiner Wange, und eine nur zu bekannte Stimme 
rief: „Birbante! das ist für die keckliche Profanierung einer 
Kirchenmelodie !“ 

Bohuslav Cemohorsky selber stand leibhaft vor seinem 
Schüler, als wäre er aus der Erde gewachsen. Dazumal ge- 
bärdete man sich aber nicht, wenn einmal, gleichviel ob mit 
Recht oder Unrecht, sich der Lehrmeister etwas schlagfertig 
zeigte; so rieb sich denn auch Christophorus nur die Wange 
und folgte schweigend dem Gebot, die Melodie die er so ver- 
unglimpft, noch einmal als Strafe vorzutragen. 

Als er nun die Gavotte vor dem Gestrengen und der Gesell- 
schaft beendet, da brummte der Alte: „Es ist in der Tat kein 
Fehler darin, darum soll dir diesmal verziehen werden — aber 
zugemutet hätte ich dir diese Korrektheit nimmer! — Nun 
erzähle, wie du eigentlich in das Haus meiner Freunde geraten, 
wo ich stets Sonntagsgast bin ? !“ — 

Die kleine Geschichte war bald erzählt; aber die Haupt- 
sache war ihm, daß er sich vor Tartini nicht mehr zu schämen 
brauchte, und nun begann er seine Beute mit glühenden Augen 
auszupacken ; daß der junge Musikant da nun auch noch einen 
Heiterkeitserfolg besonderer Art hatte, braucht kaum gesagt 
zu werden. Jene unvergeßliche Gavotte aber, um die seine 
Wange im doppelten Feuer gebrannt, spielte der spätere 
Meister stets mit besonderer Vorliebe, als Rückerinnerung 
an seinen verehrten Meister und an seine Lehrzeit. 



— Vom englischen Spleen. In England wird jetzt der Boy- 
kott deutscher Musik verkündet. Wagner und Strauß wurden 
schleunigst vom Programm des letzten Wood-Konzertes ab- 

f esetzt, obwohl sie bislang die Zugkraft der volkstümlichen 
Konzerte in der Alberthalle darstellten, und Tschaikowsky 
sowie die Marseillaise bildeten den Ersatz. — Geschieht den 
Engländern ganz recht! 

— Zur Nachahmung. Ein gutes Beispiel gibt eine Einsen- 
dung im „Berliner Tageblatt“. Eine verheiratete Frau hatte 
sich seit der Kriegserklärung so vieler Arbeiten für Wohl- 
tätigkeitsgesellschalten zu unterziehen, daß sie nicht mehr die 
Zeit fand, ihren regelmäßigen Klavierunterricht fortzusetzen. 
Um der Klavierlehrerin aber nicht die Einnahme zu entziehen 
und um sie auch nicht zur Annahme eines Almosens zu ver- 
anlassen, bezahlte sie das Honorar weiter, ersuchte aber die 
Lehrerin, den Unterricht einer unbemittelten, talentvollen 
Schülerin zukommen zu lassen. — Bravo I Die Frau tut 
wirklich etwas fürs Vaterland. 

— Ein Kuriosum\ Während, soviel wir sehen, alle größeren 
Musikzeitungen im kriegführenden Deutschland weitererschei- 
nen, kann die neutrale Schweiz nicht mehr mittun. Die 
„Schweizerische Musikzeitung“ stellt bis auf weiteres ihr Er- 
scheinen ein und wünscht ihren Abonnenten, daß sie „heil' 
aus den Wirrnissen dieser Zeit hervorgehen mögen“. 



Für Gesang und Klavier. 

Bogumil Zepter, op. 76: Sechs Lieder für eine Singstimme 
und Klavier (ä 1 M.). Verlag N. Simrock, Berlin. Ein aus- 
gesprochenes künstlerisches Empfinden und Gestaltungs- 
vermögen verraten diese sechs Lieder. Bei aller Verschieden- 
artigkeit im Charakter und im Ausdruck zeigt sich in jedem 
die sichere Hand und die persönliche Eigenart des Komponisten. 
„Auf der Schwelle“ ist innig und zart, und bei aller Schlicht- 
heit in Melodie und Harmonie, modern empfunden. In 
„Lindenblüte“ spüren wir etwas von dem „süßen Duft“ in der 
harmonischen Begleitung zu dem natürlich und einfach ge- 
haltenen Gesang. In „Walpurgisnacht“ wird dem Text ent- 
sprechend ein scherzhaft neckischer Ton mit reizender kapri- 


ziöser Klavierbegleitung angeschlagen. Von hohem Schwung 
und Begeisterung getragen ist das „Nachtgebet der Braut“ 
mit fast überreicher Harmonisierung — schon mehr lyrische 
Szene, als Lied, während „Anbetung“ ruhiger, schlichter und 
in schöner melodischer Linie gehalten, Herzens wärme aus- 
strahlt. Mit entzückendem Humor in Tönen ist das Dehmel- 
sche „Nicht doch!“ wiedergegeben. — 

