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JVJedizimecbe Monatsschrift
Offizielles Organ der
DenKNa 11U4lxhüfdK« QtfellfSaftca 4er Staate Des Verk,
CDieago snd eimiaaO.
Herausgegeben von DR. ÄLBERT A. RlPPERGER
unter Mitwirkung von Dr. J. W. Gleitsmann, Dr. A. Herzfeld,
Dr. H. G. Klotz und Dr. F. von Oefele.
Bd. XXV.
New York, Juni 1914
Nr. 1.
Zum Beginn des XXV. Jahrganges.
Mit der vorliegenden Nummer tritt
die New Yorker Medizinische Monats¬
schrift den 25. Jahrgang an. Seit dem
Tag ihrer Gründung hat sie manche
Schicksale und in den ersten Jahren ih¬
res Bestehens mehrfachen Wechsel in
der Redaktion erfahren. Im Jahre 1899
übernahm der jetzige Herausgeber die
Redaktion und, nachdem kurze Zeit spä¬
ter durch finanzielle Misswirtschaft der
Weiterbestand der Zeitschrift in Frage
gestellt wurde, auch die Herausgabe und
geschäftliche Leitung.
Es wissen vielleicht nur wenige Kol¬
legen, mit welch grossen Schwierigkei¬
ten es verknüpft ist, in diesem Lande,
das mit medizinischen Journalen über¬
schwemmt ist, eine in deutscher Sprache
erscheinende unabhängige medizinische
Zeitschrift zu publizieren, die den An¬
sprüchen möglichst vieler Leser gerecht
werden soll. An Nörglern hat es denn
auch zu keiner Zeit gefehlt, und viele
deutsche Kollegen, von denen man die
bestmöglichste Unterstützung und För¬
derung hätte erwarten sollen, haben ver¬
sagt, die einen aus Indifferenz, die an¬
deren aus kleinlichen Sonderinteressen.
Während den einen der Rahmen der
„Monatsschrift“ als zu klein und zu be¬
scheiden erschien und ihnen als Vorbild
eine Zeitschrift von dem Umfange der
Deutschen medizinischen Wochenschrift
vorschwebte, ohne dass sie sich dar¬
über klar wurden, dass ein derartiges
Unternehmen bei den hiesigen Verhält¬
nissen ein Ding der Unmöglichkeit ist,
wünschen andere wieder, die „Monats¬
schrift“ sollte im Stil eines Zentralblat¬
tes geführt werden, das mehr oder we¬
niger ausführlich über die gesamte me¬
dizinische Literatur referieren sollte,
w r obei sie vergessen, dass bereits eine
ganze Reihe trefflicher Zentralblätter der
inneren Medizin, Chirurgie, Augenheil¬
kunde etc. existiert, die ein weiteres in
Amerika erscheinendes Zentralblatt voll¬
kommen überflüssig machen.
Die Idee bei der Gründung der „Mo¬
natsschrift“ war die, für die in den Ver¬
einigten Staaten lebenden deutschen
Aertze ein Vereinsblatt zu schaffen, das
die Vereinsberichte der verschiedenen
deutschen medizinischen Gesellschaften
veröffentlicht und von der in Deutsch¬
land erscheinenden medizinischen Lite¬
ratur nur das bringt, w^as für den Prak¬
tiker neu und von besonderem Interesse
ist. An diesem Prinzip hat die Redak¬
tion bisher festgehalten und wird dies
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auch in der
hat in den letzten Jahren viel über die
Anbahnung und Aufrechterhaltung der
kulturellen Beziehungen zwischen Ame¬
rika und Deutschland gesprochen und
geschrieben, und wir glauben, getrost
behaupten zu dürfen, dass bei dieser
Aufgabe die „Monatsschrift“ redlich ih¬
ren Teil beigetragen hat, was ganz be¬
sonders die hier geborenen Aerzte, die
an deutschen oder österreichischen Uni¬
versitäten studiert haben, anerkennen.
Ihnen erscheint die „Monatsschrift“ als
ein Journal, das in ihnen den Geist der
deutschen Medizin, den sie an deutschen
Universitäten in sich aufgenommen ha¬
ben, stets wach hält und ihnen die deut¬
sche Sprache und deutsche Wissenschaft
immer wieder vorführt. Die „Monats¬
schrift“ sieht^jJafS- afsTjbre^vornehmste
Aufgabe die an, die deutsche Medizin
und die deutsche Sprache in Amerika
hochzuhalten, was um so wichtiger ist,
als man bereits in deutschen medizini¬
schen Gesellschaften und deutschen
Hospitalvereinen angefangen hat, Vor¬
träge in englischer Sprache zu halten
oder in englischer Sprache zu diskutie¬
ren, ohne dass die betreffenden Gesell¬
schaften dabei bedenken, dass sie durch
ein solches Vorgehen ihre eigene Exi¬
stenzberechtigung untergraben.
Wir danken unseren Kollegen und
Mitarbeitern für die tätige Mithilfe bei
der Aufgabe, die sich die „Monats¬
schrift“ gestellt hat, und hoffen, dass sie
derselben auch in Zukunft das gleiche
Interesse bewahren werden.
Originalarbeiten.
Ein Besuch in White Sulphur Springs (Stahlquelle),
Sullivan County, New York.
Von Dr. Felix von Oefele.
White Sulphur Springs, Sullivan gen auf White Sulphur Springs als
County, is wegen seiner mangelhaften Stahlquelle voll und ganz zu. Ungefähr
Analyse in einem früheren Hefte be- der vierte Teil der Trockensubstanz ist
sprochen. In der Zwischenzeit ver- Eisenoxydul. Als Eisenoxydulkarbonat
schaffte ich mir persönlich Wasser, berechnet (die ursprünglich vorhandene
Eine vorläufige oberflächliche Analyse Verbindung) ergibt sich nahezu die
ergab, dass es sich um eine gute Stahl- Hälfte der Trockensubstanz. Es kann
quelle im Sinne von T h i 1 e n i u s in also garnicht anders klassifiziert wer-
Soden handelt. T h i 1 e n i u s sagt: den, als die Quelle von White Sulphur
..Eisen kommt fast in allen Mineralquel- Springs eine Stahlquelle zu nennen. Da
len vor. In die Gruppe der Stahlquellen die Praxis lehrt, dass natürliche Eisen¬
zählen wir aber nur diejenigen Mineral- wässer zu therapeutischen Zwecken ge-
wässer, bei welchen das quantitative eigneter sind als Eisenpräparate, so
Verhältnis des Eisens zu den übrigen sollte diese Quelle ein Interesse für die
Bestandteilen überwiegt. Da nun der Aerzte der Grossstadt New York haben.
Eisengehalt immer gering ist (0.001 bis Das Wasser von White Sulphur Springs
0.01 Prozent), so sind die Stahlquellen vermehrt die Diurese. Der Organismus
überhaupt relativ arm an anderen festen wird bei dem niedrigen Mineralgehalte
Bestandteilen.” der Quelle von alten Stoffwechselresten
Dies trifft nach meinen Untersuchun- ausgewaschen, aber auch zugleich stark
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entwässert und dadurch für die Eisen¬
resorption wieder resorptionsfähig ge¬
macht, wie sich aus den Angaben des
zitierten T h i 1 e n i u s, aber auch aus
den Laienberichten an der Quelle von
White Sulphur Springs ergibt. Die
praktischen Erfolge beziehen sich bis¬
her zu einem grossen Teile auf Rheuma¬
tismus. Die Erkrankungen im weibli¬
chen Geschlechtsleben von der Chlorose
des jungen Mädchens bis zu den Be¬
schwerden des Klimakteriums sind bis¬
her zu wenig nach dieser Quelle öffent¬
lich empfohlen worden. Es geschah mit
falschem weiblichen Schamgefühle
wohl nur von Frau zu Frau. Darum
fehlen hiefür Berichte von Erfolgen. *
Nach dieser orientierenden Einleitung
soll auf die Quelle und ihre Lage selbst
eingegangen werden. Die New York,
Ontario & Western Railroad umgeht
auf ihrer Hauptlinie von New York
nach Oswego die Catskill Mountains im
Westen. Ziemlich genau nach einem
Drittel dieses Weges erreicht sie ihre
höchste Steigung, die ungefähr der
Höhe von München in Bayern ent¬
spricht. Die Höhe von Kempten, der
höchstgelegenen grösseren Stadt in
Deutschland, wird nicht ganz erreicht.
In diesem Gebiete liegt White Sulphur
Springs. Bei Eisenwässern galt bisher
immer als eine wichtige Unterstützung,
dass dieselben hoch-liegen. Mit der Hö¬
henlage von St. Moritz in der Schweiz
kann sich White Sulphur Springs aller¬
dings nicht vergleichen. Doch die ist
auch völlig einzelstehend. Es übertrifft
aber fast alle anderen deutschen Eisen¬
quellen an Höhenlage über dem Mee¬
resspiegel. Es seien in dieser Bezie¬
hung nur Reinerz, Rippoldsau, Auto¬
gast, Griesbach, Elster, Alexisbad, Lo¬
benstein, Franzensbad, Altwasser-Flins-
berg, Cudowa, Petersthal, Liebenstein
und Spaa genannt. In nächster Nähe
erheben sich die höchsten Gipfel der
Catskill Mountains. Den ewigen Schnee
finden wir nicht auf den Gipfeln. Aber
die isolierten Steinblöcke in den Berg¬
wiesen und zahlreiche Pflanzen, deren
nächste Verwandte in den Alpen wach¬
sen, erinnern fortgesetzt an den Ge-
birgscharakter.
Die nächste Eisenbahnstation bei
White Sulphur Springs ist Liberty. Die¬
ser Platz selbst und vor allem Loomis,
noch näher bei White Sulphur Springs,
sind als Höhenkurorte bekannt. Eine
grosse Zahl von Logierhäusern stehen
an allen Wegen. Das Hauptgebäude
von White Sulphur Springs macht dar¬
unter den gepflegtesten Eindruck.
Die geologische Grundlage der Ge¬
gend und der Quelle ist auf weite Ent¬
fernungen ausschliesslich eine mächtig
entwickelte Devonformation. Das ganze
Gebirge der Catskills besteht aus Devon¬
ablagerungen, die sich von da ab weiter
nach Südwesten erstrecken. Es sind
dies die Formationen, die der Steinkoh¬
lenformation unmittelbar unterliegen.
Diese Schichten sinken in Pennsylvania
unter die Steinkohlen führenden Schich¬
ten. In den Catskills und in den Abhän¬
gen von Sullivan County liegen die
obersten Schichten des Devon zu Tage.
Wissenschaftlich wird dies als Chautau-
quan oder oberer Teil von Neodevonic
bezeichnet. Die Schichten selbst werden
als „Chemung-Schichten“ bezeichnet
oder auch als Catskill-Sandstein. Sie
sind als eine Reihe von Tonschiefern
und dünnschichtige Sandsteine ent¬
wickelt.
In White Sulphur Springs liegen
mehr als einen halben Kilometer nach
Nordwesten solche wetterbeständige
dunkelolive oder grüne Schiefer, oben
und darunter ein mürber grobkörniger
tonhaltiger Sandstein, der von reichli¬
chem Eisengehalte rot gefärbt ist. Dem
Leser sind im grossen Stile solche Ver¬
hältnisse von Niagara Falls bekannt.
Wo das Wasser in seinem Laufe endlich
die harte obere Schichte durchnagt hat,
wird die unterliegende weiche Masse
rasch fortgeschwemmt und es entstehen
Wasserfälle mit steilen Uferrändern.
Sechshundert Meter vom Hauptgebäude
in White Sulphur Springs durchbricht
ein sehr kleiner Bach die wetterfesten
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Schiefer. Vorher hat er sich auf dem
undurchlässigen Material zur Breite ei¬
nes flachen Weihers ausgebreitet. An
der Abfallkante liegt ein Staudamm
von natürlichen Rollsteinen, der zum
Teil durch Lagerung von Menschen¬
hand zweckmässig verstärkt ist. Bei ge¬
wöhnlichem Wasserstande fällt das
Wasser nur an der Ostseite des Dam¬
mes in einer tiefer eingeschnittenen
Furche herab und bildet dort „the falls“
der Bilder in dem Reklameschriftchen
für White Sulphur Springs. Die nach
Nordosten schwach einfallenden Schich¬
ten des roten, groben Sandsteins sind an
der Westseite frei gelegt. Dort kommt
die schwache Eisenquelle zu Tage.
Durch Zement ist der Ursprung tauf¬
beckenartig gefasst und nach oben offen.
Durch Röhren wird das Wasser weiter
geleitet.
Bei fortschreitender Entwickelung
muss die Quelle auch nach oben gegen
Luft abgeschlossen werden. Für alle
ähnlichen europäischen Quellen finden
wir die Feststellung: „Sobald Wasser
von kohlensauren Stahlquellen der Ein¬
wirkung der atmosphärischen Luft aus¬
gesetzt ist, verbindet sich Sauerstoff der
Luft mit der Hälfte des Eisenoxyduls des
ersteren zu Eisenoxyd, die Kohlensäure
wird frei und das Wasser anfangs durch
die Anwesenheit von Phosphorsäure und
Kieselsäure opaleszierend, erscheint spä¬
ter gelblich und zuletzt ockerfarbig; das
Eisen schlägt sich als Oxyduloxyd nie¬
der.“ Die Schlussfolgerung eines pein¬
lichen Luftabschlusses vom Quellwasser
ist in White Sulphur Springs noch nicht
gezogen.
Bei dem erwähnten Entweichen der
Kohlensäure des Eisenoxydulkarbonates
entwickelt sich durch vorhandene Spu¬
ren von Schwefelwasserstoff in White
Sulphur Springs Kohlenoxysulfid. An
der Quelle selbst ist diese baineologisch
wertvolle Verbindung in geringen Spu¬
ren durch den Geruchsinn zu erweisen.
Bis das Wasser nach der Abfüllung in
das chemische Laboratorium kam, wa¬
ren diese und verwandte Schwefelver¬
bindungen vollständig verflogen. Die¬
ser schwache Geruch hatte die ursprüng¬
lichen Finder an Schwefel erinnert. Die
langsam auftretende gelbe Farbe war
auch für eine Folge von Schwefelgehalt
gehalten worden. Da aber das Wasser
vor der Berührung mit atmosphärischer
Luft farblos ist, hat diese Annahme zur
ursprünglichen Bezeichnung „White
Sulphur Springs“ geliefert. Der Name
tut ja allerdings nichts zur Sache. Wir
müssen aber uns ja nicht durch den Na¬
men irreführen lassen und stets erin¬
nern. dass White Sulphur Springs, N.
Y., eine Stahlquelle ist und zwar im ab¬
soluten und relativen Gehalte an Eisen
eine sehr kräftige. Geringe Spuren von
Arsen und selbst Vanadium sind vor¬
handen. Wenn diese Stoffe auch in viel
zu geringen Mengen vorhanden sind, als
dass sie eine arzneiliche Wirkung aus¬
üben könnten, so vermögen sie doch die
Eisepwirkung zu verstärken.
Die Besitzerin der Quelle ist eine
Wittwe mit zwei fleissigen Töchtern.
Sie führen das Sommerhaus und den
Badebetrieb. Für die Trinkkur schöpft
noch jeder Patient eigenhändig das Ei¬
senwasser. Menge des getrunkenen
Wassers und Trinkzeit wählt ebenfalls
jeder Gast nach eigenem Gutdünken
und einem mehr oder minder richtigen
Instinkte. Der Zutritt zu dieser Trink¬
kur ist vorläufig auch in keiner Weise
auf die Sommergäste der Besitzerin be¬
schränkt. Es wäre sehr zu wünschen,
dass die Besucher angeleitet würden,
dies Wasser hauptsächlich nüchtern und
ausserdem nur noch vor den Mahlzeiten
zu trinken. Gegenwärtig drängt sich
der Besuch fast nur auf die Monate Juli
und August zusammen. Für Chlorosis
und Endometritis wären sicherlich Sep¬
tember und Oktober sowie die Früh-
j ahrsmonate weit empfehlenswerter.
Eine Verlängerung der Saison würde es
der Besitzerin ermöglichen, mit entspre¬
chendem Nutzen ihren Platz noch weiter
auszugestalten. Vorläufig ist das Bade-
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haus zwar einfach, aber zweckmässig
und mit neun Badezellen sogar sehr ge¬
räumig, wenn wir weit ältere und be¬
rühmtere amerikanische Badeorte ver¬
gleichen. Der Preis von sechs Bädern
mit 2 Dollar oder des Einzelbades mit 50
Cents muss als mässig bezeichnet wer¬
den.
Hübsch ist der Weg, der vom Haupt¬
gebäude völlig eben durch ein Wäldchen
von Gebirgspflanzen zur Quelle und zum
Badehaus führt.
Die Verbindungen mit White Sulphur
Springs sind gut. Man kann in einem
Tage von New York nach White Sul¬
phur Springs und wiederum zurück¬
kommen und findet genug Zeit, die Kur¬
gelegenheiten in Augenschein zu neh¬
men. Bis Liberty führt die Bahn und
von dort aus verkehrt ein eigenes Auto¬
mobil der Besitzerein.
Von Leuten, die sich dort aufhielten,
hörte ich, dass die Verpflegung sehr gut
sei. Für Mädchen und Frauen, die ein
Eisenbad brauchen, könnte White Sul¬
phur Springs den Kollegen besonders
auch für Frühjahr und Herbst empfoh¬
len werden. Der Mangel einer guten
Regelung des Gebrauches der Kurmittel
kann durch genaue Vorschriften des
Hausarztes vor der Badereise ausgegli¬
chen werden. Soweit sich Kollegen da¬
für interessieren, bin ich bereit, darüber
weitere Einzelheiten mitzuteilen. In
vorliegenden Zeilen sollte nur versucht
werden, einen allgemeinen ersten Ueber-
blick und eine richtige Klassifikation
von White Sulphur Springs zu geben.
Ueber Expektorantien.*
Von Dr. Armbruster, Schweinheim.
Vor Jahren sagte dem Verfasser bei
seiner Dienstzeit ein späterer Korpsarzt,
er verordne selten und sehr vorsichtig
Expektorantien. Als er sich in Wien
weiter ausgebildet habe, seien sie sehr
gern angewandt worden, und dabei habe
man eine ungünstigere Sterblichkeit ge¬
habt als bei den Homöopathen. Es sei
schon damals klar gewesen, dass die ge¬
ringen Dosen der Homöopathie so gut
wie keine therapeutische Wirkung aus¬
üben könnten, und so habe man dann
versucht, keinerlei Arznei einige Zeit bei
entsprechenden Kranken zu verabrei¬
chen mit dem verblüffenden Erfolg,
dass nunmehr auch die günstigere
Sterblichkeit wie bei der Homöopathie
eingetreten sei.
Was hier gegen Expektorantien bei
Lungenkrankheiten ausgesprochen wur¬
de, gilt heute nicht mehr in dem Grade.
Einmal ist seitdem die Diagnostik in
vorzüglicher Weise weiter ausgebildet
♦Aus D. m. Presse 1914 Xr. 11.
worden — es sei nur an die Bakteriolo¬
gie erinnert — sodann hat man es nicht
mehr mit getrockneten Pflanzenteilen zu
tun, die einen wechselnden Prozentsatz
an wirksamen Arzneistoffen aufweisen,
sondern mit fein abgewogenen chemi¬
schen Verbindungen, ferner ist der
Glaube an den unfehlbaren, therapeuti¬
schen Wert mancher Arzneimittel nicht
mehr in dem Grade bei der Aerzteschaft
vorhanden wie ehedem, und endlich hat
die physiologische Pathologie solche
Fortschritte inzwischen gemacht, dass
heute der Arzt jede Phase der Krank¬
heit besser bestimmen kann und danach
seine Verordnungen richtet, also nicht
mehr zumeist schematisch vorgeht.
Auch die Wirkung der verschiedenen
Arzneimittel ist seither in vorteilhafter
Weise besser ausprobiert worden — es
sei hier nur auf die gesetzlichen Maxi¬
maldosen verwiesen.
Die Expektorantien werden streng
wissenschaftlich auf folgende Art einge¬
teilt: 1. solche, welche das vorhandene
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zähe Sekret durch Auflösung des Mu-
cins verflüssigen (die Ammoniakalien,
wie Ammoniak, Ammoniumkarbonat,
Salmiak, Inhalation von Wasserdäm¬
pfen) ; 2. solche, welche die Sekretion
der Atemschleimhaut entweder durch
direkte Erregung der Schleimdrüsen
oder ihrer Nerven, aber unabhängig von
der Zirkulation, erregen, wodurch das
Sekret ebenfalls dünnere Beschaffenheit
annimmt und leichter ausgeworfen wird
(Emetin, Apomorphin, Pilokarpin) ; 3.
solche, die durch Anregung der Flim-
merepithelien die Fortbewegung des
Schleims fördern (Kalkwasser und Al¬
kalien, Natriumkarbonat und Salpeter) ;
4. solche, die stärkere Bewegungen her-
vorrufen, die zur Herausbeförderung
des Schleimes führen. Solches kann a)
reflektorisch durch Reizung des Pha¬
rynx geschehen, z. B. durch Kratzen
und Räuspern bedingende Stoffe (Sa¬
poninstoffe wie Senega und Quillaja,
ein vorzügliches Kindermittel) ; b)
durch direkt erregenden Einfluss auf
das Atemzentrum, durch welchen Be¬
schleunigung und gleichzeitige Vertie¬
fung der Atmung resultiert (Lobelia,
Quebracho, die gleichzeitig als Cere-
brospinalia gelten) ; 5. solche, welche in
kleineren Mengen die Sekretion anre¬
gen, den entzündlichen Zustand der
Schleimhäute aber vermindern (die als
Sexualmittel vorzüglich geltenden ei¬
gentlichen Balsama, wie Baisamum Co-
paivae ) ; 6. solche, welche vermöge an¬
tiseptischer Aktion die Zersetzung stag¬
nierenden Sekrets verhindern (Plum¬
bum aceticum) ; ferner gehören als be¬
sondere Abteilung hierher die sekre¬
tionsvermindernden Mittel (Inulin).
Beschränkung der Bronchialsekretion
kann stattfinden a) durch Herabsetzung
der Vagusendigungen (Atropin, Hyos-
cyamin) ; b) durch Konstriktion der
Blutgefässe (Terpentinöl, Alaun).
Also ein ganzes Heer von verschie¬
denartig wirkenden Mitteln, von denen
nur wenige in Klammern beigefügt
sind, und trotzdem ist man in der Kai¬
serstadt an der Donau zu dieser gering¬
schätzigen Anschauung über den thera¬
peutischen Wert der Expektorantien ge¬
kommen. Man sagt, für den prakti¬
schen Arzt genüge, wenn er bei Ver¬
ordnung eines Expektorans drei Punkte
ins Auge fasse, dass:
1. die Zähigkeit des Sekrets verrin¬
gert werde;
2. die erforderliche Muskelkraft zur
Herausbeförderung zur Verfügung
bleibt;
3. die Bronchien nicht spastisch ver¬
engert werden.
Für Punkt 3 wirken am besten wohl
Cardiotonica, vor allem Digitalis, das
auch Punkt 2 günstig beeinflusst, falls
das Herz keine Kontraindikation bietet.
Wegen Punkt 1 müssten dann gleich¬
zeitig entsprechende Inhalationen unter¬
nommen werden. Vorübergehend wur¬
den dieserseits die Expektorantien für
den Gebrauch der Praxis auf folgende
Weise unterschieden: 1. Emetica, 2.
trocknende Mittel, 3. Analeptica, 4. Nar-
cotica, 5. Scepastica, 6. Cardiotonica.
Es kann als ausgemacht gelten, dass
Mittel, welche eine Brechreizung der
Magenschleimhaut erzeugen, auch Ex¬
pektorantien sind. Für beide physiolo¬
gischen Wirkungen kommen im Grunde
genommen, dieselben Nerven in Be¬
tracht. Als Expektorantien werden sol¬
che Arzneien in schwächeren Dosen ver¬
ordnet. Am besten beweist das gesagte
Radix Ipecacuanhae. Dabei ist aber
auch bei diesem Medikament - sehr die
Herztätigkeit zu berücksichtigen, wenn
man ihm auch nachsagt, es verursache
keinerlei Kollaps und beeinflusse über¬
haupt den Gesamtorganismus ungemein
wenig. Die trocknenden Mittel haben
in Sirolin eine schätzenswerte Bereiche¬
rung erfahren. Auch Hyoscyamin ist
mit deshalb vom Verfasser schon wie¬
derholt in Pillenform für die Armen¬
praxis verordnet worden. Es gilt gleich¬
zeitig als Sedativum und Antispasmodi-
cum, weshalb es auch den erwähnten
Einfluss auf den Vagus besitzt.
Zu den Analeptica gehört vor allem
Kampher, der schon auf der Zunge und
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im Munde reichliche Absonderung von
Speichel und Schleim hervorruft. Ge¬
wöhnlich spielt er als Kampheröl, das
subkutan angewandt wird, seine Haupt¬
rolle. Auch bei malignem Kindbett¬
fieber mit putrider Pneumonie leistet er,
per os gereicht, symptomatisch schäz-
zenswerte Dienste.
Von entsprechenden Narkotica gibt
es eine Legion, die mit Emetika und
auch allein gereicht werden. Sie hem¬
men den Hustenreiz und bewirken da¬
durch. dass einmal der Kranke durch
fortgesetzt quälenden Husten seine
Kräfte nicht unnötig aufbraucht, son¬
dern dass um so intensiver bei weniger
Hustenstössen der Schleim zu Tage ge¬
fördert wird. Die bekannten Tropfen
von Bittermandelwasser mit Morphium
gehören hierher.
Bei den Scepastika finden sich gewis¬
se Hausmittel wie Honig, der zudem
noch durch seine Ameisensäure antisep¬
tische Wirkungen aufweist, ferner man¬
che Syrupe, Radix Althaeae, Eiweiss.
Im Deutschen werden sie deckende Mit¬
tel genannt, wo schon der Name ihre
Wirkung besagt. Sie verhindern vor
allem im Schlund den Reizhusten, der
hier gern durch Sperminphosphat ent¬
steht und auch kranke Lungenpartien
und Bronchien in Mitleidenschaft zieht.
Zu den Cardiotonika gehört vor allem
Digitalis, zu welchem Mittel unter an¬
dern! bei kruppöser Pneumonie mit ent¬
sprechenden Schwächezuständen vom
Arzte gern gegriffen wird. Wo systoli¬
sches Blut ist, muss bei den nicht zu-
sammendritckbaren Flüssigkeiten der
Schleim weichen, dadurch wirken die
Cardiotonika indirekt als Expektoran¬
tien, sodass man mit schwächeren Ex-
pektorantien bei Cardiotonika oft vor¬
teilhaft auskommt.
Wenn heute dieserseits eine solche
Unterscheidung nicht mehr gemacht
wird, so kommt dies daher, weil die
Bakteriologie spezifische Gegengifte
kennt. Es sei nur an Tuberkulose er¬
innert. Ferner ist im allgemeinen die
Wirkung der Expektorantien eine prob¬
lematische. Man kommt zumeist weiter
bei genauer Herzkontrolle, wenn zu
leichten Hausmitteln wie Eiweiss, Ho¬
nig oder schwachem Brusttee, Islän-
disch-Moostee gegriffen wird. Manche
Kranke haben allerdings einen Wider¬
willen von solchen Species. Dann kann
man entsprechende Tinkturen ins Auge
fassen. Damit soll aber nicht gesagt
sein, dass man nicht bei gewissen
Krankheitsfällen in der Apotheke her¬
gestellte Dekokte und ähnliches als Ex¬
pektorantien verordnen soll.
Solche Krankheiten sind Broncho-
blennorrhoe, Altersbronchitis, entspre¬
chende asthmatische Beschwerden. Em¬
physem. Bei Bronchoblennorrhoe ist
die Diagnose wichtig, ob sie mit Bron-
chiektasie verbunden ist. Es ist nicht
Sache vieler Patienten, deshalb eine
schwere Operation durchzumachen.
Man hält sie gewöhnlich an zur antisep¬
tischen Mundpflege, verordnet ihnen
schon erwähnte Hausmittel und gibt
nur bei Azerbation Arzneien. Das
trocknende Atropin meidet man besser,
Baisamum Copaivae, Tinctura Eucalyp¬
ti. Oleum Terebinthinae, Terpinum hv-
dratum werden dafür angeraten. Bei
Altersbronchitis ist oft zur Zeit des
Heuasthemas eine unheilvolle Verschär¬
fung wahrzunehmen. Hier sind zu¬
meist leichte Expektorantien neben Car¬
diotonika angebracht. Asthmatische
Beschwerden können oft schon bei leich¬
ter Bronchitis von Neurasthenikern ent¬
stehen, wo dann gleichzeitig Nervina zu
reichen sind. Das früher namentlich oft
hervorgehobene Asthma humidum wird
heute nach dem Grundleiden mit Bron-
chorrhoea serosa gewöhnlich bezeichnet,
die sich von Bronchoblennorrhoe da¬
durch unterscheidet, dass hier das Spu¬
tum mehr Eiterbakterien aufweist.
Pneumokoniosis kann ebenfalls Asthma
hervorrufen. Die Arzneimittel bei Lun¬
genasthma sind vielfach zusammenge¬
setzt aus Expektorantien und Nervina
wie Ammonium bromatum. Je nach
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dem Lungenschleim und nach den ner¬
vösen Erscheinungen verordnet der
Arzt die Asthamedizin.
Eine häufige patahologische Lungen¬
affektion, die auch mit asthmatischen
Beschwerden einhergeht — Stickanfälle
werden sie dann charakteristisch ge¬
nannt — ist Lungenerweiterung. Das
Emphysem der Lunge kann bekanntlich
sowohl von beruflicher Tätigkeit her¬
rühren, als durch entsprechende Krank¬
heiten der Respirationsorgane stellver¬
tretend sich bilden. In beiden Fällen ist
die symptomatische Therapie gleich.
Eine idiopathische Therapie, nachdem
sich bis jetzt die entsprechenden Ban¬
dagen nicht bewährt haben, ist heute
nach diesseitigem Wissen noch nicht
vorhanden. Prophylaktisch kann gegen
stellvertretendes Emphysem in hohem
Grade bei der* katarrhalischen Sepsis
durch Expektorantien gewirkt werden.
Bei Neigung zu beruflichem Emphysem
sind Atemhalten, Rauch, Staub, das He¬
ben und Tragen von schweren Lasten
zu verbieten. Gegen Stickanfälle hat
sich folgendes Rezept bewährt:
Rp. Tinct. thebaic.
Aetheris
Liq. Ammon, anis. aa 10.0
Aq. Amygd. amar. 20.0
M. D. S. Stündlich l / 2 bis 1 Teelöffel
voll zu nehmen.
Bei manchen Krankheiten sind die
Lungenerscheinungen wesentlich ande¬
rer Art, und sind deshalb auch die Me¬
dikamente anders zu verordnen. Bei
Diabetes mellitus mit seinen anhydrati-
schen Erscheinungen, auf die selbst
trockener Brand folgen kann, ist es
nicht gestattet, noch intensive Expekto¬
rantien anzuordnen. Oft ist bei diesem
Leiden, namentlich bei jüngeren Perso¬
nen, eine kapillare Bronchitis mit klin¬
gendem Rasseln geraume Zeit über ei¬
nem grossen Teil der Lunge, besonders
links zu konstatieren. Ein eigentliches
Mittel dagegen ausser Mundpflege ist
dieserseits nicht bekannt. Doch ist die
Prognose bei jüngeren Personen für die
nächste Zeit nicht immer infaust. Sehr
schwere Lungenaffektionen, bedingt
durch ungemein zähschleimiges Sekret,
ist bei Psoriasis vulgaris nicht selten zu
konstatieren. Bekanntlich kann dieses
Hautleiden entstehen durch neuropathi-
sche oder anhydratische Konstitution,
verbunden mit Anhäufung gewisser
Stoffwechselprodukte. Daher ist das
Auftreten dieses Hautleidens schon bei
Herpesbläschen und bei Diabetes melli¬
tus konstatiert worden. Hier dürfen im
allgemeinen selbstredend besser Expek¬
torantien wie bei Diabetes mellitus ge¬
reicht werden; allerdings ist Herzkon¬
trolle mit .eventuellen Kardiotonika da¬
bei die Hauptsache.
Gern gibt das Volk Expektorantien
bei Reizhusten wie nach Masern, was
bei Kindern nicht selten eine Todesme¬
dizin darstellt. Der Husten löst sich
nicht; es muss etwas gegeben werden,
damit er sich löst, lautet die Ansicht
Zum Glück greift man gewöhnlich zu
mehr deckenden Mitteln wie Fenchel¬
honig, wo die expektorierende Wirkung
auch des Fenchels nicht erheblich ist.
Aber der Magen wird den Kleinen bei
Masern verdorben, sodass sie durch die
karminative Wirkung des Fenchels und
durch den süssen Honig gar oft den Ap¬
petit verlieren und rascher hinfällig
werden.
Ein gutes Expektorans ist bei länger
dauernder Bronchitis Lungengymnastik.
Man lässt den Kranken zweimal am Ta¬
ge sich auf die gesunde Seite legen und
etwa fünf Minuten lang tiefe Atemzüge
machen. Gewöhnlich strengt dies in der
ersten Zeit an, besonders bei Nervösen,
die zudem oft nach der jeweiligen Ex¬
spiration allzu erheblich pausieren. Mit
der Zeit gelingt es jedoch, namentlich
falls allmählich diese Lungengymnastik
anhebt, und falls man nicht gleich mit
der Türe sozusagen ins Haus hinein¬
fällt, jeden Patienten zu dieser kleinen
Lungengymnastik zu bewegen, selbst
wenn er in der ersten Zeit über Anstren¬
gung klagt.
Bei Kindern der ersten Lebensjahre
Original fro-m
HARVARD UNIVERSUM
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
9
versagt selbstredend eine solche Art von
Lungengymnastik. Dagegen kann man
hier Schwingungen machen, indem man
die Kleinen unter den Armen fasst und
sie im Freien und nicht in staubreichen
Gemächern langsam schwingt. Die mei¬
sten Vorteile sieht man hier bei winter¬
licher Bronchitis, wenn man dieses
Schwingen an sonnigen Plätzchen des
Gartens unmittelbar nach den Eismän¬
nern im Mai unternimmt. Ein vorzüg¬
liches Kindermittel bei chronischer
Bronchitis ist folgendes:
Rp. Ammon, carbon., 1.2 (2.0)
H 2 0, 100.0
Sir. Alth., 20.0
M. D. S. Zweistündlich einen Kinder¬
löffel voll zu geben.
Bei kleineren Kindern, die noch den
Schleim verschlucken, ist der Grad der
Expektoration oft unschwer aus dem
Kot zu erkennen. Ein Hausmittel für
Kinder bei Lungenverschleimung ist
schwarzer Kaffee, dem zu Schnee ge¬
schlagenes Eiweiss beigemischt ist, was
gewöhnlich mit einem Esslöffel gereicht
wird. Expektorierenden Tee trinken
die Kleinen durchschnittlich nicht gern.
Isländischer Moostee darf seiner Bitter¬
keit wegen nur allmählich zum Kochen
gebracht werden und reichliche Süssig-
keit enthalten, falls er genommen wer¬
den soll.
Es seien ferner einige weitere Aus¬
führungen über Inhalation ohne Aspira¬
tionsröhre gestattet. Man unterscheidet
eine dampf-, gas-, rauchförmige. Man
benutzt für die erste Art gewöhnlich
Wasserdämpfe, welche auch für sich,
wie schon erwähnt, als demulzierendes
Inhalationsmittel bei Katarrhen dienen.
Zur Einatmung von Wasserdämpfen
eignen sich natürlich nur flüchtige Stof¬
fe. Verdampfte Salzlösungen haben
kaum andere Wirkung als blosse Was¬
serdämpfe, weil höchstens Spuren des
Salzes fortgerissen werden, weshalb für
diese die Verstaubung als einzig richti¬
ge Form erscheint. Die Inhalation von
Gasen geschieht meist im Gemenge mit
atmosphärischer Luft. Hier verdient
bei manchen Lungenaffektionen das be¬
lebende Ozon hervorgehoben zu werden.
Rauchinhalation geschieht unter anderm
bei Charta nitrosa gegen Asthma, das
auch infolge chronischer Bronchitis An¬
wendung findet. Neuerdings gibt es
manche Präparate für günstig wirkende
Rauchinfektion.
Weiter seien einige Subkutanmittel
genannt, die auch in der Kinderpraxis
Anwendung finden. Apomorphinum hy-
drochloricum wird bei Kindern in Lö¬
sung von 0.005 bis 10 Aqua verordnet.
Das trocknende Atropinum sulfuricum
spritzt man — allerdings sehr selten —
im Verhältnis von 0.0005: 10 Aqua un¬
ter die Haut.
Grösserer Vollständigkeit wegen sei¬
en noch einige Bemerkungen über
Schweissmittel gemacht. Sie schwä¬
chen oft gar zu sehr. Früher wurden
als Expektorantien gern Jaborandiblät-
ter mit in diesem Sinne gereicht. Sie
sind aber inkonstant in ihrer Wirkung
für den Tracheal- oder Bronchial¬
schleim. Lindenblüten- und Hollunder-
blüten-Tee erweisen sich als vorzüg¬
liche Medikamente im ersten Stadium
leichter Entzündungen, wo Schweiss sie
mildert. Daher finden sie gern als Ab¬
leitungsmittel wie entsprechende Pur-
gantia bei leichten Erkältungen Anwen¬
dung.
Zum Schluss sei auf Grund dieser
Ausführungen darauf hingewiesen, dass
auch den Expektorantien noch immer
ein Raum im Arzneischatz gebührt. Die
Natur ist eben gar vielseitig in ihren pa¬
thologischen Affektionen. Trotz man¬
chen Misserfolgs darf auch hier das
Kind des Sprichwortes nicht mit dem
Bade ausgeschüttet werden, wie es die
Hydropathen tun.
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Original fram
HARVARD UNIVERSUM
10
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
Anleitung zum Verständnis von Kotanalysen.
Von Dr. Felix von Oefele.
(Fortsetzung.)
Flüchtige Stoffe und Geruch des
Kotes.
Durchschnittlich ergeben sich 2.8 7
Prozent auf frischen Kot oder 13.44
Prozent auf Trockenkot-Stoffe, welche
für sich allein-oder mit Wasserdämpfen
flüchtig sind. Für den gesunden Men¬
schen sind diese Mengen weit geringer.
Die flüchtigen stickstoffhaltigen Sub¬
stanzen sind für die pathologische Beur¬
teilung des Kotes sehr wertvoll, leider
aber in einer Durchschnittsanalyse nicht
ausführbar. Gering sind die Mengen
flüchtiger Fettsäuren im freien Zustande
als Kohlensäure, ebenso Wasserstoff¬
gas, Methan, Phenol und Schwefelwas¬
serstoff. Die flüchtigen Stickstoffsub¬
stanzen sind hauptsächlich Ammoniak,
Indol and Skatol. Alle diese Stoffe wer¬
den bei der einfachen Trocknung ver¬
jagt und als Wasser in die Berechnung
eingesetzt. Dafür wird aber das zu¬
rückbleibende Kristallwasser nicht ab¬
gezogen, sodass sich unter Umständen
beide Fehlerquellen wiederum ausglei-
chen. Alle diese flüchtigen Stoffe, mit
Ausnahme der kaum wesentlich in Be¬
tracht körnenden Kohlensäure und des
Wasserstoffs, sind schon in geringer
Menge durch ihren Geruch auffallend.
Theoretisch angenommener Alkohol
und alkoholähnliche Stoffe würden vor¬
läufig unkontrollierbar verloren gehen.
Vor einigen Jahren hat sich sogar die
Tagespresse mit der Möglichkeit befasst,
dass grosse Mengen aus dem mensch¬
lichen Kote gewonnen werden können.
Ausser Patenten auf die Ausnützung
der Fette des Kotes waren auch Patente
auf die Ausnützung des Alkohols des
Kotes genommen worden. Aengstliche
Gemüter fürchteten schon, dass der ge¬
höhnte Kognak, Rum, Wisky etc. etc.
mit Kotalkohol verfälscht werden könn¬
te und riefen der allmächtigen Polizei¬
gewalt ein „Videant consules!” zu.
Xach meinen bisherigen Untersuchun¬
gen habe ich keine Anhaltspunkte, dass
Aethylalkohol im menschlichen Kote in
nachweisbaren Mengen präformiert vor¬
handen wäre. Im Gegenteil weist alles
auf Abwesenheit hin. Auch eine nach-
herige Vergärung würde nach meinen
Untersuchungen meist resultatlos sein
oder anstatt von Alkohol nur Milchsäu¬
re, Buttersäure, Essigsäure und ähnliche
Stoffe liefern.
Umgekehrt ist aber künstlicher Alko¬
holzusatz das beste Mittel, die übelrie¬
chenden flüchtigen Stoffe aus dem Kot
auszuziehen, ohne dass es gelingt,, den
Alkohol wiedrum frei von diesen Stof¬
fen zurückzugewinnen. Das Schreck¬
gespenst eines Kognaks aus des lieben
Nachbarn Abtrittgrube ist durchaus
theoretisch. Für den Auszug der flüch¬
tigen Kotstoffe durch Alkoholauskoch-
ung ist auch keine quantitative Genau¬
igkeit möglich. Die Rückflusskühlung
glückt im durchschnittlichen Laborato¬
rium beim Auskochen mit absolutem Al¬
kohol nicht so gründlich, dass nicht ein
Teil dennoch als Dämpfe entwiche.
Geruch des Kotes.
Ueber die Gerüche der Säuglings¬
faeces hat Selter in der 16. Sitzung
niederrheinisch - westfälischer Kinder¬
ärzte einen Vortrag gehalten. Er ist in
der Münchener medizinischen Wochen¬
schrift 1914 Nr. 30 unter dem Titel:
„Die Gerüche der Säuglingsfaeces” er¬
schienen. Interessenten ist er wohl dort
zugänglich.
Der Geruch des Kotes des erwachse¬
nen Menschen besitzt durch das Vorwie¬
gen von Indol und Skatol unter den
flüchtigen Stoffen des Kotes einen fe¬
sten Grundcharakter, welcher in ver¬
schiedener Richtung durch andere bei-
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
11
gemischte Gerüche abgeändert werden
oder in seiner Eigenart schwächer oder
stärker auftreten kann. Dieser Grund¬
geruch ist so sehr bezeichnend, dass er
im allgemeinen als hinreichend angese¬
hen wird, um festzustellen, ob im gege¬
benen Falle Kot vorliegt oder nicht.
Dem Mekonium fehlt dieser Geruch
völlig; auch im Hungerkot soll er feh¬
len. Es würde dies darauf hinweisen,
dass die charakteristischen Riechstoffe
des Kotes durch Darmpilze aus Nah¬
rungsresten gebildet werden.
Das Mekonium besitzt überhaupt kei¬
nen auffälligen ausgesprochenen Geruch.
Leuzin, Tyrosin und die übrigen im
Darme des erwachsenen Menschen vor¬
kommenden Fäulnisprodukte, also auch
Skatol und Indol fehlen darin. Dagegen
wird der Geruch des Kotes späterer Le¬
benstage und Lebensjahre bekannt un¬
angenehm und stark. Die Träger des
ausgesprochenen Kotgeruchs mustsen
darum stets unter den Produkten der
symbiotischen Darmorganismen ge¬
sucht werden. Als Träger dieses Geru¬
ches wurde, wie erwähnt, zuerst und
hauptsächlich das Skatol erwiesen. Doch
haben auch Indol und andere Substan¬
zen daran Teil. Marcet* hat einen
ölähnlichen Stoff von exkrementiellem
Gerüche gefunden und Exkretolinsäure
genannt. Ausser der Beteiligung von
Skatol und Indol könnten sich immerhin
eine Anzahl verschiedener stark riechen¬
der Stoffe in kleinen Mengen vereinigen
und somit der Aufbau des Grundgeru¬
ches noch nicht ganz klar liegen.
Dass der Kot kurz vor seiner Entlee¬
rung eine Fäulnis durchgemacht hat,
wurde schon in alten Zeiten erkannt.
Es wurde auch der Grad dieser Fäulnis
geschätzt und mit dem Gerüche des Ko¬
tes in Beziehung gebracht, z. B. von dein
Byzantiner Arzte Psellus (fll05).
Vor Psellus erklärt schon Alexan¬
der von Aphrodisias den Gazellenkot
als nativen Kot. Er hält die Ernährung
*Annales de Chimie et Physique. 3. Serie.
59. 1860. S. 91.
aller Menschen für naturwidrig und da¬
mit für pathologisch und erklärt daraus
das pathologische Symptom des übelrie¬
chenden Menschenkotes, welcher im
Sinne dieses Alexanders eine allen
Menschen gemeinsame Kulturkrankheit
ist. Auch die moderne Ansicht hält die
Riechstoffe des Kotes für Fäulnispro¬
dukte und zwar entstehen sie aus der
Fäulnis stickstoffhaltiger Substanzen im
Dickdarme. Es muss also nach der ge¬
genseitigen und absoluten Zusammen¬
setzung der Symbiotenflora des Darmes
und den günstigeren oder ungünstigeren
Lebensbedingungen für dieselbe auch
die Menge und das gegenseitige Men¬
genverhältnis dieser riechenden Fäulnis¬
produkte und ihrer modifizierenden Be¬
gleitstoffe schwanken.
Der Gehalt des menschlichen Kotes an
Gallenabkömmlingen und an phosphor¬
saurem Kalke hemmt die Fäulnis und
die Entwickelung des Kotgeruches.
Einerseits ist bei Milchkot, ebenso wie
bei Knochenfütterung der Hunde der
Kot sehr reich an phosphor sau rem Kal¬
ke und besitzt sehr geringen Geruch.
Anderseits riecht der weissgraue soge¬
nannte acholische Kot der Leberkranken
meist aashaft. Zum Verständnis sei an
die hohe eigene Aseptik von Leberab¬
szessen erinnert. Weniger scharf sind
die Gegensätze des schwächeren Geru¬
ches bei vegetabiler Nahrung und des in¬
tensiveren Geruches der Fleischnahrung,
auf den die Lehrbücher hinweisen. Dass
aber dort flüchtige Fettsäuren und
Schwefelwasserstoff als Ursachen des
stärkeren Geruches angesehen werden,
kann nach den Ergebnissen neuerer For¬
schung nicht aufrecht erhalten werden.
Für die Schwankungen des Geruches
bei Erwachsenen kommen Pilze der sau¬
ren Gärung mit Bevorzugung stick¬
stoffreichen Nährmaterials in Betracht.
Bei Vorwalten der sauren Gärung er¬
gibt sich häufig ein deutlich säuerlicher
Geruch, der sich bis zu deutlichem But¬
tersäuregeruch, d. h. ranzigem Gerüche
steigern kann. Umgekehrt ergibt über¬
wiegende Fäulnis einen süsslichen Ge-
Qrigiraal from
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
ruch, der sich bis zu aashaftem oder
schwefelwasesrstoffartigem Charakter
steigern kann.
Eigene
Analysen
Geruch des Kotes. europäischer Pro-
Patienten. zente.
Aashaft oder nach Schwe-
felwasserstoff .
Süsslich fäkal oder am-
.149
13
moniakalisch .
306
27
Säuerlich .
282
25
Ausgesprochen ranzig ....
4
1
1122
100
Jeder dieser Gerüche kann schwächer
oder stärker wahrnehmbar sein. Im
Durchschnitt riecht der Kot einfach bis
höchstens süsslich fäkal. Auch beim
Geruch können sich wie bei der Farbe
die inneren Partien von der Wahrneh¬
mung an der Oberfläche unterscheiden.
Entsprechende weitere Teilung der Ta¬
belle lässt sich ohne Zersplitterung der
Beobachtungen nicht ausführen. Zu¬
dem ist die Beurteilung kleiner Geruchs¬
unterschiede bei verschiedenen Personen
sehr verschieden. Selter* unterschei¬
det beim Kinde eine grössere Reihe von
Gerüchen. Da bei Kindern infolge des
Milchgenusses die Bildung von Skatol
stark zurücktritt, kann bei Kindern
leichter als bei Erwachsenen der Unter¬
schied an begleitenden Riechstoffen
erkannt werden. Unter normalen Ver¬
hältnissen bedingt schon die Art der
Nahrung Unterschiede des Geruches.
Es ist schon erwähnt, dass der Geruch
bei Fleischnahrung stärker als bei vege¬
tabilischer ist und dass Milchkot einen
sehr schwachen Geruch besitzt. Sauer¬
kraut-, Rettige und ähnliche Vegetabilien
sind bekannt als Ursachen stark riechen¬
den Kotes und stark riechender Kot¬
gase. In diese Gruppe gehören einer¬
seits Vegetabilien, die reich an Schwe¬
felverbindungen und anderseits reich an
Allylabkömmlingen sind. Im allgemei¬
nen ist auch bei langem Verweilen des
Kotes im Dickdarm der Geruch stärker
als bei raschem Durchgang. Dies kor¬
rigiert sich aber zum Teil bei trockenem
Kote durch die weitgehende Aufsau¬
gung von Flüssigkeiten und flüchtigen
Stoffen in den Säftebestand des Kör¬
pers. Der Gegensatz der Verweildauer
tritt vor allem bei pathologischen Pro¬
dukten der Darmwand, z. B. Schleim,
Blut und Eiter hervor. Akute und chro¬
nische Diarrhöen liefern häufig fast ge¬
ruchlose, die Cholera regelmässig ge¬
ruchlose Entleerungen. Dazu gehören
weiter noch Dysenterie und die Sprue
der Südsee. Wenn aber entsprechendes
Material festere Kotmassen bildet, so
entsteht ausgesprochen fauliger oder
aashafter Geruch.
Verstärkter Geruch entwickelt sich
beim Trocknen und noch mehr beim
Ausziehen mit heissem Wasser. Dage¬
gen ist. wie auch Schilling:): angibt,
der auffallende Geruch des frisch ent¬
leerten Kotes kurze Zeit nach der Ent¬
leerung mit dem Erkalten geschwunden.
Es beruht also der Geruch des Kotes
auf flüchtigen, organischen Verbindun¬
gen, welche mit Wasserdämpfen über¬
getrieben werden können. Ausser dem
erwähnten Skatol und Indol müssen für
den säuerlichen Geruch noch Essigsäure
und Buttersäure genannt werden. Doch
sind dieselben, wie an entsprechender
Stelle ausgeführt werden muss, in frei¬
em Zustande nur ausnahmsweise in klei¬
nen Mengen vorhanden. Bei Verarbei¬
ten der Trockenrückstände irgend wel¬
cher Kotprodukte mit heissem Wasser
macht sich der Kotgeruch erneut und
verstärkt geltend. Durch die Trocknung
des Kotes gehen die flüchtigen Riech¬
stoffe teilweise verloren, sodass der
grössere Teil derselben beim Wasserge¬
halte des Kotes und der kleinere Teil bei
der Trockensubstanz bestimmt wird.
Eine genaue quantitative Bestimmung
der Summe dieser Riechstoffe ist bei ih¬
rer ungleichmässigen Flüchtigkeit un-
* Faecesuntersuchung der Säuglingsdarm¬
darmkatarrhe.
t Die Verdaulichkeit der Nahrungs- und
Genussmittel, Leipzig 1911, S. 37.
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
* 13
möglich oder ungenau. Es können nur
aus einigen Koten die einen Stoffe, aus
anderen Koten andere Stoffe quantita¬
tiv bestimmt und aus den Durchschnitts¬
ergebnissen ungefähre Summen für ei¬
nen allgemeinen Ueberblick gebildet
werden.
(Fortsetzun folgt.)
Referate und Kritiken.
Militärärztliche Kriegs - Erinnerungen
an 1866 und 1870/71. Von Dr. M.
P e 11 z e r, Generaloberarzt a. D.
Mit einer Karte. Berlin, 1914. Ver¬
lag von August Hirschwald. 41 S.
Vor nicht langer Zeit hatten wir Ge¬
legenheit, an dieser Stelle das köstli¬
che Buch von Prof. Fritsch, 1870-
1871, Erinnerungen und Betrachtun¬
gen, zu besprechen. Die Militärärztli¬
chen Kriegserinnerungen P e 11 z e r’s
reihen sich in jeder Weise würdig dem
erstgenannten Buche an. Während
jedoch das F r i t s c h’sche Buch mehr
oder weniger die Leiden und Freuden
eines Militärarztes vor der Front in
Gestalt von Plaudereien zum Aus¬
druck bringt, gibt P e 11 z e r eine in
jeder Beziehung interessante Darstel¬
lung des Etappen- und Sanitätswesens
in den Kriegen 1866 und 1870/71, wo¬
zu er als höherer Berufssanitätsoffizier
(er war bei Abfassung seiner „Kriegs-
erinnerungen“ Generaloberarzt) ganz
besonders befähigt war. P. dürfte
wohl einer der ältesten noch lebenden
militärärztlichen Kriegsteilnehmer an
den genannten beiden Feldzügen sein,
und seine Angaben basieren, wie er
selbst angibt, auf den von ihm 1866
und 1870/71 angelegten Akten. Er hat
seine Erinnerungen in drei typischen
Bildern derartig bearbeitet, dass für
seine Betrachtungen der eine Feldzug
nicht von dem anderen getrennt wer¬
den kann, vielmehr die Erfahrungen
von 1870/71 erst durch die von 1866 in
das rechte Licht gerückt werden. Die
drei Typen sind: Horwitz in Oester¬
reich, Mannheim in Deutschland und
Nancy in Frankreich. Dabei enhält
das Büchlein nicht lediglich trockenes
Aktenmaterial, sondern ist reichlich
mit persönlichen Episoden gewürzt,
die für jeden Leser desselben von In¬
teresse sein dürften. Wer sich an der
Lektüre des F r i t s c h’schen Buches
erfreut hat, wird dieselbe Befriedigung
beim Lesen der P e 11 z e r’schen „Er¬
innerungen“ empfinden.
Sitzungsberichte.
Deutsche Medizinische Gesellschaft der Stadt New York.
Nachtrag zur Diskussion des Sym¬
posiums über die Differentialdiagnose
und Therapie des Ulcus Ventriculi
und Duodeni.
Dr. Willy Meyer: Denjenigen,
welche die Mitte des Lebens erreicht
oder überschritten haben, muss es
ausserordentlich Freude bereiten, zu
wissen, dass das, was vor 25 bis 30
Jahren allein der Medizin angehörte,
heute absolutes Grenzgebiet geworden
ist. Sie haben soeben von zwei ge¬
wichtigen Seiten gehört, und wir alle
wissen es, wie allmählich die innere
Medizin, wenn sie sich nicht mehr hel¬
fen kann, in die Chirurgie überspielt,
und dass letztere dann noch vielen Pa¬
tienten Genesung oder Besserung
bringt, wo erstere versagt. Dieses
Grenzgebiet findet sich ja überall.
Kaum ein Abschnitt des Körpers hat
so viele Fortschritte gezeigt wie die
Chirurgie der Abdominalhöhle. Wir
Chirurgen können es nur mit Dank be¬
trachten, dass die vielen Erfahrungen
und Entdeckungen der letzten 25 Jah¬
re uns dahin gebracht haben, ohne
grosse Gefahr die Krankheit attackie¬
ren zu können. Es ist uns natürlich
Original fro-m
HARVARD UN1VERSITY
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14
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
verhältnismässig leicht gemacht da¬
durch, dass sich so viele Spezialisten
herangebildet haben, die den Fall aufs
genaueste untersuchen, ehe er uns
übergeben wird. In den letzten fünf
Jahren hat nun auch noch die Radio¬
graphie kräftig eingegriffen, uns das
Verständnis dieser Fälle näher zu
bringen. Vor allem müssen wir da
Victor Schmieden, jetzt Chirurg
in Halle, erwähnen, der noch als As¬
sistent der B i e r’schen Klinik bewie¬
sen hat, was man durch genaues Stu¬
dium der Röntgenogramme erreicht.
Aber ich möchte doch betonen, dass
der Chirurg nicht ohne weiteres das
Messer ansetzen darf, wenn diese Fäl¬
le zum Operieren geschickt werden.
Wir dürfen uns nicht absolut auf
die Diagnose des Internisten und Ra¬
diographen verlassen. Im deutschen
Hospital können wir uns glücklich
schätzen, dass wir einen Röntgogra-
phen haben, der sich stets vorsichtig
ausdrückt, nicht einfach uns den Fall
zurückschickt und sagt: dieser Patient
hat mit Sicherheit Karzinom etc. und
muss operiert werden. Der Chirurg
muss sich jedenfalls vorsichtig tastend
vorwärts begeben, und der Röntgo-
graph soll sich immer klar machen,
dass das, was er liefert, nur ein Hilfs¬
mittel zur Diagnose ist und niemals
sagen: Ich mache die Diagnose, also
ist es so. Die Sache liegt doch nicht
so einfach.
Es würde zu weit führen, wollte ich
auch noch einmal von chirurgischer
Seite auf die Diagnose eingehen. Aber
es ist Tatsache, nachdem alles ver¬
sucht worden ist, selbst von so konser¬
vativer Seite wie sie Dr. Einhorn
betont hat, wenn alles getan ist, den
Kranken bei Ulcus des Magens oder
Duodenums zu heilen und kein Erfolg
erreicht ist, dass man dann zur Chi¬
rurgie vorgeht. Wie ist man da oft
erstaunt, Zustände zu finden, die man
nicht erwartet hat. Ich möchte hier
daran erinnern, dass das Ulcus sich
garnicht so selten an der kleinen Kur¬
vatur findet. Nun denken Sie sich ei¬
nen solchen Fall. Man geht ein. Der
Patient ist Jahre lang krank gewesen,
man findet ein Ulcus an der kleinen
Kurvatur; es liegt aber so, dass man
es nicht exstirpieren kann. Wenn das
nun nicht geht, was soll man tun? Der
Pylorus ist weit offen. Wir machen
Gastroenterostomie. Persönlich bin
ich überzeugt, dass der grössere Teil
der Speise durch die Gastroenterosto¬
mie-VVunde geht, auch wenn der Py¬
lorus offen ist; mit anderen Worten,
wir können den Magen ruhig stellen,
und sind deshalb berechtigt, auch in
solchen Fällen die Gastroenterostomie
auszuführen. Ferner sind Geschwüre
an der hinteren Magenwand nicht
leicht zu operieren. Wenn alles dar¬
auf gedeutet hat, dass es sich um Ma-
genulcus handelt, sich aber präparato¬
risch nichts findet, da soll man nicht
vergessen, den Magen mit Colon
transversum nach oben zu schlagen
und die hintere Magenwand zu unter¬
suchen. Ich werde nie vergessen, wie
wir in einem solchen Fall bei einem
Brauer im deutschen Hospital ein per¬
forierendes Ulcus fanden. Ich kam
ans Bett. Die Untersuchung zeigte,
dass es sich um einen dringenden Fall
handelte. Wir machten prompt auf
und fanden nichts. Nach genauestem
Absuchen gingen wir auf die hintere
Magenwand vor. Da war das Ulcus.
Ich wollte nur sagen, wie man sich in
Acht nehmen muss, mit seiner negati¬
ven Diagnose nicht zu schnell bei der
Hand zu sein.
Abgesehen von den Fällen, wo es
sich um Ulcus der kleinen Kurvatur
oder hinteren Magenwand handelt, ha¬
ben wir, wie Dr. Käst betont hat, in
90 Prozent aller Fälle das Ulcus in der
Nähe des Pylorus oder im Duodenum
gefunden. Wenn in diesen Fällen alle
internen Mittel, die von mir sehr hoch
geschätzt werden, keinen Vorteil bie¬
ten, dann tritt die Gastroenterostomie,
die ja heutzutage eine verhältnis¬
mässig einfache Operation geworden
ist, in schönster Weise in ihr Recht.
Eine typische, wirklich Nutzen stif¬
tende Operation wird die Gastroente¬
rostomie aber nur, wenn der Pylorus
ausgeschaltet wird. Die verschiedenen
Methoden dafür anzuführen, ist heute
nicht angebracht, genug, dass wir es
machen können.
Wie ist es nun bei weitgehenden In¬
filtrationszuständen am Pylorus? Da
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Original fram
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
15
versuchen wir uns klar zu machen:
kann der Patient noch eine Exzision
des Pylorus aushalten? Wir können
nicht beweisen, ob nicht schon inner¬
halb dieses infiltrierenden Tumors das
beginnende Karzinom sich befindet.
In einer grösseren Zahl der Fälle ent¬
steht Karzinom aus Ulcus des Pylo¬
rus. A s c h o f f behauptet, dass das
nicht der Fall ist. Ich glaube, die
Wahrheit liegt in der Mitte. Ich glau¬
be, dass garnicht selten aus dem Ulcus
sich doch ein Karzinom entwickeln
kann, und deshalb, wenn ich kann, ex-
stirpiere ich den Pylorus.
Ich möchte noch einen Punkt er¬
wähnen : Der Chirurg hat die Gastro¬
enterostomie gemacht. Am 2., 3., 4.,
5. Tage gibt es eine Blutung. Was
soll man tun? Das betrifft auch den
Internisten. Eins der schönsten Mit¬
tel ist, dass man sich nicht scheut, den
frisch operierten Magen auszuspülen
und dann Wismutpaste in den Magen
einzugiessen. Wir wissen, dass dies
sich an gewissen Stellen festsetzt wie
Kitt und dadurch manchmal eine Blu¬
tung dauernd zu heilen ist. Dasselbe
gilt vom frischen Ulcus. Es lassen
sich da ganz vortreffliche Resultate
durch konservative Mittel erreichen,
z. B., wenn man Blutserum einspritzt,
und zwar von anderen Patienten,
nicht von Tieren, und falls das nicht
möglich, eine Transfusion macht.
Trotz der vorgerückten Zeit halte
ich es für meine Pflicht, noch auf eines
aufmerksam zu machen. Es gibt Fäl¬
le, wo ein Patient schwere Magenblu¬
tungen gehabt hat. Man sagt sich, es
muss ein Ulcus vorhanden sein. Aber
es findet sich nichts an der Gallen¬
blase, nichts am Duodenum, dem Py¬
lorus, dem Magen, Was soll man tun?
Es ist beobachtet worden und wurde
schon betont, dass der Appendix die
Ursache sein kann. In solchen Fällen
soll der Chirurg nicht das Abdomen
zumachen, sondern den Appendix
nachsehen und entfernen. Ich habe
mir das zur Pflicht gemacht. Ich
möchte auch ätiologisch auf die schö¬
nen Versuche von Rosenau hin-
weisen. Appendix und Duodenum
stehen im engsten Zusammenhang.
Bezüglich der Diagnose sind es der
Hungerschmerz und die okkulte Blu¬
tung zusammen, die den Arzt am häu¬
figsten an Duodenalulcus denken las¬
sen. Dass diese Symptome immer
Ulcus bedeuten, ist selbstverständlich
nicht immer der Fall. Bier hat letzt¬
hin nachgewiesen, dass dieser Symp¬
tomkomplex durch die Operation
durchaus nicht immer als richtig be¬
funden wird.
Es war eine wunderbare Tatsache,
dass wir hier so viele Duodenalulcus-
fälle hatten und in Deutschland nicht.
Es kommt daher, dass das, was wir
hier unter Duodenalulcus verstehen,
drüben Pylorusulcus genannt wurde.
Zum Schluss möchte ich noch ein¬
mal betonen, dass der Chirurg dafür
sorgen muss, dass keine Speisen mehr
durch das Duodenum gehen, dass wir
der Gastroenterostomie die Ausschal¬
tung des Pylorus regelmässig hinzu¬
fügen.
Kongressberichte.
IV. Internationaler Chirurgenkongress.
New York, 13. bis 16. April 1914.
Kollektivbericht der Vereinigung der Deutschen mediz. Fachpresse.
Berichterstatter:
II. Ulcus ventriculi et duodeni.
de Quervain (Basel), Ref.: Die
Diagnose des Magen- und Duodenal¬
geschwürs. Vorgetragen von Hen-
schen (Zürich). Ueber die Diagnos-
Dr. R. Tölken.
tik des Magen- und Duodenalge¬
schwürs lässt sich abschliessendes
heute noch nicht sagen; es lässt sich
bloss ein Fortschritt kennzeichnen.
Neben einer Anzahl von gesicherten
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
Ergebnissen finden wir eine nicht ge¬
ringere Zahl von offenen Fragen. Ein
zielbewusstes Arbeiten hat erst mit
der Röntgenuntersuchung eingesetzt.
Der dadurch erzielte Fortschritt er¬
gibt sich schon äusserlich in der zu¬
nehmenden Zahl der operativ behan¬
delten Magen- und Duodenalgeschwü¬
re. Für die Diagnose des nicht steno-
sierenden, nicht penetrierenden Ma¬
gengeschwürs hat das Röntgenbild
uns ein häufig vorkommedes Symptom
gelehrt, den umschriebenen Spasmus
der Magenwand in der Höhe des Ge¬
schwürs. Im Gegensatz zu den bis¬
weilen auch sehr hochgradigen peri¬
staltischen Einziehungen schnürt er
den Magen nur von der grossen Kur¬
vatur her ein. Aber dieser Spasmus
tritt weder nur bei Geschwüren auf,
noch findet er sich bei allen Magenge¬
schwüren. Die Gastroskopie ist noch
zu sehr im Werden begriffen; auch
dürfte sie angesichts der Blutungs¬
und Perforationsgefahr nicht ohne Be¬
denken sein. Für das Bestehen eines
Pylorusgeschwürs gibt ein ausgespro¬
chener sechs-Stundenrest bei erhalte¬
ner oder gesteigerter Peristaltik zwar
einen wichtigen Anhaltspunkt, aber
keinen sicheren Beweis. Wie oft Py-
lorusgeschwüre ohne Pyloruspasmus
Vorkommen, wissen wir garnicht.
Das nicht stenosierende, penetrie¬
rende Magengeschwür durchsetzt alle
Schichten der Magenwand. Das Kenn¬
zeichen der Geschwüre an der kleinen
Kurvatur ist die H a u d e k’sche Ni¬
sche ; eventuell ist in Schräglage mit
Beckenhochlagerung oder in rechter
Seitenlage zu untersuchen; auch Pro¬
filaufnahmen nach C o 1 e und Schle¬
singer sind bisher zu sehr vernach¬
lässigt. Eine stehende Kontraktion
an der grossen Kurvatur erleichtert
die Diagnose der Nische erheblich.
Für den Nachweis einer organischen
Geschwürsstenose sind von Wichtig¬
keit das klinische Verhalten, das zeit¬
liche Verhalten der Retention (sechs-
Stundenrest), die Einwirkung von
Atropin bezw. Papaverin auf den
Spasmus, die Vergleichung des Ver¬
haltens von Wasser- und Breientlee¬
rung und die Form des Magens. Der
Ausfall eines breiten Abschnittes des
Pylorusschattens spricht für entzünd¬
liche Infilration, eine schmale Ausfall¬
zone lässt sich für eine reine Narben¬
stenose verwerten.
Beim Duodenalgeschwür ist das
Vorkommen von spastischem Sand¬
uhrmagen interessant. Teils funktio¬
nell bedingt ist auch der von C o 1 e
beschriebene Schatten im Bulbus duo-
deni. Von grösserer Bedeutung ist
der persistierende Duodenalfleck. Noch
beweisender wäre die Nische; aber sie
ist am Duodenum ausserordentlich
selten. Zu berücksichtigen ist auch
die geringe Verschieblichkeit des
Duodenums bezw. der ganzen Pylo-
rusgegend. Ein stenosierendes Duo¬
denalgeschwür ist recht selten; unter
Umständen erkennt man dann den
zapfenförmigen Ausguss des verenger¬
ten Lumens (Bier).
Auf abnorme Verwachsungen am
Magen können wir schliessen: (1.)
aus abnormer Lage des Pylorus bei
normal gefülltem Magen; (2.) aus zu
geringer Verschiebbarkeit des Pylorus
bei Untersuchung in verschiedenen
Körperstellungen (normale Verschie¬
bung etwa 2—3 Wirbelhöhen := 8—10
cm) ; (3.) aus durch andere Ursachen
nicht erklärbaren Formanomalien des
Magens.
Die Häufigkeit der krebsigen Entar¬
tung des Magengeschwürs ist nicht so
gross, wie man bisher vielfach an¬
nahm ; die Zahlenangaben schwanken
von O—50—100 Prozent! Der deut¬
sche Pathologentag hat sich vor kur¬
zem gegen diese Häufigkeit ausge¬
sprochen : Henke konnte an einem
grossen Material nachweisen, dass von
100 Gastroenterostomierten später nur
zwei ein Karzinom bekamen, von de¬
nen das eine wahrscheinlich ein primä¬
res Karzinom war. Für die Diagnose
kann nicht genug auf die von
S t r a u s s zuerst beschriebenen früh¬
zeitigen Douglasmetastasen hingewie¬
sen werden. Fehlen manifeste oder
okkulte Blutungen, ist das Röntgen¬
bild völlig normal und bestehen nur
subjektive Beschwerden, Schmerzen,
so ist die Indikation zur Operation nur
eine relative. Bei manifesten oder ok¬
kulten Blutungen ist bei Fehlschlagen
der internen Therapie die Indikation
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17
zur Operation schon eine bestimmtere.
Finden wir Zeichen der Retention in¬
folge von Pylorusverengerung, das
Bild eines penetrierenden Geschwürs
im Bereich der kleinen Kurvatur oder
einen positiven Röntgenbefund am
Duodenum, so ist die Indikation zur
Operation gegeben.
Folgende diagnostische Probleme
harren in erster Linie noch der Lö¬
sung:
1. Welches ist die Häufigkeit der
stehenden Kontraktionswelle bei dem
oberflächlichen Geschwür der kleinen
Kurvatur, und welches sind die Bedin¬
gungen, unter denen solche Spasmen
auch ohne Geschwür auftreten?
2. Welches ist der Einfluss pylorus-
ferner Geschwüre auf den Pylorus?
Wie ist der bei denselben nicht seltene
sechs-Stundenrest zu erklären?
3. Welches sind die sichersten, prak¬
tisch verwertbaren Unterscheidungs¬
zeichen zwischen Pylorospasmus und
beginnender organischer Pylorusste¬
nose?
4. Welches ist die diagnostische Be¬
deutung der persistierenden Füllung
des Bulbus duodeni (der sogenannten
Magenkappe) ?
5. Welches ist die diagnostische Be¬
deutung der sogenannten duodenalen
Motilität des Magens?
6. Wie unterscheidet sich das auf
den Pylorus übergreifende Duodenal¬
geschwür in seiner Einwirkung auf
den Pylorusreflex und die Magense¬
kretion vom Pylorusgeschwür im en¬
geren Sinne einerseits und von den
tiefer sitzenden Duodenalgeschwüren
andrerseits?
7. Welches sind die sichersten Zei¬
chen von Verwachsungen im Bereiche
von Magen und Duodenum?
H. Hartmann (Paris) und P.
Lecene (Paris) Korref.:
I. Die Häufigkeit des Ulcus duodeni
ist gewiss eine grössere, als wir es frü¬
her annahmen; sie ist jedoch von eini¬
gen Chirurgen überschätzt worden; in
Frankreich gibt es kaum ein Ulcus
duodeni auf 8 bis 10 Magengeschwüre.
Die von M o y n i h a n angegebene
Symptomatologie sowie die anatomi¬
schen Angaben (Vena pylorica) sind
nicht massgebend: die klinischen
Symptome bedeuten nur einen Pyloro¬
spasmus und die Vena pylorica hat
einen sehr wechselnden Verlauf.
2. In der Tiefe der kallösen Magen¬
geschwüre, besonders an der kleinen
Kurvatur, bestehen häufig neuritische
Veränderungen, welche als Ursache
der häufig bestehenden starken Ulkus¬
schmerzen betrachtet werden können.
Die karzinomatöse Entartung der Ul¬
kusränder scheint seltener, als einige
Autoren behaupten; bei Ulcus callo-
sum findet man sie in ein Fünftel der
Fälle. Sie begründen jedoch die Re¬
sektion des Ulcus, wenn dieselbe sich
technisch leicht gestaltet. In fünf
Sechstel der Fälle bestehen anatomi¬
sche Veränderungen der Magenwand
(Gastritis parenchymatosa etc.), wel¬
che eine sorgfältige Nachbehandlung
notwendig machen.
3. Die hervorragende Bedeutung der
Röntgenuntersuchung bei Magener¬
krankungen ist allgemein anerkannt;
für das Ulcus duodeni scheint sie
weniger wertvoll.
4. Die interne und chirurgische Be¬
handlung des Magenulkus stehen sich
nicht gegenüber, sondern sie vervoll¬
ständigen sich gegenseitig. Die Dau¬
ererfolge der internen Behandlung
sind viel ungünstiger, als früher be¬
hauptet wurde. Abgesehen von den
absoluten Indikationen zur Operation
(Blutung, Perforation und Stenose)
soll jedes Magen- und Duodenum¬
ulkus, welches durch interne Therapie
nicht ausheilt, dem Chirurgen über¬
wiesen werden. Die Operation der
Wahl besteht in einer Gastroentero-
stomia posterior retrocolica am tief¬
sten Punkt des Antrum pylori für alle
in der Nähe des Pylorus diesseits oder
jenseits gelegenen Ulzera. Wenn die
Anastomose richtig angelegt wird, be¬
steht keine Gefahr, dass die Anasto-
mosenöffnung sich verschliesst, selbst
wenn der Pylorus gut durchlässig ist.
Die Indikationen für die Pylorusaus-
schaltung sind noch nicht genügehd
aufgeklärt, meistens genügt die „Blo-
cage“ des Pylorus. Bei kallösen Py-
lorusgeschwüren, die auf Karzinom
verdächtig sind, ist die Pylorektomie,
wenn technisch möglich, angezeigt;
Verschluss der beiden Wunden und
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Gastroenterostomie. Wenn das Ulcus
callosum an der kleinen Kurvatur
sitzt, genügt die Gastroenterostomie
meistens nicht und man muss dann
die Exzision des Ulkus oder die seg¬
mentäre Magenresektion mit End-zu-
Endanastomose vorziehen. Die noch
relativ hohe Mortalität dieser Opera¬
tionen wird gewiss mit einer beseren
Indikationsstellung und verbesserter
Technik abnehmen.
W i 11 i a m J. M a y o (Rochester,
Min.), Korref.: Von 1893 bis 1900
wurde in Amerika nur wegen Pylorus¬
stenose operiert. Die zweite Periode
von 1900 bis 1906 ist gekennzeichnet
durch häufigere Indikationen zur Ope¬
ration und neue diagnostische Hilfs¬
mittel. Erst seit 1906 wurde aber die
genauere Pathologie des Magenge¬
schwürs festgestellt. Die Röntgen¬
strahlen traten für die Diagnose an die
erste Stelle, die Notwendigkeit der
Geschwürsexzision wegen drohenden
Krebses wurde erkannt. Bis Ende
1913 habe ich 1841 Fälle von Magen-
und Duodenalulkus operiert, davon
betrafen 1384 Männer und nur 457
weibliche Individuen. Die frühere
Meinung, dass das Geschwür bei
Frauen häufiger sei, ist also sicher
falsch; diese angeblichen Ulzera bei
Frauen sind Pylorospasmen infolge
Cholelithiasis oder intestinaler Störun¬
gen. 636mal sassen die Geschwüre im
Magen, 1205mal im Duodenum. Bei
den letzten 1000 Fällen ist der Pro¬
zentsatz 73.8% Duodenal-, 25.2% Ma¬
genulzera. Von Magengeschwüren
waren 29% weiblich, 71% männlich,
von Duodenalgeschwüren 21% weib¬
lich, 79% männlich. Die Pylorusvenen
sind für die Lagebestimmung ent¬
scheidend. Das Magengeschwür sitzt
selten dicht am Pylorus, meist entlang
der kleinen Kurvatur und häufiger an
der Hinterwand. Multiple Ulzera fin¬
den sich bei der Operation selten (un¬
gefähr 5%). Das Duodenalgeschwür
sitzt nahe dem Pylorus, meist an der
vorderen, oberen Wand. Häufig findet
sich kein Schleimhautkrater im Ge¬
gensatz zum Magengeschwür, wes¬
halb Duodenalgeschwüre so häufig
übersehen werden. Geschwüre in der
Gegend der Papille geben Anlass zu
gallensteinartigen Koliken und profu¬
sen Hämorrhagien. Bei gedeckter
Perforation kann eine subdiaphragma¬
tische Phlegmone entstehen. Wirk¬
liche Dauerheilungen chronischer Ul¬
zera ohne Operation sind nicht sehr
häufig. Bei interner Behandlung ist
die Todesgefahr infolge Blutung, Per¬
foration, Stenose oder karzinomatöser
Degeneration weit grösser als die
Operationsgefahr. Beim Magenge¬
schwür ist die Gastrojejunostomia
posterior die Methode der Wahl. Sie
soll auch der Exzision der Geschwüre,
die möglichst anzustreben ist, hinzu¬
gefügt werden, da diese allein uns
manchmal im Stich gelassen hat. Bei
der Kontinuitätsresektion des Magens
sind die Resultate auch ohne Gastro¬
enterostomie ausgezeichnet. Für pe¬
netrierende Geschwüre der Hinter¬
wand leistet die transgastrische Exzi¬
sion des Geschwürs gute Dienste. Bei
Sitz am Pylorus wird die Pylorekto-
mie nach Rodman ausgeführt. Das
Duodenalgeschwür haben wir nach
M o y n i h a n mit feiner Seide über¬
näht und den Pylorus mit ein oder
zwei Nähten verengert. Bei Pylorus¬
stenose genügt die Gastroenterosto¬
mie; sonst wird ein dauernder Pylo-
rusverschluss angestrebt durch
W i 1 m’sche Faszien- oder K o 1 b’-
sche Netzumschnürung. Neuerdings
versuchen wir möglichst viele Duo-
denalulcera zu exzidieren, wenn deren
Lage es gestattet, und fügen eine
Heinecke -Mikulic z’sche Pylo-
roplastik oder, was noch besser ist, die
Gastroduodenostomie nach F i n n e y
hinzu. Die Resultate sind bei Ge¬
schwüren der Pylorusgegend ausge¬
zeichnet; je weiter vom Pylorus ent¬
fernt das Geschwür, um so schwieri¬
ger und weniger sicher wird die Hei¬
lung. Doch werden 95 Prozent aller
Magengeschwüre geheilt oder ganz
erheblich in ihren Beschwerden ge¬
bessert. Die Gesamtmortalität (inkl.
Perforationen etc.) beträgt 3.8%; beim
Duodenalgeschwür sind die Erfolge
noch günstiger, 98% Heilung und
1.3% Mortalität. Bei einigen wenigen
Fällen treten die Ulkussymptome spä¬
ter von neuem auf. Bei der Relaparo-
tomie fand sich dann ein typisches
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19
Ulkus in der Nahtlinie der ursprüng¬
lichen Gastrojejunostomie. Deshalb
haben wir die fortlaufende Seiden¬
naht aufgegeben, nehmen Knopfnähte
für die Muskulo-Serosa und nähen die
innere Schicht fortlaufend mit Katgut.
Payr (Leipzig): Korref., vorgetra¬
gen von J u r a s z (Leipzig):
1. Bezüglich der Aetiologie und Pa-
thogenesis konkurrieren zur Zeit
hauptsächlich die Ansichten einer ana¬
tomischen Läsion in den Blutgefässen
des Magens und Duodenum und ihres
Inhaltes (Thrombose, Embolie, Skle¬
rose) und die nervöse Theorie, welche
durch Kompression der Gefässe durch
Muskelspasmus des Magens oder Ge-
fässmuskelkrampf den ersten Beginn
des L~lkus in die solcher Art blutleer
gewordenen Schleimhautbezirke ver¬
legt. Die spasmogene Theorie vermag
aber ebensowenig, wie alle vorher auf¬
gestellten, alle Fragen in befriedigen¬
der Weise zu lösen; sie greift auf eine
Störung im vegetativen Nervensystem
(Vagus, Sympathikus) zurück. Man¬
che Fragen der biologischen Chemie
der Magen- und Duodenalwand sind
noch nicht genügend geklärt, um für
die Ulkuspathogenese verwertet wer¬
den zu können. Mechanische Momen¬
te spielen bei der Lokalisation und der
Form der Ulzera mit. Die bakteriell:
toxischen Schädigungen der Magen¬
duodenalwand ergeben im Tierver¬
such zu differente Ergebnisse, um im
Zusammenhang mit manchen klini¬
schen Erfahrungen eine entscheidende
Rolle in der Untersuchungslehre des
Ulkus zu spielen.
2. Das Ulcus duodeni zeigt zwei so¬
wohl pathologisch-anatomisch, als kli¬
nisch sich in manchen Dingen unter¬
scheidende Formen, das Ulkus der Vor¬
derwand und jenes der Hinterwand.
Ersteres neigt mehr zur Perforation,
letzteres zur Blutung. Zwischen Ul¬
kus des Magens und des Duodenum
bestehen, trotzdem man bisher den
krankhaften Vorgang als völlig iden¬
tisch angesehen hatte, nicht unerheb¬
liche Unterschiede, sowohl im anato¬
mischen Befunde, als klinischen Bilde.
Manche derselben sind durch den ver¬
schiedenen Bau und die andersartigen
physiologischen Leistungen der bei¬
den Organe zu erklären, andere bedür¬
fen noch weiterer Forschung.
3. Es gibt sicher Fälle, in denen auf
einem chronischen Magengeschwür
oder einer Narbe nach einem solchen
Krebs entsteht (Carcinoma ex ulcere).
Von diesen sind erst durch genaue
histologische Untersuchung gewisse
Formen von Magenkrebs zu scheiden,
bei denen ein primärer Tumor durch
Zerfall oder Entwicklung eines sekun¬
dären Ulcus pepticum einen geschwü-
rigen Defekt aufweist (Carcinoma ex-
ulceratum). Beide Formen lassen
sich gelegentlich nur durch sehr ex¬
akte Untersuchung von dem Schwie¬
len bildenden Geschwüre (Ulcus cal-
losum) scheiden. Die Schwierigkeit
liegt darin, dass es Karzinome mit
ausserordentlich starker umschriebe¬
ner Schwielenbildung in der Submu¬
kosa und sämtlichen Bindegewebsla-
gern der Magenwand gibt (Fibroma-
tosis Thomson). Auch nebenein¬
ander werden Ulkus und Krebs ’im
Magen gesehen. Ueber das Häufig¬
keitsverhältnis der krebsigen Um¬
wandlung eines Magengeschwürs lässt
sich zur Stunde eine zahlenmässige
Auskunft nicht geben. Nur wenig
vorgeschrittene Fälle sind für solche
Entscheidung zu verwerten. Die Be¬
deutung dieser auch unter Zuhilfe¬
nahme aller klinischen Untersu¬
chungsbehelfe oft schwierig zu klären¬
den fatalen Aehnlichkeit zwischen
Ulkus und Krebs liegt auf prakti¬
schem Gebiete (Wahl der Operations¬
methoden). Es gibt zur Stunde keine
diagnostische Methode, welche uns
mit absoluter Sicherheit gestattet,
Ulcus callosum und Krebs vor der
Ausführung des Eingriffes zu schei¬
den.
4. Das Ulcus duodeni zeigt im Ge¬
gensatz zum Magengeschwür äusserst
selten Krebsentwicklung.
(Fortsetzung folgt.)
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20
New Yobkee Medizinische Monatsschrift.
10. Kongress der Deutschen Röntgen-Gesellschaft.*
Berlin, 19. bis 21. April 1914.
I. Referate.
Paul Krause (Bonn), Ref.: Die
biologischen Einwirkungen der Rönt¬
genstrahlen auf normales tierisches
und menschliches Gewebe. Ref. be¬
ginnt mit der Besprechung der Wir¬
kung der Röntgenstrahlen auf Bakte¬
rien und Protozoen. Beide werden
nicht oder nur unwesentlich von Rönt¬
genstrahlen beeinflusst. Wir können
weder im Reagensglas noch im Gewe¬
be auf Bakterien wirken, ebensowenig
werden Fermente durch Strahlen be¬
einflusst. Kleine Tiere können durch
Röntgenstrahlen getötet werden, für
Mäuse liegt die tödliche Dosis bei 20
bis 30 x. Die Tierversuche geben viel¬
leicht einen Anhalt für die Dosierung.
Säfte und Sekrete des menschlichen
Körpers im Reagenzglas werden nicht
angegriffen. Die Einwirkung auf das
lymphoide Gewebe ebenso wie auf das
Knochenmark und die Lymphfollikel
des Darms ist ziemlich beträchtlich.
Die Thymus degeneriert, regeneriert
sich aber bei mittleren Dosen, bei ho¬
hen Dosen wird sie gänzlich zerstört.
Blut: Zuerst findet sich eine Hyper¬
leukozytose, später eine Hypoleukozy¬
tose. Auge: Das Auge kann be¬
trächtlich beeinflusst werden, beson¬
ders bei jungen Tieren hat man Star
beobachtet. Nervensystem: Bei jun¬
gen Tieren ist eine Röntgenwirkung
möglich, bei älteren nicht. Das Kör¬
perwachstum junger Tiere wird beein¬
flusst. K. hat in seinen Versuchen
diese Wirkung nicht beobachtet. Die
Leber ist wenig radiosensibel, ebenso¬
wenig die Nieren. Die Mamma wird
im Stadium der Entwicklung beein¬
flusst, ebenso die Thyreoiden, beide
Organe nicht bei erwachsenen Tieren.
Lungen, Knorpel, Knochen besitzen
geringe Radiosensibilität. K. geht
dann auf die Erfahrungen, die beim
Menschen gemacht sind, über und de¬
monstriert ebenso wie bei den Tier¬
versuchen hierbei grosse Tabellen, die
♦ Kollektivbericht der „Vereinigung der
Deutschen mediz. Fachpresse".
sämtliche Versuche anderer Autoren
und seine eigenen umfassen. Die Haut
zeigt eine Dermatitis ersten, zweiten
und dritten Grades, ferner die sekun¬
dären Veränderungen, Röntgenkarzi¬
nome. Auch Sklerodermie ist in ei¬
nem Fall beobachtet worden. Das Blut
ist stark beeinflussbar. Es tritt erst
eine Hyperleukozytose, dann eine
Herabsetzung des Leukozytengehal¬
tes ein. Leukotoxine sind nicht sicher
nachgewiesen worden. Beim Auge
zeigt sich eine Reizwirkung auf die
Konjunktiva, Kornea und Chorioidea.
Es ist ferner Tropfenbildung an der
Hinterfläche der Linse beobachtet
worden. Kinder unter drei Jahren
müssen vor Röntgenstrahlen bewahrt
werden; durch diagnostische Sitzun¬
gen werden sie aber nicht geschädigt.
Periphere Nerven werden nicht ange¬
griffen. Ref. bespricht dann die The¬
orien, welche über die Röntgenwir¬
kung auf die Haut aufgestellt worden
sind. Nach einigen Autoren wird die
Zelle, besonders die junge, lebhaft
proliferierende direkt angegriffen.
Nach anderen beruht die Wirkung auf
Autolyse. K. erwähnt die Lezithin¬
hypothese und die Fermentschädi¬
gung. Zusammenfassend gibt K. eine
Tabelle nach W e 11 e r e r, der die
Empfindlichkeit des gesunden und pa¬
thologischen Gewebes zusammenge¬
stellt hat. Die Wirkung der Strahlen
ist so aufzufassen, dass kleine Mengen
reizen, mittlere hemmen und grosse
töten.
Reifferscheid (Bonn), Kor-
ref.: Die Einwirkung der Röntgen¬
strahlen auf tierische und menschliche
Eierstöcke. R. hat ausgedehnte expe¬
rimentelle und histologische Untersu¬
chungen über dieses Thema vorge¬
nommen. Serienuntersuchungen an
weissen Mäusen ergaben, dass bei der
Maus durch die Strahlen schwere De¬
generation serscheinungen im O vari-
um hervorgerufen werden, die sich in
Schädigungen der Follikelepithelien
bis zu völligem Zugrundegehen der¬
selben und in Zerstörung der Eizellen
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21
charakterisieren. Bei grösseren Do¬
sen wird auch das Stroma schwer ge¬
schädigt. Bei grösseren Tieren, Affen
und Hunden, Hess sich feststellen,
dass auch hier dieselben Degenera¬
tionserscheinungen auftreten. Diese
Gleichartigkeit des histologischen Bil¬
des Hess schon erwarten, dass sich
beim Menschen dieselben Verhältnis¬
se finden würden. Tatsächlich konnte
Ref. durch Untersuchungen an sieben
menschlichen Ovarien, die mit Dosen
von 5 bis 30 x bestrahlt waren, nach-
weisen, dass auch hier Degeneration
der Follikelepithelien und der Eizelle
sich fanden. Damit war für die thera¬
peutische Anwendung der Röntgen¬
strahlen in der Gynäkologie eine posi¬
tive histologische Grundlage gewon¬
nen. Daneben fanden sich stets mehr
oder weniger ausgedehnte Blutungen
in das Ovarium, die R. auch für spezi¬
fische Röntgenwirkung halten möchte.
Aus einer grossen Untersuchungsreihe
an verschiedenen Tieren ergab sich,
dass eine Regeneration im röntgenge¬
schädigten Ovarium nicht zustande
kommt. Einmal zerstörte Follikel
können sich nicht wieder ersetzen.
Eine Regeneration kann nur vorge¬
täuscht werden, wenn die der Reife
nahen Follikel zerstört werden, die
jüngeren Stadien aber ungeschädigt
bleiben, und von diesen nach einiger
Zeit einer zur Reife gelangt. Vortr.
belegt seine Ausführungen durch
zahlreiche Projektionsbilder mikrosko¬
pischer Schnitte.
Simmonds (Hamburg), Korref.:
Die biologischen Einwirkungen der
Röntgenstrahlen auf den Hoden. Der
Einfluss der Strahlen macht sich fast
ausschliesslich in den samenbildenden
Zellen geltend, während die übrigen
Zellen unbeeinflusst bleiben. Nach
Ablauf eines Latenzstadiums (2 bis 3
Wochen) zerfallen die Samenzellen,
die Kanäle sind nur mit Trümmer¬
massen erfüllt. Eine Wiederherstel¬
lung durch Wucherung intakt geblie¬
bener Samenzellen ist möglich, was
durch Erfahrung an experimentell ge¬
schädigten Tieren und an Menschen
bewiesen wird. Hand in Hand mit
dem Untergang der Samenzellen
kommt es zur Wucherung der Zwi¬
schenzellen ; da diese die innere Sekre¬
tion übernehmen, erklärt sich die Er¬
haltung des Geschlechtstriebes und
der Geschlechtscharaktere auch nach
Untergang der Samenzellen. Die
Röntgenstrahlen vernichten die Zeu¬
gungsfähigkeit, nicht aber die Männ¬
lichkeit. An zahlreichen, hervorragend
schönen Mikroprojektionsbildern wird
das Vorgetragene erläutert.
K ö r n i c k e (Bonn-Poppelsdorf),
Korref.: Die biologischen Einwirkun¬
gen der Röntgenstrahlen auf die
Pflanzen. K. schildert die Wirkungs¬
weise der Röntgenstrahlen auf die ver¬
schiedensten Lebenstätigkeiten der
Pflanze und besprach dabei eingehen¬
der phototropische Versuche, dann
solche, welche die Wirkung der Strah¬
len auf Bewegungserscheinungen,
Plasmaströmung, Turgor, Assimila¬
tion, Chlorophyllbildung, Kern- und
Zellteilung zur Folge haben und zum
Teil vom Ref. selbst ausgeführt waren.
Besonders eingehend wurde die Wir¬
kung auf Keimung und Wachstum be¬
handelt. Die Untersuchungsergebnis¬
se Hessen sich dahin zusammenfassen,
dass die Keimung der Samen durch
starke Bestrahlung oft auffallend ge¬
fördert wird, dass jedoch diese Strah¬
len auf das Wachstum hemmend wir¬
ken, und zwar zeigt sich die Hem¬
mung erst einige Zeit nach der Be¬
strahlung. Dieser Zeitpunkt ist von
dem Objekt und seinem physiologi¬
schen Zustand im Moment der Be¬
strahlung abhängig. Bei mässiger
Strahlungsintensität bleibt die Wachs¬
tumshemmung nur eine vorüberge¬
hende, geringe Strahlenmengen wir¬
ken wachstumsfördernd. Ein merkli¬
cher Unterschied in der Wirkung har¬
ter und weicher Strahlen Hess sich
nicht konstatieren. Die einzelnen
Pflanzenarten wie auch die einzelnen
Individuen ein und derselben Pflan¬
zenart besitzen verschieden starke Ra¬
diosensibilität. Eine praktische Ver¬
wendbarkeit für landwirtschaftliche
Zwecke lässt sich, wie aus den Versu¬
chen hervorgeht, nicht erzielen.
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II. Diagnostische Vorträge.
(Thorax, Abdomen.)
Alban Köhler (Wiesbaden): Zur
Röntgendiagnostik der Schmarotzer
des Menschen. Vortr. zeigt Bilder
von verkalkten Zystizerken. Diagnose
wurde am Lebenden mit Röntgen¬
strahlen gestellt. Es fanden sich
Kalkschatten am Unterschenkel, Ober¬
schenkel und an der Lendengegend
von 2 bis 4 mm Breite und 7 bis 9 mm
Länge. Die Längsachse stand parallel
zum Muskelfaserverlauf. K. zeigt fer¬
ner Röntgenbilder einer Lunge, die
mit verkalkten Eiern von Distomum
pulmonale durchsetzt ist. Die Schat¬
ten sind kreisförmig und haben einen
Durchmesser von 2 bis 3 mm. Die
Diagnose w r urde auch klinisch aus
dem Auswurf gestellt. Ferner wurde
eine Aufnahme gezeigt, in der ein run¬
der Schatten als Echinokokkus gedeu¬
tet wurde, der sich später als Karzi¬
nommetastase heraussteHte.
Hessel (Bad Kreuznach): Elin
Weg, die normale Speiseröhre röntge-
nographisch darzustellen. Vortr. lässt
einen mit Kontrastmahlzeit gefüllten
Schweinedarm schlucken, stellt so den
Oesophagus dar und verfolgt dann
diesen Darm auf dem Wege durch den
Körper. In der Diskussion hierzu be¬
merkt Holzknecht (Wien), dass
der Oesophagus durch mundvolles Es¬
sen von gewöhnlichem Brei sich dar¬
stellen lasse. Es werden -während der
ersten paar Schlucke mehrere Aufnah¬
men gemacht, unter diesen sind einige
brauchbar.
Grunmach (Berlin) spricht zur
Diagnostik und Therapie des Gastro-
spasmus und zeigt eine Anzahl Auf¬
nahmen. Er benutzt als Kontrast¬
mahlzeit eine Thoraufschwemmung.
Dazu bemerkt Haudek (Wien),
dass man mit der Diagnose Gastro-
spasmus vorsichtig sein muss.
Schwarz (Wien) bemerkt zur Di¬
agnose Gastrospasmus, dass dreierlei
Arten von Spasmus zu unterscheiden
sind: Für L T lkus charakteristisch sind
die Einziehungen an der grossen Kur¬
vatur. Die zweite Art ist der spasti¬
sche Zustand des Antrum; beim „Te¬
tanus“ des Antrum ist dieses zuerst
nicht sichtbar; es tritt nur auf kurze
Zeit auf und kontrahiert sich sofort
wieder. Bei Einnahme der Mahlzeit
in rechter Seitenlage entfaltet sich das
Antrum leichter. Die wichtigste Form
ist die Kontraktion des kaudalen Tei¬
les bei sonstiger Stierhornform des
Magens.
Haudek (Wien): Hypersekretion
und Magenmotilität. Die Wismutre¬
tention bei Magengeschwüren ist nicht
selten das einzige Symptom für die
röntgenologische Geschwürsdiagnose.
Die Wismutretention bei nicht steno-
siertem Pylorus wurde bisher haupt¬
sächlich auf den Pyloruspasmus bezo¬
gen, doch spricht dagegen neben dem
Fehlen von Rückständen nach der
Probemahlzeit auch der Umstand,
dass es H. gelang, in solchen Fällen
zu beliebigen Zeiten durch Effieurage
ansehnliche Teile der Wismutrück¬
stände in das Duodenum zu befördern,
ein Beweis für das Offenstehen des
Pylorus. Die Ursache der Retention
scheint H. in dem Zusammentreffen
zweier Momonte gelegen zu sein: ei¬
ner höhergradigen Hypersekretion
und einer grossen Hubhöhe. Bei lan¬
gem Hakenmagen mit Hypersekretion
kommt es schnell zu Sedimentierung
der Mahlzeit; das Kontrastmittel
sinkt auf den Magenboden, während
sich in den höheren Partien, so auch
im Antrum pylori wismutfreie Flüssig¬
keit ansammelt ; diese wird aus dem
Magen ausgetrieben, erneuert sich
aber immer wieder — der sichtbare
Mageninhalt wird nur in ganz gerin¬
ger Menge entleert, er bleibt als all¬
mählich abnehmender Beschlag viele
Stunden liegen. Höhergradige Wis¬
mutretention in einem Hakenmagen
mit offenem Pylorus bedeutet also hö¬
hergradige Hypersekretion; da diese
wieder in der Regel durch Magenge¬
schwüre hervorgerufen wird, ist der
Magenrest indirekt symptomatisch für
Magengeschwür — bei den Duodenal¬
geschwüren besteht wohl in gleicher
Weise Hypersekretion, doch trägt hier
die durch die Hypertonie bewirkte
Kontraktionsstellung des Magens und
der Umstand, dass diese Geschwüre
bei Männern mit schrägem Magen
häufig Vorkommen, dazu bei, dass
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23
beim Ulcus duodeni Sechsstunden¬
reste häufig fehlen oder nur als zarte
Beläge des kaudalen Poles sichtbar
werden. Bei langen Hakenmägen geht
aber auch das Ulcus duodeni nicht sel¬
ten mit mittelgrossen Sechsstunden¬
resten trotz schneller Anfangsentlee¬
rung einher. Experimentelle Versu¬
che von E g a n- und Uran o-Papave¬
rin etc. haben die Aufnahmen H.’s be¬
stätigt.
H ä n i s c h fragt, ob in solchen Fäl-.
len — bei Hypersekretion — die Pe¬
ristaltik herabgesetzt ist, während bei
Pylorospasmus die Peristaltik erhöht
ist. Dies ist ein differentialdiagnosti-
sches Merkmal.
Grödel: Wenn bei einem Holz-
kncchtmagen dauernde Duodenum¬
füllung besteht, so handelt es sich um
funktionelle Insuffizienz, während
beim Hakenmagen der Brei zurückge¬
halten wird.
H a u d e k bemerkt im Schlusswort,
dass tiefe, peristalitische Wellen bei
gedehntem Magen für Pylorostenose
typisch sind. Aber sie treten auch erst
nach Ausheberung hervor.
G. Schwarz (Wien): Das Azi-
dotest-Kapselverfahren. Als Ersatz
für die Ausheberung dient das Azido-
testverfahren. Mit Kontrastpulver ge¬
füllte Gelatinekapsel, die an einem mit
Kongorot gefärbten Zwirnsfaden hän¬
gen, werden geschluckt, ihre Lage im
Magen mittelst der Durchleuchtung
kontrolliert, das freie Fadenende wird
im Munde behalten. Nach 10 Minuten
ist die Kapsel gelöst und der Faden
wird herausgezogen. Die Farbreak¬
tion des Fadens gibt den Säuregehalt
an.
Lehmann (Rostock): Demon¬
stration eines Falles von Trichobezoar
des Magens im Röntgenbild bei einem
15jährigen Mädchen. Der Fremdkör¬
per, der einen vollständigen Ausguss
des Magens darstellte, zeigte im Rönt¬
genbild eine fleckige Aussparung, die
mit dem Magen verschieblich war.
Der exstirpierte Tumor wog 350 g.
Dazu demonstriert H a u d e k einen
gleichen Fall. Hier liess sich der Tu¬
mor in die Magenblase hinaufheben,
ragte aber auch ohnedies in die Ma¬
genblase hinein.
Levy-Dorn und Ziegler
(Berlin): Zur Charakteristik der rönt¬
genologischen Magensymptome auf
Grund zahlreicher autoptischer Be¬
funde. Vortr. berichten über 96 Fälle,
bei denen die klinischen und röntgeno¬
logischen Befunde durch Operation
oder Sektion, zum Teil durch beide
kontrolliert wurden. Die Operation
erwies sich als kein sicheres Kontroll-
mittel, denn ihr Ergebnis stimmte
fünfmal mit der Sektion nicht überein.
Besondere Beachtung wurde der Fra¬
ge geschenkt, wie weit sich aus der
Magenform, soweit ein einzelnes
Röntgenbild darüber Auskunft gibt,
sichere Schlüsse ziehen lassen. Kaum
ein Symptom war eindeutig, sodass
die Notwendigkeit besteht, erst nach
Heranziehen verschiedener röntgeno¬
logischer Methoden, wie der Schirm¬
untersuchung, Serienaufnahmen, un¬
ter Berücksichtigung der klinischen
Ergebnisse ein Urteil zu fällen. Die
vergleichenden Untersuchungen zeig¬
ten u. a., dass starke Verwachsungen
des Magens einerseits der Röntgen¬
untersuchung entgehen können, an¬
drerseits sich geringfügige unter ge¬
wissen Umständen verraten. Dassel¬
be gilt für Tumoren. Die Restfigur ist
bei Tumor oft geteilt. Adhäsionen
entgehen oft dem Nachweis, auch die
an der vorderen Bauchwand. Der Py-
lorus tritt bei Hebung des Magens,
Baucheinziehen nach rechts. Bei Ad¬
häsionen des Pylorus kann diese
Rechtsbewegung sehr gross sein, bis
über 4 cm. Es werden einige neue,
diagnostisch wichtige Details mitge¬
teilt. In der Diskussion hierzu rät
auch Holzknecht zur Vorsicht in-
bezug auf Annahme von Adhäsionen.
Bei Mägen, die mit der Gallenblase
verwachsen sind, kann man nur dann
über einen positiven Befund reden,
wenn Ptose mit Hängebauch vorhan¬
den ist und dann der Pylorus hoch
und quer gelegen ist.
H o 1 i t z s c h (Budapest): Rönt¬
genbefund bei Ulcus ventriculi et Ul¬
cus duodeni. Vortr. demonstriert zwei
Fälle von Ulcus ventriculi et Ulcus
duodeni, die durch die Operation be¬
stätigt werden. In beiden Fällen wa-
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
ren die klinischen Symptome an sich
ungenügend und erst auf Grund des
radiologischen Befundes konnte vor
der Operation die Multiplizität und
die heterogene Plazierung der Ulzera
bestimmt werden. Projektion. In der
Diskussion hierzu teilt Schütze
(Berlin) einen einschlägigen Fall mit.
Menzer (Bochum) meint, dass es
sich in solchen Fällen häufig um Lues
handle, daher solle man Wassermann¬
reaktion anstellen. H a u d e k (Wien) :
Hunderte von mikroskopischen Ulze¬
ra, die röntgenologische Erscheinun¬
gen machen, könnten vom Chirurgen
nicht gefunden werden. Er weist auf
die Fehlerquellen hin, die auf Periduo-
denitis und Veränderungen der Pan¬
kreasfunktion beruhten.
(Fortsetzung folgt.)
23. Versammlung der Deutschen otologischen
Gesellschaft.*
Kiel, 28. und 29. Mai 1914.
A. P a y s e r (Berlin): Ueber die
Gewerbekrankheiten des Ohres. Die
Kommission der deutschen otologi¬
schen Gesellschaft, bestehend aus den
Herren Wittmaack, Voss und
Peyser, wird auf dem III. Interna¬
tionalen Kongress für Gewerbekrank¬
heiten, September 1914, in Wien, über
diesen Gegenstand berichten, und
zwar W. über pathologische Anatomie.
V. über Klinik, P. über Morbiditäts¬
statistik, Sozialhygiene, Sozialver¬
sicherung. Das Material stammt
ausser aus eigenen Beobachtungen aus
Umfragebeantwortung. Die Morbidi¬
tätsstatistik ist bisher unvollkommen.
Die Häufung von Ohrenleiden in ge¬
wissen Betrieben ist erweislich, ihr
wahrer L T mfang nicht. Die Anfangs¬
fälle entziehen sich der Beobachtung,
die Statistiken der poliklinischen In¬
stitute registrieren die Professionsfälle
nicht einwandfrei. Da die Anfangs¬
stadien heilbar sind, müssen die Pa¬
tienten durch Merkblätter zur Aufsu¬
chung ärztlicher Hilfe veranlasst wer¬
den. So werden sie auch statistisch
erfassbar.
Was die Sozialhygiene betrifft, so
sind gewisse Betriebe, wie Bauarbei¬
ter, durch Ministerialerlässe vor gro¬
ben Schädigungen besser geschützt,
andere, besonders die lärmgefährdeten
Eisenindustriearbeiter, Weber etc. da¬
gegen nicht. Die Schallschädigungen
bei diesen und im Eisenbahnbetrieb
sind teils studiert, teils bedürfen sie
noch genauen wissenschaftlichen Stu¬
diums. Vor allem die Frage, welche
Einzelkomponenten besonders schädi¬
gen, ob Luftschall, Resonanz, Boden¬
schall. Dann, ob geschädigtes Mittel¬
ohr bezw. welche Schädigungen nach
Art, Entstehungszeit, Sitz schützend
oder prädisponierend wirken. Schliess¬
lich, welche Rolle die Konstitution
spielt.
Nach eingehender Prüfung der Mög¬
lichkeiten, welche Gewebeordnung
und Reichsversicherungsordnung zur
Vorbeugung und zum Schutz, sowie
zur Entschädigung bieten, entwickelt
P. ein in allen Einzelheiten ausgear¬
beitetes „System eines künstlichen
Schutzes des Gehörorganes“, das zu
seiner völligen Durchführung zwar ei¬
ne wesentliche Verbesserung und Ver¬
tiefung der statistischen und wissen¬
schaftlichen Unterlagen zur Voraus¬
setzung hat, von dem aber Einzelhei¬
ten schon jetzt anwendbar sind, wie
Schalldämpfung, Betriebsregelung,
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
25
Aufklärung über Heilbarkeit im Be¬
ginne etc. und das in der Forderung
einer „Liste der Lärmbetriebe“ gipfelt.
Diese hätten Aufnahme- und Kontroll-
untersuchungen durch Ohrenärzte ein¬
zuführen.
W. Brock (Erlangen): Demon¬
stration von Schnitten durch Pauken¬
höhle und Warzenteil von drei Felsen¬
beinen mit Tubenabschluss. Sämtli¬
che Mittelohrräume sind mehr oder
weniger mit schleimig-serösem Sekret
ausgefüllt, ohne dass an der Schleim¬
haut Entzündungserscheinungen nach¬
zuweisen wären. Dieser Befund
spricht dafür, dass die bei Tubenab¬
schluss sowohl im Hauptraum als
auch in Zellen zu beobachtende Se¬
kretansammlung das Produkt eines
Hydrops ex vacuo ist und dass infek¬
tiöse entzündliche Prozesse keine Rol¬
le spielen.
Karl Beck (Heidelberg): Ueber
Mittelohrveränderungen nach experi¬
menteller Läsion der knorpeligen Tu¬
be. B. versuchte, den chronischen
Mittelohrkatarrh des Menschen zu
operieren. Er lädierte bei Hunden den
knorpeligen Teil der Tube. Nach ver¬
schiedenen Zeiten wurden die Hunde
getötet. Es fanden sich 1. serös¬
schleimiger Inhalt der Mittelohrräu¬
me, der sich als steril erwies; 2. ent¬
zündliche Veränderungen in der
Schleimhaut: 3. enorme Knochenneu¬
bildung in der Bulla B. hält die Flüs¬
sigkeit für ein Exsudat, und zwar als
ein Produkt des Entzündungsprozes¬
ses in der Schleimhaut. Auch handelt
es sich um exquisit entzündliche
Knochenneubildung.
Ernst W i n c k 1 e r (Bremen) : Zur
Infektion der Mittelohrräume. Die
Rolle, welche von vielen namhaften
Autoren seit 1907 dem Streptococcus
mucosus bei den eigenartig verlaufen¬
den Komplikationen akuter Mittelohr¬
infektionen zugeschrieben wird,
scheint sich nur auf Beobachtungen in
bestimmten Gegenden zu beschrän¬
ken. Der gleiche Ablauf, wie bei einer
Infektion mit Streptococcus mucosus
—Ausheilung einer mit und ohne
Warzenfortsatzerscheinungen auftre-
tenden akuten Otitis und dann plötz¬
liches Einsetzen schwerer Erschein¬
ungen ist viel häufiger bei Streptococ¬
cus lanceolatus und Streptococcus lon-
gus festzustellen. Die Annahme, dass
die ideal pneumatisierten Warzenfort¬
sätze nur von Infektionen mit Strepto¬
coccus mucosus befallen werden, ist
nicht zutreffend. Die ausgebildete
Pneumatisation der Mittelohrräume
und Adnexe kann bei allen akuten In¬
fektionen — besonders denen mit
Streptococcus longus — zu tief gehen¬
den Knochenerkrankungen und Zer¬
störungen führen. Sie ist (wie W. be¬
reits 1907 betont hat) bei vorhandenen
Symptomen einer Mastoiditis stets als
eine bedenkliche anatomische Kompli¬
kation zu betrachten. Wo es irgend
angängig ist, sollte frühzeitig bei
schweren Otitiden durch Röntgenauf¬
nahmen die vorliegende anatomische
Struktur ermittelt werden. Eine ein¬
mal festgestellte Verdunklung der
Zellen eines Warzenfortsatzes mit
ausgedehnter Zellenentwicklung bleibt
bestehen und hellt sich nie auf, auch
wenn Jahre hindurch das Ohr geheilt
bleibt. Erklärlich ist die bleibende
Verdunklung durch die bekannten Re¬
parationsvorgänge. Andrerseits kön¬
nen Oedeme und Schmerzen zurück¬
gehen, die Sekretionen aus dem Mit¬
telohr versiegen und doch in der Tiefe
des Warzenfortsatzes Herde Zurück¬
bleiben, die plötzlich zu schweren Zu¬
ständen führen. Bei jeder ausgedehn¬
ten Pneumatisation und jeder Ver¬
dunklung eines derartigen Warzen¬
fortsatzes ist auch nach Ablauf der
Otitis eine Beobachtung des Patienten
für längere Zeit erforderlich. Dazu
nötigt nicht allein die Infektion mit
Streptococcus mucosus. Im Gegen¬
satz zu dieser Infektion, die mit kap¬
sellosen Kokken als ungefährlich zu
betrachten, lässt sich nicht verallge¬
meinern.
O. Beck (Wien): Meningitis sup¬
purativa, Extraduralabszess der hinte¬
ren Schädelgrube nach eitriger Ton¬
sillitis. Bericht über ein 7jähriges
Kind, bei dem aus scheinbar bester
Gesundheit plötzlich unter schweren
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meningealen Symptomen eine Läh¬
mung des Trigeminus, Abduzens, Fa-
zialis, Kochlearis und Vestibularis
auftraten. Hohes Fieber. Ausser die¬
sen auf einen basalen Prozess in der
linken hinteren Schädelgrube hindeu¬
tenden Symptomen war der übrige
Nervenbefund vollkommen negativ.
In Differentialdiagnose kam eine Po¬
lyneuritis cerebralis menieriformis
(F rankl-Hochwart) auf rheu¬
matischer Basis, ferner jene Art der
H e i n e - M e d i n’schen Erkrankung,
die vorwiegend mit zerebralen Er¬
scheinungen einhergeht. Und schliess¬
lich musste man auch an eine begin¬
nende tuberkulöse Meningitis denken.
Die Lumbalflüssigkeit stand unter
normalem Druck, war klar, im Zentri-
fugat fanden sich spärlich Lymphozy¬
ten und keine Bakterien. Ohne dass
sich am Krankheitsbild etwas geän¬
dert hätte, starb das Kind am 14.
Krankheitstag. Die im moribunden
Zustand ausgeführte Lumbalpunktion
ergab polynukleäre Leukozyten und
massenhaft Streptokokken. Bei der
Obduktion fand sich linkerseits eine
eitrige Tonsillitis, von dieser ausge¬
hend ein retro-suprapharyngealer Ab¬
szess. der an der Schädelbasis den
Knochen seiner ganzen Dicke nach
eingeschmolzen und einen Extradural¬
abszess in der linken hinteren Schädel¬
grube bewirkt hatte. Der Knochen¬
defekt ist durch Einschmelzung eines
Teiles des Os occipitale, sphenoidale
und petrosum entstanden. Eitrige
Meningitis in der Cysterna chiasmatica
und cerebellomedullaris. — Merkwür¬
dig ist an diesem Falle vor allem der
völlig symptomlose Verlauf des retro-
suprapharyngealen Abszesses, der
erst klinische Symptome verursachte,
als er gegen die Schädelbasis durchge¬
brochen war.
E. R u 11 i n (Wien): Ueber Kom¬
pensation des Drehnystagmus. Bei
Normalen sind die Zahlen des Nach¬
nystagmus nach Drehung: bei auf¬
rechtem Kopf 15—30" (horizontaler
Nystagmus), bei vorgeneigtem Kopf
10—12" (rotatorischer Nystagmus);
bei einseitig Labyrinthlosen: bei auf¬
rechtem Kopf. Bei Drehung nach der
gesunden Seite 3—5". Bei Drehung
nach der labyrinthlosen Seite 15—30".
Bei seitlich geneigtem Kopf erhält
man sowohl bei normalen als einseitig
labyrinthlosen die gleichen Zahlen. Dre¬
hung und Neigung des Kopfes gleich¬
sinnig gibt Abwärtsnystagmus. Dauer
6—10". Drehung und Neigung un¬
gleichsinnig ergibt Aufwärtsnystag¬
mus. Dauer 5—8". Die Drehnystag¬
mus ist bei einem Verhältnis der Zah¬
len: nach der einen Seite 3—5", nach
der anderen 15—30" für die Diagnose
der einseitigen Labyrinthlosigkeit zu
verwerten. Wenn aber die Labyrinth¬
zerstörung lange besteht und insbe¬
sondere, wenn die Zerstörung eine
sehr vollkommene ist, tritt ein Phäno¬
men ein, das R. als Kompensation be¬
zeichnet hat. Dieses Phänomen ist
das Gleichwerden des Drehnystagmus
für beide Seiten. Man bekommt dann
bei Drehung nach der gesunden und
labyrinthlosen Seite Zahlen von 10 bis
12". Die Kompensation tritt vorwie¬
gend bei drei Gruppen ein: 1. bei bin¬
degewebiger Ausheilung; 2. bei knö¬
cherner Ausheilung; 3. bei Sequestra¬
tion. Praktisch ist daher die Kompen¬
sation folgendermassen verwertbar:
Wenn ein Fall von entzündlicher La¬
byrintherkrankung taub, kalorisch un-
. erregbar ist, kein Fistelsymptom hat
und das Phänomen der Kompensation
zeigt, so handelt es sich also wahr¬
scheinlich um ein ausgeheiltes oder ein
sequestriertes Labyrinth. Man wird
daher in diesen Fällen zunächst die
Radikaloperation machen. Findet man
Zeichen von Ausheilung (Verknöche¬
rungen an der Labyrinth wand), so
wird man sich mit der Radikalopera¬
tion begnügen; findet man Zeichen
von Sequestration, so wird man die
Labyrinthoperation anschliessen.
Beyer: Beiträge zum Barany-
schen Zeigeversuch. Vortr. berichtet
über Erfahrungen mit dem Baräny-
schen Reationszeigen. Bei Labyrinth¬
erkrankungen ist auffallend, im Ge¬
gensatz zum doppelseitigen Reaktions¬
zeigen bei künstlicher Labyrinthrei¬
zung, das häufig beobachtete einseiti¬
ge Vorbeizeigen des Armes der kran¬
ken Seite in allen oder einzelnen ver¬
schiedenen Ebenen. Das Gleiche fand
sich auch bei Meniereerkrankung, hier
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
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bemerkenswerterweise kombiniert mit
atypischer Fallrichtung zur kranken
Seite, Erscheinungen, die mehr für
eine zentrale wie für eine Labyrinth¬
erkrankung sprechen. Die überra¬
schendsten und einander widerspre¬
chenden Bilder inbetreff des Ausfalls
der Z. R. Hessen sich bei Hysterie fest¬
stellen. Auch bei der Lues waren die
Befunde zunächst schwer zu deuten,
erschienen dann aber erklärlicher von
dem Gesichtspunkte aus, dass es sich
dabei viel häufiger um meningitische
Prozesse wie um reine Neurorezidive
handeln müsse. Besonders auffallend
und für diese Annahme sprechend war
der häufig zu beobachtende Ausfall
jeglicher Reaktion trotz erhaltener Er¬
regbarkeit der Vestibuläres. Bei me-
ningischen Prozessen Hess sich dann
ferner ein häufiger Wechsel in der Art
des R. Z. nachweisen und bei einzel¬
nen Tumoren Befunde, die als Druck¬
wirkung aufzufassen wären, keine di¬
rekten Beobachtungen jedoch, die als
Stütze für die Lokalisationstheorie zu
betrachten wären. B. vermag darnach
an dem Ausfall des Reaktionzeigens
bei Labyrintherkrankungen noch kei¬
nen sicheren Schluss für die Diagnose
des Grades oder des Fortschreitens
der Krankheit zu ziehen. Wichtig er¬
scheint dagegen der Ausfall desselben
als Hinweis auf luetische Erkrankung
zu werden.
G ü 11 i c h (Charlotetnburg) de¬
monstriert einen neuen Drehstuhl, der
die sogenannte Optimumeinstellung
der Labyrinthe bei der Drehung be¬
quem ermöglicht. Diese ist bei der
Rechtsdrehung dann vorhanden, wenn
das linke Labyrinth im Drehungsmit¬
telpunkt steht, und umgekehrt bei der
Linksdrehung dann, wenn die Dreh¬
ungssache durch das rechte Labyrinth
verläuft. G. greift auf seine Veröffent¬
lichung im letzten Band der Pas-
teu r’schen Beiträge zurück, demon¬
striert seine sogenannte spontane
Axialeinstellung der Labyrinthe und
zeigt den Unterschied der Intensität
des Nystagmus nach Rechts- und
Linksdrehung bei einem Patienten.
Er ist der Ansicht, dass bei der
Rechtsdrehung nicht nur der Nach¬
nystagmus. sondern auch der eigentli¬
che Drehnystagmus (während der
Drehung) hauptsächlich am linken
Labyrinth innerviert wird. Denn bei
der aktiven Rechtsdrehung leiste die
eigentliche Dreharbeit das linke Bein,
das rechte sei dabei mehr Stütze. Die
Muskulatur des linken Beines werde
von der linken Kleinhirnhemisphäre
innerviert, diese aber stände in einem
besseren nervösen Zusammenhang mit
dem gleichseitigen Vestibularapparat
als mit dem entgegengesetzten. Der
G.’sche Drehstuhl ist so gebaut, dass
der Patient den Oberkörper vollstän¬
dig senkrecht hält, einige Handgriffe
ermöglichen die zentrale Labyrinth¬
einstellung. Der Patient wird mit ei¬
nem breiten Gürtel, der um die Brust
gelegt wird, festgeschnallt. Arm¬
stützen sind nicht vorhanden, damit
die Bäräny'sehen Abweichereaktionen
gut beobachtet werden können. Durch
die zentrale Kopfeinstellung werden
nach G. Otolithenreizungen nach
Möglichkeit vermieden, der Brechreiz
sei infolgedessen auf diesem Stuhl be¬
deutend schwerer auslösbar als auf
den alten Modellen, weil auf diesen
der Kopf des Patienten zu weit ent¬
fernt vom Zentrum wäre und dadurch
mehr zentrifugiert würde. Vortragen¬
der macht auf einige Fehlerquellen
beim Drehnystagmus aufmerksam:
Die ersten Drehungen geben stets den
längsten Nystagmus, man muss die
Patienten zuerst durch einige Drehun¬
gen an den Drehstuhl gewöhnen, viele
Leute sind auf Rechtsdrehung trai¬
niert. Auf dem Drehstuhl kann man
auch die Abweichereaktion während
der Drehung gut beobachten (mit ver¬
längertem B ä r ä n y’schen Blickfixa¬
tor zu untersuchen). Zum Schluss be¬
tont G. die eigenartige Tatsache, dass
die Abweichereaktion in den Armen
bei vielen L T ntersuchten längere Zeit
nach dem Drehen anhalte als der
Nachnystagmus.
Otto Mayer (Wien) demonstriert
die histologischen Präparate von zwei
Schläfenbeinen eines Falles von Oto-
sklerose und eines Schläfenbeines von
Ostitis fibrosa und kommt zu folgen¬
den Schlusssätzen: 1. Die bei der
Otosklerose sich fixierende Knochen¬
veränderung ist keine spezifische Er-
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
krankung der Labyrinthkapsel. 2. Die
Ostitis fibrosa der Labyrinthkapsel
unterscheidet sich in dem untersuch¬
ten Fall von der Ostitis fibrosa der an¬
deren Knochen. Der Unterschied ist
bedingt durch den spezifischen Aufbau
der Labyrinthkapsel. Der scheinbar
spezifische Charakter der Veränderun¬
gen der Labyrinthkapsel beruht wahr¬
scheinlich auf denselben anatomischen
Verhältnissen. Die bei Otosklerose
sich findenden Knochenveränderungen
sind den von M. in dem Falle von
Ostitis fibrosa beschriebenen Verände¬
rungen so ähnlich, dass sie histolo¬
gisch als ein Produkt eines der Ostitis
fibrosa analogen Prozesses aufgefasst
werden müssen. Vortragender teilt
ferner mit, dass in dem Fall von Oto¬
sklerose die Ovarien atrophisch waren
und dass die Hypophyse die von
R ö s s 1 e an Kastratenhypophysen er¬
hobenen Veränderungen zeigte.
Manasse (Strassburg), Demon¬
stration : Ostitis chFonica metaplasti-
ca mit Stapesankylose bei einem 3 l / 2 -
jährigen Kind. M. demonstriert die
Schnitte von den Felsenbeinen eines
3^jährigen Kindes, welches zwar nor¬
mal gehört hatte, aber mikroskopisch
ausgesprochene otosklerotische Kno¬
chenveränderungen an der Prädilek¬
tionsstelle des ovalen Fensters mit
partieller Stapesankylose zeigte. Es
fanden sich in den Herden fast aus¬
schliesslich Neubildungsvorgänge,
sehr wenig Resorptionserscheinungen.
Am interessantesten war die Grenz¬
zone, an welcher in sämtlichen Schnit¬
ten überhaupt keine Osteoklasten zu
finden waren. Ueberall zeigte sich,
dass der alte Knochen lediglich durch
Vordringen der osteoiden Substanz
zum Schwinden gebracht wurde.
Knick (Leipzig) : II. Beitrag zur
Otosklerosefrage. K. demonstriert die
Felsenbeinpräparate eines an Prosta¬
takarzinom verstorbenen Mannes, der
in fast allen Knochen des Skeletts hy-
perostotische Metastasen hatte und an
einer akut aufgetretenen Schwerhörig¬
keit vom Typus der gemischten Form
der Otosklerose litt.
(Fortsetzung folgt.)
Amerikanische balneologische Referate.
Referiert von Dr. von Oefele.
Begriff des Badearztes. — Zur Be¬
schaffung von Material für die baineo¬
logischen Referate ist viele Korrespon¬
denz erforderlich. Es ergibt sich beim
Versuch von Vereinfachungen dieses
Briefwechsels immer wieder das Be¬
streben, die beratenden Aerzte der ein¬
zelnen Badeorte zu erfahren. Es zeig¬
te sich dabei, dass für Amerika der Be¬
griff des europäischen Badearztes noch
völlig fehlt. Im europäischen Bade¬
orte, wenn er auch noch so klein ist,
ist der ansässige Arzt auf Hebung des
Badeverkehrs bedacht. Die Kurfrem¬
den sind der wertvollere Teil seiner
‘Praxis. Die Zeitopfer für die Kur¬
fremden sind allerdings auch gross.
Aber die Einheimischen zahlen auch
niemals so gut wie die Kurfremden.
Im amerikanischen Badeorte ist der
Fremde geneigt, die Benützung der
Quellen für ein Schema zu betrachten,
das man sich möglichst wenig durch
ärztliche Nebenverordnungen verder¬
ben lassen darf. Ich ersehe aus einem
amerikanischen Briefe, dass in einem
Orte ortsbekannt ein Kranker lebt, für
den die örtliche Quelle nach europäi¬
schen Analogien zweckmässig wäre.
Der heimische Arzt hält aber den
Kranken von der Mineralkur ab. Der
Besitzer der Quelle lebt im gleichen
Orte, ist von diesem Zustande persön¬
lich nicht erbaut, aber er findet die
Sache sehr begreiflich. Er teilte mir
•naiv mit, es sei nur ein kleiner Ort mit
vielen Aerzten und geringem Kran¬
kenstände ; das gebräuchliche Honorar
sei ein Dollar. Der behandelnde Arzt
sei darauf angewiesen, den chronisch
Kranken in Behandlung zu behalten.
Sobald der Arzt die Quelle verordnen
würde, hätte er seinen letzten Dollar
erhalten, denn auch in früheren Fällen
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
29
hätten die Patienten die zuträglichste
Art des Quellengebrauches selbst aus¬
probiert. Ich war sehr begierig, zu
erfahren, durch welches schwerbe¬
schaffbare Rezept der Patient immer
wieder in das Sprechzimmer seines
Arztes gezwungen wurde. Man höre
und staune! Es handelte sich um ei¬
nen Diabetiker, dem der behandelnde
Arzt schon lange kein Medikament
mehr aufschrieb, sondern der sich im¬
mer wieder für einen neuen Dollar
Buttermilch verordnen Hess. Aber bei
Verordnung der Mineralquelle soll
obige Gefahr bestanden haben. Es be¬
weist diese Mitteilung wiederum jene
Unterströmung im amerikanischen
Volksbewusstsein, die ich auch ander¬
weitig schon beobachtet habe. Mine¬
ralwasserkuren werden als Teile einer
Volksmedizin aus alten Indianerüber¬
lieferungen betrachtet. Man glaubt
sie darum im Widerspruch mit der
ordnungsmässigen Heilkunde. Der
amerikanische Arzt am Orte einer Mi¬
neralquelle will darum garnicht ein
Badearzt werden. Er fürchtet, sich
finanziell und im allgemeinen Ansehen
zu schädigen. Der europäische Bade¬
arzt hält es für eine geschäftsmänni-
sche Pflicht, über sein Bad jede ge¬
wünschte Auskunft zu erteilen. Der
Anfragende fühlt sich dafür kaum zu
besonderem Dank verpflichtet. Denn
man betrachtet im allgemeinen die
Antwort nur als eine Geschäftsaus¬
kunft im Interesse möglicher zukünf¬
tiger Geschäfte. Die Auskunft eines
amerikanischen Arztes in einem Orte
mit Mineralquellen wird als Gefällig¬
keit vom Kollegen zum Kollegen an¬
gesehen. Der Fragende scheint hier
eine Dankesschuld auf sich zu nehmen.
In Europa lässt die Badeverwaltung,
aber auch jeder Logierwirt Reklame¬
bücher drucken und versendet sie un¬
entgeltlich. Schon diese Schriften
werden unter Beirat und mehrfacher
Revision verschiedener ortsansässiger
Aerzte abgefasst. Sie gelten aber im¬
merhin noch für zu laienhaft. Darum
legt jeder Arzt eines europäischen Ba¬
deortes seine Ansichten über seinen
Wohnort noch in einem besonderen
kleinen Buche nieder, das er an Kol¬
legen versendet. Die Literatur aus
ärztlichen Federn ist darum in Euro¬
pa in jedem einzelnen Badeorte ins
Ungemessene gewachsen. Umgekehrt
ist es in Amerika fast allgemeine Re¬
gel, dass über den einzelnen Badeort
keine gedruckten Auslassungen der
ansässigen Aerzte vorhanden sind. Es
besteht eine Scheu, sich als Badearzt
der örtlichen Quelle und als ihr öffent¬
licher Anpreiser in bestimmten Er¬
krankungsfällen ansehen zu lassen.
Für eine erfolgreiche amerikanische
Balneologie ist es nötig, dass die Ba¬
deärzte, wie es solche z. B. in Arkan¬
sas Hot Springs ausnahmsweise gibt,
nicht die Ausnahme sind, sondern dass
sie zur durchschnittlichen Regel im
Badeorte werden. Wo sich solche
Kollegen in Wort und Schrift an die
Hausärzte wenden, erzwingt die Natur
der Sache eine aufrichtige, wahrheits-
gemässe Darlegung. Lügen in Bade-
brochiiren verraten sich rasch selbst
und haben nur kurze Beine. Gesun¬
dung und gedeihliche Fortentwicklung
der reichlichen und wertvollen ameri¬
kanischen Mineralquellen erfordern
das Erstehen genügender Zahl publi¬
zistisch geschulter und tätiger Bade¬
ärzte.
Therapeutische und klinische Notizen.
— Behandlung der Appendicitis mit Ich -
thalbin. Dr. G. B e 1 d a u, Riga, hatte viel¬
fach Gelegenheit, sich zu überzeugen, dass
durch eine systematisch durchgeführte Ich-
thalbinbehandlung viele nach gebräuchlichen
Begriffen operationsbedürftige Fälle von Ap-
pendicitis endgültig heilbar sind. Es handelt
sich nicht nur um die Erkrankungsformen
mit vagen, unbestimmten Symptomen und
zweifelhafter Diagnose, sondern auch um
konkrete Perityphlitiden mit fieberhaftem
Verlauf, charakteristischer Druckempfind¬
lichkeit und palpabler Geschwulst.
Da das Ichthalbin in sauren Medien unlös¬
lich ist, so passiert es bei normalen Sekre¬
tionsverhältnissen den Magen unverändert.
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
Erst im alkalischen Darmsaft spaltet es sich
in seine Komponenten, wobei therapeutisch
unwesentliches Eiweiss und Ichthyol in statu
nascendi frei werden. Letzteres ist ein Darm-
desinfiziens in weitestem Sinne des Wortes.
Hartnäckige Kinderdiarrhöen, Enteritiden
Erwachsener sowie enterale Gärungsprozesse
verschiedenster Provenienz gehen unter Ich-
thalbingebrauch verhältnismässig bald in Hei¬
lung über. Um mit Sicherheit einer vorzei¬
tigen Spaltung des Mittels im Magen yorzu-
beugen, ist es zweckmässig, das Ichthalbin
stets zusammen mit Salzsäure * zu ver¬
ordnen.
Bei akuter Appendicitis verabfolgt man
von Ichthalbin viermal täglich je eine tüch¬
tige Tischmesserspitze voll unmittelbar vor
den Mahlzeiten mit sechs Tropfen verdünn¬
ter Salzsäure in 54 Glas Wasser. Nach Ab¬
flauen des akuten Anfalls lässt man es drei¬
mal täglich etwa 6 bis 8 Wochen, nötigenfalls
noch länger, weiter gebrauchen. Da durch
Lähmung der Peristaltik das Heranrücken
des Ichthalbins an den Krankheitsherd Ein¬
busse erleiden würde, so empfiehlt es sich,
solange der Schmerz erträglich ist, Opiate zu
vermeiden. In der Mehrzahl der Fälle er¬
weist sich das Ichthalbin selbst als schmerz¬
lindernd.
Ohne die Vorteile einer operativen Behand¬
lung der Appendicitis zu verkennen, weist B.
auf den Wert der Ichthalbinmedikation hin,
da es häufig genug vorkommt, dass eine Ope¬
ration aus irgendwelchen Gründen nicht aus¬
führbar ist oder der Kranke sich nicht ein¬
verstanden damit erklärt. Besonders über¬
zeugende Resultate ergibt die Ichthalbinbe-
handlung bei den periodisch rezidivierenden
Formen, bei welchen auch in der anfallsfreien
Zeit geringe subjektive Beschwerden bestehen
bleiben. Dass ebensowohl diese Beschwerden
als auch akute Exazerbationen mit dem Be¬
ginne der Ichthalbinbehandlung in der Regel
ausbleiben, kann wohl unmöglich dem blinden
Zufall allein zugeschrieben werden. Es liegt
nichts näher, als die Erklärung dafür in der
bakteriziden und antiphlogistischen Wirkung
des Ichthyols in statu nascendi zu suchen.
Im übrigen ist das Ichthalbin ein harmloses
Präparat. Auch in grösseren als den oben
empfohlenen Dosen erzeugt es keine uner¬
wünschten Nebenerscheinungen. Nur in ganz
vereinzelten Fällen scheint Idiosynkrasie gegen
das Mittel zu bestehen. (M. Kl. 1914 No. 15.)
Preisausschreiben der “Robert Koch-Stiftung zur
Bekämpfung der Tuberkulose.“
Nach Beschluss des Vorstandes vom 16. April d. J. wird eine Preisaufgabe aus¬
geschrieben mit dem Titel: „Die Bedeutung der verschiedenartigen Strahlen (Sonnen-,
Röntgen-, Radium-, Messthorium-) für die Diagnose und Behandlung der .Tuberku¬
lose.“ Die Arbeiten, die in deutscher Sprache abgefasst und mit der Maschine ge¬
schrieben sein müssen, sind bis zum 1. Juli 1915 bei dem Schriftführer der Stiftung,
Herrn Geheimen Sanitätsrat Prof. Doktor Schwalbe (Berlin-Charlottenburg, Schlü¬
terstrasse 53), abzuliefern. Die Arbeit ist mit einem Motto zu versehen. Der Name
des Verfassers ist im geschlossenen Umschlag beizuf-ügen, und auf den Umschlag ist
das Motto der Arbeit zu setzen. Das Preisgericht besteht aus den Herren: Präsident
des Kaiserl. Gesundheitsamtes Wirklicher Geheimer Oberregierungsrat Dr. B u m m
(Berlin), Wirklicher Geheimer Obermedizinalrat Prof. Dr. Gaffky (Hannover),
Ministerialdirektor Wirklicher Geheimer Obermedizinalrat Prof. Dr. Kirchner und
Geheimer Obermedizinalrat Prof. Dr. Löffler (Berlin). Für die beste Arbeit ist
ein Preis von 3000 Mk. angesetzt. Die Arbeit geht nach der Prämiierung in den Besitz
der Robert Koch-Stiftung über. Die Veröffentlichung findet nach Massgabe der Be¬
dingungen statt, die für die gesamten mit den Mitteln der Stiftung ausgeführten Pub¬
likationen gelten: Die Preisarbeit erscheint in den „Veröffentlichungen der Robert
Koch-Stiftung“, während ein von dem Verfasser angefertigter kurzer Auszug in der
„Deutschen medizinischen Wochenschrift“ abgedruckt wird.
Berlin, den 22. Juni 1914.
Der Vorsitzende der Robert Koch-Stiftung zur Bekämpfung der Tuberkulose.
Dr. v. S t u d t, Staatsminister.
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Original fro-m
HARVARD UN1VERSITY
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OfliUllN Orfftn dir
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CMcag» «ad Clevelaad.
Herausgegeben von DR. ALBERT A. RlPPERGER
unter Mitwirkung von Dr. A. Herzfeld, Dr. H. G. Klotz und Dr. von Oefele.
Bd. XXV. New York, Juli und August 1914. Nr. 2 u. 3.
Originalarbeiten.
Behandlung der essentiellen Enuresis nocturna infantilis.*
Von Dr. Philippart.
Prognose. Die nächtliche Harnin¬
kontinenz der Kinder heilt, wiewohl
dieselbe im allgemeinen eine günstige
Prognose stellen lässt, nicht immer
von selbst, wie man gewöhnlich
glaubt. Man beobachtet, dass das
Leiden häufig bis zum 30. bis 35. Le¬
bensjahre anhält und für die damit be¬
hafteten Individuen zur grössten Pla¬
ge wird. Wenn es auch, wiewohl sel¬
ten, hartnäckige Fälle nächtlicher In¬
kontinenz gibt, die jeder Behandlung
trotzen, so weicht dennoch die grösste
Anzahl solcher Fälle einer sorgfältig
und genau durchgeführten Therapie.
Hat man es mit einer hartnäckigen
Inkontinenz zu tun, muss man an eine
nicht essentielle, sondern symptomati¬
sche Inkontinenz denken, sei es als
Folge einer Läsion, sei es aus fehler¬
hafter Entwicklung hervorgegangen,
deshalb muss jede Inkontinenz auf-
* „Gaz. med. de Paris", 14. Mai 1914. —
Allg. Wien. med. Ztg. 1914 Nr. 25.
merksam nach ihrer Ursache erforscht
werden.
An und für sich ist das Leiden bei
Kindern als kein schweres aufzufas¬
sen, aber es deutet immer auf einen
schlechten Stand des Nervensystems
hin.
In den Formen, die mit Reizbarkeit
der Blase verbunden sind, leiden die
Kinder auch nach ihrer Heilung an
mit Urindrang verbundener Miktion.
Knaben werden in späteren Jahren
von Samenverlusten betroffen und
können aus Anlass der Inkontinenz
oder der Spermatorrhöe Psychopathen
werden, weil diese Affektionen nicht
die Folge der Harnerkrankung selbst
sind, sondern diejenigen eines ur¬
sprünglichen Defektes, der in den er¬
sten Jahren die bedingende Ursache
ihres Gebrechens war und seinen Ein¬
fluss auch später fortsetzt.
Die Prognose ist im allgemeinen
viel günstiger, wenn man es mit einer
Atonie des Sphinkter zu tun hat und
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New Yokkee Medizinische Monatsscheut.
die Kennzeichen der Degenereszenz
nicht zu zahlreich und nicht sehr aus¬
geprägt sind.
Die Form mit Pollakiurie ist jene,
die am öftesten der Behandlung wi¬
dersteht, besonders bei jungen Mäd¬
chen.
Die Prognose wird ernster, wenn
die Inkontinenz nur eine larvierte
Form der Epilepsie oder die larvierte
Form der essentiellen Polyurie ist.
Die Prognose ist trüber, • wenn die
Inkontinenz nach Ablauf des 10. Le¬
bensjahres auftritt, denn da muss man
immer eine Läsion der Nervenzentren
oder eine mitbegleitende Tuberkulose
renalen oder vesikalen Ursprunges be¬
fürchten oder einen Stein.
Behandlung. Gegen das nächtliche
Bettnässen sind vielfache Behand¬
lungsmethoden empfohlen worden.
Wir werden die wichtigsten aufzählen
und auf jene Nachdruck legen, welche
die besten Erfolge lieferten.
Kinder, die an essentieller Inkonti¬
nenz leiden, sind gewöhnlich schwäch¬
lich, man muss also vor allem anderen,
bevor man das Leiden selbst in Be¬
handlung zieht, ein allgemeines toni-
sierendes Verfahren einleiten.
I. Allgemeine Behandlung.
Man muss die kleinen Patienten
stärken, man reicht ihnen China Kola¬
nuss, Arsenik in Form Fowler’scher
Solution in Verbindung mit Eisenprä¬
paraten. Zeigt das Kind Zeichen thy-
reoidaler Insuffizienz, so leite man die
geeignete Behandlung ein. Mit dieser
Behandlung verbinde man Land¬
aufenthalt, Duschen, Elektrizität, Mas¬
sage, Bäder. Apathische befinden sich
im Sommer am Meeresstrande wohl.
Jene Kinder, die eine gesteigerte ner¬
vöse Erregung aufweisen, schicke man
aufs Land. Man vermeide bei solchen
Kindern jede körperliche und geistige
Anstrengung. Bei der Ernährung ent¬
halte man die Kinder von viel Fleisch
und vermeide auch zu stickstoffreiche
Nahrung, welche den Urin stark sauer
macht. Gemüse, Eier und Milchspeisen
bilden die Grundlage der Nahrung.
Die Kranken sollen am Abend we¬
nig essen und nur soviel trinken, als
sie unumgänglich nötig haben; man
verbiete Kaffee und Tee, weil diese
Getränke im allgemeinen stimulierend
auf die medulläre Erregungsfähigkeit
wirken. Man bediene sich vielmehr
beruhigender Mittel, wie Chlöral,
Brom in kleinen Dosen. Man muss
Kindern das Getränk nicht ganz ent¬
ziehen, denn die Verminderung der
eingeführten Flüssigkeit kann die
Quantität des während der Nacht se-
zernierten Harns herabsetzen, ohne
die Symptome der Inkontinenz selbst
zu beeinflussen.
Die Darmfunktion soll eine geregel¬
te sein; Konstipation kann eine Kon¬
gestion der Organe im kleinen Becken
herbeiführen, sie muss also bekämpft
werden.
Die an Inkontinenz leidenden Kin¬
der dürfen sich nicht unmittelbar nach
der letzten Mahlzeit niederlegen, man
lasse vielmehr den Nieren nach dem
Abendessen die nötige Zeit zu ihrer
Funktion und man empfehle den Kin¬
dern, bevor sie sich zum Schlafe
rüsten, zu urinieren. Das Lager sei
hart, die Kranken werden sich ge¬
wöhnen müssen, auf der Seite zu lie¬
gen, um so viel als möglich Konge¬
stion des Plexus venosus des Beckens
zu vermeiden.
Man wache darüber, dass die Respi¬
ration frei und der Kopf ein wenig
hoch gelagert sei und dass die Kinder
denselben nicht unter das Bettuch le¬
gen ; die Kinder dürfen auch nicht zu
viel zugedeckt sein, aber ebensowenig
darf man sie sich erkälten lassen, beson¬
ders die Füsse sollen warm- gehalten
werden.
II. Eigentliche Behandlung der Inkon¬
tinenz selbst.
Wir unterscheiden hier:
1. Psychische Mittel: (a) Sug¬
gestion; (b) korrektive Mittel; (c) Be-
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New Yokker Medizinische Monatsschrift.
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handlang durch Gemütsbewegung.
2. Die Unterweisung in der Funk¬
tion.
3. Interne Behandlung.
4. Aeusserliche Behandlung, wo man
in der Weise wirkt: (a) dass alle Ur¬
sachen des Reflexes ausgeschaltet
werden; (b) dass man auf das Ner¬
vensystem des Ham- und Genital¬
apparates einwirkt; (c) durch Einwir¬
kung auf die Sphinkteren.
1. Psychische Mittel: (a) Sug¬
gestion. Es ist angezeigt, die Sug¬
gestion zu versuchen, entweder im
wachen Zustande oder im natürlichen
oder künstlich herbeigeführten Schla¬
fe. Die Suggestion im wachen Zu¬
stande oder im natürlichen Schlafe
wirkt in der Art, dass sie die Kinder
zwingt, ihre Aufmerksamkeit auf die
Funktion der Sphinkteren zu richten.
Diese Suggestion wirkt auf die polla-
kiurische Form: Die Kranken lernen,
sich bei Tag zurückzuhalten und kön¬
nen bei Nacht während des Schlafes
mehr Widerstand leisten.
Die hypnotische Suggestion wende
man ausschliesslich nur dann an, wenn
man fest überzeugt ist, dass man es
mit einem hysterischen Individuum zu
tun hat, denn sie kann erst recht zur
Hysterie führen und recht traurige
Konsequenzen haben.
(b) Korrektive Mittel. Auf diese
Art der Behandlung braucht man kein
grosses Gewicht zu legen; am wenig¬
sten dann, wenn der Kranke nicht aus
Faulheit nicht uriniert. Bei reizbaren
Individuen dienen Strafen nur dazu,
sie noch reizbarer zu machen und kön¬
nen die Krankheit durch Autosug¬
gestion nur noch verschlimmern.
(c) Die Behandlung durch Gemüts¬
bewegung ist auch ein zweischneidi¬
ges Schwert. Wenn manchmal Dro¬
hungen auch zur Heilung führen, so
sieht man auch manchmal als veran¬
lassende Ursache des Beginnes der In¬
kontinenz einen Schrecken oder eine
lebhafte Erregung.
2. Erziehliche Anweisung der Funk¬
tion. Während des Tages ist der klei¬
ne Patient daran zu gewöhnen, den
Harn so lange als möglich zurückzu¬
halten und ihn aufzufordern, der er¬
sten Anregung der Blase nicht zu fol¬
gen.
Die Autoren raten, eine Einspritz¬
ung von warmer Borlösung in die
Blase zu machen und dem Kranken zu
sagen, er möge die Flüssigkeit mög¬
lichst lang in der Blase zurückhal¬
ten.
Man muss dem Kranken lehren,
seinen Sphinkter zu kontrahieren, in¬
dem man ihm befiehlt, ein- oder zwei¬
mal im Tage die Urinentleerung zu
unterbrechen, doch dürfen diese
Uebungen nicht zu oft gemacht wer¬
den, da sie bei Prädisponierten einen
Spasmus der Urethra veranlassen
könnten.
Während der Nacht ist es angezeigt,
den Kranken ein- bis zweimal aufzu¬
wecken, und zwar muss dies in voll¬
kommener Weise geschehen; der
Kranke muss wissen, was er tut. Dr.
G e n o u v i 11 e hat ein originelles
Mittel vorgeschlagen, um den Kran¬
ken in dem Moment, wo er uriniert,
aufzuwecken, das vom Standpunkte
der erziehlichen Anweisung der Funk¬
tion von grosser Bedeutung ist. Sein
kleiner Apparat besteht aus zwei me¬
tallischen Armen, die durch hydro¬
phile Watte von einander getrennt
sind; dieselben sind zu einem zwei
Leclanche - Elemente umfassenden
System und einem Läutewerk ver¬
einigt.
Sobald der Urin bei Beginn der
Miktion die Watte benässt, entwickelt
sich der Strom, das Läutewerk kommt
in Gang und das Kind erwacht. Wir
haben uns dieses Apparates in zwei
Fällen bedient und denselben bei Be¬
handlung der Inkontinenz als zweck¬
mässig befunden. Dieses Verfahren
wirkt anfangs durch Suggestion in der
Tat, das Kind hat seine Gedanken auf
den Apparat, gerichtet, denn es fürch¬
tet das plötzliche Erwecken, das, wenn
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
das Kind im Schlafe uriniert, zustande
kommt; sein Schlaf wird also gegen
alle Gewohnheit weniger tief sein; in
der Folge tritt das Erwachen in dem
Momente ein, in dem die unwillkürliche
Miktion beginnt, sie wird also sozu¬
sagen eine physiologische, was, wie
wir bereits erwähnt haben, von
grossem Vorteil ist, um die Blase in
ihrer Funktion zu erziehen; ja noch
mehr, wenn der Kranke nicht spontan
erwacht, so kann jemand, der mit ihm
im selben Lokal schläft, ihn sogleich
aufwecken.
Interne Behandlung. Dieselbe ist
verschieden, je nachdem man es mit
der atonischen Form oder jener mit
Reizbarkeit der Blase zu tun hat.
(a) Bei der atonischen Form verord¬
net Trousseau Strychnin in Form
eines Sirups. Strychninum sulfuricum
0.05 auf 100 g Sirup für Kinder im Al¬
ter von 5 bis 10 Jahren, einen Kaffee¬
löffel früh und abends, zwei Tage hin¬
durch ; dann zwei Tage Unterbrech¬
ung, um Akkumulation zu vermeiden,
sodann nehme man die Medikation
wieder auf und gebe jeden Tag einen
Kaffeelöffel mehr bis zu sechs Kaffee¬
löffeln im Tag. Diese Behandlung hat
einen sehr guten Erfolg bei einem
neunjährigen Mädchen geliefert, bei
dem wir den Apparat von Dr. G e -
n o u v i 1 1 e nicht angewendet ha¬
ben.
Man hat Tinct. Rhois aromat., fünf
Tropfen früh und abends für Kinder
von zwei bis fünf Jahren angewendet
und 20 Tropfen für Kinder über 10
Jahre. Auch die Grimeaud’schen Pil¬
len: Limatura fer'r. 2.50, Ergotin. 0.30,
Sacch. q. s. ut. f. pil. 10 waren einst
sehr im Gebrauch Man gab davon
sechs Pillen täglich.
(b) Bei der Form mit Blasenreizung
muss man antispasmodischen Mitteln
den Vorzug geben. Belladonna oder
deren Alkaloid Atropin werden hier
angewendet. Man verordnet am
Abend beim Niederlegen für einen
Adoleszenten eine Pille, enthaltend
1 cg von Extract. Belladonnae jeden
Tag; wenn im Laufe von acht bis
zehn Tagen keine Besserung eintritt,
gibt man 2 cg, im Laufe von sieben bis
acht Tagen vermehre man stets um
1 cg die Dosis bis zu 10 bis 15 cg (?!),
wie es notwendig ist. Auch nach er¬
zielter Heilung setze man diese Be¬
handlung eine Zeit fort, dann gehe
man progressiv mit der Dosis wieder
zurück. Trousseau sagt, man
könne diese Behandlung 2, 4 bis 6 Mo¬
nate, ja sogar ein ganzes Jahr fort¬
setzen. Selbstverständlich muss man
den Kranken unter Aufsicht haben
und mit der Darreichung des Mittels
aufhören, wenn sich Erscheinungen
der Intoleranz zeigen, nämlich: Er¬
weiterung der Pupillen, Gesichtssto-
störung, Trockenheit im Schlunde u.
s. w. Die Medikation muss in sol¬
chem Falle 14 Tage pausieren und
dann beginne man wieder mit kleine¬
ren Gaben.
Jules Simon rät, einem Kinde
von vier bis fünf Jahren einen Kaffee¬
löffel eines aus gleichen Teilen Bella¬
donna- und Tolusirup zusammenge¬
setzten Sirups zu reichen.
C o m b y empfiehlt eine nicht zu ge¬
salzene und nicht zu süsse Nährung,
er verwirft alles, was reizend wirkt, er
reduziert die Getränke am Abend und
verbietet Tee, Kaffee und Alkoholika.
Das Kind soll einmal täglich am
Abend zur Zeit, wenn es sich nieder¬
legt, mindestens eine Viertelstunde
lang, in ein nasses Tuch eingewickelt
werden; er gibt einem sechsjährigen
Kinde früh, mittags und abends fünf
Tropfen einer Atropinsolution 0.3: 1000.
Er vergrössert diese Dosis jeden Tag
bei jedesmaliger Einnahme um einen
Tropfen bis auf 30 Tropfen. Bei dieser
Gabe verharrt er zwei bis drei Tage,
dann hört es durch 14 Tage mit der
Darreichung des Mittels auf. Wenn
die Heilung sich nicht einstellt, nimmt
er wieder die Behandlung auf und ver¬
mehrt in leichter Art die Dosis. Der
Patient muss sorgfältig überwacht
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New Yorks* Medizinische Monatsschrift.
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werden und man höre sofort bei der
geringsten beunruhigenden Erschei¬
nung mit dem Mittel auf.
Chloraleinnahme vor dem zu Bette¬
gehen in der Dosis von 0.25 bis 1.00
wurde auch verordnet.
Camph. brom. in Suppositorien zu
0.10 bis 0.30 wurde ebenfalls verschrie¬
ben, auch Antipyrin in Dosen zu 0.25
bis zu 2 g in Klysmen fand Anwen¬
dung.
IV. Aeusserliche Behandlung.
(a) Beseitigung der Ursachen des
Reflexes. — Vor allem ist es ange¬
zeigt, alle Ursachen des Reflexes zu
beseitigen. Man wird mit geeigneten
Mitteln eine Vulvitis, Balanoposthitis,
Polypen und Atresien der HarnöfF-
nung behandeln. Das Verschwinden
dieser pathologischen Zustände als
Ursachen der Inkontinenz hat vielsei¬
tigen Erfolg.
(b) Aktion auf das Uro-Genitals-
system. — Hierher gehören die epidu¬
ralen Injektionen in den retrorektalen
Raum, die Lumbalpunktion, Kauteri¬
sation der Regio anterior der Nasen¬
schleimhaut.
1. Epidurale Injektionen.
Cathelin hat nach therapeuti¬
schen Versuchen der Neuralgien des
Urogenitalsystems und des Plexus
sacralis bemerkt, dass die Injektion,
die er in den Raum zwischen der Dura
mater und den Canalis vertreb**alis bei
einem Kranken machte, eine Harn¬
retention zur Folge hatte. Er hatte
also danach die Idee, auf diese Weise
die Harninkontinenz zu behandeln.
Die Injektion besteht aus 10 ccm ent¬
weder reinem oder leicht kokainisier-
tem artifiziellem Serum, sie wird mit
einer 6 cm langen Platinnadel in der
Gegend des Dreiecks gemacht, das
von- der Vereinigung des Kreuz- und
Steissbeins gebildet wird, einesteils
durch den letzten Dornfortsatz des
Kreuzbeins, anderenteils durch die
fünf hinteren inneren Kreuzbein¬
höcker. Die Spitze dieses Dreiecks
wird leicht gefunden, indem man mit
dem Finger die Vorsprünge des Kam¬
mes des Kreuzbeins verfolgt; man
fällt bald unterhalb des letzten Dorn¬
fortsatzes des Os sacrum in eine drei¬
eckige Vertiefung, in die die Injektion
gemacht werden muss; man sticht un¬
mittelbar unterhalb des Vorsprunges
des letzten Dornfortsatzes ein, und ist
man auf den Knochen gestossen, so
ziehe man die Nadel leicht zurück und
neige sie darauf, das« man sie in der
Richtung der vorderen Wand des Ca¬
nalis sacralis vorwärts schiebt. Die
Nadel muss 3 bis 4 cm tief eindringen
und dann vollführe man langsam die
Injektion. Man muss zuvor darauf
achten, ob nicht einige Tropfen de«
Liquor cerebrospinalis durch die Na¬
del austreten. In diesem Falle ist es
besser, die Injektion nicht zu machen,
aber dies ereignet sich nur selten, be¬
sonders wenn man die Nadel sehr
langsam einsticht.
Die Injektion wirkt in der Art, dass
sie die Reizbarkeit der Nerven der
Cauda equina, welche den Canalis sa¬
cralis einnehmen, modifiziert, sei es
durch Elongation, sei es durch die che¬
mische Wirkung des Natrium chlora¬
tum oder des Kokains. Gewöhnlich
reicht die Injektion mit reinem artifi¬
ziellem Serum hin, aber bei sehr aus¬
geprägter Reizbarkeit der Blase ist es
angezeigt, der Lösung etwas Kokain
hinzusetzen, und zwar in dem oben
angegebenen Verhältnis.
2. Retrorektale Injektionen.
Diese von Jaboulay empfohle¬
nen Injektionen bestehen darin, 100
bis 150 ccm artifiziellen Serums in das
Zellgewebe zwischen Sakrum und
Rektum zu injizieren. Der Kranke
wird in seitliche Lage gebracht, man
versenkt die Nadel vertikal unmittel¬
bar unter die Spitze des Steissbeins.
Den Zeigefinger plaziere man im Rek¬
tum, um die Nadel zu führen und um
zu verhindern, dass die Flüssigkeit
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HARVARD UNIVERSITY
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New Yoekek Medizinische Monatsschrift.
nicht in die rektale Kavität getrieben
werde. Man wirkt in diesem Falle
nicht auf die Nerven der Cauda equi-
na, sondern auf den Plexus hypoga-
stricus ein, der zu beiden Seiten der
Blase und des Rektums liegt. Diese
Injektion steigt stets mehr oder weni¬
ger nach oben.
3. Lumbalpunktion.
Diese wurde von B a b i n s k i ver¬
sucht. Man entzieht ein oder mehrere
Mal 15 ccm der Zerebrospinalflüssig¬
keit. Diese Methode hat uns nichts
geleistet.
Alle diese Verfahren sind unschäd¬
lich, unter der Bedingung, dass sie in
vorsichtiger, vernünftiger Weise und
unter strengster Asepsis ausgeführt
werden. Sie sollen nur dann zur An¬
wendung kommen, wenn die anderen
einfachen Mittel versagt haben.
4. Leichte Kauterisationen der vorde¬
ren Partien der Nasenschleimhaut.
Wir machen auf die Methode Bon-
n i e r s aufmerksam, der bei den an
Inkontinenz leidenden Kindern die
Reizbarkeit der Rückenmarkpartien
durch leichte Kauterisation der vorde¬
ren Region der Nasenschleimhaut zu
modifizieren trachtete.
(c) Direkte Einwirkung auf die
Sphinkteren. — Man kann die Sphink-
teren der Blase direkt beeinflussen:
1. durch lokale Massage; 2. durch
wiederholtes Katheterisieren; 3. durch
Kauterisation der hinteren Urethra;
4. durch Elektrizität entweder direkt
mit Hilfe von Induktionsströmen oder
galvanischen Strömen oder dadurch,
dass man die perineale, abdominale
Lumbalregion oder die oberen Partien
der Schenkel elektrisiert.
1. Lokale Massage.
Ich werde die mannigfaltigen Mas¬
sagemethoden, die von den verschie¬
denen Autoren in Anwendung gezo¬
gen wurden, nicht beschreiben. Es
scheint mir, dass sie lieber für jene
Inkontinenz reserviert bleiben soll¬
ten, welche bei der Frau infolge Er¬
schlaffung des Sphinkters der Urethra
erzeugt wird.
2. Wiederholter Katheterismus.
Die wiederholte Einführung eines
Explorators oder eines Bougies in die
Harnröhre genügt manchmal, die Re¬
flexsensibilität der membranösen Re¬
gion zu erwecken und die Inkontinenz
zu heilen, um so mehr, wenn sich da¬
mit gewöhnlich eine leichte Empfin¬
dung von Brennen verbindet, die eini¬
ge Zeit anhält und durch die Miktion
wieder erweckt wird.
3. Kauterisation der hinteren Urethra.
Manche Autoren haben eine Irrita¬
tion der Schleimhaut der Urethra
durch Einträufelung von Kanthariden-
tinktur oder Nitras argent. angeraten,
um die Reizbarkeit der membranösen
Region zu erhöhen. Einträufelungen
von Nitras argenti sind vorzuziehen,
vorausgesetzt, dass sie mit aller jener
Sorgfalt vorgenommen werden, die
dieser kleinen Operation angemessen
ist.
G u y o n gibt den Rat, bei jungen
Mädchen leichte lineare Kauterisatio¬
nen mit dem Galvanokauter rings um
das Kollum zu machen.
4. Elektrische Behandlung.
Unter allen Methoden, die dazu be¬
stimmt sind, auf die Sphinkter einzu¬
wirken, muss man der elektrischen
Behandlung den Vorzug geben. Da
die Pathogenese dieser Affektion fest¬
steht, muss die Technik darin beste¬
hen, dem Sphintker der Pars membra-
nacea den Tonus wiederzugeben, der
ihm fehlt, und das normale Gleichge¬
wicht der Reflexe herzustellen, die im
Momente der Miktion entstehen. Ich
werde bloss die Technik jener Verfah¬
ren auseinandersetzen, die nach den
Autoren die besten sind.
Die klassischste Meth.ode besteht,
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wie es G u y o n so meisterhaft ausein¬
andergesetzt hat, darin, lokal auf die
Sphinkteren der Pars membranacea
einzuwirken.
(a) Die Elektrisation kann auf direk¬
te Art vor sich gehen mit Hilfe einer
urethralen Elektrode, die aus einem
biegsamen Stiel als Leiter besteht, der
völlig isoliert an einem Ende eine me¬
tallene Olive trägt, die leicht an ihrer
adhärenten Seite ausgebaucht ist, der¬
art, dass sie eine Art Ansatz bildet,
den man gegen die Pars membranacea
urethrae gut ansetzen kann. Die
Olive wird zuerst bis in die Pars pro-
statica urethrae eingeführt, dann zieht
man selbe nach und nach zurück, bis
der ausgebauchte Teil genau an den
hinteren Rand des Sphinkters sich an¬
legt, der freie Teil des Stieles wird mit
der Leitungsschnur in Kommunika¬
tion gebracht, die mit dem negativen
Pol eines Induktionsapparates verbun¬
den ist. Die andere Elektrode, in Zu¬
sammenhang mit dem positiven Pol
desselben Apparates, bildet den indif¬
ferenten Pol, sie hat die Form einer
breiten Metallplatte und wird entwe¬
der auf die vordere Unterleibsgegend
oder die Dorsolumbalregion angesetzt.
Ein in warmes Salzwasser getauchter
Wattebauschen wird zwischen Haut
und die Elektrode gelegt.
Man gebraucht mit Vorliebe Induk¬
tion sströme mit starken Drahtspira¬
len, diese wirken besser auf die mus¬
kuläre Kontraktilität ein. Die Unter¬
brechungen seien langsam und «an
gebrauche nur Ströme von einer In¬
tensität, dass sie von dem Kranken
leicht vertragen werden. Anfangs
wird man die Sitzungen täglich vor¬
nehmen oder wenigstens dreimal in
der Woche und sie sollen nicht länger
als fünf und sechs Minuten dauern.
Diese sozusagen rhythmische Fara-
disation hat ausser ihrer Wirkung auf
die Sensibilität des Sphinkters auch
einen heilsamen Einfluss auf den Mus¬
kel, der grösser und stärker wird. Gal¬
vanische Ströme sind zu verwerfen
aus dem Grunde, weil Schorfe entste¬
hen können bei Berührung mit den
Metallelektroden. Muss man solche an¬
wenden, so gebrauche man einen schwa¬
chen Strom von 2 bis 3 Milliamperes,
wechsle oft die Stelle und dehne die elek¬
trische Sitzung nicht länger als 4 bis 5
Minuten aus. Der Strom muss nicht kon¬
tinuierlich sein, man kann ihn serien¬
weise unterbrechen, entweder mit der
Hand oder mit dem Metronom.
Bordie verwendet die Frir.klini-
sation, und zwar in folgender Weise:
Die statische Maschine ist mit einem
Paar Kondensatoren versehen, der
Kranke wird auf ein nicht isol'ertes
Ruhebett plaziert. Die äussere Armie¬
rung des einen Kondensators wird auf
den Boden gelegt, während die äusse¬
re Armierung des zweiten Kondensa¬
tors durch einen Konduktor m<t einer
in die Urethra eingeführten Sonde in
Zusammenhang gebracht wird. Die
Pole der Maschine, die mit der inneren
Armierung der Kondensatoren in Ver¬
bindung sind, werden einander ge¬
nähert, sodass 7 bis 10 Funken in einer
Sekunde entstehen. Bei jedem Fun¬
ken erzeugt sich eine energische K** -
traktion des Sphinkters und es werden
ebensoviele Kontraktionen bewirkt,
als es Funken zwischen den Kugeln
gibt. Im Momente, in dem jeder Funke
aufspringt, durchläuft ein hochfre¬
quenter Strom den Körper des Kran¬
ken. Jede Sitzung dauere 4 bis 5 Mi¬
nuten ; das Heilverfahren ist durchaus
schmerzlos unter der Bedingung, dass
die Kondensatoren richtig gewählt
sind. Ihr Inhalt muss nicht gar zu
gross sein. Man nimmt 2 bis 3 Sitzun¬
gen täglich vor, später nur eine.
(b) Man kann die Elektrizität indi¬
rekt anwenden, indem man die aktive
Elektrode an die hintere Partie des
Perineums nach vorne vom Anus an¬
setzt. Diese Art der Elektrizität wird
bei kleinen Kindern angewendet oder
bei Erwachsenen, die eine sehr sensib-
Digitized b)
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38
New Yorker Mxdizinzschk Monatsschrift.
le Harnröhre haben und bei denen
man sich von der Schwierigkeit der
Benutzung der intraurethralen Olive
überzeugt hat. Man benutzt dabei
Ströme einer starken Drahtspirale bei
leichten Unterbrechungen. Diese Me¬
thode gibt ausgezeichnete Resultate, die
Autoren raten, sie allgemein anzuwen¬
den und sich nur für hartnäckige Fälle
die Einführung der Elektrode in die
Urethra aufzusparen.
Man kann auch von galvanischen
Strömen statt der faradischen Ge¬
brauch machen. In diesem Falle setzt
man den negativen Pol auf das Peri¬
neum und lässt Ströme von 8 bis 10
Milliamperes durchgehen, indem man
häufige Unterbrechungen macht und
darauf achtet, dass die aktive Elektro¬
de auf der Applikationsstelle keinen
Schorf verursacht. Statt der Unter¬
brechungen kann man die sogenann¬
ten elektrischen Wellen anwenden.
Zu dieesm Zwecke manövriere man
den Kollektor in der Weise, dass man
von Null bis zu einer bestimmten Zif¬
fer Milliamperes geht und, ohne sich
aufzuhalten, wieder beim Nullpunkt
anlangt. Man kann 10 und 20 Milli¬
amperes erreichen, indem man jede Se¬
kunde eine Welle von einer Viertel¬
sekundendauer macht. Das ist nach
unserer Ansicht die beste Art, den
äusseren Sphinkter zu erregen, aber
man darf diese Methode nur bei In¬
kontinenz infolge Atonie anwenden.
Bei Ueberempfindlichkeit der Blase
setze man den positiven Pol ans Peri¬
neum, einen Strom von 8 bis 10 Mil¬
liamperes ohne Unterbrechung durch
3 bis 4 Minuten.
Weil empfiehlt intensive Ströme
mit einem Pol in der Lumbalgegend
und den anderen in der Abdominalre¬
gion. Die Elektroden sind grosse, mit
hydrophiler Gaze bedeckte Platten.
Man lässt einen Strom von 50 bis 60
Milliamperes, je nach der Grösse der
Platten, hindurchgehen.
(c) Statt direkt auf den Sphinkter,
sei es auf urethralem, sei es auf peri¬
nealem Wege, einzuwirken, kann man
auf den Sphinkter der Regio membra-
nacea reflexartig einwirken, indem
man die Perineal-Abdominal-Lumbal-
gegend und die obere Schenkelpartie
mit faradischem Strom bei rapider
Unterbrechung elektrisiert, oder man
setzt den Kranken in einen elektri¬
schen Sessel und appliziert ihm stati¬
sche Funken in der Lumbal- und Ab¬
dominalgegend.
Diese Art der Behandlung findet in
Fällen von chronischer Inkontinenz
Anwendung. Man kann so eine Ver¬
änderung der krankhaften Reizung
der uro-genitalen Zentren erhoffen.
Welches Resultat hat die elektri¬
sche Behandlung? Nach statistischer
Ermittlung hat man in 85 Prozent
günstige Erfolge. Totale Heilung be¬
obachtet man in 55 Prozent der Fälle.
15 Prozent der Fälle bleiben erfolglos.
Misserfolge wurden bei kleinen Kin¬
dern, bei kleinen Mädchen, und bei
einigen Fällen von Inkontinenz mit
grosser, bei Tag und Nacht bestehen¬
der Reizbarkeit der Blase beobachtet.
Manchmal ist die Heilung eine
äusserst rasche, schon nach der ersten
Sitzung, besonders bei Knaben, die an
atomischer Inkontinenz leiden und
über zehn Jahre alt sind.
Aber die Genesung erfolgt gewöhn¬
lich nicht so rasch, sie erfordert oft 10
bis 15 Sitzungen, und wenn da nicht
bemerkenswerte Erfolge eintreten, so
empfiehlt es sich, die Kranken ausru¬
hen zu lassen — etwas zwei Monate
lang — und dann eine neue Serie elek¬
trischer Sitzungen zu beginnen. In
vielen Fällen kommt es zu Rezidiven,
aber sie weichen schnell.
In von Misserfolg begleiteten Fällen
darf man nicht gleich verzweifeln und
allzu schnell die Schlussfolgerung ab¬
leiten, dass die Fälle unheilbar sind.
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Original fro-m
HARVARD UNIVERSITY
New Yorker. Medizinische Monatsschrift.
39
Mari sieht oft die Genesung eintreten
hei Kranken, die man Monate lang
ohne Erfolg regelmässig elektrisiert
hat, die rasch genesen, wenn man mit
der Behandlung einige Jahre später
wieder beginnt.
Bad Reichenhall und seine Sanatorien.
Von Dr. Schmid, Bad Reichenhall.
Die Wandlungen in der Anschauung
der’ medizinischen Wissenschaft haben
auch die Anschauung über die Bedeu¬
tung und die Bewertung der Kurorte
sehr wesentlichem Wechsel unterwor¬
fen. Während man früher die Kranken
je nach der Indikation dem einen oder
anderen Kurorte überwies, sind mit der
immergesteigerten Bedeutung der Diät¬
etik neue Forderungen aufgetreten, die
die Kuren an den betreffenden Kur¬
plätzen nicht unwesentlich bestimmen.
Dass in ganz besonderem Masse die
Kurorte beteiligt waren, die wie Kissin-
gen dank ihrer Quellen von Stoffwech¬
selleidenden besonders gerne aufgesucht
werden, ist klar. In den verschiedenen
Hotels und Villen dieser Kurorte wurde
die Küche mehr und mehr nach be¬
stimmten, ärztlich genau vorgezeichne¬
ten Richtlinien eingerichtet, besonders
aber entstanden Sanatorien, die in wirk¬
samer Weise die längst erprobten Mass-.
nahmen der betreffenden Kurorte aus¬
nützen, sie steigerten durch eine genaue
Individualisierung der. Ernährung und
durch eine genau überwachte Lebens¬
führung und Tageseinteilung den Wert
dieser Kuren um ein ganz bedeutendes.
Ein ähnliches Vorgehen sehen wir auch
in Bad Nauheim, das durch die Arbeiten
seiner Aerzteschaft verstand, eine sys¬
tematische balneologische Behandlung
der Herzkrankheiten zu schaffen, wo
ebenfalls durch Errichtung ärztlich ge¬
leiteter Häuser die günstige Vereinigung
allgemein diätetischer Vorschriften mit
den speziellen Heilmitteln Bad Neu¬
heims neue für den Wert der Kur sehr
förderliche Behandlungsbedingungen ge¬
schaffen wurde.
Zu den Kurorten, die ihre Physiogno¬
mie den neuesten Errungenschaften an¬
passen, gehört Bad Reichenhall, das
grösste Soolbad und der bedeutendste
Luftkurort in den bayerischen Alpen.
Bad Reichenhall verdankt seinen Ruf
in erster Linie seinem milden, von
schroff wechselnden Temperaturstürzen
freien Klima und seinen starken Sbol-
quellen, die bis zu 25 Prozent stark in
seiner Mitte entspringen.
Beide Faktoren haben Bad Reichen¬
halls Ruf gegründet und ihm einen ste¬
tig wachsenden Kreis treuer Anhänger
geschaffen. Durch diese Faktoren wur¬
de auch die erste Periode bestimmt in
der Entwicklung des Bades, in die auch
die Einführung der Inhalations-Thera¬
pie und die Pneumatotherapie durch
Eröffnung der pneumatischen Kammern
fällt, um deren Erforschung sich Georg
v. Liebig unvergängliche Verdienst
erwarb.
In jenen Zeiten war es in allererster
Linie die grosse Schar der Rekonvales¬
zenten der Bronchitiker und vor allem
waren es auch die Kinder, welche Rei¬
chenhalls Kurmittel suchten. Mit der
immer fortschreitenden Verbesserung
der Inhalationstechnik und dem stärke¬
ren Betonen der Pneumatotherapie tra¬
ten in Bad Reichenhall mehr und mehr
die Erkrankungen der Luftwege in den
Vordergrund. Da unter den Kurgästen
sich auch eine grössere Reihe spezifi¬
scher Lungenkranker befand, die durch
Inhalationen ihre Heilung erhoffte, so
entstand der für Bad Reichenhall omi¬
nöse Ruf, Bad Reichenhall sei eine be¬
sonders geeigneter Kurort für Lungen¬
kranke.
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HARVARD UNIVERSITY
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Google
40
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
Diesen Ruf hat Bad Reichenhall nie
verdient, besonders aber ist er seit einer
grossen Reihe von Jahren völlig hinfäl¬
lig. Wohl mag im ganzen das Klima
Bad Reichenhalls dem Lungenkranken
nicht ungünstig sein, das Fehlen aber
einer geschlossenen Anstalt für Lungen¬
kranke, diese Grundbedingung für eine
rationelle Behandlung der Leiden, Hess
bei dem Verlangen dieser Kranken nach
einer Anstaltsbehandlung und bei der
Unmöglichkeit, die Kur länger als höch¬
stens fünf Monate unter den gleichen
Bedingungen fortsetzen zu können, die
Zahl der Lungenkranken von Jahr zu
Jahr so abnehmen, dass jetzt nach Ein¬
führung der behördlich vorzunehmen¬
den Desinfektion mit Pflichtanzeige
durch die Aerzte nur 75 Fälle von of¬
fener Tuberkulose unter einer Fremden¬
zahl von 16,000 Gästen gemeldet wur¬
den.
Dem Wegbleiben der Lungenkranken
folgte von Jahr zu Jahr sich steigernd
das Zurückkehren der Rekonvaleszenten
und vor allem der Kinder, und leitete so
zu der dritten für Bad Reichenhall wohl
wichtigsten und segensreichsten Periode
über. Zu den ursprünglich der Luft
und Soole wegen nach Bad Reichenhall
gekommenen Kranken — den leichten
Bronchitikern, Katarrhalikern. Rekon¬
valeszenten, Skrofulösen — kommen
aus der' zweiten Periode die Emphyse-
matiker und Asthmatiker, dank dem
souveränen Kurmittel, den pneumati¬
schen Kammern, wieder; ferner sind
uns jene zahlreichen Gäste geblieben,
die ihre in der schlechten Luft der
Städte und Arbeitsräume angegriffenen
Luftwege durch Inhalationen und unse¬
re staubfreie und reine Luft säubern
wollen.
Noch eine Kategorie von Kranken
besucht in immer grösserer Zahl Bad
Reichenhall, das sind die Herzkranken.
In unserer Soole, die wir zweckmässig
und genau dosierbar mit Kohlensäure
imprägnieren können, sodass die Bäder
denen von Bad Nauheim und Kissingen
absolut gleichkommen, haben wir ein
in der modernen Uebungstherapie des
Herzens unentbehrliches Hilfsmittel.
Als weitere Unterstützung dieser
Uebungstherapie dient uns unser weit
ausgedehntes Wegenetz, das von absolut
ebenen Wegen über sanfte Steigungen
zu recht erheblichen Anforderungen an
die Herzkraft führt, und dessen sinn¬
reiche Markierung eine genaue Dosie¬
rung der täglichen Uebung ermöglicht.
Dazu kommt der grosse landschaftliche
Reiz der Gegend, der auf die Psyche der
Patienten einen so überaus grossen gün¬
stigen Eindruck macht und unsere Gäste
zu warmen Freunden unseres Bades ge¬
winnt.
Dass ein mit allen modernen Kurbe¬
helfen ausgestattetes Bad, wie Bad Rei¬
chenhall, auch über gute heilgymnasti¬
sche Institute und ein für jede Uebungs¬
therapie geschultes Personal verfügt, ist
klar. Auch die für die Behandlung ge¬
wisser Formen von Herzfehlern mit
konsekutiven Veränderungen der Lunge
so wesentliche Apparate zur Behand¬
lung mit verdichteter und besonders mit
verdünnter Luft sind seit Jahren hier
im Gebrauch und haben sich auf das
beste bewährt.
Durch die Erschliessung der Kaiser
Karl-Quelle (das war mein Verbre¬
chen!), einer Fotonen, kalten Kochsalz-
cjiielle, ist ein weiterer Schatz in den rei¬
chen Kranz unserer natürlichen und
durch den Fleiss der Reichenhaller ge¬
schaffenen Heilfaktoren getreten, der
ebenfalls die Perspektive auf eine wei¬
tere Ausdehnung des Indikationsbezir¬
kes Bad Reichcnhall eröffnet. In ihr
haben wir ein wirksames Mittel zur Be¬
kämpfung der Fettsucht erhalten, das
im Verein mit unseren hydrotherapeuti¬
schen Einrichtungen und ganz beson¬
ders auch durch unser ausgedehntes
Wegenetz, das jetzt eine Länge von 290
km hat, im Laufe der Jahre ein sehr
wesentlicher Faktor des Bades Reichen¬
hall werden wird.
Freilich wird aber gerade dieser neue
Gesichtspunkt, unter dem Bad Reichen-
hall für Aerzte und Kranke in Betracht
Original fro-m
HARVARD UNiVERSITY
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
41
kommt, weitere Massnahmen erfordern,
das ist eine geeignete Diät und eine ge¬
naue Ueberwachung de> ganzen Lebens.
Deshalb ist auch in Lad Reichenhall das
„Sanatorium Lad Reichenhall“ entstan¬
den, das in erster Linie dem Gedanken
entsprang, die Reichenhaller Kuren ge¬
rade durch eine genaue Diät und Eintei¬
lung des täglichen Lehens, wie es eben
nur in einem Sanatorium geschehen
kann, doppelt wirksam zu machen.
In den beiden Jahren seines Lestehens
hat man sich auch von der Richtigkeit
und der Berechtigung dieses Gedankens
überzeugen können. Schwere Asthma¬
tiker konnten durch die besondere Flie¬
ge und Diät weit rascher sich erholen ;
Herzkranke hatten durch die Kombinie¬
rung der Lade- und Diätkur weit grös¬
sere Erfolge, als wie sie bisher erzielen
konnten. Dass alle eigentliche Diätku¬
ren bei Störungen des Magendarmka¬
nals, bei Fettsucht etc. wesentlich leich¬
ter und einwandsfreier zu gestalten
waren, das ist ohne weiteres einleuch¬
tend.
Noch ein weiterer Vorteil ist aber
durch die Errichtung des Sanatoriums
Lad Reichenhall für die Kranken ent¬
standen : Es können auch im Winter
die Reichenhaller Kuren an Ort und
Stelle genommen werden, ohne dass der
Patient sich fürchten muss, sich zu er¬
kälten, denn die Kurmittel, besonders
Inhalationen und Bäder, sind im Hause
selbst untergebracht. Es fällt also die
, Möglichkeit, sich nach den Bädern oder
Inhalationen durch das Verlassen der
Kuranstalt zu erkälten, fort.
Dabei ist der Winter in Bad Reichen¬
hall klimatisch doppelt günstig. Eine
grosse Besonnung macht das Liegen im
Freien nicht nur möglich, sondern zum
Genuss. Stärkere, störende Winde feh¬
len und hervorzuheben ist besonders der
Mangel an Rauheit der Luft — das mil¬
de Klima! Da keine industriellen Be¬
triebe vorhanden sind, fehlt auch der so
schädliche Kohlenruss. Die Bahnstrecke
Salzburg - Lad Reichenhall - Berchtes¬
gaden wird elektrisch betrieben, seitdem
die Talsperre mit dem 3 km langen zwi¬
schen den hohen Bergen prachtvoll ge¬
legenen Saalachsee vollendet ist. Kurz¬
um, Lad Reichenhall ist auch im Winter
klimatisch berufen, Kranken ein günsti¬
ger Aufenthalt zu sein.
Da Wintersport in allen Formen ge¬
trieben wird, so ist auch für die körper¬
liche Bewegung gesorgt, auch hierfür
kommen die weit ausgedehnten, gebahn¬
ten Wege wieder zu besonderer Gel¬
tung.
So sehen wir denn Bad Reichenhall
in die erste Linie der Kurorte Deutsch¬
lands gerückt, ein Ort gesegnet von der
gütigen Natur mit Schönheit der Ge¬
gend, heilbringendem Klima und Soole
und anderen Faktoren, die dem Fleisse
seiner Bewohner und ihrem Unterneh-
mungsgeiste ihre Entstehung verdan¬
ken. Ein Kurort, der alle Neuerungen auf
dem Gebiete der Balneotherapie besitzt
und der auch durch das Sanatorium Bad
Reichen hall die Möglichkeit weiterer
Indikationen, vor allem aber die V inter-
kur in Bad Reichenhall erwarb.
Redaktionelles.
Kriegsbetrachtungen.
Der längst gefürchtete europäische
Krieg ist zum Ausbruch gekommen. Fs
kann nicht die Aufgabe einer medizini¬
schen Zeitschrift sein, Betrachtungen
darüber anzustellen, welche Nation den
Ausbruch des Krieges verschuldet hat.
Wir haben uns mit der vollendeten Tat¬
sache abzufinden. Fs muss jedoch son¬
derbar berühren, in einem „Editorial“
des New York Medical Journal vom 15.
August zu lesen, dass die „höchstzivili¬
sierten“ Nationen sich erst zuletzt in d a
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42
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
gegenwärtigen Konflikt eingemengt hät¬
ten. Gemeint ist natürlich Frankreich
und „dear old England,“ oder ist hier
schon des letzteren treuer Freund und
Bundesgenosse, die mongolische Rasse,
Japan, miteingeschlossen?
Der Krieg hatte kaum begonnen, als
sich hier schon die unangenehmsten
Folgen in jeder Beziehung bemerkbar
machten. Zunächst kam eine durch
nichts zu rechtfertigende Steigerung der
Lebensmittelpreise, von gewissenlosen
Spekulanten hervorgerufen, dann mach¬
te sich in der gesamten anglo-amerikani-
schen Presse eine direkt deutschfeindli¬
che Haltung bemerkbar, die für ein neu¬
trales Land, in dem zudem die Deut¬
schen einen so bedeutenden Faktor bil¬
den, vollkommen unverständlich ist. Von
dem „square deal“, auf das die Ameri¬
kaner stets so stolz sind, ist hier nichts
zu merken. Allein nicht nur die Lebens¬
mittel stiegen im Preis, sondern eine
noch unverhältnismässig hochgradigere
Teuerung der Arzneimittel und Drogen
trat ein, die sich natürlich schwer fühlbar
macht und in erster Linie die ärmere Be¬
völkerung trifft. Es ist ja richtig, dass
Amerika bezüglich vieler Arzneipflanzen
und Arzneimittel auf Europa angewiesen
ist, allein diese Tatsache rechtfertigt we¬
der die gewaltige Preissteigerung unmit¬
telbar nach Ausbruch des Krieges noch
d ; e Ausdehnung derselben auf Drogen
und deren Derivate, die nicht aus Europa
stammen. Erfreulicherweise sind nicht
alle Arzneimittelfabrikanten und Impor¬
teure an dieser Ausbeute der Notlage der
leidenden Menschheit beteiligt. So hat
speziell die New Yorker Firma Schering
& Glatz bekannt gegeben, dass sie keinen
Preisaufschlag vornehmen, vielmehr ihre
Arzneipräparate zum bisherigen Preise
abgeben wird, solange der Vorrat reicht,
dass sie aber zugleich versucht, zu ver¬
hindern, dass ihre Produkte in die Hän¬
de von Spekulanten gelangen.
Die oben erwähnte deutschfeindliche
Haltung der anglo-amerikanischen Pres¬
se ist vom psychologischen Standpunkt
aus schwer zu verstehen und bietet für
den Soziologen vieles Interessante aber
auch Rätselhafte. Man kann die Frage,,
warum die anglo-amerikanische Presse
und die dadurch beeinflusste öffentliche
Meinung deutschfeindlich ist, beantwor¬
ten, wie man will, die nackte Tatsache,
dass dies der Fall ist, bleibt bestehen.
