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Full text of "New Yorker Medizinische Monatsschrift. V. 25, ( 1914 1915)."

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8 THE F EN WA Y 



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JVJedizimecbe Monatsschrift 


Offizielles Organ der 

DenKNa 11U4lxhüfdK« QtfellfSaftca 4er Staate Des Verk, 
CDieago snd eimiaaO. 

Herausgegeben von DR. ÄLBERT A. RlPPERGER 

unter Mitwirkung von Dr. J. W. Gleitsmann, Dr. A. Herzfeld, 
Dr. H. G. Klotz und Dr. F. von Oefele. 


Bd. XXV. 


New York, Juni 1914 


Nr. 1. 


Zum Beginn des XXV. Jahrganges. 


Mit der vorliegenden Nummer tritt 
die New Yorker Medizinische Monats¬ 
schrift den 25. Jahrgang an. Seit dem 
Tag ihrer Gründung hat sie manche 
Schicksale und in den ersten Jahren ih¬ 
res Bestehens mehrfachen Wechsel in 
der Redaktion erfahren. Im Jahre 1899 
übernahm der jetzige Herausgeber die 
Redaktion und, nachdem kurze Zeit spä¬ 
ter durch finanzielle Misswirtschaft der 
Weiterbestand der Zeitschrift in Frage 
gestellt wurde, auch die Herausgabe und 
geschäftliche Leitung. 

Es wissen vielleicht nur wenige Kol¬ 
legen, mit welch grossen Schwierigkei¬ 
ten es verknüpft ist, in diesem Lande, 
das mit medizinischen Journalen über¬ 
schwemmt ist, eine in deutscher Sprache 
erscheinende unabhängige medizinische 
Zeitschrift zu publizieren, die den An¬ 
sprüchen möglichst vieler Leser gerecht 
werden soll. An Nörglern hat es denn 
auch zu keiner Zeit gefehlt, und viele 
deutsche Kollegen, von denen man die 
bestmöglichste Unterstützung und För¬ 
derung hätte erwarten sollen, haben ver¬ 
sagt, die einen aus Indifferenz, die an¬ 
deren aus kleinlichen Sonderinteressen. 
Während den einen der Rahmen der 
„Monatsschrift“ als zu klein und zu be¬ 


scheiden erschien und ihnen als Vorbild 
eine Zeitschrift von dem Umfange der 
Deutschen medizinischen Wochenschrift 
vorschwebte, ohne dass sie sich dar¬ 
über klar wurden, dass ein derartiges 
Unternehmen bei den hiesigen Verhält¬ 
nissen ein Ding der Unmöglichkeit ist, 
wünschen andere wieder, die „Monats¬ 
schrift“ sollte im Stil eines Zentralblat¬ 
tes geführt werden, das mehr oder we¬ 
niger ausführlich über die gesamte me¬ 
dizinische Literatur referieren sollte, 
w r obei sie vergessen, dass bereits eine 
ganze Reihe trefflicher Zentralblätter der 
inneren Medizin, Chirurgie, Augenheil¬ 
kunde etc. existiert, die ein weiteres in 
Amerika erscheinendes Zentralblatt voll¬ 
kommen überflüssig machen. 

Die Idee bei der Gründung der „Mo¬ 
natsschrift“ war die, für die in den Ver¬ 
einigten Staaten lebenden deutschen 
Aertze ein Vereinsblatt zu schaffen, das 
die Vereinsberichte der verschiedenen 
deutschen medizinischen Gesellschaften 
veröffentlicht und von der in Deutsch¬ 
land erscheinenden medizinischen Lite¬ 
ratur nur das bringt, w^as für den Prak¬ 
tiker neu und von besonderem Interesse 
ist. An diesem Prinzip hat die Redak¬ 
tion bisher festgehalten und wird dies 


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auch in der 
hat in den letzten Jahren viel über die 
Anbahnung und Aufrechterhaltung der 
kulturellen Beziehungen zwischen Ame¬ 
rika und Deutschland gesprochen und 
geschrieben, und wir glauben, getrost 
behaupten zu dürfen, dass bei dieser 
Aufgabe die „Monatsschrift“ redlich ih¬ 
ren Teil beigetragen hat, was ganz be¬ 
sonders die hier geborenen Aerzte, die 
an deutschen oder österreichischen Uni¬ 
versitäten studiert haben, anerkennen. 
Ihnen erscheint die „Monatsschrift“ als 
ein Journal, das in ihnen den Geist der 
deutschen Medizin, den sie an deutschen 
Universitäten in sich aufgenommen ha¬ 
ben, stets wach hält und ihnen die deut¬ 
sche Sprache und deutsche Wissenschaft 
immer wieder vorführt. Die „Monats¬ 


schrift“ sieht^jJafS- afsTjbre^vornehmste 
Aufgabe die an, die deutsche Medizin 
und die deutsche Sprache in Amerika 
hochzuhalten, was um so wichtiger ist, 
als man bereits in deutschen medizini¬ 
schen Gesellschaften und deutschen 
Hospitalvereinen angefangen hat, Vor¬ 
träge in englischer Sprache zu halten 
oder in englischer Sprache zu diskutie¬ 
ren, ohne dass die betreffenden Gesell¬ 
schaften dabei bedenken, dass sie durch 
ein solches Vorgehen ihre eigene Exi¬ 
stenzberechtigung untergraben. 

Wir danken unseren Kollegen und 
Mitarbeitern für die tätige Mithilfe bei 
der Aufgabe, die sich die „Monats¬ 
schrift“ gestellt hat, und hoffen, dass sie 
derselben auch in Zukunft das gleiche 
Interesse bewahren werden. 


Originalarbeiten. 

Ein Besuch in White Sulphur Springs (Stahlquelle), 
Sullivan County, New York. 

Von Dr. Felix von Oefele. 

White Sulphur Springs, Sullivan gen auf White Sulphur Springs als 
County, is wegen seiner mangelhaften Stahlquelle voll und ganz zu. Ungefähr 
Analyse in einem früheren Hefte be- der vierte Teil der Trockensubstanz ist 
sprochen. In der Zwischenzeit ver- Eisenoxydul. Als Eisenoxydulkarbonat 
schaffte ich mir persönlich Wasser, berechnet (die ursprünglich vorhandene 
Eine vorläufige oberflächliche Analyse Verbindung) ergibt sich nahezu die 
ergab, dass es sich um eine gute Stahl- Hälfte der Trockensubstanz. Es kann 
quelle im Sinne von T h i 1 e n i u s in also garnicht anders klassifiziert wer- 
Soden handelt. T h i 1 e n i u s sagt: den, als die Quelle von White Sulphur 
..Eisen kommt fast in allen Mineralquel- Springs eine Stahlquelle zu nennen. Da 
len vor. In die Gruppe der Stahlquellen die Praxis lehrt, dass natürliche Eisen¬ 
zählen wir aber nur diejenigen Mineral- wässer zu therapeutischen Zwecken ge- 
wässer, bei welchen das quantitative eigneter sind als Eisenpräparate, so 
Verhältnis des Eisens zu den übrigen sollte diese Quelle ein Interesse für die 
Bestandteilen überwiegt. Da nun der Aerzte der Grossstadt New York haben. 
Eisengehalt immer gering ist (0.001 bis Das Wasser von White Sulphur Springs 
0.01 Prozent), so sind die Stahlquellen vermehrt die Diurese. Der Organismus 
überhaupt relativ arm an anderen festen wird bei dem niedrigen Mineralgehalte 
Bestandteilen.” der Quelle von alten Stoffwechselresten 

Dies trifft nach meinen Untersuchun- ausgewaschen, aber auch zugleich stark 

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entwässert und dadurch für die Eisen¬ 
resorption wieder resorptionsfähig ge¬ 
macht, wie sich aus den Angaben des 
zitierten T h i 1 e n i u s, aber auch aus 
den Laienberichten an der Quelle von 
White Sulphur Springs ergibt. Die 
praktischen Erfolge beziehen sich bis¬ 
her zu einem grossen Teile auf Rheuma¬ 
tismus. Die Erkrankungen im weibli¬ 
chen Geschlechtsleben von der Chlorose 
des jungen Mädchens bis zu den Be¬ 
schwerden des Klimakteriums sind bis¬ 
her zu wenig nach dieser Quelle öffent¬ 
lich empfohlen worden. Es geschah mit 
falschem weiblichen Schamgefühle 
wohl nur von Frau zu Frau. Darum 
fehlen hiefür Berichte von Erfolgen. * 
Nach dieser orientierenden Einleitung 
soll auf die Quelle und ihre Lage selbst 
eingegangen werden. Die New York, 
Ontario & Western Railroad umgeht 
auf ihrer Hauptlinie von New York 
nach Oswego die Catskill Mountains im 
Westen. Ziemlich genau nach einem 
Drittel dieses Weges erreicht sie ihre 
höchste Steigung, die ungefähr der 
Höhe von München in Bayern ent¬ 
spricht. Die Höhe von Kempten, der 
höchstgelegenen grösseren Stadt in 
Deutschland, wird nicht ganz erreicht. 
In diesem Gebiete liegt White Sulphur 
Springs. Bei Eisenwässern galt bisher 
immer als eine wichtige Unterstützung, 
dass dieselben hoch-liegen. Mit der Hö¬ 
henlage von St. Moritz in der Schweiz 
kann sich White Sulphur Springs aller¬ 
dings nicht vergleichen. Doch die ist 
auch völlig einzelstehend. Es übertrifft 
aber fast alle anderen deutschen Eisen¬ 
quellen an Höhenlage über dem Mee¬ 
resspiegel. Es seien in dieser Bezie¬ 
hung nur Reinerz, Rippoldsau, Auto¬ 
gast, Griesbach, Elster, Alexisbad, Lo¬ 
benstein, Franzensbad, Altwasser-Flins- 
berg, Cudowa, Petersthal, Liebenstein 
und Spaa genannt. In nächster Nähe 
erheben sich die höchsten Gipfel der 
Catskill Mountains. Den ewigen Schnee 
finden wir nicht auf den Gipfeln. Aber 
die isolierten Steinblöcke in den Berg¬ 
wiesen und zahlreiche Pflanzen, deren 


nächste Verwandte in den Alpen wach¬ 
sen, erinnern fortgesetzt an den Ge- 
birgscharakter. 

Die nächste Eisenbahnstation bei 
White Sulphur Springs ist Liberty. Die¬ 
ser Platz selbst und vor allem Loomis, 
noch näher bei White Sulphur Springs, 
sind als Höhenkurorte bekannt. Eine 
grosse Zahl von Logierhäusern stehen 
an allen Wegen. Das Hauptgebäude 
von White Sulphur Springs macht dar¬ 
unter den gepflegtesten Eindruck. 

Die geologische Grundlage der Ge¬ 
gend und der Quelle ist auf weite Ent¬ 
fernungen ausschliesslich eine mächtig 
entwickelte Devonformation. Das ganze 
Gebirge der Catskills besteht aus Devon¬ 
ablagerungen, die sich von da ab weiter 
nach Südwesten erstrecken. Es sind 
dies die Formationen, die der Steinkoh¬ 
lenformation unmittelbar unterliegen. 
Diese Schichten sinken in Pennsylvania 
unter die Steinkohlen führenden Schich¬ 
ten. In den Catskills und in den Abhän¬ 
gen von Sullivan County liegen die 
obersten Schichten des Devon zu Tage. 
Wissenschaftlich wird dies als Chautau- 
quan oder oberer Teil von Neodevonic 
bezeichnet. Die Schichten selbst werden 
als „Chemung-Schichten“ bezeichnet 
oder auch als Catskill-Sandstein. Sie 
sind als eine Reihe von Tonschiefern 
und dünnschichtige Sandsteine ent¬ 
wickelt. 

In White Sulphur Springs liegen 
mehr als einen halben Kilometer nach 
Nordwesten solche wetterbeständige 
dunkelolive oder grüne Schiefer, oben 
und darunter ein mürber grobkörniger 
tonhaltiger Sandstein, der von reichli¬ 
chem Eisengehalte rot gefärbt ist. Dem 
Leser sind im grossen Stile solche Ver¬ 
hältnisse von Niagara Falls bekannt. 
Wo das Wasser in seinem Laufe endlich 
die harte obere Schichte durchnagt hat, 
wird die unterliegende weiche Masse 
rasch fortgeschwemmt und es entstehen 
Wasserfälle mit steilen Uferrändern. 
Sechshundert Meter vom Hauptgebäude 
in White Sulphur Springs durchbricht 
ein sehr kleiner Bach die wetterfesten 

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Schiefer. Vorher hat er sich auf dem 
undurchlässigen Material zur Breite ei¬ 
nes flachen Weihers ausgebreitet. An 
der Abfallkante liegt ein Staudamm 
von natürlichen Rollsteinen, der zum 
Teil durch Lagerung von Menschen¬ 
hand zweckmässig verstärkt ist. Bei ge¬ 
wöhnlichem Wasserstande fällt das 
Wasser nur an der Ostseite des Dam¬ 
mes in einer tiefer eingeschnittenen 
Furche herab und bildet dort „the falls“ 
der Bilder in dem Reklameschriftchen 
für White Sulphur Springs. Die nach 
Nordosten schwach einfallenden Schich¬ 
ten des roten, groben Sandsteins sind an 
der Westseite frei gelegt. Dort kommt 
die schwache Eisenquelle zu Tage. 
Durch Zement ist der Ursprung tauf¬ 
beckenartig gefasst und nach oben offen. 
Durch Röhren wird das Wasser weiter 
geleitet. 