Albert Becker: Fünf Minnelieder (Hug & Co., Leipzig). 
Von diesen schlichten melodischen Liedern, die auch in dem 
Klavierpart| einfach und im alten Stil gehalten sind, ist dem 
Komponisten das dritte „Besorgnis“ mit dem halb sentimen- 
talen, halb humoristischen Ausdruck in seiner ansprechenden 
Melodik wie in der leichtgeschürzten Begleitung technisch 
wie inhaltlich entschieden am besten gelungen 

Ernst O’swald: Zwei Lieder. Verlag Anton J. Benjamin, 
Hamburg. Von sofort einleuchtender Melodik, ausdrucksvoll 
und auch in der harmonischen Einkleidung unmittelbar wirk- 
sam, mit Vermeidung von Trivialitäten. Stimmungsvoll und 
das Gemüt ansprechend gibt sich besonders No. 2. 

Max Tiede: „Liebe“, Gedicht von H. Wagener für mittlere 
Singstimme. Verlag Otto Hefner, Oberneudorf- Buchen (Baden) 
1.20 M. In herzlichen Tönen, in der altbewährten einfachen 
Tonsprache wird hier das alte, ewig neue Lied von der Liebe 
gesungen. 

Ludwig Hinzpeter: Zwei Lieder: 1. Im blumigen Waldes- 
grunde, 2. ’s geölt allens vöräwer ä 1 M. Verlag Bote & Bock, 
Berlin W 8. Von schlichter, ansprechender Melodik, dem 
Volkslied sich nähernd. Br. Schüz. 

* * * 

Allgemeiner deutscher Musikerkalender von Raabe & Plothow 
(Berlin W 62) ist eingetroffen , worauf wir alle Interessenten 
aufmerksam machen. Es ist der 37. Jahrgang der bekannten 
roten Bücher. 


Zum Quartalswechsel. 

E in neuer Jahrgang der „N. M.-Z.“ beginnt mit dem 
Heft 1 des nächsten Quartals. Wie wir unseren Lesern 
schon mitgeteilt hatten, soll die „N. M.-Z.“ auch in 
Kriegszeiten weiter bestehen bleiben. Die Flagge soll nicht 
heruntergeholt werden. Was wir zur Linderung des Not- 
standes unter den Musikern, weiter zur Erkenntnis dafür tun 
können, daß die Musik gerade in den schweren Zeiten des 
Krieges nicht vergessen werden dürfe, das soll auch ferner- 
hin geschehen. Heute gibt jeder sein eigenes Urteil darüber 
ab, was ihm die Kunst war: ein Zeitvertreib, ein Amüse- 
ment, oder Herzenssache, von der er nicht lassen kann. Wir 
wiederholen unsere Bitte an alle unsere Leser und Freunde, 
der „N. M.-Z.“ auf ihrem Wege behilflich zu sein und ihr 
Abonnement zu erneuern. Neue Musik-Zeitung. 

* * 

* 

Unsere Musikbeilage zu Heft 24 bringt ein Stück für Violine 
und Klavier des beliebten Komponisten Konzertmeister Hans 
Schmidt, Domkantor in Halle a. S. Mancher wird vielleicht 
sagen, daß dieser Ländler nicht zur heutigen Stimmung passe. 
Demgegenüber sei aber bemerkt, daß das Stück schon längst 
noch mr diesen Jahrgang bestimmt war. Und dann: die 
Ländler sind gemütvoll. Eine Ablenkung in andere musi- 
kalische Regionen wird wohltun. Gute Musik kann zu jeder 
Zeit in jeder Form genossen werden und wird ihren Zweck 
erfüllen. 


Grafisbeilago: „Allgemeine Geschichte dir Musik.“ 

Von Dr. Richard Batka und Protessor Dr. Willbald Nagel. 

Diesem Heft liegt ab Gratisbeilage Bogen 14 bei. 

Neu eingetretenen Abonnenten beehren wir uns Nachstehendes 
mitzuteilen: 

Vierteljährlich gelangen zwei Lieferungen zur Ausgabe. 

Band £ und 2/ ln Leinen gebunden (enthaltend annähernd 860 
Abbildungen) kosten zusammen M. 11. — , bd direktem Bezug 
zuzügl. 60 Pf. Porto. Auch einzeln erhältlich. 

Einzelne Bogen, des I., D. und III. Bandes können zum Preise 
von 20 Pf. für den Bogen jederzeit nachbezogen werden, auch von 
seitherigen Abonnenten, denen Bogen bi Verlust gerieten. 
Leinwanddecken zu Band I und II je M. 1.10, bei direktem 
Bezug M. IAO. 

Zu beziehen durch jede Buch- u. Musikalienhandlg. sowie direkt vom 

Verlag der „Neuen Musik-Zeitung“ in Stuttgart. 

Verantwortlicher Redakteur: Oswald Kühn In Stuttgart. 
SchluB der Redaktion am 6. September, Ausgabe dieses Heftes am 
17. September, des nächsten Heftes am 1. Oktober. 