Daran ändern auch die mannigfachen
Entschuldigungsversuche der Presse
selbst, wenn sie sagt, sie gibt nur die
von Europa übernommenen Nachrichten
wieder, nichts. Denn der Ton macht die
Musik, und es ist die Art und Weise, in
welcher diese Neuigkeiten den Lesern
aufgetischt werden, gegen die wir pro¬
testieren. Wir gönnen ja dem unheiligen
Bund zwischen Franzosen, Engländern,
Slawen und Mongolen die billigen Siege
auf dem Papier, denn Deutschland scha¬
den dieselben nichts. Wir haben auch
nichts gegen die Heldentaten, welche
Belgier, Franzosen und Engländer tag¬
täglich verrichten, denn es kann in dieser
traurigen Zeit nur erheiternd wirken,
wenn man liest, dass eine einzige Eska¬
dron Belgier sechs deutsche Eskadronen
in die Flucht geschlagen hat, dass sieben
belgische Gendarme 200 Deutsche zum
Teil vernichtet („annihilated“), zum
Teil gefangen, und dass 200 Belgier 400
Deutsche umringt und getötet haben,
dass der belgische „Ulanentöter“ Leut¬
nant Hendrak jeden Morgen mit seinem
Automobil auszieht und nicht eher heim¬
kehrt, bis er 7 bis 10 Ulanen getötet hat,
dass die Deutschen wie die Hasen vor
den Russen davonlaufen und dabei ihre
Gewehre, Munition und sogar ihreh
Proviant wegwerfen, dass die deutschen
Soldaten in Belgien halbverhungert sind,
sodass ein belgischer Soldat in Lüttich
sich rühmen konnte, er lasse in Zukunft
sein Gewehr zu Hause, er brauche nur
ein Butterbrod hinzuhalten und die
preussischen Soldaten liefen ihm nach bis
unter die Festungsmauern etc. Woge¬
gen wir uns aber auf das energischste
verwahren, ist die ganz schamlose Weise,
in welcher die Deutschen als Barbaren
bezeichnet und ihre Kriegsführung als
grausam und jeder Zivilisation Hohn
sprechend geschildert wird, ist die Ge¬
meinheit, mit welcher die angloamerika-
nische Presse berichtet, die Deutschen
feuerten mit Vorliebe auf Verwundete,
Aerzte und Hospitäler, benützten die be¬
rüchtigten Dum-Dum-Geschosse, töteten
wehrlose Einwohner mit Kolbenhieben,
misshandelten Frauen und Kinder, so
hätten z. B. deutsche Soldaten ein Kind
an den Beinen gepackt und seinen Kopf
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HARVARD UNIVERSITY
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
43
an dem Rinnstein zerschmettert, nur weil
das Kind eine Mütze trug mit der Auf¬
schrift „La France“ und anderes mehr.
Für diese gemeinen Verleumdungen gibt
es keine Entschuldigung, denn selbst
wenn dieselben von den Londoner und
Pariser Lügenfabriken herübergekabelt
wurden, wussten die hiesigen Zeitungs¬
schreiber ganz gut, dass die Deutschen
solcher Schandtaten nicht fähig sind.
Wenn sie dennoch diese Nachrichten
brachten, geschah dies nur, um ihrem
Hass gegen Deutschland Ausdruck zu
geben und bei ihren Lesern Erbitterung
gegen dasselbe hervorzurufen. Das ist
ein Schandfleck auf der angloamerikani-
schen Presse, der nicht wieder abzuwa¬
schen ist. A propos Dum-Dum-Geschos-
se. Haben die hiesigen Zeitungsschrei¬
ber vergessen, vielleicht haben sie es
auch nie gewusst, dass die Dum-Dum-
Geschosse eine Erfindung des „most
highly civilized“ Englands sind, in Dum-
Dum in Indien für die Engländer herge¬
stellt und gegen die Indier benutzt wur¬
den?
Die angloamerikanische Presse berich¬
tete ferner mit grossem Behagen und au¬
genscheinlichem Stolz, dass ein Häuflein
reicher Amerikaner sich in Paris zu einer
Fremdenlegion zusammengetan hat, um
„im Kampfe der Zivilisation gegen das
Barbarentum“ auf der Seite der Franzo¬
sen zu kämpfen. Es gehört wirklich ein
starkes Stück von, milde ausgedrückt,
Unverfrorenheit dazu, die Deutschen,
das Volk der Philosophen und Denker,
aus dem Mäner wie Kant, Göthe, Schil¬
ler, Virchow, Robert Koch, Behring u.
s. w. hervorgegangen sind, als Barbaren
zu bezeichnen und ihnen die Russen und
Japaner als Vertreter der Zivilisation
gegenüberzustellen, noch dazu von der¬
selben Presse, die bis vor kurzem in
den schärfsten Ausdrücken gegen das
unzivilisierte, kulturfeindliche Russland
und seinen despotischen Zaren gewütet
hat. Was Amerika der deutschen Kul¬
tur zu verdanken hat, hat diese Presse
wohl vergessen. Dafür lässt sie sich
aber von einem gewissen Herrn T. F r e-
derick Lee aus White Plains, N. Y„
der während der letzten 14 Monate Eu¬
ropa mit dem Automobil durchquert hat,
per Kabel aus London berichten, dass die
Deutschen grosse Angst haben, die Rus¬
sen würden über Westfalen in Deutsch¬
land einfallen, wozu England die Trans¬
portmittel liefern würde. White Plains
ist ganz nahe bei New York, und wir
möchten Herrn Lee den Besuch der
New Yorker Abendschulen zur Vervoll¬
kommnung seiner geographischen Kennt¬
nisse empfehlen.
Nun zur neuesten „Greueltat“ der
deutschen Armee. Die Deutschen bom¬
bardierten die befestigte Stadt Antwer¬
pen von einem Zeppelin-Luftkreuzer
aus, zerstörten 60 Häuser vollständig, be¬
schädigten 900 Häuser und verwundeten
eine Anzahl Frauen und Kinder. Es ist
vergessen worden hinzuzufügen, dass
die Kinder alle männlichen Geschlechts
waren, denn diese töten die raffinierten
Deutschen, früheren Pressberichten zu¬
folge, mit Vorliebe, weil dieselben später
zu Soldaten heran wachsen könnten. Wie
berichtet wurde, leistete der New Yorker
Arzt Dr. Louis Livingston
Seaman den Verwundeten die erste
ärztliche Hilfe, was er in einem Kabel¬
gramm an den New Yorker Herald be¬
stätigt.* Dass sich Dr. Seaman bei
der belgischen Armee aufhält, hat uns
weiter nicht verwundert, denn „Wo Aas
ist, sammeln sich die Geier.“ Wo immer
zwei Nationen mit einander Krieg füh¬
ren, ist Dr. Seaman zu finden, nicht
etwa um das Kriegssanitätswesen zu stu¬
dieren oder sich der Verwundeten anzu¬
nehmen, sondern nur um von sich reden
zu machen und Stoff für seine Publika¬
tionen zu gewinnen. So weilte er wäh¬
rend des russisch-japanischen Feldzugs
auf Seiten der Japaner und redete da¬
mals schon mehr, als er sollte, Seine
Erfahrungen in jenem Kriege legte er in
seinem Buche „From Tokio through
Manchuria with the Japanese“ nieder,
wobei er es sich nicht versagen konnte,
noch im letzten Kapitel den deutschen
Kaiser zu beschimpfen. Nun sehen wir
* To the Editor of the Herald:
I am with the dead and the wounded of the
Zeppelin slaughter. The Germans attacked the
sleeping city like a hyena in the night, murder-
ing helpless women and children.
In the name of civilization let America Pro¬
test.
I appeal especially to the peace society.
Louis Livingston Seaman,
Surgeon Major United States Army Reserve
Corps.
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44
New Yorker Medizinische Monatsschkiit.
ihn in Antwerpen und erfahren aus sei¬
ner famosen Depesche, in welcher er
Deutschland mit einer Hyäne vergleicht,
dass er „mit den Toten und Verwunde¬
ten der Zeppelinaffäre ist.“ Was er bei
den Toten zu suchen hat, ist nicht ganz
klar, Dr. Seaman müsste gerade in
das Leichenbestattungsgeschäft gegan¬
gen sein, ebenso wenig lässt sich verste¬
hen, was er bei den Verwundeten zu tun
hat. Denn man darf doch wohl anneh¬
men, dass es noch genug belgische Aerz-
te in Antwerpen gibt, die sich um
ihre Landsleute gekümmert haben dürf¬
ten, sodass dieselben nicht auf die Hilfe
des New Yorker Arztes Dr. Seaman
angewiesen waren, der übrigens seit ei¬
ner Reihe von Jahren nicht mehr Arzt,
sondern nur noch Globetrotter ist. W enn
er also wirklich bei den Verwundeten
war, kann dies nur dadurch geschehen
sein, dass er sich an sie herangedrängt
hat, um wieder einmal seinen Namen vor
die Oeffentlichkeit zu bringen. Im
Uebrigen ist seine Kabelmeldung für
einen amerikanischen Arzt des Reserve¬
korps so blödsinnig wie taktlos und dürf¬
te nicht gerade im Einklang mit Präsi¬
dent W i 1 s o n’s Anschauungen über die
Neutralität dieses Landes stehen. „Die¬
ser Krieg ist nur Mord.“ Ta, was glaubt
denn Dr. Seaman, was Krieg ist. Ha¬
ben seine guten Freunde, die Japaner,
Port Arthur vielleicht nur mit Schoko¬
ladekugeln bombardiert? Der Appell an
die Friedensgesellschaft ist naiv und
rührend zugleich. Oh, Dr. Seaman,
si tacuisses!
Wie oben schon erwähnt, ist die
deutschfeindliche Haltung der angloame-
rikanischen Presse kaum verständlich.
Münsterberg sagt in seinem Buche
„Die Amerikaner“: Blut is dicker als
Wasser; das Volk der Amerikaner in sei¬
ner Geisteseinheit versteht aber der nur,
der begreift, dass Druckerschwärze noch
dicker ist als Blut. Es darf jedoch nicht
unterlassen werden zu erklären, dass die
wirklich gebildeten Amerikaner mit die¬
sem Deutschenhass nichts zu tun haben,
der deutschen Sache vielmehr volle Ge¬
rechtigkeit zu Teil werden lassen und
die deutschfeindliche Richtung der Pres¬
se strenge verurteilen. Obenan steht in
dieser Beziehung der Angloamerikaner
Prof. John \V. B u r g e s s, Columbia-
Universität in New York, der vor weni¬
gen Tagen einen Artikel über „Die ge¬
genwärtige Krise in Europa“ veröffent¬
licht hat, den sich alle Deutschenhasser
zu Herzen nehmen sollten.
In Memoriam
In Memoriam.
Die New Yorker Medizinische Mo¬
natsschrift betrauert den Verlust eines
ihrer Mitarbeiter. Dr. Joseph W i 1-
helm Gleitsmann starb am 2. Juli
d. J., 73 Jahre alt, nach längerem schwe¬
ren Leiden. Er war in Bamberg in
Bayern geboren, der Sohn eines Arztes,
studierte Medizin in Würzburg und pro¬
movierte dort 1865. Während der fol¬
genden Jahre studierte er noch in Ber¬
lin und Wien und nahm als Militärarzt
an dem Kriege von 1866 und dem
Deutsch-Französischen Kriege von 1870
teil. Als Mitglied des Alpenvereins ver¬
brachte er seine freie Zeit in der
Schweiz.
Von 1872 bis 74 war er Arzt auf
Dampfern des Nord-Deutschen Lloyds
und liess sich 1875 in Baltimore nieder.
Angeregt durch die in Görbersdorf er¬
zielten Erfolge in der Behandlung der
Tuberkulose beschloss er ein ähnliches
Sanatorium in den Vereinigten Staaten
zu errichten; nach längerem Suchen
nach einer geeigneten Lokalität ent¬
schied er sich für Ashville, N. C., und
eröffnete dort eine Anstalt. Daran, dass
das Unternehmen nicht von Erfolg be¬
gleitet war, dürfte nicht sowohl seine
Arbeit dte Schuld getragen haben, son¬
dern vielmehr der Umstand, dass weder
das ärztliche noch das Laienpublikum
für die Idee reif waren.
Im Jahre 1880 kam Gleitsmann
nach New York, um sich ausschliesslich
der Behandlung der Krankheiten der
oberen Luftwege: Hals, Larynx und
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
45
Nase, sowie des Ohres zu widmen. Die
Frage, mit welchem Erfolg er dies ge¬
tan, hätte viel besser von einem Spezial¬
kollegen beantwortet werden können.
Er trat bald in das Deutsche Dispensary
ein und erreichte es später, dass ihm als
besuchenden Laryngologen einige Bet-
ten im Deutschen Hospital zur Verfü¬
gung gestellt wurden;
Zeugnis für seine Tätigkeit liefern die
zahlreichen in deutschen und amerikani¬
schen Zeitschriften veröffentlichten Ar¬
beiten. Wie sehr dieselben von seinen
Fachkollegen gewürdigt wurden, be¬
weist seine Wahl zum Präsidenten der
Amerikanischen Laryngologischen Ge¬
sellschaft, seine Wirksamkeit an der
New York Policlinic als Professor der
Laryngologie und Rhinologie von 1890
bis 1910 und seine weitere Verbindung
mit der Poliklinik als Professor Emeri¬
tus, nachdem körperliche Leiden seine
Aktivität unterbrochen hatten. Er be¬
wahrte sein Interesse an der Wissen¬
schaft und solange er physisch imstande
war, setzte er seine referierende Tätig¬
keit fort, auch Beiträge für die
Monatsschrift liefernd. Ein hochbegab¬
ter Mann ist mit ihm dahingeschie¬
den ; seine persönlichen und geselligen
Eigenschaften erwarben ihm viele
Freunde, denen er treue Anhänglich¬
keit bewahrte.
Nachdem die Deutsche Medizini¬
sche Gesellschaft unter der energi¬
schen Leitung von Karl H e i t z -
m a n n neues Leben gewonnen hatte,
widmete G leitsmann derselben
reges Interesse; er war Präsident der
Gesellschaft 1893 und 1894 und seit¬
dem hat er wohl ohne Unterbrechung
die Stellung als Vorsitzender des
Aufnahmekomitees eingenommen, die
ihm häufig Gelegenheit bot, die Inte¬
ressen der Gesellschaft zu wahren und
zu fördern. Klotz.
Mitteilungen aus der neuesten Journalliteratur.
Haut- und Geschlechtskrankheiten.
Referiert von Dr. H. Klotz.
Wolf f, Dr. Moritz, Stettin : Der
praktische Wert der Wassermann-
Reaktion. The Urologie and Cu-
taneous Review, October 1913. I.
4. 589.
W o 1 f f gibt eine nüchterne, wahr¬
heitsgetreue Uebersicht über den Wert
der Wassermann-Reaktion für den
praktischen Arzt. Für praktische
Zwecke kann man ohne Weiteres be¬
haupten, dass nur ein syphilitisches
Serum eine positive Reaktion liefert,
da die andern Zustände, bei denen die¬
selbe gefunden worden ist, genügende
andere Unterscheidungsmerkmale bie¬
ten. Unter allen Umständen ist fest¬
zuhalten, dass nur eine vollständige
oder beinahe vollständige Aufhebung
der Hämolyse als positive Reaktion
anzuerkennen ist, und zwar nur, wenn
die Untersuchung genau nach der ur¬
sprünglichen Methode (mit Ausnahme
der Zulassung alkoholischer Extrakte,
namentlich der syphilitischen Leber)
und von kompetenter Hand gemacht
wurde. Auch unter diesen Bedingun¬
gen musste W o 1 f f in 3.6 Prozent die
W.-R. für unentschieden erklären,
während allerdings auf der anderen
Seite die Tatsache Berücksichtigung
verlangt, dass auch Syphilis nicht zu
jeder Zeit positiv reagiert.
Abgesehen also von der Spezifität
der WR. hat dieselbe sehr verschiede¬
ne Bedeutung je nach der Periode der
Krankheit. Am geringsten ist diesel¬
be im ersten Stadium, namentlich im
Vergleich mit dem Spirochätenbefund,
obwohl ihr unter gewissen Verhältnis¬
sen ein praktischer Wert zuerkannt
werden muss, z. B. ist die Exzision
des Primäraffektes nur zulässig, so
lange die WR. negativ. In der Sekun¬
därperiode ist die Reaktion in 100 oder
nahe 100 Prozent positiv. Für die ter¬
tiäre schwanken die Angaben zwi¬
schen 50 und 100 Prozent, aber ohne
Trennung der behandelten Fälle; für
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46
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
die unbehandelten Fälle gibt Boas
die letztere Zahl. Im Stadium der
Latenz hat man 50 bis 60 Prozent po¬
sitive erhalten von behandelten und
unbehandelten, worunter wahrschein¬
lich auch manche geheilte Fälle wa¬
ren. Bei Tabes gibt die Spinalflüssig¬
keit fast immer positive, bei Paresis in
95 Prozent und 100 Prozent im Blut¬
serum, während bei zerebro-spinaler
Syphilis die Lumbarflüssigkeit in der
Regel nicht positiv reagiert. Die he¬
reditäre Syphilis liefert Resultate
gleich der sekundären ausser beim
Neugeborenen, wo die Resultate un¬
sicher sind. Im allgemeinen kann man
sagen, dass positive WR. die Anwe¬
senheit von Syphilis beweist, mit Aus¬
nahme der erwähnten Zustände, wie
Scharlach, Lepra etc.; ein negativer
Befund, namentlich wenn wiederholt,
spricht mit grosser Wahrscheinlich¬
keit, aber nicht absolut gegen Lues.
Die WR. muss immer nur in Verbin¬
dung mit den klinischen Erscheinun¬
gen in Betracht gezogen werden.
Unter dieser konservativen Ab¬
schätzung der WR. bietet dieselbe al¬
len Zweigen der Medizin eine hilfrei¬
che Hand, so bei Krankheiten innerer
Organe, namentlich bei Verdacht auf
Tumoren, wo die positive WR. die
Anwendung antiluetischer Therapie
indiziert, bei der Behandlung von Ab¬
orten, bei der Anstellung von Ammen,
besonders auf neurologischem Gebie¬
te, namentlich zum Nachweis von Ta¬
bes urid Parese, ferner bei Augen-,
Ohren- und Halskrankheiten, und end¬
lich besonders auch bei Hautkrank¬
heiten.
Im ersten Stadium hält W o 1 f f es
nicht für gerechtfertigt, die Behand¬
lung allein von der WR. abhängig zu
machen, vielmehr nur unter Berück¬
sichtigung der anderen Symptome,
sowie etwaiger konstitutioneller Zu¬
stände wie Diabetes, Tuberkulose etc.
In einer Anzahl von Fällen ist es auch
bei günstigem klinischen Verlauf, we¬
nigstens vorläufig nicht immer mög¬
lich, die positive Reaktion in eine ne¬
gative zu verwandeln. Daher sieht
W o 1 f f eine positive WR. unter ge¬
wissen Umständen nicht als Heirats¬
hindernis an. Leider werden manche
der erwähnten Einschränkungen des
Wertes der WR. in vielen Literatur¬
erzeugnissen teils ganz ignoriert, teils
als ohne Bedeutung oder als grosse
Ausnahmen hingestellt.
Heller, Julius, Priv.-Doz., Ber¬
lin : Die Beziehungen zwischen
Stoffwechsel und Hautkrankheiten.
Urolog. and Cutan. Review. I. 4.
Oktober 1913.
Heller, der in seinem Buche „Die
vergleichende Pathologie der Haut“
der Dermatologie ganz neue Gesichts¬
punkte eröffnet hat, gibt hier zunächst
eine Uebersicht über die Entwicklung
der Lehren von den Beziehungen der
StofFwechselstörungen zu den Haut¬
krankheiten und weist darauf hin,
dass neuerdings eine grössere Annähe¬
rung an den von jeher von der engli¬
schen und französischen Schule einge¬
nommenen Standpunkt stattgefunden
hat.
Hierauf werden die Methoden be¬
sprochen, mittelst deren der Zusam¬
menhang beider Krankheiten festge¬
stellt werden müsste, sowie, dass an¬
gesichts der Schwierigkeiten dieser
Methoden soweit kaum mehr als Ar¬
beitshypothesen erzielt werden kön¬
nen. Zu unterscheiden sind die Haut¬
krankheiten, die nur in Zusammen¬
hang mit Ernährungsstörungen beob¬
achtet werden und solche, die auch
ohne solchen Zusammenhang Vorkom¬
men. Die verschiedenen Dermatosen
werden sodann in entsprechenden
Gruppen betrachtet.
Unter 1. den Dermatosen bei siche¬
ren Stoffwechsel-Störungen werden
aufgezählt die Adipositas, welche
verantwortlich ist für Striae atrophi-
cae, Lipom, Adipositas dolorosa, Hy-
peridrosis und Intertrigo; ferner die
echten Harnsäureablagerupgen in der
Haut bei Gicht, namentlich die in der
Form eines Erythema nodosum; ohne
auch nur den Schatten eines Beweises
pathogenetischer Beziehungen sind
alle möglichen Hautkrankheiten als
bei Gicht vorkommend und mit der¬
selben in kausalem Zusammenhang
stehend beschrieben worden, sogar die
Prädisposition der Gichtiker zu Ek¬
zem und Psorisis wird als höchst zwei¬
en rigi na I from
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
47
felhaft angesehen, mit Ausnahme ge¬
wisser Nagelerkrankungen. Weniger
zweifelhaft ist der Zusammenhang
verschiedener Dermatosen mit Diabe¬
tes : das besonders auf den unteren
Extremitäten beobachtete Xanthom,
die Färbung bei diabete bronce, Fu-
runkulosis, Gangrän, Pruritus, beson¬
ders des Rückens, Balanitis, mitunter
akute, auch allgemeine Ekzeme.
Zu 2. den Hautkrankheiten bei Ano¬
malien des Stoffwechsels und der
Drüsen mit innerer Sekretion gehören
die Pigmentation bei Morb. Addisson.,
besonders neben Vitiligo, das Auftre¬
ten von Urticaria nach Einführung
von Xebennierenextrakt; bei Base¬
dow: Hyperidrosis, Oedem (unab¬
hängig vom Herzen), Urticaria, Ery¬
them, Pruritus, Verlust der Haare
und der Nägel; bei Akromegalie: Fi-
bromata, Warzen, Atrophie des Bar¬
tes beim Mann und Haarhypertrophie
im Gesicht bei Frauen; nach Sterilisa¬
tion bei beiden Geschlechtern, Haut¬
veränderungen in Zusammenhang mit
Menstruation: Herpes progenitalis
und Erytheme mit Gravität: Pigmen¬
tation, Impetigo herpetiformis.
3. Hautkrankheiten bei Störungen
der mit der Aufnahme, Bearbeitung,
Verteilung und Ausscheidung der
nahrungsmittelbeteiligten Organe. Bei
Unterernährung kommen vor: Blässe
der Haut, Trockenheit und Risse,
Chloasma und Pityriasis Tabescenti-
um, Purpura und Akne cachectico-
rum, bei Diarrhoe: Ekzem des Afters,
ebenso wie bei Verstopfung und bei
Hämorrhoiden. Besonders berück¬
sichtigt werden die nach Einführung
gewisser Stoffe in den Magen auftre¬
tenden Hauterscheinungen, meist nur
bei besonders disponierten Individuen,
teils von Nahrungsmitteln, teils von
Arzneien und Serums, wie z. B. Echi¬
nokokkeninhalt. Solche Ausschläge
entsprechen solchen, die auch nach
unbekannten Ursachen auftreten. Bei
Tieren werden nach Medikamenten
entsprechende Formen von Dermato¬
sen beobachtet, nachgewiesener-
massen auch nach Einführung verdor¬
bener Nahrung. Das nach Fütterung
von schlechtem Buchweizen beobach¬
tete Auftreten von Erythem auf den
weissen Hautpartien nach Aussetzung
derselben an das Sonnenlicht erinnert
an Pellagra. Natürlich verlangen der¬
artige Hautkrankheiten entsprechende
Massnahmen.
Leberkrankheiten haben zu Pruri¬
tus, Ikterus, vielleicht auch Zoster
und Xanthom Beziehungen. Schwie¬
riger ist der Nachweis des Einflusses
von Nierenerkrankungen auf die
Haut, und manche der schwersten
Hautveränderungen findet man hei
gesunden Nieren.
Kurz berührt werden endlich dys¬
trophische Hautkrankheiten unter
Hinweis besonders auf Pruritus bei
Tumoren (Akanthosis nigricans) und
Dermatosen bei Konstitutionsanoma¬
lien, wie bei Skorbut, Rachitis etc.
Dies führt zum Schluss zu der Be¬
trachtung der Diathesenlehre, der
neuerdings auch in Deutschland mehr
Beachtung geschenkt worden ist.
Es gibt erstens ganz gewiss Indivi¬
duen mit angeborener oder erworbe¬
ner Neigung zu Hautkrankheiten, die
sich unverändert durch das ganze Le¬
ben erhält: das Vorkommen von Pity¬
riasis versicolor, die besondere Em¬
pfindlichkeit gegen Licht und endlich
Psoriasis, Lichen chronicus und
Prurigo.
Deutlicher, zweitens, lässt sich die
Prädisposition nachweisen bei einer
Anzahl von Individuen, die von Kind
auf Neigung zu nässenden Ekzemen
zeigen, zu Rachitis, zu Lymphdrüsen-
und Mandelerkrankung, geringe Ent¬
wicklung von Haar und Nägeln, se¬
borrhoischem Ekzem, später zu Rheu¬
matismus, Gicht, bezw. Tuberkulose.
Dieser Zustand ist von den Franzosen
als herpetism oder arthritism bezeich¬
net worden.
Betreffend den Einfluss von Haut¬
krankheiten auf die Ausscheidung
verweist Heller auf Von Noor-
d e n und Salomon’s Buch über die
Pathologie des Stoffwechsels. Gewis¬
se Schlüsse lassen sich nicht ziehen.
Im ganzen gibt Heller zu, dass
noch wenige Fortschritte auf dem Ge¬
biete gemacht worden seien, dass aber
die Lösung dieser Fragen weniger die
Ansichten des brillianten Theoretikers
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48
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
brauche als die unverdrossene Arbeit
des Forschers.
F o u q u e t, Dr. Charles, Paris:
Travels of the Treponema Pallidum
Through the Lymphatic and Blood
Currents: Männer of Dissemination
of the Syphilitic Virus. Urolog. and
Cutan. Review. I. 4. Oktober 1913.
370 .
Fouque t, ein Schüler Gau¬
che r’s, sucht die Frage zu entschei¬
den, ob die Verbreitung des syphiliti¬
schen Giftes von vornherein auf dem
Wege des Pdutes oder der Lymphbah-
nen stattfindet. Er entscheidet zu
Gunsten der lymphatischen Verbrei¬
tung: zuerst vermehren sich die Tre¬
ponema an der Stelle, wo sie in die
Haut eingedrungen, und bilden den
Schanker. Von da gelangen sie in die
benachbarte Lymphdrüsengruppe und
nach und nach von einem Drüsende¬
pot zu dem anderen, bis sie endlich
durch den Ductus thoracicus die Vena
subclavia und damit die allgemeine
Blutzirkulation erreichen. Die (an¬
geblich? Ref.) häufige Abkürzung der
Inkubationsperiode bei Schanker im
Gebiet des Kopfes soll darauf beru¬
hen, dass die Entfernung des Schan¬
kers von der Eintrittsstelle in die Ve¬
ne geringer ist als die des Schankers
am Penis.
(Es ist auffällig, wie wenig in dieser
wie in vielen anderen Arbeiten darauf
Rücksicht genommen wird, wie wenig
eigentlich von dem Treponema und
seiner Lebensgeschichte wirklich be¬
kannt ist, ausser, dass dasselbe regel¬
mässig in den Produkten der Syphilis
gefunden wird; ebensowenig davon,
dass die Inkubationsperiode eine im
Ganzen doch recht gleichmässig lange
ist, ohne jeden Unterschied in der Na¬
tur, der Ausdehnung und des Sitzes
des initialen Herdes, oder des Ge¬
schlechts, Alters, Rasse und Gesund¬
heitszustandes des Patienten, die doch
auf gewisse Phasen in der Entwick¬
lung des Parasiten denken lassen.
Ref.)
I> o y c e, John W., M. D., Pitts¬
burgh : Robert’s Test for Albumen.
Urolog. and Cutan. Review. I. No¬
vember 1913.
Boy ce rühmt die Methode Ro¬
her t’s zum Nachweis von Albumen.
Die aus 1 Teil Acid. nitr. und 5 bis 8
Teilen einer saturierten Lösung von
schwefelsaurer Magnesia in destillier¬
tem Wasser bestehende Lösung zeigt
im Reagenzglas an der Berührungs¬
stelle mit der Albumen enthaltenden
Flüssigkeit auch bei der gerinsten
Menge eine scharfe weisse Linie.
Boyce hält die Probe für bequem,
bestimmter und empfindlicher als die
mehr populären Proben. Seine ausser¬
ordentliche Genauigkeit kann höch¬
stens in einem Falle unter 40 nachtei¬
lig sein. Jeder Urin, der bei der
R o 1) e r t’schen Probe reagiert, erfor¬
dert mikroskopische Utnersuchung.
Kongressberichte.
IV. Internationaler Chirurgenkongress.
New York, 13.—16. April 1914,
Kollektivbericht der Vereinigung
Berichterstatter:
(Fortsetzung
5. Das Ulcus callosutn ventriculi
soll, wenn es der Kräftezustand des
Patienten erlaubt, reseziert werden.
Das gilt ganz besonders für die pylo-
rusfernen Ulzera der kleinen Kurva-
der Deutschen mediz. Fachpresse.
Dr. R. Tölken.
und Schluss.)
tur der Hinterwand. In allen übrigen
Fällen ist die hintere Gastroenterosto¬
mie die Operation der Wahl. — Die
Exzision der Magenulzera ergibt
meist ungenügende Resultate. Sie be-
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
49
seitigt den Pylorospasmus nicht.
Wohl aber kann die Exzision mit
gleichzeitiger Gastroenterostomie Be¬
friedigendes leisten.
6. Die Exzision oder Resektion des
Ulcus duodeni kommt nur ganz aus¬
nahmsweise in Betracht (hartnäckige
rezidivierende Blutung, Perforations¬
gefahr, Krebsverdacht).
7. Das beste Verfahren bei Ulcus
duodeni ist die Kombination von Ga¬
stroenterostomie mit unilateraler Py-
lorusausschaltung nach v. Eiseis¬
berg. Ist dieser letztere Eingriff aus
irgend einem Grunde nicht angezeigt,
so empfiehlt sich die Umschnürung
des Pylorus mit einem Faszienstreifen
oder die Verwendung des Ligamen¬
tum teres. Wir halten 'Versenkung
des Faszienringes durch eine serose¬
röse Naht für notwendig. Die Pylo-
rusausschaltung kann mit einer Sus¬
pension des Magens verbunden wer¬
den. Ganz sicher in ihrem Resultat
ist nur die Methode v. Eiseis-
bergs.
8. Wird ein in d£r Nähe des Pylorus
gelegenes Ulcus mit diesem reseziert,
so empfiehlt sich die Versorgung des
Magens nach dem Typus B i 11 r o t h
II. Für die Ulzera der kleinen Kur¬
vatur und der Hinterwand ergibt die
Querresektion mit axialer Nahtverei¬
nigung der Stümpfe die besten Resul¬
tate.
9. Für manche Fälle von Ulkus in
der Nähe des Pylorus, besonders mit
hohen Säurewerten, empfiehlt sich
nach ausgeführter Resektion die Ver¬
sorgung des oralen Magenstumpfes
nach Reichel in Form breiter Ein-
nähung in die oberste Jejunumschlin¬
ge; vielleicht schützt dieses Verfahren
besser gegen das Ulcus pepticum je-
juni. Tritt ein solches auf, ist ein Ver¬
such der Resektion gerechtfertigt.
Auch die ganz breite Anastomose zwi¬
schen Magen und Duodenum (Fin-
n e y) verringert vielleicht die Gefahr
dieser Spätkomplikation der Gastro¬
enterostomie. Leider sind die Erfah¬
rungen über beide genannten Arten
des Vorgehens noch zu klein.
10. Das mit Gastroenterostomie be¬
handelte Ulcus callosum ist ebenso
wie das Ulcus duodeni durch längere
Zeit (j / 2 —1 Jahr) intern durch Verab¬
reichung von Atropin und Alkalien
nachzubehandeln. Dies gilt ganz be¬
sonders für alle Fälle mit hohen Säure¬
werten des Magens.
11. Die Gastroenterostomie ergibt
ausgezeichnete unmittelbare und Dau¬
erresultate bei der Narbenstenose des
Pylorus. Beim floriden und besonders
pylorusfernen wirkt sie nicht so
sicher. Es ist nur in 50.66 Prozent mit
einem genügenden Erfolge zu rechnen.
12. Die Mortalität der Ulkusresek¬
tion, ganz besonders der Querresek¬
tion, ist gering; sie beträgt ca. 10 Pro¬
zent, bei letzterer eher weniger. Sie
bleibt allerdings immer höher als jene
der Gastroenterostomie, doch fehlen
ihr nahezu die Spättodesfälle jener an
Perforation, Blutung, Ulcus pepticum
jejuni, Nachoperationen. Die klini¬
schen Dauererfolge bei der Resektion
sind gut.
Lambotte (Antwerpen): Die
Pylorusexklusion soll der Gastroente¬
rostomie stets hinzugefügt werden.
Seit Jahren benutzt L. mit bestem Er¬
folg die einfache Ligatur des Pylorus ;
wird der Faden nur bis zur Berührung
der Schleimhaut locker angezogen,
schneidet er auch nicht durch. Die¬
selbe Technik wird auch bei der En-
terostomie benutzt. Hier kann man
sich durch Einführen des Fingers da¬
von überzeugen, dass der Verschluss
noch nach mehreren Monaten voll¬
ständig ist. Uebernähung des Fadens
ist nicht nötig.
Auch das Auftreten eines Ulcus
pepticum hängt nur von der Technik
ab, nicht von einer pathologischen
Disposition. L. sah dasselbe nur ein¬
mal bei 600 Magenoperationen, an ei¬
ner Stelle, wo die Schleimhaut durch
eine Klemme gequetscht worden war.
So erklärt sich auch die angeblich so
verschiedene Häufigkeit dieses Vor¬
kommens.
Gibson (New York) hat ’74mal
wegen Magen-, 27mal wegen Duode-
nal-Perforation operiert, mit 25 Todes¬
fällen ( = F$). Die Pylorusvene ist
eine sichere Grenze. Bei der Perfora¬
tion soll man möglichst ohne Gastro¬
enterostomie auszukommen suchen.
Sonneiburg (Berlin) berichtet
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HARVARD UNIVERSITY
. MED/
50 New Yorker Med$G)I|ci& iIoiJatsschäif?.
-v---
über das Ergebnis der Diskussibns^lerl- löRiAfisep^sie häufen sich daher zu
Berliner Chirurgen und Internen übeT"
das Duodenalgeschwür (Berliner Ges.
f. Chir., Nov.-Dez. 1913). Die meisten
Redner hielten die Diagnose für gar
nicht so einfach, die typische Anam¬
nese Moynihan’s fehle häufig; an¬
drerseits wurden ähnliche Symptome
(z. B. der Hungerschmerz) auch bei
Erkrankungen der Gallenwege und
des Pankreas beobachtet. Sekretions¬
störungen des Magens können fehlen;
ebenso okkulte Blutungen, die wieder¬
um auch andere Ursachen haben kön¬
nen. Auch das Röntgenbild gibt kei¬
nen sicheren Aufschluss. Meist wird
man daher nur zu einer Wahrschein¬
lichkeitsdiagnose gelangen. Das Vor¬
kommen des Duodenalgeschwürs wur¬
de nicht für so häufig gehalten, wie
englische und amerikanische Kollegen
angeben. S. beobachtete unter 80
Fällen nur 73 Geschwüre im Duode¬
num und 10 am Pylorus. Zum Schluss
weist S. auf die Bedeutung der Blut¬
untersuchung (A r n e t h’sches Blut¬
bild) für die Differentialdiagnose und
Prognose des perforierten Magen- und
Duodenalgeschwürs hin; allerdings ist
das Bild nicht so einheitlich wie z. B.
bei der Appendizitis.
B e v a n (Chicago): Der Chirurg
muss mit dem Internen Zusammen¬
arbeiten. In 4 —5 Prozent treten gas-
trojejunale Ulzera auf nach Gastro¬
enterostomie. Diese können durch
geeignete medizinische Behandlung
verhindert werden. Rosenauer
(Chicago) hat aus Magengeschwüren
Kulturen hergestellt und damit durch
Injektion bei Tieren typische Ulzera
erzeugen können. Das Ulkus entsteht
also wahrscheinlich durch einen spezi¬
fischen Organismus bei geringer Wi¬
derstandskraft des Individuums und
lokaler Disposition.
Murphy (Chicago): Die erste
akute Attacke des Ulkus entspricht
anderen akuten Infektionen (Herz,
Gelenke). Rosenauer züchtete
Streptokokken in verschiedenen Me¬
dien und konnte mit jedem Stamm
stets einförmig eine spezifische Läsion
erzeugen, so auch Magengeschwüre.
Diese sind als metastatische Herde
von anderen Infektionen des Körpers
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'bLSliimfften Jahreszeiten, wenn z. B.
Pneumonien gehäuft auftreten. Be¬
züglich der Technik empfiehlt er warm
seinen Knopf, doch nicht den in Eu¬
ropa gebräuchlichen runden, sondern
den länglichen Knopf, der eine breite¬
re Kommunikation schafft. Nahtge¬
schwüre und Hämorrhagien kommen
dann nicht vor.
Kümmel (Hamburg) erklärt den
Unterschied deutscher und amerikani¬
scher Statistiken damit, dass der
Deutsche sich viel schwerer zur Ope¬
ration entschliesst, erst lange intern
behandelt wird; daher sieht der Chi¬
rurg vorwiegend schwere Fälle. Beim
Ulkus der Magenmitte Resektion; es
tritt danach eine gewisse Parese des
Pylorus ein. Unter 80 Gastroentero¬
stomien sah er nur drei Misserfolge,
insofern der Pylorus durchgängig
blieb. Die Duodenalsonde sollte be¬
nutzt werden, mit Einführung von
Wismut und Röntgenbildern. Das
wichtigste für die Diagnose ist der
Nachweis von Blut.
Manninger (Budapest): Bei
Ulcus callosum soll man prinzipiell
resezieren; denn häufig treten nach
der Gastroenterostomie trotz Wohlbe¬
findens in den ersten Jahren doch von
neuem Beschwerden auf, die Anasto-
mose verkleinert sich; ausserdem ist
die Häufigkeit der krebsigen Entar¬
tung doch wohl nicht so gering, wie
heute gesagt wurde. Auch er glaubt,
wie Kümmel, dass in Europa mehr
reseziert wird, weil die Leute später
zur Operation kommen. Die Faden¬
umschnürung des Pylorus, die L a m -
b o 11 e empfiehlt, ist nach den Tier¬
experimenten als ganz unzuverlässig
zu verwerfen; es ist Körpergewebe zu
benutzen (Ligam. teres). Der sicher¬
ste Verschluss ist E i s e 1 b e r g’s Me¬
thode ; mit dem H ä r t l’schen Naht¬
instrument, das warm zu empfehlen
ist, lässt sie sich in 2—3 Minuten aus¬
führen. Warnung vor Quetschung der
Schleimhaut.
Lilienthal (New York) hat in
drei Fällen nach Gastroenterostomie
später ein Karzinom erlebt. Die Ge¬
fahr der Resektion bei pylorusnahem
Geschwür ist daher geringer als die
Original fro-m
HARVARD UNIVERSUM
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
51
drohende maligne Entartung. Daher
ist bei elenden Leuten oder schwieri¬
gen Verhältnissen (akut entzündliche
Infiltration) zweizeitig ,zu operieren,
zunächst Gastroenterostomie, vier
Wochen später Pylorektomie. Da¬
durch lässt sich die Mortalität der Re¬
sektion noch weiter herabdrücken.
Gerster (New York): Trotz im¬
mer radikalerer Operation erleben wir
immer noch Rezidive; die Ursache des
pathologischen Zustandes können wir
eben operativ nicht beseitigen. Die
Physiologie muss daher noch genauer
studiett werden. Bericht über einen
Fall, wo nach Resectio pylori wegen
Ulcus (völliger Verschluss nach B i 11-
roth II) nach einem Jahr im Rönt¬
genbild der Wismutbrei durch den
Pylorus wieder ins Duodenum über¬
trat ; das lässt sich wohl nur durch ein
neues Ulkus, das in den Duodenal¬
stumpf perforierte, erklären.
Willi Meyer (New York) hat
zweimal trotz negativer Probeexzision
intra operationem später ein inoperab¬
les Karzinom erlebt; daher soll man,
wenn irgend möglich, resezieren. Die
Maschine von H ä r 11 ist für schwa¬
che Patienten vorzüglich, ebenso für
den ersten Akt der Oesophagusplastik
aus dem Magen nach Jan (diese Me¬
thode ist übrigens schon 1905 von
Beck und C a r r e 1 ausgeführt). Zur
Ausheilung des Geschwürs ist der
Pylorusverschluss unbedingt nötig.
Kraske (Freiburg): Beim Ulcus
callosum der kleinen Kurvatur wurde
von den meisten Rednern die Resek¬
tion empfohlen. K. hat sich zwölfmal
mit gutem Resultat der transgastri¬
schen Auslöffelung und Uebernähung
des Geschwürs bedient als einer weni¬
ger eingreifenden Methode. Ein spä¬
ter aus anderer Ursache zur Sektion
gekommener Fall zeigte das Geschwür
völlig ausgeheilt, die Narbe war kaum
auffindbar, der grosse Ulkustumor war
völlig verschwunden.
O c h s n e r (Chicago) : Anämie,
Reiz durch ungeeignete Ernährung
und Verschlucken septischen Mate¬
rials (von kariösen Zähnen, den Ton¬
sillen etc.) scheinen für die Entste¬
hung des typischen Ulkus von Bedeu¬
tung zu sein. L i 1 i e n t h a l’s zwei¬
zeitige Operation ist noch mehr zu
empfehlen als K r a s k e’s Vorgehen.
W. L. Rodmann (Philadelphia):
Mehrere Jahre nach einer Gastroente¬
rostomie treten oft noch Blutungen,
Perforation oder Karzinom auf. Da¬
her soll man resezieren. Die Zahl der
Ulkuskarzinome nimmt zu, nicht ab.
Die Ansicht von der grösseren Morta¬
lität der Karzinome ist übertrieben.
375 radikale Operationen, von zahlrei¬
chen Autoren gesammelt, ergaben et¬
was mehr als 5 Prozent Mortalität;
davon fallen auf 204 Pylorektomien 8
Prozent, auf andere Resektionen et¬
was weniger als 4 Prozent Mortalität.
M a y o hat bei Pylorektomie wegen
Karzinom 10 Prozent, wegen Ulkus
nur 5 Prozent Mortalität. Nur die Ge¬
schwüre in der Nähe des Pylorus nei¬
gen zu karzinomatöser Degeneration.
Henschen (Zürich): In der
Schweiz ist auch seit genauerem Ach¬
ten auf das Duodenalgeschwür dieses
seltener als das Magengeschwür. Ge¬
nauer erforscht werden müssen noch
die retroperitonealen Phlegmonen
nach perforiertem Duodenalgeschwür,
die garnicht so selten sind, aber nicht
erkannt werden.
W. Mayo (Rochester) : Die Ver¬
suche Rosenauer’s sind sehr be¬
achtenswert, erklären aber noch nicht
alles: es entstehen nur akute, keine
chronischen Ulcera. Nur das Mikro¬
skop kann entscheiden, ob ein Karzi¬
nom auf dem Boden eines Ulkus ent¬
standen ist; das ist nur dann sicher zu
sagen, wenn der Geschwürsgrund .frei
ist von Karzinom und dieses sich nur
in den Rändern findet; ist auch am
Grunde Karzinom, ist eine Entschei¬
dung unmöglich. Sektionsmaterial ist
daher ungeeignet für diese Frage. Die
zweizeitige Operation L i 1 i e n t h a Ts
dürfte nur für ganz bestimmte Fälle
angebracht sein.
J u r a s z (Leipzig) : Krönlein’s
Statistik ist für das Vorkommen des
Karzinoms nach Ulkus nicht bewei¬
send, da sie schon in die 90er Jahre
zurückreicht. Die Fadenumschnürung
des Pylorus, die Lambotte wieder
empfiehlt, ist durch Tierversuche als
ganz unzuverlässig erwiesen. Auch
die Pay r'sche Klinik hält mit Mayo
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52
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
ein Ulkuskarzinom nur dann für er¬
wiesen, wenn nur die Ränder, nicht
aber der Grund des Geschwürs Kar¬
zinom zeigen; drei solche Fälle wur¬
den beobachtet. Als erfreuliches Er¬
gebnis des Diskussion lässt sich fest¬
stellen, dass die allermeisten Redner
für die Resektion beim Magengeshwür
eingetreten sind.
III. Gewebs- und Organ-Transplan¬
tationen.
H. Morestin (Paris), Ref.: Die
Einpflanzungen und Gewebstransplan¬
tationen haben die Grenzen der kon¬
servativen Chirurgie bedeutend erwei¬
tert. Den Beweis hierfür liefern die
Fortschritte in der plastischen Thera¬
pie der Difformitäten und Hauter¬
krankungen mittelst Haut-, Epider¬
mis-, Fett- und Knorpeltransplanta¬
tionen.
Die freie Hauttransplantation ge¬
lingt ziemlich gut unter besonderen
Umständen: kleine Fragmente, dünne
und weiche Haut, vom Unterhautzell-
gewebe befreit, auf frische, streng
aseptische Wunde gebracht. Für die
Gesichtschirurgie findet sie wenig An¬
wendung, weil das implantierte Haut¬
stück stets eine gelbliche Farbe behält
und trophische Störungen aufweist.
Zweizeitige Hauttransplantation. Die
italienische Methode ist trotz der ihr an¬
haftenden Nachteile in dieser Hinsicht
viel wertvoller. Sie ist zu empfehlen in
jenen Füllen, wo die Transplantation der
oberen Hautschichten nicht genügt und
wo in der Nachbarschaft nicht genügend
Gewebe vorhanden ist. Für die Rhino-,
Uheilo- und Klepharoplastik, wo sie be¬
sonders empfohlen wird, soll sie in Wirk¬
lichkeit nur ausnahmsweise gebraucht
werden. Hervorragend wirkt sie für die
Herstellung der Nasenspitze und des un¬
teren Teiles des Septums aus der Pal¬
marhaut der Hand. Die Hauttransplan¬
tationen nach T h i e r s c h finden zahl-
1 eiche Anwendungen zur Heilung
grosser Defekte nach Verbrennungen.
Traumen oder Geschwulstentfernungen.
Sie sind einzig zu verwenden bei voll¬
ständigem Abreissen der Kopfhaut und
nach Exzision von Cancroiden. ln der
I upustherapie und zur Heilung diffor-
nier Narben sind sie weniger indiziert.
Manchmal können sie als provisorische
Autoplastik dienen. Haare können frei
transplantiert werden oder mittelst ge¬
stielter Lappen, z. B. als Ersatz für die
Augenbrauen oder den Schnurrbart.
Die Knorpelstransplantationen gehö¬
ren zu den schönsten Errungenschaften
(ier plastischen Chirurgie und haben die
totale Rhinoplastik .ermöglicht. Der
Knorpel wird stets gut vertragen, wenn
er ganz umhüllt ist, und bleibt ewig le¬
bendig. Durch seine Lebensfähigkeit
und Modellierbarkeit erweist er sich als
besonders verwendbar zur Herstellung
des Nasengerüstes. Ausser der totalen
und partiellen Rhinoplastik kann er zur
Korrektur sämtlicher Gesichtsdifformi-
täten verwendet werden (Wangen, Kie¬
fer etc.).
Die Fetttransplantationen sind zu em¬
pfehlen für tiefeingesunkene Narben,
Knochenhöhlen etc. Das Fett wird zwar
durch neugebildetes Gewebe ersetzt, aber
das Resultat ist nichtsdestoweniger gün¬
stig. Da Fetttransplantate sich leicht
und ungefährlich verschaffen lassen, ge¬
boren sie zu den besten Neuerungen in
der kosmetischen und plastischen Chi-
ru rgie.
E. V i 11 a r d (Lyon), Corref.: Blut¬
gefässtransplantation, vorgetragen von
M i c h o n (Paris) : Wir unterscheiden
zwei Arten von I »lutgefässtransplanta-
tionen, die sofortige Einpflanzung und
die Einpflanzung von konservierten
IMutgefässen. Ausserdem unterscheiden
wir zwischen Arterien- und Venenver¬
pflanzung und zwischen auto-. homo-
und heteroplastischen Verpflanzungen.
Der Erfolg muss makroskopisch und
mikroskopisch geprüft werden, da ein
funktionell recht guter Erfolg keines¬
wegs immer gute anatomische Verhält¬
nisse beweist und da oft mikroskopisch
schwere Veränderungen in makrosko¬
pisch normalen Geweben vorliegen.
I. Sofortige Verpflanzungen. — Die
U a r r e 1 sehe Technik ist die beste.
1. Autoplastische Arterien Verpflanzun¬
gen.— Beim Tier findet vollständige
Einheilung statt.
2. I lomoplastische Arterieneinpflan¬
zungen. —- Makroskopisch sind die Re¬
sultate gilt. Jedoch unter dem Mikro¬
skop zeigt es sich, dass nach längerer
Zeit die Anheilung einer Arterie bei Ver-
Qriginal fro-m
HARVARD UNIVERS1TY
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
53
pflanzung auf artgleiche Tiere zweifel¬
haft erscheint.
3. Heteroplastische Arterienverpflan¬
zungen können gelingen. Es ist aber
wahrscheinlich, dass däs transplantierte
Gefäss dem implantierten Tier bloss als
Führer zur Regeneration des eigenen Ge-
fässes dient.
4. Venentransplantationen gelingen
schwerer. Das Venenstück wird hyper¬
trophisch und seine Struktur gleicht all¬
mählich derjenigen einer Arterie.
II. Transplantation konsennertcr Ge¬
lasse. — Die beste Konservationsmethode
ist das Aufbewahren in steriler physiolo¬
gischer Lösung bei 0°. Auf diese Art
können Gefässstücke mit Erfolg implan¬
tiert werden; man muss sich aber bewusst
sein, dass nur die elastischen Fasern über¬
leben und als Substrat für die anwachsen¬
den Zellen des implantierten Tieres
dienen.
III. Anwendungen der Gef (isst rans-
plantationen beim Menschen. — Die Chi¬
rurgie kann in drei Fällen die Gefäss-
transplantation benützen:
1. Bei Gefässverletzungen:
2. bei der Exstirpation einer mit den
Gefässen verwachsenen Geschwulst;
3. bei der Radikaloperation von Aneu¬
rysmen.
Beim Menschen soll die autoplastische
Venentransplantation bevorzugt werden.
E. U 1 1 m a n n (Wien), Corref.:
Gewebs- und Organtransplantation.
Die Hoffnungen, welche man vor 15
Jahren in die Zukunft der Gewebs- und
Organtransplantationen gesetzt hat, ha¬
ben sich nur zum geringen Teile erfüllt.
Es scheinen dem Erfolg der heteroplasti¬
schen Transplantation die Anaphylaxie,
dem Erfolg der homoioplastischen die
biochemische Eigenschaft des Individu¬
ums hindernd im Weg zu stehen. Nur
bei der autoplastischen Transplantation
sind sowohl in bezug auf den unmittel¬
baren Erfolg als auch auf Dauerresul¬
tate-günstige Ergebnisse zu erwarten,
während heteroplastische T ransplanta-
tionen mit Ausnahme der Transplantation
von Knochen stets ein ungünstiges Re¬
sultat ergeben. Und auch der Knochen
wird nicht erhalten, sondern wird durch
Knochensubstanz des Empfängers substi¬
tuiert. Bezüglich der homoioplastischen
Transplantation sind die Erfolge nicht
gleichmässig und hängen vielleicht von
der mehr oder minder grossen Aehnlich-
keit des Blutserums zweier Individuen
derselben Art ab. Wenn es gelingen
sollte, das Blutserum zweier Individuen
derselben Art und damit auch ihre Zell¬
substanzen ähnlich oder identisch zu
machen, so könnten auch die homoioplas¬
tischen Transplantationen gleich gute
Resultate geben wie die autoplastischen.
Hier müssen weitere Versuche einsetzen.
E. L e x e r (J ena), Corref.: Die
freie Transplantation. L. erblickt
seine Aufgabe im wesentlichen darin,
unter Verwendung seiner eigenen
Arbeiten und Erfahrungen die prak¬
tische Verwertung der freien Transplan¬
tation zu schildern.
a) Allgemeiner Teil.
Verschieden ist die Beurteilung über
den Wert der Transplantationsfähigkeit
einzelner Gewebe vom Standpunkt des
Klinikers und von dem des Pathologen.
Der klinische Erfolg ist nicht nur vor¬
handen 1. bei idealer Einheilung mit Er¬
haltung des Gewebes, sondern auch 2. bei
langsamem Schwund und gleichzeitiger
Substitution, ferner 3. gelegentlich bei
vollständiger Abkapselung. Auch beim
klinischen Misserfolg sind Unterschiede
vorhanden, da das Transplantat teils
durch eine heftige gegnerische Reaktion
abgestossen wird oder durch allmählich
eintretende Fremdkörpereiterung verlo¬
ren geht, teils der Misserfolg dadurch
eintritt, dass die Resorption schneller vor
sich geht als die Substitution oder die
letztere nur durch Narbengewebe erfolgt.
Am Misserfolge sind hauptsächlich, sieht
man von infektiöser Eiterung ab, geringe
Blutmassen schuld, welche den Anschluss
an die Ernährung verhindern.
Unterschiede der Einheilungsbedin¬
gungen bei Auto-, Homo- und lletero-
plastik. — Für einen günstigen Erfolg
sind verschiedene Bedingungen nötig.
Genügende Lebenskraft. Ernährungs¬
und Anpassungsfähigkeit und Regenera¬
tionskraft des Transplantates, ferner die
Verhältnisse des Wundbodens. Eine
fehlerlose Operation, welche eine Beur¬
teilung über den Wert der Transplanta¬
tion eines Gewebes erlaubt, kann erst
dann angenommen werden, wenn das
letztere eine allseitig eingetretene Ver¬
klebung zeigt. Für die Technik ist
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HARVARD UNIVERSITY
54
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
notwendig: Genaue Aseptik, gründliche
Blutstillung. Schonung des Transplan¬
tates, Vermeidung von Nahtlinien über
dem letzteren. Zur Nachbehandlung ist
die Bedeutung der funktionellen Inan¬
spruchnahme wichtig.
b) Spezieller Teil.
In diesem Abschnitt wird zunächst die
klinische Bedeutung der Epidermis- und
Hauttransplantation besprochen. Neu ist
die Verwendung der Haut, deren Epider-
misschicht vollständig entfernt ist. Der
Wert der Epidermis- und Hauthomo¬
plastik ist ausserordentlich gering; nach
eigenen klinischen und experimentellen
Versuchen sind Erfolge zu bezweifeln.
Wahrscheinlich handelt es sich meist um
narbige Substitution oder Schorfheilung.
Daran schliesst sich die Besprechung der
klinischen Erfolge bei Schleimhauttrans¬
plantation, Muskel-, Nerven-, Gefäss-
transplantation, die Verpflanzung von
Sehnen, Faszien, Periost und Bauchfell,
von Knochen, Knorpel, Gelenken und
ganzen Gliedern. Zum Schluss folgt eine
kurze Bemerkung über die klinischen
Misserfolge der Organverpflanzung.
(Demonstration zahlreicher Diaposi¬
tive aus der L e x e r’schen Klinik.)
A. C a r r e 1 (New York), Corref.:
Die Transplantation von Organen.
Obschon die technische Seite des Prob¬
lems der Organtransplantation gelöst ist,
kann diese vorläufig auf die menschliche
Chirurgie nicht angewandt werden, da
die homoplastische Transplantation, die
allein von Nutzen wäre, zwar gute un¬
mittelbare Erfolge, aber fast nie Dauer¬
resultate aufzuweisen hat. Schon 1908
wurden im Rockefeller - Institut
autoplastische Nierentransplantationen
am Hunde mit Erfolg ausgeführt. Bei
Durchströmen mit Lock e’scher Lösung
konnte die Zirkulation 50-60 Minuten
ohne Schaden völlig unterbrochen wer¬
den. Nach homoplastischer Transplan¬
tation beider Nieren samt Ureteren,
Aorta und Vena cava traten dagegen
stets nach Stägigem Wohlbefinden Dege¬
nerationserscheinungen der transplantier¬
ten Nieren auf, und kein Tier überlebte
den 36. Tag. Vereinzelte gelungene Ova¬
rientransplantationen haben als Ausnah¬
me keine prinzipielle Bedeutung. Wir
müssen daher die Ursachen der Reaktion
des Organismus gegen ein neues Organ
studieren und diese zu verhindern lernen.
Diese regelmässig eintretende Reaktion,
nach 6-7 Tagen mit Oedem und Leuko¬
zyteninfiltration beginnend, ist bei Hun¬
den stärker ausgesprochen als bei Katzen.
Nur bei 3 Tieren blieb sie aus (3mal
Transplantation des Beines, lmal der
Kopfhaut und des Ohres) ; es trat reak¬
tionslose Anheilung ein. Aber diese 3
Tiere litten alle an einer Allgemeininfek¬
tion, 1 an Pyämie, 2 an Pneumonien.
Wir versuchten das daher durch Ab¬
szesserzeugung mit Terpentininjektionen
nachzuahmen; doch bisher ohne wesent¬
lichen Erfolg. James B. Murphy hat
kürzlich im Rockefeller-Institut sehr in¬
teressante Versuche über heteroplastische
Tumortransplantationen gemacht: Rat¬
tentumoren auf Hühnerembryonen ver¬
pflanzt wuchsen von Ei zu Ei übertragen
immer weiter; doch wenn das Hühnchen
heran wuchs, verschwanden die Tumoren
stets. In einer gewissen Lebensperiode
muss sich also eine neue Funktion aus¬
bilden, die dem Organismus die Kraft
gibt, das fremde Gewebe zu eliminieren.
Weitere Kulturversuche ergaben nun,
dass das Wachstum des Rattentumors
im Hühnchenserum stets gehemmt
wurde, wenn Milz oder Knochenmark
von erwachsenen Hühnern zugefügt
wurde; alle anderen Gewebe und Organe
waren wirkungslos. Ebenso wuchs der
Rattentumor im Hühnerembryo nicht
weiter, wenn mit ihm Stücke von Milz
oder Knochenmark transplantiert waren.
Um also homoplastische Transplantatio¬
nen dauernd funktionsfähig zu erhalten,
muss diese Reaktionskraft der Milz und
des Knochenmarkes auf das fremde Ge¬
webe ausgeschaltet werden. Das ver¬
suchte Murphy zunächst durch Milz¬
exstirpation, dann durch Injektion von
Benzol, das die Aktivität der Leukozyten
herabsetzt; doch wurde die Reaktion da¬
durch nur etwas verzögert. Jetzt ist es
ihm mit intensiver Röntgenbestrahlung
aer mit Mäusetumoren geimpften Ratten
gelungen, noch nach 35 Tagen den trans¬
plantierten Tumor weiter wachsen zu
sehen. Bestimmte Schlüsse möchte ich
daraus vorläufig noch nicht ziehen. Doch
zeigen diese Experimente den Weg, den
wir weiter studieren müssen, um die bio¬
logischen Kräfte kennen zu lernen,
welche die Reaktion des Organismus ge-
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
55
gen das fremde, homoplastische Trans¬
plantat verhindern können.
Murphy (Chicago) : Die freie Fett¬
transplantation eröffnet der Gelenkplastik
eine grosse Zunkunft. Die Resultate
L e x e r s sind verblüffend. 1902 machte
M. die erste Gelenkmobilisation mittelst
eines mit Fett besetzten gestielten Fas¬
zienlappens ; es soll dadurch infolge der
Reibung eine Art Hygrom gebildet wer¬
den. Demonstration von Bildern von
Mobilisation des Knie-, Hüft- und Ellen¬
bogengelenks mit solchen gestielten Fas¬
zienfettlappen, von Knochentransplanta¬
tionen und Retransplantation von Ge¬
lenkenden.
E. Rehn (Jena): Das Tierexperi¬
ment hat uns erst die nötige Sicherheit
und Richtung für unsere Transplantatio¬
nen gegeben. Nach R e h n s Unter¬
suchung hat das Fettgewebe eine spe¬
zifische Eigenschaft; es ist entwicklungs¬
geschichtlich weit höher zu bewerten als
Faszie und Sehne. Demonstration von
Lichtbildern über Degeneration und Re¬
generation des Fettgewebes bei Homo-
und Autoplastik. Das subkutane Fett¬
gewebe beteiligt sich an der Sehnenbil¬
dung. Bei Druck und Belastung dage¬
gen (in Gelenken der unteren Extremi¬
tät) muss das Fettgewebe bindegewebig
degenerieren. Als Transplantationsmate¬
rial hat sich Vortr. neuerdings das Kutis-
Bindegewebe ohne Epidermis vorzüglich
bewährt; es lassen sich daraus histolo¬
gisch und klinisch richtige Faszien und
Sehnen erzeugen, so dass dieses Mate¬
rial hinter der Faszien- und Sehnentrans¬
plantation nicht zurücksteht. Besonders
für den Ersatz grosser Sehnen- und Bän¬
derdefekte scheint das Kutisgewebe prä¬
destiniert zu sein.
W i t z e 1 (Düsseldorf) : Für die Ope¬
ration der traumatischen Epilepsie
kommt es auf die freie Beweglichkeit
des Gehirns gegen die Dura an. Be¬
richt über 2 Fälle, in denen durch mög¬
lichst weite Fortnahme des Knochens
ausgiebige Lösung der fixierten Dura ma-
ter, freie Transplantation eines möglichst
grossen Reh nschen Fettlappens von der
Dicke eines kleinen Fingers, der mög¬
lichst weit unter die Dura zu schieben
und durch einige Nähte zu fixieren ist,
ein sehr gutes Resultat erzielt wurde.
Depage ' (Brüssel) : Beim Hunde
gelingt der vollständige Ersatz des Duc¬
tus choledochus und eines Gallenblasen¬
defektes durch freie Transplantation ei¬
ner Vene ausgezeichnet; die Narben wa¬
ren später kaum noch zu erkennen.
S t e i n t a 1 (Stuttgart) berichtete
über Rhinoplastiken aus der Brust¬
haut mittelst Wanderlappens, die zu¬
erst 1900 von ihm ausgeführt wurden.
Der Lappen wird zunächst in einen
Spalt am Vorderarm eingeheilt. Er
bildet die Nase nur aus Haut, ohne
Unterfütterung wie L e x e r. Die Me¬
thode ist weniger kompliziert, man hat
reichlicher Material als bei der italieni¬
schen Methode. Auch an anderen
Körperstellen gibt die Wanderlappen¬
plastik gute Erfolge.
Leonte (Bukarest) berichtet über
freie Knochentransplantationen und
freie Fetttransplantation in osteomye¬
litische Knochenhöhlen. In zwei Fäl¬
len hat er mit einem heteroplastischen
Peritoneallappen einen guten Erfolg er¬
zielt. Der Ersatz des fünften Metakar-
pus durch den fünften Metarsus ge¬
lingt sehr gut. Die Form des zu trans¬
plantierenden Knochens muss stets
dem Substanzverlust genau angepasst
sein. Die wichtigsten Punkte für
einen guten Erfolg sind Autoplastik,
stets periostbedeckter Knochen, gute
Asepsis, keinen Fremdkörper in der
Wunde belassen.
F r e e m a n (Denver) und Porter
(Boston) sprechen über die Verhü¬
tung von Narbenkeloiden und über
Verbesserungen der Thier sch-
schen Transplantationen bei Verbren¬
nungen.
Carrel (New York): In dem Re¬
ferat V i 11 a r d s ist der heutige Stand
der Blutgefäss-Transplantation nicht
richtig dargestellt; die Resultate sind
weit besser; bei mittelgrossen Arte¬
rien lassen sich in 95 Prozent gute Re¬
sultate erzielen. Bei den Venen ist die
Technik noch leichter und die klini¬
schen Resultate noch besser als bei
den Arterien. Haut und Periost ver¬
mögen in Kulturen aufzuwachsen und
können so längere Zeit aufbewahrt
werden; bei höheren Geweben ist das
natürlich schwieriger. Wir haben hier
in New York ein Laboratorium einge¬
richtet, wo solche Gewebe gezüchtet
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56
New Yokkxk Medizinische Monatsschbitt. A
und präserviert werden. Vielleicht
kann das für praktisch-chirurgische
Zwecke später einmal von Bedeutung
werden.
C. R e h n (Frankfurt) : Für die
Herzlösung bei obliterierender Peri¬
karditis hat sich von allen untersuch¬
ten Geweben am besten der Fettlap¬
pen bewährt. Er überzieht sich von
den Gefässen aus mit einer Endothel¬
schicht, nicht etwa vom Perikard aus,
wie durch Aschoffs Autorität fest¬
gestellt ist.
Jurasz (Leipzig): Grosse Schä¬
deldefekte lassen sich sehr gut nach
Röpke aus dem unterhalb der Spina
gelegenen Teil der Skapula decken;
man hat damit ein dünnes, grosses,
leicht gewölbtes Material. Die Funk¬
tion des Armes wird nicht beeinträch¬
tigt. Zwei Fälle von Ersatz der Harn¬
röhre durch den Wurmfortsatz nach
L e x e r gaben in der P a y r’schen
Klinik ein schlechtes Resultat; sie
führten zu Schrumpfung und Narben¬
stenose.
MacKenzie (Portland, Oregon):
Die Nerventransplantation wurde bis¬
her kaum erwähnt. In einem Falle von
Recklinghause n’scher Krank¬
heit hat Vortragender den N. ischia-
dicus wegen eines grossen Neurofi¬
broms ziemlich weit resezieren müs¬
sen. Es traten schwere trophische
Störungen auf. Er schlitzte deshalb
den Peroneus am Unterschenkel,
schlug den langen Nervenlappen nach
oben um und überbrückte mit ihm den
Defekt im Ischiadikus. Die trophi-
schen Störungen verschwanden; all¬
mählich kehrte auch die Sensibilität
zurück.
Franke (Braunschweig) empfiehlt
bei traumatischer Epilepsie, nach
freier Faszien-Transplantation zur
Deckung des Duradefektes, das ent¬
fernte Knochenstück umgekehrt mit
dem äusseren Periost nach innen wie¬
der einzusetzen.
Als Sitz des nächsten Internationa¬
len Chirurgenkongresses 1917 wurde
Paris bestimmt. Zum Vorsitzenden
wurde Keen (Philadelphia) gewählt.
Als Referatthemata wurden aufge¬
stellt :
1. Biologische Reaktionen und Chi¬
rurgie.
2. Strahlenbehandlung der Ge¬
schwülste.
3. Chirurgie des Herzens und der
Blutgefässe.
10. Kongress der Deutschen Röntgen-Gesellschaft.*
Berlin, 19. bis 21. April 1914.
(Fortsetzung und Schluss.)
Holzknecht (Wien) und L i p p-
m a n n (Chicago) : Ueber vollständi¬
ge, dauernde Füllung des Duodenums.
Holzknecht weist auf die Klee¬
blattform des Duodenums als Aus¬
druck des Ulcus duodeni hin. Die Ver¬
hältnisse sind nicht immer so günstig,
dass sich das Duodenum von selbst
darstellt. Man muss den Distinktor
anwenden oder mit der Hand drücken.
Auch die Buckyblende kann angewen¬
det werden. Man muss auch in ver¬
schiedenen Projektionsrichtungen un-
* Kollektivbericht der „Vereinigung der
Deutschen mediz. Fachpresse“.
tersuchen. Abgesehen von den neue¬
ren Methoden der Füllbarkeit des Du¬
odenums gelingt es auch, das Ab-
fliessen der Kontrastmahlzeit aus dem
Duodenum zu verhindern, wenn man
mit der Hand oder dem Distinktor an
der Flexura duodeno-jejunalis ein¬
drückt. Demonstration von Diaposi¬
tiven. Dabei zeigt er eine Form von
Schlingenbildung — Formvariante des
Duodenum. Im Gegensatz zu anderen
Autoren, die für die Einführung des
Duodenalschlauches viele Stunden
brauchen, gelingt es H., durch ver¬
schiedene Lagerungen schon in 20 Mi¬
nuten die Olive bis ins Duodenum zu
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New York» Medizinische Monatsschrift.
57
bringen. Die Hauptsache ist, dass die
Olive stets am tiefsten Punkte liegt.
Da die Ulzera zu 90 Prozent im Bul¬
bus liegen, gelingt die Darstellung in
den meisten Fällen ohne Schlauchfül¬
lung.
David (Halle a. d. Saale) : Dünn¬
darmstudien. D. hat mit seiner Me¬
thode die einzelnen Abschnitte des
Dünndarms lokalisiert, wobei sich
eine grosse Mannigfaltigkeit in der
Lage der Duodenojejunalschlinge er¬
gab, und die wahre Entleerungszeit
des Dünndarms festgelegt. Die Pas¬
sagezeit entspricht unseren bisherigen
Vorstellungen, manchmal kann jedoch
der. Brei schon nach 1 % Stunde im
Zökum sein. D. hat dann den Ver¬
dauungsgang mit Suspensionen ver¬
schiedener Nahrungsmittel — Mehl,
Fleisch, Spinat — untersucht. Die
Schlauchuntersuchung stellt auch eine
Methode zur Kontrolle pharmakologi¬
scher Wirkungen dar. D. hat ferner
die letzte Dünndarmschlinge durch
Einläufe kontrolliert, indem er den
Tonus der B a u h i n’schen Klappe
durch Novokain herabsetzte.
F. M. Groedel (Frankfurt a. M.):
Dünndarmerkrankungen im Röntgen¬
bild. Vortr. zeigt zuerst einige Fälle
von Tumoren, die teils in der Nach¬
barschaft des Dünndarms liegen, teils
ihm selbst angehören, z. B. die tuber¬
kulösen Tumoren der Ileozökalgegend.
In einem Fall konnte die Frühdiagno¬
se eines Dünndarmkarzinoms gestellt
werden. G. zeigt, dass die Insuffizienz
der B a u h i n’schen Klappe meist die
Folge einer chronischen Perityphlitis
ist. Ferner demonstriert er eine In-
vaginatio ileocöcalis bei chronischer
Appendizitis. Dabei zeigte sich ein
sehr langer Wurmfortsatz. G. schliesst
aus seinen Erfahrungen, dass auch bei
Dünndarmerkrankungen die Diagnose
häufig durch Röntgenuntersuchung in
wertvoller Weise ergänzt, ja, in man¬
chen Fällen durch sie erst die Krank¬
heitsursache aufgedeckt wird.
Max Cohn (Berlin) : Vom gesun¬
den und kranken Wurmfortsatz. C.
hat die Zeitdauer der Füllung des Pro¬
cessus vermiformis und seine Gestalt
von der vollständigen Füllung bis zur
Entleerung studiert. Interessante
Schlüsse Hessen sich ziehen, nachdem
durch Einlauf oder Abführmittel eine
völlige Entleerung angestrebt wurde.
Das Zurückbleiben von Resten bot
dann wichtige Fingerzeige. Dann und
wann gelingt die völlige Füllung nicht,
wie die nachfolgende Operation ergab.
Gut konnten die mechanischen Ver¬
hältnisse, die zur Bildung von Kot¬
steinen führten, studiert werden. Für
die Indikation zur Operation lassen
sich noch keine weitgehenden Schlüsse
ziehen. Trotzdem gibt die Röntgen¬
untersuchung oft wichtige Anhalts¬
punkte über Gesundheit und Krank¬
heit des Organs.
Arthur F r ä n k e 1 (Berlin) : Es
spricht für chronische Verwachsungen
am Wurmfortsatz, wenn nach sechs
Tagen ein Abführmittel gegeben wird
und der Wurmfortsatz gefüllt bleibt.
H ä n i s c h (Hamburg) : Beiträge
zur röntgenologischen Dickdarmdia¬
gnostik. H. berichtet über weitere Er¬
gebnisse mit der von ihm angegebenen
Methode der Dickdarmuntersuchung,
welche auf der direkten Schirmbeob¬
achtung des Kontrasteinlaufs beruht.
Gerade die Beobachtung der eintreten¬
den Füllung des Darmlumens ermög¬
licht abnorme Verhältnisse mit gröss¬
ter Sicherheit zu erkennen. H. demon¬
striert dazu eine Reihe von Diapositi¬
ven. Karzinom im S romanum. Die
verengte Partie ist deutlich erkennbar.
Ventilstenosen im S romanum. Der
Einlauf überwindet die trichterförmige
Verengung nicht, obwohl bei Einnah¬
me der Kontrastmahlzeit eine glatte
Passage besteht und sogar noch ge¬
formter Stuhl entleert wird. Karzi¬
nom in der Ileozökalgegend. Gutarti¬
ge Stenose im Aszendens. Perisigmoi¬
ditis. Lues des Dickdarms, ulzeröse
Kolitis und Hepatoptose. Hirsch-
s p r u n g’sche Krankheit, Megakolon
und Megasigmoideum. Invagination
des Zökums bis ins Colon descendens
bei sieben Monate altem Kinde.
Schwarz (Wien). Weitere Er¬
gebnisse der röntgenologischen Dick-
darmdiagnostik. Die chronisch katar¬
rhalische Dickdarmentzündung kenn¬
zeichnet sich durch abnorm gesteiger-
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58
New Yobker Medizinische Monatsschrift.
te Kontraktionserscheinungen. Bei
schweren geschwürigen Dickdarm¬
entzündungen findet man zahllose ver¬
ästelte Schattenlinien. Verengernder
Dickdarmkrebs dokumentiert sich
durch stabile flüssige Stuhlniveaus mit
darüberliegenden Gaskuppeln, die
auch ohne Kontrasteinlauf kenntlich
sind. Bei der Durchleuchtung wäh¬
rend des Einlaufs zeigt sich das Kar¬
zinom als Einlaufshindernis, als trich¬
terförmige Verengerung oder als Fül¬
lungsdefekt. Eine relative Früh¬
diagnose ist möglich, daher soll jeder
verdächtige Fall geröntgent werden.
Polypöse Geschwülste können sich
dem röntgenologischen Nachweis ent¬
ziehen.
Bachmann (Leipzig): Ueber die
Darstellung des Rektumkarzinoms im
Röntgenbild. B. zeigt Bilder von
Dickdarmtumoren; er macht den Ein¬
lauf durch einen dünnen Katheter,
welcher sich stets durch den Tumor
hindurch bis oberhalb des Tumors hin¬
aufführen lässt.
Sabat und Sczepansky (Lem¬
berg) : Ueber Interpositio coli hepato-
diaphragmativa. Vortr. haben in sie¬
ben Monaten acht Fälle dieser Erkran¬
kung beobachten können und demon¬
strieren die Röntgenbilder.
I. M. J u d t (Warschau): Pneumo¬
nie im Säuglingsalter. Im Gegensatz
zu anderen Autoren hat J. in 80 Pro¬
zent der Fälle Herdpneumonien rönt¬
genologisch darstellen können. Er % gibt
vergleichende Röntgen- und Autopsie¬
befunde von 185 Fällen. Das Röntgen¬
bild zeigt eine ausserordentliche Viel¬
gestaltigkeit. Das fibrinarme, die Al¬
veolen ausfüllende Exsudat absorbiert
eine ausreichende Menge von Strah¬
len ; die lokale Apneumatose wird
durch vikariierendes Emphysem kom¬
pensiert — dadurch tritt eine Berei¬
cherung des Schattenkontrastes ein.
Bei Konfluenz der Herde wird das
Bild deutlicher. Hypostatischc para¬
vertebrale Streifenpneumonien sind im
Anfangsstadium nur wenig sichtbar;
sie kommen zum Vorschein, wenn sich
infektiöse Vorgänge in den Hyposta¬
sen entwickeln. Man kann drei mor¬
phologisch-radiologische Hauptgrup¬
pen unterscheiden: Knötchenform von
miliarähnlichem Typus, lobäre Form
der katarrhalischen Bronchopneumö
nie und die konfluierende diffuse
Form.
B e 11 z (Cöln): Ein Fall von Lun¬
gengumma. Ein öOjähriger Mann mit
unbestimmten Brustbeschwerden, kli¬
nisch auffallende Verbreitung dei
Sternaldämpfung. Röntgenbild zeigt
eine apfelgrosse, scharf halbkreisför¬
mige, begrenzte Beschattung im zwei¬
ten lnterkostalraum. Innerhalb der
Beschattung deutliche Lungenzeich¬
nung erkennbar. Wassermann posi¬
tiv ; unter Schmierkur verschwand der
Tumor völlig. Der Sitz des Tumors
in der rechten Lunge sei typisch für
Gumma. Demonstration von Diaposi¬
tiven.
H u i s m u s (Cöln) : Die prakti¬
schen Vorzüge des Teleokardiogra-
phen. Der Apparat soll den Orthodia-
graphen als objektives Instrument er¬
setzen, die Herzfunktion prüfen, das
Herz in einer beliebigen Phase aufneh¬
men, was in Verbindung mit dem
Blitzapparat bei 150 bis 200 cm Ent¬
fernung in 1/200 Sekunde gelingt, wo¬
bei 400 Milliamperes in der Röhre ge¬
messen werden.
Ziegler (Berlin): Die Diagnose
beginnender Aortendilatationen na¬
mentlich der Aorta descendens und
des Arcus bereitet auch bei Untersu¬
chung im ersten schrägen Durchmes¬
ser noch häufig grosse Schwierigkei¬
ten. Z. hat durch Untersuchung von
76 thoraxgesunden Personen eine
Norm für den Aortenverlauf festge¬
stellt und den Winkel bestimmt, bei
dem während der Drehung in den er¬
sten schrägen Durchmesser das helle
Mittelfeld eben als feiner Spalt für den
Leuchtschirm sichtbar wurde. Dieser
Drehungswinkel, den er als Normal¬
winkel bezeichnet, liegt im Mittel zwi¬
schen 20 und 22 Grad. Er beträgt
hauptsächlich 21 Grad. Winkel unter
13 Grad und über 27 Grad Hessen sich
nur bei Skoliose konstatieren. Auch
geringe Dilatationen der Aorta ver¬
mindern die Grösse des Winkels. Die
Methode erscheint geeignet, die Dia¬
gnose zu fördern.
E. Falk (Berlin) : Zur Genese der
Halsrippen. Die Mehrzahl der Hals-
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New Yokkeb Medizinische Monatsschutt.
59
rippen entwickelt sich aus den Kostal¬
fortsätzen des letzten Halswirbels. F.
konnte nachweisen, dass Halsrippen
auch dadurch entstehen können, dass
eine kraniale Verschiebung der Wir¬
belbogen stattfindet. Hierdurch kommt
ein ursprünglich zu einem Brustwirbel
gehöriger Wirbelbogen mit dem Kör¬
per eines Halswirbels in Verbindung,
sodass die zur Ausbildung kommende
Halsrippe genetisch als eine vom er¬
sten Brustwirbel abstammende Rippe
aufzufassen ist. F. beweist dies an
zwei Präparaten und Röntgenbildern.
Immelmann (Berlin): Röntge¬
nologische Differentialdiagnose zwi¬
schen Mediastinaltumor und persistie¬
render Thymus. Bei dieser findet sich
neben dem Mittelschatten ein spitz
nach unten verlaufender Schatten,
welcher ganz leicht vibriert. Diese Be¬
weglichkeit ist pathognomonisch für
persistierende Thymusdrüsen.
III. Therapeutische Vorträge: Tiefen-
und Oberflächentherapie.
Heineke (Leipzig): Ueber bio¬
logische Röntgenstrahlenwirkung. 1.
Die Wirkung ist bei hochempfind¬
lichen und weniger empfindlichen Zel¬
len ganz verschieden; auf der einen
Seite (Lymphozyten) sofortiger Kern¬
zerfall, auf der anderen (Epithel,
Keimdrüsen) langsame Zellenartung
nach Ablauf einer Latenzzeit. 2. Die
Latenzzeit ist bisher noch nicht recht
erklärt worden. Wie H e r t w i g und
v. Wassermann nachgewiesen ha¬
ben, kann den Zellen die Teilungsfä¬
higkeit genommen werden ohne direk¬
te Abtötung. Diese Sterilisierung der
Zellen erklärt die Latenzzeit, da alle
Zellen eine bestimmte Lebensdauer
haben, nach deren Ablauf ein Gewebs¬
defekt entstehen muss, wenn sie nicht
vermittelst Zellteilung durch neue Zel¬
len ersetzt werden. 3. Die verschiede¬
ne Reaktionsweise der Geschwülste
erklärt sich durch die verschiedene
Empfindlichkeit der normalen Zellen,
von denen sie ausgehen.
F. H e i m a n n (Breslau) : Der Ein¬
fluss der verschiedenen Filterung bei
der Mesothorbestrahlung auf das Ka-
ninchenovarium. H. hat Filter von 1
mm Messing, 3 mm Aluminium und
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3 mm Blei angewendet, auch ohne Fil¬
ter nur mit dem vqn der Fabrik gelie¬
ferten 0.2 mm Silber bestrahlt. Nur
bei Bleifiltrierung trat die Wirkung
der Zerstörung der Ovarien ein. Eben¬
so klinisch nur bei Blei. Bei Karzinom
trat raschere Epithelisierung ein. Viel¬
leicht handelt es sich um eine Sekun¬
därwirkung des Bleis, die Vortr. eher
für nützlich hält. Projektion.
W o 1 f f (Berlin) berichtet über sei¬
ne Bakterienversuche, die negativ ver¬
liefen. Es wird auch bei Tuberkulose
keine kausale Therapie geleistet.
Friedländer (Schöneberg) fand
bei Bestrahlung von Meerschwein¬
chenhoden kleine Dosen eben so wirk¬
sam wie grosse.
Grunmach (Berlin) hat diesel¬
ben Erfahrungen gemacht.
E v 1 e r (Berlin) sah bei Eiterung
Heilwirkung, die auf Fermentwirkung
bei vermehrter Zelltätigkeit zurückge¬
führt wird.
M e n z e r (Bochum) meint, dass im
Körper eine Aenderung in der Hülle
der Bakterien hervorgerufen wurde,
wenn sie dadurch leichter angreifbar
werden.
E b e r 1 e i n (Berlin) weist auf den
Unterschied in der günstigen Beein¬
flussung der Botryomykose am Tiere
hin, während im Reagenzglas keinerlei
Einwirkungen zu beobachten sind.
Hessmann (Berlin) meint, dass
harte Röhren besser einwirken. E y -
m e r (Heidelberg) hat auch Einwir¬
kungen in vitro gesehen.
Löwenthal (Braunschweig) :
Zur Schwerfilter-Therapie. Zur Zeit
besteht keine Möglichkeit, mit den
Röntgenröhren Strahlen, welche gleich
den Gammastrahlen sind, zu erzeugen.
L. hat mit einer sehr harten Röhre un¬
ter 1 bis 2 mm Bleifilter eine Strahlung
erzeugt, die gleich den Gammastrahlen
ist. Es gehen also auch durch Blei
Strahlen hindurch, von denen aber
trotzdem noch ein Teil im Körper ab¬
sorbiert wird. Von den Strahlen, die
durch 1 mm Zink gegangen sind, wer¬
den noch 70 Prozent im Körper absor¬
biert. Bei Filterung durch 1 mm Blei
erzeugt man eine genügend harte
Strahlung, die ohne Hautschädigung
anwendbar ist. Hinter den Filtern fin-
Original from
HARVARD UN1VERS1TY
60
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
det man erstens primäre Strahlen,
zweitens charakteristische Sekundär¬
strahlen und dritens eine besondere
Strahlung, ähnlich den Kathoden¬
strahlen.
Pagenstecher (Braunschweig):
Ueber die Dauerbehandlung mit Rönt¬
genstrahlen. Es werden im ganzen re¬
lativ wenige Erfolge bei tiefliegenden
Tumoren berichtet. Bisher machte
man kurzzeitige intensive Bestrahlun¬
gen, bei denen nur die hohe Dosis in
Frage kam, dann kamen Pausen we¬
gen der Verbrennungsgefahr. Durch
diese Pausen findet die Geschwulst
Zeit, sich zu erholen und weiterzu¬
wachsen. Um sie zu vermeiden, em¬
pfiehlt P. statt 3 mm Aluminium harte
Filter von % bis 1 mm Blei oder 2 mm
Kupfer zu verwenden. Schädigungen
der Haut wurden selbst bei 120stündi-
ger Bestrahlung derselben Hautstelle
nicht beobachtet. Zur Ermöglichung
dieser Dauerbestrahlung, 1 bis 2 Stun¬
den pro die, hat P. gemeinsam mit
Löwenthal einen Filterkasten an¬
gegeben, der mit Schwerfiltern ausge¬
schlagen, die Bestrahlung von 4 bis 6
Personen gleichzeitig mit einer Röhre
gestattet. Ferner hat er eine Röhre
mit Innenfilter konstruiert. Während
der Intervalle der Röntgenbestrahlung
werden kleinere Radiummengen auf¬
gelegt. Zu der Filterfrage spricht
Gau ss (Freiburg), der auch durch
schwere Filter eine Vermehrung der
Strahlenwirkung annimmt. G a u s s
ist wegen Mangels an Radium zur
Röntgen - Strahlung zurückgekehrt.
Hessmann (Berlin) bemerkt, dass
man bei 1 mm Filter Messing viermal
so lange als bei 3 mm Aluminium be¬
strahlen muss, um die gleiche Dosis zu
erhalten.
Hessmann (Berlin): Röntgen¬
behandlung maligner Tumoren mit
Massendosen unter besonderer Be¬
rücksichtigung der Röntgenstrahlen in
der Strahlentherapie des' Karzinoms.
H. gibt grosse Dosen, sogenannte
Massendosen und hat in 50 Prozent
seiner Fälle günstige Erfolge. Bei
Pharynx- und Larynxtumoren kombi¬
niert er Radium und Röntgen. Bei die¬
sen Massendosen muss eine allgemein
roborierende Behandlung gleichzeitig
mit der Bestrahlung eingeleitet wer¬
den. Bei Tumoren mit Hautbedeckung
sind im allgemeinen nur bis 4 S. N.
unter 3 mm Aluminium anzuwenden,
besonders bei Kreuzfeuer. Erweichte,
bezw. einschmelzende Tumoren müs¬
sen kanalisiert werden. Nach 4 S. N.
sah H. Reaktion ersten Grades. Tu¬
moren ohne Hautbedeckung bestrahlt
er mit wechselndem Filter. Bei ge¬
wöhnlichen postoperativen Bestrah¬
lungen ist bei den meist anämischen
Patienten Vorsicht am Platz. E§ muss
im Gegensatz zur Oberflächentherapie
eine Pause von sechs Wochen eintre-
ten. Bei perkutaner Behandlung des
Magenkarzinoms muss man einen Fil¬
ter von 5 mm Aluminium anwenden.
Es empfiehlt sich, die Magentumoren
zur Bestrahlung durch Vorlagerung
chirurgisch vorzubereiten.
W i c h m a n n (Hamburg) : Zur
Bewertung der Röntgenstrahlen in der
Strahlentherapie des Karzinoms. Die
Leistungsfähigkeit der Röntgenstrah¬
len in der Therapie des Krebses wird
durch eine Reihe von Hindernissen be¬
grenzt, wie chirurgische Operationen,
Mischinfektionen, refraktäres, bezw.
ungünstiges Verhalten des Tumors.
Manche Karzinome bedürfen weiche¬
rer, andere härterer Röntgenstrahlen.
Eine ungünstige Beeinflussung des
Tumors kann nicht nur durch zu
schwache Dosen, sondern auch durch
grosse, an sich genügende Dosen er¬
folgen. Mangelnde Radiosensibilität
kann manchmal durch Ultraviolett,
Elektrokoagulation, Abtragen des kar-
zinomatösen Randes und Geschwulst¬
grundes* behoben werden. Manche
Tumoren werden durch Kombination
mehrerer Strahlungsfaktoren zur
Rückbildung gebracht. Falls eine Tie¬
fenwirkung über 2 cm erreicht werden
soll, so werden die Röntgenstrahlen im
allgemeinen durch Radium ersetzt
werden müssen.
Paul Krause (Berlin) : Die Rönt¬
genbehandlung der Mammakarzinome.
Auf Grund eines grossen Materials be¬
spricht K. die Therapie der Mamma¬
karzinome. Er unterscheidet Bestrah¬
lung ohne Operation, Bestrahlung von
Rezidiven und Nachbehandlung von
operierten Fällen. Die ausschliesslich
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New Yoaxzt Medizinische Monatsschrift.
61
bestrahlten Fälle bieten eine sehr
schlechte Prognose. Günstiger sind
die Resultate nur bei sehr kleinen Tu¬
moren und mageren Patientinnen oder
bei geschwürig zerfallenem Tumor oh¬
ne ausgedehnte Drüsenmetastasen.
Die Rezidive mit Drüsenmetastasen
bieten ein dankbares Feld bei richtiger
Bestrahlung und genügender Aus¬
dauer von Patienten und Arzt. Es ge¬
lingt dann fast immer, die Neubildung
zum Schwinden oder zur bindegewebi¬
gen Degeneration zu bringen. Erfor¬
derlich ist ausser der lokalen Bestrah¬
lung prophylaktische Therapie des
Thorax und Halsringes. Was die pro¬
phylaktische Bestrahlung anlangt, so
wird in den Fällen, bei denen es nicht
gelang, alles Krankhafte zu entfernen,
oder der begründete Verdacht besteht,
dass dies nicht der Fall war, das offene
Wundfeld bestrahlt und sekundär ge¬
näht. In den anderen Fällen wird 10
Tage nach der Operation mit der Be¬
strahlung begonnen und in monatli¬
chen Serien ein Jahr lang fortgefahren.
K. plaidiert für grosse Felder, für den
Thorax und Halsring werden nur vier
Felder genommen und nur Haupthaar,
Gesicht und Abdomen abgedeckt.
Weil die Rezidive fast immer im Un¬
terhautbindegewebe auftreten, benutzt
er unfiltriertes, aber sehr hartes Licht,
14 bis 15 W. E. Die Resultate sind
sehr günstig, es ist stets gelungen, Re¬
zidive zu vermeiden.
Manfred F r ä n k e 1 (Charlotten¬
burg) : Die Röntgenbehandlung der
Lungentuberkulose. F. hat in 80 Fäl¬
len von Lungentuberkulose 16 Versa¬
ger und 64 positive Ergebnisse ver¬
zeichnet. Es trat subjektive Besse¬
rung ein, Hebung des Allgemeinbefin¬
dens, Schwinden der Stiche usw.; ob¬
jektiv ergab sich Sistieren des Aus¬
wurfs, geringerer Tuberkulosebefund
und Schwinden der pathologischen At¬
mungsgeräusche. Die Hilusdrüsen im
Röntgenbild wurden kleiner. Anfäng¬
liche Fiebersteigerung ist ein Zeichen
für günstige Beeinflussung. Das tu¬
berkulöse Lungengewebe ist empfind¬
licher als normales. Die tuberkulösen
Drüsen reagieren wie das Ovarium
mit Bindegewebsbildung, narbiger
Schrumpfung und damit Abkapselung
der Herde. Die Kavernen bekommen
dickere Hüllen, pleuritische Schwarten
lösen sich. F. empfiehlt hohe Dosen
zur Bestrahlung der einzelnen Herde
und des ganzen Thorax.
K ü p f e r 1 e (Freiburg) berichtet
über seine Tierversuche, in denen er
eine bindegewebige Abgrenzung der
tuberkulösen Herde erzeugt hat.
M e n z e r (Bochum) warnt vor zu
grossen Hoffnungen.
Fritz M. Meyer (Berlin) hat Bes¬
serung des Befindens bei Tuberkulose
gesehen; er bestrahlt nach vorn und
hinten grosse Felder.
W. Friedländer (Berlin-Schö¬
neberg) : Röntgenbehandlung bei Ne¬
benhodentuberkulose. F. behandelte
im Laufe des letzten Jahres sechs Fäl¬
le mit mittelharter Strahlung unter 3
mm Aluminium und gab 2 bis 3 Ery¬
themdosen. Er konnte objektiv und
subjektiv wesentlichen Rückgang der
krankhaften Veränderung konstatie¬
ren. Der Erfolg tritt schneller ein als
bei der Tuberkulinbehandlung und F.
empfiehlt, bei dem an sich chronischen
Verlauf der genannten Affektion vor
einem chirurgischen Eingriff an den
Keimdrüsen unbedingt einen Versuch
mit der Röntgenbestrahlung zu ma¬
chen.
H. E. Schmidt (Berlin): 1. Zur
Röntgenbehandlung der Furunkulose.
Sch. hat in 100 Fällen nie einen Miss¬
erfolg gesehen. Furunkel heilen
schneller ab als bei jeder Behandlung.
Auf den bestrahlten Stellen entstehen
in der Regel nie wieder Furunkel. 2.
Zur Frage der Sekundärstrahlenwir¬
kung. Vortragender hat nie Schädi¬
gungen durch Sekundärstrahlen beob¬
achtet. Die Schädigungen, die bisher
auf die Sekundärstrahlen zurückge¬
führt werden, lassen sich als gewöhn¬
liche Verbrennungen erklären. 3. Zur
Wirkung der Röntgenstrahlen auf die
Speicheldrüsen des Menschen. Bei Be¬
strahlung der Hals- und Wangenge¬
gend wegen Lupus, tuberkulöser Drü¬
sen usw. hat Vortr. Schädigungen der
Speicheldrüsen beobachtet, die in star¬
ker Vermehrung der Speichelabsonde¬
rung und daraus resultierender unan¬
genehmer Trockenheit im Munde be¬
stehend ca. 14 Tage dauerten. Jedoch
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HARVARD UNIVERSITY
62
Nkw Yokku Medizinische Monatsschrift.
zeigte sich dies nur ausnahmsweise, in
der Regel wird die Bestrahlung dieser
Gegend ohne Ausfallserscheinungen
ertragen.
Eckstein (Berlin): Ueber einige
unbekannte Wirkungen der Röntgen¬
strahlen und ihre therapeutische Ver¬
wertung. Seit fünf Jahren hat E. bei
Schmerzen traumatischen Ursprungs,
z. B. bei Kontusionen, die vorzügliche
Wirkung der Röntgenstrahlen festge¬
stellt, die meist augenblicklich, wäh¬
rend oder nach der Bestrahlung ein¬
trat und einige Stunden, in der Regel
Tage, ja sogar einige Wochen anhielt.
Es zeigte sich weiter, dass Schmerzen
jeder Art günstig beeinflusst werden
konnten, die Dosen waren meist ge¬
ring; die Wirkung zeigte sich schon
nach 15 Sekunden und wurde von Mi¬
nute zu Minute starker. Verwandt
wurden harte und mittelharte Röhren,
die bei 0.4 bis 2 MA. in 15 bis 30 cm
Fokus Hautdistanz 3 bis 7 Minuten
lang mit und ohne Filter betrieben
wurden E. empfiehlt die Methode zur
Benutzung nach Operationen zur Be¬
seitigung des Nachschmerzes. Auch
bei spastischen Zuständen zeigte sich
die Nachwirkung.
Fritz M. Meyer (Berlin): Die
Anwendung filtrierter Röntgenstrah¬
len beim chronischen Ekzem. Bei 15
Fällen schweren chronischen Ekzems
wurde durch 1 mm Aluminium filtrier¬
te Strahlung angewendet und wurden
ausgezeichnete Erfolge erzielt. In je¬
der Sitzung wurde E. D., im ganzen
2 E. D. gegeben, dann trat eine Pause
von drei Wochen ein.
Winkler (Ingolstadt): Dauer¬
heilung der Mykosis fungoides. W.
berichtet über zwei Fälle der seltenen
Erkrankung bei einer 67jährigen Frau
und einem 47jährigen Manne; derselbe
ist seit 1911 geheilt. W. benutzt eine
harte Röhre, gibt Serien von vier Sit-
ungen bei 30 cm Abstand und 1 bis 1 l /i
MA. Belastung, dann tritt eine vier¬
wöchige Pause ein. Der Rückgang
der Neubildung erfolgt sichtlich.
IV. Physikalisch-technische Vorträge.
F. M. Groedel (Frankfurt a.M.):
Verbesserungen am Instrumentarium
und den Hilfsapparaten für die Rönt-
genographie. 1. Ein neuer Einschlags¬
unterbrecher, bei dem Gas als Dielek¬
trikum benutzt wird. 2. Ein neuer Se¬
rienapparat. 3. Der Filmkino ist ver¬
bessert worden, sodass jetzt 15 Auf¬
nahmen in der Sekunde gemacht wer¬
den können. Der Apparat wird aber
stets, wie G. meint, nur ein experimen¬
telles Instrument bleiben. 4. Ein neu¬
es Aufnahmestativ mit besonderer
Vorrichtung für genaue Zentrierung;
es lässt sich gleichzeitig durch Zwi¬
schenschaltung einer Nürnberger
Schare für Teleröntgenographie und
durch eine besondere Kassettenwech¬
selvorrichtung für Stereoskopaufnah¬
men verwenden. 5. Die Schaltung für
Momentstereogramme ist verbessert
worden und eine Apparatur zur Dop¬
pelaufnahme des Herzens bei axial
verschobener Röhre gestattet, das
Herz genau zu messen. Endlich lässt
sich auf einem breiten Filmstreifen die
Bewegungskurve des Herzens und ein
Elektrokardiogramm genau nebenein¬
ander aufschreiben.
Holzknecht (Wien): Neue
Wiener Röntgenmodelle (Schwebe¬
kästchen, Distinktoren, Radiometer u.
s. w.) H. demonstriert neue Hilfsap¬
parate, darunter eine Reihe verschie¬
den geformter Distinktoren. Ferner
einen Expositionsschlüssel, der die ge¬
naue Expositionszeit mit Hilfe von
Tabellen abzulesen gestattet; einen
Schwebekasten, mit dem die Röhre
frei überall hin bewegt werden kann.
Eine Vorderblende, Kombination von
Distinktor mit Buckyeffekt. Eine zir¬
kulierende Wasserkühlung — das er¬
hitzte Wasser steigt in die Höhe, kal¬
tes fliesst nach. H. empfiehlt, beson¬
ders bei Gleichrichterapparaten mit ih¬
rer weichen Strahlung auch zu Durch¬
leuchtungen ein Filter von 1 mm Alu¬
minium zu benutzen.
Jos. Rosenthal (München): Ei¬
niges zur Frage der Strahlen-Tiefen-
therapie. R. spricht über die Unge¬
nauigkeit der Messmethoden. Beim
Vergleich von Sabourand und
Kienböck ergeben sich grosse Dif¬
ferenzen, die mit steigender Röhren¬
härte zunehmen. R. fordert zu emsi¬
ger Arbeit auf diesem Gebiete auf.
Dessauer (Frankfurt a.M.) : Das
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
63
Strahlungsgemisch der Röntgenröhre
und seine Bedeutung für die Tiefenbe¬
strahlung. Die Strahlung einer Rönt¬
genröhre ist nicht einheitlich, sondern
setzt sich aus einer überaus grossen
Summe von Strahlen verschiedener
Härte zusammen. Durch besondere
Anordnung des Apparates gelingt es,
aus der Röhre eine homogene Strah¬
lung von sehr hoher Durchdringungs¬
kraft hervorzubringen, von der, wenn
die Oberflächendosis bestimmt ist, die
Dosis in jeder Gewebstiefe auf Grund
einer Tabelle sofort angegeben wer¬
den kann.
Eckert (Berlin): Ein neuer Ap¬
parat für die Tiefentherapie. E. de¬
monstriert die „schwingende Röhre“,
ein Stativ, das die Röhre langsam über
dem Körper hin- und herbewegt. Da¬
durch sollen besonders günstige Ver¬
hältnisse für die Tiefentherapie ge¬
schaffen werden.
B u c k y (Berlin) : Weitere Mittei¬
lungen zur Abblendung der Körper¬
strahlung. B. hat sein Wabenfilter,
das er auf dem vorigen Kongress de¬
monstriert hat, weiter durchkonstru¬
iert. Die Sekundärstrahlen werden si¬
cher ausgeschaltet, wenn die Höhe
und Seitenlänge jedes Feldes ein be¬
stimmtes Verhältnis haben. Die Wa¬
benblende gibt ein Uebersichtsbild
von derartiger Deutlichkeit, wie es
sonst nur abgeblendete Teilbilder auf¬
weisen. Sie ist deshalb besser als die
Holzknech Esche Vorderblende,
die stets nur ein Teilbild gibt.
H. Braun (Solingen) : Erfahrun¬
gen mit Vorderblenden zum Ausschal¬
ten der Sekundärstrahlen bei Röntgen¬
durchleuchtungen und -Aufnahmen
(Buckyeffekt). B. hat das Buckyfilter
für Aufnahmen und Durchleuchtun¬
gen benutzt. Er rühmt es sehr. Es
muss sich aber zwangsläufig mit der
Röhre bewegen, wenn es zentriert ist.
Es ergab sich, dass es besser wirkt, je
dicker das Objekt ist, da cs dann
seihst weniger deutlich in die Erschei¬
nung tritt. (Demonstration von Bil¬
dern.)
Silberberg (Berlin) : Hilfsmit¬
tel zur Röntgenuntersuchung der Ab¬
dominalorgane. S. demonstriert einen
mit einem Leuchtschirm versehenen
Zylinder, der als Hohlkompressorium
dient.
Menzer (Bochum) spricht für
das Buckyfilter und wendet sich gegen
den Distinktor, da durch die Kompres¬
sion die physiologischen Verhältnisse
geändert würden.
Fr ick (Berlin) lobt das Bucky¬
filter, weist aber darauf hin, dass man
auf hellere Quadrate achten müsse, die
sich manchmal mitten im Magenbild
zeigen, andrerseits fänden sich auch
dunklere Felder.
B u c k y (Berlin) erklärt diese Er¬
scheinungen. Die helleren Felder ha¬
ben ihre Ursache in der Metallstrah¬
lung, die aber, seitdem mit Blei über¬
zogenes Kupfer benutzt werde, mini¬
mal geworden sei. Die unregelmässi¬
ge Helligkeit sei bedingt durch die
Rundheit der durchleuchteten Körper.
Ziegler (Berlin) meint, dass
zwangsläufige Befestigung nicht nötig
sei. Auch er hat die helleren Stellen
gesehen.
Braun (Solingen) weist darauf
hin, dass die hellen Felder nur bei
Aufnahmen, nicht bei der Durchleuch¬
tung stören.
Holzknecht (Wien) hält die
Kompression in vielen Fällen für not¬
wendig, daher sei sein Distinktor be¬
deutungsvoll.
B. Walter (Hamburg): Ueber
die Wertbemessung der Gummischutz¬
stoffe. Der Wert der Gummischutz-
stoffe liegt ausser in ihrer absoluten
Schutzwirkung in zweiter Linie in ih¬
rer Leichtigkeit. W. gibt eine Formel
zur Bestimmung der spezifischen
Leichtigkeit an. Am günstigsten ist in
dieser Hinsicht das Zinn, sodass ein
Panzer aus diesem Stoff vielleicht in
Frage kommen kann.
Derselbe: Ueber das Preis Ver¬
hältnis zwischen Radium und Meso¬
thorium. W. stellt unter Zuhilfenahme
einer Formel fest, dass ein Mesotho-
riumpräparat zwei Drittel W ert eines
gleich starken Radiumpräparates hat.
Buck y (Berlin) : Das Adaptome-
ter, ein Instrument zur Messung ‘des
Adaptionsvorganges des menschlichen
Auges an die Dunkelheit. Das Instru¬
ment besteht aus einer regulierbaren
Glühlampe, die sich hinter einer Grün-
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Original fro-m
HARVARD UNIVERSITY
64
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
scheibe befindet. Sie kann erst nach
Adaption des Auges gesehen werden.
(Demonstration des Apparates.)
G. Grossmann (Charlotten¬
burg) : Kritische Betrachtungen über
die heutigen Dosimeter. Wenn die im
Prüfkörper gemessenen Veränderun¬
gen ein physikalisch richtiges Mass
der Oberflächendosis der der gleichen
Strahlung ausgesetzten Haut darstel¬
len, so müssen drei Hauptbedingun¬
gen erfüllt sein: die vom Prüfkörper
aufgefangene Dosis muss der Ober¬
flächendosis proportional sein, es müs¬
sen stets die gleichen Bruchteile der
vom Prüfkörper aufgefangenen Dosis
in eine messbare Energie umgeformt
werden; die im Prüfkörper eintretende
Veränderung muss ein eindeutiges
Mass jener Energie darstellen. G. be¬
spricht dann die Gesetze, nach denen
diese Veränderungen eintreten. Am
besten entspricht ihnen das Jonoquan-
timeter, Sabourand-Noire nur annä¬
hernd, der Kienböckstreifen gar nicht.
Es kann heute noch nicht mit voller
Bestimmtheit gesagt werden, dass das
Jonoquantimeter ein absolut sicheres
Messinstrument darstellt, aber es ist
sehr wahrscheinlich, dass es für alle
Strahlenarten anwendbar ist.
Immelmann und Schütze
(Berlin): Praktische Erfahrungen mit
dem Fürstenau’schen Intensimeter.
Das Für stena u’sche Intensimeter
baut sich auf der Einwirkung der
Röntgenstrahlen auf Selen auf — es'
ist ein Dosierungsinstrument für Be¬
strahlung und Diagnose. Die Haupt¬
bestandteile sind eine Zeigerskala und
eine Auffangedose, die Selen enthält;
diese wird mitbestrahlt; sie steht
durch eine Leitungsschnur mit der
Zeigerskala in Verbindung, die im
Schutzhaus aufgestellt werden kann.
Die Skala ist in Beziehung gesetzt zu
dem alten Messverfahren. Das Instru¬
ment soll schnell und genau arbeiten.
Levy-Dorn (BerLin): Vergleich
einiger Dosimeter. Die Angaben an
sich verhältnismässig zuverlässiger
De simeter für die Menge der Rönt¬
genstrahlen. welche sie treffen, gehen
weit auseinander, wenn man die Härte
der Strahlen variiert. Dadurch ist
eine grosse Verwirrung entstanden.
L. hat durch eine Reihe vergleichen¬
der Messungen zwischen zwei gang¬
baren Dosimetern die sich ergebenden
Abweichungen in eine Tabelle zusam¬
mengefasst, um bündige Rückschlüsse
für die Angaben der anderen zu er¬
möglichen. Die Differenzen betragen
bis zum Vierfachen. Solche Vergleiche
sollten systematisch durchgeführt
werden.
Hammer (Freiburg i. Br.): Di¬
rekt zeigendes Dosimeter für Rönt¬
gen- und Radiumstrahlung. H. zeigt
ein Jonoquantimeter mit direkt ables¬
barer Skala.
Gottw. Schwarz (Wien): Eine
neue Methode der Osmoregulation auf
Distanz. Die Schwär z’sche Metho¬
de ermöglicht die Osmoregulierung
ohne Flamme. Der Apparat besteht
aus zwei Elektroden, die das Osmo-
röhrchen umfassen und zum Glühen
bringen — wie bei der Galvanokaustik.
Darüber ist ein Glaszylinder gestülpt,
in dem sich ein mit Aethylalkohol ge¬
tränkter Wattebausch befindet. Die
Dämpfe diffundieren, ohne sich zu
entzünden, in das Innere und machen
so die Röhre weicher.
Levy-Dorn (Berlin): Ueber die
Coolidgeröhre der A. E. G. Die Coo-
lidgeröhre unterscheidet sich in ihrem
Aufbau und Wesen ganz erheblich von
den bisherigen Röntgenröhren. Sie ist
so hoch evakuiert, dass sie unter der
gewöhnlichen Betriebsweise nicht an¬
spricht. Im Vakuum entstehen nun,
wenn Metall zum Glühen gebracht
wird, Elektronen, die dem. Betriebs¬
strom eine Leitung darbieten. Die
Kathode besteht aus Wolfram, das
beim Erhitzen keine Luft abgibt — sie
wird erhitzt, gibt Elektronen ab und
nun kann die Röhre betrieben werden.
Je heisser die Kathode wird, je mehr
Elektronen entstehen, desto weicher
läuft die Röhre. Die Härte ist ausser¬
dem von der Belastung abhängig. Die
Röhre leuchtet nicht auf, da die Glas¬
wand negativ aufgeladen ist, und die
auftreffenden Kathodenstrahlen ab-
stösst. Die Röhre befindet sich im
Versuchsstadium, sie zeigt aber jetzt
schon gewisse Vorzüge vor den alten
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
65
Typen — da eine Röhre für alle
Zwecke — weiche und harte Strah¬
lung, brauchbar ist.
B 1 u m b e r g (Berlin): Einige Be¬
merkungen über die Coolidgeröhre.
B. hat Versuche mit der Coolidgeröhre
angestellt, die ergaben, dass die Röhre
vier Stunden ohne Unterbrechung be¬
trieben werden kann. Die Kugel er¬
wärmt sich sehr wenig. B. hat die
Erythemdose in 18 cm Entfernung un¬
ter 3 mm Aluminium in drei Minuten
erreicht. Der Gebrauch des Akkumu¬
lators zur Erhitzung der Kathode ist
noch unbequem.
Dessauer (Frankfurt a. M.):
Erzeugung von gammastrahlenarti¬
gen Röntgenstrahlen in den Röntgen¬
röhren. D. hat beim Betriebe von
Röntgenröhren mit seinem Reformap¬
parat, indem er nur die Kuppen der
Stromwellen herausschneidet, härtere
Strahlung erzeugt. Es können auch
mit weichen Röhren ganz harte Strah¬
len hervorgerufen werden; die Strah¬
lung wird auch härter bei Temperatur¬
erniedrigung der Antikathode. Die so
erzeugten Röntgenstrahlen sind 10 bis
20mal durchdringender als gewöhnli¬
che und stehen nahe bei der Gamma¬
strahlung. Es ergeben sich daraus
neue Möglichkeiten für den Ersatz der
Radiumstrahlung durch Röntgen¬
strahlen.
Gust. Grossmann (Charlotten¬
burg) : Ueber Sekundärstrahlen und
Strahlenfilter. Die quantitative Wir¬
kung der Sekundärstrahlen lässt sich
heute noch nicht berechnen, weil noch
sehr wenig darüber bekannt ist, wel¬
che Bruchteile der vom Sekundär¬
strahlensender absorbierten Primär¬
strahlenmenge in Sekundärstrahlen¬
energie umgeformt werden. Unter
Benutzung der bisher vorhandenen
spärlichen Erfahrungsdaten gelangt
G. zu dem Ergebnis, dass die in der
unmittelbaren Umgebung des Sekun¬
därstrahlensenders erzielbare Dosis
bei Eisen, bezw. Nickel, Kupfer und
Zink, das 1:15 bis 1.30fache der an der
gleichen Stelle entstehenden und von
der Primärstrahlung allein herriihren-
den Dosis beträgt. Stoffe grossen
Atomgewichts geben wahrscheinlich
günstigere Resultate. — Was die
Strahlenfilter anlangt, so verhalten
sich alle Stoffe, deren Atomgewichte
kleiner sind als 80, ebenso wie Alu¬
minium, d. h. je härter die Primär¬
strahlung, desto mehr Strahlen gehen
durch das Filter hindurch. Silber ver¬
hält sich anders — sein Absorptions¬
vermögen nimmt erst ab, steigt bis zu
einer gewissen Härte hart an, um dann
wieder abzunehmen.
W. Freih. v. Wieser (Wien):
Methode zur Erzeugung konvergenter
und paralleler Röntgenstrahlen. Durch
eine besonders angeordnete Antika¬
thode und ein vor der Röhre liegendes
Filter gelingt es v. W., Strahlen von
bestimmter Konvergenz resp. paralle¬
le Strahlen zu erzielen.
G r i s s o n (Berlin): Technische
Neuerungen. G. gibt eine Apparatur
für Röntgentiefenbestrahlung und eine
für diese geeignete Röntgenröhre mit
doppelter Luftkühlung an. G. hatte
eine Formel für G-Einheiten angege¬
ben. Jetzt hat er ein Messgerät, wel¬
ches das Ausrechnen nicht mehr nötig
macht.
V. Diagnotische Vorträge.
(Skelett, Allerlei.)
Aug. Grob (Affeltern a. A.) : Er¬
gebnisse experimenteller Stauchung
und Biegung am vorderen Ende des
Vorderarmes. G. hat an 44 Knochen
Studien über die Biegung und Stau¬
chung des Vorderarmes angestellt und
gibt an der Hand von Zeichnungen
und Röntgenpausen Aufschlüsse über
die Parallelität resp. Gegensätzlichkeit
der experimentellen Tatsachen zu den
klinisch beobachteten Fällen.
Franz Wohlauer (Charlotten¬
burg) : Demonstration von Röntgen¬
bildern tabischer Arthropathien. W.
zeigt an einer grösseren Zahl von Dia¬
positiven die Veränderungen, die tabi-
sche Osteoarthropathien im Röntgen¬
bild darbieten. Es ist ihm wiederholt
gelungen, aus dem Röntgenbefund die
Diagnose einer in den Anfangsstadien
befindlichen Tabes zu stellen. In ei¬
nem Falle liess sich der Zusammen¬
hang zwischen Lues und Tabes zei¬
gen, indem das Kniegelenk eine tabi-
sche Arthropathie aufwies, während
die Tibia das typische Bild einer sy-
Qriginal fro-m
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
politischen Knochenerkrankung dar¬
bot.
Grashey (München): Röntgeno¬
logische Fehldiagnosen. G. zeigt Bil¬
der, in welchen Fehldiagnosen gestellt
bezw. eben noch vermieden wurden.
Ein Sarkom des Schenkelhalses und
ein Wirbelsarkom wurden für chro¬
nisch-entzündliche Prozesse gehalten.
In einem Falle wurde ein Schenkel¬
halssarkom diagnostiziert, bei der
Operation makroskopisch als Sarkom
angesehen, während die mikroskopi¬
sche Diagnose Osteoidchondrom lau¬
tete. Erst bei der Rezidivoperation
stellte der Pathologe die Diagnose
chondroblastisches Sarkom. Eine nur
noch ein Stück einschneidende Ole¬
kranonepiphysenlinie wurde für Frak¬
tur gehalten. G. zeigt ein Os ramuli,
durch dessen doppelseitiges Bestehen
die Frakturdiagnose zu vermeiden
war.
Graessner (Cöln a. Rh.): Der
röntgenologische Nachweis der Spina
bifida occulta. G. demonstriert ver¬
schiedene Formen der Spina bifida oc¬
culta der Lumbosakralgegend am Ske¬
lett und im Röntgenbild vom Leben¬
den. Sie kommt häufig vor, gewinnt
praktisches Interesse im zweiten Le¬
bensjahrzehnt, wenn Gefühlsstörun¬
gen, Geschwüre der Füsse, Fussver-
bildungen auftreten. In den meisten
Fällen ist die Diagnose nur durch das
Röntgenbild zu stellen. Frühes Er¬
kennen ist von grossem Wert, da
durch Lösung bezw. Durchschneidung
von Narbensträngen und Verwachsun¬
gen im Wirbelkanal, welche auf die
Nerven drücken, eine Besserung zu er¬
zielen ist. In 60 bis 70 Prozent wurde
die Spina bifida occulta bei Bettnäs¬
sern, ferner bei Frauen mit Scheidcn-
und Uterusprolaps gefunden. Endlich
fand G. das Leiden bei Unfallverletz¬
ten, die nach blossem Verheben über
langdauernde Schmerzen im Kreuz
klagten.
W. A 1 t s c h u 1 (Prag) : Röntgen¬
befunde bei Myelodysplasie. A. hat 32
Fälle von Bettnässern, Kinder und Er¬
wachsene, untersucht und in 22 Fällen
Anomalien der Lenden- und Kreuz¬
beingegend gefunden. Zehn Fälle wa¬
ren normal. Bei fünf Fällen kam es zu
keiner direkten Spaltbildung, sondern
nur zu einer Verkümmerung der Dorn¬
fortsätze und Verschmälerung der
Wirbelb.ögen. In 15 Fällen fanden sich
Längsspalten.
A. Köhler (Wiesbaden): Zur Pa¬
thologie des Os naviculare pedis der
Kinder. K. bringt weitere Klärungen
über Erkrankung des Os naviculare
pedis (Köhler). In fast der Hälfte
von bis jetzt 35 Fällen (Beobachtun¬
gen aller Autoren) war auffallend,
dass die Kinder in den ersten Lebens¬
monaten äusserst schwach und elend
waren. Wenn die Entwicklungshem¬
mung in ursächlichem Zusammenhang
mit der fraglichen Navikularerkran-
kung steht, dann wird sie sich wahr¬
scheinlich auch bei Myxöden finden.
Vortr. fand in einem Falle von Myxö¬
dem, dem einzigen, den er untersuchen
konnte, dass Leiden an beiden Navi-
cularia in typischer Weise.
Bachmann (Leipzig) hat zwei
Fälle beobachtet und dabei merkwür¬
dige Epiphysenveränderungen gese¬
hen.
Gr.ashey (München) führt das
Leiden auf Entwicklungsstörungen
zurück.
Behn (Kiel) hat fünf Fälle gese¬
hen, bei Myxödem aber nichts gefun¬
den.
D e 1 o r m e s (Halle) denkt an eine
übermässige Gefässwucherung im prä-
ossalen Stadium.
Köhler schaltet nach alledem ein
Trauma als Ursache definitiv aus.
K r e i s s (Dresden) : Röntgenolo¬
gische Beckenmessungen. Mitteilung
von Resultaten mit dem Kehrer-Des-
sauerschen Beckenmessapparat. Wenn
Promontorium und Symphyse genau
auf der Platte sichtbar sind, lässt sich
die Conjugata vera auf den Millimeter
genau bestimmen. Bis zum 5. bis 6.
Monat gelingt es fast immer, eine
brauchbare Aufnahme zu erzielen, am
Ende der Gravidität nur ausnahms¬
weise. Die Röntgenmessung hat den
Vorzug der Gefahrlosigkeit, besonders
in den Fällen, bei denen Sectio caesa¬
rea in Frage kommt.
G. Loose (Bremen) : Projektion
seltener Röntgenbefunde. L. zeigt
Bilder von Missbildungen, Fremdkör-
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New Yorkeä Medizinische Monatsschrift.
67
pern, einem Pneumothorax, der durch
einen heftigen Hustenstoss entstanden
ist. Magen mit zwei Stenosen, ein
Lithopädion, das im kaudalen Bauch¬
teil einer 75jährigen Frau lag.
N e m e n o w (St. Petersburg) : De¬
monstration verschiedener Diapositi¬
ve. N. zeigt Bilder von Nadeln im
Abdomen, die Operation förderte aus
dem Magen 193 Nadeln zutage,
Stricknadeln in der Blase, Beckennie¬
re mit doppeltem Ureter. Mehrere
Uretermissbildungen, Gallensteine, ta-
bische Arthropathie am Ellbogenge¬
lenk, Ulcus ventriculi et duodeni,
Pneumatocele cranii.
J. Schütze (Berlin): Demonstra¬
tion einiger seltener Röntgenogramme
(aus dem Institut von Dr. Immel-
mann). Sarkom der Wirbelsäule,
Epicondylitis am Ellbogen, Hirntu¬
mor, Kalkherd im Schädel, Bursitis
subacromialis.
Rosenblatt (Odessa): Demon¬
stration einiger seltener Röntgenbil¬
der. R. zeigt ein Sarkom der Ulna,
das reseziert und durch ein Stück der
Fibula ersetzt wurde. Nach acht Mo¬
naten trat ein Rezidivsarkom im trans¬
plantierten Fibulaköpfchen auf. Es
handelt sich entweder um Hinein¬
wachsen von Sarkomzellen aus der
Umgebung oder, da die Geschwulst
zentral sitzt, kann schon eine Meta¬
stase vor der Transplantation im Ca-
pitulum fibulae vorhanden gewesen
sein. 2. Angeborenes Divertikel der
Speiseröhre. 3. Speiseröhrendiverti¬
kel. 4. Blinde Endigung des Colon
descendens und kanalartige Verbin¬
dung der Flexura coli sin. mit der Am-
pulla recti.
S a b a t (Lemberg): Seltene Rönt¬
genbefunde. S. zeigt eine Kranioste-
nose, Chondrokystom, Hydropyopneu-
moperikard, Arteriosklerose der Aorta
am Arcus und in der Pars descendens.
Hämatom des Thorax, am Rand loka¬
lisiert. Colitis ulcerosa tuberculosa.
Verkalkte tuberkulöse Niere. Sub¬
phrenischer Abszess mit Gasbildung,
grosse Abdominalzyste, die sich als
enorm erweiterte Gallenblase heraus¬
stellte.
Max S c h e i e r (Berlin) : Zur Ver¬
wertung der Röntgenstrahlen für die
Physiologie der Sprachlaute. Sch.
zeigt die Haltung der Zunge und des
weichen Gaumens im Röntgenbild bei
den verschiedenen Vokalen und Diph¬
thongen der deutschen und fremden
Sprachen.
23. Versammlung der Deutschen otologischen
Gesellschaft.*
Kiel, 28. und 29. Mai 1914.
(Fortsetzung und Schluss.)
Denker (Halle a. d. S.): Ueber
Untersuchungen des Blutes von Oto-
sklerotikem mit dem Abderhalden-
schen Dialysierverfähren. Vortragen¬
der hat auf dem Internationalen Oto-
logenkongress in Boston die Hypothe¬
se aufgestellt, dass Anomalien der
Hypophysenfunktion in ursächlichem
Zusammenhang mit der Otosklerose
stehen. Er gelangte zu dieser Annah¬
me durch die oftmals zu konstatieren-
* Kollektivbericht der „Vereinigung der
Deutschen mediz. Fachpresse* 4 .
de zeitliche Koinzidenz der Gravidität
resp. des Puerperiums mit dem Beginn
der Ototsklerose. Die regelmässig
auftretende Vergrösserung der Hypo¬
physe lässt sich zurückführen auf eine
herabgesetzte Tätigkeit des Ovariums.
Zu dieser Ansicht ist man berechtigt,
weil eine Hypoplasie der Hypophyse
nach der Kastration von weiblichen
und männlichen Versuchstieren auf-
.tritt und ferner, weil es gelingt, durch
Zufuhr der Extrakte von Keimdrüsen
die Hypophysenhyperplasie zu verhin¬
dern oder einzuschränken. Es ist aus-
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
serdem bekannt, das sinfolge einer ge¬
störten oder gesteigerten innersekreto¬
rischen Funktion der Hypophysis die
als Akromegalie bezeichneten Kno¬
chenveränderungen auftreten. Dass
die Akromegalie in ursächlichem Zu¬
sammenhang mit der Hypophysenver-
grösserung steht, scheint dadurch be¬
wiesen, dass durch die Operation des
Hypophysentumors die Akromegalie
beseitigt werden kann. Wenn auch
die Alteration der Labyrinthkapsel bei
Otosklerose nicht vollkommen gleich¬
zustellen ist mit den Knochenverände¬
rungen der Akromegalie, so ist doch
das zeitliche Zusammentreffen der hy¬
pophysär bedingten Knochenaltera¬
tion bei Gravidität mit dem Beginn
der Otosklerose sehr auffallend und
lässt einen ätiologischen Zusammen¬
hang zwischen einer Dysfunktion der
Hypophysis und der Entstehung der
Otosklerose vermuten. Um diesem
Zusammenhang weiter nachzufor¬
schen, hat Denker vermittelst des
Abderhalde n’schen Dialysierver-
fahrens nach Abwehrfermenten gegen
Abbauprodukte der Hypophyse in
dem Blute von Otosklerotikern ge¬
forscht. Es wurden im ganzen 22 Fäl¬
le von Otosklerose und 13 Kontroll-
fälle untersucht. Von den 22 Otoskle-
rosefällen wurde 17mal Hypophyse
abgebaut, während 5mal der Versuch
negativ ausfiel. Bei 13 Kontrollfällen
wurde Hypophyse 4mal abgebaut, 9-
mal dagegen fiel der Versuch negativ
aus. Es ergab sich demnach das in¬
teressante Resultat, dass bei Otoskle¬
rotikern in etwa 77 Prozent der Fälle
Hypophyse abgebaut wurde, während
dies bei den Kontrollfällen nur in 30
Prozent der Fall war. Wenn man
auch aus diesen Ergebnissen noch kei¬
ne allzuweitgehenden Schlüsse ziehen
darf, so scheint das gefundene Resul¬
tat doch dafür zu sprechen, dass wahr¬
scheinlich der Hypophyse eine ursäch¬
liche Rolle .bei der Entstehung der
Otosklerose zukommt, und man ist zu
dieser Annahme umsomehr berechtigt,
als auch die oben angeführten Gründe
für den supponierten Zusammenhang
zwischen einer Dysfunktion der Hy¬
pophyse und der Otosklerose zu spre¬
chen scheinen. Weitere Untersuchun¬
gen müssen in der Angelegenheit Auf¬
klärung schaffen.
Zimmermann (Halle): Das
Abderhalden’sche Dialysierverf ähren
und die Diagnose der otogenen intra¬
kraniellen Komplikationen. Vortr.
bespricht an Hand einer grossen Serie
von eigenen klinischen wie experimen¬
tellen Untersuchungen am Kaninchen
die Bedeutung, welche dem Dialysier-
verfahren Abderhaldens für die
Diagnose und die operative Indika¬
tionsstellung der vom Ohr aus indu¬
zierten intrakraniellen Komplikatio¬
nen zukommt, und stellt eine ganze
Reihe von Thesen auf, die die bisheri¬
gen praktischen Ergebnisse zusam¬
menfassen und eine Orientierung für
die weitere Forschung geben sollen.
Als Wesentlichstes hat sich ergeben,
dass regelmässig spezifische, auf Ner¬
vengewebe eingestellte Fermente im
Plasma der Patienten oder Versuchs¬
tiere auftreten, wenn das Gehirn nach¬
weisbar erkrankt ist oder aber im Ver¬
such eine artifizielle Läsion erfahren
hat, dass aber umgekehrt bei nach¬
weisbar intaktem Zentralorgan die
Abderhalde n’sche Reaktion im
Dialysierversuch ausnahmslos negativ
ausfällt. Z. ist der festen Ueberzeu-
gung, dass die serologischen Metho¬
den Abderhaldens, entgegen al¬
len Anfechtungen, auch für den Otia¬
ter praktisch diagnostische und thera¬
peutische Bedeutung haben werden,
dass es aber noch vieler Arbeit, Nach¬
prüfung und Korrektion bedürfe, bis
sich endgültig ein brauchbarer Kern
herausschälen wird.
Knick (eipzig): Serodiagnosti¬
sche Untersuchungen mit Hilfe des
Abderhalden’schen Dialysierverfah-
rens bei otogenen intrakraniellen
Komplikationen. Untersuchungen auf
hirnabbauende Fermente im Blut¬
serum mit Hilfe des Abderhal-
d e n'schen Dialysierverfahrens erga¬
ben bei unkomplizierter Otitis media
und Mastoiditis fast durchweg negati¬
ve Resultate. Bei komplizierter —
Extraduralabszess, Sinusthrombose
und Meningitis — waren die Reaktio¬
nen teils positiv, teils negativ, ohne
dass sich daraus bestimmte Regeln ab¬
leiten lassen. Dasselbe fand sich auch
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bei drei Hirnabszessen, die bald nega¬
tiv, bald positiv reagierten. Die prak¬
tische Bedeutung der Methode für die
Diagnose' intrakranieller Komplikatio¬
nen scheint daher vorläufig noch zwei¬
felhaft.
Siebenmann und Nakumu-
ra (Basel) demonstrieren mikroskopi¬
sche Labyrinthpräparate von Meer¬
schweinchen, welche teils mit Methyl-,
teils mit Aethylalkohol akut und chro¬
nisch vergiftet worden waren. Die
minimalen aber konstanten degenera-
tiven Veränderungen beschränken sich
auf die Enden des peripheren Neurons
des Vestibularis, hauptsächlich aber
des Cochlearis, d. h. auf die Kerne der
Haarzellen und der Ganglienzellen
und in geringerem Grade auf die zu¬
gehörigen Nervenfasern.
Otto Mayer (Wien) : Demonstra¬
tion histologischer Präparate eines
funktionell geprüften Falles von Bo¬
gengangsfistel. 21jähriger Mann mit
hochgradiger Phthisis pulmonum lei¬
det seit einem Jahre an schmerzlos
aufgetretener rechtsseitiger Mittelohr¬
eiterung, seit zwei Tagen an heftigem
Schwindel. Ohrbefund rechts: Total¬
destruktion des Trommelfells, profuse
Eiterung. Gehör auf dem kranken Ohr
für Flüsterstimme auf 2 m, Labyrinth
kalorisch gut erregbar, Kompressions¬
nystagmus sehr leicht auslösbar (Tra¬
gusdruck). Kein Spontannystagmus,
Drehschwindel. — Unter Behandlung
Abnahme der Sekretion, nach drei
Wochen Aufhören des Schwindels,
Gehör gleich, Labyrinth kalorisch er¬
regbar, Fistelsymptom nicht mehr
auslösbar. Tod infolge Hämoptoe. —
Histologischer Befund: Defekt der
knöchernen Labyrinthkapsel im äusse¬
ren Schenkel des horizontalen Bogen¬
ganges; am Rand des Defektes Span¬
gen neugebildeten Knochens, der De¬
fekt durch junges Bindegewebe und
das grösstenteils erhaltene Endost
verschlossen. Gerinnungserscheinun¬
gen der Perilymphe mit geringen Zell¬
beimengungen im horizontalen Bogen¬
gang, in der Cysterna perilymphatica
vestibuli und der basalen Schnecke. In
den Endolymphen nur wenige Gerinn¬
sel. Schlusssätze: 1. Trotz Defekts im
Knochen (Usur) des horizontalen Bo¬
genganges kann bei erhaltener kalori¬
scher Erregbarkeit das Fistelsymptom
nicht auslösbar sein. 2. Trotz gerin¬
ger, diffuser, seröser Labyrinthitis
kann ein gutes Hörvermögen vorhan¬
den sein. Auch bei tuberkulöser Mit¬
telohreiterung besteht die Möglichkeit
der Heilung des Defektes der knöcher¬
nen Labyrinthkapsel.
H a e n 1 e i n (Berlin) : Der Taub¬
stumme in medizinischer (otologi-
scher), medizinisch-statistischer Hin¬
sicht in Deutschland und anderen
Staaten.
1. Die obligatorische Schulpflicht ist
für ganz Deutschland zu erstreben. Es
ist dann bessere Möglichkeit zur Klä¬
rung wissenschaftlicher Fragen des
Taubstummenwesens gegeben.
2. Die beamteten Aerzte sind für die
Untersuchung schulpflichtiger taub¬
stummer Kinder vorzubilden.
3. Eine für Deutschland uniforme
Bestimmung der Hörgrenze, bis zu
welcher Kinder in Taubstummenan¬
stalten (resp. Schwerhörigenklassen)
gehören, ist zu erstreben. Wünschens¬
wert ist Klassifikation der Taubstum¬
men nach Hörresten. Da in den Taub¬
stummenanstalten einzelner Bundes¬
staaten Kinder sind, die in Schwerhö-
rigen-Schulen, sogar Schulen für
schwachsinnige Kinder gehören, kön¬
nen statistisch und in der Beurteilung
der Schulleistung falsche Bilder ent¬
stehen.
4. Aufgaben des Schularztes der
Taubstummenanstalten als Hygieni¬
ker, Arzt, Ohren-, Nasen- und Hals¬
arzt.
5. Der grosse Wert der kontinuierli¬
chen Tonreihe für die Taubstummen¬
forschung resp. Otologie, ihr geringe¬
rer Wert für den Lehrer.
Die Bemühungen der Beschaffung
von Schläfenbeinen verstorbener
Taubstummer, die in vivo mit der
Tonreihe untersucht waren, sind zu
verstärken.
6. Die staatliche und die nicht amt¬
liche medizinische Statistik des Taub¬
stummenwesens in Deutschland.
7. Statistisch bearbeitet oder zu be¬
arbeiten sind:
a) Ursache der Taubstummheit.
b) Schädelbildung bei vor der Ge-
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
burt Ertaubten (Kopfmasse, Zähne,
Gaumenbildung).
c) Ohr, Auge, Sprachwerkzeuge und
ihre Funktion.
d) Sprache, * Sprachfehler (phoneti¬
sche Fragen).
e) Brustumfang, Vitalkapazität.
f) Grösse, Gewicht, rohe Kraft.
g) Tast-, Vibrationsgefühl.
h) Psyche, Nervensystem, geistige
Fähigkeiten.
8. Taubblinde.
9. Hinweise auf diese Fragen in aus-
serdeutschen Staaten.
O. Mauthner (Mähr.-Ostrau):
Ein otologischer Beitrag zur natur¬
wissenschaftlichen Kunstbetrachtung.
Vortr. berichtet über seine Studien zur
Darstellung des Kindesohres in der
Kunst. Er sieht dabei von phyloge¬
netischen und anthropologischen Ge¬
sichtspunkten vorläufig absichtlich ab.
Den kardinalen Unterschied zwischen
der Form des Kinderohres und der des
Ohres erwachsener Menschen vorerst
festlegend, schreitet er zur Betrach¬
tung des Kinderohres in den Darstel¬
lungen aller Kunstperioden. An der
Hand zahlreicher Photographien und
Kunstblätter, welche in historischer
Anordnung vorgeführt werden, kommt
Vortr. zu folgendem Schluss: Den
erkannten Unterschied zwischen dem
Ohr des Erwachsenen und dem Kin¬
derohr sowie die anatomische richtige
Wiedergabe des Kinderohres zum
Gradmesser künstlerischen Könnens
erhebend muss konstatiert werden,
dass selbst in den Glanzperioden der
Antike der Griechen, der Renaissance
und der Modernen das Modellstudium
nicht immer bis zu dieser Feinheit ge¬
nauester Beobachtung und naturge¬
treuester Wiedergabe vorgedrungen
ist und dass neben ausgezeichneten
Darstellungen Kinder mit ihrer Alter¬
stufe nicht entsprechenden Ohren, ja
sogar mit Ohren von Erwachsenen
dargestellt werden. Vortr. meint, dass
die Fortsetzung seiner Studien man¬
che Erweiterungen mit sich bringen
werde, dass wir aber noch weit davon
entfernt sind, die bisherigen Ergeb¬
nisse zu kunstkritischen Zwecken
selbständig zu verwenden.
A 1 b a n u s (Hamburg) : Demon¬
stration zur Radium-Mesothoriumbe¬
strahlung des Ohres. An der Hand
von Diapositiven und Vorführungen
physikalischer Art erörtert Vortr. die
Möglichkeiten einer Radium- und Me¬
sothoriumbestrahlung des Ohres, da¬
bei eingehend auf die verschiedenen
Strahlen der radioaktiven Substanzen,
für deren Anwendung je nach der Er¬
krankung ganz verschiedene Indika¬
tionen bestehen.
Ivo W o 1 f f (Berlin): Erfahrun¬
gen über Hörübungen mit dem Kine-
siphon (Dr. Maurice). Vortr. hat
mit dem M a u r i c e’schen Kinesiphon
25 Patienten behandelt, die therapeu¬
tischen Erfolge entsprechen ungefähr
denen der früheren Behandlungsme¬
thoden. Vortr. gibt eine Beschreibung
des Apparates und bespricht die Mög¬
lichkeit, mie demselben Erfolge zu er¬
zielen. Die neue Behandlungsmetho¬
de ist immerhin als eine Bereicherung
der geringen therapeutisch wirksamen
Massnahmen bei progressiver Schwer¬
hörigkeit anzusehen.
Stoltenberg-Lerche (Ham¬
burg) bespricht die funktionelle Be¬
handlungsmethode nach Zünd-Burguet
bei hochgradiger Schwerhörigkeit und
subjektiven Gehörsempfindungen. Das
Prinzip dieser Methode, welche noch
wenig Verbreitung gefunden hat, be¬
steht darin, das gesunkene Hörvermö¬
gen durch Tonwellen in verschiedenen
Höhenlagen im Umfange der mensch¬
lichen Stimme und bei stets wechseln¬
der Intensität, je nach dem Grade der
Schwerhörigkeit, zu beleben urtd zu
besserer Hörfähigkeit anzuregen. Es
handelt sich also darum, unabhängig
von dem Wesen der organischen Er¬
krankung auf eine Steigerung der
funktionellen Tätigkeit einzuwirken.
Diese Tonmassen werden in einem
Apparat erzeugt, durch telephonartige
Hörer in die Ohren der Patienten ge¬
leitet und der Schwerhörigkeit ent¬
sprechend verschieden stark einge¬
stellt. Der Patient hat dadurch eine
angenehme Empfindung, welche zu¬
gleich auch auf subjektive Gehörbe¬
schwerden, wie Sausen, Taubheitsge¬
fühl, Völle in den Ohren, Eingenom¬
menheit des Kopfes etc. häufig eine
sehr erleichternde Wirkung ausübt. so
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71
dass diese Zustände oft gänzlich ver¬
schwinden. Zugleich mit dieser Ton¬
wellenbehandlung finden Hörübungen
statt, wie sie von Urbantschitsch
angegeben sind. Am meisten belästigt
den Schwerhörigen die Unfähigkeit,
der Konversation zu folgen durch die
Abnahme seines Sprachverständnisses.
Dieses soll hierdurch gefördert und
langsam wieder zu höherer Leistungs¬
fähigkeit geführt werden. Die funk¬
tionelle Behandlung setzt bei alten
Leiden erst da ein, wo unsere sonstige
Therapie versagt. Ihre Wirkung im
Einzelfall ist eine durchaus verschie¬
dene. Auch diese Methode hilft nicht
jedem. Wo ein Gehör total erloschen
ist durch Zerstörung seiner nervösen
Elemente oder knöchernen Verwach¬
sungen im schallleitenden Apparat,
wird man nichts mehr erreichen kön¬
nen. Wenigstens betreffs einer Hör¬
verbesserung. Wohl aber kommt auch
hier noch eine Behandlung in Frage,
wenn ausserdem subjektive Gehörs¬
empfindungen vorliegen, welche da¬
durch häufig die oberwähnte Besse¬
rung erfahren. In allen Fällen je¬
doch, wo durch alte Leiden die funk¬
tionelle Tätigkeit der Organe sehr ge¬
litten hat, kann hierdurch eine wesent¬
liche Belebung stattfinden, welche in
scheinbar hoffnungslosen Fällen oft
noch erstaunliche Resultate zeitigt.
Es lässt sich dies aber nicht im voraus
bestimmen und ergibt sich erst aus
dem Verlaufe der Behandlung, welche
deshalb zunächst nur probeweise statt¬
zufinden hat. Reagiert die Funktion
des Organes auf diese belebende Ein¬
wirkung, so wird die Behandlung fort¬
gesetzt auf 4 bis 6 Wochen, solange
noch eine Zunahme der Besserung zu
konstatieren ist. Nach einigen Mona¬
ten Ruhe ist es empfehlenswert, eine
erneute Untersuchung und eventuell
Weiterbehandlung des Gehöres vorzu¬
nehmen. Es hat sich durch vielfache
Beobachtungen herausgestellt, dass
die funktionelle Tätigkeit des so be¬
handelten Ohres dann noch eine ganz
erhebliche Steigerung erfuhr, welche
viel grösser war wie die erst erzielten
Resultate. Bei einer Statistik von 75
Fällen chronischer Schwerhörigkeit,
welche erst nach Versagen der sonst
üblichen Therapie zur Behandlung
herangezogen wurden, konnte noch
eine Besesrung bei über 50 konstatiert
werden, unter denen erheblich gebes¬
sert wurden 28. Bei diesen w r ar die
Hörschärfe für Flüstersprache von ei¬
nigen Zentimetern auf mehrere Meter
heraufgegangen. Bei 22 fand eine
Wiederholung der Behandlung statt,
fast durchweg mit dem Resultat einer
weiterschreitenden Besserung.
C. Hirsch (Stuttgart): Tumor
der Vierhügelgegend. 48 Jahre alter
Mann ertaubte im Verlauf von drei
Wochen vollständig, nachdem er frü¬
her normal gehört hatte. Auf dem
Wege über die medizinische und Ner¬
venabteilung kam der Patient auf die
städtische Ohrenklinik in Frankfurt
a.M. Auf Grund mehrfacher genau¬
ester, neurologischer, ophthalmologi-
scher und otologischer Untersuchun¬
gen, die ein fast völlig eindeutiges Er¬
gebnis hatten, kam man zu der Di¬
agnose, dass es sich um einen Tumor
der Vierhügelgegend handle, der, sei
es allein durch Ergriffensein der hin¬
teren Vierhügel oder durch Druck auf
die lateralen Schleifen oder die Cor¬
pora geniculata medialia in so kurzer
Zeit zu dieser völligen Taubheit ge¬
führt hatte. Da während des Entwick¬
lungsstadiums der Prozess sich links
rascher abwickelte als rechts, und auch
linksseitige Kleinhirnsymptome Vorla¬
gen, wurde bei völliger Intaktheit bei¬
der Vestibuläres angenommen, dass
sich der Sitz des Tumors mehr links
befinde, und dass ein Druck auf beide,
vorwiegend aber die linke Kleinhirn¬
hemisphäre ausgeübt werde. In Ab¬
wesenheit von Prof. Voss legte Vor¬
tragender das Kleinhirn zunächst als
Palliativoperation frei in der Absicht,
in einer zweiten Zeit die Vierhügel¬
gegend änzugehen. Exitus 1 Tag post
operationem an Atemstillstand, nach¬
dem Patient zuerst vollkommen wie¬
der zur Besinnung gekommen war.
Die Sektion ergab ein Sarkom des
rechten Stirnhirns. Beide Felsenbeine
wurden im Laboratorium der Frank¬
furter Ohrenklinik (Prof. Voss) in
Serienschnitte zerlegt, sie erwiesen
sich als völlig normal. Das Gehirn
mitsamt dem Kleinhirn wurden im
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neurologischen Institut der Senken-
b e r g’schen Anatomie (Prof. E d i n -
ger) in Serienschnitte zerlegt ; ausser
dem makroskopisch festgestellten
Stirnhirnsarkom konnte nichts Patho¬
logisches gefunden werden.
Der Fall, der wie wohl kein zweiter
klinisch und anatomisch gründlichst
untersucht wurde, ist ein neuer Beweis
für die proteusartigen Symptome, die
ein Stirntumor durch Druck und se¬
kundären Hydrocephalus hervorrufen
kann.
Auruf!
Europa steht in Flammen. Ein Krieg ist ausgebrochen, wie ihn die Weltgeschichte noch
nicht erlebt hat. Wie die Geschicke der Völker sich gestalten mögen, weiss nur Gott allein.
Wir aber wissen, dass unendliche Not und namenloses Elend die unabwendbaren Folgen
dieses Krieges sein werden, wie immer der Ausgang sein möge. Zu den Völkern, die in den
schrecklichen Krieg verwickelt sind, gehört auch Deutschland, das Land, in dem unsere oder
unserer Vorfahren Wiege stand, mit dem unzertrennbare Bande des Blutes und des Herzens
uns verbinden.
Daher richten die Unterzeichneten an alle Deutschen und an alle Amerikaner deutschen
Stammes die herzliche Bitte, der höchsten und heilgsten Menschenpflicht eingedenk zu sein
und durch freiwillige Spenden die Not der deutschen Stammesbrüder zu lindern. Es gilt
nicht nur die Verwundetn zu pflegen, sondern auch den Wittwen und Waisen hiilfreich zur
Seite zu stehen, denen die Kriegsfurie den Beschützer und Ernährer entrissen hat. Reiner
Menschlichkeit ist unser Bemühen gewidmet, ausschliesslich für wohltätige Zwecke sollen
die gesammelten Beträge Verwendung finden. Daher kann jeder ein Scherflein beitragen
ohne Ansehen der Nationalität.
Es wird gebeten, Beiträge an die „NEW YORK TRUST CO.“, 26 Broad Street, New
York City, unter der Bezeichnung GERMAN RELIEF FUND zu senden. Auch die Unter¬
zeichneten sind zur Annahme von Beiträgen berechtigt.
Die eingesandten Gelder werden der deutschen Botschaft in Washington zur Ueber-
weisung an den Zwecken des Aufrufs entsprechende Wohltätigkeitseinrichtungen in Deutsch¬
land übermittelt werden.
Alex Andrae
Charles Engelhard
John Oscar Erckens
E. Hossenfelder
Rudolph Keppler
Albert Leisel
Adolf Pavenstedt
Hans Reineke
Dr. Richard Schuster
Dr. G. E. Seyffarth
Carl L. Schurz
Charles H. Weigele
Wilhelm Knauth
Conrad Bühler
Rudolf Erbslöh
A. Heckscher
E. C. Hothorn
William Kiene
Adolf Kuttroff
Edmund Pavenstedt
Dr. A. Ripperger
Klaus A. Spreckels
Hermann Schaaf
Edmund Stirn
C. B. Wolffram
George Rueders
Carl Bünz
A. von Gontard
C. von Helmolt
William Kaupe
G. B. Kulenkampff
Henry E. Niese
Christoph Rebhan
Dr. Paul C. Schnitzler
Oscar R. Seitz
Dr. Gustav Scholer
A. Vogel
Robert Badenhop
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
BAD FMS * Emser Kränchen-Brunnen. — Einser Pistillen. — Emaer Smli
4 *um Gurgeln und Inhalieren an Zerstäubungsapparaten. — König!
Mineralquellen, weltberühmt durch Heilwirkung bei Katarrhen der Nase, des Rachens,
des Kehlkopfs, der Luftröhren, sowie der Verdauungsorgane. (Hessen-Nassau.)
D Aft Tim TYfC1U ♦ Helenenquelle und Georg-Victorquelle.
dAU WILUUJNVJE.It ♦ Diuretisch. (Fürstenthum Waldeck.)
Unübertroffene Wirkung bei Krankheiten der Harnorgane, Nieren- und Blasenleiden.
Steinbildung, Harnsäure und Gicht.
_ , _ _ ______ . _ _ . ___ Stahlbrunnen (Hessen-Nassau).
BAD SCHWALB ACH ♦ Stärkster Eisensäuerling.
Anämie, Chlorose, Frauenleiden.
RHENSER
Mineralbrunnen, Rhens am Rhein.
Kohlensaures alkalisch-muriatisches Tafelwasser.^
Aufträge ausgeführt von stets frischem Vorrath, sowie Brosdiüren und weiter«
Auskunft zu erhalten von dem General-Agenten.
C. VON DER BRUCK,
61 PARK PLACE
NEW YORK
T#l«phon«, 5894 Barclay
DR. A. RIPPERGER’S
X-RAY LABORATORY
For Diagnosis and Therapy
616 MADISON AVENUE
NEW YORK
Office Hout8 9-12 A. M.
and by appointment
Telephone
Plaza 1470
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HARVARD UMIVERSITY
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
Clinical Results with the Phylacogens.
Under the above caption, Dr. R. W. Locher, Grafton, W. Va., in the
Memphis Medical Monthly, has this to say: “In judging the therapeu-
tic value of a new preparation, it is advisable that a great number of
case reports be considered; and in order that the medical profession may
have a great number of cases from which to judge, it is the duty of every
physician to report such results as he may have. The Phylacogens äre
of comparatively recent origin, and yet even at this early date they
have displayed their ability to produce satisfactory and in some cases
remarkable results in the treatment of a great variety of pathologicäl
conditions. . . .
“We are informed that the Phylacogens are not claimed to be a ‘cure-
all’ in any sense of the word, but simply valuable therapeutic agents in
the treatment of numerous infectious conditions. From the very fact
that all but Mixed Infection Phylacogen are to be directed against spe¬
cific infections, it is necessary, before employing them, to make an accu-
rate etiological diagnosis. For obvious reasons one cannot expect to pro¬
duce results if Rheumatism Phylacogen is administered in a case that
is really one of gonorrheal arthritis. Neither will an Osteomyelitis or a
syphilitic periostitis yield to Rheumatism Phylacogen, but the former
may be logically treated with Mixed Infection Phylacogen. It would
seem that this latter Phylacogen will ultimately prove of great value to
the surgeon in combating post-operative infections, as well as infections
following injuries of all kinds.”
The writer then details fourteen case reports, covering a variety of
diseases, and adds this by way of comment:
“From the foregoing cases it would be possible to draw numerous
conclusions. What is especially striking, however, is that the Phyla¬
cogen treatment is apparently successful in the vast majority of cases and
seems to give prompter and more definite results than is possible to se-
cure with the usual recognized treatments. As a physician’s experience
increases he finds a greater number of cases in which each of the Phyla¬
cogens may be used, with the expectation of great benefit resulting there-
from. In any event, it must be conceded that Phylacogen in its various
forms presents great possibilities and must be classed as a therapeutic
agent which is more than worthy of trial.”
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18
Original from
HARVARD UNIVERSITY
f^cw Vorher
JVledizimscbe jVIonatöecbnft
OilliiellM Organ der
Dettfdtai nMHxMKhea CcftllfdMfttR 4er Städte nee gerk»
€Wc«0O «Kd Clmland.
Herausgegeben von Dr. ALBERT A. RlPPERGER
unter Mitwirkung von Dr. A. Herzfeld, Dr. H. G. Klotz und Dr. von Oefele.
Bd. XXV.
Xew York, September, 1914.
Xr. 4.
Originalarbeiten.
Neuere Ergebnisse der Röntgenologie.*
Von Privatdozent Dr. Franz Bardachzi.
Vor nicht zu langer Zeit hatte es den
Anschein, als ob das Röntgenverfahren
zum Höhepunkt der Entwicklung ge¬
langt wäre. Die Bestrebungen der ein¬
zelnen Fabriken von Röntgenapparaten,
leist ungsfähigste Apparate zu liefern,
waren mit dem Ausbau des Einzelschlag¬
verfahrens bis zu einer gewissen, bisher
nicht zu steigernden Grenze gelangt, die
diagnostischen Methoden waren in allen
Richtungen gut durchgearbeitet, und
auch das grosse Gebiet der Röntgenthe¬
rapie schien ausgebaut zu sein; bezüg¬
lich der Oberflächentherapie gab es kei¬
nen Zweifel mehr über die Leistungs¬
fähigkeit des Verfahrens; dagegen lau¬
teten die Meinungen über die mit der
Tiefentherapie erzielten Erfolge nur bei
wenigen Erkrankungen einstimmig gün¬
stig, bezüglich den meisten in Betracht
kommenden Affektionen, vor allem aber
bezüglich der Resultate bei den bösarti¬
gen Neubildungen, überwog mit Recht
die pessimistische Beurteilung.
•Nach einem Vortrage im Vereine detutscher Aertzte
in Böhmen am 20. März 1914. Prag. m. W. 1914.
Nr. 34.
Ich möchte mir heute erlauben, einen
kurzen Ueberblick über die neueren Er¬
gebnisse des Röntgenverfahrens zu ge¬
ben auf Grund eigener Erfahrungen, die
ich auf einer mit Unterstützung der Ge¬
sellschaft zur Förderung deutscher Wis¬
senschaft, Kunst und Literatur in Böh¬
men unternommenen Studienreise ge¬
macht habe.
Die Frage, ob bei der Wahl eines
Röntgenapparates das Induktor- oder
das Gleichrichtersystem vorzuziehen sei,
scheint sich mehr und mehr zugunsten
des letzteren Systems zu lösen, bei wel¬
chem der hochgespannte Wechselstrom
durch einen sich synchron drehenden
Hochspannungskommutator in den für
die Röntgenröhre nötigen hochgespann¬
ten Gleichstrom umgewandelt wird. Das
Gleichrichtersystem übertrifft den Be¬
trieb mittels Induktor und Unterbrecher
nicht nur in Bezug auf die Einfachheit
der Handhabung, sondern auch in Bezug
auf die Qualität der Bilder und des
Durchleuchtungslichtes. Deshalb ge¬
winnen die Gleichrichterapparate eine
zunehmende Verbreitung. Die Fort-
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
schritte in ihrer Konstruktion lassen die
Hoffnung zu, dass es bald gelingen wird,
für alle Zwecke sowohl der Diagnostik
als auch der Therapie dienende Univer¬
salinstrumentarien herzustellen. Die an¬
fänglichen Nachteile der Gleichrichter¬
apparate, die allzugrosse Röhrenabnutz¬
ung, vor allem aber die geringe Eignung
für die Zwecke der Tiefentherapie infol¬
ge des mehr „weicheren“ Charakters des
bei ihrer Verwendung von der Röhre
ausgesandten Röntgenlichtes sind durch
sinnreiche Modifikationen und Zusatz¬
apparate, an deren Konstruktion beson¬
ders Des sauer beteiligt war, beseitigt
worden.
Auch in der Erzeugung von Röntgen¬
röhren sind wesentliche Fortschritte zu
verzeichnen. Eine auf einem ganz neuen
Gesichtspunkt beruhende Röhrenkon¬
struktion, die L i 1 i e n f e 1 d’sche Röhre
hat anscheinend noch keine praktische
Bedeutung erlangt. Diese Röhre ist so
weit evakuiert, dass sie auf den gewöhn¬
lichen Strom garnicht mehr anspricht.
Es wird nun in sie durch zwei besondere
Elektroden ein zweiter Strom, der soge¬
nannte Leitfähigkeitsstrom geschickt,
welcher die Röhre erst für den Röntgen¬
strom durchgängig macht. Die Härte
der Röhre hängt von der Stärke des Leit¬
fähigkeitsstromes ab. Man hätte also
bei ihrem Gebrauch den wichtigen Vor¬
teil, je nach Wunsch harte oder weiche
Strahlen aus der gleichen Röhre austre¬
ten lassen zu können, und könnte- eine
Aufnahme mit härterer Strahlung begin¬
nen und mit weicherer beenden.
In der letzten Zeit hat der Amerikaner
C o o 1 i d g e eine Röhre konstruiert,
welche als Kathode eine Wolframdraht¬
spirale besitzt; auch die Antikathode be¬
steht aus Wolframmetall. Die Röhre
ist so hoch evakuiert, dass selbst bei
höchster Spannung kein Strom zwischen
den Elektroden hindurchgeht. Wird
aber die Kathode mit Hilfe einer kleinen
Batterie hoch erhitzt, so wird Röntgen¬
licht erzeugt. Die neue Röhre soll den
Vorteil haben, wie die Lilienfeld’-
sche beliebig harte Strahlen zu liefern,
dabei aber ununterbrochen leistungsfä¬
hig sein, da es zu keiner Erhitzung des
Glases kommt.
Für die oft stundenlange Belastung,
wie sie die moderne Tiefentherapie er¬
fordert, mussten neue Röhrentypen ge¬
schaffen werden. Am beliebtesten sind
die Kühlvorrichtungen der Antikathode
mittels fliessenden Wassers oder mit
Pressluft, welche durch ein eigenes Ge¬
bläse zugeführt wird. Sehr grosse Ver¬
breitung hat auch die A m r h e i n’sche
Röhre gefunden, bei welcher ein feinst
zerstäubter Wasserstaubnebel mit
grosser Wucht durch einen Luftstrom
gegen die Antikathode geschleudert und
diese dadurch intensiv gekühlt wird.
Für kurzdauernde höchste Belastun¬
gen der Röntgenröhren, wie sie für
Schnell- und Momentaufnahmen in Be¬
tracht kommen, bewährten sich vorzüg¬
lich Antikathoden mit einem Ueberzug
aus dem erst bei 3000 Grad schmelzen¬
den Wolfram.
Das Bestreben, die Aufnahmezeiten
abzukürzen, hat zu einem Wettstreit der
Fabriken geführt, die sich gegenseitig
durch die Leistungen ihrer Einzelschlag¬
apparate zu übertreffen suchten. Der all¬
gemeinen Anwendung dieser Instrumen¬
tarien stehen aber gewisse Nachteile ge¬
genüber. Zunächst sind die Platten bei
Aufnahmeseiten von unter 1/50 Sekun¬
de besonders bei der Aufnahme stärke¬
rer Körperpartien häufig unterbelichtet;
dann ist es schwerlich möglich, bei Ver¬
wendung des Einzelschlages eine Auf¬
nahme mit Kompressionsblende zu ma¬
chen, denn die Aufladung aller Metall¬
teile der Blende bei so hohen Strominten¬
sitäten (über 200 Milliampere) lässt eine
Verletzung der Patienten möglich er¬
scheinen. Glücklicherweise sind die
Blitzaufnahmen für die Zwecke des
Praktikers durchaus entbehrlich; von
Vorteil für diesen wäre dieses Verfahren
eigentlich nur bei den Aufnahmen des
Herzens, dessen Konturen dann ideal
scharf hervortreten. Da es aber heutzu-
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New Yoejcxe Medizinische Monatsscheift.
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tage mit jedem guten Apparate gelingt,
eine Herzaufnahme in 1/20 Sekunden zu
machen, ist die Schärfe auch bei so ge¬
wonnenen Herzaufnahmen eine für dia¬
gnostische Zwecke völlig genügende.
Auch bezüglich der Schnellaufnahmen
ist die frühere Begeisterung etwas ge¬
sunken ; ausgenommen bei Aufnahmen
bewegter Körperteile exponiert man lie¬
ber etwas länger und legt mehr Wert auf
gute Bildqualität als auf sportmässige
Abkürzung der Expositionszeit.
Seit Jahren werden Versuche ge¬
macht, die Bewegungen des Herzens,
der Atmungsorgane und des Magens
kinematographisch darzustellen; diese
Röntgenkinematographie würde nicht
nur für Lehrzwecke von grossem Vor¬
teile sein, sondern auch eine genaue Ana¬
lyse der einzelnen Bewegungsphasen,
vor allem aber ein genaues Studium ei¬
ner verdächtigen Partie bei beliebig häu¬
figer Reproduktion gestatten. Da die
kinematographische Aufnahme des
Leuchtschirmbildes infolge zu geringer
Lichtintensität keine guten Resultate
gibt, muss das zu untersuchende Organ
auf äusserst schnell gewechselte Platten
aufgenommen werden. Vorläufig ist
leider die Methode noch nicht ausgebaut
und schon infolge ihrer grossen Kosten
nur für wissenschaftliche Zwecke ge¬
eignet.
Einen wichtigen Fortschritt in dia¬
gnostischer Beziehung bedeutet die von
Buck y angegebene Wabenblende. Die¬
selbe hat den Zweck, die das Bild ver¬
schleiernden Sekundärst rahlen, welche
in dem aufzunehmenden Körperteil ent¬
stehen, auszuschalten. Die B u c k y-
Blende besteht aus gitterförmig ange¬
ordneten Kupferstreifen, welche so an¬
geordnet sind, dass sie gegen den Fokus
der Röhre konvergieren. In den Ma¬
schen dieses Gitters, welches vor die
Platte bezw. den Durchleuchtungsschirm
gebracht wird, werden die Sekundär¬
strahlen unschädlich gemacht und das
Bild gewinnt ungemein an Schärfe und
Kontrast.
Eine zunehmende Verbreitung hat der
von Dr. Rupprecht angegebene
Astralschirm erlangt; er hat den frühe¬
ren Leuchtschirmen aus Bariumplatin-
zyanur gegenüber den Vorteil grösserer
Haltbarkeit,‘dagegen den Nachteil inten¬
siven Nachleuchtens.
Die Fortschritte in der Diagnostik be¬
treffen hauptsächlich das Gebiet der Un¬
tersuchung des Magendarmtraktus. Die
Unentbehrlichkeit des Röntgenverfah¬
rens für die Beurteilung der Lage, Form
und Grösse des Magens, über seine Be¬
ziehungen zu Nachbarorganen ist jetzt
allgemein anerkannt; vor allem sind es
die stenosierenden Prozesse sowie die
Geschwüre und Neubildungen, deren
Diagnose durch die Röntgenuntersu¬
chung in ganz ungeahnter Weise geför¬
dert worden ist. Wenn es nun aus die¬
sen Gründen auch feststeht, dass die
Röntgenmethode für die Beurteilung ei¬
ner Magenerkrankung ebenso unent¬
behrlich ist, wie die übrigen klinischen
Untersuchungsmethoden, so bricht sich
andererseits doch immer mehr und mehr
die Erkenntnis Bahn, dass dieses Ver¬
fahren nicht überschätzt werden dürfe.
Bei einer zu einseitigen Anwendung des¬
selben können Fehlresultate nicht aus-
bleiben. Dies gilt vor allem bezüglich
der Frühdiagnose des Magenkarzinoms.
W ir wissen jetzt, dass auch das Röntgen¬
verfahren in dieser Hinsicht Grenzen
seiner Leistungsfähigkeit hat, die in der
Zeit des allzugrossen Enthusiasmus
manchmal übersehen wurden. Besonders
sind es die hochsitzenden Karzinome des
Magenkörpers in ihrem Beginne, welche
dem Nachweise durch Röntgenstrahlen
nur schwer zugänglich sind.
Die früher ungemein schwierige Dif¬
ferentialdiagnose zwischen Spasmus und
Stenose am Pylorus hat durch die von
Holzknecht und S g a 1 o t z er be¬
fürwortete Anwendung des Papaverin
eine wesentliche Förderung gewonnen.
Dieses Präparat verzögert beim gesun¬
den Magen die Austreibungszeit; dage¬
gen hebt es beim Pylorospasmus die
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
durch diesen bedingte Motilitätsstörung
durch seine Einwirkung auf die glatte
Muskulatur auf; bei der Pylorustenose
wird hingegen die Motilitätsverzögerung
noch vermehrt.
Die Untersuchung des Darmes mit
Röntgenstrahlen hat uns wertvolle neue
Aufschlüsse über die physiologischen
und pathologischen Bewegungsvorgänge
gebracht; auch die Pharmakologie hat
aus den Studien über die Wirkung ver¬
schiedener Präparate, vor allem von Ab¬
führ- und Stopfmitteln wichtige neue
Gesichtspunkte gewonnen.
Die Diagnose des Ulcus duodeni ist
durch die Röntgenmethode sehr geför¬
dert worden; als charakteristische Merk¬
male dieser Erkrankung gelten (Hau-
dek) Stenosenerscheinungen, die zu ab¬
norm lange persistierenden Schatten im
oberen Duodenum führen; das Nischen¬
symptom ; ein umschriebener auf das
Duodenum beschränkter Druckpunkt;
abnorm schnelles Uebertreten von Ma¬
geninhalt in das Duodenum; tiefe Ma¬
genperistaltik ; Pylorusfixation.
Während man früher die Möglichkeit
der Darstellung des Wurmfortsatzes be¬
zweifelte, haben C a s e, Max Cohn u.
a. nachgewiesen, dass er bei geeigneter
Technik sehr häufig radiologisch sicht¬
bar wird. Ob dieser Nachweis der Ap¬
pendix, besonders wenn ihr Schatten
länger zu beobachten ist, für einen pa¬
thologischen Zustand spricht, ist noch
nicht sicher entschieden.
Für die radiologische Untersuchung
des Dickdarmes kommt ausser der Fül¬
lung per os insbesondere auch die Fül¬
lung mittels Kontrasteinlaufs in Be¬
tracht. Mittels Mondamin oder Stärke
kann man das Barium oder Wismut aus¬
gezeichnet in Suspension erhalten. Sehr
zweckmässig ist es, das Einfliessen der
schattengebenden Flüssigkeit direkt am
Schirme zu beobachten, wie es Hae-
n i s c h vorschlägt.
Dank der Arbeit zahlreicher Autoren,
in der letzten Zeit namentlich
Schwär z, ist das anatomische und
physiologische Verhalten des Dickdar¬
mes genau untersucht.
Für dife Beurteilung höhergradiger
Obstipationsformen haben diese Unter¬
suchungen so viel Neues gebracht, dass
die Anwendung der Röntgenmethode in
solchen Fällen streng angezeigt er¬
scheint. Vor allem die „hypokinetische“
Obstipation mit verringerter peristalti-
scher Aktion und die „dyskinetische“
Obstipation mit der abnormen Kontrak¬
tionsarbeit besonders dem mittleren Ko-
lonalabschnitte ergaben ganz ausgepräg¬
te in therapeutischer Richtung äusserst
wichtige Merkmale. S t i e r 1 i n hat als
erster erwiesen, wie wichtig die Rönt¬
genmethode für die Erkennung auch
früher Stadien der Ileozoekaltuberkulo^c
ist. Der Darminhalt durcheilt in solchen
Fällen den kranken Kolonabschnitt so
rasch, dass es nicht zu einer radiologisch
nachweisbaren Ansammlung desselben
kommt.
Bezüglich des Nachweises beginnen¬
der Karzinome des Darmes ist das Rönt¬
genverfahren leider noch nicht genügend
ausgebaut; während der Sitz einer Ste¬
nose an dem längeren Stehenbleiben der
Kontrastmahlzeit meist leicht erschlossen
werden kann und auch zahlreiche Beob¬
achtungen von charakteristischen Be¬
funden bei grösseren noch nicht steno-
sierenden Darmkarzinomen vorliegen,
muss bezüglich der Frühdiagnose des
Darmkarzinoms nachdrücklich darauf
hingewiesen werden, dass man auf einen
negativen Röntgenbefund hin nie ein
Karzinom ausschliessen darf.
Als kontrastbildendes Mittel bei der
Röntgenuntersuchung des Magendarm¬
traktes wird das Barium immer mehr
verwendet. Die Befürchtungen, die frü¬
her seiner Anwendung im Wege stan¬
den, haben sich glücklicherweise nicht
erfüllt und man ist berechtigt, das Prä¬
parat als ungefährlich zu bezeichnen.
Gegen V erwechslungen mit löslichen
Bariumsalzen schützt die Herstellung ei¬
nes für Röntgenuntersuchungen be¬
stimmten * Bariumpräparates seitens
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
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grosser chemischer Firmen: die in eini¬
gen Minuten anzustellende Prüfung des
Mittels sollte aber doch von keinem
Röntgenologen verabsäumt werden.
Die verschiedenen von einzelnen Schu¬
len vorgeschlagenen Kontrastmahlzeiten,
welche den Magen und Darm verschie¬
den schnell passieren, haben für die Be¬
urteilung der Motilitätsstörungen einige
Verwirrung gebracht. Deshalb sind die
sich mehrenden Vorschläge, eine einheit¬
liche Normalmahlzeit für wissenschaft¬
liche Zwecke einzuführen, sehr zu be-
grüssen.
Die Darstellung der Leber und Milz
auf der photographischen Platte gelang
bisher nur zufälligerweise. Nach den
Untersuchungen Loefflers und
Meyer-Betzs erschienen diese Or¬
gane dann ganz deutlich, wenn man so¬
wohl Magen wie Darm mit Gas füllt.
Diese Methode scheint besonders für den
Gallensteinnachweis von Bedeutung.
Denn bisher hatten sich die Hoffnungen,
die man bezüglich des Nachweises von
Gallensteinen auf das Röntgenverfahren
setzte, nicht erfüllt: der Dichtigkeitsun¬
terschied der Steine gegenüber der Um¬
gebung ist viel zu gering, sodass gelun¬
gene Gallensteinaufnahmen zu den Sel¬
tenheiten gehörten.
Eine zunehmende Bedeutung scheint
das Röntgenverfahren für die Geburts¬
hilfe zu gewinnen. Kehrer und Des¬
sauer haben kürzlich eine Methode an¬
gegeben, mittels welcher eine exakte
Beckenmessung auf röntgenologischem
Wege möglich ist; diese Messung gestat¬
tet die Bestimmung der Conjugata vera
auf den Millimeter genau. Da die Tech¬
nik eine sehr einfache ist, dürfte das
Verfahren bald auf den Kliniken allge¬
mein angewandt werden.
Die Darstellung der Frucht im Uterus
ist wohl oft versucht worden, doch sind
gelungene Bilder noch Seltenheiten. Die
für die Strahlen leicht durchlässigen
kindlichen Organe und das Fruchtwas¬
ser im Verein mit der Plazenta sowie
dem mütterlichen Becken bieten ganz un¬
günstige Bedingungen für solche Auf¬
nahmen dar.
Einen ganz ungeahnten Aufschwung
hat die Röntgentiefentherapie in den
letzten Jahren genommen. Der Fort¬
schritt in dieser Richtung ist insbeson¬
dere mit den Namen Perthes, Des¬
sauer, Holzknecht innig ver¬
knüpft.
Die vielfachen Misserfolge der frühe¬
ren Zeit sind — wie man jetzt weiss —
auf Anwendung zu geringer Dosen zu¬
rückzuführen. Durch Applikation sol¬
cher geringer Dosen wird aber — wie
besonders die Versuche von Schwarz
lehren — gerade das Gegenteil der beab¬
sichtigten W irkung erzielt, nämlich eine
Zellreizung. Es wird also das Tumor¬
gewebe nicht nur nicht zerstört, sondern
zu schnellerem W achstum angeregt. Ge¬
nügend starke Dosen konnte man aber
früher nicht in die Tiefe senden, da sonst
schwere Hautveränderungen aufgetreten
wären. Diese Gefahren sind jetzt durch
die Einführung der „Homogenbestrah¬
lung“ beseitigt. Es sind verschiedene
W ege möglich, um in die Tiefe nahezu
so viel Strahlung zu bringen, wie an die
Oberfläche der Haut. W T enn wir uns mit
einer hartstrahlenden Röhre weit vom
Körper des Patienten entfernen, so wird
nach mathematischen Grundsätzen die
Haut nicht viel mehr Röntgenlicht erhal¬
ten als das Körperinnere. Die Versuche
Dessauer’s und Holzknech Fs,
diese Methode praktisch auszuarbeiten,
scheiterten aber an den grossen techni¬
schen Schwierigkeiten und der Kostspie¬
ligkeit des Verfahrens.
Eine sichere Erfolge gewährleistende
Grundlage gewann die Tiefentherapie
erst durch den Ausbau der Filtertechnik
(v. J a k s c h, G a u s s u. a.) : wir wis¬
sen jetzt, dass Aluminium von 3—5 mm
Dicke das geeignetste Filtermaterial dar¬
stellt, indem es die gefährliche weiche
Strahlung fast vollkommen ausschaltet
und ganz enorme Dosen von hartem
Röntgenlicht in die Tiefe gelangen lässt.
Die Zeiten, wo der Besitz eines Rönt-
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
genapparates dazu berechtigte, Tiefen¬
therapie zu treiben, sind vorüber; die
Anschaffung eines modernen Instrumen¬
tariums und der Hilfsgeräte ist natürlich
unerlässliche Vorbedingung, doch muss
vor allem vollständige Beherrschung der
Röhren- und Filtertechnik gefordert
werden ; nichts ist unsinniger und stiftet
mehr Schaden als die Verabreichung zu
geringer Dosen Röntgenlichtes, die das
Wachstum des Karzinoms nur fördern
können.
Man hat, um die höchstmögliche Dosis
vergrössern zu können, versucht, die
Haut weniger empfindlich zu machen, in¬
dem man sie komprimierte oder durch
Adrenalin blutärmer machte; von Vor¬
teil erscheint besonders das Verfahren
Chr. Mülle r's, welche die Haut mit¬
tels einer wassergekühlten Aluminium¬
elektrode, welche gleichzeitig als Filter
dient, kühlt, komprimiert und zugleich
durch Hochfrequezströme anämisiert,
gleichzeitig wird nach seinem Vorgang
das Tumorgewebe dem hyperämisieren-
den Einfluss der Thermopenetration aus¬
gesetzt und so sensibler für die Strahlen
gemacht.
Die Gefahren für die Haut sind bei
Verwendung harter gefilterter Strahlen
sehr gering: selbst bei Ueberschreiten
der zulässigen Dosis kommt es nicht
mehr zu der so gefürchteten Röntgen-
dermatitis, sondern zu einer leichten,
bald abheilenden entzündlichen Verände¬
rung.
Die in die Tiefe gelangende Dosis
kann weiter dadurch vervielfacht wer¬
den, dass man von zahlreichen Ein¬
bruchspforten aus bestrahlt und so durch
„Kreuzfeuerwirkung“ einen vermehrten
Effekt erhält: wir wissen jetzt, dass die
in den Gewebsschichten entstehenden
Sekundärstrahlen ungemein verstärkend
für die primäre Bestrahlung einwirken,
vor allem auch dadurch, dass sie sich
diffus im Körperinnern ausbreiten und
dadurch auch eine Geschwulst beeinflus-
s wenn sie nicht direkt dem Strahlen-
c’:.:lrss ausgesetzt wird.
Die therapeutischen Fortschritte der
letzten Zeit verdanken wir hauptsächlich
der systematischen Anwendung der In¬
tensivtiefentherapie an gynäkologischen
Kliniken. Vor allem sind es die Schulen
K r ö n i g’s. Bum m’s und Doeder-
1 e i n’s, deren Erfolge in der Behandlung
des Karzinoms auch den ärgsten Skepti¬
ker überzeugen müssen.
Bezüglich der Myomtherapie sind die
Akten eigentlich schon geschlossen. Pa¬
tientinnen im klimakterischen Alter sol¬
len nicht mehr. operiert, sondern be¬
strahlt werden.
Der günstige Erfolg der Röntgenbe¬
strahlung ist der Beeinflussung des Fol¬
likelapparates der Ovarien zuzuschrei¬
ben. Ausfallserscheinungen können also
auch nach der Bestrahlung wie nach der
Operation auftreten. Dagegen werden
den Patientinnen die immerhin erhebli¬
chen Nachteile und Gefahren der Opera¬
tion bei gleich sicherem Erfolg erspart.
Von jugendlichen Individuen mit My¬
omen soll man nach Krönig diejeni¬
gen Fälle der Bestrahlung zuführen, in
welchen sonst die Totalexstirpation des
Uterus indiziert war; Fälle, in welchen
die Myomenukleation in Betracht
kommt, soll man operieren: denn durch
die Bestrahlung wird Amennorhoe her¬
beigeführt.
Eine weitere allgemein anerkannte In¬
dikation für die Röntgenbestrahlung bie¬
ten die gutartigen klimakterischen Blu¬
tungen.
Der hauptsächlich zwischen der Ham¬
burger und der Freiburger Schule ge¬
führte Streit, ob bei der Myombehand¬
lung mässige oder grosse Röntgendosen
zweckmässiger sind, scheint zugunsten
des energischen Verfahrens gelöst zu
sein.
Den grossen Umschwung, den das ver¬
flossene Jahr in der Karzinombehand¬
lung gebracht hat, kann man, wie
A s c h n e r treffend sagt, kaum drasti¬
scher zur Darstellung bringen, als durch
den Hinweis, dass die Patientinnen mit
inoperablem Uteruskarzinom früher als
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wahre Crux aller Kliniken, fast wie aus¬
sätzige, vollständig aufgegebene Men¬
schen behandelt wurden, deren man sich
sobald als möglich wieder zu entledigen
suchte, und dass dieselben Kranken heu¬
te einen gern gesehenen Bestandteil un¬
seres Krankenmaterials liefern, da wir
sie sehr häufig erheblich bessern, ihnen
das Leben verlängern und sie in günsti¬
gen Fällen klinisch sogar vollständig hei¬
len können.
Diese verblüffenden Erfolge bei inope¬
rablen Tumoren haben angesichts der
leider wenig günstigen Resultate der
operativen Behandlung hervorragende
(iynäkologen bewogen, auch operable
Tumoren zu bestrahlen.
Wenn auch die Zeit noch zu kurz ist,
um von definitiver Heilung zu sprechen,
so ist doch in vielen Fällen vollständiges
Schwinden des Karzinoms, der Drüsen¬
metastasen erzielt worden. Diese Resul¬
tate, die zum Teil mit der Röntgenbe¬
strahlung allein, zum Teil bei gleichzei¬
tiger Anwendung von Mesothorium oder
Radium erreicht wurden, führten einzel¬
ne Kliniker zu dem Standpunkt, über¬
haupt die Operation des Karzinoms des
Genitalsystems aufzugeben und prinzi¬
piell nurmehr die günstigere Aussichten
bietende Bestrahlungstherapie anzuwen¬
den.
Die Bestrahlung muss in solchen Fäl¬
len sowohl von der Vagina wie von den
Hautdecken aus erfolgen. Verwendung
genügend gefilterter harter Strahlen, Be¬
sitz eines leistungsfähigen Instrumenta¬
riums und Verabreichung früher als un¬
möglich angesehener Massendosen ist
unerlässliche Vorbedingung; denn Un¬
terdosierung kann der Patientin nur
Schaden bringen. Nach K r ö n i g und
0 u m m können auf ein und dieselbe
Hautstelle bis zu 150 Kienböckenseiten
verabfolgt werden, ja die Schleimhäute
vertragen noch viel mehr.
Die mehrfach geäusserte Befürchtung,
dass es nach Verwendung dieser grossen
Dosen von Röntgenlicht zu Spätschädi¬
gungen der Haut, vor allem aber zu
schweren Veränderungen innerer Orga¬
ne, vor allem des Darmes kommen kön¬
ne, hat sich bisher glücklicherweise nicht
erfüllt.
Nach übereinstimmender Meinung der
Autoren hat die Röntgenmethode vor der
Bestrahlung mit radioaktiven Substan¬
zen den Vorteil weit grösserer Tiefen¬
wirkung, sodass sie jetzt vielfach ange-
wendet wird.
(lanz ähnliche günstige Resultate, wie
mit der Bestrahlung der Uterus- und
Yulva-Karziilome wurden bei der glei¬
chen Behandlung von Brustdrüsenkrebs
und Rezidiven nach solchem erzielt.
Als allgemein angenommen kann des¬
halb der Grundsatz gelten, bei der siche¬
ren Beeinflussung der Karzinomzelle
durch die Bestrahlung, alle Fälle von
Uterus- und Brustdrüsenkarzinom nach
der Operation einer gründlichen Rönt¬
genbestrahlung zu unterziehen, die sich
nicht nur auf den Ort des früheren Tu¬
mors, sondern vor allem auch auf die
regionären Drüsen beziehen muss. Ge¬
wiss wird man durch solche Bestrahlun¬
gen dem Auftreten von Rezidiven oft
Vorbeugen können.
Die Zukunft wird uns zeigen, ob auch
Karzinome anderer Organe durch Rönt¬
genbestrahlung dauernd beeinflusst wer¬
den können; dauernde Besserungen von
Magenkarzinomen sind bisher nicht be¬
kannt. Direkte Bestrahlung des nach
F i n s t e r e rs Vorschlag vorgelagerten
Tumors, Verabreichung von Massen¬
dosen (bis zu zirka 300 X unter 3 mm
Aluminium) von verschiedenen Ein¬
bruchstellen her sollten wohl bei inope¬
rablen Tumoren öfters versucht werden.
Die Bestrebungen, die Tumoren für
die Bestrahlung durch Injektion chemi¬
scher Präparate sensibler zu machen,
haften bisher keine ausgesprochenen Er¬
folge ; dagegen scheint das beschriebene
Mülle rsche Verfahren geeignet, die
Röntgen Wirkung zu unterstützen.
Von grossem Interesse sind die Erfol¬
ge, welche die Röntgenbestrahlung bei
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
Drüsen- und Gelenkstuberkulose sowie
bei tuberkulösen Lymphomen aufzuwei¬
sen hat (I s e 1 i n, Fritsch u. a.); sie
lassen es wünschenswert erscheinen, die¬
se Behandlung, mehr als es bisher ge¬
schieht, zu versuchen.
De 1 a Camp und K ü p f e r 1 e hat¬
ten nachgewiesen, dass hämatogen er¬
zeugte Lungentuberkulose am Kanin¬
chen durch Röntgenstrahlen beeinfluss¬
bar ist; auf Grund dieser Untersuchun¬
gen versuchten es nun die genannten
Autoren, die Lungentuberkulose mit
Röntgenstrahlen zu behandeln; sie fan¬
den günstige Erfolge in allen Stadien;
ausgesprochene Heilerfolge konnten in
Fällen des 1. und 2. Stadiums erreicht
werden. Von Interesse ist. dass mittel¬
starke Dosen der hartgefilterten Strahlen
bessere Erfolge gaben als grössere.
Aus meinen Darstellungen ist zu er¬
sehen, dass das Röntgenverfahren in der
letzten Zeit ganz ungeahnte neue grosse
Erfolge in technischer, diagnostischer
und therapeutischer Richtung aufzuwei¬
sen hat; am wichtigsten erscheinen wohl
die Resultate mit der Karzinombehand¬
lung. Die nächsten Jahre werden es leh¬
ren, ob es mit der neuen Methode gelingt,
dauernde Heilungen herbeizuführen ;
wenn aber auch nur in einem Teile der
Fälle so weitreichende Besserungen und
volle Symptomlosigkeit für einige Mo¬
nate zu erzielen wären, wie sie bisher
sichergestellt sind, müsste das neue Ver¬
fahren als segensreich gepriesen werden.
Ueber die Beeinflussung innerer Blutungen durch intrave¬
nöse Traubenzuckerinfusionen.*
Von Dr. Julius Löwy.
Die Zahl der wirksamen Medikamente,
über welche die Medizin zur Stillung in¬
nerer Blutungen verfügt, ist eine relativ
geringe und es rechtfertigt dieser Um¬
stand, sowie die Wichtigkeit eines ra¬
schen therapeutischen Vorgehens bei
schweren Blutungen das Interesse, wel¬
ches neuempfohlenen Medikamenten ent¬
gegengebracht wird.
Im letzten Jahre wurden wiederum in¬
travenöse Traubenzuckeninfusionen zur
Stillung innerer Blutungen von
Schreiber 1 ) empfohlen; derselbe
verwendete 200 ccm von 5—20 Prozent
Traubenzuckerlösungen und will insbe¬
sondere bei Darmblutungen gute Erfolge
beobachtet haben. Er begründet die
blutgerinnungsbefördernde Wirkung die¬
ser Lösung mit der von den Vel¬
de n’schen 2 ), für hypertonische Koch-
*Aus Prag. m. W. 1914. Nr. 33.
1) K. Schreiber, Die Therapie der Gegenwart,
15. 195. 1913.
2) v o n den V e 1 d e n, Verhandl. d. Kongr. f.
innere Med., 26. 155. 1909.
Salzlösungen geltenden Auffassung, dass
die Wirkung derartiger Injektionen in
einer Gewebsauslaugung mit gleichzeiti¬
ger Mobilisierung einer gerinnungsbe¬
fördernden Substanz besteht, wodurch
die Blutgerinnungsfähigkeit verbessert
wird.
Ganz abgesehen davon, dass die ra¬
sche Verbrennung von Traubenzucker
und sein geringeres Diffusionsvermögen
im menschlichen Organismus einen we¬
sentlichen Unterschied von infundierten
Traubenzuckerlösungen zu Kochsalzlö¬
sungen darstellt und daher die für NaCl
Lösungen geltenden Wirkungen nicht
ohne weiteres auf Traubenzuckerlösun¬
gen übertragen werden können, so muss¬
ten die guten Erfolge, die Schreiber
erzielt hat, umso auffallender sein, als
einen Monat vorher Kuhn 3 ) auf expe¬
rimenteller Grundlage eine gerinnungs¬
hemmende Wirkung von intravenösen
3) F. Kuh n, Deutsche Zeitschr. f. Chirurgie, 122.