Bei fortschreitender Entwickelung 
muss die Quelle auch nach oben gegen 
Luft abgeschlossen werden. Für alle 
ähnlichen europäischen Quellen finden 
wir die Feststellung: „Sobald Wasser 
von kohlensauren Stahlquellen der Ein¬ 
wirkung der atmosphärischen Luft aus¬ 
gesetzt ist, verbindet sich Sauerstoff der 
Luft mit der Hälfte des Eisenoxyduls des 
ersteren zu Eisenoxyd, die Kohlensäure 
wird frei und das Wasser anfangs durch 
die Anwesenheit von Phosphorsäure und 
Kieselsäure opaleszierend, erscheint spä¬ 
ter gelblich und zuletzt ockerfarbig; das 
Eisen schlägt sich als Oxyduloxyd nie¬ 
der.“ Die Schlussfolgerung eines pein¬ 
lichen Luftabschlusses vom Quellwasser 
ist in White Sulphur Springs noch nicht 
gezogen. 

Bei dem erwähnten Entweichen der 
Kohlensäure des Eisenoxydulkarbonates 
entwickelt sich durch vorhandene Spu¬ 
ren von Schwefelwasserstoff in White 
Sulphur Springs Kohlenoxysulfid. An 
der Quelle selbst ist diese baineologisch 
wertvolle Verbindung in geringen Spu¬ 
ren durch den Geruchsinn zu erweisen. 
Bis das Wasser nach der Abfüllung in 
das chemische Laboratorium kam, wa¬ 


ren diese und verwandte Schwefelver¬ 
bindungen vollständig verflogen. Die¬ 
ser schwache Geruch hatte die ursprüng¬ 
lichen Finder an Schwefel erinnert. Die 
langsam auftretende gelbe Farbe war 
auch für eine Folge von Schwefelgehalt 
gehalten worden. Da aber das Wasser 
vor der Berührung mit atmosphärischer 
Luft farblos ist, hat diese Annahme zur 
ursprünglichen Bezeichnung „White 
Sulphur Springs“ geliefert. Der Name 
tut ja allerdings nichts zur Sache. Wir 
müssen aber uns ja nicht durch den Na¬ 
men irreführen lassen und stets erin¬ 
nern. dass White Sulphur Springs, N. 
Y., eine Stahlquelle ist und zwar im ab¬ 
soluten und relativen Gehalte an Eisen 
eine sehr kräftige. Geringe Spuren von 
Arsen und selbst Vanadium sind vor¬ 
handen. Wenn diese Stoffe auch in viel 
zu geringen Mengen vorhanden sind, als 
dass sie eine arzneiliche Wirkung aus¬ 
üben könnten, so vermögen sie doch die 
Eisepwirkung zu verstärken. 

Die Besitzerin der Quelle ist eine 
Wittwe mit zwei fleissigen Töchtern. 
Sie führen das Sommerhaus und den 
Badebetrieb. Für die Trinkkur schöpft 
noch jeder Patient eigenhändig das Ei¬ 
senwasser. Menge des getrunkenen 
Wassers und Trinkzeit wählt ebenfalls 
jeder Gast nach eigenem Gutdünken 
und einem mehr oder minder richtigen 
Instinkte. Der Zutritt zu dieser Trink¬ 
kur ist vorläufig auch in keiner Weise 
auf die Sommergäste der Besitzerin be¬ 
schränkt. Es wäre sehr zu wünschen, 
dass die Besucher angeleitet würden, 
dies Wasser hauptsächlich nüchtern und 
ausserdem nur noch vor den Mahlzeiten 
zu trinken. Gegenwärtig drängt sich 
der Besuch fast nur auf die Monate Juli 
und August zusammen. Für Chlorosis 
und Endometritis wären sicherlich Sep¬ 
tember und Oktober sowie die Früh- 
j ahrsmonate weit empfehlenswerter. 
Eine Verlängerung der Saison würde es 
der Besitzerin ermöglichen, mit entspre¬ 
chendem Nutzen ihren Platz noch weiter 
auszugestalten. Vorläufig ist das Bade- 


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haus zwar einfach, aber zweckmässig 
und mit neun Badezellen sogar sehr ge¬ 
räumig, wenn wir weit ältere und be¬ 
rühmtere amerikanische Badeorte ver¬ 
gleichen. Der Preis von sechs Bädern 
mit 2 Dollar oder des Einzelbades mit 50 
Cents muss als mässig bezeichnet wer¬ 
den. 

Hübsch ist der Weg, der vom Haupt¬ 
gebäude völlig eben durch ein Wäldchen 
von Gebirgspflanzen zur Quelle und zum 
Badehaus führt. 

Die Verbindungen mit White Sulphur 
Springs sind gut. Man kann in einem 
Tage von New York nach White Sul¬ 
phur Springs und wiederum zurück¬ 
kommen und findet genug Zeit, die Kur¬ 
gelegenheiten in Augenschein zu neh¬ 
men. Bis Liberty führt die Bahn und 


von dort aus verkehrt ein eigenes Auto¬ 
mobil der Besitzerein. 

Von Leuten, die sich dort aufhielten, 
hörte ich, dass die Verpflegung sehr gut 
sei. Für Mädchen und Frauen, die ein 
Eisenbad brauchen, könnte White Sul¬ 
phur Springs den Kollegen besonders 
auch für Frühjahr und Herbst empfoh¬ 
len werden. Der Mangel einer guten 
Regelung des Gebrauches der Kurmittel 
kann durch genaue Vorschriften des 
Hausarztes vor der Badereise ausgegli¬ 
chen werden. Soweit sich Kollegen da¬ 
für interessieren, bin ich bereit, darüber 
weitere Einzelheiten mitzuteilen. In 
vorliegenden Zeilen sollte nur versucht 
werden, einen allgemeinen ersten Ueber- 
blick und eine richtige Klassifikation 
von White Sulphur Springs zu geben. 


Ueber Expektorantien.* 

Von Dr. Armbruster, Schweinheim. 


Vor Jahren sagte dem Verfasser bei 
seiner Dienstzeit ein späterer Korpsarzt, 
er verordne selten und sehr vorsichtig 
Expektorantien. Als er sich in Wien 
weiter ausgebildet habe, seien sie sehr 
gern angewandt worden, und dabei habe 
man eine ungünstigere Sterblichkeit ge¬ 
habt als bei den Homöopathen. Es sei 
schon damals klar gewesen, dass die ge¬ 
ringen Dosen der Homöopathie so gut 
wie keine therapeutische Wirkung aus¬ 
üben könnten, und so habe man dann 
versucht, keinerlei Arznei einige Zeit bei 
entsprechenden Kranken zu verabrei¬ 
chen mit dem verblüffenden Erfolg, 
dass nunmehr auch die günstigere 
Sterblichkeit wie bei der Homöopathie 
eingetreten sei. 

Was hier gegen Expektorantien bei 
Lungenkrankheiten ausgesprochen wur¬ 
de, gilt heute nicht mehr in dem Grade. 
Einmal ist seitdem die Diagnostik in 
vorzüglicher Weise weiter ausgebildet 


♦Aus D. m. Presse 1914 Xr. 11. 


worden — es sei nur an die Bakteriolo¬ 
gie erinnert — sodann hat man es nicht 
mehr mit getrockneten Pflanzenteilen zu 
tun, die einen wechselnden Prozentsatz 
an wirksamen Arzneistoffen aufweisen, 
sondern mit fein abgewogenen chemi¬ 
schen Verbindungen, ferner ist der 
Glaube an den unfehlbaren, therapeuti¬ 
schen Wert mancher Arzneimittel nicht 
mehr in dem Grade bei der Aerzteschaft 
vorhanden wie ehedem, und endlich hat 
die physiologische Pathologie solche 
Fortschritte inzwischen gemacht, dass 
heute der Arzt jede Phase der Krank¬ 
heit besser bestimmen kann und danach 
seine Verordnungen richtet, also nicht 
mehr zumeist schematisch vorgeht. 
Auch die Wirkung der verschiedenen 
Arzneimittel ist seither in vorteilhafter 
Weise besser ausprobiert worden — es 
sei hier nur auf die gesetzlichen Maxi¬ 
maldosen verwiesen. 

Die Expektorantien werden streng 
wissenschaftlich auf folgende Art einge¬ 
teilt: 1. solche, welche das vorhandene 


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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


zähe Sekret durch Auflösung des Mu- 
cins verflüssigen (die Ammoniakalien, 
wie Ammoniak, Ammoniumkarbonat, 
Salmiak, Inhalation von Wasserdäm¬ 
pfen) ; 2. solche, welche die Sekretion 
der Atemschleimhaut entweder durch 
direkte Erregung der Schleimdrüsen 
oder ihrer Nerven, aber unabhängig von 
der Zirkulation, erregen, wodurch das 
Sekret ebenfalls dünnere Beschaffenheit 
annimmt und leichter ausgeworfen wird 
(Emetin, Apomorphin, Pilokarpin) ; 3. 
solche, die durch Anregung der Flim- 
merepithelien die Fortbewegung des 
Schleims fördern (Kalkwasser und Al¬ 
kalien, Natriumkarbonat und Salpeter) ; 
4. solche, die stärkere Bewegungen her- 
vorrufen, die zur Herausbeförderung 
des Schleimes führen. Solches kann a) 
reflektorisch durch Reizung des Pha¬ 
rynx geschehen, z. B. durch Kratzen 
und Räuspern bedingende Stoffe (Sa¬ 
poninstoffe wie Senega und Quillaja, 
ein vorzügliches Kindermittel) ; b) 
durch direkt erregenden Einfluss auf 
das Atemzentrum, durch welchen Be¬ 
schleunigung und gleichzeitige Vertie¬ 
fung der Atmung resultiert (Lobelia, 
Quebracho, die gleichzeitig als Cere- 
brospinalia gelten) ; 5. solche, welche in 
kleineren Mengen die Sekretion anre¬ 
gen, den entzündlichen Zustand der 
Schleimhäute aber vermindern (die als 
Sexualmittel vorzüglich geltenden ei¬ 
gentlichen Balsama, wie Baisamum Co- 
paivae ) ; 6. solche, welche vermöge an¬ 
tiseptischer Aktion die Zersetzung stag¬ 
nierenden Sekrets verhindern (Plum¬ 
bum aceticum) ; ferner gehören als be¬ 
sondere Abteilung hierher die sekre¬ 
tionsvermindernden Mittel (Inulin). 
Beschränkung der Bronchialsekretion 
kann stattfinden a) durch Herabsetzung 
der Vagusendigungen (Atropin, Hyos- 
cyamin) ; b) durch Konstriktion der 
Blutgefässe (Terpentinöl, Alaun). 

Also ein ganzes Heer von verschie¬ 
denartig wirkenden Mitteln, von denen 
nur wenige in Klammern beigefügt 
sind, und trotzdem ist man in der Kai¬ 
serstadt an der Donau zu dieser gering¬ 


schätzigen Anschauung über den thera¬ 
peutischen Wert der Expektorantien ge¬ 
kommen. Man sagt, für den prakti¬ 
schen Arzt genüge, wenn er bei Ver¬ 
ordnung eines Expektorans drei Punkte 
ins Auge fasse, dass: 

1. die Zähigkeit des Sekrets verrin¬ 
gert werde; 

2. die erforderliche Muskelkraft zur 
Herausbeförderung zur Verfügung 
bleibt; 

3. die Bronchien nicht spastisch ver¬ 
engert werden. 

Für Punkt 3 wirken am besten wohl 
Cardiotonica, vor allem Digitalis, das 
auch Punkt 2 günstig beeinflusst, falls 
das Herz keine Kontraindikation bietet. 
Wegen Punkt 1 müssten dann gleich¬ 
zeitig entsprechende Inhalationen unter¬ 
nommen werden. Vorübergehend wur¬ 
den dieserseits die Expektorantien für 
den Gebrauch der Praxis auf folgende 
Weise unterschieden: 1. Emetica, 2. 
trocknende Mittel, 3. Analeptica, 4. Nar- 
cotica, 5. Scepastica, 6. Cardiotonica. 