467 


Neue Musikalien. 

(Spätere Besprechung rorbetmlten.) 

Chorwerke. 

Balling, Michael : Richard Wag- 
ners Werke. Bd. XVI: Musi- 
kalische Werke. Bd. II: Chor- 
gesänge. Breitkopf, Leipzig. 

Schein, Joh. Herrn. : Sämtliche 
Werke, herausgeg. von Artur 
Prüfer, Bd. V: Opella Npva 
Geistliche Konzerte (Leipzig 
1618) zu 3, 4 und 5 Stimmen, 
erste Abteilung 20 M. Sub- 
skriptionspreis 15 M. Ebd. 

Sibelius, Jean, op. 65 b : Glocken- 
melodie in der Kirche zu 
Berghäll für gemischten Chor, 
Partitur 1 M. Ebenda. 

Wagner, Richard : ReligiöseTon- 
dichtungen für Chorgesang, 
herausgegeben von Leopold 
Hirschberg. Partitur 1.50 M., 
Stimmhefte je 30 Pf. F. W. 
Gadovv & Sohn, Hildburg- 
hausen. 

Lubrich, Fritz jun., op. 42: 
Geistliche Lieder für ge- 
mischten Chor: Motette, Par- 
titur 80 Pf., Stimmen ä 20 Pf. 
Schweers & Haake, Bremen. 

- — op. 43: Der 126. Psalm 
(Wenn der Herr die Ge- 
fangenen Zions erlösen wird) 
für gemischten Chor mit 
Orgelbegleitung, Part. i.joM. 
Stimmen ä 20 Pf. Ebenda. 

— op. 28 : Abend (Nim der Tag 
mich still gemacht) für fünf- 
stimmigen gemischten Chor, 
Partitur 80 Pf., Stimmen 
80 Pf. Ebenda. 

Schmid, Joseph, op. 59: „Nun 
bitten wir den heiligen Geist“. 
Ein geistlicher Gesang in 
Form eines figurierten Cho- 
rals für Alt, Oboe, Violine, 
Bratsche - Solo, gemischten 
Chor und Orgel, Partitur 2 M. 
Ebenda. 



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Betrags zuzüglich Porto 20 Pf. für Decke oder Mappe, 
30 Pf. für Decke und Mappe) vom 


Uerlag der „Denen IDusik-Zeituitg“, Stuttgart. 



Verantwortlicher Redakteur: Oswald Kühn in Stuttgart. — Druck und Verlag von Carl Grüninger ln Stuttgart. — (Kommissionsverlag in Leipzig: F. Voldtmar.) 














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XXXV. 

Jahrgang. 


Beilage zur Neuen Musik -Zeitung. 

Verlag von Carl Qrüninger, Stuttgart -Leipzig. 


1914 . 


„Mir träumte von einem Myrtenbaum.“ 

Aus den „Mädchenliedern“ von Paul Heyse. 


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GESANG. 


PIANO. 


Meno Moderato. 

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Georg Schumann, Op. 35. Nr. 3. 


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Mit besonderer Bewilligung des Verlags F. B. 0. Leuckart, Leipsig. — Copyright 1904 by Friedrich Hofmeister. 

N. M.-Z. 1403 



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4 


BAGATELLE. 

(Auf sanften Wogen.) 





XXXV. 

Jahrgang. 


Beilage zur Neuen Musik-Zeitung. 

Verlag von Carl Griininger, Stuttgart -Leipzig. 


1914. 


Aufführungsrecht 

Vorbehalten 


Der Zwerg und die Infantin. 

Nr. 4. Marientanz der Tänzerknaben 



Copyright 1913 hy Max Brookhaus, Leipzig. - Der Abdruck erfolgt auf Grund einer mit dem Verlag Max Brookhaus 

in Leipzig getroffenen Vereinbarung. 



2 





4 




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XXXV. 

Jahrgang. 


Beilage zur Neuen Musik-Zeitung. 

Verlag von Carl Grüninger, Stuttgart- Leipzig. 


1914. 









2 








N. M.-Z. 1396 




XXXV. 

Jahrgang. 


Beilage zur Neuen Musik -Zeitung. 

Verlag von Carl Gruninger, Stuttgart- Leipzig. 


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Elegie. 


Violine. 

Andante sostenuto con espressione. 


Ferdinand Krauß. 






XXXV. 

Jahrgang. 


Beilage zur Neuen Musik-Zeitung. 

Verlag von Carl Grüninger, Stuttgart- Leipzig. 


1914 


Herrn Ober-Regierungs-Rat Dr. FERD. FREUDENFELD zu eigen. 

Morgenständchen. 





sentimento. 



N. M. 2.-1403 




JHurü. 





4 


Der verzweifelte Liebhaber. 

Eichendorff. 


Singweise von ROBERT KOTHE. 




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XXXV. 

Jahrgang. 


Beilage zur Neuen Musik-Zeitung. 