90. 1913.
Original from
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
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Traubenzuckerlösungen nach weist und
Zuckerinfusionen geradezu als Prophy-
laktikum gegen Thrombosen empfiehlt.
Kuhn kommt direkt zu dem Schlüsse,
dass auf intravenösem Wege in die Blut¬
bahn eingeführter Zucker zweifellos an-
tithrombosierende Eigenschaften im
Blute hat und dass diese während der in¬
travenösen Zufuhr und einige Stunden
nach derselben zur Geltung kommen.
Seine Versuche gelten allerdings im Ge¬
gensätze zu den Schreibe rischen
Versuchen für isotonische d. i. 4 Prozent
Traubenzuckerlösungen.
Da die Auffassungen dieser beiden
Autoren einander gegenüberstehen, so
habe ich im Aufträge meines Chefs eini¬
ge diesbezügliche Versuche bei Patienten
mit inneren Blutungen vorgenommen,
über die ich im folgenden kurz berichten
will.
Die Infusionen wurden mit allen asep¬
tischen Kautelen durchgeführt; in Ver¬
wendung kamen 5—20 Prozent Trau¬
benzuckerlösungen, und zwar wurden
durchschnittlich 200 ccm der Lösung in¬
fundiert. Unangenehme Nebenerschei¬
nungen kamen nicht zur Beobachtung.
Der nach der Infusion ausgeschiedene
Harn war stets zuckerfrei, enthielt je¬
doch gewöhnlich viel Urate. Eine bei
einem Patienten durchgeführte Harn¬
säurebestimmung (Methode Hopkins
— v. Jak sch 4 ) ergab bei streng pu-
rinfreier Diät ein Steigen der täglichen
Hamsäureausscheidung von 0.7 g auf
1.5 g und ich glaube, dass sich diese
Steigerung der Ausscheidung der endo¬
genen Harnsäure wohl nur durch eine
Auslaugung der Gewebe erklären lässt
und dies umsomehr, als in allen Fällen
eine wenn auch mässige Steigerung der
Diurese unter dem Einflüsse der Infu¬
sion beobachtet wurde. Nennenswerte
Blutdruckschwankungen vor und nach
der Infusion waren nicht vorhanden; dje
maximale Differenz betrug in einem Fal¬
le 5 mm Hg. Die Versuche wurden an
4) v. J a k s c h. Klinische Diagnostik. 6. Auflage,
p. 476. 1907. Verlag Urban u. Schwarzenberg.
vier Fällen von Darmblutungen, einem
lalle von Nierenblutung und sieben
Fällen von Haemoptoe ausgeführt.
Bei zwei Fällen von Darmblutungen
waren gute Erfolge zu verzeichnen. Bei
dem einen Falle handelte es sich um eine
Dannblutung aus nicht näher geklärter
Ursache, der zweite Fall war eine schwe¬
re Darmblutung auf anämischer Basis.
Bei beiden Fällen hörte die Blutung 24
Stunden nach der Infusion von 200 ccm
einer 20prozentigen Traubenzuckerlö-
sung auf und bei dem zweiten Falle stieg
die Erythrozytenzahl innerhalb einer
W oche von 940,000 auf 2,240,000, der
Hämoglobingehalt von 1.4 g auf das
Doppelte. Die beiden anderen Fälle, ein
Carcinoma intestini und eine im Laufe
einer Anämie auftretende Blutung zeig¬
ten keinerlei Beeinflussung.
Ohne Erfolg waren auch drei bei ei¬
nem Falle von Nephritis haemorrhagica
im Laufe einer W r oche durchgeführte
Infusionen. Bei den sieben Fällen von
Haemoptoe waren nur zwei Erfolge zu
verzeichnen, und zwar handelte es sich
in beiden Fällen um Patienten, die nur
wenig Blut expektorierten, sodass anzu¬
nehmen war, dass die blosse Ruhe den¬
selben therapeutischen Effekt gehabt
hätte.
Bei den übrigen fünf schweren Fällen
war der therapeutische Effekt gleich
Null, während andere Styptika, wie z.
B. eine subkutane Injektion von
M e r c k’scher Gelatine zur Stillung der
Blutung führte.
Da die Ausführung dieser Infusionen
viel Zeit und Sorgfalt erfordert und der
therapeutische Effekt keinesfalls besser,
ja bei Haemoptoe insbesondere eher
schlechter ist als der bei den bisher ge¬
bräuchlichen Styptika bekannte, so glau¬
be ich nicht, dass der Traubenzucker als
Styptikum in den Arzneimittelschatz
eingeführt zu werden verdient und er
könnte höchstens bei Darmblutungen in
Betracht gezogen werden.
Von rein theoretischem Interesse ist
vielleicht auch die Fähigkeit des Trau-
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
benzuckers, wahrscheinlich infolge sei¬
ner geringeren DifFusionsfähigkeit durch
längere Zeit, die zu seiner Lösung nötige
Flüssigkeit innerhalb der Blutbahn in
Zirkulation zu erhalten, was aus folgen¬
der Tabelle hervorgeht.
Zeit. Infraktion.
Vor der Infusion. 55.1
Unmittelbar nach der Infusion. 53.8
7 Minuten nach der Infusion. 53.0
15 Minuten nach der Infusion. 53.3
22 Minuten nach der Infusion. 53.0
2 Stunden nach der Infusion. 53.4
Die obige Tabelle zeigt die Verände¬
rungen der Refraktion im Kapillarblute
eines etwa 50 kg schweren tuberkulösen
Patienten an, der eine intravenöse Trau¬
benzuckerinfusion von 250 ccm einer iso¬
tonischen, d. h. 4prozentigen Lösung er¬
halten hat und es geht aus ihr hervor,
dass infolge der Blutverdünnung die Re¬
fraktion des Serums sinkt, und es ist in¬
teressant, dass dieses Sinken des Bre¬
chungsindex noch zwei Stunden nach
der Infusion unvermindert anhielt.
Es ist anzunehmen, dass das bereits
erwähnte geringere Diffusionsvermögen
des Zuckers hiebei eine Rolle spielt und
es ist vielleicht möglich, bei gleichzeiti¬
ger Kontrolle des Blutzuckers auf die¬
sem Wege auch einen näheren Auf¬
schluss über das Verhalten des gesunden
und kranken Organismus zu Trauben¬
zucker zu erhalten.
Ein weiterer Kunstgriff der Sternberg’sehen
Entfettungskur. *
Von Wilhelm Sternberg, Berlin.
Zur Sternber g’schen Entfettungs¬
kur gehört ebenso wie zur Stern¬
ber g’schen Mastkur zweierlei. Das ist
erstlich die Unterscheidung von Nah¬
rungsbedarf und Nahrungsbedürfnis, so¬
wie die Unterscheidung von Nähren und
Zehren. Kaffee ist ein willkommenes
Genussmittel zur Befriedigung des Nah¬
rungsbedürfnisses und als nicht nähren¬
des, sondern „zehrendes“ Getränk ein
dankbares Mittel für Entfettungskuren.
Der Begriff des Zehrens wurde in der
exakten Medizin, so alt er auch im
Volksmunde ist, bisher vollkommen ver¬
nachlässigt.
Kaffee „zehrt“, weil Kaffee den Schlaf
verscheucht und das Schlafbedürfnis
vermindert. Auch beim Schlaf muss
man unterscheiden den Schlaf an sich
und das Schlafbedürfnis. Kaffee ver¬
ringert das Schlafbedürfnis. Das ist der
Grund dafür, dass, wie ich 1 ) schon aus¬
geführt, der Lokomotivführer mit Recht
* Prag. m. W. 1914. Nr. 28.
besonders bei den Nachtfahrten Kaffee
zu sich nimmt. Auch darin begründet
sich die Nervosität der Lokomotivbeam-
ten, ein beachtenswerter Faktor für die
Berufshygiene dieses Gewerbes. Ich
verordne zu meinen Entfettungskuren
regelmässig Kaffee.
Wohl wird manchem Patienten ge¬
sagt, er dürfte zum Entfetten sein Nach¬
mittagsschläfchen nicht mehr halten und
er dürfe nicht so lange Nachtruhe haben.
Aber in Wirklichkeit wird dieser Rat¬
schlag doch nicht so streng befolgt, wie
es verlangt wird. Und das liegt daran,
dass es auch beim Schlaf ebenso wie bei
der Nahrung nicht bloss ankommt auf
den objektiven Bedarf, sondern auch auf
das subjektive Bedürfnis. Deshalb be¬
schränkt sich die Sternber g’sche
Entfettungskur ebenso wie die Stern¬
ber g’sche Mastkur nicht bloss auf den
objektiven Bedarf, sondern berücksich¬
tigt auch noch das subjektive Bedürfnis.
Das subjektive Schlafbedürfnis aber her-
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83
abzusetzen, ist ein Leichtes. Man hat
nur anregende Genussmittel zu verab¬
folgen. Ich gebe Kaffee oder Tee nach
Tisch und nach dem Abendbrot. Ueber
diese Verordnung sind die meisten recht
erfreut. Denn diese Mittel haben den
Vorzug, Genussmittel zu sein.
Es ist merkwürdig, dass Gaertner
diesen meinen Standpunkt bezüglich des
Kaffees noch nicht vertritt, doppelt
merkwürdig deshalb, weil Gaertner
im Gegensatz zu allen anderen Autoren
bereits in zwei prinzipiellen Punkten
sich meinen neuen Anschauungen mei¬
ner Entfettungskur und meiner Ernäh¬
rungslehre nähert. Das ist erstlich die
Berücksichtigung des Geschmacks und
zweitens die Berücksichtigung der
Nahrungsbedürfnisse. Gaertner-)
meint:
„Eine mit der Theorie nicht im Ein¬
klang stehende Erfahrung habe ich mit
dem Kaffe gemacht. Ungezuckerter
schwarzer Kaffee besitzt keinen Nähr¬
wert, sollte also, wie Wasser, ganz indif¬
ferent sein und freigegeben werden kön¬
nen. Ich habe dies oft versucht und
nicht selten die Verordnung wiederrufen
müssen. Die Gewichtsabnahme ging bes¬
ser vonstatten, wenn kein oder wenig
Kaffee mitverzehrt wurde. Es gibt aber
sehr viele Fälle, bei denen der Erfolg
durch die Verordnung einer Tasse Mok¬
ka nicht gestört wird.“
Zwei Punkte sind es, die Gaertner
übersieht. Erstlich übersieht Gaert¬
ner die Wirkung der Temperatur, na¬
mentlich bei Getränken, und zweitens
Wirkung und Begriff des Zehrens.
Die warme Temperatur ist, wie ich
(„Die taktile Sensibilität des Magens“,
Ztbl. f. Physiol., Bd. 27, Nr. 14, S. 734)
bewiesen habe, geeignet, das Hungerge¬
fühl zu besänftigen; ganz besonders
schnell wird das Sättigungsgefühl erregt,
wenn warme Flüssigkeiten eingenommen
werden. Denn die warme Flüssigkeit
kann die Magenwanderungen, die ich
(„Das Nahrungsbedürfnis, der Appetit
und der Hunger“, Leipzig, 1913) für die
Träger des Hungergefühls halte, leich¬
ter, schneller und inniger beeinflussen als
feste Speisen. Daher verordne ich zu
meiner Entfettungskur warme Mahlzei¬
ten, warmes Frühstück und auch warmes
Abendbrot, während für die Stern-
berg’sche Mastkur im Gegenteil kalte
Mahlzeiten bevorzugt werden. Wenn
man allgemein diese Wirkung der Tem¬
peratur auf die Nahrungsbedürfnisse
noch nicht bedacht hat, so liegt das da¬
ran, dass man zweitens die Nahrungs¬
bedürfnisse zu wenig studiert hat.
Mit Recht, wie ich 3 ) meine, verlegt
die Küche den Genuss des Kaffees an
den Schluss der Mahlzeit.
Den Brauch der Kochkunst, mit dem
Genuss von Kaffee die Mahlzeit zu be-
schliessen, hat man ebenfalls schon ver¬
sucht, wissenschaftlich zu begründen.
Bei der Wichtigkeit, welche die Lehre
von der Diät nun einmal auf die sekre¬
torischen und chemischen Bedingungen
der Nahrung ausschliesslich legt, hat
man zunächst die Magensaftsekretiton
auch zur Erklärung dieser Tatsache her¬
angezogen. Nachdem Fujitani 4 )
den ziffernmässigen Beweis geliefert
hatte, dass Infuse von Kaffee und Tee
schon in sehr grosser Verdünnung deut¬
lich die Verdauung hemmen, hat P i n -
cussohr) nachgewiesen, dass der
Kaffee die Magensaftsekretion steigert.
Durch diese Beobachtung soll nach
Harnack") die Tatsache verständ¬
lich gemacht sein, dass der Genuss von
Kaffee nach reichlichen Mahlzeiten be¬
sonders beliebt ist. Damit wäre dann
aber ein und dieselbe Erscheinung, näm¬
lich die Magensaftsekretion, zur Erklä¬
rung für zwei Erscheinungen herange¬
zogen, und zwar für zwei diametral ent¬
gegengesetzte. Denn einmal hat man
nach P a w 1 o w die Magensaftsekretion
als physiologische Begründung des Rei¬
zes angesehen, den der Appetit ausübt,
und nun betrachtet man dieselbe Erschei¬
nung als physiologische Begründung des
Reizes, um dessentwillen die Kochkunst
gerade an den Schluss der Mahlzeit die
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Darreichung dieses Genussmittels ver¬
legt.
Es liegt deshalb auch hier nahe, an die
Beeinflussung des psychischen Allge¬
meingefühls zu denken, das in den bei¬
den zuständigen Wissenschaften der
Diätetik und Pharmakologie überhaupt
noch nicht in Rechnung gezogen ist, an
das Sättigungsgefühl. Ich 7 ) habe dies
bereits eingehend erörtert. Tatsächlich
beeinflusst Kaffee in so hohem Masse das
Sättigungsgefühl und sogar auch das
Durstgefühl, wie Kokain das Schmerz¬
gefühl. Darin sehe ich auch den Grund
für den allgemeinen Brauch des Kaffee-
genusses am frühen Morgen. Wenn
Hueppe 8 ) erklärt, dass auch für star¬
ke Leute der Genuss von Kaffee am
Morgen ganz unsinnig erscheine, weil er
das Gefühl der Nüchternheit zwar über¬
winde, aber dem Organismus, der von
der Nacht her ausgeruht und ohne wei¬
teres arbeitsfähig sei, schon überflüssige
Reize zuführe, oder wenn Albu 0 ) be¬
hauptet, „die Erfrischung der Nerven
am Morgen durch Kaffee kann durch
eine kalte Waschung viel energischer er¬
setzt werden“, „die Sitte, das erste Früh¬
stück mit dem Genuss vom Kaffee oder
Tee zu beginnen, lässt sich physiologisch
gar nicht rechtfertigen“, so haben diese
Forscher die Beeinflussung des Gefühls,
der Erfrischung und des Gefühls der
Sättigung gar nicht in Rechnung gezo¬
gen. Unter diesem Gesichtspunkt er¬
scheint der Kaffeegenuss doch nicht so
unsinnig.
Den Hunger zu verlegen, ist für den
beruflichen Küchenmeister gar keine so
schwierige Aufgabe. Diese Erfahrung
ist dem Laienpublikum schon längst be¬
kannt. In Kaffeehäusern kann man oft
die Bemerkung hören, dass das Publi¬
kum nicht fortfahren will mit dem Ge¬
nuss von Kaffee „so kurz vor Tisch“,
„weil man dann nicht mehr essen könne“.
W er vo r der Mahlzeit ein Tässchen
Kaffee trinkt, kann sicher sein, zur
Mahlzeit viel weniger Appetit zu haben.
Deshalb verlohnt es sich, diesen ein¬
fachen Kunstgriff systematisch zu Ent¬
fettungskuren anzuwenden, vorausge¬
setzt, dass der Genuss von Kaffee nicht
aus besonderen Rücksichten verboten ist,
etwa wegen seiner Wirkung auf das
Herz. Andernfalls ist aber das Genuss¬
mittel des Kaffees ein wahres Heil¬
mittel.
Der Kaffee verlegt den Appetit, und
zwar wird das Genussbedürfnis nach
Kaffee selber schon nach einer auffallend
kurzen Zeit und bereits nach einer ver¬
hältnismässig geringen Menge Kaffee
gestillt. Selbst die Kaffeeschwestern
schwelgen nicht unersättlich in dem Ge¬
nuss. Fragt man in besuchten Kondito¬
reien und Kaffeehäusern nach, so ist
man über das geringe Mass erstaunt, bis
zu dem sich selbst die Damen versteigen.
Dabei ist es auffallend, dass diese Wir¬
kung sogar ziemlich lange anhält. Die
Verführung zu übermässiger Fortsetz¬
ung im Genuss besteht also beim Kaffee
nicht wie beim Alkohol . Es ist darum
eine ganz übertriebene Furcht von Sani¬
tätsrat Lohmeyer, wenn er den jun¬
gen Leopold Treibei in Fonta¬
nes 10 ) Roman so überaus streng warnt,
nie mehr als eine Tasse Kaffee zu trin¬
ken. Eine Gewöhnung tritt auch nicht
so leicht ein, wie eine solche an Alkahol
oder Morphium sich einstellt.
Man muss beim Sättigungsgefühl wie
beim Appetit zwei verschiedene Zustän¬
de unterscheiden, wie ich 11 ) schon her¬
vorgehoben habe:
1. Sättigung, Appetitlosigkeit oder gar
Ueberdruss der Nahrungsaufnahme der¬
selben Speise gegenüber.
2. Sättigung, Appetitlosigkeit oder
gar Ueberdruss auch allen anderen Ge¬
richten gegenüber.
Der Kaffeegenuss befriedigt auch das
Bedürfnis nach anderen Nahrungsmit¬
teln. Kaffee verdirbt, verlegt den Appe¬
tit, er „zehrt“, wie der Volksmund sagt.
In diesem Sinne ist Kaffee ein wahres
Sparmittel. Der entgegengesetzte Fall
tritt beim Genuss der alkoholischen Ge¬
nussmittel ein. Denn einmal verführen
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85
diese Genussmittel zu übermässiger
Fortsetzung des Genusses. Sodann ma¬
chen sie auch Appetit auf andere Spei¬
sen. Ein weiterer Fall steht in dieser
Beziehung dem Kaffee gegenüber in den
Süssigkeiten. Der Genuss der süssen
Genussmittel, welche jeder gern nascht,
fordert zur Fortsetzung des Genusses
auf. Süssigkeiten schmecken „nach
mehr“, wie sich der Volksmund aus¬
drückt. Die süsse Geschmacksqualität
ist allgemein beliebt, beim Menschen und
beim Tier. Allein andererseits sättigen
Süssigkeiten oder rufen wenigstens das
Sättigungsgefühl hervor und verlegen
den Appetit. Schliesslich ist aber noch
ein vierter Fall möglich. Bittermittel
wirken unangenehm und können selbst
Ekel hervorrufen. Kein Mensch ver¬
langt etwa fortzufahren mit ihrem Ge¬
schmack. Trotzdem oder vielleicht so¬
gar deswegen machen die Bittermittel
Appetit auf andere Geschmacks-Quali¬
täten. Es ist bemerkenswert, dass diese
W irkung allen Bittermitteln ohne Aus¬
nahme zukommt. Entstammen doch die
arzneilichen Bittermittel ganz heteroge¬
nen chemischen, physiologischen und
pharmakologischen Klassen. Daraus
geht schon hervor, dass es allein der bit¬
tere Geschmack in diesen verschieden¬
sten „Stomachicis“ ist, dem diese Wir¬
kung auf den Appetit zukommt. Das
allein deutet bereits die hervorragende
Einwirkung des Geschmacks auf den
Appetit an.
Es besteht also in beiden Punkten eine
Gegensätzlichkeit zwischen den süssen
und bitteren Geschmacksmitteln. Eben¬
so besteht in beiden Punkten eine Gegen¬
sätzlichkeit in der W irkung von Kaffee
und Bier auf den Appetit. Zwar
schmeckt das wirksame Prinzip im Kaf¬
fee, Koffein-Dimethylxanthin, wie alle
Alkaloide, schwach bitter. Daher müsste
man wohl annehmen, dass dieser bittere
Geschmack den Kaffee wie alle anderen
Amara zu einem appetitanregenden Mit¬
tel macht. Allein diese direkte Wirkung
des bitteren Geschmacks, die äussere und
örtliche Beeinflussung des Sinnes mit ih¬
ren Reflexen auf den Appetit wird auf¬
gehoben und noch übertroffen von der
indirekten inneren entfernten Wirkung
auf das Sättigungsgefühl 12 ) nach der
Resorption des Kaffees. Wird ja auch
der Hunger offenbar von zweierlei ganz
verschiedenen entgegengesetzten Zustän¬
den beherrscht. Erregt und beseitigt
wird das Hungergefühl sowohl von
äusseren Zuständen, welche in der Ma¬
genschleimhaut vor sich gehen (Magen¬
dusche), und von inneren, die im Blut
vor sich gehen. Schon diese eine Tat¬
sache drängt zu der Annahme, dass das
Hungergefühl, worauf ich 13 ) schon wie¬
derholt hingewiesen habe, zu den Kitzel¬
gefühlen zu zählen ist. Denn die Kitzel¬
gefühle sind neben manchen anderen Be¬
sonderheiten noch dadurch ausgezeich¬
net, dass sie gleichermassen von äusse¬
ren wie von inneren Reizen erregt und
beseitigt werden können. So erklärt
sich die sättigende und durstlöschende
Wirkung des Kaffees trotz .der Flüssig¬
keitszuführung und trotz des angeneh¬
men, leicht bitteren Geschmacks. !
Zudem fragt es sich, ob diese Wir¬
kung des Kaffees auf das Sättigungsge¬
fühl überhaupt dem Koffein zukommt
oder diesem Alkaloid allein. Ist ja auch
nicht der Wohlgeschmack und das Aro¬
ma dieses Genussmittels durch den Al¬
kaloidgehalt bedingt, und hat doch Har-
nack 14 ) die allgemein herrschende An¬
sicht widerlegt, als beruhe die Wirkung
des Kaffees allein auf Koffein, wie ich 15 )
diese in der Theorie übliche Vorstellung
vom Alkohol beseitigt habe.
Schliesslich klagen aber auch die Ver¬
käuferinnen in den Kaffeegeschäften
über Verlust des Appetits und über das
andauernde Gefühl der Sättigung durch
die „Kaffeluft.“ Und dies kann nicht
auf Koffein zurückzuführen sein. Denn
Kaffein ist geruchlos. Deshalb verlohnt
es sich, diese Beobachtung als Kunst¬
griff für Entfettungskuren zu verwerten.
Kaffee ist ein Genussmittel und Kaffee
ist ein Heilmittel. Denn Kaffee zehrt.
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
Und Kaffee zehrt, weil dieses Getränk
erstlich den Appetit auf die anderen
Nahrungsmittel verlegt und zweitens
weil dieses Genussmittel mit den Nah¬
rungs-Bedürfnissen zugleich das Schlaf¬
bedürfnis herabsetzt. Daher ist Kaffee¬
genuss neben anderen Kunstgriffen, die
ich 10 ) angegeben habe, ein wirksamer
Kunstgriff für die Sternberg'sche
Entfettungskur. Entgegengesetzt ver¬
hält es sich mit der Bouillon, über die
man auch in den neuesten Arbeiten nach
meiner Ansicht irrtümliche Urteile ab-
gibt.
LITERATUR.
1) „Der Schlaf der Lokomotivbeamten.“ Zentralbl.
f. Gewerbehyg. Januar 1914. — „Digalen bei Schlaf¬
losigkeit.“ Therap. Monatsh. 1913.
2) Prof. Dr. Gustav Gaertner, Wien: „Diäteti¬
sche Entfettungskuren.“ Leipzig, 1913. S. 83.
3) ,,I)as Sättigungsgefühl.“ Ztschr. f. Psychothe¬
rapie u. med. Psychologie. Bd. IV. Heft 6. 1912.
S. 368/369.
4) Archives internationales de Pharmacodynamie.
1905. IM. 14.
5) Münch, med. Wochenschr. 1906. Nr. 26.
6) Deutsche med. Wochenschr. 1907. S. 37.
7) „Kochkunst und ärztliche Kunst,“ Stuttgart, S.
105. 1907.
8) Blätter für Volksgesundheitspflege, Heft 6. 1906.
9) „Grundzüge der Ernährungstherapie,“ 26. Heft
d. „Physik.-Therap.“ v. Marcuse-Strasser, S.
43. 1908. Ich habe diese Irrtümer widerlegt. „Das
Sättigungsgefühl.“ Ztschr. f. Psychotherapie u. med.
Psychologie. Bd. IV. Heft 6. 1912. S. 369/370.
10) Frau Jenny Treibei, 8. Kapitel.
11) „Geschmack und Appetit.“ Zeitschr. f. phys. u.
diät. Therapie. 1907/1908. Bd. 11, S. 4 u. 5. „Das
Sättigungsgefühl.“ Ztschr. f. Psychotherapie u. med.
Psychologie. Bd. IV. Heft 6. 1912. S. 370.
12) „Das Sättigungsgefühl.“ Ztschr. f. Psychothe¬
rapie u. med. Psychologie. Bd. IV. Heft 6. 1912. S.
370/371.
13) „Die physiologische Grundlage des Hungerge¬
fühls.“ Zeit9chr. f. Sinnesphysiologie. 1911. Bd. 45.
„Das Nahrungs-Bedürfnis.“ Leipzig, 1913. Joh. Ambr.
Barth.
14) Ueber die besonderen Eigenarten des Kaffeege¬
bäcks u. das Thumsche Verfahren zur Kaffeerei¬
nigung ü. Verbesserung.“ Münch, med. Wochenschr.
1903. Nr. 85.
15) Therap. d. Gegenw. Dezember 1911. „Alko¬
holische Getränke als Hypnotica.“ — Das Sättigungs¬
gefühl.“ Ztschr. f. Psychotherapie u. med. Psycho¬
logie. Bd. IV. Heft 6. S. 371/372.
16) Kunstgriff der diätetischen Küche für die
Stern bergsche Entfettungskur.“ Prager med.
Wchschr. XXXVIII. Nr. 45, 1912.
Ein Erfolg deutschen und
Auf Ersuchen des Staates New York,
das an die bayerische Staatsregierung
gerichtet und dem von dieser mit erfreu¬
licher Unbedenklichkeit und Grosszügig¬
keit stattgegeben worden war, konnte —
in privater Eigenschaft— der Vorstand
des Staatlichen Chemisch-Balneologi-
Laboratoriums von Bad Kissingen (und
seinen Filialen Bocklet, Brückenau und
Steben), der Chemiker und Baineologe
Dr. Paul H a e r 11, im vorigen Novem¬
ber nach Amerika reisen, um als Balneo-
logical Expert of the State of New York
die staatlichen Quellen von Saratoga im
Staat New York einem eingehenden ört¬
lichen Studium im einzelnen zu unter¬
ziehen, sich gutachtlich über die Ver¬
wendbarkeit und Ergiebigkeit der einzel¬
nen Quellen im allgemeinen zu äussern
"Auf dem so wichtigen Gebiete des Austausches
wissenschaftlicher und wirtschaftlicher Werte zwischen
Deutschland und Amerika ist ein neuer grosser Erfolg
zu verzeichnen. Bei der Bedeutung dieser Angelegen¬
heit geben die „Münchener Neueste Nachrichten“
nachfolgende ausführliche Darstellung der in Betracht
kommenden Verhältnisse und der namentlich für
Bayern wertvollen Ergebnisse.
bayerischen Bäderwesens.*
und die Wege zu zeigen, welche von der
modernen Mineralquellentechnik und
Hygiene gewiesen werden.
Saratoga Springs liegt als bekannter
Badeort sieben Bahnstunden nördlich
von New York. Die natürlich ausge-
tretenden (im Gegensatz zu vielen künst¬
lich erschlossenen) kohlensäurereichen,
kalten Mineralquellen, welche chemisch
verschiedenartig zusammengesetzt sind,
wurden schon von den alten Indianer¬
stämmen als Trink- und Badewasser bei
allerlei Erkrankungen, einige auch bei
Verwundungen im Krieg und als wun¬
dertätige Heilwsser überhaupt benützt
und verehrt. Sie sollten überdies gegen
Verwundungen und Erkrankungen
schützen und grosse Krieger schaffen.
Den grössten Ruf genoss die sagenum¬
wobene, von den Indianern als Medicin
Spring of the great Spirit (die Heil¬
quelle des grossen Geistes) bezeichnete
Quelle: The High Rock Spring.
Als die Indianer von den Weissen, ge-
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
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rade durch Kampfe in und um Saratoga,
teils niedergemetzelt, teils vertrieben wa¬
ren, wurde Saratoga bald ein vornehmer
und teurer Badeort mit Spielhöllen,
Sportfesten, Rennplätzen usw., den man
als Monte Carlo Amerikas bezeichnete.
Die Wasser wurden aber fast nur zu
Trinkkuren benützt. In der zweiten
Hälfte des vorigen Jahrhunderts erreich¬
te Saratoga seinen Höhepunkt, bekam
Riesenhotels (bis zu 1000 Zimmern ent¬
haltend) und war einer der kostspielig¬
sten Treffpunkte der oberen Zehntau¬
send.
Als vor Jahren Hasard und Totalisa¬
tor verboten wurden, ging der Kurort
zurück. Nur der Wasserversand behielt
Bedeutung. Die Quellen waren nach
und nach von mehreren Gesellschaften
angekauft worden, die einen Trust bil¬
deten und in vierzigjährigem Raubbau
aus den Quellen komprimierte Kohlen¬
säure gewannen, wodurch der Auftrieb
der Wasser sehr geschwächt wurde —
zumal man nach Einstellung des Betrie¬
bes viele Bohrlöcher offen gelassen hatte.
Seitdem vor einem Jahr die Sommer¬
rennen ä la Baden-Baden wieder gestat¬
tet wurden, hat sich der Verkehr wieder
sehr gehoben. Der wertvolle Quellen¬
bestand aber wurde seit langem neben¬
sächlich behandelt, wofür die primitiven
Trinkstellen und ein ebensolches Bade¬
haus mit wenigen Wannen Beweis sind.
Es ist das Verdienst des berühmten
Finanzmannes und Wohltäters Spen¬
cer Trask und seiner schriftstelle¬
risch wie künstlerisch begabten Gattin
Katharina Trask, der amerikani¬
schen „Berta v. Suttner“, sowie des ein¬
flussreichen Richters Charles C. Le¬
ster, dass sie die amerikanische Staats¬
regierung auf diese alten Quellenschätze
aufmerksam machten und für eine gross¬
zügige, planmässige Ausnützung interes¬
sierten. Der Staat (Senat of New York,
Legislature) erwarb 1909 das umfang¬
reiche Quellengebiet und setzte die
„State Reservation Commission at Sara¬
toga Springs“ ein mit Mr. Trask als
Oberhaupt, dem, als er einer Eisenbahn¬
katastrophe zum Opfer fiel, der ebenfalls
als Finanzmann und Philanthrop wie als
F riedenspolitiker bekannte George
Foster Peabody, A. M., L.L. D.,
ebenbürtig nachfolgte. Bedeutende
Staatsmänner und Gelehrte gehören der
Kommission an: Senator Godfrey, der
vom Krieg gegen die Südstaaten bekann¬
te General Benjamin T r a c y, als juristi¬
scher Berater Charles C. Lester, als
medizinischer Experte der als erste Au¬
torität auf dem Gebiete der Hygiene gel¬
tende Verfasser der Internationalen me¬
dizinischen Encyklopädie Albert Warren
Ferris, A. M., M. D., der Ingenieur
Frederick Edwards und als leitender
Sekretär Irving R o u i 11 a r d. Hervor¬
ragende Persönlichkeiten schenkten die¬
sem stattlichen Unternehmen ihr Inte¬
resse wie Exzellenz Gl y n n, derzeit
Gouverneur des Staates New York, der
berühmte Erfinder Edison und der
Professor der Elektrizitäts-Wissenschat¬
ten und Besitzer des Nobelpreises Ch. P.
Steinmetz.
Der Staat New York beabsichtigte mit
diesen Massnahmen Saratoga unter
sachgemässer Fassung seiner Quellen zu
einem modernen Heilbad für das ameri¬
kanische Volk (nicht Luxusbad) in eu¬
ropäischem Sinn zu machen. Zur Er¬
werbung der Quellen half teilweise das
in Amerika vereinfachte Enteignungs¬
verfahren. Nun ging die Kommission
daran, die Quellenschätze in balneolo-
gisch einwandfreier Weise nach moder¬
ner Mineralquellentechnik und Hygiene
zu installieren. Für Massnahmen mehr
provisorischer Natur wurde eine Million
Dollars aufgewendet. Da in den Verei¬
nigten Staaten keine bedeutendere neu¬
zeitliche Bade- und Trinkanlage für koh¬
lensäurehaltige Wässer sich befindet,
ebenso die balneologische Wissenschaft,
die praktische Erfahrung und die grossen
therapeutischen Erfolge auf diesem Ge¬
biet dort noch wenig bekannt und stu¬
diert sind, so beschloss die Kommission,
sich die erstklassigen europäischen Heil-
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
bäder mit kohlensäurereichen Quellen
zum Vorbild zu nehmen.
Im vergangenen Jahre wurde die
American Association for Promoting
Hygiene and Public Baths beauftragt,
behufs ausführlichen Gutachtens die eu¬
ropäischen Heilbäder zu besuchen und
die Gesamtinstallationen der Quellen
und Badehäuser eingehend zu besichti¬
gen. Der Präsident dieser Association,
Professor S. B a r u c h, Dozent für
Wasserheilkunde an der Columbia-Uni¬
versität und weltbekannt als Begründer
der Free Public Baths, unternahm mit
dem leitenden Arzt der Vanderbiltklinik
Dr. W i 11 s o n eine grosse Informa¬
tionsreise durch die berühmtesten Bäder
Englands, F rankreichs, Deutschlands
und Oesterreichs. Dabei besichtigte er
auch unser Bad Kissingen unter Füh¬
rung des Kissinger k. Bezirksarztes Dr.
Maar und des staatlichen Chemikers
und Balneologen Dr. H a e r 11, sowie
das Heilbad Brückenau. Die von der
bayerischen Staatsregierung unter Zu¬
ziehung bewährter Baukünstler (Ge¬
heimrat M. Littmann für Kissingen,
Hofoberbaurat E. Droliinger für
Brückenbau) durchgeführten monumen¬
talen Neubauten und neuen Installatio¬
nen fanden die grösste Bewunderung der
Amerikaner. *
Die Folge war, dass der Staat New
York durch seine Kommission an die
bayerische Staatsregierung die eingangs
erwähnte Eingabe richten Hess. „Da un¬
serem medizinischen Experten“, hiess es
u. a., „die mustergültigen und modernen
Einrichtungen in den staatlichen bayeri¬
schen Bädern als geschickteste Lösung
aller baineologischen Fragen imponier¬
ten, hat er uns den Rat gegeben, Herrn
Dr. Paul H a e r 11 nach New York und
Saratoga zum Council zu berufen.“
Weiterhin wurde betont, „dass die Un¬
terstützung des Genannten dem Wohl
der Allgemeinheit dienen wird, da es
sich um ein Bad handelt, das all den zahl¬
reichen Leidenden (von 15 Millionen
Einwohnern des Staates New York und
90 Millionen der Vereinigten Staaten)
zugute kommen soll, die sich nicht die
Wohltat der europäischen Heilbäder ge¬
statten können, und dass dieser edle
Zweck die Idee einer unsauberen Kon¬
kurrenz ausschliesst.“
Mit Genehmigung der Staatsregie¬
rung konnte darauf Dr. H a e r 11 am 4.
November auf dem Dampfer Kaiser
Wilhelm II. die Ausreise antreten, ge¬
langte am 12. November nach New York
und zwei Tage später nach Saratoga.
Dr. phil. Paul H a e r 11 wurde vor
fünf Jahren zur Einrichtung und Lei¬
tung des damals von der k. b. Staatsre¬
gierung gegründeten Staatlichen Che-
misch-Balneologischen Laboratoriums
berufen. Vorher war er sieben Jahre in
Frankreich, England und der Schweiz
— zuletzt als Direktor des gleichfalls von
ihm installierten „Laboratoire de Re-
cherches Scientifiques“ in Nizza — tätig
und beherrscht die französische und eng¬
lische Sprache vollständig. In fast drei¬
wöchigem Aufenthalt studierte Dr.
H a e r 11 die Quellen von Saratoga auf
ihre Verwendbarkeit und Ergiebigkeit.
Eine Analyse der Wasser konnte in der
kurzen Zeit nicht in Frage kommen.
Ueberdies sind sämtliche Quellen schon
von amerikanischen Universitäten analy¬
siert worden. Es wurden nur einige
wichtige Kohlensäurebestimmungen, Se¬
rienanalysen und Radioaktivitätsbestim¬
mungen zur genaueren Orientierung
ausgeführt. Die Wasser erwiesen sich
als übersättigt mit Kohlensäure, dem für
Bäder unentbehrlichen Agens; auch die
Trinkquellen halten den Vergleich mit
den berühmtesten der Welt aus. Dabei
sind sie aber zumeist völlig verwahrlost,
Fassung und Leitung unzugänglich und
alle Einrichtungen, die heute ein moder¬
ner Kurort haben muss, fehlen.
Nach den Vorschlägen Dr. Haertls
müssen die Quellen vollständig neu ge¬
fasst werden. Damit das Wasser sich
nicht zersetzt und übelriechend wird,
müssen statt der Eisen roh re solche aus
Phosphorbronze oder reinem Kupfer
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
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verwendet werden. Bei allen Quellen
müssen Schächte aus Eisenbeton einge¬
baut werden bis unterhalb des Grund¬
wassers, um die für die Bäder erforder¬
liche reichliche Quellschüttung zu erzie¬
len. Mit eisenarmierten Zinn- oder
Holzröhren muss das Wasser zu einer
zentralen Trinkhalle geleitet werden.
Ein Gradierwerk zur Konzentration des
Salzwassers für Badezwecke und für In¬
halationen ist nötig. Ferner empfiehlt
sich die Erbauung eines Kurhauses mit
Lesehallen, eines neuen Badehauses und
die Einrichtung eines baineologischen
Laboratoriums. Endlich liegt es, und
zwar nicht in letzter Linie, an den ame¬
rikanischen Aerzten, die Entwicklung
durch Studium der Balneologie und der
Heilfaktoren, die in Bade- und Trink¬
kuren liegen, zu fördern.
Diese und weitere Vorschläge sind in
einer Denkschrift enthalten, die Dr.
H a e r 11 der New Yorker Staatsregie¬
rung übergab.
Wiederholt und unverhohlen gab Dr.
H a e r 11 seiner berechtigten Verwunde¬
rung darüber Ausdruck, dass diese rei¬
chen Quellenschätze bei der doch sprich¬
wörtlich gewordenen praktischen Veran¬
lagung der Amerikaner bisher noch nicht
entsprechend ihrer grossen volkswirt¬
schaftlichen Bedeutung gewürdigt wor¬
den sind.
Die Aufnahme unseres Landsmannes
jenseits des Ozeans war eine glänzende
und das Interesse an seiner Mission be¬
wegte die weitesten Kreise. Wir brau¬
chen nur die verschiedenen grossen ame¬
rikanischen Zeitungen durchzublättern,
um das bestätigt zu finden. Die New
Yorker Staats-Zeitung vor allem, dann
das dortige Deutsche Journal, die mit der
ungeheuerlichen Auflage von 1,350,000
Exemplaren in Albany erscheinende
Knicker-Bocker Press, ferner die New
Yorker Evening Sun, die New Yorker
Times, der Saratogian und Saratoga Sun
weisen auf die Ankunft des bayerischen
Experten hin, beleuchten mit Anerken-
nungs- und Daankesworten für die bay¬
erische Regierung seine Aufgabe, beglei¬
ten seine Tätigkeit und bringen immer
wieder mit rühmenden Worten nach der
Art der amerikanischen Zeitungen sein
Bildnis.
In dem tausendzimmerigen United
States Hotel, einem der grössten der
Welt, hielt Dr. H a e r 11 einen ausführ¬
lichen Vortrag in englischer Sprache vor
der Aerzteschaft, den staatlichen und
städtischen Behörden über die Monu¬
mentalbauten unserer staatlichen Bäder
und Quellen Kissingen, Brückenau,
Bocklet, Steben und Reichenhall, unter
gleichzeitiger Ausstellung photographi¬
scher Abbildungen und technischer
Zeichnungen. In einer Konferenz mit
Gouverneur G1 v n n Hess dieser sich
über eine Stunde lang Vortrag erstatten
und zollte volle Bewunderung den Pho¬
tographien der Monumentalbauten, die
in Kissingen (von L i 11 m a n n), in
Steben (von Ministerialrat Frhni. v.
Schacky), in Brückenau und Rei¬
chenhall (von Drollinger) in den
letzten Jahren entstanden sind. Die
Sonntage wurden dazu verwendet, dem
Gast die Schönheiten und Sehenswürdig¬
keiten des Landstriches um Saratoga,
sowie das grösste Elektrizitätswerk der
Welt, die „General Electric Works“, de¬
ren Direktor früher Mr. Peabody war,
zu zeigen. Zum Schluss gab Gouver¬
neur G 1 y n n zu Ehren Dr. H a e r 11 s
ein Bankett. Dann war Dr. H a e r 11
noch zu Gast bei Edison in dessen
grossartigen Laboratorien im Llewellyn-
Park bei Orange (New Jersey) und trat
am 2. Dezember auf dem Dampfer
„Kronprinzessin Cecilie“ die Heimreise
an.
Gleich nach Neujahr traf im Auftrag
der Saratoga-Kommission der Architek¬
turprofessor Ch. Anthony aus Sche-
nectady in Kissingen ein, um dort die
mustergiltigen Kurbauten zu studieren.
Die Kissinger Neubauten und Installa¬
tionen sowie das neue Badehaus in
Brückenau machten auf ihn den grössten
Eindruck. Da es seine Aufgabe war,
sich einen allgemeinen Ueberblick zu
verschaffen, besuchte er auch Wiesba-
Qriginal fro-m
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
den, Homburg und Nauheim und fand
überall grösstes Entgegenkommen und
herzlichste Aufnahme. Sofort nach sei¬
ner Rückkehr wird Anthony beim Senat
von New York die für den Ausbau Sa-
ratogas zu einem erstklassigen Volks-
heilbad erforderlichen Millionen bean¬
tragen.
Fragen wir, was unserem Bad Kis-
singen und den übrigen bayerischen
staatlichen Mineralbädern so weitrei¬
chende Anerkennung und eine führende
Rolle in der modernen Balneologie ein¬
getragen hat, so dürfen wir voran die
tatkräftige Förderung durch die k. b.
Staatsregierung verzeichnen. Sie ist es,
die besonders in Bad Kissingen unter
der quellentechnischen Aufsicht und
Verantwortung des Staatlichen Che-
misch-Balneologischen Laboratoriums
Hand in Hand mit dem Architekten Ge¬
heimrat und Prof. Max Littmann-
München, den staatlichen Bau-, Berg¬
werks- und Medizinalbehörden und ei¬
ner Reihe erstklassiger Spezialfirmen die
monumentalen und zweckmässigen neu¬
en Kurbauten und Kuranlagen mit dem
erschlossenen Luitpoldsprudel sowie die
vorbildlichen Neuinstallationen geschaf¬
fen hat. Diese Installationen wurden in
einem massgebenden Spezial-Sachver-
ständigen-Gutachten des bekannten che¬
mischen Laboratoriums Fresenius-YVies-
baden als mustergiltig, neuartig und als
bemerkenswerte Fortschritte in der
Quellentechnik eingehend gewürdigt.
Die hohe Anerkennung, die vor allem
den neuesten Kureinrichtungen des
Weltbades Kissingen bis aus dem fernen
Westen gezollt wird, möge beweisen,
welch reiche Früchte das unablässige
Wohlwollen des erlauchten Herrscher¬
hauses und die weise und tatkräftige
Fürsorge des bayerischen Staates um die
wertvollen Heilquellen Kissingens seit
100 Jahren getragen haben. Nichts
wurde unterlassen, kein Opfer gescheut,
um diese kostbaren Naturschätze zu er¬
forschen, zu erhalten und zu verbessern.
Die berühmtesten bayerischen Chemiker
und Geologen — es seien unter vielen
nur J. v. L i e b i g und W. v. G ü b e 1
genannt — widmeten sich mit dem tiefen
Schatz ihres Wissens der Erforschung
der Quellen, die namhaftesten Techniker
wurden zu ihrer Sanierung und reiche¬
ren Ausnützung berufen, und seit vielen
Jahrzehnten sammelten in ununterbro¬
chener Reihenfolge die staatlichen Quel¬
lenbeobachter, Geologen und Chemiker
(Knorr, Martin, Denk, Hurt, Hecken¬
lauer, Wiedemann, Scheck, Haertl) eine
Fülle von Erfahrungen und Kenntnissen
über die Heilquellen Kissingens. Auf
solch sicheres Fundament konnten die
gegenwärtigen quellentechnischen Fort¬
schritte in Bad Kissingen gegründet
werden.
Von den herangezogenen Spezialfir¬
men seien genannt: Dyckerhoff & Wid-
mann A.-G. Nürnberg-München, August
Völkel-München, Thiele & Höring-Hei¬
delberg. Thiergärtner, Voltz & Wittmer
G. m. b. H. Baden-Baden, Weise &
Monski-Halle a. S., J. Dölger-Bad Kis¬
singen, A. Elz-Schweinfurt-H.-B., Noell-
Würzburg und Enzner & Pesel-Bad Kis¬
singen.
Der Erfolg, der in diesen bayerisch¬
amerikanischen Beziehungen, die sich
unversehens hier angebahnt haben, zum
Ausdruck kommt, darf also mit Genug¬
tuung gebucht werden, ohne dass wir an¬
deren Bädern nahetreten wollen, da eben
die besonderen Bedürfnisse Saratogas
gerade auf Kissingen wiesen. Es kann
dieser Erfolg nicht hoch genug einge¬
schätzt werden. Die gesamte Bäder¬
kunde wird davon Vorteil haben, gleich¬
wie die in den Kissinger Einrichtungen
verkörperte Mineralquellentechnik als
neue und schwierige Spezialwissenschaft
grösste Bedeutung hat. Im besonderen
wird unser Bad Kissingen als bestinstal¬
liertes Mineralbad für kohlensäurehalti¬
ge Quellen in den amerikanischen Zei¬
tungen allenthalben besprochen, was eine
hervorragende Propaganda bei den lei¬
stungsfähigsten Kreisen der Vereinigten
Staaten für unsere Bäder bedeutet. Auch
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New Yorker Medizinische Morn
91
der Ruf der vorzüglich gehaltenen, herr¬
lichen Kissinger Promenaden drang be¬
reits über den ,,grossen Teich.**
Ferner noch ein wichtiger Umstand:
dass beim Ausbau Saratogas die deut¬
sche, besonders die bayerische Spezial¬
industrie für Balneologie nennenswerte
Aufträge erwarten darf, da gerade die
für diese spezialwissenschaftliche Tech¬
nik notwendigen Materialien zum
grossen Teil bei uns fabriziert werden
und wegen der hohen Modellkosten uno
erforderlichen Spezialfabrikanlagen viel
billiger und zweckmässiger von unserer
Industrie bezogen als in Amerika kopiert
werden. In Betracht kommen besonders
unsere Firmen für Mineralquelleitungen,
Rohrmaterial. Zapfstellen, Phosphor¬
bronze, Rotgussfabrikate, Spezialisolie¬
rungen. kohlensäurebeständige Wand¬
platten ( hartgebrannt) und komplette
Iiäderinstallationen. Einige Musterbä-
der sind bereits in Auftrag gegeben.
Endlich darf noch betont werden, dass
der Ausbau Saratogas durch den Staat
New York nicht nur — wie vielleicht von
engherzigen Geistern befürchtet werden
könnte — keine Konkurrenz für die eu¬
ropäischen Heilbäder bedeutet, sondern
vielmehr eine Steigerung des Interesses
für dieselben herbeiführen wird. Denn
wird erst einmal — worauf von den her¬
vorragendsten Persönlichkeiten in New
York wiederholt hingewiesen wurde —
das amerikanische Volk mit der so emi¬
nenten Heilwirkung der natürlichen koh¬
lensäurereichen Mineralquellen vertraut
gemacht und von den einheimischen
Aerzten zur Benützung solcher Bäder
erzogen, dann werden nicht nur die Heil¬
quellen Saratogas — welche der Staat in
erster Linie für diejenigen Leidenden
bestimmt hat, die sich eine Kur in einem
europäischen Heilbad aus geschäftlichen,
gesundheitlichen oder pekuniären Rück¬
sichten nicht gestatten können — aufge¬
sucht werden, sondern in noch erhöhtem
Masse auch die europäischen Heilbäder.
Das, was also der bayerische Staat durch
sein vornehm-liberales Entgegenkommen
indirekt für das Yolkswohl des fremden
Staates tut, wird nicht zu seinem Scha¬
den sein.
F2s ist überhaupt eine besonders er¬
freuliche Seite dieser ganzen Angelegen¬
heit, dass ideelle Massstäbe dabei eine
Rolle spielen — in dem Sinn, den Dr.
I I a e r 11 meint, als er auf dem letzten
Bädertag in Badenweiler einen Vor¬
trag über „Fassung, Pumpenanlagen.
Leitungen, Reservoire und Erwär¬
mungsmethoden für kohlensäurereiche
Mineralquellen“ mit dem Hinweis
schloss: Es möchten zum Wohl der
Menschheit und zur Förderung der
W issenschaft und Technik die einzelnen
Bäder ihre technischen Errungenschaf¬
ten nicht als Geheimnisse betrachten,
sondern ihre Erfahrungen gegenseitig
austauschen, um nicht eine ungesunde
Konkurrenz, sondern im freien ehrlichen
Wettbewerb einen stetigen Fortschritt in
der Ausnutzung der Naturkräfte zu er¬
zielen.
Redaktionelles.
Kriegsbetrachtungen.
Der europäische Krieg dauert an; mit
ihm halten gleichen Schritt die Feind¬
seligkeiten und Hetzereien in der anglo-
amerikanischen Presse, denen durch die
Ankunft der belgischen Lügenkommis¬
sion, wie das von dem König von Bel¬
gien an Präsident Wilson gesandte
Komitee von der hiesigen deutschen
Presse genannt wird, willkommene
Nahrung gegeben wurde. Berichte,
dass deutsche Soldaten mit auf dem
Ba j onett au fgespiessten Säuglingen
durch die Strassen ziehen, den Kindern
männlichen Geschlechts die Arme ab-
hauen, damit sie später keine Waffen
tragen können, dass sie nicht nur die
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92
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
feindlichen, sondern sogar ihre eigenen
Verwundeten töten, um der Pflege der¬
selben enthoben zu sein, sind an der
Tagesordnung. Dabei berichten diesel¬
ben Zeitungen mit Stolz, dass ein Turko
den abgeschlagenen Kopf eines deut¬
schen Soldaten in seinem Tornister nach
Paris gebracht habe und erst durch eine
Geldentschädigung seitens der Behörden
bewogen werden konnte, sein Trophäe
herzugeben. Wir glauben natürlich von
letzterer Geschichte kein Wort, wollten
dieselbe nur hier erwähnen, um zu zei¬
gen, dass die angloamerikanische Pres¬
se mit wenigen Ausnahmen jegliches
Gefühl für Rechtlichkeit und Anstand
verloren hat. Die New Yorker Sun
brachte in ihrer Sonntagsausgabe Re¬
produktionen von, was sie als „patrioti¬
sche“ französische Postkarten bezeich-
nete. Die eine zeigt einen Turko, der
den deutschen Kaiser und den Kaiser
von Oesterreich bei der Kehle hält, mit
der Unterschrift „There they are, the
two who would devour Europe.“ Die
Franzosen wollen mit diesem Bild wohl
den „Kampf der Zivilisation gegen den
Barbarismus“ illustrieren. Das zweite
Bild, noch gemeiner wie das erste, zeigt
eine Gruppe englischer, russischer und
französischer Soldaten, wobei ein baum¬
langer Engländer ausruft: „And now
we must finish with this foul beast of a
Hohenzollern.“ Dabei steht ein franzö¬
sischer Soldat auf dem umgestürzten
deutschen Grenzpfahl. Und solche
Schandbilder werden von der Sun als
patriotisch bezeichnet. Pfui! Es wur¬
den auch einige, wenn auch nur schwa¬
che Versuche gemacht, das deutsche Mi¬
litärsanitätswesen und die Verwunde¬
tenfürsorge in den Schmutz zu ziehen,
doch wollten dieselben nicht so recht
durchdringen. Dafür machen sich die
hiesigen Zeitungen um so mehr Sorgen
um die mangelhafte Verpflegung der
deutschen Armee. Eo lässt sich der
Globe aus Paris berichten, dass ein fran¬
zösischer Militärarzt, der einen verwun¬
deten deutschen Gefangenen zu behan¬
deln hatte, aus diesem herausbekam,
dass er in der letzten Zeit nur noch Ha¬
fer zu essen bekam. Eine andere hiesi¬
ge Zeitung fand diese Mitteilung wich¬
tig genug, um weiter verbreitet zu wer¬
den. Sie las aber in der Eile „cats“ statt
„oats“ und berichtete demgemäss ihrer¬
seits ihren Lesern, dass die deutsche
Armee in der letzten Zeit an Katzen
lebte.
Das British Medical Journal vom 22.
August berichtet, dass die Leitung des
britischen Militärsanitätswesens das An¬
erbieten von Zahnärzten, das Gebiss
englischer Kriegsfreiwilliger unentgelt¬
lich in Stand zu setzen, angenommen
hat, wodurch es ermöglich wurde, viele
Freiwillige anzunehmen, die sonst ihrer
Zähne wegen hätten zurückgewiesen
werden müssen. Der Grund hiefür ist
nicht so ohne weiteres einleuchtend,
denn die Zeit, in der die Soldaten gute
Vorderzähne haben mussten, um die
Patronen aufzubeissen, ist ja wohl vor¬
über, allein das British Medical Journal
belehrt uns, dass „an army travels on its
stomach“. Das mag für die englische
Armee zutreffen, die Stärke der deut¬
schen Armee beruht nicht in dem Ma¬
gen der Soldaten, sondern, wie bekannt,
in ihren Beinen.
Von Dr. Louis Livingston
S e a m a n, der die famose Depesche
aus Antwerpen an den New Yorker
Herald geschickt hatte, hört man nichts
mehr, er ist plötzlich still geworden.
Wie die hiesigen Zeitungen berichten,
ist sein vorlautes Benehmen in Washing¬
ton sehr übel vermerkt worden und steht
ihm, da er Arzt des amerikanischen Re¬
servekorps ist, bei seiner Rückkunft ein
Disziplinarverfahren in Aussicht.
Das amerikanische Rote Kreuzschiff
„Hamburg“ ist endlich abgefahren,
nachdem noch im letzten Moment Hin¬
dernisse in den Weg gelegt worden wa¬
ren. Die Gesandten der „Alliierten“
legten nämlich Protest gegen die Ab¬
fahrt ein, da ein Bruchteil der Schiffs¬
bemannung, Heizer und Kohlenzieher,
deutscher Nationalität waren. Und die
„Hamburg“ durfte wirklich nicht ab¬
fahren, bis der anstössige Teil der Be¬
satzung durch Nichtdeutsche ersetzt
worden war. Dieses kleinliche Beneh¬
men der Herren Franzosen und Eng¬
länder verursachte eine tagelange Ver¬
zögerung der Abfahrt des Schiffes.
Armes Deutschland! Die Alliierten
haben einen neuen Bundesgenossen be¬
kommen. Wie eine französische Zei¬
tung berichtet und die hiesige anglo-
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
93
amerikanische Presse weiterverbreitet,
hat ein wildgewordener französischer
Stier achtzehn deutsche Soldaten getö¬
tet. Also nicht nur Japanesen, Singa-
lesen und Turkos, sondern auch das
Rindvieh kämpft auf Seiten der „Zivili¬
sation gegen den Barbarismus“. Wie
sagt doch das New York Medical Jour¬
nal? Die „most highly civilized” haben
sich zuletzt in den Konflikt gemengt.
Dafür, dass Franzosen und Englän¬
der, die berufenen Vertreter der Zivili¬
sation und Humanität, vide Kolonial¬
kriege derselben, wirklich Dum-Dum-
Geschosse gegen die Deutschen be¬
nutzen, sind nunmehr positive Beweise
erbracht worden, wie ja auch der deut¬
sche Kaiser wegen dieses Verstosses
gegen die Beschlüsse der Internationa¬
len Friedenskonferenz vom Jahre 1890
bei Präsident Wilson Protest einge¬
legt hat.*
In Deutschland begann sofort nach
Erklärung des Krieges eine ausgedehn¬
te Bewegung zur Fürsorge für die Ver¬
wundeten und Kranken, insbesondere
seitens des Roten Kreuzes. An die
Spitze stellte sich der deutsche Kaiser,
der 100,000 Mark für die Zwecke des
Roten Kreuzes und die gleiche Summe
zur Fürsorge für die Familien der zu
den Fahnen Einberufenen spendete, fer¬
ner stellte er die Kgl. Schlösser in
Strassburg, Wiesbaden, Königsberg und
Koblenz zur Aufnahme von Verwunde¬
ten und Kranken zur Verfügung. Der
Kaiser von Oesterreich hat eine Million
Kronen für Fürsorgezwecke für die
Armee gespendet. Die von privater Sei¬
te gestifteten Beiträge haben bereits eine
bedeutende Höhe erreicht. Die Mit¬
glieder der Berliner amerikanischen
Aerztegesellschaft haben beschlossen,
ihre Dienste in den Sanitätsanstalten der
deutschen Heere anzubieten.
An den verschiedenen deutschen Uni¬
versitäten ist fast die gesamte Studen¬
tenschaft dem Ruf zu den Fahnen ge¬
folgt. Das Münchener Korps Franco-
* Interessant is zu erfahren, was in der neuesten
Auflage von Funk & Wagnall’s Dictionary über die
Dum-Dum-Geschosse gesagt ist: „They are so named
from Dumdum, near Calcutta, the seat of thc am-
munition factory for the Indian army. The majority
of the International Peace Conference of 1899 decided
against its use in war, the United States and England
bcing in minority.“
nia hat sich in corpore zum Waffen¬
dienst gestellt und hat an sämtliche An¬
gehörige des Kösener S. C. einen Auf¬
ruf ergehen lassen, sich als Freiwillige
zu stellen. Aehnliche Aufrufe haben
auch die deutschen Burschenschaften er¬
gehen lassen.
In ihrer Nummer vom 25. August
schreibt die Münchener Medizinische
Wochenschrift folgendes: „Eine über¬
aus beklagenswerte Erscheinung, die in
diesem Kriege der ersten Kulturvölker
unerwarteterweise hervortritt, ist die
häufige Verletzung der Genfer Konven¬
tion. Die Fälle, in denen auf Aerzte
geschossen wurde, sollen sehr zahlreich
sein, ebenso diejenigen, in denen aus
Häusern, die die Genfer Flagge trugen,
geschossen wurde. Noch schlimmer ist,
dass von der belgischen und französi¬
schen Bevölkerung an verwundeten
Kriegern bestialische Grausamkeiten
verübt wurden. Da diese Vorkommnis¬
se die schärfsten Gegenmassregeln zu
einem Gebot der Selbsterhaltung ma¬
chen, so erhält dadurch die Kriegsfüh¬
rung eine an sich unnötige Härte, die
niemand mehr bedauern kann als die
deutschen Soldaten und das deutsche
Volk. Unqualifizierbar ist das Vorgehen
Japans gegen Deutschland, das sich als
glatte Erpressung kennzeichnet. Und
das von Japan, das von Deutschland so
viele Wohltaten erfahren hat! Ein Le¬
ser unseres Blattes schickt uns die Fra¬
ge: „Was fängt die Universität nun mit
den japanischen Geschwulstdoktoren an,
von deren Namen das Dissertationsver¬
zeichnis Ihrer letzten Nummer strotzt?“
Wir können die Frage mit dem Aus¬
spruch eines Münchener Klinikers be¬
antworten : „Wir werden ihnen die
Türe weisen.“ Die Säuberung unserer
Universitäten von diesen wenig er¬
wünschten Gästen wird eine der, wie
wir hoffen, vielen wertvbllen Errungen¬
schaften dieses Krieges sein“.
In der gleichen Nummer teilt die M.
m. W. mit, dass infolge des plötzlich
eingetretenen grossen Bedarfs an Mor¬
phium nicht nur der Preis dieses wich¬
tigen Arzneimittels eine ausserordent¬
liche Steigerung erfahren hat, sondern
dass es auch an verschiedenen Stellen
an genügenden Vorräten fehlt, sodass
für Apotheken vielfach Schwierigkeiten
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
bei der Deckung ihres Bedarfs entste¬
hen. Da unter den obwaltenden Um¬
ständen auch auf weitere Zufuhren von
Opium nicht gerechnet werden kann, so
ist darauf Bedacht zu nehmen, die vor¬
handenen Vorräte an Morphium tun¬
lichst zu schonen. Der preussische Mi¬
nister des Innern ersucht daher die
Aerztekammern, auf die Aerzte ihres
Bezirks dahin einzuwirken, dass sie bei
ihren Verordnungen in geeigneten Fäl¬
len statt des Morphiums entsprechende
Ersatzmittel berücksichtigen und Mor¬
phium nur da verschreiben, wo es un¬
entbehrlich und in keiner Weise zu er¬
setzen ist.
Referate und Kritiken.
Therapeutische Technik für die ärzt¬
liche Praxis. Ein Handbuch für
Studierende und Aerzte. Herausge¬
geben von Professor Dr. Julius
Schwalbe. Mit 626 Abbildungen.
Vierte, verbesserte und vermehrte
Auflage. Verlag von Georg Thieme,
Leipzig 1914. 1096 S. Preis geb.
Mk. 26.50.
Von S c h w a 1 b e’s vorzüglichem
Handbuch der Therapeutischen Technik
liegt abermals eine neue Auflage vor, die
eine Reihe Veränderungen und trefflicher
Ergänzungen enthält. Neuhinzugekom-
men sind die Kapitel „Diathermie“ und
„Behandlung nach Bergonie" von Prof.
Rieder, die „Technik der Ernährung
des gesunden und kranken Säuglings"
von Prof. H. Ko eppe (Giessen), die
„Allgemeine Technik der Laparotomie"
und die „Chirurgische Behandlung der
Peritonitis" von Prof. Werner. Der
Abschnitt „Technik der Augenheilkun¬
de" ist nach dem Tode von Evers-
b u s c h durch seinen Amtsnachfolger
Geheimrat v. H e s s in Gemeinschaft mit
Prof. L o h m a n n neu bearbeitet. Der
Abschnitt „Technik der Frauenheilkun¬
de" von Geh.-Rat Fritsch hat unter der
Mitarbeit von Prof. Stoeckel (Kiel)
an manchen Stellen eine durchgreifende
Veränderung erfahren. Auch alle übri¬
gen Abschnitte sind, soweit es die fort¬
schreitende Technik in der Medizin be¬
dingte, ergänzt und verbessert worden.
Auch in der neuen Auflage wurden wie¬
derum viele Abbildungen durch bessere
ersetzt und neue hinzugefügt, sodass die
Zahl derselben nunmehr auf 626 gestie¬
gen ist. Der Umfang des Werkes hat
sich trotz der Vermehrung seines Inhal¬
tes nur um 26 Seiten gesteigert, dank den
erheblichen Kürzungen oder Streichun¬
gen unwesentlicher Teile, namentlich in
den Abschnitten Augen- und Frauenheil¬
kunde. Das S c h w a 1 b e’sche Werk,
das in seiner Art einzig in der medizini¬
schen Literatur dasteht, den Aerzten
noch speziell zu empfehlen, dürfte wohl
überflüssig sein, da dasselbe durch seine
früheren Auflagen sich selbst auf die
beste Weise empfohlen hat.
Die Prognosenstellung bei der Lun¬
gentuberkulose mit eingehender Be¬
rücksichtigung der physikalischen und
serologischen Befunde und der thera¬
peutischen Prognostik. Bearbeitet von
Priv.-Doz. Dr. D. O. K u t h y und Dr.
A. W olff-Eisner. Mit 21 Text¬
abbildungen. Verlag von Urban &
Schwarzenberg, Berlin und Wien
1914. 572 S. Preis geb. $5.00.
Das vorliegende Werk dürfte wohl
das erste sein, dass sich einzig und allein
und in der eingehendsten Weise mit der
Prognostik der Lungentuberkulose be¬
schäftigt, die bisher in der Literatur nur
sehr stiefmütterlich behandelt worden
war, weil man gewohnt war. mit der
Diagnose zugleich eine ungünstige Pro¬
gnose zu verknüpfen. Der Grund hier¬
für lag darin, dass die Diagnosen fast
durchwegs Späterkennungen der Krank¬
heit gewesen sind, von einer Frühdia¬
gnose im wahren Sinne des Wortes aber
kaum die Rede sein konnte. Heute ver¬
hält sich die Sache anders: die Diagnose
Lungentuberkulose umfasst an sich kei¬
ne Prognose mehr, dieselbe ist vielmehr
als eine sehr delikate Frage zu betrach¬
ten, deren Beantwortung dem prakti¬
schen Arzte sozusagen täglich obliegt.
Das vorliegende Buch beschäftigt sich
Original fro-m
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New Y<
Medizinische Monatsschrift.
95
vor allem mit der prognostischen Wert¬
schätzung sämtlicher klinischen Symp¬
tome, sodann mit der entsprechenden
W ürdigung der neueren prognostischen
Methoden, denen bei der Stellung der
Prognose nicht immer die genügende Be¬
achtung geschenkt wird. Von ganz be¬
sonderem Interesse ist der Abschnitt
über die Wirkung therapeutischer Ein¬
griffe der Lungentuberkulose hinsicht¬
lich der Beurteilung der verschiedenen
Tuberkulinpräparate und der Serum¬
therapie, der Heliotherapie, Röntgen¬
behandlung etc. Das Buch bildet eine
wertvolle Bereicherung der medizini¬
schen Literatur. R.
Mitteilungen aus der neuesten Journalliteratur.
Innere Medizin.
Referiert von Dr. A. Herz fei d.
F. Pentimalli: Zur Frage der
chemotherapeutischen Versuche auf
dem Gebiete der experimentellen
Krebsforschung nebst einer Mittei¬
lung über die Wirkungen des kol¬
loidalen Wismuts.
Autor stimmt mit Wassermann
überein in der Behauptung, dass die
X-Strahlung des Radiums und Meso¬
thoriums gegenüber dem Mäusekrebs
so gut wie unempfindlich ist und dass
er deswegen als Yergleichsobjekt für
therapeutische Massnahmen mit dieser
Strahlung am menschlichen Krebs nicht
in Betracht kommt. Bestrahlungen von
Tumorbrei in Ringerlösung trotz stärk¬
ster Dosen haben nur negative Resultate
ergeben. Die chemotherapeutischen
Versuche mit Selenverbindungen und
anderen in der Literatur empfohlenen
Präparaten haben in keinem Falle ein
eindeutiges positives Resultat ergeben.
Die erfolgreichen Versuche mancher
Forscher sind entweder in noch nicht
nachweisbaren Differenzen im Aufbau
der chemischen Präparate oder in beson¬
deren Verhältnissen der Tumoren (früh¬
zeitige Nekrose, Trauma, Autoimmuni-
sation) begründet. Das kolloidale
Wismut hat sich als ein spezifisches
Nierengift bezw. als ein direktes Reiz¬
mittel des hämopoetischen Gewebes
erwiesen. (D. m. W. 1914 Nr. 29.)
Carl Klieneberger: Agglutina¬
tionstiter bei Infektionskrankheiten,
insbesonder bei Typhus und Para¬
typhus.
Nach Verfasser ist die in der Litera¬
tur vertretene Meinung, dass beim
Typhus und Paratvphus Agglutinations¬
werte von 1 :20000 unglaublich hohe
Veränderungen darstellen und dass
Titerwerte selbst von 1 :20C0 nur sel¬
ten Vorkommen, nicht ganz richtig.
Verfasser fand in acht Fällen von Ab¬
dominaltyphus bei der W i d a P sehen
Reaktion nach Proescher-Neis-
s e r Agglutinationswerte zweimal 1 :
81920 und einmal 1:163840. (D. m. W.
1914 Nr. 36.)
Adolf Meyer: Erfahrungen mit
dem Tuberkulin Rosenbach bei
Lungentuberkulose.
Verfasser berichtet über gute Resul¬
tate. Das Präparat, das nicht „ganz
konstant“ zu sein schien, zeichnet sich
durch geringe Giftigkeit, leichte Dosier¬
barkeit und gute Bekömmlichkeit aus.
Starke Stichreaktionen sah Verfasser
selten. (D. m. W. 1914 Nr. 30.)
Dr. Heinrich Epstein: Rasche
Heilung der gemeinen Neuralgie
durch ein neues Antineuralgicum.
Epstein, einer unserer bedeutend¬
sten Kenner der aus der alten Volks¬
medizin uns überlieferten Medikamen¬
ten empfiehlt in Behandlung des oben¬
erwähnten Leidens den Roob Sambuci.
Aus 48 mit diesem harmlosen Saft be¬
handelten Fällen zieht Verfasser fol¬
gendes Resume:
1. Roob Sambuci ist ein Spezificum
gegen gemeine Neuralgie; frische Fälle
werden in 10 bis 12 Minuten dauernd
geheilt. Aeltere Fälle müssen die Gabe
durch 3 bis 5 Tage täglich einmal neh¬
men und zwar stets 20 bis 30 Gramm
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
in einer 20prozentigen Alkohollösung.
Die angenehmste Form war eine Lö¬
sung in einem stärkeren spanischen
Wein; ohne Alkohol gereicht, tritt Hei¬
lung erst nach 5 bis 7 Tagen ein.
2. Tritt keine Besserung ein, dann ist
diese Form der Neuralgie keine ge¬
meine.
3. Verschlimmert sich der Schmerz
(auch ohne Alkohol gereicht), dann
liegt eine Neuritis vor.
(Ich möchte den Kollegen dieses ein¬
fache, harmlose und billige Medikament
zur Nachprüfung empfehlen. Ref.)
(Prag. m. Wschr. 1914 Nr. 8.)
Max H e n i u s: Zur medikamentö¬
sen Behandlung der Diarrhoeen.
Im Vordergründe der Therapie der
Diarrhoeen stehen die zweckmässige
Regelung der Lebensweise durch Diät
und physikalisch-therapeutische Mass¬
nahmen, doch sind wir in vielen Fällen
auch auf eine medikamentöse Behand¬
lung angewiesen. F i e 1 d beschrieb
eine Anzahl Fälle, in welchen er die
Diarrhoe einer „gastrokolischen Reflex¬
wirkung“ beobachtete, zu deren Be¬
kämpfung er das Kokain empfahl. Ver¬
fasser hat diese „physiologisch gut ge¬
gründete Methode“ nachgeprüft und
empfiehlt nur das Kokain in der Form
der Gelonida neurenterica: Cocain
0.005, Natrii Bicarb 0.1, Menthol. Man
gibt Erwachsenen dreimal täglich drei
Tabletten *4 Stunde vor der Mahlzeit,
Kindern *4 bis 1 Tablette. (Ich habe
bereits beim Referieren der F i e 1 d’-
schen Arbeit auf die Gefahren der in¬
neren Anwendung des Kokaines und
seiner Derivate aufmerksam gemacht.
Ref.) D. m. W. 1914 Nr. 40.)
H. Quincke: Ueber die therapeuti¬
schen Leistungen der Lumbalpunk¬
tion.
Grundsätze für die Anwendung der
Lumbalpunktion:
1. Bei lebenbedrohender zerebrospina-
ler Drucksteigerung, wo ein Flüssig¬
keitserguss als Ursache oder als mitbe¬
teiligt oder als möglich angenommen
werden darf.
2. Bei minder schweren Drucksteige¬
rungen zur Linderung von Beschwer¬
den, Kopfschmerz, Benommenheit, Er¬
brechen.
3. In akuten Fällen einfacher seröser
Transudation, entzündlich oder nicht¬
entzündlich.
4. Bei nur vorübergehender Besse¬
rung muss die Punktion wiederholt
werden, in akuten täglich, allmählich
seltener, in chronischen in Intervallen
von 3 bis 10 Tagen.
5. Bei fortgesetzten Punktionen sind
für den Eingriff der Krankheitsverlauf,
die einzelnen Symptome und die Ergeb¬
nisse früherer Punktionen zu beachten.
6. Bei jeder L. P. sind die technischen
Regeln, Nachbehandlung, Anfangs- und
Enddruck zu beachten und die Flüssig¬
keitsmenge zu messen, eventuell weiter
zu untersuchen.
7. Bei eitriger bazillärer Zerebrospi-
nalmeningitis wird durch methodisch
wiederholte Punktionen sehr häufig ein
günstiger Ausgang ermöglicht.
8. Hirntumoren oder der Verdacht
darauf bilden keine Kontraindikation
gegen L. P., sogar eine Besserung der
Symptome für längere Zeit kann sie zur
Folge haben. (Ther. Mh. Juli 1914.)
Medikamentöse Therapie.
A. Bickel und A. T s f v i d i s:
Ueber den Einfluss der Digitalis¬
körper auf die Kurve des Elektro¬
kardiogramms. (Aus der experi¬
mentell-biologischen Abteilung des
Königl. pathologischen Instituts der
Universität Berlin.)
In ihrem im Jahre 1910 erschienenen
Buche über das Elektrokardiogramm
teilen F. Kraus und Nicolai bereits
Kurven mit, die sie von unter Digitalis¬
wirkung stehenden Herzen erzielt ha¬
ben. In ausführlicher Weise beschäf¬
tigte sich dann später S e 1 e n i n mit
diesem Gegenstände und leitete aus sei¬
nen Beobachtungen eine neue Theorie
über das Wesen des Elektrokardio¬
gramms her. Indessen betreffen die bis¬
lang vorliegenden Beobachtungen ent¬
weder den Zustand der chronischen Di¬
gitaliswirkung oder befassen sich, wie
die Versuche von S e 1 e n i n, vor allem
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
97
mit dem Bilde, das das toxische Stadium
der Digitalisvergiftung darbietet.
Jedenfalls bedürfen diese und die mit
ihnen in Beziehung stehenden Fragen
noch weiterer experimenteller Durchar¬
beitung, und so stellten die Yerf.
sich die Aufgabe, den Einfluss der aku¬
ten Digitaliswirkung, wie sie nach den
intravenösen Digitalisinjektionen auf-
tritt, auf .den Ablauf des Elektrokardio¬
gramms zu studieren.
Nachdem Focke neuerdings wieder
gezeigt hat, dass für die Digitalisthera¬
pie eigentlich nur die komplexe Droge
oder ein aus ihr bereitetes vollwertiges
Extrakt, das möglichst sämtliche Stoffe
der Folia Digitalis besitzt, in Frage
kommt, und dass die verstümmelten
Digitalisauszüge keinen Sinn haben,
haben die Verfasser sich bei ihren Ver¬
suchen lediglich mit einem derartigen
Extrakt befasst, nämlich dem von
Focke titrierten Digitalvsatum Bür¬
ger. Sie wählten dieses Digitalysat und
nicht ein Blätterinfus, weil sie für die
Yergleichsversuche mit verschiedenen
Dosierungen ein Präparat benötigten,
auf dessen gleichmässigen Gehalt an
wirksamen Stoffen sie sich verlassen
konnten.
Als Versuchstiere dienten Kaninchen.
Die Ableitung wurde bei der Aufnahme
des Elektrokardiogramms vom Oeso¬
phagus und Mastdarm aus vorgenom¬
men. Die Substanz wurde in die Ohr¬
vene injiziert.
Zunächst orientierte die Verfasser
eine Aufnahme des Carotispulses- und
Druckes mit Hilfe des Gad-Cowl-
schen Tonometers am Kvmographion
über die Geschwindigkeit des Eintritts
der Digitaliswirkung nach der intrave¬
nösen Injektion des Dialysats in die
Ohrvene.
Versuch: Ein 1800 g schweres Ka¬
ninchen erhält, nachdem der Puls in der
Norm aufgenommen war, 1 ccm Digi¬
talysat pro Kilo Körpergewicht in die
rechte Ohrvene injiziert. Unmittelbar
nach der Injektion erhebt sich nach
einer initialen Senkung der Druck, die
Pulsamplitude wird grösser und die
Schlagfolge verlangsamt sich. Diese
Drucksteigerung mit der Bradycardie
bleibt einige Zeit bestehen. Dann sinkt,
wie die Kurven zeigen, der Druck, aber
die Pulsamplitude bewahrt ihre Grösse
und die Bradycardie dauert fort.
Aus diesem Versuch geht hervor, dass
man bei der Dosierung von 1 ccm pro
Kilogramm Kaninchen eine kräftige
und nachhaltige Herzwirkung erhält.
Für ihre elektrokardiographischen Beob¬
achtungen wählten die Verf. nun Dosie¬
rungen, die teils niedriger, teils höher
waren, als die hier angewandten. Sie
verwandten nämlich 0.7 bis 2 ccm Digi-
talysatum Bürger pro Kilogramm Ka¬
ninchen.
Vor, unmittelbar nach und endlich in
bestimmten Intervallen nach der Injek¬
tion des Arzneimittels wurde die elektro-
kardiographische Kurve mit dem Appa¬
rat von Bock- T h o m a aufgenom¬
men.
Aus den Beobachtungen geht hervor,
dass kleine und mittlere Dosen — bis et¬
wa 1 ccm Digitailsatum Bürger — pro
Kilogramm Körpergewicht beim Kanin¬
chen eine Tendenz der Zacken zur Ver-r
grösserung bedingen. Dass davon auch
die F-Zaeke nicht ausgenommen ist, er¬
scheint im Hinblick darauf bemerkens¬
wert, als man ja vielfach aus der Grösse
der F-Zacke Rückschlüsse auf die Herz¬
kraft zu ziehen geneigt ist. Bei grösse¬
ren Digitalisdosen jedoch sehen die Yerf.
ein umgekehrtes Bestreben Platz grei¬
fen : die Zacken werden kleiner, A, J
und Jp, vor allem aber auch F. Diese
Verkleinerung braucht genau wie die
Vergrösserung nicht kontinuierlich fort¬
zuschreiten, sondern kann durch vor¬
übergehende Schwankungen unterbro¬
chen sein. Unabhängig von diesen Ver¬
änderungen in der Zackenhöhe, die bald
in dem, bald in jenem Sinne sich voll¬
zieht, je nach der Grösse der Dosis des
Medikamentes, beobachten die Verfas¬
ser unter allen Umständen die Verlän¬
gerung der Herzphase und der Herz¬
pause, und es erscheint bemerkenswert,
dass die erstere darin die letztere in der
Regel übertrifft.
Aus diesen streng objektiven wis¬
senschaftlichen Untersuchungen ist zu
ersehen, dass die konstante und ein¬
heitliche Wirkung des Digitalysatum
Bürger durch das Elektrokardiogramm
in graphischer Darstellung voll und
ganz nachgewiesen wird, wobei eine ku¬
mulative Wirkung in der toxischen
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
Form als gänzlich ausgeschlossen anzu¬
sehen ist, da bei wiederholten Versu¬
chen an den Tieren die Wirkung stets
dieselbe war. ohne irgend welche toxi¬
schen Erscheinungen der Digitalis-In
fuse, was für die Praxis am Kranken
bett und in der Klinik von grösster the
rapeutischer Bedeutung ist.
Feuilleton.
Der Krieg und unser Pachtgebiet Kiautschou.*
Zeitgemässe Betrachtung von San.-Rat Dr. Franz Kronecker, Berlin-Steglitz.
Jedem anständigen Japaner — und
auch deren gibt es, wie ich sicher weiss,
eine nicht geringe Zahl — muss das Be¬
tragen der Regierung seines Heimatlan¬
des die Röte der Scham ins Gesicht trei¬
ben ! Jene skrupellose Gewinnsucht und
Beutegier- t (Aasgeier-Politik nennt so
ein in Deutschland ansässiger hochgebil¬
deter und vorurteilsfreier Engländer
treffend das Verhalten der leitenden
Kreise Englands und Japans) — er¬
scheint uns um so niederträchtiger und
verwerflicher, als das Inselreich des fer¬
nen Ostens seine gesamte Kultur und
seine märchenhaften Erfolge zu Wasser
und zu Lande, in Politik und Wissen¬
schaft beinahe ausschliesslich unserem
Vaterlande verdankt. Ganz besonders
ist dies auf dem Gebiete der ärztlichen
Wissenschaft und Kunst der Fall. Aus¬
gezeichnete deutsche Vertreter unseres
Faches zogen schon im Anfänge der 70er
Jahre des vergangenen Jahrhunderts
hinaus in das damals noch so weltenferne
asiatische Inselreich, um dem wissbegie¬
rigen, nach westländischer Bildung ver¬
langenden Völkchen die Errungenschaf¬
ten der mächtig emporstrebenden deut¬
schen Medizin zu bringen. Genannt sei¬
en hier u. a. der Pharmakologe Lan-
g a r d, ein Schüler L i e b r e i c h’s, der
aus der berühmten L u d w i g’schen
Schule stammende Phvsilologe Tiegel,
der Chirurg S k r i e b a und der Inter¬
nist v. Bälz. Die hohen Verdienste,
welche sich namentlich der letztgenannte
um Lehre und Wissenschaft dort
draussen erwarb, haben die Japaner ehr¬
lich und voll anerkannt. Bereits bei sei¬
nen Lebzeiten haben sie v. Bälz, wel¬
cher etwa vor Jahresfrist die Augen
*Aus I). m. P. 1914. Nr. 16.
schloss, in ihrer Hauptstadt Tokio, wo
er mehr als 30 Jahre lang gewirkt hat,
ein Denkmal errichtet.
Niemand wird zu behaupten wagen,
dass ihm die kleinen, gelben, schlitzäugi¬
gen, ewig grinsenden Mongolen persön¬
lich übermässig sympathisch sind. Was
er an dem Japaner schätzt und achtet, das
ist seine ungewöhnlich hohe Intelligenz
und schnelle Auffassungsgabe, seine Ge-
wandheit und Geschicklichkeit, seine pe¬
nible Sauberkeit und Akkuratesse. Die¬
se Eigenschaften sind es auch, welchen
sie ihre höchst anerkennenswerten Er¬
folge auf dem wichtigen Gebiete der öf¬
fentlichen Gesundheitspflege vornehmlich
zu danken haben. Ist es ihnen doch mit
Hilfe rationeller, rücksichtslos durchge¬
führter Quarantänemassregeln, systema¬
tischer Mosquitobekämpfung und ande¬
rer verständiger Massnahmen geglückt,
im Laufe der letztvergangenen Jahre
nicht allein ihr Stammland, sondern auch
das früher überaus heftig von Cholera,
Pest und Malaria heimgesuchte Formo¬
sa, welches sie nach Beendigung des
Krieges gegen China im Jahre 1895 an¬
nektierten, gründlich zu assanieren und
vor dem Einbrüche der mörderischen
.Volksseuchen des fernen Ostens fast
vollständig zu schützen ! Allen jenen für
den Arzt und Forscher so überaus wert¬
vollen Eigenschaften ist es wohl auch in
erster Linie zu danken, dass namentlich
in jüngster Zeit eine sehr grosse Zahl
von Japanern als Famuli und Koassisten-
ten, ja sogar als wirkliche Assistenten
und Abteilungsvorsteher in unseren
deutschen Instituten und Krankenhäu¬
sern Verwendung gefunden haben, nach
Angabe englischer Tageszeitungen in der
Berliner Charite allein nicht weniger als
23 (!) Einer Reihe hervorragend tüch-
Qriginal fro-m
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
99
tiger Aerzte und Forscher darf sich die
junge japanische Wissenschaft rühmen;
ihre Xamen haben im Abendlande, spe¬
ziell in Deutschland einen guten Klang.
Erwähnt seien an dieser Stelle die Bak-
teriologen K i t a s a t o und A o v a in o,
beides Schüler und langjährige Mitar¬
beiter Robert Koch’s. und Schiga.
Mitentdecker des nach ihm und Kruse
benannten Erregers der Bazillenruhr.
Mit um so grösserem Ekel muss jeden
deutschen Standesgenossen jetzt das Ge-
baren dieses von uns bisher so hochbe¬
werteten und verhätschelten Volkes er¬
füllen. Noch vor wenigen W ochen, kurz
nach Beginn des furchtbaren Ringens, in
des>en Mitte wir jetzt stehen, glaubten
die schlitzäugigen Kollegen uns weiss¬
machen zu können, ihre Regierung wer¬
de voller Bewunderung für unseren Mut
und unsere Entschlossenheit, es mit einer
W elt von Feinden aufzunehmen, unver¬
brüchlich zu uns halten und möglicher
Weise dem plumpen russischen Bären,
mit welchem sie sich selbst vor 10 Jahren
gemessen, den Todesstoss versetzen.
Freilich unsere leitenden Kreise wussten
es besser. Sie brauchten keinen Rönt¬
genapparat, um Herz und Nieren unse¬
rer teuren Schüler und Gäste zu prüfen!
Sie kannten sie längst! Und sie haben
sich nicht getäuscht! Aber die Herren
Japs werden sich täuschen! Sie sollen
sehen, dass wir unsere blühende Ko¬
lonie Kiautschou, auf welche sie es bei
ihrem Beutezuge abgesehen haben, nicht
so leichten Kaufes aus der Hand geben.
Kiautschou mit seiner Hauptstadt Tsing¬
tau stehen unter der Marineverwaltung.
Das Pachtgebiet ist stark befestigt und
hat eine tapfere, ausgezeichnet geschulte
Besatzung von Marineinfanterie und
Marineartillerie. Die sanitären und hy¬
gienischen Verhältnisse der Kolonie sind
geradezu mustergültig. Wer sich über
diese, den Arzt vornehmlich interessie¬
renden Angelegenheiten näher zu unter¬
richten wünscht, der mag die kleine im
Verlage von J. Goldschmidt im vergan¬
genen Jahre erschienene Schrift: „Fünf¬
zehn Jahre Kiautschou. Eine kolonial¬
medizinische Studie“ lesen, welche
Schreiber dieses auf Grund der von den
leitenden Stellen herausgegebenen Be¬
richte verfasst hat.
Mögen sie kommen, die kleinen gelben
Teufel. Alles ist zu ihrem Empfange
wohl vorbereitet! An unseren Forts und
Stacheldrahtzäunen dürften sie sich ihre
gelben breiten Raubtierzähne schon aus-
beissen. „Jeder Klaps ein Japs!!“ Un¬
sere blauen Jungens werden dafür sor¬
gen, dass dieser Klaps von guter deut¬
scher Eisenfaust ausgeteilt, am rechten
Platze sitzt und unseren dankbaren
Freunden und Schülern das Wiederkom-
men für absehbare Zeit gründlich ver¬
leidet !!
Amerikanische balneologische Referate.
Referiert von Dr. von Oefele.
Office of Information, U. S. Depart¬
ment of Agriculture. — Endlich ein¬
mal ein offenes Wort gegen den Unfug
mit Radioaktivität! Die unmöglich¬
sten Empfehlungen wurden mehr und
mehr damit gedeckt, dass einem Was¬
ser Radioaktivität als Aushängeschild
gegeben wurde. Das Bureau of Chem¬
istry weist auf das rasche Schwinden
der Radioaktivität hin. Es werden
strenge Massnahmen gegen Importe
mit der schwindelhaften Reklame von
Radioaktivität angekündigt. Es wird
in diesem Rundschreiben auch auf die
alte Erfahrung hingewiesen, dass viele
Mineralwässer an der Quelle getrun¬
ken wirksamer sind als in versandtem
Zustande. Es wird darauf hingewie¬
sen, dass die Radioaktivität in vier Ta¬
gen auf 50 und in zwölf Tagen auf 10
Prozent herabgegangen ist. Die Ar¬
gumente, welche hier offiziell gegen
den Versand radioaktiver Wässer auf¬
geführt werden, sind zutreffend. Die¬
selben Schlussfolgerungen müssen
aber auf den Ersatz importierter Mi-
Qriginal fro-m
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100
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
neralwässer durch amerikanische Mi¬
neralwässer hindrängen. Der Ab¬
schnitt der amerikanischen baineologi¬
schen Referate arbeitet in diesem Sin¬
ne. Es wäre sehr erwünscht, dass die
Washingtoner Gelehrten diese ihre
Ueberzeugung auch in praktisches
Handeln umsetzen würden. Es müss¬
te dann auch eine der grossen engli¬
schen amerikanischen Aerzteblätter
eine ständige Spalte über Balneologie
schaffen.
The Old Iron Spring Ballston Spa,
N. Y. — Es ist die älteste Quelle in
Ballston Spa. Mir liegt ein Bild vor.
Eine höchst unzweckmässige Selters¬
wasserbude in einer europäischen Pro¬
vinzstadt niederer Ordnung wäre si¬
cherlich geschmackvoller und prakti¬
scher eingerichtet. Der Staub vorüber¬
sausender Automobile wird bei entspre¬
chender Windrichtung in die Trinkhalle,
wenn wir es so nennen dürfen, und in
die Gläser der Kurgäste getrieben.
Da aber vier solcher Strassen vorhan¬
den sind und bei der ganzen Anlage
ein Windwirbel entstehen muss, so ist
wohl kaum eine Windrichtung denk¬
bar, bei der dies nicht der Fall sein
sollte. Gleichzeitig sind die Wege so
angelegt, dass man kaum sehen kann,
ob nicht von irgend einer Seite ein
Fuhrwerk kommt. Man denke sich
schwache Kranke, die sich nur lang¬
sam fortbewegen und die mit Gemüts¬
ruhe bei leichter Bewegung die Wir¬
kung des Wassers erzielen sollen. Bei
Regen haben sie weit und breit keine
Deckung; bei Wind sind die Luftwir¬
bel um die sogenannte Trinkhalle her¬
um unerträglich; bei lebhaftem Fuss-
gängerverkehr verstopft sich der gan¬
ze Fussweg; bei lebhaftem Wagen¬
verkehr kommt der Fussgänger aus
der Todesangst überhaupt nicht mehr
heraus; der schwerkranke Kurgast,
dem eine helfende Begleitung das
Wasser besorgt, findet keine Sitzgele¬
genheit und nicht einmal einen passen¬
den Platz für einen mitgebrachten
Jagdstuhl; Platz zum Aufheben von
Privattrinkgläsern ist nicht vorhan¬
den ; mehr als ein Trinkmädchen kön¬
nen garnicht tätig sein. In grossen
europäischen Badeorten kommen oft¬
mals tausend Personen gleichzeitig an
die Quelle und müssen mehrfache Rei¬
hen bilden. In kleinen Badeorten wer¬
den es mitunter mindestens hundert
Wartende. Old Iron Spring würde mit
20 gleichzeitigen Kurgästen in Ver-
legenheit sein. Eine Kurkapelle für
das musikalische Bedürfnis der Trin¬
kenden ist in Europa die Regel. Hier
könnte eine solche auch nicht im Aus¬
nahmefall untergebracht werden. Man
braucht nichts zu sehen als diese an¬
gebliche Trinkhalle und jeder Sach¬
verständige muss sehen, dass die Ent¬
wicklung von Ballston Spa als moder¬
ner Kurort noch garnicht begonnen
hat. Bei den grossen Vorzügen des
Ballstoner Wassers ist dies sehr be¬
dauerlich.
Therapeutische und klinische Notizen.
— Ueber einen bemerkenswerten Selbst¬
mordversuch mit 50 Tabletten Bromural
berichtet Dr. Botet Ozores, Barcelona.
(Clinica Moderna, Zaraoza, 1914, Nr. 220.)
B. weist auf die vielseitige Verwendbar¬
keit des Bromurals hin, betont das Fehlen
von unerwünschten Nebenwirkungen und
kommt dabei auf die völlige Ungiftigkeit
des Präparates zu sprechen, von der er sich
in einem näher beschriebenen Fall über¬
zeugen konnte. Es handelte sich um eine
Patientin, die an starker nervöser, geisti¬
ger Erregung mit Schlaflosigkeit und Hal¬
luzinationen litt und durch Bromural ge¬
heilt wurde. Einige Monate später wurde
Autor dringend zu derselben Kranken ge¬
rufen. Die Patientin lag ausgestreckt im
Bett und reagierte weder auf Zurufe noch
auf Reizversuche wie Kneifen. Schläge u.
s. w. Der Puls war kaum bemerkbar, Fre¬
quenz und Rhythmus aber waren normal.
Original frorn
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101
die Atmung war sehr schwach, der Reflex
der Augenlider eingestellt. Ein hinzugezo-
gener Neurologe fand nach eingehender
Untersuchung alle Lebensäusserungen ein¬
gestellt, auch die Pupillen reagierten nur
träge. Nach wiederholter Aethereinspritz-
ung richtete sich die Patientin auf und be¬
kam nach Einnahme von Ipecacuanhairup
und Tartar, stibiat. starkes Erbrechen.
Zehn Minuten später war die Patientin
wieder vollständig frisch. Sie erzählte,
dass sie vor drei Stunden eine Lösung von
50 Bromural-Tabletten genommen habe
mit der Absicht, Selbstmord zu begehen
und nach kurzer Zeit in Schlaf versunken
sei. Sie konnte sich an nichts Unange¬
nehmes erinnern mit Ausnahme eines von
einer Art Lähmung begleiteten Schmerzes
am Oberschenkel, wo eben die Aetherin-
jektionen gemacht worden waren.
Kleine Mitteilungen.
— Beschränkungen in der Aufnahme in den
ersten Jahrgang der 1i w iener medizinischen
lakuliat. Seit längerer Zeit schon hat die
Ueberfullung aller medizinischen Institute
durch den in den letzten Jahren stark ange¬
wachsenen Andrang zum medizinischen Stu¬
dium das Unterrichtsministerium sowie das
Professorenkollegium der Wiener medizini¬
schen Fakultät veranlasst, dieser l'rage ihr
Augenmerk zuzuwenden. Als Ergebnis der
langwierigen Beratungen ist folgende Kund¬
machung, die vor einigen Tagen am schwarzen
Brett angeschlagen wurde, anzusehen:
„Das k. k. Ministerium für Kultus und Un¬
terricht hat mit Erlass vom 24. Juni 1914, Z.
14.309, Aufnahmebeschränkungen an der Wie¬
ner medizinischen Fakultt für das Studienjahr
1914/15 genehmigt, auf Grund welcher das
Professorenkollegium der Wiener medizini¬
schen Fakultät in seiner Sitzung vom 1. Juli
1914 folgendes beschlossen hat:
„1. Die Zahl der in den ersten Jahrgang (er¬
stes und zweites Semester) neu aufzunehmen¬
den, zur Immatrikulation zuzulassenden Stu¬
dierenden der Medizin wird mit vierhundert
festgesetzt.
„2. Von den Studierenden, welche die Auf¬
nahme anstreben und den vorgeschriebenen
Bedingungen entsprechen, werden jene aus
Niederösterreich und denjenigen Kronländern,
in welchen eine Universität mit medizinischer
Fakultät nicht besteht, sowie aus Bosnien und
der Herzegowina in erster Linie inskribiert;
sie haben die Inskription in der Zeit vom 23.
September bis 8. Oktober durchzuführen.
„3. Studierende aus den übrigen im Reichs¬
rate vertretenen Königreichen und Ländern,
dann Ausländer können erst nach den Vorge¬
nannten, bis die genannte Gesamtzahl von 400
erreicht ist, aufgenommen werden. Diese ha¬
ben sich bis zum 12. Oktober, 12 Uhr mittags,
vorschriftsmässig unter Vorweisung des Na¬
tionales und der Dokumente wie die übrigen
schriftlich im Dekanat zu melden; über ihre
eventuelle Aufnahme wird am 13. Oktober ent¬
schieden sein. Zum Nachweise ihrer Zustän¬
digkeit haben sämtliche die Immatrikulation
anstrebenden Studierenden des ersten Jahr¬
ganges ausser dem Nachweise ihrer österrei¬
chischen Staatsangehörigkeit ihre Heimat¬
scheine beizubringen. Studierende anderer
Fakultäten können sich für die Uebungen im
Seziersaale nicht inskribieren. Spätere In¬
skriptionen, sei es mit Gesuchen an das Deka¬
nat oder den akademischen Senat, sind, sobald
die Gesamtzahl von 400 erreicht ist, nicht zu¬
lässig; dasselbe gilt für eventuelle Uebertritte
von anderen Fakultäten/ 4
Ucber den Zweck und die Motive dieser
Verfügung äusserte sich der Dekan der medi¬
zinischen Fakultät Hofrat Prof. P a 11 a u f
wie folgt:
Die Massnahme der medizinischen Fakultät
entsprang lediglich der Notwendigkeit, den
Studienbetrieb auf eine solche Grundlage zu
stellen, dass die aus unserer Universität her¬
vorgehenden Mediziner den Aufgaben, die ih¬
nen ihr Beruf stellt, vollkommen gewachsen
sind.
Während an der philosophischen Fakultät
die Zahl der Hörer eine absteigende Tendenz
aufweist, ist der Zudrang zum medizinischen
Studium so stark geworden, dass die zur Ver¬
fügung stehenden Institute und Studieneinrich¬
tungen den Mindestanforderungen nicht nach-
kommen können.
Namentlich die Vertreter der Lehrfächer für
Anatomie und Histologie klagen schon seit
langem darüber, dass ihre Hörer an der unter¬
sten Grenze der fachlichen Ausbildung ange-
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102
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
langt sind, weil ihnen nicht Räume und Ma¬
terial genug zur Verfügung stehen.
Beim medizinischen Studium gehören An¬
schauungsunterricht und praktische Uebungen
zu den wichtigsten Erfordernissen. Nun kann
aber bei einer derartigen Ueberfüllung, wie
wir sie in Wien haben, nicht das nötige Lei¬
chenmaterial für die Sezierübungen beschafft
werden und es ist beinahe unmöglich gewor¬
den, dass jeder Student eine ganze Leiche zum
Sezieren bekommt. Das muss er aber haben,
wenn er als Arzt in den Beruf tritt.
Im vergangenen Jahre hatten wir im ersten
Semester über 600 Hörer. Da diese im zwei¬
ten Jahrgange gleichfalls noch Sezierübungen
machen müssen, wären wir für das kommende
Jahr auf weit über 1000 Hörer gekommen. Da
musste ein Riegel vorgeschoben werden.
Das Professorenkollegium der medizinischen
Fakultät ist bei seiner Beschlussfassung sehr
vorsichtig vorgegangen und hat die nach Mass-
gabe der Verhältnisse höchstzulässige Zahl als
Grenze festgesetzt.
Dieser Beschluss gilt nur für das kommende
Studienjahr und muss im Bedarfsfalls alljähr¬
lich erneuert werden.
Er erstreckt sich lediglich auf die Inskrip¬
tionen für den ersten Jahrgang. Die Auslän¬
der, welche an den Kliniken und Krankenan¬
stalten hospitieren, um ihre Ausbildung zu ver¬
vollständigen, werden dadurch nicht getroffen.
Das sind ja zumeist Aerzte, die ihre erste Aus¬
bildung bereits hinter sich haben.
Auruf!
Europa steht in Flammen. Ein Krieg ist ausgebrochen, wie ihn die Weltgeschichte noch
nicht erlebt hat. Wie die Geschicke der Völker sich gestalten mögen, weiss nur Gott allein.
Wir aber wissen, dass unendliche Not und namenloses Elend die unabwendbaren Folgen
dieses Krieges sein werden, wie immer der Ausgang sein möge. Zu den Völkern, die in den
schrecklichen Krieg verwickelt sind, gehört auch Deutschland, das Land, in dem unsere oder
unserer Vorfahren Wiege stand, mit dem unzertrennbare Bande des Blutes und des Herzens
uns verbinden.
Daher richten die Unterzeichneten an alle Deutschen und an alle Amerikaner deutschen
Stammes die herzliche Bitte, der höchsten und heilgsten Menschenpflicht eingedenk zu sein
und durch freiwillige Spenden die Not der deutschen Stammesbrüder zu lindern. Es gilt
nicht nur die Verwundetn zu pflegen, sondern auch den Wittwen und Waisen hülfreich zur
Seite zu stehen, denen die Kriegsfurie den Beschützer und Ernährer entrissen hat. Reiner
Menschlichkeit ist unser Bemühen gewidmet, ausschliesslich für wohltätige Zwecke sollen
die gesammelten Beträge Verwendung finden. Daher kann jeder ein Scherflein beitragen
ohne Ansehen der Nationalität.
Es wird gebeten, Beiträge an die „NEW YORK TRUST CO.“, 26 Broad Street. New
York City, unter der Bezeichnung GERMAN RELIEF FUND zu senden. Auch die Unter¬
zeichneten sind zur Annahme von Beiträgen berechtigt.
Die eingesandten Gelder werden der deutschen Botschaft in Washington zur Ueber-
weisung an den Zwecken des Aufrufs entsprechende Wohltätigkeitseinrichtungen in Deutsch¬
land übermittelt werden.
Alex Andrae
Charles Engelhard
John Oscar Erckens
E. Hossenfelder
Rudolph Keppler
Albert Leisel
Adolf Pavenstedt
Hans Reineke
Dr. Richard Schuster
Dr. G. E. Seyffarth
Carl L. Schurz
Charles H. Weigele
Wilhelm Knauth
Conrad Bühler
Rudolf Erbslöh
A. Heckscher
E. C. Hothorn
William Kiene
Adolf Kuttroff
Edmund Pavenstedt
Dr. A. Ripperger
Klaus A. Spreckels
Hermann Schaaf
Edmund Stirn
C. B. Wolffram
George Rueders
Carl Bünz
A. von Gontard
C. von Helmolt
William Kaupe
G. B. Kulenkampff
Henry E. Niese
Christoph Rebhan
Dr. Paul C. Schnitzler
Oscar R. Seitz
Dr. Gustav Scholer
A. Vogel
Robert Badenhop
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JNcw Yorker
JVIedizimöcbe JYIonatsscbrift
Offlgiali— Orgmn der
DoitKbai medixMKNa 8<feNfAartea der Städte nee Veit,
€Mcago und Clevekmd.
Herausgegeben von Dr. ALBERT A. RlPPERGER
unter Mitwirkung von Dr. A. Herzfeld, Dr. H. G. Klotz und Dr. von Oefele.
!!,1. XXV.
New York, Oktober, 1914.
Nr. 5.
Originalarbeiten.
Ueber eine Urinprobe, die für die Karzinom- und
Sarkomdiagnose von Nutzen ist.*
Von Dr. Frederick Klein und Dr. Charles H. Walker.
Die Diagnose maligner Erkrankun¬
gen ohne mikroskopische Untersu¬
chung galt immer als mehr oder wenig
problematisch. Einfache Untersu¬
chungsmethoden, besonders chemi¬
scher Natur, dürften daher für den
Diagnostiker von grossem Nutzen
.sein.
In den Jahren 1911 und 1912 gaben
Salomon und Saxl in Wien eine
Probe bekannt, die ohne Zweifel viel
zur Vereinfachung und Festigung ei¬
ner positiven Diagnose beitrugen. Sie
stellten fest, dass in 170 von 185 Fäl¬
len, die durch die Urinuntersuchung
als karzinomatös bezeichnet wurden,
später die Diagnose durch das Mi¬
kroskop bestätigt wurde.
Die Methode besteht in der Oxydie¬
rung des neutralen Schwefels im Urin
durch Wasserstoffsuperoxyd in der
nachfolgenden Weise:
Dem schwach angesäuerten kalten
* I)ie Arbeit erschien in englischer Sprache in der
August-Nummer des Post Graduate.
Urin wird Baryumchlorid zugesetzt und
dann filtriert. Das Filtrat wird nunmehr
erhitzt und abermals eine Baryumchlorid-
lösung, die zuvor ebenfalls erhitzt wurde,
zugesetzt und die Mischung dann wie¬
derum filtriert. Auf diese Weise wer¬
den die Sulfate und die Aetherschwe-
felsäure mit dem Niederschlag elimi¬
niert. Alsdann wird dem zweiten Fil¬
trat Wasserstoffsuperoxyd sowie aber¬
mals eine Baryumchloridlösung zuge¬
setzt. Erscheint dann eine wolkige
oder trübe Reaktion oder ein Nieder¬
schlag (Baryumsulfat), darf man an¬
nehmen, dass es sich um Karzinom
handelt.
Einige Jahre zuvor schon hatte Dr.
Frederick Klein in New York die
Theorie aufgestellt, dass bei allen ma¬
lignen Erkrankungen die Schwefelver¬
bindungen, Taurin und Zystin, gewis¬
se Reduktionsvorgänge erleiden und
dann nicht mehr als Taurin C 2 H 4 NH 2
SO a H und Zystin C s H 5 NH 2 S0 2 vor¬
handen sind.
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
Durch kritische Verwertung nun
dieser Schwefelveränderungen gelang¬
te man zur Diagnose der in Frage ste¬
henden pathologischen Zustände. Es
ist ja möglich, dass auch noch bei an¬
deren krankhaften Zuständen die er¬
wähnten chemischen Veränderungen
wahrgenommen werden können, allein
soviel steht fest, dass ein ausgespro¬
chener Unterschied hinsichtlich der
chemischen Reaktion bei Urinen be¬
steht, die von gesunden und von krebs-
oder sarkomkranken Personen her¬
rühren.
Die Frage nach der Aetiologie der
malignen Erkrankungen hat mit unse¬
rem Gegenstand kaum etwas zu tun,
ebenso wenig wie die Differential¬
diagnose zwischen Karzinom und Sar¬
kom. Immerhin zeigen die chemi¬
schen Veränderungen, die bei dem
Einsetzen einer malignen Erkrankung
zu Tage treten und sich durch die
Ausscheidungen aus der Leber, im
Blute und im Urin kundgeben, dass
sie sehr nahe verwandt, wenn nicht
identisch sind.
Was immer auch sich als Ursache
herausstellen mag, so bleibt doch als
Endresultat die ungleiche Oxydation
der Sekrete und der Gewebe. Dies
wird erwiesen durch eine Hyperoxy¬
dation am Sitz der Neubildung mit
entgegengesetzter oder mangelhafter
Oxydation der Schwefelverbindungen
an anderen Stellen.
Die Leber ist das grosse und haupt¬
sächlichste chemische Laboratorium.
Ein sorgfältiger Vergleich der Chemie
der Leber bei einem malignen Falle
und bei einer gesunden Person bringt
den Beweis für obige Behauptung.
Schwefelammon-Jodreagens und Schwe¬
felammon-Azetonreagens mit gesunden
und kranken Urinen bringen den Beweis
im Reagensglas.
Bei einem malignen Fall besitzen die
Schwefelverbindungen, Taurin und
Zystin, nicht mehr die chemische Zu¬
sammensetzung nach der empirischen
Formel C 2 H 4 NH 2 SO a H und C 8 H B NH 2
S0 2 , sondern sie finden sich in einem
reduzierten Zustand.
Die nachfolgende Urinprobe basiert
auf den oben erwähnten chemischen
Beobachtungen und kann als zuver¬
lässiger Nachweis einer malignen Er¬
krankung betrachtet werden, wie auch
der Grad der chemischen Veränderung
für die Prognose ob Anfangs- oder
vorgerücktes Stadium benutzt werden
kann.
Fügt man zu einem Urin Jod und
HCl (Salzsäure) hinzu, erscheint die
Probe in manchen Fällen hell, in an¬
deren wieder dunkel gefärbt. Im er-
steren Fall ist der Urin mehr oder we¬
niger entfärbt, weil das Jod in HJ
(Hydrojodsäure) umgewandelt und
dadurch die Probe zum Teil entfärbt
wurde, wodurch der Urin wieder seine
ursprüngliche Farbe erhält. Bei der
dunkleren Probe gelingt es der HCl
nicht, das Jod in HJ oder ein anderes
lösliches Jodsalz umzuwandeln, son¬
dern das Jod besteht als freies Jod wei¬
ter und der Urin ist durch das freie
Jod dunkler gefärbt.
Dass dies tatsächlich der Fall ist,
kann weiterhin bewiesen werden
durch Hinzufügen einer Stärkelösung.
Die eine Probe bekommt infolge des
freien Jods eine blaue oder purpurne
Farbe, die andere bleibt unverändert
oder wird blassgrün.
In vorgeschrittenen Fällen von ma¬
ligner Erkrankung zeigt sich diese
Farbenveränderung sehr ausgespro¬
chen. Auf diese Weise lässt sich das
Fortschreiten der Erkrankung nach-
weisen.
Die Methode dieser Jodprobe ist die
folgende:
Es werden für den Vergleich der
Farbe zwei Lösungen hergestellt.
1. Zu 10 ccm destillierten Wassers
werden 10 Tropfen einer 1/10 Normal-
Jodlösung (U. S. Pharmacopoea, S.
549) zugesetzt. Diese Lösung wird als
„A“ bezeichnet und besitzt ungefähr
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
105
die Farbe des normalen oder nicht¬
malignen Urins nach angestellter Re¬
aktion.
2. Zu 10 ccm destillierten Wassers
werden 3 Tropfen einer 1/10 Normal-
Jodlösung (U. S. P.) hinzugefügt.
Diese Lösung wird als „B‘* bezeichnet
und entspricht ziemlich genau malig¬
nem Urin nach angestellter Probe.
Nun wird die Urinprobe vorgenom¬
men, wie folgt:
Zu 4 ccm Urin werden 10 Tropfen
einer 1/10 Normal-Jodlösung (U. S. P.)
hinzugefügt und gut durchgeschüttelt.
Dann werden 4 ccm Salzsäure, C. P.
Sp. Gew. 1.19 zugesetzt und wieder
gut geschüttelt. Hat der Urin dann
die Farbe von „A“, kann der Fall als
nichtmalign betrachtet werden, wenn
die von „B“ als malign.
Eine andere chemische Reaktion ist
die folgende: Man füge zu einem
Tropfen Urin von einer gesunden Per¬
son eine Lösung von Kaliumperman¬
ganat (K Mn0 4 ). Sofort entsteht
Manganhydroxyd (MnOH 3 ), welches
sich niederschlägt, wodurch die Lö¬
sung entfärbt wird. Fügt man zur
Kalipermanganat-Lösung einen Trop¬
fen Urin zu, der nachweislich von ei¬
nem malignen Fall stammt, tritt kein
Niederschlag auf und die Kaliperman-
ganat-Lösung wird purpurrot. Lässt
man die Probe bei einer Temperatur
von ungefähr 30 C. stehen, so tritt nach
18 oder 20 Stunden die oben erwähnte
Entfärbung ein und es bildet sich der
Niederschlag von MnOH a . Als weitere
komparative Probe kann das Schwefel¬
ammonazeton- oder das Schwefelam¬
mon-Jodreagens Verwendung finden.
Noch eine andere sehr interessante
chemische Reaktion konnte beobachtet
werden bei zwei Fällen von schwerem
Ikterus bei Karzinom der Leber und
der Gallenblase. Beide Patienten wa¬
ren sehr schwer ikterisch und der Urin
zeigte starke Gallenfarbstoffreaktion.
Hinzufügen von Jodlösung rief nur die
dunkele braunrötliche Jodfarbe hervor.
Setzte man jedoch die Jodlösung 48
Stunden nach innerlicher Darreichung
von Schwefel und Selen dem Urin zu r
bekam derselbe eine helle grasgrüne
Färbung. Diese Reaktion trat bei bei¬
den Fällen ein und hielt an, solange
Schwefel und Selen gegeben wurden,
verschwand jedoch beim Aussetzen
dieser Mittel, um bei der abermaligen
Darreichung derselben wieder aufzu¬
treten.
Ikterus-Urin plus Jodlösung =
braunrötliche Farbe.
Ikterus-Urin plus Sclnvefel-Selen-
Behandlung plus Jod = helle gras¬
grüne Farbe.
Die Erklärung hierfür ist die fol¬
gende :
Ikterus-Urin enthält Glykogen (C^
H, 0 C) 5 ) und ähnliche Kohlehydrate.
Schwefel und Selen verwandeln diesel¬
ben augenscheinlich in Stärkeverbin-
dungen, daher die grüne Reaktion. Das
Experiment hat gezeigt, dass Jod zu
einer Selenlösung bei Gegenwart von
Schwefelsäure zugefügt grüne Fär¬
bung hervorruft.
Glykogen (tierische Stärke) plus
Jod = braunrötliche Farbe.
Glykogen nach Schwefel-Selen-Dar-
reichung plus Jod = helle grasgrüne
Farbe.
Die umgekehrte Reaktion wird dies
bestätigen.
Flüssige Stärke plus HCl oder H 2
S0 4 plus Hitze = Dextrose (Trauben¬
zucker, Diabetes-Zucker). Diese Lö¬
sung wird durch Jod nicht beeinflusst^
ausgenommen dass sie eine braunröt¬
liche Farbe annimmt ähnlich wie bei
der Glykogenreaktion.
Flüssige Stärke, die nicht so behan¬
delt wird, gibt eine blaue oder grüne
Färbung, je nach der Konzentration
oder Anwesenheit von Gallenfarbstof¬
fen.
Urine von Patienten unter Schwe¬
fel- und Selenbehandlung, aber ohne
Ikterus, ergaben beim Zusatz von Jod¬
lösung keine grüne Färbung.
Beim Ueberblick über die obigen
chemischen Untersuchunegn soll spe-
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HARVARD UNIVERSITY
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106
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
ziell die vergleichende Probe zwischen
den Urinen von malignen und augen¬
scheinlich normalen Fällen hervorgo-
hoben werden, sowie der Gebrauch der
1/10 Normal-Jodlösung U. S. P. und
von HCl, wie beschrieben. Die Resul¬
tate dieser Untersuchungen waren
sehr bestimmt und genau, wobei ein
ausgesprochener Unterschied in der
Farbe auf einen vorgeschrittenen Zu¬
stand hinwies, während geringere Far¬
benunterschiede einen beginnenden
oder weniger ausgedehnten Prozess
bedeuteten.
Zur physikalischen Therapie des M. Basedowii.*
Von Dr. B. von Barth-Wehrenalp (Eichwald).
Die therapeutische Beeinflussung
des unter dem Namen der Bas e-
d o w’schen oder G r a v e’schen
Krankheit bekannten Symptomenkom-
plexes, der hauptsächlich durch drei
—allerdings nicht immer gleichmässig
ausgeprägte—Erscheinungen : Exoph¬
thalmus, Struma und Tachykardie
charakterisiert ist, leidet, wie es noch
auf so vielen anderen Gebieten der
Heilkunde der Fall ist, in bedeuten¬
dem Masse darunter, dass über die
Pathogenese des Leidens noch keine
Uebereinstimmung erzielt ist und wir
von der eigentlichen Natur der Krank¬
heit sehr wenig Sicheres wissen. Je
nachdem man diese oder jene Theorie
dem Basedow zugrundelegt, em¬
pfiehlt sich diese oder jene Behand¬
lungsweise ; da auch hier der Sug¬
gestion weite Wege gewiesen sind, ist
das Resultat der gemachten Beobach¬
tungen in der Regel ein recht unsiche¬
res und von subjektiven Vorbehalten
getrübtes.
Während die Majorität der Forscher
die Krankheit für ein ausgesprochenes
Leiden der Schilddrüse erklärt und je
nach ihrem speziellen Standpunkte
entweder von „Hyperthyreoidsmus“
oder von „Hypothyreoidismus“ oder
endlich von einer „perversion de la se-
cretion interne“ spricht, mehren sich
die Stimmen, welche das ErgrifFensein
der Schilddrüse für einen sekundären
*Aus Prag. m. Wschr. 1914 Nr. 31.
Prozess halten, der von den verschie¬
densten Organen ausgelöst werden
kann. Besonders Erb hat sich in die¬
ser Frage entschieden auf den Stand¬
punkt O p p e n h e i m’s und derer ge¬
stellt, die den Basedow für eine Neu¬
rose von spezieller Art und Lokalisa¬
tion ansehen, die wieder sehr enge
Verwandtschaft mit der Neurasthenie,
der Hysterie, der psychopathischen
Belastung und anderen Neurosen hat.
Hiebei ist zunächst an den Sympathi¬
kus zu denken, dann an die kardiomo-
torischen und vasomotorischen Zen¬
tren und Bahnen im verlängerten Mar¬
ke sowie an die trophischen Nerven-
zentren. Eine ziemlich grosse Bedeu¬
tung scheint dem psychischen Trauma
als auslösender Ursache des Basedow
zuzukommen. Ein sehr interessanter
Fall dieser Art wurde unlängst von
Popper in Wien vorgestellt. Es
handelte sich um ein Mädchen, wel¬
ches zwei Wochen nach einem grossen
Schrecken eine gewaltige Vergrösse-
rung der Schilddrüse bekam, worauf
sich eine Woche später noch ödema-
töse Anschwellungen des Gesichtes,
Cyanose der Extremitäten, Dermogra¬
phismus, übermässige Schweissabson-
derung, Exophthalmus und eine Ta¬
chykardie von 150 Schlägen einstell¬
ten, während subjektive Symptome
gänzlich ausblieben. In äusserst geist¬
reicher Weise hat W i n t e r n i t z
darauf hingewiesen, dass scharfe Be¬
obachter unter den Künstlern, z. B.
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HARVARD UNIVERSITY
New Yoejcee Medizinische Monatsscheift.
107
Maler, in ihrer Darstellung von läh¬
mendem Schreck und grossem Ent¬
setzen an die T rias der Basedow-
Symptome erinnern. „Vielen dürfte
ein Bild in Erinerung sein, das der be¬
rühmte Marinemaler R o m a k s ge¬
schaffen. Er hat die Schlacht von
Lissa gemalt und den Moment fixiert,
in dem Tegetthoff die italienische
Panzerfregatte zu rammen unter¬
nimmt. Tegetthoff auf der Kom¬
mandobrücke und unter ihm am Steu¬
errade vier kräftige Matrosen den ent¬
scheidenden Moment des furchtbaren
Zusammenstosses erwartend. Mit al¬
ler Kraft das Steuerrad festhaltend,
mit hochgerötetem Gesicht, die Augen
aus ihren Höhlen hervortretend, den
Hals gebläht, und man sieht förmlich
unter dem Matrosenhemd das mächtig
klopfende Herz. Der scharf beobach¬
tende Künstler malt Angst und Ent¬
setzen mit den Hauptsymptomen des
Basedow/'
Die therapeutischen Massnahmen,
die gegen den M. Basedow zu treffen
sind, bewegen sich oft haarscharf auf
dem Grenzgebiete zwischen der Chi¬
rurgie und der internen Medizin, und
von beiden Seiten werden triftige
Gründe geltend gemacht, um die Be¬
handlung der Krankheit ins eigene La¬
ger hinüberzuziehen. Zwischen die
genannten zwei extremen Standpunkte
schiebt sich wie ein mächtiger Keil die
physikalische Therapie dazwischen
mit ihren zahlreichen Prozeduren und
Massnahmen, die besonders auf dem
hier in hohem Grade in Betracht kom¬
menden vasomotorischen Gebiete ganz
Ausgezeichnetes zu leisten vermögen,
wenn sie in methodisch-konsequenter
Weise und in der richtigen, auf die
speziellen Bedürfnisse des Individu¬
ums Bedacht nehmenden Auswahl zur
Anwendung gebracht werden.
Die Hydrotherapie ist schon seit
langer Zeit für die Behandlung des M.
Basedowii empfohlen, aber doch erst
seit der Blütezeit der W i n t e r n i t z-
schen Schule, die die nötige Energie
mit der ebenso notwendigen Schonung
in richtigen Einklang zu bringen
wusste, in die allererste Reihe gerückt
worden. W ir haben es bei der Glotz¬
augenkachexie zunächst immer wieder
mit vasomotorischen Störungen zu
tun, auf die sich nicht nur die tachy-
kardischen Erscheinungen, sondern
auch die Hyperhydrosis, das Pulsieren
der Struma und der Gefässe überhaupt
sowie die ganze unregelmässige und
unzweckmässige Verteilung des Blu¬
tes im Körper zurückführen lassen*
Alle Massnahmen, die das Nerven¬
system stärker zu erregen imstande
sind, müssen natürlich strenge vermie¬
den werden, weshalb Douchen, Güsse
und Bäder, die eine stärkere Reaktion
hervorrufen können, von vornherein
kontraindiziert sind.
Die sich zunächst der Behandlung
entgegendrängende Erscheinung ist
die Tachykardie, und gerade diese ist
auf hydrotherapeutischem Wege sehr
leicht und mit grosser Bestimmtheit
zu beeinflussen. Der kalte Herz-
sehlauch, mehrmals des Tages für eine
halbe Stunde, später für die doppelte
Zeit angewendet, pflegt günstig einzu¬
wirken und die Frequenz der Puls¬
schläge prompt herabzusetzen, aber
nicht immer. Gerade bei nicht orga¬
nischen Herzleiden, die auf nervöser
Basis beruhen, und dazu gehört ja die
stürmische Erregung des Herzens
beim Basedow, kommt es nicht selten
vor, dass der kalte Herzschlauch keine
deutliche Wirkung gibt oder wegen
der Opposition des Patienten ausge¬
setzt werden muss; ich habe in sol¬
chen Fällen die Applikation der Kälte
auf das Herz immer durch Massage
des Herzens ersetzt, und zwar in Form
der ausgezeichneten Vibration der
Herzgegend oder der Riickenhackung.
Beides wird bei Herzleiden nervösen
Ursprungs sehr oft nicht nur objektiv
besser vertragen als die Kälte, sondern
entspricht auch dem subjektiven Ge¬
fühle des Patienten besser. Und jeder
erfahrene Physiater weiss, welche Be-
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108
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
deutung den Empfindungen der Kran¬
ken zukommt. Wenn die direkte Ap¬
plikation der Kälte auf die Herzge¬
gend nicht empfehlenswert ist, dann
tun kalte Anwendungen auf den
Nacken und die Wirbelsäule vorzüg¬
liche Dienste. Kühlschläuche, die sich
in ihrer Form der Konfiguration des
Rückens anschmiegen und niemals di¬
rekt auf die Haut, sondern immer zu¬
nächst auf einen gewöhnlichen kalten
Umschlag zu liegen kommen und
gleichmässig von kaltem Wasser
durchströmt werden, wirken sehr gut.
Bei einigermassen empfindlichen Na¬
turen ist es gut, mit der Temperatur
ebenso vorsichtig ein- und auszuschlei¬
chen, wie man es seit jeher bei den
elektrischen Applikationen tut. Die
lange dauernde Kälteeinwirkung auf
die Wirbelsäule vermag, wie W i n -
t e r n i t z gezeigt hat, die Reflexerreg¬
barkeit in ganz bedeutendem Masse
herabzusetzen, wodurch sich auch das
heftige Zittern der Basedow-Kranken
prompt vermindert. Die gleiche Wir¬
kung erzielen auch feuchte Einpackun¬
gen, die in der Therapie des Basedow
überhaupt kaum zu umgehen sind und
sich mit der Anwendung des Herz-
kiihlers oder Rückenschlauches zwang¬
los verbinden lassen. Die Dauer die¬
ser Einpackungen, bei welchen die
Arme der Patienten, um ihnen das
lästige Gefühl des Gefesseltseins zu er¬
sparen, freibleiben können, hängt ganz
von individuellen Momenten ab. Sie
sollen nie so lange dauern, dass der
Patient fcu schwitzen beginnt, müssen
aber auch ohne Rücksicht auf die be¬
reits erreichte Dauer sofort unterbro¬
chen werden, wenn der Kranke unru¬
hig wird und die Packung nicht mehr
als angenehm und wohltätig empfin¬
det. Damit die Wiedererwärmung des
Kranken, die zu einem günstigen Er¬
folge der Packung unbedingt nötig ist,
recht rasch erfolgt, ist es empfehlens¬
wert. die Prozedur gleich morgens im
Bette, wenn der Körper noch von der
Nachtruhe her recht warm ist, vorneh¬
men zu lassen; wenn dies nicht mög¬
lich ist, soll die Haut des Kranken vor
der Einpackung durch eine trockene
Abreibung künstlich erwärmt werden,
ausserdem können mit warmem Was¬
ser gefüllte Krücken zu den Füssen,
die bezüglich der Erwärmung stets die
Stiefkinder des Körpers darstellen, mit
eingepackt werden. Auf diese Weise
wird die Haut des Kranken nach der
erfolgten Auspackung eine gesunde
warme Röte zeigen und nicht die ei¬
gentümliche areolar-zyanotische In¬
jektion, die ein Zeichen der vorhande¬
nen ungleichmässigen Wärmevertei¬
lung ist. W ie immer in der Hydro¬
therapie muss auch nach diesen Pack¬
ungen, die sich durch eine gewaltig be¬
ruhigende Einwirkung auf die Blut¬
zirkulation und die Innervation aus¬
zeichnen, eine tonisierende Prozedur
sofort angeschlossen werden, etwa ein
nicht zu kühles Halbbad oder ein
Bürstbad, welch letzteres die gleich-
massige Durchblutung der Haut noch
bedeutend fördert. Es werden sich na¬
türlich immer Fälle finden, wo die ra¬
sche W iedererwärmung in der Ein¬
packung ausbleibt und die Kranken
beständig über Frösteln klagen; da
empfiehlt es sich, nach dem Vorschlä¬
ge von Tobias trockene Einpackun¬
gen mit gleichzeitiger Anwendung des
Rückenschlauches zu verordnen; durch
letzteren wird aber nicht kaltes,
sondern warmes W r asser geschickt.
Damit der Forderung des Ein- und
Ausschleichens mit der Temperatur
Genüge geschieht, beginnt man mit 38
Grad C. und steigt mit der Zeit auf 41
bis 42 Grad. Die Zeitdauer soll 20
Minuten nicht überschreiten, da weder
höhere Temperaturen noch längere
Dauer gut vertragen werden. In den
Anstalten wird gewöhnlich Gewicht
darauf gelegt, dass die Packungen
recht fest und stramm gemacht wer¬
den, weil dadurch eine innigere Be¬
rührung der Körperoberfläche mit dem
nassen Tuche herbeigeführt wird und
die Wiedererwärmung des Patienten
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
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rascher erfolgt: eine straffe Packung
sieht auch schöner und technisch voll¬
kommener aus. Aber ich bin bei ner¬
vösen, leicht aufgeregten und ängstli¬
chen Patienten schon längst davon ab¬
gekommen und lasse die Packungen in
solchen Fällen ganz locker machen;
die Erwärmung erfolgt auf diese Wei¬
se fast gerade so schnell, und dafür
bleibt die Aengstlichkeit, das Gefühl
der Fesselung, das dem Kranken die
ganze Prozedur zur Qual macht, gänz¬
lich aus, was meiner Ansicht nach ei¬
nen sehr wichtigen Faktor ausmacht
und gewiss auch zur Beruhigung der
Herztätigkeit beiträgt.
Zur Herabstimmung des überreizten
Nervensystems der Basedowkranken,
die oft am ganzen Körper zittern und
vibrieren wie überheizte Lokomotiven,
möchte ich auch die Kohlensäurebäder
nicht gerne entbehren, die sehr zweck¬
mässig mit Soole versetzt werden ; die
Temperatur dieser Bäder darf nicht zu
niedrig sein, man wird wenigstens im
Beginne nicht leicht unter 26 Grad Re-
aumur herabgehen dürfen. Sympto¬
matisch kann man bei Gelegenheit
auch von anderen hydropathischen
Prozeduren als den genannten Ge¬
brauch machen, nur müssen, wie
schon erwähnt, alle stärker erregen¬
den Massnahmen strenge ausgeschal¬
tet bleiben, während Variationen in
den diversen beruhigenden Prozedu¬
ren dem Belieben des Einzelnen und
den individuellen Verhältnissen des
speziellen Falles Vorbehalten bleiben.
Die Diarrhöen, welche sehr oft mit
dem Basedow verbunden sind und die
Kranken arg belästigen, sind wohl im¬
mer nervöser Natur, werden aber
gleichwohl durch innere Darreichung
von Heideibeerabkochung günstig be¬
einflusst. Auch das Gegenteil, starke
Obstipation, ist nicht selten; gegen
diese empfiehlt Epstein grosse
Oelklysmen, womit er zu wiederholten
Malen die ganzen Basedowsymptome
zum Verschwinden gebracht zu haben
angibt.
Neben den nervösen Symptomen des
Basedow tritt noch eine Erscheinung
von grösster Bedeutung in den Vor¬
dergrund : die rasche Abmagerung;
und diese kann nicht früh genug be¬
kämpft werden. Sie ist umso auffal¬
lender, als die Basedowkranken vor
Beginn ihrer Krankheit sehr oft gut¬
genährte oder auch fettleibige Indivi¬
duen waren und nicht selten aus Fami¬
lien stammen, in denen die Fettsucht
erblich ist. Gerade so wie in der Hy¬
drotherapie alles vermieden werden
muss, was erregend wirkt, so hat auch
die Diätverordnung ihre Hauptauf¬
gabe darin zu suchen, alles auszuschal¬
ten,- was das Nervensystem und spe¬
ziell die Herznerven erregen könnte.
In erster Linie verbietet sich daher
der Genuss von Alkohol, Tee, Kaffee
und scharfen Gewürzen. Die Speisen
sollen leichtverdaulich, dabei nahrhaft
und reizlos sein ; die üblichen Mahlzei¬
ten werden vermehrt, damit einerseits
keine L'eberfüllung des Magens mit
ihrer sich regelmässig einstellenden
Rückwirkung auf die Herztätigkeit
eintritt und andererseits die Nah¬
rungsaufnahme doch eine genügende
bleibt. Ich pflege den Patienten eine
regelmässige Mastkur zu verordnen,
bei welcher ich ein besonderes Ge¬
wicht auf die Einnahme der Milch,
und zwar in Form der sogenannten
Mastmilch lege. Diese wird aus ge¬
wöhnlicher Vollmilch durch Ein¬
dampfen auf das halbe Volumen her¬
gestellt, mit etwas Kalkwasser — um
eine leichtere Verdaulichkeit zu erzie¬
len — versetzt und in Tagesquanten
von \/i Litern, entsprechend 3 Litern
Vollmilch, konsumiert. Der Zusatz
von Kalkwasser wirkt bei disponierten
Individuen leicht stopfend; man kann
dann das Kalkwasser durch Milch¬
zucker ersetzen, der nicht nur sehr
nahrhaft ist, sondern auch eine leicht
auflösende Nebenwirkung besitzt. Die¬
se Art der Milchdarreichung kann ich
für viele Fälle der täglichen Praxis
wärmstens empfehlen; der Kranke
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110
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
braucht nur das halbe in der Milch
enthaltene Wasser zu schlucken und
bekommt doch den ganzen Nährwert
derselben.
Die Diät ist eine gemischte, bei wel¬
cher das Fett eine verhältnismässig
geringe Rolle spielt und das Hauptge¬
wicht auf die Zufuhr von Eiweiss und
Kohlehydraten gelegt wird. Fett¬
masten sind nie von langer Dauer,
während die hier erläuterte Diät fast
immer dauernde Erfolge gibt. Die Pa¬
tienten müssen im Tage ungefähr
sechs Stunden lang, womöglich im
Freien, liegen und bekommen alle
Speisen in mässig warmem Zustande.
Auf diese Weise werden wöchentliche
Zunahmen bis zu drei Kilogramm er¬
zielt. Im Anfänge der Behandlung
pflegen die Kranken noch etwas abzu¬
nehmen, in der zweiten Woche bleibt
das Körpergewicht stabil, um dann
mit Beginn der dritten Woche oft ra¬
pid zuzunehmen; damit geht eine we¬
sentliche Besserung aller Beschwer¬
den Hand in Hand.
Die Mastkur, in der angedeuteten
Weise angewendet, kommt automa¬
tisch einer weiteren Indikation entge¬
gen, die bei Basedowkranken sehr
wichtig ist: der Forderung nach stren¬
ger körperlicher und geistiger Ruhe.
Wie bei den gewöhnlichen Neurasthe¬
nikern muss die Hetze des gewohnten
täglichen Lebens ausgesetzt, die ge¬
wohnte häusliche Umgebung gemie¬
den werden, um dem Kranken eine
vollständige Ausspannung zu ermög¬
lichen, weshalb sich, wo es halbwegs
angängig ist, die Abgabe in eine An¬
stalt von selbst der Kalkulation auf¬
drängt. Damit ist auch der Forderung
nach einem entsprechenden Klima¬
wechsel meistens genug getan, und die
würzige Waldluft, in welcher die Pa¬
tienten, ohne sich bewegen zu müssen,
den grössten Teil des Tages verbrin¬
gen können, macht ihren heilbringen¬
den Einfluss schon nach kurzer Zeit
geltend. Es ist vielleicht nicht über¬
flüssig zu betonen, dass die Kranken
am besten allein oder mit einer Person,
die nicht ihrer gewohnten Umgebung
angehört, in die Anstalt geschickt
werden.
Mit der einfachen Abschiebung des
Kranken „aufs Land 44 ist — abgesehen
von der Unmöglichkeit einer rationel¬
len Behandlung in einer unpraktischen
Sommerwohnung — meistens nicht
viel erzielt, weil die Kranken, sich
selbst überlassen, immer dazu neigen,
ihrem Drange nach reichlicher Aus¬
nützung der „guten Luft 44 nachzuge¬
ben und mehr spazieren zu gehen als
gerade ihnen, die so notwendig Ruhe
brauchen, zuträglich ist. Man hat den
Basedow-Kranken oft den Aufenthalt
an der See angeraten, wohl kaum mit
sehr viel Recht, da die zehrende See¬
luft gewiss nicht geeignet ist, das Ner¬
vensystem zu beruhigen und das See¬
klima im Gegenteil gerade mehr für
torpidere Fälle passt. Seebäder sind
wegen ihrer erregenden Wirkung ganz
gewiss nicht für Basedow-Kranke ge¬
eignet. Wannenbäder in gewärmtem
Seewasser dürften in ihrer Wirkung
den Kohlensäuresoolbädern nahe kom¬
men. Aehnliche Verhältnisse liegen
bezüglich des Aufenthaltes in Höhen¬
kurorten vor, der von manchen Seiten
warm empfohlen, aber von sehr auto¬
ritativer Seite auch energisch wider¬
raten wird.
Zu den ältesten Behandlungsmetho¬
den des Basedow gehört die Elektro¬
therapie, die leider den grossen Nach¬
teil hat, dass man nie weiss, wie viel
von ihrer Wirkung auf Suggestion be¬
ruht. Schon der LTmstand, dass von
den verschiedenen Autoren die man¬
nigfaltigsten Variationen für die An¬
wendung des elektrischen Stromes
empfohlen werden, dass bald der gal¬
vanische, bald der faradische Strom
zur Anwendung kommen soll, gibt zu
denken. Dazu kommt noch, dass es,
wenn man beispielsweise den Sympa¬
thikus galvanisch beeinflussen will,
garnicht so ausgemacht ist, dass man
den genantnen Nerven mit dem Stro¬
ck rigi aal fro-m
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
111
me tatsächlich erreichen kann. Ich
glaube daher, dass der Elektrotherapie
in der Behandlung des Basedow kein
sehr massgebender Einfluss zukom¬
men dürfte. Am häufigsten ist die
(Galvanisation des Halssympathikus.
Sie wird meistens so ausgeführt, dass
die Anode als indifferente Elektrode
auf die Dornfortsätze der obersten
Halswirbel aufgesetzt, die Kathode
dagegen in die Fossa auriculomaxilla-
ris appliziert wird, wobei das oberste
Halsganglion des Sympathikus er¬
reicht werden soll. Man kann auch
labil verfahren, indem man mit der
Kathode längs der grossen Halsge-
fässe den Halssympathikus in seinem
Verlaufe zu erreichen sucht. Die
Stärke des angewendeten Stromes be¬
trägt ungefähr 5 MA, was ich für et¬
was zu viel halte, da man gerade mit
den schwächsten Strömen die besten
Resultate erreicht haben will. Stärke¬
re Ströme von 5 bis 10 MA werden an¬
gewendet. wenn man das Halsrücken¬
mark elektrisieren will. Dabei kommt
die Kathode rückwärts auf den ober¬
sten Halswirbel zu liegen, während
der positive Pol etwas tiefer, ungefähr
zwischen den Schulterblättern, auf die
Wirbelsäule aufgesetzt wird. Von der
Galvanisation der Medulla oblongata
und der Schilddrüse selbst habe ich nie
einen Erfolg gesehen.
Wenn ich das Gesagte zusammen¬
fasse, dürfte es wohl keinem Zweifel
unterliegen, dass die moderne Behand¬
lungsweise des Basedow sich zunächst
der bewährten Massnahmen der Hy¬
drotherapie (besonders lokale Kälte¬
anwendungen und feuchte Einpack¬
ungen) und der Diätetik (Ueberernäh-
rung mit Vermeidung jeder einseitigen
Ernährungsweise) bedienen wird, da
die medikamentöse Behandlung noch
zu keiner Uebereinstimmung geführt
hat. Auf die Frage, ob und wann die
operative Behandlung des Basedow
einzuleiten ist, soll hier nicht einge¬
gangen werden.
Die Anwendung des Karmins zur Magendarmdiagnose. ^
Von Seymour Basch, M. D.
Adjunct Attcnding Physician im Lebanon Hospital, New York City, U. S. A.
Trotzdem das Karmin schon seit ver¬
hältnismässig langer Zeit zur Diagnose
von Magendarmerkrankungen Anwen¬
dung findet, hat sein Gebrauch für die¬
sen Zweck bis heute wenig allgemeine
Verbreitung gefunden. Griitzner 1 )
hat bereits im Jahre 1874 seine kolori-
metrische Methode zur Pepsinbestim-
niung beschrieben, bestehend in einem
Vergleich mit standarisierten Karmin¬
glyzerinlösungen und der Menge von
Farbstoff, die bei der Verdauung von
karmingefärbtem Fibrin im Magensaft
* Vortrag zur 16. Jahresversammlung der Ameri¬
can Gastro-enterological Association in Washington,
D. C., Mai 1913. (Aus Arch. f. VerdjfUungskr. Bd.
XX. H. 1 1914.)
1) (» r ü t z n e r, Arch. f. d. ges. Phys. 1874. Bd.
VIII. S. 452.
in Freiheit gesetzt wurde; diese Metho¬
de ist inzwischen durch genauere Prii-
fungsverfahren ersetzt worden.
Karminrot, Kochinilin, gereinigte
Karminsäure ist das Farbenprinzip von
Kokkus kakti, besser bekannt als das
südamerikanische Kochenilleninsekt. Es
kommt im Handel oft mit Blei, Baryum,
Stärke, Rosanilin u. dgl. verfälscht vor,
doch sind diese Verunreinigungen leicht
erkennbar. Natürlich darf nur der reine
Farbstoff innerliche Anwendung finden,
der ja sehr billig, überall zu bekommen
und unter allen klimatischen Bedingun¬
gen haltbar ist. Die Farbe ist dem Auge
gefällig und kann entweder in Gelatin-
kapseln oder trocken auf der Zunge
bezw. mit Wasser oder Nahrung ver-
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112
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
mischt genommen werden. Das reine
Karmin ist in massigen Mengen voll¬
kommen unschädlich. Ich habe wieder¬
holt bis zu einem halben Teelöffel ohne
nachteilige Nachwirkung verabreicht.
Ad. Schmidt 2 ) erwähnt, dass es ei¬
nen leichten Reiz auf den Darm aus¬
üben kann, doch habe ich diese Erfah¬
rung niemals gemacht.
Innerlich verabreicht, behält das
Mittel seine deutlich rote Farbe und
färbt die Fäzes, mit welchen es sich
gründlich vermischt, ziegelrot. Die
Stärke und Ausgiebigkeit der Färbung
ist ungefähr proportional zur eingenom¬
menen Menge, der Schnelligkeit, mit
welcher sie durch den Verdauungs¬
kanal geht, sowie zu der Konsistenz des
Darminhaltes. Wahrscheinlich wird die
Farbe nicht resorbiert, denn sie ist im
Urin, Schweisse, Speichel, Tränen und
den sichtbaren Geweben nicht merkbar.
In seinen Eigenschaften der Unresor¬
bierbarkeit und Färbungskraft besteht
sein Wert als einfaches und harmloses
Diagnostikum.
Bisher wurde das Karmin in der Ma-
gendarmdiagnose benutzt:
1. Zur Bestimmung bezw. Unterschei¬
dung der Fäzes einer Diätform von der
einer anderen.
2. Zur Feststellung der Geschwindig¬
keit der Magendarmmotilität.
Das erste Verfahren wird schon lange
verwendet bei Studien des Stoffwechsels
und der Nahrungsausnützung, d. h. für
dieselben Zwecke, für welche als Färbe¬
mittel Holzkohle, Kakao, Milch, Heidel¬
beeren u. dgl. verabreicht wurden, fer¬
ner eine Reihe von ganz unverdaulichen
Substanzen, wie Kork, Kieselsäure usw.,
deren Gegenwart im Stuhle leicht er¬
kennbar ist. Dem Vorschläge von
Adolf Schmidt 3 ) folgend, habe ich
seit 189 1 ) 4 * ) das Karmin für Stuhlbeob¬
2) Ad. S c h m i (I t. Die Funktionsprüfling des Dar¬
mes usw. 2. Attfl. Wiesbaden, 1908.
3) S c h in i d t, Dts-ch. Arch. f. klin. Med. 1898.
Bd. LXI. S. 548.
4) S. Basch, Ztschr. f. klin. M. 1899. Bd.
XXXVII. II. 5 und 6.
achtungen gebraucht. Für diesen Zw eck
genügen 0.3 g. Dieses Quantum er¬
zeugt zumeist zwei deutlich rote Stuhl¬
gänge, von welcher der letzte jedoch
teilweise nur leicht gerötet ist oder nur
einige Karminkristalle enthalten kann.
Grosse Dosen sollen nicht verordnet
werden, sie verlängern nur die Farb-
wdrkung auf die Darmexkrete. Die Pa¬
tienten nehmen das Mittel mit einem
Teelöffel Wasser.
Die Erreichung des zweiten Zweckes,
nämlich Feststellung der Magendarm¬
motilität, ist auch von Ad. S c h m i d t 6 )
und von Spivak 6 ) in Angriff genom¬
men worden. Für die Ermittelung der
Geschwindigkeit in den einzelnen Darm¬
teilen haben wir kein anderes Mittel als
die Röntgenstrahlen. Wo diese jedoch
nicht anwendbar sind, können wir einen
Begriff über die Nahrungspassage
durch den ganzen Darm vermittels eines
von zwei Wegen gewinnen: Wir kön¬
nen entweder die Karminlösung direkt
in das Duodenum einführen und die
Zeitdauer ihrer Ausscheidung feststel¬
len, oder den Patienten das Mittel per o^
einnehmen lassen und von der Zeitdauer
des Erscheinens der gefärbten Fäzes die
abgeschätzte Magenmotilität abziehen.
Erwähnung finden soll auch die Tat¬
sache, dass das Karmin zur experimen¬
tellen Demonstration der „Schichtung“
des Mageninhalts während der vor sich
gehenden Verdauung bei Tieren eben¬
falls verwendet worden ist.
Ich möchte nun die folgenden weite¬
ren diagnostischen Indikationen in Vor¬
schlag bringen :
1. Zur Feststellung, ob der Verdau-
ungstrakt frei oder überstaut ist, und ob
eine bestehende Stauung vorübergehend
oder andauernd ist.
2. Zur Entdeckung einer fistulösen
Verbindung mit dem Verdauungstrak-
tus.
3. Zum Nachweise, auf einfache Art.
5) Schmidt, Die Funktionspr ?fung des Darmes.
2. Aufl. 1908.
6) Spivak, Denver Medical Times. Nov. 1910.
Original fro-m
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New Yorker Medizinische Monatsschrut.
113
ob eine Duodenalsonde im Duodenum
oder im Magen ist.
4. Als Hilfsmittel bei der Diagnose
von Oesophagusdilatation und Diver¬
tikel.
Ich habe das Karmin öfters für die
drei erstgenannten Zwecke verwendet
und kann die Methode wegen ihrer Ein¬
fachheit und Genauigkeit empfehlen.
Unter normalen Umständen muss das
Karmin, da es nicht resorbiert wird, den
Verdauungskanal passieren und in den
Fäzes zum Vorschein kommen, wie ge¬
sagt durch die leicht erkennbare rote
Farbe. Eventuelles verzögertes Er¬
scheinen kann verursacht werden durch
motorische Schwäche des Darmes oder
des Magens, spastische Kontraktionen,
irgendeine der vielen Formen von teil-
weiser Stockung, Verstopfung usw.
Bei Abwesenheit von Erbrechen muss
das Ausbleiben der Farbe im Stuhle ei¬
ner vollständigen Stauung akuter oder
chronischer Art irgendwo im Verdau-
dungstraktus zugeschrieben werden.
Als Beispiele der praktischen Verwer¬
tung des Verfahrens möchte ich erwäh¬
nen die Differentialdiagnose zwischen
spastischen und echt anatomischen Zu¬
ständen im Oesophagus, der Kardia,
dem Pylorus und dem Darme, mit voll¬
ständiger oder unvollständiger Obstruk¬
tion. Ich möchte besonders seine An¬
wendung vorschlagen bei vermuteter
infantiler oder sogenannter kongenita¬
ler Pylorusstenose. Nobecourt und
M e r k 1 i n 7 ) haben gezeigt, dass bei
normalen Kindern, bis zu drei Monate
alt, die Verabreichung von 0.015 g Kar¬
min in drei bis neun Stunden von rotem
Stuhlgange gefolgt wird. Daher musste
die vollständige Karminretention end¬
gültig eine anatomische Obstruktion ir¬
gendwo im Verdauungstraktus bewei¬
sen.
Zur genaueren Feststellung der Art
und des Ortes der Stockung unter ir¬
gendwelchen der vorgenannten Um-
7) Nobecourt und M e r k 1 i n. Bull. d. I. Soc.
d. Pediatrie. 12. I. 1910.
stände müssen wir die klinischen Daten
heranziehen, ferner die Anwendung von
Sonden, die Instrumente für direkte
U ntersuchungen, die Röntgenstrahlen,
usw. ln geeigneten Fällen haben alle
diese Prüfungsmethoden unschätzbaren
Wert. Wenn dieselben jedoch nicht
verwendbar sind, dann wird die Dar¬
reichung einiger Zentigramm Karmin,
mit etwas Wasser oder Nahrung, ge¬
fahrlos und unbedenklich sein und die
Situation möglicherweise erhellen.
Der besondere Wert der Karminprü¬
fung ist evident in Fällen von Darmob¬
struktion, bei der Stuhlgang stattfindet,
die Fäzes aber von einer Stelle unter¬
halb der Obstruktion stammen. Wenn
in einem solchen Falle ungefärbte Fäzes
nach Darreichung von Karmin ausge¬
schieden werden, so ist die komplette
Obstruktion positiv erwiesen. Der fol¬
gende Fall veranschaulicht diese Tat¬
sache:
Herr A. B., vor einigen Jahren in
Konsultation mit Herrn Dr. A. Mayer-
New York behandelt. Vor einiger Zeit
wurde das Colon ascendens wegen Kar¬
zinom reseziert. Kurz nach der darauf¬
folgenden Erleichterung stellte sich er¬
neute und allmählich stärker werdende
Stuhlverstopfung ein, bis ein Zustand
von völligem Darmverschluss mit häu¬
figem Erbrechen, das später fäkal wur¬
de, vorhanden war. Zu gleicher Zeit
entleerte sich doch etwas Stuhl per rec¬
tum, entweder spontan oder nach einem
Einlauf. Durch Magenausspülung und
Atropin subkutan wurde das Erbrechen
beseitigt, und auch das Allgemeinbefin¬
den besserte sich einigermassen. Es
war nunmehr von therapeutischem und
prognostischem Standpunkte wichtig, zu
ermitteln, ob die Obstruktion eine voll¬
ständige war oder nicht. Der Patient,
der zu Hause lag und zu krank war, um
sich irgendwelchen umständlichen Prü¬
fungsmethoden zu unterziehen, bekam
sodann 0.3 Karmin mit etwas Wasser
vermischt, ohne dass er darauf erbrach.
Die folgenden Stuhlgänge wiesen keine
Rotfärbung auf. Dieselbe Dosis Kar-
Qrigiraal fro-m
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114
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
min wurde am nächsten Tage wieder ge¬
geben, mit dem gleichen Resultate. Die
Schlussfolgerung, dass es sich um eine
komplete Retention handele, wurde
durch die Folge bestätigt. Das Kot¬
erbrechen stellte sich bald wieder ein,
begleitet von heftiger Darmperistaltik,
starken Gurgellauten, vollständiger
Stuhlretention, schnell wachsendem Stu¬
por und allen anderen Erscheinungen
einer totalen Intestinalobstruktion und
systematischen Vergiftung.
Der Wert des Karmins zum Nach¬
weise von extern gelegenen Fisteln
zeigte sich besonders in einem Falle, der
im Jahre 1900 von mir behandelt wurde.
Herr A. G., 45 Jahre alt, hatte seit
fünf Monaten schwere krampfartige
Schmerzen, die vom Rücken zum Hypo¬
gastrium strahlten. Gleichzeitig trat,
an Stelle des bisher regelmässigen
Stuhlganges, Verstopfung ein, die je¬
doch auf milde Laxantien oder Einläufe
übermässig reagierte. Manchmal war in
den Fäzes Blut vorhanden. Der Patient
war etwas blass, hatte an Gewicht ver¬
loren und klagte über Schwäche. In den
sechs Wochen, bevor er in Behandlung
trat, bemerkte er eine Trübung des
Urins und öfters Schmerzen unmittelbar
vor der Harnentleerung.
Abgesehen von den Symptomen der
Allgemeinschwäche war die körperliche
Untersuchung negativ. ' Das Abdomen
war weich, auf Druck nicht schmerzhaft,
und Veränderungen konnten nicht
wahrgenommen werden. Mehrmalige
Untersuchungen des frischgeleerten
Urins zeigten eine saure Reaktion, sehr
trübes Aussehen, keinen besonderen Ge¬
ruch ; im Sediment waren mikroskopisch
Erythrozyten, Eiterzellen und viele ge¬
streifte Muskelfasern erkennbar.
Der letztgenannte Befund konnte nur
einem intra vesikulären Rhabdomyoma
oder einem fistulösen Gange zwischen
der Blase und dem Darm zugeschrieben
werden. Um die Diagnose aufzuklären,
wurde eine fleischfreie Diät und 0.3
Karmin per os verschrieben. Bald dar¬
auf zeigte sich rot gefärbter Urin, der
Karminkristalle, aber keine Muskel¬
fasern enthielt. Dadurch war also ein
Rhabdomyoma ausgeschlossen, und das
Bestehen einer intravesikulären Fistel
bewiesen. Die Cystoskopie, welche ei¬
nige Tage darauf von Herrn Dr. E 1 s-
b e r g - New York vorgenommen wur¬
de, zeigte einen Tumor ca. 1 Zoll im
Durchmesser, der sich am Boden der
Blase, grösstenteils auf der linken Seite,
befand. Der Tumor war mit normaler
Schleimhaut bedeckt, aber von einer tie¬
fen Röte umgeben. Sonst war die Blase
normal; eine Ulzeration oder Fistel war
nicht nachzuweisen.
Eine positive Diagnose auf bösartigen
Darmtumor mit fistulösem Gange in die
Blase wurde gestellt. Eine Woche spä¬
ter hatte der Urin zum ersten Male ei¬
nen deutlich fäkalen Geruch, es waren
in demselben nunmehr Kotteilchen und
Blut makroskopisch zu sehen. Danfi war
auch ein Abdominaltumor zu palpieren.
Der Patient kam zur Operation, und es
zeigte sich ein unoperierbares Lympho¬
sarkom des Ileum, das der Blase anhaf¬
tete und in diese durchbrach. Eine spä¬
tere Autopsie bestätigte die vorstehen¬
den Befunde.
Der Fall zeigt deutlich die Leichtig¬
keit, mit welcher eine nach aussen- füh¬
rende Fistel diagnostiziert werden kann,
selbst wenn die gewöhnlichen Merk¬
male fäkaler Natur fehlen. Ferner deu¬
tet er darauf hin, dass mittels der Kar¬
minmethode irgendeine Fistelkommuni¬
kation zwischen dem Verdauungskanal
und der Aussenfläche des Körpers er¬
mittelt werden kann.
Bei Duodenalintubation und -Ernäh¬
rung ist es wichtig zu wissen, ob das
Distalende der Sonde sich im Duodenum
oder im Magen befindet. Es ist nicht
immer möglich, den Saft aufzusaugen,
und wenn er goldgelb ist und eine star¬
ke Kongoreaktion gibt, so kann er ent¬
weder vom Magen oder vom oberen
Duodenumabschnitt stammen. Die Fra¬
ge kann leicht gelöst werden, wenn man
den Patienten etwas klare, frische, wäs¬
serige Karminlösung trinken lässt und
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/ New Yorker Medizinische Monatsschrift.
115
dann die Nahrung>spritzc sofort an¬
bringt und aufsaugt. Ist das Ende der
Sonde im Magen, wird Karminlösung
heraufgezogen; wenn im Duodenum,
entweder garnichts oder nur der charak¬
teristische gallengelbe Duodenalsaft.
Der folgende Fall zeigt die praktische
Karminanwendung für diesen Zweck:
Frau H. R. wurde mit der Duodenal-
Xahrungssonde nach H i n h o r n we-
gens Ulcus ventriculi behandelt. Am
achten Tage rührte sie an der Sonde un¬
absichtlich mit der Hand und war so¬
dann nicht davon abzubringen, dass die
Kapsel nunmehr im Magen war. Die
Patienten, welche häufig an Parästhesien
litt, klagte, dass nicht nur die harte Kap¬
sel Schmerzen im Magen verursachte,
sondern dass sie bei jeder Mahlzeit die
Nahrung im -Magen fühlte. Um der
Patientin ihre Sorgen zu beseitigen, gab
ich ihr 50.0 ccm einer klaren, tiefroten
Karminlösung, und trotz wiederholten
Saugens acht Minuten hindurch konnte
keine rote Flüssigkeit erlangt werden.
Obwohl die Röntgenstrahlendemon¬
stration bei weitem die beste Methode
zur Diagnose und Differentialdiagnose
von Oesophagusdilation und Divertikel
darstellt, wird hiermit vorgeschlagen,
das Karmin für diesen Zweck in dersel¬
ben Weise zu verwenden wie die bisher
gebrauchten, weniger deutlichen Nah¬
rungsflüssigkeiten (schwarzen Kaffee,
Milch usw.). Das Karmin hat den be¬
sonderen Vorteil, dass es ungiftig ist,
von jedermann genommen werden kann
und seine physikalisch-chemischen Ei¬
genschaften nicht verändert.
Zum Schluss möchte ich zusammen¬
fassen, dass wir in der Karminprobe ein
einfaches, harmloses, verlässliches und
handliches Prüfungsverfahren besitzen
für die Trennung der Fäzes, die Bestim¬
mung der Magendarmmotilität und
Wegsamkeit, zur Feststellung von Fi¬
stel-Kommunikationen zwischen dem
Yerdauungskanal und dem Körper¬
äusseren oder anderen Eingeweiden,
zum Nachweise des distalen Endes der
Duodenalsonde im Duodenum und als
Hilfsmittel bei der Unterscheidung
zwischen Oesophagaldivertikulum und
-dilatation.
Bei der allgemeineren Anwendung des
Mittels werden sich wohl weitere An¬
wendungsgebiete dafür finden.
In der Diskussion, die dieser Mittei¬
lung folgte, sagte Herr Dr. Willy
M e y e r - New York, dass in einem der
Fälle von transthorakischer Thorakoto¬
mie, die er im Journ. of the Amer. med.
Assoc. vom 20. V. 1911 mitteilte, sich
eine äusserliche Fistel nach der Opera¬
tion entwickelte. Der Beweis, dass die¬
selbe mit dem Oesophagus kommuni¬
zierte, wurde dadurch geliefert, dass er
den Patienten etwas Karmin schlucken
liess, das am nächsten Tage durch die
Rotfärbung des Verbandes sichtbar war.
Ueber Entfernung von Flecken aus Geweben und von der
Haut, verursacht durch Arzneimittel, Chemikalien, etc.
Manche Arzneimittel und Chemikalien
hinterlassen in Geweben, besonders in
der Wäsche, und auf der Haut unange¬
nehme Flecken, die selbst durch wieder¬
holtes Waschen mit Wasser und Seife
nicht entfernt werden können. Man be¬
darf dazu je nach Alter und Art der
Flecken verschiedene Chemikalien und
Lösungsmittel. Die nachstehenden An¬
gaben bringen wir aus einem längeren
Artikel in der „Pharm. Zentralhalle“
1914, Nr. 20, wie derselbe in der Wien,
klin. Rdsch. 1914 Nr. 28 wiedergegeben
ist.
Für die Entfernung von Flecken sind'
vor allem folgende Momente in Betracht
zu ziehen :
1. Die Entfernung von Flecken ist
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tunlichst bei Tageslicht (nicht bei künst¬
licher Beleuchtung) vorzunehmen, er¬
stens, weil sich die Farbenabstufungen
und das Endresultat besser beurteilen
lassen und zweitens wegen der Feuerge¬
fährlichkeit mancher Fleckenentfer¬
nungsmittel, wie Aether, absoluter Alko¬
hol, Benzin, Benzol, Weingeist und Ter¬
pentinöl.
2. Je frischer die Flecken sind, um so
leichter lassen sie sich entfernen. Alte
Flecken sind durch tiefes Eindringen in
die Gewebe, Aufnahme von Staub und
Oxydation durch den Sauerstoff der
Luft widerstandsfähiger. Zu ihrer Ent¬
fernung sind die angegebenen Mittel
meist wiederholt anzuwenden.
3. Vor Anwendung eines Verfahrens
empfiehlt es sich, mit einem Probestück¬
chen des zu reinigenden Gegenstandes
einen Versuch anzustellen, ob mit dem
Verfahren die gewünschte Wirkung er¬
zielt wird oder ob die Farbe oder die
Gewebe unter der Behandlung zu stark
angegriffen werden; im letzteren Falle
sind verdünntere Lösungen anzuwen¬
den.
4. Alle Gewebe (Wäsche), die zur
Entfernung der Flecken mit Salzsäure,
Chlorkalklösung, Chlorwasser und Eau
de Javelle behandelt sind, werden nach
gutem Auswaschen mit Wasser noch 15
bis 20 Minuten in eine Lösung von Na¬
triumthiosulfat (unterschwefligsaurem
Natrium) 1 + 10 gelegt, zur Entfer¬
nung der letzten Spuren Chlor, und dann
nochmals mit reinem Wasser ausgewa¬
schen.
5. Bei farbigen Geweben ist die An¬
wendung bleichender Chemikalien, wie
'Chlorkalklösung, Chlorwasser, Eau de
Javelle und Wasserstoffperoxyd nicht
anwendbar, weil dadurch weisse Flecken
entstehen.
6. Auf die Giftigkeit verschiedener
Fleckenreinigungsmittel, wie Chloro¬
form, Zyankalium, Kleesalz u. s. w.,
braucht an dieser Stelle wohl kaum noch
besonders hingewiesen zu werden.
A. Flecken anorganischen Ursprungs.
Chromsäure-Flecken
(auch Flecken von Kaliumdichromat)
entfernt man von der Haut und aus
Weisswaren mit einer Mischung von 10
Gramm verdünnter Schwefelsäure (1 +
5) und 5 g zerriebenem Natriumthiosul¬
fat und darauffolgendem Abwaschen mit
viel Wasser.
Goldsalz-Flecken.
Auf der Haut und in Weisswaren wer¬
den die Flecken mit einer Lösung von 1 g
Zyankalium in 5 g Wasser betupft und
nach einigen Minuten mit Wasser abge¬
waschen.
Höllenstein- ( Silbersalz -) Flecken.
(a) Auf der Haut. Frische schwarze
Hecken werden, mit einer # Lösung von
1 g Jodkalium in 2 g Wasser eingerieben,
gelblichweiss und lassen sich dann leicht
mit Natriumthiosulfatlösung (1 + 10)
vollständig entfernen. Alte schwarze
Flecken entfernt man mit einer Lösung
von 1 g Zyankalium in 50 g Wasser und
Nachspülen mit Natriumthiosulfatlösung
(1 + 10). Ebenso kann zu diesem
Zweck das ,,Sublimatfleckwasser“ von
Sylla benutzt werden, es besteht aus ei¬
ner Lösung von 1 g Quecksilbersublimat
und 1 g Salmiakpulver in 8 g destillier¬
tem Wasser.
(b) Auf Weisswaren (Wäsche).
Frische Flecken betupft man mit einer
Lösung von 1 g Jodkalium in 10 g Was¬
ser, bis sie gelblich geworden sind, dann
betupft man statt mit Jodkaliumlösung
mit einer Lösung von 1 g Natriumthio¬
sulfat in 10 g Wasser und wäscht mit
vielem Wasser gut aus. Alte Flecken
betupft man statt mit Jodkaliumlösung
mit einer Lösung von 1 g Zyankalium in
50 g Wasser, bis sie verschwinden und
behandelt sie dann weiter ebenso wie die
frischen.
(c) Auf gefärbten baumwollenen und
wollenen Stoffen (auch Weisswarefi).
Die Flecken werden mit einer Lösung
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
117
von 2 g Kupferchlorid in 8 g Wasser
betupft, bis sie verschwinden, dann be¬
tupft man sie mit Natriumthiosulfat¬
lösung (1 -f- 10) und wäscht mit war¬
mem Wasser gut aus.
(d) Rühren die Flecken auf den Ge¬
weben von Höllensteinsalbe her, so ist
das Fett vor der Behandlung mit den
Lösungen durch Benzin, Aether oder
Chloroform zu entfernen.
Jo d- ( Jodtintur -) Flecken.
(a) Von der Haut lassen sich die gel¬
ben bis braunen Flecken durch mit Was¬
ser befeuchtetes, zerriebenes Natrium¬
thiosulfat entfernen, welches wiederholt
angewendet werden muss.
(1)) Aus Weisswaren (Wäsche) ent¬
fernt man die gelben bis braunen Flecken
durch eine Lösung von 1 g Natriumthio¬
sulfat in 10 g Wasser und tüchtiges Aus¬
waschen ; oder man träufelt eine Lösung
von 2 g Jodkalium in 8 g W asser auf
die Recken und wendet nach 30 Minu¬
ten erst die Natriumthiosulfatlösung an.
Ist in der Wäsche viel Stärke vorhan¬
den, zum Beispiel in Oberhemden, Kra¬
gen, Stulpen usw., so entstehen mit Jod
dunkelblaue Flecken (Jodstärke), die
ausser mit obiger Behandlung noch mit
absolutem Alkohol entfernt werden
können.
Kaliiitnpermanganat-Flecken.
(a) Von der Haut lassen sich Flecken
von übermangansaurem Kali, nur so¬
lange sie noch frisch sind, mit einer Mi¬
schung von gleichen Teilen Salzsäure
und Wasser entfernen. Alte Flecken be¬
seitigt man (zugleich mit der Oberhaut)
nur durch Abreiben mit Bimsstein von
den Händen.
(b) Aus Weisswaren (Wäsche). Man
träufelt auf die Flecken eine Lösung
von 1 g Oxalsäure in 9 g heissem Was¬
ser und wäscht nach einigen Minuten
mit viel Wasser nach; oder man träufelt
auf die Flecken eine Lösung von 1 g Na-
triumbisulfit in 5 g Wasser und nach ei¬
nigen Minuten dieselbe Lösung mit zwei
bis drei Tropfen Salzsäure versetzt, dann
wird mit viel W'asser gut ausgewaschen;
oder die Flecken werden mit einer Mi¬
schung von 1 g Schwefelammonium und
5 g W asser beträufelt und nach einigen
Minuten mit viel heissem Wasser ausge¬
waschen.
Lauge-Flecken
aus farbigen Stoffen werden durch wie¬
derholtes Auftupfen mit Speiseessig und
Auswaschen mit Wasser entfernt.
Säure-Flecken
sind, solange sie noch frisch und nicht
von zu konzentrierten Mineralsäuren,
welche die Gewebe meist stark angreifen
oder zerstören, herrühren, leicht durch
Salmiakgeist oder eine Lösung von 10 g
doppeltkohlensaurem Natrium in 150 g
Wasser zu entfernen, wenn man die
Stoffe damit tüchtig durchtränkt und
dann in reinem W asser auswäscht. Bei
älteren Flecken erzielt man durch ein
längeres und wiederholtes Einwirken
obiger Mittel mitunter noch die beab¬
sichtigte Wirkung.
B. Flecken organischen Ursprungs.
Anilinfarben-Flecken.
(a) Auf der Haut. Chlorkalk und
Wasser werden zu einem dicken Brei
verrührt, der auf die gefärbten Stellen
gelegt wird, von denen man vorher
durch Wasser und Seife den grösseren
Teil des Farbstoffes entfernt hat. Die
Flecken verschwinden erst nach längerer
und wiederholter Einwirkung des Breies.
Eine erbsengrosse Menge kristallisier¬
ter Chromsäure löst man in einigen
Tropfen Wasser und mit dieser Lösung
werden die Flecken betupft und schnell
mit W'asser abgespült. Nötigenfalls ist
der Versuch einigemal zu wiederholen.
(b) In Weisswaren. Die Flecken
werden mit einer Mischung von 5 g Es¬
sigsäure in 50 g Weingeist wiederholt
betupft und ausgewaschen.
Die mit Wasser gut durchfeuchteten
Flecken werden abwechselnd je fünf Mi¬
nuten mit Eau de Javelle und darauf mit
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118
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
einer Mischung von 5 g Salzsäure und
100 g Wasser behandelt, bis die Flecken
verschwunden sind. Darauf muss man
mit Wasser gut auswaschen, zuletzt mit
Natriumthiosulfatlösung.
In 50 g heissen Wassers wird 1 g
übermangansaures Kalium gelöst und
diese Flüssigkeit wird langsam auf die
Flecken geträufelt, nach zehn Minuten
werden die Flecken mit einer Lösung
von 10 g doppeltschwefligsaurem Natri¬
ums in 50 g Wasser, der einige Tropfen
Salzsäure zugesetzt sind, betupft. Dann
wird gut ausgewaschen.
Blut-Flecken.
Aeltere Blutflecken, die sich mit Was¬
ser und Seife nicht entfernen lassen, be¬
handelt man mit einer warmen Lösung
von l g Kleesalz in 5 g Wasser und spült
mit heissem Wasser nach.
Chrysarobin-Flecken.
(a) Von der Haut reibt man die
Flecken mit absolutem Alkohol, Benzol
oder Chloroform ab und wäscht mit
Wasser nach.
(b) Auf Weisswaren. Man behandelt
die Flecken zuerst mit Chloroform, dann
mit absolutem Alkohol und wäscht zu¬
letzt mit Wasser nach.
Auf die Flecken träufelt man Benzol,
drückt dies nach einiger Zeit aus, wieder¬
holt dasselbe, wenn nötig, und wäscht
schliesslich mit warmem Wasser nach.
Man kann auch die Flecken mit einer
Mischung von gleichen Teilen Benzol
und absolutem Alkohol wiederholt be¬
netzen und ausdrücken und zuletzt mit
warmem Wasser auswaschen.
Ichthyol-Flecken
werden durch Auswaschen mit warmem
Seifenwasser entfernt.
Leinöl- und Firnis-Flecken .
Frische Leinölflecken sind aus Stoffen
leicht durch Benzin, Aether oder Chloro¬
form zu entfernen.
Alte, verharzte Leinölflecke behandelt
man mit französischem Terpintinöl und
wäscht mit Seifenwasser, dem etwas So¬
da zugesetzt ist, nach.
Frische Firnisflecken lassen sich durch
Chloroform entfernen. Alte Firnis¬
flecken bringt man nur schwer und lang¬
sam weg. Zuerst wendet man eine Mi¬
schung von gleichen Teilen Aether und
französischem Terpentinöl an, mit der
die Flecken längere Zeit erweicht wer¬
den, dann werden sie mit einer heissen
Auflösung von 10 g Soda in 40 g Was¬
ser, zuletzt nur mit heissem Wasser aus¬
gewaschen.
Perubalsam-Flecken .
Die Flecken werden zuerst mit Chloro¬
form wiederholt reichlich befeuchtet und
dasselbe durch Ausdrücken möglichst
entfernt, darauf mit Weingeist, dann mit
Seifenspiritus behandelt und zuletzt mit
Seifenlösung ausgewaschen.
Pikrinsäure-Flecken.
Auf frische Pikrinsäure-Flecken schüt¬
tet man einen Brei von kohlensaurer
Magnesia mit Wasser, lässt diesen län¬
gere Zeit ein wirken und verreibt ihn
tüchtig; dann wäscht man mit starkem
Seifenwasser aus. Auf ältere Flecken
träufelt man eine Lösung von 1 g Schwe¬
felleber in 5 g Wasser und wäscht nach
ein bis zwei Minuten mit starker Seifen¬
lösung gut aus.
Protargol-Flecken.
Frische Protargol-Flecken kann man
durch stundenlanges Einweichen in eine
starke Seifenlösung und darauf folgen¬
des Auswaschen entfernen. Alte Flecken
weicht man in einer Mischung von glei¬
chen Teilen Wasserstoffperoxyd und
Salmiakgeist zehn Minuten ein (man
kann statt dieser Mischung auch eine
Lösung von Natriumthiosulfat 10:100
nehmen), bringt den Stoff dann einige
Stunden in starke Seifenlösung, wäscht
die Flecken damit aus und spült mit rei¬
nem Wasser nach.
Pyrogallol-Flecken.
Frische Flecken von Pyrogallussäure
werden mit einer Lösung von 1 g Ferro-
Qriginal fro-m
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New Yorker Medizinische Monatsschrut.
119
sulfat in 9 g Wasser betupft, bis sie eine
dunkelblaue Farbe angenommen haben,
dann wird die Wäsche mit destilliertem
Wasser gut ausgespült und die Flecken
mit einer bereit gehaltenen Lösung von
1 g Kleesalz in 5 g Wasser möglichst
schnell befeuchtet und mit vielem Was¬
ser gut ausgewaschen.
Nicht zu alte Flecken entfernt man
durch Behandeln mit einer Lösung von
2 g Ammoniumpersulfat in 10 g Wasser
und darauf folgendes Auswaschen mit
reinem Wasser.
Resorzin-Flecken ,
Die Flecken werden mit einer Lösung
von 2 g Zitronensäure in 10 g Wasser
fünf Minuten lang befeuchtet, dann mit
Aether ausgewaschen und darauf in
Wasser eingeweicht und ausgespült.
Styrax-Flecken
entfernt man aus der Wäsche durch wie¬
derholtes Durchtränken mit Benzol und
Ausdrücken des Gewebes, darnach
wäscht man mit absolutem Alkohol gut
aus.
Teer-Flecken .
Da es mehrere Teersorten gibt (Bu¬
chenholzteer, Steinkohlenteer usw.) von
abweichender Zusammensetzung und
Konsistenz, so sind hier verschiedene
Verfahren der Fleckenreinigung ange¬
geben. Es empfiehlt sich, eine Prüfung
der einzelnen Verfahren zunchst an klei¬
nen Flecken vorzunehmen, um das geeig¬
nete herauszufinden.
1. Die Flecken in Weisswaren werden
mit Wasser befeuchtet, mit französi¬
schem Terpentinöl und einem Borsten¬
pinsel behandelt, beiderseits mit weissem
Fliesspapier bedeckt und mit einem hei¬
ssen Bügeleisen mehrfach überfahren,
zuletzt mit warmem Seifenwasser ausge¬
waschen.
2. Besonders alte und harte Flecken
weicht man mit warmem Wasser und
warmem Olivenöl (oder Schweinefett)
auf, behandelt sie dann mit Hilfe eines
Borstenpinsels abwechselnd mit starker
Seifenlösung und französischem Terpen¬
tinöl und wäscht sie dann mit heissem
Wasser aus.
3. Die Flecken werden zuerst mit Te¬
trachlorkohlenstoff und einem Borsten¬
pinsel behandelt, darauf mit Seifenspiri¬
tus und nachher mit Weingeist und Sei¬
fenwasser ausgewaschen.
4. Die Flecken werden mit einer Mi¬
schung von Eigelb mit Terpentinöl be¬
strichen, nach einer Stunde wird die
trockene Kruste abgekratzt und mit
heissem Wasser nachgewaschen. Etwa
noch vorhandene, gelbliche Flecken be¬
seitigt man mit schwach durch Salzsäure
angesäuertem Wasser und wäscht dann
mit viel kaltem Wasser, zuletzt mit Na¬
triumthiosulfatlösung nach.
Redaktionelles.
Kriegsbetrachtungen.
Mit jedem Schiff treffen Amerikaner
hier ein, die aus den im Kriege stehen¬
den Ländern zurückkehren. Ein Teil
dieser Ankömmlinge erzählt die schau¬
erlichsten Geschichten über die angeb¬
lichen Grausamkeiten, welche die
Deutschen im Feindesland ausgeübt
haben sollen und die von der anglo-
amerikanischen Presse gierig aufge¬
nommen und publiziert werden. Ihnen
gegenüber finden die Stimmen hervor¬
ragender Amerikaner, die in der
Kriegszone verweilt hatten und diese
Schauerberichte als unwahr und er¬
funden bezeichnen, kaum Gehör. Dass
sich aber sogar Aerzte, denen man
doch mehr Beobachtungsgabe und
auch Anstandsgefühl Zutrauen sollte,
nicht scheuen, derartige Lügenberich¬
te in die Welt zu setzen, ist auf das
tiefste zu bedauern.
Die Evening Post brachte an hervor-
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HARVARD UNIVERSITY
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
ragender Stelle einen Bericht eines ge¬
wissen Dr. Frederic S. Mason, 12
F'ifth Avenue, New York — die deut¬
schen Kollegen wollen sich den Namen
dieses Edlen merken — der soeben aus
Frankreich zurückkam und die unglaub¬
lichsten Lügen über die deutsche Armee
erzählt. Dabei gibt er selbst zu, dass
alles, was er zu erzählen hat, auf Hö¬
rensagen beruht. „I was told.“ So
gibt er an, dass ihm gesagt worden sei,
dass die Deutschen keine Gefangenen
machten, dass daher viele französische
Soldaten aufgefunden worden seien
mit durchschnittenen Hälsen : dass die
Deutschen den nur leicht verwunde¬
ten englischen Soldaten Hände und
Füsse banden und sie dann in die Maas
warfen. Eine andere Geschichte, die
„von den französischen Behörden un¬
tersucht und als wahr befunden wur¬
de“ ist folgende: Deutsche Ulanen
wurden sinnlos betrunken in einer Ke¬
gelbahn in einem Städtchen in der
Nähe von Lüttich gefunden; in dem
gleichen Raum fanden sich die Lei-
rlien von drei Kindern, denen die
Köpfe abgeschnitten waren. Soweit
sind dies alles nur Geschichten, die
Dr. Mason, wie er selbst zugibt, nur
„gehört“ hat. Jetzt kommt aber eine
Sache, die er „selbst gesehen“ hat:
In einem Hospital in Belgien sah Dr.
Mason einen Vater mit seinen bei¬
den Töchtern im Alter von 16 und 25
Jahren. Dieselben waren durch das
Ambulanzkorps eingeliefert worden
und werden mit ganz besonderer Sorg¬
falt gepflegt, um ihre Genesung sicher¬
zustellen. Ist diese erfolgt, werden die
drei nach den Vereinigten Staaten ge¬
bracht, um den lebenden Beweis für
die deutschen Grausamkeiten zu lie¬
fern. Die beiden Mädchen waren näm¬
lich von deutschen Ulanen geschändet
und verstümmelt worden. Dies hat
zwar Dr. Mason nicht selbst gese¬
hen, allein das hält ihn nicht davon ab,
das Ganze als Tatsache hinzustellen,
von welcher er sich im Gegensatz von
seinen sonstigen Mordgeschichten per¬
sönlich überzeugt hat. Fürwahr für
einen Arzt eine traurige Schlussfolge¬
rung! Dr. M a s o n sieht sich dann
noch bemüssigt, hinzuzusetzen: „Ich
möchte sagen, dass Vierfünftel der
weiblichen Flüchtlinge von den deut¬
schen Eindringlingen geschändet und
dann in der Regel noch in der einen
oder anderen Weise verstümmelt wur¬
den.“
Wenn englische und französische
Zeitungen derartige Schand- und Lü¬
gengeschichten veröffentlichen, so
lässt sich dies zwar nicht verstehen,
aber doch erklären; wenn aber ein Arzt
in einem neutralen Lande, in dem Milli¬
onen von Deutschen und Tausende von
deutschen Aerzten leben, derartige Lü¬
gengeschichten bekanntgibt, so kann dies
nicht scharf genug gebrandmarkt wer¬
den. Ein derartiges Benehmen ist ei¬
nes Arztes unwürdig und die einzige
Erklärung dafür ist die, dass der Herr
eben Engländer ist, wie aus seiner An¬
gabe, dass er in Rangoon in der engli¬
schen Armee im Feldzug gegen Bur¬
ma gedient hat, hervorgeht. Wir ver¬
stehen ja, dass bei der hier bestehen¬
den Pressfreiheit ein Verbot seitens
der Bundesregierung, derartige Arti¬
kel zu veröffentlichen, nicht erwartet
werden darf, aber ein moralischer
Druck seitens der Regierung wäre
doch am Platze und vielleicht auch
von Nutzen. Es lässt sich psycholo¬
gisch auch sehr schwer verstehen,
dass sich Staatssekretär B r y a n die
grösste Mühe gibt, zur Zeit mit allen
möglichen Staaten Friedensverträge •
abzuschliessen, dabei aber ruhig zu¬
sieht, wenn in der Presse fortwährend
Artikel veröffentlicht werden, die zum
Rassenhass und Rassenkrieg aufrei¬
zen.
Dass England vorbildlich für die
Verbreitung dieser Berichte wirkt,
wird durch folgendes illustriert: Die
Londoner militärische Zeitschrift
„The War“ bringt der D. m. W. zu¬
folge auf dem Umschlag einer ihrer
letzten Nummern eine neue Waffe, das
„Rote Kreuz-Maschinen-Gewehr.“ In
einem mit dem roten Kreuz ge¬
schmückten Wagen ist ein Maschinen¬
gewehr eingebaut, das von mehreren
deutschen Soldaten mit grimmigem
Aussehen bedient wird. Das verlo¬
gene Bild zeigt die Patronen im Lade¬
streifen des Maschinengewehres falsch
eingesetzt, den Boden nach vorn, das
Geschoss nach hinten, sodass ein
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
121
Schiessen unmöglich ist. Trotzdem
sieht man das Gewehr auf dem Bilde
in voller Tätigkeit. Auch tragen die
deutschen Soldaten Schuppenketten
unterm Kinn, die es bekanntlich in der
Feldarmee nicht gibt.
Die D. m. \Y. scheint übrigens be¬
züglich der Beurteilung derartiger Lü¬
genberichte im Auslande etwas zu op¬
timistisch zu sein. Sie schreibt u. a.
in ihrer Nummer vom 24. September
folgendes: „In den Lügenfeldzügen
der feindlichen Zeitungen sind wir
auch weiterhin unterlegen, da wir
glücklicherweise über ein gleich star¬
kes Aufgebot an Schamlosigkeit und
Niedertracht wie unsere Gegner —
einschliesslich der amtlich „festgena¬
gelten“ englischen Gesandten in Kon¬
stantinopel, Kopenhagen, Haag u. a.
(). — nicht verfügen. Wir haben auch
diese Angriffe nicht mehr so zu fürch¬
ten, denn im Auslande hat man fast
überall inzwischen die Wahrheit er¬
kannt. Und so können wir -auch ge¬
lassen den Vorwurf des „Vandalis¬
mus“ und der „Barbarei“ ertragen.
.... Lassen wir also die belgische
Mission in Amerika Klage über unse¬
ren Vandalismus führen. Sobald erst
unsere zur Feststellung russischer und
belgischer Grausamkeiten eingesetz¬
ten staatlichen Kommissionen ihre —
hoffentlich mit nicht allzu grosser
Gründlichkeit ausgedehnte — Arbeit
beendet und bekannt gegeben haben
werden, wievielen ostpreussischen
Frauen durch Kosaken die Brüste ab¬
geschnitten und die Bäuche aufge¬
schlitzt, wieviele deutsche Offiziere
von gastfreundlichen belgischen Be¬
amten beim Mittagstisch heimtückisch
erschossen, wieviele Mitglieder unse¬
res Sanitätspersonals bei der Aus¬
übung ihres Berufs den Franktireurs
zum Opfer gefallen sind, wieviele Sol¬
daten von Dum-Dum-Geschossen ver¬
letzt worden sind — dann wird auch
das uns wenig wohlwollende Ausland
erkennen, auf welcher Seite Barbarei
und Kannibalentum zu suchen ist.“
Die D. m. W. kennt eben die hiesige
anglophile Presse nicht. Wer hier et¬
was den Alliierten Nachteiliges Vor¬
bringen will, predigt tauben Ohren.
Dr. Louis Livingston Seaman,
das Seitenstück zu Dr. M a s o n, lässt
wieder von sich hören. Nachdem er,
um dem ihm bevorstehenden Diszipli¬
narverfahren zu entgehen, schleunigst
seine Resignation als Arzt des ameri¬
kanischen Reservekorps eingeschickt
hatte, die auch prompt angenommen
wurde, konnte er es sich erlauben, wie¬
der von neuen Heldentaten zu berich¬
ten. Die diesbezüglichen Kabelmel¬
dungen sind jedoch so läppisch, dass
es sich wirklich nicht verlohnt, näher
darauf einzugehen.
Das Bestehen eines Morphiumman¬
gels, der die preussische Regierung,
veranlasst hat, die Aerzte zur Spar¬
samkeit bei der Verordnung von Mor¬
phium aufzufordern (vergl. Septem¬
ber-Nummer S. 93) wird von der Fir¬
ma E. Merck, Darmstadt, bestritten.
Die Firma schreibt: „Die deutsche
Industrie ist in der Lage, einen weit¬
gehenden Bedarf an Morphium und
Kokain sowie an allen anderen wich¬
tigen Arzneistoffen zu decken. Es be¬
darf auch nicht der Zufuhr durch das
Ausland, weil etwa unerhörte Preis¬
steigerungen den Bezug im Inland un¬
möglich machten. Die in Betracht
kommenden Fabriken haben keine
Preissteigerungen eintreten lassen, die
nicht nach Lage der Verhältnisse, d.
h. durch Verteuerung der Rohstoffe
geboten und als normal zu bezeichnen
sind.