Es kann als ausgemacht gelten, dass 
Mittel, welche eine Brechreizung der 
Magenschleimhaut erzeugen, auch Ex¬ 
pektorantien sind. Für beide physiolo¬ 
gischen Wirkungen kommen im Grunde 
genommen, dieselben Nerven in Be¬ 
tracht. Als Expektorantien werden sol¬ 
che Arzneien in schwächeren Dosen ver¬ 
ordnet. Am besten beweist das gesagte 
Radix Ipecacuanhae. Dabei ist aber 
auch bei diesem Medikament - sehr die 
Herztätigkeit zu berücksichtigen, wenn 
man ihm auch nachsagt, es verursache 
keinerlei Kollaps und beeinflusse über¬ 
haupt den Gesamtorganismus ungemein 
wenig. Die trocknenden Mittel haben 
in Sirolin eine schätzenswerte Bereiche¬ 
rung erfahren. Auch Hyoscyamin ist 
mit deshalb vom Verfasser schon wie¬ 
derholt in Pillenform für die Armen¬ 
praxis verordnet worden. Es gilt gleich¬ 
zeitig als Sedativum und Antispasmodi- 
cum, weshalb es auch den erwähnten 
Einfluss auf den Vagus besitzt. 

Zu den Analeptica gehört vor allem 
Kampher, der schon auf der Zunge und 


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im Munde reichliche Absonderung von 
Speichel und Schleim hervorruft. Ge¬ 
wöhnlich spielt er als Kampheröl, das 
subkutan angewandt wird, seine Haupt¬ 
rolle. Auch bei malignem Kindbett¬ 
fieber mit putrider Pneumonie leistet er, 
per os gereicht, symptomatisch schäz- 
zenswerte Dienste. 

Von entsprechenden Narkotica gibt 
es eine Legion, die mit Emetika und 
auch allein gereicht werden. Sie hem¬ 
men den Hustenreiz und bewirken da¬ 
durch. dass einmal der Kranke durch 
fortgesetzt quälenden Husten seine 
Kräfte nicht unnötig aufbraucht, son¬ 
dern dass um so intensiver bei weniger 
Hustenstössen der Schleim zu Tage ge¬ 
fördert wird. Die bekannten Tropfen 
von Bittermandelwasser mit Morphium 
gehören hierher. 

Bei den Scepastika finden sich gewis¬ 
se Hausmittel wie Honig, der zudem 
noch durch seine Ameisensäure antisep¬ 
tische Wirkungen aufweist, ferner man¬ 
che Syrupe, Radix Althaeae, Eiweiss. 
Im Deutschen werden sie deckende Mit¬ 
tel genannt, wo schon der Name ihre 
Wirkung besagt. Sie verhindern vor 
allem im Schlund den Reizhusten, der 
hier gern durch Sperminphosphat ent¬ 
steht und auch kranke Lungenpartien 
und Bronchien in Mitleidenschaft zieht. 

Zu den Cardiotonika gehört vor allem 
Digitalis, zu welchem Mittel unter an¬ 
dern! bei kruppöser Pneumonie mit ent¬ 
sprechenden Schwächezuständen vom 
Arzte gern gegriffen wird. Wo systoli¬ 
sches Blut ist, muss bei den nicht zu- 
sammendritckbaren Flüssigkeiten der 
Schleim weichen, dadurch wirken die 
Cardiotonika indirekt als Expektoran¬ 
tien, sodass man mit schwächeren Ex- 
pektorantien bei Cardiotonika oft vor¬ 
teilhaft auskommt. 

Wenn heute dieserseits eine solche 
Unterscheidung nicht mehr gemacht 
wird, so kommt dies daher, weil die 
Bakteriologie spezifische Gegengifte 
kennt. Es sei nur an Tuberkulose er¬ 
innert. Ferner ist im allgemeinen die 


Wirkung der Expektorantien eine prob¬ 
lematische. Man kommt zumeist weiter 
bei genauer Herzkontrolle, wenn zu 
leichten Hausmitteln wie Eiweiss, Ho¬ 
nig oder schwachem Brusttee, Islän- 
disch-Moostee gegriffen wird. Manche 
Kranke haben allerdings einen Wider¬ 
willen von solchen Species. Dann kann 
man entsprechende Tinkturen ins Auge 
fassen. Damit soll aber nicht gesagt 
sein, dass man nicht bei gewissen 
Krankheitsfällen in der Apotheke her¬ 
gestellte Dekokte und ähnliches als Ex¬ 
pektorantien verordnen soll. 

Solche Krankheiten sind Broncho- 
blennorrhoe, Altersbronchitis, entspre¬ 
chende asthmatische Beschwerden. Em¬ 
physem. Bei Bronchoblennorrhoe ist 
die Diagnose wichtig, ob sie mit Bron- 
chiektasie verbunden ist. Es ist nicht 
Sache vieler Patienten, deshalb eine 
schwere Operation durchzumachen. 
Man hält sie gewöhnlich an zur antisep¬ 
tischen Mundpflege, verordnet ihnen 
schon erwähnte Hausmittel und gibt 
nur bei Azerbation Arzneien. Das 
trocknende Atropin meidet man besser, 
Baisamum Copaivae, Tinctura Eucalyp¬ 
ti. Oleum Terebinthinae, Terpinum hv- 
dratum werden dafür angeraten. Bei 
Altersbronchitis ist oft zur Zeit des 
Heuasthemas eine unheilvolle Verschär¬ 
fung wahrzunehmen. Hier sind zu¬ 
meist leichte Expektorantien neben Car¬ 
diotonika angebracht. Asthmatische 
Beschwerden können oft schon bei leich¬ 
ter Bronchitis von Neurasthenikern ent¬ 
stehen, wo dann gleichzeitig Nervina zu 
reichen sind. Das früher namentlich oft 
hervorgehobene Asthma humidum wird 
heute nach dem Grundleiden mit Bron- 
chorrhoea serosa gewöhnlich bezeichnet, 
die sich von Bronchoblennorrhoe da¬ 
durch unterscheidet, dass hier das Spu¬ 
tum mehr Eiterbakterien aufweist. 
Pneumokoniosis kann ebenfalls Asthma 
hervorrufen. Die Arzneimittel bei Lun¬ 
genasthma sind vielfach zusammenge¬ 
setzt aus Expektorantien und Nervina 
wie Ammonium bromatum. Je nach 


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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


dem Lungenschleim und nach den ner¬ 
vösen Erscheinungen verordnet der 
Arzt die Asthamedizin. 

Eine häufige patahologische Lungen¬ 
affektion, die auch mit asthmatischen 
Beschwerden einhergeht — Stickanfälle 
werden sie dann charakteristisch ge¬ 
nannt — ist Lungenerweiterung. Das 
Emphysem der Lunge kann bekanntlich 
sowohl von beruflicher Tätigkeit her¬ 
rühren, als durch entsprechende Krank¬ 
heiten der Respirationsorgane stellver¬ 
tretend sich bilden. In beiden Fällen ist 
die symptomatische Therapie gleich. 
Eine idiopathische Therapie, nachdem 
sich bis jetzt die entsprechenden Ban¬ 
dagen nicht bewährt haben, ist heute 
nach diesseitigem Wissen noch nicht 
vorhanden. Prophylaktisch kann gegen 
stellvertretendes Emphysem in hohem 
Grade bei der* katarrhalischen Sepsis 
durch Expektorantien gewirkt werden. 
Bei Neigung zu beruflichem Emphysem 
sind Atemhalten, Rauch, Staub, das He¬ 
ben und Tragen von schweren Lasten 
zu verbieten. Gegen Stickanfälle hat 
sich folgendes Rezept bewährt: 

Rp. Tinct. thebaic. 

Aetheris 

Liq. Ammon, anis. aa 10.0 

Aq. Amygd. amar. 20.0 

M. D. S. Stündlich l / 2 bis 1 Teelöffel 
voll zu nehmen. 

Bei manchen Krankheiten sind die 
Lungenerscheinungen wesentlich ande¬ 
rer Art, und sind deshalb auch die Me¬ 
dikamente anders zu verordnen. Bei 
Diabetes mellitus mit seinen anhydrati- 
schen Erscheinungen, auf die selbst 
trockener Brand folgen kann, ist es 
nicht gestattet, noch intensive Expekto¬ 
rantien anzuordnen. Oft ist bei diesem 
Leiden, namentlich bei jüngeren Perso¬ 
nen, eine kapillare Bronchitis mit klin¬ 
gendem Rasseln geraume Zeit über ei¬ 
nem grossen Teil der Lunge, besonders 
links zu konstatieren. Ein eigentliches 
Mittel dagegen ausser Mundpflege ist 
dieserseits nicht bekannt. Doch ist die 
Prognose bei jüngeren Personen für die 


nächste Zeit nicht immer infaust. Sehr 
schwere Lungenaffektionen, bedingt 
durch ungemein zähschleimiges Sekret, 
ist bei Psoriasis vulgaris nicht selten zu 
konstatieren. Bekanntlich kann dieses 
Hautleiden entstehen durch neuropathi- 
sche oder anhydratische Konstitution, 
verbunden mit Anhäufung gewisser 
Stoffwechselprodukte. Daher ist das 
Auftreten dieses Hautleidens schon bei 
Herpesbläschen und bei Diabetes melli¬ 
tus konstatiert worden. Hier dürfen im 
allgemeinen selbstredend besser Expek¬ 
torantien wie bei Diabetes mellitus ge¬ 
reicht werden; allerdings ist Herzkon¬ 
trolle mit .eventuellen Kardiotonika da¬ 
bei die Hauptsache. 

Gern gibt das Volk Expektorantien 
bei Reizhusten wie nach Masern, was 
bei Kindern nicht selten eine Todesme¬ 
dizin darstellt. Der Husten löst sich 
nicht; es muss etwas gegeben werden, 
damit er sich löst, lautet die Ansicht 
Zum Glück greift man gewöhnlich zu 
mehr deckenden Mitteln wie Fenchel¬ 
honig, wo die expektorierende Wirkung 
auch des Fenchels nicht erheblich ist. 
Aber der Magen wird den Kleinen bei 
Masern verdorben, sodass sie durch die 
karminative Wirkung des Fenchels und 
durch den süssen Honig gar oft den Ap¬ 
petit verlieren und rascher hinfällig 
werden. 

Ein gutes Expektorans ist bei länger 
dauernder Bronchitis Lungengymnastik. 
Man lässt den Kranken zweimal am Ta¬ 
ge sich auf die gesunde Seite legen und 
etwa fünf Minuten lang tiefe Atemzüge 
machen. Gewöhnlich strengt dies in der 
ersten Zeit an, besonders bei Nervösen, 
die zudem oft nach der jeweiligen Ex¬ 
spiration allzu erheblich pausieren. Mit 
der Zeit gelingt es jedoch, namentlich 
falls allmählich diese Lungengymnastik 
anhebt, und falls man nicht gleich mit 
der Türe sozusagen ins Haus hinein¬ 
fällt, jeden Patienten zu dieser kleinen 
Lungengymnastik zu bewegen, selbst 
wenn er in der ersten Zeit über Anstren¬ 
gung klagt. 

Bei Kindern der ersten Lebensjahre 


Original fro-m 

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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


9 


versagt selbstredend eine solche Art von 
Lungengymnastik. Dagegen kann man 
hier Schwingungen machen, indem man 
die Kleinen unter den Armen fasst und 
sie im Freien und nicht in staubreichen 
Gemächern langsam schwingt. Die mei¬ 
sten Vorteile sieht man hier bei winter¬ 
licher Bronchitis, wenn man dieses 
Schwingen an sonnigen Plätzchen des 
Gartens unmittelbar nach den Eismän¬ 
nern im Mai unternimmt. Ein vorzüg¬ 
liches Kindermittel bei chronischer 
Bronchitis ist folgendes: 

Rp. Ammon, carbon., 1.2 (2.0) 

H 2 0, 100.0 
Sir. Alth., 20.0 

M. D. S. Zweistündlich einen Kinder¬ 
löffel voll zu geben. 

Bei kleineren Kindern, die noch den 
Schleim verschlucken, ist der Grad der 
Expektoration oft unschwer aus dem 
Kot zu erkennen. Ein Hausmittel für 
Kinder bei Lungenverschleimung ist 
schwarzer Kaffee, dem zu Schnee ge¬ 
schlagenes Eiweiss beigemischt ist, was 
gewöhnlich mit einem Esslöffel gereicht 
wird. Expektorierenden Tee trinken 
die Kleinen durchschnittlich nicht gern. 
Isländischer Moostee darf seiner Bitter¬ 
keit wegen nur allmählich zum Kochen 
gebracht werden und reichliche Süssig- 
keit enthalten, falls er genommen wer¬ 
den soll. 