Verlag von Carl Grüninger, Stuttgart- Leipzig. 


1914 . 


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N. M.-Z. 140« 





3 


CHRISTKIND. 

Gedicht von Wilh. Hey. 


Andante tranquillo. 


Gustav Lazarus. 



N.1C-Z.U18 


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XXXV. 

Jahrgang. 


Beilage zur Neuen Musik -Zeitung. 

Verlag von Carl Grüninger, Stuttgart- Leipzig. 


1914. 



Mt besonderer Genehmigung des Wunderhornverlags in München entnommen aus: Heinrich Schallt, „Jugendland“ acht leichte 
Klavierstücke (Op. 6). H. M.- Z. hob 







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XXXV. 

Jahrgang. 


Beilage zur Neuen Musik -Zeitung. 

Verlag von Carl Grtininger, Stuttgart- Leipzig. 


1914 *. 












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XXXV. 

Jahrgang. 


Beilage zur Neuen Musik-Zeitung. 

Verlag von Carl Grüninger, Stuttgart -Leipzig. 




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XXXV. 

Jahrgang. 


Beilage zur Neuen Musik-Zeitung. 

Verlag von Carl Grfininger, Stuttgart- Leipzig. 


1914. 


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MENUETT. 


Wolfgang Pfleiderer. 


PIANO. 








3 



pocorit. 



N.M.-Z.1418 




4 


Aufführungsrecht 

Vorbehalten. 


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Schlaf lied“ aus der Liebesmesse. 

. Dichtung von Will Vesper. 







XXXV. 

Jahrgang. 


Beilage zur Neuen Musik*Zeitung. 

Verlag von Carl Grüninger, Stuttgart* Leipzig. 


1914. 


Philipp Emanuel Bach: 

Mittelsatz aus der Klaviersonate in A-dur. 


Violine. 

Für Violine und Klavier bearbeitet von 

Armin Knab. 






XXXV. 

- Jahrgang. 


Beilage zur Neuen Musik-Zeitung. 

Verlag von Carl Grfininger, Stuttgart -Leipzig. 


1914. 



N. M:Z. 1416 





H.MrZ.Mie 








XXXV. 

Jahrgang. 


Beilage zur Neuen Musik-Zeitung. 

Verlag von Carl Grünin ger, Stuttgart- Leipzig. 


1914 . 



N. M.-Z. 1409 






2 



N.M.-Z. 1407 







3 


„Es ist vorbei!“ 

Gedicht von M. v. Westerhove. 




N. M.-Z. 1415 


XXXV. 

Jahrgang. 


Beilage zur Neuen Musik-Zeitung. 

Verlag von Carl Gruninger, Stuttgart- Leipzig. 


1914. 


Herrn ERWIN BANCK gewidmet. 

Scherzo 


Violine. 


Piano. 


für Violine mit Begleitung des Pianoforte. 

Schnell. Edgar de Glimes, Op. 8. 




i i 


N. M.-Z. 1884 



2 



N. M.-Z. 1894 



3 






N. U.-Z. 1894 







XXXV. 

Jahrgang. 


Beilage zur Neuen Musik-Zeitung. 

Verlag von Carl Qrüninger, Stuttgart- Leipzig. 


1914. 


Schnell. 


Herrn ERWIN BANCK gewidmet. 

Scherzo 

für Violine mit Begleitung des Pianoforte. 

Violine. 


Edgar de Glimes, Op. 8. 

4 



N. M.-Z.1S94 




Beilage zur Neuen Musik-Zeitung. 

Verlag von Carl Grfininger, Stuttgart- Leipzig. . 


1914. 


Herrn HUGO VAN DALEN freundlichst gewidmet vom Bearbeiter. 

J. S. Bach: ANDANTE (D moll) 

aus dem zweiten Brandenburgischen Concerte (F dur). 


Für Pianoforte zu zwei Händen 
bearbeitet von 

August Stradal. 


Andante. 


cantabile e lugubre 


0 


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■■ 

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‘Sa. * <Sa. a. # «Sa. # «Xa. * Sa. * «Sa. * ^ ^ 

*)Die Bässe sollen in gleicher Weise peeante (ja nicht t taeeato , auch nicht legato} aber p und dumpf gespielt werden. STRADAL. 

Mit Bewilligung des Verlages 3. Schubert h & Co., Leipsig, hier veröffentlicht. 

2r.MrZ.l«lS 















N.KrZ.ttl« 









XXXV. 

Jahrgang. 


Beilage zur Neuen Musik-Zeitung. 

Verlag von Carl Grüninger, Stuttgart -Leipzig. 


1914. 





N. M.-Z.1390 














XXXV. 

Jahrgang. 


Beilage zur Neuen Musik-Zeitung. 

Verlag von Carl Orüninger, Stuttgart- Leipzig. 











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N.M.-Z. 1*22 



f * f * r Mf 


Jfarcia D.C. 


N it-z.it aa 



XXXV. 

Jahrgang. 


Beilage zur Neuen Musik -Zeitung. 