Der M. m. W. (6. Oktober) zufolge
lautet der offizielle Bericht über den
Gesundheitszustand in der deutschen
Armee sehr günstig. Die Darmkatar¬
rhe und leichten Ruhrfälle seien in der
Abnahme begriffen; Typhuserkran¬
kungen seien vereinzelnt. Die Orga¬
nisation des Feldsanitätswesens habe
sich bewährt: der Transport der Ver¬
wundeten sei gut gegangen, wenn
auch natürlich nicht allen Wünschen
entsprochen werden konnte. Das ein¬
zige, was bisweilen Schwierigkeiten
gemacht habe, war der Transport vom
Schlachtfeld zur Etappe, es seien aber
bereits für diesen Zweck weitere
Transportmittel in grösserer Zahl be¬
schafft und da nun auch der Nach¬
schub von Verbandmaterial und Arz¬
neien regelmässig erfolge, könne man
zufrieden sein. Die Zahl der im Felde
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122
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
stehenden Aerzte wird auf 9,000 ange¬
geben.
Eine weitere Aeusserung des Gene¬
ralstabsarztes betreffe die Greueltaten
gegen deutsche Verwundete. Exz. v.
Schierning hat dem Kaiser die
folgende Meldung erstattet:
„Vor einigen Tagen wurde in Or-
chies ein Lazarett von Franktireurs
überfallen. Bei der am 24. September
gegen Orchies unternommenen Straf¬
expedition durch Landwehrbataillon
No. 35 stiess dieses auf überlegene
feindliche Truppen aller Gattungen
-und musste unter Verlust von acht
Toten und 35 Verwundeten zurück.
Ein am nächsten Tage ausgesandtes
bayerisches Pionierbataillon stiess auf
keinen Feind mehr und fand Orchies
von Einwohnern verlassen. Am Orte
wurden zwanzig beim Gefecht am vor¬
hergehenden Tage verwundete Deut¬
sche grauenhaft verstümmelt aufge¬
funden. Ohren und Nasen waren ih¬
nen abgeschnitten und man hatte sie
durch Einführen von Sägemehl in
Mund und Nase erstickt. Die Richtig¬
keit des darüber aufgenommenen Be¬
fundes wurde von zwei französischen
Geistlichen unterschriftlich bestätigt.
Orchies wurde dem Erdboden gleich-
gemacht.“
Die anglophile amerikanische Pres¬
se, die mit grosser Vorliebe von dem
Kampfe der zivilisierten Nationen ge¬
gen die deutschen Barbaren und Hun¬
nen spricht, sollte sich diesen offiziel¬
len Bericht des deutschen General¬
stabsarztes in ihr Stammbuch schrei¬
ben, ebenso aber auch den nachfolgen¬
den Aufruf der Krüppelhäuser und des
Reservelazaretts Angerburg:
Die russischen Taten und unser Elend!
Bei Beginn des Krieges richteten
wir in unseren Krüppelhäusern ein
Reservelazarett mit 250 Betten für
Verwundete ein. Schon waren über
100 kranke und verwundete Soldaten
darin. — Da nahten die Russen. An¬
gerburg wurde geräumt. Alles floh,
das Lazarett bis jenseits der Weichsel.
Es blieben nur zurück ausser wenigen
Einwohnern der Anstaltsgeistliche
Pfarrer Lic. Braun mit den Seinen,
den Krüppelkinderen, Siechen, Idio¬
ten, Schwestern. Superintendent Braun,
der Anstaltsleiter, als Verfasser der
geharnischten Kriegspredigten, durch
welche die Russen sehr erzürnt waren,
floh wenige Stunden, ehe die Kosaken
am 23. August einrückten. Sie
schossen in die Fenster des Krüppel¬
heims, ohne jemand zu treffen. Dann
schossen sie drei sieche Männer in den
Anstalten tot, verletzten eine taub¬
stumme, sieche Frau, erschossen acht
Männer und eine Frau auf der Strasse
und haben dann 18 Tage hier plün¬
dernd und raubend gehaust. Pfarrer
Lic. Braun erlangte vom russischen
Heerführer Schutz für die Anstalten,
sodass Pfleglinge und Schwestern ge¬
schont wurden. Er selbst wurde per¬
sönlich zwar bedroht, blieb jedoch un¬
verletzt. Not gross. Anstaltskühe ge¬
schlachtet. Vom 8. bis 10. September
blutige Schlacht in der Nähe. Vor der
Flucht erschossen die Russen ohne
Grund noch 13 meist junge Leute, zu¬
sammenbindend und an die Mauer
stellend, sprengten Eisenbahnbrücke,
brannten die Anstaltsscheunen mit der
ganzen Ernte nieder und hatten be¬
schlossen, angeblich weil aus Häusern
geschossen sei — was aber falsch war
— die ganze Stadt zu zerstören und
alle Männer zu töten. Da — plötzlich
wilde Flucht der Russen. Unsere Hu¬
saren rückten ein. Seliges Glück?
Rettung! Erlösung! Die 18-tägige
Schreckenszeit zu Ende. Der Anstalts¬
leiter kehrte von seiner Flucht einen
Tag nach der siegreichen Schlacht
heim und fand alle Seinen unverletzt.
Die Verwüstungen durch die Russen
in Ostpreussen sind unbeschreiblich.
An jedem Abend war der Himmel glü¬
hend rot von den Feuerscheinen der
brennenden Ortschaften. Am 10. d.
Mts. sah man von den Anstalten aus
15 solcher Feuerscheine. Nach der
grossen blutigen Schlacht in nächster
Nähe unserer Stadt wurden 85 schwer
verwundete Russen von den russi¬
schen Aerzten im Stich gelassen, die
auch die ärztlichen Instrumente unse¬
rer Klinik stahlen und flohen. Bald
nach der Schlacht wurden 14,000 ge¬
fangene Russen durch unsere Stadt
geführt. Die russischen Verwundeten
wurden weiter transportiert und in das
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
123
Reservelazarett unserer Anstalten 200
deutsche Verwundeten vom Schlacht¬
feld gebracht, mit welchen wir, unsere
Milchkühe und Schweine schlachtend,
unser Letztes geteilt haben. Um
schleunigste Hilfe lieht inständigst
Der Vorstand der Krüppelhäuser und
des Reservelazaretts Angerburg.
H. Braun, Superintendent.
Dr. Götz, Direkt, des Reservelazaretts.
Th. Passarge, Kantor.
Pfarrer Lic. Braun, Anstaltsgeistlicher.
Mitteilungen aus der neuesten Journalliteratur.
Haut- und Geschlechtskrankheiten.
Referiert von Dr. H. Klotz.
Rücker, C. VW, United States Pub¬
lic Health Service: Die Notwen¬
digkeit der Errichtung eines natio¬
nalen Leprosariums.
Dy er, I., New Orleans: Die Ver¬
pflichtung der Regierung zur Für¬
sorge und Ueberwachung der Lepra.
(Journ. Am. Med. Ass., LXIII., 297
sequ., Julv 25, 1914.)
K ä y s e r, J. D., Haag: Ueber Aetio-
logie, Prophylaxis und Therapie der
Lepra. (Derma. Wschr., LVIII.,
621 u. 6*51, 30. Mai u. 16. Juni 1914. )
Rückers und D y e r\s vor der
Dermatologischen Sektion der Amer¬
ican Medical Association gehaltene
Vorträge behandeln die schon wieder¬
holt aufgetauchte Frage der Notwen¬
digkeit der Gründung einer Lepra-
Heim- und Heilstätte seitens der föde-
rälen Regierung, und gaben zu einer
lebhaften Debatte Veranlassung.
Rücker weist zunächst darauf
hin, dass wir von der Lepra selbst und
namentlich von ihren Verbreitungs¬
wegen nur sehr wenig bestimmte
Kenntnisse besitzen, dass aber die
Fälle in den Vereinigten Staaten im¬
mer häufiger werden, sodass entschie¬
dene Gefahr bestehe. Aus der Masse
sich vielfach widersprechender Befun¬
de lassen sich zwei Tatsachen unbe¬
stritten herausheben: dass Abschliess¬
ung und Reinlichkeit am meisten die
Kontrolle der Krankheit fördern, und
dass dies nur in geschlossenen Anstal¬
ten möglich ist. In den von verschie¬
denen Staaten errichteten Anstalten
erreichen die Kosten per Kopf eine
enorme Höhe, weil die Zahl der Pa¬
tienten nur eine geringe ist. Die im
Publikum verbreitete, unbegründete,
übermässige Furcht vor der Lepra und
die infolgedessen vorgekommene un¬
menschliche Behandlung derselben
machen Abhilfe besonders dringend.
Der Entwurf eines entsprechenden
Gesetzes wird zum Schluss mitgeteilt.
D y e r, der in Louisiana die Lepra
gründlich studiert und in dem Staats-
Leprosarium praktische Erfahrungen
gesammelt, befürwortet das nationale
Vorgehen in der Hauptsache aus den
gleichen Gründen Die Angaben, wie
eine solche Anstalt eingerichtet sein
solle, beweisen die praktische Erfah¬
rung: die Anstalt soll alle notwendi¬
gen Bedingungen erfüllen für die ge¬
hörige Pflege der Kranken und für das
Studium der Krankheit. Die Fälle sol¬
len je nach Typen und nach der
Krankheitsperiode gruppiert werden,
im Endstadium befindliche von den
frischen abgesondert sein ; für mit an¬
deren Krankheiten komplizierte soll
eine Krankenstation (Infirmary) be¬
stehen ; Einzelzimmer verdienen den
Vorzug, sie sollen möglichst frischer
Luft ausgesetzt sein; sie sollen aus
Holz hergestellt werden behufs leich¬
terer Zerstörung und billigerer Erneu¬
erung, aber Decken, Fussböden und
W ände sollen aus Material bestehen,
das häufige Räucherungen erlaubt; es
sollen gute Badeeinrichtungen und
reichlich heisses Wasser zur Verfü¬
gung stehen. Jede Behandlung, die
zur Anwendung kommt, soll systema¬
tisch durchgeführt werden. Die Ein¬
richtung der Anstalt soll eine derarti¬
ge sein, dass man das Publikum über¬
zeugen kann, dass sie zur Pflege und
Behandlung der Kranken bestimmt
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Original frarn
HARVARD UNIVERSITY
124
New Yorkek Medizinische Monatsschrift.
ist, nicht zu unfreiwilliger Festhaltung
derselben.
D y e r empfiehlt die Annahme des
bereits seit einem Jahre dem Kongres
vorliegenden Lafferty'sehen Gesetz¬
vorschlags.
In der Debatte wird von verschie¬
denen Seiten betont, dass die Gefahr
der Ansteckung nicht so gross sei,
dass eine zwangsweise Unterbringung
aller Fälle notwendig sei, und dass un¬
ter günstigen Verhältnissen der Le¬
pröse wohl im eignen Hause bleiben
könne. Von grosser Wichtigkeit sei
es, dass das Publikum seitens der
Aerzte besser über die Lepra aufge¬
klärt werde, um Wiederholung von
Grausamkeiten zu verhindern. Chas.
J. W h i t e schildert die Unzulänglich¬
keit der Massregeln einzelner Staaten
an der Leprastätte in Massachusetts.
Zum Schluss erklärt Rücker, dass
es in der Tat in der Absicht des U. S.
Public Health Service liege, der An¬
stalt den Charakter eines Zufluchts¬
ortes oder Heims zu geben mit Ein¬
richtungen für die Unterhaltung (The¬
ater etc.) wie für die womöglich auch
etwas einbringende Beschäftigung,
nicht den eines Gefängnisses, in denen
Patienten gegen ihren Willen gehalten
würden.
Käyser hat in Verein mit Dr. K.
D e J o n g e die Leprazustände in den
Holländischen Besitzungen in Ost¬
indien genau untersucht und berührt
in der Hauptsache nur diese. Auf
Grund der Geschichte der Leprafor¬
schung bespricht er die Aetiologie mit
etwas skeptischem Verhalten gegen¬
über dem Bazillus Hansan’s. Seine
Ansicht über die Verbreitung der Le¬
pra ist in kurzem: Die Ansteckung
geht aus von einem Leprakranken,
aber die Gefahr ist gering, nicht
grösser als bei der Tuberkulose, beson¬
ders da, wo Reinlichkeit und gute hy¬
gienische Verhältnisse bestehen, wird
aber grösser je schlimmer es mit die¬
sen bestellt ist. Unter den Wohnungs¬
verhältnissen wie sie in Batavia und
wohl den meisten tropischen, halb¬
zivilisierten Plätzen bestehen, ist eine
wirksame Prophylaxe kaum denkbar.
Für die Bekämpfung unter solchen
Umständen befürwortet K. die Pflege
der Kranken in ihren Wohnungen
(Gemeindepflege), wodurch das Zu¬
trauen derselben gewonnen und Ge¬
legenheit gegeben werde, ihre Umge¬
bung zu unterrichten, wie sie sich zu
schützen habe; daneben die Errich¬
tung einer grossen Zahl lokaler Kran¬
kenhäuser für diejenigen, welche diese
aufzusuchen wünschen. Dagegen em¬
pfiehlt er für Holland selbst die Er¬
richtung einer Anstalt für die Pflege
und Behandlung Lepröser, ohne
Zwang, aber von solchem Charakter,
dass die Kranken selbst sich veran¬
lasst finden, dieselben aufzusuchen.
Die Behandlung ist keineswegs aus¬
sichtslos. Sie muss in erster Linie hy¬
gienisch-diätetisch sein (Klimawech¬
sel, auch für die Kinder der Leprösen,
frische Luft, körperliche Bewegung,
gute Ernährung). Warme und heisse
Bäder und Unnas lokale Behand¬
lung (Pyrogallol). Innerlich ver¬
spricht Chaulmoograöl immer noch
am meisten. Nastin fand Käyser
wirkungslos.
Siler, J. P\, U. S. A.; Garrison,
P. E., U. S. N., und MacNeal,
W. J., New York: Weitere Studien
der Thompson-McFadden Pellagra-
Kommission. (Jour. Amer. Med.
Assoc., LXIII., 1090, 25. Sept. 1914.)
Auf dem Gebiete der ungeheuer zu¬
nehmenden Pellagra-Literatur ver¬
dient der hier veröffentlichte Auszug
aus dem zweiten Bericht der
Thompson-McFadden - Kom¬
mission besondere Beachtung. Die¬
selbe ist mit der genauen Untersu¬
chung der Zustände in Spartanburg
County, S. C., beschäftigt, da sich dort
eine besondere Verbreitung der Pella¬
gra gezeigt hat.
Der anfangs 1913 veröffentlichte er¬
ste Bericht der Kommission hatte
zu folgenden Schlüssen geführt:
1. Die Annahme, dass die Einfüh¬
rung von unverdorbenem oder verdor¬
benem Mais die wesentliche Ursache
der Pellagra sei, findet in ihren Arbei¬
ten keine L T nterstützung.
2. Pellagra ist aller Wahrscheinlich¬
keit nach eine spezifische Infektions-
-krankheit, die auf soweit unbekann-
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
125
tern Wege von einer Person auf die
andere übertragen wird.
3. Ausser der allgemeinen Verbrei¬
tung von Fliegen der Gattung Simu-
lium in dem beobachteten Terrain
konnten keine Tatsachen entdeckt
werden, welche dieselben der Verur¬
sachung der Pellagra verdächtig
machten. Wenn ein blutsaugendes
Insekt der Verbreiter ist, so würde
Siomoxis calcitrans als der wahr¬
scheinlichste Träger anzusehen sein.
4. Die Kommission ist geneigt, en¬
ges Zusammenleben im Hause und
Verunreinigung der Speisen mit den
Auswurfstoffen der Pellagrakranken
als mögliche Arten der Verbreitung
der Krankheit anzusehen.
5. Eine spezifische Ursache der
Krankheit konnte nicht erkannt wer¬
den.
Der zweite kürzlich veröffentlich¬
te Bericht liefert folgende Schlüsse:
1. Die grösseren aktiven Pellagra¬
herde in Spartanburg County fanden
sich innerhalb und in der Umgebung
der grossen Mittelpunkte der Bevölke¬
rung, und besonders in den Dörfern
mit Baumwoll-Spinnereien.
2. Kinder unter zwei Jahren, Er¬
wachsene innerhalb der der Ge¬
schlechtsreife folgenden fünf Jahre,
und männliche Erwachsene in der Pe¬
riode des aktiven Lebens wurden am
wenigsten häufig von Pellagra befal¬
len. Dagegen wurden Frauen von 20
bis 44 Jahren, alte Leute beiderlei Ge¬
schlechts und Kinder im Alter von 2
bis 10 Jahren am häufigsten befallen.
3. Ein bestimmter Zusammenhang
zwischen Beschäftigung und Vorkom¬
men von Pellagra konnte nicht gefun¬
den werden, obwohl die hohe Erkran¬
kungszahl bei Frauen und Kindern auf
das Haus deutet als den Platz, in wel¬
chem die Krankheit für gewöhnlich er¬
worben wird.
4. In der Gruppe der am genauesten
studierten einschlägigen Fälle wurde
in 80 Prozent der Nachweis enger Be¬
rührung mit einem vorher bestande¬
nen Fall geliefert.
5. Eine Haus-zu-Haus-Absuchung
der Wohnungen von über 5000 Leu¬
ten, in sechs endemischen Pellagra¬
herden lebend, war nicht imstande,
eine bestimmte Beziehung der Krank¬
heit zu irgend einem wesentlichen Be¬
standteil der Ernährung nachzuwei¬
sen.
6. In diesen sechs Dörfern traten
neue Fälle fast ausschliesslich in Häu¬
sern auf, in welchen schon ein früherer
Pellagrakranker wohnte, oder in an-
stossenden Häusern, es nahelegend,
dass die Krankheit von alten Fällen als
Mittelpunkt ausgeht.
7. Soweit es beobachtet werden
konnte, hat sich Pellagra am rasche¬
sten da verbreitet, wo gesundheits¬
widrige Methoden der Abfallsversor¬
gung in Gebrauch waren.
8. Weitere Beweise wurden ge¬
bracht dafür, dass Fliegen von der
Gattung Simulium nichts mit Pellagra
zu tun haben.
9. Tierimpfungen und experimentale
Studien von Eingeweidebakterien ha¬
ben keine überzeugenden Resultate
ergeben.
10. Blutuntersuchungen haben in
den meisten Fällen eine Lymphozyto¬
se gezeigt, ohne eine für Pellagra cha¬
rakteristische konstante Unregel¬
mässigkeit erkennen zu lassen.
11. Beweise für die Erblichkeit der
Krankheit gibt es nicht.
12. Die unmittelbaren Resultate hy¬
gienischer und diätetischer Behand¬
lung Erwachsener sind gut gewesen,
aber die meisten der Fälle sind rück¬
fällig geworden, wenn sie unter die
früheren Bedingungen der Lebens¬
weise zurückkehrten. Bei Kindern ist
die Prognose ungleich günstiger.
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126
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
Amerikanische baineologische Referate.
Referiert von Dr. von Oefele.
Lithiumquellen. — Am 16. Februar
1914 im „Supreme Court of the Dis-
trict of Columbia“ wurde endlich zu
Ungunsten von Buffalo Lithia Water
ein Prozess entschieden, der seit dem
21. Dezember 1910 schwebte. Die Be¬
zeichnung als Lithiumwasser wird da¬
rin für Buffalo Lithia Springs in
Mecklenburg County, Virginia, als ge¬
setzwidrige Bezeichnung verworfen.
Fs ist dies ein prinzipieller Fall, der
für viele Mineralwasseretiketten ver¬
hängnisvoll ist. Der Missbrauch mit
irreführenden Bezeichnungen war
nachgerade allerdings himmelschrei¬
end geworden. Im engeren Sinne wird
die Sache zuerst Bedeutung für die
vielen Lithiaquellen Amerikas bekom¬
men. Praktisch wird die Grenze
schwer zu ziehen sein, denn nicht
überall liegt das Unrecht so klar wie
bei Buffalo Lithia Springs. Bei voll¬
ständiger Durchführung der im Ge¬
richte verfochtenen Ansichten des
Ackerbauministeriums würde es über¬
haupt kaum eine Lithiumquelle oder
sogar überhaupt keine Heilquelle ge¬
ben. Die Ausführungen waren viel zu
theoretisch, da nicht ein einziger er¬
fahrener Balneologe zum Worte kam.
Quellen, die nach meinen Aufzeich¬
nungen in Betracht kommen, sind:
Ballardville Lithia Springs, Bowden
Lithia Springs, Cloverdale Lithia
Springs, Crockett Arsenic - Lithia
Springs, Farmville Lithia Springs,
Geneva Lithia Springs, Harris Lithia
Springs, Iron Lithia Springs, London-
derry Lithia Springs, Nye Lithia
Springs, Powhatan Lithia and Alum
Springs, Tuscarora Lithia Spring.
Unter den Alkalien erhielt das Li¬
thium an sich einen ganz unverdienten
Ruf, da Lithiumurate verhältnismässig
leicht löslich sind. Aber Kalium ist in
Mineralwässern stets gleichzeitig in
wesentlich grösseren Mengen vorhan¬
den und steht in seiner lösenden Kraft
für Urate dem Lithium nicht wesent¬
lich nach. Praktisch werden sich in
Quellenkuren Kalium und Lithium
stets in ihren Wirkungen unterstützen.
Hendrixson hebt hervor, dass von
einem bestimmten amerikanischen Li¬
thiumwasser 300 Liter getrunken wer¬
den müssen, um eine einzelne durch¬
schnittliche medizinische Lithium¬
dosis aufzunehmen. Ich möchte aller¬
dings darauf hinweisen, dass bei Be¬
achtung der lösenden Begleitstoffe die
Literzahl schon theoretisch wesentlich
geringer wird und bei gleichzeitiger
Beachtung baineologischer Erfahrung
sich noch weiter verringert. Viele der
obigen Quellen haben aber auch nach
meiner Ansicht keine Berechtigung,
sich auf ihren Lithiumgehalt zu beru¬
fen.
Wenn man den Nachweis auf ganz
unendlich geringe Spuren Lithium
ausdehnt, so enthalten viele natürliche
Mineralquellen Lithium, wenn nicht
die meisten. Auch in Deutschland ist
die Mode eingerissen, geringen Li¬
thiumgehalt der Quellen zu Reklame¬
zwecken zu betonen. In dieser Weise
erzählen von Lithiumgehalt interes¬
sierte Leute in Dürkheim, Kissingen,
Baden-Baden, Bilin, Assmannshausen,
Tarasp, Kreuznach, Salzschlirf,
Aachen, Selters, Wildbad, Ems, Hom¬
burg, Karlsbad, Marienbad, Egger,
Franzensbad, Wheal Clifford, Bad
Orb, Sciacca, Salso Maggiore.
Lithium kann ja nicht als vorherr¬
schender Bestandteil der Quellen er¬
wartet werden. Auch in den festen
Mineralien kommt Lithium nur in ge¬
ringen Mengen vor. Wenn ein Mine¬
ral 1 bis 10 Prozent Lithium enthält,
so wird dies als reichlicher Gehalt be¬
zeichnet. Bei dieser Seltenheit des
Elementes Lithium ist es sicherlich er¬
wähnenswert, Mass eine Quelle bei
Redruth in Cornwall in England in 24
Stunden 400 Kilogramm Chlorlithium
liefert.
Um uns zurecht zu finden, müssen
wir zuerst wieder europäische Verglei¬
che heranziehen. Der Gehalt wird als
Lithiumchlorid auf Trockensubstanz
der betreffenden Quelle bezogen: Bo-
nifazius-Brunnen in Salzschlirf 20 pro
Mille, Baden-Baden 19 pro Mille, Kö-
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
127
nigsbrunnen Wildbach (Würtemberg)
7 pro Mille, Kreuznach verschiedene
Quellen nahezu 5 pro Mille. Nahezu
3 pro Mille in der Natalienquelle in
Franzensbad, in verschiedenen Quel¬
len von Kissingen, in der Kronenquel¬
le in Salzbrunn und im Kochbrunnen
in Wiesbaden.
Amerika übertrifft diese europäi¬
schen Quellen bei weitem. In den Fel¬
sen der Umgebung von Ballardville
Lithia Springs, Middlesex County,
Massachusetts, sollen die lithiumrei¬
chen Spodumene und Lepidolit Vor¬
kommen. Die Quelle enthält nur 24.51
Grains Trockensubstanz auf eine U. S.
Gallone; davon sind aber 22.01 Grains
Lithiumkarbonat. Auch Nye Lithia
Springs, zwei Meilen von Wytheville
in Virginia, enthält drei Quellen, wo¬
von zwei als Lithia Springs und eine
als Chalybeate Spring bezeichnet wer¬
den. Die eine der Lithia Springs ent¬
hält 30 Prozent der Trockensubstanz,
und die Chalybeate Spring 10 Prozent
der Trockensubstanz Lithiumkarbo¬
nat. Chadwick Lithia Well in Cam¬
bridge Springs, Pa., kommt bei Be¬
rechnung auf Trockensubstanz noch
etwas über den Bonifaziusbrunnen in
Salzschlirf. In Saratoga Springs wech¬
seln in den alten Analysen die Anga¬
ben sehr, doch sonst als zuverlässig
befundene Analysen würden einzelne
Quellen in Saratoga Springs noch über
den Königsbrunnen in Wildbad stel¬
len ; die Quellen von Ballston Spa kä¬
men ziemlich allgemein dem Königs¬
brunnen gleich.
Wo wirklich das Lithium in Be¬
tracht kommt, sind somit die amerika¬
nischen Quellen reicher an Lithium als
der Durchschnitt von Europa. Im¬
merhin glaube ich, dass auch Mengen¬
verhältnisse wie in Franzensbad, Kis¬
singen, Salzbrunn und Wiesbaden als
bemerkenswerter Lithiumgehalt be¬
zeichnet werden müssen.
Wenn allerdings Geneva Lithia
Springs in Geneva, N. Y., im besten
Falle den dreissigsten Teil eines pro
Mille Lithium in Trockensubstanz
enthält, so geht das schon weit unter
die Grenzen bemerkenswerten Lithi¬
umgehaltes. Ohne den Eingriff in
Washington hätte in Amerika ein
Sprachgebrauch begonnen, der nahezu
allen reinen, natürlichen, nicht distil-
lierten Trinkwässern mit akratischer
Mineralisation den Namen „Lithia
Water“ beilegt.
Die Riesenstädte Amerikas entstan¬
den oft in unglaublicher Zeit aus dem
Nichts. In der einen oder anderen
Hinsicht wurde dem raschen Wachs¬
tum nicht Rechnung getragen. Auch
politischer Diebstahl öffentlicher Gel¬
der kam vor. Da oder dort liegt oder
lag die Wasserversorgung der Städte
im Argen. Im allgemeinen misstraut
darum das Publikum den öffentlichen
Wasserleitungen und kauft sich abge¬
fülltes Trinkwasser. Die wohlhaben¬
den Kreise gestatten sich diesen
Luxus durchgehend. Dies sind aber
auch die Kreise, in denen häufig Gicht
und in Amerika vor allem Rheumatis¬
mus vorkommt. Trinkwässer, die auf
solche Abnehmer rechneten, nannten
sich mit irgend einer Zusammensetz¬
ung von Lithium, da doch irgend ein
Name nötig war. Bei den geringen
Mengen Lithium, die dafür früher in
Betracht kamen, war es garnicht aus¬
geschlossen, dass da und dort sogar
diese geringen Mengen aus künstli¬
chen Zusätzen stammen.
Otterburn Lithia aus Amelia Court-
house, Va., leitet seinen Namen von
einem Gehalte von 0.000003 Prozent
Lithium; Golindo Lithia aus Staunton,
Va., von 0.00001 Prozent Lithium, und
Sublett Lithia in Danville, Va., von
den überall auffindbaren Spuren Lithi¬
um ab. Manchmal werden durch sol¬
che Namengebung deutliche Quellen¬
charakter verschleiert. Die oben an¬
geführten Geneva Lithia Springs,
N. Y., sind gut charakterisierte Gips¬
quellen. Eine Namensgebung dersel¬
ben nach 0.00001 Prozent Lithium war
ein Unfug. Jedenfalls ist der Kampf
von Washington gegen Irreführungen
mit Freuden zu begrüssen, wenn er die
berechtigten Grenzen von Chemie und
medizinischer Balneologie respektiert.
Hiervon muss Washington die Hände
lassen. Denn in medizinischer Balne¬
ologie mangelt dort noch jede einge¬
hendere Kenntnis.
Die Mineralquellen von Wisconsin.
— Wenn wir Wisconsin als natürli¬
ch ri§i na I from
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
ches baineologisches Gebiet betrach¬
ten wollen, so müssen wir Michigan
nördlich des Michigan-Sees und einen
östlichen Streifen von Minnesota in
dies Gebiet einbeziehen. Wenig süd¬
lich vom Lake Superior verläuft hier
eine uralte Gebirgserhebung in der
Richtung des Parallelkreises. Im Lau¬
fe langer geologischer Perioden hat
dieses Gebirge seine Erhebungen über
den Meeresspiegel zum grössten Teile
verloren. Es ist aber im westlichen
Teile doch die Wasserscheide geblie¬
ben zwischen den grossen Seen und
den Zuflüssen des Mississippi. Den
Kern dieser Erhebungen bilden Lau-
rentinische Schiefer in einer abgerunde¬
ten Masse. Sie bedecken mehr als ein
Drittel des Staates Wisconsin. Für
dieses ganze Gebiet fand ich vorläufig
keine Mineralquelle verzeichnet. Nach
Nordosten nahe der Grenze im Gebie¬
te von Michigan wechseln in zerrisse¬
nen kleinen Abschnitten verschiedene
Huronische und Laurentinisehe Ge¬
steine anderer Art. Hier liegt Sterling
Spring bei Crystall Falls, die einzige
Quelle nach Nordosten. Denn auch
die Cambrischen, Ordovicischen und
Silurischen Schichten von Nord-Michi¬
gan haben im Gegensatz zu anderen
amerikanischen Oertlichkeiten bisher
keine Mineralquellen geliefert. Es sind
dort wohl in Zukunft noch welche zu
erhoffen.
Im Nordwesten von Wisconsin ent¬
hält ein kleines Gebiet geologische
Formationen des Keweenawan. So
klein dies Gebiet auch ist, so enthält es
doch zwei Quellen: Bay City Spring
bei Ashland und Solon Springs. Vom
Westende des Lake Superior übergrei¬
fend nach Minnesota, selbst den Staat
Iowa noch streifend, aber nicht den 43.
Breitengrad nach Süden überschrei¬
tend und im weiteren Bogen wieder
den Lake Superior im Osten errei¬
chend, liegt ein Bogen Cambriseher
Formationen. Im nördlichen Minne¬
sota ist dieser Streifen sehr schmal. Es
schliessen sich weiter nach Westen
Oberhuronischc Gesteine an. Hier lie¬
gen Itasco County Mineral Spring bei
Grand Rapids, Glengarry Spring bei
Walker, Lake View Spring und Poke-
gama Spring bei Detroit. Alle bisheri¬
gen sieben Quellen können wir als
Quellen der obersten Urgebirge oder
auch der Uebergangsgebirge bezeich¬
nen.
Die übrigen Teile des besprochenen
Gebietes gehören palaeozoischen For¬
mationen an. Der zugehörige Cambri-
sche Bogen ist schon kurz skizziert.
Ihm lagert sich weiter südlich ein Or-
dovizischer Bogen und weiter ein Silu-
rischer vor, welch letzterer aber im Sü¬
den einmal durchbrochen ist und schon
zum grössten Teil ausserhalb von
Wisconsin liegt.
Im Cambrischen Teile liegen die
Minnesotaer Quellen Indian Medicinal
Spring bei Elk River, Mankato Mine¬
ral Spring und White Mineral Spring
bei Minnesota City. Ausserdem ge¬
hören dahin Bethania Mineral Spring
und Saint Croix Mineral Spring in Os-
ceola, New Saratoga Spring in Star
Prairie, Chippewa Spring in Chippewa
Falls, Arctic Spring in Galesville,
Sparta Artesian Well in Sparta, Sheal-
tiel Mineral Spring in Waupaca, Wan¬
toma Mineral Spring in Wantoma und
Richmond Spring in White.
Besonders reich an Quellen ist die
Grenzlinie des Cambrischen und Or¬
dovicischen Gebietes. Inglewood
Spring bei Minneapolis, Highland
Spring bei St. Paul und Gersinger
Spring bei Rochester sind Quellen im
Staate Minnesota. Im Staate Wiscon¬
sin fallen zwei Drittel des Verlaufes
des 43. Breitengrades auf diese geolo¬
gische Grenze. Es ist dies dieselbe
Linie, welche in Neuenglatid und im
Staate New York die stärkste Häufung
an Mineralquellen aufweist. Die un¬
mittelbare Umgegend von Waukesha
besitzt die grösste Zahl hieher gehöri¬
ger Quellen. Almanaris Spring, Arca-
dian Spring, Bethesda Spring, Clysmic
Spring, Fountain Spring, Gien Rock
Mineral Spring, Horeb Mineral Spring,
Hygiea Spring, Siloam Spring, Silu-
rian Spring, Vesta Spring, Waukesha
Lithia Spring und White Rock Spring.
Diese Quellen liegen schon im Ordo¬
vicischen Gebiete. Dahin gehören auch
Castalia Spring in Wauwatosa und
ebenda Nee-ska-ra Spring, sowie Saint
Winifred’s Well in Pewaukee. Zum
Teil entspricht diese Häufung von Mi-
Qriginal fro-m
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Nkw Yorker Medizinische Monatsschrift.
129
neral-Quellen dem Bedürfnis der nahen
Grossstadt Milwaukee, die auf dem
gleichen Breitengrade liegt. Es ist
aber bemerkenswert, dass für Milwau¬
kee selbst nur Sparkling Spring,
sicherlich ein Artefact, verzeichnet ist.
Soweit der 43. Breitegrad bei Milwau¬
kee Silurformationen durchschneidet,
sind mir keine Mineralquellen bekannt.
Erst beim Eintritt in das Ordovician
findet sich jene Häufung. An dieser
Stelle wollte ich aber zunächst nur von
den Quellen an der Grenze von Cam-
brischen und Ordovicishen Schichten
sprechen. Im Westen des Staates
Wisconsin ist diese Grenze eine ausge¬
sprochene geologische V erwerfungs-
spalte, in die sich der Unterlauf des
Flusses Wisconsin eingegraben hat.
Dort finden sicjj weitere Grenzquellen.
Palmyra Spring ist etwas nach Süden,
Waterloo Spring etwas nach Norden
abgedrängt. Weiter nach Westen
folgt noch Black Earth Mineral Spring
und Fort Crawford Mineral Well. Im
ganzen liegen 22 von 49 Mineralquel¬
len des Staates Wisconsin in nächster
Nähe des 43. Breitengrades.
Im Ordovicischen Gebiete verläuft
im Staate Wisconsin eine andere Mi¬
neralquellenspalte, welche der Achse
der Green Bay entspricht. Sie enthält
in Green Bay selbst Allouez Magnesia
Spring, Salvator Mineral Spring, Saint
John Spring, Lebens-Wasser Spring,
in Appleton Tellulah Spring und in
Foxlake Peerless Mineral Spring.
Zum Ordovician gehören in Minne¬
sota Rosendahl Sulphur Spring bei
Jordan und Owatonna Spring bei Owa-
tonna, im Süden von Wisconsin Dar¬
lington Mineral Spring, Beloit Jodo
Magnesia Spring, dann Sheridan
Spring bei Lake Geneva, Gihon Spring
bei Delavan und drei Quellen bei
Janesville: Burr Lithia Spring, Mus-
kik-kee-wa-boo Spring und Hiawatha
Spring.
Arm an Quellen sind die Sibirischen
Formationen im Staate Wisconsin.
Nicht weit von Green Bay liegt isoliert
Maribel Mineral Spring und bei She-
boygan Sheboygan Mineral Spring
und Giddings Spring. Südwestlich von
Milwaukee in Hale’s Corners ist
Hackett’s Spring.
Je nach der geologischen Zusam¬
mengehörigkeit besitzen diese Quellen
weitgehende Uebereinstimmungen.
Auch in diesen weiter abgelegenen
Gebieten ergibt es sich als unnötig,
jede einzelne Mineralquelle als selbst¬
ständiges Individuum aufzufassen.
Wir müssen ebenso, wie wir es für un¬
sere näher gelegenen New Yorker
Quellen getan haben, die Eigenschaf¬
ten von Quellengruppen betrachten
und die einzelne Quelle nur als Abtö¬
nung innerhalb der betreffenden Grup¬
pe auffassen. Dadurch wird es uns
möglich, einen ordnenden Ueberblick
in die amerikanischen Heilquellen zu
bringen, der bisher dem ärztlichen
Praktiker unmöglich war.
Therapeutische und klinische Notizen.
— Behandlung der Appendizitis mit Iehthal-
bin. Dr. G Bel da u in Riga hat vielfach
Gelegenheit gehabt, sich zu überzeugen, dass
durch eine systematisch durchgeführte Ich-
thalbinbehandlung viele nach gebräuchlichen
Begriffen operationsbedürftige Fälle von Ap¬
pendizitis endgiltig heilbar sind. Hierbei habe
er im Auge nicht nur die Erkrankungsformen
mit vagen, unbestimmten Symptomen und
zweifelhafter Diagnose, sondern konkrete Pe¬
rityphlitiden mit fieberhaftem Verlaufe, cha¬
rakteristischer Druckempfindlichkeit und pal-
pabler Geschwulst.
Da das Ichthalbin in sauren Medien unlös¬
lich ist. so passiert es bei normalen Sekre¬
tionsverhältnissen den Magen unverändert.
Erst im alkalischen Darmsafte spaltet es sich
in seine Komponenten, wobei therapeutisch
unwesentliches Eiweiss und Ichthyol in statu
nascendi frei werden. Letzteres ist ein Darm-
desinfiziens in weitestem Sinne des Wortes.
Hartnäckige Kinderdiarrhöen, Enteritiden Er¬
wachsener sowie enterale Gärungsprozesse
verschiedenster Provenienz gehen unter Ich-
thalbingebrauch verhältnismässig bald in Hei¬
lung über. Um mit Sicherheit einer vorzeiti¬
gen Spaltung des Mittels im Magen vorzu¬
beugen, ist es zw'eckmässig, das Ichthalbin
stets zusammen mit Salzsäure zu verordnen.
Bei akuter Appendizitis verabfolgt man das
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130
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
Ichthalbin viermal täglich je eine tüchtige
Tischmesserspitze unmittelbar vor den Mahl¬
zeiten mit sechs Tropfen verdünnter Salz¬
säure in % Glas Wasser. Nach Abflauen des
akuten Anfalls lässt man es dreimal täglich
zirka 6 bis 8 Wochen, eventuell noch länger
weiter brauchen. Im Anfalle selbst ist es vor¬
teilhaft, die Bauchdecke über dem schmerz¬
haften Bezirke zwei- bis dreimal täglich mit
Ichthyol, Spirit, aether., Collod. elast. aa part.
aequal. ausgedehnt zu bepinseln. Darüber
kommt Eisblase respektive warme Kompresse,
je nach dem subjektiven Empfinden des Kran¬
ken. Da durch Lähmung der Peristaltik das
Heranrücken des Ichthalbins an den Krank¬
heitsherd Einbusse erleiden würde, so meidet
B. prinzipiell Opiate, so lange der Schmerz
erträglich ist. In der Mehrzahl der Fälle er¬
weist sich das Ichthalbin selbst als schmerz¬
lindernd.
Obwohl es B. ferne liegt, die Vorteile einer
operativen Behandlung der Appendizitis zu
verkeennen, so möchte er doch die Ichthalbin-
behandlung angelegentlichst zur Nachprüfung
empfehlen. Kommt es doch häufig genug vor,
dass eine Operation aus irgendwelchen Grün¬
den nicht ausführbar ist oder der Kranke mit
einer solchen sich nicht einverstanden erklärt.
Besonders überzeugende Resultate ergibt die
Ichthalbinbehandlung bei den periodisch rezi¬
divierenden Formen, bei welchen auch in der
anfallsfreien Zeit geringe subjektive Be¬
schwerden bestehen bleiben. Dass ebenso¬
wohl diese Beschwerden als auch akute Exa¬
zerbationen mit dem Beginne der Ichthalbin¬
behandlung in der Regel ausbleiben, kann
wohl unmöglich dem blinden Zufall allein zu¬
geschrieben werden. Es liegt nichts näher, als
die Erklärung dafür in der bakteriziden und
antiphlogistischen Wirkung des Ichthyols in
statu nascendi zu suchen. Im Uebrigen ist
das Ichthalbin ein harmloses Präparat. Auch
in grösseren als den von B. empfohlenen Do¬
sen erzeugt es keine unerwünschten Neben¬
erscheinungen. Nur in ganz vereinzelnten
Fällen scheint Idiosynkrasie gegen das Mittel
zu bestehen. Dabei beobachtet man Uebelkeit
nach dem Einnehmen, Oppressionsgefühl und
höchst unangenehmes Aufstossen mit Ich¬
thyolgeschmack, Symptome, welche auf eine
vorzeitige Spaltung des Mittels im Magen zu¬
rückzuführen sind. (M. Kl. 1914 Nr. 15.)
— Secalysatum (Bürger). Unter dem
Namen Secalysatum bringt Bürger ein Prä¬
parat auf den Markt, das nicht nur die wirk¬
samen Bestandteile des Mutterkorns — und
zwar in vierfacher Konzentrierung — enthält,
sondern daneben noch einen bestimmten Pro¬
zentsatz von Kotarninum hydro-chloricum.
Letzteres hat in gewöhnlichen Lösungen einen
sehr bitteren, schlechten Geschmack, während
das Secalysat von keinem unangenehmen Ge^
schmack und gut einzunehmen ist. Es sind
ausserdem aus dem Secalysat sämtliche gifti¬
gen Stoffe des Secale cornutum entfernt, wie
z. B. die Sphacelinsäure.
B r ö m e 1 hat das Secalysat nun in Fällen
seiner Praxis verwandt, in denen es galt, Blu¬
tungen zu beseitigen resp. zu verhindern, die
auf einer mangelhaften Kontraktion des Ute¬
rus beruhten, und zwar stets mit gutem Er¬
folg. Seine Erfahrungen decken sich mit
L o e w y’s Versuchen, die er dahin zusammen¬
fasst: „Bemerkenswert ist, dass in einzelnen
der Versuche Secale allein unwirksam blieb,
während das ,Secalsyat‘ zu deutlichen, zum
Teil starken Kontraktionen führte.“ B rö-
m e 1 ist überzeugt, dass das Präparat vielen
Kollegen eine willkommene Bereicherung ih¬
res Arzneischatzes werden wird. Was den
Preis anbelangt, so ist Secalysat billiger als
eine entsprechend zusammengesetzte Verord¬
nung und hat den grossen Vorzug konstanter
Wirksamkeit. (D. m. W.)
— lieber Fortschritte der Argentumtherapie
bei der Gonorrhöe des Mannes. Rosenfeld
hat mit einem von der Firma E. Schering her¬
gestellten neuen Silberpräparat, Hegonon,
Versuche angestellt und machte mit demsel¬
ben günstige Erfahrungen. Er sah (1.) die
besten Erfolge bei ganz frischen Fällen, und
zwar besonders dann, wenn die Patienten so
fort bei Bemerken der Erkrankung zu ihm
kamen, also bei oberflächlicher Anterior. R.
gebrauchte in diesen Fällen eine Lösung von
0.25:100. (2.) Bei Fällen, die später in Be¬
handlung kamen, sodass es sich um eine vor¬
dere beginnende Tiefengonorrhoe handelte,
hat sich das Hegonon ebenfalls bewährt. R.
liess in diesen Fällen vier- bis sechsmal täg¬
lich injizieren. Hegonon ist vollkommen reiz¬
los. (M. m. W.)
— Atophan bei Krankheitszuständen auf
gichtischer Basis. P. F. Richter hat bei
Myalgien auf gichtischer Basis mit dem Ato-
phan ausserordentlich günstige Erfolge er¬
zielt; es war hier den anderen einschlägigen
Mitteln bei weitem überlegen.
G. L. K a h 1 o wendete das Atophan auch
in einer Reihe von Fällen an, bei denen es
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
131
sich um gichtische Halsbeschwerden und gich¬
tischen Nasenkatarrh handelte. Es wurden
hier fast immer gleichmässig gute Resultate
erhalten.
F. Deutsch berichtet über einen Fall von
chronischer gichtischer Ischias, der nach Ato-
phan eine ganz auffällige Besserung erfuhr.
P. F. Richter machte von dem Atophan,
wie bei Myalgien, auch bei Neuralgien mit
ausgezeichnetem Erfolg Gebrauch, wobei die
Wirkung des Atophans derjenigen der sonsti¬
gen antineuralgischen Mittel weit überlegen
war. („Das Atophan und seine therapeuti¬
sche Bedeutung.“)
Kleine Mitteilungen,
— Infolge des Krieges ist die Ausfuhr von
Verband - und Arzneimitteln, sowie von ärzt¬
lichen Instrumenten und Geräten über die
Grenze des deutschen Reiches verboten. Unter
dieses Verbot fallen nach Bekanntmachung des
Reichkanzlers: Reine Karbolsäure, Quecksil¬
ber und Sublimat, Jod, Jodkalium und Jod¬
natrium, Jodoform, Chloroform, Pyrazolonum
phenylmethylicum und seine Abkömmlinge
(Pyramidon etc.) gepulvertes Opium, Mor¬
phium und seine Salze, phosphorsaures Co¬
dein, Paraformaldehyd, salzsaures und schwe¬
felsaures Chinin, Akreolin, Salvarsan, Ver¬
bandwatte, Verbandgaze und andere Verband¬
stoffe, chirurgische und andere ärztliche, auch
zahnärztliche Instrumente und Geräte, bakte¬
riologische Geräte, Material für bakteriologi¬
sche Nährböden (Agar-Agar, Gelatine, Pep¬
ton) Schutzimpfstoffe, Schutzsera und Heil¬
sera bei Infektionskrankheiten, Versuchstiere.
Diese Liste hat dann durch eine neue Be¬
kanntmachung im Reichsanzeiger eine bedeu¬
tende Erweiterung erfahren. Es fallen jetzt
unter das Verbot ausserdem noch: Aloe,
Chinarinde, Formaldehydlösungen, Galläpfel,
Gerbsäure, Tannin. Ipecacuanhawurzel, auch
emetinfreie, Koffein, Kresolseifenlösungen,
Lysol, Mastix und Mastixpräparate wie Mas-
ticol, ausser . Opium auch Opiumzubereitungen
wie Opiumpulver, Opiumtinkturen, Opium¬
extrakt, Pantopon, Neosalvarsan, Simaruba-
rinde, Weinsäure, Weinsteinsäure, Wollfett,
Lanolin, Zitronensäure, Gummi für Gummi¬
schläuche, Drainagen, Gummibinden u. a.
— Krieg und Aerztesustand. Hierzu äussert
sich die Berl. Klin. Wochenschrift, dass kaum
ein anderer Stand so viele internationale Be¬
ziehungen angebahnt, so viele gemeinsame Be¬
strebungen mit Vertretern anderer Nationen
gepflegt habe, wie gerade der Aerztestand.
Kaum ein Jahr sei verflossen, seit der grosse
internationale Kongress in. London getagt hat
und gerade Deutschland sei es gewesen, wel¬
ches damals die nächste Tagung in unser Reich
zu Gaste geladen hätte. Zahlreiche interna¬
tionale Gesellschaften haben sich seither ver¬
sammelt oder sollten binnen Kurzem zusam¬
mentreten — und nun sei mit eiserner Faust
in Stücke geschlagen, was in sorglichem Bau
und mit vieler Hingabe jahrelang aufgerichtet
worden etc. — Die Deutsche Med. Wochen¬
schrift weist mit Recht darauf hin, dass unter
den Unterzeichnern des gegen den Krieg mit
Deutschland gerichteten, in der Times veröf¬
fentlichten Protestes sich bedauerlicherweise
kein einziger Vertreter der englischen Aerzte-
schaft befindet.
— Cholerafalic. Die Korrespondenz Wil¬
helm meldet: Vom Sanitätsdepartement des
Ministeriums des Innern wird mitgeteilt:
Durch die bakteriologische Untersuchung
wurden ein Fall von asiatischer Cholera in
Wien und zwei Fälle in der Gemeinde Lisko
des gleichnamigen Bezirkes in Galizien fest¬
gestellt. In Wien handelt es sich um einen
verwundeten Offizier, der vom nördlichen
Kriegsschauplatz am 16. September 1. J. in
Wien eintraf und sofort in Spitalsbehandlung
gebracht wurde. Auch die beiden Erkran¬
kungen in Lisko betreffen Militärpersonen.
Die erforderlichen Massnahmen wurden
durchgeführt. Der an Cholera Erkrankte
wurde ins Franz Josef-Spital überführt und
auf die Abteilung für Infektionskrankheiten
untergebracht. Sein Befinden hat sich gebes¬
sert. — Am 26. d. M. wurde ein zweiter Fall
von Cholera bakteriologisch festgestellt, auch
dieser betrifft eine am 23. September vom
nördlichen Kriegsschauplatz in Spitalbehand¬
lung eingelangte Militärperson. — In Brünn
ist ebenfalls an einer vom nördlichen Kriegs¬
schauplatz eingetroffenen Militärperson Cho¬
lera konstatiert worden. — Das Ministerium
des Innern verlautbart: Irr Miskolcz, Szatmar-
Nemeti, Ungvar und im Budapester Gellert-
spital wurde je ein und ih Tokod drei neue
Fälle festgestellt.
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132
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
— Gesundheitsstand in Russland. Nach
einer Mitteilung des Dz. Pozn., die sich auf
einen Bericht über den Stand der öffentlichen
Gesundheit in Russland für das Jahr 1911
stützt, fallen von den „Vergiftungskrankhei¬
ten“ nicht weniger wie 7 Prozent auf akute
Alkoholvergiftung. Die Zahl der Syphilis¬
kranken wuchs von 1895 bis 1911 von 804,402
auf 1,264,435. Der Tod infolge von Krank¬
heiten wie Pocken ist in Russland etwas Nor¬
males. Der Flecktyphus erfordert 120,671
Opfer. Pest und Cholera herrschen mit ge¬
ringer Unterbrechung ständig in Russland
(Nachbarschaft der asiatischen Herde solcher
Krankheiten). Krätzekranke gab es 1895:
1,508,196, acht Jahre später, 1903, 3,630,731.
Das Trachom wies in den zehn Jahren von
1902 bis 1911 einen Zuwuchs von 497,616 auf
941,464 auf. In manchen Gouvernements ist
jeder zehnte Einwohner krätzekrank. Die
Zahl der Aerzte in Russland — 21,747 — steht
in gar keinem Verhältnisse zur Ausdehnung
und Einwohnerzahl des Landes. Dabei woh¬
nen 72 Prozent der Aerzte Russlands in den
Städten, da die Wohnungsverhältnisse auf
dem Lande sehr schlecht sind, die Gegenden
sind schwach bevölkert, die Entfernungen der
Dörfer gross. Es gibt Bezirke, in denen erst
auf 138,900 Einwohner ein Arzt zu rechnen
ist. Die Zahl der Dienstuntauglichen betrug
auf 100 Dienstpflichtige in den Jahren 1874
bis 1883 13, 1884 bis 1893 19, 1907 21, 1911 23.
(Allg. Wien. m. Ztg. 1914 Nr. 28.)
Aufruf!
Europa steht in Flammen. Ein Krieg ist ausgebrochen, wie ihn die Weltgeschichte noch
nicht erlebt hat. Wie die Geschicke der Völker sich gestalten mögen, weiss nur Gott allein.
Wir aber wissen, dass unendliche Not und namenloses Elend die unabwendbaren Folgen
dieses Krieges sein werden, wie immer der Ausgang sein möge. Zu den Völkern, die in den
schrecklichen Krieg verwickelt sind, gehört auch Deutschland, das Land, in dem unsere oder
unserer Vorfahren Wiege stand, mit dem unzertrennbare Bande des Blutes und des Herzens
uns verbinden.
Daher richten die Unterzeichneten an alle Deutschen und an alle Amerikaner deutschen
Stammes die herzliche Bitte, der höchsten und heilgsten Menschenpflicht eingedenk zu sein
und durch freiwillige Spenden die Not der deutschen Stammesbrüder zu lindern. Es gilt
nicht nur die Verwundetn zu pflegen, sondern auch den Wittwen und Waisen hülfreich zur
Seite zu stehen, denen die Kriegsfurie den Beschützer und Ernährer entrissen hat. Reiner
Menschlichkeit ist unser Bemühen gewidmet, ausschliesslich für wohltätige Zwecke sollen
die gesammelten Beträge Verwendung finden. Daher kann jeder ein Scherflein beitragen
ohne Ansehen der Nationalität.
Es wird gebeten, Beiträge an die „NEW YORK TRUST CO.“, 26 Broad Street, New
York City, unter der Bezeichnung GERMAN RELIEF FUND zu senden. Auch die Unter«,
zeichneten sind zur Annahme von Beiträgen berechtigt.
Die eingesandten Gelder werden der deutschen Botschaft in Washington zur Ueber-
weisung an den Zwecken des Aufrufs entsprechende Wohltätigkeitseinrichtungen in Deutsch¬
land übermittelt werden.
Alex Andrae
Charles Engelhard
John Oscar Erckens
E. Hossenfelder
Rudolph Keppler
Albert Leisel
Adolf Pavenstedt
Hans Reineke
Dr. Richard Schuster
Dr. G. E. Seyffarth
Carl L. Schurz
Charles H. Weigek
Wilhelm Knauth
Xonrad Bühler
Rudolf Erbslöh
A. Heckscher
E. C. Hothorn
William Kiene
Adolf Kuttroff
Edmund Pavenstedt
Dr. A. Ripperger
Klaus A. Spreckels
Hermann Schaaf
Edmund Stirn
C. B. Wolffram
George Rueders
Carl Bünz
A. von Gontard
C. von Helmolt
William Kaupe
G. B. Kulenkampff
Henry E. Niese
Christoph Rebhan
Dr. Paul C. Schnitzler
Oscar R. Seitz
Dr. Gustav Scholer
A. Vogel
Robert Badeohop
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JSov Yorker
JVIcdiziniöcbc JVIonatööcbnft
Offlatolles Orgtn der
DtstfdK« meustaiKNa 6efdlfdwift«i der Staate nee Verk.
CMago md Cimland.
Herausgegeben von Dr. ALBERT A. RlPPERGER
unter Mitwirkung von Dr. A. Herzfeld, Dr. H. G. Klotz und Dr. von Oefei.e.
Bd. XXV.
New York, November. 1914.
Nr. 6.
Originalarbeiten.
Zur Kasuistik der Pankreaskrankheiten.*
Von G. A. Friedman, MD., New York.
Attending Physician in Digestive Diseases Vanderbilt-Clinic.
() s e r und Koerte haben so aus¬
führlich die Symptomatologie der Pan-
kreaskrankheiten geschildert, dass die¬
jenigen Autoren, welche später auf dem¬
selben (iebiete arbeiteten, nichts Bemer¬
kenswertes zum klinischen Bilde dieser
Affektionen hinzufügen konnten. Aber
trotz der vorzüglichen Schilderung der
Symptome und des klinischen Verlaufs
in den Monographien der erwähnten
Autoren ist. wie Albu sich treffend
ausdrückt, die Diagnose einer Pankreas¬
erkrankung vielfach immer noch als ein
glücklicher Zufall zu betrachten.
Wie man häufig annehmen muss, lie¬
gen die diagnostischen Schwierigkeiten
darin, dass die Symptome der Pankreas-
lärionen derartig mit denjenigen der
Magendarmkrankheiten vermischt sind,
dass es schwer fällt, ein für die Pan¬
kreaskrankheit charakteristisches Symp¬
tom herauszukristallisieren. Gelingt es
aber, ein Verdachtsmoment herauszu¬
greifen, so kann die in den letzten Jah-
* Aus Arch. f. Verdauungskr., Bd. XX, H. 2
(1914).
reu ausgearbeitete Funktionsprüfung
des Pankreas in den meisten Fällen zu
einer positiven Diagnose führen.
Zweck der vorliegenden Mitteilung
ist nicht, auf Einzelheiten der Symp¬
tomatologie, des klinischen Verlaufs
oder der allgemeinen Funktionsprüfung
einzugehen, weil darüber ausgezeichnete
Abhandlungen von M a y o, Robson,
A 1 b u u. a. existieren, in welchen auch
eine umfangreiche Literatur angegeben
wird. Hier sollen vielmehr nur in aller
Kürze die wichtigsten Symptome her¬
ausgegriffen werden, die uns veranlas¬
sen, eine Erkrankung des Pankreas zu
vermuten, als da sind: Glykosurie, per¬
manent oder transitorisch auftretend,
Fettstühle ohne Ikterus, Massenhaftig-
keit der Stühle, zuweilen Ikterus allein.
Fehlt Glykosurie bei Anwesenheit ei¬
nes der letzten drei Verdachtsmomente,
so muss bewiesen werden, dass alimen¬
täre Glykosurie besteht. Luter allen
Umständen muss aber das Fehlen oder
die bedeutende Verminderung der pan-
kreatischen Fermente in den Stühlen,
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134
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
resp. in dem nach Einhorn oder
Gross gewonnenen Duodenalinhalt
festgestellt werden. Nur dadurch kann
der endgültige Beweis geliefert werden,
dass entweder die sekretorische Tätig¬
keit der Drüse aufgehört hat oder ver¬
mindert wurde, oder aber, dass dem Ab¬
fluss des Succus pancreaticus ein Hin¬
dernis in den Weg gelegt wurde. Nur
dann kann der mikroskopische und che¬
mische Nachweis von Steatorrhoe und
Kreatorrhoe in den Fäzes die Diagnose
einer Pankreaserkrankung unterstützen.
Für den Praktiker ist es also wichtig,
sich die Technik der Fermentanalyse an¬
zueignen, denn die chemische Analyse,
die doch mehr wissenschaftliches Inte¬
resse hat, muss dem Fachmann überlas¬
sen bleiben.
Von den subjektiven Symptomen ist
meiner Erfahrung nach der epigastrale
Schmerz von der grössten Bedeutung.
Dieses Symptom, welches schon mehr¬
fach mit Erfolg für die Diagnose der
akuten Pankreatitis verwendet worden
ist, hat meines Wissens noch keine prak¬
tische Ausnützung für die chronischen
Pankreaserkrankungen erfahren. Diese
Schmerzen strahlen nach dem Rücken
in der dem Epigastrium entgegengesetz¬
ten Richtung aus; zuweilen treten sie in
Paroxysmen auf, zuweilen sind sie aber
auch konstant. Die Schmerzen stehen
in keinem Zusammenhang mit der Nah¬
rungsaufnahme. Bei einem meiner Pa¬
tienten, den ich mehrere Monate lang
beobachtete, war dieses Symptom so
ausgeprägt, dass ich schon bei der er¬
sten Untersuchung eine Erkrankung des
Pankreas vermutete. Die eingeleitete
Funktionsprüfung sicherte dann auch
die Diagnose. Ueber diesen Fall habe
ich im Medical Record unter Beifügung
des Operations- und Autopsiebefundes
berichtet.
Eine Frau, die nicht ikterisch ist, und
deren einzige Klage in paroxysmusarti-
gen, nach dem Rücken ausstrahlenden
Schmerzen besteht, befindet sich augen¬
blicklich in einem hiesigen Hospital un¬
ter meiner Beobachtung. Der Stuhl die¬
ser Patientin wurde mehrere Male, der
Duodenalinhalt einmal untersucht. Tryp¬
sin und Amylase fehlten stets. Azotor-
rhoe ist markant. Fettgehaltsverhält¬
nisse normal. Zweimal wurde Zucker
im Urin nachgewiesen, sechsmal fehlte
derselbe. Da Patientin schon seit vier
Jahren an den erwähnten Anfällen litt,
so wurde Probelaparotomie vorgeschla¬
gen, die aber bis jetzt abgelehnt wurde.
Es wurde von uns hier pankreatische
Lithiasis vermutet.
Fall 2 soll noch mehr die Wichtigkeit
des epigastralen Schmerzes für die Pan¬
kreasdiagnose beleuchten.
Ekel vor Fleisch gehört entschieden
zu den seltenen Angaben der Pankreas¬
kranken, doch bestand derselbe bei einer
meiner Patientinnen mehrere Monate
lang. Die Autopsie ergab in diesem
Falle Karzinom des Pankreaskopfes;
auch wurde ein Kalkulus im Ductus pan¬
creaticus gefunden und akut entstandene
Magenparalyse, die sich anscheinend
nach Verabreichung eines Abführmittels
entwickelte. Dieser Fall wurde von mir
im New York Medical Journal veröf¬
fentlicht.
Hierbei erlaube ich mir noch über
fünf Fälle zu berichten.
Fall 1. Julia D., 56 Jahre, konsultier¬
te mich zum ersten Male im Mai 1912.
Sie klagte über Anfälle von sehr hefti¬
gen Schmerzen, die immer zuerst im lin¬
ken Hypochondrium auftreten, nach der
Brust, dem Rücken und der linken
Schulter ausstrahlen. Der erste Anfall
ereignete sich vor acht Jahren nach ei¬
ner Entbindung. Patientin hatte schon
damals das Gefühl, als ob ein Stein im
linken Hypochondrium läge. Die
Schmerzen sind in der letzten Zeit sehr
heftig geworden und quälen die Patien¬
tin mehrmals im Laufe des Tages. Der
Anfall hört nur nach Einnahme eines
von ihrem Arzt verschriebenen Pulvers
auf. Niemals will sie Schmerzen nach
rechts verspürt haben; auch stehen die
Schmerzen in keinem Zusammenhang
mit der Nahrungsaufnahme. Ikterus ist
niemals vorhanden, ebensowenig Durst-
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
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gefühl. Hartnäckige Verstopfung. Ver¬
lor im letzten Jahre 12 kg an Gewicht.
Als Mädchen litt Patientin ganz kurze
Zeit an Verdauungsstörungen. Lues und
Alkohol in Abrede gestellt. Patientin
hat 12 lebende Kinder geboren. Fami¬
liengeschichte negativ.
Status 31. V. Robust aussehende
Frau. Zähne in sehr schlechtem Zu¬
stande. Kein Ikterus. Herz und Lun¬
gen normal. Epigastrische Pulsation.
Venter pendulus, rechtsseitige Wander¬
niere. Leberrand und Milz nicht pal-
pabel. Keine Schmerzhaftigkeit nach
rechts, aber intensiv im linken Hypo-
ehondrium.
Urin: Zucker positiv (Nylander, Feh¬
ling). Keine Gallenreaktion.
Fäzes 7. V. Reaktion schwach alka¬
lisch. Farbe normal, Geruch nicht stin¬
kend. Blut positiv. Mikroskopisch ist
eine enorme Anzahl Muskelfasern zu be¬
obachten, von denen die meisten ihre
Querstreifung beibehalten haben. Viele
Fettnadeln und Fetttropfen, aber keine
Kristalle von normalem Fett.
8. V. Trypsin selbst in 1/10 Lösung
(Gross-Fuld) nicht verdaut.
21. V. Massenhafte Stuhlentleerung.
Ohne Beimischung von Urin gewogen
240 g. Okkultes Blut positiv. Hb. 80
Prozent. Rektale Untersuchung nega¬
tiv.
Der Urin wurde noch mehrere Male
untersucht, und stets wurde in demsel¬
ben ein Zuckergehalt von l l / 2 '—2 Pro¬
zent gefunden. Der Patientin wurde
vorgeschlagen, sich wegen chronischer
Pankreatitis, als einer möglichen Kom¬
plikation von Gallensteinen, operieren zu
lassen. Sie entzog sich aber meiner Be¬
obachtung bis zum Januar 1913.
21. I. Ausgesprochener tiefer Ikterus,
der nach Angabe der Patientin plötzlich
vor 10 Tagen entstanden sein soll. Aber
schon vor 10 Wochen bemerkte sie, dass
der Urin braun wurde, und vor fünf Ta¬
gen beobachtete sie tonfarbigen Stuhl.
Es konnte jetzt eine harte Masse im
rechten Hypochondrium und in der Ge¬
gend des Colon descendens palpiert und
ausserdem absolute Dämpfung der lin¬
ken Lunge von unten bis zur Angula
scapulae konstatiert werden, mit voll¬
ständigem Verschwinden des Pektoral-
fremitus (pleuritischer Erguss). Urin
ikterisch, kein Zucker. Galle positiv.
Fäzes ton farbig. Keine Spur von Tryp¬
sin. Sterkobilin negativ.
Blut: Hb. 80 Prozent, rote Blutkör¬
perchen 5,800,000, weisse 9,800. Poly-
morphonukleäre Leukozyten 86, kleine
Lymphozyten 12, Eosinophile 1, Ueber-
gangsformen J/i Prozent.
Operationsbericht 23. I. 1913 (Dr. A.
A. Gerster) : Krebsige Masse in der
Gallenblase, welche mit Steinen gefüllt
ist. Krebsige Knoten im Pankreas und
eine grosse harte Tumormasse in der
Flexura lienalis oder im Schwanz des
Pankreas.
Merkwürdigerweise verschwand der
Ikterus nach der Probelaparotomie voll¬
ständig. Patientin fühlte sich wohl bis
Mai, zu welcher Zeit fast im ganzen Ab¬
domen und im Rectum Metastasen zu
palpieren waren. Exitus Ende Juni.
Autopsie konnte nicht erhalten werden.
Besprechung. Es ist möglich, dass
Patientin das Karzinom schon hatte, als
ich sie zum ersten Male sah. Es ist auch
sehr wahrscheinlich, dass es sich primär
im Pankreas entwickelte und vielleicht
in der Cauda. Per contiguitatem ver¬
breitete sich die Geschwulst nach rechts
und links. Für den Sitz des Karzinoms
in der Cauda würde noch die Tatsache
sprechen, dass die Schmerzen stets nach
links verspürt wurden, und der Erguss
in der linken Pleurahöhle stattfand. Da
aber auch Gallensteine in der Gallenblase
gefunden wurden, so litt Patientin wahr¬
scheinlich an einer häufigen Komplika¬
tion der Gallensteine, chronischer Pan¬
kreatitis, vielleicht noch an pankreati-
scher Lithiasis, wie in dem erwähnten
Falle, wo bei der Autopsie ausser Pan-
kreaskarzinöm noch ein Kalkulus im
Ductus pancreaticus gefunden wurde.
Nachträglich erfuhr ich, dass bei dieser
Patientin schon vor drei Jahren ab und
zu Zucker im Urin konstatiert wurde.
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136
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
Fall 2. L. H., 50 Jahre, Knopffabri¬
kant, konsultierte mich am 15. Oktober
1913. Patient klagt über kontinuierli¬
chen Schmerz im Epigastrium, der von
da in der entgegengesetzten Richtung
nach dem Rücken ausstrahlt. Diesen
Schmerz verspürte er zuerst im Juni.
Völle in der Magengrube nach Mahlzei¬
ten. Hat nur einige Pfund an Gewicht
abgenommen. Appetit sehr schlecht.
Seit 10 Jahren litt Patient ab und zu an
Dyspepsie, die sich in Schmerzen zwei
bis drei Stunden nach den Mahlzeiten
äusserte. Der Stuhlgang war stets re¬
gelmässig. Vor einigen Jahren erbrach
er mehrere Male. Hat nie Blut im Er¬
brochenen oder Stuhl beobachtet. Nie¬
mals Ikterus. Will immer mager gewe¬
sen sein. Lues und Potus in Abrede ge¬
stellt.
Status: Mager aussehender Mann.
Gewicht 103 Pfund. Man fühlte bei der
Tiefenpalpation nach Hausmann
eine Resistenz oder Tumormasse zwi¬
schen Epigastrium und Nabel. Ausser¬
dem wird intensive Schmerzhaftigkeit
beim Palpieren nach rechts in der Nabel¬
gegend empfunden, wo der rechte Rek-
tusmuskel sehr rigid ist.
Aus dem nüchternen Magen einige
Tropfen Speichel gewonnen. Congo ne¬
gativ. Probefrühstück: freie Säure 0,
(iesamtazidität 10, 90 ccm ausgehebert.
Fäzes: Okkultes Blut 9. Blut: ITb. 65
Prozent. Rote Blutkörperchen 6,004,000,
wcisse 7.440. Polymorphonukleäre Leu¬
kozyten 56 1 !-, K. L. 26, G. L. 6, Mast. 1,
Eos. 3.5, Uebergangsformen l l / 2 .
Harn: Indikan im Ueberschuss. Was¬
sermann negativ.
Radiologischer Bericht: Hypermoti-
lität des Magens und Darms. Der Bis-
mutlibrei verliess schon nach einer hal¬
ben Stunde den Magen.
Probelaparotomie 30. X. (Dr. Ger¬
ste r) : Magen gründlich besichtigt und
normal gefunden. Duodenum normal.
Einige kleine krebsige Knoten an der
oberen und unteren Leberfläche. Karzi-
nomatöse Masse im Pankreaskopf.
Chirurgische Diagnose: Primäres
Karzinom des Pankreas mit Metastasen
in der Leber.
Epikrise. Vor der Operation wurde
garnicht an eine Erkrankung des Pan¬
kreas gedacht. ’ Am 30. November, nach
der Probelaparotomie, wurde der Stuhl
untersucht. M ikroskopisch konnten,
nachdem dem Patienten y 2 Pfund
Fleisch gereicht wurde, viele Muskel¬
fasern im Stuhl, aber nur einzelne Fett¬
tropfen gefunden werden. Trypsin und
Amylase in vollständig normalen Wer¬
ten. Er scheint, dass die Probelaparo¬
tomie das Wachstum der Geschwulst be¬
schleunigte, was nach meiner Erfahrung
gar keine seltene Erscheinung nach Ope¬
rationen bei bösartigen Geschwülsten ist,
denn der Leberrand reichte schon bald
nach der Laparotomie zwei Finger unter
dem Nabel; die Oberfläche war höcke¬
rig, und in der Bauchhöhle waren einige
Knoten zu palpieren. Dieser Fall ge¬
hört zu denjenigen, wo die Funktions¬
prüfung des Pankreas keine Aufklärung
gab. Post factum war für die Erkran¬
kung des Pankreas auch nur der nach
dem Rücken vom Epigastrium ausstrah¬
lende Schmerz massgebend. Es fragt
sich nur, ob man eine positive Diagnose,
auf ein subjektives Symptom gestützt,
stellen darf.
Fall 3. S. S., 48 Jahre, Schneider.
Ins Hospital aufgenommen am 8. Ok¬
tober 1913. Exitus 23. Oktober. (Pro¬
tokoll-No. 244, Beth David-Hospital.)
Vor neun Wochen begann Patient
über undefinierbare Schmerzen im Epi¬
gastrium zu klagen, mit einem Gefühl
von Völle nach den Mahlzeiten. Eine
Woche später hatte er einen sehr hefti¬
gen Anfall von Schmerzen im oberen
Abdomen mehr nach rechts. Die
Schmerzen waren von schneidendem
Charakter, traten plötzlich auf und
strahlten nicht nach dem Rücken aus.
Seitdem verspürte er keine Schmerzen
mehr. Am nächsten Morgen nach die¬
sem Anfall fiel ihm auf, dass er gelb
wurde. Die Gelbsucht stieg allmählich
an und blieb dann stationär. Der Stuhl
war tonartig gefärbt und der Urin braun.
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
137
Wird auch von Hautjucken gequält, be¬
sonders in der Nacht, was ihn des Schla¬
fes beraubt. Appetit gut. Gewichtsver¬
lust einige Pfund. Stuhlgang bis zum
Anfall regelmässig, seitdem Verstopf¬
ung.
Vorgeschichte: Malaria im Alter von
sechs Jahren. Hat vor 13 Jahren einen
ähnlichen Anfall durchgemacht, aber da¬
mals strahlte der Schmerz nach Rücken
und Schulter rechts aus.
Status: Tiefer Ikterus. Sieht fast
wie ein Araber aus. Sclerae deutlich
gelb. Viele Krätzmarken und Haemor-
rhagien an der Haut. Herz und Lungen
normal. Rektaluntersuchung negativ.
Abdomen weich. Schmerzhaftigkeit
kann nicht nachgewiesen werden. Obere
Lebergrenze sechste Rippe, rechter Le¬
berrand vier Finger unter dem Nabel.
Hart. Oberfläche knotig. Weder Milz
noch Nieren palpabel. Harn ikterisch.
Galle positiv. Urobilin negativ. Ma¬
geninhalt ergibt mässige Hyperazidität.
Fäzes: Okkultes Blut positiv. Tonfar¬
big. Wassermann negativ. Duodenal¬
inhalt: Nach dem Verweilen der Ein-
h o r n’schen Röhre während der Nacht
werden des Morgens 5 ccm aspiriert.
Farbe gelblich grün. Reaktion schwach
sauer.
Blut: Reaktion schwach positiv. Fer¬
mente. Amylopsin vorhanden, in kleinen
Quantitäten nachgewiesen mit Stärke¬
kleister nach 25 Minuten, schwache Ery¬
throdextrinreaktion nach drei Stunden.
Kontrolle negativ. Trypsin: schwache
Verdauung von koaguliertem Eiweiss
nach drei Stunden. Kontrolle negativ.
Pepsin negativ. Keine Verdauung von
koaguliertem Eialbumen in zwei Stun¬
den.
Fäzes: Farbe grauweiss, tonartig.
Gallenpigment negativ (Ruperts Re¬
agenz Quecksilberoxydul), auch für Hy-
drobilirubin. Keine Muskelfasern (Pa¬
tient hat längere Zeit kein Fleisch zu
sich genommen), einige Stärkekörnchen.
Eine enorm grosse Anzahl von Fett¬
kügelchen und Fettnadeln.
Keine Leukozyten. Keine rote Blut¬
körperchen.
Wahrscheinlichkeitsdiagnose: Karzi¬
nom des Pankreaskopfes mit Metastasen
in der Leber.
19. Oktober. Temperatur stieg plötz¬
lich auf 103 Grad F., erreichte am 20.
106 Grad F. Am 22. Oktober Hämate-
mesis und subnormale Temperatur. Exi¬
tus am 23. Oktober. Autopsie konnte
leider nicht ausgeführt werden.
Epikrise. Es scheint, dass Patient an
Gallensteinen litt (typischer Gallenstein¬
anfall vor 13 Jahren). Dieser Fall ist
ähnlich wie Fall 1, wo bei der Operation
Gallensteine und Karzinom des Pan¬
kreas gefunden wurden.
Fall 4. R. I., 39 Jahre, Italiener
(Protokoll Vanderbilt-Klinik, Serie C,
18,405). Patient gibt an, dass er seit 14
Monaten in seinem Stuhl Fett beobach¬
tet hat, wenn er auch ganz kleine Quan¬
titäten Fett genoss. Ihm fiel auch da¬
bei auf, dass die Stühle aashaft stinkend
und massenhaft waren. Stuhlgang nor¬
mal, solange er kein Fett zu sich nimmt,
sonst diarrhoisch und massenhaft. Der
Stuhl enthält auch viel Schleim. Die
Farbe des Stuhls soll der Nahrung ge¬
mäss wechseln, z. B. sieht derselbe im¬
mer grün aus, wenn er pflanzliche Stoffe
isst, gelb nach Makkaroni. Will viel an
Gewicht abgenommen haben (sein
Durchschnittsgewicht soll gewöhnlich
147 Pfund gewesen sein). Im Beginn
seiner Krankheit soll er häufig uriniert
haben. Niemals hat er Durst verspürt.
S£it vier Monaten leidet er an nach dem
Rücken ausstrahlenden Schmerzen im
Epigastrium, zuweilen auch an frontalen
Kopfschmerzen.
Vorgeschichte: Vor 17 Jahren litt er
an Erysipelas. Schon vor sieben Jahren
beobachtete er zuweilen Fett im Stuhl.
Ein Professor in Neapel, den er konsul¬
tierte, beruhigte ihn; er meinte, dies
wäre ohne Bedeutung, solange er keine
Beschwerden habe. Patient will niemals
ikterisch gewesen sein.
Status: Patient ist gut körperlich ent-
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wickelt, sieht eher gesund aus. Herz
und Lungen normal. Beim Palpieren
zwischen Epigastrium und Nabel rea¬
giert er mit Schmerz, sonst Befund ne¬
gativ. Patient wiegt 128 Pfund. Sein
Urin wurde sechsmal im Verlauf der Be¬
obachtung untersucht; dreimal konnte
Zucker im Urin nachgewiesen werden,
dreimal war er zuckerfrei.
Blut: Hb. 80 Prozent, rote Blutkör¬
perchen 4,200,000, weisse 6,100. Poly-
morphonukleäre Leukozyten 48 Prozent,
K. L. 42, mononukleäre 7, Eosinophile 2,
Uebergangsformen 0.5, Mastzellen 0.5
Prozent.
Fäzes (von Dr. Crohn untersucht).
Gesamtgewicht (getrocknet) 96.5 g.
Tonfarbig. Beschaffenheit massig. Aus¬
sehen fett. Viele Partikel von unverdau¬
ten Pflanzenstoffen. Geruch schwach
ranzig. Mikroskopisch: Voll von unver¬
dauten Muskelfasern und Kristallen neu¬
tralen Fettes. Viele Kristalle von Seifen
und Fettsäuren. Bakterien. Chemisch:
Sterkobilin positiv. Fermente: 1 g Fä¬
zes verdaut, 25 ccm einer 1 proz. Stärke¬
lösung, d. h. 25 Einheiten. Eine mässig
schwache Reaktion. Trypsin (Gross-
Ftild) 9, Lipase 0. Stuhl, getrocknet.
96.5 g. N. 4.8 Prozent = 4.63 g. F. 45
— 72 Prozent = 44.11 g, von dieser
Menge 53 Prozent gespaltenes Fett
(Fettsäuren und Seife). Patient entzog
sich meiner Beobachtung seit 27. Mai.
Welcher Natur diese Pankreaskrank¬
heit war, muss dahingestellt bleiben.
Fall V. V. W., 28 Jahre, konsultierte
mich zuerst am 28. März 1912. Fami¬
liengeschichte negativ. Will vor Juni
1907 nie krank gewesen sein. Sie wurde
dann mit Syphilis infiziert und mit
Schmierkur energisch behandelt. Im
Verlauf der letzten 2]/ 2 Jahre trat keine
Hauteruption mehr auf. Im November
1909 wurde Zucker im Urin gefunden.
Patientin klagte auch dann über Pruri¬
tus vulvae. Beide Beschwerden ver¬
schwanden nach eingeleiteter antidiabe¬
tischer Behandlung. Der Zuckergehalt
von der Zeit ab, wo er zuerst gefunden
wurde, schwankte zwischen 0 und 2 l / 2
Prozent. Patientin hat zwei gesunde
Kinder geboren, bevor sie Syphilis ak¬
quirierte. Vor zwei Jahren litt sie an
Durchfällen, die erst vor sieben Monaten
aufhörten als Resultat der Behandlung.
Im Verlauf der letzten Jahre leidet
Patientin an Schmerzen im Epigastrium,
ganz unabhängig von der Nahrungsauf¬
nahme. Trotz der Behandlung ver¬
schwindet dieser Schmerz nicht und ver¬
ursacht der Patientin beständige Sorge.
Kein Diabetes in der Familie.
Status: Robust aussehende Frau. In¬
tensive Schmerzhaftigkeit im Epigastri¬
um. Die Schmerzen strahlen nach dem
Rücken aus.
Urin: 28. März Zucker positiv. Am
1. April 0.6 Prozent, am 4. Mai 0, am
2. Juni 2 Prozent.
Aus der von Dr. v. O e f e 1 e ange-
stellten Fäkalanalyse entnehme ich das
Wichtigste: 5. April 1912 Menge 202g.
Kohärenz weich, nicht geformt. Farbe
braun, hellbraun mit einem Stich ins
Graue. Geruch sauer. Lakmusreaktion
deutlich sauer. Gesamtfestbeständteile
23.92 Prozent, Asche 18.18 Prozent.
Erster Aetherextrakt 21.88 Prozent.
Farbe intensiv zitronengelb. Zweiter
Aetherextrakt 4.38 Prozent. Gesamt¬
ätherextrakt 26.26 Prozent.
Stearinsäure (Fried. M ü 11 e r) 3.55
Prozent, ungespaltenes Fett (Müller)
18.33 Prozent, gespaltenes Fett (Mül-
1 e r) 7.9 Prozent, Koeffizient der Spal¬
tung 30: 100, Steapsin 0, Trypsin schwa¬
che Reaktion. Amylopsin deutlich vor¬
handen. Mikroskopisch: Viele Muskel¬
fasern von niederen Tieren in grossen
Stücken und absolute unverdaut.
Es unterliegt keinem Zweifel, dass in
diesem Falle eine Pankreasinsuffizienz
vorlag. Nun bleibt eine Frage zu be-
answorten, ob man die Schuld für diese
Pankreatitis der Lues oder der energi¬
schen Schmierkur zuschreiben soll.
Zum Schluss soll noch betont werden,
dass epigastraler Schmerz in den klini¬
schen Bildern von Fall 2, 4 und 5 so auf-
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139
fallend vorherrschte, ja, dass im Fall 2
dieses Symptom das einzige charakteri¬
stische für Pankreasaffektion war. Es
sollte deswegen diesem Symptom mehr
Aufmerksamkeit gewidmet werden, und
zwar hauptsächlich dann, wenn der
Schmerz in keiner Beziehung zur Nah¬
rungsaufnahme steht. Fall 2 beweist
noch, dass das Pankreas stark affiziert
sein kann, obwohl die Funktionsprüfung
desselben negativ ausfällt.
Literaturverseic h nis.
1. O s e r, L., Die Erkrankungen des Pan¬
kreas, Wien, 1898. 2. K o e r t e, W., Die chi¬
rurgischen Krankheiten und die Verletzungen
des Pankreas, Stuttgart, 1898. 3. A 1 b u, A.,
Beitrlge zur Diagnostik der inneren und chi¬
rurgischen Pankreas-Erkrankungen, Halle,
1911. 4. M a y o R o b s o n and C a m m i d g e,
The Pancreas, its Surg. and Pathol., Phila¬
delphia and London, 1907. 5. Friedman n,
G. A., A Case of Chronic Pancreatitis with
Polycythämia, Med. Record, 23. November
1912. 6. Derselbe, Cammidge Reaction in
Pancreatic Diseases with Notes of a Case,
New York Med. Journ., 11. April 1908.
Zur Behandlung der Tuberkulose mit Sanocalcin-
Tuberkulin.*
Von Dr. Caleari.
Ueber die Bedeutung des Tuberkulins
für die Tuberkulosetherapie zu spre¬
chen, halte ich vollständig für überflüs¬
sig. Die zahlreichen Präparate, welche
seit Jahren existieren, und jene, die neu
entstehen, beweisen am besten, dass die
Frage, ob mit Tuberkulin therapeuti¬
sche Erfolge zu erzielen sind, nicht mehr
zu Recht besteht. Sie zeigen aber auch,
dass dem alten K o c h’schen Tuberku¬
lin, welches — man sage was man wolle
— noch immer souverän die Therapie
beherrscht, noch grosse Mängel anhaf¬
ten. Diesem Umstand verdanken eben
die anderen Tuberkulinpräparate ihre
Entstehung.
In erster Linie ist es die grosse Giftig¬
keit des Alttuberkulins, welche schon
den Kliniker und noch mehr den prakti¬
schen Arzt stets zu grosser Vorsicht
mahnt und seine Anwendung etwas
kompliziert gestaltet. Ausserdem zieht
sich in vielen Fällen die Behandlung viel
zu sehr in die Länge und stellt die Ge¬
duld so manches Patienten auf harte
Probe, wenn sie ihn nicht allzu früh
aus der Anstalt treibt. Welcher Tuber¬
kulosetherapeut weiss nicht ein Wort
über die zahlreichen Misserfolge zu
sprechen, welche bei besonders tuberku-
# Aus W. klin. Rdsch. 1914 Nr. 38/40.
linempfindlichen Patienten trotz der
grössten Vorsicht noch immer nicht zu
vermeiden sind.
Die störende Giftigkeit des Tuberku¬
lins herabzusetzen, lag auch in den In¬
tentionen des Erfinders des Sanocalcin-
Tuberkulins, eines Präparates, welches
in der chemischen Fabrik Goedecke &
Co. hergestellt wird und eine lösliche
Verbindung des Calciumglycero-Lakto-
phosphats mit Tuberkulin enthält. Die¬
ses Mittel wird in Serienpackungen von
zwölf steigenden, in sterilen Ampullen
eingeschmolzenen Dosen abgegeben; die
erste Dose Nr. 1 enthält 0.0001 g Tuber¬
kulin, jede nächste Dose zirka die dop¬
pelte Menge der letzten, bis die Dosis
Nr. 12 mit 0.5 g Tuberkulin abschliesst.
Die mit diesem Präparat von Korb 1 )
und Camphausen 2 ) erzielten Er¬
folge veranlassten mich, das Mittel auch
in unserer Anstalt anzuwenden. Ob¬
wohl die Zahl der damit bisher behan¬
delten Patienten noch eine kleine und
die Beobachtungsdauer eine viel zu
kurze ist, kann man immerhin schon
jetzt auf die Wirksamkeit der Mittel ge¬
wisse Schlüsse ziehen. Ich möchte da¬
her im Nachstehenden einige Kranken-
1) Zeitschrift f. Tuberkulose 1912 Bd. 19 II. 4.
2) Zeitschrift f. Tuberkulose 1913 Bd. 21 H. 3.
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
geschichten ohne grossen Kommentar
anführen, aus welchen sich der Leser
selbst ein Urteil bilden möge.
Es wurden sowohl leichte als schwere
Fälle behandelt. Unter den ersteren be¬
finden sich einige, wo die klinische Dia¬
gnose anfangs zweifelhaft war. Einge¬
leitet wurde die Behandlung nach der
dem Präparat beiliegenden Gebrauchs¬
anweisung mit verdünnten Dosen; im
Verlauf der Behandlung musste jedoch
von den fixierten Dosen Abstand ge¬
nommen und zu Verdünnungen gegrif¬
fen, beziehungsweise die Dosen wieder¬
holt werden.
Fall 1. Alma F., 18 Jahre alt, here¬
ditär nicht belastet. Im Oktober 1912
Hämoptoe. Seither allgemeines Schwä¬
chegefühl ohne andere Symptome. Ap¬
petit gut. Objektiv seit einem Jahre
spärliches, kaum wahrnehmbares, klein¬
blasiges Rasseln und leichte Dämpfung
über der linken Lungenspitze. Tempe¬
ratur normal. Gewicht bei der Aufnah¬
me am 29. Januar 1. J. 55 Kilogramm.
Die Pirquet’sche Reaktion am 10. Fe¬
bruar negativ, wurde bei der Wieder¬
holung am 16. Februar nach 48 Stunden
mittelstark positiv. Seit der Aufnahme
eine Gewichtszunahme von einem Kilo¬
gramm.
Am 18. Februar mit der Behandlung
mit Sanocalcin-T uberkulin begonnen.
Die erste Injektion (Nr. 1) sowie die
zweite Injektion (Nr. 2) am 25. Februar
verliefen ohne jede Reaktion. Die drit¬
te Injektion am 1. März (Nr. 3) war
acht Stunden später von allgemeiner
Mattigkeit, schwachem Hustenreiz mit
geringem bazillenfreiem Auswurf ge¬
folgt. Die höchste Temperatur betrug
37.1 Grad C. Die Rasselgeräusche links
sind viel deutlicher geworden, die At¬
mung verschärft. Die Impfstellen nach
Pirquet, selbst die erste, wo die Re¬
aktion negativ ausgefallen war, zeigten
starke, die Injektionsstellen eine leichte
Rötung. Diese Reaktion war nach zwei
Tagen wieder verschwunden. Die vierte
Injektion am 8. März (Nr. 4) wurde
reaktionslos vertragen.
Nach der sechs Tage später vorge¬
nommenen fünften Injektion (Nr. 5)
wurde die höchste Temperatur, 37.2
Grad C., am dritten Tag erhoben; allge¬
meine Mattigkeit hat vier Tage gedau¬
ert. Mit Rücksicht darauf wurde vor¬
sichtshalber bei der nächsten Injektion
am 23. März nur die Hälfte der Num¬
mer 6 verwendet; trotzdem stellte sich
abends wieder Mattigkeit und Husten¬
reiz ein, jedoch ohne Temperatur¬
erhöhung. Die subjektiven Beschwer¬
den sind nach zwei Tagen vollkommen
verschwunden. Am 28. März wurde die
Hälfte der Nr. 6 ohne Reaktion injiziert.
Die nächsten Injektionen mit den Num¬
mern 7 und 8 wurden ebenfalls ohne
Reaktion vertragen. Nummer 9 wurde
wegen eingetretener Reaktion in glei¬
cher Dosis viermal wiederholt, worauf
die Nummern 10* und 11 wieder reak¬
tionslos vertragen wurden. Gegenwär¬
tig ist der allgemeine Zustand der Pa¬
tientin sehr gut, das Aussehen blühend,
der Appetit vorzüglich. Die Schwäche¬
zustände und das Gefühl der Mattigkeit
sind ganz verschwunden. Objektiv ist
keine Dämpfung mehr, nur ein minimal
verschärftes Atmen nachweisbar. Das
Körpergewicht beträgt 58.5 Kilogramm,
hat also im ganzen um Z]/ 2 Kilogramm
zugenommen.
Fall 2. Peter P., 28 Jahre alt, here¬
ditär belastet, ist seit Juni vorigen Jah¬
res krank, hat Hämoptoe gehabt. Bei
der Aufnahme am 12. September 1913
war Dämpfung über der linken Lungen¬
spitze und Rasselgeräusche über der
ganzen linken Lunge nachweisbar. Das
Körpergewicht betrug 61.5 kg. Der Pa¬
tient wurde zuerst mit Alttuberkulin be¬
handelt, auf welche er mit leichten, bis
37.3 Grad C. betragenden Temperatur¬
steigerungen und Kopfschmerzen rea¬
gierte.
Bei Beginn der Sanocalcin-Tuberku-
lin-Behandlung (am 18. Februar) wa¬
ren in beiden Lungen zerstreute Rassel¬
geräusche nachweisbar. Im ganzen
wurden 16 Injektionen gemacht. Die
erste und zweite war ohne Reaktion.
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Die dritte Injektion hatte eine allgemei¬
ne Reaktion, Fieber bis 40 Grad C. und
eine ausgesprochene Herdreaktion zur
Folge. Die früher gemachte Pirquet-
Probe ist stark positiv geworden, die
Rasselgeräusche in der Lunge waren
vermehrt, hauptsächlich links oben. Die
vierte Injektion war nur von allgemei¬
nen Erscheinungen (Kopfschmerzen,
Mattigkeit), ohne Fieber begleitet. Ge¬
wichtszunahme 1 kg. Nr. 5 wurde ohne
Reaktion zweimal wiederholt. Nr. 6
hatte wieder Fieber bis zu 40.2 Grad C.
und neuerliches Auftreten der Kutan¬
reaktion zur Folge. Das Körpergewicht
betrug am 16. April 73 kg. Nach zehn
Tagen wurde Nr. 6 wiederholt und ver¬
ursachte wieder eine starke Reaktion
(Temperatur bis 40 Grad C.), ja selbst
die dritte Wiederholung der Nr. 6 am
9. Mai war von Fieberbewegungen bis
39.4 Grad C. gefolgt.
Mitte Mai wurde der Patient auf eige¬
nes Verlangen aus der Anstalt entlassen
und weiterhin ambulatorisch behandelt.
Am 15. Mai wurde Nr. 6 zum vierten
Male wiederholt, die höchste Tempera¬
tur war 39.1 Grad C. Am 22. Mai wur¬
de wieder Nr. 6 injiziert. Temperatur
38.2 Grad C. Dann in zehntägigen In¬
tervallen wurde noch einmal Nr. 6 wie¬
derholt. Die letzte Injektion hatte nur
Hustenreiz, aber kein Fieber zur Folge.
Nr. 7 wurde ohne Reaktion, die Nr. 8
zweimal ohne Fieber, nur von Husten¬
reiz begleitet, injiziert. Gegenwärtig ist
das Allgemeinbefinden des Patienten zu¬
friedenstellend, der lokale Prozess be¬
deutend gebessert, das Gewicht um 10)4
kg gestiegen.
Fall 3. Bianca C., 24 Jahre alt, ver¬
heiratet. Die hereditär belastete Patien¬
tin hatte vor vier Jahren Abortus und
Hämoptoe, vor sechs Jahren linksseitige
Pleuritis. Seit zwei Monaten Husten,
Auswurf und Abmagerung. Befund bei
der Aufnahme am 30. Juli: Anämische
Patientin von grazilem Körperbau, Ver¬
kürzung des Perkussionsschalles links
oben, Rasselgeräusche, Atmungsgeräu¬
sche links verstärkt und scharf. Rechts
oben Rasselgeräusche ohne Dämpfung.
Bazillen im Sputum. Nach 25 Cacody-
latinjektionen wurde die Patientin auf
eigenes Verlangen Ende Januar 1. J. aus
der Anstalt gebessert entlassen. Die Be¬
handlung mit Sanocalcin-Tuberkulin
wurde anfangs Februar 1. J. begonnen.
Die Patientin hat im ganzen acht Injek¬
tionen erhalten, welche mit Ausnahme
von Nr. 3, 5 und 6 mit geringen Reak¬
tionen verbunden waren. Diese Num¬
mern ergaben Temperatursteigerungen
bis zu 40 Grad C. und starke Herdreak¬
tionen. Die letzte Injektion mit Nr. 8
hatte nur eine Herdreaktion erzeugt.
Die Patientin steht noch weiter in Be¬
handlung. Eine auffallende Besserung
ist nicht zu merken, wohl aber ist der
Allgemeinzustand zufriedenstellend.
Fall 4. Edmea F., 25 Jahre alt, here¬
ditär angeblich nicht belastet. Als Kind
hat sie die Blattern durchgemacht. Sie
ist seit 2)4 Jahren krank, hatte wieder¬
holt abundante Hämoptoe, war schon
vor 1)4 Jahren in der Anstalt, ist seit
5. Juli 1913 bettlägerig. Status: Blass,
sehr abgemagert, Gewicht 42)4 kg.
Ueber beiden Lungen diffuse Rasselge¬
räusche, Bazillenbefund. Sie wurde an¬
fangs mit Cacodylat behandelt und hat
100 Injektionen bekommen. Das Ergeb¬
nis war eine Gewichtszunahme von 5)4
Kilogramm. Der Verlauf war fast
afebril.
Bei Beginn der Kur mit Sanocalcin-
Tuberkulin am 18. Februar 1. J. waren
über dem Oberlappen der linken Lunge,
insbesondere über der Lungenspitze,
grossblasige Rasselgeräusche hörbar.
Pirquet mittelstark.
Die zwei ersten Injektionen mit Sano¬
calcin-Tuberkulin waren ohne Reaktion.
Nach der dritten Injektion trat Mattig¬
keit, Schüttelfrost und 39.6 Grad C. Fie¬
ber ein. Die Pirquet’sche Probe wurde
wieder sichtbar. Die Herdreaktion war
sehr ausgeprägt. Ueber der ganzen lin¬
ken Lunge Rasseln, an der Basis der
rechten Lunge Giemen. Nach Ablauf
der Reaktion ist eine auffallende Besse¬
rung des Appetits und allgemeines
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Wohlbefinden eingetreten. Die Injek¬
tion von Nr. 4 (am 14. März) war von
schwacher allgemeiner Reaktion beglei¬
tet. Die höchste Temperatur betrug am
nächsten Tage 37.5 Grad C. Seither be¬
ginnen täglich subfebrile Temperatur¬
schwankungen. Am 31. März wurde
Nr. 4 ohne Reaktion wiederholt. Wegen
eingetretener Menstruation und allge¬
meiner Abgeschlagenheit wurde mit der
Behandlung bis 27. April ausgesetzt und
dann wieder auf Nr. 3 zurückgegriffen.
Diese Wiederholung ergab noch eine
stärkere Reaktion (Fieber bis 40.2 Grad
C.) als die erste Injektion mit Nr. 3.
Am 9. Mai wurde Nr. 3 mit allgemeiner
Reaktion und Temperatursteigerung auf
37.7 Grad C. wiederholt. Seither ist ein
unregelmässiges Fieber bis 38.2 Grad C.
und Gewichtsabnahme (Körpergewicht
am 15. Juni 42^4 kg) zu notieren.
Schwäche und Appetitlosigkeit dauern
an, weshalb die weiteren Injektionen
vorläufig eingestellt wurden.
Fall 5. Franz D., 29 Jahre alt, here¬
ditär unbelastet. Kehlkopf- und Lun¬
gentuberkulose, Patient afebril, von gu¬
ter Ernährung.
Beginn der Kur im März* Im ganzen
wurden sieben Injektionen bis zu Nr. 6
verabfolgt. Die Nummern 4 und 6 ga¬
ben stärkere Reaktionen mit Tempera¬
turerhöhung bis 38 Grad C. Seit der
letzten Injektion blieb jedoch ein kon¬
tinuierliches Fieber zurück. Der Krank¬
heitsprozess schritt fort, trotz der Be¬
handlung und der Patient verliess'auf
eigenes Verlangen die Anstalt.
Fall 6. Emil V., 55 Jahre alt, heredi¬
tär belastet, seit drei Jahren krank. Be¬
fund: Dämpfung rechts, abgeschwächtes
Atmen, an der Basis kein Atemgeräusch
hörbar. Pirquet positiv. Am 31. März
Injektion mit Nr. 1 ohne Reaktion. Am
7. April Nr. 2 ebenfalls reaktionslos.
Nach der dritten Injektion (Nr. 3 am
13. April) Fieber bis 39.2 Grad C. und
allgemeine Abgeschlagenheit. Die Ras¬
selgeräusche sind auch links, an der
Spitze und Basis, aufgetreten. Die In¬
jektion von Nr. 4 am 19. April bewirkte
nur allgemeine Abgeschlagenheit ohne
Temperaturerhöhung. Seither sind die
katarrhalischen Erscheinungen links ver¬
blieben. Da die allgemeine Verschlim¬
merung fortdauerte, wurde das Sanocal-
cin-Tuberkulin ausgesetzt und die Be¬
handlung mit Alttuberkulin aufgenom-
men, aber ohne Erfolg.
Fall 7. Lydia C., 1 2> l / 2 Jahre alt, an¬
geblich hereditär unbelastet, litt schon in
der zartesten Kindheit öfters an katar¬
rhalischen Erscheinungen. Seit fünf
Jahren leidet das Kind an beiderseitiger
Koxitis. Rechts ist der Prozess mit
geringer Ankylose geheilt, links sind
noch Schmerzen vorhanden. Drei Mo¬
nate vor der Aufnahme hatte Patientin
schwache Hämoptoe. Status praesens :
Lieber den rechten Oberlappen sind At¬
mungsgeräusche etwas abgeschwächt.
Patientin klagt öfters über Schmerzen in
dieser Gegend. Die Temperatur ist
subfebril. Die am 27. März vorgenom¬
mene Pirquet’sche Probe hatte eine star¬
ke Reaktion mit Fieber bis 39 Grad C.
und Lymphangoitis zur Folge.
Am 3. April wurde Nr. 1 des Sanocal-
cin-Tuberkulins injiziert. Es trat eine
starke allgemeine Reaktion auf: Husten¬
reiz, unruhige Nacht, profuser Schwei߬
ausbruch. Temperatur 37.9 Grad C., am
nächsten Tage 38 Grad C.
Die Kur wurde nicht weiter fortge¬
setzt und die Behandlung mit Alttuber¬
kulin versucht, welches jedoch selbst in
Dosen von y 2 Millionstel Gramm
schlecht vertragen wurde.
Fall 8. Andreas G., 50 Jahre alt, Tag¬
löhner. Laut Anamnese ist er seit zwei
Monaten krank und arbeitsuntauglich
und er hustet und magert rasch ab.
Status am 26. März: Fieberfrei,
Dämpfung über den beiden Lungen¬
spitzen, links mehr als rechts, Rasselge¬
räusch links oben, verlängertes Exspi-
rium rechts oben, Pfeifen in beiden Un¬
terlappen. Im Sputum Bazillen. Pir¬
quet negativ. Auf ein Milligramm Tu¬
berkulin Temperaturerhöhung auf 38
Grad C., Gewicht 58 kg.
Die Behandlung mit Sanocalcin-Tu-
Qrigiraal frorn
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143
berkulin wurde ambulatorisch durchge¬
führt.
Am 30. März wurde die Hälfte von
Nr. 1 injiziert, höchste Temperatur¬
erhöhung am zweiten Tage 37.6 Grad C.
Die zweite Injektion am 1. April mit
der Hälfte von Nr. 1 verlief ohne Reak¬
tion.
Am 4. April wurde Nr. II ohne Reak¬
tion injiziert. Die Injektion mit Nr. 3
(am 6. April) erzeugte leichte Allge¬
meinreaktion (höchste Temperatur 37.8
Grad) und schön ausgeprägte Herd¬
reaktion. Nach Ablauf derselben fühlt
sich der Patient ungewöhnlich wohl.
Am 10. April wurde Nr. 4 injiziert.
Temperatur 37 Grad C. Die Injektion
mit Nr. 5 (am 25. April) wurde reak-
tionsios vertragen. Am 29. April fühlte
sich der Patient derart gebessert, dass er
wieder arbeiten wollte. Links oben nur
spärliche Rasselgeräusche, Pfeifen ver¬
schwunden, Appetit sehr gut, Gewichts¬
zunahme 6 kg. Patient war nur mit
Mühe zu bewegen, im Krankenstand
noch weiter zu bleiben. Injektion mit
Nr. 6 war von Temperaturerhöhung
(37.9 Grad C.) und Mattigkeitsgefühl
begleitet. Die nächsten Injektionen mit
je der Hälfte von Nr. 7 und 8 (am 6.,
15., 18. und 22. Mai) verliefen ohne Re¬
aktion. Desgleichen die Injektion mit
der Hälfte von Nr. 9 (am 2. Juni). Die
Wiederholung dieser Dosis am 13. Juni
ergab eine leichte Reaktion. (Tempera¬
tur 37.6 Grad C.) Am 24. Juni wurde
Patient über eigenes Verlangen in sehr
gebessertem Zustand aus der Behand¬
lung entlassen. Die subjektiven Krank¬
heitserscheinungen sind ganz ver¬
schwunden. Objektiv ist nur leichte
Dämpfung beiderseits mit verlängertem
Exspirium und geringes Giemen links
geblieben.
Fall 9. Serafine S., 33 Jahre alt, here¬
ditär belastet. Seit einigen Tagen leidet
Patientin an heftigen Kopfschmerzen in
der rechten Augengegend und starker
Herabsetzung der Sehschärfe des rech¬
ten Auges. Der Augenbefund, den ich
der Liebenswürdigkeit des Augenarztes
Herrn Dr. B o 11 e r i verdanke, war am
10. März folgender: I. A.: Aeussere
Teile und Adnexe normal, Bulbus äusser-
lich normal. R. A.: Zarte, staubförmige
Glaskörpertrübungen im ganzen Fundus
zerstreut, besonders in der Gegend der
Makula viele rundliche, grauweisse, et¬
was prominente, von einem hellen Sau¬
me umgebenen Herde, über welche die
Netzhautgefässe bogenförmig hinweg¬
ziehen. Die Grenze der Sehnerven¬
scheibe ist ganz undeutlich, der Sehnerv
gerötet und leicht geschwollen, die Ve¬
nen erweitert und geschlängelt. Visus :
Fingerzählen in l / 2 Meter mit — 6.25
idem. L. A.: Normal, Fingerzählen in 2
Meter mit — 6.25 sf. 6/6.
Die Wassermann’sche und Pirquet-
sche Probe negativ. Temperatur nor¬
mal. Auf 1 Milligramm Alttuberkulin
37, auf 3 Milligramm 37.4 Grad C.
Am 2. April wurde die Behandlung
mit Sanocalcin-Tuberkulin begonnen.
Injektion mit Nr. 1 verlief reaktions¬
los. Nach Nr. 2 (am 6. April) stellten
sich heftige Kopfschmerzen ein, ohne
Temperaturerhöhung. Nach Nr. 3 (am
9. April) traten Schmerzen im Halse,
im linken Arme und in den Füssen ein.
Höchste Temperatur 37.8 Grad C. Ge¬
wicht 58 kg.
Nr. 4 (16. April) und Nr. 5 (22.
April) erzeugten keine Reaktion. Die
Injektion von Nr. 6 (am 28. April) war
von Kopf- und Halsschmerzen, Husten¬
reiz und Fieber bis 39.9 Grad C. beglei¬
tet. Die nächste Injektion mit der
Hälfte von Nr. 7 (14. Mai) verlief ohne
Reaktion. Die subjektiven Beschwerden
bedeutend gebessert. Der Augenbefund
am 16. Mai war: Glaskörper klar, Seh¬
nerv von normalem Aussehen. Die Her¬
de in der Makula stark pigmentiert,
flach und von einer hellen Linie um¬
säumt. An der Peripherie vereinzelte
noch wenig pigmenitierte Herde. V. R.
mit — 6.25 Fingerzählen in 2J4 m.
Am 19. Mai wurde die letzte Dosis
(die Hälfte von Nr. 7) wiederholt und
erzeugte nur geringe Reaktion (Tempe¬
ratur 37.8 Grad C.). Die nächste Injek-
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144
New Yoricks Medizinische Monatsschrift.
tion mit der Hälfte von Nr. 8 (25. Mai)
hatte keine Reaktion zur Folge. Am 3.
Juli wurde die Hälfte von Nr. 9 injiziert
und hat eine starke allgemeine Reaktion
Fieber bis 40 Grad C. hervorgerufen.
Nach Ablauf derselben fühlte sich Pa¬
tientin sehr wohl und da nach dem am
25. Juni erhobenen Augenbefund die
Chorioiditis vollkommen abgelaufen
war, wurde sie mit unverändertem Kör¬
pergewicht aus der Behandlung ent¬
lassen.
Aus den bisherigen Erfahrungen mit
Sanocalcin-Tuberkulin glaube ich fol¬
gende Schlüsse ziehen zu können:
1. Das Sanocalcin-Tuberkulin ist ohne
Zweifel viel weniger giftig als das Alt¬
tuberkulin, was insbesonders bei den
Anfangsdosen deutlich in die Augen
springt.
2. Wegen der sehr guten Herdreaktion
und geringen allgemeinen Reaktion bei
den Anfangsdosen ist das Präparat, zu
diagnostischen Zwecken sehr gut brauch¬
bar und ohne jede Gefahr für den Pa¬
tienten verwendbar.
3. Die von der Fabrik abgeteilten Do¬
sen scheinen jedoch für die allgemeine
Behandlung viel zu hoch bemessen zu
sein. Sie könnten vielleicht bei tuber¬
kulinempfindlichen Patienten stürmische
Reaktionen mit nachfolgender Schädi¬
gung des Allgemeinbefindens hervor-
rufen. Eine schablonenmässige Ver¬
wendung des Mittels in der Reihenfolge
der uns zur Verfügung gestellten Do¬
sierung ist nicht geraten. Die niedrigen
Dosen sind ausreichend, aber es ist er¬
wünscht, dass zwischen die höheren Do¬
sen, von Nr. 3 angefangen, Zwischen¬
dosen eingeschoben werden nach der
Gebrauchsanweisung, die die Firma
Goedecke & Co. neuerdings ihren Pack¬
ungen beifügt. Dadurch wird die Si¬
cherheit der Behandlung wesentlich er¬
höht und die Behandlungsdauer im
Verhältnis zu der Alttuberkulinkur
wesentlich abgekürzt werden.
Die Herxheimersche Reaktion.*
Von G. Milian.
Unter Herxheime r’scher Reak¬
tion versteht man die Entzündung, die
in syphilitischen Geweben unter dem
Einflüsse eines spezifischen Heilverfah¬
rens auftritt. Herxheimer hat be¬
obachtet, dass eine bestehende Roseola
nach der ersten Merkureinspritzung
stärker erscheint bezw. wenn sie im Ab¬
heilen war, intensiver wird. Diese Be¬
obachtung fand wenig Beachtung, bis
Ehrlich auf dieselbe all die Störun¬
gen bezog, die im allgemeinen Verhal¬
ten des Organismus oder im Verhalten
der inneren Organe nach Salvarsan-
anwendung auftraten. Unter den
Quecksilberpräparaten scheint Hg. sali-
cyl. die Herxheimer-Reaktion am deut¬
lichsten herbeizuführen, die Arsenbe-
*Aus Allg. Wien. m. Ztg. 1914 Nr. 21.
handlung bewirkt sie viel intensiver als
die mit Quecksilber, ganz besonders
führen Salvarsan und Neosalvarsan da¬
zu. und zwar können kleinere Dosen in
dieser Hinsicht ebenso wirksam sein als
grosse, subkutane Applikation ebenso als
intravenöse. Das allgemeine Exanthem
der Syphilis maculosa zeigt die Reaktion
oft und stark, die tertiären Syphilide
zeigen die Reaktion nur schwach. Auch
für die inneren Organe ist das Vorkom¬
men der Reaktion sichergestellt. Thal¬
mann schreibt die Reaktion den Giften
zu, die aus der Leibessubstanz der Spi¬
rochäten frei werden, wenn diese infolge
der Behandlung sterben. Baum ver¬
gleicht diese Reaktion mit der des Tu¬
berkulins auf Tuberkelherde; auch inso-
ferne besteht eine Aehnlichkeit zwischen
beiden Reaktionen, als bei schwerer Lues
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New Yokker Medizinische Monatsschrift.
145
die Herxheimer-Reaktion ebenso aus¬
bleibt, wie die Tuberkulinreaktion bei
schwerer Tuberkulose. Desgleichen feh¬
len beide bei Gesunden. Ehrlich,
I v e r s e n und andere schreiben die Re¬
aktion dem Umstande zu, dass die Spi¬
rochäten nicht getötet, sondern in einen
Reizungszustand geraten, sei es infolge
ungenügender Dosen des Antisyphiliti-
kums, sei es bei grösseren Dosen infolge
grosser Resistenz der vorliegenden Spi¬
rochätenart. Am intensivsten ist die Re¬
aktion bei der Roseola, hier erscheint sie
oft schon zwei Stunden nach der Injek¬
tion, das Exanthem wird stärker und
ausgedehnter, um zirka sechs Stunden
nach ihrem Auftreten abzuklingen. Oft
erscheint sie an Partien, die sonst frei
bleiben, wie am Gesichte, sodass Patient
aussieht, als hätte er die Masern. Doch
ist tags darauf das Gesicht wieder frei.
Die Papeln der Syphilis papulosa werden
infolge der Reaktion grösser und röter,
manchmal zeigen sie sogar einen Ent¬
zündungshof. Einen solchen sieht man
auch in seltenen Fällen nach der Injek¬
tion im Herde von Pigmentsyphilis auf-
treten, gleichfalls selten treten bald vor¬
übergehende Entzündungen am ulzerö¬
sen Syphilid auf. Auch an syphiliti¬
schen Manifestationen der Schleimhaut
kommt es zu Reaktionserscheinungen,
stärkerer Rötung und deutlicherer
Schwellung. Gummata können an¬
schwellen, oder wenn sie offen sind, be¬
sonders reichliche Absonderung dar¬
bieten.
Gewöhnlich führen die antisyphiliti¬
schen Medikamente zu mehr minder
deutlichen, mit Fieber einhergehenden
Allgemeinerscheinungen, die besonders
ausgesprochen nach Salvarsaninjektio-
nen vorzukommen pflegen. Manche hal¬
ten diese für Intoleranzerscheinung und
schuldigen dafür den Gebrauch nicht
vollkommen sterilen Wasers an, andere
wieder halten dieselben für eine Herx¬
heimer-Reaktion, den Ausdruck des
Kampfes zwischen Mikroben und Medi¬
kament. Es kann sowohl der eine als
auch der andere Umstand Schuld tragen.
Im ersten Falle, wo es sich um Intole¬
ranz handelt, müssen sich die allgemei¬
nen Erscheinungen bei jeder Injektion
wiederholen und selbst dann auftreten,
wenn die Syphilissymptome infolge der
Behandlung sich gebessert haben, die
Wassermann-Reaktion sich verloren hat
und die Spinalflüssigkeit frei von zelli-
gen Elementen ist. Im zweiten Falle
werden die Allgemeinerscheinungen mit
jeder wiederholten Reaktion geringer
sein, parallel dem Nachlassen der Syphi¬
lis geringer werden, wird die Wasser-
mann’sche Reaktion stationär bleiben
oder sogar zunehmen, der Liquor zellige
Elemente enthalten, solange als noch
Fieber und Allgemeinerscheinungen
nach der Injektion sich einstellen. Doch”
darf 'deshalb die Salvarsanbehandlung
nicht aufgegeben werden, muss man sie
vielmehr fortsetzen, weil sie zur Heilung
der durch Syphilis bedingten Krank¬
heitsfolgen führt. Dieses gilt auch für
viszerale Reaktionen, welche nach der
Injektion auftreten und irrtümlich der¬
selben zur Last gelegt, als Intoleranz¬
erscheinung aufgefasst werden, während
es sich in der Tat um Herxheimer-Reak¬
tion handelt, welche einen bis dahin la¬
tenten Zustand manifest gemacht hat.
Autor gibt aus der Leber und aus der
Nervenpathologie Beispiele von einer¬
seits Herxheimer-, andererseits Intole¬
ranz-Reaktionen. Die nach Salvarsan-
injektion aufgetretenen Todesfälle an
Apoplexia serosa will Autor nicht als
Herxheimer-Reaktion gelten lassen, da
solche nur an schon bestehenden Syphi¬
lisherden auftritt, ihm aber keine ent¬
sprechende Hirnveränderung bekannt
ist, deren Steigerung als Herxheimer-
Reaktion das Auftreten von Apoplexia
serosa bedingen würde. Man beobach¬
tet ja solche schon während des Schan¬
kers, zu einer Zeit, wo es sicher keine
Spirochätenansiedlung im Gehirn gibt.
Gewöhnlich kommt es zur Apoplexia se¬
rosa erst bei der zweiten Salvarsaninjek-
tion, während eine wirkliche Herx¬
heimer-Reaktion zum zweitenmale eher
milder auftreten müsste, als das erste-
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146
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
mal, da die erste Injektion schon Spiro¬
chäten zerstört hat und sich die Wasser¬
mann-Reaktion bei der zweiten Injektion
gewöhnlich verringert hat. Dies zeigte
sich auch in den in der Literatur er¬
wähnten Fällen von Apoplexia serosa,
auch ergab sich dabei der Liquor frei
von zeitigen Elementen, fanden sich we¬
der makroskopische noch mikroskopi¬
sche Gehirnveränderungen, auch zeig¬
ten sich keinerlei entzündliche Vor¬
gänge, die als Reaktion im Syphilisherde
hätten gedeutet werden können, ähnlich
wie sich solche um die Haut und
Schleimpapeln infolge von Herxheimer-
Reaktion finden.
Die Hautreaktionen erscheinen bald
nach der Injektion, verschwinden bald
und sind milde, die viszeralen Reak¬
tionen sind intensiver und wiederholen
sich manchmal bei jeder Injektion. Sie
haben als fieberhafte Reaktion insoferne
eine erhöhte Bedeutung, als sie im Falle
latenter Syphilis kundtun, dass syphiliti¬
sche Herde im Körper vorhanden sind.
Auch werden ganz verschiedene syphili¬
tische Herde, von denen seit Monaten
keine Spur mehr zu sehen war, nach ei¬
ner Injektion wieder deutlich sichtbar,
tritt die verschwundene Wassermann-
Reaktion wieder auf, so werden auch
viszerale Zustände manifest, sei es, dass
sie zum erstenmal nach der Injektion er¬
scheinen oder scheinbar verschwundene
in Evidenz gelangen. Ein auftretender
Ikterus zeigt an, dass die Leber nicht
gesund ist, Ohrensausen, dass der N.
acusticus leidet. Man wird dadurch auf
die Organe aufmerksam, die von der
Syphilis heimgesucht sind. Die Reak¬
tion zeigt sich besonders in Fällen, die
der Behandlung trotzen und in welchen
leicht Rezidiven auftreten, oft ist es die
Herxheimer-Reaktion, die die Rezidive
einleitet.
Ein Arsenexanthem unterscheidet sich
von der Herzheimer-Reaktion darin,
dass ersteres juckt und erst etwas spä¬
ter, keinesfalls wenige Stunden nach
der Injektion erscheint, letzteres nicht
juckt und bald nach der Injektion auf-
tritt. Wichtig ist es, bei der viszeralen
und allgemeinen Reaktion die Herx¬
heimer-Reaktion von den Intoleranz¬
erscheinungen zu untershceiden. Hier
ist auf das oben bemerkte zu verweisen.
Die Herxheimer-Reaktion wird bei jeder
neuen Injektion schwächer, die Intole¬
ranzerscheinung selbst bei wiederholter
Injektion, oft selbst geringeren Dosen
heftiger. Die Herxheimer-Reaktion wird
schwächer mit der Besserung der Syphi¬
lis, die Intoleranzsymptome bei wieder¬
holter Injektion trotz Besserung der Sy¬
philis stärker. Immerhin ist die Unter¬
scheidung oft sehr schwer und erfordert
viel Behutsamkeit seitens des Arztes.
Einiges über Befruchtung und Einbettung des
menschlichen Eies.*
Von Meyer-Ruegg.
Das Ovulum liegt beim neugeborenen
Mädchen in der Follikelanlage, dem so¬
genannten Primärfollikel, fertig gebil¬
det. Sämtliche Follikelanlagen mit den
darin gebildeten Eiern werden auf die
Welt gebracht; wohl wächst noch nach
* Korrespondenz!)!, f. Schweizer Aerzte
1914.
der Geburt der Eierstock, doch nimmt
nur das Stroma zu und drängt die Fol¬
likelanlagen auseinander. Mit der Pu¬
bertät beginnt die Ovulation. Von Zeit
zu Zeit reift ein Follikel und stösst das
in ihm enthaltene Ei aus. Während der
Reifung vermehrt sich das Follikelepi¬
thel, legt sich in zwei- bis dreifacher
Schichte an die bindegewebige Follikel-
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
147
wand, wuchert an einer Stelle der Wand
zu einem grösseren, das Ei in seine Mit¬
te nehmenden Zellhaufen. Im Innern
des Follikels bildet sich der Liquor folli¬
culi. Durch Yergrösserung des Folli¬
kels, durch Zunahme des Liquor folli¬
culi wölbt sich der Follikel aus dem
Stroma heraus, platzt und tritt dessen
Inhalt, gewuchertes Follikelepithel und
Ei, heraus. Aus dem geplatzten Follikel
bildet sich das Corpus luteum, das heute
als drüsiges Organ mit wichtiger inne¬
rer Sekretion aufgefasst wird. Man
schreibt ihm die Auslösung der menstru¬
ellen Blutung zu. Ausserdem soll es
auch im Falle der vollzogenen Befruch¬
tung für die Ansiedelung und das feste
Einnisten des befruchteten Eies in der
Uterusscheimhaut wichtig sein. Vom
dritten Monate der Schwangerschaft
schrumpft das Corpus luteum und er¬
lischt dessen Funktion; dann entwickelt
sich die interstitielle Eierstockdrüse, die
nach Kollaps von Follikeln aus dem zu¬
rückgelassenen Epithel hervorgeht,**
und die Funktion des Corpus luteum
übernimmt. Corpus luteum sowohl als
die Drüse haben eine entgiftende Wir¬
kung gegenüber den aus den Chorion-
epithelien in die Mutter eindringenden
Giften. Bei übermässiger Wucherung
der letzteren geraten auch die Zellen der
interstitiellen Drüse in Wucherung.
Französische Autoren fanden bei Hype-
remesis gravidarum mangelhaft ent¬
wickelte Corpora lutea mit Entartung
und Schwund der Luteinzellen und wol¬
len durch Verabreichung von Luteintab¬
letten bei Hyperemesis gravidarum die
besten Erfolge erzielt haben.
Die Uterusschleimhaut besitzt keine
Submukosa, sondern sitzt der Uterus¬
wand so fest an, dass eine Ablösung von
derselben nicht möglich ist. Schlauch¬
förmige Drüsen durchziehen sie in ihrer
ganzen Dicke und greifen mit ihren oft
verzweigten Enden zwischen die Mus¬
kelbündel der Uteruswand, wodurch die
Verbindung von Schleimhaut und Mus¬
kularis gefestigt wird. Die Uterus¬
schleimhaut befindet sich in stetigem,
zyklischem Wandel. Im Beginne des
Zyklus ist die Schleimhaut 1 bis 2 mm
dick, die Oberfläche glatt, die Drüsen
schlank. Nach zehn Tagen beginnen
Wucherungsvorgänge; die Schleimhaut
nimmt an Dicke bis zu 7 mm zu, bedingt
durch Zunahme der einzelnen Elemente
und durch reichliche Durchtränkung
des Zwischengewebes mit Blutplasma.
Dabei wachsen in den tieferen Lagen be¬
sonders auffällig die Drüsenschläuche.
Insbesondere wuchern deren Epithelien
so enorm, dass die Drüsenwanderungen,
um Platz für sie zu haben, sich in Fal¬
ten legen und einen stark gewundenen
Verlauf annehmen müssen. Sie rücken
viel näher aneinander heran, verdrängen
das Zwischengewebe so, dass auf einem
Durchschnitt fast nur erweiterte Drü¬
senlumina getroffen werden, sodass der¬
selbe wie der Durchschnitt eines
Schwammes erscheint, und der Name
Spongiosa für die tiefere Schicht seine
Berechtigung findet. In den oberen
Schichten dagegen ist das Zwischenge¬
webe mächtig, sind die Drüsenschläuche
auseinandergedrängt und spärlicher, so¬
dass diese Schicht mit Recht den Namen
Kompakta führt. In diesem geschwell¬
ten blut- und saftreichen Zustand ist die
Schleimhaut sehr geeignet für die Auf¬
nahme eines Eies. Bleibt die Befruch¬
tung aus, so erscheinen in der subepithe¬
lialen Zone konfluierende Blutaustritte,
die stellenweise das Epithel durchbre¬
chen und in die Uterushöhle treten. Die
Frau menstruiert. Dieser Aderlass führt
zu Abschwellung der ganzen Schleim¬
haut, die Blutfülle und der Saftreichtum
des Gewebes schwindet, die Drüsen
strecken sich wieder. Die Epitheldefekte
der Schleimhaut regenerieren sich rasch,
am Schlüsse der Menstruation ist sie
völlig hergestellt. Nach Robert Schrö¬
der verhält sich die Sache so, dass sich
** Ein Eierstock hat eine Anzahl Follikel.
Während der ganzen Geschlichtstätigkeit
des Weibes können höchstens 400 ausrei¬
fen, Nach Zerfall des Follikels bleibt Epi¬
thel zurück, dessen Wucherung die er¬
wähnte interstitielle Fierstocksdrüse bildet.
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148
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
in der Menstruation die Schleimhaut in
der Spongiosa loslöst, und sich bei einer
jeden Menstruation ebenso wie nach ei¬
ner Geburt eine Dezidua losstösst, dass
aber schon am fünften und sechsten Ta¬
ge die ganze Schleimhaut regeneriert ist
und ein neuer Zyklus beginnt.
Die Implantation eines Eichens hält
die Menstruation hintan und bewirkt
Weiterentwicklung der prämenstruellen
Veränderungen.
Die Vorgänge bei der Befruchtung
sind folgendermaßen zurechtzulegen:
Die Sperma fäden gelangen durch den
Uterus in die Tuben, wo ihre Wande¬
rung in der Ampulla tubal ihr vorläufi¬
ges Ziel findet. Das reife Ei wird durch
einen Flimmerstrom in die Ampulle ge¬
leitet ; hier findet die Imprägnation statt.
Das befruchtete Eichen wird dann durch
Flimmerbewegung aus der Tube in den
Uterus geführt. Die Dauer dieser Reise
ist auf etwa acht bis zehn Tage anzu¬
setzen. Noch auf dem Wege zum Ute¬
rus beginnt das Ei seine erste Entwick¬
lung durchzumachen. Es verliert die
Granulosazellen, die es aus dem Cumu¬
lus proligerus des G r a a f’schen Folli¬
kels mitgenommen hat, macht seine Fur¬
chung durch und gelangt als Keimblase
in den Uterus, noch in die Zona pellu-
cida eingehüllt, doch ist letztere stark
gedehnt und verdünnt, bereit, das ein¬
bettungsfähige Ei freizugeben, denn
schon ist das Bildungsmaterial für das¬
selbe erschöpft und die Gewebsverbin-
dung mit der Mutter notwendig, wenn
das Ei nicht zugrunde gehen soll. Wird
dieser Einbettungsfähigkeits - Zustand
schon in der Tube erreicht, so kommt es
zu Tubarschwangerschaft; wird es auch
erst nach längerer Wanderung, etwa bis
zum Os internum uteri, einbettungsfä¬
hig, so kommt es zu Placenta praevia.
Es kann den Uterus auch verlassen, be¬
vor es einbettungsfähig geworden ist
und dann ausserhalb desselben zugrunde
gehen. Auch von dem Orte der Be¬
fruchtung hängt viel ab; so wird es, falls
diese schon am Eierstock stattfindet, bei
langsamer Flimmerbewegung leicht zur
Nidation des Eies in der Tube kommen.
Die Einbettung besteht darin, dass ge-
fässhaltige Fortsätze des Eies mit der
mütterlichen Schleimhaut der Gebärmut¬
ter in Verbindung treten.
Die Einbettung kann Aneinanderlage¬
rung oder Durchwachsung sein. Im er-
steren Falle lässt sich das Ei so ablösen,
dass die Schleimhaut unversehrt bleibt;
es kommt nicht zur Bildung einer Dezi¬
dua, so bei den Einhufern, Wiederkäu¬
ern. Im anderen Fall ist eine Trennung
nur auf Kosten von mütterlichem Gewe¬
be möglich, es fällt ein Teil der mütter¬
lichen Schleimhaut (Dezidua) ab, so bei
den Raubtieren, Nagern, Primaten, auch
beim Menschen. Das Ei kann sich mit¬
ten in der Uterushöhle niederlassen, zen¬
trale Einbettung (Raubtiere) ; es kann
in eine Schleimhautfurche schlüpfen, die
sich nachträglich vom übrigen Uterus-
kavum abschnürt, exzentrische Einbet¬
tung (Igel) ; es kann sich unter Ein¬
schmelzung des Gewebes eine Grube
graben, die nachträglich gegen die Ute¬
rushöhle abgeschlossen wird, interstitiel¬
le Einbettung, wie' sie beim Menschen
statthat. Dabei müssen mütterlicher und
kindlicher Blutkreislauf streng vonein¬
ander geschieden bleiben, es darf sich
nirgends mütterliches und kindliches
Blut vermengen. Bei den Adeziduaten
legen sich entweder die Fortsätze des
Chorion an das unversehrte Epithel der
Uterusschleimhaut an, chorio-epitheale
Verbindung, oder durchdringen Cho¬
rionfortsätze das Epithel in nur geringer
Tiefe, chorio-syndesmoidale Verbindung.
Bei den Deziduaten dringen die Fort¬
sätze entweder bis an die Blutgefässe,
ohne das Endothel zu durchdringen,
chorio-endotheliale Verbindung (Raub¬
tiere) oder sie dringen, wie beim Men¬
schen, in das Innere der Blutgefässe hin¬
ein und werden direkt vom mütterlichen
Blut umspült, chorio-hämale Verbin¬
dung.
Beim Menschen geschieht nach Pe¬
te r s die Einbettung so, dass das Eichen
auf freiem Felde zwischen den Drüsen¬
mündungen liegt. Es hat sich bereits zu
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149
einer Keimblase von 0.3 bis 0.5 mm ent¬
wickelt. Die Zellen, an die es sich ange¬
lagert hat, werden von ihm unheimlich
rasch eingeschmolzen, anfangs das Epi¬
thel, dann auch das subepitheliale Gewe¬
be, sodass es sich immer tiefer eingräbt,
um endlich ganz unter der Oberfläche zu
versinken. Das eingeschmolzene Mate¬
rial bildet die Nahrung des Eies. Bald
kommt es zu zottenförmigen Wucherun¬
gen an der Oberfläche der Blase, die auf
die erweiterten Kapillaren des subepi¬
thelialen Gefässnetzes stossen und das¬
selbe anzapfen. Diese mit solch aggres¬
siver Kraft ausgestatteten Oberflächen¬
zellen des Eies sind die Epithelzellen des
Chorion. Diese sind in zwei Lagen an¬
geordnet, der tieferen Langhans’schen
Zellenschicht, die aus niedrigen, regel¬
mässig nebeneinander liegenden Zylin¬
derzellen besteht, und dem Synzitium
oder der Deckschicht, in der keine Zell¬
grenzen wahrnehmbar sind; es besteht
aus Protoplasma, in dem Zellkerne ein¬
zeln oder in Haufen gruppiert einge¬
streut sind. Sobald das Ei mit der
Schleimhaut der Mutter in innigen Kon¬
takt kommt, geraten beide Zellschichten
in starke Wucherung. Die Gesamtheit
der Wucherung des Chorion fasst man
als Trophoblast zusammen.
Bei weiterer Vergröserung wächst das
Ei aus der Mukosa heraus in die Uterus¬
höhle hinein, sodass ein immer kleinerer
Teil desselben in der Uterus wand steckt.
An diesem bildet sich die Plazenta; der
in den Uterus hineinwachsende Umfang
wird von der Reflexa bedeckt. Die zot¬
tenförmigen Fortsätze des Chorionepi¬
thels breiten sich fächerartig aus; ihre
Enden vereinigen sich, sodass unterein¬
ander kommunizierende Räume entste¬
hen, in welche das in den angebohrten
mütterlichen Gefässen fliessende Blut
hineindringt. Dies sind die zwischen
den Chorionzotten gelegenen intervillö-
sen Räume. Anfangs sind die Zotten
nur aus Epithel aufgebaut, erst später
wuchert der Mesoblast in sie hinein und
bringt ihnen das bindegewebige Gerüste.
Die Chorionepithelzellen wuchern ins
mütterliche Gewebe, viele von ihnen
werden durch Venen in den Körper ge¬
führt, man spricht dann von einer chori-
alen Invasion. Gegen diese wehrt sich
das mütterliche Blut, indem es ein Anti¬
ferment bildet. Den Nachweis des Fer¬
mentes benutzt Abderhalden für
die Diagnose der Schwangerschaft.
Wichtig ist, dass diese Reaktion auch
bei Extrauterinschwangerschaft in fri¬
schen Fällen verlässliche Resultate gibt.
Einwucherung der Chorionepithelien ins
mütterliche Gewebe führt zu Chorion¬
epitheliom, hydropische Quellung der¬
selben zu Blasenmole.
Arzneireklame—Antiautotox.
Referiert von D r. v. O e f e 1 e.
In der Oktober- und November-Num¬
mer 1914 von The Medical Council
(Philadelphia, Pa.) erschien ein Artikel
von Dr. Eugen G. Kessler mit dem
Titel „Obscure Differences Underlying
the Effects of Sulphates.“ Dieser Arti¬
kel enthält vier kurze, aber sehr wert¬
volle Krankengeschichten, die im ge¬
samten Rahmen des Artikels nicht ge¬
nügend zur Geltung kommen. Ich habe
diese veröffentlichten Krankengeschich¬
ten durch persönliches Entgegenkom¬
men K e s s 1 e r’s ergänzt erhalten. Dar¬
aus ist zu ersehen, dass Kessler Anti¬
autotox sehr oft mit sehr gutem Erfolge
verwendet hat und dass er für die vier
Hauptrichtungen der Verwertbarkeit
des Antiautotox nur jene Kranken¬
geschichten als Belege ausgewählt hat,
ohne auf weiteres Material näher einzu¬
gehen.
Die Ergebnisse können auch in dieser
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150
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
Weise dargestellt werden, dass Anti-
autotox nicht in erster Linie ein Ent-
leerungsmittel für den Darm ist, son¬
dern dass es auch auf schädliche Stoffe
einwirkt, die im Säftestrom des Organis¬
mus kreisen. Eine feststehende Dosie¬
rung des Präparates für alle Formen
von Autointoxikationen würde darnach
falsch sein. Im ersten Falle K e s s 1 e r’s
mussten grosse Einzeldosen nur für kür¬
zeste Zeit gereicht werden, was Ent¬
giftung mit gleichzeitigem Abführen
verursachte, aber als zwei scharf trenn¬
bare Wirkungen erscheinen lässt. Im
zweiten Falle kamen sehr niedrige Ein¬
zeldosen für langen Zeitraum in Be¬
tracht. Im dritten Falle wurde wie im
ersten Falle nach einem alten Ausdruck
umstimmend mit hoher Dosierung be¬
gonnen und dann wie im zweiten Falle
die Behandlung mit niedriger Dosierung
aufgenommen. Im vierten Falle han¬
delte es sich um mehrfache wiederholte
Behandlung gleich dem ersten Falle,
aber zwischen den einzelnen Wieder¬
holungen lagen grössere arzneifreie In-
• tervalle.
In allen vier Fällen handelte es sich
aber um eine Einwirkung auf die chemi¬
sche Zusammensetzung des Säftebestan¬
des des Organismus, der sich natürlich
auch wieder weiter in der chemischen
Zusammensetzung der Körperausschei¬
dungen geltend macht. In diesem Sinne
wäre es längst Pflicht der Verfertiger
von Antiautotox gewesen, der ärztlichen
Profession Belege für die Wirkungen
von Antiautotox vorzulegen. In Erman¬
gelung solcher Belege legt Verfasser
ein entsprechendes Analysenpaar vor.
Die erste Probe wurde im diagnosti¬
schen Interesse des l’atienten unmittel¬
bar vor der Antiautotox-Behandlung ge¬
sammelt ; die zweite 24 Stunden später,
nachdem die initiale Wirkung des Anti¬
autotox als Abführmittel schon viele
Stunden vorüber war. Die erste Analyse
ist mir mit gewöhnlichem Preise bezahlt,
die zweite machte ich freiwillig unter
persönlicher Uebernahme der entstande¬
nen Kosten. Das Entgegenkommen war
sogar so gering, dass selbst bei Samm¬
lung der Proben einige kleine Anweise
nicht eingehalten und die Vornahme der
Untersuchung damit unnötigerweise er¬
schwert wurde.
Urinprobe .
Durchsichtigkeit .
Farbe .
Spezifisches Gewicht.
Lakmusreaktion.
Indikan ..
Aminosäuren .
Verschiedene Eiweissstoffe, Zucker
und verschiedene andere pathologi¬
sche Bestandteile.
Azidität entsprechend.
Gewogene Trockensubstanz .
Harnstoff ..
Bei 4° Celsius ausfallende Harnsäure
Bei 4° Celsius gelöste Harnsäure. .. .
Gesamte Harnsäure .
Ammoniak .
Asche .
Gesamtchlor .
Phosphorsäure.
Schwefelsäure .
Vor Antiautotox .
undurchsichtig
ziegelrot
1025
deutlich sauer
stark vermehrt
Nach Antiautotox.
schwach getrübt
orange
1024
sehr sauer
ungefähr normal
reichlich vorhanden sehr schwach vorhanden
abwesend
82 ccn/lONaOH
6 . 10 %
3.36%
0.084%
0.014%;
0.098%
0.265%
0.74%
0.525%
0.385%
0.365%
abwesend
86 cc n/10 NaOH
4.95%
3. 13%
0.014%
0.016%
0.030%
0.187%
1.39%
0.440%
0.495 %
0.260%
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HARVARD UNIVERSUM
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
151
Zu diesen Befunden ist zu bemerken,
dass nach Darreichungen von Sulfaten
überhaupt sehr rasch eine Steigerung
des Sulfatgehaltes des Urins beginnt
und in der Folge wieder abklingt. In
dem hier nach Antiautotox gesammelten
Urin zeigt ein Vergleich, dass die Hoch¬
flut der Sulfate schon vorüber war und
das Abklingen derselben den Tiefstand
erreicht hatte. Diese Feststellung ist
für die Beurteilung der beiden Zahlen¬
reihen wesentlich. Bei Vergleich der
Zahlen des spezifischen Gewichtes und
der Trockensubstanz ergibt sich, dass
die gelösten Stoffe des ersten Urins
durchschnittlich spezifisch leichter als
diejenigen des zweiten Urins waren.
Nach Abzug von Harnstoff und Asche
ergibt der erste Urin noch 2.00 Prozent,
der zweite nur 0.43 Prozent Reststoffe,
welche dieses niedrige spezifische Ge¬
wicht bedingen und welche nach franzö¬
sischen Forschungen die giftigen Eigen¬
schaften von Urinen verursachen. Wir
sehen auch, dass die Summe von Chlor,
Phosphorsäure und Schwefelsäure im
zweiten Urin weniger als die Gesamt¬
asche, im ersten Urin aber mehr als die
Gesamtasche beträgt. Im ersten Urin
muss darum ein grosser Teil dieser an¬
organischen Säuren sich in Bindung mit
Stoffen der 2 Prozent Reststoffe befun¬
den haben und beim Veraschen flüchtig
geworden sein. Denn zu allem Ueber-
flusse zeigt auch die nahezu gleichge¬
bliebene hohe Azidität, dass es sich nicht
lim einseitige Erhöhung der Säuren in
anorganischen Verbindungen gehandelt
haben kann. .
Die ständige Neubildung autotoxischer
Stoffe, wie sie sich im gleichzeitigen Ab¬
fluss durch den Urin ausdrückt, ist also
hier innerhalb der anfänglichen Höhe
herabgesetzt worden. Andere günstige
Einflüsse wie auf Harnsäure und Am¬
moniak kann der Leser selbst ersehen.
Wenn auch die Darreichung aller Sul¬
fate günstige Wirkungen in diesen Rich¬
tungen ergibt, so ist der hohe Grad die¬
ser Wirkung in der vorliegenden Beob¬
achtung doch aussergewöhnlich. Eine
systematische Erforschung in wissen¬
schaftlichen Bahnen könnte dem Anti¬
autotox sicherlich nur förderlich sein.
Aber die Fabrikanten müssten nach al¬
tem deutschen Brauch selbst die Hand
zum Werk anlegen und sich nicht ame¬
rikanisieren zum Grundsatz: „Let
George do it.“
Antiautotox hätte den entgegenstehen¬
den passiven Widerstand schon längst
überwinden können, denn nach chemi¬
schen und osmotischen Grundsätzen der
menschlichen Physiologie ist die Rezept¬
formel gut und sinnreich aufgebaut.
Redaktionelles.
Kriegsbetrachtungen.
Amerikanische und kafiadische medizini¬
sche Journale und der Krieg . — Deut¬
sche Denkschrift über die Verletzung
der Genfer Konvention. — Aufruf zur
Versorgung britischer Soldaten mit
zvarmen Kleidungsstücken .
In der ersten unserer „Kriegsbetrach-
tungen“ (s. August-Nummer d. J.) ha¬
ben wir die Ansicht ausgesprochen, dass
es nicht Aufgabe einer medizinischen
Zeitschrift sein könne, Betrachtungen
darüber anzustellen, welche Nation den
Ausbruch des Krieges verschuldet hat.
Dr. Taylor, der Redakteur der in
Philadelphia erscheinenden Medical
World scheint anderer Meinung zu sein.
Derselbe veröffentlicht nämlich in der
Oktober-Nummer der Medical World
einen Leitartikel: „What was the Cause
of the War“, einmal weil er diese Frage
für die zur Zeit wichtigste ansieht, die
nur von sehr Wenigen genau beantwor¬
tet werden kann, während Dr. Taylor
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152
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
sich für kompetent erklärt, dies zu tun,
andererseits weil gerade die Aerzte ein
ganz besonderes Interesse haben an al¬
lem, was mit Leben und Tod zusammen¬
hängt. Wenn wir auch selbstverständ¬
lich den letzten Punkt zugeben müssen,
soweit es in der Möglichkeit des ärztli¬
chen Handelns liegt, das Leben zu erhal¬
ten und den Tod abzuwenden, so können
wir doch nicht einsehen, wie dadurch
den Aerzten eine besondere Berechti¬
gung und Befähigung verliehen werden
könnte, ein Urteil über die wahre Ur¬
sache des Krieges abzugeben. Von die¬
sem Standpunkte ausgehend, wären die
Leichenbestatter zum mindesten gerade¬
so, wenn nicht mehr berechtigt, über die
Ursache des Krieges zu debattieren.
Warum nun hält Dr. Taylor sich für
besonders befähigt und auserlesen, die
von Vielen umstrittene Frage, wer den
Krieg verursacht hat, zu beantworten?
Weil er „alle offiziellen Dokumente und
Depeschen der britischen Regierung in
dieser Angelegenheit genau untersucht
hat, ebenso ähnliche Dokumente, wie sie
von der deutschen Regierung veröffent¬
licht und kommentiert wurden.“ Ausser¬
dem erhielt er seine Weisheit von einem
„intelligenten und gewissenhaften“
schwedischen Offizier sowie von einem
amerikanischen Professor, der „Deutsch¬
land kennt und diesen Sommer daselbst
verbracht hat.“ Sic!
Es sei ferne von uns, Dr. Taylor
die Berechtigung abstreiten zu wollen, in
seinem Journal die Ursachen des gegen¬
wärtigen Krieges zu besprechen, wenn
wir auch die angegebenen Gründe für
seinen Befähigungsnachweis in dieser
Beziehung nicht anerkennen können und
für lächerlich halten, allein wir möchten
ganz energisch Protest einlegen gegen
die Beschimpfungen der deutschen Na¬
tion, die er damit verknüpft. Nach Dr.
Taylor haben die Deutschen, die „ver¬
rückt“ geworden sind, den Krieg verur¬
sacht. Dr. Taylor liebt Deutschland,
allein er hasst die Arroganz und den
Militarismus der deutschen Regierung,
die um des europäischen Friedens willen
vernichtet werden muss usw. Es ver¬
lohnt sich nicht, näher auf die Ausfüh¬
rungen von Dr. Taylor einzugehen,
da dieselben der Hauptsache nach aus
den genügend bekannten Gemeinplätzen
besteht, wie dieselben tagtäglich in der
anglophilen Tagespresse erscheinen.
Wir möchten nur noch zwei Punkte er¬
wähnen, die auf das Urteilsvermögen
Dr. Taylor’s und seine Befähigung
bei derlei Dingen mitzureden, ein eigen¬
tümliches Licht werfen. Er teilt näm¬
lich mit, dass in diesem Kriege schätz¬
ungsweise täglich ungefähr 50,000 Per¬
sonen das Leben verlieren. Das würde
für einen einzigen Monat die stattliche
Summe von einer und.einer halben Mil¬
lion ergeben, sodass wir daraus den
Trost schöpfen dürfen, dass der Krieg
nicht mehr sehr lange dauern kann. Das
andere ist, dass Dr. Taylor Napoleon
als einen der „stupidsten und verrückte¬
sten Charaktere der Geschichte“ bezeich¬
net.
Im Gegensatz zu dem Obigen soll die
Haltung, die der Pacific Pharmacist in
dieser Sache einnimmt, lobend hervorge¬
hoben werden. Wenn derselbe jedoch in
seiner Oktober-Nummer schreibt: „Mit
Freuden bemerken wir, dass die ameri¬
kanische pharmazeutische und medizini¬
sche Presse die Instruktion unseres Prä¬
sidenten bezüglich strikter Neutralität
in Wort und Tat .befolgt“, so zeigen
die Auslassungen der Medical World,
dass dieses Vertrauen nicht durchwegs
gerechtfertigt ist. Dass wir von kanadi¬
schen Journalen nichts Besseres erwar¬
ten durften, ist selbstverständlich. Als
Probe sei in i\achstehendem ein Teil
eines Leitartikels aus dem Canadian
Pharmaceutical Journal wiedergegeben,
wie derselbe im Pacific Pharmacist zi¬
tiert ist. Das kanadische Blatt schreibt
u. a. folgendes:
„Zu diesem Krieg kam noch hinzu das
kaltblütige, vorsätzliche Morden und
Schlachten unschuldiger Kinder, wehr¬
loser Mütter, schwächlicher Greise und
—Morden der „Engel auf dem Schlacht¬
felde“, der Schwestern vom Roten
Kreuz, die an der Seite der Verwunde¬
ten niedergeschossen wurden. Da gibt
es kein Verbrechen, das zu scheusslich
ist, keine Tat zu gemein, für die gothi-
schen Horden, die Europa überfluten auf
den Befehl eines selbstsüchtigen Frömm¬
lers, der in sakrilegischer Weise den Se¬
gen des Allmächtigen auf sein höllisches
Werk herabfleht. Während Hekatom¬
ben aufgetürmt werden, verhungern
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
153
ganze Völker, kommt die Herstellung
der nötigsten Bedarfsartikel zum 'Still¬
stand, weil die Mittel zur Herstellung
vernichtet werden, und das ganze Ge¬
bäude kommerzieller Unternehmungen
fällt zusammen wie ein Kartenhaus. Für
Deutschland, den Angreifer, bedeutet
dies eine Katastrophe, die in ihrer Aus¬
dehnung noch nicht übersehen werden
kann. Fünfzig Jahre geduldigen Auf¬
baus eines wundervollen Schiffs- und
Handelssystems werden an einem einzi¬
gen Tage ausgelöscht und seine prahle¬
rische Flotte wird ein Gegenstand des
Spottes und Hohnes für die ganze
Welt“.
Für ein pharmazeutisches Journal eine
ganz ansehnliche Leistung! Mittlerwei¬
len ist vielleicht auch dem Redakteur des
Canadian Pharmaceutical Journal zum
Bewusstsein gekommen, dass die ganze
Welt nicht über die deutsche, wohl aber
über die englische Flotte spottet und
lacht. Als Antwort auf die gemeine
Beschuldigung der Bestialitäten, die sich
angeblich die „gothischen Horden“ ha¬
ben zu schulden kommen lassen, geben
wir mit Nachstehendem die deutsche
Denkschrift über Frankreichs Verletz¬
ung der Genfer Konvention wieder, wie
sie im amtlichen Teil des Reichsanzei¬
gers veröffentlicht wurde:
Die kaiserliche Regierung Hess nach¬
stehende Denkschrift über die Verletz¬
ung der Genfer Konvention vom 6. Juli
1906 durch die französischen Truppen
und Freischärler, worin gegen deren
völkerrechtswidriges Verhalten scharfer
Protest erhoben wird, der französischen
Regierung sowie den Regierungen der
neutralen Mächte zugehen:
In dem gegenwärtigen Kriege haben
die französischen Truppen und Frei¬
schärler die zur Verbesserung des
Loses der Verwundeten und Kranken
bei den im Felde stehenden Heeren ge¬
troffenen Bestimmungen der Genfer
Konvention vom 6. Juli 1906, die von
Frankreich und Deutschland ratifiziert
worden sind, in flagranter Weise ver¬
letzt. Aus der grossen Zahl bekannt ge¬
wordener Fälle werden in den Anlagen
diejenigen aufgeführt, die bereits durch
gerichtliche Vernehmungen oder dienst¬
liche Meldungen einwandfrei festgestellt
wurden. An der Spitze der Genfer Kon¬
vention steht einer der ersten Grund¬
sätze des Kriegsrechts, dass nämlich die
Verwundeten und Kranken des feindli¬
chen Heeres ebenso wie die Verwunde¬
ten und Kranken des eigenen Heeres
versorgt werden sollen. (Art. 1 Abs. 1.)
Diesem Grundsatz haben die französi¬
schen Truppen und Freischärler in’s Ge¬
sicht geschlagen; indem sie deutsche
Verwundete, die in ihre Hände fielen,
nicht nur roh behandelt, sondern auch
beraubt, ja sogar teilweise in bestiali¬
scher Weise verstümmelt und ermordet
haben (Anlage 1 bis 8). Für die beweg¬
lichen Sanitätsformationen sehen Artikel
6 und 14 der Genfer Gonvention den be¬
sonderen Schutz vor. Diesen Bestim¬
mungen zuwider haben französische
Truppen deutsche Automobile mit Ver¬
wundeten angegriffen (Anlage 6) und
Sanitätswagen beschossen (Anlage 11
und 14), obwohl das rote Kreuz deutlich
erkennbar war. Auch wurden deutsche
Lazarette überfallen und ihres Personals
und Ausrüstung beraubt (Anlage 7).
In völkerrechtswidriger Weise vergin¬
gen sich ferner französische Truppen ge¬
gen Artikel 9 der Genfer Konvention,
der das Sanitätspersonal der kriegsfüh¬
renden Heere schützen, ja sogar neutral
behandelt wissen will. Wie sich aus den
Anlagen ergibt, wurde der Führer einer
Sanitätskolonne von einem französischen
Truppenführer verhaftet und wegge¬
schleppt (Anlage 9) ; ein Arzt, der ei¬
nem Verwundeten helfen wollte, wurde
von französischen Truppen erschossen
(Anlage 10). Auch wurden Aerzte und
Begleitmanschaften eines Sanitätswa¬
gens unter Feuer genommen (Anlage
11), sowie Krankenträger bei der Ber¬
gung von Verwundeten durch französi¬
sche Truppen und Freischärlern ange¬
griffen, verwundet oder getötet (Anlage
12 und 14) oder zu Kriegsgefangenen
gemacht (Anlage 15). Ebenso wurde
ein deutscher Feldgeistlicher von franzö¬
sischen Truppen gefangen und wie ein
gemeiner Verbrecher behandelt (Anlage
8). Die kaiserliche Regierung bringt
mit Entrüstung diese dem Völkerrecht
und der Menschlichkeit hohnsprechende
Behandlung deutscher Verwundeter,
deutscher Sanitätsformationen und des
deutschen Sanitätspersonals zur öffent¬
lichen Kenntnis, und legt hiermit feier¬
en rigi na I from
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154
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
lieh Verwahrung gegen die unerhörten
Verletzungen der von allen Kulturstaa¬
ten geschlossenen Weltverträge ein.
Berlin, den 10. Oktober 1914.
Anlage 1. Grenadier Haenseler der
2. Kompagnie, 3. Bat. der Garde-Ersatz¬
brigade sagt über die Vorgänge am 5.
September 1914 an der Eisenbahnbrücke
über die Meurthe nördlich Rehainviller
aus: Die Franzosen traten die liegen¬
gebliebenen Leute unseres Zuges mit
Füssen, und als diese Lebenszeichen
durch Schreien oder Stöhnen gaben,
hörte ich Schüsse. Auch ich erhielt ei¬
nen Fusstritt, verhielt mich aber ruhig.
Bei eintretender Dunkelheit sah ich mich
nach meinen verwundeten Kameraden
um und stellte fest, dass sie nach ihrer
Lage tot sein mussten, während sie am
Morgen nur leicht verwundet w^ren.
Anlage 2. Franz Hevissen von der 4.
Eskadron des Jäger-Regiments zu Pfer¬
de Nr. 7 sah am 7. September südwest¬
lich Arlons auf belgischem Gebiet aus
einem Versteck, wie Franzosen in der
hellen Nacht auf dem Gefechtsfelde um¬
hergingen und deutsche verwundete
Jäger mit Lanzen erstachen.
Anlage 3. Musketier Theodor Muedel
der 9. Kompagnie Inf. Reg. Nr. 138
wurde am 25. August bei Luneville ver¬
wundet. Ein Franzose, der einen Revol¬
ver und einen Degen trug, fragte einen
neben Muendel liegenden Gefreiten in
gebrochenem Deutsch, wo er verwundet
sei. Der Gefreite antwortete am Fuss,
darauf schoss der Franzose den Gefrei¬
ten mit dem Revolver durch den Kopf.
Bei der Rückkehr des Franzosen erhielt
Muendel selbst mit dem Bajonettkolben
einen Schlag gegen die rechte Schläfe
und über die linke Schulter, obwohl die
bereits erlittene Verwundung an dem
starken Austritt des Blutes durch die
Uniform deutlich bemerkbar war.
Anlage 4. Musketier Kämpen der 8.
Kompagnie des Regiments Nr. 78 sah
am 29. August in der Nähe von Guise
bei St. Quentin, wie ungefähr 50 fran¬
zösische Soldaten unter Führung meh¬
rerer Offiziere im Zickzack über das
Schlachtfeld gingen und mit dem Bajo¬
nett auf Verwundete einstachen. So auf
einen Verwundeten, der 10 Schritt von
Kämpen entfernt lag. Als er Hilfe rief.
schoss ihn ein französischer Offizier mit
der Pistole in den Mund. Kämpen
selbst, der sich tot stellte, erhielt neun
leichte Verletzungen mit dem Bajonett.
Anlage 5 enthält den Bericht der
Oberärzte Neuman und Grünfelder ei¬
nes bayerischen Pionier-Regiments über
die Beraubung und Verstümmelung
deutscher Soldaten des 35. Landwehr-
Regiments bei Orchies. Die aufgefun¬
denen Leichname waren ihrer Schuhe
und Strümpfe sowie sämtlicher Erken¬
nungszeichen beraubt. Ein Mann war
von hinten niedergeschossen worden. Er
lag auf dem Rücken, der Mund und die
Nasenlöcher waren mit Sägespänen voll¬
gepfropft. Einem anderen war sein lin¬
kes Ohr glatt abgeschnitten und das Ge¬
sicht was blaurot, eine Folge des Er¬
stickungstodes. Der Mund, die Nase
und die Augen waren mit Sägespänen
vollgepfropft. Am Halse waren Wür¬
gezeichen zu erkennen. Einem anderen
war der Goldfinger glatt am Knöchel
abgeschnitten, in der Bauchwand sassen
vier Schusslöcher, vom Pulverschmauch
eingefasst, ein Zeichen, dass die Schüsse
aus unmittelbarer Nähe abgegeben wor¬
den sind. Fünf andere Erschlagene
zeigten nur Verletzungen durch eine
stumpfe Gewalt. Einem waren die Au¬
gen ausgestochen. Aus den festgestell¬
ten Tatsachen ergab sich, dass ein
grosser Teeil der Leute gefallen war.
Anlage 6 betrifft den Ueberfall der
Verwundeten-Automobile, die die Gen¬
fer Flagge führten. Bei Rethencourt
wurden am 8. September Verwundete
und ihre Führer ermordet und beraubt.
Anlage 7 enthält Meldungen des Ar¬
meearztes der 2. Armee, nach denen das
Kriegslazarett des 2. Armeekorps in
Perronne von den Franzosen allen Per¬
sonals und des Materials beraubt wurde.
In Anlage 8 berichtet der katholische
Feldgeistliche, Redemptoristenpfarrer B.
Brinkmann, der am 7. September nach
dem Gefecht bei Esternav bei Trefols
von Gendarmen abgeführt und in ein
schmutziges Gefängnis ohne Fenster ge¬
bracht, sowie ohne Nahrung gelassen
wurde. Am anderen Tage wurde er
durch eine Kette mit einem gefesselten
französischen Zivilverbrecher zusam¬
mengeschlossen und mit diesem mehrere
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
155
Tage unter Hohn und Spott der Bevöl¬
kerung durch viele Dörfer transportiert.
Auf der Gendarmeriestation wurden
ihm seine Uhr, sein Geld und seine Ho¬
senträger, sowie seine Rote-Kreuz-Binde
abgenommen, obwohl er Papiere besass.
Am 11. September erfolgte seine Ver¬
nehmung durch das Kriegsgericht in
Chateau-Thierry. Obgleich am anderen
Morgen schriftlich seine Freilassung
verfügt wurde, wurde ihm das betreffen¬
de Schreiben verheimlicht und er noch
volle drei Tage auf dem Bahnhof zu¬
rückgehalten. Dort waren ungefähr 300
Gefangene, fast nur Verwundete oder
Kranke. Einrückende Franzosen unter¬
suchten die Kleider der Verwundeten
und nahmen für sich, was ihnen beliebte,
insbesondere Geld und Uhren. Die Ver¬
wundeten lagen Tag und Nacht auf dem
Steinboden des offenen Schuppens bei
Regen und Sturm. Die Wundpflege der
Gefangenen wurde vollständig vernach¬
lässigt. Brinkmann erzählt noch einzel¬
ne Fälle empörender Rohheit in der Be¬
handlung der hungernden Gefangenen.
Anlage 9 berichtet, dass am Postamt
der Stadt Vic eine gerade gebildete Sa¬
nitätskolonne mit der Genfer Binde
stand, als französische Truppen die
Stadt besetzten. Der Major wollte die
Sanitätskolonne als Befreite begrüssen,
was der Gerichtsassessor Eyles als deren
Führer scharf ablehnte. Eyles wurde
verhaftet und später von den Franzosen
mitgenommen*.
Nach Anlage 10 wurde der Oberarzt
Dr. Stahmer beim Ulanen-Regiment Nr.
19 bei Villers la Montagne von franzö¬
sischen Schützen aus nächster Entfer¬
nung erschossen, obwohl sie die Rote-
Kreuz-Binde unbedingt sehen mussten.
Nach Anlage 11 erhielt am 19. August
bei Guenzbach ein mit einer grossen
Rote-Kreuz-Flagge versehener Sanitäts¬
wagen des zweiten Bataillons des Land-
wehr-Infanterie-Regiments Nr. 123 bei
der Abfahrt Schnellfeuer, obwohl das
Rote Kreuz bei dem klaren Wetter weit¬
hin kenntlich sein musste und der Feind
• in etwa 400 Meter Entfernung lag.
In Anlage 12 berichtet die 6. Infan¬
terie-Division an das Generalkommando
des 3. bayerischen Armeekorps, dass am
26. August bei Maixe die Krankenträ¬
ger-Patrouillen der Sanitätskompagnie
bei dem Absuchen des Gefechtsfeldes
nach Verwundeten von französischer In¬
fanterie ohne Rücksicht auf das Rote
Kreuz beschossen wurden.
In Anlage 13 berichtet der Etappen¬
delegierte Graf Reichenbach aus Valen-
ciennes, dass in der sonst sicheren Ge¬
gend nlit der Krankentransportabteilung
auch 13 Mann Freiwilliger der Kran¬
kenpflege beim Heranschaffen von Ver¬
wundeten trotz des deutlichen Rote-
Kreuz-Abzeichens durch die Bevölke¬
rung überfallen wurden. Sech^ wurden
getötet und einer ist verletzt worden.
Nach Anlage 14 wurden am 22. Sep¬
tember die Krankenträger und Kranken¬
wagen der 2. Sanitätskompagnie der 10.
Infanterie-Division bei St. Remy von
Franzosen auf 50 Meter unter heftiges
Feuer genommen. Einige Franzosen
liefen direkt auf die Krankenwagen zu
und erschossen in einem derselben drei
bereits eingelieferte Verwundete, den
Wagengefreiten, den Fahrer und die
beiden Pferde. Die Kompagnie hatte
8 Todte und 9 Schwerverletzte.
Nach Anlage 15 wurden fünf Kran¬
kenträger, die in Baccarat zur Pflege der
deutschen und französischen Militärbe¬
hörden zurückgelassen wurden, am 14.
September von den französischen Mili¬
tärbehörden nach Rambervillers ge¬
bracht und dort gleich Gefangenen be¬
handelt. Ein französischer Gendarm
nahm ihnen die Neutralitätsbinde weg.
Der meldende Oberarzt Dr. Starck wur¬
de am 18. September von Rambervillers
nach der Schweiz geführt, die fünf
Krankenträger jedoch trotz der Bitten
des Arztes zurückgehalten, mit der
Bemerkung: „Ce ne sont plus vos
hommes.“
Dass der Krieg auch hierzulande son¬
derbare Früchte zeitigt, geht aus einem
Aufruf hervor, der vor einigen Tagen
in einer hiesigen Tageszeitung veröf¬
fentlicht wurde. Es handelt sich um
nichts weniger als um die freiwillige
Spende von warmen Kleidungsstücken
für die britischen Soldaten und Matro¬
sen! Wer nicht die nötige Zeit zum An¬
fertigen dieser Bekleidungsartikel hat,
wird gebeten, Geld für den Ankauf der
erforderlichen Stoffe einzuschicken, die
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156
New Yobkek Medizinische Monatsschur.
dann zum Verarbeiten denjenigen zu¬
geschickt werden, die zwar Zeit, aber
kein Geld haben. Unterzeichnet ist der
Aufruf von sechs mehr oder weniger be¬
kannten Persönlichkeiten, wobei natür¬
lich die „Reverends“ nicht fehlen, die
wahrscheinlich an den Sonntagen nicht
ermangeln, heiss für den Frieden zu be¬
ten. Dies ist fürwahr ein beschämendes
und zugleich trauriges Armutszeugnis
für Grossbritannien. In einem neutra¬
len Lande zu betteln für warme Klei¬
dung für seine Soldaten! Dabei konnte
man in einer anderen Zeitung vom glei¬
chen Tagt lesen, dass in New York al¬
lein 37,776 Schulkinder Hunger leiden,
nicht zu reden von den Tausenden und
Abertausenden Erwachsenen in New
York, denen der Hunger und die Kälte
geradeso weh tut wie den Belgiern, für
die zu sammeln es hier geradezu zur
Hysterie geworden ist. In den letzten
Tagen hat man sogar schon schüchterne
Versuche gemacht, Sammlungen für die
„armen Serben“ einzuleiten.
Was den ehrenwerten New Yorker
Arzt Dr. Frederic S. Mason an¬
langt, auf dessen Lügenbericht betreffs
angeblicher deutscher Grausamkeiten
wir in der Oktober-Nummer aufmerk¬
sam gemacht haben, wird uns von einem
Kollegen mitgeteilt, dass der genannte
Herr Anzeigeagent für die New Yorker
Firma E. Fougera & Co., Importeure
französischer Patentmedizinen, ist, wo¬
mit wohl alles erklärt ist.
Referate und Kritiken
Ucber Brüche des knöchernen Trom¬
melfellrandes. Ein Beitrag zur Un-
* fall-Lehre. Von Prof. Dr. Hein¬
rich W a 1 b. Mit 18 Figuren auf
4 Tafeln. A. Marcus & E. Webers
Verlag. Bonn, 1914. 67 S. Preis
Mk. 3.—.
Die sehr interessante und besonders
für die Unfallpraxis wichtige Arbeit
gipfelt in folgenden Schlusssätzen:
1. Bei den Verletzungen des Kopfes
durch Fall, Schlag oder Stoss wird häu¬
fig eine stärkere Blutung aus dem Ohr
beobachtet. Die häufigste Quelle der¬
selben sind isolierte Brüche des Margo
tympanicus, die gewöhnlich mit einem
Riss des Trommelfells verbunden sind.
2. Eine Schädelbasisfraktur kann nur
durch Ausfallserscheinungen resp. Reiz¬
zustände diagnostiziert werden, welche
der Bruch und seine Begleiterscheinun¬
gen selbst auslösen.
3. Die peripheren Felsenbeinbrüche
sind sehr häufig mit Labyrinth Verletzun¬
gen vergesellschaftet. Leztere bedingen
und erklären die oft lange Zeit nach der
Verletzung noch fortdauernden Be¬
schwerden, insbesondere Schwerhörig¬
keit, Kopfschmerzen und Schwindel.
4. Die Brüche des Margo tympanicus
mit oder ohne Trommelfellruptur heilen
meistens glatt aus. Dieselben bedingen
für sich nach der Heilung keine oder ge¬
ringe Beschwerden; insbesondere ist das
Hörvermögen, in Fällen wo das Laby¬
rinth gesund geblieben ist, oft wenig
oder gamicht gestört. Dagegen kann
besonders in der ersten Zeit Ohrensau¬
sen durch dieselben veranlasst werden,
und zwar reflektorisch durch Reizung
der in der Trommelfellnarbe eingeheil¬
ten Nervenenden.
5. Die traumatischen Trommelver¬
letzungen heilen in der grössten Mehr¬
zahl der Fälle, ohne bleibende Perfora¬
tionen zu hinterlassen, auch dann, wenn
die Verletzung von einer Mittelohreite¬
rung begleitet ist. Wird daher im
Trommelfell eine grössere, rundliche
Perforation gefunden, bei fortdauernder
Eiterung und besonders, wenn sich der¬
selbe Befund an beiden Trommelfellen
ergibt, so ist der Verdacht gerechtfer¬
tigt, dass das Leiden zu Unrecht auf ei¬
nen Unfall zurückgeführt wird, vielmehr
schon vor dem Unfall bestanden hat.
6. Reine Trommelfellrupturen, die
keinen Zusammenhang mit Margofrak-
turen haben, kommen durch indirekte
Gewalt äusserst selten zustande; sie fin¬
den sich in den Fällen leichter, wo das
Trommelfell verdünnt resp. erschlafft
war.
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
157
Die Geschichte der Pest zu Regens¬
burg. Von Stabsarzt Dr. S c h ö p p-
ler, München. Verlag von Otto
Gmelin. München, 1914. 191 S.
Preis Mk. 5.—.
Das vorliegende Buch ist für jeden
Liebhaber historisch-medizinischer Ab¬
handlungen, insbesondere aber für den
Seuchenforscher von grossem Werte.
Der Verfasser verpflichtet aber, wie sich
Prof. Georg Sticker in dem dem
Buche vorausgeschickten Geleitworte
ausdrückt, nicht allein den Epidemiolo¬
gen ; er verpflichtet den Arzt, die die
V olkskrankheiten im Zusammenhänge
mit der bürgerlichen Geschichte zu be¬
greifen versucht; er verpflichtet den
Historiker, der die Geschichte der Staa¬
ten nicht bloss in Kriegszügen und poli¬
tischen Intriguen merkwürdig findet; er
verpflichtet den Politiker, der Rechen¬
schaft von sich darüber fordert, wie weit
er denn ein Recht habe, die Geschicke
eines Volkes leiten zu wollen; er ver¬
pflichtet endlich jeden Menschen, der
das unbegreifliche Leben unseres Ge¬
schlechtes staunend im Spiegel der Ver¬
gangenheit schauen mag.
Mitteilungen aus der neuesten Journalliteratur,
Richard Sielmann - München:
Kasuistische r Beitrag zur Behand¬
lung der Basedow’schen Krankheit
mittels Röntgenbestrahlung.
Siegelmann verfügt über 21 Fäl¬
le von Basedow, die er mit Röntgen¬
strahlen behandelte und zwar mit sehr
gutem Erfolg. Nur ein Fall erwies sich
gegen die. Röntgenbestrahlung voll¬
ständig refraktär, ein zweiter besserte
sich anfangs, dann aber verschlimmer¬
ten sich die Symptome, sodass von wei¬
teren Bestrahlungen Abstand genom¬
men werden musste. Als vollständig ge¬
heilt betrachtet S. vier Fälle. Von den
Testierenden 15 Fällen haben sich sieben
bedeutend gebessert, sodass kaum noch
Symptome der Erkrankung übrig ge¬
blieben sind, während acht nur zeitweili¬
ge Besserung zeigten. Monatelang sind
sie zwar beschwerdefrei, dann tritt wie¬
der ein Teil des belästigenden Sympto-
menkomplexes auf, der aber auf einige
Bestrahlung prompt zurückgeht. In den
meisten Fällen erfolgte Körpergewichts¬
zunahme. Den Halsumfang sah S. um
2—4 cm sich verkleinern. S. kommt da¬
her zu den nachfolgenden Schlussfolge¬
rungen :
1. Jeder Fall von Basedow ist nach
Versagen der medikamentösen und son¬
stigen Behandlung der Röntgentherapie
zuzuführen. 2. Bei Versagen der Rönt¬
gentherapie tritt die Operation in ihre
Rechte. 3. Hat auch die Operation kei¬
nen vollen Erfolg, ist wiederum Rönt¬
gentherapie indiziert. (M. m. W. 1914
Nr. 43.)
(Ref. kann aus eigener Erfahrung die
Angaben des Verf. bestätigen und geht
in seiner Forderung noch weiter, näm¬
lich jeden Basedowfall sofort mit Rönt¬
genstrahlen zu behandeln und nicht erst
die Zeit mit Medikamenten und sonsti¬
gen zweifelhaften therapeutischen Me¬
thoden zu verlieren.
Rudolf Emmerich und Oskar
L o e w: Ueber erfolgreiche Behand¬
lung des Tic convulsif durch Chlor¬
kalzium.
Die Verfasser berichten über zwei
Fälle, von denen der eine besonders
schwer war und bei seiner raschen Pro¬
gredienz und bei der zunehmenden
Schwäche und der raschen und beträcht¬
lichen Verschlechterung des Ernäh¬
rungszustandes wahrscheinlich bald zum
Tode geführt haben würde. Wenn trotz¬
dem das Chlorkalzium in beiden Fällen
bei monatelanger Verabreichung eine
evidente Heilwirkung entfaltet hat, so
beweist dies, dass man bei der Aetiolo-
gie der Kranheit des Tic convulsif und
der Myoklonie an Anomalien des Kalk-
stoffwechsels zu denken berechtigt ist,
zumal ja auch als begünstigendes Mo-
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HARVARD UNIVERSUM
158
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
ment für die Entstehung der infantilen
Form die Rachitis angesehen wird. Die
Verabreichung des Chlorkalziums ge¬
schah in der Weise, dass die Patienten
dreimal täglich einen Kaffeelöffel der
folgenden Lösung erhielten:
Chlorcalcium cryst. pur.100.0
Aqua destillata .500.0
Ausserdem wurde den Patienten em¬
pfohlen, reichlich Gemüse und frisches
oder gekochtes Obst zu verzehren. (M.
m. W. 1914 Nr. 47.)
Feuilleton
Ueber Geschosswirkung und Verwundungen.
Dem Feldpostbrief eines deutschen
Stabsarztes aus der Schlacht bei Lauter¬
fingen bei Metz, der in der in Frank¬
furt a. M. erscheinenden Wochenschrift
‘‘Umschau’* veröffentlicht wird, ent¬
nimmt die Allg. W. m. Ztg. die nach¬
stehenden Ausführungen:
Auffallend häufig sind — namentlich
bei raschem Vordringen der Truppe —
die Lungen- und Bauchschüsse. Beson¬
ders in Lauterfingen hatten wir auf¬
fallend viele derartige Verletzungen bei
deutschen Verwundeten, während mir
bei Franzosen einige ganz auffallende
Verletzungen mit deutlicher Schussrich¬
tung von oben nach unten in Erinnerung
stehen, für deren Erklärung die eigen¬
tümliche Fechtweise der französischen
Infanterie, die mit Vorliebe in Häusern
und Wäldern Deckung sucht, herange¬
zogen wird. In dem Walde von Lauter¬
fingen sollen einzelne Schützen auf Bäu¬
men angetroffen worden sein. Auffallend
wenig Erschwerungen machen oft Lun¬
genschüsse, bei den meisten kommt es
natürlich zu schweren Blutungen in die
Brusthöhle, die leider oft genug zu eite¬
rigen Rippenfellentzündungen führen.
Einer eigentümlichen Leichenerscheinung
möchte ich Erwähnung tun, die wir
gleich beim ersten Betreten eines
Schlachtfeldes in Lauterfingen — wo
tags zuvor ein heftiger Kampf deutscher
Artillerie gegen französische Infanterie
stattgefunden hatte — zu beobachten
Gelegenheit hatten. Es ist dies die
ausserordentlich starke Blutsenkung bei
den Gefallenen. Die Leichen der fran¬
zösischen Artilleristen, die den Bahn¬
damm entlang herumlagen, waren beim
Sturm meist mit dem Kopf vorangefallen
und das Gesicht der Leichen war in den
meisten Fällen in ganzer Ausdehnung
dunkelblau verfärbt, vielfach sogar ganz
schwarz, besonders ausgeprägt bei einem
französischen Offizier, der noch dazu
etwas gekräuseltes schwarzes Haar hatte,
so dass er von unseren Leuten allgemein
für einen Turko gehalten wurde, bis ein
Freimachen der Brust uns lehrte, dass
die übrige Körperhaut ganz weiss war.
Hier in Lauterfingen hatten wir auch
am besten Gelegenheit, die Wirkung
deutscher Artillerie zu beobachten, auf¬
fallend viele Schädelzertrümmerungen,
totale Zerschmetterungen äusserer Kör¬
perteile, die zu sofortigem Tode führen
mussten. Nach meiner persönlichen
Schätzung — die Richtigkeit muss erst
die spätere Statistik lehren — scheint die
Wirkung der deutschen Artillerie hin¬
sichtlich des Vorkommens sofort tödli¬
cher Verletzungen überlegen zu sein; ich
hatte den Eindruck, weitaus mehr nicht
tödlicher, wenn auch schwere und ausge¬
dehnte Weichteilverletzungen auf deut¬
scher Seite gesehen zu haben. Die durch
Granatsplitter bewirkten Verletzungen
zeichnen sich durch die grösste Mannig¬
faltigkeit aus, es finden sich alle Ueber-
gänge von den ausgedehntesten zerfetzten
Weichteil wunden bis zu völligen Zer¬
schmetterungen. Ein paar seltene Ver¬
letzungen sind mir wegen des paradoxen
Aussehens in besonderer Erinnerung ge¬
blieben. Ein Mann, der angab, von
einem Granatsplitter getroffen worden zu
sein, welcher eine vollkommen der Ein¬
schussöffnung eines Infanteriegeschosses
gleichende Wunde neben dem Schulter¬
blatt hatte, bei welchem man jedoch im
ersten Moment keine Ausschussöffnung
finden konnte. Erst bei genauerer Be¬
trachtung fand man auf der Brust, dicht
unter der unverletzten' Haut, eine leichte
Erhebung, an der man einen harten,
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
159
zackigen Gegenstand, der dem Gefühl
nach keinem Infanteriegeschoss entspre¬
chen konnte, durchfühlen konnte. Der
Granatsplitter hatte die Lunge durch¬
bohrt, trotzdem hatte der Mann jedoch
noch ein paar hundert Meter zu Fuss zu¬
rückgelegt. Sehr eigenartige Verletzun¬
gen stellen auch die sogenannten Tunnel¬
schüsse dar. Ich erinnere mich eines
Falles, bei dem durch Granatsplitter die
Muskulatur des Oberarmes halbkreis¬
förmig weggerissen worden war, die
Haut über dem Schusskanal dagegen
noch erhalten geblieben war.
Abgesehen von dem Vorteil, die Ver¬
letzungen in frischem Zustand zur Be¬
handlung zu bekommen, hat die Tätig¬
keit des Arztes bei der Sanitätskom¬
pagnie aber den Nachteil, dass er den
Wundverlauf bei den einzelnen Fällen
nicht zu beobachten Gelegenheit hat.
Nur selten fand sich einmal Gelegenheit
zu einem kurzen Besuch während einer
Ruheperiode in einem nahe gelegenen
Feldlazarett. Nach dem, was ich bei
einem derartigen Besuch zu sehen Ge¬
legenheit hatte, ging jedenfalls leider mit
allzu grosser Deutlichkeit hervor, dass
wir auch in der Zeit der modernen
Wundbehandlung im Krieg mit einem
grossen Prozentsatz von Wundinfek¬
tionen zu rechnen haben. Trotz der
Schulung unseres Krankenträgerperso¬
nals, trotz aller Vorkehrungsmittel, die
Verletzten sobald als möglich zum Ver¬
band zu brigen, ist eine Verschmutzung
der Wunden in einer grossen Anzahl
von Fällen, sei es durch Erdboden, sei
es durch Kleiderfetzen, unvermeidlich.
Nicht selten kommt es zum Auftreten
von Wundstarrkrampf, der sich oft erst
nach 20 Tagen jinstellen kann. Die Aus¬
dehnung der Verletzung und der Grad
der Verunreinigung der Wunde steht
meist durchaus nicht in Proportion mit
der Häufigkeit des Eintretens von Starr¬
krampfsymptomen, so dass sich als Regel
bei allen verunreinigt aussehenden Wun¬
den die prophylaktische Anwendung
von Tetanusserum empfiehlt. Als wei¬
teres vorzügliches Prophylaktikum gegen
Wundinfektion hat sich ausgiebige An¬
wendung von Jodtinktur in der Umge¬
bung der Wunde bewährt.
Einer Beobachtung möchte ich zum
Schluss dieses Briefes noch gedenken.
Ich hatte mir nämlich — nach den Be¬
richten vom russisch-japanischen Krieg
— vorgestellt, dass das Auftreten von
akuten Geisteskrankheiten ein häufiges
sein würde und war erstaunt, bis jetzt
kein einziges Mal eine echte Psychose,
abgesehen von vereinzelten rasch vor¬
übergehenden Erschöpfungszuständen,
zu Gesicht bekommen zu haben. Mag
diese Erscheinung auf den im Vergleich
zu den Russen geringeren Alkoholmiss¬
brauch zurückzuführen sein, wie auf die
bei uns bessere Verpflegung oder auf
Resistenz Veranlagung, j eden falls schien
mir persönlich diese Tatsache eine ge¬
wisse Gewähr dafür zu geben, dass der
allgemeine geistige Zustand unserer
Truppen nicht zum plötzlichen Versagen
disponiert ist, und der geistige Zustand
der Truppe ist es ja doch, der in letzter
Linie zum Siege verhilft.
Therapeutische und klinische Notizen.
— Neue Literaturangaben über Digipura-
tum und Diuretin. Hofrat Prof. Ortner,
II. Med. Univ.-Klinik, Wien, „Ueber die prak¬
tische Anwendung der Digitalis am Kranken¬
bette“ schreibt: „. . . Unter den konstant
zusammengesetzten Digitalispräparaten möch¬
te ich eines an erster Stelle setzen, das Digi-
puratum (Kn oll). Dieses hat den Vorteil
nicht nur der konstanten, gleichmässigen Wir¬
kungsart, sondern auch noch den weiteren,
dass es im wesentlichen nur die wirksamen
Substanzen der Digitalisblätter, das Digitalin,
Digitalein und Digitoxin enthält, während die
den Magen schädigenden Saponine aus dem¬
selben entfernt sind. Zudem ist es eine fast
reine Lösung der Gerbsäureverbindungen der
genannten wirksamen Glykoside der Digitalis¬
blätter, ist daher im Magen unlöslich, reizt die
Magenschleimhaut nur wenig, während es im
alkalischen Darmsaft rasch löslich ist und
rasch resorbiert wird. Man gibt dasselbe in
Pulverform oder häutiger noch in Tabletten-
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form zu 0.1 g in mittlerer Dosis 3—4 mal täg¬
lich. Es gibt auch ein Digipuratum solubile,
das sich zur intramuskulären oder intravenö¬
sen Injektionen sehr gut eignet und hierzu in
Ampullen ä 1 ccm = 0,1 g der wirksamen
Substanz 1—2 mal, sogar bis 3 mal täglich an¬
gewendet wird. Man kann es auch innerlich
zu 3 mal 20 Tropfen in Verwendung ziehen.
„Um die Gefahr des Versiegens der Diurese
zu vermeiden, setzen wir zweckmässig zur
Digitalis in höchstens mittleren Dosen, also
0.3 g Pulv. digit. titrat. oder Digipuratum pro
die, ein Theobrominpräparat zu, das exquisit
gefässerweiternd auf die Nierengefässe wirkt,
beispielsweise Diuretin oder ein ähnliches
Doppelsalz des Theobromins. . . .“ (W.
m. W. 1914 Xr. 9.)
Prof. Tob ler, Breslau, „Die Behandlung
des akuten Brechdurchfalls der Säuglinge'*:
..Bei sehr starker Pulsbeschleuni¬
gung und bei beginnender Pneumonie (der
Kinder) kombinieren wir die Kampferthera¬
pie sofort mitder Digitalis. Wir benützen am
liebsten Digipuratum-Lösung (Kn oll) 1—3
mal 3—5 Tropfen. . (D. m. W. 1914
Xr. 10.)
— Die Wirkung der Digitalis auf Blutdruck
und Puls bei bestehender Herzdekompensa¬
tion. Dr. Charles H. Lawrence, Boston,
berichtet über die im Massachusetts General
Hospital angestellten Versuche, die bezweck¬
ten, die Wirkung der Digitalis bei Patienten,
deren Herzdekompensation durch verschiedene
Ursachen entstanden war, zu erforschen. Die
Fälle, die zur Beobachtung kamen, bestanden
aus Herzklappenfehlern, Arteriosklerose mit
Degeneration des Myokards, Angina pectoris
und chronischer Xephritis mit Hypertension.
Bei allen Patienten machte sich mehr oder
weniger eine Dekompensation des Herzens
fühlbar. In fast sämtlichen Fällen wurde Di¬
gitalis in Form von Digipuratum (Kn oll)
verordnet. Einige Patienten bekamen Digi¬
talistinktur. Die Durchschnittsdosis des Digi-
puratums betrug 2—3 Tabletten täglich.
Wie aus den Beobachtungen hervorgeht,
scheinen in der Regel Digitalispräparate bei
Herzdekompensation ein Fallen des Blut¬
druckes verbunden mit gesteigerter Harnaus¬
scheidung hervorzurufen. Bei einer kleinen
Anzahl von Fällen war ein erhöhter systoli¬
scher Druck ohne Diurese zu konstatieren.
Es scheint daher, dass durch Verabreichung
von Digitalis bei Herzdekompensation, auch
wenn durch Vergrösserung der Systole ein
scheinbar entgegengesetztes Resultat erzielt
wird, eine Kontraindikation nicht in Frage
kommt. Die Wirkung der Digitalis auf die
Diastole gleicht im allgemeinen dem Einfluss
auf die Systole. Eine Verringerung der Sy¬
stole hat jedoch gewöhnlich ein Sinken des
Pulses zur Folge. Ein abgeschwächter Puls
muss nicht unbedingt auch eine Herabsetzung
der Blutzirkulation zur Folge haben, zumal
wenn das Verhältnis des Pulsdruckes zum
Maximaldruck ein erhöhtes ist. Dass diese
Annahme mit Recht besteht, geht aus der Tat¬
sache hervor, dass in 81 Prozent der beobach¬
teten Fälle trotz schwachen Pulses Erhöhung
der Diurese eintrat.
L. kommt zu dem Schluss, dass Digitalis¬
präparate ohne weiteres auch bei bestehender
Herzdekompensation Patienten mit Arterio¬
sklerose, Angina pectoris oder Hypertension
der Xierengefässe verabreicht werden kön¬
nen ; in solchen Fällen tritt selten eine Erhö¬
hung des Blutdruckes ein. (Boston M. & S.
Journ., Jan. 1914.)
Kleine Mitteilungen.
— Vebersicht über den Stand der Cholera
und die gegen die Verbreitung derselben
getroffenen Massnahmen. Eine an kompe¬
tenter Stelle angelegte Uebersicht über die
Verbreitung der Cholera in Oesterreich zeigt,
dass die Mehrzahl der an Cholera Erkrank¬
ten in den innerösterreichischen Ländern
Soldaten betrifft, die vom nördlichen Kriegs¬
schauplätze kommen, während der Rest vor¬
nehmlich aus diesen Gegenden geflüchtete
Zivilpersonen sind. Soweit aus den von
unseren Truppen besetzten Teilen Russlands
und Galiziens authentische Nachrichten vor-
licgen, sind dort an Fällen, in denen Cho¬
lera festgestellt wurde, oder Choleraverdacht
besteht, nicht viel über 600 gemeldet worden.