Es seien ferner einige weitere Aus¬ 
führungen über Inhalation ohne Aspira¬ 
tionsröhre gestattet. Man unterscheidet 
eine dampf-, gas-, rauchförmige. Man 
benutzt für die erste Art gewöhnlich 
Wasserdämpfe, welche auch für sich, 
wie schon erwähnt, als demulzierendes 
Inhalationsmittel bei Katarrhen dienen. 
Zur Einatmung von Wasserdämpfen 
eignen sich natürlich nur flüchtige Stof¬ 
fe. Verdampfte Salzlösungen haben 
kaum andere Wirkung als blosse Was¬ 
serdämpfe, weil höchstens Spuren des 
Salzes fortgerissen werden, weshalb für 


diese die Verstaubung als einzig richti¬ 
ge Form erscheint. Die Inhalation von 
Gasen geschieht meist im Gemenge mit 
atmosphärischer Luft. Hier verdient 
bei manchen Lungenaffektionen das be¬ 
lebende Ozon hervorgehoben zu werden. 
Rauchinhalation geschieht unter anderm 
bei Charta nitrosa gegen Asthma, das 
auch infolge chronischer Bronchitis An¬ 
wendung findet. Neuerdings gibt es 
manche Präparate für günstig wirkende 
Rauchinfektion. 

Weiter seien einige Subkutanmittel 
genannt, die auch in der Kinderpraxis 
Anwendung finden. Apomorphinum hy- 
drochloricum wird bei Kindern in Lö¬ 
sung von 0.005 bis 10 Aqua verordnet. 
Das trocknende Atropinum sulfuricum 
spritzt man — allerdings sehr selten — 
im Verhältnis von 0.0005: 10 Aqua un¬ 
ter die Haut. 

Grösserer Vollständigkeit wegen sei¬ 
en noch einige Bemerkungen über 
Schweissmittel gemacht. Sie schwä¬ 
chen oft gar zu sehr. Früher wurden 
als Expektorantien gern Jaborandiblät- 
ter mit in diesem Sinne gereicht. Sie 
sind aber inkonstant in ihrer Wirkung 
für den Tracheal- oder Bronchial¬ 
schleim. Lindenblüten- und Hollunder- 
blüten-Tee erweisen sich als vorzüg¬ 
liche Medikamente im ersten Stadium 
leichter Entzündungen, wo Schweiss sie 
mildert. Daher finden sie gern als Ab¬ 
leitungsmittel wie entsprechende Pur- 
gantia bei leichten Erkältungen Anwen¬ 
dung. 

Zum Schluss sei auf Grund dieser 
Ausführungen darauf hingewiesen, dass 
auch den Expektorantien noch immer 
ein Raum im Arzneischatz gebührt. Die 
Natur ist eben gar vielseitig in ihren pa¬ 
thologischen Affektionen. Trotz man¬ 
chen Misserfolgs darf auch hier das 
Kind des Sprichwortes nicht mit dem 
Bade ausgeschüttet werden, wie es die 
Hydropathen tun. 


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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


Anleitung zum Verständnis von Kotanalysen. 

Von Dr. Felix von Oefele. 

(Fortsetzung.) 


Flüchtige Stoffe und Geruch des 
Kotes. 

Durchschnittlich ergeben sich 2.8 7 
Prozent auf frischen Kot oder 13.44 
Prozent auf Trockenkot-Stoffe, welche 
für sich allein-oder mit Wasserdämpfen 
flüchtig sind. Für den gesunden Men¬ 
schen sind diese Mengen weit geringer. 
Die flüchtigen stickstoffhaltigen Sub¬ 
stanzen sind für die pathologische Beur¬ 
teilung des Kotes sehr wertvoll, leider 
aber in einer Durchschnittsanalyse nicht 
ausführbar. Gering sind die Mengen 
flüchtiger Fettsäuren im freien Zustande 
als Kohlensäure, ebenso Wasserstoff¬ 
gas, Methan, Phenol und Schwefelwas¬ 
serstoff. Die flüchtigen Stickstoffsub¬ 
stanzen sind hauptsächlich Ammoniak, 
Indol and Skatol. Alle diese Stoffe wer¬ 
den bei der einfachen Trocknung ver¬ 
jagt und als Wasser in die Berechnung 
eingesetzt. Dafür wird aber das zu¬ 
rückbleibende Kristallwasser nicht ab¬ 
gezogen, sodass sich unter Umständen 
beide Fehlerquellen wiederum ausglei- 
chen. Alle diese flüchtigen Stoffe, mit 
Ausnahme der kaum wesentlich in Be¬ 
tracht körnenden Kohlensäure und des 
Wasserstoffs, sind schon in geringer 
Menge durch ihren Geruch auffallend. 

Theoretisch angenommener Alkohol 
und alkoholähnliche Stoffe würden vor¬ 
läufig unkontrollierbar verloren gehen. 
Vor einigen Jahren hat sich sogar die 
Tagespresse mit der Möglichkeit befasst, 
dass grosse Mengen aus dem mensch¬ 
lichen Kote gewonnen werden können. 
Ausser Patenten auf die Ausnützung 
der Fette des Kotes waren auch Patente 
auf die Ausnützung des Alkohols des 
Kotes genommen worden. Aengstliche 
Gemüter fürchteten schon, dass der ge¬ 
höhnte Kognak, Rum, Wisky etc. etc. 
mit Kotalkohol verfälscht werden könn¬ 
te und riefen der allmächtigen Polizei¬ 


gewalt ein „Videant consules!” zu. 
Xach meinen bisherigen Untersuchun¬ 
gen habe ich keine Anhaltspunkte, dass 
Aethylalkohol im menschlichen Kote in 
nachweisbaren Mengen präformiert vor¬ 
handen wäre. Im Gegenteil weist alles 
auf Abwesenheit hin. Auch eine nach- 
herige Vergärung würde nach meinen 
Untersuchungen meist resultatlos sein 
oder anstatt von Alkohol nur Milchsäu¬ 
re, Buttersäure, Essigsäure und ähnliche 
Stoffe liefern. 

Umgekehrt ist aber künstlicher Alko¬ 
holzusatz das beste Mittel, die übelrie¬ 
chenden flüchtigen Stoffe aus dem Kot 
auszuziehen, ohne dass es gelingt,, den 
Alkohol wiedrum frei von diesen Stof¬ 
fen zurückzugewinnen. Das Schreck¬ 
gespenst eines Kognaks aus des lieben 
Nachbarn Abtrittgrube ist durchaus 
theoretisch. Für den Auszug der flüch¬ 
tigen Kotstoffe durch Alkoholauskoch- 
ung ist auch keine quantitative Genau¬ 
igkeit möglich. Die Rückflusskühlung 
glückt im durchschnittlichen Laborato¬ 
rium beim Auskochen mit absolutem Al¬ 
kohol nicht so gründlich, dass nicht ein 
Teil dennoch als Dämpfe entwiche. 

Geruch des Kotes. 

Ueber die Gerüche der Säuglings¬ 
faeces hat Selter in der 16. Sitzung 
niederrheinisch - westfälischer Kinder¬ 
ärzte einen Vortrag gehalten. Er ist in 
der Münchener medizinischen Wochen¬ 
schrift 1914 Nr. 30 unter dem Titel: 
„Die Gerüche der Säuglingsfaeces” er¬ 
schienen. Interessenten ist er wohl dort 
zugänglich. 

Der Geruch des Kotes des erwachse¬ 
nen Menschen besitzt durch das Vorwie¬ 
gen von Indol und Skatol unter den 
flüchtigen Stoffen des Kotes einen fe¬ 
sten Grundcharakter, welcher in ver¬ 
schiedener Richtung durch andere bei- 

Original fr&m 

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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


11 


gemischte Gerüche abgeändert werden 
oder in seiner Eigenart schwächer oder 
stärker auftreten kann. Dieser Grund¬ 
geruch ist so sehr bezeichnend, dass er 
im allgemeinen als hinreichend angese¬ 
hen wird, um festzustellen, ob im gege¬ 
benen Falle Kot vorliegt oder nicht. 
Dem Mekonium fehlt dieser Geruch 
völlig; auch im Hungerkot soll er feh¬ 
len. Es würde dies darauf hinweisen, 
dass die charakteristischen Riechstoffe 
des Kotes durch Darmpilze aus Nah¬ 
rungsresten gebildet werden. 

Das Mekonium besitzt überhaupt kei¬ 
nen auffälligen ausgesprochenen Geruch. 
Leuzin, Tyrosin und die übrigen im 
Darme des erwachsenen Menschen vor¬ 
kommenden Fäulnisprodukte, also auch 
Skatol und Indol fehlen darin. Dagegen 
wird der Geruch des Kotes späterer Le¬ 
benstage und Lebensjahre bekannt un¬ 
angenehm und stark. Die Träger des 
ausgesprochenen Kotgeruchs mustsen 
darum stets unter den Produkten der 
symbiotischen Darmorganismen ge¬ 
sucht werden. Als Träger dieses Geru¬ 
ches wurde, wie erwähnt, zuerst und 
hauptsächlich das Skatol erwiesen. Doch 
haben auch Indol und andere Substan¬ 
zen daran Teil. Marcet* hat einen 
ölähnlichen Stoff von exkrementiellem 
Gerüche gefunden und Exkretolinsäure 
genannt. Ausser der Beteiligung von 
Skatol und Indol könnten sich immerhin 
eine Anzahl verschiedener stark riechen¬ 
der Stoffe in kleinen Mengen vereinigen 
und somit der Aufbau des Grundgeru¬ 
ches noch nicht ganz klar liegen. 

Dass der Kot kurz vor seiner Entlee¬ 
rung eine Fäulnis durchgemacht hat, 
wurde schon in alten Zeiten erkannt. 
Es wurde auch der Grad dieser Fäulnis 
geschätzt und mit dem Gerüche des Ko¬ 
tes in Beziehung gebracht, z. B. von dein 
Byzantiner Arzte Psellus (fll05). 
Vor Psellus erklärt schon Alexan¬ 
der von Aphrodisias den Gazellenkot 
als nativen Kot. Er hält die Ernährung 


*Annales de Chimie et Physique. 3. Serie. 
59. 1860. S. 91. 


aller Menschen für naturwidrig und da¬ 
mit für pathologisch und erklärt daraus 
das pathologische Symptom des übelrie¬ 
chenden Menschenkotes, welcher im 
Sinne dieses Alexanders eine allen 
Menschen gemeinsame Kulturkrankheit 
ist. Auch die moderne Ansicht hält die 
Riechstoffe des Kotes für Fäulnispro¬ 
dukte und zwar entstehen sie aus der 
Fäulnis stickstoffhaltiger Substanzen im 
Dickdarme. Es muss also nach der ge¬ 
genseitigen und absoluten Zusammen¬ 
setzung der Symbiotenflora des Darmes 
und den günstigeren oder ungünstigeren 
Lebensbedingungen für dieselbe auch 
die Menge und das gegenseitige Men¬ 
genverhältnis dieser riechenden Fäulnis¬ 
produkte und ihrer modifizierenden Be¬ 
gleitstoffe schwanken. 

Der Gehalt des menschlichen Kotes an 
Gallenabkömmlingen und an phosphor¬ 
saurem Kalke hemmt die Fäulnis und 
die Entwickelung des Kotgeruches. 
Einerseits ist bei Milchkot, ebenso wie 
bei Knochenfütterung der Hunde der 
Kot sehr reich an phosphor sau rem Kal¬ 
ke und besitzt sehr geringen Geruch. 
Anderseits riecht der weissgraue soge¬ 
nannte acholische Kot der Leberkranken 
meist aashaft. Zum Verständnis sei an 
die hohe eigene Aseptik von Leberab¬ 
szessen erinnert. Weniger scharf sind 
die Gegensätze des schwächeren Geru¬ 
ches bei vegetabiler Nahrung und des in¬ 
tensiveren Geruches der Fleischnahrung, 
auf den die Lehrbücher hinweisen. Dass 
aber dort flüchtige Fettsäuren und 
Schwefelwasserstoff als Ursachen des 
stärkeren Geruches angesehen werden, 
kann nach den Ergebnissen neuerer For¬ 
schung nicht aufrecht erhalten werden. 

Für die Schwankungen des Geruches 
bei Erwachsenen kommen Pilze der sau¬ 
ren Gärung mit Bevorzugung stick¬ 
stoffreichen Nährmaterials in Betracht. 
Bei Vorwalten der sauren Gärung er¬ 
gibt sich häufig ein deutlich säuerlicher 
Geruch, der sich bis zu deutlichem But¬ 
tersäuregeruch, d. h. ranzigem Gerüche 
steigern kann. Umgekehrt ergibt über¬ 
wiegende Fäulnis einen süsslichen Ge- 

Qrigiraal from 

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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


ruch, der sich bis zu aashaftem oder 
schwefelwasesrstoffartigem Charakter 
steigern kann. 

Eigene 

Analysen 

Geruch des Kotes. europäischer Pro- 

Patienten. zente. 
Aashaft oder nach Schwe- 


felwasserstoff . 

Süsslich fäkal oder am- 

.149 

13 

moniakalisch . 

306 

27 

Säuerlich . 

282 

25 

Ausgesprochen ranzig .... 