Verlag von Carl Grüninger, Stuttgart- Leipzig. 


1914. 


Militärmarsch No. 3 von Fr. Schubert, Op.5i. 

Für Violine, Violoncell und Klavier. 


Violine. 


Allegro moderato. 
2 


Bearbeitet von W. Abert. 



cresc. 


p f MarciaD.C. 


N. MrZ.148* 



XXXV. 

Jahrgang. 


Beilage zur Neuen Musik-Zeitung. 

Verlag von Carl Griininger, Stuttgart -Leipzig. 


1914 . 


Militärmarsch No. 3 von Fr. Schubert, Op.5i. 

Für Violine, Violoncell und Klavier. 


Violoncell. 


Allegro moderato. 


Bearbeitet von W. Abert. 


jfi; 



N.MrZ.1488 






XXXV. 

Jahrgang. 


Beilage zur Neuen Musik-Zeitung. 

Verlag von Carl Grüninger, Stuttgart -Leipzig. 


1914. 

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1. Fel - sen - 

strand, 

wenn die wil - den 

Tau-ben gir-ren 

im 

Ge-büsch der 

U • fer-wand, 

2. zu mir 

her. 

wo die fro-hen 

Lie - der schal-len 

nächtlich ü - hers 

blau-e Meer. 

3. Han -ses 

Dach; 

ach: wie winkt’ ich 

und wie rief ich 

dir 

so lan - ge. 

lan -ge nachl 

4.Meer zu 

dir; 

mein Ge -sang ver - 

hallt, ver-klin-get 

in 

der Brandung 

Rau-schenhier. 


I #-*1 


r , =k 


1. denk’ ich dein mit tau - send Schmerzen, näh-rend stil-len Gram im Her-zen; wohl die Man-do 

.2. Mich lockt nicht die Ta - r&n-tel - le, trän- mendblick’ ich in dieWel-le, oh auch fro - he 

3. Als die Fer-nen dich ver- schlangen, ja, da fühlt’ich erst mein Leid, kam die stil-le 

4. Wohl die Man-do - li - nen schwirren an Sor-ren-tos Fel - sen- strand, wohl die Tau-ben 


Im unMr 


1. 

li - nea schwir-ren, 

doch 

du 

weilst 

im 

fer-nen 

Land! 

2. 

Lie - der schal -len. 

denn 

du 

weilst 

im 

fer-nen 

Land! 

3. Nacht ge' - gan-gen, 

weint’ ich 

lan- 

ge» 

lan- ge 

Zeit. 

4. 

Lie - he gir - ren, 

doch 

du weilst 

im 

fer-nen 

Land! 


N. M.-Z.MÄ9 




XXXV. 

Jahrgang. 


Beilage zur Neuen Musik -Zeitung. 

Verlag von Carl GrQninger, Stuttgart- Leipzig. 


1914. 






2 



N. M.-Z. 1*80 




N. M.-Z.1480 




4 


Für die Jugend. 

REITERLIED 

(Alter Kinderreim.) 




N. M.-Z. 1481 


XXXV. 

Jahrgang. 


Beilage zur Neuen Musik -Zeitung. 

Verlag von Carl Gruninger, Stuttgart- Leipzig. 


1914 . 


AVE MARIA 

für eine Singstimme mit Klavierbegleitung. 

FRIEDRICH GERNSHEIM. 

Unter Vorbehalt aller Autorenrechte 
' erstmalig publiziert durch 

Andante sostenuto: K * schurzmann. 


GESANG. 


PIANO. 





2 



N.M.-Z.UM 





N.M.-Z. i486 


- KompoirUrt am 18. kag. 1860 ia Woran. 




XXXV. . 
Jahrgang. 


Beilage zur Neuen Musik-Zeitung. 

Verlag von Carl Grfininger, Stuttgart- Leipzig. 





2 



N.HrZ.MM 



3 


sehr ausdrucksvoll 




*)Zum Artikel „Die Amael H im heutigen Heit. Erklärung: 

A= Amselruf; Aas Kleine melodische oder rhythmische Änderung.- N: Nachahmung oder Wiederholung^- Vs Verbindung. 

N.MrZ. WM 




Beilage zur Neuen Musik-Zeitung. 

Verlag von Carl Grfininger, Stuttgart-Leipzig. 


DeutTcher croTt. 

(©rnff SRorifc Strnbt.) 


Allegro maestoso J = 88. 


£einrid) Sang. 


r 

Ivi», 


1. ®eut»f<he8 $era, ber « ja • ge nicht! Xu, mag 

2. Xeut« fdje gtei » ^tit, beut« fdj er (Sott, beut «f eher 

3. ®le * fe jlehn tote Sei «feit * bürg, bie * fe 

4. 2)eut»fdje8 £erj, btt < ja « ge nicht! Xu, mag 

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beitt ®e « « • mif « fen ftjridjt, bie * • fer Strahl beg 
®Iau » be oh * *>* ©hott, beut « « fd»e8 $erj unb 

fech * tett al « leg burch, bie « » fe bal > ten 

bei« @e » « » mif « fen ft>ri<$t! Sieb * • lief) fol » ge 

i i 


1. $tat » tnelg « lidjtg! Xu » e 

2. beut « fdjer Stahl, finb liier 

8. tap » fer aus in @e 

4. fei « ner Spur! Sieb « fleh 


recht 

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nichtg! 