In Wien und Niederösterreich erreicht die
Ziffer der Erkrankten 125, die der Todesfälle
nur 2. Dabei ist in Wien kein einziger Fall
unter der einheimischen Bevölkerung bis jetzt
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vorgekommen. Nirgends in ganz Oesterreich
besteht ein wirklicher Choleraherd.
In Mähren war in Niemtschitz kein solcher
wohl zu vermuten, doch wurde der Verdacht
durch die Tatsachen widerlegt; in Mähren
wurden nämlich bei Soldaten 28, bei Flücht¬
lingen 4, bei Einheimischen 14 Fälle mit einer
Sterblichkeit von 40% festgestellt. Das so¬
fortige energische Eingreifen der Sanitätsbe¬
hörde hat eine Weiterverbreitung der Seuche
von Niemtschitz aus verhütet. Nach der amt¬
lichen Cholerastatistik sind in Schlesien 25
Militärpersonell, 3 Flüchtlinge, 3 Einheimische;
Kärnten 9 Militärpersonen, 2 Flüchtlinge;
Krain 1 Militärperson, 2 Flüchtlinge; Vorarl¬
berg 3 Flüchtlinge; Böhmen 2 Militärpersonen,
1 Flüchtling; Salzburg 1 Militärperson er¬
krankt ; in allen übrigen Ländern gibt es
keinen Cholerafall.
Aus dieser Ucbcrsicht geht hervor, dass
mir in zwei Fällen eine Uebertragung der
Seuche* auf Einheimische stattgefunden hat.
Auch auf dem Wege von Ungarn droht die
Gefahr einer Seuchenvcrschleppung nicht,
denn die von der ungarischen Regierung ge¬
troffenen Massnahmen bieten den erforder¬
beben Schutz in ausreichendem Masse.
Nichtsdestoweniger hat das Sanitätsdeparte-
rr.ent des Ministeriums des Innern im Verein
mit den militärischen Behörden alle Mass¬
nahmen getroffen, um die mögliche Ver¬
breitung epidemischer Krankheiten tunlichst
hintanzuhalten. So werden under anderem
grosse Barackenlager mit einem Belegraume
con 3000 Betten geschaffen, um für alle Fälle
gerüstet zu sein. Diese Baracken werden
gröstenteils aus Holz gebaut und mit allen
hygienischen Einrichtungen versehen. Die¬
selben werden in der Umgebung des Wil-
helminenspitals und dem Kaiser Franz Josef-
Spital ausgeführt werden. Uebrigens bestehen
in Wien bereits zwei kommunale Epidemie-
spitälcr mit einem Belegraum von 1500 Betten.
Auch in allen übrigen Kronländern wurden
die geeigneten Massregeln zur Verhütung
der Ausbreitung der Kriegsseuchen getroffen.
(Allg. Wiener m. Ztg.)
— Fürsorge-Nachrichten. Der Medizinal-
Abteilung des Königlich Preussischen Kriegs¬
ministeriums sind von der chemisch-pharma¬
zeutischen Fabrik Knoll & Co., Ludwigshafen
a. Rh., grössere Mengen des bekannten Beru-
higungs- und Schlafanregungsmittels Bromu¬
ral im Werte von über 20,000 Mk. zur Ver¬
wendung im Felde und zur Behandlung und
Pflege unserer Verwundeten als Spende zur
Verfügung gestellt worden. Die Verteilung
an die einzelnen Stellen ist nach Weisungen
des Kaiserlichen Kommissärs für die freiwil¬
lige Krankenpflege unter Zustimmung ' des
Kriegsministeriums erfolgt.
Ebenso wurden mit Zustimmung des K. u.
K. Kriegsministeriutns der K. u. K. Militär-
Medikamentendirektion in Wien von der che¬
misch-pharmazeutischen Fabrik Knoll & Co.,
Ludwigshafen a. Rh., grössere Mengen des
bekannten Beruhigungs- und Schlafanregungs¬
mittels Bromural und des Digitalispräparates
Digipuratum im Werte von etwa 15,000 Kr.
als Spende zur Verfügung gestellt.
— Deutsche A erste vor einem Pariser
Kriegsgericht verurteilt. Zu welchen Unge¬
heuerlichkeiten die nationale Verbitterung und
Verblendung selbst Richter verleiten kann, da¬
von liefert die Verurteilung gefangener deut¬
scher Aerzte seitens eines Pariser Kriegsge¬
richtes den deutlichen Beweis. Die deutschen
Aerzte standen unter der fälschlichen Beschul¬
digung verübter Gewalttätigkeiten in den von
den Deutschen besetzten Gegenden sowie die
Vernachlässigung in der Behandlung der Ver¬
wundeten. Trotz des entschiedenen Protestes
der Angeklagten gegen die ihnen zugemuteten
Uebeltaten wurden sie zu empfindlichen Frei¬
heitsstrafen bis zu zwei Jahren Gefängnis ver¬
urteilt. Wie ungerecht dieses Urteil ist, kann
man daraus ersehen, dass selbst französische
Blätter diese richterliche Entscheidung als
eine beklagenswerte hinstellen.
— Verminderte Frequenz der li’iener Uni¬
versität. Die kriegerischen Zeiten sind nicht
ohne schädigenden Einfluss auf die Frequenz
der Wiener Universität geblieben. Während
in den Wintersemestern der letzten zwei Jah¬
re die Zahl der inskribierten Hörer die Ziffer
10,000 überstieg, beträgt die Ziffer der bis En¬
de November eingeschriebenen Studierenden
aller Fakultäten nicht mehr als 3528 und in
dieser Ziffer sind auch die Studierenden der
Universitäten Lemberg und Czernowitz, die
vom Unterrichtsminister die Erlaubnis erhiel¬
ten, eine einstweilige Einschreibung in Wien
zu erwirken, mitinbegriffen. Von den 3528
Eingeschriebenen entfallen auf die medizini¬
sche Fakultät 1098. Erwägt man, dass die
Zahl der im 1. Semester eingeschriebenen Hö¬
rer gleichfalls eine erhöhte ist, da diese das
stellungspflichtige Alter noch nicht erreichten,
so kann man urteilen, welche grosse Anzahl
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der Universitätshörer Kriegsdienste leisten.
Die Zahl der weiblichen Hörer ist relativ und
durch den Zuwachs der nicht eröffneten Uni¬
versitäten Lemberg und Czernowitz auch ab¬
solut höher geworden und beträgt 546.
— Resolution der k. k. Gesellschaft der
Merzte zu Gunsten der verurteilten deutschen
Militärärzte. In der Sitzung der k. k. Gesell¬
schaft der Aerzte vom 4. Dezember wurde
einstimmig eine Resolution zu Gunsten der
von einem Pariser Kriegsgerichte verurteilten
kriegsgefangenen deutschen Militärärzte be¬
schlossen ; die Resolution wird in den näch¬
sten Tagen den österreichischen Aertzen be¬
kanntgegeben und ausserdem soll ihr Inhalt
auf diplomatischem Wege der französischen
und englischen Regierung mitgeteilt werden.
Aufruf!
Europa steht in Flammen. Ein Krieg ist ausgebrochen, wie ihn die Weltgeschichte noch
nicht erlebt hat. Wie die Geschicke der Völker sich gestalten mögen, weiss nur Gott allein.
Wir aber wissen, dass unendliche Not und namenloses Elend die unabwendbaren Folgen
dieses Krieges sein werden, wie immer der Ausgang sein möge. Zu den Völkern, die in den
schrecklichen Krieg verwickelt sind, gehört auch Deutschland, das Land, in dem unsere oder
unserer Vorfahren Wiege stand, mit dem unzertrennbare Bande des Blutes und des Herzens
uns verbinden.
Daher richten die Unterzeichneten an alle Deutschen und an alle Amerikaner deutschen
Stammes die herzliche Bitte, der höchsten und heilgsten Menschenpflicht eingedenk zu sein
und durch freiwillige Spenden die Not der deutschen Stammesbrüder zu lindern. Es gilt
nicht nur die Verwundetn zu pflegen, sondern auch den Wittwen und Waisen hülfreich zur
Seite zu stehen, denen die Kriegsfurie den Beschützer und Ernährer entrissen hat. Reiner
Menschlichkeit ist unser Bemühen gewidmet, ausschliesslich für wohltätige Zwecke sollen
die gesammelten Beträge Verwendung finden. Daher kann jeder ein Scherflein beitragen
ohne Ansehen der Nationalität.
Es wird gebeten, Beiträge an die „NEW YORK TRUST CO.“, 26 Broad Street, New
York City, unter der Bezeichnung GERMAN RELIEF FUND zu senden. Auch die Unter¬
zeichneten sind zur Annahme von Beiträgen berechtigt.
Die eingesandten Gelder werden der deutschen Botschaft in Washington zur Ueber-
weisung an den Zwecken des Aufrufs entsprechende Wohltätigkeitseinrichtungen in Deutsch¬
land übermittelt werden.
Alex Andrae
Charles Engelhard
John Oscar Erckens
E. Hossenfelder
Rudolph Keppler
Albert Leisel
Adolf Pavenstedt
Hans Reineke
l)r. Richard Schuster
Dr. G. E. Seyffarth
Carl L. Schurz
Charles H. Weigele
Wilhelm Knauth
Conrad Bühler
Rudolf Erbslöh
A. Heckscher
E. C. Hothorn
William Kiene
Adolf Kuttroff
Edmund Pavenstedt
Dr. A. Ripperger
Klaus A. Spreckels
Hermann Schaaf
Edmund Stirn
C. B. Wolffram
George Rueders
Carl Bünz
A. von Gontard
C. von Helmolt
William Kaupe
G. B. Kulenkampff
Henry E. Niese
Christoph Rebhan
Dr. Paul C. Schnitzjer
Oscar R. Seitz
Dr. Gustav Scholer
A. Vogel
Robert Badenhop
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JSIew Yorker
JVIedizimscbe (Monatsschrift
Offizielles Orgun der
Dcvtfdx« medtxiiJfdwi 6efellfdNifte« der Staate nee Verft,
CMcago Md Clevelaad.
Herausgegeben von DR. ALBERT A. RlPPERGER
unter Mitwirkung von Dr. A. Herzfeld, Dr. H. G. Klotz und Dr. von Oefele.
Bd. XXV.
New York, Dezember, 1914.
Nr. 7.
Originalarbeiten.
Das Abderhalden-Verfahren in pathologischer Hinsicht.*
Von Dr. Adolph Gehrmann, Chicago.
Gegenüber der Erscheinung der Ab¬
wehrfermente, die physiologisch im
Blute kreisen mögen, stehen diejenigen
ähnlichen Fermente, die man in ver¬
schiedenen pathologischen Zuständen
finden kann.
Zunächst ist in dieser Hinsicht zu er¬
wähnen, dass diese Fermente in einem
engen Zusammenhang mit Immunitäts¬
fragen stehen, hauptsächlich die Präzi¬
pitine und Albumolysine. Dagegen
scheinen sie nicht eine so bestimmte
Körperwiderstandskraft zu zeigen, wie
man sie während der Entwicklung von
Antiproteidkörperchen sieht. Die Ab¬
wehrfermente tauchen rasch auf im
Blute und verschwinden schnell, weiter
zeigt solch ein aktives Serum eine mehr
ausgedehnte Gruppenaktivität, als man
bei den letzteren sehen kann. Wie wir
es verstehen, entwickeln sich Antipro¬
teidkörperchen langsam in einem so be¬
handelten Tiere und sie erhalten sich
lange und sind sehr spezifisch für das
♦ Vortrag, gehalten in der Deutschen Med.
Gesellschaft in Chicago am 12. November
1914.
bestimmte Proteid, das man gebraucht
hat.
Weiter haben wir die interessanten
Fragen zu beantworten, wo die Fermen¬
te entstehen. Man hat schon viel er¬
forscht inbezug auf die Trypsinfermen¬
te im Blute. Zu gleicher Zeit beweisen
Experimente und physiologische Be¬
trachtungen, dass so oft Zellen zerfallen,
zur selben Zeit ein spezifisches Ferment
für die Zellen entweder losgelassen oder
in Uebermengen produziert wird.
Als Beispiel hat man Folgendes:
Leberextrakt verdaut Leberpepton.
Schilddrüsenextrakt verdaut Schild¬
drüsenpepton.
Muskelextrakt verdaut Muskelpepton.
Hodenextrakt verdaut Nieren- und
Hodenpepton.
(Jacoby, Hofmeisters Beitr. 1913.)
Weiterhin ist es wohl bekannt, dass
Fermente dieser Art erscheinen, wenn
Leukozyten und rote Blutkörperchen
zerfallen. Dieses spricht hauptsächlich
für die Theorie, dass alle diese Fermen¬
te sich bilden während einer Störung in
den Zellen selber. Abderhalden
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nimmt an, dass seine Fermente, wie man
sagen möchte, sich mobilisieren und
schon vorher entstanden waren infolge
eines weitausgedehnten Zerfalls von
Leukozyten oder roten Körperchen. Die
Schnelligkeit, mit welcher die Fermente
auftreten und verschwinden, könnte
diese Herkunft anzeigen, aber es würde
sicherlich gegen die relative spezifische
Wirkung sprechen, die so absolut aner¬
kannt ist. Wie ist es möglich, dass ver¬
einzelte, zerstreute Leukozyten in dem
zirkulierenden Blute die Fähigkeit ha¬
ben, ein bestimmtes Ferment allein für
Gehirn-Albumin loszulassen? Es wür¬
de kaum wahrscheinlich sein! Meine
Ueberzeugung ist, dass das rasche Er¬
scheinen und schnelle Verschwinden
dieser Fermente unmittelbar auf die
Störungen zurückgeführt werden kann,
die in dem bestimmten Organ vor sich
gehen. Wenn ein solcher Zustand ein-
tritt, erscheinen die Fermente, und wenn
der Zustand aufhört, verschwinden die
Fermente bald wieder. Bis jetzt ist uns
der Vorgang bei solchen Störungen un¬
bekannt. Ich fühle mich veranlasst, die
früheren Experimente von Abder¬
halden anzuführen, worin er Lösun¬
gen von Albumin, Peptonen, Kohle¬
hydraten und Fett in die Blutbahn in-
jektiert hat, als ein Verfahren zur An-
tikörperbildung, bei dem er selbst eine
Gruppenreaktion gezeigt hat, die in kei¬
ner Weise so spezifisch ist, als man sie
in späteren Experimenten durch eine
Einverleibung von Organstücken oder
Albumin bei normalen wie auch bei pa¬
thologischen Verhältnissen zeigen
konnte.
Weitere interessante Beobachtungen
wurden gemacht durch fortschreitendes
näheres Studium dieser Fermente. Ab¬
derhalden ist es gelungen, die Fer¬
menttätigkeit von Tier zu Tier zu über¬
tragen. In der Tat bestätigt er, dass
diese Tätigkeit verstärkt werden kann
durch Uebertragung von Tier zu Tier.
Dies ist eigentümlich, besonders da es
eine Hauptregel der Fermente ist, dass,
sobald die Produkte der Tätigkeit er¬
scheinen, eine Verzögerungsneigung be¬
merkbar ist. Er selbst würde mehr
Zeit gebrauchen, diese Phase zu ent¬
scheiden. Er entdeckte auch, dass seine
Fermente, nach dem sie inaktiviert wa¬
ren durch Erhitzen, wieder aktiv wur¬
den, wenn man frisches Serum zufügte.
Dies gelingt auch im Tierexperiment.
Als Probe wurde aktives Serum für be¬
stimmte Organe inaktiviert und in Ha¬
sen injiziert. Das Blut von dem Hasen,
welches vorher negativ war, wurde jetzt
nach der Injektion aktiv für das be¬
stimmte Organ, das gebraucht worden
war. In anderen Tierexperimenten hat
er gefunden, dass, wenn er das von ei¬
nem positiven Versuch herrührende
Dialysat einem Tier injizierte, sich bald
Abbaufermente für dasselbe Organ im
Blute zeigten, andererseits, dass von
einer negativen Probe keine Abwehr¬
fermente im Tier erzeugt wurden. Man
könnte hierdurch annehmen, dass die
Produkte des Abbaues imstande sind,
das gleiche Ferment hervorzurufen,
durch welches diese abgehalten w-urden.
Die Entstehung solcher Fermente ist
nach de V a e 1 e zurückzu führen auf
die Globulinfraktion des Serums. Er
findet, dass, wenn einem Serum Amoni-
um-Sulfat bis zur Globulinausscheidung
zugefügt wird, dann eine wahrnehmbare
Erscheinung oder eine verstärkte pro¬
teolytische Aktivität auftritt. Ferner,
wenn man Serum-Globulin oder Fibri¬
nogen einem Serum zusetzt, entsteht da¬
rin eine grössere Menge Spaltprodukte.
Die Zusetzung von Albumen gab nega¬
tive Resultate.
Durch diese verschiedenen Beobach¬
tungen scheint es möglich, dass die Ent¬
stehung von Abbaufermenten durch ei¬
nen Circulus vitiosus verursacht wird.
Auf diesem Punkt beruht die Erfahrung,
dass Fermente entstehen, wenn man das
von einem positiven Versuch herrührende
Dialysat in ein Tier einspritzt. Es ent¬
steht im Anfang eine Zersetzung in ei¬
nem Organ und die kleinsten Mengen
Spaltprodukte werden absorbiert, diese
regen die Bildung von speziellen Fer-
Qriginal fro-m
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menten an. Vielleicht kommen diese
durch einen toxischen Zerfall von Leu¬
kozyten oder roten Blutkörperchen zu¬
stande. Jetzt wird das Serum aktiv und
proteolysiert, denn das teilnehmende
Organ und die neuen Spaltprodukte ru¬
fen eine neue Menge von Ferment her¬
vor. Inwiefern eine antitryptische Ak¬
tion als ein zu vermeidender Zustand
gegen solche progressive Vermehrung
wirkt, kann bis jetzt nur vermutet wer¬
den.
Wenn wir nun die praktische Seite
betrachten, da finden wir bis jetzt, dass
diese Abwehrfermente Wirkungen zei¬
gen bei folgenden pathologischen Zu¬
ständen :
1. Verdauung von Organalbuminen,
welche sich im Körper befinden.
2. Verdauung von Exsudaten oder
Degenerationen, ob entzündeter Zustand
oder nicht.
3. Verdauung von bösartigen oder
gutartigen Neubildungen.
4. Verdauung von Albumin in von
Parasiten durchsetzten Geweben.
5. Abwehrfermente gegen existieren¬
de Organe.
In dieser Hinsicht hat man den gröss¬
ten Fortschritt gemacht in der Unter¬
scheidung von verschiedenen Geistes¬
krankheiten. Was es gerade alles be¬
zeichnet, ist nicht klar, aber als ein dia¬
gnostisches Verfahren, durch welches
mehrere unbestimmte Zustände grup¬
piert werden können, verdient die Ab¬
derhalden- Methode grosse Aner¬
kennung. Eine neue Aussicht hat sich
eröffnet für die Neuropathologie.
J a u s e r’s oftmals angeführter Be¬
richt über das Finden von Geschlechts¬
drüsenfermenten bei Dementia praecox
findet eine weitere Anerkennung.
Unter anderem ist der Bericht von
K a f k e zu erwähnen. Er findet, dass
die Abwehrfermente für Geschlechts¬
drüsen charakteristisch für diesen Zu¬
stand sind. Nebenniere wird selten ver¬
daut in solchen Fällen, aber manchmal
die Schilddrüse. Er findet auch neben¬
bei, dass Hypophysissubstrate nur in
Fällen von Tumoren dieser Drüse und
bei Akromegalie verdaut werden.
P e s k e r glaubt mittels des Abder¬
halden -Verfahrens die Geisteskrank¬
heiten in zwei Gruppen teilen zu kön¬
nen. Auf der einen Seite Dementia pa-
ralytica und zerebrale Syphilis, wo Ge¬
hirngewebe zerstört wird, und auf der
anderen Seite Dementia praecox, bei
welcher Geschlechtsdrüsen zerstört wer¬
den. In allen Fällen von funktionellen
Psychosen findet man keine Abwehr¬
fermente im Blute.
Es ist möglich, dass eine vorsichtige
Technik solche Zustände definitiv unter¬
scheiden kann und die Methode einen
positiven Nachweis gibt, dass eine mehr
oder weniger bemerkenswerte Organ¬
zerstörung stattfindet.
Die Abderhalden - Methode in
Geschwulstfällen: Die gesamte Mei¬
nung, soweit wie die Literatur und Er¬
fahrung zeigen, spricht dagegen, dass
Abderhalden als eine Diagnose für Ge¬
schwulstfälle genügt. Da gibt es meh¬
rere Tatsachen, die dagegen sind. Die
grosse Verschiedenheit von Geschwül¬
sten. Diese fangen auch klein an und
sind schwer frühzeitig zu erkennen. Da
sind auch Störungen, die das Ge¬
schwulstwachstum begleiten, welche
auch ähnlich bei anderen Krankheiten
Vorkommen: Anämie, Toxämie und spe¬
zifischer Zellenzerfall in den betroffenen
Organen. Indessen ist es möglich, dass
in mancher Beziehung die Krebsdiagno¬
se verbessert wird. So findet Wein¬
berg durch sein reiches Material und
wie seine Proben zeigen, dass Serum
von Karzinomfällen nur Karzinom¬
gewebe, Serum von Sarkomfällen nur
Sarkomgewebe verdaut, und weiter,
dass Serum von Spindelzellensarkomen
positiv wirkt gegen Spindelzellgewebe
und nicht gegen Lymphosarkome. Er
hebt auch hervor, dass man die Methode
verwerten kann zur Feststellung von
Rezidiven oder Metastasen. Wo immer
die Fermente nach der Operation beste¬
hen blieben, war ein nachfolgendes
Wachstum gefunden worden.
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
Fermente gegenüber Exsudaten und
Entzündungen: Hier gibt es vieles,
das noch sehr unbestimmt ist. Viel frü¬
her als von Abderhalden wurde
von Müller gezeigt, dass das Exsu¬
dat bei Lungenentzündungen rneistens
durch Leukozytenfermente beseitigt
wird. Bei verschiedenen Lungenent¬
zündungen zeigten Experimente, dass
das Blut Lungengewebe verdaut. Die
gewonnenen Tatsachen sind interessant,
aber es ist nicht anzunehmen, dass diese
neue Methode viel zu den jetzigen di¬
rekten chemischen und bakteriologi¬
schen Untersuchungen beitragen kann.
Meissner berichtet aus seiner tier¬
ärztlichen Praxis, dass er das Entstehen
von Abwehrfermenten im Blute von tu¬
berkulösen Tieren und auch bei Rotz
und Streptokokkeninfektionen fand,
wenn er die Organteile gefüllt mit sol¬
chen Bakterien als Substrate benutzte.
Trotzdem ist die negative Kontrolle
nicht sicher. Er sagt aber, dass Serum
bei Rotz und Streptokokkeninfektionen
negativ war, wenn es mit dem entgegen¬
gesetzten Antigen gebraucht wurde.
In der Parasitenkunde.
G o z o n y macht seine Beobachtun¬
gen bekannt mit Blut bei verschiedenen
Protozoeninfektionen. Als Substrate be¬
nutzte er Organteile, die mit Protozoen
durchdrungen waren. Die verschiedenen
Parasiteninfektionen waren folgende:
Trypanosoma - Erkrankung, Hühner-
Spirochätose, Sarcosporidiasis (Disto-
miasis. und Trichinosis).
Er erzielte mit Serum von den ersten
dreien regelmässige Resultate. Die an¬
deren waren unbestimmt. Jedoch war
die Beobachtung interessant, dass Tri-
chinosis-Serum positiv für Muskelge¬
webe ausfiel, aber hauptsächlich dann,
wenn solches Trichinen enthielt.
Wir müssen diesen Bericht im^Ganzen
mehr als eine Grüppenreaktion betrach¬
ten, bei der eine weitere Analyse noch
nötig ist.
Zum Schluss müssen wir Abder¬
halden unseren Dank sagen für die
vielen neuen Gedanken, die seine Ent¬
deckung in der chemischen Pathologie
angeregt hat. Wenn auch die Technik
noch Schwierigkeiten enthält, so lässt
das Verfahren weitere grössere Mög¬
lichkeiten erwarten. Wir kommen da¬
durch dem Verständnis für die Aetio-
logie näher, wodurch für später ein
grosser Einfluss auf die Behandlung er¬
hofft werden darf.
Columbus Medical Laboratory,
Chicago.
REFERENZEN.
Abderhalden. Med. Klinik 1914. A b-
derhalden und Grigoresen, Med. Kli¬
nik 1914. de Wale, Zeitschr. f. Immunitätsf.
Oreg., Bd. 22, 1914. Falls, Jour. A. M. A.,
3, Okt. 1914. Meissner, Deutsche Tier-
ärztl. Wschr. No. 26. 1913. Wohl, Jour. A.
M. A. (Diskussion), 1. Aug. 1914. Wein¬
berg, Münchener Med. Wschr. No. 30, 28.
Jli 1914. P e s k e r, Zeitschr. f. d. ges. Neu-
rol. u. Psychiatrie, Bd. 22, 1914. Gozony,
Zentralbl. f. Bak. Orig., 73, 1914. Kafke.
Zeitschr. f. d. ges. Neurol. u. Psychiatrie, Bd.
18, 1913. Mayer, Münchener Med. Wschr.,
S. 703, 1914.
Schmerzhafte Zufälle als Begleiterscheinungen kleiner
uterinaler Fibrome während der Schwangerschaft.*
Von Dr.
In den folgenden Ausführungen wer¬
de ich nicht von den grossen Uterus-
Fibromen sprechen, die nach ihrem Sitze
die Ursache einer Dystokie oder die
•Mitgeteilt in der kaiserlich medizinischen Gesell*
Schaft in Konstantinopel. — Grece med. — Allg. Wien,
m. Ztg.
Stavrides.
Ausgangspunkte schwerer Komplika¬
tionen wie Brand, Peritonitis usw. sein
können. Was darüber schon gesagt und
geschrieben wurde, ist hinlänglich be¬
kannt, und es wäre überflüssig, darauf
wieder zurückzukommen; die Zufälle,
die ich bei meinen Kranken zu beobach-
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167
ten Gelegenheit hatte, sind interessant
and merkwürdig, ja sie sind selten. Vor
Erklärung dieser Erscheinungen will ich
kurz die Symptome meiner Kranken
schildern.
1. Fall. Mitte September 1908 wurde
ich zur Frau Th. gerufen, die sich im
sechsten Monate ihrer zweiten Schwan¬
gerschaft befand. Sie berichtete mir,
dass sie plötzlich von ungemein starkem
Schmerz in der Nabelgegend befallen
wurde; der Schmerz, sagt die Kranke,
sei plötzlich ohne jede ernste Ursache
aufgetreten während sie ruhig ihrer Be¬
schäftigung nachging. Als sie instink¬
tiv mit der Hand an den Sitz des
Schmerzes griff, war sie lebhaft über¬
rascht, daselbst eine Geschwulst zu kon¬
statieren, die sie niemals früher beob¬
achtete und die ich selbst nie bei Palpa¬
tion des graviden Uterus entdecken
konnte. In der Tat konnte ich bei sorg¬
fältiger Untersuchung der Patientin un¬
ter der Nabelnarbe und direkt unter der
Haut (an dieser Stelle befand sich an¬
lässlich des Auseinanderweichens der
Linea alba eine Bauchhernie) einen klei¬
nen flachen Tumor mit unregelmässigem
Rande, im grossen Diameter 5 bis 6 cm
messend, der sich von oben nach unten
erstreckt und sich beim Betasten hart
von Konsistenz erweist, konstatieren.
Der beim Versuche, den Tumor zu be¬
grenzen, hervorgerufene Schmerz ist
sehr ausgesprochen, dazu noch eine ge¬
ringe peritoneale Reaktion und leichter
Meteorismus. Ich verordnete feuchte,
laue Kompressen auf den Unterleib und
ein Suppositorium mit 1 cg Morphin.
Am andern Tage gestattete der Zustand
der Patientin, die sich viel wohler be¬
fand, eine eindringlichere Untersuch¬
ung. So konstatierte ich, dass der Tu¬
mor eine Partie des uterinalen Paren¬
chyms sei und durch Teilung der Fa¬
sern aus dem Corpus Uteri hervortrete.
Ich beliess die Kranke bei feuchtwarmen
Umschlägen zu Bette. Die Schmerzen
besserten sich allmählich, die geringe
peritoneale Reaktion verschwand und
die Kranke konnte nach Ablauf von acht
Tagen das Bett verlassen, die Ge¬
schwulst blieb sich gleich und war beim
Betasten schmerzhaft. Ungeachtet die¬
ses kleinen Inzidenzfalles gedieh die
Schwangerschaft zu ihrem normalen
Ende und Frau Th. wurde am 20 De¬
zember von einem Mädchen spontan ent¬
bunden. Das Wochenbett schien bis
zum fünften Tage einen normalen Ver¬
lauf zu nehmen, da bemerkte ich, dass
die Lochien sich merklich vermindern.
Keine Temperaturerhöhung. Am achten
Tage trat beinahe eine Stockung der
Lochien ein und die Temperatur stieg
bis 38 Grad. Nachdem in die Uterus¬
höhle eine Kanüle eingeführt wurde und
ihre Branschen sich öffnete, floss eine
ziemlich reichliche Menge übelriechen¬
der Lochien heraus. Eine intrauterinale
Auswaschung mit einer Jodlösung und
Drainage des Uterus sicherte den Aus¬
fluss dieser Flüssigkeit. Die Tempera¬
tur sank nach und nach. Die Kranke
fühlt sich wohl und am 15. Tage nach
der Entbindung verliess sie das Bett.
Bei der Untersuchung fand ich den Ute¬
rus von gehöriger Grösse, wie derselbe
am 15. Tage sein soll und auf seiner vor¬
deren Fläche konstatierte ich an Stelle
der Geschwulst eine kleine knopfförmige
Erhöhung in der Grösse einer kleinen
Nuss. Nach drei Monaten ist der Ute¬
rus beinahe normal und zeigt keinen
Vorsprung an seiner Oberfläche.
2. Fall. Frau K., 37 Jahre alt, im
fünften Monat der Schwangerschaft,
wurde plötzlich von einem lebhaften
Schmerz an der linken Seite des Uterus
befallen, ein wenig oberhalb des Pou-
p a r t’schen Bandes. Ich wurde eilig
geholt und konstatierte bei der Unter¬
suchung an der oberwähnten Stelle ei¬
nen Tumor in der Grösse einer Manda¬
rine, der, in zwei Teile gespalten, an der
Oberfläche des LHerus lag. Die Ge¬
schwulst ist sehr schmerzhaft bei Druck
und ich dachte sogleich an den Tumor,
den ich vor zwei Jahren zu beobachten
Gelegenheit hatte. Ruhe, feuchtwarme
Umschläge und Opium beruhigten die
Schmerzen. Die Kranke beendete ihre
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
Schwangerschaft und brachte rechtzei¬
tig einen gesunden Knaben zur Welt.
Das Wochenbett verlief normal und die
während der Schwangerschaft auf dem
Uterus konstatierte Geschwulst war drei
Monate später nicht mehr nennenswert.
3. Fall. Im Monat Dezember 1911
wurde ich von meinem Kollegen Dr. P.
zu einer seiner Klientinnen pro consilio
gerufen, dieselbe war \]/ 2 Monate
schwanger, beklagte sich über einen
äusserst heftigen Schmerz neben der
Fossa iliaca sinistra. Bei der Untersu¬
chung konstatierte man eine unregel¬
mässig höckerige Geschwulst in der
Grösse eines Hühnereies, die auf der
linken Seite des Uterus sass, ein wenig
oberhalb des P o u p a r t’schen Bandes.
Die Kranke fiebert ein wenig und die
Temperatur schwankte in diesen kriti¬
schen Tagen zwischen 37.5 und 38.1.
Auch in diesem Falle wurden die
Schmerzen durch Ruhe, feuchtwarme
Umschläge und Morphin-Suppositorien
gestillt. Der Tumor blieb fortwährend
auf seinem Platz; die Schwangerschaft
verlief bis zu ihrem rechtzeitigen Ende,
die Entbindung ging normal vor sich
und alles kam wie in den beiden vorher¬
gehenden Fällen in Ordnung.
In diesen drei Fällen, die ich eben mit¬
geteilt habe, schilderte ich nur kurz die
Erscheinungen, die ich selber beobach¬
tet habe, ohne hiefür eine Erklärung zu
geben. Ich will nun versuchen, diese
Erscheinungen, die, wie man sieht, ziem¬
lich seltsam sind, zu erklären. Diese
Tumoren, die bei voller Schwanger¬
schaft am Corpus Uteri gravidi sich prä¬
sentieren, können nichts anderes sein als
kleine Fibrome, die im normalen Zu¬
stande im Parenchym dieses Organs ih¬
ren Sitz haben. Man weiss, dass die
Fibrome im allgemeinen während der
Schwangerschaft an Volumen zuneh¬
men. Diese Tatsache wurde bei bereits
sichtbaren Fibromen bewiesen, deren
Volumen in der Schwangerschaft bei¬
nahe um das Doppelte sich vergrösserte.
Hier verhält es sich aber nicht so; die
kleinen Fibrome, von denen ich aber
sprach, sind im normalen, das heisst,
nicht schwangeren Zustande so winzig
klein, dass man sie nicht findet, wenn
man auch noch so sorgfältig dieselben
sucht. Während der Schwangerschaft
entwickeln sich diese Tumoren, nehmen
an Umfang zu und brechen plötzlich
hervor. Aber wie soll man die so leb¬
haften Schmerzen erklären, welche Be¬
gleiter dieser Geschwülste sind und die
die Aufmerksamkeit des Arztes auf sich
ziehen? Was unseren ersten Fall be¬
trifft, so ist die Sache ziemlich leicht.
Die Patientin hat bis zum Tage vor dem
erlittenen Zufall keinen Vorsprung auf
der vorderen Fläche des Uterus darge¬
boten, sie wurde plötzlich von intensiven
Schmerzen befallen und so wie die an¬
deren Patientinnen sah sie jetzt zum er¬
sten Male die kleine Geschwulst. Hier
können wir also annehmen, dass dieser
kleine im Parenchym des Uterus aber an
seiner Oberfläche sitzende Tumor nach
und nach die Muskelfasern dieses Or¬
ganes auseinandertrennte und peritoneal
frei wurde; bei diesem Vorgang hat der
Tumor sicherlich irgendwelche Unan¬
nehmlichkeiten und Schäden bewirkt.
Es haben dabei Blutergüsse stattgefun¬
den, welche die lebhaften Schmerzen
und die geringe peritoneale Reaktion,
die wir konstatierten, erklären können.
Als Stütze meiner gut begründeten
Hypothese dient eine dritte Schwanger¬
schaft derselben Kranken. Bei dieser
dritten Schwangerschaft wurde Frau
Th. ganz und gar nicht von Schmerzen
belästigt, trotzdem die Geschwulst auf
demselben Platze wie vorher sich be¬
fand.
Was soll man aber von jenen anderen
Tumoren sagen, die aller Wahrschein¬
lichkeit nach schon auf der Oberfläche
des Uterus bestanden. Um einen siche¬
ren Aufschluss über diese Frage zu ha¬
ben, wandte ich mich an den Professor
der Geburtshilfe Dr. Couvelaire in
Paris. Dieser konnte nach einem chirur¬
gischen, ein Jahr nach der Entbindung
ausgeführtem Eingriff, Blutpigment im
Innern der ganz kleinen Fibrome, die
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New Y0*kxe Medizinische Monatsschrift.
169
während der Schwangerschaft hyper¬
trophisch wurden und zu den heftigen
Schmerzen Veranlassung gaben, kon¬
statiert. Also können die Schmerzan¬
fälle, die ich konstatierte, entweder
durch die Veränderungen erklärt wer¬
den, welche die Fibrome verursachten,
nämlich die Oedeme, interstitielle Blu¬
tungen usw. oder durch die lokalisierte^
peritoneale Reaktion dunklen Ur¬
sprungs bedingt sein. Da ist auch die
Meinung Professors Legueus*, der
Gelegenheit hatte, eine Kranke, die sich
im zweiten Monate der Schwangerschaft
befand und mit einem Fibrom behaftet
war, zu operieren. Bei dieser Patientin
hat der Schmerz auch plötzlich einge¬
setzt, aber in Begleitung desselben trat
eine heftige peritoneale Reaktion ein mit
Auftreibung des Unterleibes und Tem¬
peratu rsteigerung. Wegen des Meteo¬
rismus war die Untersuchung schwierig
und nur in der Narkose war es möglich,
sich darüber Rechenschaft zu legen, dass
es sich um Schwangerschaft im zweiten
Monate und Uterus-Fibrome handle mit
einer Peritonitis aus unerklärbarer Ur¬
sache. Die Laparotomie ä froid ausge¬
führt, der eine subtotale Hysterektomie
folgte, zeigte, dass man es mit einem
langen Fibrom zu tun habe, das den obe¬
ren Pol des graviden Uterus bedeckte
und das selbst mit einer Hülle epiploi-
scher und intestinaler Adhärenzen ver¬
sehen war. Der Ausgangspunkt dieser
Peritonitis lag nicht in einer Entzün¬
dung der Adnexe, diese waren mikro-
skoisch gesund und zu weit von den Ad-
säsionen entfernt, um die Ursache der
Entzündung abzugeben. Der Appendix
war normal, sodass Professor Legueu
sich der Behauptung hinneigte, dass alle
beobachteten Läsionen von den patholo¬
gischen Veränderungen des Fibroms ab¬
hängig wären, was übrigens festzustel¬
len nicht möglich war.
Dr. L e p a g e hat in derselben Sitz¬
ung berichtet, dass er bei einer im fünf¬
ten bis sechsten Monate der Schwanger-
* Socict6 de Gynekologie ä obstetrique et de Pedea-
trie de Paris, Sitzung vom 8. Mai 1911.
schaft befindlichen Frau ein ungestieltes
Fibrom beobachtet habe, das von epi-
ploischen Adhäsionen bedeckt war; es
wurde eine Hysteroektomie ausgeführt,
und zwar mit Erfolg. Auch hier han¬
delte es sich um eine lokalisierte Epi-
ploitis vom Fibrom ausgehend.
Dr. P o t o k i sagt, dass die Fibrome
ohne Appendizitis, ohne begleitende Ad-
nextis zu peritonealen Reaktionen Ver¬
anlassung geben können. Er hat bei
einer im siebenten Monate schwangeren
Frau ein ungestieltes Fibrom ohne epi-
ploische Anheftungen operiert, das nur
mit einer lokalen Peritonitis, mit Fieber
und Schmerzen kompliziert war. Infol¬
ge einer bei einem Versuche, das Fibrom
zu enukleieren, verursachten Blutung
musste man von der Enukleation ablas-
sen. Man verschloss wieder die Bauch¬
höhle und die Entbindung erfolgte
rechtzeitig.
Aus dem Gesagten kann man ersehen,
welch beträchtliche Entwicklung die
kleinen Tumoren, die man im normalen
Uterus kaum vermuten kann, in der
Schwangerschaft erreichen können und
die merkwürdigen Symptome, die in ih¬
rer Begleitung auftreten, kennen lernen.
Aber, was insbesondere interessant
ist, in den Fällen, die uns beschäftigen,
ist das plötzliche Auftauchen des fibro-
matösen Tumors bewirkt durch die
Trennung der Uterusfasem. Da und
dort war der Tumor parenchymatös,
rasch wurde er aber subperitoneal.
Die Darmnaht kann eine zirkuläre
oder laterale sein, je nach Mobilität des
Intestinums: Die letztere ist vorzuzie¬
hen, und wenn nötig, ist das Colon des-
cendens zu mobilisieren.
Die Technik dieser Mobilisation und
die anatomischen Einzelheiten der Blut-
bespülung des Beckenkolons, die der
Chirurg sich gegenwärtig halten muss,
würden eine allzu lange Auseinander¬
setzung erfordern.
Die Invagination des oberen Stumpfes
in diesem unteren gibt gute Resultate
und ist die Methode der Wahl für die
tiefen Abtragungen.
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170
Nkw Yorker Medizinische Monatsschrift.
Eine aseptische Technik während der
ganzen Operationsdauer ist die wichtig¬
ste Sache und betrifft den Schutz des
Bauchschnittes, der Peritonealhöhle, die
Trennung mittels Thermokauterisation
des Intestinums und die möglichst nicht
im ganzen Umfang, sondern nur mit
zwei Flächenpunkten ä la Lembert
ausgeführte Naht.
Die Operationsresultate der Radikal¬
operation sind verschiedeen, je nach den
Bedingungen, unter denen die Operation
ausgeführt wurde.
In durch Okklusion komplizierten
Fällen gibt die Radikaloperation sehr
schlechte Resultate, welche immer auch
die angewendete Operationsmethode sei.
Der Prozentsatz der Todesfälle, wie er
sich bei 84 von mir seit 1900 gesammel¬
ten Fällen ergibt, beträgt 60 Prozent.
Aber die von den einzelnen Kliniken er¬
langten Resultate sind noch schlechter.
Die nicht komplizierten Fälle sind je
nach den Hauptmethoden eingeteilt
worden.
1. Operation in nur eintm Zeitpunkt.
Gesamtzahl der Fälle 356. Prozent¬
satz der Todesfälle 33.4 Prozent; und
mit Berücksichtigung der verschiedenen
Positionen des Tumors finden wir ein
Minimum von 24.4 Prozent für die Tu¬
moren des Zökums und ein Maximum
von 35 Prozent für diejenigen des Sig¬
ma. Da diese Statistiken auch vor 1900
oder kurz nachher operierte Fälle ent¬
halten, habe ich noch eine andere be-
grenztere Auslese gemacht, und zwar
Fälle von 1905 an betreffend. Hiebei
fand ich, dass unter 44 nur zwei starben,
was einen Prozentsatz von 4.5 Prozent
Todesfällen ergibt. Ich muss aber sa¬
gen, dass zirka zwei Drittel dieser Sta¬
tistik sich auf Tumoren der rechten Sei¬
te mit zirka 4 Prozent Todesfällen be¬
ziehen, während andererseits bei links¬
seitigen Tumoren 15 Prozent auf zu wei¬
sen waren.
Ich habe im ganzen 68 Fälle von Tu¬
moren der rechten Seite gesammelt, die
mehr in jüngster Zeit operiert worden
sind und welche 8.8 Prozent Todesfälle
ergeben haben. Diese Differenz zwi¬
schen den Fällen der ersten Zeiten, wel¬
che für die rechtsseitigen Tumoren 35
Prozent und für die linksseitigen 54
Prozent Todesfälle ergaben, ist sehr be¬
merkenswert.
In den persönlichen Statistiken von
W. J. M a y o beträgt der Prozentsatz
an Todesfällen bei rechtsseitigen Tumo¬
ren 11 Prozent und bei denen des Sigma
13 Prozent. Da er uns die für letztere
in Anwendung gekommene Operations¬
methode nicht angibt, kann ich sie nicht
in die vorhergehenden Statistiken mit-
einbeziehen.
2. Enterektomie mit vorhergehendem
Anus artificialis.
Ich habe nur 69 in drei Zeitabschnit¬
ten operierte Fälle gesammelt und einen
Prozentsatz von 21.7 Prozent Todesfäl¬
len gefunden; 143 nach Mikulicz
und P a*u 1 operierte Fälle ergaben 12.5
Prozent Mortalität. Trotz solcher her¬
vorragender Resultate scheinen die bei¬
den erwähnten Methoden nicht populär
zu sein, da beide von 211 Fällen im Ge¬
gensätze zu 356 einzeitigen Operationen
repräsentiert sind.
Fasst man nun die nach diesen drei
Methoden operierten Fälle mit anderen
nach kombinierten Methoden oder mit
einer vorhergehenden Entero-anasto-
mose operierten und solchen Fällen, für
die die Operationsmethode nicht ange¬
geben wurde, zusammen, ergibt sich eine
Summe von 739 nicht komplizierten
Fällen mit einer Mortalität von zirka 26
Prozent.
In der Sammlung von de Bovis,
welche bis 1900 gelangt, wird eine Ge¬
samtheit von 346 Enterotomien mit
einer Mortalität von 32.6 Prozent auf¬
geführt. Dies würde einen kleinen Fort¬
schritt in den letzten 13 Jahren bedeu¬
ten, aber dieser Schluss würde ein un¬
richtiger sein, da, wie ich bereits gesagt
habe, es mir unmöglich war, die dem
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
17!
Jahre 1900. vorhergehenden oder zu¬
nächst vorgekommenen Fälle von mei¬
ner Statistik auszuscheiden.
Wenn wir dagegen der nur die letzten
Jahre betreffenden Statistik Rechnung
tragen, haben wir einen sehr niedrigen
Prozentsatz von Todesfällen (und zwar
9 Prozent für die rechtsseitigen und 15
Prozent der linkerseits gelegenen Tumo¬
ren) und diese Daten können dartun.
was wir uns für die Zukunft erwarten
können.
Ueber die chirurgische Behandlung der malignen
Tumoren des Dickdarms.*
Von Professor Raffaele Bastianelli in Rom.
Das Hauptthema meiner Ausführun¬
gen über die chirurgische Behandlung
der malignen Tumoren soll die Behand¬
lung betreffen, und da will ich nur zwei
damit eng verbundene Fragen der Pa¬
thologie vorerst einer Besprechung un¬
terziehen.
1. Bis wohin sind die Darmwände,
jenseits der sichtbaren Grenzen, bei ei¬
nem Falle von Dickdarmkrebs in Mit¬
leidenschaft gezogen? Wenn die Be¬
hauptung H a n d 1 e v’s richtig ist, dass
mittels spezifischer Färbungen der
Schleimhaut Infiltrationsstreifen in allen
Richtungen der Mukosa im Umkreise
des Tumors entdeckt werden können,
müssen wir systematisch ausgedehnte
Exstirpationen beträchtlicher Darmab¬
schnitte vornehmen, um eines Erfolges
sicher sein zu können. 2. In welcher
Zeit und wie häufig sind die Drüsen be¬
troffen ? Mein Bericht bringt keine
Schlüsse über diesen Punkt, da systema¬
tische Studien hierüber nicht betrieben
wurden und die Untersuchungen
C1 o g g s, welche grösstenteils auf Be¬
funde post mortem basieren, uns keine
genaue Idee über den Status in jenem
Zeitpunkte verschaffen können, in dem
ein Tumor zur Operation kommt.
Wenn ich jetzt zur Besprechung der
Behandlung komme, muss notwendiger¬
weise diejenige der Komplikationen von
der des Tumors selbst getrennt werden,
•Auszug aus dem zweiten Teile des Berichtes vor
-dem Internationalen medizinischen Kongress (Rivista
ospedaliera). Allg. Witn. m. Ztg.
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da die ersteren an sich einen Krankheits¬
prozess darstellen können, welcher je
nach seinen speziellen Indikationen eine
eigene Behandlung erfordert. Unter
diesen Komplikationen ist die wichtig¬
ste der Darmverschluss.
Ich hoffe, dass alle über das Prinzip,
dass während bestehender Okklusion
keine Radikalbehandlung des Tumors
zulässig ist, einig sind. Welches sind
die Grenzen eines derartigen prinzi¬
piellen Standpunktes? Sollen wir dar¬
unter nur die akute und komplette Ok¬
klusion verstehen oder diesen Grundsatz
auch auf den chronischen Verschluss
und auf leichte Hindernise der fäkalen
Zirkulation ausdehnen? Ich will gleich
hervorheben, das der Chirurg sich inner¬
halb der Grenzen dieses Prinzips mög¬
lichst weit halten soll, da nichts sicherer
für den Patienten und leichter für den
Operateur ist, als die Ausführung der
Operation in mehreren Zeitabschnitten.
Die Blinddarmtumoren machen eine
Ausnahme. Bei diesen soll in der Regel
die primäre Resektion ausgefährt wer¬
den, ausgenommen, dass es sich um eine
schwere und komplette Oklusion han¬
delt. Ich möchte aber nicht die Blind¬
darmtumoren mit denjenigen des Colon
ascendens und des Leberwinkels, ein¬
schliesslich des rechten Drittels des Co¬
lon transversum in eine Linie bringen,
im Gegensätze zu denjenigen Tumoren,
welche im absteigenden Kolon oder an
der linken Seite gelegen sind. Wir wer¬
den in der Folge sehen, dass eine solche
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172
New Yoekee Medizinische Monatsschrift.
Trennung sehr wichtig vom technischen
Gesichtspunkte aus ist; und wenn wir
auch derselben einen grossen Wert für
die Entscheidung der Art und Weise
einer radikalen Operation beimessen,
möchte ich die Tatsache hervorheben,
dass ihre Bedeutung, soweit es die Ok¬
klusion betrifft, begrenzt ist, und dass
sie, weil schematisch, die natürlichen
Mängel jedes Schemas hat. Wenn ein
Chirurg bei einer Intestinal-Okklusion in
allen Fällen an eine primäre Exzision
des Tumors schreiten würde, da der¬
selbe an der rechten Seite gelegen ist,
würde er sicherlich nicht richtig handeln.
Wenn wir von der akuten Okklusion
absehen, bei der es unumgänglich ist,
den Darm zu eröffnen, und die Resek¬
tion für den Moment nicht erforderlich
oder zu gefährlich ist, müssen wir die¬
jenigen Fälle, bei denen die Okklusion
subakut, chronisch oder inkomplett ist,
in Betracht ziehen.
Wenn sie durch einen Zökaltumor
hervorgerufen ist, kann sie bloss vermit¬
telst eines am Dünndarm applizierten
Anus artificialis oder durch eine ileo-
zökale Anastomose gemildert werden:
Ersterer wurde als sehr unbequem und
als Ursache von Erschöpfung angese¬
hen, die Anastomose wiederum bringt
sicherlich grössere Gefahr mit sich und
kann auch ungenügend sein. Dies sind
die Gründe, weshalb einige der Ansicht
sind, dass unter solchen Umständen ein
Blinddarmtumor in einer Anfangsperio¬
de reseziert werden kann, auch schon
deshalb, weil die Operation leicht auszu¬
führen ist. Dagegen kann die durch ei¬
nen Tumor des Colon ascendens oder
des Leberwinkels hervorgerufene Ok¬
klusion leicht durch einen künstlichen
Zökalanus behoben werden. In der Fol¬
ge werde ich der Vor- und Nachteile
desselben, über die ich in meinem Be¬
richte ausführlich berichtet habe, ge¬
denken.
Ueberdies kann sich die Radikal-Ope¬
ration infolge Lokalisation und Adhäsi¬
onen des Tumors schwierig gestalten,
und wir müssen von Fall zu Fall inbe¬
zug auf die Grösse der Geschwulst, all¬
gemeine Bedingungen, vorgerücktes Le¬
bensalter, Unterschiede machen, da bei
Bestehen derartiger Umstände kein
Prinzip strenge festgehalten werden
kann.
Für die Tumoren der linken Seite er¬
fordert auch die leichte Okklusion einen
vorher zu applizierenden Anus präter-
naturalis, da wir den Tumor selten lo¬
kalisieren oder aus seiner Ausdehnung,
seinen Adhäsionen, über die Operabilität
oder die zur Wiederherstellung der
Darmkontinuität anwendbar^ Mittel
ein Urteil fällen können.
Für mich bedeutet der Anus cöcalis
die Operation der Wahl. Wenn die Ok¬
klusion akut und schwer ist, die Ursache
nicht bekannt, wäre auch eine Inzision
an der rechten Seite empfehlenswert.
Vor allem können wir gleich beobach¬
ten, ob das Zökum dilatiert oder leer ist
und je nach dem Falle handeln; zwei¬
tens können wir die Höhle querdurch
untersuchen, indem wir, wenn es uns
notwendig erscheinen sollte, behutsam
die ganze Hand einführen; endlich kön¬
nen wir an die Darmhöhle eine Ileum-
oder Zökumschlinge anheften, um daran
einen künstlichen Anus zu applizieren.
Durch diese Manipulationen wollen
wir, wenn der Schnitt nicht umfangreich
und nach dem Schema der McBur-
n e y’schen Inzision für Appendizitis ge¬
macht ist, den Austritt der Eingeweide
und die dadurch drohende Gefahr be¬
seitigen.
Wie man weiss, bieten der Anus am
Dünndarm und derjenige am Zökum
Nachteile für die Kranken; meiner Er¬
fahrung nach aber sah ich niemanden
durch das einfache Faktum des Beste¬
hens dieser künstlichen Oeffnungen zu¬
grundegehen ; auch Menschen, die seit
drei bis fünf Monaten damit lebten, wie
ich gelegentlich beobachtet habe, waren
in gutem Ernährungszustand und befan¬
den sich, den Umständen angemessen,
wohl.
Sicherlich möchte ich mit Paul über¬
einstimmen, einen definitiven Anus ili-
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173
cactis oder cöcalis als verwerflich zu be¬
zeichnen ; ich bist aber nicht dieser Mei¬
nung, wenn es nur eine zeitweise Mass¬
nahme darstellt.
Der zökale Anus muss weit seia; die
Oeffnung der Blinddaia*wand muss die
Valvula ileo-cöcaüs freilegen; nur so
ausgeführt wird er sicher und vollstän¬
dig den gesamten Intestinalinhalt ab-
zieben lassen.
Anderenfalls können wir wahmeh-
men, dass die Darmschmerzen andauern
und auch einen Anus linkerseits in Fäl¬
len von Tumor des Sigma notwendig
machen; während oder nach der Resek¬
tion des Tumors kann sich dort keine
vollkommene Sicherheit für die Passage
der Fäkalmassen ergeben.
Wenn ich diesen Teil meines Berich¬
tes resümiere, möchte ich mir folgende
Fragen vorlegen: Welches sind die In¬
dikationen und Grenzen eines künstli¬
chen Anus gegenüber einer primären
Resektion inbezug auf die Schwere des
fäkalen Zirkulationshindernisses und der
Lokalisation des Tumors? Welche ist
die beste Situation des Anus artificialis?
Indem ich nun zum Gegenstand der
Radikalbehandlung gelange, wird die
Hauptdiskussion natürlicherweise auf
die primäre Enterektomie im Gegensätze
zur sekundären fallen.
Warum die sekundäre Enterektomie
(unabhängig von der Okklusion) so po¬
pulär war, ist wohl bekannt. 'Einfach
durch technische Erwägungen, wie man
leicht beobachten kann, wenn wir die
Exzision des Dünndarms mit jener des
Dickdarms vergleichen. Im ersteren
Falle könne wir uns, wie .wir wissen, auf
die Naht verlassen und die Operation
wird im allgemeinen vollständig auser-
halb des Abdomens ausgeführt. Im
zweiten Falle erweist sich die Ausfüh¬
rung der Naht schwieriger infolge der
Zartheit der Wände, Gegenwart von
Fettanhängen und unter gewissen Be¬
dingungen durch die unvollständige pe¬
ritoneale Bekleidung der Darmwände,
tiefe Lokalisation des Tumors, Möglich¬
keit von Nekrose der Ränder durch
eventuell verminderten Blutzufluss und
durch -grösstenteils septischen fäkalen
irihalt. Ueberdies ist in der Folge die
Vereinigung durch die festen Fäkalmas¬
sen bedroht. In der Tat sind die Miss¬
erfolge gewöhnlich infolge von Perito¬
nitis und Sepsis zahlreich gewesen.
Deshalb halte ich es für angezeigt,
mit wenigen Worten in die Diskussion
über primäre und sekundäre Enterekto¬
mie einzugehen.
Die Resektion und die gleichzeitige
Naht bilden die ideale Operation, da sie
in allen Fällen, ausgenommen bei gewis¬
sen ausgedehnten Tumoren des Sigma,
w t o ein definitiver Anus eine von jegli¬
cher Methode unabhängige Notwendig¬
keit ist, ausgeführt werden kann. Es ist
die Operation der Wahl für die Tumo¬
ren der rechten Seite, da nach der Ent¬
fernung des Zökums und des Colon as-
cendens wir an die ileo-zökale Anasto-
mose fortschreiten können, die uns eine
grosse Sicherheitsperspektive darbietet.
Für die Tumoren der linken Seite be¬
stehen, da die Verbindung gewöhnlich
eine solche von Kolon mit Kolon dar¬
stellen wird, alle mit einer derartigen
Naht verbundenen Gefahren und aus
diesem Grunde wird die primäre Ver¬
bindung, unabhängig von dem Allge¬
meinzustande des Patienten und von der
Okklusion von vielen Chirurgen vermie¬
den. Die zirkuläre Naht ist sicherlich
weniger sicher und dieselbe sollte nur in
sehr günstigen Fällen, wenn die Darm¬
enden einen kompletten Peritonealüber¬
zug haben und ihr Kaliber mehr oder
weniger gleich ist, ausgeführt werden.
Die laterale Anastomose ist vorzuziehen.
Ueber die M i k u 1 i c z’sche Opera¬
tion habe ich keine persönliche Erfah¬
rung, da ich immer bei rechtsseitigen
Tumoren, wenn möglich, eine primäre
Operation und bei allen Fällen von
linksseitigen Tumoren eine Operation in
drei Zeitabschnitten ausgeführt habe,
auch wenn die Okklusion keine schwere
war.
Ich glaube nicht, dass die Exteriori-
sation irgendwelche Vorteile vor der
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HARVARD UNIVER5ITY
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174
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
Operation in drei Zeitabschnitten, näm¬
lich mit vorgängigem künstlichem Anus,
habe. Dieser erleichtert die Zirkulation
der Fäkalmassen, gibt Gelegenheit zu
einer nachfolgenden umfangreichen und
aseptischen Resektion und eine grosse
Sicherheit des Erfolges für die komplet¬
te Deviation der Fäzes. Endlich lässt
sich der zökale Anus leicht und ohne
Gefahren irgendwelcher Art, im Ver¬
gleich zum Verschluss des durch die
Exteriorisation resultierenden Anus
schliessen. Trotz der guten Resultate
dieser Methode finden, wie ich glaube,
die Operationen in einem und in drei
Zeitabschnitten eine grössere Verwen¬
dung und werden die M i k u 1 i c z’sche
Methode immer mehr in den Schatten
stellen. Derselben Ansicht bin ich auch
bezüglich der P a u l’schen Methode, die
ihrem Schöpfer so glänzende Resultate
geliefert unter den Chirurgen, aber kei¬
ne Popularität erlangt hat.
In den letzten Jahren herrschte die
Tendenz vor, häufiger die Operation in
einem Zeitabschnitte auszuführen, und
die Resultate sind sehr befriedigend aus¬
gefallen; wenn wir aber die einzelnen
Fälle betrachten, nehmen wir wahr,
dass es sich grösstenteils um Tumoren,
die rechterseits gelegen waren, handel¬
te, und die Resektion war von einer
Anastomosis ileocolica gefolgt.
Ich glaube, dass es am angezeigtesten
ist, keinen feststehenden Plan zu verfol¬
gen, sondern je nach den Umständen die
verschiedenen Methoden in Verwen¬
dung zu ziehen, und der Chirurg wird
die einzeilige Operation für wenige
günstige Fälle von Tumoren der linken
Seite reserviert halten und für die Mehr¬
zahl der Zökal-Tumoren ohne akute Ok¬
klusion ; in allen anderen Fällen wird
man sich an die Operation in drei Zeit¬
abschnitten zu halten haben.
Was die Technik der Resektion be¬
trifft, will ich die einzelnen Eigentüm¬
lichkeiten der vier Gebiete des Kolon,
welche gemeinsame Punkte bezüglich
der Blutbespülung und symphatischen
Drainage besitzen, gesondert bespre¬
chen.
Diese vier Gebiete sind:
1. Das Dünn-, Dickdarm- und rechts¬
seitige Dickdarmgebiet.
2. Das mittlere Dickdarmgebiet.
3. Das linksseitige Dickdarmgebiet.
4. Das untere mesenterische Gebiet.
Für jedes gilt die Regel, nicht nur den
Tumor, sondern das damit zusammen¬
hängende Lymphgebiet zu entfernen;
dies erheischt eine umfangreiche Ab¬
tragung des Mesenteriums; die Resek¬
tion des Intestinums muss also notwen¬
digerweise umfangreich sein, viel um¬
fangreicher als es für die radikale Ex¬
stirpation des Tumors den Anschein ha¬
ben könnte. Dies geschieht zu dem
Zwecke, um eine gute Blutbespülung der
zu vereinigenden Enden zu erzielen.
Dieses Prinzip ist technisch von
grösster Wichtigkeit, da in der fehlen¬
den Zirkulation der Dünndarmenden die
häufigste Ursache des Misserfolges der
Nähte zu suchen ist.
Für die rechterseits gelegenen Tumo¬
ren ist die typische Operation die ileo-
zökale Resektion, wobei in jedem Falle
15 cm des Ileums, das Zökum, das Colon
ascendens, der Leberwinkel mit der er¬
sten Portion des Colon transversum mit¬
zunehmen sind. Abgeschlossen wird die
Operation mit einer seitlichen Vereini¬
gung zwischen Ileum und Kolon. Dies
erreicht man am besten, indem man vor
allem Intestinum und Tumor mobilisiert
und die beiden von der hinteren Wand
des Abdomens, längs der durch Anlage¬
rung des primitiven Mesenteriums an
das rückwärtige Peritoneum gebildeten
Erhöhung abtrennt. Dann wird das In¬
testinum aus dem Abdomen gehoben
und die Arterien systematisch an ihrem
Ursprung aus der Arteria mesenterica
superior unterbunden, zu gleicher Zeit
die darüber gelagerten lymphatischen
Drüsen in die Tiefe gedrängt. Hierauf
wird Intestinum und Mesenterium in ei¬
nem Block herausgeschnitten.
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HARVARD UNIVERSUM
. New Yorker Medizinische Monatsschrift.
175
Für die Tumoren der Flexura sigmoi-
dea wäre die typische Operation die
komplette Abtragung dieses Darmtrak-
tus mit vorhergehender Abschnürung
der Arteria mesenterica inferior und
Abtragung des Mesenteriums mit seinen
Drüsen und dazu noch der Lymphdrüse
nahe ihrem Ursprünge. Eine derartige
Operation würde aber notwendigerweise
dem unteren Segment die Blutbespülung
abschneiden; daher müsste dasselbe in
der Folge bis zum Rektum abgetragen
werden. Aus diesem Grunde denke ich,
dass eine solche ausgedehnte Operation
nicht systematisch ausgeführt werden
dürfte.
Die definitiven Resultate sind, wie es
sich aus 239 seit mehr als drei Jahren
operierten Fällen ergibt, durch zirka 43
Prozent repräsentiert, wenn wir sie mit-
bezug auf die die Operation Ueberleben-
den in Betracht ziehen; dagegen aber
nur durch zirka 29 Prozent, wenn wir
sie io Beziehung zu allen operierten Pa¬
tienten bringen, was richtiger ist.
Die Tumoren des Zökums scheinen
einen doppelt so grossen Prozentsatz
dauernder Heilungen im Vergleich zu
den linksseitigen Tumoren zu ergeben.
Inwieweit diese Daten der Wahrheit
nahe kommen, weiss ich nicht. Wenn
wir uns fragen, wieviele Fälle von 100
Tumoren des Dickdarmes, die wir sehen,
bis zum heutigen Tage von den Chirur¬
gen zur Heilung gebracht wurden,
dürften wir zu einem viel entmutigen-
deren Schlüsse gelangen.
Wenn wir annehmen, dass bei dem
gegenwärtigen Stande unserer diagno¬
stischen Hilfsmittel fast die Hälfte der
Fälle zu unserer Beobachtung kommen,
wenn sie nicht mehr operabel sind, blei¬
ben davon nur 50, von denen zirka 25
Prozent durch die Operation zugrunde
gehen. Es bleiben also 38 Ueberleben-
de, von denen weniger als ein Drittel
nach drei Jahren noch am Leben ist, so-
dass von allen 100 Fällen 13 Ueber-
lebende übrig blieben.
Aber auch nach drei oder mehr Jah¬
ren sind Rezidiven häufig, sodass nur ein
überaus kleiner Prozentsatz, sagen wir
10 Prozent, uns heute eine entsprechen¬
de und approximative Idee unserer bis¬
her erreichten definitiven Resultate gibt.
Dieser Umstand darf uns nicht ent¬
mutigen; im Gegenteil, indem wir die
Operationsmortalität noch unter 9 oder
12 Prozent zu erniedrigen versuchen
und in Anbetracht der grossen Fort¬
schritte, welche die X-Strahlen in der
Diagnose herbeigeführt haben, können
wir erhoffen, im nächsten Dezennium
viel bessere Resultate zu erzielen.
Wir können uns dieser Hoffnung ver¬
trauensvoll hingeben, weil kein Tumor
des Verdauungsapparates uns eine
grössere Aussicht auf Radikalheilung
gibt als diejenigen des Dickdarms, da
einerseits ihr Wachstum ein langsames
ist und die Ausbreitung erst spät vor
sich geht, andererseits ihre Abtragung
in solcher Ausdehnung möglich ist, dass
uns die Sicherheit gegeben ist, weit jen¬
seits der Grenzen des Leidens dringen
zu können.
Die Vervollkommnung der Technik
und frühzeitige Diagnose werden uns
diese Zukunft vergewissern.
Saratoga Springs.
Die Ausnützung eines der wertvoll¬
sten Besitztümer des Staates New
York vollzieht sich in Saratoga
Springs, wo die aus 160 Brunnen,
Quellen und Bohrungen entnommenen
Mineralwässer zu Trink- und Bade¬
zwecken angewendet werden. Die
Quellen sind wiederhergestellt worden
und viele sprudeln oder spritzen aus
der Erde empor, während alle fort¬
währende Wasserzunahme mit stei¬
gendem Gasdruck und Mineralgehalt
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176
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
aufweisen. Diese Gesundbrunnen sind
alle alkalisch-salinisch and enthalten
wertvolle mineralische Bestandteile,
welche in wechselnden Proportionen
und mit einigen Unterschieden auf-
treten. Alle besitzen Radioaktivität.
Gegenwärtig sind vier laxierende Wäs¬
ser vorhanden, nämlich, Hathorn No.
1, Hathorn No. 2, Coesa und Orenda,
von welchen das letztere dem ur¬
sprünglichen Kongress - Gesundbrun¬
nen in seinen besten Tagen ungefähr
gleichkommt. Es stehen zwei Tafel¬
wässer, Minnonene und Geyser, zur
Verfügung; das letztere ist in gerin¬
gem Grade harntreibend und beide be¬
fördern die Verdauung und verbessern
den Appetit.
Neben den erwähnten Gesundbrun¬
nen, die auf Flaschen gezogen werden,
gibt es viele andere, die an Ort und
Stelle getrunken werden können, ein¬
schliesslich Karista, welches das stärk¬
ste trinkbare Eisenwasser, das man
kennt, darstellt und von grossem
Nutzen bei Blutarmut und ähnlichen
Zuständen ist ; Columbian, ein mildes
Eisenwasser von gleichem Werte; Za-
lama, von feinem Geschmack, alka¬
lisch-salinisch, einen hübschen Szene¬
rie-Effekt als Sprudelquelle darbie¬
tend, sowie Emperor und Peerless,
schwach laxierend und als alterieren-
des Mittel und Tonikum bekannt.
Von grösserer Bedeutung als die
Trinkwässer sind jedoch die Badewäs¬
ser, welche gasförmige Kohlensäure in
einem hohen Grade von Uebersätti-
gung enthalten. Einige der Quellwäs¬
ser enthalten mehr als zwei Volumen
Gas und es ist möglich, in die Bade¬
wanne, wie es täglich geschieht, ein
hochwertiges Mineralwasser einzulas¬
sen, das 1.28 Volumen Gas in dem
Wasser von der Temperatur des Bades
aufweist. Diese Bäder sind wirkungs¬
voll bei Verdauungsbeschwerden, Neu¬
ritis, Nervenschwäche, Erschöpfung,
Arteriosklerose und gewissen Herz¬
krankheiten. Innerlich eingenommen
sind die Trinkwässer wertvoll bei Ver-
daungsbeschwerden, Gelenkkrankhei¬
ten, Zuckerkrankheit, sowie bei Blut¬
armut, wie oben angegeben.
Somit vereint Saratoga Springs in
sich die Vorzüge von Karlsbad, Nau¬
heim, Kissingen und anderen auslän¬
dischen Kurorten.
Ausser dem jetzt offenen Badehause
und während der Errichtung eines
grossen und hochfeinen Etablisse¬
ments durch den Staat, rüsten die
Kommissäre der Staatsreservation in
Saratoga Springs ein früheres Quell¬
haus (in welchem die kaufmännische
Handhabung des Kohlensäuregases
sonst vollzogen wurde) für den Em¬
pfang von ungefähr dreihundert Pati¬
enten pro Tag aus, indem sie moderne,
mit den neuesten Mineralwasser-Er¬
hitzern versehene Wannen aufsetzen
lassen und Vorbereitungen für die
beste, gewissenhafteste medizinische
Behandlung treffen. Dieses Badehaus
wird im Mai zur Benutzung fertig sein
und Patienten zur Verfügung stehen,
die bisher in grosser Anzahl europäi¬
sche Kurorte aufgesucht hatten, von
welchen sie jetzt durch die Kriegszu¬
stände ausgeschlossen sind.
Die von der Reservations-Kommis¬
sion verteilten Broschüren enthalten
interessante Angaben über die Ge¬
sundbrunnen, begleitet von Analysen,
und zeigen an, was in der Linderung
von Krankheiten durch den Gebrauch
dieser aussergewöhnlichen Wässer er¬
reicht worden ist. Eine Broschüre
über die Kohlendioxyd-Bäder von Dr.
F e r r i s vom Reservations-Bureau ist
auch auf Verlangen erhältlich.
Das Unternehmen wird unzweifel¬
haft dem Staate grossen Gewinn brin¬
gen, sobald das projektierte Badehaus
und die Zentral-Trinkhalle erbaut
sind.
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
177
Referate und Kritiken.
Lehrbuch der Massage. Von Dr. med.
A. Müller. Mit 341 zum Teil far¬
bigen Abbildungen nach Original¬
zeichnungen des Verfassers. A.
Marcus & E. Webers Verlag, Bonn,
1915. 675 S. Preis brosch. Mk. 18,
geb. Mk. 19.60.
In dem vorliegenden Lehrbuch der
Massage hat der Verfasser sein Bemü¬
hen besonders dahin gerichtet, festzu¬
stellen, dass der Angriffspunkt der Mas¬
sage immer der Bevvegungsapparat und
an diesem ganz besonders die Muskula¬
tur ist, gleichviel ob es sich um traumati¬
sche, orthopädische, rheumatische oder
nervöse Beschwerden handelt, dass es in
allen diesen Fällen ganz bestimmte,
krankhafte, durch das Tastgefühl nach¬
weisbare Veränderungen sind, auf die
die Massage in spezifischer Weise ein¬
wirkt, und dass auf der Beeinflussung
dieser Veränderungen alle Erfolge be¬
ruhen, die durch Massage erreicht wer¬
den und erreichbar sind. Mit dieser Er¬
kenntnis ist die Einheit auf dem Gebie¬
te der Massage hergestellt. Denn es gibt
damit keine besondere chirurgische und
keine besondere “Nerven”-Massage
mehr, sondern eine einheitliche, in je¬
dem Falle sich nach der wissenschaft¬
lichen Einsicht in den klinischen Zusam¬
menhang des Einzelfalles richtende
Kunst der Masage. In dieser Auffas¬
sung und Durchführung wird die Mas¬
sage aber auch zu einer besonderen, voll¬
berechtigten medizinischen Spezialität.
Das vorliegende Lehrbuch stellt in
seinem ersten Teil die allen Massage¬
anwendungen gemeinsame wissenschaft¬
liche Grundlage dar, während der zwei¬
te Teil die auf dieser einheitlichen
Grundlage sich aufbauende ebenso ein¬
heitliche, aber jedem Einzelfalle ohne
weiteres anpassbare Technik beschreibt.
Verfasser ist dabei in der Weise vorge¬
gangen, dass jede einzelne, durch die
anatomische Eigenart der Gebilde be¬
dingte Handführung, jeder Griff, wie er
ihn nennt, in Bild, Wort und Bedeutung
für sich besonders dargestellt wurde.
Verfasser ist es auf diese Art gelungen,
gewissermassen einen Atlas der Mas¬
sage-Technik herzustellen, und man
muss zugeben, dass er hiebei an Aus¬
giebigkeit der bildlichen Darstellung und
an Vollständigkeit das Möglichste er¬
reicht hat. R.
Warum hassen uns die Völker? Von
Dr. Magnus Hirschfeld in
Berlin. A. Marcus & E. Webers Ver¬
lag, Bonn, 1915. 43 S. Preis Mk.
0.80.
Wir haben es hier mit einer höchst
zeitgemässen Broschüre aus der Feder
des bekannten Berliner Arztes Mag¬
nus Hirschfeld zu tun, deren Lek¬
türe besonders den Deutschen in Ame¬
rika empfohlen werden kann. Sehr
treffend charakterisiert der Verfasser
den Deutschenhass als eine geistige Epi¬
demie, welcher vor allem drei An¬
steckungskeime, die von den Infektions¬
trägern weiter und weiter getragen
werden, zu Grunde liegen: Misstrauen
— heisst der eine, Missgunst — der an¬
dere, Missverstand — der dritte. Wäre
Verfasser mit den amerikanischen Ver¬
hältnissen besser vertraut, hätte er
wahrscheinlich noch einen vierten An¬
steckungskeim erwähnt: Unwissenheit.
Denn nur die letztere ermöglicht es,
dass die Verleumdungspolitik der hiesi¬
gen anglophilen Tageszeitungen mit ih¬
ren blödsinnigen Lügen und Verdäch¬
tigungen gegen Deutschland fortwäh¬
rend die amerikanische öffentliche Mei¬
nung durchseucht. R.
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178
New Yorks» Medizinische Monatsschrift.
Mitteilungen aus der neuesten Joumalliteratur.
Gynäkologie und Geburtshilfe.
Prof. O. Hoehne - Kiel: Ueber die
Behandlung retinierter Plazentar¬
reste.
Seitdem sich Winter 1909 auf dem
Gynäkologen-Kongress in Strassburg
gegen die aktive Behandlung retinierter
Plazentarreste bei uteriner Infektion
ausgesprochen hat, ist der Streit über
das Für und Wider der Ausräumung
nicht verstummt. Hoehne hat nun¬
mehr das Material der Kieler Frauen¬
klinik aus dem 17jährigen Zeiträume
1897-1914 nach dieser Seite hin geprüft
und kam dabei zu den nachstehenden
Schlussfolgerungen:
Wenn auch eine schwere puerperale
Erkrankung nur selten 'direkt auf die
Retention eines Plazentarrestes, zurück¬
zuführen ist, so stellt doch das retinierte
Plazentarstück auf jeden Fall eine sehr
unangenehme Komplikation dar, weil es
die normale Involution des Uterus ver¬
hindert, häufig schwächende langdau¬
ernde oder profuse sturzartige Blutun¬
gen verursacht und mindestens die Ent¬
stehung eines ernsten Puerperalfiebers
begünstigen kann. Es muss also auf das
richtige Erkennen eines Plazentardefek¬
tes und auf die sofortige Entfernung ei¬
nes fehlenden Plazentarstückes unmit¬
telbar post partum das allergrösste Ge¬
wicht gelegt werden. Wird aber der
Plazentardefekt nicht sofort erkannt, so
weisen gerade ungewöhnliche Blutver¬
luste im Wochenbett, im Verein mit
schlechter Involution des Uterus und
OfTenbleiben des Zervikalkanales, auf
die Retention hin und geben als solche
oft eine strikte Indikation zur Ausräu¬
mung des Uterus.
* Besteht gleichzeitig Fieber, so braucht
dies nicht abzuhalten, den Plazentarrest
zu entfernen, es sei denn, dass die In¬
fektion schon die Grenzen des Uterus
überschritten hat. Allerdings wird man
gut tun, in solchen fieberhaften Fällen
nur dann einzugreifen, wenn eine wirk¬
lich schwere Blutung zum Handeln
zwingt, also eine eventuelle spontane
Ausstossung (Sekalepräparate) nicht
abgewartet werden kann. Ist der Blut¬
verlust nur gering, die Anämie keines¬
wegs bedrohlich, so ist es ratsam, die
Zeit des Abwartens zur bakteriologi¬
schen Kontrolle auszunutzen. Ergibt
letztere keine Streptokokken oder hämo¬
lytische Staphylokokken, so wird man
sich auch bei geringerem Blutverlust
viel leichter zur baldigen Entleerung des
Uterus entschliessen können, während
die Anwesenheit virulenten Keimmate¬
rials zu grösster Vorsicht und denkbar
langem konservativen Verhalten mahnt.
Entschliesst man sich aber zu aktivem
Vorgehen, so muss die Säuberung des
Uterus eine möglichst schonende, ohne
Zuhilfenahme scharfer Instrumente und
unbedingt vollständig sein. Die Fälle an
der Klinik lehren, wie gefährlich gerade
die unvollständige Ausräumung des
Uterus für die Puerpera ist.
Fieber, jauchige Lochien und mangel¬
hafte Involution des Uterus allein dür¬
fen niemals eine Indikation zum Aus¬
tasten des puerperalen Uterus geben,
sondern nur eine profuse Blutung.
Hat die puerperale Infektion schon
die Uteruswand überschritten oder be¬
steht schon eine Allgemeininfektion des
Körpers, so bleibt zu erwägen, ob man
sich bei profusen Blutungen auf die Ent¬
leerung des Plazentarrestes beschränken
oder besser radikaler Vorgehen soll, in¬
dem man den Uterus mit Plazentarrest
entfernt, eventuell Venenunterbindun¬
gen vornimmt, womöglich nach vorheri¬
gem Schutz des Peritoneums durch die
anteoperative Reizbehandlung, mit der
auch gerade bei puerperalen Infektions¬
fällen günstige Erfahrungen gemacht
wurden. (Zbl. f. Gyn. 1914 Nr. 49.)
J. Veit- Halle: Das untere Uterin¬
segment und seine praktische Be¬
deutung.
Veit stimmt mit A s c h o f f und
seinen Schülern in der Dreiteilung des
Uterus überein. Er lehnt nur die histo¬
logische Möglichkeit der Charakterisie¬
rung ab. Die Bestrebungen, histologi¬
sche Charaktere der Schleimhaut des
unteren Uterinsegmentes zu finden, sind
ja dankenswert: sie sind aber charakte-
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
179
ristisch nur am nicht schwangeren Ute¬
rus, während wir nicht imstande sind,
diese Charaktere als masgebend für die
Geburt und das Wochenbett anzuerken¬
nen. Für die Praxis ist die Kenntnis
des unteren Uterinsegmentes von der
grössten Bedeutung für die rechtzeitige
Erkenntnis der Gefahr des Drohens der
Uterusruptur. Würde der Praktiker
denken, dass das nur mikroskopisch
möglich — also am Kreissbett unmög¬
lich — sei, so würde er sich in gefahr¬
vollem Irrtum befinden. V. ist daher
der Ansicht, dass die Kenntnis des un¬
teren Uterinsegmentes für geburtshilf¬
liche und gynäkologische Operationen
notwendig ist, dass die klinische Er¬
kenntnis dieses Abschnittes bei einiger
Aufmerksamkeit an der Lebenden leicht
gelingt, dass die Annahme der Dreitei¬
lung des Uterus ebenso geboten ist, wie
die Anerkennung grosser individueller
Verschiedenheiten dieses Abschnittes.
(Zbl. f. Gyn. 1914 Nr. 44.)
Sitzungsberichte.
Deutsche Medizinische Gesellschaft der Stadt New York.
Sitzung, Montag, den 5. Oktober 1914.
Vizepräsident Dr. H. Fischer er¬
öffnet in Abwesenheit des Präsidenten
Dr. G. Seeligmann, der von seiner
Europareise noch nicht zurückgekehrt
ist, die Sitzung nach l / 2 9 Uhr.
In Abwesenheit des protokollieren¬
den Sekretärs muss von der Verlesung
des Protokolls der letzten Sitzung ab¬
gesehen werden, und die Versamm¬
lung tritt sofort in die Tagesordnung
ein.
Vorträge.
1. Dr. Max Einhorn: Weitere
Erfahrungen über Duodenalfütterung
mit Demonstration von Patienten:
Ich bin gern der Aufforderung des
Präsidenten, Ihnen heute die Duode¬
nalernährung vorzuzeigen, nachge¬
kommen und habe zwei Patienten mit¬
gebracht, bei denen ich zunächst die
Nahrung einführen werde.
Sobald der Schlauch im Duodenum
sitzt, kann man natürlich Flüssigkeiten
einführen, ebenso wie man Flüssig¬
keiten aus dem Duodenum herausbe¬
kommen kann. Man kann die Nah¬
rung durch die Schwere ins Duodenum
fallen lassen. Das habe ich zuerst
durch einen Irrigator getan, aber ich
fand, dass die Flüssigkeit entweder zu
schnell oder zu langsam einfloss, und
infolgedessen habe ich die Aenderung
getroffen, dass ich die Nahrung ein¬
spritzte. Es stellte sich aber zu um¬
ständlich heraus, den Schlauch immer¬
fort auf- und zuzumachen, die Spritze
zu entfernen und zu füllen. Ich habe
daher eine Hahnvorrichtung einge¬
führt, sodass die Spritze nicht abge¬
setzt zu werden braucht. Es ist am
besten, wenn die Nahrung bei Blut¬
wärme eingespritzt wird, denn das Du¬
odenum ist, ungleich dem Magen, ge¬
gen Kälte und Hitze sehr empfindlich.
Der Magen erwärmt die Speisen. Hier
müssen wir das selber tun. Das Glas
wird also in einem Behälter mit war¬
mem Wasser gehalten. Sobald die
Nahrung eingespritzt ist, wird die
Spritze ausgewaschen. Der Schlauch
muss immer rein gehalten werden,
sonst verstopft er sich. Ich gebe die¬
sen Patienten gewöhnlich Milch, rohe
Eier und Zucker. Denen, die den Zucker
nicht gut vertragen, gebe ich an des¬
sen Stelle Butter. Gewöhnlich gebe
ich 7 Unzen Milch, ein Ei und einen
Esslöffel Zucker, 15—30 g. Wenn man
Butter hinzutut, ist es gut, ein wenig
Mehl beizufügen, das das Fett bindet,
sonst schwimmt die Butter oben.
Ausser dieser Ernährung, die der Pa¬
tient achtmal des Tags alle zwei Stun¬
den erhält, bekommt er noch zwischen¬
durch zweimal des Tags 250—500 ccm
Wasser oder eine Zuckerlösung lang¬
sam durch den Schlauch eingeführt.
Achtmal des Tags 7—8 Unzen Flüssig-
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180
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
keit, das ist noch nicht genug, den Ver¬
lust des Körpers an Flüssigkeit zu
decken. Wenn man aber täglich ausser
der Ernährung 1—2 Liter Wasser hin¬
zugibt, dann ist es ungefähr genug.
(Vorstellung der beiden Patienten.)
Diser Herr hat einen erweiterten
Magen, Wanderniere und ausserdem
ein Magengeschwür und Pylorospas-
mus. Der andere Herr hat kein Ge¬
schwür, aber einen stark erweiterten
Magen, wie das bei Japanern, wahr¬
scheinlich infolge der grossen Mengen
Pflanzennahrung, öfter der Fall ist.
Durch die Duodenalernährung ist der
Umfang des Magens bedeutend ver¬
ringert worden.
Ich habe bisher ungefähr 150 Fälle
mit der Duodenalernährung behandelt,
und ich möchte jetzt auf einige Punkte
hinweisen, die bei der Duodenalernäh¬
rung besonders beachtet werden müs¬
sen.
Zunächst muss darauf geachtet wer¬
den, dass die Ernährung nicht zu
schnell vonstatten geht, weil der Pa¬
tient sonst Beschwerden hat. Ferner
muss die Temperatur richtig einge¬
stellt werden, wenn sich nicht Unan¬
nehmlichkeiten einstellen sollen. Wenn
Luft mit der Nahrung eingeführt wird,
kann es leicht zu Störungen kommen.
Wenn die Nahrung zu heiss einge¬
spritzt wird — das geschieht öfter als
zu kalt — haben die Patienten natür¬
lich Beschwerden. Wir fühlen nicht
den Hitzegrad im Duodenum. Man
spürt die Reflexerscheinungen; die
Leute bekommen Herzpalpitationen,
Schwächeanfälle, Kollapserscheinun¬
gen.
Als Komplikation während der Er¬
nährung würde ich einige Erscheinun¬
gen bezeichnen, die mehr oder weniger
als normal betrachtet werden müssen.
Dahin gehört ein leichtes Gefühl der
Völle auf der rechten Seite, ferner
leichte Schweissanfälle kurz nach der
Ernährung. Gewöhnlich werden diese
Symptome geringer, wenn sich die Pa¬
tienten an die Ernährung gewöhnt ha¬
ben. In manchen Fällen bleiben sie
ausgesprochen. Nur wenige Patienten
haben gar keine Symptome. Einige
Patienten bekommen Reizzustände im
Hals. Dies ist besonders am ersten
oder zweiten Tag der Fall, nachher
verliert sich das. Eine Patientin, die
an schweren Anginaanfällen litt und
sehr heruntergekommen war, bekam
eine starke Halsentzündung, mit
Schwellung der Epiglottis. Nach 1—2
Tagen entwickelten sich Atembe¬
schwerden, kurz, es war ein ernster
Zustand. Die Frage war, ob man die
Behandlung unterbrechen und die
Halsaffektion behandeln sollte. Ich
dachte die Behandlung fortzusetzen
und den Versuch zu machen, die Epi¬
glottis zu behandeln. Die Affektion
lag auf der anderen Seite als wo der
Schlauch lag. Die Epiglottis wurde
geätzt und es gelang, den Zustand zu
bessern, und die Patientin genas nicht
nur von der schweren Halskrankheit,
sondern auch von dem schweren Ma¬
genleiden.
Schwere Komplikationen infolge der
Behandlung habe ich sonst nicht ge¬
sehen. Was die Indikation für diese
Behandlung betrifft, so würde ich sa¬
gen, die Methode der Duodenalernäh¬
rung dient dem Zweck, den Körper in
geeigneter Ernährung zu erhalten, wo
die gewöhnliche Ernährung nicht von¬
statten gehen kann. Mit Rektalernäh¬
rung können wir dem Körper keine ge¬
nügende Ernährung verschaffen, das
können wir aber mit Duodenalernäh¬
rung. Wenn der Magen frei ist, brau¬
chen wir das Duodenum nicht, im an¬
deren Fall tritt die Duodenalernährung
ein. Ferner dient die Duodenalernäh¬
rung zur Ruhigstellung der oberen
Teile, wenn wir mit der gewöhnlichen
Behandlung nicht gut fertig werden
können. Eine Ulzeration kann nicht
gut heilen, wenn von dem Organ im¬
mer Arbeit verlangt wird. Bei diesen
Ulzerationen des Magens, des Pylorus
und des Duodenums, bei spastischen
Zuständen des Pylorus, wenn sie von
schwerer Natur sind, können wir mit
dieser Behandlung etwas erzielen.
Nach meiner Erfahrung hat sich die
Behandlung auch bei schweren Zu¬
ständen, nicht nur bei leichten Ulze¬
rationen bewährt. Ich möchte beson¬
ders Ulzerationen in der Nähe des Py¬
lorus mit spastischen Zuständen her¬
vorheben, vorausgesetzt, dass der
Schlauch durchgeht. Aber wo keine
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wirkliche Striktur ist, erwarten wir,
dass der Schlauch durchgeht, auch
wenn es längere Zeit dauert. Auch
Fälle, wo es sich um schwere Hyper¬
sekretion des Magens handelt, werden
durch diese Behandlung günstig beein¬
flusst.
Diskussion.
Dr. Mark I. Knapp: Ich möchte
Herrn Dr. Einhorn fragen, nach
welcher Methode die ‘Magenerweite¬
rung festgestellt worden ist (Dr. Max
Einhorn: Durch das Plätscherge¬
räusch). Ich habe vor zwei Jahren et¬
was darüber veröffentlicht. Ich habe
in dem Fall das Plätschergeräusch in
der Magengegend wahrgenommen.
Um die Flüssigkeit vom Magen zu ent¬
fernen, habe ich den Schlauch einge¬
führt. Aber es kam absolut nichts her¬
aus. Später füllte ich den Magen mit
einer gemessenen Quantität Wasser,
doch habe ich eine viel grösere Quan¬
tität herausbekommen. Dann hörte
das Plätschergeräusch auf. Somit war
das Plätschergeräusch nicht im Ma¬
gen, obwohl es in der Nachbarschaft
des Magens, im Duodenum, gewesen.
Ich glaube nicht, dass wir berechtigt
sind, vom Plätschergeräusch allein auf
den Umfang des Magens zu schliessen.
Ob wir Magenerweiterung haben, das
können wir durch andere physikali¬
sche Methoden genau konstatieren.
Was wir hier gesehen haben, ist ja
sehr schön. Ein physikalisches Expe¬
riment. Aber die Frage ist die In¬
dikationsstellung. Warum sollen wir
in das Duodenum hineingehen? Die
Antwort ist gegeben: Läsionen des
Magens. Die Idee ist ausgezeichnet,
bloss dass die Peristalsis nach beiden
Seiten hingeht. Vom Duodenum in
den Magen ist nicht weit. Wir sahen
auch, was in den Magen hineingeführt
worden ist, nicht Fleisch, sondern ein
bischen Milch, ein Ei, hie und da ein
bischen Butter. Warum können wir
nicht ebensogut die Speise durch den
Mund einführen? Ich habe grade eine
Patientin, bei der ich dies gern tun
würde. Es ist ein Fall, der als Neu¬
rasthenie angesehen wird. Wenn die
Patientin sich so schön beschäftigen
könnte, wäre sehr gut, und ich glaube,
der Arzt soll alles tun, um seinen Pa¬
tienten Gutes zu tun. Ob aber diese
Methode wirklich heilt, ob wir sie bei
Ulzeration einführen sollen, das ist
eine andere Frage. Haben wir Ulkus
oder kein Ulkus? Haben wir Ulkus,
dann muss die Behandlung es reizen.
Haben wir kein Ulkus, dann sollen wir
nichts einführen. Es schadet freilich
nicht Warum sollte der kleine
Schlauch schaden. Spastische Erschei¬
nung ist keine Obstruktion, keine or¬
ganische Obstruktion. Sie bleibt auch
nicht immerzu, sie hört auf. Ich will
nicht weiter auf das Thema eingehen,
aber ich habe bis jetzt noch nicht ein-
sehen können, wozu überhaupt diese
Prozedur eingeführt worden ist. Es
sei denn, um psychisch einzuwirken.
Das müssen wir sehr häufig, aber mit
der Magenerweiterung hat dies nichts
zu tun, und wenn der Pylorus offen ist,
dann brauchen wir nicht dieses Eimer-
chen einzuführen. Ich habe seinerzeit
Dr. Einhor n’s Schriften über Duo¬
denalfütterung gelesen, aber ich habe
noch nicht einsehen können, warum
dies geschehen soll, ausser dass es sich
um psychische Einwirkung handelt.
Dr. Edmund Stieglitz: Ich
habe seit einem Jahr diese Duodenal¬
behandlung an sieben Patienten durch¬
geführt, in einem Fall mit Hilfe von
Dr. Einhorn. Es war ein ausser¬
ordentlich schwieriger Fall von Ulcus
ventriculi bei einer höchst nervösen
Frau. Diese Frau hatte innerhalb drei
Monate drei Ulkuskuren durchge¬
macht, zuerst mit Rektalfütterung,
dann durch einfache Flüssigkeit, und
schliesslich haben wir, da immer wie¬
der Blutung stattfand und die Schmer¬
zen und Beschwerden nicht nach-
liessen, die Duodenalkur eingeführt.
Die Frau hat ausserordentlich unter
der Fütterung gelitten; trotz Kodein,
Atropin u.s.w. hat sie Schmerzen nach
der Fütterung gehabt. Sie hat aber
sehr grosse Willenskraft besessen und
das Rohr 14 Tage bei sich behalten.
In den letzten drei Tagen konnten wir
nur drei Fütterungen in 24 Stunden
durchführen. Sie hat während der Kur
etwa acht Pfund abgenommen. End¬
lich, nachdem das Rohr entfernt war,
zeigten sich absolut keine Spuren von
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182
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
Blut mehr, sie hatte keine Schmerzen
und Beschwerden mehr, und bei der
Prüfung mit dem Faden haben wir ab¬
solut keine Blutspuren mehr gefunden.
Die Frau war heute zufällig in der
Sprechstunde bei mir. Sie ist die dank¬
barste Patientin, die ich je gesehen
habe, und ich bin Herrn Dr. Ein¬
horn sehr dankbar, dass er mir die
Methode gezeigt hat, die Ulzera ohne
Operation zu heilen, um so dankbarer,
als ich mit Operation Erfahrungen ge¬
habt habe, die nichts weniger als befrie¬
digend waren. Vor drei Jahren z. B.
hatte ich einen Fall, der wegen wieder¬
holter heftiger Blutung von einem aus¬
gezeichneten Chirurgen operiert wur¬
de. Es ging dem Patienten sehr gut,
er erholte sich ausgezeichnet, die Blu¬
tungen waren verschwunden, und er
war augenscheinlich in guter Gesund¬
heit, bis etwa 14 Monate nach der Ope¬
ration wieder eine heftige Blutung
stattfand. Die Patientin wurde ohn¬
mächtig. Dann wurde sie mit dem
E i n h o r n’schen Duodenalrohr be¬
handelt und nach 14 Tagen war sie ge¬
heilt und die Heilung hat seitdem an¬
gehalten.
Meine letzte Erfahrung, die grade
geschlossen ist, ist folgende: Am
Dienstag fand ich im Hospital einen
Patienten, der wegen organischer
Striktür des Pylorus operiert werden
sollte. Da nichts durch den Pylorus
ging und ausserdem am nächsten Mor¬
gen Rosinen und dergleichen Speise¬
reste gefunden wurden, so wurde die
Diagnose auf organische Striktür ge¬
macht. Ich schlug vor, dass man dem
Patienten das Duodenalrohr einführe,
nachdem man l / 2 Stunde vorher Atro¬
pin gegeben. Am nächsten Morgen
war das Rohr im Duodenum. Der Pa¬
tient, der grosse Schmerzen gehabt,
hatte von dem Augenblick an, wo das
Rohr im Zwölffingerdarm war, keine
Schmerzen mehr. Er hat das Rohr 14
Tage getragen und während der Zeit
fünf Pfund gewonnen und das Hospi¬
tal ohne irgend welche Beshwerden
verlassen. Solche Erfahrungen ver¬
anlassen mich, in dieser Methode den
grössten Fortschritt in der Behand¬
lung der Magenkrankheiten zu sehen,
den wir in den letzten zehn bis zwan¬
zig Jahren gemacht haben.
Dr. Mark I. Knapp: Ich möchte
an Herrn Dr. Stieglitz eine Frage
stellen. Wenn es sich in dem Fall um
eine organische Striktür gehandelt hat,
wie kommt es, dass das Duodenalröhr¬
chen — der Schlauch ist doch nicht
von Gold oder Silber oder Eisen —
nicht zerdrückt worden ist.
Dr. Stieglitz: Ich stelle mir die
Sache so vor: Nachdem das Rohr
durchgegangen war und das Atropin
den Spasmus des Pylorus gelöst hatte
und der Magen absolut frei von Speise
war, genügte der Spasmus nicht mehr,
das Duodenalrohr zu zerdrücken.
Ausserdem gab ich in diesem Fall
grosse Dosen von Bismuth, die jeden¬
falls auch dazu beigetragen haben, den
Spasmus am Pylorus zu verringern.
Dr. Max Einhorn (Schluss¬
wort)): Ich bin Herrn Dr. Stieg¬
litz für seine Bemerkungen sehr
dankbar. Diese Schläuche sind so kon¬
struiert, dass sie nicht leicht kollabier¬
bar sind. Es gehört schon ein sehr
starker Druck dazu, wenn kein Inhalt
durchgehen soll. Ich glaube nicht,
dass der Spasmus des Pylorus imstan¬
de ist, das zu tun.
Was das Plätschergeräusch betrifft,
so bin ich fest überzeugt, dass sehr
viele Aerzte dadurch genau feststellen
können, wo der Magen liegt. Die Fäl¬
le, wo das Plätschergeräusch ausser¬
halb des Magens liegt, sind selten, und
das ist dann eine andere Form.
(Ein Mitglied der Versammlung
fragt, was die Markierung des Schlau¬
ches zu bedeuten habe.)
Marke 1 bezeichnet die Entfernung
von den Lippen zur Kardia; Marke 2
die Entfernung von den Lippen zum
Pylorus, wenn der Ende im Pylorus
liegt; Marke 3, ungefähr 15 cm jenseits
des Pylorus; Marke 80, der ganze
Schlauch, ungefähr 80 cm. Nähere
Erläuterung an der Tafel.)
Die Einführung ist sehr leicht. Für
gewöhnlich gebe ich sie am Abend.
Man muss aber darauf achten, bevor
der Patient zu Bett geht, dass der
Schlauch bis 3 hineingekommen ist.
Während der Nacht hält der Mund den
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Schlauch fest. In sämtlichen Fällen,
wo ich die Methode anwenden wollte,
habe ich sie ohne Schwierigkeit durch¬
führen können, ausser es sei denn
wirkliche Stenose vorhanden.
2. Dr. Jacob Heckmann liest
einen Vortrag über sogenannte Schul¬
terverstauchung mit Demonstration
von Röntgenbildem.
Dr. S. Epstein und Dr. H.
Fischer diskutieren den Vortrag:
Präsident Dr. H. Fischer: Wir
müssen Herrn Dr, Heckmann für
seinen Vortrag sehr dankbar sein. Es
handelt sich um eine Frage von so
grosser Wichtigkeit für die Patienten,
besonders im Licht unserer jetzigen
neuen Unfallgesetzgebung. Es sind
immer die sogenannten Verletzungen,
die schmerzhaft sind und bei denen
keine Frakturen da sind, die übersehen
werden. Sie bilden fast das tägliche
Brot für die Chirurgen. Wir sehen im¬
mer Fälle, die erst nach Wochen und
Wochen zu uns kommen.
Die Bemerkungen von Dr. E p
stein haben mich ebenfalls sehr in¬
teressiert. Früher waren wir gewohnt,
bei grossen Operationen der Brust¬
drüse den Arm fest am Körper zu ver¬
binden. Es stellte sich aber heraus,
dass man grosse Mühe hatte, bis die
Patientin imstande war, ihren Arm ho¬
rizontal zu erheben. Später hat man
angefangen, von dieser Regel abzuge¬
hen, und ich war erstaunt zu sehen,
wie die Frauen sich schon nach vier
Tagen mit dem Kopf auf den Hals le¬
gen und ihr Haar kämmen können.
Der Grund ist mir nicht ganz klar. Es
ist nicht allein Fixation des Gelenks.
Trotzdem können die Patienten ihre
Muskulatur viel schneller gebrauchen,
als wenn der Arm in hängender Stel¬
lung ist. Ich lege keinen Patienten
mehr in Verband.
Präsident Dr. H. Fischer: Ich
habe der Versammlung noch mitzutei¬
len, dass die Abstimmung die einstim¬
mige Wahl von Dr. Theodor
Blum zum Mitglied der Gesellschaft
ergeben hat.
Hierauf tritt Vertagung ein.
Schluss der Sitzung gegen 11 Uhr.
Sitzung, Montag, den 2. November
1914.
Präsident Dr. G. Seeligmann
eröffnet die Sitzung um l /i9 Uhr und
die Versammlung tritt sofort in die
Tagesordnung ein.
I. Vorstellung von Patienten, Präpa¬
raten U.S.W.
Dr. M. T o e p 1 i t z: Vorstellung
eines Falles von bulbo-zerebraler Stö¬
rung mit Demonstration der Bavaryi-
schen Probe.
Diskussion.
Dr. H. C 1 i m e n k o diskutiert den
Fall auf Einladung.
Vorträge.
1. Dr. Ottojoachim (New Or¬
leans) : Kriegschirurgische Beobach¬
tungen in einem Garnisonlazaret wäh¬
rend des gegenwärtigen Krieges.
Diskussion.
Präsident Dr. G. Seeligmann:
Vielleicht ist unser lieber Kollege Dr.
Stadtmüller bereit, einige Worte
über die Erfahrungen zu sagen, die er
als Leiter eines Lazarets in der Pfalz
gemacht hat.
Dr. Norbert Stadtmüller:
Ich muss zunächst bemerken, dass ich
nicht auf dem Kriegsschauplatz war.
So weit bin ich nicht gekommen. Ich
war vielmehr in der Rheinpfalz, einem
sogenannten Roten-Kreuz-Lazaret tä¬
tig. Vorher hatte ich die Ehre, eine
Zeit lang zugleich mit dem Kollegen
Dr. Joachim mich in dem Garnison-
lazarct Landau zu betätigen. Ich habe
seinen Worten nur wenig hinzuzufü¬
gen. Dr. Joachim hat sich so aus¬
führlich über die verschiedenen Wun¬
den und ihre Behandlung verbreitet,
dass ich nur auf zwei Punkte zurück-
komemn möchte. Die inneren Krank¬
heiten und die dem Grenzgebiete zwi¬
schen Chirurgie und innerer Medizin
angehörenden lagen mir besonders am
Herzen. Da ist mir nun erstens die im
Vergleich zu anderen Kriegen so ge¬
ringe Zahl von Typhusfällen aufgefal¬
len. Das ist ganz ungewöhnlich. Im
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spanisch-amerikanischen Krieg z. B.
sind mehr Soldaten durch den Typhus¬
bazillus gefallen als durch die Kugel.
Unter dem grossen Material in Landau
habe ich nicht mehr als ein Dutzend
Typhusfälle gesehen, und unter mei¬
nem eigenen Material im Lazaret
Edenkoben hatte ich nicht einen einzi¬
gen Typhusfall, trotzdem die deut¬
schen Truppen nicht gegen Typhus
geimpft sind. Ob das darauf zurück¬
zuführen ist, dass ich zu früh auf der
Szene war und dass der Typhus sich
später erst entwickelt, weiss ich nicht.
Sehr wahrscheinlich haben die hygie¬
nischen Vorbereitungen, die getroffen
waren, an diesem ausgezeichneten Re¬
sultat mitgewirkt.
Der zweite Punkt, der mir auffiel,
betrifft das merkwürdige Heilbestre¬
ben von Lungenwunden, die durch Ge¬
wehrschüsse gesetzt waren. Granat¬
wunden waren freilich ziemlich bös¬
artig. Ich sah Fälle durch Lungen¬
gangrän und Sepsis infolge von Gra¬
natsplitterverletzungen zugrunde ge¬
hen trotz operativen Eingreifens. Die
Wunden, die durch Mantelgeschosse
gesetzt waren, verliefen gewöhnlich so,
dass die Leute etwa einen oder zwei
Tage oder garnicht Blut spuckten,
dass sie kaum husteten, meist ohne
Fieber nach dem Lazaret kamen und
fieberfrei blieben, dass man aber Hä-
mothorax durch Perkussion, Auskul¬
tation und gelegentliche Probepunk¬
tion nachweisen konnte. Sie erhalten
sich meist unter spontaner Aufsau¬
gung des Blutergusses, sodass sie bald
wieder Garnison- und selbst Feld¬
dienst tun konnten. Die Schussöffnun¬
gen waren gewöhnlich schon nach we
nigen Tagen geschlossen. Das gilt
nicht allein für die Mantelgeschosse,
sondern auch für keinere Granatsplit¬
ter, wie diesen bohnengrossen, den ich
Ihnen hier vorzeige und den ich aus
der Ausschusswunde unterhalb des
rechten Schlüsselbeins entfernte.
Vielleicht könnte man noch auf an¬
dere interessante Punkte kommen, wie
z. B. die Kriegsneurosen. Denn es ist
keine Frage, wie es traumatische Neu¬
rosen gibt, so gibt es Kriegsneurosen
Diese betreffen häufig das Gebiet der
Herzinnervation. Wir haben Wochen
lang hohe Pulsfrequenz, Herzklopfen,
Schlaflosigkeit und vasomotorische
Störungen bei Leuten beobachten kön¬
nen, die gewiss mit gesundem Herzen
ins Heer eingetreten waren. Dr.
J o a c h e m hat das ja erwähnt. Aber
auch Psychosen sind vorgekommen.
Ich weiss von einem Fall, wo ein Sol¬
dat gleich nach der Schlacht auf seine
eigenen Kameraden zu schiessen an¬
fing. Bei der vorgerückten Zeit muss
ich wohl weitere Erörterungen bis auf
eine andere Gelegenheit verschieben.
Präsident Dr. G. Seeligmann
spricht den Herren Dr. Joachim
und Dr. Stadtmüller für ihre Mit¬
teilungen den Dank der Gesellschaft
aus.
2. Dr. S. Stern: Tiefe Röntgen¬
therapie und ihre Anwendung bei der
Behandlung maligner Geschwülste.
Präsident Dr. G. Seeligmann
dankt dem Redner, der den Vortrag in
englischer Sprache gehalten hatte,
ebenfalls auf englisch und begrüsst
und teilt den von Dr. Stern einge¬
nommenen Standpunkt, dass es nicht
die Schuld der Technik, sondern die
eines noch unbekannten Etwas ist,
wenn in gewissen Fällen die Behand¬
lung erfolglos bleibt.
3. Dr. W. Stewart: Fortschritte
der Röntgentechnik in der Diagnose
der Speiseröhren-Erkrankungen.
Diskussion von Dr. Knapp und
Dr. Fischer.
III. Nomination der Beamten für das
Jahr 1915.
Es werden nominiert:
als Präsident: Dr. Freudenthal:
als Vizepräsident: Dr. Krause;
als protok. Sekretär: Dr. Rehling.
Dr. Stein;
als stellvertr. protok. Sekretär: Dr
G r a e s e r :
als korresp. Sekretär : Dr. K u d 1 i c h,
Dr. B o p p ;
als Schatzmeister: Dr. Breiten-
f e 1 d :
als Mitglieder des Aufnahme-Komi
tees: Dr. Seeligmann. Dr
Pfister, Dr. Stadtmüller,
Dr. T o r e k, Dr. S e i b e r t, Dr.
Kämmerer.
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Dr. Rehling lehnt dankend ab.
Hierauf tritt Vertagung ein.
Schluss der Sitzung gegen 11 Uhr.
Sitzung, Montag, den 7. Dezember
1914.
Präsident Dr. G. Seeligmann
eröffnet die Sitzung um Y^9 Uhr und
fordert zunächst den Schatzmeister
Dr. Breitenfeld auf, seinen Jah¬
resbericht zu erstatten.
Schatzmeister Dr. S. Breiten¬
feld verliest den Jahresbericht und be¬
richtet über den Hilfsfond.
Auf Antrag von Dr. Carl Pfister
beschliesst die Versammlung, die Be¬
richte des Schatzmeisters mit Dank
anzunehmen.
Diskussion.
Dr. A« Oestmann: Kann viel¬
leicht ausnahmsweise auch einmal ein
früherer deutscher medizinischer Stu¬
dent, der einige klinische Semester
hinter sich hat, aber kein Examen ge¬
macht, aus diesem Hilfsfond unter- *
stützt werden? Ein solcher Student
kam in der letzten Zeit zu mir in ver¬
wahrlostem Zustande. Ich habe ihn
zu anderen deutsch-akademisch gebil¬
deten Herren geschickt und dachte
auch an unseren Hilfsfonds. Aber so¬
viel ich weiss, muss einer das Staats¬
examen drüben absolviert haben, um
auf Unterstützung der Gesellschaft
Anspruch zu machen.
Dr. S. Breitenfeld: Nicht nur
das, sondern er muss auch Mitglied
der Deutschen Medizinischen Gesell¬
schaft sein. Nur in Ausnahmefällen
wird auch anderen Aerzten Unter¬
stützung gegeben. Nicht-Aerzte wer¬
den garnicht unterstützt.
Präsident Dr. G. Seeligmann:
Ich bin der Ansicht, dass man in
aussergewöhnlichen Zeiten wie diese
einen Fall, wie ihn Dr. Oestmann
mitgeteilt, sehr wohl vor das Hilfs¬
komitee bringen könnte, und ich habe
keinen Zweifel, dass das allgemeine
Gefühl dafür sein würde, ineinem sol¬
chen Fall eine Ausnahme zu machen.
Wenn die Herren nichts dagegen ha¬
ben, schlage ich vor, dass diesem
Herrn die Adresse des Hilfskomitees
gegeben wird.
Die Versammlung erklärt sich da¬
mit einverstanden und Dr. Breiten¬
feld wird dann das Gesuch des
Hilfsbedürftigen dem Komitee vorle¬
gen.
Dr. D. Cook fragt, ob es nicht an¬
gebracht sei, das Geld, das die Gesell¬
schaft für den monatlichen Lunch zah¬
le, vielmehr dem Hilfsfonds zu über¬
weisen.
Präsident Dr. G. Seeligmann:
Es ist gut, dass wir uns einmal über
diese Frage aussprechen. Wir sind
eine Gesellschaft geworden, die von
Jahr zu Jahr trotz aller Anstrengun¬
gen, die gemacht werden, weniger
zahlreich besucht wird und weniger
aktiv ist, und im Verhältnis zu der
Zahl der Mitglieder, die sich an den
Versammlungen beteiligen, sind wir
eigentlich recht wohlhabend. Wenn
die Stimmung der Gesellschaft so wä¬
re, Leuten, die in Not sind, zu helfen,
so wäre mir das ausserordentlich sym¬
pathisch. Deshalb brauchten wir gar¬
nicht auf unseren Lunch zu verzichten.
Davor fürchte ich mich, denn von er¬
fahrener Seite wird betont, wenn der
Lunch aufhöre, komme vielleicht gar
niemand mehr.
Dr. Carl Pfister: Die Frage ist
schon sehr oft ventiliert worden. Es
ist wahr, für eine kleine Gesellschaft
geben wir sehr viel Geld aus. Jede
einzelne unserer Sitzungen kostet uns
60 bis 70 Dollar. Was den Lunch be¬
trifft, so glaube ich doch, wir sind
nicht bloss eine wissenschaftliche Ge¬
sellschaft, sondern eine Gesellschaft,
die sich sozial und kollegial treffen
will, und die einzige Gelegenheit, wo
die Kollegen Zusammenkommen und
sich aussprechen können, bietet eben
der Lunch. Es wäre mir aber genau
so sympathisch, wenn wir uns offiziell
in einer Kneipe versammeln wollten.
Unser Verein hat ein Vermögen von
über 2,800 Dollar und es stehen uns
keine grossen Ausgaben bevor. Könn¬
ten wir da nicht vielleicht einen Teil,
etwa 500 Dollar, dem Hilfsfonds über¬
weisen?
Dr. S. Breitenfeld: Der
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Hilfsfonds hat ja selbst ein Vermögen
von 1,200 Dollar.
Dr. H.' K1 e i n: Wenn wir nnser
Vermögen angreifen wollen, dann wä¬
re es wohl angebracht, dass wir den
Witwen und Waisen unserer Kollegen
in Deutschland beispringen. Wir sind
Aerzte und sollten für die Witwen und
Waisen der Aerzte sorgen.
Präsident Dr. G. Seeligmann:
Zur Aufklärung möchte ich bemerken,
dass von den 9,000 Aerzten an beiden
Fronten bis jetzt 237 gefallen sind.
Die Zahl ist klein, aber wir stehen erst
am Anfang. Dr. K1 e i n’s Vorschlag
ist mir sehr sympathisch, aber es ist
vielleicht praktischer, noch etwas zu
warten, bis sich übersehen lässt, wel¬
che Dimensionen die Sache erreicht,
und dann unser Geld dahin zu
schicken, wo es am meisten Nutzen
bringt.
Die Versammlung ist mit dem Vor¬
schlag des Präsidenten einverstanden.
Präsident Dr. G. Seeligmann:
teilt zu der bevorstehenden Beamten¬
wahl mit, dass Dr. Krause die No¬
mination zum Vizepräsidenten abge¬
lehnt hat.
Dr. Carl Pfister nominiert hier¬
auf Herrn Dr. H. Fischer zum
Vizepräsidenten.
Präsident Dr. G. Seeligmann
teilt ferner mit, dass auch Dr. Töp¬
litz die Nomination zum korrespon¬
dierenden Sekretär abgelehnt hat.
Dr. M. Rehling verliest sodann
das Protokoll der vorigen Sitzung,
welches genehmigt wird.
Die Versammlung tritt hierauf in
die Tagesordnung ein:
I. Vorträge.
1. Dr. Gustav Baar (Portland,
Ore., und Karlsbad, Oesterr.): Der
differential-diagnostische Wert der re¬
kurrierenden Indikanurie bei Magen-
Darmkrankheiten.
Diskussion.
Dr. A. Oestmann: Der Vortrag
hat mich sehr entzückt. Ich bin prak¬
tischer Arzt und verstehe von diesen
Dingen nicht viel, aber ich muss sagen,
ein Viertel aller Patienten, die zu mir
kommen, kommen mit solchen Sachen
wie Autointoxikation. Zunächst freue
ich mich, in der Lage zu sein, an Herrn
Dr. Baar eine Reihe von Fragen stel¬
len zu können.
Die Diagnose Autointoxikation ist
noch garnicht alt. Vor zehn, elf Jah¬
ren hiess alles „Harnsaure Diathese“,
unter welchem Namen man sich auch
kein klares Bild vorstellen konnte.
Gibt es so etwas überhaupt? Es sei
mir vergönnt, hier das Kapitel der
harmlosen Darmantiseptika anzu¬
schneiden.
Wie sind Sie grade auf Ichthyol-
Irrigation gekommen, und wie stark
ist sie? Ich weiss, es war vor 25 Jah¬
ren ein Lieblingsmittel der Aerzte und
man gab es damals in grossen Dosen.
Ich wundere mich, dass Sie von Ich¬
thyol, innerlich, durch den Mund,
nichts gesagt haben. Ich möchte hier
die Naphthalin-Emulsionen als Klys¬
ma zu gebrauchen erwähnen, die vor
22 Jahren durch Rossbach (in
Halle?) aufkamen. Ich habe sie ein
paar Mal bei fürchterlichen gastro-in-
testinalen Erscheinungen bei Kindern
mit ausgesprochenem Erfolg ge¬
brauch. Die Emulsion besteht aus ei¬
nem Gramm Naphthalin mit 100.0 Aq.
dest. gekocht, und mit 6 Liter kochen¬
dem Eibischthee vermischt, auf 37 Grad
C. abgekühlt zu gebrauchen. Ross¬
bach, ich glaube in Halle, empfiehlt
Naphthalin in Klysmen, auch innerlich
in Dosen von 0.03. In der letzten Zeit
ist das Magnesium salicylicum, ein
Präparat von Schering, aufgekom¬
men. Kreosot wird auch in ganz klei¬
nen Dosen gegeben. Ich erinnere mich
eines Lieblingsrezepts von Dr. P e y -
s e r, das ich von ihm in mehreren
Konsultationen gelernt und seitdem
oft angewendet habe. Folgendes Re¬
zept wirkt bei Magenstörungen, wie
sie jedem praktischen Arzt Vorkom¬
men, sehr gut: Rp. Kreosot (Beech-
wood) 10.0, Tinctur. Gentianac 50.0,
M. D. S. dreimal täglich (nach jeder
Mahlzeit) 6 Tropfen = 1 Tropfen
Kreosot in einem Glase guten Port¬
weins — Dr. Peyser hatte be¬
kanntlich eine Praxis elegans — zu
nehmen und allmählich zu steigen bis
auf dreifnal täglich 18 Tropfen. Ich
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New Yorker Medizixischi Monatsschrift.
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habe dieses Rezept bei Gährungsvor-
gängen im Magen sehr oft verschrie¬
ben und es hat mir ausgezeichnete
Dienste geleistet, wo andere Sachen
glänzend versagt haben.
Sie sagten, Lakto-Bacilline wäre
nichts. Es wird allerdings markt¬
schreierisch in den Handel gebracht,
aber ich habe doch in verzweifelten
Fällen von Diabetes mit 2 bis 3 Pro¬
zent Zucker den Zuckergehalt ver¬
schwinden sehen. Ich kann keine ge¬
naue Erklärung dafür geben, da ich
nur ein einfacher praktischer Arzt
bin, aber es war ein glänzender klini¬
scher Erfolg. Allerdings habe ich auch
Diabetesfälle gehabt, wo das Mittel
gar keinen Erfolg hatte. Aber ich bin
immer auf Lacto-Bacilline zurückge¬
kommen.
Ich möchte gern etwas lernen heute
Abend. So habe ich jetzt einen Fall
von schwerem chronischen Durchfall,
der ein ganzes Jahr durch mehrere
Hände gegangen ist. Es ist sonst
nichts nachzuweisen, kein Darmkarzi¬
nom, keine Darmtuberkulose, kein
Darmamyloid. Der Mann sieht ka-
chektisch aus und hat sehr viel'an Ge¬
wicht verloren. Ich gebe ihm eine
Darmauswaschung mit warmer Koch¬
salzlösung, und nachdem sie gemacht
ist, lasse ich den Darm mit dünn ge¬
kochter Stärke mit einem Zusatz von
Listerine (1 Esslöffel voll zum Liter)
auswaschen und habe eine genaue Di¬
ät vorgeschrieben von Sachen, die
nicht lange im Darm verweilen, und
alles, was Diarrhoe verursachen kann,
habe ich ausgeschlossen.
Ich möchte gern wissen, was Sie auf
meine Fragen betreffs harmloser
Darm-Antiseptica, die auf Zustände,
die wir unter dem irreführenden und
unbestimmten Namen „Intestinal Au-
to-Intoxication“ zusammenfassen, ei¬
nen Einfluss üben, zu sagen haben.
Dr. Daniel Cook: Nach langjähri¬
ger Erfahrung kommt man wirklich zu
dem Schluss, dass, wenn nicht alle, so
doch ein grosser Prozentsatz aller die¬
ser Fälle, wo die Leiden permanent
sind, auf Trauma im Intestinaltrakt
beruhen, wie der Vortragende gesagt
hat. Die Natur kann sich helfen und
hilft sich so bei den grössten Aus¬
schreitungen. Schnell legt sich das
wieder, und die Leute werden wieder
wohl, wenn sie sich ein wenig in Acht
nehmen. Wenn die Sache aber per¬
manent wird, besteht gewöhnlich eine
Läsion. Ich habe in den letzten Wo¬
chen einen Fall gehabt. Die Frau war
seit vielen Jahren behandelt. Auch
Dr. Einhorn hat sie behandelt. Sie
war vor vielen Jahren im New Yorker
Hospital und hat wahrscheinlich da¬
mals Appendizitis gehabt, obwohl man
es Gastritis genannt hatte. Damals
behandelte man Fälle auf Gastritis,
heutzutage sehr selten. In diesen
chronischen Fällen helfen Magenaus¬
waschungen und dergleichen nur tem¬
porär. Sie bekam vor 2 bis drei Mona¬
ten einen Anfall von Appendizitis.
Ich wurde am Morgen gerufen. Die
Frau hatte Erbrechen und Verdau¬
ungsbeschwerden und ich befürchtete
eine Wiederkehr des Appendizitis. Sie
war am Abend nicht besser, fortwäh¬
rendes Erbrechen, keine Temperatur,
keine Spannung der Muskeln. Ich
blieb die Nacht bei ihr. Nach Mitter¬
nacht ging die Temperatur in die Hö¬
he, Spannung trat ein, die Frau zog die
Beine in die Höhe: es war kein Zwei¬
fel, dass es Appendizitis war. Ich sag¬
te gleich, der Fall muss morgen ins
Hospital zur Operation. Aber da
mussten erst andere Mitglieder der
Familie hinzugezogen werden. Die
Frau wollte absolut nicht gehen und es
ward Mittag, bevor wir sie dazu über¬
redeten. Dann wollte sie nicht in einer
Ambulanz fahren, sondern in einem
Auto. Im Hospital wurde sie operiert
und der Eiter quoll heraus. Der Ap¬
pendix war schon geborsten. Der Ap¬
pendix zeigte, dass sie die Sache Jahre
lang mit sich herumgetragen hatte.
Viele andere Fälle derartig sind mir
^vorgekommen. Ich glaube, in allen
diesen chronischen Fällen haben wir
eine Läsion in den Eingeweiden, oder
im Magen oder an der Gallenblase.
Dr-. Gustav Baar (Schlusswort):
Ich danke den Herren sehr für die Dis¬
kussion meines bescheidenen Beitrags.
Zuerst möchte ich dem Herrn Kolle¬
gen im allgemeinen bemerken, dass ich
Indikanurie nicht als identisch mit
Autointoxikation auffasse. Indikan ist
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i8a
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
kein Gift. Wenn wir Indol finden, so
hat das keine Giftbedeutung, denn ich
habe in allen diesen Fällen auch die
Fäzes untersucht, und in vielen Fällen
haben die Fäzes sehr mässig Indol und
der Urin massenhaft oder umgekehrt.
Wenn die Läsion besteht, so genügt
das Indol der Fäzes, um massenhaft
Indikan zu geben.
Was die Bemerkung über Ichthyol-
Irrigation betrifft, so versichere ich
Sie, wenn man gewöhnliches Wasser
nimmt und das Kolon damit aus¬
wäscht, hat man genau denselben Er¬
folg. Die ganze Reihe der Antisepti¬
ka, Bismuth, Salicyl, Ichthyol haben
keinen Einfluss, ob ich es gebe oder
nicht. Der Typus der Indikanurie war
da, was immer ich gab. Es gibt keine
Darmantiseptika, mit Ausnahme von
Kalomel. Das ist das einzige, was ir¬
gend welchen Einfluss auf die Indi—
kankurve machte. Ich habe jeden Tag
40 Proben von allen meinen Patienten
machen lassen. Deshalb glaube ich,
muss meine Feststellung irgend wel¬
chen Wert haben. Es gibt also keinen
Einfluss irgend welcher Darmantisep¬
tika. Ich habe noch gar keinen Grund
gehabt, den Darm zu desinfizieren.
Sie brauchen 1 cg Indol pro kg, um sep¬
tische Erscheinungen zu erzielen. Das
ist eine Quantität, die von keinem
Menschen noch gebildet wurde. Wo
kommt die Intoxikation her? Wahr¬
scheinlich von anderen Toxinen, und
gegen die haben wir kein anderes An¬
tiseptikum als einfache.
Es freut mich, dass Herr Dr. Cook
als alter Praktiker diese Ansicht hat.
Wenn ich einmal graue Haare habe
oder gar keine, werde ich zu derselben
Ansicht kommen. Wenn man Jahre
lang ein Individuum beobachtet, wie
Sie getan haben, dann kommt man zu
der Diagnose, dass viele dieser Fälle
chirurgische Fälle sind, und wir haben*
als Internisten nichts damit zu tun
und sollten das je früher desto besser
cinsehen.
Zum Schluss möchte ich Herrn Dr.
Seeligmann antworten. Warum
haben die Gallensteine es nur im An¬
fall? Gallensteine können latent sein.
Dann werden sie keine Entzündung in
der Gallenblase machen. Man hat
Hunderte solcher Gallenblasen aufge¬
schnitten und keine Läsion gefunden.
Aber wenn die Leute eine Cholezysti¬
tis bekommen, d. h. einen Anfall be¬
kommen, dann ist die Läsion da, dann
habe ich eine Lücke in der Mukosa.
Ich gebe zu, ich habe viele Fälle von
Appendizitis ohne Indikan gesehen,
nämlich wenn die Entzündung nicht
genügend war, um die pathologische
Läsion der Lücke darzustellen. Das
gilt auch sonst. Wenn Sie keine Tu¬
berkelbazillen im Sputum finden, ha¬
ben Sie noch kein Recht zu sagen, es
ist keine Tuberkulose da. Wenn Sie
aber Indikan finden, ist sicher eine pa¬
thologische Läsion da. Wenn Sie kei¬
ne Galle in den Darm hineinb.ekom-
men, können Si§ auch keine Indikanu¬
rie bekommen. Das ist ein Neben¬
punkt, auf den ich wegen der Kürze
der Zeit in meinem Vortrag nicht ein-
gehen konnte. Die Läsion bleibt be¬
stehen, aber wenn sie nicht so war,
dass sie eine Lücke darstellt, haben
wir keine Indikanurie.
Was den Typhus betrifft, so habe
ich nicht viel Eifahrung. Wir haben
im Westen nicht viel Typhus. Aber
so viel kann ich sagen und aus der Li¬
teratur feststellen, Typhus hat viel In¬
dikanurie, aber auch viele Fälle, wo
keine Indikanurie vorkommt. Ich
kann nur so viel sagen: Typhusbazill
und Kolonbazill sind einander sehr
ähnlich und jeder Bakteriologe weiss,
dass die DifFerentialdiagnose dadurch
gestellt wird, ob der Kolonbazill die
Typhusbazillen umbringt oder umge¬
kehrt. Wenn der Kolonbazill über¬
hand nimmt, werden wir Indol haben,
wenn der Typhusbazill überhand
nimmt, keines.
Bei Dysenterie konnte ich finden,
dass Leute, die Wochen lang dafür be¬
handelt sind und Indikanurie haben,
schliesslich keine Blutung mehr hat¬
ten, aber immer noch Indikanurie. Ich
sagte dem Mann, Du bist noch nicht
gesund, und nach einigen Wochen ist
er zurückgekommen. Das Blut war
negativ geworden, aber noch immer
bestand Indikanurie. Solange Indika¬
nurie da ist, ist die Läsion da.
Präsident Dr. G. Seeligmann
spricht Herrn Dr. B a a r für seinen
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
189
interessanten Vortrag den Dank der
Gesellschaft aus.
2. Dr. Arthur Stein: Uebcr den
sogenannten Dämmerschlaf bei Gebur¬
ten.
Präsident Dr, G. Seeligmann:
Da ich annehmen darf, dass auch Dr.
H e 11 m a n über dasselbe Thema be¬
richten wird, so schlage ich vor, dass
wir erst auch seinen Vortrag hören
und dann die beiden Vorträge zusam¬
men diskutieren. Die Versammlung
ist damit einverstanden.
3. Dr. A. H e 11 m a n : Erfahrungen
und Eindrücke an europäischen Klini¬
ken.
Diskussion.
Dr. M. Rehling: Inbezug auf Ge¬
burtshilfe weiss ich nichts über den
Gebrauch von Skopolamin und Mor¬
phin. Ueber den Gebrauch derselben
bei der Chirurgie habe ich einige Er¬
fahrung. Ich glaube, wir werden im¬
mer mehr mit lokaler Anästhesie ar¬
beiten und als Hilfsmittel werden wir
solche Sachen wie Skopolamin und
Morphin gebrauchen. Wir können da¬
durch den Shock vermeiden. Ich habe
eine grose Eiterniere exstirpiert, meh¬
rere Kropfoperationen, eine Gastro-
enterotomie gemacht, die sonst nicht
angerührt werden konnten, und es
ging alles glänzend und schön. Man
muss sich Zeit nehmen, muss den Pa¬
tienten Zeit geben, einzuschlafen, ein
wenig die Hände befestigen, damit sie
nicht unwillkürlich hingreifen. Ich
habe auch eine Patientin mit Basedow
operiert. Sie wurde mir aufgedrängt.
Diese Patientin war etwa 34 Jahre alt,
hatte Blutspucken, eine Myokarditis,
grosse Leber, grosse Milz, Oedeme
und Aszites, und war fast im Sterben.
Es war die Frage, ob man sie über¬
haupt operieren könnte. Die Familie
wollte, dass man es wenigstens ver¬
suche. Ich gab ihr eine einmalige Do¬
sis Skopolamin, nur um zu sehen, was
es für eine Wirkung habe. Sie wurde
ruhig und schlief ein. So wurde sie
dann mit Skopolamin und Morphin
operiert. Als sie aufwachte, wusste
sie nicht, dass sie operiert worden war
und hatte eine ununterbrochene Re¬
konvaleszenz. Ich glaube, es ist das
eine sehr gute Sache, wenn wir es rich¬
tig anwenden.
Dr. Daniel Cook: Ich möchte
Herrn Dr. Stein fragen, ob er auch,
wie man bei seinem Verfahren erwar¬
ten sollte, weniger Dammrisse beob¬
achtet hat. Das würde ein Hauptargu¬
ment für die Skopolamin-Narkose sein,
dann würden die Frauen, bei denen der
praktizierende Arzt nicht verhindern
kann, dass das Perineum mehr oder
weniger zerrissen wird, sich nicht
mehr mit Ringen u.s.w. herumquälen
müssen.
Dr. Arthur Stein (Schlusswort):
Um die letzte Frage, die Dr. Cook
gestellt, zuerst zu beantworten, so
muss ich sagen, dass wir kaum Damm¬
risse beobachten. In allen Veröffent¬
lichungen wird das ganz besonders
hervorgehoben, dass dadurch, dass die
Geburt an und für sich langsam von¬
statten geht und die willkürliche An¬
wendung der Bauchpresse ausgeschal¬
tet ist, die Gefahr des Dammrisses
ganz bedeutend herabgesetzt wird.
Ich möchte dann nur einen Punkt
aus Dr. Hellman’s interessanten
Bemerkungen herausgreifen, das ist
die Stroganof f sehe Methode. Ich
war etwas erstaunt zu hören, dass Dr.
H e 11 m a n sie überhaupt noch an¬
wendet, denn wir alle wissen, dass vor
wenigen Jahren die Methode, ich
möchte beinahe sagen ad acta, gelegt
wurde, und zwar von fast allen bedeu¬
tenden Geburtshelfern. Damals wur¬
de gegen die Methode folgendes ins
Feld geführt: Die Eklampsie wird
hervorgerufen durch ein Gift, das wir
heute in seiner Art noch nicht genau
kennen, das aller Wahrscheinlichkeit
nach aber von der Plazenta ausgeht.
Wenn wir nun nach der Stroga¬
nof f sehen Methode der Frau weiter
und weiter Gifte dem Körper zufügen,
ohne die Geburt zu vollenden, so kann
das auf die Dauer keinen guten Erfolg
haben. Ich selbst erinnere mich von
meiner Studenten- und Assistentenzeit
her, dass diese Methode angewandt
wurde, aber sie war mir immer -zuwi¬
der. Heutzutage gibt es bei Eklampsie
nur eine rationelle Methode, das ist
die Entleerung des Uterus während
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
der Schwangerschaft oder Geburt
durch vaginalen oder den klassischen
Kaiserschnitt.
Dr. A. H e 11 m a n spricht ein kur¬
zes Schlusswort auf englisch.
II. Beamtenwahl.
Die Beamtenwahl für das Jahr 1915
verlief wie folgt:
Präsident: Dr. W. Freudenthal.
Vizepräsident: Dr. H. Fischer.
Protok. Sekretär: Dr. A. Stein.,
Stellvert. protok. Sekretär: Dr. H.
G r a e s e r.
Korresp. Sekretär: Dr. B o p p.
Schatzmeister: Dr. S. Breiten¬
feld.
Aufnahme-Komitee: Dr. S e e 1 i g -
mann, Dr. Pfister, Dr. Stadt-
m ü 11 e r, Dr. T o r e k, Dr. Käm¬
merer.
Hierauf tritt Vertagung ein.
Schluss der Sitzung J412 Uhr.
Arzneireklame.
Referiert von D r. v. O e f e 1 e.
Casoid Foods.—Thos. Leeming &
Co., 99 Chambers Street, New York.—
Prof, von Noorden hat für einen
Kollegen in St. Louis, Mo., zwei
Schachteln Biskuit bestellt — in dieser
Richtung ist ja N o o r d e n genügend
bekannt — und dies wird für eine rie¬
sige Reklame mit Retourpostkarte aus¬
genützt. Caseinderivate gehören aller¬
dings zu den wichtigsten diätetischen
Heilmitteln. In Europa sind eine
Menge solcher Präparate bekannt und
geschätzt. Die Präparate von C a 1 -
1 a r d & Co. in London sind nur ver¬
einzelte Beispiele. Empfohlen hat
von Noorden wohl schon jedes die¬
ser Präparate, soweit eine finanzkräf¬
tige Firma den Vertrieb leitet. Bedau¬
erlich ist nur, dass Europa mit seiner
relativen Armut an Milch das milch¬
reiche Amerika durch importierte Ca¬
seinpräparate überschwemmt, die doch
nebenbei durch den weiten Transport
über See immer an Schmackhaftigkeit
verlieren. Im einen oder im anderen
Sinne gehört Amerika dem amerikani¬
schen Rindviehe.
Catgut—Index Abstract of Surgical
Technique.—Van Horn & Sawtell, 307
Madison Avenue, New York.—Dieser
Index-Abstrakt erscheint ziemlich häu¬
fig und bringt stets neue Auszüge aus
der chirurgischen Literatur. Natürlich
erfolgt die Auswahl der Referate mit
einer gewissen Rücksicht auf die Em¬
pfehlung von Katgut. Wirwerden spä¬
ter auf diese periodische Erscheinung
zurückkommen.
Regulin Wafers and Ferma Biscuits.
—The Reinschild Chemical Co., 71
Barclay Street, New York.—Es ist seit
Jahrtausenden ein Bestreben für Arz¬
neimittel eine angenehme Form der
Darreichung zu finden. Mode und Ge«:
schmack der Menschen ändert sich fort¬
während. Damit ist auch der Begriff
einer angenehmen Form der Arznei¬
darreichung fortgesetzten V erschie-
bungen und Veränderungen unterwor¬
fen. Manche Arzneistoffe werden fa-
brikmässig in solche Formen gebracht.
Es ist unstreitig ein Bedürfnis für diese
Patentmedizinen vorhanden. Aber das
Bedürfnis, dass fertige Patentmedizi¬
nen als Grundlage für die Ausarbei¬
tung von Patentpräparaten zweiter Po¬
tenz verwendet werden, kann kaum an¬
erkannt werden. Bei vorliegenden
Präparaten handelt es sich darum um
ein durch Kaskara verstärktes Gelatine¬
präparat als Abführmittel und ein Ei-
senmanganpeptonat von Dietrich
in Helfenberg als Antianämikum in
Backwerkform für Frauen und Kinder
zu reichen. Pia fraus ist für den Arzt
nicht völlig zu vermeiden. Aber diese
Biskuit- und Waffelntherapie geht doch
wohl zu weit. Es ist schon heute
manchmal schwer, einen Ice Cream
Parlor und eine Apotheke zu unter¬
scheiden. Doch ist dies insofern ein¬
fach, als die Apotheke auch Zigarren
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New Yorks* Medizinisch* Monatsschrift.
191
führt, der Ice Cream Parlor aber nicht.
Regulinwaffeln und F^rmabiskuit ge¬
hören darum schon zum unlautern
Wettbewerb des Apothekers gegen den
Konditor.
Stiefel’s Resorcin Soap—Scarlatina
Schering & Glatz, New York. —Die
Empfehlung ist kurz und sachlich,
wenn auch Referent in Einzelheiten
anderer Ansicht ist. Es ist jetzt mehr
als 20 Jahre. All überall herrschte noch
der strengste Glaube, dass bei Haut¬
krankheiten der kleine, Patient ins Bett
gesteckt werden müsse und jede Be¬
rührung der Haut mit Wasser gleich
tötlichem Gifte wirke. Ich hatte da¬
mals einige Scharlachnephritiden un¬
günstig verlaufen sehen und stand in
meiner ersten eigenen Landpraxis ei¬
ner Masernepidemie in Niederbayern
gegenüber. Bei einem zweiten Auf¬
flammen dieser Epidemie in einem neu¬
en Wirkungsbezirke hatte ich gleich¬
zeitig einen verreisten Kollegen zu ver¬
treten und dessen eigene Mädchen an
Masern zu behandeln. Meine Studien
über die Wechselbeziehungen zwischen
den verschiedenen Ausscheidungsorga¬
nen waren noch nicht so klar wie
heute; doch die Beziehungen zwischen
Haut und Nieren bei Scharlach und
zwischen Haut und Respirationsorga¬
nen bei Masern hatte ich schon er¬
kannt. Ich griff damals alle 12 Stun¬
den sofort bei Beginn der Hautverfär¬
bungen zu warmen Schmierseifenwa¬
schungen im gut geheizten Zimmer mit
zweimaligem täglichen Wechsel vorge¬
wärmter frischgewaschener Leib- und
Bettwäsche. So viel ich weiss, war
ich der erste, der mit dem alten Aber¬
glauben der Wasserscheu brach. Mein
Kollege hatte von diesem Ketzertum
keine Ahnung, sondern glaubte an ein
neues Mitbringsel von der Alma Mater
durch den Anfänger. Er sah den gün¬
stigen Erfolg und verbreitete diese Be¬
handlung durch Empfehlung bei be¬
nachbarten Kollegen. Sie bürgerte
sich rasch ein, ohne dass jemand recht
wusste, woher sie kam. Es war dies
zwischen den Jahren 1887 und 1890.
Wer in der Monatsschrift meine Darle¬
gungen über die Urinzusammensetz¬
ung las, wird meinen damaligen Ge¬
dankengang, der auch noch meiner
heutigen Anschauung entspricht, ver¬
stehen. Ich habe später auch kurze
Publikationen darüber geschrieben, so¬
viel ich mich erinnere, in Krüche's
ärztlicher Rundschau und in der von
Boltenstern oder P a g e 1 redi¬
gierten deutschen Aerztezeitung. Es
interessiert mich darum natürlich um¬
somehr, dass Stiefel in Offenbach
jetzt solche Seifen fertig auf den Markt
bringt. Allerdings „first in the field“
stimmt nicht zu meinen obigen Priori¬
tätsansprüchen. Dann kann ich auch
nicht ersehen, ob S t i e f e Ts Seifen
Kali- oder Natronseifen sind. Nach
meinen Erfahrungen sind Kaliseifen
vorzuziehen. Jedenfalls kann die Me¬
dikation von Scharlach, Masern und
anderen akuten Hauterkrankungen mit
sieben bis acht Abseifungen und fol¬
genden warmen Bädern in den drei bis
vier ersten Erkrankunstagen nicht
warm genug empfohlen werden. Alle
die gefürchteten Begleiterkrankungen
und Nachkrankheiten innerer Organe
nach diesen akuten Exanthemen sind
Folgen gestörten Stoffwechsels und
werden durch die Abseifungen auf ein
Mindestmass herabgedrückt.
Virol.—The Etna Chemical Com¬
pany, 708-710 Washington Street, New
York. —Manche von den annoncierten
Arzneimitteln müssen wiederholt be¬
sprochen werden; denn sie schicken in
kurzen Zwischenzeiten verschiedene
Reklamen an Aerzte oder Laien. Sol¬
che vielgestaltige Anpreisungen belie¬
ben auch die Geschäftsführer von Vi¬
rol. Als Anhang der Reklame „Virol
—its nutrient value“ werden noch 11
andere kleine Reklameschriften ange-
boten. Davon liegt mir auch „Before
and After“ vor. Darin wird eine grös¬
sere Reihe von Photogrammen repro¬
duziert. Es sind äusserst kacchektische
Kinder, die auf kürzere oder längere
Viroldarreichung ein gemästetes Aus¬
sehen bekommen haben. Die beglei¬
tenden Gewichtskurven können aber
doch nicht ganz den Eindruck verwi¬
schen, dass im Beginn der Viroldar¬
reichung akute Darmkatarrhe äusge-
löst wurden. Auch bei den Bildern
dürfen wir nicht vergessen, dass die
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192
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
Erfolge glänzend erscheinen, dass sie
aber nicht vom Arzt für eine unpartei¬
ische wissenschaftliche Publikation,
sondern vom Bureau des Fabrikanten
für Reklamezwecke ausgewählt wur¬
den.
Casoid Foods for Diabetes.—Thos.
Leeming & Co., 99 Chambers Street,
New York.—Kaseinhaltige Nährpräpa¬
rate sollen nach dieser Reklame un¬
umgänglich in der modernen Behand¬
lung von Diabetes sein. Dieser Satz
ist aber ein Anachronismus in sich
selbst. Was vor 1890 moderne Dia¬
betesbehandlung war, bedurfte Stärke¬
freier mehlähnlicher Stoffe ohne da¬
von genügend zur Hand zu haben.
Gegenwärtig hat uns die Technik als
Abfall der zentralisierten Butterge¬
winnung reichliche Kaseinpräparate er¬
möglicht. Aber gegenwärtig weiss —
wenigstens die moderne — Diabetes¬
behandlung, dass eine stärkefreie Dia¬
betesbehandlung. ungemein viele Ge¬
fahrsquellen einschliesst. Bei dem
kleinen Bruchteil aller Erkrankungen,
den Diabetes ausmacht, ist es ein aus¬
sichtsloses Unternehmen, immer und
immer wieder neue Nährpräparate für
die wenigen Diabetiker zu erfinden.
Die Indikationen für Kaseinnährprä¬
parate sind in der wirklich modernen
diätetischen Behandlung wesentlich
breiter. Es ist sehr zu wünschen, dass
die Unmengen von abfallendem Kasein
in der amerikanischen Milchwirtschaft
mehr zur Stillung des Stickstoffhun¬
gers von gesunden und kranken Leu¬
ten der Grossstadt ausgenützt werden.
Neurosine.—Dios Chemical Co., St.
Louis, Mo.—Es wird als Neurotikum,
Antispasmodicum, Anodynum und Hyp-
notikum empfohlen. Es enthält etwas
über 8 Prozent Kalium-, Natrium- und
Ammoniumbromid, 2 Promille Zink¬
bromid, 6 Prozent Hopfenextrakt, 8
Prozent Cascara sagrada, je 0,15 Pro¬
mille Bilsenkraut und Tollkirschenex¬
trakt, 1 Promille Hanfextrakt, 0,1 Pro¬
mille Bittermandelöl und 5 Prozent Al¬
kohol mit etwas aromatischem Elixir
Im Grunde dreht es sich um die be¬
kannte alte Erlenmaye r’sche Em¬
pfehlung, die verschiedenen Bromide
zur Verstärkung ihrer Wirkung zu
kombinieren, eine Empfehlung, die von
allen Nachprüfern als berechtigt er¬
klärt wurde. Diese Brommischung ist
hier durch andere Sedative verstärkt,
aber unter Ausschluss der Opiumalka¬
loide und des Chlorals. selbstverständ¬
lich auch unter Ausschluss von Kokain.
Kleine Mitteilungen.
— Choleraschutzimpfung. Das österr. Mini¬
sterium des Innern hat mit Erlass vom 9. Nov.
d J. den Landesregierungen intimiert, die Ge¬
impften zu belehren, dass bei dem nur relati¬
ven Schutze der Choleraschutzimpfung die
sonst gebotenen hygienisch-prophylaktischen
Vorkehrungen nach wie vor eingehalten wer¬
den müssen. Zu beachten ist auch, dass eine
einmalige Injektion keinen genügenden Schutz
gewährleistet; vielmehr müssen die Impfun¬
gen in Abständen von sechs oder acht Tagen
ein zweites Mal (nach einigen Fachautoren so¬
gar ein drittes Mal) wiederholt werden; fer¬
ner, dass nur wirksamer, von jeder Reizwir¬
kung freier Impfstoff angewendet werden
darf und dass schliesslich nach fachliterari¬
schen Angaben am ersten und zweiten Tage
nach der Impfung eine erhöhte Empfänglich¬
keit für die Krankheit eintreten kann. Es wird
empfohlen, den Choleraschutzimpfstoff aus
dem staatlichen serotherapeutischen Institute
in Wien (IX. Zimmermanngasse 3) zu bezie¬
hen. Dieses Institut liefert den Impfstoff in
Fläschchen von 10 bis 100 ccm zum Preise von
Kr. 2 bis 16; demnach stellt sich der Preis für
1 ccm bei Abnahme von mindestens 1 Fläsch¬
chen zu 50 ccm auf 16 h.; bei Abnahme klei¬
nerer Mengen auf 20 h. Hingegen kommen
Einzelimpfungen etwas teurer zu stehen und
zwar 2 ccm zu K. 1. Allfälliger Bedarf an
Impfstoff aus dem staatlichen serotherapeuti¬
schen Institut in Wien ist fallweise unter An¬
gabe der Zahl der Portionen und des Ortes
des Bedarfes daselbst anzusprechen.
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JScw “Yorker
jMcdtztnfecbc JVIonateöchnft
OfllstoUea Organ dag
DottfdHa IHtftxlRifdKt titftHffrrftta 4er Staate Re# York.
CMcage «Ml eietebnO.
Herausgegeben von Dr. ALBERT A. RlPPERGER
unter Mitwirkung von Dr. A. Herzfeld, Dr. H. G. Klotz und Dr. von Oefele.
Bd. XXV. New York, Januar 1915. Nr. 8.
Originalarbeiten.
Der augenblickliche Standpunkt der Syphilistherapie. *
Von Dr. A. Rosten berg,
Attending Derroatologist, Bronx Hospital.
Attending Dermatologist, German Hospital, O. P. D. New York.
Jn der letzten Versammlung der
American Medical Association wurde
in dem Symposium über Syphilis von
autoritativer Seite die Behauptung auf¬
gestellt, dass 99 Prozent aller prakti¬
schen Aerzte hierzulande nicht fähig
wären, Syphilis den heutigen Anforde¬
rungen entsprechend zu behandeln. Ob
diese Behauptung übertrieben ist oder
nicht, will ich dahingestellt sein lassen*
Wenn dem aber wirklich so wäre, so
würde dies einen sehr traurigen Zustand
bedeuten, da jeder praktische Arzt Sy¬
philisfälle sieht und behandelt, und wir
werden wohl alle zugeben müssen, dass
Syphilis keine gleichgiltige Erkrankung
ist. B 1 a s c h k o behauptet, dass 33
Prozent aller Syphilitiker an Syphilis
sterben und 50 'Prozent davon an Syphi¬
lis eines lebenswichtigen Organs. Da¬
her ist es die Pflicht eines jeden prakti¬
schen Arztes, - Syphilis richtig zu er¬
kennen und richtig zu behandeln, da
•Vortrag, gehalten in der Deutschen Medizinischen
Gesellschaft der Stadt New York am 4. Januar 1915.
diese Seuche, wenn frühzeitig in An¬
griff genommen, einer Therapie durch¬
aus zugänglich ist, wenn jedoch uner¬
kannt und unbehandelt geblieben, zum
grössten Feinde der menschlichen Ge¬
sellschaft wird.
Ist nun heutzutage ein abschliessendes
Urteil über die Syphilistherapie gefällt
worden? Scheinbar nicht! Trotz aller
modernen Forschungen herrscht sogar
heute noch unter unseren Meistern eine
Meinungsverschiedenheit darüber, wel¬
che Behandlungsmethode die beste sei.
Wechselmann im neuen Virchow-
Krankenhaus in Berlin, der, wie Sie ja
wohl alle wissen, über ein ungeheuer
grosses Syphilismaterial verfügt, wen¬
det nur Salvarsan an, während Busch-
k e in demselben Krankenhaus das Sah-
varsan ganz und gar verwirft und
Quecksilber immer noch als das allein¬
seligmachende Medikament hinstellt.
Wie bei den meisten Streitfragen ähn¬
licher Natur scheint jedoch auch hier die
Wahrheit glücklicherweise in der Mitte
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194
New Yobkeb Medizinische Monatsscheift.
zu liegen, d. h. die meisten Syphilis¬
forscher vertreten heutzutage den
Standpunkt, dass zu einer rationellen
Therapie eine rationelle Kombination
beider Mittel gehört. Beide Mittel tö¬
ten entweder die Spirochäten ganz und
gar oder hemmen wenigstens ihre Ent¬
wicklung, und zwar scheint ein jedes
Mittel, Experimenten zufolge, die
Mikroorganismen in seiner eigenen, be¬
sonderen Art anzugreifen, sodass es
wohl logisch erscheint, beide Waffen
gleichzeitig gegen den Feind ins Feld zu
führen. Weiterhin scheint es, als ob die
Kombination beider Mittel nicht nur
wirksamer sei als jedes allein, sondern
auch als ob die toxische Wirkung auf
den Organismus des Patienten dabei we¬
niger ausgesprochen erscheint. Salvar-
san setzt nämlich eine grosse Anzahl
von Endotoxinen frei, während es die
Spirochäten abtötet, und die Wirkung
dieser Endotoxine wird bedeutend ab¬
geschwächt, wenn Quecksilber vorher
oder nachher mitangewandt wird.
Ausserdem wird die wirksame Dosis ei¬
nes jeden Medikamentes kleiner bemes¬
sen sein können, wenn kombiniert, als
wenn jedes allein gebraucht würde.
Die besten therapeutischen Erfolge
können wir naturgemäss erwarten, wenn
wir einen Fall im frühesten Primärsta¬
dium zu sehen bekommen. N e i s s e r
und Uhlenbluth haben durch Ex¬
perimente an Tieren erwiesen, dass
gleich nach der Infektion das Virus frei
im Blut zirkuliert; wird jetzt das Sal-
varsan in die Vene eingespritzt, so trifft
es den Feind im offenen Felde und kann
einen grossen Sieg davontragen, ja viel¬
leicht sogar den denkbar grössten Tri¬
umph, nämlich eine komplette Sterilisa¬
tion des Patienten. Leider gehören aber
zwei Vorbedingungen dazu, um solch
ein glänzendes Resultat zu erzielen; er¬
stens müssen wir unsere Patienten er¬
ziehen, dass sie ihre venerischen Krank¬
heiten nicht vor uns verheimlichen und
erst zu einem guten Freund oder Quack¬
salber mit ihren Leiden gehen, und
zweitens müssen wir auch imstande sein,
eine richtige Diagnose in diesem frühen
Stadium zu stellen. Hier heisst es
„Hic Rhodus, hic salta!” Die Sekun-
där-Erscheinungen abwarten, wie es in
den früheren guten Tagen galt, würde
heutzutage als Ignoranz und Nachläs¬
sigkeit angesehen werden. Wir müssen
auf der Stelle die Diagnose machen und
demgemäss gleich mit der Behandlung
anfangen. Leider lässt uns die Wasser-
mann’sche Reaktion, meiner Meinung
nach die wertvollste der drei nuen Ent¬
deckungen in der modernen Syphilis¬
kunde, hier vollständig im Stich. Wir
sehen selten eine positive Reaktion frü¬
her als sechs Wochen nach der Infek¬
tion. Hegen wir daher den leisesten
Zweifel, ob wir es mit einem Ulkus dur¬
um zu tun haben oder nicht, so ist es un¬
sere Pflicht, nach einer weiteren Bestä¬
tigung zu suchen, und glücklicherweise
haben wir jetzt den Spirochätennachweis
zu unserer Verfügung. Hier jedoch
ein Wort der Warnung! Die Tusche¬
methode mit indischer Tinte, die ihrer
Einfachheit wegen sehr populär zu wer¬
den scheint, ist nicht zuverlässig. Die
Untersuchung sollte stets mit dem Dun¬
kelfeldapparat vorgenommen werden.
Hier finden wir oft die Spirochäten auf
den ersten Blick in grosser Anzahl,
während wir dasselbe Präparat mit indi¬
scher Tinte gefärbt oft stundenlang er¬
folglos untersuchen können.
Haben wir also jetzt eine positive
Diagnose gestellt, dann heisst es sofort
mit der Therapie beginnen! Jetzt ha¬
ben wir die besten Chancen, wie schon
früher erwähnt, nicht nur den Schanker
allein, sondern auch die Krankheit zu
kurieren. Die Spirochäten sitzen jetzt
noch im Primäraffekt und vielleicht in
den benachbarten Lvmpdrüsen. Eine
einzige Salvarsaneinspritzung kann sie
mitunter alle abtöten oder wenigstens
ihre weitere Entwicklung und Verbrei¬
tung hemmen. E h r 1 i c h’s „Therapia
sterilisans magna“ würde somit erreicht
sein, gamicht so unmöglich in einem so
frühen Falle! Leider waren aber die
Rezidive seit diesem berühmten Aus-
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HARVARD UN1VERSITY
New Ycbkxb Medizinische Monatsschrift.
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Spruch Ehrlich's so zahlreich, dass
heutzutage niemand mehr, und Ehr¬
lich selbst nicht, es bei einer einzigen
Einspritzung von Salvarsan bewenden
lässt. Man muss eine Anzahl davon ge¬
ben und Quecksilber mit dazu.
Soll man den Schanker exzidieren?
Viele Autoren empfehlen diese Opera¬
tion, wenn angänglich. Ich selbst tue
es nicht, sondern dringe nur auf Rein¬
lichkeit und gebrauche Kalomel als
Streupulver. Ich fange dann meine Be¬
handlung mit einer Einspritzung von
0.3 bis 0.45 Neosalvarsan an, je nach
Gewicht und Rüstigkeit des Patienten.
Ich möchte gleich hier betonen, dass ich
bis vor kurzem fast ausschlieslich Neo¬
salvarsan benutzt habe und glaubte,
dass die Wirkung gerade so gut sei wie
beim Alt-Salvarsan, nur vielleicht nicht
so nachhaltend. Da aber jetzt von so
vielen Seiteen die Wirkung des Neosal-
varsans der des Alt-Salvarsans nachge¬
stellt wird, so habe ich in der letzten
Zeit auch wieder mit Alt-Salvarsan be¬
gonnen, glaube aber immer noch, dass
für den praktischen Arzt und besonders
ambulatorisch angewandt das Neosal¬
varsan vorzuziehen sei, da es sich so
leicht in Wasser ohne Zusatz anderer
Chemikalien auflöst. Dann kann man
dasselbe in konzentrierter Lösung an¬
wenden, eine einfachere und praktische¬
re Methode als die Infusion, die Ihnen
allen ja wohl bekannt ist und die ich hier
nicht näher beschreiben will. Für die
sogenannte konzentrierte Methode brau¬
chen wir keinen komplizierten Apparat.
Das Neosalversan wird in 10 ccm frisch
destilliertem und abgekochtem Wasser,
das man abkühlen lässt, aufgelöst, in
eine Recordspritze aufgesogen und lang¬
sam in eine Vene, am besten in die Vena
mediana am Ellbogen, unter aseptischen
Kautelen eingespritzt. Wie Sie sehen,
ist dies eine sehr einfache Prozedur und
kann mit Leichtigkeit zu irgend einer
Zeit in der Sprechstunde ausgeführt
werden. Ich pflege meine Patienten zu
ermahnen, sich hinzulegen, sobald sie
nach Hause kommen. In vielen Fällen
ist sogar diese einfache Vorschrift un¬
beachtet geblieben, die Patienten sind
ihrer gewöhnlichen Beschäftigung nach¬
gegangen und trotzdem ist glücklicher¬
weise nichts passiert. Wie Sie sehen,
wende ich die direkte intravenöse Me¬
thode an, ausser in solchen Fällen, wo
wegen eines sehr fetten Arms oder sehr
spärlich entwickelter Venen das Ein¬
dringen in das Lumen grosse Schwierig¬
keiten bereiten würde, ohne die Vene
herauszupräparieren, um diese ver¬
werfliche Operation zu vermeiden,
spritze ich in solchen Fällen das
Salvarsan intramuskulär ein, ent¬
weder in wässeriger Lösung oder in ei¬
ner öligen Suspension, beides ziemlich
schmerzhaft, verglichen mit der absolut
schmerzlosen intravenösen Methode.
Nach der ersten Einspritzung gebe ich
meinen Patienten weitere 4 bis 5 Ein¬
spritzungen in derselben Weise, wie vor¬
hin erörtert, indem ich die zweite Ein¬
spritzung nach 8 bis 10 Tagen der er¬
sten folgen lasse, und zwar brauche ich,
falls die erste Einspritzung reaktionslos
verlaufen war, eine Dosis von 0.45 bis
0.6, zwei Wochen darauf 0.6 bis 0.75
und steigere dann in der letzten Ein¬
spritzung bis auf 0.9 Neosalvarsan oder
Salvarsan in den entsprechenden Dosen.
Gleich nach der ersten Salvarsanein-
spritzung gebe ich wöchentlich eine
Quecksilberinjektion und zwar benutze
ich das fast schmerzlose Salizylqueck-
silber in 10- bis 20prozentiger Emulsion,
wovon ich jedesmal 10 Tropfen in die
Glutaeal-Muskulatur spritze; und gebe
auf diese Weise 10 bis 15 Injektionen.
Damit beschliesse ich einen Kursus der
Behandlung. Vier bis sechs Wochen
später kontrolliere ich den Erfolg der
Behandlung durch eine Wassermann-
Untersuchung. In einer Anzahl der
Fälle wird dieselbe negativ ausfallen und
somit ist die Infektion scheinbar abor¬
tiert.
Sollen wir nun mit jeglicher Behand¬
lung vor der Hand aufhören und den
weiteren Verlauf des Falles nur durch
mehrfache, in bestimmten Zeiträumen
Original from
HARVARD UN1VERSITY
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196
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
wiederholte, Wassermann-Untersuchun-
gen kontrollieren? Viele Autoren ver¬
fahren in dieser Weise und eine grosse
Anzahl von Abortivkuren wurden von
mannigfacher Seite berichtet. Ich selbst
habe eine Anzahl derselben in verschie¬
denen Kliniken drüben gesehen, ja so¬
gar einige davon mit einer luetischen
Reinfektion. Trotzdem halte ich es per¬
sönlich für sicherer, und ich schliesse
mich hier der Majorität an, es nicht mit
einer einzelnen Kur bewenden zu lassen,
sondern den Patienten zwei Jahre lang
zu behandeln, wenn auch serologische
und klinische Symptome fehlen, und
zwar empfehle ich im ersten Jahre zwei
oder drei und im vierten Jahre ein bis
zwei Behandlungskurse.
Haben wir also auf diese Weise unse¬
ren Patienten zwei Jahre lang energisch
behandelt und beobachtet und serolo¬
gisch und klinisch keinerlei luetische
Symptome gefunden, können wir ihn
dann mit absoluter Sicherheit als kuriert
erklären und ihm versprechen, kuriert
zu bleiben? Es ist bis jetzt noch zu
früh, diese Frage mit absoluter Sicher¬
heit zu entscheiden; die Beobachtungs¬
dauer, die uns bisher zur Verfügung
stand, ist eine zu kurze, um definitive
Schlüsse zu ziehen. Ich selbst bin op¬
timistisch genug veranlagt, die Frage
bejahend zu beantworten. Ist der Pa¬
tient jedoch skeptisch oder ist er ein
Heiratskandidat, dann stehen uns noch
zwei weitere Proben zur Verfügung, um
den Status zu eruieren. Die erste Probe
ist die provokative Wassefmann-Unter-
suchung, von Gennerich und M i-
1 i a n vorgeschlagen. Der Patient er¬
hält eine mittlere Dosis Salvarsan und
sein Blut wird zwei Wochen lang unter¬
sucht, in der ersten Woche täglich und
dann am 14. Tage. Sollte irgend eine
dieser Untersuchungen positiv ausfallen,
so würde dies beweisen, dass irgendwo
ein latenter Fokus lebender Spirochäten
gesessen hat, der durch das Salvarsan
aufgerührt wurde, ein genügender Be¬
weis dafür, dass der Patient noch nicht
gänzlich kuriert war. Freilich wird da¬
durch noch immer nicht bewiesen, dass
er infektiös ist, und die Erlaubnis zur
Ehe könnte unter Umständen doch er¬
teilt werden. Die zweite Probe besteht
in der Untersuchung der Cerebrospinal¬
flüssigkeit, besonders in den Fällen in¬
diziert, wo der Patient zu irgend einer
Zeit verdächtige cerebrale Symptome
gezeigt hat, wie z. B. starke Kopf¬
schmerzen und Schwindelanfälle. Die
Cerebrospinalflüssigkeit wird auf die so¬
genannten vier Phasen von Nonne hin
untersucht, bestehend in einem posit.
Blutwasserm., posit. Wasserm., Lym-
phocytose und posit. Globulinreaktion
der Cerebrospinalflüssigkeit. Die Ein¬
zelheiten dieser Untersuchungen sind
mehr oder weniger Laboratorienver¬
suche und gehören kaum in den Rahmen
dieses Vortrags.
In dem Vorausgehenden haben wir
die Behandlung der Syphilis in dem
Primärstadium besprochen. Leider aber
konsultiert die Mehrzahl unserer Pa¬
tienten uns erst, wenn sie es überhaupt
tun, nachdem die sekundären Erschei¬
nungen auf getreten sind. Sie kommen
mit einer Roseola, Haut- und Schleim¬
hautpapeln, einer allgemeinen Adenopa-
thie etc.
Jetzt wird die klinische Diagnose wohl
nicht mehr schwer fallen. Immerhin
wird es doch ratsam sein, auch hier
durch eine Wassermann-Probe die Di¬
agnose vollauf zu bestätigen, und die
Reaktion wird jetzt in 100 Prozent der
Fälle positiv ausfallen. In diesem Sta¬
dium bedeutet der Patient eine grosse
Gefahr für die menschliche Gesellschaft,
da seine Läsionen von Spirochäten
durchseucht sind und eine unschuldige
Infektion durch Berührung leicht genug
stattfinden kann. Im Salvarsan haben
wir hier ein ausgezeichnetes Mittel, die
gefährlichen infektiösen Symptome
prompt zu beseitigen. Aber wir müssen
hier vorsichtig sein. Wie schon oben
erwähnt, könnte jetzt die Wirkung des
Salvarsans zu stürmisch verlaufen, da
die enorme Anzahl der abgetöteten Spi¬
rochäten eine zu grosse Menge gefähr-
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
197
Hoher Endotoxine freisetzen könnte.
Daher werden wir zweckmässiger dem
Salvarsan eine bis zwei Quecksilberin¬
jektionen vorausschicken und dann mit
Salvarsan nachfolgen, in derselben Wei¬
se, wie ich es vorher geschildert habe.
Jetzt können wir kaum mehr eine Abor¬
tivkur erwarten; die Rezidive werden
zahlreich sein trotz rationeller Therapie.
Wir werden daher intermittierende
Quecksilber-Salvansankuren je nach den
Symptomen drei bis fünf Jahre lang, ja
mitunter noch länger einschlagen müs¬
sen und uns auf den Wassermann-Aus¬
fall verlassen, indem ein positiver Was¬
sermann als ein Symptom von Syphilis
betrachtet und demgemäss behandelt
werden muss, während ein negativer
Wassermann in prognostischer und the¬
rapeutischer Hinsicht nicht absolut ent¬
scheidend ist. Heidingsfeld in
Cincinnati hat an der Hand von 442
Fällen, die er lege artis etwa 2 1 / 2 Jahre
behandelt hatte, ausgefunden, dass nur
77 Prozent derselben wiederholt einen
negativen Wassermann aufweisen. In 23
Prozent blieb der Wassermann positiv
trotz aller Behandlung und trotz Abwe¬
senheit alher klinischen Symptome.
Was soll man nun mit diesen soge¬
nannten latenten Fällen anfangen, wo
scheinbar die Spirochäten salvarsan-
und quecksilberfest geworden sind ?
Soll man hier in einer energischen Be¬
handlung beharren? Heidingsfeld
hat gezeigt, dass seine Resultate besser
waren, wenn er solche Fälle nicht mehr
spezifisch behandelte, sondern nur To¬
nika anwandte oder andere Arsenikprä¬
parate wie z. B. das Natrium cacody-
latum. Auf diese Weise gelang es ihm
schliesslich, einige dieser persistierenden
positiven Wasermann-Reaktionen in ne¬
gative umzustimmen.
In den Spätstadien der Lues, allge¬
mein als Terziärstadium bekannt, wo
ausser Haut und Schleimhäuten auch die
inneren Organe affiziert werden, dürfen
wir in der Therapie neben Salvarsan und
Quecksilber unseren alten Freund und
Beistand, das Jodkalium nicht vergessen.
Man fängt mit kleineren Dosen an, und
hat der Patient kein Idiosynkrasie ge¬
gen Jod, soll man die Dosen bald bis
auf 6 bis 8 Gramm einer konzentrierten
Lösung pro die steigern, am besten in
Milch oder Vichy verabreicht. Jodkali
muss auch in allen malignen Formen der
Lues angewandt werden. Hier aber hat
das Salvarsan seine glänzendsten Resul¬
tate gezeigt, ja ist in vielen Fällen so¬
gar zum Lebensretter geworden. Fort¬
schreitende Läsionen, die früher durch
Knochenzerstörung zu argen Ver¬
stümmlungen oder durch Perforation
grosser Blutgefäse zum Tode geführt
hätten, können jetzt mitunter durch eine
Salvarsaneinspritzung zum Stillstand
gebracht werden. Ausser Salvarsan ver¬
wenden wir hier auch zweckmässiger
das energischer wirkende Kalomel an¬
statt des Quecksilbersalizylats und zwar
in derselben Stärke wie dieses und auch
in Emulsionform.
Wenn man die Cerebrospinalflüssigkeit
aller Luetiker untersucht, so findet man
in einer überraschend grosen Anzahl pa-
thologi sehe V eränderungen derselben,
nach Ravaut z. B. in 70 Prozent aller
sekundären Luesfälle. F o r d v c e be¬
hauptet in einer Abhandlung über die
Behandlung der Syphilis des Nerven¬
systems, die neulich erschienen ist, dass
sobald die Spirochäten sich in dem
menschlichen Organismus verbreiten,'
das Nervensystem auch dabei schwer
ergriffen wird. Das kann sich in einer
Meningitis mit klinischen Symptomen
zeigen oder ohne klinische Symptome
und nur mit Veränderungen in der Ce¬
rebrospinalflüssigkeit, die glücklicher¬
weise jedoch nur in einer verhältnis¬
mässig geringen Anzahl der Fälle spä¬
terhin zu organischen Veränderungen
des Nervensystems führen. Es ist fer¬
nerhin erwiesen, dass das Centralnerven¬
system sehr früh ergriffen wird. Cere¬
brale Lues ist schon vier Monate nach
der Infektion festgestellt worden, und
ich selbst habe einen Fall von cerebraler
Facialisparese gleichzeitig mit einer be¬
stehenden Roseöla gesehen. Auch
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HARVARD UNIVERSUM
198
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
N a u n y n behauptet an der Hand eines
sehr grossen Untersuchungsmaterials,
dass die Infektion des Nervensystems im
ersten Jahre nach der Infektion statt¬
findet und späterhin die Häufigkeit ab¬
nimmt. Noguch i’s Entdeckung le¬
bender Spirochäten in den zentralen
Nervengeweben von Paresis- und Ta¬
besfällen hat zweifellos erwiesen, dass
diese Erkrankungen nicht mehr in die
Gruppe der meta- oder parasyphiliti¬
schen Erscheinungen gehören, wie man
zuvor glaubte, sondern als echte Fälle
cerebraler und spinaler Lues aufgefasst
werden müssen. Salvarsan würde mit
grosser Erwartung in diesen Fällen an¬
gewandt, aber leider waren die Resul¬
tate sehr entmutigend, bei Parese durch¬
aus nicht besser als früher; bei Tabes
sah man in manchen Fällen eine geringe
Beserung einiger Symptome. In den
sonstigen Fällen von cerebraler Lues,
wie Gummata, Arteriitis und seröse
Meningitisformen sind die Erfolge je¬
doch erheblich besser als bei alleiniger
Behandlung mit Quecksilber und Jod.
Seitdem man aber die früher erwähnten
pathologischen Veränderungen der Ce¬
rebralflüssigkeit in all diesen Fällen ge¬
funden hat, ist man auf die Idee gekom¬
men, das Salvarsan direkt dem Cerebro¬
spinalkanal einzuverleiben, indem man
annahm, dass aus anatomischen Ur¬
sachen das Salvarsan in das Blut einge¬
spritzt gar nicht in die Cerebrospinal¬
flüssigkeit hineingelangte und deswegen
nicht mit den dort deponierten Spiro¬
chäten in Berührung kam. Seitdem man
diese direkte intraspinale Methode an¬
wendet, sind die therapeutischen Erfolge
viel besser. Leider aber ist die Methode
doch noch zu jung, um definitive
Schlussfolgerungen zuzulassen.
Bei der Behandlung der kongenitalen
und acquirierten Lues der Kinder wen¬
den wir jetzt auch das Salvarsan an.
Auch hier ist die intravenöse Methode
die beste; leider ist die Technik natur-
gemäss schwieriger als bei den Erwach¬
senen ; wenn wir die Medianvene in der
Ellbogengegend wählen, werden wir die¬
selbe meistens freilegen müssen. Um
dieses zu vermeiden, hat man* die Jugu-
larvene benutzt oder, wie Holt em¬
pfohlen hat, die Postaurikularvenen, die
besonders beim Schreien des Kindes
sich anspannen und auf diese Weise das
Eindringen der Nadel erleichtern. Für
Kinder bis zu acht Monaten wird man
ungefähr 0.075 Neosalvarsan anwenden,
für ältere Kinder ungefähr 5 mmg pro.
Kilo Körpergewicht. Von den Queck¬
silberpräparaten empfiehlt sich Kalomel,
das sehr gut vertragen wird, weniger
Inunktionen mit grauer Salbe, bei ganz
kleinen Kindern sind Sublimatbäder
sehr zweckmässig.
Aus dem Vorstehenden erscheint es
wohl klar, das wir in dem Salvarsan ein
ganz vorzügliches Mittel in der moder¬
nen Syphilistherapie besitzen. Wir
müssen darüber aber nicht vergessen,
dass dasselbe durchaus kein gleichgülti¬
ges Mittel ist und um es mit Sicherheit
anwenden zu können, müssen wir auch
mit seinen Nebenerscheinungen, Kon¬
traindikationen und möglichen Gefah¬
ren vollkommen vertraut sein. Es wird
uns dieses sofort klar werden, wenn wir
bedenken, dass Salvarsan 34 Prozent
reines Arsenik enthält. Die Chemie
lehrt uns, dass Arsenik Albumen koagu¬
liert und dass die Funktion einer Zelle,
die gereizt ist und besonders einer
exkretorischen epithelialen Zelle, durch
Arsenik entweder behindert oder in hö¬
herem Grade ganz und gar aufgehoben
werden kann. Ist die Niere ergriffen,
so wird Anurie einsetzen, die Uriüaus-
scheidung wird unmöglich gemacht, das
Arsenik wird sich im Körper anhäufen
und schliesslich Vergiftungserscheinun¬
gen hervorrufen. Daher muss man von
vorne herein solche Fälle ausschliessen,
bei welchen die Ausscheidung des Ar¬
seniks erschwert oder unmöglich er¬
scheint, so z. B. bei Erkrankungen der
Nieren, der Leber und des Darmkanals.
Ferner ist es ratsam, Fälle von schwe¬
ren Cirkulationsstörungen wie unkom-
pensierte Klappenfehler, vorgeschrittene
Myocarditiden, Aneurysmen, schwere
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New Yoft ku Medizinische Monatsschrift.
199
Arteriosklerose auszuschliessen, auch
vorgeschrittene Tuberkulose, Alkoholis¬
mus und alle kachektischen Zustände
werden eine Kontraindikation darstellen
oder wenigstens zu sehr grosser Vor¬
sicht mahnen,. ausser wenn diese Zu¬
stände direkt durch die Lues verursacht
waren.
Beobachtet man alle diese Vorsichts-
massregeln genau, dann werden N e i s-
s e r zufolge 99.9 Prozent aller Salvar-
saneinspritzungen symptomlos verlaufen
oder wenigstens nur von ganz geringer
Reaktion gefolgt sein, wie z. B. geringer
Temperatursteigerung, leichtem Erbre¬
chen oder Durchfall. Diese Symptome
treten gewöhnlich vier bis fünf Stunden
nach der Einspritzung auf, um dann am
nächsten Tage vollständig zu verschwin¬
den. Wechsel mann und andere
behaupten, dass diese Erscheinungen
garnichts mit dem Salvarsan zu tun ha¬
ben, sondern durch tote saprophytische
Bakterien, die sich in dem abgekochten
Wasser anhäufen, odei» durch Bei¬
mischungen von Blei und anderen me¬
tallischen Substanzen, die von den Glas-
ntensilien herrühren, verursacht werden,
der sogenannten Glas- oder Wasserfeh¬
ler. Diese Erklärung erscheint doch et¬
was gekünstelt und wird auch heutzu¬
tage von den meisten Autoren nicht
mehr anerkannt. Es scheint doch,
•das die oben erwähnten Symptome leich¬
te Vergiftungserscheinungen sind, die
durch das Arsenik hervorgerufen wer¬
den.
Ein weiteres toxisches Phänomen ist
•die sogenannte Jarisch-Herzheimerische
Reaktion, eine vasomotorische Störung,
die sich in den verschiedenen Organen in
verschiedenem Grade zeigt. Die spezi¬
fischen Läsionen erscheinen dabei mehr
ausgesprochen, die Roseolen erscheinen
z. B. grösser und in einer dunkler roten
Farbe. Die Ursache dieser Reaktion
wird von den meisten Autoren so er¬
klärt, das die Endotoxine, die während
<ies Abtötens der Spirochäten frei wer¬
den, die Kapillaren dilatieren und da¬
durch in den umliegenden Geweben ein
Oedem verursachen.
Von manchen Autoren ist auch das
Erscheinen der so sehr gefürchteten
Neurorezidive als eine späte Herzhei¬
merische Reaktion erklärt worden. Die¬
se Xeurorezidive sind Paresen oder Pa¬
ralysen von Gehirnnerven, besonders ist
der Acusticus, Opticus und Facialis be¬
troffen. Auch meningitische Reizer¬
scheinungen, die zu epileptiformen At¬
tacken führen, gehören hierher. Eine
ziemlich grosse Anzahl dieser Fälle wur¬
de am Anfang der Salvarsanära beob¬
achtet. Die Erfahrungen mit Atoxyl,
das zu totaler Blindheit in einer Anzahl
von Fällen geführt hatte, war noch
frisch im Angedenken der Profession,
und natürlich erhob sich auch ein
grosser Protest gegen Salvarsan. Dem
gegenüber versuchte Ehrlich, unter¬
stützt von N e i s s e r und Wechsel¬
mann, zu beweisen, dass es nicht das
Salvarsan sein könne, das diese Neuro-
rezidive verursachte, da die beste Be¬
handlung für diese Fälle eine prompte
weitere Salvarsaninjektion sei. Sie be¬
haupteten, dass die Ursache in einer un¬
genügenden Behandlung läge, wobei ei¬
nige Herde von nicht abgetöteten Spiro¬
chäten zurückblieben, besonders in der
Cerebrospinalflüssigkeit, wo ein Ein¬
dringen des -Salvarsans durch Diffusion
nicht hatte stattfinden können. Diese
zurückgebliebenen Herde werden daher
durch die Behandlung nur irritiert und
nehmen den Charakter einer primären
Läsion an, d. h. sie rufen eine schwere
lokale entzündliche Reaktion hervor,
wobei die Nerven durch Druck affiziert
werden, besonders an den Stellen, an
welchen sie durch enge Foramina aus
dem Schädel austreten.
Im Gegensatz zu Ehrlich und sei¬
nen Anhängern behauptet Finger und
andere, dass das Salvarsan infolge sei¬
ner neurotropischen Eigenschaften einen
Locus minoris resistentiae im Central¬
nervensystem herbeiführe, sodass der
syphilitische Prozes dort eher einen fe-
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200
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
sten Fuss fassen könne, oder aber, dass
das durch die Syphilisinfektion ge¬
schwächte Nervensystem einen geringe¬
ren Widerstand der toxischen Wirkung
des Salvarsans darböte. Wieder andere
Autoren entlasten das Salvarsan gänz¬
lich und behaupten, dass diese Neuro-
rezidive in der natürlichen Folge der
Krankheit früher oder später doch von
selbst aufgetreten wären. Was nun auch
die wirkliche Ursache dieser Neurorezi-
dive sein mag, die Tatsache steht fest,
dass wir dieselben heutzutage viel selte¬
ner sehen, seitdem wir nicht mehr ver¬
einzelte grosse Dosen von Salvarsan an¬
wenden und seitdem wir Quecksilber mit
dabei benutzen.
Glücklicherweise verlaufen die Neu-
rorezidive in den meisten Fällen nicht
tötlich. Leider aber sind auch Todes¬
fälle nach Salvarsananwendung vorge¬
kommen und werden, wie ich befürchte,
auch in der Zukunft auftreten, aber hof¬
fentlich viel seltener als in der Vergan¬
genheit.
Meutberger in Strassburg hat
274 Salvarsan- und Neosalvarsantodes-
fälle bis zum Januar 1914 zusammenge¬
stellt. Schmitt in Würzburg hat
nach eingehender Revision dieser Fälle
die Anzahl auf 172 reduziert, da 102
Fälle nicht genügend erwiesen waren.
Von diesen 172 Fällen waren die Mehr¬
zahl leider junge Leute zwischen 20 und
40 Jahren, die ausser ihrer Lues sonst
vollständig gesund waren. Die Todes¬
fälle passierten in allen Stadien der
Lues und unabhängig von der Anzahl
und Dosis der Salvansaneinspritzungen.
Man kann diese Todesfälle gewisser-
massen in drei Gruppen teilen. In der
ersten Gruppe starben die Patienten
ganz plötzlich nach der Einspritzung,
ohne vorher irgendwelche alarmierende
Symptome zur Schau getragen zu ha¬
ben.
In der zweiten Gruppe entwickelten
sich die Symptome mehr subakut einige
Tage nach der Injektion. Sie bestanden
in heftigen Kopfschmerzen, allgemeiner
Körperschwäche, heftigem Erbrechen,
Diarrhoe, Sphinkterenlähmutlgep, Atem¬
not, Cyanose, Konvulsionen, schliesslich
Koma und Exitus nach drei bis vier Ta¬
gen. Bei der Autopsie hat man gewöhn¬
lich eine seröse Meningitis und hämor¬
rhagische Encephalitis gefunden.
In der dritten Gruppe fand man voll¬
ständige oder partielle Harnverhaltung*
Hämaturie und Konvulsionen, die in ei¬
nigen Tagen tötlich verliefen. Hier er¬
wies die Autopsie eine hochgradige De¬
generation der Nieren und der Leber*
geradeso wie man sie experimentell nach
Arsenikvergiftung findet.
Aber sogar in diesen verzweifelten
und scheinbar hoffnungslosen Fällen ist
neuerdings ein Mittel empfohlen wor¬
den, das in vielen Fällen die Katastrophe
abzuwehren scheint. Auch dieses war
das Verdienst E h r 1 i c h's. In dem
British Medical Journal vom Mai 1914
in der Diskussion über die Salvarsan-
todesfälle, die durch eine hämorrhagi¬
sche Encephalitis verursacht waren*
weist er auf die enorme Dilatation der
Blutgefässe hin, die man stets ln diesen
Fällen vorfand und behauptet, dass der
normale Regulator des Blutgefäss¬
systems, das Adrenalin, dort nicht in
genügender Menge vorhanden war, ge¬
radeso wie bei Addison scher Krankheit
und bei hypoplastischen Prozessen der
Nebennieren, wodurch ein sogenannter
Status thymo-lymphaticus hervorge¬
rufen wurde.
M i 1 i a n in Paris war der erste,
der bewies, dass in den Fällen, in wel¬
chen während der Salvarsaninjektion
eine blaurote Schwellung des Gesichtes
und der Lippen und gleichzeitige Dys¬
pnoe eintrat, eine prompte Adrenalin¬
einspritzung den Status lymphaticus
zum Verschwinden brachte oder dass er
gamicht auftrat, wenn Adrenalin vor
dem Salvarsan injiziert wurde. Auch
bedenkliche Symptome von schweren
Durchfällen und von Harnverhaltung
wurden durch wiederholte Adrenalin¬
anwendung beseitigt, ja sogar einen
scheinbar hoffnungslosen Fall von hä¬
morrhagischer Encyphalitis will er auf
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HARVARD UNIVERSUM
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New Yoekek Medizinische Monatsschrift.
201
diese Weise gerettet haben. Auch von
anderer Seite sind seitdem ähnliche Re¬
sultate mit diesem Mittel beobachtet
worden.
Wenn wir aber auch zugeben müssen,
dass das Adrenalin keine Panacaea in
allen diesen verzweifelten Fällen in der
Zukunft sein wird, heben nicht die un¬
zähligen glänzenden Erfolge, die wir,
seitdem Ehrlich uns das Salvarsan
gegeben hat, mit diesem Mittel erzielt
haben, die verschwindende Anzahl der
Todesfälle auf? Wir müssen daher zu¬
geben, dass das Salvarsan in Verbin¬
dung mit Quecksilber vorläufig unser
bestes Mittel in der Therapie der Sy¬
philis ist und es wäre sicherlich irra¬
tionell, ohne dieses Mittel fertig werden
zu wollen, wie von mancher Seite gera¬
ten wird.
Ueber Fieber mit Berücksichtigung der menschlichen
Eigenwärme.*
Von Dr. Armbruster, Schweinheim.
Wenn ein warmblütiges Kaninchen in
einen Wärmekasten von 36 Grad C. ge¬
setzt wird, so steigt die Temperatur auf
41 bis 42 Grad C.; bei 40 Grad in der
Umgebung erhöht sich seine Körper¬
temperatur auf 44 bis 45 Grad und nach
einiger Zeit tritt dann der Tod durch
Lähmung der nervösen und kontraktilen
Apparate besonders des Herzens ein.
Vor diesen Lähmungserscheinungen
zeigt sich enorme Beschleunigung der
Atmung und der Herzkontraktionen.
Aus diesem Versuch erkennt man,
dass die Körpertemperatur sich nie mit
der Temperatur des umgebenden Me¬
diums bei Warmblütlern ausgleicht; sie
steigt, so weit es ihr die Lebensbedin¬
gungen erlauben, ziemlich proportional
mit der Erhöhung der Aussentempera-
tur. Die Wärmestrahlung hat hier nach
aussen aufgehört, und da der Körper bei
seinem hohen Wassergehalt ein schlech¬
ter Wärmeleiter ist. so bringt auch die
Leitung bei einem entsprechenden Was¬
serbad keinen genügenden Ausgleich
hervor. Der Schweiss sucht durch
Wärmeabgabe mit seiner Kälte erzeu¬
genden Verdunstung möglichst lange
vor Ueberhitzung zu bewahren. In
trockner Luft von 55 bis 60 Grad ist
aber selbst die profuseste Schweiss-
sekretion nicht mehr imstande vor
*Aus D. med. Presse, 1915, No. 3.
Ueberhitzung zu schützen und in feuch¬
ter Luft, die weniger Ausdünstung zu¬
lässt, genügen noch weniger Grade.