4 

1 


1122 

100 


Jeder dieser Gerüche kann schwächer 
oder stärker wahrnehmbar sein. Im 
Durchschnitt riecht der Kot einfach bis 
höchstens süsslich fäkal. Auch beim 
Geruch können sich wie bei der Farbe 
die inneren Partien von der Wahrneh¬ 
mung an der Oberfläche unterscheiden. 
Entsprechende weitere Teilung der Ta¬ 
belle lässt sich ohne Zersplitterung der 
Beobachtungen nicht ausführen. Zu¬ 
dem ist die Beurteilung kleiner Geruchs¬ 
unterschiede bei verschiedenen Personen 
sehr verschieden. Selter* unterschei¬ 
det beim Kinde eine grössere Reihe von 
Gerüchen. Da bei Kindern infolge des 
Milchgenusses die Bildung von Skatol 
stark zurücktritt, kann bei Kindern 
leichter als bei Erwachsenen der Unter¬ 
schied an begleitenden Riechstoffen 
erkannt werden. Unter normalen Ver¬ 
hältnissen bedingt schon die Art der 
Nahrung Unterschiede des Geruches. 
Es ist schon erwähnt, dass der Geruch 
bei Fleischnahrung stärker als bei vege¬ 
tabilischer ist und dass Milchkot einen 
sehr schwachen Geruch besitzt. Sauer¬ 
kraut-, Rettige und ähnliche Vegetabilien 
sind bekannt als Ursachen stark riechen¬ 
den Kotes und stark riechender Kot¬ 
gase. In diese Gruppe gehören einer¬ 
seits Vegetabilien, die reich an Schwe¬ 
felverbindungen und anderseits reich an 
Allylabkömmlingen sind. Im allgemei¬ 
nen ist auch bei langem Verweilen des 


Kotes im Dickdarm der Geruch stärker 
als bei raschem Durchgang. Dies kor¬ 
rigiert sich aber zum Teil bei trockenem 
Kote durch die weitgehende Aufsau¬ 
gung von Flüssigkeiten und flüchtigen 
Stoffen in den Säftebestand des Kör¬ 
pers. Der Gegensatz der Verweildauer 
tritt vor allem bei pathologischen Pro¬ 
dukten der Darmwand, z. B. Schleim, 
Blut und Eiter hervor. Akute und chro¬ 
nische Diarrhöen liefern häufig fast ge¬ 
ruchlose, die Cholera regelmässig ge¬ 
ruchlose Entleerungen. Dazu gehören 
weiter noch Dysenterie und die Sprue 
der Südsee. Wenn aber entsprechendes 
Material festere Kotmassen bildet, so 
entsteht ausgesprochen fauliger oder 
aashafter Geruch. 

Verstärkter Geruch entwickelt sich 
beim Trocknen und noch mehr beim 
Ausziehen mit heissem Wasser. Dage¬ 
gen ist. wie auch Schilling:): angibt, 
der auffallende Geruch des frisch ent¬ 
leerten Kotes kurze Zeit nach der Ent¬ 
leerung mit dem Erkalten geschwunden. 
Es beruht also der Geruch des Kotes 
auf flüchtigen, organischen Verbindun¬ 
gen, welche mit Wasserdämpfen über¬ 
getrieben werden können. Ausser dem 
erwähnten Skatol und Indol müssen für 
den säuerlichen Geruch noch Essigsäure 
und Buttersäure genannt werden. Doch 
sind dieselben, wie an entsprechender 
Stelle ausgeführt werden muss, in frei¬ 
em Zustande nur ausnahmsweise in klei¬ 
nen Mengen vorhanden. Bei Verarbei¬ 
ten der Trockenrückstände irgend wel¬ 
cher Kotprodukte mit heissem Wasser 
macht sich der Kotgeruch erneut und 
verstärkt geltend. Durch die Trocknung 
des Kotes gehen die flüchtigen Riech¬ 
stoffe teilweise verloren, sodass der 
grössere Teil derselben beim Wasserge¬ 
halte des Kotes und der kleinere Teil bei 
der Trockensubstanz bestimmt wird. 
Eine genaue quantitative Bestimmung 
der Summe dieser Riechstoffe ist bei ih¬ 
rer ungleichmässigen Flüchtigkeit un- 


* Faecesuntersuchung der Säuglingsdarm¬ 
darmkatarrhe. 


t Die Verdaulichkeit der Nahrungs- und 
Genussmittel, Leipzig 1911, S. 37. 


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* 13 


möglich oder ungenau. Es können nur 
aus einigen Koten die einen Stoffe, aus 
anderen Koten andere Stoffe quantita¬ 
tiv bestimmt und aus den Durchschnitts¬ 


ergebnissen ungefähre Summen für ei¬ 
nen allgemeinen Ueberblick gebildet 
werden. 

(Fortsetzun folgt.) 


Referate und Kritiken. 


Militärärztliche Kriegs - Erinnerungen 
an 1866 und 1870/71. Von Dr. M. 
P e 11 z e r, Generaloberarzt a. D. 
Mit einer Karte. Berlin, 1914. Ver¬ 
lag von August Hirschwald. 41 S. 
Vor nicht langer Zeit hatten wir Ge¬ 
legenheit, an dieser Stelle das köstli¬ 
che Buch von Prof. Fritsch, 1870- 
1871, Erinnerungen und Betrachtun¬ 
gen, zu besprechen. Die Militärärztli¬ 
chen Kriegserinnerungen P e 11 z e r’s 
reihen sich in jeder Weise würdig dem 
erstgenannten Buche an. Während 
jedoch das F r i t s c h’sche Buch mehr 
oder weniger die Leiden und Freuden 
eines Militärarztes vor der Front in 
Gestalt von Plaudereien zum Aus¬ 
druck bringt, gibt P e 11 z e r eine in 
jeder Beziehung interessante Darstel¬ 
lung des Etappen- und Sanitätswesens 
in den Kriegen 1866 und 1870/71, wo¬ 
zu er als höherer Berufssanitätsoffizier 
(er war bei Abfassung seiner „Kriegs- 
erinnerungen“ Generaloberarzt) ganz 
besonders befähigt war. P. dürfte 


wohl einer der ältesten noch lebenden 
militärärztlichen Kriegsteilnehmer an 
den genannten beiden Feldzügen sein, 
und seine Angaben basieren, wie er 
selbst angibt, auf den von ihm 1866 
und 1870/71 angelegten Akten. Er hat 
seine Erinnerungen in drei typischen 
Bildern derartig bearbeitet, dass für 
seine Betrachtungen der eine Feldzug 
nicht von dem anderen getrennt wer¬ 
den kann, vielmehr die Erfahrungen 
von 1870/71 erst durch die von 1866 in 
das rechte Licht gerückt werden. Die 
drei Typen sind: Horwitz in Oester¬ 
reich, Mannheim in Deutschland und 
Nancy in Frankreich. Dabei enhält 
das Büchlein nicht lediglich trockenes 
Aktenmaterial, sondern ist reichlich 
mit persönlichen Episoden gewürzt, 
die für jeden Leser desselben von In¬ 
teresse sein dürften. Wer sich an der 
Lektüre des F r i t s c h’schen Buches 
erfreut hat, wird dieselbe Befriedigung 
beim Lesen der P e 11 z e r’schen „Er¬ 
innerungen“ empfinden. 


Sitzungsberichte. 

Deutsche Medizinische Gesellschaft der Stadt New York. 


Nachtrag zur Diskussion des Sym¬ 
posiums über die Differentialdiagnose 
und Therapie des Ulcus Ventriculi 
und Duodeni. 

Dr. Willy Meyer: Denjenigen, 
welche die Mitte des Lebens erreicht 
oder überschritten haben, muss es 
ausserordentlich Freude bereiten, zu 
wissen, dass das, was vor 25 bis 30 
Jahren allein der Medizin angehörte, 
heute absolutes Grenzgebiet geworden 
ist. Sie haben soeben von zwei ge¬ 
wichtigen Seiten gehört, und wir alle 
wissen es, wie allmählich die innere 


Medizin, wenn sie sich nicht mehr hel¬ 
fen kann, in die Chirurgie überspielt, 
und dass letztere dann noch vielen Pa¬ 
tienten Genesung oder Besserung 
bringt, wo erstere versagt. Dieses 
Grenzgebiet findet sich ja überall. 
Kaum ein Abschnitt des Körpers hat 
so viele Fortschritte gezeigt wie die 
Chirurgie der Abdominalhöhle. Wir 
Chirurgen können es nur mit Dank be¬ 
trachten, dass die vielen Erfahrungen 
und Entdeckungen der letzten 25 Jah¬ 
re uns dahin gebracht haben, ohne 
grosse Gefahr die Krankheit attackie¬ 
ren zu können. Es ist uns natürlich 


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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


verhältnismässig leicht gemacht da¬ 
durch, dass sich so viele Spezialisten 
herangebildet haben, die den Fall aufs 
genaueste untersuchen, ehe er uns 
übergeben wird. In den letzten fünf 
Jahren hat nun auch noch die Radio¬ 
graphie kräftig eingegriffen, uns das 
Verständnis dieser Fälle näher zu 
bringen. Vor allem müssen wir da 
Victor Schmieden, jetzt Chirurg 
in Halle, erwähnen, der noch als As¬ 
sistent der B i e r’schen Klinik bewie¬ 
sen hat, was man durch genaues Stu¬ 
dium der Röntgenogramme erreicht. 
Aber ich möchte doch betonen, dass 
der Chirurg nicht ohne weiteres das 
Messer ansetzen darf, wenn diese Fäl¬ 
le zum Operieren geschickt werden. 
Wir dürfen uns nicht absolut auf 
die Diagnose des Internisten und Ra¬ 
diographen verlassen. Im deutschen 
Hospital können wir uns glücklich 
schätzen, dass wir einen Röntgogra- 
phen haben, der sich stets vorsichtig 
ausdrückt, nicht einfach uns den Fall 
zurückschickt und sagt: dieser Patient 
hat mit Sicherheit Karzinom etc. und 
muss operiert werden. Der Chirurg 
muss sich jedenfalls vorsichtig tastend 
vorwärts begeben, und der Röntgo- 
graph soll sich immer klar machen, 
dass das, was er liefert, nur ein Hilfs¬ 
mittel zur Diagnose ist und niemals 
sagen: Ich mache die Diagnose, also 
ist es so. Die Sache liegt doch nicht 
so einfach. 

Es würde zu weit führen, wollte ich 
auch noch einmal von chirurgischer 
Seite auf die Diagnose eingehen. Aber 
es ist Tatsache, nachdem alles ver¬ 
sucht worden ist, selbst von so konser¬ 
vativer Seite wie sie Dr. Einhorn 
betont hat, wenn alles getan ist, den 
Kranken bei Ulcus des Magens oder 
Duodenums zu heilen und kein Erfolg 
erreicht ist, dass man dann zur Chi¬ 
rurgie vorgeht. Wie ist man da oft 
erstaunt, Zustände zu finden, die man 
nicht erwartet hat. Ich möchte hier 
daran erinnern, dass das Ulcus sich 
garnicht so selten an der kleinen Kur¬ 
vatur findet. Nun denken Sie sich ei¬ 
nen solchen Fall. Man geht ein. Der 
Patient ist Jahre lang krank gewesen, 
man findet ein Ulcus an der kleinen 
Kurvatur; es liegt aber so, dass man 


es nicht exstirpieren kann. Wenn das 
nun nicht geht, was soll man tun? Der 
Pylorus ist weit offen. Wir machen 
Gastroenterostomie. Persönlich bin 
ich überzeugt, dass der grössere Teil 
der Speise durch die Gastroenterosto¬ 
mie-VVunde geht, auch wenn der Py¬ 
lorus offen ist; mit anderen Worten, 
wir können den Magen ruhig stellen, 
und sind deshalb berechtigt, auch in 
solchen Fällen die Gastroenterostomie 
auszuführen. Ferner sind Geschwüre 
an der hinteren Magenwand nicht 
leicht zu operieren. Wenn alles dar¬ 
auf gedeutet hat, dass es sich um Ma- 
genulcus handelt, sich aber präparato¬ 
risch nichts findet, da soll man nicht 
vergessen, den Magen mit Colon 
transversum nach oben zu schlagen 
und die hintere Magenwand zu unter¬ 
suchen. Ich werde nie vergessen, wie 
wir in einem solchen Fall bei einem 
Brauer im deutschen Hospital ein per¬ 
forierendes Ulcus fanden. Ich kam 
ans Bett. Die Untersuchung zeigte, 
dass es sich um einen dringenden Fall 
handelte. Wir machten prompt auf 
und fanden nichts. Nach genauestem 
Absuchen gingen wir auf die hintere 
Magenwand vor. Da war das Ulcus. 
Ich wollte nur sagen, wie man sich in 
Acht nehmen muss, mit seiner negati¬ 
ven Diagnose nicht zu schnell bei der 
Hand zu sein. 