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hart 

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«nen 

Schmur. 


&3. * «A * ff 5’ • 

Eigentum beg Pomfioniften. Sitte' Siechte borbehalten. 


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XXXV. 

Jahrgang. 


Beilage zur Neuen Musik-Zeitung. 

Verlag von Carl Gruninger, Stuttgart- Leipzig. 









4 . Ruhig. 


3 



N.M.-Z.142S 





N. M.-Z.U2# 


XXXV. 

Jahrgang. 


Beilage zur Neuen Musik -Zeitung. 

Verlag von Carl Grüninger, Stuttgart- Leipzig. 


1914 . 


Seinem lieben Schüler ERNST MUNZING gewidmet. 

LÄNDLER 

für VIOLINE und KLAVIER. 


Violine. 


1. Gemächlich. 


Hans Schmidt. 



2 


Violine. 


4. Ruhig. 




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jf-e* Üuitfw/tUt <EnMti«u«il 


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XXXV. 

Jahrgang. 


Beilage zur Neuen Musik -Zeitung. 

Verlag von Carl Qrüninger, Stuttgart -Leipzig. 


1914 . 


„Mir träumte von einem Myrtenbaum.“ 

Aus den „Mädchenliedern“ von Paul Heyse. 


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GESANG. 


PIANO. 


Meno Moderato. 

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Georg Schumann, Op. 35. Nr. 3. 


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Mit besonderer Bewilligung des Verlags F. B. 0. Leuckart, Leipsig. — Copyright 1904 by Friedrich Hofmeister. 

N. M.-Z. 1403 



2 




3 






4 


BAGATELLE. 

(Auf sanften Wogen.) 





XXXV. 

Jahrgang. 


Beilage zur Neuen Musik-Zeitung. 

Verlag von Carl Griininger, Stuttgart -Leipzig. 


1914. 


Aufführungsrecht 

Vorbehalten 


Der Zwerg und die Infantin. 

Nr. 4. Marientanz der Tänzerknaben 



Copyright 1913 hy Max Brookhaus, Leipzig. - Der Abdruck erfolgt auf Grund einer mit dem Verlag Max Brookhaus 

in Leipzig getroffenen Vereinbarung. 



2 





4 




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XXXV. 

Jahrgang. 


Beilage zur Neuen Musik-Zeitung. 

Verlag von Carl Grüninger, Stuttgart- Leipzig. 


1914. 









2 








N. M.-Z. 1396 




XXXV. 

Jahrgang. 


Beilage zur Neuen Musik -Zeitung. 

Verlag von Carl Gruninger, Stuttgart- Leipzig. 


m 


Elegie. 


Violine. 

Andante sostenuto con espressione. 


Ferdinand Krauß. 






XXXV. 

Jahrgang. 


Beilage zur Neuen Musik-Zeitung. 

Verlag von Carl Grüninger, Stuttgart- Leipzig. 


1914 


Herrn Ober-Regierungs-Rat Dr. FERD. FREUDENFELD zu eigen. 

Morgenständchen. 





sentimento. 



N. M. 2.-1403 




JHurü. 





4 


Der verzweifelte Liebhaber. 

Eichendorff. 


Singweise von ROBERT KOTHE. 




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XXXV. 

Jahrgang. 


Beilage zur Neuen Musik-Zeitung. 

Verlag von Carl Grüninger, Stuttgart- Leipzig. 


1914 . 


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N. M.-Z. 140« 





3 


CHRISTKIND. 

Gedicht von Wilh. Hey. 


Andante tranquillo. 


Gustav Lazarus. 



N.1C-Z.U18 


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XiUiut 




XXXV. 

Jahrgang. 


Beilage zur Neuen Musik -Zeitung. 

Verlag von Carl Grüninger, Stuttgart- Leipzig. 


1914. 



Mt besonderer Genehmigung des Wunderhornverlags in München entnommen aus: Heinrich Schallt, „Jugendland“ acht leichte 
Klavierstücke (Op. 6). H. M.- Z. hob 







2 



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4 






XXXV. 

Jahrgang. 


Beilage zur Neuen Musik -Zeitung. 

Verlag von Carl Grtininger, Stuttgart- Leipzig. 


1914 *. 












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XXXV. 

Jahrgang. 


Beilage zur Neuen Musik-Zeitung. 

Verlag von Carl Grüninger, Stuttgart -Leipzig. 




2 




3 



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XXXV. 

Jahrgang. 


Beilage zur Neuen Musik-Zeitung. 

Verlag von Carl Grfininger, Stuttgart- Leipzig. 


1914. 