Aus diesem Versuch erkennt man fer¬
ner, das auch die Warmblüter und da¬
her auch der Mensch in ihrer Eigen¬
wärme von der Aussentemperatur ab¬
hängig sind. Darauf beruhen die Ta¬
gesschwankungen, indem Nachmittags
die erhöhte Wärmestrahlung der Erde
die Körperstrahlung hemmt. Wenn im
Sommer die Hemmung nicht stärker ist
als im Winter, so weist der trügerische
Temperatur sinn auf die vorzügliche Ur¬
sache hin, die in einer körperlichen Ak¬
komodation an das umgebende Medium
besteht. Daher findet der Mensch einen
Keller im Winter warm, im Sommer
kühl trotz konstanter Lufttemperatur;
sonst wäre auch ein Aufenthalt der nor¬
dischen Bewohner in der heissen Zone
undenkbar. Die ausgleichende Körper¬
strahlung vor allem verfügt der Luft
gegenüber über erhebliche Reserve¬
kräfte, die durch diese Akkomodation
zur Geltung kommen. Da die Tempe¬
ratur des menschlichen Embryos nur um
l / 2 Prozent C. etwa und ziemlich kon¬
stant höher ist als die mütterliche, so
haben die lebenstätigen Zellen schon die
entsprechende Anpassung ererbt und
zwar infolge des Fruchtwassers, das
statt Strahlung die intensivere Leitung
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202
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
auslässt. Zudem bleibt das Fruchtwas¬
ser bei seiner Wärme innerhalb der
menschlichen Temperaturgrenzen. Die
normale Eigenwärme schwankt durch
solche vererbten Ursachen beim Schafe
zwischen 38 bis 41 Grad, bei Schweinen
zwischen 38.5 bis 40.0 Grad, bei Vögeln
zwischen 39.4 bis 43.9 Grad C.
Eine körperliche Temperaturerhö¬
hung von aussen her, die schlechthin
ebenfalls Fieber genannt wird, weil sie
so selten vorkommt, ist meist beruflicher
Art, z. B. bei Geologen zu finden, wel¬
che den Vulkanismus oder eine heisse
Quelle in ihrer zugänglichen Tiefe er¬
gründen wollen. Gar rasch gewöhnt
sich sonst der Mensch, wie die Heizer,
an eine erhöhte Temperatur, und nur
bei Jünglingen weist bisweilen patholo¬
gisch Akne auf den Beruf mit der aus-
trockenden Haut hin, der ihren Talg
konsistenter macht. Das Fieber ent¬
steht eigentlich nicht von aussen, son¬
dern von innen und ist nur durch einen
Vergleich mit dem angeführten Versuch
eines Kaninchens leichter ätiologisch zu
erkennen.
Der praktische Arzt vermag nament¬
lich bei Puerperalfieber unschwer wahr¬
zunehmen, dass enorme Temperatur¬
steigerungen durch Schüttelfröste ein¬
geleitet werden. Das dabei vorhandene
Kältegefühl entsteht durch die Vasokon¬
striktoren, die plötzlich und intensiv ge-
wissermassen in tetanischer Form sich
2 usammeriziehen und dadurch bei feh¬
lender Blutzufuhr einen Schüttelfrost
hervorrufen. Eine analoge Erscheinung
ist das zuerst bei Kälte eintretende
Blasswerden der Haut. Unmittelbar
nach dem Schüttelfrost gibt es eine Ge-
fässlähmung, der Puls wird gespannt
wie stets bei Fieber. Die Spannung löst
erhöhte fortbewegende Kraft der Tu-
nica media aus, die durch die nunmehr
aufgehobene Elastizität der Tunica inti-
ma als Reservekraft ähnlich wie bei Ar¬
terienverkalkung zur Geltung kommt.
Die Elastizität der Intima wird aufge¬
hoben durch Lähmungserscheinungen,
die bei Kälte nach der erwähnten Zu¬
sammenziehung eine Hyperämie erzeu¬
gen, ferner durch die veränderten Be¬
ziehungen zwischen Blut und Intima,
wodurch bei der Intima des Herzens,
dem Endokard, akzidentelle Geräusche
entstehen, was eine vermehrte Reibung
anzeigt.
Damit sind wir beim Fieber* ange¬
langt. Der Blutstrom ist bekanntlich
eine zweifache Wärmequelle. Einmal
erzeugt er Wärme durch die Fortbewe¬
gung und durch Reibung an den Gefäss-
wänden, sodann verteilt er rasch die
Wärme gleichmässig im Bereich des
ganzen Körpers. Bei Fieber steigt die
Pulsfrequenz mit der Temperatur, so¬
lange keine hyperpyretischen Lähmun¬
gen eintreten. „Die Arten nehmen neue
Eigenschaften an und können sie fort¬
erben, wenn sie dem Kampf ums Da¬
sein dienlich sind,“ heisst ein Fundamen¬
talgrundsatz der modernen Wissen¬
schaft. Hier bei der erhöhten Puls¬
frequenz kann er gut Anwendung fin¬
den. Jene Individuen smd gerade er¬
halten geblieben, denen bei Infektion
das Herz rascher zu schlagen begann*
was mit der Lungendyspnoe in der
durch Wärme verdünnten Luft zusam¬
menhängt, indem dadurch eine dör Ent¬
lastung des Herzens günstige Vermin¬
derung des systolichen Blutquantums,
ferner eine grössere Hemmung des stär¬
ker strömenden Blutes gegen erfolg¬
reiche Ansiedlung von Bakterien auf¬
trat und schlieslich durch vermehrte*
Reibung des Blutes an den Gefässwän-
den eine die Bakterien tötende erhöhte
Temperatur sich einstellte. Im Laufe
der Jahrtausende ist dann durch ner¬
vöse Einflüsse, wobei der Vagus na¬
mentlich sowohl bei der Atmung als
auch beim Herz eine bedeutungsvolle
Rolle spielt, die günstige Pulserhöhung
bei Fieber Regel geworden.
Bedenkt man ferner bei Infektion,
dass sich im Blute reichlich organisierte
Fremdkörper, kleine Lebewesen, finden,
die erhöhten Stoffwechsel verursachen
und dadurch Wärme erzeugen, so hat
man eine weitere Ursache für Tempe-
Qriginal fro-m
HARVARD UNIVERSITY
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
203
raturerhöhung beim Fieber der Infek¬
tionskrankheiten gefunden. Bei Giften
anorganischer Natur entsteht ebenfalls
Fieber, wenn sie ins Blut gespritzt wer¬
den. Es tritt dadurch unter anderm ei¬
ne vermehrte Tätigkeit der entsprechen¬
den Blutbestandteile gegen das Gift ein,
die ebenfalls Wärme auslöst; um so
mehr ist dies der Fall bei Infektion
durch die lebhaftere Tätigkeit der Pha¬
gozyten, wenigstens kann hier leichter
„die erhöhte Wärme in diesen knappen
Ausführungen erklärt werden.
Somit entsteht die fieberhafte Tem¬
peraturerhöhung bei Infektionskrank¬
heiten :
1) durch erhöhte Reibung des Blutes
an den Gefässwänden:
2) durch erhöhten Stoffwechsel, wo¬
zu die Bakterien als kleine Lebewesen
beitragen;
3) durch erhöhte Tätigkeit der Pha¬
gozyten..
Aber es sind nicht bloss regulative
Nerveneinflüsse dabei, durch die ziem¬
lich genau bei 1 Prozent C. Temperatur¬
erhöhung acht Pulsschläge mehr ausge¬
löst werden. Die Nerven bewirken auch
und zwar aus Utilitätsprinzip vermehr¬
tes Fieber, wodurch bei Infektions¬
krankheiten den Erregern der Opti¬
mumboden entzogen wird, sodass sie
sich der neuen Körpertemperatur anzu¬
passen suchen, anfangs oftmals virulen¬
ter werden und als solche durch Ver¬
drängung der schwächeren Keime sich
nur fortpflanzen, was eine Exazerbation
der Epidemie bedeutet, dadurch aber wie
Obstfrüchte durch Ueberreifen teigig
werden, zugrunde gehen; infolgedessen
kommt eine Epidemie zum Erlöschen.
Der fehlende Schweiss, der erschwerbar
künstlich bei infektiöser Temperatur¬
steigerung hervorgerufen werden kann,
deutet darauf hin, dass hier nervöse Ein¬
flüsse die Verdunstung hintanhalten, um
die Erreger zu zerstören.
Was die Arten des Fiebers betrifft, so
entsteht Fieber:
1) durch Temperaturerhöhung des
umgebenden Mediums, wie der erwähn¬
te Versuch mit dem Kaninchen beweist,
was im eigentlichen Sinne jedoch nicht
Fieber genannt werden sollte;
2) durch mancherlei infektiöse Erre¬
ger vor allem, worunter namentlich sol¬
che, welche akute Krankheiten erzeugen,
anzuführen sind;
3) durch Gifte, am ehesten in seltene¬
ren Fällen, wenn sie direkt dem Blute
einverleibt werden. Da der Pulsschlag
durch T emperatu rerhöhung vermehrt
wird, werden sie oft schon dadurch un¬
wirksam aus dem Körper ausgeschieden,
was bei den Uranfängen des menschli¬
chen Lebens und noch früher für Er¬
kennung von den der Nahrung dienli¬
chen Früchten von hohem Wert war,
namentlich auch zur Verbreitung des
Menschengeschlechts in alle Zonen;
4) durch unbekannte Ursachen, wie
Obduktionen bisweilen beweisen. Hier
sind auch nervöse Einflüsse anzuführen.
Zum Schluss sei noch auf die eigen¬
artige Erscheinung hingewiesen, dass
die Tagesschwankungen der körper¬
lichen Temperatur, wenn diese vorüber¬
gehend z. B. durch intensive Arbeit er¬
höht wird, sich ausgleichen, sodass die
Endsumme des Tages ungefähr stets
dieselbe ist. Es sind hier wohl ebenfalls
nervöse Einfliise im Spiele, mehr noch
die Wärmekapazität der lebenstätigen
Zellen, die durch diese Ausgleichung
ihre Lebenskraft unvermindert zu erhal¬
ten suchen. Gerade für sie hat auch die
Natur jene Kontraktion der Gefässe ge¬
schaffen, die Schüttelfrost hervorruft,
sobald das Blut durch pathogene Keime
durchsetzt wird. Dadurch sucht sie
nochmals das Gewebe von diesen Kei¬
men fernzuhalten und ihnen einen Nähr¬
boden zu verwehren. Auch durch diesen
Tagesausgleich wird eine tropische Ak¬
komodation den Bewohnern anderer
Zonen ermöglicht, indem sich die Zel¬
len besser wieder erholen können, um in
der Tageshitze neue, seither ungewohnt
hohe Aussenwärme wieder aufzuneh¬
men.
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204
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
Das permanente Warm-Wasserbad, das rationelle
Heilmittel für Tetanus.*
Von Dr. A. Rose, New York.
In der französischen Zeitung von New
York vom 6. November findet sich ein
Artikel „Heilung des Tetanus. Wunder¬
bare Entdeckung eines Arztes in den
Ardennen.“ Der Artikel lautet: „Eine
der auffallendsten Erscheinungen des
gegenwärtigen Krieges ist das ausser¬
ordentlich häufige Vorkommen von Te¬
tanus unter den Verwundeten. Alle
Hospitäler beklagen dieses Uebel, gegen
das die medizinische Wissenschaft
machtlos ist. Dr. Delorm e, Ober¬
arzt des französischen Sanitätskorps,
gibt die Unmöglichkeit zu, vorgeschrit¬
tene Fälle zu heilen. Er sagt, 89 Pro¬
zent solcher Fälle verlaufen tötlich, und
dass er nur Palliative empfehlen könne.
Dr. Blake vom amerikanischen Ambu¬
lanz-Korps sagt, dass Tetanus das ern¬
steste Problem sei, mit dem die Aerzte
während dieses Krieges sich zu beschäf¬
tigen hätten und er glaubt, dass prophy¬
laktische Inokulation von antitetani-
schem Serum an allen Verwundeten
auf dem Schlachtfeld das einzige Mittel
gegen die Kalamität sei. Diese Inoku¬
lationen jedoch haben vorgeschrittene
Fälle nicht geheilt. Es ist berichtet
worden, dass viertausend solcher Fälle
letal verliefen. „Dr. Doyen, heisst es
ferner in dem Artikel, der berühmte
Chirurg, hat von der Entdeckung eines
neuen Heilmittels gesprochen, eines
Heilmittels, das ein Arzt in den Arden¬
nen entdeckt habe. Es ist ein neues Se¬
rum. die Zusammensetzung desselben ist
in den französischen Zeitungen nicht an¬
gegeben. Der Entdecker behauptet, in
80 Prozent Heilung erzielt zu haben.
Zugleich mit der Inokulation des Serums
macht er intravertebrale Injektionen
von Chloral.
Die Doktoren A. P. C. A shurst
und R. L. J o h n fragen in einem Arti-
# Aus I). m. Presse, 1915, Nr. I.
kel :** „Gibt es eine rationelle Behand¬
lung des Tetanus?“ Sie nehmen an, dass
eine Behandlung rationell ist, wenn sie
auf Kenntnis der Pathogonia (sie nen¬
nen es mit dem barbarischen Wort Pa-
thogenosy) der betreffenden Krankheit
beruht und glauben, dass im Fall von
Tetanus solche Kenntnis vorliegt.
Die Entdeckung des Bacillus tetani
und seine Züchtung hat bewiesen, dass
der Tetanus eine Infektionskrankheit ist.
Alle bisherigen Behandlungen, selbst er¬
folgreiche, sagen die Verfasser, waren
rein empirische. Sie behaupten, dass
Inokulation mit antitetanischem Serum
eine rationelle Behandlung ist, trotzdem
dieser Behandlung gerade das Wesent¬
lichste fehlt, die Heilung. Es gibt nun
aber eine rationelle, auf wissenschaftli¬
chen Tatsachen beruhende Behandlung,
bei der man wirklich Heilung erzielt, die
den Verfassern unbekannt ist.
Das Warm-Wasserbad ist das empiri¬
sche Heilmittel des Tetanus seit Hippo-
krates gewesen, jetzt aber, da wir po¬
sitive Beweise haben, dass es die Pro¬
dukte der Infektion und der Entzün¬
dung durch die Blutzirkulation aus dem
Körper entfernt, jetzt, da wir ein System
seiner Anwendungsweise kennen, ist es
nicht mehr ein empirisches, sondern ein
wirklich rationelles Heilmittel.
Ehe die spezifische Wirkung des
Warm-Wasserbades, nämlich Elimina¬
tion der Produkte von Entzündung und
Infektion demonstriert wurden, ehe eine
systematische Anwendung festgestellt
wurde, war es bekannt, dass das Bad
sehr guten Erfolg bei Tetanus, Cerebro¬
spinalmeningitis, infantilen Konvulsio¬
nen und einer grossen Anzahl von Ner¬
venerkrankungen hat. dass es Hypere¬
rethismus reduziert und dass es ein ide¬
ales Mittel ist, Schmerz zu stillen.
**The Rational Treatment of Tetanus. American
Journal of the Medical Sciences. June and July, 1913.
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
305
Dr. Paul G u e r c h e hat in seiner
Dissertation „Balneotherapie dans les
Tetanos. De l’emploi des bains chauds
dans le traitement du Tetanos. Pon-
toise 1910“ eine sehr wertvolle Geschich¬
te und Kasuistik gegeben, aus der ich
hier einen Auszug mitteile.
B a y o n von Cayenne, der in der letz¬
ten Hälfte des 18. Jahrhunderts lebte,
hielt warme Bäder für das beste Mittel,
konvulsive Muskelkontraktionen zu er¬
schlaffen und Tetanus zu heilen. Viele
Chirurgen dieser Zeit teilten diese Mei¬
nung.
Chalmes hielt das warme Bad für
das beste Mittel, Disphagie zu heben.
Martin de Padro, Larrey,
Christie (1812), Cramer (1837),
R i e s s sprechen über die Behandlung
des Tetanus mittels des Warm-Wasser-
bades.
B e g i n war der erste, soweit ich aus
der Literatur ersehen kann, der erwähnt,
dass die Bäder, um erfolgreich zu sein,
von langer Dauer sein müssen.
Simon D a w o s k y berichtet den Fall
eines jungen Mädchens, das von Teta¬
nus befallen wurde, nachdem es durch
einen Nagel verletzt worden, der in dem
Fuss geblieben war und nur mit Mühe
herausgezogen werden konnte. Die
Kontraktionen und Spasmata hatten al¬
ler Behandlung widerstanden, sie genas
aber in sehr kurzer Zeit, als ihr warme
Kamillenbäder gegeben wurden.
Hasse berichtet (in einem Werke
Virchow’s angeführt) über vier Fälle
von Tetanus, in denen durch Warm-
Wasserbäder grosse Erleichterung er¬
zielt wurde und die sämtlich genasen.
Foment berichtet im Jahre 1859
den Fall eines Mannes von 43 Jahren,
der durch das Warm-Wasserbad von
Tetanus kuriert worden ist.
L a s e 1 a n c beschreibt einen Fall, in
dem 29 Bäder von 38 Grad und 2 bis 3
Stunden Dauer gegeben wurden, Gene¬
sung. (Bullet, gen. de Therapie 1864.)
K r a u s s gibt in der Allgem. Wien,
med. Ztg. 1865 eine bemerkenswerte Be¬
schreibung der Wirkung des permanen¬
ten Bades im Fall von Tetanus.
Lederer beschreibt in der Wiener
med. Presse 1965 einen Fall, in welchem
das Bad Erfolg erzielte, nachdem Nar¬
kotika keinen Nutzen gebracht hatten.
Dionis des Carrieres. Bullet
et Memoire de la Societe Medicale 1878.
Fall eines deutschen Soldaten, 22 Jahre
alt. Narkotika hatten versagt. Ein Bad
von sechs Stunden und ein anderes von
drei Stunden Dauer brachten Heilung.
Der Verfasser dieses Berichtes sagt:
Die sedative Wirkung und der kurative
Effekt des Dauerbades können nicht be¬
stritten werden.
Guerche führt weiter eine ziemli¬
che Anzahl von Fällen aus den Jahren
von 1872 bis 1874 an, in denen ausser
dem Bad Opium und Chloral angewen¬
det worden waren.
E. D u v a 1 sagt in seinem Buch „Trai-
te pratique et clinique d’Hydrotherapie,
Paris, 1888“: Bei der Hydrotherapie
des Tetanus sehen wir von Opiaten ab,
indem wir annehmen, dass diese zuge¬
fügte Medikation die hydrotherapeuti¬
sche Wirkung beeinträchtigen könnte.
Der wärmste Fürsprecher des perma¬
nenten Bades in Tetanus ist Zech-
m e i s t e r in Wien, und Wiener Aerzte
haben die Methode nach ihm benannt.
Die folgenden sind Zechmeister-
sche Fälle, die in Guerch e’s Disser¬
tation angeführt sind:
1. Fall. In Wiener med. Presse 1876
beschrieben.. Kind von acht Jahren. Es-
war zuerst Chloral gegeben worden,
dann aber Bäder von 18 bis 20 Stunden
Dauer während drei aufeinander folgen¬
den Tagen. Nach Aussetzung der Bäder
stellten sich die Tetanussymptome wie¬
der ein, ein Bad aber von 1 Stunden
Dauer brachte Heilung. Dieser Fall wie
mehrere andere, die Zechmeister
berichtet, waren von besonderem Inte¬
resse in Anbetracht der massgebenden
Zustände: arme Familie, Schwierigkeit,
das Bad einzurichten, genau solche, mit
denen ich bei der Behandlung von Zere-
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206
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
brospinalmeningitis mittelst permanen¬
ten Bades in Mietskasernen zu kämpfen
hatte.
2. Fall. In der Allgem. Wiener, med.
Zeitung von 1865 beschrieben. Eine
Frau. Bäder von 4 bis 5 Stunden Dau¬
er, zwei Stunden Pause zwischen den
Bädern. Auch hier bestanden Schwie¬
rigkeiten infolge ärmlicher Umgebung,
das Bad einzurichten. Die Kranke be¬
stand aber darauf, die Schwierigkeiten
zu überwinden, weil ihr das Baden
grosse Besserung inbezug auf Beweg¬
lichkeit brachte, und es wurde ermög¬
licht, sie 17 bis 18 Stunden ohne Unter¬
brechung im Wasser zu lassen.
3. Fall. (Wiener med. Presse 1866.)
Jüngling von 20 Jahren verweilte im
Bad täglich 18 bis 21 Stunden. Jedes¬
mal, wenn er 3 bis 4 Stunden aus dem
Wasser war, stellte sich wieder Rigor
ein, jedoch jeden Tag weniger, und am
12. Tag war die Starrheit sehr gering:
am 14. Tag war Patient geheilt.
Zechmeister beschreibt auch in
der Wiener med. Presse 1866 einen Fall
von Zerebrospinalmeningitis. Kind von
11 Jahren. Permanentes Bad. Heilung.
4. Fall. (Allg. med. Zeitung 1864.)
Knabe von 14 Jahren. Z. schreibt: Dies
ist der schlimmste Fall, den ich in 25
Jahren gesehen habe. Während sechs
Wochen hatte der Starrkrampf bestan¬
den. Die Augen, die Zunge, der Ver-
Uauungskanal, die Blase waren ver¬
schont, aber die Muskeln des Gesichts,
des Nackens, der Brust, der Extremitä¬
ten waren steif wie Stränge. Versuch
der Bewegung brachte heftigsten Opi¬
sthotonus, der mehrere Minuten anhielt,
asphyktische Anfälle und entsetzliche
Schmerzen hervor; der Knabe schrie
und jammerte und wurde zyanotisch.
Man hatte zwanzig Blutegel am Rücken
angesetzt und während sechs Tage kei¬
ne Applikation gemacht, allerart Narko¬
tika waren gegeben worden, dazu auch
Quecksilber. Schliesslich Bäder von 1
bis 1 y 2 Stunde Dauer. Auch in diesem
Fall verursachten ärmliche Verhältnisse
Schwierigkeiten, doch gelang es den El¬
tern schliesslich, täglich 5 bis 6 Bäder
von 1 bis lj /2 Stunde Dauer zu geben.
Diese wurden fünf Wochen lang fort¬
gesetzt und der Knabe genas.
Im Jahre 1876 heilten von acht Fällen
sieben mittelst permanenten Bades.
B 1 a c h e z (Gazette hebdomadaire de
Med. et de Chir. 1878) heilte zwei Fälle
von Tetanus mittelst täglicher Bäder
von 35 Grad Temperatur und jedesmali¬
ger zweistündiger Dauer.
Ribosy Perdijo 1899 gab Bäder
von 36.7 Temp. 2 bis 3 Stunden Dauer,
oft wiederholt.
Louis Martin und Henri Darre.
(Societe Medicale des Hopitaux 1809.)
Fall von subakutem Tetanus genesen
unter Gebrauch von antitetanischem Se¬
rum.
In einem Fall Edouard V., 8 Jahre alt,
entwickelte sich Bronchopneumonie zu
einer Zeit, als der ganze Körper durch
Kontraktionen immobilisiert war. Die
Lungenkomplikation zu überwinden,
nahmen Martin und Darre Zuflucht
zu Balneotherapie. Der Patient war am
25. April 1909 in das Pasteur-Hospital
gebracht worden, neun Tage, nachdem
er in einen Rechen gefallen war, dessen
Zinken eine Wunde in der linken Glu-
taealgegend verursacht hatten. Teta¬
nus hatte sich eingestellt. Er erhielt
eine subkutane Injektion von 20 ccm an¬
titetanischem Serum. Am nächsten Tag
hatten sich die Symptome verschlim¬
mert. Intravenöse Injektion von 80 ccm
des Serums, gleichzeitig wurden Chlo-
ral und Bromkali per rectum appliziert.
Am Abend Besserung. Eine andere in¬
travenöse Injektion am 2. April, wieder¬
holt am 28., 29. und 3Q. April. Zustand
verschlimmert. Am 1. Mai Husten,
Bronchopneumonie. Kind unterdrückt
den Husten und wirft deshalb nicht aus.
Am 3. Mai ist Patient sehr krank. Tem¬
peratur 41, Puls 160, Respiration 80, der
ganze Körper zyanotisch. Narkotische
Injektionen werden ausgesetzt. Im war¬
men Wasserbad von 1 bis 2 Stunden
Dauer bessert sich der Zustand bestän¬
dig und Patient wurde am 4. Juni voll-
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
207
ständig geheilt entlassen. In Guer-
c h e rs Dissertation ist diese interessan¬
te Krankengeschichte in allen Einzelhei¬
ten wiedergegeben. Es ist bekannt, dass
die Respiration durch das Bad beein¬
flusst wird, die Respirationsbewegungen
werden frequenter und tiefer, es kommt
zu mehr energischer Lungenventilation,
es wird eine grössere Menge von Sauer¬
stoff absorbiert, man nimmt an, um ein
Drittel bis ein Halb mehr als normaliter.
Krauss. (Allgem. Wiener med.
Zeitung 1865.) Inkubation acht Tage.
Pauline Zaoralasc, 22 Jahre alt. von ro¬
buster Konstitution, kleiner Statur. Ist
niemals krank gewesen. Am 29. April
rannte sie sich eine Nadel, drei Zoll
lang, in die linke Ferse und es erforder¬
te Anstrengung, die Nadel herauszuzie
hen. Am 6. Mai heftige Konvulsionen,
während derselben fiel sie und erlitt da¬
bei eine Luxation des linken Armes. Sie
wurde zu Bett gebracht, klagte über
Schmerz, Steifigkeit des Nackens,
Uebelkeit und allgemeine Schwäche, sie
konnte kaum den Mund öffnen, aber
die Extremitäten waren beweglich. Am
nächsten Tag wurde ein ländlicher
Wunderdoktor aus einem nahen Dorfe
zugezogen, um die Luxation zu reduzie¬
ren. Derselbe unternahm seinen Hokus
Pokus, wobei er die Kranke vor
Schmerz aufschreien machte und legte
den ganzen Arm in Pflaster. Die Te¬
tanus-Symptome verschlimmerten sich
und die Eltern schickten am 11. Mai
nach einem Arzt, der eine Mixtur und
ein Liniment verordnete. Am 14. Mai
profuse Epistaxis. Die Eltern bemerk¬
ten. dass die Kranke den Mund nicht
öffnen konnte. Bei einem zweiten Be¬
such verschrieb der Arzt ein Pulver,
welches jedoch infolge des Trismus
nicht geschluckt werden konnte. Das
Mädchen verbrachte die Nächte schlaf¬
los, urinierte wenig und war verstopft.
Am 27. Mai wurde Dr. Krauss zuge¬
zogen. Er schreibt: Ich fand sie zu
Bett, sie hatte Dorsäl-Decubitus. der
Rumpf war wie ein Bogen gekrümmt,
die Extremitäten gestreckt, der linke
Arm gebogen in einer Schlinge befind¬
lich, die Luxation bestand noch. Der
Kopf ruhte vollständig unbeweglich auf
dem Nacken, die Masseteren waren hart
und steif, ebenso die Muskeln der Brust
und des Bauches, wie ein Brett, die Wir¬
belsäule kann nicht gebeugt werden. Die
unteren Extremitäten sind weniger steif
als die oberen. An der linken Ferse fin¬
det sich eine Zikatrix von der Grösse ei¬
nes Stecknadelkopfes, der untere Teil
des Beines ist entzündet. Von Zeit zu
Zeit hat Patientin Konvulsionen, wäh¬
rend deren sie stöhnt. Die Kiefer sind
geschlossen, sie kann weder sprechen
noch schlucken, das Gesicht drückt
Schmerz aus. Sehen und Hören sind in¬
takt. Die Augen sind beweglich, Pupil¬
len mässig kontrahiert, die Stirne gerun¬
zelt. Patientin scheint lebhafte Auf¬
merksamkeit meinen Bewegungen und
der Konversation ihrer Eltern zu zollen,
wenn sie sich nicht in einer Krise befin¬
det. Das Herz ist stürmisch, die Haut
wann und mit Schweiss bedeckt. Tem¬
peratur 35, Resp. 24, Puls 120. Diagno¬
se: Traumatischer Tetanus, emprostho-
tonische Form. Ich machte eine subku¬
tane Injektion von Atropin, aber ausser
einer leichten Dilation der Pupillen
konnte ich keine Intoxikationssymptome
bemerken, ebenso wenig eine Wirkung
auf die Kontraktionen und Konvulsio¬
nen. Drei Stunden später machte ich
eine zweite Injektion dreimal so stark
als die erste mit demselben negativen
Resultat. Da Atropin keine Wirkung
gezeigt, versuchte ich Opium, und da in¬
folge des Trismus die Administration
per os unmöglich war, verordnete ich
Klvstiere von zwei Gramm Opium drei¬
mal täglich. Kein Effekt auf die Krisen,
aber ein oder zwei Stunden Schlaf. In
diesem desparaten Fall, in dem weder
Atropin von Nutzen gewesen, beschloss
ich, Zechmeister’s Methode anzuwenden
und Hess die Kranke am 2. Juni in ein
Vollbad von 38 Grad bringen. Diese
Temperatur wurde beständig beibehal¬
ten. Schon nach fünf Minuten waren
die Fuss- und Kniegelenke beweglicher.
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208
Ntw Y<
Umzuntcn Momatuchkiit.
Patientin konnte den rechten Arm be¬
wegen, den Mund öffnen und deutlich
sprechen. (Ich will hier nicht die Ein¬
zelheiten bezüglich der Wirkung des Ba¬
des auf Temperatur und Puls wieder¬
gegeben.) Während der 30 Minuten,
während die Kranke im Wasser war,
zeigte 9ich keine Manifestation von Te¬
tanus. Sie befand Ach wohl im Bade
und bestand auf Wiederholung dessel¬
ben. Jedesmal, wenn sie im Wasser war,
bestand eine entschiedene Remission der
Symptome. Allmälig konnte sie mehr
und mehr schlafen, die Beweglichkeit
des Kopfes und der Kiefer kehrte zu¬
rück, und was besonders wichtig, sie
konnte essen. Bei meinem Besuch am
13. Juni fand ich sie ausser Bett, auf ei¬
nem Stuhl sitzend. Sie konnte deutlich
sprechen und war wohl genug, herumzu¬
gehen. Sie genas vollkommen.“
Noch viele andere und unter densel¬
ben in allen Einzelheiten beschriebene
Fälle finden sich in Guerche’s Disserta¬
tion. Mortalitätsstatistiken von Tetanus
sind allgemein bekannt, eine solche in-
bezug auf Behandlung mit Warm-Was-
serbad kann ich nicht geben. In Guer¬
che’s Dissertation ist nur ein Todesfall
erwähnt, der einen Greis betraf.
Um zu verstehen, weshalb das perma¬
nente Warm-Wasserbad das rationelle
Heilmittel für Tetanus ist, haben wir zu
lernen, in welcher Weise es wirkt, um
die Produkte der Entzündung und In¬
fektion durch den allgemeinen Blutkreis¬
lauf auszuscheiden. Vor allem wollen
wir sehen, dass es das ideale schmerz¬
stillende Mittel ist. Wie die von Guer-
che gesammelten Fälle zeigen, bringt
es fast augenblickliche und selbst voll¬
ständige Erleichterung von Schmerzen.
Selbst wenn es keine anderen Vorteile
böte, würde es dieserhalb allein von
grossem Werte sein, besonders da, wo
die Schmerzen die denkbar entsetzlich¬
sten sind, wie dies bei Tetanus der Fall
ist. und es muss als eine Grausamkeit
betrachtet werden, diesen schwer Lei¬
denden dieses Mittel vorzuenthalten.
Es möge mir gestattet sein, einiges
aus meinem Artikel „Das permanente
Warm-Wasserbad, das rationelle Heil¬
mittel für Phymatiasis (Tuberkulose)
und Infektionskrankheiten im Allgemei¬
nen“, der in der Deutschen Medizini¬
schen Presse Nr. 14 und 15, 1913 er¬
schienen ist, zu rekapitulieren.
Die wesentlichsten Vorteile des per¬
manenten Bades sind die, welche, auf
seiner physiologischen Wirkung auf Zir¬
kulation und Innervation im Allgemei¬
nen beruhen. Das Prinzip bei Anwen¬
dung des permanenten Bades ist, die
Produkte der Entzündung und Infektion
auszüscheiden.
Indem das warme Bad die Haut mit
einem überall gleichmässig temperierten
Medium umgibt, nimmt es dem Wärme¬
verlust das zeitlich und räumlich
Schwankende und wirkt so beruhigend.
Vermutlich findet auch hier das für mo¬
torische Nerven gültige Gesetz, wonach
Quellung der peripherischen Nerven¬
endigungen ihre Erregung herabsetzt,
Vertrocknung sie steigert, seine Anwen¬
dung. Man hat angenommen, dass der
beruhigenden Wirkung der warmen
Bäder die durch das Auflösen der Per¬
spiration im Bade bedingte Zurückhal¬
tung der Feuchtigkeit und dadurch her¬
vorgerufene Quellung der Krause’schen
Endkolben und der Meissner'sehen Tast¬
körperchen zugrunde liegt, wodurch
eine Sistierung der Molekularbewegung
bei den Nervenendigungen und dadurch
der Anstoss zu einer allgemeinen Beru¬
higung des Nervensystems hervorgeru¬
fen wird.
Wenn ein Teil des Körpers in war¬
mem Wasser suspendiert ist, so entsteht
eine Reizung der Enden der Hautner¬
ven. Diese Reizung wird auf die vaso¬
motorischen Nerven übertragen, wobei
eine Dilatation der Blutgefässe entsteht
und folglich eine Beschleunigung der
Zirkulation. Diese Beschleunigung der
Zirkulation erleichtert die Ausscheidung
der Produkte der Infektion, und mit der
Entfernung der Toxine durch den Blut¬
kreislauf, im Fall von Tetanus, ver¬
schwinden die Symptome der Erkran-
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New Yoekee Medizinische Monatsschrift.
209
kung. Ausführliches hierüber findet
sich in dem angeführten Artikel der
Deutschen Medizinischen Presse Nr. 14
und 15, 1913.
Den unumstösslichen Beweis, dass
durch das warme Bad die Produkte der
Infektion und Entzündung ausgeschie¬
den werden, liefert die Behandlung des
Erysipels des Stammes oder der Extre¬
mitäten. Bringen wir einen Patienten
mit Erysipel, ausgenommen des Gesich¬
tes selbstverständlich, in das warme Bad,
oder suspendieren wir den ergriffenen
Teil, Hand, Arme, Fuss, Bein im war¬
men Wasser, so geht innerhalb weniger
Stunden die Fiebertemperatur zurück,
in ein oder zwei Tagen ist sie normal
und alle Erysipelsymptome verschwin¬
den. Seit dem Jahr 1888 habe ich wie¬
derholt solche Fälle beschrieben und
zwar in englischen wie auch in deut¬
schen medizinischen Journalen.
Wird ein Glied längere Zeit im war¬
men Bade gelassen, so schwellen die
Weichteile an, es tritt eine ganz erheb¬
liche Volumenzunahme ein, und nach
Herausnahme aus dem Bad ist die Haut
des gehadeten Gliedes heisser, oft ganz
hochrot, und die höhere Färbung
schwindet erst nach mehreren Tagen.
Winternitz hat Versuche über
die Volumensveränderungen der Extre¬
mitäten unter dem Einflüsse von diffe¬
renten Temperaturen gemacht und sich
zu diesem Zweck eines sinnreichen Ap¬
parates bedient. Er vermochte an dem
im Wasser im Apparat suspendierten
Arm Volumensvergrösserungen zu mes¬
sen, die mit dem Puls synchrooisch ent¬
standen und durch die mit jeder Herz¬
systole in den Arm getriebene Blutwelle
bewirkt werden, ebenso Volumensver-
minderungen, die der während der In¬
tervalle zwischen zwei Systolen ab-
fliessenden Blutwelle entsprachen.
Die Wirkung des Warm-Wasserbades
ist dieselbe bei Zerebrospinalmeningitis
wie bei Tetanus, hierüber habe ich in
dem angeführten Artikel meine Betrach¬
tungen und Erfahrungen mitgeteilt.
Vor fünfzig Jahren schrieb Zech-
m e i e r: „Alle gegen Tetanus trauma-
ticus empfohlenen Mittel lassen den
Kranken beinahe stets sterben, ja sie er¬
leichtern auch wenig, ausgenommen das
warme Bad, in welchem sich der Kranke
bald behaglich findet, weil darin die
Krämpfe nachlassen. Das bestimmte
mich vor mehreren Jahren, die Kranken
in anhaltendem warmen Bade mehrere
Tage zu erhalten, und zwar 10 bis 14
Tage lang, wobei ich die Genugtuung
hatte, die Kranken genesen zu sehen.
Mir sind auf diese Art fünf, und unter
der Behandlung anderer Kollegen zwei
traumatische Tetanussfälle in Gesund¬
heit übergegangen, wie es in der Allg.
med. Wiener Zeitung 1864 und 1865 und
der Wiener med. Presse 1866 zu finden
ist. Warum man in verzweifelten Fäl¬
len, wo der Kranke durch die anhaltend
krampfhafte Starrheit höchst ermüdet
ist, durch grosse Dosen narkotischer
Gifte ihn unnütz noch weiter schwächt,
wo das Blut durch gehindertes Atmen
ohnehin schon übermässig karbonisiert,
der Kohlensäurevergiftung, dem Stick¬
tode ausgesetzt ist, ihm noch Morphin,
Atropin, Calabar, Chloroform, Chloral
auf allen Wegen beigebracht wird —
warum man das einfache, unschädliche,
allerorts leicht zu habende Mittel, das
anhaltend warme Bad nicht in Anwen¬
dung bringt, weiss ich nicht. Seit sechs
Jahren erinnere ich mich nur zweimal,
dass Kollegen darauf Rücksicht genom¬
men haben, nachdem alle bisher üblichen
Mittel fruchtlos in Anwendung gebracht
waren. Sie erinnerten sich meiner oben
angedeuteten Fälle, setzten und liessen
den Kranken im Bade und hatten die
Freude, ihren Kranken genesen zu se¬
hen. Es ist zu wünschen, dass diese
Mitteilung nicht nur in alle medizini¬
sche, sondern auch in alle anderen Zei¬
tungen aller Länder übergehe, denn es
ist schrecklich, wenn ein sonst gesunder
Mensch in Folge einer oft unbedeuten¬
den Verletzung sein Leben einbüssen
soll, wo doch ein so einfaches Mittel bei¬
nahe stets Rettung verschaffen kann.“
Wie muss der edle Mann gelitten ha-
Original from
HARVARD UN1VERS1TY
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210
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
ben! Ich fand in Virchows und
Hirse h’s Jahresbericht aus jener Zeit
eine sarkastische Bemerkung über ihn
und über seine Idee, Tetanus mittelst
Dauerbades zu behandeln. Sein Name
wird jedoch in der Geschichte der Medi¬
zin neben dem Namen Semmelweis fort¬
leben.
Krieg und Tuberkulose.*
Krieg und Tuberkulose, wahrschein¬
lich ein zeitgemässes Thema! Sind doch
unser aller Gedanken täglich und stünd¬
lich nur auf den Krieg gerichtet; ver¬
spüren doch auch wir in der Heimat
seine grausamen Wirkungen nur zu
deutlich. Wer hätte nicht den Verlust
von nahen Verwandten, guten Freunden
zu beklagen, die ihm der Krieg geraubt
hat? Wer unter uns bangte nicht um
irgend ein teures Leben, das er in Ge¬
fahr weiss? Wer könnte sein Herz ver-
schliessen vor dem Anblick der Not und
des Elends, die durch plötzliche Unter¬
brechung von Handel und Wandel über
so viele Familien hereingebrochen sind,
die in friedlichen Zeiten von ihrer Hän¬
de Arbeit lebten ? Darüber sind wir uns
alle einig, ob arm oder reich, dass der
Krieg schwere Opfer verlangt, Opfer an
Gut und Blut, an Leben und Gesundheit.
Aber unser Volk ist bereit und imstande,
diese Opfer, auch die schwersten, zu tra¬
gen, und es ist wohl keiner unter uns,
der nicht von der Ueberzeugung durch¬
drungen wäre, dass wir zum Heile unse¬
res Volkstums, für den Bestand und den
Wohlstand unseres Landes solche un¬
vermeidlichen Opfer tragen müssen.
Sehen wir also getrost dem männermor¬
denden Kriege ins Auge und betrachten
wir einmal die unheilvollen Wirkungen,
die er auf dem uns besonders beschäfti¬
genden Gebiete der Schwindsuchtsbe¬
kämpfung hervorruft. Vielleicht finden
wir dann auch Mittel und Wege, um da
•Vortrag, gehalten iin der Versammlung des Ver¬
eins zur Bekämpfung der Schwindsucht in Chemnitz
und Umg. (E. V.) und des Kreisverbandes zur Be¬
kämpfung der Tuberkulose im Regierungsbezirk Chem¬
nitz am 20. Nov. 1914 von Oberstabsarzt Dr. Helm,
Generalsekretär des Deutschen Zenralkomitees zur
Bekämpfung der Tuberkulose. Aus Tub.-Fürs.-Bl.
1914 Nr. 4 (Die Einleitung ist wegen Raummangels
fortgelassen.)
helfend einzugreifen, wo es sich nicht
um Unvermeidliches und Unabänderli¬
ches handelt.
Es unterliegt keinem Zweifel, dass in
Kriegszeiten die Gesundheit aller, nicht
nur die der Soldaten, sondern auch die¬
jenige der nicht kriegführenden Bevöl¬
kerung mannigfachen Gefahren ausge¬
setzt ist, besonders durch die ungünsti¬
geren Emährungsverhältnisse und
durch die stets den Krieg begleitenden
Seuchen. Es ist auch hinreichend be¬
kannt, dass in früheren Kriegen die
Zahl der von Seuchen Dahingerafften
diejenige der auf dem Schlachtfelde Ge¬
fallenen oder an ihren Wunden Gestor¬
benen um ein Vielfaches übertroffen hat.
Wenn wir heute aus dem Felde hören,
der Gesundheitszustand der Truppen sei
trotz aller Strapazen, trotz aller Unbil¬
den der Witterung andauernd gut, so
kann uns das mit stolzer Genugtuung
erfüllen als ein Zeichen dafür, dass die
Militärmedizinalverwaltung ihr Mög¬
lichstes an Vorsorge getan hat, um un¬
sere Soldaten gesund zu erhalten und
vor den Kriegsseuchen zu bewahren.
Die bessere Kenntnis von dem Wesen
der Krankheiten befähigt uns heute zu
weit wirksameren Verhütungsmassre-
geln als in früheren Kriegen; ich erin¬
nere nur an die Schutzimpfungen gegen
Typhus, Cholera, die neuerdings zu der
schon 1870 mit grossem Erfolg ange¬
wandten Schutzpockenimpfung hinzuge¬
kommen sind und sich bereits allgemei¬
ne Anerkennung erworben haben. Wird
es so zweifelllos gelingen, eine grosse
Zahl von Verlusten durch seuchartige
Erkrankungen zu verhüten, so ist ande¬
rerseits gerade bei der Tuberkulose sehr
zu befürchten, dass sie bei den Angehö-
Qrigiraal fro-m
HARVARD UNIVERSITY
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Gck igle
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
211
rigen des Feldheeres in einem, mit den
Friedensverhältnissen verglichen, recht
erheblichen Umfange in die Erschei¬
nung treten wird. Das liegt vor allem in
ihrem langwierigen Verlauf und in der
Schwierigkeit ihrer Erkennung begrün¬
det. Wie mancher trägt den Keim der
Tuberkulose in sich, ohne deutliche
Krankheitserscheinungen darzubieten
und ohne sich selbst krank zu fühlen?
Und wie viele, die sich freudig ihrer
Pflicht gegen das Vaterland bewusst,
zum Dienste gemeldet, mögen ihre Kräf¬
te überschätzt haben? Und wie viele
mögen trotz des Bewusstseins unvoll¬
kommener Leistungsfähigkeit, trotz
ihres schon beträchtlich geschwächten
Körpers bis zuletzt aushalten wollen, um
nicht als Schwächlinge dazustehen, um
nicht vorzeitig in die Heimat zurückge¬
schickt zu werden? Es liegt auf der
Hand, dass die Auslese der Tauglichen
und die Zurückweisung der wegen Tu¬
berkuloseverdachts Unbrauchbaren im
Augenblick der Mobilmachung nicht so
peinlich durchgeführt werden konnte,
wie in ruhigen Zeiten; es leuchtet auch
ein, dass die gesundheitliche Ueberwa-
chung des einzelnen Mannes im Felde
nicht so genau sein kann wie im Frieden,
und es bedarf keiner Erörterung, dass
an eine Schonung des einzelnen, an ir¬
gendwelche Massnahmen besonderer
Fürsorge für ihn im Kriege nicht zu
denken ist, so lange er sich bei der käm¬
pfenden Truppe befindet. So werden
denn sicherlich alle die Umstände, die
die Widerstandsfähigkeit des Körpers
herabzusetzen nur zu geeignet sind, An¬
strengungen und Entbehrungen, Kälte
und Nässe, sowie Aufregungen und
Mangel an Schlaf Zusammenwirken, um
bei einer grösseren Anzahl von Leuten
die schlummernde Tuberkulose zum
Ausbruch zu bringen. Ohne Zweifel
wird der Krankenzugang an Tuberku¬
lose während des Krieges beim Heere
wie bei der Flotte im Vergleich zu der
ständig fallenden Linie der letzten Frie¬
densjahre einen merkbaren Anstieg zei¬
gen. Indesen, das ist nach dem Gesag¬
ten wohl unvermeidlich; mit der Aus¬
sicht auf ein vorübergehendes Anwach¬
sen der Erkrankungs- und Sterbefälle
an Tuberkulose im Heer und Flotte
müssen wir uns abfinden.
Wie steht es nun in der bürgerlichen
Bevölkerung? Auch hier sind seit Be¬
ginn des Krieges in vielen Familien die
Lebensverhältnisse durch verminderte
Einnahmen und schlechtere Ernährung
so ungünstig beeinflusst, dass der Aus¬
bruch der Tuberkulose bei vielen
schwächlichen Personen dadurch geför¬
dert, der Verlauf der Erkrankung be¬
schleunigt und die Gefahr der Ansteck¬
ung für die bis dahin gesunde Umge¬
bung erheblich vermehrt wird. So er¬
hebt sich eine drohende Gefahr aller¬
orten, der es gilt, rechtzeitig entgegen¬
zutreten, die Gefahr, dass die Tuberku¬
lose, auf deren Bekämpfung wir seit
mehr als 30 Jahren mit allem Eifer und
allen Mitteln hinarbeiten, sich wieder im
Volke stärker ausbreite. Diese Gefahr
ist durchaus nicht gering anzuschlagen;
der Keim der Tuberkulose ist immer
noch in unserem Volke sehr reichlich
verbreitet, wenn auch die Tuberkulose¬
sterblichkeit von Jahr zu Jahr abnimmt.
Noch finden sich schätzungsweise im
Deutschen Reiche fast eine Million tu¬
berkulöse Kranke; noch sterben alljähr¬
lich in Deutschland etwa 100,000 Men¬
schen an der Tuberkulose.
Es besteht also eine unverkennbare
und sehr nahe Beziehung zwischen
Krieg und Tuberkulose, die unsere
ernsteste Aufmerksamkeit verdient. Wir
haben einerseits bestimmt damit zu rech¬
nen, dass durch den Krieg eine unver¬
meidliche Steigerung der Tuberkulose¬
erkrankungen im Heere und in der Flot¬
te eintreten wird. Bei dem engen Zu*
sammenhang zwischen unserer Wehr¬
macht und der Bevölkerung entsteht
daraus die Gefahr, dass die lungenkrank
aus dem Kriege Zurückkehrenden in ih¬
ren Familien die Krankheit weiter ver¬
breiten könnten. Andererseits ist auch
in der bürgerlichen Bevölkerung eine
Zunahme der Erkrankungen an Tuber-
Qrigiraal frorri
HARVARD UNIVERSITY
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212
Nbw Yobkkk Medizinisch! Monatsschrift.
kulose zu erwarten, wofem es nicht
rechtzeitig gelingt, dafür Abhilfe zu
schaffen, und daraus würde wieder für
unsere gesund aus dem Feldzuge heim¬
kehrenden Krieger die Gefahr erwach¬
sen, dass sie nach glücklichem Ueber-
sthen des Krieges am heimischen Herd
von dem schleichenden Gift der Tuber¬
kulose bedroht werden. Beides Aus¬
sichten so unheilsvoll, dass alles aufge¬
wandt werden muss, was in unsern Mit¬
teln steht, um die Gefahr abzuwenden.
Was nun zuerst die im Kriege an Tu¬
berkulose erkrankten Soldaten (d. h.
Unteroffiziere und Mannschaften) an¬
langt, so ist die Fürsorge für ihre Un¬
terbringung zur Pflege und Wiederher¬
stellung lediglich Sache der Militärbe¬
hörden. Wer im Feldzuge an Tuberku¬
lose erkrankt, hat den Anspruch auf
eine angemessene Krankenbehandlung,
an deren Stellfe, wenn Aussicht auf bal¬
dige Wiederherstellung nicht besteht,
die Versorgung mit Rente tritt. Dass
lungenkrankte Soldaten, die aus dem
Felde in die Heimat zurückgeschickt
worden sind, hier von den Ersatztrup¬
penteilen ohne den Versuch einer ärzt¬
lichen Behandlung zum Zwecke ihrer
Wiederherstellung und ohne Regelung
ihrer Versorgungsansprüche nach Hau¬
se entlassen werden, wie es vereinzelt
aus Unkenntnis der Bestimmungen ge¬
schehen ist, entspricht durchaus nicht
dem Willen der Heeresverwaltung. Die¬
selbe hat vielmehr gleich im Beginn des
Krieges darauf Bedacht genommen, sich
ausser den ihr bereits im Frieden zur
Verfügung stehenden Betten eine
grössere Zahl von Plätzen in zahlreichen
Lungenheilstätten zu sichern. Sie hat
weiterhin auch Bestimmungen getroffen,
um eine möglichst schnelle Ueberfüh-
rung der lungenkranken Soldaten aus
den Lazaretten und Krankensammelstel¬
len in die Heilstätten zu ermöglichen, in
Anlehnung an das schon im Frieden ge¬
übte Verfahren, sich wegen der Heilbe¬
handlung der tuberkulös befundenen
Heeresangehörigen und Wehrpflichtigen
mit den Zivilbehörden ins Einvernehmen
zu setzen. So werden einerseits die La¬
zarette möglichst schnell von den tuber¬
kulösen und tuberkuloseverdächtigen
Kranken entlastet, wodurch auch die
Ansteckungsgefahr für andere nicht¬
tuberkulöse Kranke beseitigt wird, an¬
dererseits werden die lungenkranken
Soldaten auf diese Weise möglichst
schnell der spezialistischen Behandlung
durch den Heilstättenarzt und der be¬
sonderen Kurmittel dieser Anstalten
teilhaftig. Dass von dieser Einrichtung
auch bereits Gebrauch gemacht wird,
kann ich auf Grund einer von mir veran¬
stalteten Umfrage bestätigen; am 10.
November befanden sich bereits 212
lungenkranke Militärpersonen in Heil¬
stättenbehandlung. Das vorher ange¬
deutete Zusammenwirken mit den Zivil¬
behörden (unteren Verwaltungsbehör¬
den und Versicherungsanstalten) wird
dazu führen, dass die Kuren -in den
Heilstätten je nach dem Urteil des be¬
handelnden Arztes so weit verlängert
werden können, als es die Rücksicht auf
die Erzielung eines Dauererfolges wün¬
schenswert erscheinen läst. Wir dürfen
also von diesem Zusammenarbeiten er¬
hoffen, dass ein guter Teil der im Feld¬
zuge an Tuberkulose erkrankten Mann¬
schaften durch die Behandlung wieder
gesund und arbeitsfähig wird; daneben
wird bei allen, auch den schwerer heil¬
baren Kranken durch den Heilstätten¬
aufenthalt eine Schulung in gesundheit¬
licher Beziehung erzielt, sodass sie wis¬
sen, wie sie sich zu verhalten haben, um
die Ansteckung ihrer Familie zu ver¬
meiden. Die Militärverwaltung hat also
bereits durch die ergangenen Anord¬
nungen, soweit es in ihrer Macht steht,
dafür gesorgt, zu verhüten, dass der Be¬
völkerung irgendeine Gefahr seitens der
tuberkulös kranken Soldaten erwachsen
könnte.
Wie können wir nun der anderen
Gefahr Vorbeugen, der Gefahr des
Umsichgreifens der Tuberkulose in
der durch die Not des Krieges
beeinträchtigten bürgerlichen Bevölke¬
rung? Diese Frage lässt sich ganz kurz
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HARVARD UNIVERSITY
Nkw Yorkrr MmztMiacBK Monatsschrift.
213
dahin beantworten: wir brauchen nur
alle diejenigen Einrichtungen auch wäh¬
rend des Krieges aufrechtzuerhalten,
mit denen wir in Friedenszeiten so er¬
folgreich die wirtschaftliche Not und die
Krankheiten bekämpft haben; sie sollen
weiter arbeiten, weenn möglich mit dop¬
pelter Kraft und mit verzehnfachten
Mitteln. So erging schon wenige Tage
nach der Mobilmachung des Heeres von
der „Zentralstelle für Kriegswohlfahrts¬
pflege des Roten Kreuzes“ in Berlin der
Aufruf zur friedlichen Mobilmachung
aller für die öffenliche Gesundheits¬
pflege tätigen Kreise und Kräfte. Die¬
sem Aufruf folgte ein solcher des „Deut¬
schen Zentralkomitees zur Bekämpfung
der Tuberkulose“ und die Begründung
eines besonderen Tuberkulose-Aus¬
schusses bei der genannten Zentralstelle,
der es sich zur Aufgabe gemacht hat,
für die Kriegsdauer überall im Reiche
die Tuberkulosenarbeit zu unterstützen
und aufrecht zu erhalten durch Vermitt¬
lung von Personal und Gewährung von
Rat und Beihilfe. Dass die Aufrufe zur
Fortführung aller Liebeswerke in unse¬
rem Volke nicht ungehört verhallt sind,
hat sich in der Folgezeit schnell heraus¬
gestellt. Wo in den ersten Tagen und
Wochen des Krieges bange Zweifel und
Mutlosigkeit geherrscht hatten, weil
man glaubte, die Verhältnisse würden
eine Fortsetzung der Friedensarbeit
nicht gestatten, da kehrte bald wieder
Hoffnung und Zuversicht ein. Die Ar¬
beit war da, an ihr war kein Mangel, die
Aermsten der Armen bedurften mehr
denn je der werktätigen Hilfe; aber hier
und da fehlte es an Helfern, die Aerzte.
Schwestern oder Leiter der Fürsorge¬
stellen, Heilstätten und dergl. waren im
Kriege, doch gelang es fast überall, ge¬
eigneten Ersatz zu finden, und bald kün¬
deten Zeitschriften ans allen Teilen des
Reiches und Aufrufe und Berichte in
den Zeitungen, dass die Wohlfahrts¬
pflege allerorten wieder im Gange sei.
Von den Heilstätten, von denen im An¬
fänge ein grösserer Teil geschlossen
wurde, um kranken und verwundeten
Soldaten Obdach zu bieten, sind die mei¬
sten inzwischen wieder eröffnet. Die
Versicherungsanstalten, denen der Krieg
unerwartet einerseits grosse Ausfälle an
ihren sonst so sicheren Einnahmen, an¬
dererseits neue grosse Aufgaben und
Verpflichtungen gebracht hat, haben
zwar die Gewährung von Heilverfahren
hie und da gegen frühere Zeiten einge¬
schränkt, sie steuern aber durch ihre
hilflreiche Tätigkeit auch jetzt überall
der fühlbarsten Not und arbeiten auch
damit wieder für die Volksgesundheits¬
pflege. Die Vereine sind ebenfalls eifrig
auf dem Plan und verdoppeln, wie ich
bemerken konnte, vielfach ihre Leistun¬
gen trotz aller finanziellen Schwierig¬
keiten, die auch ihnen durch den Krieg
erwachsen sind. Auch hier gilt das
mannhafte Wort: „Wo ein Wille ist,
da ist auch ein Weg.“ Die Opferwillig¬
keit unseres Volkes ist so gross, dass
jeder, der zu geben hat, gern gibt und
täglich gibt, um auch seih Scherflein für
das Vaterland zu opfern. Es gilt nur,
die Gaben fleissig zu sammeln. Die
Aufgaben, die zur Zeit in der Tuber¬
kulosebekämpfung an uns herantreten,
und die hauptsächlich auf die möglichst
gute Absonderung aller ansteckenden
Lungenkranken herauslaufen, erfordern
Geld und nochmals Geld und zum drit¬
ten Male Geld. Möchten sich recht viel
willige Helfer finden, die durch Geld¬
spenden an die örtlichen Vereine und
Fürsörgestellen diese in den Stand
setzen, ihre Aufgabe auch m diesen
schweren Zeiten zu" erfüllen und unsere
jetzt besonders der Fürsorge bedürfti¬
gen ärmeren Bevölkerung tatkräftig zu
helfen! Dann würden die Worte:
„Krieg und Tuberkulose“ ihren
Schrecken für uns verlieren.
Im einzelnen lassen sich unsere Auf¬
gaben in der Jetzzeit im Kampfe gegen
die Tuberkulose dahin erläutern: Es
kommt in erster Linie darauf an, die an¬
steckenden Lungenkranken abzuson-
dem, damit sie ihre Familienangehöri¬
gen und die sonst im Hause befindlichen
Personen, einschliesslich etwaiger Ein-
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214
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
quartierung, nicht in Gefahr bringen.
Jetzt, nach vier Monaten Kriegsdauer ist
ja die Frage bezüglich der Fürsorge für
die Einquartierung nicht mehr so bren¬
nend, wie im Anfänge des Krieges; ich
möchte aber nicht unterlasen zu erwäh¬
nen, dass der hiesige Verein zur Bekäm¬
pfung der Schwindsucht dieser Frage
eine ganz besondere Aufmerksamkeit
geschenkt hat. Aber wenn es auch zwei¬
fellos von der grössten Bedeutung ist,
dass die im ansteckenden Stadium be-
, findlichen Kranken so viel wie möglich
abgesondert werden, damit eine Krank¬
heitsübertragung auf Gesunde vermie¬
den wird, so mus doch darauf geachtet
werden, dass die Absonderung nicht zu
unnötiger Härte führt. Die Kranken
aus ihrer Familie herauszureissen und
in ein Krankenhaus zu bringen, ist nicht
immer erforderlich; auch in der Familie
ist die Durchführung gesundheitlicher
Grundsätze in gewissem Umfange er¬
reichbar. Bei der ärmeren Bevölkerung
freilich, wo vielfach für eine zahlreiche
Familie nur eine Stube oder ein Schlaf¬
raum zur Verfügung stehen, und wo
häufig mehrere Personen ein Bett teilen
müssen, ist es in den meisten Fällen aus¬
geschlossen, auf anderem Wege als
durch die Unterbringung in einer Kran¬
kenanstalt oder in einem Heim den nö¬
tigen Schutz der noch nicht Erkrankten
zu schaffen. Wenn dies bereits für den
Frieden erforderlich erscheint, so trifft
es in erhöhtem Masse da zu, wo durch
den Krieg die Wohnungsverhältnisse
verschlechtert sind. Weiter sind aber
auch diejenigen Personen besonders im
Auge zu behalten, die den Krankheits¬
keim bereits in sich tragen, Hine dass
die Krankheit bis dahin zum Ausbruch
gekommen wäre. Dazu gehören insbe¬
sondere die schwächlichen und tuber-
kuloseverdächtigen Kinder. Hier gilt
vor allem: was wir für die Jugend tun,
das widmen wir der Zukunft des Vater¬
landes. Der überwiegende Teil der
Kinder ist zu retten, wenn rechtzeitig
das geschieht, was zur Stärkung und
Kräftigung ihres Körpers erforderlich
ist, um sie widerstandsfähiger gegen die
Krankheitskeime zu machen. So tritt
die Kinderfürsorge auch im Kriege be¬
sonders in den Vordergrund. Es erhebt
sich demnach die Frage: Wie sorgen
wir am besten für die bereits angesteck¬
ten Erwachsenen und Kinder, um den
Ausbruch der Krankheit zu verhüten?
In einer Stadt wie Chemnitz, wo die
Fürsorgetätigkeit des Vereins zur Be¬
kämpfung der Schwindsucht die engste
Fühlung unterhält mit allen massgeben¬
den Behörden und Stellen, da fehlt es
nicht an Einrichtungen, um diesen For¬
derungen gerecht zu werden. Es kann
sich hier lediglich darum handeln, dass
die Mittel, die naturgemäss jetzt in er¬
ster Linie dem Roten Kreuz zufliessen,
knapper bemessen sind, und dass die
Fürsorgetätigkeit durch Abgang des für
den Kriegsdienst erforderlichen Perso¬
nals vorübergehend erschwert wird.
Diese Schwierigkeiten müssen aber
überwunden werden. Es darf auch im
Kriege die Sammeltätigkeit nicht ruhen,
und der Mangel an Fürsorge- und
Krankenschwestern lässt sich unschwer
beheben durch Gewinnung von Frauen
und Mädchen, die in der Absicht, sich
der Kriegskrankenpflege zu widmen,
eine entsprechende Ausbildung genos¬
sen, aber in den Lazaretten bisher keine
Verwendung gefunden haben. Für die¬
se könnte eine ausserordentlich dank¬
bare Tätigkeit auf dem Gebiete der so¬
zialen Fürsorge geschaffen werden.
Gelingt es so, die segensreiche Tätig¬
keit der Fürsorgestellen auch während
des Krieges ungeschwächt aufrecht zu
erhalten und ihre Arbeit womöglich mit
vermehrten Kräften und Mitteln fortzu¬
setzen, dann dürfen wir uns auch der
Hoffnung hingeben, dass uns wie im
Kriege, so auch in der Tuberkulosebe¬
kämpfung ein Sieg beschieden sein wird.
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Original fro-m
HARVARD UNIVERSITY
New Yoekek Medizinische Monatsschrift.
215
Mitteilungen aus der neuesten Joumalliteratur.
Haut- und Geschlechtskrankheiten.
Referiert von Dr. H. Klotz.
Stokes, John Hinchman,
M. D., Ann Arbor, Mich.: Eine kli¬
nische, pathologische und experi¬
mentelle Untersuchung durch den
Biss der „schwarzen Fliege“ (Simi-
lium venustum) verursachter Haut¬
verletzungen. Jour, of Cutaneous
Diseases, XXXII., November und
Dezember 1914.
Similium venustum ist neben Simi-
lium vittatum der Hauptvertreter der
in neuerer Zeit, namentlich in Verbin¬
dung mit Pellagra oft genannten In¬
sektengattung Similium in den nörd¬
lichen Teilen Amerikas und unter dem
Namen der „Black Fly“ allen Natur¬
forschern, Reisenden und besonders
tägern und Fischern nur zu wohl be¬
kannt. Daher dürfte diese Arbeit von
allgemeinerem Interesse sein, zumal
genügend Zeugniss vorliegt, dass für
jemand, der die Fliege nicht kennt, auf
einen Angriff derselben nicht vorbe¬
reitet und entfernt von irgend einer
Zufluchtsstätte ist, die Begegnung mit
dem Insekt ernste und sogar tötliche
Folgen haben kann. So musste im
Jahre 1909 die Eröffnung der Biologi¬
schen Station und des Ingenieurlagers
der Universität von Michigan in der
Nähe von Douglas Lake, Cheboygan
County, wo auch der Verfasser seine
Erfahrungen gemacht und seine Un¬
tersuchungen angestellt hat, um eine
Woche verschoben werden.
Similium venustum kommt in nord¬
westlicher Richtung bis nach Labra¬
dor vor, westlich im Gebiete der
grossen Seen bis nach Kansas und
nach Süden hin entlang der grossen
Flüsse. Der Hauptvertreter weiter
nach Süden hin ist das unter dem Na¬
men des „Buffalo Gnat“ bekannte Si¬
milium pecuarum, eine grosse und ge¬
fährliche Plage für Menschen und be¬
sonders Tiere, wie Maultiere, Schwei¬
ne etc. Die Gattung umfasst andere
zahlreiche Spezies in Südamerika,
Australien, im nördlichen Europa
(Sand Flies) und die besonders ge¬
fürchtete „Columbacher Mücke“ in
Ungarn.
Nach einer kurzen Uebersicht der
Literatur wird die Fliege beschrieben.
Stokes fand sie im Durchschnitt
nur 3 mm lang, der Kopf ist klein, der
Thorax aber gross, mit Schuppen be¬
deckt, die Flügel durchsichtig und
breit; nur die weiblichen Tiere sind
Blutsauger. Der Angriff beginnt ver¬
mittelst eines scharfen, kurzen Stiletts;
gleichzeitig mit dem Beginn des Sau¬
gens wird Speichel mit ziemlicher
Kraft in die Wunde eingepresst und
am Ende wird ein Tropfen eines un¬
bekannten Giftes in dieselbe einge¬
führt. Wegen ihrer Kleinheit ist die
Fliege nicht auffällig, ihr Flug ist ge¬
räuschlos, der Angriff erfolgt mit
grosser Kühnheit und lässt sich nicht
leicht abwehren. Kleidung schützt
gegen Angriff von aussen, aber ver¬
möge der Beschaffenheit des Thorax
kann die Fliege in Plätze eindringen,
wo Druck und Reibung einen Mos-
quito töten würden. Alle beissenden
Glieder der Gattung Similium zeigen
grosse Anziehung zu Gegenden mit
sehr dünner Haut wie das Gesicht und
besonders die Augengegend, Nase und
Stirn, und zu schwer erreichbaren
Punkten; es ist merkwürdig, mit wel¬
cher Ausdauer sie den Nacken und die
Haargrenze zu erreichen suchen. An
solchen Stellen finden sich die Efflo-
reszenzen in Gruppen angehäuft, das
Vorhandensein von früheren Stichen
scheint die Fliegen besonders anzu¬
ziehen. Der Stich selbst ist absolut
schmerzlos im Augenblick und einige
Zeit danach, die Fliege hält fest bis
sie gesättigt ist und fällt ab oder fliegt
davon. Nach der Entfernung der Pro-
boscis erscheint sofort ein Tropfen
klarer Lymphe und eine nicht selten
recht reichliche Blutung, die charak¬
teristisch für den Biss ist; ein Blut¬
gerinnsel und häufig eine Ecchymose
kennzeichnen die Stelle des Stichs.
Die weiteren Folgen sind zum
grossen Teil abhängig von dem Grade
der natürlichen Empfänglichkeit des
Individuums und der erworbenen Im-
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HARVARD UN1VERSITY
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216
New Yoftj
Medizinische Monatsschrift.
munität. In der Mehrzahl der Fälle
entwickelt sich auf urtikarieller Basis
eine papülo-vesikulöse Effloreszenz,
deren Verlauf sich auf mehrere Tage
bis zu mehreren Wochen erstrecken
kann. Der typische Verlauf zeigt vier
Stadien: das papulöse, das vesikulöse
oder pseudo-vesikulöse, das reife ve-
siko-papulöse oder nässende papulöse,
und das der Rückbildung, endend mit
der Narbe. Die volle Entwicklung
<ier papulo-vesikulösen Effloreszenz
findet statt am ersten bis dritten oder
fünften Tage und mag einige Tage bis
drei Wochen anhalten. Die Rück¬
bildung ist gekennzeichnet durch das
Auf hören des Nässens, Abschwellung
der Papel und endlich narbige Verän¬
derungen. Die begleitenden Sympto¬
me sind starkes Jucken, lokalisiert
oder mehr verbreitet, im Anfang mit
Wärmegefühl oder Brennen verbun¬
den, das ausserordentlich hartnäckig
ist,, mit ausgesprochener Neigung zu
spontanen, periodischen Exazerbatio¬
nen. Wo die Effloreszenzen nahe bei¬
sammen stehen, kann mehr weniger
ausgebreitetes Oedem vorhanden sein.
Eine deutliche Anschwellung der
benachbarten Lymphdrüsen kommt
bei der Mehrzahl der empfänglichen
Individuen innerhalb 24 Stunden zu¬
stande ; die einzelnen Drüsen sind
schmerzhaft und oft gegen Druck un-
gemein empfindlich, zeigen aber keine
Neigung, in Eiterung überzugehen.
Wiederholtes Ausgesetztsein führt zu
Immunität gegen alle sekundären Er¬
scheinungen, die bei Einheimischen
meist hochgradig entwickelt ist. Es
gibt auch deutliche Variationen der
Intensität der Virulenz der Fliegen
und der Empfänglichkeit einzelner In¬
dividuen. Konstitutionelle Symptome
sind beschrieben worden, konnten
aber von Stokes nicht beobachtet
werden.
Die histologische Untersuchung
zeigte, dass die in Folge der Einfüh¬
rung eines toxischen Agens auftreten¬
den Veränderungen: Gefässerweite-
rung mit anfangs perivaskulärem, spä¬
ter allgemeinem Oedem und ein poly¬
morphes, perivaskuläres Infiltrat, we¬
sentlich im Corium verlaufen. Auf¬
fällige lokale Eosinophilie ist eins der
am meisten bezeichnenden Erschei¬
nungen : meist polymorphonukeläre
Zellen, aus den Blutgefässen stam¬
mend, streben dem Zentrum der Ef¬
floreszenz zu und sind an der Stelle
des Einstichs so zahlreich, dass sie ein
ganz ungewohntes Bild darbieten.
Sehr bald findet eine ausgesprochene
Vermehrung der Mastzelien statt, be¬
sonders in der Nähe der Talg- und
Schweissdrüsen und der Gefässe. Vom
ersten Stadium an besteht eine bedeu¬
tende Infiltration mit Rundzellen, die
aber grösstenteils auf die Nähe der
Gefässe und den Kern der zentralen
Infiltration beschränkt bleibt. Eine
weitere eigentümliche pathologische
Erscheinung ist das bedeutende loka¬
lisierte Oedem und Anschwellung des
Papillarkörpers neben dem in dem
Herd durchaus vorhandenen allge¬
meinen Oedem. Dieser Lokalprozess
führt zur Bildung vön Bläschen mit
Verdünnung der überliegenden Epi¬
dermis, Abflachung der Retezapfen
und leichtem fibrinösen Exsudat in
dem Pseudo-vesikel. • Der mehr chro¬
nische Charakter zeigt sich in der Bil¬
dung embryonalen Bindegewebes und
fibroblastischer Wucherung des peri¬
vaskulären Infiltrates. Die Epidermis
zeigt nur geringe Veränderungen durch¬
aus sekundären Charakters. Sie beste¬
hen in der gelegentlichen Bildung wirk¬
licher Bläschen, mässigem intrazellulä¬
rem Oedem der Malpighischen und ba¬
salen Zellen und Pigmentveränderungen.
Der Prozess hinterlässt nur geringe
Reste von Fibrosis, namentlich in der
Nähe der Gefässe, und Pigmentation.
Direkte Beweise von der Einwirkung
irgend welcher Bakterien oder Proto¬
zoen konnten nicht erbracht werden.
Experimentell war Stokes imstan-r
de, vermittelst in Alkohol präservierter
Fliegen klinisch und histologisch die
durch den Biss des lebenden Insektes
verursachten Veränderungen zu repro¬
duzieren. Dies schliesst ein lebendes
infektiöses Agens aus, aber es gelang
nicht, die Natur des toxischen Elements
nachzuweisen, obwohl einige charakte¬
ristische Eigenschaften desselben fest¬
gestellt wurden.
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HARVARD UNIVER5ITY
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N*w Yoft Km Medizinisch! Monatsschkipt.
217
Sitzungsberichte.
Deutsche Medizinische Gesellschaft der Stadt New York.
Sitzung, Montag, den 4. Januar 1915.
Präsident Dr. Gustav Seelig-
m a n n eröffnet die Sitzung nach *49
Uhr.
Sekretär Dr. M. Rehling ver¬
liest das. Protokoll der vorigen Sitz¬
ung, welches genehmigt wird.
Hierauf tritt die Versammlung in
die Tagesordnung ein.
I. Vorstellung von Patienten.
a) Dr. R. D e n i g : Operation we¬
gen Keratokonus.
b) Dr. F. T o r e k: Präparat und
Röntgenogramm eines Falles von Oeso-
phagus-Divertikel, kompliziert mit
Lungenabszess.
II. Anqirache.
Ansprache des neuerwählten Präsi¬
denten.
• Präsident Dr. W. Freudenthal:
Ich möchte zunächst den Herren Kol¬
legen meinen Dank für die auf mich
gefallene Wahl ausdrücken. Ferner
möchte ich meinem Herrn Vorgänger
für die schönen Worte danken, die er
soeben gesprochen hat und die mir
ganz aus dem Herzen kamen. Am 4.
Januar 1897, also genau heute vor 18
Jahren, hatte ich zum ersten Mal die
Ehre, den Vorsitz hier übernehmen zu
dürfen. Es hat sich in der Zeit so
manches verändert. So mancher ist
von uns gegangen, den wir lieb ge¬
wonnen haben, so mancher, der eine
grosse Stütze des Vereins gewesen.
Ist für diese Männer Ersatz geschaf¬
fen worden? Sie wissen, dass die Ein¬
wanderung namentlich der gebildeten
Klassen in den letzten Jahren äusserst
gering war, und, wie die Sachen
draussen stehen, ist für die nächste
Zukunft eine Einwanderung von Me¬
dizinern überhaupt nicht zu erwarten.
Wenn ich an die Verhältnisse in Eu¬
ropa denke, so blutet mir das Herz,
besonders wenn ich an unser altes Va¬
terland denke, dessen Hochschulen
doch die meisten von uns ihre akade¬
mische Bildung verdanken. Andere
freilich auch. Die haben es aber ver¬
gessen. Doch meine Gefühle sind
nach dieser Richtung hin so ausge¬
prägt, dass ich mich scheue, näher auf
diesen Punkt einzugehen. Ich möchte'
aber hier dasselbe betonen, was Dr.
Seeligmann gesagt hat, dass jetzt
grade der Zeitpunkt gekommen ist,
wo wir uns nach berühmten Mustern
fester aneinanderschliessen sollten, wo
wir auch im Geist der Gründer dieser
Gesellschaft nach den wissenschaft¬
lichen Verhandlungen hier zusammen¬
bleiben und einen gemeinschaftlichen
Ideenaustausch pflegen sollten. Aber,
sagte mir erst vor kurzem einer, ist
wirklich noch eine Existenzberechti¬
gung für die Deutsche Medizinische
Gesellschaft vorhanden? Nun, solan¬
ge es noch so viele Aerzte gibt, die
draussen geboren und erzogen sind,
solange wird es eine Notwendigkeit
sein, dass wir Zusammenkommen und
uns in deutscher Sprache medizinisch
und freundschaftlich unterhalten.
Aber auch für andere, die draussen
ihre Erziehung genossen haben, wird
es eine Genugtuung sein, hier Mit¬
glied werden zu können. Wenn es
aber einmal dazu kommen sollte, dass
die meisten unserer Vorträge auf eng¬
lisch gehalten würden und die Diskus¬
sion in derselben Sprache geführt wer¬
den müsste, dann allerdings wäre es
besser, wir schliessen unsere Tore und
gehen in corpore zu einem der hier so
zahlreichen und zum Teil ausgezeich¬
neten englisch sprechenden Vereine
über. Aber die Anzahl unserer Mit¬
glieder ist für die kommenden Jahre
Bürgschaft genug, und wenn ich den
Appell meines Vorgängers wieder¬
holen darf, so bitte auch ich Sie, Ihre
Zeit ein klein wenig der Deutschen
Medizinischen Gesellschaft zu opfern.
Empfangen Sie nochmals meinen
herzlichen Dank für Ihre Wahl.
Und nun möchte ich einige Gäste
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HARVARD UNIVERSiTY
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218
New Yen ui Medizinische MoNATSscHurt.
begrüssen, die uns heute mit ihrem
Besuch beehren, insbesondere Herrn
Dr. Felix von Luschau, Profes¬
sor der Anthropologie an der Univer¬
sität Berlin, sowie Herrn Dr. Spitz-
k a, bisher Professor der Anatomie in
Philadelphia.
Ehe wir weitergehen, möchte ich
noch bemerken, dass die nächste Sitz¬
ung wahrscheinlich nicht hier in der
Academy stattfinden wird, sondern in
Aeolian Hall. Wir werden, denke ich,
einen sehr interessanten Vortrag über
die körperliche Erziehung in der Eli¬
sabeth Duncan Schule in Darmstadt
zu hören bekommen.
In der letzten Vorstandsitzung wur¬
de der Antrag gestellt und einstimmig
angenommen, den Witwen und Wai¬
sen der im Krieg gefallenen deutsch¬
österreichisch - ungarischen Kollegen
250 Dollar zu senden, und der Vor¬
stand empfiehlt Ihnen ebenfalls die
einstimmige Annahme des Antrags.
Auf Antrag von Dr. Carl Pfister
beschliesst die Versammlung einstim¬
mig, dem Antrag des Vorstands ge¬
mäss die Summe von 250 Dollar für
den betreffenden Zweck zu bewilligen.
III. Vorträge.
a) Dr. W. Freudenthal: Neue
Methoden in der Behandlung des
bronchiden Asthmas.
b) Dr. A. Rosten b erg: Der au¬
genblickliche Stand der Syphilis¬
therapie.
Diskussion.
Dr. Ludwig Weiss: In dem in¬
teressanten Vortrag ist uns beinahe
Alles in nuce gegeben worden, was
wir über die neue Behandlung der
Syphilis wissen. An dem Vortrag sel¬
ber kann ich keine Kritik üben, inso¬
fern er als fleissiges Sammelreferat
wirklich all dasjenige bringt, was bis
zum letzten Moment geleistet wurde;
aber wir sind dem Vortragenden zu
Dank verpflichtet dafür, dass er es uns
in so angenehmer Form brachte. Durch
die neueren Ansichten über Syphilis,
welche durch die Entdeckung des Sy¬
philis-Erregers, durch die Etablierung
der Wassermann'schen Reaktion als
diagnostischen und prognostischen
Behelf eingeleitet wurde, haben wir
ungeahnte therapeutische und diagno¬
stische Fortschritte zu verzeichnen,
die in diesem Moment in ihrer Anwen¬
dung noch zu jung sind, um allge¬
meine Regeln daraus zu deduzieren.
Wir wissen mit ziemlicher Genauig¬
keit, was unser altes Quecksilber be¬
deutet und uns leistet. Vierhundert
Jahre der Anwendung dieses Mittels
haben uns darüber aufgeklärt, was wir
davon zu erwarten, was wir davon zu
befürchten haben. Soviel aber ist ge¬
wiss, dass wir in dem Salvarsan —
und darin stimmen wir alle mit dem
Vortragenden überein — das beste
jetzt bekannte Mittel zur Bekämpfung
der Lues wissen. Ob es nun, wie im
Anfang, intramuskulär oder durch die
Venen oder, wie in neuester Zeit, in¬
traspinal angewendet wird, das ist ei¬
ne Frage, die mit dem jeweiligen Fall
in innigem Zusammenhang steht. Die
intravenöse Anwendung kennen wir ja
alle, und ich möchte Ihre Zeit nicht
damit verbrauchen. Wir wissen, dass
einige Gefahren damit verbunden sind,
die sich aber bei guter Technik und
absoluter Aseptik beinahe auf Null re¬
duzieren. Wir wissen, dass wir bei
dem Neosalvarsan wie bei dem alten
Salvarsan — bei Neosalvarsan mehr
als bei dem alten — gewisse Nach¬
erscheinungen nicht sehr beängstigen¬
der Natur haben, wie Kopfschmerzen,
Gliederreissen, Erbrechen, die nach
ein paar Stunden zurückgehen und
nicht immer, wie manche annehmen,
auf fehlerhafter Technik beruhen.
Die intraspinale Anwendung des
Alt-Salvarsans bei cerebro-spinaler
Lues, Tabes und Parese hat bereits
Vielversprechendes geleistet. Ihr An¬
wendung jedoch erfordert tadellose
Technik und Laboratoriumfazilitäten.
Gleihwie eine wissenschaftliche Be¬
handlung der Gonorrhoe ohne Mikro¬
skop unmöglich ist, so ist es nicht
möglich, dass man ohne Wassermann-
sche Reaktion eine zielbewusste Sal-
varsanbehandlung durchführen könn¬
te. Ohne sie wäre die Behandlung
eine grob empirische. Im Allgemeinen
bietet die Statistik folgenden Anhalts¬
punkt : dass 75 bis 80 Prozent der
Fälle vom klinischen sowohl als vom
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HARVARD UNIVERS1TY
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
219
Laboratorium-Standpunkte nach Sal-
varsanbehandlung negativ werden,
dass 25 Prozent unbeeinflusst bleiben
und von diesen 25 Prozent 20 der alten
Behandlung Folge leisten, indem sie
dann auf Quecksilber negativ ausfal-
len. Fünf Prozent von diesen 25 blei¬
ben positiv, man tue, was man wolle,
und diese 5 Prozent sind die sozial ge¬
fährlichsten, aber nicht in der Weise,
wie der Vortragende meinte, durch
Ansteckungsfähigkeit, sondern in an¬
derer Weise, und ich werde Ihnen ei¬
nen solchen Fall vorlegen, welcher
meine Ansicht charakterisiert. Mir
wurde ein Fall von Ehrlich selber
zugewiesen, um ihn hier weiter zu be¬
handeln. Er hatte 18 Jahre vorher
Syphilis, wurde im Anfang zwei Jahre
lang behandelt und hatte 16 Jahre lang
gar keine Symptome. Die Wasser-
mann’sche Reaktion vor der Behand¬
lung zeigte 4 +. Er wurde der ge¬
bräuchlichen Behandlung unterzogen
von acht intravenösen Salvarsanein-
spritzungen in 14tägigen Intervallen
mit zwei lOprozentigen Quecksilber-
Salizylinjektionen intramuskulär zwi¬
schen je zwei Salvarsan-Einspritzun-
gen. Nach acht Wochen hatte er 3+.
Nach einer vierteljährigen Pause wur¬
de er mit seinen 3+ wieder in Behand¬
lung genommen, bekam sechs Salvar-
san-diesmal Alt-Salvarsan-Ein¬
spritzungen mit dem gebräuchlichen
Hg in der Zwischenzeit. Nach acht
Wochen war die Reaktion wieder 4
positiv. Nun kommt das Tragische
der Sache. Der Mann war verlobt in
einem kleinen Städtchen eines südli¬
chen Nachbarstaates. Er wollte hei¬
raten, aber trotz meines Zuredens,
dass diese 4+ nach so intensiver Be¬
handlung nichts bedeuten, dass er 16
Jahre ohne Symptome war und flott
darauf los heiraten könne, tat er es
nicht. Eines Tages kam er zu mir und
sagte: Nun so steht es, wenn man
ehrlich ist, die Leute wollten mich
teeren und federn, weil ich nicht hei¬
raten wolle, während ich doch aus Ge¬
wissenhaftigkeit mich davon zurück¬
halte. Hier wäre also eine unbeabsich¬
tigte soziale Katastrophe, verursacht
durch eine hartnäckig positiv bleiben¬
de Wassermann’sche Reaktion. Nun
denken Sie nur ja nicht, dass ich mich
dieser Probe gegenüber feindselig ver¬
halte. Ich glaube an die Wassermann-
sche Reaktion, aber es sind Limitatio¬
nen vorhanden, und wir müssen nicht
blindlings sagen: Du hast 3 + und
darfst daher nicht heiraten. Bei Leu¬
ten, die ein derartiges Verhalten zei¬
gen, dabei gesund und ohne Sympto¬
me sind, ist die Gegenwart einer Kom¬
plement bildenden Substanz vielleicht
in einer Blutveränderung und nicht in
der Gegenwart von Spirochäten oder
deren Toxinen zu suchen. Wir kön¬
nen solche Leute mit der grössten Ge¬
wissenhaftigkeit heiraten lassen; sie
werden weder syphilitische Kinder er¬
zeugen noch ihre Frauen anstecken,,
und in dieser Beziehung, meine ich,
sollte man mit der so segensreichen
Wassermann’schen Reaktion nicht zu
katechetisch vorgehen und in derarti¬
gen positiv bleibenden Spätfällen ihrer
Limitation eingedenk sein.
Dr. Ludwig O u 1 m a n: Dr. Ro¬
stenberg hat vorhin bemerkt, dass
er mit kleinen Dosen anfängt und zu
grösseren Dosen übergeht. Ich glaube,
dass bei einem kräftigen Patienten
gleich mit grossen Dosen angefangen
werden soll.
Im Allgemeinen gebe ich auch lie¬
ber das Alt-Salvarsan, aber für ambu¬
lante Behandlung halte ich Neu-Sal-
varsan für zweckmässiger und glaube,
dass die Wirkung in Neu-Salvarsan,
wie auch in einer Arbeit betont wurde,
einfach in der Wirkung auf die Was-
sermann’sche Reaktion besteht.
Die Exzision des Schankers habe
ich in Berlin vor 13 Jahren zu sehen
Gelegenheit gehabt. Von der heissen
Luftbehandlung, der zum Teil noch
intensiveren Behandlung als Exzision,
habe ich nicht sehr viel Erfolg gese¬
hen. Seit wir mit Quecksilber und
Salvarsan eine viel schönere Heilung
des Schankers hervorrufen können,
glaube ich, dass wir die Exzision ruhig
beiseite lassen können.
Was die Heiratsfrage betrifft, so
glaube ich, dass wir die Patienten
nicht so lange behandeln können. Er¬
stens würden wir sie selbst verlieren,
und zweitens, wenn die Patienten län¬
gere Zeit symptomfrei waren und
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HARVARD UNIVERSITY
220
New Yoeue Medizinische Monatsschrift.
wenn wir eine Anzahl W'asserman-
Reaktionen bekommen haben, die ne¬
gativ waren, dann können wir, aller¬
dings ohne dass wir die Verantwort¬
lichkeit voll auf uns nehmen, ihnen ru¬
hig sagen: Wenn Sie glauben, dass
Sie heiraten müssen, so heiraten Sie.
Sollte sich aber das Geringste zeigen,
so muss eine Behandlung eingeleitet
werden.
Die zweimonatliche Wassermann-
Untersuchung ist sehr gut, sowohl für
die Reichen wie für die Armen. Für
den Mittelstand ist das eine andere
Frage. Ich glaube, wenn man einst¬
weilen eine oder zwei negative Unter¬
suchungen gehabt hat, dass man längere
Zwischenräume sollte abwarten lassen.
Die Frage der Injektion bei Xieren-
und Lebererkrankungen anlangend, so
haben wir es immer so gehalten, dass
wir, wenn wir auf kleine Dosen
Quecksilber Besserung der Symptome
gesehen haben, dann energisch mit an¬
tisyphilitischer Behandlung vorgegan¬
gen sind.
Bei kleinen Kindern ist eine Me¬
thode, die ich mit Dr. Will heim
einmal beschrieben habe, zu empfeh¬
len. Die rektale Anwendung des Sal-
varsan ist doch immerhin empfehlens¬
werter weil schmerzloser nach meiner
Ansicht. Man kann grössere Dosen
von Salvarsan geben. Das Mittel wird
schneller von der Leber aufgenommen
und dann hat man nicht die Schwierig¬
keiten, die die intravenöse Injektion
bereitet.
Dr. H. H e i m a n diskutiert den Vor¬
trag in englischer Sprache.
Dr. A. Rostenberg (Schluss¬
wort): Ich habe dem Gesagten kaum
etwas hinzuzufügen und bin nur sehr
erfreut, dass meine Arbeit eine so leb¬
hafte Diskussion hervorgerufen hat.
Herrn Dr. W e i s s möchte ich bei¬
stimmen insofern, dass man nicht zu
viel Wert auf einen positiven Wasser¬
mann in der Heiratsfrage legen muss.
Wenn der Patient trotz aller Behand¬
lung doch einen positiven Wasser¬
mann zeigt, so sind das Fälle, wo der
Patient salvarsan- und quecksilberfest
geworden ist und der Wassermann
nicht mehr negativ gemacht werden
kann. Es liegt die Gefahr nahe, dass
man die Patienten zu Syphilitophoben
heranzieht, und wer einen solchen ge¬
sehen, der wird zugeben, dass dieser
an der fürchterlichsten Krankheit lei¬
det, die man sich vorstellen kann. Ich
kenne einen Fall, wo ein Mann, ohne
wirkliche Symptome von Syphilis zu
zeigen, sich das Leben nahm, weil er
dachte, nicht kuriert zu sein.
Herrn Dr. O u 1 m a n möchte ich er¬
widern, dass ich es doch vorziehe, mit
kleinen Dosen anzufangen, da man aus
der Reaktion immerhin entnehmen
kann, ob man mit grösseren Dosen
fortfahren soll. Wenn ich nach zwei
Jahren nach beständiger Beobachtung
serologisch und klinisch keine Symp¬
tome mehr sehe, dann höre ich mit der
Behandlung auf. Zwei Jahre genügen.
Nur wo die Wassermann’sche Unter¬
suchung dann doch positiv ausfällt,
wird man mit der Behandlung wieder
einsetzen müssen.
Herr Dr. H e i m a n hätte vor eini¬
gen Wochen, wo ich einen Vortrag in
der Bronx County Gesellschaft gehal¬
ten, zur Diskussion kommen sollen.
Er hätte mir einen grossen Dienst er¬
wiesen, wenn er in jener Gesellschaft
mich so glimpflich behandelt hätte wie
heute Abend. Da waren einige Her¬
ren anwesend, die einen ganz entge-
f engesetzten Standpunkt ein nahmen.
!iner der Herren behauptete: Einmal
Syphilis, immer Syphilis. Eine so
furchtbar traurige Behauptung wurde
gemacht, dass man Syphilis überhaupt
nicht mehr kurieren könne, und von
palliativer Behandlung wäre garnicht
die Rede.
Zum Schluss sage ich nochmals den
Herren, die sich an der Diskussion be¬
teiligt haben, meinen besten Dank.
Präsident Dr. W. Freudenthal:
Ich teile Ihnen noch mit, dass Dr.
John G. Gerster einstimmig zum
Mitglied der Gesellschaft gewählt
worden ist.
Hierauf tritt Vertagung ein.
Schluss der Sitzung um j^ll Uhr.
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HARVARD UN1VERSITY
New Y<
Medizinische Momatsscheift.
221
Therapeutische und klinische Notizen.
— Ueber seine Erfahrungen mit Codeonal
berichtet Dr. Leva, Assistent der Psychia¬
trie- und Nervenkllnik der Universität
Strassburg: Die Krankheiten der Ver¬
suchspersonen waren Psychosen leichteren
und schwereren Grades, Neurosen und or¬
ganische Nervenleiden, bei denen allge¬
mein neurasthenische Beschwerden und
körperliche Schmerzen bestanden. Die üb¬
liche Dosis bestand in 2—3—4 Tabletten,
die nach dem Abendessen dargereicht wur¬
den. In einigen Fällen von Hypomanie,
depressiver Erregung und Dementia prae¬
cox, deren Schlaflosigkeit durch Hyoszin
zu beseitigen war, wurde die allgemeine
motorische Unruhe und Erregung auch bei
Steigerung der Dosis nicht merklich be¬
einflusst. Günstiger war die Wirkung bei
einer Reihe von Kranken, bei welchen nach
abgeklungener Psychose Zustände leichter
periodischer Erregung mit Schlaflosigkeit
auftraten. Bei Patienten, die kurz vorher
schwere hysterische Erregungszustände
überwunden hatten, trat nach Einnahme
von zwei Codeonaltabletten angenehmer
ruhiger Schlaf ein. Aehnlich war die Wir¬
kung bei Kranken, die an organischen Af¬
fektionen des Zentralnervensystems mit
körperlichen Beschwerden litten.
Bei Kindern, die an schwerer Chorea
minor mit Psychose erkrankt waren, ge¬
nügte nach Geringerwerden der motori¬
schen Unruhe eine Tablette Codeonal, um
einen ruhigen Schlaf zu erzeugen. Bei
Zuständen, die mit starken Affektions¬
schwankungen und innerer Spannung und
Hemmung einhergingen, schien die narko¬
tische Wirkung des Codeonals nicht auszu¬
reichen.
In keinem der beobachteten Fälle war ein
erhebliches Schwanken des Blutdruckes er¬
kennbar. Ebenso traten keine unangeneh¬
men Allgemeinerscheinungen auf.
Die Beobachtungen des Autors lehren,
dass Codeonal bei Psychosen und Neuro-
psychosen, die mit allgemein motorischer
Unruhe und schweren affektiven Erregungs¬
zuständen einhergehen als Sedativum wohl
selten ausreicht. Hingegen eignet sich das
Präparat sehr gut als Schlafmittel bei Zu¬
ständen von leichter allgemeiner nervöser
Erregbarkeit und Erschöpfung, sowie bei
organschen Nervenaffektionen, die mit kör¬
perlichen Schmerzen verbunden sind. (Med.
Klinik.)
— Ueber Kopaivabalsam. Die optische
Drehung eines aus Manaos in Brasilien
stammenden Balsams betrug im 100 mm-
Rohr — 40°, die des abdestillierten Oeles
— 35° 20' und die des Harzes, das nur zu
20.4 Prozent in dem Balsam enthalten war,
55°.
Im Anschlüsse an diesen Befund wurden
die betreffenden Werte auch an einer Rei¬
he anderer Balsame: Marakaibo, Maturin,
afrikanischen und Handelsware ermittelt;
nach folgendem Verfahren wurde das äthe¬
rische Oel abgeschieden:
Ein Quantum von 20 bis 50 g Balsam
wird mit etwa 100 ccm gesättigter Koch¬
salzlösung in einem Kochkolben der Was¬
serdampfdestillation unterworfen, bis kei¬
ne wesentlichen Mengen Oel mehr über¬
gehen, was etwa vier Stunden in Anspruch
nimmt. Das Destillat wird mit Kochsalz
versetzt, in einem Scheidetrichter das oben
schwimmende ätherische. Oel abgetrennt,
dieses mit etwas getrocknetem Natrium¬
sulfat entwässert, filtriert und polarisiert.
Durch besondere Versuche wurde ermit¬
telt, dass verschiedene Fraktionen des
Oeles denselben Drehungswinkel besasseh.
Auf die Wichtigkeit der Feststellung des
optischen Verhaltens des ätherischen Oeles
der Kopaivabalsame hatte bereits From-
m e hingewiesen. Dessen Angaben erfuh¬
ren noch eine wertvolle Ergänzung durch
die Ermittlung der Drehung des zurück¬
bleibenden Harzes.
Der Destillationsrückstand wurde noch
warm in eine Schale herausgespült, die
Salzlösung mit Wasser weggewaschen, das
Harz in der Wärme vom Wasser befreit
und in Chloroform gelöst. Diese Lösung
wurde, falls nicht klar, mit getrocknetem
Natriumsulfat geschüttelt und filtriert, dann
polarisiert und die Drehung auf reines
Harz in 100 mm-Schicht umgerechnet an¬
gegeben. Natürlich können diese Zahlen
nicht als absolut genau angesehen werden.
Nebenher wurde der Harzgehalt durch län¬
geres Erhitzen von 2 g Balsam im Trocken¬
schrank, bis keine erhebliche Abnahme
mehr erfolgte, ermittelt. Betreffs des afri¬
kanischen Balsams ist noch zu bemerken,
Original frorn
HARVARD UNIVERSITV
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222
New YoftKEK Medizinische Monatsschbutt.
dass er mit Ammoniak sofort gelatiniert,
ein direkter Zusatz als dadurch erkennbar
wird.
Aus den gefundenen Zahlen ist ersicht¬
lich, dass echte offizielle Balsame selbst
stark nach rechts drehen, aber ein ätheri¬
sches Oel mit Linksdrehung und ein Harz
mit starker * Rechtsdrehung liefern; wäh¬
rend afrikanischer Balsam wenig, sein Oel
stark rechts und sein Harz etwa ebenso
stark links dreht.
Stellen diese Notizen auch nur erste Ver¬
suche dar, so ist doch bei der Wichtigkeit
des Kopaivabalsams als Arzneimittel jeder
Beitrag zu seiner Prüfung von Wert und
bietet auf eden Fall zu weiteren Untersu¬
chungen Anregung. (Riedel's Berichte.)
— Jodival, ein Jodkaliersatzpräparat
Trotzdem Dr. Franz Dorn in Berlin schon
verschiedene Jodkaliersatzpräparate ange¬
wandt hat, in der Voraussetzung, das zu
finden, was die Mittel versprachen, musste
er nach geraumer Zeit manches derselben
beiseite legen, da die gerühmten Vorzüge
zum Teil fehlten, und er oft nicht das er¬
reichte, was er mit Jodkalium erzielte. Es
wirft sich ja nun von selbst die Frage auf,
warum er nicht bei Jodkalium geblieben;
aber jeder weiss, mit welchen unangeneh¬
men Nebenwirkungen wir bei Jodkalium
häufig rechnen müssen. Er richtete daher
schon lange sein Augenmerk daiauf, ein
wirklich brauchbares Jodkaliersatzpräparat
unter der Zahl der angepriesenen heraus¬
zufinden. Vor ca. 1Jahren wurde nun
ein Jodkaliersatzpräparat vorgelegt, dar¬
gestellt von der Firma Knoll & Co., Lud¬
wigshafen a. Rh., welches unter dem Na¬
men „Jodival“ in den Handel kommt.
Jodival ist a-Monojodisovalerylharnstoff
und stellt ein weisses, mikrokristallinisches
Pulver dar, von schwach bitterem Ge¬
schmack, unlöslich in kaltem Wasser,
Aether und Alkohol. Es enthält 47 Prozent
Jod, passiert den Magen ungelöst und un-
zersetzt, löst sich erst im Dünndarm und
wird als Jodivalnatrium resorbiert. Wenn
auch nur mit geringen Erwartungen, mach¬
te D. auch Versuche mit diesem Präparat
und fand in demselbeen Vorzüge vereinigt,
die man an ein brauchbares Jodkaliersatz¬
präparat stellt. Es hat keine störenden
Nebenerscheinungen, ruft insbesondere kei¬
ne Magenbeschwerden hervor und zeichnet
sich durch schnelle Jodwirkung sowie voll¬
kommene Resorption aus. Zu erwähnen
ist auch die gleichzeitig sedative Wirkung
des Jodivals infolge seiner Zusammensetz¬
ung mit Baldrian, die ich besonders schätze.
Wenn D. auch nicht alles unterschreibt,
was andere Autoren über das Präparat ge¬
sagt haben, so hält er es nach seinen da¬
mit gemachten Beobachtungen jedenfalls
für ein gutes Ersatzpräparat. Seine Erfah¬
rungen erstrecken sich hautsächlich auf das
Gebiet der Arteriosklerose, auch mit lueti¬
scher Basis, und auf Störungen der Luftwege.
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Original frorn
HARVARD UNIVERSITY
JScw Yorker
JVIedizimscbe JVlonatsöcbrift
OffliiillM Organ der
feaffftet mttttMMta titfenftaftta der Städte new gen
£Mcago «ad eimiaad.
Herausgegeben von Dr. ALBERT A. RlPPERGER
unter Mitwirkung von Dr. A. Herzfeld, Dr. H. G. Klotz und Dr. von Oefele.
Bd. XXV.
New York, Ferrl'ar 1915.
Nr. 9.
Originalarbeiten.
Die Körper-Kulturbewegung in Deutschland und die
Elizabeth Duncan Schule.*
Von Max Merz,
Direktor der Elizabeth Duncan Schule.
Dem Arzte fällt heute neben der Auf¬
gabe die Kranken zu behandeln, die hohe
und ebenso wichtige Aufgabe zu, Krank¬
heiten zu verhüten, d. h. Gesunde gesund
zu erhalten. Für die Volkshygiene —
ein gut Teil der Volkswohlfahrt— hat
der Arzt zu sorgen. Ihm obliegt die
Sammlung und Verarbeitung eines
wichtigen statistischen Materials aller
Krankheitserscheinungen und die Er¬
forschung ihrer Ursachen; er hat die
Fragen der Volksernährung, der Woh¬
nungsfürsorge zu prüfen, trägt die Ver¬
antwortung für sanitäre Verhältnisse in
Stadt und Land, ihm obliegt auch die
Jugendfürsorge, insofern sie ärztliche
Kontrolle (durch die Tausende Uebel
rechtzeitig aufgedeckt werden), Zahn¬
pflege, Schutz gegen geistige oder leib¬
liche Ueberanstrengung, Regulierung
des Verbrauchens jugendlicher Kräfte,
hygienische Aufklärung, zu der auch
* Vortrag, gehalten in der Deutschen Medizini¬
schen Gesellschaft der Stadt New York am 3. Fe¬
bruar 1915.
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die sexuelle Aufklärung gehört, u.s.w.
betrifft, kurz und gut, dem Arzte ob¬
liegt die hygienische Fürsorge, die man
am besten mit dem einen Worte „Ras¬
senhygiene“ bezeichnen kann, wobei
selbstverständlich das Hauptgewicht auf
die Hygiene zu legen ist, da wir von ab¬
geschlossenen, reinen Rassen innerhalb
der Kulturwelt nicht viel mehr sprechen
können. Die rassenhygienische Forde¬
rung aber kann nur dann ganz und voll
erfüllt werden, wenn die Jugendfürsor¬
ge als ihre Grundlage angesehen wird.
Zu dem Kapitel der Jugendfürsorge
und Schulhygiene gehört auch die kör¬
perliche Erziehung. Ich möchte gleich
von vornherein erklären, dass wir in
Deutschland wohl orientiert sind über
die alles überragenden Leistungen Ame¬
rikas auf sportlichem Gebiete, dass aber
Deutschland auf dem Gebiete der kör¬
perlichen Erziehung Fortschritte aufzu¬
weisen hat, die sicher für andere Länder
interessant, wenn nicht vorbildlich sind.
Die Voraussetzungen für den Auf-
Original fram
HARVARD UNIVERSITY
224
New Yo&kee Medizinische Monatsscheut.
schwung von Sport und Spiel in Ame¬
rika und Deutschland sind zu verschie¬
dene, als dass die beiden Länder mitein¬
ander verglichen werden können. Er¬
stens war die Leibesübung der männli¬
chen Jugend Deutschlands im wesentli¬
chen an die militärische Dienstleistung
gebunden, war also eine Pflichterfül¬
lung, während sie in Amerika von jeher
mehr freies Spiel war, also aus freiem
Entschlüsse kam. Zweitens hatte die
amerikanische Jugend für Sport und
Spiel mehr freie Energien zur Verfü¬
gung als die deutsche, überhaupt die
europäische Jugend. Die amerikanische
Jugend hatte sozusagen nicht so viele
kulturelle Hemmungen zu überwinden,
da die innere Hingabe an ästhetisch-
künstlerische Probleme doch bis zu ge¬
wissem Grade wegfiel, während sie in
Deutschland, wie überhaupt in West-
Europa durch die ganze Atmosphäre be¬
dingt, eine bedeutende Rolle spielten.
Der neuzeitlichen Entwicklung von
Sport und Spiel geht eine lange Ge¬
schichte des deutschen Turnens und der
deutschen Turnvereine voraus. Vor
hundert Jahren, zur Zeit der Befreiungs¬
kriege ins Leben getreten, mussten sich
die Turnvereine in der Mitte des vori¬
gen Jahrhunderts oft verbotener politi¬
scher Umtriebe zeihen und sich manche
Unterdrückung gefallen lassen. Erst in
der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhun¬
derts wird ihre Bedeutung eine allge¬
meine. Auch in Oesterreich treten die
Turnvereine um die Achtziger Jahre in
den Vordergrund. Dann aber kam der
grosse Aufschwung der Naturwissen¬
schaften und ihre Popularisierung. Die
Eolge davon war, das man sich auch in
Laienkreisen viel mehr mit den Heil¬
wissenschaften beschäftigte, und, nach¬
dem auch auf den Gebieten der Technik
und Kunst sich neue Kräfte regten, war
es nicht zu verwundern, dass plötzlich
der Befreiung des Körpers mit leiden¬
schaftlicher Begeisterung das W ort ge¬
sprochen wurde. Xaturheilverfahren,
Vegetarismus, Kaltwasserbehandlung.
Licht- und Luftbäder wurden propa¬
giert. Es schien als ob über ganz Jung-
Deutschland und Oesterreich die Sehn¬
sucht gekommen wäre, sich mit Wasser¬
fluten, -Dämpfen und Sonnenstrahlen
den Schutt vergangener Zeiten von der
Seele zu spülen. Bald nachher setzte die
Sportbewegung ein. Der Rudersport
hatte bereits eine Tradition, der Rad¬
fahrsport trat neu hinzu. Der Deutsche
und der Oester reicher waren von jeher
leidenschaftliche Xaturverehrer und
demgemäss gute Wanderer. Die Hin¬
gabe an den Alpen- wie an den Berg¬
sport brachte in das Wandern System
und übte auf Alt und Jung erzieheri¬
schen Einfluss aus.
Es galt W ege zu bahnen in die ent¬
legensten Bergtäler, durch Schluchten
und über Wasserstürze hinweg, hinauf
zu den Schneefeldern. Gletschern und
den Häuptern der Bergriesen. Der
deutsch-österreichische Alpenverein teilt
sich in verschiedene Sektionen, von de¬
nen jede die Kosten der Erhaltung eines
bestimmten Gebietes, also die Anlagen
der Wege, Klettersteige, Markierungen,
Sicherungen, Orientierungstafeln und
die Erbauung und Erhaltung der zahl¬
reichen Schutzhäuser und Schutzhütten
zu tragen hat. Dem Bergsport obliegt
Arm und Reich, Hoch und Niedrig, und
auf seine Ausbreitung ist auch der enor¬
me Aufschwung, den der Wintersport
genommen hat, zurückzuführen.
Von einer Körperkulturbewegung im
Sinne der modernen Zeit kann man aber
erst sprechen, als mit Beginn des Jahr¬
hunderts die Rasenspiele ihre Verbrei¬
tung fanden. Von da ab ging es mit
Riesenschritten aufwärts. Es ist nicht
meine Aufgabe, die Körperkulturbewe¬
gung Deutschlands in Detail zu behan¬
deln, nur einige Streiflichter möchte ich
geben. Die Beteiligung deutscher
Mannschaften an den olympischen Spie¬
len, die Reisen junger Sportsleute ins
Ausland brachten den heimischen Ver¬
einigungen viel Neues. Auch hier ha¬
ben wir den Satz: „Deutsch sein, heisst
gründlich sein“ kennen zu lernen. Da
man zu lernen hatte, lernte man griind-
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
225
lieh und nützte die Resultate gleich zur
Schaffung neuer Organisationen. Bei
dem Umstande, dass ein verhältnis¬
mässig kleines Land so zahlreiche be¬
deutende Städte aufzuweisen hat, ist bei
der Kürze der Verbindung der Verkehr
unter diesen ein ungemein lebhafter
und deshalb auch für jede einheitliche
Organisation günstig. So haben wir in
den letzten zehn Jahren in Deutschland
auf sportlichen Gebieten einen Auf¬
schwung genommen, der mit Berück¬
sichtigung der Kürze der Zeit ganz ver¬
einzelt darstehen dürfte, und der sicher
gelegentlich der „Internationalen Olym¬
piade Berlin 1916/* die ja nun leider
kaum stattfinden dürfte, grosse Ueber-
raschungen gebracht hätte. Carl D i e m,
der verdienstvolle Sekretär des deut¬
schen Reichsausschusses für die olym¬
pischen Festspiele, oder Dr. M a 1 w i t z,
der Arzt des deutschen Stadions in Ber¬
lin und der begeisterte Organisator auf
sportlichem Gebiet, würden Ihnen bes¬
ser als ich an trockenen Zahlen den
sportlichen Aufschwung Deutschlands
sowohl nach Richtung der Organisa¬
tionen wie nach den Leistungen darle¬
gen können. Ich möchte nur noch dar¬
auf hinweisen, dass wir in Deutschland
bereits von einer wissenschaftlichen
Kontrolle der Leibesübung sprechen
können. Eine Reihe von Physiologen,
allen voran Geheimrat Prof. Z u n t z,
Berlin, versuchen die Grenzen, inner¬
halb deren die Leibesübung als gesund¬
heitsfördernd bezeichnet werden kann,
festzustellen und die Leistungsfähigkeit
von Herz, Lunge und Niere als der beim
Sport am meisten angestrengten Organe
zu prüfen. Selbstverständlich hängt die¬
se von der individuellen Disposition ab,
immerhin verfügt die Wissenschaft be¬
reits über ein statistisches Material, aus
dem noch reiche Erfahrungen gezogen
werden können. Die bestehenden Sport¬
laboratorien verfügen über die feinsten
Messinstrumente, wie über die fach¬
wissenschaftlich ausgebildeten Leute.
Die Vorträge des Geheimrats Z u n t z
über die Grenzen der körperlichen Lei¬
stungen im physiologischen Sinne
zählen zu den interessantesten, die ich
gehört habe. Eine interessante und
bedeutende Tatsache ist, dass die Mili¬
tärbehörden zu den besteh Förderern
des Sportes, insbesondere der Rasen¬
spiele und des Fünfkampfes geworden
sind. Nicht nur die Mannschaften, son¬
dern auch die Offiziere stellen ein
grosses Kontigent der Sportausübenden
und man findet auf den Sportplätzen der
vielen Garnisonstä^te ebenso Mann¬
schaftsriegen wie Offiziersriegen in
fröhlicher Tätigkeit. Es dürfte eine Ih¬
nen bekannte Tatsache sein, dass zwei
kaiserliche Prinzen als Mitglieder des
B. S. C. zu den besten Läufern und
Springern zählen.
Es liegt nun in der Natur der Sache,
dass, wenn wir uns mit der Körperkul¬
tur der Frau beschäftigen, wir auf ästhe¬
tische Momente stossen, was nicht sagen
soll, dass beim männlichen Sportbetrieb
die ästhetische Forderung wegfällt.
Ja diese deckt sich sogar mit der physio¬
logischen Gesetzmässigkeit, da erwiesen
ist, dass ein überforcierter Körper we¬
der den physiologischen noch den ästhe¬
tischen Gesetzen entspricht. Der Frage
der körperlichen Erziehung des weibli¬
chen Geschlechtes wurde erst im letzten
Jahrzehnt jene Aufmerksamkeit ge¬
schenkt, die ihr zukommt. Man hat in
früheren Jahren im Turnunterricht: we¬
nig Unterschied gemacht zwischen bei¬
den Geschlechtern. Höchstens wurden
den Mädchen noch ein sozusagen homö¬
opathischer Tanzunterricht verabreicht.
Dieser sollte zu einer Art gespreizter
Grazie führen, die von Anmut und Na¬
türlichkeit so weit entfernt war wie das
Korsett vom antiken Busenband. Der
neue Kurs, den das junge Deutschland
in den Neunziger Jahren einschlug,
brachte auch der Frau die Befreiung.
Es erschlossen sich ihr die Universitä¬
ten, das Frauenstudium nahm raschen
Aufschwung, die Beteiligung an einzel¬
nen Sporten wurde gegen den Wider¬
spruch einer philiströsen Welt durchge¬
setzt, endlich begann auch die Reform
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226
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
der Frauenkleidung und hatte die Be¬
freiung eines, leider nur kleinen Teiles
der Frauen von der Knechtung durch
Korsette und Hackenschuhe zur Folge.
In dieser Zeit fiel nun das erste Auf¬
treten Isadora D u n c a ns wodurch die
ästhetische Forderung mit einem Schla¬
ge in den Vordergrund trat, da man,
abgesehen von der völlig neuen Bewe¬
gungstechnik, plötzlich die Wirkung
und Leistung eines von allen Schikanen
unzweckmässiger Kleidung und von wi¬
dernatürlichem Zwange befreiten Kör¬
pers vor Augen hatte. Man anerkannte
in Deutschland zu einer Zeit die Bedeu¬
tung ihrer Kunst, als man in anderen
Ländern sich noch die Nachtmütze der
Prüderie oder Ignoranz über die Ohren
zog. Der Geist des jungen Deutschlands,
sein beispielloser Idealismus und Glaube
an neue Ziele der Menschen schufen
eben die geistige Atmosphäre, in der die
Ideen einer neuen Bewegungskunst sich
verbreiten konnten.
Man hatte in dieser Zeit, wenn ich
mich paradox ausdriicke, sozusagen den
Körper neu entdeckt. Auch in der bil¬
denden Kunst! Man überrannte die
Kunstanschauungen einer verblassten
Klassizistik, man ging überall auf den
Grund. Der Naturalismus hatte seine
segensreiche Wirkung. Man liess sich
durch den Formenkram einer stagnie¬
renden Zeit nicht mehr düpieren. Man
riss Götter von ihren Altären, brach alte
Tafeln entzwei und ging mit aller Lei¬
denschaft daran, eine neuere Welt zu
schaffen. Und man schuf sie auch.
Merkwürdigerweise hat uns gerade die¬
se leidenschaftliche Suche nach neuen
Werten unter anderem auch die Antike
wieder nahe gebracht. W ir sahen sie
nicht mehr durch die historische Brille,
sondern direkt, mit klarem, für ihre leh-
rensvolle Schönheit empfänglichem Au¬
ge. Die neue Formensprache der „Mo¬
derne“ und das neue und tiefere Erleben
der antiken Welt blieben selbstverständ¬
lich nicht ohne Einfluss auf die Vorstel¬
lungen, die man über die körperliche
Bildung hatte, umsomehr, als das Den¬
ken und Fühlen der Zeit in gleicher
W r eise von naturwissenschaftlichen An¬
schauungen, wie von einer tiefen Liebe
zur Natur bestimmt war. Aber auch von
anderer Seite wurde dieses Ideal ver¬
kündet. Ich kann über das jahrzehnte¬
lange Ringen, das in Deutschland um
ein ästhetisches Problem geführt wor¬
den ist, nicht ohne weiteres hinweg¬
springen. Das Thema liegt dem Arzt
fern, aber ich möchte darauf hinweisen,
dass auch eine Reihe von physiologi¬
schen Studien in dem künstlerischen
Schaffen Richard Wagne r’s, auf das
ich hinweisen möchte, ihre Wurzel ha¬
ben. „Der wirkliche leibliche Mensch
als künstlerisches Material“ lautet eines
der Hauptstücke im Credo Richard
W a g n e r’s. So sehen wir auch von
dieser Seite die Forderung nach einer
veredelten Körperlichkeit dem Bewusst¬
sein der Menschen nahe gebracht. An
den hoheitsvollen Gesang, auf den
rhythmisch bewegten Körper in den
Schriften Friedrich N i e t z s c h c's.
diesem tiefen Kenner antiken Geistes,
mochte ich nur nebenbei erinnern.
Unter diesen V oraussetzungen muss¬
te die Gründung einer eigenen Schule
durch Isadora und Elizabeth Dun-
can in Berlin gewisse fortschrittlich
gesinnte Kreise nicht nur interessieren,
sondern mit grossen, über die persönli¬
chen Leistungen Isadora Duncan’s hin¬
ausgehenden Hoffnungen erfüllen, da
das Verlangen, die körperliche Aus¬
druckskultur in neue Bahnen zu lenken,
ein Ergebnis der Zeitstimmung war.
Elizabeth Duncan, die ältere
Schwester, die als Bewegungslehrerin in
Amerika bereits reiche Erfahrungen ge¬
sammelt hatte, hatte nicht nur das In¬
stitut zu leiten, sondern den eigentlichen
körperlichen Unterricht zu erteilen.
Elizabeth Duncan ist Erzieherin
von Natur aus. Einfachheit in Denken
und Handeln sind die Grundzüge ihres
Wesens. Raffinement ist ihr fremd. Ihr
starker Einfluss auf die Kinderseele ent¬
springt ihrer inneren Balance und ihrer
pädagogischen Intuition. Sie fühlt in-
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New Yqrxee Medizinische Monatsscheift.
227
stinktiv den jeweiligen Kräftezustand
des kindlichen Organismus. Das setzt
sie in die Lage, das Kind zu einer Oeko-
nomie in der Verwendung seiner Ener¬
gien anzuleiten. Ich möchte dies als
Kunst des seelischen Haushalts bezeich¬
nen, der uns allen so dringend nottut.
Wer viel mit Kinder zusammen ist, wird
beobachten können, dass das Kind von
hunderterlei Launen gequält wird, die
vielfach in der Phantasie ihren Ursprung
haben. Das Kind ist so recht das Eben¬
bild Gottes, d. h. es will fortwährend
aus dem Nichts etwas Neues schaffen.
Kommen dann organische Störungen
vor, die das freudige Spiel der Phanta¬
sie unterbinden, dann wird das Kind zu
seiner eigenen Qual der Tyrann seiner
Umgebung. Nur wenige Eltern wissen
sich zu helfen, d. h. wissen die Kräfte
des Kindes in geregelte Bahnen zu lei¬
ten, und man sieht verzweifelte, zwi¬
schen Trost und Strafe schwankende
Mütter, wütende Väter und unglückli¬
che, weil unverstandene Kinder. Und
doch wäre so leicht zu helfen, wenn man
das Kind schon früh zu einer geregelten
Tätigkeit anleitet und es dazu auf sich
selbst stellt. Das tut Elizabeth Duncan
und sie fängt beim Körper an. Aber sie
nimmt durch die Art ihrer körperlichen
Erziehung tiefsten Einfluss auf das
Seelenleben des Kindes. Sie bringt das
Kind zu innerer Ordnung, zur Harmo¬
nie. Ihre Arbeit beruht auf einer eben¬
so einfachen wie schweren Erkenntnis,
die uns allen mehr oder weniger im Be¬
wusstsein lebt und die am besten mit den
Worten Goethes umschrieben werden
kann: „Man kann ebenso, wie man von
seinen Organen Lehren empfängt, auch
seinen Organen Lehren geben/* Wer
sollte diese Worte besser verstehen als
der Arzt und der Lehrer? Dabei be¬
schränkt sich der Unterricht Elizabeth
Duncan’s nur auf die drei Grundbewe¬
gungsarten : Gehen, Laufen und Sprin¬
gen. Wenige nur wissen, wie schwer
es ist, richtig zu gehen oder richtig zu
laufen und dass Jahre hingehen können,
bis ein Kind soweit fortgeschritten ist,
dass sein Gehen den Eindruck eines har¬
monischen Sichfortbewegens macht.
Dazu genügt nicht eine poetische Vor¬
stellung oder ein Gefühlsüberschwang;
dazu genügt auch nicht rohe Kraft, son¬
dern dazu gehört eine organische Si¬
cherheit, die auf einer erst bewussten
und schliesslich gefühlsmässigen Kon¬
trolle der leiblichen Funktionen beruht.
Es handelt sich genau so um „die Me¬
chanisierung bewusster Willensaktio-
nen*‘ wie beim Erlernen irgend einer
technischen Fertigkeit, die. schliesslich
dem Lernenden in Fleisch und Blut
übergeht. Zu dieser Arbeit ist eine Dis¬
ziplin notwendig, über die kein Kind
vom Hause aus verfügt, sondern die ihm
anerzogen werden muss. Deshalb hat
auch jedes Kind in der Elizabeth Dun¬
can Schule eine stramme militärische
Gymnastik, nach schwedischem System,
durchzumachen, mit der eine heilgym¬
nastische Behandlung vorhandener oder
erworbener körperlicher Fehler verbun¬
den ist. Dass die leichten körperlichen
Fehler, die der grössere Prozentsatz der
Kinder aufweist, von den Eltern nicht
beachtet werden, nimmt nicht Wunder,
dass sie die Fehler, die im Verhältnis
zum normalen Körper als schwer zu be¬
zeichnen sind, nicht genug beachten, ist
eine Tatsache, über die man nicht hin¬
weggehen soll, ohne davor zu warnen.
Denn die Nichtbeachtung solcher kör¬
perlichen Fehler hat oft weitere körper¬
liche und seelische Schäden zur Folge.
Wie oft kommen in unsere Schule Müt¬
ter, die das Talent und die Grazie ihres
Kindes anpreisen und dann in ihrer
mütterlichen Eitelkeit ungemein ge¬
kränkt sind, wenn man ihnen nachweist,
dass das, was sie Grazie und Talent nen¬
nen, Blutarmut und Affektion, Hysterie
und Forcierung sind. Dass man noch
über körperliche Fehler spricht, können
sie garnicht begreifen, denn sie haben
nie versucht, einmal von dem blossen
Gesichtsausdruck abzusehen und sozu¬
sagen das Mienenspiel des ganzen Kör¬
pers zu betrachten. Sie haben nie dar¬
an gedacht, dass auch in der Beinstel-
Qrigiraal ftom
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
lung und in der Gliederbewegung ein
seelischer Ausdruck zu erkennen ist.
Das Schädigende der konventionellen
Kinderkleidung liegt unter allen Um¬
ständen in der Betonung des Puppen¬
haften, in der Unterstreichung des Ne¬
bensächlichen, wodurch die Aufmerk¬
samkeit vom Körper abgezogen wird.
Wie in so vielen anderen Dingen, kön¬
nen wir auch hier sehen, dass die Men¬
schen der Konvention bedürfen, um sich
über Wahrheiten und tatsächliche Ver¬
hältnisse im Leben hinwegzutäuschen.
Dieser Art Konvention weiss Elizabeth
D unca n in ihrer Erziehung aus dem
Wege zu gehen, indem sie ihre Schüle¬
rinnen auf das Rein-Menschliche hin¬
leitet und dieses durch die eigene Ein¬
fachheit ihres Wesens von jeder Nei¬
gung zu Aeusserlichkeiten zu bewahren
weiss. Bei ihr ist die körperliche Er¬
ziehung die Grundlage für ein erhöhtes
ethisches Bewustsein.
Es kann nicht als ein blosser Zufall
bezeichnet werden, dass diese Schule in
Deutschland gegründet wurde. Eliza¬
beth D li n c a n fand dort jene Atmos¬
phäre, die für eine gründliche Arbeit
Voraussetzung war. Gewiss war das Un¬
ternehmen zu neu, als dass es ohne
Kämpfe abgegangen wäre. Aber die
Leiterin dieser jungen Schule schuf sich
durch ihre stille, unaufdringliche Art,
wie durch ihr konsequentes Festhalten
an der einmal gestellten Aufgabe, rasch
viele Freunde. Der Komponist Profes¬
sor H u m p e r d i n c k, Professor
Schott, Geheimrat Professor D r.
H o f f a, die Schriftsteller S c h e r i n g
und Federn, ferner eine Reihe Per¬
sönlichkeiten aus den ersten Kreisen
Berlins halfen dem jungen Lmternehmen
vorwärts.
Nach verhältnismässig kurzer Zeit
schon, konnte Elizabeth Duncan
auf die Erfolge ihrer Lehrmethode hin-
weisen und dieselbe einer kleinen
Gruppe von Schülerinnen, die in dem
Institut anfangs auf Kosten Isadora
D unca n’s, später auf Kosten der
deutschen Freunde lebten, dargelegt
werden. Das Interesse an den Zielen
der Schule nahm zu und man musste
darauf bedacht sein, ihrer Verallgemei¬
nerung die Wege zu bahnen.
Im Jahre 1908 stellte der Grossherzog
von Hessen, auf meine Bitte hin, aus
seinem Privatsitz am Odenwald bei
Darmstadt, Elizabeth Duncan ein
grosses Gelände zur Verfügung. Ein
Komitee hervorragender Personen erbau¬
te mit einem Kostenaufwand von Mk.
300,000 der Schule daselbst ein wunder¬
bares, den modernsten Anforderungen
entsprechendes Heim. Daselbe wurde
1911 unter Anwesenheit des Grossher¬
zogs und der Grossherzogin von Hessen
zur feierlichen Einweihung gebracht.
Im Sommer des gleichen Jahres weilte
die Schule sechs Monate an der Inter¬
nationaler Hygiene-Ausstellung in Dres¬
den und wurde daselbst für ihre Tätig¬
keit mit dem grossen goldenen Preise
ausgezeichnet.
Für den guten Gesundheitszustand der
Kinder in der Elizabeth Duncan Schule
spricht der Umstand, dass während ihres
10jährigen Bestandes ein einziger Fall
einer Lungenentzündung, die Folge einer
Erkältung in den bayerischen Bergen,
einige leichte Windpockenfälle und eini¬
ge Halsentzündungen vorgekommen
sind. Die Zöglinge werden hinsicht¬
lich der Atmung, der Grösse, des Ge¬
wichts allmonatlich gemessen. Darüber
wird Statistik geführt. Die Ernährung
ist eine einfache und zweckentsprechen¬
de. Die Tageseinteilung wird mit mili¬
tärischer Pünktlichkeit eingehalten. Vor
dem Frühstück haben die Kinder X
Stunde gymnastische Hebungen zu ma¬
chen. Das Frühstück ist um 8 Uhr, der
wissenschaftliche Unterricht, in Kurz¬
stunden erteilt, währt ab *49 Uhr vor¬
mittags bis 12 Uhr. Der Nachmittag und
Abend sind der körperlichen und musika¬
lischen Erziehung, der häuslichen Tätig¬
keit, der Erholung und dem Spiel ge¬
widmet.
Das Darmstädter Institut hatte die Auf¬
gabe, neben der Erziehung von Kindern,
Lehrerinnen für die Bewegungslehre
.
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229
Elizabeth Duncan’s heranzubilden.. Die
Schule unterstand der Aufsicht des Mi¬
nisteriums. Der wissenschaftliche Un¬
terricht wurde von staatlich geprüften
Lehrkräften unter Aufsicht eines akade¬
mischen Oberlehrers erteilt. Mit Er¬
laubnis der Schulbehörden hielt die
Schule im Laufe der 10 Jahre ihres Be¬
standes in allen grossen Städten
Deutschlands, Hollands, Belgiums und
der Schweiz ca. 600 öffentliche Vorträge
über ihre Ziele und die Lehrmethode,
und leistete so eine umfangreiche Auf¬
klärungsarbeit. Im Vorjahre wurde ein
Plan in Angriff genommen, demzufolge
30 siebzehnjährige Mädchen, die aus 15
verschiedenen deutschen Städten zur
Ausbildung in das Darmstädter Institut
entsandt werden sollten, damit sie gele¬
gentlich der ,,Internationalen Olympiade
Berlin 1916“ die Methode der Schule
vertreten. Sie sollten nach bestandenem
Examen in ihre Heimatstädte als Lehre¬
rinnen zurückkehren. Der Krieg ver¬
hinderte die Ausführung dieses Planes.
Damit die Schule ihre Arbeit nicht un¬
terbrechen musste, übersiedelte sie, als
Deutschland in Kriegsgefahr war, auf
Beschluss des Komitees, nach New
York, um hier eine Zweigschule einzu¬
richten. Dieselbe befindet sich in
Kitchawan Hills, nahe Croton-on-Hud¬
son, auf dem wunderbaren Terrain des
Schriftstellers Ralf W a 1 d o Trine.
Diese amerikanische Zweigschule
wird mit dem Darmstädter Mutterinsti¬
tut auf eine Basis gestellt. Die Unter¬
richtspläne entsprechen selbstverständ¬
lich den schulgesetzlichen Bestimmun¬
gen des Staates New York, nur werden
die körperliche und die geistige Ausbil¬
dung auf eine Stufe gestellt. Im wis¬
senschaftlichen Unterricht wird an der
deutschen Arbeitsmethode festgehalten.
Das oberste Gesetz ist „Gründlichkeit.“
Das Kind soll nicht an allem Möglichen
nippen, sondern den vorgeschriebenen
Lehrstoff wirklich verarbeiten und so zu
einer Selbstständigkeit in der Arbeit
fortschreiten. Sowie im Darmstädter
Institut die Kinder die englische Spra¬
che als Umgangssprache zu erlernen
haben, so haben sie in der amerikani¬
schen Schule die deutsche Sprache zu
erlernen. Es soll dadurch die Möglich¬
keit eines Austausches der älteren Schü¬
lerinnen zwischen dem Darmstädter und
New Yorker Institut gegeben werden.
An diese Jugendschule schliesst sich ein
Seminar mit sechs Semestern zur Aus¬
bildung von Bewegungslehrerinnen. In
dasselbe werden nur junge Mädchen
bis zum 17. Jahre mit entsprechender
Vorbildung aufgenommen.
Vieles bliebe zu sagen übrig; über die
musikalische Ausbildung, über die Be¬
ziehungen und Unterschiede zwischen
musikalischer und körperlicher Rhyth¬
mik. Gerade auf diesem letzteren Ge¬
biete werden so häufig Irrtümer began¬
gen, doch würde dies zu weit führen.
Ich hoffe, mich in einem eigenen \ or¬
trag über dieses Thema verbreiten zu
dürfen.
Wenn ich Sie nun bitte, die an mei¬
nem Vortrag sich anschliessenden prakti¬
schen Demonstrationen der Musterschü¬
lerinnen unserer Schule, die wir aus
Deutschland mitgebracht haben, nicht
als künstlerische Leistungen zu betrach¬
ten, sondern als Uebungsstudien, so ge¬
schieht es deshalb, weil unsere Schule
vor allem als Schule für das Leben be¬
trachtet werden will. Finden Sie aber
in den Leistungen kiintslerische Momen¬
te, so erinnern Sie sich bitte daran, dass
Kunst höchster und vollendetster Aus¬
druck der Natur sein soll. Es ist absurd,
von Kindern künstlerische Leistungen
zu verlangen, deshalb richte man sein
Augenmerk auf die Natur in ihnen.
Beachtet man beim Kind das, was man
,,künstlerisch“ nennt, dann läuft man
Gefahr, unnatürlich zu werden; beach¬
tet man das Natürliche, dann hält man
sich und dem Kinde den Weg zur Kunst
offen.
Ich komme zum Schluss mit einer
Bitte zu ihnen, indem ich ihnen diese
Schule ans Herz legen möchte. Helfen
sie ihr hier vorwärts zu kommen. Da
das Heim in Darmstadt jetzt der Pflege
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
von Verwundeten dient, ist die Schule,
um ihre Arbeit nicht zu unterbrechen,
nach New York zur Errichtung der
schon früher geplanten Zweigschule
übergesiedelt. Ich möchte Sie einladen,
uns auf unserem Hügel in Croton am
Hudson, wo wir unsere Wohnstätte ein¬
gerichtet haben, zu besuchen. Sie sind
uns besonders am Sonntag, aber auch
sonst herzlich willkommen. Sollten Sie
ein Interesse daran haben, dass die
Schule erhalten bleibt, dann unterstützen
Sie uns bitte in unseren Bestrebungen.
Ich befinde mich heute in einer deut¬
schen Gesellschaft und möchte deshalb
noch folgendes hinzufügen: Im Vor¬
jahre überzeugte sich der deutsche
Kronprinz, der Protektor des deutschen
Reichsausschusses für die olympischen
Spiele in Berlin 1916, in einer für ihn
veranstalteten Vorführung von den Lei¬
stungen unserer Schülerinnen. Er
sandte daraufhin an den Grossherzog
von Hessen ein begeistertes Telegramm.
Ich glaube keine Indiskretion zu bege¬
hen, wenn ich den Wortlaut der Ant¬
wort des Grossherzogs mitteile, denn er
ist ein Zeugnis dafür, mit welcher Liebe
dieser Fürst für kulturelle Unterneh¬
mungen eintritt. Das Telegramm lautet:
„Herzlichen Dank für Dein Tele¬
gramm. Ich halte viel von der Zukunft
der Schule und kämpfe für sie. Bitte
hilf mir diese schöne Sache gegen Miss¬
verständnisse zu schützen und sie für
unser deutsches Vaterland zu erhalten.*'
So bitte ich sie nochmals: Helfen Sie
uns, unsere Mission zu erfüllen.
Typhusschutzimpfungen im Kriege. *
Von Sanitätsrat Dr. Otto Deicke.
Jn der letzten Zeit sind auf Anord¬
nung unserer Heeresverwaltung an den
im Felde stehenden Truppen und an den
in ununterbrochenen Schüben aus der
Heimat nachrückenden Truppenteilen
Schutzimpfungen gegen den Unterleibs¬
typhus vorgenommen worden; auch die
an den Lazaretten tätigen Aerzte,
Schwestern und Krankenwärter haben
sich dieser Impfung unterziehen müssen.
Diese Schutzimpfungen haben, da es
sich um etwas neues handelt, und da
auch durch die in den Lazaretten tätigen
einheimischen Helfer und Helferinnen
vielfache Beziehungen zur Bevölkerung
bestehen, die allgemeine Aufmerksam¬
keit erregt. So erscheint es wohl ange¬
zeigt, im Verein für Gesundheitspflege,
dessen Aufgabe es ist, über gesundheit¬
liche Fragen Aufklärung zu verbreiten,
die Frage der Schutzimpfungen, insbe-
* Vortrag, gehalten in der allgemeinen Mit¬
gliederversammlung des Vereins für Gesund¬
heitspflege am 4. Dezember 1914. Monatsbl.
f Gesundheitsptl., Kraunschweig.
sondere der Schutzimpfungen gegen Ty¬
phus, einmal zu einer kurzen Besprech¬
ung zu bringen. Wenn ich mich der
Aufgabe unterziehe, hierzu den einlei¬
tenden Vortrag zu halten, so liegt es
nahe, von der Schutzimpfung auszu¬
gehen, die Ihnen allen bekannt ist, von
der Impfung gegen die Blattern, welche
durch Reichsgesetz vom 8. April 1874
für alle neugeborenen Kinder, sowie als
Wiederimpfung im 12. Lebensjahre, für
das Heer ausserdem noch bei sämtli¬
chen neueingestellten Rekruten, gesetz-
mässig vorgeschrieben ist. Wenngleich
die Schutzimpfung gegen die Pocken
nicht auf einer so sicheren wissenschaft¬
lichen Grundlage steht, wie die Schutz¬
impfungen gegen Typhus, Cholera,
Ruhr, Starrkrampf und Diphtherie, so
sind die Verhältnisse doch ähnliche und
insofern einer Besprechung an erster
Stelle günstig, als die Pockenimpfung
Ihnen allen bekannt und vertraut ist.
Sie wissen alle, dass wir es der Pocken¬
impfung verdanken, wenn die Pocken
Original ffom
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
231
bei uns in Deutschland ihr Heimatrecht
verloren haben, und wenn diese Krank¬
heit selbst uns Aerzten nur ausnahms¬
weise, und dann meist an Ausländern,
zu Gesicht kommt, während in Ländern,
welche die gesetzmässige Pockenim¬
pfung nicht haben, wie z. B. Russland,
die Blattern immer noch eine Volks¬
seuche ersten Ranges sind. Durch das
Verschwinden der Pocken in falsche Si¬
cherheit gewiegt, hat man in neuerer
Zeit mehrfach in Ländern, wo die
Pockenimpfung früher gesetzmässig
festgelegt war, dem Ansturm der über¬
all vorhandenen, hauptsächlich Laien-
Gegnem der Pockenimpfung nachgege¬
ben und die Impfung in das Belieben
eines jeden einzelnen gestellt, auch un¬
ser Reichstag hat in seiner letzten Sitz¬
ungsperiode eine den Impfgegnern et¬
was mehr entgegenkommende Haltung
angenommen; dieses ist ausserordent¬
lich bedauerlich. Denn es liegt die Ge¬
fahr vor, dass mit der Aufhebung des
Impfzwanges, wenn erst einmal der, un¬
serer jetzigen Generation durch die bis¬
herigen Impfungen innewohnende Blat¬
ternschutz nachgelassen haben wird, in¬
folge der naturgemäss sehr bald ein¬
setzende V erminderung der Schutz¬
impfungen, über kurz oder lang die
Blatternseuche in ihrer ganzen früheren
Entsetzlichkeit wiederkehren wird. Es
ist hier nicht der Ort, auf das Für und
Wider der Pockenimpfung des weiteren
einzugehen, ich will nur darauf hinwei-
sen, dass die Menschheit es mit Jubel
begrüsste, als vor mehr als 100 Jahren
Jenner seine Erfolge bekannt gab, die
er durch Impfung des Kuhpockengiftes
bei der echten Blatternerkrankung er¬
zielt hatte, dass man diesem* einfachen
Wundarzte als einem Wohltäter der
Menschheit ein Standbild in Kensington
Garden in London errichtete, und dass
auch heute noch bei allen wissenschaft¬
lich urteilsfähigen Aertzen bis auf we¬
nige Ausnahmen die Wirksamkeit und
die verhältnismässige Unschädlichkeit
der Kuhpockenimpfung feststeht. Es
handelte sich bei der Jenne r'schen
Entdeckung um die gefundene Tatsache,
dass das Ueberstehen der völlig harm¬
losen Kuhpockenkrankheit einen beinahe
sicheren Schutz gewährte vor der Er¬
krankung an den entstellenden und le¬
bensgefährlichen Blattern. Beide Krank¬
heiten, Kuhpocken und Pocken, sind an¬
scheinend zwei grundverschiedene
Krankheiten, ihre Erreger sind bis jetzt
nicht bekannt, und ein wissenschaft¬
licher Zusammenhang hat bisher nicht
geliefert werden können. Und doch
much ein solcher bakteriologischer Zu¬
sammenhang zwischen beiden Krank¬
heiten bestehen, sonst könnte das Ueber¬
stehen der einen Krankheit nicht Schutz
gewähren vor der Erwerbung der ande¬
ren. Diese Schlussfolgerung ist mit vol¬
ler Sicherheit aufzustellen auf Grund
der Forschungsergebnisse, welche zu ei¬
ner Schutzimpfung gegen die Diphthe¬
rie, den Typhus, die Cholera, den Starr¬
krampf und die bazilläre Ruhr führten.
Denn waren die Umstände, welche J e n-
n e r zu der Entdeckung der Blattern¬
schutzimpfung führten, rein empirischer
Natur, indem er aus der Immunität der
Melker gegen die Blatternerkrankung
seine wichtigen und segensreichen
Schlussfolgerungen zog, so stehen die
übrigen Schutzimpfungen auf streng
wissenschaftlichem Boden und bilden die
Ergebnisse der Forschungen unserer
besten Gelehrten, eines Koch, Pa¬
steur, Pfeiffer, Löffler, Beh¬
ring, C h a n t e m e s s e, W i d a 1 und
vieler anderer. Es ist keine Frage, dass
Kuhpocken und echte Pocken der Infek¬
tion durch kleinste Lebewesen ihre Ent¬
stehung bei Tier und Mensch verdan¬
ken. Denn die wissenschaftlichen For¬
schungen ergaben, dass Schutzimpfun¬
gen nur gegen solche Krankheiten mög¬
lich sind, welche zu den ansteckenden,
übertragbaren Krankheiten gehören und
durch solche kleinste Lebewesen hervor¬
gerufen werden, welche für den tieri¬
schen bezw. menschlichen Körper eine
giftige, eine toxische Wirkung haben
Die giftigen Erreger der Diphtherie,
des Typhus, der Cholera, des Starr-
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krampfes, der Ruhr sind bekannt, und
durch das eingehende Studium ihrer Le¬
hensbedingungen und ihrer Lebens¬
äusserungen wurden die Grundlagen
festgestellt für ihre Beziehungen zum
tierischen und menschlichen Körper, vor
allem für die Veränderungen, welche
der tierische Körper durch das Eindrin¬
gen dieser Bakterien und durch ihre
Giftwirkung in seinen Säften erfährt.
Denn man muss bei der Ansteckung ei¬
nes Körpers durch irgendwelche giftige
Bakterienart zwei Wirkungsweisen die¬
ser Bakterien auseinanderhalten. Er¬
stens, die an der Eingangspforte auf
günstigem Nährboden stattfindende
Vermehrung der Bakterien und die von
hier aus erfolgende Ueberschwemmung
des Körpers mit den infizierenden Bak¬
terien selbst, und zweitens, die Vergif¬
tung des Körpers durch die giftigen
Stoffwechselprodukte der an der Ein¬
gangspforte haftenden oder im Blute
kreisenden Bakterien. Es handelt sich
also bei den ansteckenden Krankheiten
immer erst um eine Infektion, um das
Festsetzen einer Bakterienart an einer
ihr zusagenden Stelle, in zweiter Linie
um eine Intoxikation, um eine Vergif¬
tung des Körpers durch 'Stoffwechsel¬
produkte der Bakterien. Der infizierte
Körper wehrt sich gegen beides gewis-
sermassen mit gleichen Waffen. Er
schickt, wie Metschnikoff nachge¬
wiesen hat, weisse Blutkörperchen ins
Feld, welche die Eigenschaft haben, die
Bakterien in sich aufzunehmen und un¬
schädlich zu machen, und er bildet ge¬
genüber den giftigen Stoffwechselpro¬
dukten der Bakterien im Blute Gegen¬
gifte, welche die Bakteriengifte binden,
welche auch die Eigenschaft haben, die
Bakterien zu lähmen, die Bakterienleiber
zum Aufquellen zu bringen und sie auf¬
zulösen. Uebersteht ein Körper eine
solche ansteckende Krankheit, so bleiben
in der Regel seinem Blute die Schutz¬
stoffe erhalten und damit auch für die
Zukunft die Fähigkeit, neu eindringen¬
de Bakterien derselben Gattung zu ver¬
nichten und die vom Körper von der
Einfallspforte aus aufgesogenen Stoff¬
wechselgifte dieser Bakterien unschäd¬
lich zu machen. Der Körper ist damit
dauernd geschützt gegen eine neue An¬
steckung durch den betreffenden Krank¬
heitsstoff, er ist immun.
Sie alle kennen diese vom Körper er¬
worbene Immunität nach dem einmali¬
gen Ueberstehen der Masern, des Schar¬
lachs, des Keuchhustens. Dieses sind
hauptsächlich deswegen Kinderkrank¬
heiten, weil sie, von dem empfänglichen
kindlichen Körper erworben und einmal
überstanden, dem Körper für später ge¬
gen diese Krankheiten Schutz verleihen.
Ausnahmen kommen vor. Aber nicht
allein dieses. Behring wies nach,
dass das Blut, oder auch das von Blut¬
zellen befreite Blutwasser, das Serum
des Blutes, einem solchen immunen Kör¬
per entnommen und einem anderen Kör¬
per, der die betreffende Krankheit noch
nicht durchgemacht hat, in geringer
Menge eingespritzt, seine schutzbrin¬
gende Eigenschaft auf diesen überträgt
und so Schutz vor der Krankheit gewäh¬
ren, ja sogar Heilung der schon ausge¬
brochenen Krankheit herbeiführen kann.
Auf dieses B e h r i n g’sche Gesetz
gründet sich die Serumtherapie, welche
in der Heilung einer der verderblichsten
Seuchen des Kindesalters, der Diphthe¬
rie, ihre Triumphe feiern konnte. Wenn
es auch nicht immer gelingt, bei ande¬
ren ansteckenden Krankheiten die
Schützstoffe im Körper des serumspen¬
denden Tieres so anzureichern, dass mit
dem Serum dieses Tieres eine genügen¬
de Heilwirkung gegen die betreffende
Krankheit beim Menschen erzielt wird,
so steht das Prinzip doch fest begründet
und kann-bei allen ansteckenden Krank¬
heiten, deren Erreger man kennt, beob¬
achtet und experimentell erhärtet wer¬
den. Wir bezeichnen die Art des Krank--
heitsschutzes, wo der Körper nach einer
Bakterieninfektion die Schutzkörper ge¬
gen diese Bakterienart selbst bildet' als
aktive Immunität, wo dem Körper aber
die Schutzstoffe in Form von Serum ei¬
nes fremden, gegen die betreffende
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
233
Krankheit immun gewordenen Körpers
zugeführt werden, als passive Immuni¬
tät. Um diese beiden Arten der Immu¬
nität noch einmal an einem Beispiel zu
zeigen, so hat ein Körper nach dem
Ueberstehen eines Scharlachs aktive Im¬
munität gegen Scharlach erworben, nach
der Einspritzung einer genügenden
Menge von Diphtherieheilserum aber
passive Immunität gegen Diphtherie.
Im allgemeinen verleiht die von einem
Körper selbst bewirkte aktive Immuni¬
tät einen länger dauernden Schutz als
die von einem fremden Körper stam¬
mende passive Immunität. Dass aber
auch der aktive Schutz nicht immer für
das ganze Leben ausreicht, habe ich frü¬
her schon erwähnt, und es wird dies
durch spätere Neuerkrankungen an der¬
selben ansteckenden Krankheit des öfte-
len erwiesen. Ein Körper kann aber
auch künstlich zur Bildung eigener
Schutzkörper gegen eine Krankheit an¬
geregt werden, also künstlich aktiv im¬
munisiert werden durch Einspritzung
lebender oder abgetöteter spezifischer
giftiger Krankheitsbakterien unter die
Haut. Und hiermit kommen wir auf
das eigentliche Thema unseres Vortra¬
ges, zu der Schutzimpfung gegen den
Typhus. Ihr gleichartig sind die Schutz¬
impfungen gegen Cholera, Starrkrampf
und Ruhr. Wir gehen dabei von der
Tatsache aus, dass lebende Typhus¬
bazillen, welche durch den Mund einge¬
führt, iit vier Tagen Typhus erzeugen
würden, unter die Haut eingespritzt,
hier kaum örtliche Erscheinungen ma¬
chen und vor allem keine Allgemeiner¬
krankung an Typhus hervorrufen, wohl
aber den Körper zur Bildung von
Schutzstoffen anregen.
Ich muss zunächst, ehe ich auf die
Wirkungen dieser Einspritzungen für
den menschlichen Körper weiter ein¬
gehe, einiges über den Typhus erregen¬
den Bazillus selbst sagen. Die Erreger
des Unterleibstyphus sind eine stäbchen¬
förmige kurze Bakterienart, plump ge¬
baut mit abgerundeten Enden und. da
mit zahlreichen Geiseslfäden versehen,
lebhaft beweglich. Sie wurden von
E b e r t h 1880 zuerst gesehen und von
G a f f k y auf künstlichen Nährböden
gezüchtet. Sie gedeihen hauptsächlich
in Bouillon, auf Agar-Agar, auf Kartof¬
feln und Nährgelatine und bilden da¬
selbst rasenförmige Kulturen in Blatt¬
form oder perlenartige Tropfen. Sie
verflüssigen die Gelatine nicht. Mikro¬
skopisch haben sie grosse Aehnlichgeit
mit den harmlosen, den menschlichen
Darm zahlreich bevölkernden Kolibazil-
len, von denen sie sich nur dadurch un¬
terscheiden, dass die Kolibazillen auf
künstlichem Nährboden reichlicher und
schneller Säure entwickeln und Milch
zur Gerinnung bringen. Die Typhus¬
bazillen werden von den an Typhus er¬
krankten Menschen im Kot und im L T rin
ausgeschieden, besonders reichlich durch
den Urin, welcher, nach Petrusch -
ky's Angaben, in 1 ccm 150 Millionen
Keime enthalten kann. Die neuere me¬
dizinische Wissenschaft hat die alte
Pettenkofe r’sche Lehre, nach wel¬
cher der Typhus in den Bodenverhält¬
nissen seine Ursache findet und abhän¬
gig ist von dem Grundwasserstande und
den Bodengasen, völlig verlassen und
die K o c h’sche Lehre der bazillären In¬
fektion und der Kontaktinfektion ange¬
nommen und höchstens den Bodenver¬
hältnissen eine begünstigende Rolle bei
Typhusepidemien zugebilligt. Die allei¬
nige Ansteckungsquelle für Typhus ist
nach Koch der mit Typhusbazillen infi¬
zierte und Typhusbazillen ausscheiden¬
de Mensch.
Nachdem man gelernt hat, exakt
den Typhus bakteriologisch nachzu¬
weisen und seine Diagnose, ohne den
Kranken auch nur gesehen zu haben,
durch Mikroskop und Reagenzglas zu
stellen, ist kein Raum mehr für eine
Lehre, welche auf statistische Wahr¬
scheinlichkeitsrechnung sich gründet.
Ich habe schon erwähnt, dass die
Eigenbewegung der toxischen Bakte¬
rien gelähmt wird durch die im Körper
gebildeten Schutzstoffe, dass die Bak¬
terienleiber aufquellen, sich zusam-
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menballen und aufgelöst werden,
wenn sie mit Blut oder Blutserum in
Berührung kommen, in welchen die je¬
weiligen Schutzstoffe sich gebildet
haben. Letzteres geschieht bei einem
Typhuskranken bereits in der ersten
Woche. So konnte W i d a 1 diese von
G r u b e r gefundene Tatsache zu ei¬
ner Typhusdiagnose benutzen, indem
er vollgiftige lebende Bazillen einer
künstlichen Typhuskultur mit dem
Blut des typhusverdächtigen Kranken
zusammenbrachte. Leidet der Kran¬
ke wirklich an Typhus, so werden die
unter dem Mikroskop am hängenden
Tropfen beobachteten Typhusbazillen
regungslos werden, sich zusammenbal¬
len und aufquellen. Es ist dies die
G ruber- \V i d a l’sche Agglutina¬
tionsprobe. Diese Probe ist rein spe¬
zifisch und nur bei Typhus positiv,
fällt allerdings auch bei solchen Kran¬
ken im bejahenden Sinne aus, die frü¬
her einmal Typhus überstanden haben
oder mit Typhusbazillen geimpft sind.
Denn auch sie beherbergen die Schutz¬
stoffe gegen den Typhus in ihrem Blu¬
te. Deshalb ist die weitere Sicherung
der Frühdiagnose wichtig durch den
Nachweis der in Blut, Kot und Urin
der Kranken etwa enthaltenen Tv-
phusbazillen mittels Züchtung auf
künstlichen Nährböden. Das Blut ent¬
hält die Typhusbazillen bereits vom
ersten Tage der Erkrankung an. Doch
nun zurück zur Schutzimpfung. Die
Versuche, an Tieren durch Einspritz¬
ung lebender oder abgetöteter Typhus¬
bazillen unter die Haut Schutz gegen
Typhuserkrankung zw erzeugen, gehen
zurück auf B e u m e r und P e i p e r
und besonders auf Pfeiffer und
K o 11 e, die im Jahre 1887 durch diese
Impfung grössere Tiere gegen Ty¬
phusinfektion schützen konnten. Auf
Grund dieser Versuche wurden 1896
zuerst von Chantemesse Impfun¬
gen an Menschen vorgenommen. Man
impfte zuerst mit Typhuskulturen, die
man von dem künstlichen Nährboden
abgeschabt, mit physiologischer Koch¬
salzlösung aufgeschwemmt und durch
Kochen abgetötet hatte. Die Impfun¬
gen mit dieser Vaccine waren von hef¬
tigen Reaktionen entzündlicher Natur
an der Einspritzungsstelle begleitet,
deshalb sehr schmerzhaft, und auch
die Allgemeinerscheinungen bei den
Geimpften waren erheblich. Sie be¬
standen in Kopfschmerz, Schwindel,
Schüttelfrösten, Fieber bis zu 39 und
40 Grad und Abgeschlagenheit des
Körpers während mehrerer Tage; die
Schutzwirkung der Impfungen war
verhältnismässig kurz, nur einige Mo¬
nate dauernd. Doch wurden schwere¬
re Folgen oder gar Todesfälle nach
den Impfungen nicht beobachtet. Un¬
sere Schutztruppen in Südwest wur¬
den fakultativ auf diese Weise geimpft
mit verhältnismässig gutem Erfolge.
Unter 7000 Geimpften erkrankten 14
Prozent an Typhus und starben 5 Pro¬
zent, während unter 10,000 Nicht¬
geimpften 19 Prozent erkrankten und
12 Prozent starben. Die Erkrankun¬
gen verliefen bei den Geimpften leich¬
ter und schneller als bei den Nichtge¬
impften. Die Unschädlichkeit der Im¬
pfungen stand jedenfalls auch nach
diesen grösseren Versuchen fest. Doch
konnten diese Impfungen wegen ihrer
unangenehmen Nebenerscheinungen
auf die Dauer sich nicht behaupten.
Bedeutend bessere Erfolge erzielten in
der Folgezeit W right und L e i s h -
mann durch eine geringe Afenderung
in der Herstellung des Impfstoffes.
Versuche Cassellanis hatten er¬
geben, dass die Einspritzung lebender
Typhusbazillen unter die Haut so gut
wie gar keine Reizungserscheinungen
an der Injektionsstelle hervorriefen,
und dass die durch die Impfung le¬
bender Typhusbazillen erzielte Immu¬
nität eine viel sichere und nachhaltige¬
re war, als sie nach der Injektion der
durch Erhitzung getöteten Bazillen er¬
zeugt wurde. Durch die starke Er¬
hitzung der Bazillenkultur wurden al¬
so einerseits die unangenehmen Ne¬
benerscheinungen grösser, anderer¬
em rigi na I from
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235
seits die Schutzwirkung geringer.
Dadurch, dass Leishmann Bouil¬
lonkulturen durch vorsichtiges ein-
stündiges Erwärmen auf 53 Grad C.
abtötete, erreichte er eine fast völlige
Reaktionslosigkeit der Impfungen und
einen weit grösseren Schutz gegen
Typhuserkrankungen, dessen Dauer
statt wenige Monate nunmehr 2 bis 3
Jahre anhielt. 10,000 auf diese Weise
Geimpfte hatten eine Erkrankungs¬
ziffer von nur 0.5 Prozent, eine Morta¬
lität sziff er von 0.05 Prozent, 9000 Un-
geimpfte dagegen eine Erkrankungs¬
ziffer von 3 Prozent und eine Mortali¬
tätsziffer von 0.5 Prozent. Die glei¬
chen Erfolge erzielte Russell mit
einem ähnlich hergestellten Impfstoff
in Amerika. Anstatt der Bouillonkul¬
turen L e i s h m a n n’s benutzte er
Agarkulturen. Eine dritte Art des
Impfstoffes wandte Besredka an.
Er behandelte lebende Typhusbazillen
mit Typhusimmunserum, sensibilisier¬
te sie, wie der fachmännische Aus¬
druck heisst, und injizierte diese le¬
bende sensibilisierte Kultur. Beson¬
ders in Italien erzielte man mit diesem
Impfstoff gute Erfolge. Praktisch ist
es einerlei, welchen der neueren Impf¬
stoffe man verwendet, da das Prinzip,
möglichst vollgiftige Bakterienleiber
bei dem Impfling zur Resorption zu
bringen und hierdurch eine aktive Im¬
munisierung anzuregen, bei allen
Impfstoffen dasselbe ist. Nachdem
nunmehr die Typhusschutzimpfungen
ihre unangenehmen Nebenwirkungen
nahezu ganz verloren hatten, und eine
genügende Schutzwirkung durch sie
sich erzielen Hess, wurden sie überall
da, wo die Verhältnisse es erforderten,
angewandt. Sie wurden in Algier und
Tunis, wo der Typhus bisher unge¬
zählte Opfer gefordert hatte, mit glän¬
zendem Erfolge erprobt. Im serbi¬
schen Feldzuge war die Mortalität bei
Geimpften 2.9 Prozertt, bei Nichtge¬
impften 12.8 Prozent. In Indien fiel
die Typhusmortalität von 15.6 Prozent
im Jahre 190«> auf 2.3 Prozent im Jahre
1911. Amerika führte die Zwangs¬
impfung in seinem Heere ein mit dem
Erfolg, dass die Erkrankungsziffer
von 29 im Jahre 1908 auf 4 sank im
Jahre 1912. In der japanischen Ar¬
mee, die gleichfalls den Impfzwang
einführte, erkrankten nach dieser Zeit
nur noch 1 Prozent an Typhus gegen¬
über 14.52 Prozent Erkrankungen in
der Zeit vor dem Impfzwange. ln
Marokko hatte die französische Armee
bei Geimpften nur noch eine Erkran¬
kungsziffer von 3.5 Prozent, gegen¬
über einer Erkrankungsziffer von
64.97 Prozent bei Nichtgeimpften.
Die Erfolge der Typhusschutzimpfun¬
gen sind also nach Einführung der
neuen Impfstoffe in der Tat glänzende.
Was das für eine Armee heissen will,
geschützt zu sein gegen eine so gefähr¬
liche, die Truppen in ihren Kräften
und in ihrer Zahl so schwächende Seu¬
che, das mögen Sie daraus beurteilen,
dass das deutsche Heer 1870 74,000
Typhuskranke hatte, von denen 8,789
Mann starben, von den französischen
Kriegegefangene starben an Typhus
3,835 Mann. Es interessiert Sie ge¬
wiss auch, zu hören, dass an Ruhr da¬
mals 386,552 Mann erkrankten, von
denen 2,380 Mann starben. Die Eng¬
länder hatten im Burenfeldzuge nicht
weniger als 42,741 Typhuskranke, un¬
sere Truppen in Südwestafrika wäh¬
rend des Hereroaufstandees 4,700
Kranke mit 555 Todesfällen. Es star¬
ben Geimpfte im Verhältnis von 2 zu
5 Ungeimpften.
Die Schutzimpfungen werden in
der Weise vorgenommen, dass man
in der Brustgegend zwischen Schlüssel¬
bein und Brustwarze zwei- bis drei¬
mal eine Einspritzung unter die Haut
mit dem absolut sterilen und mit Phe¬
nol versetztem Impfstoff in achttägi¬
gen Zwischenräumen macht, am
besten nachmittags, um etwa auftre¬
tende leichte Reaktionserscheinungen
in der Nacht abklingen zu lassen. Man
spritzt zuerst eine kleinere Dosis von
0.5 ccm mit einem Gehalt von etwa
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
500 Millionen abgetöteten Typhusba¬
zillen ein, bei den beiden folgenden
Einspritzungen eine Volldosis von
1 ccm mit einem Gehalt von etwa 1,000
Millionen Bazillen. Bei den hier in
Braunschweig vorgenommenen Im¬
pfungen waren die örtlichen Reizer¬
scheinungen an der Injektionsstelle
gering; sie bestanden in leichter Rö¬
tung und Schwellung, fehlten stellen¬
weise aber auch ganz. Nach 4 bis 5
Stunden traten leichte Allgemeiner¬
scheinungen auf, bestehend in einem
Gefühl von Abgeschlagenheit, stellen¬
weise leichtem Kopfdruck und leich¬
ter Temperatursteigerung. Eine Be¬
einträchtigung der Arbeitsfähigkeit
trat nur selten ein, und nach 2 bis 3
Tagen pflegte der Normalzustand wie¬
der erreicht zu sein. Nur eine leichte
Empfindlichkeit der Umgebung der
Infektionsstelle blieb etwas länger be¬
stehen, war aber bis zum Termin der
nächsten Injektion, also nach acht Ta¬
gen in jedem Falle vollständig ge¬
schwunden. Eine ernstere Störung ir¬
gendwelcher Art ist nicht zu meiner
Kenntnis gekommen. Die Schutz¬
impfungen gegen Typhus können also
auch nach hiesigen Erfahrungen als
völlig ungefährlich bezeichnet werden.
Bieten die Impfungen nach den bis¬
herigen Erfahrungen auch keinen ab¬
solut sicheren Schutz gegen Erkran¬
kung und gegen Tod durch Typhus, so
setzen sie doch ohne Frage die Er-
krankungs- und Sterbeziffer ganz er¬
heblich herab und sichern im allgemei¬
nen einen leichten Verlauf der Erkran¬
kung. Bei der Anhäufung so gewal¬
tiger Menschenmassen, wie sie die
moderne Kriegsführung mit sich
bringt, und bei den ungünstigen hy¬
gienischen Verhältnissen im Felde ist
der Ausbruch von Kriegsseuchen, be¬
sonders des Typhus, unvermeidbar.
Der Typhus ist eine Krankheit des
Schmutzes, und von dem gibt es in
einem Kriege genug. Schlechte Un¬
terkunftsverhältnisse, unzweckmässige
Ernährung, Trinkwasser aus infizier¬
ten Flussläufen und Brunnen und der
Zwang, alles dieses widerstandslos
über sich ergehen zu lassen, geben den
Boden ab für häufige und schwere Ma¬
gen- und Darmkatarrhe. Die ge¬
schwächten Verdauungsorgane wer¬
den wiederum leichter mit Typhus in¬
fiziert als gesunde, widerstandsfähige.
Und diese Infektionsgelegenheiten
gibt es überall, wo grosse Menschen¬
massen sich anhäufen. D r i g a 1 s k i
und Conradi haben 1901 die Ent¬
deckung gemacht, dass scheinbar ganz
gesunde Leute Bazillen ausscheiden
können. Manche in ihrer Entstehungs¬
ursache dunkle Epidemie hat durch
die Entdeckung solcher Bazillenträger
seither ihre Aufklärung gefunden.
Hat jemand einen Typhus überstan¬
den, so scheidet er, scheinbar völlig
gesund, meist noch längere Zeit Ty¬
phusbazillen durch Kot oder Urin aus.
Diese Ausscheidung von Bazillen, von
typhösen Herden in der Gallenblase
oder den Nieren stammend, kann
jahrelang dauern, ohne dass irgendein
Symptom diese Dauerausscheider als
solche kennzeichnet. Im Jahre 1911
untersuchte man die Rekruten zweier
Armeekorps auf solche Bazillenträger
und fand zwei anscheinend ganz ge¬
sunde Rekruten, die Typhusbazillen,
und zwei, die Paratyphusbazillen, eine
Abart der Typhusbazillen, ausschie¬
den. Es ist ein Fall bekannt, wo eine
Köchin, die vor 32 Jahren Typhus
durchgemacht hatte, als Bazillenträ¬
gerin sämtliche Familien, bei denen
sie in Stellung war, mit Typhus infi¬
zierte. Von einer Kartoffelschälfrau,
die ebenfalls Typhusbazillen aus¬
schied, nachdem sie 30 Jahre zuvor
Typhus überstanden hatte, wurden im
10. Armeekorps eine grosse Anzahl
Soldaten mit Typhus infiziert, die ei¬
nen von der Frau bereiteten Kartoffel¬
salat genossen hatten. Da man bis
jetzt kein Mittel hat, solche Daueraus¬
scheider zu heilen, und auch Schutz¬
impfungen bei ihnen nichts nützen, so
sind sie als dienstuntauglich möglichst
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237
bald aus der Truppe zu entfernen,
nachdem man sie als Bazillenträger
erkannt hat. Dazu gehören natürlich
genau systematische Untersuchungen
mindestens jener Leute, die einmal
Typhus selbst überstanden haben oder
in deren Umgebung in letzter Zeit
Typhus vorgekommen ist. Diese For¬
derung ist aber meines Wissens noch
nicht durchgeführt. Dazu kommen
noch Fälle von leichtem Typhus oder
von larviertem Typhus, deren Träger
als gesund im Heere Dienst tun. Man
wird also mit der Annahme nicht fehl¬
gehen, dass sich in den grossen Heeren
der kriegführenden Parteien eine gan¬
ze Anzahl typhusbazillenausscheiden-
der Soldaten befinden, die doppelt ge¬
fährlich sind für eine Truppe bei den
gesundheitswidrigen und unhygieni¬
schen Verhältnissen, unter denen sie
zu leben gezwungen ist. Nehmen wir
hinzu, dass wir gegen ein Land, wie
Russland, Krieg führen, in dem alle
die Seuchen, die einem Heere gefähr¬
lich werden können, Pocken, Typhus,
Ruhr und auch Cholera, schon in Frie¬
denszeiten mehr als in anderen Län¬
dern verbreitet sind, so wird man es
unserer Heeresverwaltung Dank wis¬
sen, dass sie Schritte tut, unser Heer,
soweit es möglich ist, auch hiergegen
zu wappnen.* Unser Volk und unser
Heer haben ein Recht zu verlangen,
nicht nur in der Waffenrüstung auf’s
allerbeste ausgerüstet den Feinden
entgegengeführt zu werden, sondern
auch den unsichtbaren Feinden, den
Epidemien gegenüber, so geschützt zu
sein, wie es nach dem Stande der Wis¬
senschaft zurzeit möglich ist. Und
dazu bieten die Schutzimpfungen die
Mittel. Lassen Sie uns hoffen, dass
wir Dank unseren mit zielbewusster
Kraft durchgeführten Rüstungen den
sichtbaren wie unsichtbaren Feinden
gegenüber Sieger bleiben.
* Inzwischen sind auch Choleraschutzimpf¬
ungen an den im Felde stehenden Truppen
ausgeführt worden.
Typhus exanthematicus.
Von Dr. A. Rose, New York.
Das kaiserliche Gesundheitsamt hat
ein Rundschreiben „Ratschläge zur
Bekämpfung des Fleckfiebers (Fleck¬
typhus)“ herausgegeben. In demselben
heisst es: Das Fleckfieber (exanthe-
matischer Typhus, Petechialtyphus)
ist eine schwere, in Deutschland nicht
einheimische Infektionskrankheit. Die
Sterblichkeit an Fleckfieber wird auf
etwa 1/7 der von der Krankheit befal¬
lenen bemessen. Sein Erreger ist noch
nicht bekannt.
Die Tatsache, dass der exanthema-
tische Typhus immer zu Kriegszeiten
in grossen und weitverbreiteten Epi¬
demien auftritt, wird in dem Rund¬
schreiben nicht erwähnt. Die vierte
und schwerste Typhusperiode des 18.
Jahrhunderts begann mit den Kriegen
der französischen Revolution und en¬
dete erst mit der zweiten Dekade des
19. Jahrhunderts nach dem Nieder¬
gang des Napoleonischen Reiches und
der Wiederherstellung des Friedens in
Deutschland.
Die Symptomatologie und der Ver¬
lauf sind, wie nicht anders zu erwar¬
ten, von dem kaiserlichen Gesund¬
heitsamt in klassischem Stil bündig
und genau beschrieben, namentlich ist
die Differentialdiagnosis zwischen Ab¬
dominal- und exanthematischem Typhus
hervorgehoben.
„Während das klinische Bild und
die überaus leichte Uebertragbarkeit
des Fleckfiebers schon seit dem 16.
Jahrhundert bekannt sind, scheinen
erst neuere Forschungen Licht in die
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238
New Yqrkzs Medizinische MoNATsscHEirr.
Verbreitungsweise der Krankheit ge¬
bracht zu haben. Sie haben gezeigt,
dass die Krankheit durch Vermitte¬
lung des Ungeziefers, namentlich der
Läuse, von Mensch zu Mensch über¬
tragen werden kann« Damit steht
auch die alte Erfahrung in Einklang,
dass die Schlafstellen der herumzie¬
henden Bevölkerung, die Herbergen
und Asyle die hauptsächlichsten Brut¬
stätten. der Seuche sind. Auch ist es
begreiflich, dass hauptsächlich obdach¬
lose Personen, Bettler, Zigeuner,
Landstreicher, Hausierer von dem
Fleckfieber befallen werden und dass
gerade in Kriegszeiten und im Winter
die Krankheit leicht an Verbreitung
gewinnen kann.“
Weiter gibt das kaiserliche Gesund¬
heitsamt Verordnungen über den
Transport Typhuskranker, und hier
bin ich enttäuscht, weil der Bericht
des Dr. K r a n t z über die wichtigen
Beobachtungen des Typhus im York-
schen Korps im Jahre 1813, und den
ich in meinem Buche Napoleon's Cam¬
paign in Russia Anno 1812 vollständig
wiedergegeben, nicht erwähnt ist. Dr.
Krantz hat das Alpha und Omega
der Behandlung des exanthematischen
Typhus erkannt. Was Krantz im
Jahre 1817 im Magazin für die ge¬
samte Heilkunde über den Gang der
Krankheiten, welche in der königlich-
preussi sehen Armee vom Ausbruch
des Krieges im Jahre 1812 bis zu Ende
des Waffenstillstandes (im August
1813) geherrscht haben, veröffentlicht
hat, ist in der New Yorker Medizini¬
schen Monatsschrift vom März 1912
vollständig abgedruckt.
In dem Buche über den russischen
Feldzug Napoleons habe ich alles, was
ich über die Läuseplage in der grossen
Armee finden konnte, zusammenge-
stellt. Der französische Chirurg Ma¬
jor Ca rp n n, indem er die Ereignisse
von Wilna — gleich entsetzlich wie
die des Ueberganges über die Bere-
sina — erzählt, beschreibt die wider¬
lich entsetzliche Läuseplage.
Ich führe auch von Suckow, ei¬
nen württembergischen ersten Lieu¬
tenant an, der das unerträgliche durch
Läuse verursachte Elend bespricht,
durch das der Schlaf am Wachtfeuer
gestört wurde, ferner sodann von
B o r c k e, der erschrak, als er ent¬
deckte, dass sein ganzer Körper von
Läusen angefressen war, und ferner
aus den Aufzeichnungen eines franzö¬
sischen Obersten, der beim Kratzen
ein Stück Fleisch aus dem Nacken riss,
dem der durch die Wunde verursachte
Schmerz ein Gefühl der Erleichterung
zu sein schien. Unter den Umstän¬
den, welche den russischen Feldzug
charakterisierten, namentlich die Un¬
möglichkeit der körperlichen Reini¬
gung, entwickelte sich das Ungeziefer
in einer Weise, die jeder Beschreibung
spottete. Niemand entging der Plage:
nach Constant, dem Diener Napo-
leon’s. hatte selbst der Kaiser sein
Teil.
Als die Ueberlebenden des Rück¬
zugs von Moskau, diese hohläugigen
Gespenster mit den abgefrorenen Fin¬
gern und Zehen, die Gesichter mit ei¬
ner Maske von Schmutz überzogen,
vom Rauch der Wachtfeuer ge¬
schwärzt, in Schaffelle und Lumpen
gehüllt, mit langen Bärten, in deut¬
sche Quartiere kamen, gaben die gu¬
ten Leute ihren Gästen Gelegenheit,
sich gründlich zu reinigen, Wohl¬
habende Hessen die Diener dabei hel¬
fen, in den Häusern der Arbeiter taten
dies Mann und Frau. Ein Sergeant
mit einem Kameraden erhielten Quar¬
tier im Hause eines ehrenhaften
Schneiders. Als dieser sah, wie diese
zwei Soldaten mit Läusen behaftet
waren, Hess er sie sich entkleiden, bü¬
gelte die äusseren Kleider mit einem
Bügeleisen, während die Frau die Un¬
terkleider kochte.
Auffallend ist, dass dieser Gegen¬
stand, die Läuseplage, in den medizi¬
nischen Kriegsgeschichten kaum je er¬
wähnt wird, obwohl jeder, der im Feld
gewesen, damit vertraut ist. Einige
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meiner Leser beklagten sich, dass ich
nicht mehr darüber mitgeteilt habe.
Ich gab alles, was ich in alten Papie¬
ren über den russischen Feldzug ge¬
funden, dabei fand ich kein Wort über
Abhilfe, bis mir eine kleine Schrift
„Weyland, Ueber die sichere Ver¬
tilgung der Kleiderläuse, der Plage
der Armeen im Felde und im Bi-
vouak“, Militärarzt, Wien 1872, zu Ge¬
sicht kam. W e y 1 a n d empfiehlt ein
Mittel, das er in dem Feldzug von
1870—71 bewährt gefunden. Er lernte
es von dem Konservator eines Natu-
ralienkabinets kennen. Dieser teilte
ihm mit, dass die meisten derartigen
Sammlungen trotz der Behandlung
mit Arsenik beim Ausbalgen durch die
verschiedenen Pediculi und Tinea¬
arten, in nicht sehr langer Zeit zu
(irunde gingen, er wende deshalb zu
deren Vertilgung Benzin an und erhal¬
te dadurch seine Sammlungen besser,
als durch jede andere frühere Behand¬
lungsmethode. Dies wurde von W e y-
1 a n d adoptiert. Sobald die Verwun¬
deten aufgenommen waren, war das
erste, sie vollständig in einem eigens
dazu bestimmten Raume zu entklei¬
den, gehörig zu reinigen oder ihnen je
nach den Umständen ein warmes Bad
verabreichen zu lassen, ehe sie mit
neuem Leibgeräte in die für sie her¬
gerichteten Betten in den Krankensaal
gebracht wurden. Die sämtlichen Klei¬
der wurden der Luft ausgesetzt. Um
seinen Plan auszuführen, liess er fünf
Fuss hohe und ebenso breite hölzerne
Kisten anfertigen, mit einem Deckel
verschliessen und innen mit festem
blauen Papier, das mit Stärkekleister
angeklebt war, möglichst luftdicht ma¬
chen. Dann schüttete er etwas Benzin
auf den Boden der Kiste und liess da¬
nach die Kiste mit Kleidungsstücken
belegen, nachdem jede Schichte mit
einer massigen Quantität Benzin über¬
gossen war. War dann eine Kiste mit
den Effekten bis oben angefüllt, so
wurde der Deckel fest zugeschlagen
und der Inhalt dadurch so ziemlich
hermetisch abgeschlossen. Nach zwei-
bis dreimal 24 Stunden wurde der
Deckel entfernt, die Kleider wurden
herausgenommen, und da sah man mit
Erstaunen und Grauen die Bälge der
toten Läuse herabfallen, aber in einer
Menge, von welcher man vorher keine
Ahnung hatte. Das Benzin verflüchtete
sich nämlich während dieser Zeit, durch¬
drang die Effekten und tötete alle diese
Parasiten, weil bekanntlich das Leben
aller ähnlichen Tierbildungen in einer
mit Benzin geschwängerten Atmosphäre
erlöschen muss.
Prof. A. Loewv schreibt in Ber¬
liner Klin. Wochenschrift 1914, No. 43,
über die Verseuchung der Quartiere in
der östlichen Armee mit Ungeziefer und
sagt, bis jetzt gibt es kein Mittel, das
sich als ausreichend wirksam dagegen
erwiesen hätte. Seidenes Unterzeug
ist als Ungezieferprophylaxe gerühmt
worden. Wie L o e w y von einem Ve¬
teranen des Schleswig-Holsteinschen
Krieges von 1864 lernte, soll Asa foetida
mit ziemlicher Sicherheit die Läuse fern¬
halten.
In Athen begegnet man Männern vom
Lande, welche die malerische griechisch¬
albanische Tracht, die Phoustanella tra¬
gen. Der Stolz dieser Phoustanella-
phoroi, wie sie genannt werden, ist das
Gewand schneeweiss zu haben. Gele¬
gentlich bemerken wir einen Mann mit
brauner Phoustanella, das ist einer, der
aus grosser Entfernung kommt und auf
längerer Reise ist. Weil ihm die Ge¬
legenheit fehlt, seine Kleider regel¬
mässig zu waschen, taucht es sie in
Teerwasser, einesteils um die Spuren
des täglichen Gebrauches zu- verwischen,
andernteils als Schutz gegen Ungeziefer.
Professor A. Blaschko empfiehlt
zur Prophylaxe des Flecktyphus, jedem
Soldaten je 30 bis 50 g Naphthalin mit¬
zugeben, von denen er, sobald Juckreiz
verspürt wird, etwa Teelöffel voll an
Hals und Genick unter den Hemdkragen
schüttet. Von dort fällt es von selbst
allmählich den Rumpf entlang. Auch
könnte das Naphthalin, in Mullsäckchen
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240
Nkw Yorker Medizinische Monatsschrift.
eingenäht, in einem Bande um den Hals
getragen werden. Um sich im Quartier
vor Läusen zu schützen, sollte der Sol¬
dat kleine Mengen des Naphthalin¬
pulvers ins Bett streuen. Um sich gegen
Kopfläuse zu schützen, die ebenso ge¬
fährlich sind, hält Blaschko es für
empfehlenswert, dass die Soldaten sich
die Haare kurz scheeren lassen.
Was ich über die Läuseplage in den
Armeen geschrieben, erregte das Inte¬
resse des Oberarztes der amerikanischen
Armee. Auf meine Anfrage erfuhr ich.
dass die Person der Soldaten alle zwei
Wochen von einem Militärarzt unter¬
sucht wird, dass täglich und wöchent¬
liche Inspektionen der Barracken von
Linienoffizieren vorgenommen werden,
ebenso häufige Inspektion der Barbier¬
stuben der militärischen Reservationen.
Nur zwei Fälle von exanthematischem
Typhus wurden während des letzten
Jahres in der amerikanischen Armee be¬
richtet. Diese zwei Fälle kamen von
China; die Soldaten hatten sie von Ein¬
geborenen bekommen.
Mitteilungen aus der neuesten Journalliteratur.
M. Nonne und Fr. W o h 1 w i 11:
Ueber einen klinisch und anatomisch
untersuchten Fall von isolierter re¬
flektorischer Pupillenstarre bei Feh¬
len von Paralyse, Tabes und Syphi¬
lis cerebrospinalis.
Eine 38jährige Händlerin wurde am
4. August 1912 in schwerem Delirium
tremens aufgenommen; sie zeigte
Symptome beginnender Lungentuber¬
kulose. Vor 13 Jahren syphilitisch in¬
fiziert, hatte sie damals eine Schmier¬
kur durchgemacht, war seitdem nicht
antisyphilitisch behandelt worden. Als
Stigma von Syphilis bestand eine
grosse Perforation am weichen Gau¬
men ; ob die grosse, harte Leber Fol¬
gen von Alkoholismus oder Syphilis
sei, blieb unentschieden. Es bestand
Anisokorie, Entrundung der Pupillen,
beiderseits echte reflektorische Pupil¬
lenstarre. Wassermann im Blute ein¬
mal negativ, drei Wochen später -)—|-
-F, im Liquor: Wassermann 0, Lym-
phozystose 0, Phase negativ. Die Lun¬
generkrankung machte Fortschritte,
Patientin starb nach einem Aufenthal¬
te im Krankenhause von etwa einem
Jahr. Von Seiten des Nervensytsems
war bei wiederholter Untersuchung
kein anderes Symptom zu finden, als
die erwähnte reflektorische Starre bei¬
der Pupillen. Die Obduktion ergab
Lungentuberkulose, Myodegeneratio
cordis, Aortitis luetica im Anfangsteil
der Aorta, nichts von Aneurysma. Am
Gehirn und Rückenmark makrosko¬
pisch nicht Abnormes, mikroskopisch
zeigte sich die Arachnoidea etwas zel-
ienreicher als normal, Infiltrate fehl¬
ten sowohl hier als an den übrigen
Hirnteilen. Die Anordnung der Zell¬
schichten der Rinde war nicht alte-
riert; die Ganglienzellen des Rücken¬
marks liess ausser einer dem Alter
entsprechenden Einlagerung lipoiden
Pigments nichts Abnormes erkennen,
die Markfasern zeigten nirgends einen
Ausfall. Paralyse, Tabes, Syphilis
cerebrospinalis, selbst der Anfangs¬
stadien, konnten mit Bestimmtheit
ausgeschlossen werden.
Dementsprechend lässt sich nicht
mehr behaupten, dass echte reflekto¬
rische Pupillenstarre Ausdruck von
Paralyse, Tabes oder Syphilis cere¬
brospinalis sei. Die Autoren nehmen
an, dass das Symptom klinisches Re-
sidium eines früheren syphilitischen
anatomischen Prozesses gewesen sei,
der, wie die Abwesenheit der Liquor¬
reaktion beweist, vollkommen er¬
loschen war. (Neurol. Zbl., 1914, Nr.
10 .)
Ledergerber und Bauer: Bei¬
träge zur Untersuchung von tuber¬
kulösem Urin.
Die Autoren geben zum Nachweis
von Tuberkelbazillen im Urin nach¬
stehendes Verfahren an: Zu einer
Menge Harn von 100 bis 200 ccm
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
241
wird so viel Ammoniak hinzugefügt,
bis die Lösung schwach alkalisch ist,
diese wird dann 60 Mintuen stehen ge¬
lassen, bis sich die Phosphate zu Bo¬
den gesenkt haben, die klare Flüssig¬
keit wird vom Bodensatz abgegosesn
(Zusatz von Alkohol befördert die Se-
dimentierung), letzterer wird zentrifu¬
giert und die darüber stehende Flüs¬
sigkeit abgegossen, dem Bodensatz
wird wieder Essigsäure zugesetzt, bis
die Phosphate gelöst sind, dann wer¬
den einige Tropfen Chloroform zuge¬
setzt und die Mischung durch 10 Mi¬
nuten geschüttelt, die Flüssigkeit wird
zentrifugiert, von dem Bodensatz auf
den Objektträger ausgestrichen, das
Material hoch über eine Flamme aus¬
getrocknet. Hierauf folgen Fixieren
und Färben. (Korr.-Bl. f. Schweiz.
Aerzte, 1914, Nr. 5.)
C. Hart: Ueber das Ulcus duodeni.
Man hält das Ulcus duodeni nicht
mehr für so selten, als dies früher ge¬
schah. Autor fand in 450 Leichen¬
obduktionen 22mal, das heisst in 4.89
Prozent entweder ein Ulkus oder eine
Narbe im Duodenum. Von diesen 22
Fällen betrafen 16, das ist 72.8 Pro¬
zent, das männliche Geschlecht, wäh¬
rend das Magenschwär bekanntlich
bei Frauen häufiger ist. Fünfmal war
das Ulkus die zum Tode führende
Krankheit. In den vom Autor sezier¬
ten 450 Fällen kamen 21mal Ulzera im
Magen vor, sodass das Vorkommen von
Geschwüren im Magen und im Duode¬
num gleich häufig erscheint. Am häu¬
figsten ist die Hinterwand der Pars
horizontalis in der Nähe des Pylorus
befallen. Wahrscheinlich weil hier
der saure Magensaft am ehesten zur
Wirkung gelangt, während er weiter
unten durch Galle und Pankreassekret
neutralisiert wird. Hyperazidität er¬
höht die Gefahr der Geschwürsbil¬
dung, besonders wenn der Mageninhalt
abnorm rasch ins Duodenum tritt.
Autor glaubt als eine Hilfsursache der
Entstehung des Ulkus neben der pep¬
tischen Schädigung durch sauren Ma¬
gensaft nervöse Einflüsse annehmen
zu sollen, vagotonische Krämpfe, re¬
flektorische Entstehung von Leiden
des Appendix oder der Gallenblase.
Er hat jüngst auf die Entstehung neu¬
rotischer Magenblutungen aufmerk¬
sam gemacht und hat seitdem nach
Hirnblutung peptische Ulzera sowie in
einem Falle von Meningitis infolge
von Schädelfraktur hämorrhagische
Erosionen im Magen neben frischem
Ulcus duodeni gefunden. Unter den
klinischen Symptomen ist der beson¬
ders nachts auftretende Hunger¬
schmerz hervorragend wichtig. Doch
kann dieses Symptom, wenn das Ul¬
kus unter einer Schleimhautfalte ver¬
steckt ist, fehlen und das Geschwür
symptomenlos bleiben; es besteht
höchstens ein rechts neben der Mittel¬
linie in der Pylorusgegend sitzender
Schmerz, der sehr vieldeutig ist. Käst
immer ist der Pylorusring verdickt
und der Magen dilatiert; es besteht
motorische Insuffizienz des Magens,
was sich röntgenographisch durch Zu¬
rückbleiben der letzten Speisemengen
im Magen kundgibt, während der An¬
fang des Uebertrittes vom Magen ins
Duodenum sich rasch genug einstellt.
Oft kommt es zu Blutungen, die ok¬
kult bleiben können, wenn nicht die
Untersuchung des Stuhles auf Blut
das Statthaben solcher nachweist. Da¬
bei muss man sich bewusst bleiben,
dass ein negatives Resultat Ulcus duo¬
deni nicht ausschliesst.
Das Ulcus duodeni kann ebenso wie
ein Magengeschwür unter Bildung
tiner strahligen Narbe ausheilen.