Abgesehen von den Fällen, wo es 
sich um Ulcus der kleinen Kurvatur 
oder hinteren Magenwand handelt, ha¬ 
ben wir, wie Dr. Käst betont hat, in 
90 Prozent aller Fälle das Ulcus in der 
Nähe des Pylorus oder im Duodenum 
gefunden. Wenn in diesen Fällen alle 
internen Mittel, die von mir sehr hoch 
geschätzt werden, keinen Vorteil bie¬ 
ten, dann tritt die Gastroenterostomie, 
die ja heutzutage eine verhältnis¬ 
mässig einfache Operation geworden 
ist, in schönster Weise in ihr Recht. 
Eine typische, wirklich Nutzen stif¬ 
tende Operation wird die Gastroente¬ 
rostomie aber nur, wenn der Pylorus 
ausgeschaltet wird. Die verschiedenen 
Methoden dafür anzuführen, ist heute 
nicht angebracht, genug, dass wir es 
machen können. 

Wie ist es nun bei weitgehenden In¬ 
filtrationszuständen am Pylorus? Da 


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versuchen wir uns klar zu machen: 
kann der Patient noch eine Exzision 
des Pylorus aushalten? Wir können 
nicht beweisen, ob nicht schon inner¬ 
halb dieses infiltrierenden Tumors das 
beginnende Karzinom sich befindet. 
In einer grösseren Zahl der Fälle ent¬ 
steht Karzinom aus Ulcus des Pylo¬ 
rus. A s c h o f f behauptet, dass das 
nicht der Fall ist. Ich glaube, die 
Wahrheit liegt in der Mitte. Ich glau¬ 
be, dass garnicht selten aus dem Ulcus 
sich doch ein Karzinom entwickeln 
kann, und deshalb, wenn ich kann, ex- 
stirpiere ich den Pylorus. 

Ich möchte noch einen Punkt er¬ 
wähnen : Der Chirurg hat die Gastro¬ 
enterostomie gemacht. Am 2., 3., 4., 
5. Tage gibt es eine Blutung. Was 
soll man tun? Das betrifft auch den 
Internisten. Eins der schönsten Mit¬ 
tel ist, dass man sich nicht scheut, den 
frisch operierten Magen auszuspülen 
und dann Wismutpaste in den Magen 
einzugiessen. Wir wissen, dass dies 
sich an gewissen Stellen festsetzt wie 
Kitt und dadurch manchmal eine Blu¬ 
tung dauernd zu heilen ist. Dasselbe 
gilt vom frischen Ulcus. Es lassen 
sich da ganz vortreffliche Resultate 
durch konservative Mittel erreichen, 
z. B., wenn man Blutserum einspritzt, 
und zwar von anderen Patienten, 
nicht von Tieren, und falls das nicht 
möglich, eine Transfusion macht. 

Trotz der vorgerückten Zeit halte 
ich es für meine Pflicht, noch auf eines 
aufmerksam zu machen. Es gibt Fäl¬ 
le, wo ein Patient schwere Magenblu¬ 
tungen gehabt hat. Man sagt sich, es 


muss ein Ulcus vorhanden sein. Aber 
es findet sich nichts an der Gallen¬ 
blase, nichts am Duodenum, dem Py¬ 
lorus, dem Magen, Was soll man tun? 
Es ist beobachtet worden und wurde 
schon betont, dass der Appendix die 
Ursache sein kann. In solchen Fällen 
soll der Chirurg nicht das Abdomen 
zumachen, sondern den Appendix 
nachsehen und entfernen. Ich habe 
mir das zur Pflicht gemacht. Ich 
möchte auch ätiologisch auf die schö¬ 
nen Versuche von Rosenau hin- 
weisen. Appendix und Duodenum 
stehen im engsten Zusammenhang. 

Bezüglich der Diagnose sind es der 
Hungerschmerz und die okkulte Blu¬ 
tung zusammen, die den Arzt am häu¬ 
figsten an Duodenalulcus denken las¬ 
sen. Dass diese Symptome immer 
Ulcus bedeuten, ist selbstverständlich 
nicht immer der Fall. Bier hat letzt¬ 
hin nachgewiesen, dass dieser Symp¬ 
tomkomplex durch die Operation 
durchaus nicht immer als richtig be¬ 
funden wird. 

Es war eine wunderbare Tatsache, 
dass wir hier so viele Duodenalulcus- 
fälle hatten und in Deutschland nicht. 
Es kommt daher, dass das, was wir 
hier unter Duodenalulcus verstehen, 
drüben Pylorusulcus genannt wurde. 

Zum Schluss möchte ich noch ein¬ 
mal betonen, dass der Chirurg dafür 
sorgen muss, dass keine Speisen mehr 
durch das Duodenum gehen, dass wir 
der Gastroenterostomie die Ausschal¬ 
tung des Pylorus regelmässig hinzu¬ 
fügen. 


Kongressberichte. 


IV. Internationaler Chirurgenkongress. 


New York, 13. bis 16. April 1914. 

Kollektivbericht der Vereinigung der Deutschen mediz. Fachpresse. 


Berichterstatter: 

II. Ulcus ventriculi et duodeni. 
de Quervain (Basel), Ref.: Die 
Diagnose des Magen- und Duodenal¬ 
geschwürs. Vorgetragen von Hen- 
schen (Zürich). Ueber die Diagnos- 


Dr. R. Tölken. 

tik des Magen- und Duodenalge¬ 
schwürs lässt sich abschliessendes 
heute noch nicht sagen; es lässt sich 
bloss ein Fortschritt kennzeichnen. 
Neben einer Anzahl von gesicherten 


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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


Ergebnissen finden wir eine nicht ge¬ 
ringere Zahl von offenen Fragen. Ein 
zielbewusstes Arbeiten hat erst mit 
der Röntgenuntersuchung eingesetzt. 
Der dadurch erzielte Fortschritt er¬ 
gibt sich schon äusserlich in der zu¬ 
nehmenden Zahl der operativ behan¬ 
delten Magen- und Duodenalgeschwü¬ 
re. Für die Diagnose des nicht steno- 
sierenden, nicht penetrierenden Ma¬ 
gengeschwürs hat das Röntgenbild 
uns ein häufig vorkommedes Symptom 
gelehrt, den umschriebenen Spasmus 
der Magenwand in der Höhe des Ge¬ 
schwürs. Im Gegensatz zu den bis¬ 
weilen auch sehr hochgradigen peri¬ 
staltischen Einziehungen schnürt er 
den Magen nur von der grossen Kur¬ 
vatur her ein. Aber dieser Spasmus 
tritt weder nur bei Geschwüren auf, 
noch findet er sich bei allen Magenge¬ 
schwüren. Die Gastroskopie ist noch 
zu sehr im Werden begriffen; auch 
dürfte sie angesichts der Blutungs¬ 
und Perforationsgefahr nicht ohne Be¬ 
denken sein. Für das Bestehen eines 
Pylorusgeschwürs gibt ein ausgespro¬ 
chener sechs-Stundenrest bei erhalte¬ 
ner oder gesteigerter Peristaltik zwar 
einen wichtigen Anhaltspunkt, aber 
keinen sicheren Beweis. Wie oft Py- 
lorusgeschwüre ohne Pyloruspasmus 
Vorkommen, wissen wir garnicht. 

Das nicht stenosierende, penetrie¬ 
rende Magengeschwür durchsetzt alle 
Schichten der Magenwand. Das Kenn¬ 
zeichen der Geschwüre an der kleinen 
Kurvatur ist die H a u d e k’sche Ni¬ 
sche ; eventuell ist in Schräglage mit 
Beckenhochlagerung oder in rechter 
Seitenlage zu untersuchen; auch Pro¬ 
filaufnahmen nach C o 1 e und Schle¬ 
singer sind bisher zu sehr vernach¬ 
lässigt. Eine stehende Kontraktion 
an der grossen Kurvatur erleichtert 
die Diagnose der Nische erheblich. 
Für den Nachweis einer organischen 
Geschwürsstenose sind von Wichtig¬ 
keit das klinische Verhalten, das zeit¬ 
liche Verhalten der Retention (sechs- 
Stundenrest), die Einwirkung von 
Atropin bezw. Papaverin auf den 
Spasmus, die Vergleichung des Ver¬ 
haltens von Wasser- und Breientlee¬ 
rung und die Form des Magens. Der 
Ausfall eines breiten Abschnittes des 


Pylorusschattens spricht für entzünd¬ 
liche Infilration, eine schmale Ausfall¬ 
zone lässt sich für eine reine Narben¬ 
stenose verwerten. 

Beim Duodenalgeschwür ist das 
Vorkommen von spastischem Sand¬ 
uhrmagen interessant. Teils funktio¬ 
nell bedingt ist auch der von C o 1 e 
beschriebene Schatten im Bulbus duo- 
deni. Von grösserer Bedeutung ist 
der persistierende Duodenalfleck. Noch 
beweisender wäre die Nische; aber sie 
ist am Duodenum ausserordentlich 
selten. Zu berücksichtigen ist auch 
die geringe Verschieblichkeit des 
Duodenums bezw. der ganzen Pylo- 
rusgegend. Ein stenosierendes Duo¬ 
denalgeschwür ist recht selten; unter 
Umständen erkennt man dann den 
zapfenförmigen Ausguss des verenger¬ 
ten Lumens (Bier). 

Auf abnorme Verwachsungen am 
Magen können wir schliessen: (1.) 
aus abnormer Lage des Pylorus bei 
normal gefülltem Magen; (2.) aus zu 
geringer Verschiebbarkeit des Pylorus 
bei Untersuchung in verschiedenen 
Körperstellungen (normale Verschie¬ 
bung etwa 2—3 Wirbelhöhen := 8—10 
cm) ; (3.) aus durch andere Ursachen 
nicht erklärbaren Formanomalien des 
Magens. 

Die Häufigkeit der krebsigen Entar¬ 
tung des Magengeschwürs ist nicht so 
gross, wie man bisher vielfach an¬ 
nahm ; die Zahlenangaben schwanken 
von O—50—100 Prozent! Der deut¬ 
sche Pathologentag hat sich vor kur¬ 
zem gegen diese Häufigkeit ausge¬ 
sprochen : Henke konnte an einem 
grossen Material nachweisen, dass von 
100 Gastroenterostomierten später nur 
zwei ein Karzinom bekamen, von de¬ 
nen das eine wahrscheinlich ein primä¬ 
res Karzinom war. Für die Diagnose 
kann nicht genug auf die von 
S t r a u s s zuerst beschriebenen früh¬ 
zeitigen Douglasmetastasen hingewie¬ 
sen werden. Fehlen manifeste oder 
okkulte Blutungen, ist das Röntgen¬ 
bild völlig normal und bestehen nur 
subjektive Beschwerden, Schmerzen, 
so ist die Indikation zur Operation nur 
eine relative. Bei manifesten oder ok¬ 
kulten Blutungen ist bei Fehlschlagen 
der internen Therapie die Indikation 


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zur Operation schon eine bestimmtere. 
Finden wir Zeichen der Retention in¬ 
folge von Pylorusverengerung, das 
Bild eines penetrierenden Geschwürs 
im Bereich der kleinen Kurvatur oder 
einen positiven Röntgenbefund am 
Duodenum, so ist die Indikation zur 
Operation gegeben. 

Folgende diagnostische Probleme 
harren in erster Linie noch der Lö¬ 
sung: 

1. Welches ist die Häufigkeit der 
stehenden Kontraktionswelle bei dem 
oberflächlichen Geschwür der kleinen 
Kurvatur, und welches sind die Bedin¬ 
gungen, unter denen solche Spasmen 
auch ohne Geschwür auftreten? 

2. Welches ist der Einfluss pylorus- 
ferner Geschwüre auf den Pylorus? 
Wie ist der bei denselben nicht seltene 
sechs-Stundenrest zu erklären? 

3. Welches sind die sichersten, prak¬ 
tisch verwertbaren Unterscheidungs¬ 
zeichen zwischen Pylorospasmus und 
beginnender organischer Pylorusste¬ 
nose? 

4. Welches ist die diagnostische Be¬ 
deutung der persistierenden Füllung 
des Bulbus duodeni (der sogenannten 
Magenkappe) ? 

5. Welches ist die diagnostische Be¬ 
deutung der sogenannten duodenalen 
Motilität des Magens? 

6. Wie unterscheidet sich das auf 
den Pylorus übergreifende Duodenal¬ 
geschwür in seiner Einwirkung auf 
den Pylorusreflex und die Magense¬ 
kretion vom Pylorusgeschwür im en¬ 
geren Sinne einerseits und von den 
tiefer sitzenden Duodenalgeschwüren 
andrerseits? 

7. Welches sind die sichersten Zei¬ 
chen von Verwachsungen im Bereiche 
von Magen und Duodenum? 

H. Hartmann (Paris) und P. 
Lecene (Paris) Korref.: 

I. Die Häufigkeit des Ulcus duodeni 
ist gewiss eine grössere, als wir es frü¬ 
her annahmen; sie ist jedoch von eini¬ 
gen Chirurgen überschätzt worden; in 
Frankreich gibt es kaum ein Ulcus 
duodeni auf 8 bis 10 Magengeschwüre. 
Die von M o y n i h a n angegebene 
Symptomatologie sowie die anatomi¬ 
schen Angaben (Vena pylorica) sind 
nicht massgebend: die klinischen 


Symptome bedeuten nur einen Pyloro¬ 
spasmus und die Vena pylorica hat 
einen sehr wechselnden Verlauf. 