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MENUETT. 


Wolfgang Pfleiderer. 


PIANO. 








3 



pocorit. 



N.M.-Z.1418 




4 


Aufführungsrecht 

Vorbehalten. 


»» 


Schlaf lied“ aus der Liebesmesse. 

. Dichtung von Will Vesper. 







XXXV. 

Jahrgang. 


Beilage zur Neuen Musik*Zeitung. 

Verlag von Carl Grüninger, Stuttgart* Leipzig. 


1914. 


Philipp Emanuel Bach: 

Mittelsatz aus der Klaviersonate in A-dur. 


Violine. 

Für Violine und Klavier bearbeitet von 

Armin Knab. 






XXXV. 

- Jahrgang. 


Beilage zur Neuen Musik-Zeitung. 

Verlag von Carl Grfininger, Stuttgart -Leipzig. 


1914. 



N. M:Z. 1416 





H.MrZ.Mie 








XXXV. 

Jahrgang. 


Beilage zur Neuen Musik-Zeitung. 

Verlag von Carl Grünin ger, Stuttgart- Leipzig. 


1914 . 



N. M.-Z. 1409 






2 



N.M.-Z. 1407 







3 


„Es ist vorbei!“ 

Gedicht von M. v. Westerhove. 




N. M.-Z. 1415 


XXXV. 

Jahrgang. 


Beilage zur Neuen Musik-Zeitung. 

Verlag von Carl Gruninger, Stuttgart- Leipzig. 


1914. 


Herrn ERWIN BANCK gewidmet. 

Scherzo 


Violine. 


Piano. 


für Violine mit Begleitung des Pianoforte. 

Schnell. Edgar de Glimes, Op. 8. 




i i 


N. M.-Z. 1884 



2 



N. M.-Z. 1894 



3 






N. U.-Z. 1894 







XXXV. 

Jahrgang. 


Beilage zur Neuen Musik-Zeitung. 

Verlag von Carl Qrüninger, Stuttgart- Leipzig. 


1914. 


Schnell. 


Herrn ERWIN BANCK gewidmet. 

Scherzo 

für Violine mit Begleitung des Pianoforte. 

Violine. 


Edgar de Glimes, Op. 8. 

4 



N. M.-Z.1S94 




Beilage zur Neuen Musik-Zeitung. 

Verlag von Carl Grfininger, Stuttgart- Leipzig. . 


1914. 


Herrn HUGO VAN DALEN freundlichst gewidmet vom Bearbeiter. 

J. S. Bach: ANDANTE (D moll) 

aus dem zweiten Brandenburgischen Concerte (F dur). 


Für Pianoforte zu zwei Händen 
bearbeitet von 

August Stradal. 


Andante. 


cantabile e lugubre 


0 


E 

dl 


— 

■■ 

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‘Sa. * <Sa. a. # «Sa. # «Xa. * Sa. * «Sa. * ^ ^ 

*)Die Bässe sollen in gleicher Weise peeante (ja nicht t taeeato , auch nicht legato} aber p und dumpf gespielt werden. STRADAL. 

Mit Bewilligung des Verlages 3. Schubert h & Co., Leipsig, hier veröffentlicht. 

2r.MrZ.l«lS 















N.KrZ.ttl« 









XXXV. 

Jahrgang. 


Beilage zur Neuen Musik-Zeitung. 

Verlag von Carl Grüninger, Stuttgart -Leipzig. 


1914. 





N. M.-Z.1390 














XXXV. 

Jahrgang. 


Beilage zur Neuen Musik-Zeitung. 

Verlag von Carl Orüninger, Stuttgart- Leipzig. 











r * r 

N.M.-Z. 1*22 



f * f * r Mf 


Jfarcia D.C. 


N it-z.it aa 



XXXV. 

Jahrgang. 


Beilage zur Neuen Musik -Zeitung. 

Verlag von Carl Grüninger, Stuttgart- Leipzig. 


1914. 


Militärmarsch No. 3 von Fr. Schubert, Op.5i. 

Für Violine, Violoncell und Klavier. 


Violine. 


Allegro moderato. 
2 


Bearbeitet von W. Abert. 



cresc. 


p f MarciaD.C. 


N. MrZ.148* 



XXXV. 

Jahrgang. 


Beilage zur Neuen Musik-Zeitung. 

Verlag von Carl Griininger, Stuttgart -Leipzig. 


1914 . 


Militärmarsch No. 3 von Fr. Schubert, Op.5i. 

Für Violine, Violoncell und Klavier. 


Violoncell. 


Allegro moderato. 


Bearbeitet von W. Abert. 


jfi; 



N.MrZ.1488 






XXXV. 

Jahrgang. 


Beilage zur Neuen Musik-Zeitung. 

Verlag von Carl Grüninger, Stuttgart -Leipzig. 


1914. 

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1. Fel - sen - 

strand, 

wenn die wil - den 

Tau-ben gir-ren 

im 

Ge-büsch der 

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2. zu mir 

her. 

wo die fro-hen 

Lie - der schal-len 

nächtlich ü - hers 

blau-e Meer. 