Hart hat nie durch eine solche Narbe
Stenosenbildung oder Entstehung ei¬
nes Sanduhrduodenums beobachtet,
doch konnte er Bildung von Diverti¬
keln zwischen Narbensträngen kon¬
statieren, die Duodenalwand erschien
gewissermassen gerafft. In diesen
Divertikeln kann Wismutbrei liegen
bleiben und die Diagnose eines narbig
geheilten Ulkus ermöglichen. Das
Ulcus duodeni wird häufiger Todesur¬
sache als das Magengeschwür, in
Simmond’s Fällen in 40 Prozent, in
denen des Autors in 20 Prozent, in
D i e t r i c h’s Fällen kam es in 20 Pro¬
zent der Fälle zu tötlicher Perforation,
während Magengeschwürperforationen
nur in 7 Prozent der Fälle zu tötli¬
cher Blutung führten. Obschon das
Ulcus duodeni latent bleiben kann und
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242
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
Fälle spontaner Heilung Vorkommen,
muss es doch als bösartiges Leiden
gelten. Die Ueberkleidung des Ge¬
schwürs mit Schleimhaut erfolgt sel¬
ten und zieht sich lange hin, während
impier Komplikationen drohen. Wenn
man jedoch rechtzeitig chirurgisch
eingreift durch Gastrojejunostomie,
den Pylorus und das Duodenum aus¬
schaltet, so sind die Resultate äusserst
zufriedenstellend. W i t z e 1 erklärt
apodiktisch: „Einen rechtzeitig ope¬
rierten Patienten mit Ulcus duodeni
non complicatum verliert man nicht.* 4
Freilich, wenn das Ulcus duodeni mul¬
tipel erscheint, oder mit Magenulzera-
lionen zusammen vorkommt, ist die
Aufgabe des Chirurgen viel schwieri¬
ger und die Prognose schlechter.
(M. Kl. 1914 Nr. 9.)
Sitzungsberichte.
Deutsche Medizinische Gesellschaft der Stadt New York.
Sitzung, Mittwoch, den 3. Februar
1915, abgehalten im Hotel Biltmore.
Präsident Dr. W. Freudenthal
eröffnet die Sitzung um l / 2 9 Uhr.
Dr. S. B r e i t e n f e 1 d stellt den
Antrag, von einer Verlesung des Pro¬
tokolls der vorigen Sitzung abzusehen
und die Versammlung beschliesst
demgemäss.
Hierauf tritt die Versammlung in
die Tagesordnung ein:
Vorträge.
Die körperliche Erziehung des
weiblichen Geschlechts und die Elisa¬
beth Duncan Schule.
1. Dr. Charles Jaeger: Einlei¬
tender Vortrag.
2. Direktor Max Merz: Die Kör¬
per-Kulturbewegung in Deutschland
und die Elisabeth Duncan Schule.
(Vortrag ist in dieser Nummer der
Monatsschrift als Originalarbeit ge¬
druckt.)
3. Deutsche Schülerinnen der Eli¬
sabeth Duncan Schule:
a ) (iymnastische Hebungen.
1)) Rhythmische Hebungen.
Direktor Max Merz: Ich komme
zum Schluss mit einer Bitte zu Ihnen,
indem ich Ihnen diese Schule ans
Herz legen möchte. Helfen Sie ihr,
hier vorwärts zu kommen. Da das
Heim in Darmstadt jetzt der Pflege
von Verwundeten dient, ist die Schule,
um ihre Arbeit nicht zu unterbrechen,
nach New York zur Errichtung der
langgeplanten Zweigschule übergesie¬
delt. Wenn Sie heute ein Interesse
für die Schule gewonnen haben, möch¬
te ich Sie einladen, uns auf unserem
Hügel in Croton am Hudson, wo wir
uns eingerichtet haben, zu besuchen.
Sie sind uns besonders am Sonntag,
aber auch sonst herzlich willkommen.
Sollten Sie ein Interesse daran ha¬
ben, dass die Schule erhalten bleibt,
dann unterstützen Sie uns bitte in un¬
seren Bestrebungen.
Ich befinde mich heute in einer
deutschen Gesellschaft und möchte
deshalb noch folgendes hinzufügen:
Im vorigen Jahre überzeugte sich der
deutsche Kronprinz, der Protektor des
deutschen Reichsausschusses für die
olympischen Spiele, Berlin 1916, in
einer für ihn veranstalteten Vorfüh¬
rung von den Leistungen unserer
Schülerinnen und sandte dann ein be¬
geistertes Telegramm an den Gross¬
herzog von Hessen, worauf dieser ant¬
wortete : ,,Herzlichen Dank für Dein
Telegramm. Ich halte viel von der
Zukunft der Schule und kämpfe für
sie. Bitte hilf mir, diese schöne Sache
gegen Missverständnisse zu schützen
und für unser deutsches Vaterland zu
erhalten.“ Helfen Sie uns, unsere
Mission zu erfüllen.
Präsident Dr. W. Freudenthal:
Wir alle, die wir die graziösen und
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Nkw Yorks Mkdizinischk Monatsschrift.
243
ästhetischen Uebungen der Kinder ge¬
sehen haben, können nicht umhin, die
Vollkommenheit der Kinder und die
Fertigkeit der Lehrer zu bewundern.
Für uns Mediziner sind hauptsächlich
die gymnastischen Uebungen inbezug
auf die Prophylaxe von Krankheiten
von Wichtigkeit. Die Berührung des
nackten Körpers mit der Atmosphäre
gehört zu den Fragen, die uns Aerzten
besonders am Herzen liegen. Wie ich
die gymnastischen Uebungen gesehen,
kamen mir meine eigenen Kinder in
Erinnerung, mit denen ich die meisten
dieser Uebungen selbst gemacht habe.
Da wir heute keine Diskussion ha¬
ben, so erübrigt mir nur noch, allen
denen, die uns heute einen so grossen
Genuss verschafft haben, im Namen
der Gesellschaft herzlich zu danken.
Hierauf tritt Vertagung ein.
Schluss der Sitzung um ^11 Uhr.
Feuilleton.
Die Pickwick Medizinische Gesellschaft.*
(Offizieller Bericht.)
Präsident Dr. Hiram Pringle hat
den Vorsitz. Andere Mitglieder haben
andere Sitze.
Der Präsident: Meine Herren ! Wir
haben heute Abend die Ehre, Herrn Dr.
E. Scarlet Pimple aus East Pick¬
wick, dessen wohlbekanntes Werk» über
Pneumonie ohne Zweifel ein jeder von
Ihnen in seiner Bibliothek hat, in unse¬
rer Mitte zu sehen. Dr. Pimple be¬
darf bei Pickwicker Aerzten keiner Ein¬
führung, sein Ruf ist ihm längst voraus¬
gegangen. Es gereicht mir zu grossem
Vergnügen, ihn vorzustellen. Der Titel
seines Vortrags lautet: Die Pneumonie.
Dr. Pimple besteigt unter Applaus
die Plattform und verliest seine Arbeit,
deren Autoreferat in Nachstehendem
wiedergegeben ist:
Ich schätze ungemein die Ehre, dass
man mich aufgefordert hat, vor Ihrer
gelehrten Körperschaft zu erscheinen.
Viele von Ihnen sind uns in East Pick¬
wick durch Ihre Arbeit bekannt und ich
schätze den Vorzug, meine Anschau¬
ungen Ihnen vorlegen zu dürfen, nicht
gering.
Die Lungenentzündung ist eine der
wichtigsten Erkrankungen, deren Be¬
handlung an uns herantreten kann. Wie
Sie wisen, habe ich ihre Symptome und
'Wir geben hiermit eine Uebcrsetzung des in der
nengegründeten Zeitschrift „The Medical Pickwick“
erschienenen satyrischen Berichtes über eine Sitzung
der Medical Pickwick Society. Man kann natürlich
statt Pickwick den Namen irgend einer beliebigen
medizinischen C.esellschaft «etzen. Anm. d. Red.
Behandlung zum Gegenstand speziellen
Studiums gemacht, dessen Resultate ich
in dem Buche niedergelegt habe, das Ihr
Herr Vorsitzender so schmeichelhaft er¬
wähnte und von welchem ich mehrere
Exemplare mitgebracht habe und die
Ihr Herr Sekretär Ihnen gerne käuflich
überlassen wird.
Im Ganzen habe ich bis jetzt 762 Fäl¬
le behandelt, von denen keiner tötlich
verlief. Es ist zwar richtig, dass von
dieser Zahl 276 starben, allein diese
Fälle können wohl nicht in . meiner
Sterblichkeitsliste mitaufgezählt wer¬
den, weil ich bei denselben beim Eintritt
des Todes nicht zugegen war und daher
wohl angenommen werden darf, dass
der Tod durch eine andere Ursache als
durch die Pneumonie verursacht wurde.
Dies gibt eine Statistik, deren sich viel¬
leicht niemand zu schämen braucht, wie
ich dies auch selbst nicht tue.
Es tut mir leid, dass ich Ihnen infolge
einer Vereinbarung mit meinem Verle¬
ger keine Einzelheiten betreffs meiner
Behandlungsmethode mitteilen kann,
aber Sie finden sie niedergelegt in mei¬
nem Buch nebst 74 Abbildungen, die je¬
den einzelnen Punkt klar erläutern. Die
Abbildungen sind auf japanisches Pa¬
pier von ganz besonderer Stärke ge¬
druckt, wodurch das Buch in einer Wei¬
se verschönt wurde, wie dies sonst nicht
möglich gewesen wäre. So weit haben
wir über zwei Tausend Exemplare ver¬
kauft, und wenn man die Tantiemen in
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
Betracht zieht, darf ich wohl sagen, dass
das Schreiben eines Buches, wie ich es
getan, fast ebenso gewinnbringend ist
wie die Tätigkeit eines Chirurgen.
Wenn es dem Schreiber zugleich ge¬
lingt, einige Angaben oder Data mitein-
fliessen zu lassen, die den Anschein er¬
wecken, dass er mehr über das Thema
weiss, als dies tatsächlich der Fall ist, so
wird sein Weerk dadurch nur noch zug¬
kräftiger werden. Ich brauche nicht zu
sagen, dass dies in meinem Falle nicht
zutrifft.
Die Pneumonie ist also, wie schon er¬
wähnt, eine akute Infektionskrankheit.
Dies habe ich mit besonderem Geschick
in meinem Buche nachgewiesen. Ich
habe mehrere Hundert Fälle analysiert
und gefunden, dass, soweit es die Aetio-
logie betrifft, die Mehrzahl der- Aerzte
mit mir übereinstimmt. Sie finden die
Resultate dieser Untersuchungen in
meinem Buche auf besonderes chinesi¬
sches Papier gedruckt und in ganz aus¬
gezeichneter Weise arrangiert, sodass
man auf einem Blick sehen kann, dass
die Entstehung der Pneumonie infekti¬
öser Natur ist. Ich betrachte dies als
einen der wertvollsten Abschnitte mei¬
nes Buches.
Ich will nun in ausführlicher Weise
zu Ihnen über die Symptome der Krank¬
heit reden, da es mir nicht möglich war,
dafür das gesetzliche Verbot des Nach¬
drucks zu erhalten. Schmerzen, Husten
und Fieber gehören zu den vor Nach¬
druck gesetzlich nicht geschützten Er¬
scheinungen, allein ich bin nicht ganz
sicher, ob auch der initiale Schüttelfrost
dazu gehört, da ich einige Besonder¬
heiten dabei entdeckt habe, die ich in der
nächsten Auflage veröffentlichen will,
sodass ich nicht sehr gut jetzt darüber
sprechen kann. Allein alle von Ihnen,
die in der glücklichen Lage sind, ein
Exemplar meines Buches zu besitzen,
werden jedes Symptom sorgfältig be¬
sprochen, auf spezielles indisches Papier
gedruckt und so weit angänglich an Pa¬
riser Kunstmodellen illustriert finden.
Es ist dies ein Vorzug, der für das Werk
die grösste Zugkraft bildet und allein
den mässigen Preis des Buches auf¬
wiegt.
Es bleibt mir nun nur noch übrig,
über die Prognose der Pneumonie zu
sprechen. Ein flüchtiger Blick auf die
Seiten 418 bis 436 in dem erwähnten
Werk wird dem Leser zeigen, in welch
einfacher Weise er die prognostischen
Zeichen nachschlagen kann. Diese Ta¬
belle, auf die ich ganz besonders stolz
bin, ist auf eine ganz spezielle Papier¬
sorte gedruckt, welche eine Verringe¬
rung des Umfanges des Buches gestat¬
tete. Es nahm mich mehrere Abende,
die Tabelle zusammenzustellen, und ich
betrachte dieselbe als einen meiner wert¬
vollsten Beiträge zur medizinischen
Wissenschaft.
Gestatten Sie mir, dass ich Ihnen
nochmals danke für Ihr freundliches
Entgegenkommen, Ihre Aufmerksam¬
keit und die Ehre, die Sie mir erwiesen
haben durch Ihre Einladung, vor Ihnen
zu sprechen. Zum Schluss möchte ich
noch bemerken, dass mein Buch mit mei¬
nem Porträt als Titelbild geschmückt
ist, welches ich auf Wunsch mit meinem
Autogramm versehen werde. (Lauter
und anhaltender Beifall.)
Dr. Jingle (halblaut zum Sekre¬
tär)' Blödsinniger Vortrag.
Dr. Tingle, der Sekretär, halblaut
zum Präsidenten: Unsinn.
Präsident: Meine Herren ! Sie ha¬
ben den erschöpfenden und erstaunungs-
werten Vortrag des Herrn Dr. P i m -
p 1 e gehört. Ich ersuche unseren Kol¬
legen Dr. Pringle, die Diskussion zu
eröffnen.
(Dr. O’Mingle weckt Dr. Prin¬
gle mit einem Rippenstoss auf.)
Dr. Pringle: Herr Präsident und
meine Herren! Wir können uns Glück
wünschen, den Vorzug gehabt zu ha¬
ben, den glänzenden Ausführungen Dr.
P i m p 1 e’s zuhören zu dürfen. Es war
dies in der Tat ein seltener Genuss. Er
hat das Thema so erschöpfend behan¬
delt, dass darüber nur wenig mehr zu
sagen ist. Sein durchgreifendes Wissen
über den Gegenstand, seine meisterhafte
Auffassung des Themas, kurz, sein
gründliches Beherrschen der Pneumonie
machen es einem, der weniger Erfah¬
rung hierin besitzt, zur Unmöglichkeit,
auch nur ein Wort beizufügen, das Ihre
Kenntnis der Krankheit noch bereichern
könnte. Und dennoch wage ich es, Ihre
Aufmerksamkeit auf einige meiner eige¬
nen Beiträge zur Erkenntnis der Pneu-
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
245
monie zu lenken, auf einige kurze Mono¬
graphien, die für wert erachtet wurden,
in den Index medicus aufgenommen zu
werden und die allenthalben zitiert
wurden. Ich nehme an, dass diese Ar¬
beiten den Herrn Präsidenten bestimmt
haben, mich zur Eröffnung der Diskus¬
sion aufzufordem. Zum Schlüsse möch¬
te ich betonen, dass ich alles unter¬
schreibe, was Dr. Pimple gesagt hat,
und nochmals wiederholen, dass sein
Vortrag uns einen grossen Genuss be¬
reitet hat.
Präsident: Die allgemeine Diskus¬
sion über den Vortrag ist eröffnet.
(Langes Schweigen.)
Dr. Pfeffernuss: Herr Präsi¬
dent und meine Herren! Ich erhielt
meine medizinische Ausbildung in Hei-
dinghain, wo wir stets gelehrt wurden,
dass die Pneumonie eine Krankheit,
aber kein Buch ist. Deshalb-
Präsident: Ich bitte den Herrn Kol¬
legen, die Diskussion auf den Vortrag
von heute Abend zu beschränken. Die
Gesellschaft interessiert sich nicht für
seine medizinische Erziehung.
Dr. Pfeffernuss setzt sich nie¬
der.
Präsident: Will sich noch einer der
Herren an der Diskussion beteiligen?
(Rufe: Dr. O’M i n g 1 e.)
Dr. O'M i n g 1 e: Herr Präsident
und meine Herren! Ich hatte nicht die
Absicht, heute Abend zu sprechen, al¬
lein die schmeichelhafte Aufforderung
der Gesellschaft lässt mir keine Wahl.
Bis zu einem gewisen Grade habe ich
mich gefreut — ja, gefreut ist das rich¬
tige .Wort — über den Vortrag unseres
geehrten Gastes. Es ist darin manches
enthalten, worin ich mit ihm überein¬
stimme, und anderes wieder oder vice
versa, worin ich mit ihm nicht überein¬
stimme. Allein dies sind Kleinigkeiten,
wie die Bücherreferenten sagen, und ich
möchte keinen Missklang in die Krank¬
heit hineinbringen. Wenn wir etwas
heute Abend gelernt haben, so ist es
dies, dass Bescheidenheit und ein ge¬
wisser Konservatismus von seiten des
Arztes die entscheidenden Punkte bei
der Behandlung der Pneumonie bilden.
Der Verfasser der Arbeit ist zu beglück¬
wünschen, und wir alle, ein jeder von
uns, können uns Glück wünschen, dass
wir den Vortrag gehört haben, und ich
selbst möchte der Träger der Glück¬
wünsche sein.
Präsident: Wenn sich niemand mehr
an der Diskussion beteiligen will, erteile
ich Herrn Dr. Pimple das Schluss¬
wort.
Dr. Pimple: Meine Herren! Ich
weiss das Wöhwollen, das Sie meinen
schwachen Bemühungen entgegenge¬
bracht haben, wohl zu schätzen. Ihre
erschöpfende Diskussion hat wenig zur
weiteren Besprechung übrig gelassen.
Immerhin möchte ich auf den ausge¬
zeichneten Gedanken des Herrn Dr.
— ich habe nicht das Vergnügen, ihn
zu kennen, allein ich glaube, sein Name
ist P e p p e r u s — zurückkommen.
Pneumonie ist, um mich exakt auszu¬
drücken, wie ich ja auch in meiner Ein¬
leitung angedeutet habe, wohl eine
Krankheit, allein wie kann einer die¬
selbe erkennen ohne ein Buch, welches
ihm hiezu die Anleitung gibt? Es hat
keinen Zweck, mich auf eine weitere
Diskussion einzulassen — meine Stel¬
lung und Haltung liegt klar zu Tage.
Zum Schluss, meine Herren, gestatten
Sie mir, nochmals meiner Genugtuung
Ausdruck zu geben, dass es mir ver¬
gönnt war, heute Abend in Ihrer Mitte
zu verweilen. Ich werde die angenehm¬
sten Erinnerungen an einen vergnügten
wissenschaftlichen Abend unter ge¬
schätzten Kollegen, ich darf wohl sagen
Freunden, mit mir nehmen. (Anhalten¬
der Beifall.)
Präsident: Ich darf wohl sicher an¬
nehmen, dass ich im Sinne der Gesell¬
schaft spreche, wenn ich sage, dass wir
die Liebenswürdigkeit des Herrn Dr.
Pimple, vor uns zu sprechen, vollauf
zu schätzen wissen, und dass wir seine
geniale Gesinnung herzlich erwidern.
Das nächste auf der Geschäftsordnung
ist die Vorstellung von Patienten. Lei¬
der kann das Programm nicht so einge¬
halten werden, wie es gedruckt wurde,
da Dr. Pennyroval durch seine
Praxis zu Hause festgehalten wurde —
er lässt sich jedoch entschuldigen. Um
zum zweiten Fall zu kommen, erteile ich
das Wort unserem Mitglied Dr.
Staple.
Dr. Staple: Herr Präsident, ge¬
ehrter Gast und Mitglieder! Ich modl¬
et rigi na I from
HARVARD UNIVERSITY
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Google
246
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
te Ihnen Kenntnis geben von den Re¬
sultaten einer ganz aussergewöhnlichen
Operation, die Sie, wie ich glaube, eben¬
so interessieren wird, wie dies bei mir
der Fall war. Ein gründliches Durch¬
forschen der Literatur hat mich über¬
zeugt, dass die Operation, die ich an¬
gegeben habe, ganz einzig dastehend
und originell ist.
Der Patient J. J., 7 Jahre und 2 Mo¬
nate alt, war mir von Dr. Tingle zu
einer Operation für Wolfsrachen zuge-
schickt worden. Sorgfältiges Ausfra¬
gen brachte die Tatsache zu Tage, dass
derselbe kongenital war. Meine Beob¬
achtungsgabe ermöglichte mir früher
schon zu bemerken, wie oft und mit wel¬
cher Leichtigkeit kleine Kinder die
grosse Zehe in den Mund stecken. Fast
mit plötzlicher Gewalt drängte sich mir
der Gedanke auf, dass, wie die Phalan¬
gen als Brücke für eingesunkene Nasen
benutzt wurden, es möglich sein könnte,
einen Ersatz für den fehlenden Gau-
inenteil in der Verwendung der Zehe zu
finden. Nachdem ich Dr. Tingle die
Chancen einer derartigen Operation
auseinandergesetzt hatte, kamen wir
überein, dass wir in unserem Interesse
die Familie von den neuen, ausserge¬
wöhnlichen und segensreichen Erfolgen,
die eine zweizeitige Operation haben
könnte, in Kenntnis setzen sollten.
Wir Hessen daher den Patienten auf
meine Abteilung am Pickwick Allge¬
meinen Krankenhaus transferieren. Un¬
ter leichter Lachgasanästhesie frischte
ich sorgfältig die Ränder der Gaumen¬
spalte an und skarifizierte die Ränder
der grossen Zehe. Die grosse Zehe
wurde dann sorgfältig in den Mund des
Kindes gebracht. Ein Gipsverband ge¬
nügte. um Zehe und Kopf des Kindes
während des Heilungsvorganges, der
der ersten Operation folgte, zu fixieren.
Isotonische Salzlösung wurde subkutan
angewandt zur Stillung des Durstes.
Nach zehn Tagen wurde der Verband
entfernt und gefunden, dass primäre
Vereinigung stattgefunden hatte. Unter
Aetheranästhsie amputierte ich dann das
Endglied der grossen Zehe. Glatte
Heilung. Ich hatte nie zuvor eine er¬
folgreichere plastische Operation ausge¬
führt. Die einzige Unannehmlichkeit,
die an dem Kinde beobachtet werden
konnte, war das Wachstum des Nagels,
welchen ich leider nicht erst entfernt
hatte, in dem Glauben, dass die verän¬
derte Funktion eine Atrophie infolge
Nichtgebrauches mit sich bringen wür¬
de. Es steht Ihnen frei, den Patienten
selbst zu untersuchen und zu sehen,
welch ganz aussergewöhnliches Resultat
erzielt worden ist.
Präsident: Der sehr interessante und
aussergewöhnliche Fall des Herrn Dr.
Staple steht zur Diskussion.
Dr. Winkle: Der soeben berichte¬
te Fall hat mich sehr interessiert, ob¬
wohl ich mich erinnere, dass in den
Sitzungsberichten der Königl. Gesell¬
schaft für Prestidigitateure im Jahre
1843 oder vielleicht 1844 sich eine An¬
deutung an eine Operation findet, die so¬
weit ich mich erinnere, in hohem Grade
vorbildlich ist für die uns heute Abend
im Detail mitgeteilte. Ebenso erinnert
mich dies an einen meiner eigenen Fälle,
der zwar nicht strikt analog, aber doch
von genügendem Interese ist, um in die¬
sem Zusammenhang erwähnt zu werden.
Wenn ich mich recht erinnere, habe ich
den Fall vor neun Jahren in dieser Ge¬
sellschaft vorgestellt. Der Patient war
ein Mann von ungefähr 79 Jahren, der
durch Friedenspredigen seine Stimme
verloren hatte. Nach vorausgegangener
Laryngostomie setzten wir eine kleine
Galtonpfeife ein: Patient war später im¬
stande, dieselbe ertönen zu lassen und
durch lange und kurze Pfiiffe nach dem
M ors esehen Code konnte er sich un¬
behindert mit seinen Freunden unterhal¬
ten.
Dr. Z i n d 1 e : Herr Präsident! Ich
möchte an Herrn Dr. Staple eine
Frage richten, falls dies gestattet ist.
Wie würde der Herr Kollege in ähnli¬
chen Fällen verfahren, in welchen zu¬
gleich kongenitales Fehlen der grossen
Zehe besteht?
Präsident: Irgendwelche weitere Dis¬
kussion? Wenn nicht, erteile ich Herrn
Dr. Staple das Schlusswort.
Dr. Staple: Herr Präsident, mei¬
ne Herren! Ich bin sicherlich Herrn
Dr. Winkle dankbar dafür, dass er
meine Aufmerksamkeit auf den zitierten
Fall gelenkt hat, den ich leider nur im
Auszug gelesen habe. Was ich jedoch
davon gelesen habe, hat mich vollkom-
Qriginal fro-m
HARVARD UNIVERSITY
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New Yoixd Medizinische Monatsschrift.
247
men überzeugt, dass die beschriebene
Technik mit der von mir heute Abend
an gegebenen nichts gemein hat.
Was die Frage des Herrn Dr. Z i n -
d I e anbelangt, so kann ich nur sagen,
dass das einzuschlagende Verfahren
sich naturgemäss nach der Grösse der
Spalte und der Beschaffenheit der Te¬
stierenden Zehen zu richten hätte.
Präsident: Damit, meine Herren,
schliesst das Programm für den heuti¬
gen Abend, und ich bin sicher, dass Sie
alle darin mit mir übereinstimmen, dass
wir an Wissen und Unternehmungsgeist
zur Verfolgung unseres hehren Berufes
gewonnen haben. Bevor ich die Sitz¬
ung vertage, will ich die Mitglieder
daran erinnern, dass einige derselben
immer noch ihre Beiträge für mehr
als sechs Jahre nicht bezahlt haben.
Wenn dieselben vor Schluss dieses Jah¬
res nicht bezahlt werden, verlieren diese
Mitglieder nach unseren Statuten ipso
facto die Mitgliedschaft. Der Schatz¬
meister ist, wie auch sonst, bereit, Bei¬
träge von den Mitgliedern entgegenzu¬
nehmen. Und nun noch ein Wort: die
üblichen Erfrischungen werden im an¬
stosenden Zimmer serviert werden.
Die Sitzung wird dann sine die ver¬
tagt.
Dr. P h i 1 e t u s Tingle, Sekretär.
Dr. Ira S. W i 1 e.
Therapeutische und klinische Notizen.
— Zur Dosierung des Styptols. Während
der letzten fünf Jahre hat G. Foy Gelegen¬
heit gehabt, Styptol bei verschiedenen Uterus-
blutungen zu verschreiben und ist schliesslich
zu ausserordentlich grossen Dosen überge¬
gangen, womit er gute Erfolge erzielte. Er
verabreichte bis zu 0.6 g, während sonst nur
0.1 bis 0.15 g gegeben wird. So gab er in ei¬
nem Fall 0.6 g alle zwei Stunden, ohne dass
die geringsten Nebenwirkungen auftraten. Es
empfiehlt sich, das Mittel in Zwischenräumen
von 2, 3 oder 4 Stunden, jenach der Lage des
Falles, zu geben. Autor findet das Präparat
als Styptikum allen ähnlichen Mitteln über¬
legen und weist darauf hin, dass Styptol in
höheren Dosen zu verordnen ist, als wie bis¬
her üblich war. (The Med. Press, 1912.)
— Zur Behandlung entzündeter H unden.
Dr. Pflei derer (Ulm) empfiehlt zur Be¬
handlung entzündeter Wunden sowie auch
Furunkeln eine Salbe aus Levirunose (Blaes)
und Glyzerin. Herstellung: die Levurinose
wird mit so viel Glyzerin verrieben, bis eine
dünne Paste entsteht, die später eindickt und
durch Zusatz von Glyzerin dann wieder we¬
niger konsistent gemacht werden kann. Die
Mischung wird messerrückendick auf Lein¬
wand aufgetragen; der Verband zweimal bis
dreimal täglich erneuert. Beim Verbandwech¬
sel örtliches warmes Bad mit Wasser oder
Kamillenabkochung oder ähnlichem. Durch
Behandlung der Furunkel nach dieser Me¬
thode hat Verfasser seit mehreren Jahren die
Inzisionen vermeiden können. — Auch Ge¬
schwürsflächen mit schlechtem Belag reinigen
sich meist schnell unter der Lcvurinosepaste.
(Aerztl. Rundschau 1914.)
— Behandlung und Prophylaxe des Periton -
sillarabszesses. Von Dr. L e v i n g e r ( Mün¬
chen). Der Ausgangspunkt und Sitz der
meisten Peritonsillarabszesse ist die Regio
supratonsillaris. Der Prozess stellt sich fast
immer zunächst als ein supratonsillärer Ab¬
szess dar. In selteneren Fällen verbreitet er
sich auch paratonsillar, unter der die Fossa
supratonsillaris nach unten gegen die die ei¬
gentliche Tonsille abgrenzende Schleimhaut¬
falte. Im weiteren Verlauf kann der Eiter
die ganze Tonsille lateral umgeben. Die mei¬
sten Aerzte pflegen einen peritonsillären Ab¬
szess von vorne, durch den vorderen Gaumen¬
bogen hindurch, zu inzidieren, entweder stets
an derselben Stelle, oder dort, wo sich schon
Fluktuation zeigt. Im ersteren Falle bleibt
die Inzision oft erfolglos; wartet man die
sichere Fluktuation ab, so bedingt das. abge¬
sehen von der Verlängerung der Schmerzen,
eine Gefahr der Allgemeininfektion für den
Patienten. Verfasser empfiehlt deswegen,
stets sofort operativ vorzugehen, sobald der
Beginn einer peritonsillären Eiterung sicher
festgestellt ist. Es gelingt nun, den beginnen¬
den Abszess fast immer in der Region ober¬
halb der Mandel aufzufinden. Wenn man sich
aber mit dem üblichen kleinen Schnitt be¬
gnügt, tritt häufig Verklebung und Eiterreten-
Origirval from
HARVARD UNIVERSUM
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248
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
tion ein, was manchmal sogar zu einer weite¬
ren Ausbreitung der Abszedierung führt. Des¬
wegen soll man nach Verfasser die Oeffnung
von vornherein so gross anlegen, dass ein
Verkleben unmöglich ist, und zwar gelingt
dies nach Verfasser dadurch, dass man den
oberen Pol der Tonsille extrakapsulär her¬
auspräpariert und mit der Kapsel exstirpiert.
Der ganze Eingriff erfordert nicht viel mehr
Zeit als eine Inzision, die Blutung ist sehr
gering, zur Verminderung des Schmerzes ko-
kainisiert man, oder, noch besser, man infil¬
triert den vorderen Gaumenbogen mit lpro-
zentiger Novokain-Suprareninlösung. Nach
Exzision des oberen Tonsillenpols — der Ei¬
ter beginnt schon während der Operation ab-
zufliessen — entsteht ein weitklaffender Hohl¬
raum, jegliche Drainage ist überflüssig; eine
Eiterretention ist ausgeschlossen. Die Hei¬
lung tritt rasch ein und, wie Verfasser glaubt,
verhütet die Entfernung des oberen Tonsillar-
pols auch ein Rczidivieren des Peritonsillar-
abszesses. ( Münch, med. Wochcnschr. Nr. 23,
914, Allg. med. Zentral-Ztg.)
Kleine Mitteilungen.
— Mit Beginn dieses Jahres ist eine neue
medizinische Zeitschrift ins Leben getreten,
The Medical Pickwick , die ausschliesslich der
humoristischen und menschlichen Seite unse¬
res Berufes gewidmet ist. Historische Noti¬
zen. kurze Biographien berühmter oder be¬
kannter Aerzte, humoristische und satyrische
Skizzen, passende Gedichte füllen die Spalten,
die streng wissenschaftlich medizinischen Ar¬
tikeln verschlossen sind. Der Arzt sieht so
viele Schatenseiten des menschlichen Lebens,
dass die Lektüre einer Zeitschrift, die ihm die
heitere Seite desselben und die Lichtseite
seines Berufes näher bringt, nur wohltuend
wirken kann. Redakteur der, was Pauier.
Druck und Illustrationen anbclangt, sehr ele¬
gant gehaltenen Zeitschrift ist Dr. Samuel
M. B r i c k n e r, Saranac Lake, X. V.. an
welchen literarische Beiträge zu senden sind.
Der Medical Picknick erscheint monatlich:
Subskriptionspreis für die Vereinigten Staa¬
ten $2: Preis für eine Nummer 25 Cents.
Bestellungen sind an die Medical Pickwick
Press zu richten.
— Saratoga Springs. Professor Irving
Fisher von der Yale Universität hat die
autoritative Aussage gemacht, dass Nieren¬
krankheiten uns jährlich 90,000 Leben kosten.
Mindestens 70 Prozent dieser Leben könnten
gerettet oder verlängert werden, falls die An¬
zeichen der B r i g h t'schen Krankheit oder
Albuminurie frühzeitig erkannt würden. Die¬
se Erkennung ist nicht schwer, wenn der Pa¬
tient sich gründlich untersuchen lässt. Die
Kur von Dr. Martin H. Fischer für
angehende Nierenerkrankung mit alkalisch-
salinischen Mineralwässern eröffnet ein Spe¬
zialfeld für Saratoga Springs, denn unter den
dort vorhandenen Mineralwässern befinden
sich ideale Quellen für diesen Zweck, sowie
auch die Karista-Quelle, die das stärkste
trinkbare Eisenwasser, das man kennt, liefert.
Die Anwendung von warmen brausenden
Mineralwasser-Badern bei gleichzeitigem in¬
nerlichen Gebrauch von Mineralwasser ist
von grosser Bedeutung in den späteren Sta¬
dien von Nierenkrankheiten, sowie bei Ent¬
artung der Herzmuskel und Arteriosklerose,
Neuritis, Nervenschwäche, Zuckerkrankheit,
Rheumatismus, Gicht und Arthritis. Fett¬
leibigkeit und die Folgen von Ermattung oder
von wundärztlichen Operationen werden
durch innerliche und äusserliche Behandlung
mit Naturwässern fortlaufend erleichtert.
Die stärkenden Eigenschaften der Luft in
Saratoga Springs und die Abwesenheit von
Fabriken oder Lärm verursachenden Maschi¬
nen oder Industrien jeglicher Art, verbunden
mit der ausserordentlichen Trockenheit der
Atmosphäre, sowie hunderte von schattigen
Bimmen tragen dazu bei, dass viele gesund¬
heitsförderliche Faktoren zusammentreten und
das Städtchen zu einem ausgezeichneten, ja
sozusagen idealen Kurort machen, wo man
Erholung und neue Lebenskräfte erlangen
kann.
Saratoga Springs ist leicht zu erreichen. Es
liegt fünf Stunden von New York City ent¬
fernt. fünf und drei viertel Stunden von Bos¬
ton und zehn Stunden von Philadelphia. Es
besitzt ausgezeichnete, nach vielen Richtungen
laufende Automobilstrassen.
Die von den Kommissaren der Staatsreser¬
vation herausgegebene Broschüre enthält die
von den meisten nicht mit diesem Kurort
bekannten Personen gewünschte Auskunft,
sowie einem von Dr. F e r r i s, dem Direktor
der Reservation, verfassten Artikel über die
Kohlendioxyd-Bäder.
Original from
HARVARD UNIVERSITY
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
D A T\ C1WC ♦ Emser Kränchen-Brunnen. — Emser Pastillen. — Emser Salz
♦ zum Gurgeln und Inhalieren an Zerstäubungsapparaten. — KönigL
Mineralquellen, weltberühmt durch Heilwirkung bei Katarrhen der Nase, des Rachens,
des Kehlkopfs, der Luftröhren, sowie der Verdauungsorgane. (Hessen-Nassau.)
D A T\ WTI nTTWr UW ♦ Helenenquelle und Georg-Victorquelle.
OsWJ W ILI/UllUEll ♦ Diuretisch. (Fürstenthum Waldeck.)
Unübertroffene Wirkung bei Krankheiten der Hamorgane, Nieren - und Blasenleiden,
Steinbildung, Harnsäure und Gicht.
BAD WILDUNGEN:
BAD SCHWALBACH:
Stahlbrunnen ( Hessen-Nassau).
Stärkster Eisensäuerling.
Anämie, Chlorose, Frauenleiden.
RHENSER
Mineralbrunnen, Rhens am Rhein.
Kohlensaures alkalisch-muriatisches Tafelwasser.
Aufträge ausgeführt von stets frischem Vorrath, sowie Broschüren und weitere
Auskunft zu erhalten von dem General-Agenten.
C. VON DER BRUCK,
61 PARK PLACE
NEW YORK
Telephone, 5894 Barclay
DR. A. RIPPERGER’S
X-RAY LABORATORY
For Diagnosis and Therapy
616 MADISON AVENUE
NEW YORK
Office Hours 9-12 A. M.
and by appointment
Telephone
Plaza 1470
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Original from
HARVARD UNIVERSITY
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
Clinical Results with the Phylacogens.
Under the above caption, Dr. R. W. Locher, Grafton, W. Va., in the
Memphis Medical Monthly, has this to say: “In judging the therapeu-
tic value of a new preparation, it is advisable that a great number of
case reports be considered; and in order that the medical profession may
have a great number of cases from which to judge, it is the duty of every
physician to report such results as he may have. The Phylacogens are
of comparatively recent origin, and yet even at this early date they
have displayed their ability to produce satisfactory and in some cases
remarkable results in the treatment of a great variety of pathological
conditions. . . .
“We are informed that the Phylacogens are not claimed to be a ‘cure-
all' in any sense of the word, but simply valuable therapeutic agents in
the treatment of numerous infectious conditions. From the very fact
that all but Mixed Infection Phylacogen are to be directed against spe¬
cific infections, it is necessary, before employing them, to make an accu-
rate etiological diagnosis. For obvious reasons one cannot expect to pro¬
duce results if Rheumatism Phylacogen is administered in a case that
is really one of gonorrheal arthritis. Neither will an Osteomyelitis or a
syphilitic periostitis yield to Rheumatism Phylacogen, but the former
may be logically treated with Mixed Infection Phylacogen. It would
seem that this latter Phylacogen will ultimately prove of great value to
the surgeon in combating post-operative infections, as well as infections
following injuries of all kinds.”
The writer then details fourteen case reports, covering a variety of
diseases, and adds this by way of comment:
“From the foregoing cases it would be possible to draw numerous
conclusions. What is especially striking, however, is that the Phyla¬
cogen treatment is apparently successful in the vast majority of cases and
seems to give prompter and more definite results than is possible to se-
cure with the usual recognized treatments. As a physician’s experience
increases he finds a greater number of cases in which each of the Phyla¬
cogens may be used, with the expectation of great benefit resulting there-
from. In any event, it must be conceded that Phylacogen in its various
forms presents great possibilities and must be classed as a therapeutic
agent which is more than worthy of trial."
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I*
Original fro-m
HARVARD UNIVERSITY
JSew Yorker
JMedizimscbe JVIonateecbrift
OflUlallM Organ der
DonkNa imexüifdHi «efeWtoftei der Städte nee Vera,
Chicago lud Clerefamd.
Herausgegeben von Dr. ALBERT A. RlPPERGER
unter Mitwirkung von Dr. A. Herzfeld, Dr. H. G. Klotz und Dr. von Oefele.
Bd. XXV.
New York, März 1915.
Nr. 10.
Originalarbeiten.
Die psychische Seite der Syphilis, moderne Syphilis¬
lehren und Common Sense.*
Von Dr. Hermann G. Klotz. New York.
Ansteckung mit Syphilis bedingt nicht
notwendigerweise viel körperliches Lei¬
den. Am meisten ist es zu erwarten von
der verhältnismässig seltenen malignen
Syphilis; unter den früher auftretenden
Erscheinungen ist wohl die Iritis die
schmerzhafteste und gefährlichste; mehr
weniger akute Mund- und Halserkran¬
kungen und Periostitis machen vorüber¬
gehend Beschwerden, weichen . aber
meist rasch der Behandlung. Unter den
tertiären Symptomen können die der
Haut und der Schleimhäute, sowie
manche der Knochen, deren Wichtigkeit
immer durch ihren Sitz bedingt wird,
längere Zeit ohne schwerere subjektive
Störungen bestehen, und auch Affek¬
tionen wichtiger innerer. .Organe mit
Ausnahme des Nervensystems können
vorhanden sein ohne schwerere Folgen.
Aber von der grossen Mehrzahl der Sy¬
philitiker kann . man wohl behaupten,
■*In englischer Sprache veröffentlich! rhrr New York
Medical Journal vom 2. Januar 1915 unter dem Titel:
The ‘ Psychic Aspect ot Syphilis in the Light o*.
Modern Syphilology and of Common Sense.
dass sie den ganzen Verlauf der Krank¬
heit durchmachen ohne jedwede oder
jede mehr als vorübergehende Schmer¬
zen oder Funktionsstörungen. Dagegen
ist ein gewisses Mass moralischen und
geistigen Leidens das Loos der Mehr¬
zahl von denen, welche sich ihrer An¬
steckung mit Syphilis bewusst sind,
meist entsprechend der vorhergegange¬
nen Entwicklung ihrer moralischen und
geistigen Erziehung und ihren Begriffen
von dem Wesen der Kranhkeit selbst.
Ich habe nicht im Auge und werde nicht
weiter berücksichtigen die übertriebenen
Gemütszustände, die wir gemeinlich als
Syphilophobie bezeichnen, sondern die
erschütternde Empfindung, welche ganz
begreiflicherweise, auftritt, , : wenn einem
Individuum klar wird^ dass, es mit Sy¬
philis infiziert worden ist, und die durch
die Vereinigung verschiedener Umstän¬
de nur zu leicht eine recht .tiefgehende
werden kann. ...
Betrachtet man die Verhältnisse, wie
sie im Allgemeinen bis vor wenigen Ja,h-
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Original ffom
HARVARD UNIVERSITY
250
New Yoekxe Medizinische Monats scheut.
ren bestanden, so hatten die meisten
Leute entweder überhaupt keine Kennt¬
nis von der Syphilis oder nur eine höchst
unklare Idee von ihrem Wesen, die meist
unzuverlässigem, gewöhnlich in hohem
Grade übertreibende Hörensagen ent¬
stammte und mit Furcht und Schrecken
erfüllte. Kein Wunder, wenn sich die
Opfer unerwartet in den Klauen des so
gefürchteten Feindes fanden, dass sie
nur zu leicht alle Selbstkontrolle verlo¬
ren und der Verzweiflung nahe waren.
Die Aussicht auf eine langausgedehnte
Krankheit mit den unvermeidlichen Aus¬
gaben, die Gefahr, andere zu infizieren
und die Verantwortung für die Vermei¬
dung derselben, die Notwendigkeit, die
Ansteckung geheim zu halten teils aus
Geschäftsrücksichten, teils wegen der
viel wichtigeren Familienverhältnisse,
die fortwährende Angst, dass die Symp¬
tome der Krankheit dieselbe verraten
könnten, das unvermeidliche Aufgeben
mancher lieb gewordener Gewohnheiten
und geselliger Beziehungen und ähnli¬
che Umstände versetzen den Patienten
in eine Lage, deren Schwierigkeiten un-
übersteiglich und überwältigend er¬
scheinen. Unter solchen Verhältnissen
hört man wohl das Opfer der Ansteck¬
ung von Selbstmord reden; glücklicher¬
weise kann ich mich keines Falles erin¬
nern, in dem es mir nicht gelungen wäre,
die Aufregung des Patienten zu be¬
schwichtigen, indem ich ihn lehrte, die
unvermeidlichen Folgen etwas mehr
philosophisch zu betrachten und sich an¬
zuschicken, entschlossen und energisch
den Kampf gegen die Krankheit aufzu¬
nehmen, in dem wir auf den Erfolg un¬
serer Behandlung fast mit der Sicher¬
heit eines physiologischen Experiments
rechnen können. Leider machte man
diese Erfahrung nicht in allen Fällen,
am häufigsten aber bei denen, welche auf
einer höheren Bildungsstufe stehen. Die
ersten Eindrücke der Ansteckung zeigen
sich bei den verschiedenen Klassen in
verschiedenem Grade und in verschie¬
dener form, bis wir in den tiefsten Ge¬
sellschaftsschichten eine tierähnliche In¬
differenz finden, aber auch diese selten,
ohne eine unbestimmte Furcht und Ab¬
scheu vor einer von Seiten eines hinter¬
listigen Feindes drohenden Gefahr.
Wenn es dem Arzt gelingt, in ein sol¬
ches Verhältnis zu dem Patienten zu
treten, dass er in einer höheren und
wichtigeren Stellung als der des blossen
Verabfolgers von Behandlung erscheint,
so wird sich die Stimmung des Patien¬
ten bald verbessern. Wenn es erlaubt
wäre, wie bei anderen Krankheiten, na¬
mentlich bei Tuberkulose, unsere Patien¬
ten an solche Menschen zu verweisen,
die den gleichen Kampf aufzunehmen
hatten und mit völlig hergestellter Ge¬
sundheit aus demselben hervorgegan¬
gen, wenn wir ihnen unsere früheren
Patienten zeigen könnten, augenschein¬
lich vollständig gesund, verantwortliche
und wichtige Stellungen in Geschäften
und in öffentlichen Aemtern einnehmend
und mit Erfolg ausfüllend, im Besitz
gesunder Frauen und Kinder und im
Stande, ihr Leben gerade so gut wie an¬
dere zu geniessen, welche schwere Last
könnten wir oft von ihrem Herzen neh¬
men. Immerhin, während sie die ver¬
schiedenen Stadien der Behandlung
durchmachen, ohne dass Rückfälle Vor¬
kommen, und wenn sie nur hier und da
durch leichte Erscheinungen an die An¬
steckung erinnert werden, so fangen die
Patienten an, nach und nach eine weni¬
ger schwarzgefärbte und düstere An¬
sicht von der Krankheit zu gewinnen,
aber sie werden dem Arzt mit mancher¬
lei Fragen kommen wie die folgenden:
Kann ich je geheilt werden? Kann ich
mich je verheiraten? Kann ich gesunde
Kinder bekommen? u.s.w., Fragen, die
natürlich, entsprechend dem Stand¬
punkt und der Erfahrung des Arztes,
recht verschieden beantwortet werden.
Die erste dieser Fragen habe ich per¬
sönlich direkt zu beantworten vermie¬
den, weil ich angenommen habe, dass
wie bei anderen Infektionskrankheiten,
der menschliche Körper Mittel und We¬
ge besitzt oder zu entwickeln imstande
ist, vermöge deren er das infizierende
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
251
Agens erfolgreich zu bekämpfen und
nach und nach aus dem Körper auszu¬
treiben vermag, und zwar in dem beson-
dem Falle der Syphilis unterstützt
durch spezifische Behandlung. Daher
habe ich meinen Patienten einzuprägen
gesucht, dass sie gewissenhaft und mit
hinreichender Ausdauer eine methodi¬
sche Behandlung durchführen, eine ver¬
nünftige Lebensweise führen, die in der
Hauptsache nichts einschliesst, was nicht
ebenso ratsam zu befolgen wäre für je¬
den Menschen, der seine Gesundheit er¬
halten will, so viel als möglich’ allzu
anstrengende Beschäftigungen zu ver¬
meiden, ganz besonders solche, die
Nachtarbeit erfordern, ferner alle ge¬
mütliche Aufregung und Sorge, vor al¬
lem Uebermass im Genuss geistiger
Getränke, Tabak u.s.w., welche ihre
nachteiligen Wirkungen viel leichter
und rascher bei dem Syphilitiker ent¬
wickeln. Unter solchen Bedingungen
würden sie die beste Aussicht haben,
die infizierenden Elemente aus dem Kör¬
per zu vertreiben und völliges Wohlbe¬
finden und Arbeitsfähigkeit in gleichem
Masse wie andere Menschen wieder zu
erlangen und zu erhalten. Jedoch wur¬
den sie unverhohlen darauf aufmerksam
gemacht, dass man ihnen keine absolute
Versicherung geben könne, dass sie
nicht das Wiederauftreten dieser oder
jener Symptome der Krankheit erfahren
könnten; dass aber auch die späteren,
sogenannten tertiären Erscheinungen
nur selten so rasch auftreten, dass sie
nicht rechtzeitig erkannt würden, um
erfolgreich einer energischen Behand¬
lung unterworfen zu werden. Trotzdem,
dass man dem Patienten nicht das Ver¬
sprechen einer absoluten Heilung geben
konnte, gelang es doch, ihn von den
meisten der unglückseligen Schreck¬
bilder zu befreien, die ihn verfolgt hat¬
ten und eine gewisse innerliche Ruhe
herzustellen. Wenn dann schliesslich
die Umstände den Abschluss der Be¬
handlung zu rechtfertigen schienen und
wenigstens ein weiteres Jahr ohne Be¬
handlung und ohne Rückfälle vorüber¬
gegangen war, war der Patient wohl
vollständig über seine Angst und
Furcht hinweggekommen und sah mit
Vertrauen der Zukunft entgegen. Den¬
noch fuhr er wohl fort, auch die klein¬
ste Störung mit Argwohn zu beobach¬
ten, ganz besonders auch das geringste
Fleckchen auf der Haut, und zuweilen
wegen der geringfügigsten Symptome
zum Arzt zu kommen. Ich möchte hier
bemerken, dass ich genügend Grund zu
der Behauptung zu haben glaube, dass
eine Anzahl von Syphilitikern seit ih¬
rer Ansteckung eine wesentliche Ver¬
besserung ihres allgemeinen Gesund¬
heitszustandes erworben und bewahrt
haben, wohl weil sie sich willig fanden,
manche schädliche Gewohnheit aufzu¬
geben, welche sie vorher nicht für wich¬
tig genug gehalten hatten, um densel¬
ben freiwillig zu entsagen, und nun be¬
reit waren, ihre Lebensweise mehr in
Einklang mit den Anforderungen der
Hygiene und des Gemeinsinns zu brin¬
gen.
. Die Heiratsfrage betreffend, so habe
ich unter sorgfältiger Erwägung der
Verhältnisse in dem einzelnen Falle
manchen Patienten den Rat gegeben,
nicht zu heiraten, andere habe ich in ih¬
rem Entschluss nicht zu heiraten, nicht
irre gemacht, während ich in anderen
Fällen, wo die Verheiratung günstigere
Bedingungen für die Erhaltung der Ge¬
sundheit des Patienten zu bieten schien
ohne Schädigung der Familie, das Hei¬
raten eher begünstigt und dazu geraten
habe, und für gewöhnlich ist nichts vor¬
gekommen, das mich meine Entschei¬
dung hätte bereuen machen. Nicht un¬
gewöhnlich war es, dass noch einmal ein
Sturm das Gemüt des Patienten in Auf¬
ruhr brachte, wenn sich die Zeit für die
Geburt des ersten Sprösslings nahte;
gross war die Erleichterung, wenn der
glückliche Vater berichtete, dass das
Kind vollständig gesund und ohne ein
Fleckchen sei. Wenn keine Störung
oder Veranlassung zu weiterer Behand¬
lung auftrat, dann fühlten sich die Pa¬
tienten mehr von ihrer Heilung ver-
Orifinal from
HARVARD UNIVERSITY
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252
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
sichert, hörten auf, sich darum zu sor¬
gen und brachten es fertig, ihre Syphilis
zu vergessen, ausser wenn etwa irgend
eine ungewöhnliche persönliche Empfin¬
dung oder eine Krankheit der Kinder,
ganz besonders wieder eine Hautkrank¬
heit, das alte Gespenst wieder aufweck¬
te. Auch dann trieb es wohl den Pa¬
tienten wieder zu dem vertrauten Bera¬
ter, wenn irgend ein ungünstiges Ereig¬
nis in dem Zustand irgend eines Be¬
kannten auftrat, mit dessen medizini¬
scher Geschichte er in zuverlässiger oder
unzuverlässiger Weise bekannt gewor¬
den war.
Ich habe nicht selten erfahren, dass
Individuen, die zu einer Zeit Syphilis
akquiriert hatten und später wegen lo¬
kaler Störungen Spezialisten konsultier¬
ten, besonders Halsspezialisten, die Yer-
sicherung erhielten, das ihr Zustand ab¬
solut nichts mit der Syphilis zu tun habe,
trotzdem aber eine Medizin, meist Jod¬
kali, verschrieben bekamen, mit der Be¬
merkung, das dieselbe eigentlich nicht
nötig sei, immerhin nichts schaden kön¬
ne. Aber oft genug schadet sie doch;
man muss sich nur vergegenwärtigen,
dass, nachdem ein Patient unter Enthal¬
tung jeglicher Behandlung längere Zeit
frei von allen Symptomen gewesen ist,
die Einschaltung jeder auch noch so ge¬
ringfügiger spezifischer Behandlung das
vorher erworbene Gefühl der Sicherheit
beeinträchtigen oder zerstören wird und
wenigstens für den Augenblick den Ge¬
danken entstehen lässt, dass er doch am
Ende Erscheinungen der Syphilis würde
bekommen haben, wenn er nicht diese
Behandlung erhalten, oder aber, wenn
er keine Aenderung in dem Zustande
seiner vielleicht recht unbedeutenden
Leiden beobachtet, geneigt sein wird,
denselben grössere Wichtigkeit zuzu¬
schreiben oder sie wohl gar für unheil¬
bar zu halten. Es ist oft recht schwer,
nach solcher Erfahrung den früheren
Zustand des Vertrauens und der Sicher¬
heit wiederherzustellen.
Es blieb also, so lange wir das Aus¬
bleiben von Krankheitserscheinungen
nicht garantieren konnte, unter allen
Umständen eine Unsicherheit zurück,
und wie ich es bereits in dem Kapitel
über die Prognose der Syphilis (in
M o r r o w’s System of Genito-Urinary
Diseases, Syphilology and Dermatology.
1893) ausgesprochen habe, „diese Un¬
sicherheit bildete den am meisten stö¬
renden und niederdrückenden Zug im
Bilde der Syphilis; eine Folge unserer
unvollkommenen Kenntnis von der wah¬
ren Natur der Krankheit bleibt diese
Unsicherheit der Fluch der Syphilis und
wird es bleiben, bis wir Mittel und We¬
ge besitzen werden, ganz zweifellos die
Gegenwart oder die Abwesenheit des
Giftes der Syphilis — welcher Natur
auch dasselbe sein mag — und seine
Produkte im Körper festzustellen.“ Wir
hatten also den Einfluss der Syphilis
auf das Gemüt des Kranken anzuerken¬
nen und demselben in der Beratung des¬
selben Rechnung zu tragen. Jetzt aber
finden wir uns angesichts der ungeheuer
eingreifenden Veränderungen in der
ganzen sozialen wie wissenschaftlichen
Atmosphäre der Syphilis, welche in den
letzten Jahren entstanden sind, und es
scheint wohl ebenso gerechtfertigt als
der Mühe wert zu betrachten, welchen
Einfluss diese Veränderungen auf die
psychische Seite der Syphilis ausgeübt
haben und noch ausüben.
Auf sozialem Gebiete ist der Schleier
gelüftet worden, den Kurzsichtigkeit,
irre geleitete Beurteilung und Prüderie
über die sogenannten venerischen
Krankheiten und besonders über Syphi¬
lis gebreitet hatten, hauptsächlich durch
die Wirksamkeit von meist von Aerzten
ausgehenden Gesellschaften wie unsere
American Society of Moral and Sanita-
ry Prophylaxis, nachdem man sich über
die die ganze menschliche Gesellschaft
bedrohende Gefahr klar geworden war.
Wie weit die Publizität des Gegenstands
gegangen, brauchen wir hier nicht wei¬
ter zu betrachten. Das einzelne Opfer
der Syphilis hat daraus hauptsächlich
den Vorteil gezogen, dass es im Allge¬
meinen möglich geworden ist, bessere
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Original fro-m
HARVARD UNIVERSITY
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
253
Kenntnis von der Krankheit und ihren
Folgen zu erlangen. Nun ist die Sy¬
philis sicherlich schlimm genug in ihrer
Wirklichkeit und muss unter allen Um¬
ständen ernst genommen werden, aber
zur Zeit herrscht die Neigung, die direk¬
ten und indirekten Folgen zu über¬
schätzen und zu übertreiben, in den dü¬
stersten Farbentönen zu malen, ohne der
mildernden Umstände zu gedenken oder
sie mehr in den Vordergrund zu brin¬
gen, namentlich den Umstand, dass
Syphilis mehr als irgend eine andere In¬
fektionskrankheit spezifischer Behand¬
lung und entsprechender Anleitung zu¬
gänglich ist. Diese Uebertreibung er¬
streckt sich besonders auf den Einfluss
auf die Nachkommenschaft der Syphili¬
tiker und noch mehr auf die Beteiligung
der zentralen Nervenorgane, insbeson¬
dere in der Form von Tabes und Paresis.
Nach manchen Veröffentlichungen
möchte man beinahe zu dem Schlüsse
kommen, dass die grosse Mehrzahl der
Syphilitiker unfehlbar der Tabes und
Paresis verfallen sind. Doch konnte
ein wohlbekannter Neurolog, Dr. L.
Pierce Clark, sich nicht enthalten,
gelegentlich einer Diskussion von Vor¬
trägen über Syphilis des Nervensystems
und über Syphilis und Geisteskrankheit
in der obengenannten Gesellschaft aus¬
zusprechen (Social Diseases, IV, p. 173,
Okt. 1913) : „Ich glaube, wir müssen
uns in Acht nehmen, dass wir die Tat¬
sachen betreffend die der Syphilis zuge¬
schriebenen üblen Einflüsse nicht über¬
treiben. Diesen Standpunkt im Auge
habend, möchte ich aussprechen, dass
eine sehr kleine Zahl der Syphilitiker
paretisch wird, eine viel grössere Anzahl
geraten nicht in diesen Zustand.“ Wäh¬
rend er eine innige Beziehung der Sy¬
philis zum Idiotismus zugibt, fährt er
fort: „Während Arteriosklerosis ein
häufiger Begleiter oder Folgezustand
der Syphilis ist, müssen wir daran den¬
ken, dass das Umgekehrte keineswegs
wahr ist. Eine ganz unbedeutende Zahl
von Arteriosklerotikern ist wahrschein¬
lich syphilitisch.“ Diese Bemerkung
dürfte sich wohl mit gleicher Berechti¬
gung auf Endarteriitis, Endokarditis und
vielleicht auch auf Aortenaneurysma an¬
wenden lassen. Betreffend Tabes und
Paresis, so wird die Tatsache gemeinlich
nicht berücksichtigt, dass in der Regel
Syphilis an und für sich nicht allein die¬
se Zustände hervorbringt, sondern nur
im Verein mit und unter dem Einfluss
von Ursachen, die meist in moderner
Zivilisation und ihren Anforderungen
an Körper und Geist vieler Leute be¬
gründet sind, Ursachen, die früher als
die primären, dominierenden und we¬
sentlichen angesehen wurden, jetzt aber
nur noch als sekundäre Faktoren in Be¬
tracht kommen. Es würde praktischer
und humaner sein, mehr Gewicht auf
die Möglichkeit der Behandlung zu legen
und mit grösserem Nachdruck auf die
Eröffnung von Krankenhäusern für de¬
ren Anwendung zu dringen. Der Sy¬
philitiker findet also nur wenig Vorteil
in der grösseren Publizität, auch nicht
der unschuldig infizierte. Zwar wird
es anerkannt, dass die Krankheit häu¬
fig genug unschuldig erworben wird,
aber dem einzelnen Opfer wird oft ge¬
nug nicht Glauben geschenkt, und es
bleibt all den Nachteilen unterworfen,
denen der Syphilitiker überhaupt aus¬
gesetzt ist. Hier und da wird ihm
wenigstens die Notwendigkeit des Ge¬
heimhaltens erspart, namentlich in
der Familie, und er erhält etwas Teil¬
nahme, aber in den meisten Fällen
wird er besser tun. ebenso wie die
Schuldigen, die Sache so viel wie mög¬
lich für sich zu behalten und sich mit
der teilnehmenden Ermunterung sei¬
nes ärztlichen Beraters zu trösten.
Von viel grösserer Bedeutung als
die Aenderungen der öffentlichen Mei¬
nung sind natürlich die während der
letzten zehn Jahre auf dem Gebiete
der Syphilis gemachten Entdeckun¬
gen: der Nachweis der Spirochaeta
pallida als Erreger der Krankheit, die
Anwendung gewisser Reaktionen des
Blutserums der Kranken für die Di¬
agnose und die Einführung des Sal-
Qriginal fro-m
HARVARD UNIVERS1TY
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
Tarsans in die Therapie. Während ich
diesen Einfluss auf die psychische Sei¬
te studierte, war es mir interessant zu
finden, dass Dr. Bloom in Louis-
ville, Ky. (Urolog. and Cutan. Review,
May, 1914), in ähnlicher Weise die
klinische Seite bearbeitet hatte und
dass wir in mancher Beziehung zu
ähnlichen Resultaten gekommen wa¬
ren. Von grösstem Interesse für un¬
sere Frage ist die Serumreaktion. Der
Versuch, den Wert der Blutuntersu¬
chungen und besonders des am weite¬
sten verbreiteten Repräsentanten der¬
selben, der Wassermann-Reaktion, für
die psychische Seite der Syphilis zu
bestimmen, ist ein etwas komplizier¬
tes Problem. Zuerst wurde gelehrt,
dass eine positive Reaktion bedeute,
dass der Körper des betreffenden In-
dividiums zu irgend einer Periode sei¬
ner Existenz mit dem aktiven Erreger
der Syphilis infiziert worden war und
dass dieser noch nicht vollständig wie
der eliminiert worden sei. Ohne di¬
rekt ausgesprochen zu werden, er¬
schien es mehr als ein natürlicher
Schluss, dass eine negative Reaktion
die Abwesenheit des Syphiliserregers
anzeigte. Natürlich stiegen unsere
Hoffnungen gewaltig, und es schien
Grund genug vorhanden, zu jubeln,
dass wir endlich im Stande sein wür-
. den, unseren Patienten ein klares Ge¬
sundheitszeugnis auszustellen. Leider
sind diese Hoffnungen nicht in vollem
Masse erfüllt worden, und während
unter gewissen Verhältnissen und un¬
ter Berücksichtigung verschiedener
anderer Faktoren, namentlich des
Charakters früherer und gegenwärti¬
ger Symptome, eine dauernde negati¬
ve Reaktion es in hohem Grade wahr¬
scheinlich macht, dass eine definitive
Heilung eingetreten ist, so ist der Be¬
weis nicht absolut. Eine sicherlich
bestehende Syphilis gibt nicht unter
allen Umständen eine positive Reak¬
tion ; die Erfahrung hat gelehrt, auf
Grund einer ungeheuren Menge von
Einzeluntersuchungen bei zweifellos
mit Syphilis angesteckten Personen,
dass während des sogenannten Sekun¬
därstadiums für gewöhnlich 100 Pro¬
zent positiver Reaktionen erhalten
werden, aber während der tertiären
und latenten Perioden nur zwischen
50 und 60 Prozent. Da unter den letz¬
teren behandelte und mangelhaft
oder garnicht behandelte Fälle meist
nicht getrennt worden sind, so kann
man wohl ohne Bedenken annehmen,
dass eine Anzahl der Patienten in den
späteren Stadien wirklich geheilt wa¬
ren. Wenn jedoch, wie es von zahl¬
reichen Autoren anerkannt wird, die
positive Reaktion als ein Symptom
der Syphilis angesehen werden muss,
so haben wir keine absolute Versiche¬
rung, dass sie nicht ebenso wie man¬
che andere Symptome auch nach 10-
jähriger und längerer Abwesenheit al¬
ler Erscheinungen wieder auftreten
kann sowohl bei Individuen, die zu
richtiger Zeit mit energischen und als
ausreichend angesehenen Mitteln be¬
handelt, als bei solchen, die nur unge¬
nügende oder gar keine Behandlung
erhalten hatten. Weniger Gewicht
dürfte darauf zu legen sein, dass nach
M. W o 1 f f - S t e 11 i n (Urolog. and
Cutan. Review, Techn. Suppl., Oct.,
1913) in einer 3.6 Prozent betragen¬
den Anzahl von Fällen die Probe un¬
entschieden ausfällt, teils infolge un¬
sicherer Zeichen, teils von Autoinhibi¬
tion, ebenso nicht darauf, dass man in
manchen Fällen, einen negativen Was¬
sermann erhält in der Gegenwart un¬
verkennbarer sekundärer oder tertiä¬
rer Erscheinungen der Syphilis auf
der Haut, den Schleimhäuten oder
anderswo. Solche Ausnahmen dienen
nur zur Bestätigung der Regel, dage¬
gen haben einige Autoren, und zwar
solche mit ausgedehnter persönlicher
Erfahrung auf dem Gebiete der Se¬
rumuntersuchung, bestimmt ausge¬
sprochen, dass nach ihrer Ansicht eine
negative Serumreaktion von keinerlei
Bedeutung ist, sodass wir eine nega¬
tive WR. nicht mit gutem Gewissen
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HARVARD UNIVERSITY
Niw Yorker Medizinische Monatsschrift.
255
ohne weiteres als einen absoluten Be¬
weis von Heilung anerkennen dürfen.
Dagegen können wir wohl die posi¬
tive Phase der Serumuntersuchung
als den sicheren Beweis ansehen, dass
in dem betreffenden Körper das
infizierende Agens der Syphilis oder
seine Produkte in irgend einer Form
anwesend sind. Die nicht zahlreichen
Zustände, bei denen mehr weniger re¬
gelmässig eine positive Reaktion be¬
obachtet worden ist, wie Scharlach,
Lepra u.s.w., können für gewöhnlich
auf Grund der klinischen Symptome
ohne Mühe von Syphilis unterschie¬
den werden, wenn nicht unmittelbar,
so doch nach einiger Beobachtung.
Dagegen gehen die Ansichten ziem¬
lich auseinander inbezug auf die Un¬
terscheidung verschiedener Grade der
Reaktion. So sagt Bloom (1. c.):
„Angesichts von Berichten von allen
Teilen der Welt, nach mehr als einer
Million Untersuchungen des Serums,
bleibt für.mich die Auslegung einer
Wassermann-Probe immer noch ein
Gegenstand sorgfältiger Ueberlegung.
Nimmt man an, dass vier plus (+ -f-
+ +) vollständige Sättigung mit kei¬
ner Haemolysis bedeutet und dass ein
plus (+) bis zu 75 Prozent Haemoly¬
sis, plus-minus (-]-) aber etwas we¬
niger als vollständige Haemolyse dar¬
stellt, welche Bedeutung soll man kli¬
nisch einem einzigen plus (+) oder
einem plus-minus (H-) beilegen?“
Jessner (Haut- und Geschlechts¬
krankheiten, II, 129, 1913) sagt: „Es
ist nicht gestattet, Schlüsse zu ziehen
von dem verschiedenen Grade von In¬
tensität in der Reaktion auf die Un¬
terschiede in der Intensität der
Krankheit. Erstens ist es soweit nicht
möglich, die verschiedenen Grade der
Reaktion mit Sicherheit festzustellen,
und. zweitens ist es fraglich, inwieweit
de Intensität der Reaktion derjenigen
des Standes der Infektion entspricht.“
Von anderer Seite ist Einspruch er¬
hoben worden gegen jede Klassifika¬
tion von verschiedenen Graden von
plus (+) oder minus (—) mit der
Forderung, dass ein Bericht entweder
einfach positiv oder negativ angebe,
aber zur Zeit werden in den meisten
Fällen verschiedene Grade von plus
und minus berichtet.
Als Hilfsmittel der Diagnose steht die
Serumreaktion in den frühesten Stadien
der Infektion nicht zur Verfügung; in
den ersten vier bis fünf Wochen ist sie
für gewöhnlich negativ, d. h. solange
die Spirochaeten noch nicht die allge¬
meine Zirkulation erreicht haben und
keine Bildung von Antikörpern verur¬
sachen. Daher ist während dieser Pe¬
riode neben den klinischen Symptomen
nur der Nachweis von Spirochaeten ent¬
scheidend für die Diagnose und für die
Aussicht auf den Erfolg einer Abortiv¬
kur. Sobald die Reaktion positiv wird,
muss diese Aussicht als unsicher ange¬
sehen werden; dafür wird die positive
Reaktion, namentlich wenn die lokalen
Erscheinungen nicht überzeugend sind
oder das Auftreten sekundärer Sympto¬
me verzögert ist, die Zweifel betreffend
der Ansteckung beseitigen und mag den
Patienten vor der so peinlichen Lage
bewahren, dass er für immer in Unge¬
wissheit lebt, ob er wirklich Syphilis
hatte oder nicht.
Ist die Diagnose sicher gestellt, so ge¬
stattet die WR. bis zu einem gewissen
Grade — aber immer unter Berücksich¬
tigung der klinischen Kennzeichen —
den Fortschritt der Krankheit und den
Einfluss der Behandlung zu kontrollie¬
ren. Es wird zur Zeit mehr weniger
allgemein angegeben, dass man routine-
mässig in jedem Falle sofort das Blut
untersuchen lasse, gleichviel ob charak¬
teristische Symptome anwesend sind
oder nicht, ebenso von Zeit zu Zeit im
Verlaufe der Behandlung. Jedoch bei
ruhiger Ueberlegung muss man wohl zu
dem Schlüsse kommen, dass die Serum¬
prüfung keinem praktischen Zwecke
dient in Gegenwart von bestimmten se¬
kundären oder tertiären Krankheits¬
erscheinungen, wie sie, seit die Syphilis
vor mehr als vier Hundert Jahren allge-
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Google
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256
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
__
mein bekannt geworden ist, völlig ge¬
nügend für die Erkennung der Krank¬
heit durch ein geübtes Auge gewesen
sind, namentlich wenn dasselbe auch in
der Diagnose der Hautkrankheiten hin¬
reichend erfahren war. Dies ist auch
deswegen von grosser Wichtigkeit, weil
nicht jedes Symptom, das an einem Sy¬
philitiker zum Vorschein kommt, not¬
wendigerweise von der Syphilis abhän¬
gig ist. Trotzdem sagt ganz richtig
Sloom (1. c. p. 233) : „Es ist merk¬
würdig, wie oft sonst ganz intelligente
Aerzte, wenn sie wissen, dass ein Pa¬
tient Syphilis hat, schliessen, dass ir¬
gend welche Störung, die auftreten mag,
notwendigerweise syphilitischen Ur¬
sprungs sei. Ekzem bet einem Mann,
der Syphilis gehabt hat, wird als syphi¬
litisch angesehen, und sogar eine Urti¬
karia wird für eine Anzeige alter Syphi¬
lis angesehen, wenn der Patient je diese
Krankheit gehabt hat.“
Mit nicht weniger Grund kann man
auch Einspruch erheben gegen die rou-
tinemässige häufige Wiederholung der
Serumuntersuchung während der Peri¬
ode der aktiven Behandlung, ausgenom¬
men diejenigen Fälle, in welchen beson¬
ders günstige Umstände Erfolg für eine
Abortivkur in Aussicht stellen. Sonst
ist es doch jetzt allgemein angenommen,
dass, mögen spezifische Symptome vor¬
handen sein oder nicht, eine methodi¬
sche so weit wie möglich einen bestimm¬
ten Plan verfolgende Behandlung über
einen mehr weniger ausgedehnten Zeit¬
raum durchgeführt werden muss, wie
auch die eingeschaltenen Serumunter¬
suchungen ausfallen mögen. Nur wenn
die Behandlung unter dem angenomme¬
nen Plan genügend lange fortgesetzt
und dann eine mehrmonatliche Pause
gemacht worden ist, erhält die WR. ih¬
ren vollen Wert und ist ihre Anwen¬
dung sicherlich gerechtfertigt. Dieser
Protest gegen die unnötigen Wasser¬
mann-Proben vor und während fortge¬
setzter Behandlung ist zum Teil veran¬
lasst worden durch die nicht unerheb¬
lichen Kosten der Behandlung für den
Patienten. Es ist schon vorher erwähnt
worden, dass der finanzielle Punkt eine
wesentliche Rolle spielt bei der Entwick¬
lung von Unruhe und Sorge bei dem
Syphilitiker, namentlich bei den zahlrei¬
chen Patienten, welche den sogenannten
Mittelklassen angehören und die ohne
grosse Einkommen doch nicht geneigt
sind, die unentgeltlichen Dienste öffent¬
licher oder wohltätiger Einrichtungen
in Anspruch zu nehmen. Ferner ist
zu bedenken, dass bei einer gewissen
Anzahl von Syphilitikern schon das Be¬
wusstsein des Krankseins und die unge¬
stört fortgesetzte Behandlung die Stim¬
mung in hinreichender Spannung erhal¬
ten ; bei solchen werden die wiederhol¬
ten Untersuchungen mit der unvermeid¬
lichen Aufregung während des Wartens
auf den Bericht, und die Enttäuschung
und Angst im Falle eines ungünstigen
Ausfalls nur zu leicht das psychische
Leiden unnötiger Weise vermehren.
Schliesslich ist es doch besser, für die
Gemütsstimmung des Patienten, so lan¬
ge er gewissenhaft seine Behandlung
durchführt, je weniger er an seine un¬
angenehme Lage erinnert wird. In ähn¬
lichem Sinne hat sich B a g i n s k y aus¬
gesprochen in der im Frühjahr 1914 in
der Berliner Medizinischen Gesellschaft
stattgehabten Diskussion der Syphilis¬
frage. Ein weiterer Punkt ist der, dass
immer wieder betont wird, dass die
Wassermann- und andere Serum-Unter¬
suchungen nur dann von Wert sind,
wenn sie in einem wohleingerichteten
Laboratorium von geübten Arbeitern
gemacht werden. Nun müssen recht
viele praktische Aerzte ihre syphiliti¬
schen Patienten behandeln, denen solche
Vorteile nicht zur Verfügung stehen.
Wollte man unter allen Umständen auf
der Kontrolle durch die WR. bestehen,
dann würde man zu verstehen geben,
dass ein Arzt unter solchen Umständen
einen Syphilitiker überhaupt nicht be¬
handeln dürfte ohne ein Unrecht zu tun.
Aber für den Patienten selbst, der auf
den betreffenden Arzt angewiesen ist.
würde die Aussicht auf Heilung getrübt
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
257
und dadurch sein psychisches Leiden er¬
höht. c
Es wird zur Zeit ziemlich allgemein
angenommen und von zahlreichen Auto¬
ren darauf bestanden, dass ein positiver
WR. eo ipso sofortige Einleitung spezi¬
fischer Behandlung und Fortsetzung
derselben verlangt, bis die Reaktion ne¬
gativ wird. So lange man es mit offen¬
baren Zeichen der Krankheit zu tun hat,
wird man kaum im Zweifel sein, dass
man bei der Behandlung beharrt bis die¬
selben völlig beseitigt sind. Wenn aber
dieses Ziel erreicht worden ist, oder
wenn überhaupt keine anderen Symp¬
tome vorhanden ‘waren, muss man sich
wohl die Frage vorlegen, wie lange denn
vernünftiger Weise diese therapeuti¬
schen Anstrengungen fortgesetzt wer¬
den sollen und müssen. Neisser hat
schon frühzeitig darauf hingewiesen,
dass namentlich in den späteren Stadien
der Krankheit es nicht immer möglich
ist. die Umkehr der positiven Reaktion
zu der negativen zu erreichen, ganz be¬
sonders da, wo die Patienten während
der frühen Periode der Infektion nur
ungenügende oder gar keine Behand¬
lung erhalten, oder wenn sie längere
Zeit vor der Untersuchung nicht spezi¬
fisch behandelt worden waren. Diese
Erfahrung ist von einer Anzahl Autoren
gänzlich ignoriert und von anderen als
von geringerer Bedeutung hingestellt
worden. Und doch liegt es auf der
Hand, dass solche fortgesetzte erfolg¬
lose Bemühungen wohl einen beunruhi¬
genden und deprimierenden Einfluss auf
den psychischen Zustand und indirekt
auch auf das körperliche Befinden aus¬
üben. Daher erscheint es recht zeitge-
mäss und angebracht, wenn C r a i g und
C o 11 i n s ( Vier Jahre Erfahrung mit
Salvarsan und Xeosalvarsan in der Be¬
handlung auf Syphilis beruhender Ner¬
venkrankheiten, Journ, Am. Med. Ass.,
June 20, 1914) sagen: „In unserem En¬
thusiasmus in dem Bestreben, die Was¬
sermann-Reaktion negativ zu machen,
müssen wir nicht vergessen, dass wir
den Patienten behandeln und nicht den
Zustand seines Serums.“ Mit ganz be¬
sonderem Gewicht passt diese Warnung
auf Fälle von latenter Syphilis, welche
eine recht schwierige Frage eröffnen.
Dieselbe Frage ist auch in ganz passen¬
der Weise von Bloom (1. c. p. 226 und
231) berührt worden. Welche Art von
Behandlung und von welcher Dauer soll
ein Patient bekommen, der vor 25 Jah¬
ren eine mehr weniger gründliche Be¬
handlung durchmachte, sich 5 bis 8 Jah¬
re danach verheiratete und der Vater
einer Familie gesunder Kinder wurde
und sich endlich der Wassermann-Probe
unterwirft, ohne seit er aus der Behand¬
lung entlassen wurde, je klinische Er¬
scheinungen von Syphilis gezeigt zu
haben. Der Befund ist ein einziges
Plus. Bedeutet dieses eine Plus eine ir¬
gendwo in seinem Körper aktive Syphi¬
lis, die sich zu irgend einer Zeit durch
klinische Symptome wieder zu erkennen
geben mag? Ist dieser Zustand ein ge¬
nügender Grund für einen Kursus von
Behandlung von hinreichend energi¬
schem Charakter und von genügender
Dauer, um einen negativen Wassermann
hervorzubringen ? Oder bedeutet der¬
selbe nur eingekapselte oder harmlose,
entartete Spirochaeten, die nur die Fä¬
higkeit besitzen, Antokörper zu erzeu¬
gen und nichts weiter?“ Eine während
des letzten Sommers gemachte Beobach¬
tung soll eine praktische Antwort auf
diese Frage geben:
Herr C. K., 47 Jahre alt, Buchhalter,
bekam Syphilis vor 23 Jahren und wur¬
de damals hier und in Aachen von mir
persönlich bekannt gewesenen kompe¬
tenten Aerzten in der Hauptsache mit
Einreibungen behandelt. Seitdem haben
sich nie wieder Symptome der Syphilis
bei ihm gezeigt, er ist seit 18 Jahren ver¬
heiratet, hat zwei gesunde Kinder, seine
Frau ist gesund und er selbst hat sich
ungestörter Gesundheit erfreut, bis vor
ungefähr anderthalb Jahren sich ein un¬
angenehmes Gefühl von Schwere im
Unterleib einstellte. Als er zufällig er¬
fuhr, dass seine Mutter infolge von Ma¬
genkrebs gestorben sei, wurde er sehr
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Original from
HARVARD UNIVERSITY
258
New Yorkeb Medizinische Monatsschrift.
ängstlich, sodass ihn ein Freund behufs
gründlicher Untersuchung und Beob¬
achtung in ein Hospital aufnehmen liess.
Die Untersuchung zeigte keine wesent¬
lichen Störungen irgend welcher Or¬
gane : wegen Syphilis befragt, machte er
der obigen Geschichte entsprechende
Angaben; der sofort vorgenommene
Wassermann ergab drei Plus. Nun
wurde ihm sofort mitgeteilt, dass er in
der grössten Gefahr schwebe, Tabes
oder Paresis zu bekommen und auf die
energischeste Weise behandelt werden
müsse; er bekam letzten Herbst zwei
intravenöse Salvarsan-Dosen und 15
Einspritzungen von salizylsaurem
Quecksilber. Eine in diesem Frühjahr
vorgenommene Wassermannprobe wies
zwei Plus auf, und nun wurde sofort
wieder die gleiche Kur wie im Spätjahr
angeordnet, mit der Aussicht, dass die
Reaktion um ein weiteres Plus vermin¬
dert werden möchte. Ehe der Patient
diese neue Kur antrat, fragte er mich
um Rat. Auf einen bescheidenen, gegen
früher verringerten Gehalt angewiesen,
hat er die Kosten der Behandlung ziem¬
lich schwer empfunden. Sein Magen
hat ihm keine Beschwerden mehr ge¬
macht, aber seit er von den drohenden
Nervenkrankheiten gehört hat, fängt er
an, allerhand Empfindungen im Rücken
und namentlich in den untern Extremi¬
täten zu vermuten und auch schon zu
fühlen und ist faktisch zum Neurasthe¬
niker geworden: dabei sind Pupillen¬
erscheinungen und Sehnenreflexe unge¬
stört. Nun tadle ich nicht den behan¬
delnden Arzt; er hat genau in Einklang
mit den herrschenden Ansichten und
Lehren gedacht und gehandelt, aber ich
tadle die Lehrer, die den Syphilitiker
nur vom Standpunkte des Laboratori¬
ums ansehen, ohne der psychischen Seite
und der Bedeutung derselben für das
Wohlbefinden des Patienten genügend
Rechnung zu tragen.
C. K. ist jetzt sicherlich subjek¬
tiv und objektiv in einem schlimme¬
ren Zustand als vor der Serumunter¬
suchung. Ich habe ihm geraten, den
jetzt vorgeschlägenen zweiten Kurs von
Behandlung durchzumachen, aber da¬
nach jede Serumuntersuchung und Be¬
handlung zu vermeiden solange er nicht
bestimmte Krankheitserscheinungen auf¬
zuweisen habe. Und doch fürchte ich,
dass er nie oder wenigstens auf eine
Reihe von Jahren hin wieder so zufrie¬
den und glücklich sich fühlen wird wie
vorher und dass er mehr oder weniger
neurasthenisch bleiben wird. Es ist
auch zu bedenken, welchen Einfluss es
auf den Patienten haben würde, wenn
die WR. keine weitere Verminderung
des Plus oder, was immerhin möglich,
gar ein Wiederansteigen zu drei Plus
ergeben sollte.
Zur Zeit leben Tausende von Men¬
schen unter gleichen oder ähnlichen Be¬
dingungen, wie Herr K., ehe man ihn
wegen seiner Syphilis befragte und die
WR. erhalten worden war. Sollen oder
müssen wir alle, die einmal Syphilis be¬
kommen haben, aber augenscheinlich
ganz gesund sind, nach dem Laborato¬
rium bringen, um ihr Blut zu untersu¬
chen, und wenn ein Plus gefunden wird,
sie ohne Gnade zu behandeln bis die Re¬
aktion sich ändert? oder dürfen wir die
alte Regel befolgen: „Let well enough
alone?“ Das erstere Verfahren würde
allerdings mehr wissenschaftlich und
dem Zeitgeist entsprechend, das andere
mehr in Einklang sein mit Gemeinsinn
(common sense) und mit Rücksicht auf
menschliches Fühlen. Ich glaube, dass
man unter gehöriger Berücksichtigung
aller Umstände in jedem einzelnen Falle
doch für solche Verhältnisse gewisse all¬
gemeine Regeln aufstellen könnte, wie
z. B.: Wo weniger wie 10 Jahre seit
der Ansteckung verflossen sind, würde
ich auch in Abwesenheit auch nur des
geringsten Symptoms von Syphilis
nichts einzuwenden haben gegen eine
Serumuntersuchung oder gegen spezifi¬
sche Behandlung im Falle eines positi¬
ven Befundes, aber mit dem Vorbehalt,
dass die Behandlung nicht unbegrenzt
verlängert werden soll, nur um eine
Umwandlung der Reaktion zu erzielen.
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259
Individuen, die vor mehr als 10 Jahren
infiziert wurden, weenn im Anfang ge¬
nügend behandelt, oder wo die Ansteck¬
ung 15 Jahre und länger zurückliegt,
auch wenn ihre Behandlung nicht hin¬
reichend kräftig und anhaltend war,
aber wenn sie seit deem Abschluss der
Behandlung nie wieder spezifische
Symptome gezeigt haben, zur Zeit frei
von solchen sind, besonders wenn sie
verheiratet sind, gesunde Kinder haben,
keine Geschichte von Abortus etc. vor¬
liegt, und sie mehr oder weniger ver¬
gessen haben, dass sie je Syphilis ge¬
habt, solche Individuen würde ich
ganz gehörig in Ruhe lassen und würde
nicht die Verantwortlichkeit auf mich
nehmen, diesen Zustand der Ruhe durch
eine Serumuntersuchung zu zerstören,
und ich würde entschieden von einer
solchen abraten, wenn mir die Frage
direkt vorgelegt würde. Ich würde al¬
lerdings streng darauf dringen, wie ich
es bei allen Patienten vom Beginn der
Ansteckung an getan habe, dass er oder
sie eine vernünftig regelmässige Lebens¬
weise einhalte, wie sie eigentlich jeder
tun sollte, der sich seine Gesundheit zu
erhalten wünscht, insbesondere alles
Uebermass in Arbeit wie in Erholung
vermeide, namentlich im Genuss berau¬
schender Getränke, Tabak und Ge¬
schlechtsgenuss, die, wie ich glaube, ih¬
ren schädlichen Einfluss auf den Syphi¬
litiker eher und mit grösserer Intensi¬
tät äussern. Wo, wie in dem oben be¬
sprochenen Falle die Serumuntersu¬
chung bereits stattgefunden, würde ich
es besonders von dem psychischen Ver¬
halten des Patienten abhängig machen,
ob iph raten würde, den Befund völlig
zu ignorieren oder, wie ich es dort ge¬
tan, eine begrenzte Behandlung durch¬
zumachen.
In Gegenwart unzweifelhafter Er¬
scheinungen der Krankheit würde ich
natürlich kräftige Behandlung empfeh¬
len, nicht nur mit Jod, bis zum vollstän¬
digen Verschwinden der Symptome und
eine angemessene Zeit darüber hinaus,
aber nicht ins Unendliche fortgesetzt,
wenn die Reaktion nicht wesentlich ge¬
ändert oder umgekehrt würde. Densel¬
ben Plan würde ich auch verfolgen in
Fällen typischer syphilitischer AfiFek-
tionen des Nervensystems, aber nicht
bei Tabes oder Paresis, bei denen neu¬
ere intraspinale Methoden so gute Re¬
sultate versprechen. Finden sich Er¬
scheinungen von zweifelhafter Natur,
so liefert die Serumuntersuchung doch
keine Entscheidung und wir müsen uns
mehr auf die therapeutische Probe ver¬
lassen, zumal es doch kaum irgend wel¬
che durch die Syphilis verursachte Er¬
scheinungen gibt, die nicht durch eine
energische Behandlungsmethode wenig¬
stens vorübergehend günstig beeinflusst
werden. Nur dürfen wir nicht verges¬
sen, dass wir solche Zustände nicht mehr
beeinflussen können, welche Folgen oder
das vollendete Produkt der Syphilis dar¬
stellen wie gewisse Lähmungen, na¬
mentlich nach Apoplexien, Narben,
Knochenverdickungen etc.
Noch möchte ich aufmerksam machen
auf den Wert der Serumuntersuchung
in Fällen von wirklicher Syphilophobie,
sowohl bei denen, die wirklich und nach¬
weislich infiziert sind, als bei denen, die
entweder bestimmt niemals infiziert wa¬
ren und die, welche im Ungewissen sind
infolge von Umständen in Zusammen¬
hang mit der vermeintlichen Ansteck¬
ung, meistens von voreiliger Allgemein¬
behandlung. Wer die bedauernswerte
Lage solcher Individuen hat kennen
lernen, wird kaum mit N e i s s e rs Vor¬
schlag einverstanden sein, spezifische
Behandlung einzuleiten, auch wenn je¬
des entscheidende Zeichen der Syphilis
fehlt
Der Nachweis der Spirochaeta pallida
wird von der grössten Bedeutung für
den Patienten dadurch, dass schon vor
dem Auftreten der positiven Wasser¬
mann-Reaktion eine bestimmte Diagno¬
se möglich wird und damit die Anzeige
für sofortige Behandlung, denn diese
verspricht im günstigen Falle eine
Abortivkur, oder wenigstens eine we¬
sentliche Abkürzung der aktiven Perio-
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
de der Krankheit und der Behandlung.
Die sekundären Symptome haben in der
Regel genügend charakteristische klini¬
sche Eigenschaften, sodass es zur Dia¬
gnose des Spirochaetennachweises kaum
bedarf, und bei den tertiären Formen ist
die Zahl derselben in der Regel so ge¬
ring, dass ein negativer Befund nicht
von grosser Bedeutung ist. Von beson¬
derem Interesse ist der Nachweis der
Spirochaeten in den zentralen Organen
des Nervensystems bei Paresis und Ta¬
bes geworden, der wenigstens vom ätio¬
logischen Standpunkt den „Parasyphili¬
tischen“ Charakter dieser Zustände eli¬
miniert, während dieselben wegen der
resultierenden anatomischen Gewebs¬
veränderungen doch noch eine Klasse
für sich bilden. Schliesslich it unsere
Kenntnis der Spirochaeta pallida oder
des Trepanoma pallidum und seiner Le¬
bensgeschichte doch noch eine recht ge¬
ringe, namentlich wissen wir nicht, ob
und wie weit die natürliche Neigung der
Syphilis in der Form mehrerer auf ein¬
ander folgender Ausbrüche von ver¬
schiedener Heftigkeit aufzutreten, von
Phasen in der Entwicklung der Mikro¬
ben abhängig ist. Mancherlei Unter¬
suchungen auf diesem Gebiete sind zur
Zeit im Gange und versprechen Aufklä¬
rung wichtiger Punkte, namentlich des
Vorkommens von Stämmen von ver¬
schiedener Intensität und verschiedener
Affinität zu den Geweben des Körpers,
welche wohl imstande sein würden, die
Aussichten für den Patienten zu beein¬
flussen.
Nachdem bereits vorher besonderes
Gewicht darauf gelegt worden ist, dass
Syphilis weit mehr als die meisten In¬
fektionskrankheiten ein günstiges Feld
für therapeutische Massnahmen darbie¬
tet, müssen wir die Einführung des Sal-
varsans in die Syphilistherapie als die
wichtigste Bereicherung derselben an-
sehen. welche bestimmt ist, die Aussich¬
ten für den Kranken so viel günstiger
zti gestalten und sein psychisches Leiden
zu erleichtern. Salvarsan schien unbe¬
dingt y.v gewährleisten, dass es alles er¬
füllen würde, was es versprach, daher ist
es auffällig, dass trotz der ungeheuren
Menge von Literatur jetzt nach mehr
als vier Jahren die Ansichten über den
Wert des Mittels und seine Indikationen
doch noch ziemlich weit auseinander
gehen. Verschiedene Umstände sind
dafür verantwortlich gewesen. Zunächst
zeigte es sich bald, dass eine „sterilisa-
tio magna“ vermöge einer einzelnen
Dose, wie sie an Tieren nachgewiesen
wurde, beim Menschen nicht erzielt
werden kann. Diese Enttäuschung er¬
schütterte natürlich einigermassen das
V ertrauen zu dem Mittel. Die Neigung
mancher Autoren, in ihrem Enthusias¬
mus die guten Eigenschaften zu über¬
schätzen und Anspruch auf Resultate zu
machen, welche nicht völlig bestätigt
werden konnten, und die anderer, die
bisher üblichen Behandlungen, die durch
mehrere Jahrhunderte hindurch befrie¬
digende Dienste geleistet hatten, her-
unterzureissen, unbarmherzig zu ver¬
dammen und womöglich ganz in die
Rumpelkammer zu werfen, dienten nicht
gerade dazu, die Stimmung gegen das
neue Mittel günstiger zu gestalten, ga¬
ben Veranlassung zu einer weniger gün¬
stigen Stimmung gegen das neue Mittel,
welche noch Nahrung erhielt durch eine
gereizte Kritik jeden Zweifels oder je¬
der Meinungsverschiedenheit und eine
empfindsame Unduldsamkeit gegen je¬
den wenn auch auf Tatsachen und
Gründe gestützten Widerspruch von
Seiten der Vorkämpfer für das Salvar¬
san. Eine im März, April und Mai 1914
in der Berliner Medizinischen Gesell¬
schaft stattgehabte Diskussion wies noch
ziemliches Auseinandergehen der ' An¬
sichten auf betreffs des Wertes des Sal-
varsans, der Methoden seiner Anwen¬
dung und namentlich seiner V erbindung
mit Quecksilber. Und doch scheint es
nicht schwer, ein vorurteilsfreies Bild
von den Vorteilen des Salvarsans zu ent¬
werfen. V or dem Erscheinen des Sal¬
varsans hatte ich persönlich in der
Hauptsache keine Ursache gehabt, mit
den Erfolgen der Ouecksilberbehand-
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261
lung unzufrieden zu sein, wohl deshalb,
weil ich schon seit 1886 intramuskuläre
Einspritzungen unlöslicher Salze, na¬
mentlich von salizylsaurem Quecksilber
und Kalomel, welche jetzt nach langem
Widerspruch, namentlich in den Ver¬
einigten Staaten, ziemlich allgemein für
die wirksamste Methode der Queck¬
silberbehandlung angesehen werden, so
viel wie möglich angewendet und sie
zur Methode der Wahl gemacht hatte.
Ebenso wie Bloom habe ich in einer
ganzen Anzahl von Fällen, bis zu 25
Jahren nach Abschluss der Behandlung,
Berichte von negativem Wassermann
erhalten. Bei Patienten mit tertiären
Symptomen der Haut, der Schleimhäu¬
te, der Knochen, des Hodens etc. habe
ich in der Regel promptes Verschwin¬
den derselben nach energischer Behand¬
lung meist nur mit Quecksilber gesehen.
In Fällen, die nie vorher oder wenig¬
stens nicht innerhalb einer Reihe von
Jahren mit Quecksilber behandelt wor¬
den waren, bin ich nicht selten über¬
rascht worden durch den beinahe magi¬
schen Einfluss der ersten Quecksilber¬
einspritzung, ähnlich wie wir sie jetzt
bei Salvarsan sehen. Unter diesen Um¬
ständen habe ich anfangs eine ziemlich
konservative Stellung gegenüber dem
Salvarsan eingenommen, aber ich er¬
kenne jetzt gern an, dass wir dem Mit¬
tel Erfolge verdanken, die wir früher
vergeblich angestrebt hatten, und die
uns zu einer günstigeren Ansicht über
die Heilbarkeit der Syphilis berechtigen
und die psychische Seite wesentlich
freundliche** gestalten.
Die Möglichkeit einer Abortivkur
während der frühesten Stadien der In¬
fektion. d. h. ehe die Spirochaeten die
allgemeine Zirkulation erreicht haben
und die Serumreaktion positiv geworden
ist, ist jetzt durch eine so grosse Zahl
von Beobachtungen festgestellt, dass
man wohl auf den Einspruch verzichten
muss, dass eigentlich noch nicht genü¬
gend lange Zeit verstrichen ist, um die
Möglichkeit des Wiederauftretens von
Symptomen absolut auszuschliessen.
Xächstdem ist von der grössten Wich¬
tigkeit die auffällige Wirkung des Sal-
varsans in Fällen von maligner Syphilis,
denen wir früher beinahe hilflos gegen¬
über standen, ebenso in den verhältnis¬
mässig doch recht seltenen Fällen, in
denen Quecksilber und Jod absolut nicht
vertragen werden oder in denen diese
Mittel entweder von Anfang an oder
nach längerem Gebrauch die sonst übli¬
che Wirkung versagen. Diese Umge¬
staltung der Aussicht in solchen Fällen,
die uns sonst in die grösste Verlegenheit
setzten, würde allein genügenden Grund
abgeben, das Mittel hoch zu preisen und
demselben Dank zu erweisen. Ein wei¬
terer Vorteil ist sein Einfluss auf anä¬
mische und kachektische Zustände bei
Syphilitikern; es ist wunderbar, wie die¬
selben an Gewicht zunehmen und objek¬
tive und subjektive Verbesserungen des
Allgemeinbefindens aufweisen. Bei Ta¬
bes und Paresis versprechen die neueren
Methoden der Salvarsanbehandlung,
wenn auch zur Zeit noch im Probesta¬
dium, Besserung der Symptome und
Auf halten des Prozesses. Weniger auf¬
fällig sind die Erfolge mit Salvarsan in
der sekundären und tertiären Periode
derjenigen Fälle, die man vielleicht als
normale bezeichnen kann, sodass eine
grose Anzahl von Syphilologen entschie¬
den für die Kombination mit Queck¬
silbereinspritzungen oder Inunktionen
eintreten. In vielen Fällen werden aller¬
dings alle Arten von Krankheitserschei¬
nungen günstig beeinflusst, ganz beson¬
ders die der Schleimhäute, während an¬
dere gar keine oder nur geringe Besse¬
rung zeigen. So leisten die harte
Schwellung mancher Primäraffekte, in¬
dolent vergrösserte Lymphdrüsen, man¬
che Svphilide, besonders papilläre und
manche andere Symptome nicht selten
dem Salvarsan Widerstand, um rasch
auf Quecksilber zu verschwinden. Be¬
treffend die Erkrankungen der Sinnes¬
und der Nervenorgane gehen die An¬
sichten der Spezialisten ziemlich weit
auseinander, jedoch mit deutlicher Be¬
vorzugung der älteren Behandlung mit
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
Quecksilber und Jod. Dagegen wieder¬
um zeigen einige sonst ausserordentlich
hartnäckige Störungen, wie das schup¬
pende Syphilid der Hohlhand und die
Leukoplakie, meist grosse Besserung
unter Salvarsan, während bei Hautge¬
schwüren die Kombination beider Me¬
thoden angezeigt ist. Rückfälle treten
bei blosser Salvarsanbehandlung eher
früher und zahlreicher auf.
Trotz aller Vorteile, die das Salvarsan
bietet, darf man doch nicht übersehen,
dass auch unter der mildesten Ausle¬
gung der seine Anwendung begleiten¬
den üblen Zufälle und Todesfälle die
Tatsache feststeht, dass es nicht frei von
Gefahr ist und dass es nur mit der
grössten Vorsicht angewandt werden soll.
Diese Frage ist so viel behandelt wor¬
den, dass es hier genügt, sie zu erwäh¬
nen und zu erklären, dass diese Nach¬
teile nicht genügend sind, um den Ge¬
brauch des Mittels zu verbieten. Dage¬
gen ist Salvarsan mit Ausnahme der
Abortivbehandlung in dem Frühstadium
der Syphilis, für welche leider nur eine
geringe Anzahl von Fällen Gelegenheit
darbieten, und der malignen und Intole¬
ranz gegen Quecksilber zeigenden Fälle
nicht unentbehrlich noch unfehlbar.
Ferner in Anbetracht der langjährigen
und keineswegs so unbefriedigenden Er¬
fahrung bis zum Anfang des gegenwär¬
tigen Jahrhunderts ist nicht einzusehen,
warum nicht auch jetzt noch Patienten,
allerdings in energischer Weise, mit
Quecksilber allein oder in Verbindung
mit Jod behandelt werden dürften, so¬
lange die Krankheit günstig verläuft,
und man dann zum Salvarsan greift,
wenn die ältere Methode im Stich lässt.
Einige Autoren bestehen darauf, dass
die einzige Rettung für den Syphilitiker
im Salvarsan liege; einzelne gehen so
weit, dass sie es für tadelnswert oder
gar für ein Verbrechen erklären, einen
Syphilitiker ohne Salvarsan zu behan¬
deln. Nun gibt es eine nicht unbeträcht¬
liche Anzahl von Patienten, welche we¬
gen organischer Störungen oder ihres
allgemeinen Gesundheitszustandes ent¬
weder gänzlich oder wenigstens auf in¬
travenöse Anwendung des Salvarsans
verzichten müssen. Andere werden
durch finanzielle oder soziale Verhält¬
nisse verhindert; wieder andere wohnen
zu weit entfernt von kompetenten Aerz-
ten, zumal wenn immer und immer wie¬
der betont wird, dass die Anwendung
des Salvarsans nur unter Beobachtung
der peinlichsten Vorsichtsmassregeln
stattfinden soll. Würden diese Behaup¬
tungen von der alleinigen Heilwirkung
des Salvarsans als wohl begründet an¬
erkannt, so würde allen diesen Kranken
jede Hoffnung auf Heilung abgeschnit¬
ten, ganz gewiss sehr zum Nachteil ihrer
Gemütsstimmung, und alle die Tausen¬
de, welche vor der Einführung des Sal¬
varsans ihre Behandlung durchgemacht
und sich als geheilt angesehen haben,
müssten ohne Weiteres als ungeheilt an¬
gesehen werden. Und was werden jene
Salvarsanenthusiasten ihren Patienten
sagen, wie werden sie dieselben beruhi¬
gen, wenn die Zufuhr von Salvarsan
aufhört, wie wohl unter augenblickli¬
chen Verhältnissen keineswegs unwahr¬
scheinlich ?
Schlusssätze:
1. Syphilis ist geneigt, die Gemüts¬
stimmung des Patienten mehr oder we¬
niger aus dem Gleichgewicht zu brin¬
gen.
2. Die Entdeckung der Spirochaeta
pallida als infizierendes Agens der Sy¬
philis, die Einführung des Salvarsans in
die Therapie und der Serumunter¬
suchungen in die Beurteilung der Krank¬
heit haben die Prognose der Syphilis
wesentlich günstiger gestaltet, nament¬
lich mit Rücksicht auf die psychische
Seite.
3. Unter dem gegenwärtigen Zu¬
stand unserer Kenntnisse macht die ne¬
gative Serumreaktion unter gewissen
Bedingungen die Heilung des Patienten
in hohem Grade wahrscheinlich, aber
nicht absolut sicher.
4. Unter manchen Umständen, na¬
mentlich bei älterer, sogenannter laten-
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263
ter Syphilis kann die Serumuntersu¬
chung' leicht mehr Schaden als Nutzen
anrichten und sollte seine Anwendung
den Regeln des praktischen Gemein¬
sinns (common sense) unterworfen
werden.
5. Dem psychischen Einfluss der Sy¬
philis soll genügend Rechnung getragen
werden, namentlich so lange noch die
geringste Unsicherheit betreffend der
definitiven Heilung besteht, und soll
sich der Patient nicht allein auf das La¬
boratorium verlassen, sondern in erster
Linie auf den Rat und die Teilnahme
des Arztes, der die klinischen Symptome
sorgfältig überwacht und das Selbstver¬
trauen des Patienten zu befestigen ver¬
steht.
Ueber Magenresorption.
Von Dk. Armbruster, Schweinheim.
Bei diesen Ausführungen seien zu¬
nächst die Gestalt des Magens, sodann
seine Muskulatur, fernere seine die Re¬
sorption vorbereitenden Schleimhaut¬
drüsen, weiter seine Gefässe und Ner¬
ven, sowie seine Klappe ins Auge ge¬
fasst. Was die Gestalt des Magens be¬
trifft, so sei hier hervorgehoben, dass
der Pylorus verhältnismässig hoch steht,
was längerem Verweilen der Speisen in
diesem Organ günstig ist, sodann, dass
sich der Magen gegen den Pylorus hin
verengert. Auch ist eine seichte Ein¬
schnürung der grossen Kurvatur zu er¬
wähnen, von wo aus der betreiffende
Raum gegen den Magenausgang zu,
Antrum pylori genannt, wenden kann.
Beim horizontal gehenden Hunde mit
seinen vier Beinen ist diese Einschnü¬
rung weit stärker wie beim Menschen
ausgeprägt. Die Muskulatur besteht
aus einer äusseren Längsfaserschicht
und einer inneren Ringfaserschicht.
Die äussere Schicht zeigt sich besonders
an den beiden Kurvaturen und an der
Pars pylorica. Die Schleimhaut mit ih¬
ren Drüsen überzieht das Mageninnere.
Die Drüsen haben am Volumen der
Schleimhaut den wesentlichsten Anteil.
Sie gehören den schlauchförmigen an,
stehen dicht bei einander und sind teils
einfach, teils zusammengesetzt. Von den
sehr reichen Blut- und Lymphgefässen
sei zunächst hervorgehoben, dass die
•Aus D. m. Presse, 1915. Nr. 5.
Venen dem Pfortaderkreislauf zugehö¬
ren. Ferner sei erwähnt, dass die Ar-
teria coeliaca Magen, Milz, Leber, Duo¬
denum und Bauchspeicheldrüse mit ih¬
ren Aesten versorgt. Von den Magen¬
nerven sind am meisten die Vagi, weni¬
ger der Sympathicus bekannt. Auch
selbsttätige Ganglienzellen dürfte viel¬
leicht seine Wandung besitzen.
Physiologisch sei zunächst erwähnt,
dass entsprechend der Anordnung der
Längsmuskulatur eine verstärkte Pe¬
ristaltik geegn den Pylorus zu besteht,
ferner, dass auch normaler Weise umge¬
kehrte Wellen beim Magen Vorkommen,
endlich der Magensaft mit seinen Fer¬
menten, welche er selbstständig bildet,
und mit seinem Sekrete, der giftigen
Salzsäure. Sie dienen der Verdauung
von Eiweiss vor allem, sodann von
Kohlehydraten, wobei auch das Ptyalin
des Mundspeichels mithilft. Auch Fet¬
te werden im Magen schon hydrolytisch
gespalten, ebenso werden Leim- und
leimgebendes Gewebe aufgelöst, nicht
dagegen Keratin, welches auch wahr¬
scheinlich in gesunden Tagen die Re¬
sistenz seines eiweissreichen Epithels
neben dem alkalischen Blut erzeugt und
vor Selbstverdauung schützt. Von Fer¬
menten produziert der Magensaft Pep¬
sin, das Eiweiss und Leim verdaut, so¬
dann das Labferment, einen Milch koa¬
gulierenden Körper, endlich das Hom-
marsten’sche Ferment, für Kohlehydra-
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te von Einfluss. Die Salzsäure ist vor
allem für Eiweiss und Leim wichtig.
Weiter sei über Innervation hervorge¬
hoben, dass Reizung der Vagi Magen¬
kontraktionen hervorruft und Durch¬
schneidung derselben die Fortbewegung
der Speisen aus dem Magen erheblich
beeinträchtigt. Noch sei darauf hinge¬
wiesen, dass infolge der Salzsäure und
Fermente die Speisen im Magen zuerst
Chymus genannt werden.'
Nach dieser anatomischen und physi¬
ologischen Einleitung zum eigentlichen
Thema! Der Aufsaugung dienen im
Magendarmkanal die Blut- und Lymph-
gefässe. Bei den Lymphgefässen wird
angenommen, dass sie nur sogenannte
diffundierfähige Stoffe wie Wasser,
Salze, Zucker, Glyzerin, Seifen, Pep¬
tone durch poröse Membranen, die den
Zellen, wie den Kapillarwänden wohl zu
eigen sind, resorbieren, worauf später
noch ausführlicher zurückgekommen
wird. Die Aufsaugung der Lymph-
oder Chylusgefässe ist dagegen sicher
auch für starke Kolloide wie Eiweiss,
und für unlösliche, aber fein verteilte
Stoffe wie Fettemulsion, möglich, wel¬
che der Ductus thoracicus reichlich auf¬
weicht. Bei den Darmzotten erkennt
man unschwer diese Chylusgefässe, die
von longitudinalen glatten Muskelfasern
mit Kontraktionen, an denen auch die
Zotten selbst teilnehmen, begleitet sind.
Wäre keine Kontraktion dieser Chylus¬
gefässe mit der Resorption des Darmes
verbunden, so dürfte die Lymphe sich
teilweise in den Darm ergiessen; so
werden aber durch diese Zusammenzie¬
hung mit ihrem Abfluss in entgegenge-
etzter Richtung vom Darmlumen die
Chylusgefässe neben anderm von Flüs¬
sigkeit befreit und lösen alsdann als Ka-
pillargefässe um so intensiver Darmre¬
sorption aus. Von den analogen Ver¬
hältnissen beim Magen sei später noch
ausführlicher die Rede.
Die Magenwand resorbiert wohl in
gesunden Tagen eigentlich nur Flüssig¬
keit mit entsprechend verdünnten Lö¬
sungen und diese bei nicht erhöhter
Temperatur nur langsam. Nach exak¬
ten Beobachtungen saugt sie am schnell¬
sten warme Flüssigkeit auf. Reichlich
kaltes Wasser dagegen öffnet rasch die
Pylorusklappe und stürzt in den Darm.
Das ungleiche Verhalten des Magens
für verschieden erwärmte Flüssigkeiten
ist von hohem Vorteil. Warmes Was¬
ser ist ungleich weniger in der Regel
giftig wie kaltes, was bei den Speisen,
wie bei dem Nachtschattengewächs der
Kartoffel, am besten bekannt ist. Aber
dass bei allen Temperaturen trotzdem
die Magenresorption verhältnismässig
langsam ist, kann man bei Kurarever¬
giftung sehen, wo das Blut vielfach gar-
nicht zu einem wirksamen Giftgehalt
gelangt, da die Nierenausscheidung stär¬
ker ist. Die langsame und deshalb auch
zumeist spärliche Resorption -im Magen
ergibt sich auch daraus, dass das Was¬
ser vorzüglich durch den Dickdarm re¬
sorbiert wird, nachdem der Speisebrei
den langen Dünndann passiert hat,
ebenso daraus, dass die Magensäfte nur
teilweise trotz des langen Verweilens
der Speisen darin das Verdaute für Re¬
sorption fähig machen und das Weitere
die Darmsäfte zu besorgen haben.
Nebenbei bemerkt, zeigt sich aus den
folgenden sechs Punkten, dass der Ma¬
gen für ein langes Verweilen des Giy-
mus, also für eine sehr langsame Ver¬
dauung, eingerichtet ist. Dafür spricht
1) die Tiefe der grossen Kurvatur im
Hinblick auf den Magenausgang, 2) die
ungleiche Anordnung seiner Längsmus¬
kulatur, 3) seine normalen umgekehrten
Wellen, 4) die Gerinnung der Milch
durch das Labferment. 5) die Pylorus¬
klappe, 6) die Herabsetzung der Chy-
mustemperatur, wie später bewiesen
wird. Bezüglich des Labfermentes ist
zu bemerken, dass die dadurch bewirkte
Gerinnung der Milch für die kindliche
Ernährung von hoher Bedeutung ist.
Beim Kinde der ersten Lebensmonate,
wo Magen- und Darmsaft stärker wir¬
ken, wird diese Gerinnung samt der
Magensäure oft so erheblich, dass es
Erbrechen gibt, was durch zeitweiliges
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265
Einnehmen von Natrium bicarbonicum
dann rasch gehoben wird. Wahrschein¬
lich vermindert die allmählich grösser
gewordene Magenhöhle sowohl die In¬
tensität des Magensaftes als auch viel¬
leicht wegen schwächer werdenden lon¬
gitudinaler Muskulatur den Brechreiz
beim Erwachsenen.
Bezüglich der Pylorusklappe seien
hier ausserhalb des Themas folgende
Erörterungen unternommen. Die Py-
lorusklappe wird geöffnet: 1) durch Her¬
absetzung der Chymustemperatur wäh¬
rend der Verdauung, 2) durch den
Sphincter antri, der das schon eingangs
erwähnte Antrum pylori etwas abschnii-
rend umgrenzt, 3) durch Nerventätig¬
keit, wie namentlich Versuche am Va¬
gus beweisen.
Die erwähnte Herabsetzung der Chy-
muswärme erfolgt deshalb, weil die
Temperatur des Speisebreies durch den
Wärmeverbrauch infolge der Verdau¬
ung sinkt, in zwei bis drei Stunden um
0.2 bis 0.6 Prozent. Daher befördern
auch warme Umschläge die Verdauung.
Durch diese Herabsetzung der Chymus-
wärme wird dann teilweise von Zeit zu
Zeit die Pylorusklappe geöffnet. Da die
Speisen zwei bis drei Stunden im Ma¬
gen verweilen, so hat die Natur dafür
gesorgt, dass infolge reflektorischer An¬
regung durch die Magennerven erst
nach Ablauf von diesen zwei bis drei
Stunden nach Einführung der Speisen
eine intensivere Pankreassekretion ein-
tritt.
Wie schon erwähnt, resorbiert wohl
der Magen in gesunden Tagen durch
seine venösen Blutgefässe so gut wie
ausschliesslich Flüssigkeiten mit ent¬
sprechenden Lösungen. Die Lymphge-
fässe sind bei ihm hier ziemlich untätig,
wenigstens für direkte Resorption. In¬
direkt bekommen sie allerdings rasch
das Resorbierte von den Blutgefässen,
die. wie das Oedem in kranken Tagen
beweist, mit der Lymphe in ausgedehn¬
ter Beziehung stehen. Wenn auch nicht
die vorzüglichen Zottenkontraktionen
wie im Darm für die Lymphgefässe des
Magens bestehen, so kann trotzdem in
kranken Tagen teilweise durch vasomo¬
torische Nerven an eine direkte Resorp¬
tion der Lymphgefässe gedacht werden.
Die ausgedehntere Resorption erklärt
sich dann gleichzeitig durch eine infolge
der Krankheit bedingten Abnahme des
arteriellen Blutdruckes in den entspre¬
chenden Magenkapillaren und dadurch
Zunahme der venösen Blutaufsaugung.
Solche Affektionen sind Albuminurien,
Diabetes mellitus, Lungentuberkulose
mit ihrem starken Fett verbrauch. Auch
Anämie kann hierher gehechnet werden.
Es fragt sich ferner, ob weitere Kräf¬
te vorhanden sind, welche eine Magen¬
resorption für die Lymphbahnen direkt
ausliefern können. Die Magenperistal¬
tik dürfte wie auch beim Darm — und
zwar beim Magen mit seinen normalen
rückläufigen Wellen erhöht — solche
Resorptionskräfte erzeugen. Durch die
Peristaltik nämlich mit ihrem Wellen¬
berg und Wellental wird jeweils beim
Wellental durch Verkürzung der
Lymphgefässe und durch die dadurch
entstehende Einwirkung ihres Lumens
die Kapillarattraktion aufgehoben, und
der Inhalt der Kapillarröhrchen ergiesst
sich in den Lymphstrom. Von früheren
einschlägigen Erörterungen abgesehen,
mögen diese Kapillarröhrchen eine ähn¬
liche Beschaffenheit haben wie die Harn¬
röhre gegen die Blase zu, die nur Urin
herauslässt, aber normaler Weise keine
Flüssigkeit von aussen einzudringen ge¬
stattet. Bei der weiblichen Vagina ist
es noch eklatanter, z. B. beim Baden der
Fall. Aber auch eine Saugbewegung
wird durch die Peristaltik zugunsten
der Resorption ausgelöst, an der vor
allem die Blutgefässe, ebenfalls auch
die Lymphgefässe beteiligt sind. Beim
Wellenberg entsteht leerer Raum, was
von diesen beiden Seiten ein Saugen
und damit Resorption, vor allem zu¬
nächst Kapillarattraktion, auslöst. Die
Bewegung von Blut und Lymphe er¬
zeugt mit diese Aufsaugung, der Chy-
musdruck unterstützt sie.
Vermöge seiner physiologischen Tä-
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tigkeit, die mehr der Verdauung als der
Resorption dient, hat der Magen auch
hemmende Kräfte gegen Resorption.
Sie sind mechanischer und thermischer
Art. Die senkartige Ausbuchtung des
Magens verhindert vor allem einen
Druck seiner Wand bei der Peristaltik
auf den Chymus zu Gunsten der Resorp¬
tion, wie wir dies bei dem zylinderischen
Darm sehen, wobei sich noch der Dünn¬
darm nach unten zu verengert. Auch
ein Gasdruck, der den Chymusdruck für
Aufsaugung unterstützt, wird in gesun¬
den Tagen beim Magen vermieden, in¬
dem Magengase durch die Kardia ent¬
weichen; in kranken Tagen rufen Gase
gern eine Magenparalyse hervor, die bei
Kindern und geschwächten Personen
rasch tötlich wirkt. Bei den hemmen¬
den Kräften thermischer Art sei darauf
hingewiesen, dass zunehmende Abküh¬
lung der Chymusflüssigkeit, wie dies
während der Verdauung der Fall ist, die
Magenresorption durch die Tätigkeit
der Vasokonstriktoren hemmt.
Bedenkt man, dass das genossene Ei¬
weis vor der Assimilation ein Gift ist,
dass eine Reihe von Nahrungsmitteln,
z. B. wie schon hervorgehoben die Kar¬
toffeln, ungekocht zum Teil verhältnis¬
mässig hohe Dosen an Gift besitzen, so
sind die hemmenden Kräfte für eine un¬
eingeschränkte Magenresorption ohne
weiteres verständlich, daher auch die
schon erwähnte Erscheinung bei Kurare.
Bei Eiweiss ist eben noch der alkalische
Darmsaft nötig, um die Verdauung voll¬
ständiger für die Assimilation zu
machen.
Beim Dünndarm bietet, wie hier ab¬
sichtlich vollständiger, zum Teil wieder¬
holend, hervorgehoben werden soll, an
den Epithelzellen die freie Oberfläche
eine kutikulare Verdickung, welche, von
der Seite betrachtet, saumartig sich dar¬
stellt. Dieser Saum ist von feinen Li¬
nien senkrecht durchsetzt, die man als
Porenkanäle deutet. Das zuweilen dar¬
stellbare Zerfallen der verdickten Platte
in feine, parallel angeordnete Stäbchen,
spricht gleichfalls für das Bestehen einer
senkrechten Differenzierung. Zwischen
diesen, auch die Zotten überziehenden
Epithelzellen mit Kutikularplatten fin¬
den sich einzellige Drüsen von Becher¬
form, die deshalb Becherzellen genannt
werden. Die Parakanäle dienen der re¬
sorbierenden Endosmose für den Blut¬
kreislauf, während die kontraktilen
Darmzotten mit ihren Gefässstämmchen
Fette und kolloides Eiweiss dem Haupt¬
strom zuführen. Verstärkt wird auch
die Resorption im Dünndarm durch den
grossen Reichtum an sogenanntem reti¬
kulärem Gewebe in verschiedenen For¬
mationen. Dieses Netzgewebe ist, wie
eben angedeutet, in dem Zottengewebe
stark vertreten und bildet ausserdem in
der Schleimhaut des ganzen Verdau¬
ungskanals follikuläre Anhäufungen,
wie die Balgdrüsen des Mundes und Ra¬
chens, Tonsillen, die solitären Follikel
und Peyer’schen Haufen des Dünn¬
darms. Beim Magen fehlen zumeist
diese Einrichtungen für Resorption, ein
Beweis dafür, dass ihn die Natur vor
allem für die Verdauung bestimmt hat.
Noch sei hervorgehoben, dass dieses
Netzgewebe du rch Zottenkontraktionen
und auch durch die Darmperistaltik
kleinmaschiger wird, was ebenfalls die
Resorption begünstigt.
Beim Magen kann man immerhin in¬
folge seiner senkartigen Ausbuchtung
daran denken, dass an der kleinen Kur¬
vatur eine Inaktivitätsatrophie seiner
Drüsen und Zellen entsteht, weil sie
nicht durch den Chymusdruck angeregt
werden. Die Natur hat allerdings da¬
gegen mehrfach gesorgt. Einmal da¬
durch, dass der Magen längere Zeit wei¬
tere Zufuhr von Speisen vertragen kann,
wie ersichtlich bei den Hauptmahlzeiten,
wie wohl ein geraumes Verweilen darin
stattfindet. Der Magen der Säuglinge
mit ihrem alleinigen Nahrungsmittel,
der Muttermilch, ist deshalb auch
schlauchförmiger. Allein trotzdem ent¬
steht aus denselben Gründen, wie bei
den weiblichen Brustdrüsen, an der klei¬
nen Kurvatur gern Krebs infolge Inak¬
tivitätsatrophie, wenn wir diesen Be-
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267
griff, der eigentlich den Muskeln gilt,
erweitern. Er würde noch zahlreicher
sein, wenn nicht die Natur die kleine
Kurvatur von aussen so vorteilhaft
durch Rippen und Leber geschützt hätte.
Ein Analogon für letztere Behauptung
ist oft die Lieblingsstelle des Krebses
am Oesophagus in der Höhe der Bifur¬
kation, welche durch die Atmung ent¬
sprechende Hustenstösse von aussen her
in Mitleidenschaft gezogen wird, wäh¬
rend innerhalb des Oesophagus die Spei¬
sen Insulte auszulösen vermögen.
Die moderne Chirurgie hat durch ge¬
eignete Operationen schon den ganzen
Magen in seltenen Fällen ausgeschaltet.
Die Physiologen kamen ihr dabei sozu¬
sagen zu Hilfe, indem sie durch Ver¬
suche erkannten, dass bei Einführung
der Natur unterhalb des Pylorus ausgie¬
bige Verdauung von Eiweiss und
Fleisch stattfindet. Man sieht hieraus,
wie reichlich die Natur den Verdau-
ungstraktus mit Sekretion ausgestattet
hat, um auch bei kümmerlicher Nahrung
in den Tagen gewisser Krankheiten tun¬
lichst Resorption herbeizuführen.
Fassen wir das Ergebnis aus diesen
Ausführungen hinsichtlich der Magen¬
resorption zusammen, so kann vom Ma¬
gen in gesunden Tagen gesagt werden,
dass er Wasser mit entsprechend ver¬
dünnten Lösungen aufsaugt, und zwar
warmes Wasser rascher als kaltes. In
kranken Tagen resorbiert er wohl auch
Fette wie bei Lungentuberkulose, kol¬
loides Eiweiss wie bei Albuminurie.
Auch Kohlehydrate in konzentrierter
Lösung werden wohl z. B. bei Diabetes
mellitus durch die Magenwand dann
aufgenommen. Die Kräfte sind neben
Endosmose Kapillarattraktion und das
erörterte Saugen. Vielleicht findet bei
Rhachitis, wo durch körperliche Hinfäl¬
ligkeit, entsprechende Krankheiten eine
vermehrte Resorption von Kalksalzen
auftritt, auch eine solche bisweilen durch
den Magen statt, bevor sie assimilations¬
fähig sind, weshalb sie dann als un¬
brauchbar zum Aufbau wieder ausge¬
schieden werden. In Gegenden, wo
keine Rhachitis auftritt, scheint das
Trinkwasser eine erhöhte Assimilation
der Kalksalze für den Körper vorberei¬
tet zu haben. In sehr vielen Fällen von
Rhachitis jedoch, verhindert ein Magen¬
katarrh vor allem die Kalksalze für
Baustoffe verwendbar zu machen.
Anleitung zum Verständnis von Kotanalysen.
Von Dr. Felix von Oefele.
(Fortsetzung.)
Azidität des Kotes.
Die Reaktion des Kotes auf Phenol¬
phthalein ist immer sauer und auf Me¬
thylorange immer alkalisch. Für Lak-
mus ist die Reaktion wechselnd.
Wässerige Reaktion auf der
Rückseite des Lakmus- Zahl der
papiers. Fälle.
Stark sauer. 27
Sauer. 200
Schwach sauer. 126
Neutral . 147
Schwach alkalisch. 270
Alkalisch . 869
Stark alkalisch. 290
1929 .
Die überwiegende Mehrzahl der Kot¬
proben reagierte alkalisch und vor allem
der Kot des gesunden Menschen reagiert
alkalisch. Diese Bestimmungen waren
am feuchten oder mit Wasser befeuchte¬
ten Kot auf Lakmuspapier gewonnen
und auf der Rückseite des Lakmus-
papiers abgelesen. In der Literatur sind
die Angaben über die Lakmusreaktion
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des Kotes sehr schwankend. Nach
L a n d o i s 1 ist die Reaktion des Kotes
oft sauer, namentlich infolge der Milch-
säuregährung reichlich genossener Koh¬
lehydrate. Auch zahlreiche andere durch
Gärung entstandene Säuren sollen zur
Reaktion beitragen. Kommt es jedoch
im unteren Darmabschnitte zur Bildung
reichlichen Ammoniaks, so kann neu¬
trale und selbst alkalische Reaktion über¬
wiegen. Starke Absonderung von
Schleim im Darme soll neutrale Reaktion
begünstigen. Nach Nothnagel 2 3 re¬
agiert der Kot Erwachsener bei ge¬
mischter Kost neutral bis schwach alka¬
lisch. # Nach J a k s c h s ist die Reaktion
wechselnd alkalisch oder sauer. Auch
Schmidt 4 gibt für den gesunden
Menschen bei gemischter Kost neutrale
Reaktion mit nur geringen Abweichun¬
gen nach der einen oder anderen Seite
an. Der reine Fleischkot soll in der Re¬
gel alkalisch reagieren. Die alkalische
Reaktion des Kotes ist die Folge reich¬
licher Ammoniakbildung durch Fäulnis¬
vorgänge. Dies entspricht scheinbar
meinen Zusammenstellungen. Drei Vier¬
tel der Kotproben meiner Patienten er¬
gaben alkalische Reaktionen. Es waren
Patienten, welche reichlich Fleisch ge¬
nossen. Der Kot von Hund und Katze
reagiert meist sauer und derjenige von
pflanzenfressenden Tieren meist alka¬
lisch, so viel ich erfahren konnte. Viel¬
leicht ist in den Angaben von Lan-
d o i s und anderen zu sehr der Hunde¬
kot beachtet, vielleicht auch die Phenol¬
phthaleinprobe verwendet.
Aus dem Aetherauszuge 5 ergibt sich
in organischer Bindung 0.03 Prozent der
Trockensubstanz an Wasserstoff, wel¬
cher durch Metalle vertretbar, aber un-
vertreten ist. Der Kot enthält aber auch
noch durch Säureradikale vertretbare
1) Lehrbuch der Physiologie, S. 347.
2) Beiträge zur Physiologie und Pathologie
des Darmes, Berlin, 1884, S. 79.
3) Klinische Diagnostik, Wien, 1892, S. 193.
4) Die Faezes des Menschen, Berlin, 1913,
S. 104.
5) Siehe später!
Hydroxyle in ungefähr schätzbarer
Menge. Denn der Kot is keine einheit¬
liche Masse, sondern eine mechanische
M ischung mikroskopischer Partikeln,
deren verschiedene auch verschiedene
Reaktion besitzen können wegen sehr
verschiedener Löslichkeit in Wasser.
Für die anorganische Chemie ist die
massanalytische Bestimmung von Basen
und Säuren ungemein wichtig und zu¬
gleich leicht ausführbar. Für den Kot
ist die Bestimmung nach verschiedener
Richtung schwierig und ebenso die Deu¬
tung der gewonnenen Resultate. Denn
der Kot ist wie erwähnt keine einheit¬
liche Masse. Dann besitzt aber der Kot
selbst eine Reihe von intensiven Farb¬
stoffen, welche unter Umständen die
Schärfe des Farbenumschlages ver¬
decken.
Die von Kern 6 untersuchten Kot¬
proben gesunder Säuglinge reagierten
alkalisch. Sie waren von den Windeln
abgekratzt. Eine Vermischung mit Urin
hatte nicht stattgefunden; die von Urin
genässten Stellen der Windeln reagier¬
ten deutlich sauer und der Kot deutlich?
alkalisch. Saure Reaktion des Kuh¬
milchstuhlganges gibt Kern für den
Kot des Säuglings bei ungenügender
Ausnützung des Nahrungsfettes an.
Von Kinderärzten wurde bisher die Re¬
aktion des Kotes verhältnismässig am
häufigsten geprüft, da Biedert schon
vor mehr als zwei Jahrzehnten die Wich¬
tigkeit dieser Reaktionsprüfung gezeigt
und seitdem mehrfach wieder betont hat
Volle Würdigung haben allerdings die
Hinweise B i e d e r t’s nicht überall ge¬
funden.
Im Darme spielen sich zwei chemische
Prozesse ab: eine saure Gärung mit
Oxydation und eine alkalische Fäulnis,
mit Reduktion. Erstere ergibt wasser¬
lösliche sauer reagierende Stoffe, letzte¬
re Ammoniak. Beide Vorgänge gehen
neben einander her, obwohl immer der
eine oder andere überwiegt. Der über¬
wiegende bedingt die Lakmusreaktion.
6) Deutsche Aerzte-Zeitung 1905, S. 146.
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Original fro-m
HARVARD UNIVERSUM
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
269
Die stets vorhandenen höheren freien
Fettsäuren des Kotes beteiligen sich we¬
gen ungenügender Löslichkeit im Was¬
ser nicht an der Reaktion auf Lakmus.
Die Azidität des Kotes ist darnach da¬
von abhängig, welche Pilzkolonien im
Darm überwiegen. Zum Teil schliessen
sich auch Pilze gegenseitig aus. F o r -
cart 7 stellte mit Urin im Reagenzglase
fest, dass Bakterium coli und Staphy¬
lokokken neben einander vegetieren kön¬
nen, dass dagegen Streptokokken vom
Bakterium coli und dieses vom Proteus
verdrängt werden. Die Erreger der
sauren Gärung und der Fäulnis im Dar¬
me sind trotz der vielen bakteriologi¬
schen Arbeiten, welche sich mit Kot be¬
schäftigt haben, noch nicht im Einzelnen
festgestellt. Es gibt Bakterienarten,
welche für das eine, und solche, welche
für das andere in Frage kommen; mit
anderen Pilzsorten steht es ähnlich.
Vor allem ist aber zu bedenken, dass
7 ) Ein Beitrag zur Frage des Antagonis¬
mus zwischen Bacterium coli und den Harn¬
stoff zersetzenden Bakterien. Inaug. Dissert.,
Basel. 1903.
bis in das unterste Ileum der Chymus
immer noch weiter verdünnt wird, so-
dass das spezifische Gewicht der betref¬
fenden Darmflüssigkeit meist unter
1004, häufig nur 1002 ist. In dieser
dünnen Flüssigkeit gedeiht vor allem die
Milchsäuregärung. Im Kolon erfolgt
dann aber rasch eine weitgehende Ein¬
dickung, in welcher die Pilze der Milch¬
säuregärung absterben müssen. Die
Fäulnispilze kommen dabei in die Ober¬
hand. Die Milchsäuregärung zersetzt
meist Stoffe der Kohlehydratgruppe und
bildet Säuren. Die Fäulniserreger zer¬
setzen meist Stickstoffsubstanzen und
bilden vorwiegend alkalische Stoffe.
Auch Selter 8 bedient sich zur Prü¬
fung der Reaktion des Kotes ausschliess¬
lich des Lakmuspapiers. Er ist sich da¬
bei wohl bewusst und hat es verschie¬
dentlich erprobt, dass bei der Prüfung
mit anderen Indikatoren (Phenolphtha¬
lein, Curcuma etc.) gewisse Unter¬
schiede bestehen. (Fortsetzung folgt)
8) Die Verwertung der Faezesuntersuchung,
S. 32.
Mitteilungen aus der neuesten Journalliteratur.
R. Marek, Prossnitz: Weitere Er¬
fahrungen in der Behandlung der
Uterusmyome.
Autor berichtet über 374 Myomkran¬
ke. Die supravaginale Amputation gibt
die besten Resultate und ist die Opera¬
tion der Wahl. Oft kommt es zu sar-
komatöser. Umwandlung des Myoms
und zu Metastasen in entfernten Orga¬
nen. Wenn die Beschwerden seitens des
Uterus geringfügig sind, so imponiert
das Leiden blos als eines des metasta¬
tisch erkrankten Organes und gibt Ver-
faser Beispiele dafür an; so wurde ein
metastatisches Lungensarkom mit Hä¬
moptoe bei nicht erkanntem Leiden des
Uterus für Lungentuberkulose gehalten.
Mit Rücksicht auf diese nicht allzu sel¬
tene sarkomatöse Degeneration ist die
Lehre von der Gutartigkeit der Myome
fallen zu lassen. Zur Röntgenbehand¬
lung lässt er Myome nur zu, falls die
Operation abgelehnt wird, falls sie aus
konstitutionellen Gründen kontraindi¬
ziert ist, falls das Klimakterium nahe ist
(Röntgenbehandlung führt zu Amenor¬
rhoe). Unter 16 röntgenbehandelten
Fällen sind neun geheilt, vier gebessert,
drei ungeheilt, zwei der letzteren wur¬
den nachträglich operiert. Die Röntgen¬
behandlung der Myome ist jedenfalls
eine wesentliche Bereicherung der The¬
rapie und hat Autor vor, dieselbe immer
mehr anzuwenden. (Wien. kl. Wschr.)
Bl. Förster, Tübingen: Klinische
Ergebnisse mit dem Abderhalden-
schen Dialysierverfahren.
In vielen Fällen klinisch sicheren
Basedows fand sich Abbau von Bade-
dow-Struma. Ovarien und Thymus. In
zweifelhaften Fällen konnte durch die
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270
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
Methode die Diagnose bestätigt und die
entsprechende Therapie mit Erfolg ein¬
geleitet werden. Auch für die Gut¬
achtertätigkeit zeigt sich die Dialysier-
methode wertvoll. Interessant sind zwei
Fälle, die Abbau von Hypophyse zeig¬
ten ; in einem zeigte sich Abbau von
Ovarialsubstanz, im anderen nicht. Im
ersten Falle Zwergwuchs mit Infantilis¬
mus (17jähriges Mädchen ohne Perio¬
de), im anderen adipöse Dystrophie hy¬
pophysärer Grundlage ohne Beteiligung,
der Geschlechtsdrüsen. Das Serum ei¬
nes 43jährigen Mannes mit feministi¬
schem Charakter (kleine Testikel, klei¬
ne* Penis) baute Hoden und Ovarien
ab. Er klagte über Beschwerden, wie
sie bei Frauen im klimakterischen Alter
auftreten. Der feministische Charakter
stimmt dazu; andere Sera hatten die
gleiche Ovarialsubstanz nicht abgebaut.
(Med. Klinik.)
Margarete Levy, Berlin, und
Walter W o 1 f f, Berlin-Wilmers¬
dorf: Kamphertherapie mit künst¬
lichem Kampher.
Durch den jetzigen Krieg ist Deutsch¬
land fast von jeder Zufuhr aus dem Aus¬
land abgeschnitten und auf die heimi¬
sche Produktion in einem Masse
angewiesen, wie es in Friedenszeiten
kaum erwartet worden ist. Wie wir bei
der Ernährung gezwungen sind, das
quantitative Verhältnis der einzelnen
Nahrungsmittel anders zu gestalten,
z. B. an Zucker mehr zu verbrauchen,
was wir an Fett sparen müssen, so müs¬
sen wir uns auf anderen Gebieten nach
Ersatz für solche Mittel umsehen, die
wir selbst nicht oder nur in kleinem
Masse produzieren. Dank dem Hoch¬
stand unserer chemischen Industrie sind
wir dazu glücklicherweise in den wich¬
tigsten Fällen in der Lage. Auch unter
unseren Arzneien gibt es eine grosse An¬
zahl ausländischer Produkte, deren Zu¬
fuhr mit einem Schlage sistiert hat, und
da der vorhandene Vorrat bei weitem
nicht ausreicht, um den Bedarf zu
decken, so müssen wir uns nach Ersatz
umsehen. Bei der Bekämpfung der mei¬
sten Krankheiten stehen uns so viele
verschiedene Mittel zur Verfügung,
dass sich ein eigentlicher Mangel hof¬
fentlich nicht fühlbar machen wird,
wenn jeder Arzt das Seine dazu beiträgt,
mit den in Frage kommenden Medika¬
menten (z. B. dem Opium und seinen
Alkaloiden) sparsam umzugehen, und
wo immer es möglich ist, unsere ein¬
heimischen Drogen oder die Erzeugnis¬
se unserer chemischen Fabriken zu ver¬
wenden. Auch der am Krankenbette
verwendete Kampher ist eine solche im¬
portierte Droge; denn von den vielen
Kampherarten, die existieren, kommt
bei uns, vom Menthol abgesehen, fast
nur eine zur Verwendung, der aus dem
Japankampherbaum (Laurus camphora)
durch Destillation gewonnene gewöhn¬
liche Kampher von der Formel C 10 H l6 O.
Die Einfuhr hat naturgemäss seit Be¬
ginn der Feindseligkeiten mit Japan auf¬
gehört.
Neben den neueren subkutan oder in¬
travenös anzu wendenden Mitteln der
Digitalisgruppe, der Gefässwirkung des
Adrenalins und dem Koffein hat der
Kampher sein Anwendungsgebiet behal¬
ten, das durch pharmakologische Arbei¬
ten am geschädigten Herzen eine bes¬
sere theoretische Unterlage erhielt.
Deshalb fragt es sich, ob der Japan-
Kampher durch ein in seiner Wirkung
ähnliches oder gleichwertiges Präparat
ersetzt werden kann.
Die Bemühungen, Kampher synthe¬
tisch darzustellen, reichen um viele Jah¬
re zurück. Nach zahlreichen vergebli¬
chen Versuchen ist es in mühevoller
Arbeit der Schering’schen Fabrik vor
mehreren Jahren gelungen, aus Terpen¬
tinöl künstlichen Kampher herzustellen;
jedoch ist er bislang in der Medizin zu
therapeutischen Zwecken kaum zur Ver¬
wendung gelangt.
Der künstliche Kampher unterscheidet
sich vom natürlichen nur dadurch, dass
er optisch inaktiv ist; während der na¬
türliche die Polarisationsebene nach
rechts dreht, handelt es sich beim künst¬
lichen um eine razemische Verbindung,
d. h. der künstliche Kampher besteht aus
Rechts- urtd Links-Kampher. Ueber
seine therapeutische Wirksamkeit ist nur
sehr wenig bekannt. G r a w i’t z, als
einziger Kliniker, hat sich seiner zur
Behandlung schwerer Anämieen bedient
und erprobte ihn auch sonst im Char¬
lottenburger Krankenhause, wie in der
später genannten Arbeit von Lan-
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HARVARD UNIVERSUM
Nsw Yorkzi Medizinische Monatsschrift.
271
g a a r d und Maass berichtet wird.
Pharmakologische Prüfungen nahmen
neben wenigen anderen Langaard
und Maass vor. Sie stellten fest, dass
zwischen dem künstlichen und natürli¬
chen Kampher nur geringe quantitative
Unterschiede bestehen. Die Aehnlich-
keit erstreckt sich nach diesen Autoren
auch auf die Wirkungslosigkeit beider
Kampher auf das normale, nicht vergif¬
tete Tierherz. Die nicht gewünschte er¬
regende Wirkung auf das Zentralner¬
vensystem tritt nach Langaard und
Maass bei dem inaktiven Kampher
eher auf als bei dem Rechts-Kampher.
Das liegt wahrscheinlich daran, dass der
künstliche Kampher ausser dem Rechts-
Kampher auch Links-Kampher enthält,
der nach Untersuchungen von Pari
dreizehnmal so giftig sein soll als der
Japan-Kampher. Langaard und
Maass kamen 1907 zu dem Resultat,
das kein Grund vorliege, den Japan-
Kampher in der Arzneibehandlung
durch den razemisehen Kampher zu er¬
setzen.
Im Hinblick darauf, dass die Vorräte
Deutschlands an Kampher bald knapp
werden könnten, hat das Ministerium
die Aufmerksamkeit der Kliniken und
Krankenhäuser auf den künstlichen
Kampher gelenkt und angeordnet, seine
Anwendung am Krankenbette zu prüfen
sowie Berichte über die Erfahrungen
einzuschicken.
Nach Erscheinen dieses Erlasses
wurde in der I. Medizinischen Klinik
der Kgl. Charite angefangen, syntheti¬
schen Kampher zu verwenden.
Die Indikationen waren dieselben wie
beim natürlichen Kampher: Herzschwä¬
che der verschiedensten Ursachen mit
ihren Folgeerscheinungen (Lungen¬
ödem). Ausserdem wurde das Präparat
bei Lungentuberkulose, Bronchitis und
Pneumonie gegeben.
Naturgemäss war es nicht möglich,
in allen Fällen genaue Prüfungen von
Blutdruck, Atmung und Puls vorzuneh¬
men, da das injektionsfreie Intervall zur
Anstellung solcher Untersuchungen oft
zu kurz war und zuweilen die ganze
Nacht hindurch in kurzen Abständen
die Injektion wiederholt wurde. Von
diesen Patienten lässt sich aber allge¬
mein sagen, das man den Eindruck be¬
kam, dass wie beim natürlichen Kam¬
pher post injectionem der Puls dem pal¬
pierenden Finger beser gespannt schien
und die Atmung an Tiefe gewann. Die
Dosierung erfolgte wie beim natürlichen
Kampher. Es wurden 0.2 bis 0.5 g, ja
manchmal bis 1.6 g gegeben, nötigen¬
falls die Injektion wiederholt.
In einer Reihe von Fällen war es
möglich, nach der Injektion genaue
Feststellungen über Blutdruck, Atmung
und Puls zu machen und die Dauer der
Wirksamkeit zu bestimmen. Es Hess
sich dabei folgendes feststellen: Nach
einer Injektion von 0.2 bis 0.5 g künst¬
lichen Kamphers geht der Blutdruck in
die Höhe und erreicht sein Maximum
zirka eine viertel Stunde nachher, um
nach einer halben bis dreiviertel Stunde
wieder auf seine ursprüngliche Tiefe
herabzugehen. Wiederholt man dann
die Injektion, so kann man neuerdings
eine Erhöhung des Blutdrucks erzielen,
d. h. das Herz verliert nicht seine An¬
spruchsfähigkeit, und man kann deshalb
die Injektion beliebig oft wiederholen.
Dieses Verhalten des Herzens zeigte
sich sehr eklatant bei einer Patientin mit
foudroyanter Magenblutung, die wäh¬
rend der Nacht viertelstündlich 0.2
Kampher erhielt. An dem der Blutung
folgenden Tage wurde der Puls, der am
Morgen kräftig und gut war, wieder
klein und frequent. Eine Injektion von
0.2 künstlichen Kamphers genügte, um
den auf 95 mm Hg gesunkenen Blut¬
druck wiederum auf 110 steigen zu las¬
sen. In einem Falle von schwerer Aor¬
teninsuffizienz mit Oedemen und über
eine Woche andauernden Anfällen von
kardialem Asthma mit Lungenödem
wurden fünf Tage lang neben Morphium
und Koffein täglich dreimal 3 ccm des
20prozentigen künstlichen Kampheröls
gegeben mit dem Erfolge, dass der Pa¬
tient, der fast moribund erschien, sich
erholte und ohne Oedeme sowie frei von
Asthma entlassen werden konnte. Hier
wirkte die Injektion vor allem auch auf
die subjektiven Symptome grösster
Herzangst deutlich beruhigend ein, und
das langdauernde Lungenödem mit
Trachealraseln wurde be^gitigt zu einer
Zeit, wo von Digitalispräparaten oder
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272
New Yoekee Medizinische Monatsscheift.
Strohphantin kein Gebrauch mehr ge¬
macht werden konnte, da die zulässige
Gesamtdosis überschritten war.
In Uebereinstimmung mit den Unter¬
suchungen beim natürlichen Kampher
Hess sich auch beim künstlichen keine
gesetzmässige Beeinflussung von At¬
mung und Pulsfrequenz feststellen. Im¬
mer aber wurde unter dem Einfluss der
Injektion die Atmung tiefer.
Spritzte man an einem Tage Patien¬
ten mit natürlichem Kampher und nach
Abklingen der Wirkung mit künst¬
lichem, so bestand kein Unterschied
zwischen beiden Kampherarten. Das
rasche Nachlassen der Wirkung teilt der
künstliche Kampher mit dem natürli¬
chen, eine Eigenschaft, die man viel¬
leicht auf die rasche Ausscheidung bei¬
der zurückführen kann. In einigen
untersuchten Fällen Hessen sich schon
eine Viertelstunde nach Injektion von
0.2 g Kampher im Urin reduzierende
Körper durch einen positiven Ausfall
der X y 1 a n d e r’schen Reaktion nach-
weisen, nach einer halben Stunde gelang
der Nachweis nicht mehr. Beim gesun¬
den Menschen erwies sich auch der
künstliche Kampher als völlig wirkungs¬
los auf das Herz.
(Geschah die bisher geschilderte Prü¬
fung des Präparats, um festzustellen, ob
der künstliche Kampher dem natürlichen
für die Verwendung als Stimulans bei
Herzschwäche nicht nachstünde, so
wurde ferner geprüft, ob auch die chro¬
nische Kamphertherapie ebensogut mit
dem synthetischen Kampher durchführ¬
bar ist wie mit dem Japan-Kampher.
Die chronische Kamphertherapie ist seit
langem bei Lungentuberkulose, z. B. von
A 1 e x a n d e r und Koch empfohlen
worden. Die bestehenden Wirkungen
auf das Allgemeinbefinden und die ka¬
tarrhalischen Erscheinungen haben auch
bei diesem Mittel wie bei vielen anderen
dazu geführt, dass manche in dem Kam¬
pher ein Spezifikum gegen Tuberkulose
sahen. Es ist das aber ebensowenig der
Fall wie bei den vielen anderen empfoh¬
lenen und wieder vergessenen Mitteln
gegen die Tuberkulose. Der Kampher
wirkt wie auch der Mentha-Kampher,
das Menthol und das Eukalvptol vor¬
züglich auf die Expektoration und ist
sogar als Fxpektorans besonders für
langdauernden Gebrauch den intern an¬
zuwendenden Medikamenten vorzuzie¬
hen. Mag man ihn bei klinisch behan¬
delten Patienten subkutan anwenden
oder in der Ambulanz als Einreibung,
als Oleum camphoratum und linim. sa-
ponato-camphoratum. Ausser' der ex-
pektorierenden kommt hierbei noch eine
leichte antipyretische Wirkung in Be¬
tracht, die sich häufig bei Temparatur-
steigerungen der Tuberkulösen bewährt,
aber auch in Fällen chronischer Pneu¬
monie ohne Lösung ausgenutzt zu wer¬
den verdient. Auch hier hat sich der
künstliche Kampher als ebenso wirksam
und ebenso unschädlich erwiesen. Schäd¬
liche Wirkungen auf die Nieren wurden
nicht beobachtet. Man gibt zweck¬
mässig 1X2 ccm der 20prozentigen
öligen Lösung ein- bis zweimal am Tage
im Anfang und schliesslich ähnlich der
von Berliner empfohlenen Menthol-
Eukalyptoltherapie täglich oder einen
um den anderen Tag 1 ccm subkutan.
Diese Verwendung ist empfehlenswert
ausser bei Tuberkulose auch bei chroni¬
schen und subchronischen Bronchitiden,
bei Fiebernden in Verbindung mit leich¬
ten Antipyreticis oder hydrotherapeuti¬
schen Prozeduren, bei Nichtfiebernden
als einziges Medikament oder in Verbin¬
dung mit hustenstillenden Mitteln.
Schliesslich bleibt noch ein Wort über
die Kamphertherapie der- kroupösen
Pneumonie zu sagen. Die von Mor-
genroth inaugurierte vielverspre¬
chende Optochintherapie ist klinisch
noch nicht so ausgiebig erprobt, dass sie
schon jetzt Eingang in die Allgemein¬
praxis gefunden hat.
Wir besitzen aber im Kampher ein
Mittel, das wegen seiner vorzüglichen
Wirkung bei der Lungenentzündung
noch grössere Beachtung verdient als
ihm bisher geschenkt wurde. Verfasser
sprechen dabei nicht von der exzitieren¬
den Kampherwirkung, nicht von der
Anwendung wiederholter kleiner Dosen
bei Herzschwäche, sie sprechen hier von
der Anwendung des Kamphers in mas¬
siven Dosen. Sie wenden diese grossen
Dosen gern an und geben wie H ö t z e 1
durchschnittlich 10 ccm des 20prozenti-
gen Kampheröls zweimal am Tage.
Wenn auch von Morgenroth dar¬
auf hingewiesen wird, dass es kampher-
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
273
feste Pnenmokokkenstämme gibt, so
sind die Vorzüge des Kamphers so
grosse und vielseitige, dass die Verfas¬
ser glauben möchten, dass sich die Zahl
der Anhänger dieser Therapie rasch ver¬
mehren wird. Der Kampher wirkt hier
erstens stimulierend auf das Herz, das
bei dieser Krankheit besonders viel zu
leisten hat; zweitens als Expektorans,
auch hier besser als jedes andere der be¬
kannten Mittel. Er wirkt drittens spe¬
zifisch auf die Pneumokokkeninfektion
— wenn auch nicht in allen Fällen —
und dadurch temperaturherabsetzend.
Die Atmung wird freier und müheloser,
die Dyspnoe nimmt ab, die Zyanose
wird geringer, das Abhusten geht leich¬
ter vonstatten, das subjektive Befinden
hebt sich bedeutend, und in vielen Fäl¬
len sinkt die Temperatur in drei bis vier
Tagen zur Norm, um nicht wieder anzu¬
steigen, wenn man das Mittel nicht zu
frühzeitig aussetzt. Auch bei der Pneu¬
monie wurde an Stelle des Japan-Kam-
phers der künstliche Kampher versucht;
allerdings haben Verf. bisher nicht über
8 ccm des Oleum forte, also 1.6 g pro
dosi und 3.2 g pro die gegeben. In ei¬
nem Falle von Oberlappenpneumonie,
der drei Wochen lang 2 bis 2.4 g pro
die erhielt, wurden dabei eine für den
Patienten nicht unangenehme Müdig¬
keit und Schlafbedürfnis beobachtet, die
aber z. B. die regelmässige Nahrungs¬
aufnahme nicht hinderten und die auch
bei den gleichen Dosen natürlichen
Kamphers in Erscheinung traten. Im¬
merhin wird man bei Anwendung dieser
massiven Dosen Vorsicht walten lassen,
man wird sich erinnern, dass im razemi-
schen Kampher auch der Linkskampher
vorhanden ist, der, wie oben erwähnt,
3mal so giftig ist als der Japankampher.
Man hat ferner zu bedenken, dass der
Kampher an Glykuronsäure gebunden
ausgeschieden wird und deshalb bei
Hungernden eventuell Vergiftungs¬
erscheinungen auftreten könnten. Für
gewöhnlich scheint eine erhebliche .Ge¬
fahr nicht vorzuliegen, da die Ausschei¬
dung, wie oben erwähnt, überaus schnell
vonstatten geht.
Niemals sind Erregungszustände be¬
obachtet worden, die nach den Lehrbü¬
chern eigentlich vor Eintreten der Mat¬
tigkeit und des Schlafbedürfnisses
auftreten sollen. Wohl aber haben Verf.
starke Transpiration bemerkt, diese aber
ebenso beim natürlichen wie beim künst¬
lichen Kampher.
Bei den grossen Oeldosen ist es
zweckmässig, die Injektionsstellen zu
wechseln. Man wähle die Inguinal¬
gegend abwechselnd mit den seitlichen
Partieen des Oberschenkels bis hinauf
in die Trochantergegend und spritze
eventuell epifaszial, wie Wechsel-
m a n n es für die Neosalvarsaninjektion
empfiehlt.
Alles in allem kann man sagen, dass
wir im künstlichen Kampher ein Präpa¬
rat besitzen, das in den allermeisten
Fällen den früher allein verwandten
Japankampher ersetzen kann Nur bei
der Verwendung von Dosen, die 1 g
Kampher pro dosi überschreiten, sei
man bei dem künstlichen Kampheröl et¬
was vorsichtiger, als es bei dem na¬
türlichen erforderlich gewesen ist.
(Therap. d. Gegenw., März 1915.)
Sitzungsberichte.
Deutsche Medizinische Gesellschaft der Stadt New York.
Sitzung, Montag, den 1. März 1915.
Präsident Dr. W. Freudenthal
eröffnet die Sitzung um J / 2 9 Uhr.
Sekretär Dr. A. Stein verliest das
Protokoll der Sitzung vom 3. Februar
und 4. Januar. Beide Protokolle wer¬
den genehmigt.
Sekretär Dr. A. Stein verliest so¬
dann das Protokoll der Sitzung des Ver¬
waltungsrats vom 19. Februar, wonach
die Frage der Beibehaltung des Lunch
dem Plenum zur Entscheidung vorge¬
legt werden soll.
Präsident D. W. Freudenthal
bemerkt hierzu, dass grade heute ein
neuer Oekonom angetreten sei, der ver-
Qriginal fro-m
HARVARD UNIVERSiTY
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Google
274
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
sprochen habe, gute Sachen zu liefern.
Unter den Umständen sei es vielleicht
das beste, die Abstimmung über die Fra¬
ge zu verschieben.
Auf Antrag von Dr. Carl Pfister
beschliesst die Versammlung, die Sache
bis zur nächsten Sitzung zu verschieben.
Präsident Dr. W. Freudenthal
teilt ferner mit, dass er nach der Sitz¬
ung des Verwaltungsrats einen Brief
von dem Deutsch-Amerikanischen Lite¬
rarischen Verteidigungs-Ausschuss er¬
halten habe, der die Deutsche Medizini¬
sche Gesellschaft um Unterstützung
bitte. Ein Vorschlag des Verwaltungs¬
rats liege nicht vor, sodass die Versamm¬
lung selbst darüber entscheiden möge.
Auf Antrag von Dr. Carl Pfister
beschliesst die Versammlung, dem Lite¬
rarischen Verteidigungsausschuss mit¬
zuteilen, dass die Deutsche Medizinische
Gesellschaft als wissenschaftlicher Ver¬
ein ihre Fonds nicht für Zwecke wie die
des Verteidigungs-Ausschusses verwen¬
den könne.
Inzwischen sind die Stimmzettel ver¬
teilt und eingesammelt worden, und
Präsident Dr. W. Freudenthal
verkündet darauf, dass sämtliche Kandi¬
daten zu Mitgliedern der Gesellschaft
gewählt worden sind.
Hierauf tritt die Versammlung in die
Tagesordnung ein.
sie.
Vorträge.
1. Dr. Herman Fischer: Die
lokale Anästhesie in der Chirurgie.
2. Dr. Percy Fridenberg:
Die lokale Anästhesie in der Ophthal¬
mologie.
3. Dr. Richard Jordan: Die
lokale Anästhesie in der Oto-Laryn-
gologie.
4. Dr. Hermann J. Boldt: Die
intraspinale Anästhesie.
5. Dr. Charles Eisberg: Die
intratracheale Insufflations - Anästhe-
Diskussion.
Dr. G watlime y, der als Gast der
Gesellschaft vom Präsidenten vorge¬
stellt und willkommen geheissen wird,
diskutiert den Vortrag in englischer
Sprache.
Dr. S. J. Meitzer: Ich habe eigent¬
lich wenig zu sagen. Es wird hier über
die Narkose des Menschen diskutiert,
und darüber habe ich persönlich keine
Erfahrung. Vielleicht darf ich aber fol¬
gendes Erlebnis erwähnen. Es war im
Jahre 1882 oder 1883 in Berlin beim
Chirurgenkongress. In der Diskussion
der Frage, ob Aether oder Chloroform,
sagte mein alter Lehrer B a r d e 1 e -
ben: „Ich habe jetzt 33,000 Narkosen
mit Chloroform ausgeführt und habe
keinen Patienten verloren; ich werde
deswegen beim Chloroform bleiben/ 1 Im
nächsten Jahre berichtete er jedoch, dass
er im verflossenen Jahre zwei oder drei
Fälle von Chloroformnarkose verloren
hatte. Man darf eben über ein gewisses
Verfahren oder ein gewisses Narkoti¬
kum auch auf Grund von 100, 500 oder
1000 Fällen noch kein definitives Urteil
abgeben. Glücklicherweise ist der
Mensch versorgt mit dem, was ich vor
einigen Jahren „factors of safety“ ge¬
nannt habe. Es ist ganz erstaunlich,
wieviel ein Mensch aushalten kann und
was man ihm bieten darf. Ich habe das
als früherer praktischer Arzt vielfach in
meiner eigenen Praxis erfahren und
habe es in der Tätigkeit anderer Aerzte
gesehen. Ich möchte daher kein Urteil
über den Wert irgend einer Methode
oder eines Narkotikums abgeben auf
Grund von statistischen Angaben, wel¬
che auf relativ kleinen Zahlen beruhen.
Vielleicht darf ich ein Wort über die
intratracheale Anästhesie sagen, weil
mein Name ein wenig mit der Methode
verknüpft ist. Ein wesentlicher Punkt
unterscheidet diese Methode von allen
anderen Viethoden. Man ist sich dar¬
über nicht völlig klar, dass bei jeder
Form der allgemeinen Narkose, der In¬
halations-, der intravenösen oder der
intrarektalen Narkose, es sich um eine
V ergiftung des Respirationszentrums
handelt. Die „factors of safety“ der
Atemfunktion sind so gross, dass der
narkotisierte Mensch diese Vergiftung
gewöhnlich aushalten kann. Am schla¬
gendsten sieht man es bei der Ueber-
druckmethode, wenn eine thorakale
Operation gemacht wird, wo die Respi¬
ration nur mit 1/10 der Funktion arbei¬
tet. Dennoch sterben nur sehr wenige
in der genannten Prozedur. Die Respi¬
rationsfunktion. wie jede andere Funk-
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tion des Körpers, kann mit 1/10, % der
Funktion für eine Zeit weiter arbeiten.
Doch wenn man die Sache näher stu¬
diert, findet man bei den gewöhnlichen
Narkosen, dass in kurzer Zeit das Respi¬
rationszentrum mehr. oder weniger
asphyktisch wird. Der Patient atmet
oberflächlich weiter und kommt damit
aus. Kommt aber irgend ein Zwischen¬
fall vor, oder handelt es sich um einen
Menschen, der geringen Widerstand be¬
sitzt, da auf einmal reicht diese Respira¬
tionsfunktion nicht mehr aus. Nun, da¬
rin unterscheidet sich die intratracheale
Narkose von allen anderen Methoden
der Narkose; sie ist gleichzeitig beglei¬
tet von einer zuverlässigen künstlichen
Atmung. Die Atmungsfunktion ist
nach dieser Methode sogar besser ver¬
sorgt als im normalen Zustand. Daher
bleibt unter dieser Methode der Patient
völlig frei vom Shock, wie jeder weiss,
der damit gearbeitet hat. Ich darf viel¬
leicht auch die Engländer zitieren, die
gewiss nicht so leicht geneigt sind, eine
neue Sache anzunehmen, wenn sie na¬
mentlich nicht von ihnen selbst herrührt.
Man hat die Methode der intratrachea¬
len Insufflation in London mit grossem
Enthusiasmus aufgenommen; auch die
dortigen Erfahrungen bezeugen einstim¬
mig, das in der intratrachealen Insuffla¬
tion Shock ein sehr seltenes Ereignis ist.
Dr. Franz Torek: Das Thema der
Vorträge, die wir gehört, ist eines jener
Themen, die uns alle interessieren, ob
wir Chirurgen sind oder Mediziner, und
das, was uns geboten wurde, ist so reich¬
haltig, dass man Stunden lang darüber
diskutieren könnte. Dr. Fischer hat
im grossen ganzen alles dargelegt, was
bei der lokalen Anästhesie in Betracht
kommt. Ich möchte nur noch sagen,
dass einige Operationen, bei denen wir
früher ganz besonders die Aspirations¬
gefahr fürchteten, wie z. B. die Resek¬
tion des Oberkiefers oder des Larynx,
jetzt bequem mit der lokalen Anästhesie
gemacht werden können. Ich mache
diese beiden Operationen jetzt selten in
anderer Weisee.
Ich möchte so manches über die ein¬
zelnen Vorträge sagen, ich muss aber
darüber hinweggehen, um mich über
einen Punkt, die rektale Anästhesie, zu
äussern. Wenn wir bei dieser auch
meistens gute Narkosen erzielen, so
spricht dies noch immer nicht für abso¬
lute Sicherheit der Methode, selbst
wenn wir hintereinander hundert Fälle
mit bestem Erfolge zu verzeichnen ha¬
ben. In dieser Beziehung sollten wir
uns die Worte, die Dr. Meitzer ge¬
sprochen hat, sehr zu Herzen nehmen,
nämlich, dass eine noch so lange Reihe
von Fällen, die gut verlaufen sind, uns
nicht zu der Ueberzeugung bringen soll¬
te, dass deswegen die Methode sicher
ist. Ein einziger Fall, der das Gegen¬
teil beweist, ist viel mehr wert als eine
Reihe von hundert öder mehreren hun¬
dert erfolgreichen Fällen. Deshalb
möchte ich über einen Fall von rektaler
Anästhesie berichten, der tötlich ausge¬
gangen ist. Um zu zeigen, dass der Tod
nicht aus anderen Ursachen, Herzkol¬
laps oder Blutung, eingetreten ist, muss
ich auf kleine Einzelheiten eingehen und
werlese Ihnen den Krankenbericht:
„Es handelte sich um einen 48 Jahre
alten Mann mit Blumenkohlkarzinom
des linken Oberkiefers, das sich auf den
weichen Gaumen erstreckt und auf die
Submaxillar- und Zervikaldrüsen über¬
gegriffen hatte. Er wog 138 Pfund und
war in gutem Gesundheitszustände.
„Die Entfernung der Drüsen und die
Unterbindung der linken Carotis exter¬
na wurde unter Inhalationsnarkose ohne
irgendwelchen Zwischenfall ausgeführt.
Es erfolgte prompte, glatte Heilung.
„Eine Woche später wurde die Resek¬
tion des Oberkiefers unter rektaler Oel-
Aethernarkose ausgeführt. Die Vorbe¬
reitung geschah in der üblichen Weise.
Am Nachmittag vor der Operation wur¬
de Rizinusöl verabreicht und spät
abends ein Seifenklystier gegeben. Am
Morgen der Operation, 6 Uhr, Mast¬
darmausspülung, bis das Wasser klar
zurückkam. Um 7.45 Uhr wurde Chlo¬
reton 0.6 in Aether 12.0 und Oel 4.0
ins Rektum gespritzt. Um 8 Uhr Mor¬
phin 0.01. Um 8.25 Uhr wurde die
Narkosenmischung bestehend aus Aether
180.0 und Oel 60.0 in den Mastdarm
eingeführt. Um diese Zeit war der Puls
90, Respiration 20. Um 8.45 Uhr mässi-
ger Grad chirurgischer Narkose, jedoch
die oberflächlichen Reflexe noch nicht
erloschen; Puls 72, Respiration 20.
Leichte Zyanose, welche durch Hervor-
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ziehen der Zunge mittelst durch dieselbe
geführten Seidenfadens behoben wird.
„Um 9.20 Uhr Puls 72, Respiration
20. Novokain x / 2 Prozent mit Suprare-
nin am Operationsgebiet eingespritzt,
um die Blutung möglichst einzuschrän¬
ken. Operationsmethode nach Ko¬
cher. Um 10 Uhr mässige Zyanose,
daher Auswaschung des Rektums, wo¬
rauf die Zyanose nachliess, aber nicht
vollständig verschwand. Die Blutung
während der Operation war mässig und
lies sich leicht kontrollieren. Der Faden
wurde in der Zunge belassen, damit die
Pflegerin nötigenfalls mit dessen Hilfe
dem Zurücksinken der Zunge entgegen
arbeiten könne.
„Während des ganzen Verlaufs der
Operation war eine leichte Zyanose vor¬
handen, die sich jedoch, wie schon be¬
merkt, zeitweise erhöhte. Pupillen klein
(Morphinwirkung) ; kein Erbrechen;
keine übermässige Schleimabsonderung*;
nicht der geringste Shock. Um 11 Uhr,
nach Beendigung der Operation, beweg¬
te sich der Patient etwas.“
Nicht lange, nachdem der Patient im
Bett war, sah ich ihn und fand ihn leicht
zyanotisch, mit oberflächlicher Atmung
und gutem Puls. Nichts deutete auf ir¬
gendwelche Gefahr, und ich verliess das
Hospital; die weiteren Aufzeichnungen
stammen also ausschliesslich vom Haus¬
stabe des Hospitals:
„11.40 Uhr, Puls 78, Respiration 12.
Etwas später deutliche Zyanose. At¬
mung etwas erschwert und durch Vor¬
schieben des Unterkiefers nur wenig er¬
leichtert. Das Kopfende des Bettes
wurde nun erhöht und das Rektum
nochmals sehr sorgfältig ausgespült.
Respiration jetzt 10, Puls 84, voll und
weich. Kampheröl 1.5, Strychnin 0.002,
und Atropin 0.0006 werden eingespritzt.
Zehn Minuten später immer noch Zya¬
nose, aber Respiration auf 19 gestiegen;
Puls voll und weich. Um 12.05 Uhr
Puls 56, Respiration 8. Um 12.20 Uhr
nahm das Gesicht ein teigiges Aussehen
an; läppen, Ohren und Hände zyano¬
tisch : Atmung seicht, unregelmässig,
infrequent, erschwert; Puls kaum fühl¬
bar ; Haut kalt und feucht. Intravenöse
Salzwasserinfusion wird verabreicht,
das Fussende des Bettes wird erhöht,
Adrenalin wird in die Karotis injiziert,
Kampher und Atropin hypodermatisch r
Hitze wird am Körper appliziert, künst¬
liche Atmung, jedoch Exitus um 12.45
Uhr.“
Nach dieser Beschreibung unterliegt
es kaum einem Zweifel, dass es sich um
Paralyse des Respirationszentrums han¬
delte infolge einer zu grossen Dose des
Narkotikums, denn die Herztätigkeit
war bis kurz vor dem Tode gut und die
Möglichkeit einer Erstickung absolut
ausgeschlossen, denn die Herren Haus¬
ärzte, welche den Fall mit grossem In¬
teresse beobachten, stellten dies in Ab¬
rede. Durch Zurücklassen des Fadens
in der Zunge Hess sich letztere leicht
kontrollieren. Eine Möglichkeit von
Tod infolge verborgener Blutung war
auch ausgeschlossen.
Dieser Fall zeigt also ganz deutlich,
dass die rektale Narkose mit Oel und
Aether ihre Gefahren hat grade so wie
alle anderen Methoden der Anästhesie.
Sie hat sogar eine Gefahr mehr, nämlich
die, dass das ganze Narkotikum, das wir
gebrauchen, auf einmal eingeführt wer¬
den muss und dass, wie der beschriebene
Fall zeigt, selbst die nachträgliche Aus¬
waschung des Rektums nicht genügt,
um einen gefahrbringenden Ueberschuss
zu entfernen. Aus der genauen Angabe
der Zeit ersehen Sie, dass der gefähr¬
liche Zustand eintrat, als der Patient
schon über eine Stunde im Bett war.
Mit anderen Worten, die Narkose wur¬
de immer tiefer, nachdem die Operation
schon beendet war, bis sie schliesslich so
tief war, dass sich eine Paralyse des
Respirationszentrums einstellte. Die nö¬
tige Dosis muss bei jeder Narkose im
Voraus abgeschätzt werden und das ist
nicht immer möglich. Das Körperge¬
wicht ist hierbei nicht ein verlässlicher
Massstab. Wenn man zu wenig gibt,
hat man keine Narkose, denn ein Nach¬
giessen ins Rektum nützt nichts. Des¬
halb hat diese Form der Anästhesie eine
Gefahr ausser denen, welche jeder an¬
deren Narkose anhaften.
Dr. W. Freudenthal: Gestatten
Sie mir, auch ein Wort zu sagen und
zwar zu den Bemerkungen von Dr. Jo r-
d a n. Er sagte, es sei nicht geraten,
Kokain- und Adrenalinlösung in die
Tonsillen einzuspritzen. Das entspricht
nicht ganz meiner Erfahrung. Man
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darf wohl einspritzen, nur ist Vorsicht
geboten. Ich habe eine akute Intoxika¬
tion erlebt nach Einspritzung von Adre¬
nalin, und möchte den Fall noch kurz
erwähnen. Er betrifft ja ein so ausser¬
ordentlich wertvolles Mittel, das wir
jeden Tag und fast jede Stunde gebrau¬
chen. Es handelte sich um eine Opera¬
tion wegen Deviatio septi nar. Ein As¬
sistent von mir hatte gesehen, dass ich
Adrenalin in die Mukosa einspritzte,
und ich hatte ihm gezeigt, wie wün¬
schenswert es sei, eine Quaddelbildung
hervorzurufen. Während ich nun mei¬
ne Hände wusch, injizierte er eine nicht
verdünnte Lösung von Adrenalin,
1:10000, und zwar eine ganze Spritze
mit einem Mal. Zufälligerweise drehte
ich mich um und sah den Patienten an.
Ich kann seine Farbe kaum beschreiben.
Er war totenbleich, das ist das einzige
Wort, das ich dafür finden kann. Die
Respiration hörte in demselben Moment
auf. Wir versuchten alles Mögliche.
Es waren zufällig eine ganze Anzahl er¬
fahrener Chirurgen anwesend, die alle
halfen. Aber es war nichts zu machen.
Es war sofortiger Herzstillstand einge¬
treten. Ich untersuchte die Literatur
und fand, dass eine ganze Anzahl Pa¬
tienten an einer akuten Adrenalin-Ver¬
giftung gestorben sind. Ein Herr hier
in New York berichtet drei Fälle aus
seiner eigenen Praxis, und er beschreibt
die Symptome so genau, wie viel Adre¬
nalin er genommen hat etc., dass gar
kein Zweifel ist. dass alle drei an akuter
Adrenalinvergiftung gestorben sind.
Dr. Harris von hier teilte mir auch
einen Fall mit. Selbst Einspritzung von
Adrenalin in die Haut ist manchmal
nicht ohne Gefahr. Ein Patient kam
mit einem schweren Asthmafall zu ei¬
nem Kollegen, und er spritzte, wie er
das oft getan, 10 Tropfen Adrenalin¬
lösung ein. Der Patient fiel sofort zu
Boden und wurde bleich, und der Kol¬
lege hatte 2V 2 Stunden zu arbeiten, ehe
er den Patienten wieder entlassen konn¬
te. Und doch ist Adranalin so ausser¬
ordentlich wertvoll für uns alle.
Der heutige Abend bot uns eine
grosse Genugtuung insofern, als zwei
Herren hier waren, die so Hervorragen¬
des auf diesem Gebiet geleistet haben
wie Dr. Meitzer durch seine bahn¬
brechenden Arbeiten und Dr. Eis¬
berg durch seine chirurgischen Ver¬
suche, die es Dr. T o r e k ermöglicht
haben, seine erwähnte Operation so aus¬
zuführen, wie er es getan hat. Ich glau¬
be, wir können den Herren zu ihren Er¬
folgen gratulieren.
Dr. Richard Jordan (Schluss¬
wort) : Ich möchte nur betonen, dass
Dr. F reudenthal sich vor drei Jah¬
ren durch Veröffentlichung der Adrena¬
lin-Todesfälle ein grosses Verdienst er¬
worben hat. Denn die Gefahr der Adre¬
nalin-Injektion war damals noch nicht
genügend bekannt.
Hierauf tritt Vertagung ein.
Schluss der Sitzung 11 Uhr.
Therapeutische und klinische Notizen.
— Behandlung der Frostbeulen. San.-Rat
Dr. Schwering teilt folgende, sicher wir¬
kende Behandlungsweise der Frostbeulen mit,
die in der Medizin völlig unbekannt ist.
Man überpinselt die erkrankten Hautstellen
ohne weitere Vorbereitung, trocken oder
sorgfältig abgetrocknet, reichlich mit Jodtink¬
tur, streicht, sobald sie eingetrocknet ist, dick¬
flüssiges. reines Ichthyol darüber und drückt
reichlich Watte hinein, soviel nur kleben blei¬
ben will. Strumpf oder Handschuh schützen
den Verband genügend, der je nach der
Schwere des Falles drei bis acht Tage liegen
bleiben und trocken gehalten werden muss.
Der Juckreiz ist mit Anlage des Verbandes
verschwunden, Röte und Schwellung bei Ab¬
nahme desselben.
Verfasser hat diese Behandlungsmethode in
seiner Praxis seit Jahren mit jedesmaligem
sofortigem Erfolge angewandt and bis jetzt
keinen Misserfolg gehabt. (Med. Klinik No.
47, 1914.)
— Die sedative Wirkung des Diogenals bei
Psychosen und Neurosen. In Ergänzung frü¬
herer Mitteilungen berichtete Dr. Friedrich
M ö r c h e n in Ahrweiler ausführlich über
Versuche, die er seit 1 l /i Jahren mit dem
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neuen, dem Veronal verwandten Sedativum
Diogenal, insbesondere bei chronischen Psy¬
chosen mit mehr oder weniger schweren Er-
regungs- und Unruhezuständen angestellt hat
Meist wurde Diogenal protahiert gegeben, je
nach Schwere des Falles drei- bis viermal
täglich 0.5 bis 1.5 g durch 3 bis 14 Tage hin¬
durch. Schlafmachende Wirkung trat erst bei
Einzeldosen von 2 g ab ein, die selten verab¬
reicht, aber ohne Nachteile vertragen wurden.
Zur Behandlung kamen Patienten mit Demen¬
tia praecox, Schizophrenie, halluzinatorischem
Erregtsein, Paranoia, angeborenem Schwach¬
sinn, Katatonie u.s.w. Es wurde die Erfah¬
rung gemacht, dass sich mitDiogenal sedative
Wirkungen so intensiver und nachhaltiger
Art erzielen lassen, wie sie bisher bei einem
so wenig Nebenerscheinungen bedingenden
und so wenig hypnotisch wirkenden Mittel
nicht bekannt waren. Die innere Spannung,
die Gereiztheit, der Negativismus, die Aggres¬
sivität der Kranken Hessen fast ausnahmslos
unter der protrahierten Diogenalwirkung we¬
sentlich nach. Es war ersichtlich, dass das
Medikament ein angenehmes subjektives Ge¬
fühl bei den Patienten erzeugte. Ausgezeich¬
neten sedativen Einfluss hatte Diogenal ferner
bei manisch depressiven weiblichen Kranken
in der manischen Phase. Ferner wurde es
mit gutem Erfolg gegen die Missempfindun¬
gen bei Neurasthenie sowie bei Entziehungs¬
kuren (Morphium, Opium, Alkohol) versucht.
Die unangenehmen Gefühle von Unruhe und
leichter Präkordialangst während oder nach
Entziehungskuren blieben unter der Diogenal-
anwendung geradezu aus. Unerwünschte
Nebenwirkungen wurden nicht gesehen, eben¬
sowenig wesentliche Aenderungen an Puls
und Blutdruck, Einwirkungen auf die Nieren
oder Hautausschläge. (Psychiatrisch-neurolo¬
gische Wochenschrift Nr. 50, 1914.)
Kleine Mitteilungen.
— In deutschen täglichen Zeitungen ist eine
amtliche Mahnung veröffentlicht: Keine
Furcht vor dem Fleckfieber . In manchen
Kreisen scheint die Furcht zu bestehen, dass
das in einzelnen Gefangenenlagern herr¬
schende Fleckfieber (Flecktyphus) sich aus-
breiten könne. Zu dieser Befürchtung liegt
kein Grund vor.
Das Fleckfieber hat allerdings in früheren
Jahren auch in Deutschland eine grosse Aus¬
breitung gehabt, als Fleckfieber, Hunger¬
typhus, Kriegstyphus, Lagertyphus u.s.w. Seit
den vierziger Jahren des vorigen Jahrhun¬
derts ist es in Deutschland fremd geworden,
sodass es in den letzten Jahren überhaupt
nicht mehr vorgekommen ist bis auf verein¬
zelte Fälle in den Grenzprovinzen, wo es nur
bei Landstreichern, die über die Grenze ge¬
kommen, auftrat. Aber auch in diesen Fällen
ist es über die Herbergen niedrigster Art und
die Arrestlokale für diese Leute nicht hinaus¬
gekommen.
Die Krankheit wird durch ein noch unbe¬
kanntes Mikrobium hervorgerufen, welches
ausser im Menschen nur noch in den Läusen,
und wahrscheinlich nur in Kleiderläusen vor¬
kommt. Aus verschiedenen Erscheinungen
muss man folgern, dass die Krankheitserreger
in der Laus eine gewisse Umwandlung oder
Ausreifung erfahren, denn die Läuse können
erst vier Tage später, als sie von einem Kran¬
ken Blut genossen haben, die Krankheit auf
andere übertragen.
Man war früher der Auffassung, dass die
Krankheit ansteckend wäre, namentlich durch
Berührung. Versuche an Affen und fortge¬
setzte Beobachtungen an Menschen haben aber
mit Sicherheit ergeben, dass die Krankheit
durch Berührung nicht übertragen werden
kann, sondern nur durch Läuse.
Aus dieser Eigenart der Uebertragung er¬
gibt sich die Art der Bekämpfung, wie sie in
Deutschland in den Gefangenenlagern plan-
mässig mit vollem Erfolg durchgeführt wird.
Das kaiserliche Gesundheitsamt in Berlin
hat einige Verfahren zur Vertilgung von
Kleiderläusen veröffentlicht. In den Kasseler
Lagern hat Geh.-Rat v. Gärtner aus Jena,
Prof, der Hygiene und Mitglied des Reichs¬
gesundheitsrats persönlich Anordnungen zur
Bekämpfung des Flecktyphus getroffen. Bei
den umfassenden Massregeln der deutschen
Regierung ist eine Uebertragung der Krank¬
heit auf die Bevölkerung so gut wie ausge¬
schlossen. A. Rose.
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JVIedizimscbe JVJonateecbnft
OffliUllM Orgmn dir
DtstfAts ItkAzMffte« Gdtnftaftta der Staate new ftrt,
Cbkago md ClmlaiMl.
Herausgegeben von Dr. ALBERT A. RlPPERGER
unter Mitwirkung von Dr. A. Herzfeld, Dr. H. G. Klotz und Dr. von Oefele.
Bd. XXV.
New York, April u. Mai 1915.
Nr. 11 u. 12.
Originalarbeiten.
Klinische Gesichtspunkte zur Frage der intravenösen
Vakzinetherapie bei Typhus.*
Von Professor Dr. R. Schmidt.
Unsere therapeutische Bekämpfung
des Typhus abdominalis war bisher
gewissermassen eine vorsichtige De¬
fensive, die ihren Rückhalt findet in
diätetischen und hydriatischen Mass¬
nahmen und in den allgemeinen Prin¬
zipien einer modernen Krankenpflege.
Es muss mit Nachdruck betont wer¬
den, dass die Resultate dieses vorsich¬
tigen Verhaltens am Krankenbette
sehr günstige sind und in normalen
Zeitläuften die Mortalität 5 bis 10 Pro¬
zent kaum übersteigen dürfte. Seit
ungefähr zwei Jahren sind Bestrebun¬
gen im Gange, an die Stelle der De¬
fensive eine sehr aktive Offensive zu
setzen und zwar in der Form intra¬
venöser Injektionen von lebenden oder
abgetöteten Typhusbazillen. Viel¬
leicht unter dem Einfluss der erhöhten
Aktivität unserer Kriegsstimmung ha¬
ben sich diese Bestrebungen in letzte¬
rer Zeit stärker akzentuiert. Ich will
# Nach einem am 5. März 1915 in der Wissenschaft¬
lichen Gesellschaft der deutschen Aerzte in Prag ge¬
haltenen Vortrage. Aus Prag. m. W. t 1915, Nr. 14.
den historischen Entwicklungsgang
des Problemes der intravenösen Vak¬
zinetherapie bei Typhus nur flüchtig
streifen. In einem an Anregungen ver¬
schiedener Art reichen Artikel über
„Ergebnisse und Probleme der Ty¬
phusforschung“ empfiehlt W. F o r -
net 1 ), diesen direkten Weg der Vak¬
zineeinverleibung versuchsweise zu
betreten.
I c h i k a w a berichtet 1914 über 87
mittels intravenöser Vakzineinjektion
behandelter Krankheitsfälle, mit einer
Mortalität von 10 Prozent.
Thiroloix und B a r d o n 2 ) tei¬
len ebenfalls 1913 einen Fall mit, in
welchem die intravenöse Vakzine¬
injektion kritischen Abfall der Tempe¬
ratur und rasche Heilung bewirkte.
Die zur Zeit in Oesterreich mitge¬
teilten und im Gange befindlichen Un¬
tersuchungen hinsichtlich einer Ueber-
1) Ergebnisse der inneren Medizin und Kinderheil¬
kunde, 1913.
2) Bullet, et man. de la societ£ med. des höpit. de
Paris. S. 108, 1913.
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prüfung der Methode sind wohl ange¬
regt durch die in der Wiener klini¬
schen Wochenschrift 1914, No. 45 pub¬
lizierten Erfahrungen von R. Kraus,
welcher daselbst über sehr günstige
Erfolge verschiedener argentinischer
Aerzte I. P e n a und anderer berich¬
tet. Es folgten im allgemeinen gün¬
stig lautende Mitteilungen von v. Ko¬
ran y i (Budapest) und A. Biedl
(Prag). H. Eggerth (Losoncz).
In einer demnächst erscheinenden Ar¬
beit wird mein Assistent G. Holler,
derzeit Chefarzt der k. u. k. Kranken-
und Verwundetenstation in Sternberg,
über seine Erfahrungen auf dem Ge¬
biete der intravenösen Vakzinebehand¬
lung des Typhus berichten.
Durch die Mitteilungen der letzten
Zeit ist das Thema der intravenösen
Vakzinetherapie des Typhus zur Dis¬
kussion gestellt und es erscheint mir
zweckmässig, dasselbe von klinischen
Gesichtspunkten, auf Beobachtungs¬
tatsachen und auf Ueberlegungen
fussend, zu beleuchten. Da es schon
nach den bisherigen Erfahrungen —
so berichtet A. Biedl nebst günsti¬
gen Erfolgen über zwei Fälle, welche
in unmittelbarem Anschlüsse an die
Injektion an unstillbarem Nasenbluten
zu Grunde gingen — feststeht, dass
die intravenöse Vakzineapplikation ge¬
wiss einen sehr energischen Eingriff
in das pathologisch-physiologische Ge¬
schehen des Krankheitsprozesses dar¬
stellt, so dürfte die Frage nach den
theoretischen Prämissen wohl gerecht¬
fertigt sein, da man sich zu einem
eventuell lebensbedrohlichen thera¬
peutischen Vorgehen kaum nur auf
Grund einer erst im Ausbau begriffe¬
nen Empirie entschliessen wird. Ich
halte daher die Frage für berechtigt:
„Was sollen wir uns vorstellen, wenn
wir einem Typhuskranken etwa 250
Millionen lebender oder toter Tvphus-
bazillen einspritzen ?”
Die natürliche Vorstellung dürfte
wohl dahin gehen, dass die Einspritz¬
ung eine höchst intensive Reizung des
Immunkörper produzierenden Systems
zur Folge hat. Es ergeben sich daher
zwei weitere Fragen:
1. Wohin haben wir die Immuni¬
tätskörperbildung zu lokalisieren?
Die Annahme einer derartigen Lo¬
kalisation als Arbeitshypothese hat R.
Pfeifer und A. Wassermann
zu seinen interessanten Versuchen
veranlasst, aus welchen wir wohl mit
grosser Wahrscheinlichkeit annehmen
dürfen, dass Milz, Knochenmark und
lymphatisches System als Hauptliefer¬
stätten anzusprechen sind. Vielleicht
würde es sich empfehlen, bei atypi¬
schem Ablauf der Immunkörperpro¬
duktion, Ausbleiben oder sehr verspä¬
tetem Auftreten einer Agglutininbil¬
dung und dergleichen, auch die jewei¬
lige Eigenart der endokrinen Drüsen
in Betracht zu ziehen. Ich hatte in
der letzten Sitzung Gelegenheit, einen
Fall von Typhus bei operiertem Ba¬
sedow zu demonstrieren, der auffal¬
lend war durch die grosse Zahl der be¬
stehenden Atypien.
2. In welchem Zustande funktionel¬
ler Leistungsfähigkeit befindet sich im
konkreten Falle das wenigstens in sei¬
nen Umrissen schon sichtbar werden¬
de System?