2. In der Tiefe der kallösen Magen¬ 
geschwüre, besonders an der kleinen 
Kurvatur, bestehen häufig neuritische 
Veränderungen, welche als Ursache 
der häufig bestehenden starken Ulkus¬ 
schmerzen betrachtet werden können. 
Die karzinomatöse Entartung der Ul¬ 
kusränder scheint seltener, als einige 
Autoren behaupten; bei Ulcus callo- 
sum findet man sie in ein Fünftel der 
Fälle. Sie begründen jedoch die Re¬ 
sektion des Ulcus, wenn dieselbe sich 
technisch leicht gestaltet. In fünf 
Sechstel der Fälle bestehen anatomi¬ 
sche Veränderungen der Magenwand 
(Gastritis parenchymatosa etc.), wel¬ 
che eine sorgfältige Nachbehandlung 
notwendig machen. 

3. Die hervorragende Bedeutung der 
Röntgenuntersuchung bei Magener¬ 
krankungen ist allgemein anerkannt; 
für das Ulcus duodeni scheint sie 
weniger wertvoll. 

4. Die interne und chirurgische Be¬ 
handlung des Magenulkus stehen sich 
nicht gegenüber, sondern sie vervoll¬ 
ständigen sich gegenseitig. Die Dau¬ 
ererfolge der internen Behandlung 
sind viel ungünstiger, als früher be¬ 
hauptet wurde. Abgesehen von den 
absoluten Indikationen zur Operation 
(Blutung, Perforation und Stenose) 
soll jedes Magen- und Duodenum¬ 
ulkus, welches durch interne Therapie 
nicht ausheilt, dem Chirurgen über¬ 
wiesen werden. Die Operation der 
Wahl besteht in einer Gastroentero- 
stomia posterior retrocolica am tief¬ 
sten Punkt des Antrum pylori für alle 
in der Nähe des Pylorus diesseits oder 
jenseits gelegenen Ulzera. Wenn die 
Anastomose richtig angelegt wird, be¬ 
steht keine Gefahr, dass die Anasto- 
mosenöffnung sich verschliesst, selbst 
wenn der Pylorus gut durchlässig ist. 
Die Indikationen für die Pylorusaus- 
schaltung sind noch nicht genügehd 
aufgeklärt, meistens genügt die „Blo- 
cage“ des Pylorus. Bei kallösen Py- 
lorusgeschwüren, die auf Karzinom 
verdächtig sind, ist die Pylorektomie, 
wenn technisch möglich, angezeigt; 
Verschluss der beiden Wunden und 


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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


Gastroenterostomie. Wenn das Ulcus 
callosum an der kleinen Kurvatur 
sitzt, genügt die Gastroenterostomie 
meistens nicht und man muss dann 
die Exzision des Ulkus oder die seg¬ 
mentäre Magenresektion mit End-zu- 
Endanastomose vorziehen. Die noch 
relativ hohe Mortalität dieser Opera¬ 
tionen wird gewiss mit einer beseren 
Indikationsstellung und verbesserter 
Technik abnehmen. 

W i 11 i a m J. M a y o (Rochester, 
Min.), Korref.: Von 1893 bis 1900 
wurde in Amerika nur wegen Pylorus¬ 
stenose operiert. Die zweite Periode 
von 1900 bis 1906 ist gekennzeichnet 
durch häufigere Indikationen zur Ope¬ 
ration und neue diagnostische Hilfs¬ 
mittel. Erst seit 1906 wurde aber die 
genauere Pathologie des Magenge¬ 
schwürs festgestellt. Die Röntgen¬ 
strahlen traten für die Diagnose an die 
erste Stelle, die Notwendigkeit der 
Geschwürsexzision wegen drohenden 
Krebses wurde erkannt. Bis Ende 
1913 habe ich 1841 Fälle von Magen- 
und Duodenalulkus operiert, davon 
betrafen 1384 Männer und nur 457 
weibliche Individuen. Die frühere 
Meinung, dass das Geschwür bei 
Frauen häufiger sei, ist also sicher 
falsch; diese angeblichen Ulzera bei 
Frauen sind Pylorospasmen infolge 
Cholelithiasis oder intestinaler Störun¬ 
gen. 636mal sassen die Geschwüre im 
Magen, 1205mal im Duodenum. Bei 
den letzten 1000 Fällen ist der Pro¬ 
zentsatz 73.8% Duodenal-, 25.2% Ma¬ 
genulzera. Von Magengeschwüren 
waren 29% weiblich, 71% männlich, 
von Duodenalgeschwüren 21% weib¬ 
lich, 79% männlich. Die Pylorusvenen 
sind für die Lagebestimmung ent¬ 
scheidend. Das Magengeschwür sitzt 
selten dicht am Pylorus, meist entlang 
der kleinen Kurvatur und häufiger an 
der Hinterwand. Multiple Ulzera fin¬ 
den sich bei der Operation selten (un¬ 
gefähr 5%). Das Duodenalgeschwür 
sitzt nahe dem Pylorus, meist an der 
vorderen, oberen Wand. Häufig findet 
sich kein Schleimhautkrater im Ge¬ 
gensatz zum Magengeschwür, wes¬ 
halb Duodenalgeschwüre so häufig 
übersehen werden. Geschwüre in der 
Gegend der Papille geben Anlass zu 


gallensteinartigen Koliken und profu¬ 
sen Hämorrhagien. Bei gedeckter 
Perforation kann eine subdiaphragma¬ 
tische Phlegmone entstehen. Wirk¬ 
liche Dauerheilungen chronischer Ul¬ 
zera ohne Operation sind nicht sehr 
häufig. Bei interner Behandlung ist 
die Todesgefahr infolge Blutung, Per¬ 
foration, Stenose oder karzinomatöser 
Degeneration weit grösser als die 
Operationsgefahr. Beim Magenge¬ 
schwür ist die Gastrojejunostomia 
posterior die Methode der Wahl. Sie 
soll auch der Exzision der Geschwüre, 
die möglichst anzustreben ist, hinzu¬ 
gefügt werden, da diese allein uns 
manchmal im Stich gelassen hat. Bei 
der Kontinuitätsresektion des Magens 
sind die Resultate auch ohne Gastro¬ 
enterostomie ausgezeichnet. Für pe¬ 
netrierende Geschwüre der Hinter¬ 
wand leistet die transgastrische Exzi¬ 
sion des Geschwürs gute Dienste. Bei 
Sitz am Pylorus wird die Pylorekto- 
mie nach Rodman ausgeführt. Das 
Duodenalgeschwür haben wir nach 
M o y n i h a n mit feiner Seide über¬ 
näht und den Pylorus mit ein oder 
zwei Nähten verengert. Bei Pylorus¬ 
stenose genügt die Gastroenterosto¬ 
mie; sonst wird ein dauernder Pylo- 
rusverschluss angestrebt durch 
W i 1 m’sche Faszien- oder K o 1 b’- 
sche Netzumschnürung. Neuerdings 
versuchen wir möglichst viele Duo- 
denalulcera zu exzidieren, wenn deren 
Lage es gestattet, und fügen eine 
Heinecke -Mikulic z’sche Pylo- 
roplastik oder, was noch besser ist, die 
Gastroduodenostomie nach F i n n e y 
hinzu. Die Resultate sind bei Ge¬ 
schwüren der Pylorusgegend ausge¬ 
zeichnet; je weiter vom Pylorus ent¬ 
fernt das Geschwür, um so schwieri¬ 
ger und weniger sicher wird die Hei¬ 
lung. Doch werden 95 Prozent aller 
Magengeschwüre geheilt oder ganz 
erheblich in ihren Beschwerden ge¬ 
bessert. Die Gesamtmortalität (inkl. 
Perforationen etc.) beträgt 3.8%; beim 
Duodenalgeschwür sind die Erfolge 
noch günstiger, 98% Heilung und 
1.3% Mortalität. Bei einigen wenigen 
Fällen treten die Ulkussymptome spä¬ 
ter von neuem auf. Bei der Relaparo- 
tomie fand sich dann ein typisches 


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Ulkus in der Nahtlinie der ursprüng¬ 
lichen Gastrojejunostomie. Deshalb 
haben wir die fortlaufende Seiden¬ 
naht aufgegeben, nehmen Knopfnähte 
für die Muskulo-Serosa und nähen die 
innere Schicht fortlaufend mit Katgut. 

Payr (Leipzig): Korref., vorgetra¬ 
gen von J u r a s z (Leipzig): 

1. Bezüglich der Aetiologie und Pa- 
thogenesis konkurrieren zur Zeit 
hauptsächlich die Ansichten einer ana¬ 
tomischen Läsion in den Blutgefässen 
des Magens und Duodenum und ihres 
Inhaltes (Thrombose, Embolie, Skle¬ 
rose) und die nervöse Theorie, welche 
durch Kompression der Gefässe durch 
Muskelspasmus des Magens oder Ge- 
fässmuskelkrampf den ersten Beginn 
des L~lkus in die solcher Art blutleer 
gewordenen Schleimhautbezirke ver¬ 
legt. Die spasmogene Theorie vermag 
aber ebensowenig, wie alle vorher auf¬ 
gestellten, alle Fragen in befriedigen¬ 
der Weise zu lösen; sie greift auf eine 
Störung im vegetativen Nervensystem 
(Vagus, Sympathikus) zurück. Man¬ 
che Fragen der biologischen Chemie 
der Magen- und Duodenalwand sind 
noch nicht genügend geklärt, um für 
die Ulkuspathogenese verwertet wer¬ 
den zu können. Mechanische Momen¬ 
te spielen bei der Lokalisation und der 
Form der Ulzera mit. Die bakteriell: 
toxischen Schädigungen der Magen¬ 
duodenalwand ergeben im Tierver¬ 
such zu differente Ergebnisse, um im 
Zusammenhang mit manchen klini¬ 
schen Erfahrungen eine entscheidende 
Rolle in der Untersuchungslehre des 
Ulkus zu spielen. 

2. Das Ulcus duodeni zeigt zwei so¬ 
wohl pathologisch-anatomisch, als kli¬ 
nisch sich in manchen Dingen unter¬ 
scheidende Formen, das Ulkus der Vor¬ 
derwand und jenes der Hinterwand. 
Ersteres neigt mehr zur Perforation, 
letzteres zur Blutung. Zwischen Ul¬ 
kus des Magens und des Duodenum 
bestehen, trotzdem man bisher den 
krankhaften Vorgang als völlig iden¬ 
tisch angesehen hatte, nicht unerheb¬ 
liche Unterschiede, sowohl im anato¬ 


mischen Befunde, als klinischen Bilde. 
Manche derselben sind durch den ver¬ 
schiedenen Bau und die andersartigen 
physiologischen Leistungen der bei¬ 
den Organe zu erklären, andere bedür¬ 
fen noch weiterer Forschung. 

3. Es gibt sicher Fälle, in denen auf 
einem chronischen Magengeschwür 
oder einer Narbe nach einem solchen 
Krebs entsteht (Carcinoma ex ulcere). 
Von diesen sind erst durch genaue 
histologische Untersuchung gewisse 
Formen von Magenkrebs zu scheiden, 
bei denen ein primärer Tumor durch 
Zerfall oder Entwicklung eines sekun¬ 
dären Ulcus pepticum einen geschwü- 
rigen Defekt aufweist (Carcinoma ex- 
ulceratum). Beide Formen lassen 
sich gelegentlich nur durch sehr ex¬ 
akte Untersuchung von dem Schwie¬ 
len bildenden Geschwüre (Ulcus cal- 
losum) scheiden. Die Schwierigkeit 
liegt darin, dass es Karzinome mit 
ausserordentlich starker umschriebe¬ 
ner Schwielenbildung in der Submu¬ 
kosa und sämtlichen Bindegewebsla- 
gern der Magenwand gibt (Fibroma- 
tosis Thomson). Auch nebenein¬ 
ander werden Ulkus und Krebs ’im 
Magen gesehen. Ueber das Häufig¬ 
keitsverhältnis der krebsigen Um¬ 
wandlung eines Magengeschwürs lässt 
sich zur Stunde eine zahlenmässige 
Auskunft nicht geben. Nur wenig 
vorgeschrittene Fälle sind für solche 
Entscheidung zu verwerten. Die Be¬ 
deutung dieser auch unter Zuhilfe¬ 
nahme aller klinischen Untersu¬ 
chungsbehelfe oft schwierig zu klären¬ 
den fatalen Aehnlichkeit zwischen 
Ulkus und Krebs liegt auf prakti¬ 
schem Gebiete (Wahl der Operations¬ 
methoden). Es gibt zur Stunde keine 
diagnostische Methode, welche uns 
mit absoluter Sicherheit gestattet, 
Ulcus callosum und Krebs vor der 
Ausführung des Eingriffes zu schei¬ 
den. 