3. Han -ses 

Dach; 

ach: wie winkt’ ich 

und wie rief ich 

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4.Meer zu 

dir; 

mein Ge -sang ver - 

hallt, ver-klin-get 

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der Brandung 

Rau-schenhier. 


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1. denk’ ich dein mit tau - send Schmerzen, näh-rend stil-len Gram im Her-zen; wohl die Man-do 

.2. Mich lockt nicht die Ta - r&n-tel - le, trän- mendblick’ ich in dieWel-le, oh auch fro - he 

3. Als die Fer-nen dich ver- schlangen, ja, da fühlt’ich erst mein Leid, kam die stil-le 

4. Wohl die Man-do - li - nen schwirren an Sor-ren-tos Fel - sen- strand, wohl die Tau-ben 


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1. 

li - nea schwir-ren, 

doch 

du 

weilst 

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fer-nen 

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2. 

Lie - der schal -len. 

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Land! 

3. Nacht ge' - gan-gen, 

weint’ ich 

lan- 

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Zeit. 

4. 

Lie - he gir - ren, 

doch 

du weilst 

im 

fer-nen 

Land! 


N. M.-Z.MÄ9 




XXXV. 

Jahrgang. 


Beilage zur Neuen Musik -Zeitung. 

Verlag von Carl GrQninger, Stuttgart- Leipzig. 


1914. 






2 



N. M.-Z. 1*80 




N. M.-Z.1480 




4 


Für die Jugend. 

REITERLIED 

(Alter Kinderreim.) 




N. M.-Z. 1481 


XXXV. 

Jahrgang. 


Beilage zur Neuen Musik -Zeitung. 

Verlag von Carl Gruninger, Stuttgart- Leipzig. 


1914 . 


AVE MARIA 

für eine Singstimme mit Klavierbegleitung. 

FRIEDRICH GERNSHEIM. 

Unter Vorbehalt aller Autorenrechte 
' erstmalig publiziert durch 

Andante sostenuto: K * schurzmann. 


GESANG. 


PIANO. 





2 



N.M.-Z.UM 





N.M.-Z. i486 


- KompoirUrt am 18. kag. 1860 ia Woran. 




XXXV. . 
Jahrgang. 


Beilage zur Neuen Musik-Zeitung. 

Verlag von Carl Grfininger, Stuttgart- Leipzig. 





2 



N.HrZ.MM 



3 


sehr ausdrucksvoll 




*)Zum Artikel „Die Amael H im heutigen Heit. Erklärung: 

A= Amselruf; Aas Kleine melodische oder rhythmische Änderung.- N: Nachahmung oder Wiederholung^- Vs Verbindung. 

N.MrZ. WM 




Beilage zur Neuen Musik-Zeitung. 

Verlag von Carl Grfininger, Stuttgart-Leipzig. 


DeutTcher croTt. 

(©rnff SRorifc Strnbt.) 


Allegro maestoso J = 88. 


£einrid) Sang. 


r 

Ivi», 


1. ®eut»f<he8 $era, ber « ja • ge nicht! Xu, mag 

2. Xeut« fdje gtei » ^tit, beut« fdj er (Sott, beut «f eher 

3. ®le * fe jlehn tote Sei «feit * bürg, bie * fe 

4. 2)eut»fdje8 £erj, btt < ja « ge nicht! Xu, mag 

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beitt ®e « « • mif « fen ftjridjt, bie * • fer Strahl beg 
®Iau » be oh * *>* ©hott, beut « « fd»e8 $erj unb 

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bei« @e » « » mif « fen ft>ri<$t! Sieb * • lief) fol » ge 

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1. $tat » tnelg « lidjtg! Xu » e 

2. beut « fdjer Stahl, finb liier 

8. tap » fer aus in @e 

4. fei « ner Spur! Sieb « fleh 


recht 

unb 

fürch > 

* * 

» te 

nichtg! 

fcel . 

ben 

all > 

m * 

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Xo * 

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• beg 

■ braug. 

hart 

eg 

f«i * 

0 0 

«nen 

Schmur. 


&3. * «A * ff 5’ • 

Eigentum beg Pomfioniften. Sitte' Siechte borbehalten. 


& 3 . 





XXXV. 

Jahrgang. 


Beilage zur Neuen Musik-Zeitung. 

Verlag von Carl Gruninger, Stuttgart- Leipzig. 









4 . Ruhig. 


3 



N.M.-Z.142S 





N. M.-Z.U2# 


XXXV. 

Jahrgang. 


Beilage zur Neuen Musik -Zeitung. 

Verlag von Carl Grüninger, Stuttgart- Leipzig. 


1914 . 


Seinem lieben Schüler ERNST MUNZING gewidmet. 

LÄNDLER 

für VIOLINE und KLAVIER. 


Violine. 


1. Gemächlich. 


Hans Schmidt. 



2 


Violine. 


4. Ruhig.