Hier sind auf Grund biologischer
Vorstellungen verschiedene Möglich¬
keiten offen. Das System ist z. B., wie
wir es vielleicht in Fällen von Status
thymico-lymphaticus anzunehmen be¬
rechtigt sind, konstitutionell minder¬
wertig angelegt, durch die im Gange
befindliche Typhuserkrankung schon
abnorm belastet und ohne Reserve¬
kraft. „Spritzen“ wir in einem derar¬
tigen Falle, so liegt der Gedanke nahe,
dass wir nicht nützen, sondern scha¬
den. Es ist aber auch gewiss der Fall
denkbar, dass das System sich nur tor¬
pide verhält gegenüber den einwirken¬
den Reizen und durch Verstärkung
des Reizes reichliche Antikörperpro¬
duktion erzwungen werden kann und
es so eventuell zu einer Abtötung der
Typhusbazillen wenigstens in der
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Blutbahn kommt. Ueber diesen
Punkt, über eventuell erhöhte Bakteri-
zidie des Serums und dergleichen lie¬
gen bisher keine genügenden Untersu¬
chungen vor. Hinsichtlich der Mög¬
lichkeit einer Abtötung der Mikroben
in Gallenblase, Stuhl und dergleichen
wird man allerdings a priori sich be¬
sonderen Hoffnungen nicht hingeben
können.
Sich über das Wesen der heilenden
Potenzen eines therapeutischen Ver¬
fahrens Vorstellungen zu bilden, ist
wohl das Bestreben jedes denkenden
Arztes und in diesem Sinne möge das
Vorgebrachte beurteilt werden. Auch
R. Kraus hat sich naturgemäss die
Frage vorgelegt, ob bei den anschei¬
nend günstigen Erfolgen argentini¬
scher Aerzte Antikörperbildung im
Spiele sei oder vielleicht anaphylakti¬
sche Phänomene in Betracht kämen.
Er gelangt bei seinen theoretischen
Erwägungen zur Negierung beider
Möglichkeiten, da er nach seinen Be¬
obachtungen mit intravenöser Injek¬
tion von Bakterium Koli-Vakzine bei
Typhus abdominalis eine ganz ähn¬
liche Beeinflussung gefunden zu haben
glaubt, wie mit Typhusvakzine. Auch
anderweitige Infektionsprozesse, so
Strepto- und Staphylokokken und
Pyocyaneusmykosen sollen auf Bakte¬
rium Koli-Vakzine sehr günstig rea¬
gieren. R. Kraus gelangt, wie schon
betont, auf Grund dieser Versuche zur
Ablehnung der Annahme einer spezi¬
fischen Wirkung der Typhusvakzine.
Ich möchte nun allerdings glauben,
dass dieser Schluss nicht einwandfrei
ist. Wir sind doch nicht imstande, das
gesamte biochemische Geschehen
nach Injektion von Typhusvakzine
einerseits und Koli-Vakzine anderer¬
seits zu überblicken. Was wir beob¬
achten, sind vielleicht nur Partial¬
phänomene. Zwei Grössen können ei¬
nen gemeinsamen Faktor haben und
doch ganz verschieden sein. Zwei po-
lyedrische Körper können in einer
ihrer Oberflächen sich vollkommen
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gleichen bei ganz differenter geometri¬
scher Formel. Ich möchte glauben,
dass die Schlussfolgerungen, welche
R. Kraus aus seinen Koliexperimen-
ten zieht, insofern über das Ziel hin-
ausschiessen als er eine spezifische
Einwirkung ganz in Abrede stellt.
Möchte mich aber durchaus der Auf¬
fassung anschliessen, dass hier auch
eine unspezifische Komponente zur
W irkung gelangt. Auch Tuberkulin¬
wirkung setzt sich gewiss aus einer
spezifischen und unspezifischen Quote
zusammen. Verschiedenen Eiweiss¬
körpern resp. Abbauprodukten dersel¬
ben scheint eben besonders bei direk¬
ter Einverleibung in die Blutbahn eine
mächtig aufpeitschende Wirkung auf
den Organismus zuzukommen.
Durch die eben entwickelten Vor¬
stellungen sind, glaube ich, Prämissen
gegeben, welche die Möglichkeit einer
therapeutischen Wirkung nicht a limi¬
ne ausgeschlossen erscheinen lassen.
Falls man sich nunmehr prinzipiell
zur Anwendung der intravenösen Vak¬
zinetherapie bei Typhus entschliesst,
steht man zunächst vor dem Problem:
In welchen Fällen von Typhus soll
man spritzen? Oder eine Frage, die
mir leichter zu beantworten scheint:
In welchen Fällen soll man die Injek¬
tion unterlassen ? Schon I c h i k a w a
hat über das Auftreten von Blutungen
nach intravenöser Vakzineinjektion
berichtet: Teils waren es Darmblu¬
tungen, teils Blutungen aus der Lun¬
ge, aus der Nase und in die Haut. A.
B i e d 1 stellt unter Hinweis auf zwei
Fälle, welche in unmittelbarem An¬
schluss an die Injektion an unstillba¬
rem Nasenbluten zugrunde gingen, als
unbedingte Kontraindikation auf
„Blutungen irgendwelcher Art." Bei
Aufrechterhaltung dieser Kontraindi¬
kation in voller Schärfe wäre nun al¬
lerdings die Indikationssphäre der in¬
travenösen Vakzinetherapie hochgra¬
digst eingeengt. Nasenbluten zählt
bekanntlich zu den häufigen Sympto¬
men eines Typhus, tritt nicht selten
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Nsw Youeb Medizinische Monatsschrift.
als Frühsymptom auf und kann sich
jederzeit im Verlaufe der Erkrankung
einstellen. Auch wäre zu bedenken,
dass ein sich vorbereitendes, noch nicht
stattgefundenes Nasenbluten, also ge-
wisermassen die Tendenz zum Nasen¬
bluten ebenso als Kontraindikation
gelten müsste, wie eine schon stattge¬
fundene Epistaxis. Die Schwierigkei¬
ten sind hier also gross. Ich möchte
empfehlen, hier besonders die Vorge¬
schichte der Kranken zu berücksichti¬
gen. Es gibt geborene Nasenbluter.
Wenn wir die Vorgeschichte von
Phthisikern, von Magengeschwür-
kranken, von Chlorosen und Leukä¬
mien zurückgehen, so erfahren wir
nicht selten, dass die Kranken an häu¬
figem und intensivem Nasenbluten zu
leiden hatten. In derartigen Fällen
w r äre natürlich ganz besondere Vor¬
sicht am Platze, während vielleicht ein
gelegentliches Nasenbluten im Ver¬
laufe eines Typhus weniger schwer in
die Wagschale fällt. Leider hängt
über der intravenösen Vakzinetherapie
auch das Damoklesschwert der Darm¬
blutung, falls wir uns nicht streng¬
stens auf die erste und zweite Woche
beschränken; die genaue Datierung
dürfte gelegentlich schwierig sein.
Leider sind wir im jeweiligen Falle
über die Zahl der Geschwüre, über die
Tiefe derselben, über eine eventull
sich vorbreitende Gefässarrosion im
Unklaren. Jedenfalls müsste man bei
Kranken zwischen 40 und 50 Jahren,
die bekanntlich besonders zu Darm¬
blutungen neigen, gerade in dieser
Hinsicht ausserordentlich vorsichtig
sein. Auf jeden Fall möchte ich em¬
pfehlen, die Untersuchung auf okkulte
Darmblutung nie zu unterlassen. Die
Möglichkeit profuser Menstrualblu¬
tungen, beginnender Gravidität, die
herabgesetzte Gerinnungsfähigkeit des
Blutes bei Konstitutionen, welche un¬
ter thyreotoxischem Einflüsse stehen,
wären gleichermasen zu berücksichti¬
gen. Weiterhin kämen bei Typhen der
dritten Woche Darmgeschwüre nicht
nur als eventuelle Quelle schwerer
Blutungen, sondern auch vom Stand¬
punkte der Perforationsgefahr in Be¬
tracht. Bei stark in die Tiefe vorge¬
drungenen Ulzerationen ist selbstver¬
ständlicherweise absolute Ruhigstel¬
lung des Kranken oberstes Prinzip.
Schüttelfröste oder gar Krämpfe, wie
sie A. B i e d 1 in einem seiner Fälle
beobachtete, müssen unter solchen
Umständen wohl als sehr unerwünscht
erscheinen. Als weitere Kontraindi¬
kation haben Schwächezustände des
kardiovaskulären Systems zu gelten,
deren exakte Einschätzung und Ueber-
prüfung allerdings gerade bei Typhus¬
kranken auf Schwierigkeiten stossen
kann.
G. Holler empfiehlt in seiner im
Druck begriffenen Arbeit im An¬
schlüsse an die Vakzineinjektion mit
Kampfer und Koffein nicht zu sparen
und überhaupt den Kranken in der
Zeit nach der Injektion ständig gerade
in Hinsicht auf kardiovaskuläre
Schwächezustände genauestens zu
überwachen. Er verweist auf eine
Kontraindikation, die meines Wissens
bisher nicht mit genügender Schärfe
hervorgehoben wurde. Das sind bron-
chitische und pneumonische Kompli¬
kationen. Postvakzinöse Schwäche¬
zustände des Herzens und vielleicht
auch vasoparalytische Einflüsse im
Bereich der Lungen scheinen hier be¬
sonders ungünstig zur Geltung zu
kommen. Eine mehr minder selbst¬
verständliche Forderung ist, dass man
die Injektion nicht auf einem zu hohen
Temperaturgipfel vornimmt, um nicht
bedrohliche Hyperpyrexien zu er¬
zielen.
Ist man in einem konkreten Falle
nach sorgfältigster Prüfung des Pro
und Kontra zur Meinung gelangt, eine
intravenöse Vakzineinjektion liege im
Interesse des Kranken, so steht man
vor der Wahl der anzuwendenden
Vakzine. Es leuchtet theoretisch voll¬
kommen ein, dass mit lebender und
sensibilisierter Vakzine (Besredka-
Qriginal fro-m
HARVARD UNIVERSITY
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
283
Vakzine) ceteris paribus intensivere
Reaktionen erzielt werden können.
Nur fragt sich, ob hiebei nicht auch
die unerwünschten Nebenwirkungen,
wie Provokation von Blutungen und
dergleichen, auch maximal ausfallen,
und andererseits ist das Arbeiten mit
lebenden Typhusbazillen gerade
nichts sehr Angenehmes. Sollten sich
also die Befunde von G. Holler,
welcher mit Aethervakzine günstige
Erfolge erzielt zu haben glaubt, weiter¬
hin bestätigen, so wäre dies auch vom
Standpunkte der anzuwendenden Vak¬
zine sehr erfreulich. G. Holler in¬
jiziert meist 100,(XX),000, findet aber,
dass 50,000,000 oft gleichen Effekt
ausüben. Letzteres würde wohl dafür
sprechen, dass mit 50,000,000 die maxi¬
male Reizstärke erreicht ist.
Von den verschiedenen Autoren,
welche sich bisher mit intravenöser
Vakzinetherapie beschäftigt haben,
wird übereinstimmend auf die Mög¬
lichkeit verwiesen, den Krankheits¬
prozess abortiv zu beeinflussen. Es
kommt im Allgemeinen schon wenige
Stunden nach der Injektion zu einem
starken Ansteigen der Temperatur bis
41 Grad, ja selbst 42 Grad, dem dann
häufig ein ähnlich rascher Abfall zur
Norm, oder sogar unter die Norm
folgt. Von da an verhält sich aber die
Temperaturkurve verschieden. Manch¬
mal kommt es zu einem neuerlichen
beträchtlichen Ansteigen der Tempe¬
ratur, an das sich dann eventuell eine
typische, über mehrere Tage sich er¬
streckende Entfieberung anschliesst,
oder diese lytische Phase setzt ohne
neuerliches Ansteigen nach der pseu¬
dokritischen Entfieberung ein. Im All¬
gemeinen handelt es sich im An¬
schluss an die Vakzineinjektion also
nicht um eine wirkliche Krise, sondern
um eine Pseudokrise und lässt sich der
postvakzinöse Verlauf der Tempera¬
turkurve keineswegs etwa differential¬
diagnostisch gegenüber anderweitigen
Infektionsprozessen verwerten. Nach
Untersuchungen G. Holle r’s kommt
es nicht selten im Anschlüsse an die
Injektion zum Wiederauftreten der
eosinophilen Zellen im Blute, was al¬
lerdings noch nicht gestattet, das
Ausbleiben eines Rezidivs anzuneh¬
men. Da bekanntlich Typhusfälle
nicht selten auch spontan abortiv ver¬
laufen — so konnte ich einen Fall de¬
monstrieren, der am neunten Tage
bereits entfiebert war — so werden
natürlich manchmal Zweifel berech¬
tigt sein, ob die Entfieberung wegen
oder nach der intravenösen Vakzine¬
injektion aufgetreten sei. Von gröss¬
tem Interesse scheint mir die Frage
nach der Häufigkeit der Rezidiven bei
den mit intravenöser Vakzineinjektion
behandelten Fällen. G. Holler ver¬
weist mit Nachdruck darauf, dass Re¬
zidive leicht auftreten und noch lan¬
ge Zeit nach der Entfieberung diäte¬
tisch grosse Vorsicht am Platze ist.
Die Feuerprobe für die intravenöse Vak¬
zinetherapie liegt natürlich einzig und
allein in dem Vergleiche der Mortali¬
tätsstatistik „vakzinierter“ und nicht
„vakzinierter“ Fälle. Es ist eine
Selbstverständlichkeit, auf die ich aber
doch hinweisen möchte, dass es viel
weniger darauf ankommt, ob ein Ty¬
phus zwei Wochen kürzer oder länger
dauert, sondern ob er stirbt oder am
Leben bleibt. Bedingungen für eine der¬
artige Statistik wäre natürlich mög¬
lichste Gleichartigkeit des Materials
in Bezug auf Alter, Kräftezustand, Be¬
ginn der Behandlung und dergleichen.
Ob gerade Kriegstyphen hier ein ge¬
eignetes Untersuchungsmaterial dar¬
stellen, erscheint mir allerdings frag¬
lich.
So wie für die Beurteilung der Tu¬
berkulintherapie extrapulmonale Ver¬
laufsformen von Tuberkulose, so nach
e. B. Grocco-Ponce t’scher Rheu¬
matismus ausserordentlich instruktiv
sind, wäre es gewiss von Interesse, die
intravenöse Vakzinetherapie in ihrer
Wirkung auf extraintestinale, typhöse
Krankheitsprozesse wie Otitis, Osteo¬
myelitis, Orchitis, Typhoid spine, spe-
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HARVARD UNIVERSITY
284
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
zifische Gelenkprozesse und derglei¬
chen anzuwenden. Hier besteht die
Möglichkeit, in loco imorbi reaktive
Aeusserungen direkt zu beobachten
und daraus die Einwirkung auf spezi¬
fische interne, einer direkten Beobach¬
tung ' nicht zugängliche Krankheits¬
herde (Geschwüre etc.) zu er-
schliessen.
Ich habe mich der stets undankba¬
ren Aufgabe unterzogen, gewisser-
massen als Bremse zu wirken. Ich
habe aber die Ueberzeugung, dass,
falls nicht mit grösster Strenge und
grösster Umsicht die leider sehr zahl¬
reichen und schwer einschätzbaren
Kontraindikationen der intravenösen
Vakzinetherapie berücksichtigt wer¬
den, es nach einer entsprechenden
Zahl von Opfern zu einem Rückschlag
kommen wird, wie wir ihn in der er¬
sten Aerä der Tuberkulintherapie er¬
lebt haben. Hier vorzubeugen, das In¬
teresse von Kranken zu wahren, aber
auch zu verhüten, dass eine Methode
rasch diskreditiert wird, die vielleicht
als Stufe im Entwicklungsgang zu
einer aktiveren Typhusbehandlung
eine Berechtigung hat, war Zweck
meiner Ausführungen.
Die Läuseplage in den Armeen vor vierhundert Jahren.
Von Dr. A. Rose.
Die Läuseplage, die jetzt so viel
Aufmerksamkeit beansprucht, ist in
früheren Kriegen noch viel mehr eine
Pein der Krieger gewesen. Seltsame
Mittel wurden dagegen empfohlen, die
auf dem Aberglauben des Volkes be¬
ruhten. Ein Büchlein wollte nicht nur
die Ungezieferplage lindern, sondern
es wusste auch allerlei Mittel, die
Krieger unverwundbar und stichfest
zu machen. Der Titel desselben ist:
„Das geheime Kunst- und Arznei-
Büchlein“ oder „Der räysende Sama¬
riter des Krieges,“ gedruckt im Jahre
1540. Gegen die grossen Leiden des
Krieges, gegen Verwundung, gegen
Bluten und gegen Ungeziefer werden
da allerlei Mittel empfohlen. Folgen¬
de sind einige derselben gegen Läuse:
„ Man hält dafür, wann einer ein
Beinlein von einem todten Menschen
so auf den Gottesacker leichtlich zu
bekommen, in seine Kleider vernäht,
werde er nicht leichtlich von Läusen
und Ungeziefer angefochten. Oder
nimm Wermuth, einen guten Tteil,
und die inneren Abschnitten von Pfer¬
dehufen, siede solche in halb Lauch
und Wasser und dunke dein Hemd
darein, und lasse es trucknen, so wird
Dir keine Laus darein kommen, und
die darinnen seyn, heraus marschi-
ren.
Es folgen dann Waffensalben, die
unverwundbar machen und den Be¬
sitzer zum Sieger über alle Feinde,
wenn es sein Schwert damit labt, ver¬
helfen. Ferner werden mitgeteilt:
Blutstelelnde Mittel, und schliesslich
sagt der räysende Samariter: „Mit
diesen Rezepten ausgerüstet, kam der
Krieger heil und gesund durch alle
Fährnisse der Schlachten!“
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
285
Erfahrungen über Zystitis im Kindesalter.*
Von Professor Dr. Rudolf Fischl.
Wenn ich es unternehme, an dieser
Stelle über eine Krankheit zu schrei¬
ben, die uns Kinderärzten wohlver¬
traut ist und über welche ich eigent¬
lich nicht viel Neues zu sagen weiss,
so geschieht dies aus dem Grunde,
weil ich mich oft genug überzeugen
konnte, dass dieses so wichtige und
im Kindesalter durchaus nicht seltene
Leiden noch keineswegs Gemeingut
der in der Praxis stehenden Aerzte ge¬
worden ist. Wiederholt habe ich es
sowohl bei der konsultativen Tätigkeit
in der Stadt als auch namentlich am
Lande erlebt, dass im betreffenden
Falle an Zystitis gar nicht gedacht
wurde, während, wie ich an einigen
Beispielen zu zeigen bemüht sein wer¬
de, eine solche Diagnose aus diesem
oder jenem Grunde nahelag. Daraus
resultierten nicht nur unangenehme
Situationen für den behandelnden und
den von ihm zu Rate gezogenen Arzt,
sondern auch gewisse Gefahren für die
kleinen Patienten. Denn wenn auch
die Zystitis im Allgemeinen eine harm¬
lose und durch entsprechende Thera¬
pie relativ rasch zu beseitigende Af¬
fektion darstellt, so gibt es auch
schwere Fälle hartnäckiger Natur, und
solche diagnostische Versäumnisse
und die durch sie bedingte Ablenkung
der Therapie in falsche Bahnen kön¬
nen von peinlichen, ja selbst verhäng¬
nisvollen Folgen sein.
Früher hat man auch in unseren
Kreisen die Affektionen der kindlichen
Blase zu den kasuistischen Seltenhei¬
ten gezählt, und wenn man die ältere
Literatur durchsieht, ist man erstaunt,
wie wenig und wie schlecht Verwert¬
bares darüber gesagt wird.
Erst der Aufschwung der Urologie,
der neben sonstigen Erweiterungen
unserer Kenntnisse auch die unerwar-
*Aus Prag. m. VV., 1915, Nr. 15.
tete Häufigkeit von Infektionen der
unteren und oberen Harnwege auf¬
deckte, bot Anlass, diesen Dingen auch
im Kindesalter nachzugehen, und es
war besonders die Grazer Klinik, die
unter ihrem damaligen Leiter weiland
Theodor Escherich den Gegen¬
stand bearbeitete und interessante
Publikationen aus der Feder von
Escherich selbst sowie von seinen
Schülern T r u m p p und Pfaund¬
ler veranlasste. Es stellte sich dabei
heraus, dass diese Erkrankungen im
früheren und späteren Kindesalter
eine unerwartete Frequenz aufweisen,
dass vorwiegend, anfangs glaubte man
sogar ausschliesslich, Mädchen ergrif¬
fen werden, und dass das Bacterium
coli der gewöhnlichste Erreger diese:
Prozesse sei, was schon von vorne-
herein auf eine vom Darm ihren Aus¬
gang nehmende Infektion deutete.
Die weitere ausgedehnte Arbeit auf
diesem Gebiete hat sich einerseits da¬
mit beschäftigt, die Infektionswege
klarzulegen, was sowohl auf Grund
der klinischen Eindrücke, als patholo¬
gisch-anatomischer Befunde, als expe¬
rimenteller Untersuchungen geschah,
andererseits das in dieser Lebens¬
epoche durchaus nicht klare und viel¬
fach irreführende Symptomenbild zu
fixieren, und endlich der Therapie
feste Grundlagen zu bieten. In allen
diesen Richtungen haben wir erfreu¬
liche Fortschritte zu verzeichnen, ohne
jedoch zu einer vollständigen Klärung
gelangt zu sein.
Was zunächst die Häufigkeit der in
Rede stehenden Affektionen anlangt,
so wechseln die betreffenden Angaben
in weiten Grenzen, was einesteils damit
zusammenhängt, dass mit zunehmen¬
der Aufmerksamkeit auch die Zahl der
Fälle wächst, andernteils jedoch auch
darin seinen Grund hat, dass die Fre-
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HARVARD UNIVERSUM
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
quenz sich auch nach dem den betref¬
fenden Beobachtern zur Verfügung
stehenden Material richtet.
Auf meiner poliklinischen Abteilung
wird diesen Dingen seit jeher die
grösste Aufmerksamkeit geschenkt
und neben den vor jeder Ordinations¬
stunde bereitgestellten ausgekochten
Metallspateln sind auch Metallkathe¬
ter zurechtgelegt, um in verdächtigen
Fällen unter entsprechenden Kautelen
den Harn entnehmen zu können. Den
Katheterismus nehme ich prinzipiell
nur bei weiblichen Individuen vor, wo
er unter Verwendung steriler Instru¬
mente, Einfettung mit Vegetalin 1 ) und
vorheriger Auswaschung der Scheide
mit Sublimatlösung einen ganz unbe¬
denklichen Eingriff darstellt, von wel¬
chem wir niemals den geringsten
Nachteil beobachten konnten. Bei
Knaben unter einem Jahre lasse ich
nach vorheriger sorgsamer Reinigung
der Glans penis den R a u d n i t z’schen
Harnfänger anlegen, was unter Be¬
nützung starkwandiger Glaskölbchen
als Auffanggefässe gleichfalls unbe¬
denklich geschehen kann.
Auf diesem Wege bin ich zu der
Ueberzeugung gelangt dass das Lei¬
den unter unserem Material relativ
viel seltener ist als bei anderen Beob¬
achtern, und als Grund dieser Diffe¬
renz möchte ich die Ernährungsweise
der Säuglinge ansehen, die bei uns, wie
ich dies schon an anderen Stellen zei¬
gen konnte, im ersten Lebensjahre
eine überwiegend natürliche ist. Es
hängt dies meiner Meinung nach mit
der verschiedenen Virulenz der Koli¬
bakterien bei natürlich und künstlich
genährten Säuglingen zusammen, die
unter den letzerwähnten Verhältnissen
eine entschieden gesteigerte ist. Bei
einem Zugang von etwa 15,000 Kin¬
dern im Laufe der letzten zwölf Jahre,
die zu reichlich zwei Dritteln dem er¬
sten Lebensjahre angehörten, konn¬
ten wir nur 26 Fälle eruieren und auch
1) Einer sterilen von Zuckerkand] empfoh¬
lenen in Tuben befindlichen Katheterschmiere.
von diesen betrafen bloss sechs Kinder
der ersten zwölf Lebensmonate, Zah¬
len, die gegen die von G ö p p e r t,
Finkeistein, Trump p, Lang¬
stein, Thiemich u. a. mitgeteil¬
ten stark zurückstehen. Der Rest ver¬
teilt sich auf die späteren Lebensjahre.
Es ist ferner bemerkenswert und für
den Infektionsmodus bezeichnend,
dass alle diese sechs Fälle Mädchen
betrafen, wie überhaupt das starke
Lieberwiegen des weiblichen Ge¬
schlechtes sowohl unter meinem poli¬
klinischen als privaten Material zu
deutlichem Ausdruck kommt, wie die
folgenden Zahlen beweisen. Unter
den erwähnten 26 Fällen gehörten 22
dem weiblichen Geschlechte an und
nur vier betrafen Knaben, und von 15
ausserhalb der Anstalt gesehenen Fäl¬
len war nur ein einziger männlichen
Geschlechts.
Bekanntlich hat die Frage des In¬
fektionsweges vielfache Kontroversen
geweckt, indem gegenüber der ur¬
sprünglich von Escherich ge-
äusserten Anschauung, es handle sich
stets um ein direktes Hineinwandern
der Infektionserreger vom Anus her
auf dem kurzen und weiten Wege der
weiblichen Urethra in die Blase, von
anderen Forschern geltend gemacht
wurde, dass bei Knaben, welche die
Affektion zwar seltener, aber immer¬
hin doch aufweisen, eine solche Ent¬
stehungsweise ausgeschlossen erschei¬
ne, weshalb wenigstens für diese ein
anderer Weg angenommen werden
müsse. Inbetreff dieses ist allerdings
eine Einigung nicht erzielt worden,
indem ein Teil der Autoren hämato¬
gene Infektion mit Ausscheidung der
Keime durch die Nieren, oberen und
unteren Harnwege, ein anderer Ueber-
tritt vom Mastdarm in die Blase auf
dem Wege von daselbst nachgewiese¬
nen Lymphbahnen annimmt.
Das Experiment hat nach dieser
Richtung keine entscheidenden Auf¬
schlüsse gegeben, was nicht weiter
Wunder nehmen kann, da es erstens
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New Yoekeb Medizinische Monatsscheift.
287
mit Tieren, meist Kaninchen, arbeitet,
die eine hohe Unempfänglichkeit ihrer
unteren Harnwege gegen bakterielle
Infektionen aufweisen, zweitens unter
Bedingungen, welche denen der natür¬
lichen Infektionsweise denn doch sehr
wenig ähneln, weshalb ich den daraus
gezogenen Schlüssen sehr skeptisch
gegenüberstehe.
Wenn man sich auf den klinischen
Eindruck verlässt, und in solchen Fra¬
gen bleibt er meiner Meinung nach der
massgebendste Faktor, so spricht die¬
ser mit Entschiedenheit dafür, dass es
sich zunächst um eine primäre Erkran¬
kung der Blase handelt, an die sich,
bei längerer Dauer und ungenügender
Behandlung, eine solche der oberen
Harnwege und der Nieren schliessen
können, wobei die Möglichkeit einer
hämatogenen Infektion zugestanden
sein mag, jedoch als grosse Seltenheit
bezeichnet werden muss. Wäre dem
anders, dann hätten die Fälle eine viel
ungünstigere Prognose, als sie sie in
der Regel aufweisen, und, in Analogie
mit den Erfahrungen bei anderen hä¬
matogenen Infektionen des frühen
Kindesalters, würden wir viel schlech¬
tere therapeutische Ergebnisse erzie¬
len, als sie in der weitaus grössten
Mehrzahl der Fälle zu verzeichnen
sind.
Auch die Symptome, die allerdings,
wie später gezeigt werden soll, oft an
Prägnanz viel zu wünschen übrig las¬
sen und häufig die Aufmerksamkeit
nach falschen Richtungen ablenken,
deuten auf eine durch lokale Blasen¬
entzündungen bedingte Störung der
Miktion und lassen sich dahin charak¬
terisieren, dass häufige und spärliche
Harnentleerung, Empfindlichkeit der
Blase gegen Berührungen, Schmerzen
und Tenesmus nach erfolgter Urin¬
emission so deutlich vorhanden sind,
dass sie selbst die Umgebung des Kin¬
des zur Annahme eines Blasenleidens
veranlassen. So finden sich unter den
poliklinischen Fällen 12, in denen sol¬
che Symptome von den Kindern selbst
oder von ihrer Umgebung beobachtet
wurden und den Grund für ihre Vor¬
stellung bildeten, was bei der geringen
Achtsamkeit der Kreise, aus denen un¬
ser Material zum grössten Teile
stammt, immerhin bemerkenswert er¬
scheint und im oben angeführten Sin¬
ne gedeutet werden muss. Dabei sei
noch betont, dass sich unter diesen
Fällen auch solche aus den späteren
Monaten des ersten Lebensjahres be¬
finden, wo es schon einer gewissen In¬
tensität der Erscheinungen bedarf, um
die Aufmerksamkeit von den Zähnen
und dem Darm weg nach dieser Rich¬
tung zu lenken.
Neben solchen Fällen, in denen von
vorneherein der Verdacht einer Bla¬
senaffektion geweckt wird, deren Ent¬
stehung im Anschluss an Darmstörun¬
gen fast ausnahmslos nachweisbar ist,
rangieren aber diejenigen, welche erst
durch eine genaue unter den entspre¬
chenden Kautelen vorgenommene
Harnuntersuchung in ihrem wahren
Wesen erkannt werden, während die
Erscheinungen entweder vager Natur
sind oder Veranlassung bieten, den
Sitz des Leidens auf ganz anderen Ge¬
bieten zu suchen. Dass sie recht häu¬
fig sind, beweist schon die Tatsache,
dass das poliklinische Krankenmate¬
rial dieser Kategorie mehr als die
Hälfte solcher symptomatisch unaus¬
geprägter Fälle aufweist.
G ö p p e r t, dem wir gerade in die¬
ser Richtung sehr interessante Be 9 b-
achtungen danken, hat auf die häufige
Verwechslung mit Typhus, Meningi¬
tis, Influenza, Pneumonie u. dgl. hin¬
gewiesen und dies durch Krankenge¬
schichten aus seiner reichen Erfahrung
belegt. Dass man bei richtiger Psy¬
chologie der Diagnosestellung schon
von vornherein mitunter die richtige
Vermutung hegen kann-, möchte ich an
der Hand zweier recht lehrreicher Be¬
obachtungen zeigen.
Vor zwei Jahren konsultierte mich
ein Kollege von grosser Erfahrung
über den Zustand eines etwa achtjäh-
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HARVARD UNIVERSITY
288
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
rigen Mädchens, das bereits seit mehr
als einer Woche in seiner Behandlung
stand und neben einem ziemlich hohen
kontinuierlichen Fieber sowie massi¬
ger Diarrhöe keine sonstigen Erschei¬
nungen aufwies. Er hatte die Vermu¬
tung ausgesprochen, dass es sich um
einen leichten Abdominalis handle,
und aus diesem Grunde auch eine
Blutuntersuchung vornehmen lassen,
die jedoch inbezug auf spezifische Ag¬
glutination ein negatives Ergebnis lie¬
ferte. Ich fand das Kind aufrecht im
Bette sitzend mit einer Lektüre be¬
schäftigt ; von objektiven Symptomen
konstatierte ich nichts als eine leichte
Milzschwellung, Bronchitis und Rose¬
ola fehlten, und auch der Gesamtein¬
druck zeigte keine Spur eines Status
typhosus. Hingegen erfuhr ich auf
meine Frage nach einer eventuellen
Harnuntersuchung, dieselbe sei vor¬
genommen worden und hätte einen
mässigen Eiweissgehalt ergeben. Die¬
ses Moment in Zusammenhalt mit den
leichten Krankheitserscheinungen, die
eine durch Typhus bedingte Albumi¬
nurie, wie sie ja doch nur schwereren
Fällen eignet, ausschlossen, veranlass-
te mich, trotz vollständiger Abwesen¬
heit aller lokalen Blasensymptome, die
das sehr intelligente Kind gewiss an¬
gegeben hätte und die auch von seiner
aufmerksamen Umgebung bemerkt
worden wären, eine Zystitis zu vermu¬
ten und die nachgewiesene Albuminu¬
rie auf diese zurückzuführen. Die so¬
fort vorgenommene Harnuntersuch¬
ung gab mir Recht, und eine darauf¬
hin eingeleitete entsprechende Thera¬
pie hatte in kurzer Zeit Fieberabfall
und Genesung des Kindes zur Folge.
Noch interessanter war der zweite,
am gleichen Orte von einem anderen
Kollegen beobachtete Fall, den ich
gleichfalls konsultativ zu sehen Gele¬
genheit hatte. Es handelte sich um
ein etwa neun Jahre altes fettleibiges
Mädchen, das vor einigen Tagen im
Anschluss an einen längeren, bei
grosser Hitze vorgenommenen Spa¬
ziergang (es handelte sich um einen
Weg von etwa zwei Stunden) plötz¬
lich unter sehr hohem Fieber und Pro¬
stration erkrankt war, * wozu sich in
den nächsten Tagen auch Diarrhöen
und Husten gesellten. Der Eindruck,
welchen ich von der Patientin emp¬
fing, war der eines ausgesprochenen
Status typhosus; hochgerötete Wan¬
gen, trockene fuliginös belegte Lippen,
eine trockene, an den Rändern rote
Zunge, leichter Meteorismus, ausge¬
sprochene Milzschwellung und etwas
Bronchitis, dabei wie mir die beige¬
brachte Probe zeigte, ein übelriechen¬
der geschichteter Stuhl von erbsen¬
suppenartigem Aussehen. Der behan¬
delnde Arzt, früherer klinischer
Assistent und sehr sorgsamer Beob¬
achter, las mir einen langen Status
vor, in dem auch das B a b i n s k i'sche
Zehenphänomen nicht fehlte, und
sprach seine Ueberzeugung aus, es
handelte sich um einen Typhus, wenn
auch die Ficke r’sche Blutprobe bis¬
her negativ ausgefallen sei. Ich muss
gestehen, dass ich ihm auf den ersten
Blick hin Recht gab, doch stimmte mir
die plötzliche Entstehung des Krank¬
heitsbildes im Gefolge einer grösseren
körperlichen Anstrengung bei heissem
Sommerwetter nicht recht mit meinen
sonstigen Erfahrungen über den kind¬
lichen Abdominalis. Die genaue so¬
matische Untersuchung des Kindes,
welche ich. nunmehr vornahm, ergab
das Vorhandensein einer Vulvovagini¬
tis, und dieser Umstand bewog mich,
auch in diesem Falle an eine Blasen¬
entzündung zu denken, die offenbar
durch das mechanische Hineinpressen
des infektiösen Scheidensekrets in die
Urethra bei der starken Marschlei¬
stung des fetten Kindes entstanden
war. Ich äusserte dem ein wenig er¬
staunten Kollegen gegenüber diese
Vermutung und bat um Vornahme der
Harnuntersuchung, welche dieselbe
voll bestätigte. Auch in diesem Falle
hatte die eingeleitete Therapie raschen
und vollen Erfolg und der schwere
Original fro-m
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
289
Status war nach einigen Tagen ge¬
wichen.
Dass auch bestehende Blasensymp-
tome, wenn sie von sonstigen Allge¬
meinerscheinungen begleitet werden,
keine richtige Wertung erfahren und
trotz solcher der Sitz des Leidens an
falscher Stelle gesucht wird, zeigt der
folgende Fall, in welchem der diagno¬
stische Irrweg auch insofern von un¬
angenehmen Folgen war, als es einer
monatelangen komplizierten Therapie
bedurfte, bevor es gelang, des Leidens
Herr zu werden. Ein damals 2^2jähri-
ges Mädchen stand bereits durch Wo¬
chen wegen kontinuierlichen Fiebers in
Behandlung, ohne dass ausser der
Temperatursteigerung und an die
Harnentleerung sich schliessenden
Schmerzen irgend ein prägnantes
Symptomenbild die sichere Diagnose
des Zustandes gestattet hätte, welcher,
wie so oft, auch diesmal wieder als
typhöses Fieber aufgefasst und mit
strenger Diät und antipyretischen
Massnahmen behandelt worden war.
Der weitere Verlauf gestaltete sich so,
dass die anfänglich kontinuierliche
Temperaturerhöhung einem unregel¬
mässig remittierenden bis auf 40 Grad
ansteigenden Fieber wich, während
der Gesamtzustand des Kindes ausser
seiner wohl auf die strenge Nahrungs¬
beschränkung zurückzuführenden Ab¬
magerung keine Besonderheiten auf¬
wies. Als ich in diesem, gleichfalls
bereits durch Wochen anhaltenden
Stadium zu Rate gezogen wurde, fiel
mir schon beim Betreten des Kranken¬
zimmers ein eigentümlicher fauliger
Geruch auf, der von dem unter dem
Bette des Kindes stehenden Nachttopf
stammte. Ich nahm eine Probe des
darin befindlichen Harns in die Woh¬
nung des Kollegen mit und konnte
schon makroskopisch eine starke grob¬
flockige und fetzige Trübung konsta¬
tieren. Nach kurzem Zentrifugieren
erhielt man ein reichliches Sediment,
das aus dichten Rasen von Leukozy¬
ten bestand, zwischen denen massen¬
hafte Kurzstäbchen herumwirbelten.
Bei genauerer Nachschau fand sich hie
und da ein leukozytärer Zylinder,
Epithel der oberen Harnwege und an
einzelnen Stellen eine gruppenweise
Anordnung der Leukozyten zu runden
Pfropfen, die offenbar den Sammel¬
röhren entstammten. Dabei war der
Eiweissgehalt höher als es der Zahl
der Formelemente entsprach. Damit
war die Diagnose auf Zystopyelitis ge¬
sichert, welche, wie nachträgliche
anamnestische Erhebungen ergaben,
im Gefolge einer Diarrhöe aufgetreten
war, und die Therapaie musste dem¬
entsprechend eine andere Richtung
einschlagen. Die lange Dauer und
grosse Intensität des Prozesses Hessen
mich von einer bloss medikamentösen
Behandlung nicht mehr viel erwarten,
sodass ich lediglich zu einem kurzen
Versuche mit Urotropin riet, bei des¬
sen Wirkungslosigkeit sofort Blasen¬
spülungen angeschlossen werden soll¬
ten. Die Schwierigkeit der Durchfüh¬
rung solcher unter den speziellen Ver¬
hältnissen nötigte jedoch dazu, das
Kind nach einiger Zeit in ein Prager
Sanatorium aufzunehmen, wo ich in
Gemeinschaft mit Herrn Kollegen Ar¬
thur G ö t z 1 die lokale Behandlung
fortsetzte, die in Spülungen der Blase
mit 2 Prozent Borlösung und nachhe-
rigem Einspritzen schwacher Argen¬
tum nitricum-Solution bestand, doch
gelang es auch auf diese Weise nicht,
den Harn rein zu machen, und der
Erfolg bestand lediglich darin, dass
das Fieber endgiltig wich und das Ge¬
samtbefinden des Kindes sich wesent¬
lich besserte, mit welchem Resultat
wir uns vorläufig begnügen mussten.
Als nach der Heimkehr der kleinen
Patientin ihr Zustand nach den mir
gewordenen Berichten stationär blieb,
indem der Harn konstant Trübung
und fauligen Geruch aufwies und sich
infolge der chronisch gewordenen
Zystopyelitis die für solche Fälle recht
charakteristische Anämie mit leichtem
Stich ins Ikterische einstellte, nahm
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290
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
ich sie nochmals in Sanatorium, um
daselbst eine Vakzinebehandlung
durchzuführen, wobei mich wiederum
der auf diesem Gebiete sehr erfahrene
Kollege G ö t z 1 freundlichst unter¬
stützte. Es gelangte eine von Herrn
Dozenten Dr. Gottlieb Salus aus
dem aseptisch entnommenen Harn des
Kindes hergestellte Autovakzine zur
Verwendung, welche im ccm 40 Mil¬
lionen Kolibazillen enthielt und in
mehrtägigen Intervallen in steigender
Dosis subkutan injiziert wurde. Schon
nach der zweiten Einspritzung zeigten
die Kolibazillen im Urinpräparat deut¬
liche Agglutination und waren zum
Teil in Leukozyten inkorporiert;
gleichzeitig war im negativen Präpa¬
rat ein Verlust ihrer Beweglichkeit zu
konstatieren. Nach weiteren zwei In¬
jektionen waren die Bakterien aus
dem Harn verschwunden und auch die
Zahl der darin nachweisbaren Form¬
elemente erschien wesentlich verrin¬
gert ; nach der fünften Einspritzung
konnte man eine wenigstens momen¬
tane vollständige Beseitigung des ab¬
normen Harnbefundes konstatieren,
und wie eine vor kurzer Zeit von mir
vorgenommene neuerliche Untersuch¬
ung ergab, hält dieses günstige Resul¬
tat an, womit allerdings noch nicht ge¬
sagt ist, dass dies auch dauernd der
Fall sein wird.
Es hatte also grosser Schwierigkei¬
ten, eines komplizierten therapeuti¬
schen Apparates und ziemlich langer
Zeit bedurft, um das Kind von einem
Leiden zu befreien, das bei rechtzeiti¬
ger Diagnose und entsprechender Be¬
handlung gewiss rasch gewichen wäre,
wie ich dies in anderen derartigen
Fällen regelmässig konstatieren konn¬
te, und gerade solche gewiss unange¬
nehme Vorkommnisse machen es dem
Arzte zur Pflicht, bei ein wenig in die
Länge gezogenen, in ihrem Wesen
unklaren Fieberzuständen eine genaue
makro- und mikroskopische Harn¬
untersuchung vorzunehmen, was ja in
der oben angegebenen Weise nicht die
geringsten Schwierigeiten bietet. In
dem erwähnten Falle sind wir noch
nicht zu spät gekommen und waren in
der Lage, den Zustand zu beseitigen ;
dass dies nicht immer gelingt, bewei¬
sen zahlreiche Beobachtungen anderer
Autoren, in denen es entweder zu
schweren aszendierenden Prozessen
mit ungünstigem Ausgang kam oder
sich ein chronisches Siechtum ent¬
wickelte. Ja, es findet sich von ver¬
schiedenen Seiten (Lenhartz,
G o e p p e r t u. a.) die gewiss begrün¬
dete Ansicht ausgesprochen, dass viele
in ihrer Aetiologie rätselhafte Pyeliti¬
den bei Frauen in ihren ersten Anfän¬
gen auf solche übersehene Affektionen
der ersten Kinderjahre zurückzüfüh-
ren sind.
Die Harnuntersuchung muss stets
unter sorgsamen Käutelen vorgenom¬
men werden, um auch nach dieser
Richtung alle eventuellen Irrtümer zu
vermeiden; so waren wir in der Poli¬
klinik wiederholt in der Lage, bei fie¬
bernden Kindern, die keinen befriedi¬
genden Lokalbefund aufwiesen, einen
diffus trüben Harn zu gewinnen, der
beim Halten der Eprouvette gegen das
Licht die charakteristische Sonnen¬
stäubchentrübung aufwies, welche je¬
doch, wie die mikroskopische Nach¬
schau zeigte, durch amorphe oder in
Wetzsteinform auskrystallisierteHarn¬
säure bedingt war, somit einer urati-
schen Diathese entsprang, und keine
zystitische Grundlage hatte.
Vor kurzem hat Abels einen sehr
interessanten und wohl einzelstehen¬
den Befund mitgeteilt, in welchem es
sich um offenbar in verbrecherischer
Absicht in die Blase des Kindes ein-
gebrachte Frauenhaare und Papier¬
fetzen handelte, die zu Fremdkörper-
zystitis führten Auch da sind bei
Ausserachtlassung der nötigen Kaute-
len Irrtümer möglich, wie ein Fall
meiner Beobachtung zeigt, den ich mit
wenigen Worten erwähnen will. Es
handelte sich um ein 7]/ 2 Monate altes
Mädchen aus einer deutsch-böhmi-
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
291
sehen Landstadt, das seit längerer Zeit
Fieberbewegungen und leichten Harn¬
drang darbot und von verschiedenen
Aerzten erfolglos behandelt worden
war, bis einer derselben die Vermu¬
tung äusserte, dass eine Zystitis vor¬
liege und das Kind an mich zur wei¬
teren Beobachtung wies. Ich konsta¬
tierte bei dem massig entwickelten
Kinde, die recht charakteristische
Blässe mit leichtem Stich ins Gelbe,
sowie eine beiderseitige leichte
Schmerzhaftigkeit der Nierengegend.
Die Untersuchung des mir über¬
sandten Urins lieferte folgenden merk¬
würdigen Befund: In dem lichten
Harn schwimmen gröbere weissliche
Flocken, die Eiweissprobe ist negativ
(weder Essigsäure- noch Ferrozyan-
kalifällung), mikroskopisch spärliche
Leukozyten, reichlich Epithel, meist
aus der Vagina, grössere Gruppen von
zusammengeballten Fäden (Wolle
oder Baumwolle) mit eingestreuten
Lykopodiumzellen, grosse geschichte¬
te und kleinere runde und eckige stark
lichtbrechende Körper, die sich auf
Jodzusatz dunkelblau färben, keine
sicheren Bakterien. Es war also frag¬
lich, ob es sich um eine bloss mechani¬
sche Blasenreizung durch Fremdkör¬
per oder um eine Zystitis handle, wes¬
halb ich am nächsten Tage nach sorg¬
fältiger Reinigung der Vagina den
Harn mit Katheter entnahm und darin
den Befund einer mässigen Blasen¬
entzündung ohne die beschriebenen
offenbar beim Pudern der Genital- und
Aftergegend hineingeratenen Beimen¬
gungen konstatieren konnte. Zur si¬
cheren Entscheidung ist daher sorgsa¬
mer Katheterismus notwendig.
In der Literatur finden sich verein¬
zelte Beobachtungen von Inkontinenz
und Enuresis mitgeteilt, die ihren
Grund gleichfalls in einer Zystitis hat¬
ten, nach deren Beseitigung das
Symptom sich rasch verlor. Auch hie-
für bin ich in der Lage, aus der eige¬
nen Erfahrung einen Fall beizusteu-
ern. Es handelte sich um den fünf¬
jährigen Sohn eines österreichischen
Diplomaten, der im Orient tätig ist;
der sehr intelligente und durchaus
nicht nervöse oder anderweitig kranke
Junge bot seit Monaten die Erschei¬
nung der Inkontinenz des Harns am
Tage und der Enuresis in der Nacht
dar, die sowohl ihn als seine Mutter
sehr unglücklich machte. Die ver¬
schiedenen gegen das Bettnässen em¬
pfohlenen Behandlungsmethoden wa¬
ren ohne den geringsten Erfolg ver¬
sucht worden, den Harn zu untersu¬
chen war aber keinem der behandeln¬
den Aerzte eingefallen. Ich holte das
Versäumnis nach, konstatierte eine
mässige Zystitis und war in der ange¬
nehmen Lage, durch die eingeleitete
Urotropintherapie das Kind innerhalb
weniger Tage dauernd von seinem
lästigen Uebel zu befreien.
Eine allerdings nicht sehr vollstän¬
dige und auch nicht ganz beweisende
Beobachtung von allgemeiner Koliin-
fektion mit meningitischen Sympto¬
men, welche letal endete, soll den
Schluss dieser vielleicht schon zu aus¬
führlich geratenen Kasuistik bilden.
Moll hat aus der Kinderklinik der
Landesfindelanstalt ein ähnliches, al¬
lerdings besser beobachtetes und
durch die Sektion verifiziertes Vor¬
kommnis mitgeteilt. In meinem Falle
handelte es sich um das zirka drei
Jahre alte Töchterchen eines Kollegen
im Lande, das unter unklaren Fieber¬
erscheinungen längere Zeit krank war,
und bei welchem vermutungsweise die
Diagnose auf tuberkulöse Meningitis
gestellt wurde. Als ich das Kind sah,
war es hochgradig abgemagert, bot
typische Zerebral Symptome dar, hatte
aber auch den Befund einer schweren
Zystitis, denn der mit Katheter ent¬
leerte Harn war diffus trüb und zeigte
im nativen Präparat ohne vorherige
Zentrifugierung massenhafte Leuko¬
zyten und lebhaft bewegliche Kurz¬
stäbchen. Ich riet neben entsprechen¬
der Diät zu wiederholten Blasenspü¬
lungen und interner Urotropindar
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292
New Yotm Medizinische Monatsscheift.
chung, doch die Therapie erwies sich
in diesem Falle als machtlos und schon
nach zwei Tagen starb das Kind unter
schweren meningealen Symptomen.
Die Möglichkeit, dass es sich hier um
eine sekundäre, erst in den letzten
Krankheitsstadien hinzugetretene Zy¬
stitis gehandelt hat, ist nicht von der
Hand zu weisen, zumaf ja auch der
entscheidende Sektionsbefund fehlt,
immerhin geben aber solche Vor¬
kommnisse besonders in Zusammen¬
halt mit analogen von anderer Seite
publizierten Mitteilungen zu denken
und sind Anlass, auch in derartigen
Fällen durch rechtzeitige Harnunter¬
suchung die Situation zu klären.
Ich will mich zum Schlüsse nur
noch in aller Kürze der Therapie zu¬
wenden. Je früher solche Fälle richtig
diagnostiziert werden, desto erfolg¬
reicher und einfacher gestaltet sich
dieselbe. Bei der in ihren Anfangs¬
stadien richtig erkannten Zystitis
kommt man in der Regel mit der in¬
ternen Behandlung aus, und kann ich
mich mit dem Urotropin sehr zufrie¬
den erklären, nur muss man dasselbe
in genügender Dosis und entsprechend
lange darreichen, also bei Kindern im
ersten Lebensjahre mindestens 0.5 g
pro die, bei älteren entsprechend mehr
und so lange, bis der Hambefund nor¬
mal geworden ist, was meist innerhalb
einer Woche eintritt. Zeigt sich, was
meiner Erfahrung zufolge selten der
Fall ist, das Urotropin unwirksam, so
kann man es durch Hippol, Hexal oder
Zystopurin substituieren, auch Helmi-
tol in gleich grossen Dosen liefert un¬
ter solchen Verhältnissen ganz befrie¬
digende Ergebnisse. Ist man jedoch
innerhalb von ein bis zwei Wochen bei
innerer Behandlung nicht zum Ziele
gelangt, so hat ihre weitere Fortsetz¬
ung keinen Zweck und man muss die
mechanische Behandlung der Blase zu
Hilfe nehmen, wobei ich als Spülflüs¬
sigkeit zunächst dünne Lösungen von
übermangansaurem Kali anwende, um
erst bei Ausbleiben des Effektes zu
stärkeren Aetzmitteln, also Argentum
nitricun in der Konzentration von
1:5000 oder 1 Proz. Protargollösung
überzugehen. Nur selten bleibt bei
solchem Vorgehen, rechtzeitige Er¬
kennung des Zustandes vorausgesetzt,
der Erfolg aus; das Urteil über die
Vakzinetherapie lautet sehr verschie¬
den, neben enthusiastischem Lob trifft
man auf vernichtenden Tadel dersel¬
ben. Der einzige obenerwähnte Fall,
in welchem ich sie anzuwenden Gele¬
genheit hatte, ist günstig verlaufen,
nachdem die sonstige Therapie voll¬
ständig versagt hatte, doch lassen sich
aus einer Beobachtung selbstverständ¬
lich keine allgemeinen Schlüsse ablei¬
ten. Was die von Thomson emp¬
fohlene Alkalitherapie betrifft, hat sie
im Kindesalter ihre Schwierigkeiten,
da grössere Doseen der betreffenden
Medikamente oft zu Darmstörungen
führen. Auch fand ich den frischen
Urin bei Kolizystitis so oft neutral re¬
agierend, dass die Grundlage dieser
Behandlungsweise, saure Harnbe¬
schaffenheit, fehlte.
Immerhin hoffe ich aber in den vor¬
stehenden Zeilen die Aufmerksamkeit
der in der Praxis tätigen Kollegen auf
dieses in seiner Bedeutung noch im¬
mer unterschätzte Krankheitsbild ge¬
lenkt zu haben und würde mich auf¬
richtig freuen, wenn es mir gelungen
sein sollte, sie in Hinkunft vor Fehl¬
diagnosen nach dieser Richtung zu
bewahren.
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Nbw Yomqr MssxziNiscn Monatsschrift.
293
Die Diagnose des Magen- und Duodenalgeschwürs.*
Von F. de Quervain in Basel.
Autor legt das Hauptgewicht auf die
Aufnahme einer Serie von Radiogram¬
men, welche die wichtigsten Phasen
des Verdauungsvorganges festhalten.
Das nicht stenosierende und nicht pe¬
netrierende Magengeschwür erzeugt
einen umschriebenen Spasmus in der
Höhe des letzteren, der stets von der
grossen Kurvatur her den Magen ein¬
schnürt. Autor hatte nie Gelegenheit,
eine Einschnürung zu sehen, die von
der kleinen Kurvatur gegen die grosse
hinzieht. Auch findet man beim Ge¬
schwür den Spasmus stets an dersel¬
ben Stelle, wodurch sie sich von den
Einziehungen durch peristaltische
Wellen unterscheidet. Doch fehlt der
Krampf bei leerem Magen, weshalb
man ihn bei der Operation nicht an¬
trifft, er ist sofort da, wenn dem Ma¬
gen Inhalt zugeführt wird. Auch am
gefüllten Magen ist er durch 0.001
Atropin oder durch 0.03 Papaverin
zum Verschwinden zu bringen. Auch
tritt der Spasmus nicht bei jedem Ma¬
gengeschwür auf, immerhin ist er für
viele Magengeschwüre das einzige ob¬
jektiv nachweisbare Zeichen. Von be-
sonderehi Werte ist der Spasmus am
Pylorus. Wenn bei der Kohlehydrat¬
kontrastmahlzeit nach sechs Stunden
noch ein erheblicher Rest im Magen
zurückgeblieben ist, muss an Pylorus-
geschwür gedacht werden. Doch
kommt ein solches reflektorisch auch
bei fern vom Pylorus liegenden Ma¬
gengeschwüren vor. In derlei Fällen
aber glaubt Faulhaber, handle es
sich um eine infolge von Perigästritis
um das Geschwür entstandene Ver¬
zerrung des Pylorus, wodurch ein me¬
chanisches Hindernis sich bildet. Ein
Sechsstundenrest kommt auch bei du¬
odenaler Motilität (anfangs rasche,
dann sich verzögernde Entleerung des
Magens), bei toxischem Pylorospas-
•Aus Schweiz. Korr. Bl., 1914, Nr. 35.
mus (Nikotin, Morphium) sowie bei
Hyperazidität ohne Geschwür vor.
Immerhin kann ein solcher Sechsstun¬
denrest Hinweis auf ein bestehendes
Pylorusgeschwür geben.
Das nicht stenosierende, penetrie¬
rende Magengeschwür umfasst vor¬
züglich die alten Geschwüre der klei¬
nen Kurvatur. Penetrierend ist ein
Magengeschwür, das alle Schichten
der Magen wand durchsetzt, wobei je¬
doch der Hohlraum des Magens durch
Verwachsungen oder durch die Blätter
des Lig. gastrohepaticum von der frei¬
en Bauchhöhle getrennt ist. Letzteres
Ligament bildet den natürlichen
Schutz gegen die Perforation in die
freie Bauchhöhe. Dadurch, dass es
sein Bindegewebe vermehrt, bildet es
einen immer festeren Geschwürsgrund.
Verwachsungen kommen durch peri-
gastritische Prozesse zustande, die zur
Verklebung mit anliegenden Organen
führen (Leber, Netz, hintere Bauch¬
wand), welche immer dichter werden
und Verwachsungen bilden; in letzte¬
ren kann sich das Geschwür immer
mehr eingraben, wobei auch die Bil¬
dung von Verwachsungen immer
mehr zunimmt. Hiebei braucht eine
Perforation nicht stattzufinden. Er¬
folgt doch eine solche bei nicht allzu
gefülltem Magen und ist sie nur steck¬
nadelkopfgross, so dichtet sie sich un¬
ter perigastritischen Vorgängen mit
Hilfe der benachbarten Serosa und des
Netzes ab, mit oder ohne Abszessbil¬
dung Solche Abszesse können, sei es
durch Resorption, sei es durch Selbst¬
drainage, in dem Magen ausheilen bis
auf den aus den Nachbarorganen ge¬
bildeten Geschwürsgrund. Bei einer
derartig gedeckten Perforation kam es
nach Ausbildung der Verwachsungen
zur völligen Zerstörung der Magen¬
wand am Geschwürsgrunde.
Wir müssen die an der kleinen Kur-
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294
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
vatur und deren Nachbarschaft gele¬
genen penetrierenden Geschwüre von
denen, die fern von der kleinen Kur¬
vatur gelegen sind, sondern. Das
Kennzeichen der ersteren, die, falls
sie nicht bluteten, vor der Röntgenzeit
höchstens vermutet werden konnten,
ist die auf dem Röntgenbild sichtbare
Nische, deren charakteristische Zei¬
chen das scharf umschriebene Vorra-
gen an der kleinen Kurvatur, die über
dem Schatten oft sichtbare Gasblase
sowie das längere Liegenbleiben der
Kontrastsubstanz und oft auch der
Gasblase, auch nach der Entleerung
des Magens, sind. Wenn die Nische
nahe der Kardia liegt, kann sie leicht
übersehen werden. Es ist dann, falls
man gegründeten Geschwürsverdacht
hat, der Kranken in Trendelenburg¬
scher Lage zu untersuchen und die
Kontrastbreimenge reichlicher zu be¬
messen (600 g statt 400).
Das stenosierende Magengeschwür
ist schon vor der Röntgenperiode er¬
kannt worden, sobald Retentionser¬
scheinungen Vorlagen, Anfälle von
Magensteifung, Zeichen einer schwe¬
ren Dilatation oder gar Retentions¬
erbrechen, Nahrungsreste vom vorher¬
gehenden Tage bei Sondenuntersuch¬
ung. Man unterscheidet die medio¬
gastrische und die Pylorusstenose. Die
erstere gibt den echten Sanduhrmagen.
Hier wird der Uebergang des Kon¬
trastbreies in den unteren Magenab¬
schnitt stark verzögert (beim spasti¬
schen Sanduhrmagen werden beide
Magenabschnitte gleich hintereinander
gefüllt. Auch lässt sich der echte
Sanduhrmagen durch Atropin oder
Papaverin nicht beeinflussen).
Bei der organischen Pylorusstenose
dehnt sich der Magen in die Breite, so
dass die Füllungsreste beim stehenden
Patienten eine tellerförmige Gestalt
annehmen und der Pylorus ebenso
weit nach rechts verschoben wird.
Auch fällt ein grösserer oder geringe¬
rer Abschnitt des Pylorus aus dem
Schatten aus.
Als nicht stenosierendes Duodenal¬
geschwür bezeichnet man ein Ge¬
schwür, das jenseits des Pylorus liegt
und höchstens mit seinem Randteile
an diesen herantritt. Charakteristisch
für dasselbe ist der oft auf Jahre zu¬
rückreichende Spätschmerz nach Nah¬
rungsaufnahme. Der Magen entleert
sich rascher als normal, in zwei bis
drei Stunden ist sein Inhalt grössten¬
teils im Darme. Oft aber verzögert
sich gegen den Schluss der Entleerung
dieselbe, sodass bisweilen ein Sechs¬
stundenrest liegen bleibt. Trotz dieses
Restes hat sich die Kontrastfüllung
bis zur Flexura lienalis des Dickdarms
vorgeschoben. Die abnorm rasche
Entleerung deutet man als Insuffizienz
des Pylorus, der auch in der Tat ab¬
norm offen am Röntgenschirm gefun¬
den wird. Doch findet man diese ab¬
norme Mobilität nicht in allen Fällen
von Duodenalgeschwür und auch ohne
Geschwür bei Hyperazidität und nach
H a u d e k bei beginnendem Karzinom
des Magenkörpers, auch hat man sie
bei Erkrankungen des Pankreas und
der Gallenblase gefunden. Die duode¬
nale Motilität ist demnach nur Ver¬
dachtsmoment, aber nicht charakte¬
ristisches Zeichen. Das Vorhanden¬
sein eines grösseren Schattens im
Röntgenbilde entsprechend dem Bul¬
bus duodeni ist nur dann mit Recht
auf Erkrankung des Duodenums zu
beziehen, wenn derselbe sich bei meh¬
reren Aufnahmen als unregelmässig
verzerrt, hakenförmig gekrümmt dar¬
stellt. Ein medianwärts zurückgebo¬
gener Zipfel spricht dafür, dass dn^
Duodenum in seinem obersten Teil
fixiert ist Von grösserer Bedeutung
ist das Zurückbleiben von Kontrast¬
substanz an umschriebener Stelle im
Duodenum, doch kann solches auch
durch Verwachsung des Duodenums
mit den Nachbarorganen bedingt sein.
Es ist also der persistierende Duode¬
nalfleck ein wichtiges Verdachtsmo¬
ment, aber kein sicheres Zeichen.
Die geringe Verschieblichkeit des
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Medizinische Monatsschrift.
295
Duodenums bezw. der ganzen Pylo-
rusgegend beweist, dass im Bereiche
des Duodenums ein entzündlicher Pro¬
zess vorhanden oder abgelaufen ist.
Im allgemeinen spricht, falls Ge¬
schwürswahrscheinlichkeit besteht, ein
negativer Befund am Magen für den
Sitz der Erkrankung am Duodenum.
In der Norm verlässt der Speisebrei
das Duodenum so rasch, dass nur sel¬
ten ein Röntgenbild eine vollständige
Zeichnung dieses Darmteiles erhalten
wird. Findet man diesen mit Kon¬
trastbrei angefüllt, so muss unterhalb
desselben ein Hindernis bestehen.
Wenn die Anamnese auf ein Duode¬
nalgeschwür hinweist, andere Ursa¬
chen, etwa tuberkulöse Drüsen, peri-
cholezystitische Entzündung sich aus-
schliessen lassen, so kann man ein
stenosierendes Duodenalgeschwür an¬
nehmen. Uebrigens ist beim Duode¬
nalgeschwür die Stenosierung recht
selten. Unter Umständen kann man
den zapfenförmigen Ausguss des ver¬
engten Lumens auf dem Röntgenbilde
erkennen. Holzknecht hat auf
die Bedeutung resultatloser peristalti-
scher Wellen oberhalb der Stenose
hingewiesen. Bei Knickung des Duo¬
denums am Uebergang ins Jejunum
wie beim arteriomesenterialen Darm¬
schluss findet man ebenfalls Ausguss
des Duodenums mit Kontrastbrei.
Eine derartige Stauung ist aber noch
viel seltener als Duodenalstase aus an¬
deren Ursachen.
Verwachsungen können erschlossen
werden aus abnormer Lage des Pylo-
rus bei normal gefülltem Magen, ans
zu geringer Verschieblichkeit des Py-
lorus bei der Untersuchung in den
verschiedenen Körperstellungen, aus
Formanomalien des Magens, die durch
andere Ursachen unerklärbar sind.
Fixierte Lage des Pylorus links von
der Mittellinie weist, wie die Erfah¬
rung zeigt, auf Krebs hin. Spitz aus¬
gezogene Vorragungen oder Einbuch¬
tungen der peristaltischen Wellen, die
sich konstant bei verschiedenen Aufnah¬
men finden, erlauben die sichere Diagno¬
se zerrender oder einschnürender Ver¬
wachsungen. Von besonderer Bedeutung
ist der Duodenalfleck, der nach völliger
Entleerung zurückbleibt. Durch Ver¬
wachsung wird die Duodenalwand
taschenartig ausgezogen, in dieser
Tasche bleibt der Kontrastbrei einige
Zeit liegen. Zeigt sich bei mehreren
Aufnahmen stets die gleiche Formano¬
malie, so lässt sich diese meist auf
Verwachsungen beziehen, obschon
auch der gleiche Befund bei Taschen
infolge von Geschwür oder bei ange¬
borenen Taschen vorkommt. Je mehr
man Verwachsungsdiagnosen durch
die Operation kontrolliert, desto mehr
kommt man zum Eindruck, dass so¬
wohl klinisch als auch radiologisch zu
viele Verwachsungen diagnostiziert
werden.
Dass krebsige Umwandlung eines
Magengeschwürs vorkommt, ist sicher,
doch geschieht dies verhältnismässig
selten, auch müssen nicht alle nach
einem Magengeschwür entstandenen
Krebse durch dasselbe entstanden
sein. Das Charakteristische des Ge¬
schwürs ist die Nische, das Plus von
Schatten, das Charakteristische des
Karzinoms, die Aussparung, das Mi¬
nus von Schatten im Röntgenbild.
Nun kann bei kallösem Geschwür in¬
folge der starren Infiltration eine Aus¬
sparung sich zeigen, bei zerfallendem
Krebse eine Nische sich abbilden. Be¬
sonders schwer ist die Unterscheidung
bei Pylorusstenose, da auch das kallös
infiltrierte Pylorusgeschwür sich als
ein Tumor darstellen und ebenso einen
Schattenausfall bedingen kann wie das
Karzinom. Noch schwerer ist es, das
Duodenalkarzinom durch das Rönt¬
genbild vom Ulcus duodeni zu diffe¬
renzieren. Hier sind es indirekte Er¬
scheinungen, wie Verschluss des Duc¬
tus choledochus und pancreaticus, die
die Diagnose sichern können.
Hinsichtlich der Operationsfrage
kommt Autor zu nachstehendem
Schlüsse. Ist nach sechs Stunden
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296
New Yoricks Medizinische Monatsschrift.
nichts aus dem Magen ausgetreten, so
liegt die Notwendigkeit des Eingriffes
sehr nahe, ist nach zwölf Stunden der
Verschluss ein völliger geblieben, so
muss eingegriffen werden. Finden wir
nach dieser Frist den Darm teilweise
gefüllt, können wir ruhig zuwarten,
das Hindesnis wird sich von selbst be¬
heben. Immer aber müssen Röntgen¬
untersuchung, klinische Beobachtung
und anatomische Kontrolle Hand in
Hand gehen. Der Schluss des Auf¬
satzes bespricht die Spätstörungen
nach den Magen- und Darmopera¬
tionen und den Wert des Röntgen¬
bildes zu Beurteilungen desselben.
Konservative Operation der Aneurysmen.*
Von Dr. G. Doberauer.
Für die meisten Gebiete der Kriegs¬
chirurgie sind aus den reichen Erfah¬
rungen der jüngsten Vergangenheit,
zu welchen die letzten kriegerischen
Konflikte (Burenkrieg, russisch-japa¬
nischer, Balkankriege) einer grossen
Anzahl hervorragender Chirurgen Ge¬
legenheit boten, unsere Anschauungen
über die zweckmässigste Form der
Therapie festgelegt und die wieder¬
holten Diskussionen haben in dieser
Hinsicht seit dem Chirurgenkongress
von 1906 nichts wesentlich Neues
mehr zutage gefördert; wenn ich mich
auch nicht mit der Behauptung einver¬
standen erklären kann, dass für die
Kriegschirurgie die Zeit des Individu-
alisierens überhaupt vorbei sei und
derjenige seiner Aufgabe am besten
gerecht werde, welcher dem gewiss im
Grossen und Ganzen als zweckmässig
erkannten Kanon schematisch huldige,
so ist doch zu erkennen, dass die Be¬
folgung dieser Regeln vonseite der
grossen Masse der Aerzte, welche zur
Bewältigung der Verwundetenfürsor-
ge aufgeboten werden müssen und die
naturgemäss nicht in ihrer Gänze fach¬
ärztlich durchgebildet sein können,
viel Unheil verhüten kann.
Auf der anderen Seite hat jedes
Schema seine Grenzen in der individu¬
ellen Variabilität der Verletzung, der
äusseren und persönlichen Verhältnis¬
se des Kranken sowohl wie des zur
•Prag. m. W. 1915, Nr. 13.
Hilfeleistung berufenen Arztes. Auch
die nicht stille stehende Entwickelung
der chirürgischen Technik ändert fort¬
während die Behandlungsweise und
die Indikationen; so müssen die Fort¬
schritte gerade der letzten Jahre auf
dem Gebiete des plastischen Gewebs-
und Organersatzes die Grenzen für die
Erhaltbarkeit verletzter Extremitäten
in ausserordentlichem Masse erwei¬
tern.
Zu jenen Fragen der chirurgischen
Therapie, welche hauptsächlich der
Entwickelung der Technik ihre Förde¬
rung verdanken, gehört vor allem die
Chirurgie der Gefässe. In den letzten
Jahren durch eifrige Arbeit der experi¬
mentellen Chirurgie zu rascher Ent¬
wickelung und Vervollkommnung ge¬
bracht, hat dieser Zweig unserer Wis¬
senschaft bislang nur in vereinzelten,
besonders günstig liegenden Fällen die
Uebertragung vom Tierversuch in die
klinische Verwertung erlebt und er¬
wartet von der Kriegszeit mit ihrem
reichen Material einschlägiger Ver¬
letzungen die Gelegenheit allgemeiner
Anwendung und Wertschätzung.
Es wird Sache einer späteren Nach¬
forschung nach dem Abschluss der ge¬
genwärtigen Ereignisse sein, festzu¬
stellen, in welchem Ausmasse und mit
welchem Erfolge die modernen Me¬
thoden der konservativen Gefäss-
chirurgie zur Anwendung gelangten,
zur Zeit ist es für den in der Mitte der
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297
Ereignisse Stehenden und genügender
literarischer Behelfe entbehrenden
Chirurgen unmöglich zu übersehen,
was in dieser Hinsicht bisher geleistet
oder versucht wurde, doch scheint
nach allem, was mir bisher von ein¬
schlägigen Publikationen, kriegsärzt¬
lichen Vorträgen etc. zu Gesichte kam,
das positive Ergebnisse aufweisende
Material noch sehr gering, sodass in
dieser Frage auch einzelne oder weni¬
ge Fälle bedeutungsvoll erscheinen
umsomehr, als sie noch während der
jetzigen Geschehnisse Nachahmung
finden können.
Die eigentliche Chirurgie der Blut¬
gefässe beginnt erst mit der besonders
von C a r r e 1 und Stich ausgebilde¬
ten und besonders von ersterem mit
unerreichter Kunst geübten zirkulären
Gefässnaht; dieselbe ermöglicht, die
Kontinuität eines verletzten Gefäss-
rohres vollkommen blutdicht wieder¬
herzustellen und damit die Zirkulation
in dem verletzten Organ in normaler
Weise zu erhalten, sodass die mit der
Unterbindung gegebene Opferung des
Stammes in Wegfall kommt. Die
Wichtigkeit der Erhaltung eines Ge-
fässstammes steigt mit seinem Quer¬
schnitt und mit der Nähe zum Zirku¬
lationszentrum, dem Herzen und ist
bei den grössten Gefässen eine Frage
der Erhaltung des Lebens, weiterhin
des von dem betreffenden Stamm ver¬
sorgten Organes oder Körperabschnit¬
tes. Wir können also durch die Wie¬
derherstellung des Lumens eines
Gefässrohres ein Organ in seiner un¬
gestörten Funktion erhalten, welches
durch die zur Stillung der Blutung
erforderliche Ligatur mit grösserer
oder geringerer W ahrscheinlichkeit
der Nekrose verfallen wäre.
Ob das Stromgebiet einer Arterie —
um solche handelt es sich in erster
Reihe — von dem Bestände des Haupt¬
stammes absolut abhängig ist, d. h.
mit seiner Unterbrechung abstirbt
oder ein Ersatz des gesperrten Ernäh¬
rungsweges durch Seitenbahnen ein¬
tritt, lässt sich mit Sicherheit nur für
die Aorta descendens vorher bestim¬
men, wenn wir von den für die konser¬
vative Blutstillung kaum je in Be¬
tracht kommenden Hauptarterien in¬
nerer Organe (renalis, hepatica, me-
senterialis) absehen. Bei den übrigen
Verzweigungen der Aorta können wir
nur mit Wahrscheinlichkeiten, rech¬
nen, welche sich nach der Entfernung
vom Zentrum abstufen und von nicht
kontrollierbaren anatomischen Varie¬
täten — Abgang unregelmässiger Sei¬
tenäste und Verbindungen mit benach¬
barten Stromgebieten — abhängen.
Die Unterbindung derartiger Ge-
fässstämme ist also immer mit dem
grossen Risiko irreparabler Ernäh¬
rungsstörung verbunden und die Un¬
berechenbarkeit dieser Gefahr lässt uns
dankbar zu einem Verfahren greifen,
welches die Unterbindung entbehrlich
macht. So ist die Naht verletzter Ge-
fässe grösseren Kalibers in den letzten
Jahren immer häufiger geübt worden;
die nicht sehr grosse Gelegenheit dazu
gaben meist Stichwunden, gelegent¬
lich wohl auch unbeabsichtigte Neben¬
verletzungen grösserer Gefässstämme
bei Operationen sehr grosser oder ver¬
wachsener Tumoren (Vena cava bei
Nephrektomien, Vena portae etc.).
Die Unfallsverletzungen industrieller
Betriebe liefern kaum je geeignetes
Material, da hier die Zertrümmerun¬
gen in der Regel so weitgehende sind,
dass selbst im Falle gelingender Ge¬
fässnaht deren Sicherheit mangels ge¬
nügender Bedeckung mit gesundem
Gewebe oder infolge ausgebreiteter
Wundeiterung fraglich ist.
Es sind auch im Verlaufe des Feld¬
zuges Gefässnähte schon verschiedent¬
lich mit Erfolg ausgeführt worden; ich
spreche nur von den erfolgreichen
Operationen, welche durch dauernd
nachweisbaren peripheren Arterien¬
puls gekennzeichnet sind, Mitteilun¬
gen von Versuchen mit nachfolgender
Thrombose der Naht oder gar Gangrän
sind als auf Mangel der Technik beru-
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298
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
hend bei dem heutigen Stande der Fra¬
ge wirklich überflüssig. Die geglück¬
ten Operationen sind indes umso höher
einzuschätzen, da sie unter verhältnis¬
mässig recht ungünstigen äusseren
Umständen vollbracht wurden, welche
auch im besteingerichteten Feldlaza¬
rett weit hinter den Einrichtungen un¬
serer klinischen Operationsräume zu¬
rückstehen müssen und jedenfalls,
wenn der Verletzte überhaupt noch
rechtzeitig dem Operateur zugeführt
wird, ausserordentlich rasches und ge¬
schicktes Handeln erfordern.
Die meisten offenen Verletzungen
grösserer Gefässstämme verbluten
wohl auf dem Schlachtfelde, ehe ihnen
Hilfe gebracht werden kann, oder es
muss auf dem Hilfsplatz die Unterbin¬
dung gemacht werden, weil weder die
Zeit noch der Mangel an geeigneten
Vorkehrungen etwas anderes gestat¬
tet, oder die Verletzten trugen eine
Umschnürung so lange, dass ohnedies
dauernde Schädigung der Extremität
zu erwarten steht.
Neben diesen „offenen“ Gefässver-
letzungen stehen dann jene, wo bei
sehr kleinen Oberflächenwunden und
starken bedeckenden Weichteilen die
Blutung nicht nach aussen ihren Weg
findet, sondern sich in die umgeben¬
den Gewebe ergiesst, bis die Spannung
derselben eine dem arteriellen Drucke
gleichwertige Höhe erreicht und so
eine provisorische Blutstellung be¬
wirkt, oder die Verletzung des Gefäss-
rohres keine durchtrennende ist, son¬
dern lediglich eine mehr oder minder
weit gehende Seitenwandverletzung
darstellt; in diesem Falle erfolgt die
Blutung unter geringem Drucke und
aus einer kleineren OefTnung, wodurch
der temporäre Verschluss durch
Weichteilspannung und Hämatom er¬
heblich erleichtert ist; so unterbleibt
die Verblutung nach aussen, wenn Ar¬
terie und Vene, neben einander lie¬
gend, so verletzt sind, dass das arteri¬
elle Blut statt nach aussen in die
Venenwunde sich ergiesst, wobei nach
kurzer Zeit aus der arteriovenösen
Anastomose das Aneurysma arterio-
venosum entsteht, welches allmählich
sich vergrössert und erst sekundär ge¬
fährliche Folgen mit sich bringt
Das s.eltenste Ereignis dürfte es
wohl sein, dass durch das passierende
Projektil die Gefässwand nicht eröff¬
net wird, dass nur eine Schichte und
zwar entweder die Intima einreisst
und das Blut sich zwischen die Schich¬
ten der Gefässwand, diese auseinander¬
wühlend, ergiesst (Aneurysma disse¬
cans) oder die äussere Wandschicht
durch Kontusion so weit geschädigt
wird, dass sie dem Blutdruck nicht
mehr Stand hält und sich hernienartig
vorbuchtet, wodurch das unter den
traumatisch entstandenen wohl selten¬
ste echte Aneurysma zustande kommt.
Alle diese Arten von Gefässverletz-
ungen, deren Endzustand wir unter
dem weiteren Namen Aneurysma 1 ) zu¬
sammenfassen, führen nicht zum un¬
mittelbaren Verblutungstode, werden
oft erst nach geraumer Zeit durch die
ausgebildeten Symptome des Aneurys¬
ma: pulsierende Geschwulst, fühlbares
und hörbares Schwirren, Kühle der
Extremität, Exophthalmus bei Karo-
tis, Fehlen oder Schwäche des periphe¬
ren Pulses, sekundäre Symptome wie
neuralgische Schmerzen, Kontraktur¬
stellung etc manifest und diagnosti¬
ziert. .Derartige Fälle kommen dann
auch in die Lazarette des Hinterlandes
und erheischen hier ihre definitive Er¬
ledigung.
Dass ein einmal festgestelltes Aneu¬
rysma beseitigt werden muss, insofern
das überhaupt möglich ist, darüber
herrscht keine Differenz: bedeutet es
doch für den Träger eine stete Gefahr,
welche sich in einer plötzlichen Kata¬
strophe äussern kann, dem Platzen der
Geschwulst und dem Verblutungstode,
oder, noch ehe es dazu kommt, durch
1) Die begründeten Einwendungen, dass diese Ver¬
allgemeinerung des Wortes Aneurysma vom patholo-
?;isch-anatomischcn Gesichtspunkt aus nicht 211 rccht-
ertigen ist, werden die allgemein eingebürgerte
Anwendung dieser Terminologie nicht mehr ausrotten
können.
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
299
anderweitige Schäden, wie Kreislauf¬
störung, Raumbeengung, Knochen-
usur, Neuralgien und Lähmungen un¬
erträglich werden.
Mit welcher Wahrscheinlichkeit ein
Aneurysma zum Verblutungstode
führt, lässt sich schwer ziffermässig
ausdrücken; für die nicht traumati¬
schen Aneurysmen der Aorta liegen
diesbezügliche Statistiken vor, welche
zwischen 60 und 25 Prozent schwan¬
ken (siehe P o h r t)*) ; hier führen oft
andere Krankheiten, die selbst wieder¬
um auf das Aneurysma zurückzufüh¬
ren sind, das Ende herbei, ehe es zum
Platzen kommt. Als solche Folge¬
erscheinungen werden angeführt:
Kompression von Organen der Brust¬
höhle, Aorteninsuffizienz und sonstige
Kreislaufstörungen, Embolien, Stau¬
ung im Lungenkreislauf u. a.
Da bei den Gefässerweiterungen pe¬
ripher von der Aorta diese lebensbe¬
drohenden sekundären Störungen
nicht im gleichen Masse in Frage kom¬
men, ist wohl damit zu rechnen, dass
das, wenn auch langsam, so doch un¬
aufhaltsam fortschreitende Wachstum
der Geschwulst in letzter Linie zum
Platzen derselben führt und dieser
Endausgang als der häufigste anzuse¬
hen ist. Die anatomische Art des
Aneurysma verum, dissecans und ar-
terio-venosum zeigen ein langsames
Wachstum und grössere Garantien ge¬
gen die Berstung als das Aneurysma
spurium, wo die Arterie mit einem
grossen Gewebshohlraum in offener
Kommunikation steht. Davon also,
beziehungsweise, da die spezielle Di¬
agnose des Aneurysma a prioji in den
seltensten Fällen möglich ist, von dem
Tempo des Wachstums und dem Gra¬
de der Verdrängungs- oder Drucker¬
scheinungen hängt es ab, wie lange
wir mit unserem Einschreiten warten
dürfen; auf der anderen Seite begrenzt
und bestimmt unseren Entschluss zum
Eingriff das Wartenmüssen, wenigstens
war dies der Fall bei den älteren Me-
2) Münchener med. Wochenschr. 1914, Nr. 36.
thoden der Aneurysmabehandlung.
Die Behandlung hat das Ziel, das
Ausströmen des Blutes aus dem nor¬
malen Gefässquerschnitt in die Umge¬
bung oder einen diesen Querschnitt an
Volumen übertreffenden Hohlraum zu
sistieren; das kann erreicht werden zu¬
nächst durch Unterbrechung des wei¬
teren Zuflusses zu der gefährdeten
Stelle, welche die Unterbindung des
Stammes zentral vom Aneurysma er¬
strebt ; da der Sack sich aber von dem
durch Kollateralen gespeisten periphe¬
ren Stück wieder füllen kann, ist zur
sicheren Ausschaltung auch dessen
Ligatur erforderlich, un, um die Wie-
deranfüllung von aus der Sackwand
selbst abgehenden Nebenzweigen zu
verhindern und die raumbeengenden
Wirkungen der Geschwulst mit einem
Schlage zu beseitigen, ist nach doppel¬
ter Unterbindung die Entleerung des
ganzen Sackes als radikalste und beste
Methode zu empfehlen.
Ehe man sich getraute, die Unter¬
bindung beziehungsweise Exstirpation
bei grösseren Gefässstämmen auszu¬
führen, übte man die methodische
Kompression des zuführenden Gefäss-
stammes, um durch zeitweise gänzliche
oder teilweise Ausschaltung des Blut¬
stromes im Aneurysmasack fest haf¬
tende, dauernde Gerinnung zu erzeu¬
gen, welche die Wand verstärken und
weiterer Dehnung Widerstand leisten
sollte.
In der Tat ist es in manchen Fällen
gelungen, auf diese Weise eine Ver¬
ödung des Aneurysma zu erreichen,
eine Gewähr dauernder Heilung ist
aber selbst im Falle scheinbaren Er¬
folges nicht gegeben, das Verfahren
kostet unendliche Mühe und Geduld,
ist für den Kranken recht unbequem
und schmerzhaft und schliesslich nur
anwendbar, wenn digitale Kompres¬
sion nach Lage des zuführenden Stam-
mes gegen ein genügend festes Wider¬
lager möglich ist, beschränkt sich also
wohl auf die mehr peripher gelegenen
Gliederabschnitte und die Karotis; ge-
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300
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
genwärtig kommt die Kompression
wohl nur noch in Frage als vorberei¬
tende Massnahme für die Unterbin¬
dung oder Exstirpation, um einerseits
zu erproben, wie die Extremität oder
das Gehirn die Absperrung der Zirku¬
lation vertragen und andererseits, um
die Ausbildung kollateraler Ersatz¬
wege zu fördern.
Bestand und Ausmass solcher Wege
können wir nicht zuverlässig ab¬
schätzen, sie hängen wohl im wesent¬
lichen ab von der Zeit des Bestehens
des Aneurysmas und der Intensität der
Zirkulationsstörung, welche durch das¬
selbe erzeugt wird; je weniger Blut
durch dasselbe hindurch den periphe¬
ren Gefässabschnitt erreicht, desto
mehr ist die Ernährung des Gefäss-
bezirkes auf Kollateralen angewiesen,
desto besser werden sich diese ent¬
wickeln; ist also die Zirkulation im
Hauptgefäss peripher der Verletzungs¬
stelle mangelhaft, die Ernährung des
Gliedes aber eine gute, so kann man
annehmen, dass genügend Kollateralen
vorhanden sind, um auch nach zentra¬
ler Ausschaltung die Lebensfähigkeit
zu gewährleisten; der periphere Arte¬
rienpuls gilt in diesem Sinne als Kri¬
terium, indem man bei Fehlen dessel¬
ben auf gute Ausbildung der Kollate¬
ralen schliessen will, während guter
oder gegenüber der normalen Seite nur
wenig veränderter peripherer Puls zu
grösserer Vorsicht mahnt.
Indes ein absolut verlässlicher Indi¬
kator ist der periphere Puls nicht, da¬
her die bisher gütige Regel, eine mög¬
lichst lange Zeit verstreichen zu
lassen, ehe man zur Operation des
Aneurysmas schreitet und, wenn tun¬
lich, noch eine vorbereitende Kom¬
pressionsbehandlung durchzuführen.
Die Zeit des Wartens hat ihre Grenzen
natürlich in den Schädigungen, welche
das Aneurysma mit sich bringt, und in
seinem Wachstum, im Allgemeinen
nimmt man einen Zeitraum von 5 bis 6
Wochen als genügend an, über wel¬
chen man aber auch ohne Not nicht
hinausgehen soll.
Diesen Behandlungsmethoden ge¬
genüber steht die moderne „ideale“
Aneurysmaoperation, welche mit Hilfe
der Gefässnaht die Wiederherstellung
normaler anatomischer Verhältnisse
erzielt, die Gefässstämme für die Zir¬
kulation erhält und damit naturgemäss
alle Ueberlegungen über Ausbildung
von Nebenwegen und die Sicherung
der Ernährung des Gefässbezirkes
überflüssig macht. L e x e r ist wohl
auf diesem Gebiete vorangegangen, in¬
dem er ein Aneurysma der Poplitea
resezierte und Arterie und Vene durch
zirkuläre Naht mit vollkommenem und
idealem Erfolge der sofortigen Wie¬
derherstellung normaler Zirkulation
vereinigte.
Die Details der Methode sind durch¬
aus nicht einheitlich und schematisch,
ebensowenig wie die Formen der
Aneurysmen; am* einfachsten wäre es,
die seitliche Oeffnung des Gefässes
durch Naht zu schliessen, das dürfte
aber nur bei Stichverletzungen mög¬
lich sein und wenn der Fall sehr bald
nach der Verletzung zur Operation
kommt, später sind die Wundränder
schon kallös, erfordern eine Anfrisch¬
ung und damit eine derartige Ver-
grössereung der Oeffnung, dass seitli¬
che Naht eine Einschnürung erzeugen
würde; geringe Einziehung wird bei
der Dehnbarkeit der Gefässwand durch
den Blutdruck wohl ausgeglichen, stär¬
kere Verengerung der lichten Weite
der Arterie gibt aber doch die Gefahr
von Thrombose.
Bei längerem Bestände der Gefäss-
verletzung bilden sich in der Umge¬
bung schwartige Gewebsveränderun¬
gen, welche auch die Gefässwand
selbst verändern und sie für die erfolg¬
reiche Anwendung einer Gefässnaht
ungeeignet machen, dann muss man
ebenso wie bei der Naht verletzter
Nervenstämme Stücke des Gefässes
opfern, bis man in allen Schichten in-
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M«w Yobuk Mbbibinischs Monatsschrift.
301
takte, zarte Gefässwand vor sich hat;
dadurch ergibt sich nun in der Regel
ein grösserer oder geringerer Längs¬
defekt, der noch vergrössert wird
durch die starke Retraktion der Ge-
fässenden nach ihrer vollständigen
Querdurchtrennung. An manchen
Körperstellen wird durch Beugung des
Gelenkes dieser Defekt so weit auszu¬
gleichen sein, dass Naht ohne grössere
Spannung möglich ist, so beim Knie,
durch dessen spitzwinkelige Flexion
eine beträchtliche Strecke ersetzt wer¬
den kann; ist die Naht einmal verheilt,
passt sich das elastische Gefässrohr
der nachherigen langsamen Streckung
des Gelenkes sehr wohl an.
Ansonst ist aber bei derartigen Län¬
gendefekten direkte Naht nicht mög¬
lich, die feinen Fäden reissen bei nur
halbwegs stärkerer Spannung aus oder
bei Dehnung des Gefässrohres löst sich
die Intima ab; hier tritt dann der
plastische Ersatz des fehlenden
Stückes in sein Recht. So gut wie im¬
mer ist es erforderlich beim Aneurys¬
ma arterio-venosum, wo die Arterie
aus der festen Verlötung mit der er¬
weiterten Vene ohne bedenkliche Schä¬
digung nicht frei zu präparieren ist.
Ich habe in den ersten Monaten des
Krieges sechs Aneurysmen zur Be¬
handlung erhalten, welche alle schon
mehrere Wochen alt waren, bei denen
ich mir aber ohne Rücksicht auf die
Möglichkeit der Ligatur mit Ausnah¬
me eines einzigen Falles, der die Arte-
ria radialis betraf, die Aufgabe stellte,
konservativ, also mit Erhaltung der
Zirkulation in dem verletzten Gefäss-
stam zu operieren, eine Aufgabe, die
ich in drei Fällen mit vollem Erfolge
lösen konnte.
Ich lasse zunächst die Krankenge¬
schichten folgen:
1. Josef Sch., 26 Jahre, aufgenom¬
men am 9. Oktober 1914. Verletzt am
12. November am südlichen Kriegs¬
schauplatz durch Schrapnellschuss durch
die rechte Schulter; verheilter Einschuss
an der Vorderfläche der Schulter, ein¬
wärts vom Humeruskopf, in der hinte¬
ren Achselfalte eine Inzisionswunde,
durch welche in einem Feldlazarett die
Kugel entfernt worden war. Am Vor¬
derarm starke ödematöse Schwellung,
der Oberarm zeigt prall gespannte fluk¬
tuierende Geschwulst, welche, da auch
Fieber besteht, fast zu der gefährlichen
Verwechslung mit Abszess geführt hät¬
te, wenn nicht die diffuse Pulsation und
das hör- und fühlbare Schwirren die
Diagnose gesichert hätte. Radialpuls
nicht zu fühlen, Parese sämtlicher Arm¬
nerven, welche erst einige Tage nach
der Verletzung sich eingestellt und zu¬
nächst mit Parästhesien begonnen hatte,
nachdem unmittelbar nach der Verletz¬
ung der Arm gut hatte bewegt werden
können; Blutung nach ausen war gering
gewesen. Die als ziemlich dringlich er¬
achtete Operation wird zunächst aufge¬
schoben, um das Eintreffen der für die
beabsichtigte konservative Operation er¬
forderliche und augenblicklich nicht vor¬
rätigen feinen Seide zu erwarten; am
14. Oktober wird dann zur Operation
geschritten; die Geschwulst* ist in den
vier Tagen des Zuwartens ganz bedeu¬
tend gewachsen, das Aussehen des
Kranken schlechter geworden und eben¬
so haben die Schmerzen im Arm stark
zugenommen. Es sollte zunächst am
oberen Ende der pulsierenden Ge¬
schwulst der zuführende Stamm der Ar-
teria axillaris behufs zeitweiser Abklem¬
mung freigelegt werden, allein schon
nach Inzision der Haut entleerte sich
ein ungeheurer Schwall arteriellen Blu¬
tes aus dem offenbar geplatzten Aneu¬
rysmasack; durch eine mit Kompressen
bewaffnete in die Wunde eingeführte
Faust konnte die Blutung so weit in
Schranken gehalten werden, dass durch
raschen Schnitt die Freilegung der Ge-
fässe in der Unterschlüsselbeingrube
und deren Abklemmung möglich war;
dann Verlängerung des Schnittes in der
Bizepsfurche bis gegen den Elbogen; es
ist der ganze Arm vom Schlüsselbein bis
zum Elbogen von Blut durchwühlt, teil¬
weise finden sich straffe, fibröse Ver¬
wachsungen und grosse Gerinnsel; nach
deren Ausräumung erkennt man die den
halben Umfang der Arterie einnehmen¬
de Wunde derselben sowie einen kinder¬
faustgrossen, geplatzten Erweiterungs-
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302
New Yorker Medizinische Monatsschhtk.
sack der V ena axillaris; die Verletzung
sass in der Höhe der Haargrenze. Da
der Zustand des Kranken inzwischen ein
äusserst bedrohlicher geworden ist und
nur durch Kochsalzinfusion während
der Operation die Herzaktion zu halten
ist, muss von der geplanten Gefässplas-
tik Abstand genommen werden und wird
Arterie und Vene oberhalb und unter¬
halb der Verletzung je doppelt unter¬
bunden und durchschnitten. Toilette
der Wunde, Tamponade der grossen
Wundhöhle, da bei der überschwem¬
menden Blutung und der zu ihrer Stil¬
lung nötigen raschen Manipulation die
Asepsis zweifelhaft geworden war. Der
schwer kollabierte Patient erholte sich
nach der ausgiebigen Kochsalztransfu¬
sion bald; die Extremität war so weit
ausreichend ernährt, dass keine Gan¬
grän eintrat, aber enormes Oedem, Ge¬
fühllosigkeit und Lähmung bestanden
weiter, im Laufe der Rekonvaleszenz
traten da und dort Dekubitalgeschwüre
auf, welche nur langsam zur Heilung
kamen, das Oedem war noch nach drei
Monaten nur teilweise geschwunden,
Sensibilität zurückgekehrt, Motilität
fehlt noch immer.
2. O. Rsekus, 31 Jahre, aufgenom¬
men am 26. Oktober 1914, verletzt am
20. Oktober durch Infanterie-Spitzge¬
schoss. Steckschuss des linken Ober¬
schenkels mit Einschuss unterhalb des
Poupar t’schen Bandes. Der Ober¬
schenkel zeigt eine pralle, dem doppel¬
ten Umfang des normalen gleichkom¬
mende Geschwulst, welche deutliche
Pulsation und starkes Schwirren auf¬
weist ; beginnende ödematöse Schwel¬
lung des Unterschenkels, kein Puls in
den Fussarterien, Hypästhesie, keine
Temperatursteigerung. Da in den we¬
nigen Beobachtungtagen die Schwellung
rapide und bedrohlich zunimmt und
starke Schmerzen sich einstellen, wird
am 31. Oktober zur Operation geschrit¬
ten.
Freilegung der grosen Gefässe unter¬
halb des Leistenbandes, Abklemmung
von Arterie und Vene durch elastische
Klemme; Freilegung der Geschwulst,
Ausräumung der grossen Massen flüssi¬
gen und geronnenen Blutes, welches die
einzelnen Muskelschichten durchwühlt
hat und die Orientierung und Blossle¬
gung der Gefässwunde recht schwierig
macht; es ist die Arterie oberhalb des
Abganges der Profunda ganz durch-
rissen, die Vene hat ein grosses seit¬
liches Loch, zu einem ar fc terio-venösen
Aneurysma war es deswegen nicht ge¬
kommen, das Blut ergoss sich aus beiden
Gefässen unter die Muskulatur. Nach¬
dem die Gefässe auch peripher abge¬
klemmt waren, wurde das verletzte
Stück der Arterie reseziert und direkte
zirkuläre Naht unter erträglicher Span¬
nung ausgeführt. Nach Lösen der
Klemmen geht der Blutstrom durch die
Nahtstelle und peripher derselben ist
kräftige Pulsation, welche auch in den
Fussarterien sofort nachweisbar ist.
Dieselbe Manipulation wird an der Ve¬
ne gemacht, da einfache Naht der seit¬
lichen OefTnung wegen der ausgiebigen
Zerreissung nicht möglich; indes stellt
sich hier die Zirkulation nicht her, es hat
sich peripher von der Verletzungsstelle
ein Thrombus gebildet. Das Oedem des
Unterschenkels und Fusses verschwin¬
det sofort, die Extremität hat normale
Temperatur, der Puls in den Fussarte¬
rien bleibt tastbar; bis auf einige sub¬
kutane Abszesse (Nahtabstossung) un¬
gestörte Heilung; kann nach drei Wo¬
chen das Bett verlassen und gehen, ohne
dass eine Spur von Zirkulationsstörung
am Bein eintritt.
3. H. Franz, 28 Jahre, Aneurysma ar-
terio-venosum femorale sin., aufgenom¬
men am 1. November 1914. Verletzt
am 19. September durch Infanteriege¬
schoss mit stumpfer Spitze; verheilter
Einschuss an der Spitze des Trigonum
Scarpae, Ausschuss diametral gegen¬
über an der Hinterfläche des Ober¬
schenkels. Der Verletzte bemerkte die
zunehmende Geschwulst des Oberschen¬
kels erst seit einer Woche, hat von der¬
selben im Uebrigen keine Beschwerden.
In der Nähe des Einschusses eine unge¬
fähr zwei faustgrosse pulsierende
schwirrende Geschwulst; Puls an der
Tibialis post, nicht zu tasten; kein
Oedem des Unterschenkels, keine Sen-
sibilitäts- oder Motilitätsstörungen. Ope¬
ration am 2. November: Längsschnitt
im Trigonum Scarpae und Freilegung
der inguinalen Gefässstämme, Abklem¬
mung mit elastischer Klemme oberhalb
des Leistenbandes. Dann Aufsuchen
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303
der Verletzungsstelle der Gefässe; es
findet sich ein aus derben Schwarten
schwierig freizupräparierendes etwa
pflaumengrosses (nach Abklemmung
kollabiertes!) arterio-venöses Aneurys¬
ma ; im Gewebe um die Gefässe keine
Blutung; Arterien- und Venenwunde
decken sich, also richtiges arterio¬
venöses An. Resektion des Sackes; di¬
rekte Naht der Arterie wegen Spannung
unmöglich, daher Resektion eines zirka
8 cm langen Stückes der Vena saphena,
welches in umgekehrter Stromrichtung
durch zirkuläre Naht in den Arterien¬
defekt umgepflanzt wird. Die Naht ist
dicht und der Blutstrom passiert das
übergepflanzte Stück, welches Arterien¬
pulsation unter leichter Schlängelung
zeigt; auch jenseits der peripheren Naht
im distalen Arterienstück guter Puls;
durch je eine Naht wird die Gefäss-
scheide des oberen und unteren Arte¬
rienstumpfes zwecks Entspannung der
Gefässnaht an das umgebende Gewebe
im Sinne der Annäherung der beiden
Enden befestigt. Das eingepflanzte
Stück, welches nach Entnahme von sei¬
nem Mutterboden sich stark kontrahier¬
te, wird nicht sofort durch den Blut¬
strom etwa über seinen normalen Durch¬
messer erweitert, sondern gibt allmäh¬
lich dem Drucke nach, bis es die Weite
der angrenzenden Arterienstücke er¬
reicht hat. Die Vena femoralis war auf
weite Strecken infolge narbiger Verän¬
derung zur Naht unbrauchbar, es hätte
also auch hier eine Ueberpflanzung ge¬
macht werden müssen, von der aber mit
Rücksicht auf die ziemlich lange Dauer
der Operation (l l / 2 Stunden) abgesehen
wird; sie wird doppelt unterbunden und
die Wunde geschlossen. Der Puls ist in
den Fussarterien sofort nach der Ope¬
ration fühlbar und bleibt es auch ; die
Extremität hat normales Aussehen und
Temperatur, keine Spur von Zirkula¬
tionsstörung. 18. November verlässt
der Kranke das Bett und wird schon am
29. November mit vollkommen normal
gebrauchsfähigem Bein entlassen.
4. R. Conrad, 25 Jahre, aufgenom¬
men am 17. November 1914. Aneurys¬
ma verum arteriae radialis sinist. Ver¬
letzt am 22. Oktober 1914 durch Infan¬
teriespitzgeschoss. Einschuss an der
Radialseite der Handwurzel, Ausschuss
an der ulnaren Seite etwas höher. An
der Stelle der Arteria radialis eine hasel¬
nussgrosse nur von Haut bedeckte pul¬
sierende, gut abgegrenzte Geschwulst,
welche sich durch Kompression zum
Verschwinden bringen lösst. Operation
19. November 1914. Freilegung der
Arterie oberhalb und unterhalb der Ge¬
schwulst und Präparation derselben; es
besteht keine Kontinuitätsverletzung der
Arterie, dieselbe ist an ihrer dem Kno¬
chen aufliegenden Wand normal, die
vordere Wand ist umschrieben zu der
kleinen pulsierenden Geschwulst ausge¬
buchtet ; offenbar hat das tangential pas¬
sierende Geschoss die Gefässwand ge¬
quetscht; Unterbindung der Arterie
ober- und unterhalb der Erweiterung
und Exstirpation derselben. Hautnaht;
am 22. November geheilt entlassen.
5. Sch. Franz, 21 Jahre, aufgenom¬
men 9. Dezember 1914. Aneurysma ar-
terio-venosum iliac ext. sin. Verletzt
am 20. November durch Infanteriege¬
schoss ; Steckschuss; verheilter Ein¬
schuss etwas einwärts vom linken, obe¬
ren Darmbeinstachel. Oberhalb des
Leistenbandes eine schätzungsweise
wallnussgrosse, pulsierende Geschwulst,
welche starkes Schwirren zeigt; keine
Schmerzen, keine erkennbare Zirkula-
tions- oder Nervenstörung; Puls in den
Fussarterien nicht zu tasten. Obwohl
nun keine Beschwerden bestanden, wur¬
de dem Kranken die Operation vorge¬
schlagen, da bei dem Sitz des Aneurys¬
ma oberhalb des Leistenbandes mit dem
voraussichtlichen Wachstum der Ge¬
schwulst sich die technischen Schwierig¬
keiten der Operation, insbesondere die
Begrenzung zentralwärts, vermehren
mussten.
Operation am 23 Dezember. Freile¬
gung des retroperitonealen Raumes
durch Schnitt wie zur Unterbindung der
Iliaca mit Durchtrennung des Leisten¬
bandes ; Abklemmung von Arterie und
Vene; nach schwieriger Präparation in
schwieligem Gewebe erkennt man ein
arterio-venöses Aneurysma, die Verletz¬
ung der Gefässe liegt etwas oberhalb des
Leistenbandes; die Gefässe sind durch
derbe schwartige Verwachsungen an der
hinteren Beckenwand fixiert und die
Loslösung derselben von dort ohne
Schädigung unmöglich; es bleibt nichts
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304
New Yorks* Medizinische Monaxsschur.
übrig, als eine Strecke von zirka 8 cm
von beiden zu resezieren. Zum Ersätze
zunächst der Vene wird die Saphena
derselben Seite 10 cm weit nach unten
freigelegt, an ihrer Einmündungsstelle
in die Femoralis nach oben umgeschla¬
gen und das freie Ende mit dem zentra¬
len Stumpfe der Iliaca durch Gefäss-
naht vereinigt; das periphere Ende der
Vena femoralis oberhalb der Saphena-
Mündung wird unterbunden. Dieser
Akt der Operation war wegen der tie¬
fen Lage des zentralen Venenendes und
der grossen Differenz der Lumina
ausserordentlich schwierig und zeitrau¬
bend. Hierauf Resektion eines 10 cm
langen Stückes der Saphena der ande¬
ren Seite und Einpflanzung desselben in
umgekehrter Stromrichtung in den De¬
fekt der Arterie. Der Blutstrom geht
durch das implantierte Stück unter deut¬
licher peripherer Pulsation, welche auch
in den Fussarterien zu konstatieren ist.
Schluss der Operationswunde mit Naht
des durchtrennten Leistenbandes. Die
Extremität hat sofort normale Tempe¬
ratur und Aussehen, keine Oedeme, gut
tastbaren peripheren Arterienpuls; nach
drei Wochen kann der Kranke gehen
und ist ohne jede Beschwerde oder nach¬
weisbare Störung geheilt.
6. P. Julius, 26 Jahre, aufgenommen
am 26. Dezember 1914. Aneurysma ar-
terio-venosum carotidis communis sin.
Verletzt am 12. November durch Infan¬
terie-Stumpfgeschoss. Einschuss an der
rechten Wange oberhalb des Kiefer¬
winkels. Ausschuss im linken oberen
Halsdreieck; der Schuss muss wohl, da
im Kehlkopf eine Verletzung nicht er¬
kennbar ist, hinter demselben den
Pharynx durchsetzt haben. An der
linken Halsseite deutlich sichtbare und
tastbare taubeneigrosse pulsierende
Geschwulst mit schwirrendem Ge¬
räusch. dieses auch bei Auskultation
am Schädel deutlich hörbar; das linke
Auge protrudiert, Pupille enge im Ge¬
gensatz zur anderen Seite, linksseitige
Stimmbandlähmung; keine Herz- und
Atmungs - Anomalien ; andauernder
Kopfschmerz. Operation am 26. De¬
zember. Freilegung der Halsgefässe
vom Warzenfortsatz bis gegen das
Sternum am Vorderrande des Kopf¬
nickers unter Einkerbung seines me¬
dialen Randes. Die Vena jugularis
zeigt sich unterhalb ihres Austrittes
aus dem Schädel auf 2 Daumenstärke
erweitert,, zeigt schwirrende Pulsation;
keine Blutung ins umgebende Gewebe.
Der Aneurysmasack, dessen Freiprä-
parierung nach temporärer zentraler
Abklemmung der Karotis und Jugu¬
laris versucht wird, ist mit der Umge¬
bung stark verwachsen, reicht bis an
die Wirbelsäule und nach oben an die
Schädelbasis, hat nach vorn eine zip¬
felförmige Ausbuchtung des venösen
Abschnittes. Dieser Teil ist ziemlich
dünn in seiner Wand und reisst bei der
Präparation ein, wobei es eine starke
venöse Blutung gibt, welche durch Ab¬
klemmung und Umstechung gestillt
werden kann; da die Resektion des
Sackes, abgesehen von der technischen
Schwierigkeit zwecklos erscheint, weil
die distalen Enden der Gefässstämme
keinesfalls so weit aus den Knochen¬
kanälen des Schädels freizumachen
sind, dass eine Gefässnaht möglich
wäre, wird die Karotis knapp unter¬
halb des Sackes doppelt unterbunden
und durchschnitten. Wundnaht, Hei¬
lung per primam. Die Pupillendiffe¬
renz ist bald nach der Operation ver¬
schwunden, indem nun auch die linke
normale Weite und Reaktion zeigt, es
treten keinerlei zerebrale Ausfalls¬
symptome auf, der früher bestandene
Kopfschmerz ist verschwunden, der
Kranke fühlt sich vollkommen wohl
und die Stimmbandlähmung zeigt
nach einigen Tagen deutliche Rück¬
bildung, nach zwei Wochen ist sie
gänzlich behoben und der Kranke ge¬
heilt.
Unter den beschriebenen Fällen wa¬
ren also drei arterio-venöse, ein echtes
und zwei sogenannte falsche Aneurys¬
men, fünf waren aseptisch, No. 1, ob¬
wohl mit verheilter Einschusswunde
und ohne Vereiterung des Blutergus¬
ses, als infiziert anzusehen, da be¬
trächtliche Temperatursteigerung be¬
stand. Bei allen wurde das Ziel der
Operation, d. i. die Stillung des Aus¬
trittes von Blut aus dem verletzten
Gefässrohr und Beseitigung der sekun¬
dären Folgen des ausgebildeten Aneu¬
rysma, erreicht, ohne dass es zur Gan-
Qrigircal fro-rri
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New Y<
Medizinische Monatsschrift.
305
grän der Extremität, beziehungsweise
Schädigung des Gehirnes gekommen
wäre. In dem Falle der Arteria radi-
alis kam dies natürlich gar nicht in
Frage und habe ich diesen Fall haupt¬
sächlich wegen der relativen Seltenheit
eines Aneurysma verum aus traumati¬
scher Ursache mit hier aufgenommen;
alle übrigen Fälle betrafen aber Ge-
fässstämme, deren Unversehrtheit für
das bezügliche Stromgebiet von vita¬
lem Interesse ist; daher ging ich an
jede Operation ohne Rücksicht auf die
grössere oder geringere Wahrschein-
lichkeit, die Unterbindung ohne Scha¬
den ausführen zu können, mit der Ab¬
sicht heran, das Gefäss funktionell zu
erhalten beziehungsweise wieder her¬
zustellen. Einmal verhinderte techni¬
sche Unmöglichkeit, das anderemal
gefahrdrohender Zustand des Verletz¬
ten die Ausführung dieser Absicht, in
letzterem Falle sehr zum Nachteil des
Enderfolges; denn obwohl die Ver¬
letzung eine Arterienstrecke betraf,
welche inbezug auf vitale Wertigkeit
mit der Carotis communis oder der
iliaca sich nicht vergleichen lässt, da
reichliche Anastomosen aus den
Aesten der Subklavia die Ausbildung
eines kollateralen Kreislaufes begün¬
stigen, und obwohl nahezu fünf Wo¬
chen seit der Verletzung verflossen
waren, hatte die durch die Umstände
gebotene Unterbindung der Axillaris
wohl nicht Gangrän, aber doch schwe¬
re Zirkulationsstörung der Extremität
zur Folge, welche nur langsam und
teilweise sich zurückbildete, Muskula¬
tur und Nerven indes so schwer beein¬
flusste, dass deren vollständige Resti¬
tution und damit eine befriedigende
Gebrauchsfähigkeit der Extremität
kaum zu erwarten steht. Diese Stö¬
rungen traten ein, obwohl der periphe¬
re Arterienstumpf nach Abklemmen
des zentralen noch geblutet hatte, ein
Beweis mehr gegen die Zuverlässigkeit
des C o e n e n’schen Zeichens; auch
andere (Zahradnicky) 3 ) haben
3) Kriegsärztliche Sitzung Mähr.-Weisskirchen.
Februar 1915.
das Vertrauen darauf mit nachfolgen¬
der Gangrän bezahlt.
Möglich, dass multiple Thrombosen
der Seitenäste in meinem Falle das un¬
günstigere Resultat mit verschulde¬
ten; ich erwähnte schon, dass ich den
Fall als infiziert ansehe und folgere
daraus die Annahme der Thrombosie¬
rung. Auch scheint mir von Habe-
r e r’s 4 ) Meinung gerade hier zutref¬
fend, dass bei rasch wachsendem
Aneurysma der Druck derselben die
Seitenbahnen schädige, weshalb die
bisherige Lehre, deren Ausbildung
möglichst lange abzuwarten, in ihrer
allgemeinen Berechtigung anzuzwei¬
feln sei. Jedenfalls geben solche Er¬
fahrungen die deutliche Mahnung,
dass durch zu langes Warten ebenfalls
und vielleicht grössere Gefahren be¬
schworen werden wie durch zu frühes
Eingreifen. Hätte man in meinem
Falle früher unterbunden, so scheint
es mir zweifellos, dass die Ernährungs¬
störungen erheblich geringer gewesen
wären; als ebenso gewiss nehme Ich
an, dass sie zu vermeiden waren, wenn
die Erhaltung des Gefässes gelungen
wäre, was allerdings auch wegen der
Unsicherheit der Asepsis des Falles
zweifelhaft war.
Der Fall ist gerade wegen des Ge¬
gensatzes zu den übrigen mit Gefäss-
naht operierteen eine wirksame Illu¬
stration zu der Ueberlegenheit der
letzteren Methode; schwere Ernäh¬
rungsstörung trotz genügend langer
Zeit des Zuwartens bei einem an sich
bezüglich Unterbindung nicht so pre¬
kären Gefässe dort — Ausbleiben jeg¬
licher Schädigung bei sofortiger Wie¬
derherstellung normaler Zirkulation
hier, auch wenn, wie in Fall 2, ohne
vorbereitendes Zeitintervall operiert
werden musste.
Es ist wohl schwer, einem Einwand
zu begegnen, es hätte in diesen Fällen
auch die Unterbindung ohne Gangrän
gemacht werden können; wie schon
erwähnt und allgemein bekannt, ist
4) v. H a b e r c r, Wiener klin. Wochenschr. 1914,
Nr. 46.
Original from
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306
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
die Vorhersage, ob die Ausschaltung
eines bestimmten Gefässstammes Gan¬
grän zur Folge hat, sehr zweifelhaft;
jedenfalls besteht aber diese Gefahr,
sie wird durch Fall 1 demonstriert;
auch v. Haberer erlebte bei der
Unterbindung der Poplitea partielle
Gangrän, Zahradnicky unter 9
Fällen viermal, und die Gefahr wird
zur Gewissheit, wenn man wegen Blu¬
tung oder Berstung vor Ablauf eines
entsprechenden Zeitraumes eingreifen
muss.
Dass die Gefässnaht in allen Fällen
tatsächlich zur Wegsamkeit des Arte¬
rienrohres geführt hat, würde durch
das Ausbleiben von Zirkulationsstö¬
rungen (ausser in Fall 2, wo vor der
Operation solche bestand und schon
kurz nach der Verletzung operiert
werden müsste) allein nicht bewiesen,
ist aber wohl durch das sofortige Auf¬
treten des peripheren Pulses einwand¬
frei sichergestellt.
Es ist wohl kaum einer Beweisfüh¬
rung bedürftig, dass die Erhaltung der
Gefässstämme zweckmässig und er¬
wünscht ist, es könnte höchstens in
Frage gestellt werden, ob sie beim
Aneurysma notwendig und möglich
ist. Die Notwendigkeit glaube ich ge¬
nügend erörtert zu haben und wenn
ihr Vorteil nur darin bestünde, dass uns
das bange Hoffen und Harren erspart
bleibt, ob nach der Unterbindung Gan¬
grän eintritt oder nicht, so müsste
schon das allein genügen, ihre Anwen¬
dung zu fordern.
Dass sie aber auch möglich ist, muss
ganz entschieden betont werden; wenn
das vielfach noch bezweifelt wird, so
liegt das vielleicht in einer Ueber-
schätzung der technischen Schwierig¬
keit, die leicht jenen Chirurgen pas¬
siert, welche sich nicht mit der Metho¬
de näher vertraut gemacht haben. Im
Besitze des geeigneten, übrigens recht
einfachen Instrumentariums — es
kommt im wesentlichen nur auf genü¬
gend feine Nadeln und Nahtmaterial
an — und bei der Voraussetzung asep¬
tischen Operierens, ist die Gefässnaht
durchaus kein experimentelles Parade¬
stück, sondern eine Operation, welche
eigentlich regelmässig, zumal bei den
grösseren Gefässkalibern, die bei der
klinischen Praxis in Frage kommen,
gelingen muss. v. Haberers Be¬
denken, dass „bei ausgedehnter Lä¬
sion des Gefässes es am nötigen Mate¬
rial zur Naht gebricht und die bisher
erzielten Erfolge der Transplantation
noch zu wenig sicher sind, um die Me¬
thode verallgemeinern zu können,“
möchte ich an der Hand der berichte¬
ten Erfolge ebenso entschieden ent¬
gegentreten; die Transplantation von
Gefässstücken ist nicht wesentlich
schwieriger als die direkte Gefässnaht,
ich möchte sogar behaupten leichter,
wenn diese nur einigermassen grösse¬
re Spannung findet, und jedenfalls
dann erfolgsicherer. Am Material da¬
zu kann es kaum fehlen, jede Vene
grösseren Querschnittes ist hiezu ge¬
eignet, die Vena saphena allerdings
scheint mir wegen der grösseren
Wandstärke ganz besonders empfeh¬
lenswert ; wenn auch jede Vene durch
Hypertrophie und Metaplasierung ih¬
rer Wandung, sobald ihr die Funktion
einer Arterie zugemutet wird, den
Charakter einer solchen mehr oder we¬
niger annimmt, so dehnen sich dünn¬
wandige Venen, wie die Brachialis et¬
wa, unter dem Drucke des arteriellen
Blutstromes zunächst doch stark aus,
während die Saphena, wenn sie ausge¬
schnitten ist, nicht wie die dünnwandi¬
gen Venen glatt kollabiert, sondern
sich zirkulär und in der Längsachse
stark kontrahiert, wodurch ihre
grössere Wandstärke und Elastizität
noch stärker markiert wird und sie
dann, in den arteriellen Strom einge¬
schaltet, sich nicht oder nur unmerk¬
lich für kurze Zeit dilatiert.
Bloss muss man bei Verwendung
der Saphena darauf achten, das rese¬
zierte Stück in umgekehrter Strom¬
richtung zu verwenden, weil der Blut¬
strom die gegensinnig gestellten Ve-
Ürigmal fro-m
HARVARD UNIVERSITY
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New Yorks» Medizinische Monatsschrift.
307
nenklappen wohl überwindet, aber
doch in denselben knotige Erweiterun¬
gen der Venen erzeugt, welche die Ge¬
fahr der Thrombosierung in sich tra¬
gen.
Bei Verletzung beider Gefässstäm-
me ist zu versuchen, beide in ihrer
Kontinuität wieder herzustellen; es
scheint nur das bei der Vene oft
schwieriger als bei der Arterie, weil
die erstere durch das Trauma selbst,
dann aber durch das Aneurysma und
die Schwartenbildung viel mehr in
Mitleidenschaft gezogen und in ihrer
Wand geschädigt wird, wie die weit
resistentere Schlagader. Zum Glück
ist der Ersatz der Vene nicht von so
zwingender Notwendigkeit und wenn
derselbe sehr grosse technische
Schwierigkeiten bietet (grössere
Streckendefekte, Unzugänglichkeit des
zentralen Stumpfes) so wird man nach
gelungener Wiederherstellung der Ar¬
terie ruhig die Vene ligieren können.
Auch Hotz 5 ) ging mehrfach so vor,
indem er bei Präparierung arterio¬
venöser Aneurysmen die Vene des
Aneurysmas selbst zum Ersatz des
Arteriendefektes verwendete.
Das in Fall 4 angewendete Verfah¬
ren der einseitigen Implantation der
Saphena in den zentralen Sttumpf der
Vene, während die periphere Verbin¬
dung durch die Einmündungsstelle in
die Vena femoralis dargestellt wird,
ist ein Versuch, über, dessen Wert ich
mich nicht äussern will, bevor ich
durch Tierversuch mit entsprechender
Nachkontrolle die Funktion dieses Ve¬
nenstückes geprüft habe. Jedenfalls
ersparte mir dieser Ausweg einige
Zeit: die theoretische Schwäche der
Sache liegt darin, dass eventuelle
Klappen in dem umgedrehten Saphe-
nastück dem venösen Blutstrom ent¬
gegenstehen und dass an der Ligatur¬
stelle der Vena femoralis ein Blindsack
entsteht, der zu Thrombose führen
kann, welche sich auf die Abzweig¬
stelle der Saphena fortpflanzt. Indes-
5) Münchener med. Wochenschr. Xr. 7, 1915.
sen ist bei nicht infiziertem Opera¬
tionsgebiet und aseptischem Vorgehen
diese fortschreitende Thrombose nicht
wahrscheinlich und die Klappen dürf¬
ten wohl durch den aus grösserem in
kleineres Kaliber einströmenden venö¬
sen Blutstrom insuffizient werden und
jedenfalls nur ein zeitweiliges relatives
Stromhindernis darstellen.
Sobald man also den Gefässersatz
als ein im Rahmen der durchaus aus¬
führbaren Operationen liegendes Ver¬
fahren ansehen kann, muss man auch
die Ueberlegenheit des konservativen
Vorgehens über die Unterbindung an¬
erkennen, welche, mag sie noch so oft
ohne Schaden gemacht werden, bei al¬
len Kautelen immer wieder einmal
eine Gangrän bringt. Die Gefässnaht
hat dann noch den grossen Vorzug,
dass man mit der Ausführung der Ope¬
ration, sobald die Diagnose der Gefäss-
verletzung feststeht, nicht länger zu¬
zuwarten braucht, sondern sofort ein-
greifen kann, wodurch manche Gefahr
plötzlicher Nachblutung und andere
sekundäre Folgen des Aneurysmas,
wie Nervenlähmungen etc. erspart
werden können. Es ist sogar zu em¬
pfehlen, bei Anwendung der Gefäss¬
naht möglichst frühe zu operieren, ehe
noch durch stärkere Schwartenbildung
der Eingriff erschwert und kompliziert
wird. %
Der ablehnende Standpunkt, wel¬
chen noch manche Chirurgen gegen
die konservative Aneurysmaoperation
einnehmen, scheint mir, wie gesagt,
teils durch die äusseren Umstände ge¬
geben, unter welchen die meisten an
derartige Verletzungen herangehen
mussten. Dringliche Umstände be¬
gründen sich immer ihre eigenen Indi¬
kationen; für normale Verhältnisse
sind diese aber nicht giltig und so hal¬
te ich mich für berechtigt, zu behaup¬
ten, dass die bisherigen Grundsätze
über die Behandlung der Aneurysmen
im Sinne des konservativen Vorgehens
revidiert werden müssen.
Wenn irgend möglich, soll die Ge-
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
fässnaht oder der Gefässersatz ver¬
sucht, die Unterbindung auf jene Fälle
beschränkt werden, wo das eine Gefäss-
ende nicht erreichbar oder rasche Be¬
endigung der Operation dringend gebo¬
ten ist. Wenn man diese Fälle, welche
als nicht für die Gefässnaht geeignet, in
der Regel von vornherein zu erkennen
sind, ausscheidet, ist die Operation mög¬
lichst früh zu machen; sie ist dann ein¬
facher, vermeidet die Gefahr des weite¬
ren Wachstums des Aneurysmas und
spart dem Verletzten längeres Kranken¬
lager.
Voraussetzung ist die Garantie asep¬
tischen Operierens, sowohl was die
äusseren Umstände, wie den Zustand
des Operationsgebietes betrifft; die infi¬
zierten Aneurysmen scheiden also zu¬
nächst aus und sind so lange konserva¬
tiv zu behandeln, bis sie aseptisch sind;
das ist dann tunlich, wenn wohl die
äusseren Wunden unrein sind, der Blut¬
erguss selbst aber nicht infiziert ist;
sonst sind sie nach den bisherigen Re¬
geln zu behandeln. Dass man gerade
dann oft die geeignete Zeit für die Li¬
gatur nicht abwarten kann und wegen
unabweislichen Frühoperierens oder
septischer Thrombosierung der Kollate-
ralen Gangrän erlebt, ist ein Missstand,
den man wegen der vitalen Indikation
in Kauf nehmen muss.
Mitteilungen aus der neuesten Joumalliteratur.
Therapie und Arzneimittel.
T e u t o n,-,Wiesbaden : Die jetzigen
Heilmittel der Syphilis.
Bei jeder Form der Lues hält Verfas¬
ser, im strikten Gegensatz zu Wech-
selmann, aber in Uebereinstimmung
mit der überwiegenden Mehrzahl der
Aerzte, die Kombination einer milden
bis mässig starken Quecksilberkur mit
einigen Salvarsan-, in der Privatpraxis
insbesondere mit Neosalvarsan-Infusio-
nen, der Anwendung dieser Mittel allein
für entschieden überlegen, gemäss dem
von Kochmann entwickelten - Prin¬
zip, dass sich bei Kombination mehre¬
rer, in demselben Sinne wirkender
Medikamente in mittlerer Dosierung die
gewollten günstigen Wirkungen addie¬
ren bezw. potenzieren, während die un¬
günstigen Nebenwirkungen der einzel¬
nen Mittel, entsprechend der geringeren
Dosis, ganz oder zum grossen Teile
wegbleiben. Starke Quecksilberkuren,
insbesondere Kalomel-Injektionen, soll
man nicht mit Salvarsan kombinieren.
Es müssen unbedingt die wichtigsten
Ausscheidungswege, also die Nieren
und der Darm, offen gehalten und ge¬
schont werden. Weiterhin erachtet
Touton nicht diejenige Quecksilber¬
methode and und für sich als die beste,
bei der die längste Remanenz während
der Kur stattfindet, weil gerade damit
die Möglichkeit einer Kumulierung, die
zur Intoxikation führt, gegeben ist. In
dieser Hinsicht sind die Injektionen
von unlöslichen Quecksilbersalzen, wie
Kalomel, Salizyl- und Thymol-Queck¬
silberverbindungen, besonders bedenk¬
lich, weil man nicht weiss, wieviel
Quecksilber täglich vom Organismus in
gelöster oder brauchbarer Form aufge¬
nommen wird.
Nicht eine möglichst lange Remanenz,
sondern eine möglichst rasche Expul¬
sion der verbrauchten oder veränderten
Mittel ist die beste Gewähr gegen die
Schädigungen des Organismus. Ge¬
steigerte Kochsalzzufuhr begünstigt
übrigens auch die Quecksilberaufnahme
und die Wiederauflösung der zunächst
ausgefällten Albuminate.
Unter den Quecksilberpräparaten, de¬
ren Quecksilber erfahrungsgemäss
leicht abgespalten und schnell resorbiert
wird, bei denen also eine gefährliche
Kumulierung nicht zu befürchten ist,
steht Mergal in erster Reihe. — Auch
Touton bezeichnet Mergal als ein
empfehlenswertes Präparat, besonders
in den Fällen, wo Inunktiohskuren nicht
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
309
durchführbar sind. Touton lässt täg¬
lich 6 bis 8 Kapseln nehmen bezw. 300
bis 350 Stück für jede Kur.
O. Hesse- Utrecht: Der Einfluss
des Tannalbins auf die Verdauungs¬
bewegungen bei experimentell er¬
zeugten Durchfällen.
Versuche, die Autor über die Verdau¬
ungsbewegungen bei Katzen anstellte,
ergaben folgende Resultate:
Auf Tiere ohne Durchfall hat Tannal-
bin keinen wesentlichen Einfluss..
Der Milchdurchfall wird durch Tan-
nalbin nicht gestopft. Die Entleerungen
sind nicht verzögert und nicht deutlich
eingedickt.
Der Rizinusöldurchfall wird nicht
oder nur in seltensten Fällen gestopft.
Bei Koloquintendurchfällen bewirkt
Tannalbin eine geringe Konsistenzver¬
änderung der Fäzes, verzögert die Ent¬
leerung aber nur in der Minderzahl der
Fälle. — Der Nachdurchfall nach Kolo¬
quinten wird durch Tannalbin in der
Mehrzahl der Fälle gestopft. Die An¬
griffspunkte der Koloquintenwirkung
und der Stopfwirkung des Tannalbins
liegen in diesem Falle beide im Dick¬
darm.
Das Zustandekommen der Sennawir-
kung wird durch Tannalbin nicht ver¬
hindert.
Der Durchfall nach Fütterung mit
Brot und Pferdeorganen wird durch
fortgesetzte T annalbingaben gestopft,
das heisst, die Entleerungen werden
fest, aber nicht sicher verzögert. Auch
hier greift Tannalbin hauptsächlich am
Kolon an.
Bei der Stopfwirkung des Tannalbins
auf den Koloquinten- und Pferdeorgan¬
brotdurchfall lässt sich im Röntgenver¬
such nur eine auffallend geringe Verän¬
derung im Ablauf der Verdauungsbe¬
wegungen feststellen. Der Wirkungs¬
mechanismus des Tannalbins wird da¬
her, wie von vornherein wahrscheinlich
ist, auf der Beeinflussung der Schleim¬
haut ( Entzündung. Resorption, Sekre¬
tion) durch das Adstringen beruhen.
(Archiv f. d. ges. Physiologie, Bd. 151,
S. 394.)
Gynäkologie und Geburtshilfe.
H. L. Coopman - Amsterdam:
Ueber konservierende und operative
Behandlung chronischer Adnexer¬
krankungen.
Coopman stellt die nachfolgen¬
den Sätze auf:
1. Adnexerkrankungen sollten im
weitesten Masse konservativ behan¬
delt werden.
2. Führt diese Behandlung nicht
zum Ziel, so soll zunächst vaginal
durch Punktion, Kolpotomie eine Hei¬
lung angestrebt werden.
3. Tritt wiederholt Rezidiv auf, so
soll man abdominell operieren, wo¬
möglich mit Zurücklassung eines Ova-
rialrestes. Die Entfernung des Uterus
soll nur im äussersten Falle 'ange¬
schlossen werden, um den Frauen die
psychische Beruhigung, dass sie men¬
struieren, nicht zu rauben.
4. In vielen (alten) Fällen, wo man
Eiter vermutet, ist in den „Geschwül¬
sten 4 * nur noch seröse, sterile, höchsten
Kolibazillen enthaltende Flüssigkeit.
5. Die Appendix, weil fast immer in
Mitleidenschaft gezogen, soll stets
entfernt werden. Diese Indikation
rechtfertigt schon an und für sich das
abdominelle Verfahren. (Zbl. f. Gvn.
1915 Nr. 16.)
W. S t o e c k e 1: Die extraperitoneale
Tubenverlegung als Methode der
Sterilisierung.
Die von S t o e c k e 1 angegebene
Methode besteht in Freilegung des
Leistenkanals wie bei der Alexan¬
der-Adam s’schen Operation mit
Eröffnung des Peritoneums, in dem
Herausleiten der Tuben aus dem Lei¬
stenkanal und ihrer extraperitonealen
Einbettung zwischen Bauchdeckenmus¬
kulatur und vorderer Bauchdecken¬
faszie. (Zbl. f. Gyn. 1915 No. 11.)
A. Döderlein - München: Zur
Strahlenbehandlung des Krebses.
Es steht nunmehr fest, dass Radium
und Mesothorium die Karzinomzelle
zerstören, also eine elektive Wirkung
auf das Karzinom ausüben, wobei je¬
doch nicht gesagt werden soll, dass die
Original ffom
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310
New Yorker Medizini3Che Monatsschrift.
gesunde Zelle unter keinen Umstän¬
den davon ergriffen werdene, sondern
nur, dass die Karzinomzelle leichter,
frühzeitiger und intensiver reagiert als
die gesunde. Die Aufgabe der Aus¬
bildung der Technik ist, den richtigen
Mittelweg zu finden, dass unter Scho¬
nung der gesunden Gewebe nur die
kranken angegriffen werden. Es kann
heute als feststehend betrachtet wer¬
den, dass die Erfolge in der Strahlen¬
behandlung des Karzinoms von keiner
anderen palliativen Behandlung auch
nur entfernt erreicht werden können,
und D. glaubt, später den zahlenmässi-
gen Beweis erbringen zu können, dass
mit der ausschliesslichen Strahlenthe¬
rapie günstigere Dauerheilresultate er¬
zielt werden können als mit der ope¬
rativen. (Zbl. f. Gyn. 1915 Nr. 12.)
E. E b e 1 e r - Köln: Üeber Menstru¬
ationsverhältnisse nach gynäkologi¬
schen Operationen.
So wenig konstant zum Teil das
Auftreten der ersten Menstruation
nach gynäkologischen Operationen ist,
so wenig einheitlich erscheint vorder¬
hand noch seine Aetiologie zu sein.
Zwar ist hinsichtlich der Genese der
uterinen Blutungen im Lichte der
Kenntnis der inneren Sekretion die
jetzt meist vertretene Ansicht die,
dass ein vom Ovarium produzierter, in
die Blutbahn gegebener Stoff, ein Hor¬
mon, die menstruellen Veränderungen
hervorruft; doch lassen sich alle Men¬
struationsstörungen durch das von
F r a e n k e 1 gefundene Zeitgesetz der
Ovulation und durch die Linden-
t h a l’sche Hypothese erklären ; es
spielen aber auch die Theorien ande¬
rer Autoren, deren E. in seiner Arbeit
Erwähnung tut, für gewisse Fälle
zweifellos eine ebenso massgebende
Rolle. (Zbl. f. Gyn. 1915 Nr. 8 u. 9.)
P. Zweifel- Leipzig: Ueber das
untere Uterinsegment.
Zweifel befindet sich in Ueber-
einstimmung mit Veit (vergl. De¬
zember-Nummer 1914 d. Monatsschr.)
und stellt die bis jetzt unbestritten an¬
genommenen Grundsätze bezüglich
des unteres Unterinsegmentes, die
eher zu einer Verständigung über die
noch angefochtenen führen, zusam¬
men, wie folgt:
1. Es ist darüber Einstimmigkeit
erzielt, dass bei der nulliparen Frau
das untere Uterinsegment schon vor¬
gebildet ist, und zwar dahin, dass das¬
selbe über dem durch die Querfalten
makroskopisch erkennbaren Zervikal¬
kanal beginnt, eine leichte Längsstrei¬
fung der Schleimhaut zeigt und Drü¬
sen trägt, welche allen Eigenschaften
nach zur Korpusschleimhaut gehören.
Weil dieser Teil bei den Nulliparen
am engsten ist, hat er von verschiede¬
nen Autoren den Namen „Isthmus“
erhalten.
2. Wenn eine Schwangerschaft ein-
tritt, so bildet sich aus der Schleim¬
haut des Isthmus eine Dezidua, und
nach Ablauf der ersten beiden Monate
beginnt sich auch diese engere Stelle
des Kanals zu erweitern und wird im
Fortschreiten der Schwangerschaft all¬
mählich zur Bergung des Eies mitver¬
braucht.
3. Der Zervikalkanal, welcher im¬
mer an der Querfältelung und an den
buchtigen Drüsen scharf von der De¬
zidua zu-unterscheiden ist, bleibt be¬
sonders bei Erstgebärenden bis zum
Beginn von Wehen erhalten und ver¬
längert sich ein wenig. Die Stelle
über dem Zervikalkanal nimmt am
Ende der Schwangerschaft den Kopf
des Kindes auf und wird zu einer
Halbkugel erweitert. Die Wand wird
verdünnt und ist dazu besonders be¬
fähigt, weil daselbst die Muskulatur
lamellär angeordnet, nicht allseitig
verflochten ist, wie die des Corpus
uteri. Das ist das untere Uterin- oder
besser das untere Korpussegment.
4. Beginnen die Wehen, so wird na¬
türlicherweise dieses Segment zuerst
höher, über die Fruchtblase und das
Kind zurückgezogen. Es kann da¬
durch eine auffällige Verdünnung ein-
treten, ehe die Fortwirkung der Re¬
traktion zur Erweiterung des Mutter¬
mundes geführt hat. Tritt in diesem
ersten Stadium, also am Ende der
Schwangerschaft oder im ersten An¬
fang der Geburt der Tod plötzlich ein,
so wird über dem vollkommen erhal¬
tenen Zervikalkanal das untere Kor-
Qriginal fro-m
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
311
pussegment um der Totenstarre willen
nach der Entnahme des Kindes aus
der unentbundenen Frau weit und ver¬
dünnt erscheinen und daher den Ein¬
druck erwecken, dass es schlaff blieb.
5. Da sich bei einer- länger hinzie¬
henden Agonie regelmässig Zusam¬
menziehungen der Gebärmutter ein¬
stellen, werden viele Leichenpräparate
eine von oben her begonnene Erweite¬
rung des Zervikalkanals zeigen.
6. Geht die Geburt weiter bis zur
vollen Eröffnung des äusseren Mutter¬
mundes und rückt das Kind in dem
Geburtskanal weiter vor, so beginnt
auch das untere Korpussegment, da es
ebenfalls muskulös ist, sich zu kontra¬
hieren.
7. Nach der normalen Geburt und
der Ausstossung der Plazenta ist das
untere Korpussegment kontrahaiert
und der Kontraktionsring fällt mit
dem Orificium internum uteri zusam¬
men. Wäre diese Kontraktionsfähig¬
keit des unteren Korpussegments nicht
vorhanden, so müsste jede Frau mit
Placenta praevia verbluten.
8. Ebenso wie beim normalen Ute¬
rus die gesunde Muskulatur in Aus¬
nahmefällen versagen und Frauen we¬
gen Atonia Uteri verbluten können, ist
dies bei Placenta praevia möglich.
Noch viel mehr ändert natürlich eine
Uterusruptur die Kontraktionen;
wenn in solchen Fällen ein schlaff ge¬
bliebenes unteres Korpussegment
selbst noch nach dem Ablauf der Ge¬
burt gefunden wurde, ist das leicht er¬
klärlich, rechtfertigt jedoch nicht, aus
einzelnen solchen Befunden den allge¬
meingültigen Schluss zu ziehen, dass
das untere Korpussegment post par¬
tum immer und ungefähr ebenso lan¬
ge schlaff bleibe wie die Cervix uteri.
(Zbl. f. Gyn. 1914 Nr. 44.)
M. Hofmeier: Zur Frage der aus¬
schliesslichen # Strahlenbehandlung
operierbarer Uteruskarzinome.
H o f m e i e r berichtet über einen
für einen operativen Erfolg sehr gün¬
stig liegenden Fall von Portiokarzi¬
nom, bei welchem durch einen sechs¬
wöchigen Versuch, die Krankheit
durch Radium allein zu heilen, ein
höchst unliebsames Fortschreiten des
Krankheitsprozesses in die Tiefe be¬
obachtet worden und dann nach der
scheinbar immer noch sehr günstigen
Operation bereits in den nächsten vier
Wochen ein Beckenbindegewebsrezi-
div gefolgt, wie man es sonst in sol¬
chen Fällen in dieser Schnelligkeit
kaum zu sehen bekommt. H. will aus
dieser Einzelbeobachtung keinen zu
allgemeinen Schluss ziehen, allein er
hält dadurch doch für bewiesen, dass
durch die bis jetzt vorliegenden Er¬
fahrungen die Frage nicht gelöst ist,
ob auch alle operablen Fälle von Ute¬
ruskarzinom nur noch radiotherapeu¬
tisch in Angriff zu nehmen seien. Mag
in dem angeführten Fall auch eine be¬
sondere Ursache des Misserfolges vor¬
liegen, wie Alter der Patientin, Art
des Karzinoms usw., so liegt doch je¬
denfalls ein grober Misserfolg vor, der
ernstlich zu denken gibt. H. ist dahei
der Ansicht, dass man nach wie vor
operable Fälle so ausgiebig wie mög¬
lich und zugleich so wenig gefährlich
wie möglich, d. h. mit der weniger.ge¬
fährlichen vaginalen Operation, be¬
handelt und dann noch einer radio¬
therapeutischen Nachbehandlung un¬
terzieht. (Zbl. f. Gyn. 1915 Nr. 1.)
H. Fehling: Operative und Strah¬
lenbehandlung bei gutartigen und
bösartigen Geschwülsten der Gebär¬
mutter.
Die Strahlenbehandlung hat grosse
Vorteile, aber auch ihre Kontraindika¬
tionen. F. ist heute noch nicht der
Ansicht, dass die Chancen der opera¬
tiven und Strahlenbehandlung annä¬
hernd die gleichen sind. Die Radium-
und Mesothoriumbehandlung hält F.
für schonender und angenehmer als
die Röntgenbehandlung, aber für zwei¬
fellos gefährlicher. Mit der Strahlen¬
behandlung können therapeutisch ek¬
latante Erfolge erzielt werden, wie mit
kleinem anderen Verfahren. Es wur¬
den manche Zervix- und Scheidenkar¬
zinome so zur Rückbildung gebracht,
dass später auch bei Exzision und mi¬
kroskopischer Untersuchung von einer
Neubildung nichts mehr gefunden
wurde. Dennoch vertritt F. vorläufig
noch die Ansicht, dass die gutoperab¬
len Fälle so bald wie möglich operiert
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312
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
werden sollten. Immerhin ist für die
mit gut- und bösartigen Gebärmutter¬
geschwülsten behafteten Frauen eine
Aera der unblutigen Behandlung an¬
gebrochen, an deren Ausbau jeder
Arzt mithelfen sollte. (M. m. \Y. 1914
Xr. 49.)
Chirurgie.
VY. Gross: Zur Behandlung der
Rippenbrüche.
Gross gebraucht einen einfachen
HeftpHasterverband, welcher in der
Form eines Längsstreifen von Heft¬
pflaster unterhalb der Bruchstelle be¬
ginnt und dann über die entgegenge¬
setzte Schulter zieht. Besteht starke
Schwellung und grosse Schmerzhaftig¬
keit, legt er zur Stütze der Bruch¬
stücke zwei Heftpflasterstreifen in der
angegebenen Richtung unter Freilas¬
sung der gebrochenen Stelle parallel.
Der Streifen, welcher sich über die
Schulter zieht, muss unter Druck zu¬
erst unterhalb der Bruchstelle gelegt
werden; dann führt man unter steti¬
gem Zug den Streifen über die Schul¬
ter und befestigt ihn handbreit weit
auf der entgegengesetzten Seite (Brust
oder Rücken). Quer auf die Stelle des
Rippenbruches legt G. die bekannten,
dachziegelförmig sich deckenden Heft¬
pflasterstreifen über den Beginn des
zuletzt erwähnten Streifens, um diesen
zu befestigen. Einen weiteren Strei¬
fen legt man zu diesem Zweck in que-
red Richtung über das Ende. G. emp¬
fiehlt diesen ausserordentlich brauch¬
baren Verband auch bei Nachbehand¬
lung von schmerzhaften Verwachsun¬
gen in dem Brustfellraum oder Neu¬
ralgien nach der Heilung solcher Brü¬
che oder gleichartiger Erkrankungen.
(D. Med W. 1915 Nr. 12.)
A d o 1 f Schmidt, Halle a. S.:
Ueber Lungenschüsse.
Aus den von Schmidt mitgeteil¬
ten Erfahrungen ergibt sich, dass man
mit dem Transport von Lungen¬
schüssen vorsichtig verfahren und lie¬
ber die mit grösseren Ausschuss¬
öffnungen und Rippenverletzungen
verbundenen in den Feld- respektive
Etappenlazaretten zurückbehalten soll.
Die frühzeitig einsetzende Verklebung
der Pleurawunde soll durch Ruhe
möglichst gefördert werden. Weiter¬
hin sind die Schussöffnungen sorg¬
fältig zu verbinden und beim Auftre¬
ten von stärkeren Fieberbewegungen
ohne Rücksicht auf den Lungenbefund
zu erweitern und eventuell zu drainie-
ren. Dagegen braucht man über leich¬
te Fieberbewegungen und über das
Auftreten von tympanitischem Schall
an der Thoraxoberfläche sich nicht zu
ängstigen. Gegen Probepunktionen
besteht keinerlei Bedenken. (D. med.
Wo. 1914 Xr. 44.)
Walther Pöppelmann: Bis
zum 20. Oktober behandelte Dum-
Dum-Verletzungen aus dem gegen¬
wärtigen Kriege.
Pöppelmann gibt die mit Ab¬
bildungen erläuterten Krankenge¬
schichten dreier Fälle von Dum-Dum-
Verwundungen, die im Vereinslazarett
in Coefeld (Westfalen) behandelt wur¬
den. Alle drei Verwundungen stamm¬
ten aus derselben Gegend des grossen
Schlachtfeldes in Frankreich. Alle
drei Leute geben übereinstimmend an,
dass Engländer ihnen gegenüber ge¬
legen hätten. Alle drei sagen ferner,
dass Dum-Dum-Geschosse von ihnen
sowohl auf dem Schlachtfelde, als auch
in den Taschen verwundeter und ge¬
fallener Feinde gefunden wurden. In
einem der berichteten Fälle glückte es,
ein solches Geschoss in natura und in
situ in die Hand zu bekommen. (D.
med. W. 1914 Nr. 45.)
Professor Riedel- Jena: Verletzun¬
gen durch Dum-Dum-Geschosse.
Riedel gibt die nach der Natur
gezeichneten Masse von Ein- und
Ausschuss bei Dum-Dum-Verletzun-
gen bekannt. Die grossen Ausschuss¬
wunden glichen durchaus denjenigen,
die man im Hochgebirge bei Gemsen
sieht, die auf 300 bis 400 m geschossen
sind, weil der Jäger aus Humanität
mit Dum-Dum schiesst. R. hat keinen
Zweifel, dass die Verletzten von Ku¬
geln mit Bleikopf getroffen wurden.
Sie standen Engländern gegenüber.
(D. med. W. 1914 Nr. 4s.)
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
313
Professor M. Kirschner: Bemer¬
kungen über die Wirkung der regel¬
rechten Infanteriegeschosse und der
Dumdumgeschosse auf den mensch¬
lichen Körper.
1. Der einzige eindeutige Beweis
dafür, dass eine Wunde durch ein
Dumdumgeschoss herbeigeführt wur¬
de, ist die Auffindung des Projektils in
einem so wenig deformierten Zustan¬
de, dass sich noch absolut sicher fest¬
stellen lässt, dass an seinem vorderen
Ende die Geschlossenheit des Stahl¬
mantels bereits vor dem Abfeuern der
Patrone absichtlich unterbrochen war.
2. Ausgedehnte Gewebszerstörun¬
gen, im besonderen grosse, zerfetzte
Ein- und Ausschussöffnungen bewei¬
sen an sich nicht die Verwendung ei¬
nes Dumdumgeschosses, sie kommen
vielmehr auch bei Benutzung regulä¬
rer Infanteriegeschosse vor. Und zwar
können sie, wenn es sich um reine
Weichteilwunden handelt, entstanden
sein durch Querschläger, durch Ein¬
dringen eines Fremdkörpers oder
durch Eindringen von Explosionsga¬
sen. Sind Knochen mitbeteiligt, so
kann es sich um die schulmässige
Sprengwirung der regelrechten Ge¬
schosse in der Nahzone handeln.
3. Auch das Vorhandensein eines
deformierten Stahlmantels in der
Wunde oder der Austritt von Blei aus
dem Stahlmantel erbringen an sich
nicht den Beweis für ein Dumdumge¬
schoss, da auch die regulären Mantel¬
geschosse sowohl vor dem Eintritt in
den menschlichen Körper durch Rico-
chettieren als auch im menschlichen
Körper durch Aufprallen auf einen
kräftigen Knochen derartig verunstal¬
tet werden können.
4. Nur die Mantelgeschosse können
unter derartigen Umständen beim
Auftreffen auf einen Knochen die be¬
nachbarten Weichteile durch Austritt
des Bleikernes verletzen. Bei dem
französischen Vollgeschoss ist das
ausgeschlossen.
5. Trifft ein Dumdumgeschoss nur
Weichteile, so wirkt es genau wie ein
reguläres Infanterieprojektil. Seine
spezifische, zerstörende Wirkung kann
nur beim Auftreffen auf einen Kno¬
chen einsetzten.
6. Vollgeschosse, wie die regulären
französischen Infanteriegeschosse, las¬
sen sich nicht zu Dumdumgeschossen
umarbeiten. (M. med. W. 1914 Nr.
52.)
Feuilleton
Aerzte als Märtyrer.
Unter dieser Ueberschrift bringt die
Wiener Aerztliche Standeszeitung (Nr.
17/18) von Dr. H. Grün einen Protest
der Aerzte gegen die sogenannten Kul-
tumationen, den wir hier wörtlich wie¬
dergeben, weil er sicherlich den Beifall
nicht nur der österreichischen sondern
auch der deutschen Kollegen finden
dürfte:
„Der Krieg ist ein guter Lehrmeister;
er bringt uns eine Reihe von Erfahrun¬
gen, von denen wir mehr als überrascht
sind, und er klärt uns über den Kultur¬
grad mancher Völker auf, die wir bis zu
den letzten Ereignissen mit einer gewis¬
sen Hochachtung betrachtet hatten. —
„Aber die Lehren, die uns der Krieg
bringt, sind nicht zum wenigsten auf
Kosten der Aerzte Deutschlands und
Oesterreichs gewonnen. In uns glüht
die Empörung gegen die Art und Weise,
wie manche Nationen, die sich auf die
Grösse der bei ihnen blühenden Kultur
bisher soviel zugute taten, den Krieg ge¬
gen die Aerzte auffassen, und wir pro¬
testieren in feierlichem Ernste gegen die
entmenschten Verräter an der Mensch¬
lichkeit, gegen die ruchlosen Schänder
der Kultur, gegen die ehrlosen Men¬
schen, die mit dem Worte der Humani¬
tät nackten Betrug treiben.
„Wir Aerzte sind im allgemeinen
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314
New \ orker Medizinische Monatsschrift.
keine Politiker, und lassen die Gründe,
die zum Kriege zwischen Oesterreich-
L ngarn und Deutschland gegen die ver¬
bündeten Serben. Russen, Franzosen,
Engländer, Japaner, Belgier führten,
unerörtert. obwohl wir als Staatsbürger
unser Vaterland und unsere Verbünde¬
ten nicht bloss aus Pflicht, sondern aus
innerster Ueberzeugung als in einem ge¬
rechten Kampfe befindlich betrachten.
„Und wie wir das Recht haben, unse¬
res Vaterlandes Gründe für gerecht zu
halten, so billigen wir den Gegnern un¬
seres Vaterlandes, darunter auch den
Aerzten, das Recht zu, ihrem Staate treu
und begeistert zu dienen, und ihre Ge¬
gengründe für richtig zu halten.
„Aber wenn wir in dem jetzigen
Kampfe die Erfahrung machen, dass
diejenigen, die das Wort von der Hu¬
manität stets im Munde führen, gerade
das Gegenteil in die Praxis umsetzen,
und wenn wir wahrnehmen müssen, dass
die Völker, von denen sich manche in
übertriebener Eitelkeit als „Grande Na¬
tion'* betrachten, im Namen der Freiheit
den Krieg führen wollen, in der Wirk¬
lichkeit sich aber als Barbaren erweisen,
so müssen wir am meisten betroffenen
Aerzte die vielen rühmlichen Taten der
edlen Nationen feststellen und für die
Zukunft zum dauernden Andenken dem
Grabe der Vergessenheit entreissen.
„Wir wollen nicht von den Frankti¬
reurkämpfen sprechen, nicht von den
heimtückischen Komitatschis, nicht von
anderen Schändlichkeiten gegen ehrlich
kämpfende Soldaten, die selbstlos ihre
Pflicht erfüllen, nicht von den Diebstäh¬
len, Plünderungen, Beraubungen der
bürgerlichen Bevölkerung, die doch un¬
schuldig und wehrlos ist, nicht von an¬
deren Dingen, die ein trauriges Bild der
Zivilisationsverteidiger geben, wir wol¬
len von der zum erstenmale aufgetauch¬
ten Verletzung internationaler Konven¬
tionen, insbesondere der Genfer Kon¬
ventionen sprechen, die sich auf das Sa¬
nitätspersonal, insbesonders auf die
Aerzte beziehen.
„In den Kämpfen gegen unsere Fein¬
de wurde das Rote Kreuz, das heisst es
wurden diejenigen beschossen, die sich
in treuer Pflichterfüllung der Verwun¬
deten annehmen, die sich der Leiden der
schmerzerfüllten Kämpfer erbarmen,
gleichgiltig ob die Opfer ihrer Pflicht
Freunde oder Feinde sind. Die Sanitäts¬
soldaten. die Verwundetenträger, die
Aerzte, die sich naturgemäss nicht auf
Angriffe von Feinden vorbereiten konn¬
ten. wurden in feiger Weise von den
feindlichen Truppen angegriffen, Sani¬
tätszüge wurden beschädigt, und zahl¬
reiche Aerzte fielen als Opfer ihrer
Pflicht! Man lese die Verlustliste in
Deutschland und in Oesterreich und
eine flammende Empörung muss sich ge¬
gen die feigen Kulturschänder ent¬
wickeln. Es ist fürwahr eine Ironie,
dass die Franzosen, Belgier und Eng¬
länder, welche von uns bisher als hohe
Kulturträger gewertet wurden, sich noch
viel niederträchtiger erwiesen haben als
die Russen und Serben, obwohl auch
diese sich genug an niedrigen Handlun¬
gen gegen die Aerzte leisten.
„Uns sind Fälle bekannt, wo Aerzte
während des Verbindens von Feinden
niedergeschossen oder niedergestochen
wurden, wir wissen von Schüssen aus
dem Hinterhalt auf Samariter, die ihren
Freunden und Feinden zugleich geltende
Tätigkeit ausübten, und wir wissen von
L'eberfällen auf Spitäler und Lazarette,
bei welchen Kranke und Aerzte als Op¬
fer der Inhumanität fielen.
„Wir sagten bisher, dass die Franzo¬
sen feinfühlende und geistig hochstehen¬
de Menschen seien, aber die Bestie im
Menschen, die Bestie in den Franzosen
äussert sich in diesem Kriege in uner¬
hörter Weise; man sprach mit Hochach¬
tung von dem stolzen Albion, welches
sich jetzt in so wenig ,gentleman-mässi-
ger* Weise aufführt, im Gegenteil, wel¬
ches mit dem gemeinen Vorgehen gegen
die Zivilgefangenen in den Zeltlagern
und die Aerzte direkt einen Sport treibt.
„Will man, wenn man von dep Na-*
tionen mit der Patent-Zivilisation solche
niedrigen Handlungen erlebt, von den
moskowitischen Heeresmassen Kultur
verlangen, will man von den meuchel¬
mörderischen Serben Humanität fordern
oder will man von den undankbaren
Asiaten Herzensregungen von Mitleid
voraussetzen?
„Oesterreich und Deutschland haben
sich an die internationalen Regeln be-
Qrigiraal from
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
315
züglich des Roten Kreuzes gehalten, sie
haben allüberall eine direkt noble
Kampfweise entfaltet. Sie haben Aerz-
te, die gefangen wurden, freigegeben,
weil die Samariterpflicht von ihnen als
eine heilige, unantastbare Aufgabe be¬
trachtet wird. Was sehen wir aber?
„Zahlreiche Aerzte sind verwundet
und gefallen, und noch mehr Aerzte sind
kriegsgefangen! Diese Gefangenschaft
ist ein Zeichen der Barbarei, eine ge¬
hässige und niedrige Massregelung der¬
jenigen, die ihre Hilfe Freunden und
Feinden geleistet haben! Die Aerzte
werden mit krassester Verletzung aller
Tradition, mit Verletzung alles göttli¬
chen und menschlichen Rechtes gefan¬
gen gesetzt und verbleiben in der Haft
gehässiger Gegner. Was hat es für ei¬
nen Sinn, dass man diese grausamen
Massregeln trifft, dass man aus den
Aerzten Märtyrer ihrer Pflicht macht?
„Sträubt sich gegen eine derartige
Auffassung eines Kreiges nicht auch das
ärztliche Gefühl der Aerzte in den soge¬
nannten Kultumationen? Warum pro¬
testiert kein Arzt in England, Frank¬
reich, Belgien, Russland, Japan oder
Serbien gegen die Zerreissung geheilig¬
ter internationaler Rechte?
„Wir gedenken der internationalen
medizinischen Kongresse, wo uns die
gastgebenden Völker die wohltuenden
Phrasen von der Zivilisation und Hu¬
manität vorsetzten, wobei besonders die
deutschen und österreichischen Aerzte in
den Himmel gehoben wurden! Falsch
waren diese Phrasen, und die ,Grande
Nation* Frankreichs möge sich schämen,
ebenso wie der britische Dünkel, dem
kein Kulturgrad im Vergleich zu seinem
Lande zu hoch schien.—
„Wir Aerzte Deutschlands und
Oesterreichs können ohne Uebertrei-
bung feststellen, dass wir auf den inter¬
nationalen Wissenschafts-Weltmärkten
mehr boten als bekamen, und wir wer¬
den uns hüten, künftig diesen Kanniba¬
len der Humanität „zum Ausbeutungs¬
objekt zu dienen. Die deutsche und
österreichische Wissenschaft wird nicht
mehr eine Einkaufsquelle Japaner, Rus¬
sen, Serben, Franzosen und Engländer
sein und wir werden den Verkehr mit
Barbarenländern bis zur vollständigen
Zivilisation möglichst einstellen.
„Den Rekord an Unanständigkeit hat
wohl Frankreich bis jetzt erreicht. Es
hat eine Anzahl von deutshcn Aerzten
lächerlichen Anklagen unterzogen, hat
ihnen Pflichtverletzung und andere Ver¬
brechen vorgeworfen, deren wir nicht
einmal französische Aerzte für fähig
halten, obwohl sie Franzosen sind, und
hat sie zu mehrjährigen Kerkerstrafen
verurteilt.*) Wir sind über diese tücki¬
schen Meuchelmörder an der Ehre von
deutschen Aerzten entrüstet, und hoffen,
dass der Gott der Schlachten diese Nie¬
derträchtigkeiten mit einem gerechten
Kriegsschicksale rächen wird.
„Wir Aerzte werden aber durch diese
Scheusslichkeiten keinen Schritt abwei¬
chen, unserem Vaterlande zu dienen, un¬
sere Hilfe den Hilfsbedürftigen angedei¬
hen zu lassen, auch nicht durch den Ge¬
danken erschüttert, dass uns der Tod
oder die Kriegsgefangenschaft droht.
„Und sollten auch zahlreiche Opfer
von uns auf dem Wege liegen bleiben,
auch hier gilt der Spruch: ,Oriatur ex
nostris ossibus ultor!*“
Diesem Protest der österreichischen
Aerzte wird sich jeder deutsche Arzt
ohne Bedenken restlos anschliessen
können.
*) Inzwischen hat sich jedoch die französische
Regierung eines Besseren besonnen, indem sie, Zei¬
tungsnachrichten nach, die Strafakten einem anderen
Kriegsgericht zur Prüfung und nochmaligen Verhand¬
lung ubergeben hat.
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316
New Yorker Medizinische Monatsschrift.
Arzneireklame.
Referiert von D r. v. Oe feie.
Phosphagon.—The New York Phar-
macal Association, Yonkers, N.Y.—Ein
November-Zirkular (1912) als No. 1
des Bandes 8 enthält zwischen Empfeh¬
lungen von Laktopeptin, Borolyptol,
Haemaboloid, Kaskarapeptonoids, Li-
quid-Peptonoids, lodopeptonoids auch
einen Artikel „The Role of Phos-
phorus,“ der Phosphagon als Phospho-
protein empfiehlt. Man vergleiche da¬
zu meinen Artikel „Phosphoproteins in
Diet“ im August im Medical Record.
Ich hatte versucht, Aerzte und Unter¬
nehmer für vermehrte Verwendung
amerikanischen Kaseins gegenüber
dem Importe wesentlich teuerer euro¬
päischer Kaseinpräparate zu interessie¬
ren. Ich hatte an Dr. R a t h b u n und
Dr. Jütte aus New York eine Reihe
von Notizen als Grundlage für Samm¬
lung weiterer Notizen und zu weiterer
wissenschaftlicher Ausarbeitung hin¬
über gegeben. Das Zusammenarbeiten
mit den beiden Herren und einem ge¬
wissen Herrn Moss zerschlug sich
wieder am Neujahr 1913. Um so mehr
musste ich verwundert sein, im erwähn¬
ten Artikel „The Role of Phosphorus“
einer mir völlig unbekannten Firma
meist wörtlich wiedergegeben mit Aus¬
lassungen und Einschiebungen einen
italienischen Salat aus meinen Notizen
über Kaseinpräparate in Händen von
Dr. R a t h b u n und Dr. J ü 11 e zu fin¬
den. Ich habe dazu nichts zu bemer¬
ken, als dass manches bekömmliche
und wertvolle Nahrungsmittel bei Ein¬
arbeitung in einen italienischen Salat
Verdauungs - Störungen verursachen
kann und dass ich die vorliegende Ver¬
wendung meiner Skizzen bedaure.
Diovibumia. — Dios Chemical Co.,
St. Louis, Mo. —Dies wird in Zirkula¬
ren als Alterativ, Antispasmodikum
und Anodynum empfohlen. Es enthält
je 10 Prozent Extrakt von Viburnum
prunifolium, Viburnum opulus, Diosco-
rea villosa, Aletris farinosa, Helonias
dioica, Mitchella repens, Caulophyllum
thalictroides, Scutellaria lateriflora, 18
Prozent Alkohol und etwas aromati¬
sches Elixir. In der europäischen Heil¬
kunde wird von den Bestandteilen fast
nur Viburnum prunifolium benützt,
eine Pflanze, die ich in lebenden Exem¬
plaren in herrlichem Blütenschmuck
zuerst am Kissena See in Long Island
sah. Viburnum Opulus ist in Europa
als Zierpflanze weit verbreitet, aber
nicht medizinisch verwendet. Die sämt¬
lichen Bestandteile sind Stoffe aus der
altheimischen Indianer-Medizin. Wäh¬
rend Europa seit Alters neben seinen
heimischen Arzneipflanzen asiatische
Medikamente importierte, später aber
reichlich südamerikanische Drogen be¬
vorzugte und auch afrikanische Neger-
mittel aufnahm, sind von den nordame¬
rikanischen Drogen die meisten in Eu¬
ropa und damit auch in den wissen¬
schaftlichen Kreisen .Amerikas unbe¬
kannt geblieben. Es werden in Diovi-
burnia durchweg Stoffe verwendet, die
nicht in Vergessenheit geraten sollten,
als ein Vermächtnis liebevoller Natur¬
beobachtung des roten Mannes.
Riedel—Archiv.—J. D. Riedel, Ak¬
tiengesellschaft, Berlin. —Diese Firma
ist den Lesern sicherlich bekannt. In
der Dezember-Nummer findet sich ein
Sammelreferat über die nicht operative
Behandlung der Krebskrankheit. Dort
wird immer noch Wassermann als der
Einführer von Selen in die Krebsthera¬
pie genannt. Aber merkwürdigerweise
von Heidelberg aus wird auch eine
Kombination von Selen und Vanadium
erwähnt, während dies ganz speziell
New Yorker Arbeiten sind. Wenn Dr.
B u 11 i n g e r sein Manuskript abge¬
liefert hätte und vor allem rechtzeitig
abgeliefert hätte, wäre über Vanadium
selenide schon Ausführlicheres im New
York Medical Journal im Juni 1912 ge¬
druckt. Meine erste Empfehlung findet
sich in der Neujahrsnummer der Phar¬
mazeutischen Zentralhalle 1912, also
abgeliefert noch vor Wassermann’s er¬
ster Mitteilung. Die chemischen Ver-
Qriginal fro-m
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
317
bindungen, die Vanadium und Selen
gleichzeitig enthalten, sind von der
Oefele Synthesis Company, d. h., durch
Steinach schon in mehr als 20,000
Tabletten verkauft worden, ein Beweis,
dass unsere Arbeiten sicherlich nicht
unbemerkt geblieben sind. Die Firma
Riedel sollte für ihren Geschäftsbe¬
trieb in New York doch auch den wis¬
senschaftlichen Inhalt der medizini¬
schen Monatsschrift beachten. Sie
könnte es auch. Denn die Firma an¬
nonciert in der Monatsschrift und zwar,
wie wir wünschen, mit gutem Erfolge.
Dafür erhält sie auch ein Exemplar der
Monatsschrift und könnte dasselbe zum
Studium an das Haupthaus in Berlin
einsenden.
Therapeutische und klinische Notizen.
— Weitere Erfahrungen über Jodipin-Iti-
jektionen. Dr. W. M y 1 i u s bestätigt die
milde, gleichmässige, langsame Jodabspaltung
aus dem injizierten, in den Fettdepots abge¬
lagerten Jodipin und das vollständige Fehlen
von Jodismus. Die Injektion wird bei Bauch¬
lage der Patienten in die Gesässpartie ge¬
macht. am besten zwischen äusserem und
mittlerem Drittel der Hinterbacke, Einstich
in der Nähe direkt vorausgegangener Injek¬
tionsstellen ist zu vermeiden. Es genügt eine
Spritze von 10 ccm Inhalt mit zirka 8 cm
langer, reichlich weiter Nadel. Das Jodipin
wird im kochenden Wasserbad gut erwärmt
und sofort injiziert. Je wärmer es ist, desto
leichter die Injektion. Die Haut wird mit
Jodtinktur desinfiziert. Verfasser verfügt
über zirka 100 klinisch und 200 ambulant mit
Jodipin behandelte Fälle (3500 Injektionen)
aus den letzten Jahren. In der Regel werden
10 bis 12 Injektionen, entweder alle acht Tage
oder zweimal wöchentlich gemacht je nach
Schwere des Falles. Natürlich kann Behand¬
lung mit anderen Medikamenten, zum Beispiel
Kombination mit Hg-Kuren nebenhergehen.
Indikationen für Jodipinanwendung in der
Augenheilkunde sind alle Krankheiten, bei
denen Jod innerlich gegeben wird, unter an¬
derem Augenmuskellähmungen, auch nicht
syphilitischen Ursprungs, Keratitis paren-
chymätosa, Iritiden und Zyklitiden infolge
von Allgemeinerkrankungen (Syphilis, Skro¬
fulöse, Stoffwechselkrankheiten) und nach*
Kataraktoperation sowie sympathische Oph¬
thalmie; ferner Chorio-Retinitis exsudativa,
Hämorrhagien der Retina, vor allem aber
Optikusentzüudungen und Optikusatrophie.
Kasuistische Mitteilungen über beachtens¬
werte Erfolge bei Chorioiditis, Glaskörper¬
blutungen, Neuritis optica, genuiner Optikus¬
atrophie, Akommodationslähmung und Oku¬
lomotoriuslähmung durch zentrales Gumma.
M y 1 i u s will nicht nur seine Fachkollegen,
sondern auch die praktischen Aerzte auf die
Unentbehrlichkeit der subkutanen Anwen¬
dung des Jodipins hinweisen. Schmerzhaftig¬
keit der Injektionen ist nur einer mangelhaf¬
ten Technik zuzuschreiben. (Wochenschr. f.
Therapie u. Hygiene des Auges Nr. 1, 1914.)
Kleine Mitteilungen.
— Bekämpfung des Flecktyphus. Seitens
des Ministeriums des Innern ist zur Be¬
kämpfung des Fleckfiebers an die Regie¬
rungspräsidenten sowie an den Berliner
Polizeipräsidenten folgender Erlass gerich¬
tet worden:
„Das Fleckfieber ist in der russischen
Armee aufgetreten und bedroht daher nicht
nur unsere Streitkräfte im Osten, sondern
es ist auch mit der Möglichkeit zu rechnen,
dass es vom Kriegssschauplatz aus in
Deutschland eingeschlfcppt wird.
„Als fleckfieberverdächtig müssen Fälle
von Erkrankungen angesehen werden, die
nach wenig ausgesprochenen Vorläuferer-
scheinungen (Lungenkatarrh, Kopfschmerz,
Frösteln und Mattigkeit) mit Frost uftd
schnell ansteigendem Fieber beginnen,
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
gleichmässig hohem Fieber, Roseola und
Milzschwellung verlaufen und bald zu Stö¬
rungen des Bewusstseins (Benommenheit)
führen.
„Nach neueren Forschungen ist mit
grosser Wahrscheinlichkeit anzunehmen,
dass diese Krankheit nicht direkt von Per¬
son zu Person, sondern ausschliesslich
durch Vermittelung von Läusen, hauptsäch¬
lich Kleiderläusen, die von Kranken auf
den Gesunden überkriechen, übertragen
wird. Darauf beruht die vielfach gemachte
Erfahrung, dass die Krankheit sich in der
vagabondierenden Bevölkerung und in un¬
sauber gehaltenen Wohnungen, z. B. niede¬
ren Herbergen (sog. Pennen), mit Vorliebe
einnistet. Da die Läuseplage in Polen und
Galizien sehr verbreitet ist, so müssen alle
von dort zureisenden Personen als ansteck¬
ungsverdächtig erscheinen; es empfiehlt sich
daher, Berührungen mit ihnen tunlichst zu
vermeiden.
„Fleckenfieberkranke und fleckfieberver¬
dächtige Personen sind unversüglich in ein
mit Einrichtungen zur sicheren Absonde¬
rung versehenes Krankenhaus überzufüh¬
ren, sofort nach Aufnahme in dasselbe zu
baden und, falls sie Läuse an sich haben,
sorgfältig zu entlausen.
„Die mit Fleckfieberkranken und Fleck¬
fieberverdächtigen in Wohnungsgemein¬
schaft befindlichen oder in nähere Berüh¬
rung gekommenen Personen sind ansteck¬
ungsverdächtig und daher erforderlichen¬
falls zu entlausen und sodann einer vier¬
zehntägigen Beobachtung zu unterwerfen.
„Die Kleidungs- und'“Wäschestücke von
Fleckfieberkranken und Fleckfieberverdäch-
tigentigen sind zu entlausen. Dies ge¬
schieht entweder durch Behandlung mit
strömendem Wasserdampf in Desinfektions¬
apparaten oder mit Dämpfen von schwefli¬
ger Säure. Letztere werden entweder durch
Abbrennen von Faden- oder Stangen¬
schwefel in offenen Gefässen von Eisen¬
blech in den zu desinfizierenden Räumen
selbst oder durch Einleiten von schwefliger
Säure in dieselben von aussen her aus Bom¬
ben mit flüssiger schwefliger Säure, wie sie
im Handel erhältlich sind, erzeugt. Erste-
res Verfahren ist erheblich einfacher und
billiger. Die Räume müssen vor der Ent¬
wickelung der schwefligen Säure ebenso
sorgfältig gedichtet werden, wie bei der
. Formalin-Desinfektion.
„Schweflige Säure in komprimierter
Form wird z. B. von der Sauerstoff-Fabrik
G. m. b. H., Berlin N. 39, Tegeler Strasse
15, in Bomben von 50 kg Inhalt zu 32.50
Mk. geliefert. Dazu kommt eine Leihge¬
bühr von 2 Mk. für die Bombe. Die An¬
wendung der schwefligen Säure findet in
der Weise statt, dass auf die Bombe ein
Schlauchansatzstück aufgesetzt und an die¬
ses ein Gummischlauch angesetzt und durch
eine Oeffnung in der Wand oder der Tür
des zu entlauasenden Raumes eingeleitet
wird. Zur Erzielung der Wirkung ist eine
Konzentration von 6 bis 8 vom Hundert
des zu desinfizierenden Luftraums, d. h. et¬
wa 5 kg schweflige Säure für 100 cbm Raum
erforderlich; eine Bombe reicht also zur
Entlausung eines Raumes von 1000 cbm
Inhalt aus. Damit die Säure aus der Bom¬
be gleichmässig entweicht, muss die Bombe
in ein Gefäss mit warmen (40—50 Grad C.)
Wasser gestellt und dieses durch wieder¬
holtes Nachgiessen von heissem Wasser
auf erhöhter Temperatur erhalten werden.
„Nach Einleitung der schwefligen Säure
müssen behufs sicherer Abtötung der Läuse
die zu desinfizierenden Räume noch min¬
destens vier Stunden lang geschlossen ge¬
halten werden.
„Sehr bewährt hat sich auch ein Schwe¬
felkohlenstoffpräparat, welches von dem
Apotheker Kaiser erfunden ist und von
A. Schulz in Hamburg unter dem Namen
Salfarkose in den Handel gebracht wird.
Es ist eine leichtentzündliche Flüssigkeit,
welche 90 Prozent Schwefelkohlenstoff, 10
Prozent Wasser und Alkohol und etwas
Formaldehyd und Senföl enthält und in of¬
fenen Wannen von Eisenblech verbrannt
wird, wobei schweflige Säure frei wird. Er¬
forderlich sind 4 kg (3.35 Liter) für je 100
cbm Luftraum. Die Salfarkose kostet 1.50
Mk. für 1 kg.
„Ebenso wirksam, aber viel billiger ist
ein Gemisch von 90 Prozent Schwefelkoh¬
lenstoff mit je 5 Prozent Wasser und dena¬
turiertem Spiritus (Brennspiritus), von dem
2 l / 2 kg für je 100 cbm Luftraum erforder¬
lich sind.
„Zu entlausende Kleidungsstücke werden
in dem Raume, in den die schweflige Säure
eingeleitet wird, frei aufgehängt.
„Personen, welche mit Kopf- und Filz¬
läusen behaftet sind, werden kahl gescho¬
ren und mit grauer Salbe eingerieben.
„Aerzte, Krankenpflegepersonen, Dcsin-
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319
fektoren, Wäscherinnen in Fleckfieber-
lazaaretten haben, um sich vor Ansteckung
zu schützen, in Fleckfieberlazaretten wasch¬
bare Ueberkleider, Gummischuhe und
Gummihandschuhe zu tragen und sorgfältig
darauf zu achten, dass die unteren Aermel-
öffnungen an den Röcken und die unteren
Beinkleidöffnungen zugebunden werden und
so fest anliegen, dass keine Laus hinein¬
kriechen kann. Auch empfiehlt es sich,
dass sie zu nahe Berührungen von Fleck¬
fieberkranken meiden und nach Beendigung
ihres Tagesdienstes sich in warmem Bade
gründlich abseifen.
„Zu bemerken ist noch, dass starkriechen¬
de ätherische Oele, z. B. Senföl, Anisöl, den
Läusen unangenehm sind, ebenso Naph¬
thalin.“
— Friedrich Löffler, der Entdecker
des Diphtheriebazillus, ist am 9. d. Mts. nach
schwerem Leiden dahingeschieden. Die deut¬
sche medizinische Wissenschaft und insbeson¬
dere die Bakteriologie haben durch sein Hin¬
scheiden einen schweren Verlust erlitten.
Löffler war Assistent von Robert Koch
und einer seiner ältesten Schüler. Besonders
ist seine Mitwirkung am Ausbau der Bakte¬
riologie hervorzuheben. Den grössten Ruhm
hat es sich durch die Entdeckung des Diph-
teriebazillus erworben. Erst vor zwei Jahren
war er zur Leitung des Instituts für Infek¬
tionskrankheiten berufen worden.
— Der bekannte Tuberkuloseforscher Pro¬
fessor Doktor Georg Cornet ist in einem
Berliner Krankenhause am Flecktyphus ge¬
storben, den er sich im Hamburger Russen¬
lager durch Infektion zugezogen hat. Cor¬
net war 1848 in Eichstaedt in Bayern gebo¬
ren, studierte in München und arbeitete bei
Ziemssen: 1885 wurde er Assistent
Brehme r’s in Görbersdorf und kam hierauf
ins Institut Kocli's. Cornet war ein
fruchtbarer Schriftsteller auf dem Gebiete
der Tuberkuloseforschung. Während des
Sommers übte Cornet ärztliche Praxis in
Reichenhall aus, woselbst er als der berühm¬
teste und gesuchteste Arzt gegolten hat.
— Röntgens 70. Geburtstag. Am 27. März
beging Konrad v. Röntgen die Feier
seines 70. Geburtstages. Im Dezember 1895
hat Röntgen, dessen Name sich seither in
der ganzen zivilisierten Welt mit unsterbli¬
chem Ruhm bedeckt hat, der Würzburger
physikalischen Gesellschaft die erste Mittei¬
lung seiner epochalen Entdeckung gemacht,
und von da an datiert ein nie geahnter Auf¬
schwung der medizinischen Wissenschaft. In
zahlreichen Fällen wurde durch die X-Strah¬
len die Diagnose in richtige Bahnen gelenkt
und in vielen anderen Fällen die Therapie
durch diese segensreiche Entdeckung in
staunenerregender Weise bereichert. Gerade
jetzt, in der kriegerischen Zeit hat die Chirur¬
gie Gelegenheit, die ungeheuere Bedeutung
der Röntgenstrahlen bei Aufsuchung der Ge¬
schosse vollauf zu würdigen und den Segen
ihrer Wirkung dankend anzuerkennen. Um
so mehr kann der geniale Mann die regste
Teilnahme an seinem Wiegenfeste weit über
die ärztlichen Kreise hinaus sicher sein. Möge
ein gütiges Geschick dem grossen Gelehrten
noch lange einen ungetrübten Lebensabend
gönnen. Möge er noch viele Jahre sich des
Segens seiner Entdeckung in stolzer Befriedi¬
gung freuen !
— Ein Kriegscliirurgen-Kongrcss hat auf
Veranlassung von Exc. v. S c h j e r n i n g in
Brüssel getagt. Derselbe war von mehr als
1000 Militärärzten aus beiden Fronten fre¬
quentiert. Besonders eingehend wurden die
Blutstillung, der Starrkrampf, die Bauch¬
schüsse, die Gelenkstümpfe und die Aneurys¬
men behandelt. In einem Schlusswort hob
Exc. v. Schjerning den bedeutenden Ge¬
winn, den dieser Kongress der Kriegschirur¬
gie gebracht hat, hervor.
— Mangel an Arzneimitteln in England.
Die Preise der Arzneimittel steigen in Eng¬
land von Tag zu Tag. Namentlich tritt dies
bei den Salizylpräparaten und anderen
schmerzstillenden Mitteln hervor, die früher,
vor der Verhängung der englischen Blockade,
fast ganz aus Deutschland bezogen wurden.
Wie das Londoner „Pharmaceutical Journal"
meldet, drohen die Preise für diese Heilmittel
„fast prohibitive Ziffern" zu erreichen. Sali¬
zylsäure, Natrium, Phenazetin und Antipyrin
sind beinahe nicht mehr zu haben.
— Grossfürst Nikolaus als Patient deutscher
Aerzte. Es ist eine seltsame Fügung des
Schicksals, dass gerade die „Barbaren" da
helfend eingreifen müssen, wo die Kunst an¬
derer versagt. So verdankt auch das „Kultur¬
land" Russland nicht nur seine medizinische
Kenntnisse, sondern auch praktischen Heil¬
erfolge zum nicht geringen Teile der deut-
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New Yorker Medizinische Monatsschrift.
Listerine ist ein wirksames, ungiftiges Antiseptikum mit ganz bestimm¬
ten festgesetzten und gleichmässigen antiseptischen Eigenschaften und wird
in einer Form hergestellt, die sich für den sofortigen Gebrauch eignet.
Zusammengesetzt aus flüchtigen und nicht-flüchtigen Substanzen stellt
das Listerine ein balsamisches Antiseptikum dar, das bei seiner Verwendung
erfrischt und eine dauernde Wirkung ausübt.
Listerine erweist sich als ganz besonders nützlich bei der Behandlung
abnormaler Zustände der Schleimhäute und eignet sich in wunderbarer
Weise für Waschungen, zum Gurgeln oder zu Duschen bei katarrhalischen
Erkrankungen der Nase und des Rachens.
In geeigneter Verdünnung kann das Listerine ausgiebig und fortge¬
setzt gebraucht werden entweder als Injektione oder als Spray in allen
natürlichen Körperhöhlen.
Bei innerlicher Anwendung unterdrückt das Listerine prompt die
übermässige Gärung des Mageninhaltes.
Bei der Behandlung der Sommerkrankheiten der Säuglinge und Kinder
wird das Listerine überall in Dosen von 10 Tropfen bis zu einen Teelöffel
verschrieben.
Bei fieberhaften Zuständen gibt es kein Mundwasser, das dem Listerine
gleichkommt; man gibt zwei bis drei Drachmen auf vier Unzen Wasser.
"The Inkibitory Action of Listerine” (128 pages) may he had npon mpplication to »he m mm n fmctnrers.
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Locuat and Twenty-first Streets ST. LOUIS, MISSOURI
I INHALT:
Originalarbeiten.
Das Abderhalden-Verfahren in patholo¬
gischer Hinsicht. Von Dr. Adolph
Gehrmann, Chicago . 163
Schmerzhafte Zufälle als Begleiterschei¬
nungen kleiner uterinaler Fibrome
während der Schwangerschaft. Von
Dr. Stavrides . 166
Ueber die chirurgische Behandlung der
malignen Tumoren des Dickdarms.
Von Professor Raffaele Bastianelli in
Rom . 171
Saratoga Springs . 175
Referate und Kritiken.
Lehrbuch der Massage. Von Dr. med.
A. Müller . 177
Warum hassen uns die Völker? Von
Dr. Magnus Hirschfeld in Berlin. 177
Mitteilungen aus der neuesten Journal¬
literatur.
Prof. O. Hoehne-Kiel: Ueber die Be¬
handlung retinierter Plazentarreste. .. 178
J. Veit-Halle: Das untere Uterinseg¬
ment und seine praktische Bedeutung. 178
Sitzungsberichte.
Deutsche Medizinische Gesellschaft der
Stadt New York. Sitzung vom 5. Ok¬
tober. 1914 . 179
Sitzung vom 2. November 1914. 183
Sitzung vom 7. Dezember 1914. 185
Arzneireklame. Referiert von Dr. v.
Oefele . 190
Kleine Mitteilungen . 192
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NlW YoBKBB MEDIZINISCH! MONATSSCHRIFT.
Listcrine ist ein wirksames, ungiftiges Antiseptikum mit ganz bestimm¬
ten festgesetzten und gleichmässigen antiseptischen Eigenschaften und wird
in einer Form hergestellt, die sich für den sofortigen Gebrauch eignet.
Zusammengesetzt aus flüchtigen und nicht-flüchtigen Substanzen stellt
das Listerine ein balsamisches Antiseptikum dar, das bei seiner Verwendung
erfrischt und eine dauernde Wirkung ausübt.
Listerine erweist sich als ganz besonders nützlich bei der Behandlung
abnormaler Zustände der Schleimhäute und eignet sich in wunderbarer
Weise für Waschungen, zum Gurgeln oder zu Duschen bei katarrhalischen
Erkrankungen der Nase und des Rachens.
In geeigneter Verdünnung kann das Listerine ausgiebig und fortge¬
setzt gebraucht werden entweder als Injektione oder als Spray in allen
natürlichen Körperhöhlen.
Bei innerlicher Anwendung unterdrückt das Listerine prompt die
übermässige Gärung des Mageninhaltes.
Bei der Behandlung der Sommerkrankheiten der Säuglinge und Kinder
wird das Listerine überall in Dosen von 10 Tropfen bis zu einen Teelöffel
verschrieben.
Bei fieberhaften Zuständen gibt es kein Mundwasser, das dem Listerine
gleichkommt; man gibt zwei bis drei Drachmen auf vier Unzen Wasser.
“Ths Inkibitory Action of Listorino” (128 pagts) mmy b§ kad upon •ppHcaHon I# tho «Mmtfadurirv.
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INHALT s
Originalarbeiten .
Klinische Gesichtspunkte zur Frage der
intravenösen Vakzinetherapie bei Ty¬
phus. Von Professor Dr. R. Schmidt. 279
Die Läuseplage in den Armeen vor vier¬
hundert Jahren. Von Dr. A. Rose... 284
Erfahrungen über Zystitis im Kindes¬
alter. Von Professor Dr. Rudolf
Fischl . 285
Die Diagnose des Magen- und Duode¬
nalgeschwürs. Von F. de Quervain in
Basel . 293
Konservative Operation der Aneurysmen.
Von Dr. G. Doberauer. 296
Mitteilungen aus der neuesten Journal¬
literatur.
Therapie und Arzneimittel.
Teuton, Wiesbaden: Die jetzigen Heil¬
mittel der Syphilis. 308
O. Hesse-Utrecht: Der Einfluss des
Tannalbins auf die Verdauungsbewe¬
gung bei experimentell erzeugten
Durchfällen . 309
H. L. Coopman-Amsterdam: Ueber kon¬
servierende und operative Behandlung
chronischer Adnexerkrankungen.309
W. Stoeckel: Die extraperitoneale Tu¬
benverlegung als Methode der Sterili¬
sierung . 309
A. Döderlein-München: Zur Strahlen¬
behandlung des Krebses. 309
E. Ebeler-Köln: Ueber Menstruations¬
verhältnisse nach gynäkologischen
Operationen . 310
P. Zweifel-Leipzig: Ueber das untere
Uterinsegment . 310
M. Hofmeier: Zur Frage der ausschliess¬
lichen Strahlenbehandlung operierbarer
Uteruskarzinome . 311
H. Fehling: Operative und Strahlenbe¬
handlung bei gutartigen und bösarti¬
gen Geschwülsten der Gebärmutter... 311
Chirurgie.
W. Gross: Zur Behandlung der Rippen¬
brüche . 312
Adolf Schmidt, Halle a. S.: Ueber
Lungenschüsse . 312
Walther Pöppelmann : Bis zum 20. Ok¬
tober behandelte Dum-Dum-Verletzun-
gen ans dem gegenwärtigen Kriege... 312
Professor Riedel-Jena: Verletzungen
durch Dum-Dum-Geschosse. 312
Professor M. Kirschner: Bemerkungen
über die Wirkung der regelrechten
Infanteriegeschosse und der Dumdum¬
geschosse auf den menschlichen Kör¬
per . 313
Feuilleton: Aerzte als Märtyrer. 313
Arzneireklame. Referiert von Dr. v.
Oefele .. 316
Therapeutische und klinische Notizen... 317
Kleine Mitteilungen . 317
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