4. Das Ulcus duodeni zeigt im Ge¬ 
gensatz zum Magengeschwür äusserst 
selten Krebsentwicklung. 

(Fortsetzung folgt.) 


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New Yobkee Medizinische Monatsschrift. 


10. Kongress der Deutschen Röntgen-Gesellschaft.* 

Berlin, 19. bis 21. April 1914. 


I. Referate. 

Paul Krause (Bonn), Ref.: Die 
biologischen Einwirkungen der Rönt¬ 
genstrahlen auf normales tierisches 
und menschliches Gewebe. Ref. be¬ 
ginnt mit der Besprechung der Wir¬ 
kung der Röntgenstrahlen auf Bakte¬ 
rien und Protozoen. Beide werden 
nicht oder nur unwesentlich von Rönt¬ 
genstrahlen beeinflusst. Wir können 
weder im Reagensglas noch im Gewe¬ 
be auf Bakterien wirken, ebensowenig 
werden Fermente durch Strahlen be¬ 
einflusst. Kleine Tiere können durch 
Röntgenstrahlen getötet werden, für 
Mäuse liegt die tödliche Dosis bei 20 
bis 30 x. Die Tierversuche geben viel¬ 
leicht einen Anhalt für die Dosierung. 
Säfte und Sekrete des menschlichen 
Körpers im Reagenzglas werden nicht 
angegriffen. Die Einwirkung auf das 
lymphoide Gewebe ebenso wie auf das 
Knochenmark und die Lymphfollikel 
des Darms ist ziemlich beträchtlich. 
Die Thymus degeneriert, regeneriert 
sich aber bei mittleren Dosen, bei ho¬ 
hen Dosen wird sie gänzlich zerstört. 
Blut: Zuerst findet sich eine Hyper¬ 
leukozytose, später eine Hypoleukozy¬ 
tose. Auge: Das Auge kann be¬ 
trächtlich beeinflusst werden, beson¬ 
ders bei jungen Tieren hat man Star 
beobachtet. Nervensystem: Bei jun¬ 
gen Tieren ist eine Röntgenwirkung 
möglich, bei älteren nicht. Das Kör¬ 
perwachstum junger Tiere wird beein¬ 
flusst. K. hat in seinen Versuchen 
diese Wirkung nicht beobachtet. Die 
Leber ist wenig radiosensibel, ebenso¬ 
wenig die Nieren. Die Mamma wird 
im Stadium der Entwicklung beein¬ 
flusst, ebenso die Thyreoiden, beide 
Organe nicht bei erwachsenen Tieren. 
Lungen, Knorpel, Knochen besitzen 
geringe Radiosensibilität. K. geht 
dann auf die Erfahrungen, die beim 
Menschen gemacht sind, über und de¬ 
monstriert ebenso wie bei den Tier¬ 
versuchen hierbei grosse Tabellen, die 


♦ Kollektivbericht der „Vereinigung der 
Deutschen mediz. Fachpresse". 


sämtliche Versuche anderer Autoren 
und seine eigenen umfassen. Die Haut 
zeigt eine Dermatitis ersten, zweiten 
und dritten Grades, ferner die sekun¬ 
dären Veränderungen, Röntgenkarzi¬ 
nome. Auch Sklerodermie ist in ei¬ 
nem Fall beobachtet worden. Das Blut 
ist stark beeinflussbar. Es tritt erst 
eine Hyperleukozytose, dann eine 
Herabsetzung des Leukozytengehal¬ 
tes ein. Leukotoxine sind nicht sicher 
nachgewiesen worden. Beim Auge 
zeigt sich eine Reizwirkung auf die 
Konjunktiva, Kornea und Chorioidea. 
Es ist ferner Tropfenbildung an der 
Hinterfläche der Linse beobachtet 
worden. Kinder unter drei Jahren 
müssen vor Röntgenstrahlen bewahrt 
werden; durch diagnostische Sitzun¬ 
gen werden sie aber nicht geschädigt. 
Periphere Nerven werden nicht ange¬ 
griffen. Ref. bespricht dann die The¬ 
orien, welche über die Röntgenwir¬ 
kung auf die Haut aufgestellt worden 
sind. Nach einigen Autoren wird die 
Zelle, besonders die junge, lebhaft 
proliferierende direkt angegriffen. 
Nach anderen beruht die Wirkung auf 
Autolyse. K. erwähnt die Lezithin¬ 
hypothese und die Fermentschädi¬ 
gung. Zusammenfassend gibt K. eine 
Tabelle nach W e 11 e r e r, der die 
Empfindlichkeit des gesunden und pa¬ 
thologischen Gewebes zusammenge¬ 
stellt hat. Die Wirkung der Strahlen 
ist so aufzufassen, dass kleine Mengen 
reizen, mittlere hemmen und grosse 
töten. 

Reifferscheid (Bonn), Kor- 
ref.: Die Einwirkung der Röntgen¬ 
strahlen auf tierische und menschliche 
Eierstöcke. R. hat ausgedehnte expe¬ 
rimentelle und histologische Untersu¬ 
chungen über dieses Thema vorge¬ 
nommen. Serienuntersuchungen an 
weissen Mäusen ergaben, dass bei der 
Maus durch die Strahlen schwere De¬ 
generation serscheinungen im O vari- 
um hervorgerufen werden, die sich in 
Schädigungen der Follikelepithelien 
bis zu völligem Zugrundegehen der¬ 
selben und in Zerstörung der Eizellen 


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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


21 


charakterisieren. Bei grösseren Do¬ 
sen wird auch das Stroma schwer ge¬ 
schädigt. Bei grösseren Tieren, Affen 
und Hunden, Hess sich feststellen, 
dass auch hier dieselben Degenera¬ 
tionserscheinungen auftreten. Diese 
Gleichartigkeit des histologischen Bil¬ 
des Hess schon erwarten, dass sich 
beim Menschen dieselben Verhältnis¬ 
se finden würden. Tatsächlich konnte 
Ref. durch Untersuchungen an sieben 
menschlichen Ovarien, die mit Dosen 
von 5 bis 30 x bestrahlt waren, nach- 
weisen, dass auch hier Degeneration 
der Follikelepithelien und der Eizelle 
sich fanden. Damit war für die thera¬ 
peutische Anwendung der Röntgen¬ 
strahlen in der Gynäkologie eine posi¬ 
tive histologische Grundlage gewon¬ 
nen. Daneben fanden sich stets mehr 
oder weniger ausgedehnte Blutungen 
in das Ovarium, die R. auch für spezi¬ 
fische Röntgenwirkung halten möchte. 
Aus einer grossen Untersuchungsreihe 
an verschiedenen Tieren ergab sich, 
dass eine Regeneration im röntgenge¬ 
schädigten Ovarium nicht zustande 
kommt. Einmal zerstörte Follikel 
können sich nicht wieder ersetzen. 
Eine Regeneration kann nur vorge¬ 
täuscht werden, wenn die der Reife 
nahen Follikel zerstört werden, die 
jüngeren Stadien aber ungeschädigt 
bleiben, und von diesen nach einiger 
Zeit einer zur Reife gelangt. Vortr. 
belegt seine Ausführungen durch 
zahlreiche Projektionsbilder mikrosko¬ 
pischer Schnitte. 

Simmonds (Hamburg), Korref.: 
Die biologischen Einwirkungen der 
Röntgenstrahlen auf den Hoden. Der 

Einfluss der Strahlen macht sich fast 
ausschliesslich in den samenbildenden 
Zellen geltend, während die übrigen 
Zellen unbeeinflusst bleiben. Nach 
Ablauf eines Latenzstadiums (2 bis 3 
Wochen) zerfallen die Samenzellen, 
die Kanäle sind nur mit Trümmer¬ 
massen erfüllt. Eine Wiederherstel¬ 
lung durch Wucherung intakt geblie¬ 
bener Samenzellen ist möglich, was 
durch Erfahrung an experimentell ge¬ 
schädigten Tieren und an Menschen 
bewiesen wird. Hand in Hand mit 


dem Untergang der Samenzellen 
kommt es zur Wucherung der Zwi¬ 
schenzellen ; da diese die innere Sekre¬ 
tion übernehmen, erklärt sich die Er¬ 
haltung des Geschlechtstriebes und 
der Geschlechtscharaktere auch nach 
Untergang der Samenzellen. Die 
Röntgenstrahlen vernichten die Zeu¬ 
gungsfähigkeit, nicht aber die Männ¬ 
lichkeit. An zahlreichen, hervorragend 
schönen Mikroprojektionsbildern wird 
das Vorgetragene erläutert. 

K ö r n i c k e (Bonn-Poppelsdorf), 
Korref.: Die biologischen Einwirkun¬ 
gen der Röntgenstrahlen auf die 
Pflanzen. K. schildert die Wirkungs¬ 
weise der Röntgenstrahlen auf die ver¬ 
schiedensten Lebenstätigkeiten der 
Pflanze und besprach dabei eingehen¬ 
der phototropische Versuche, dann 
solche, welche die Wirkung der Strah¬ 
len auf Bewegungserscheinungen, 
Plasmaströmung, Turgor, Assimila¬ 
tion, Chlorophyllbildung, Kern- und 
Zellteilung zur Folge haben und zum 
Teil vom Ref. selbst ausgeführt waren. 
Besonders eingehend wurde die Wir¬ 
kung auf Keimung und Wachstum be¬ 
handelt. Die Untersuchungsergebnis¬ 
se Hessen sich dahin zusammenfassen, 
dass die Keimung der Samen durch 
starke Bestrahlung oft auffallend ge¬ 
fördert wird, dass jedoch diese Strah¬ 
len auf das Wachstum hemmend wir¬ 
ken, und zwar zeigt sich die Hem¬ 
mung erst einige Zeit nach der Be¬ 
strahlung. Dieser Zeitpunkt ist von 
dem Objekt und seinem physiologi¬ 
schen Zustand im Moment der Be¬ 
strahlung abhängig. Bei mässiger 
Strahlungsintensität bleibt die Wachs¬ 
tumshemmung nur eine vorüberge¬ 
hende, geringe Strahlenmengen wir¬ 
ken wachstumsfördernd. Ein merkli¬ 
cher Unterschied in der Wirkung har¬ 
ter und weicher Strahlen Hess sich 
nicht konstatieren. Die einzelnen 
Pflanzenarten wie auch die einzelnen 
Individuen ein und derselben Pflan¬ 
zenart besitzen verschieden starke Ra¬ 
diosensibilität. Eine praktische Ver¬ 
wendbarkeit für landwirtschaftliche 
Zwecke lässt sich, wie aus den Versu¬ 
chen hervorgeht, nicht erzielen. 


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II. Diagnostische Vorträge. 

(Thorax, Abdomen.) 

Alban Köhler (Wiesbaden): Zur 
Röntgendiagnostik der Schmarotzer 
des Menschen. Vortr. zeigt Bilder 
von verkalkten Zystizerken. Diagnose 
wurde am Lebenden mit Röntgen¬ 
strahlen gestellt. Es fanden sich 
Kalkschatten am Unterschenkel, Ober¬ 
schenkel und an der Lendengegend 
von 2 bis 4 mm Breite und 7 bis 9 mm 
Länge. Die Längsachse stand parallel 
zum Muskelfaserverlauf. K. zeigt fer¬ 
ner Röntgenbilder einer Lunge, die 
mit verkalkten Eiern von Distomum 
pulmonale durchsetzt ist. Die Schat¬ 
ten sind kreisförmig und haben einen 
Durchmesser von 2 bis 3 mm. Die 
Diagnose w r urde auch klinisch aus 
dem Auswurf gestellt. Ferner wurde 
eine Aufnahme gezeigt, in der ein run¬ 
der Schatten als Echinokokkus gedeu¬ 
tet wurde, der sich später als Karzi¬ 
nommetastase heraussteHte. 

Hessel (Bad Kreuznach): Elin 
Weg, die normale Speiseröhre röntge- 
nographisch darzustellen. Vortr. lässt 
einen mit Kontrastmahlzeit gefüllten 
Schweinedarm schlucken, stellt so den 
Oesophagus dar und verfolgt dann 
diesen Darm auf dem Wege durch den 
Körper. In der Diskussion hierzu be¬ 
merkt Holzknecht (Wien), dass 
der Oesophagus durch mundvolles Es¬ 
sen von gewöhnlichem Brei sich dar¬ 
stellen lasse. Es werden -während der 
ersten paar Schlucke mehrere Aufnah¬ 
men gemacht, unter diesen sind einige 
brauchbar. 

Grunmach (Berlin) spricht zur 
Diagnostik und Therapie des Gastro- 
spasmus und zeigt eine Anzahl Auf¬ 
nahmen. Er benutzt als Kontrast¬ 
mahlzeit eine Thoraufschwemmung. 
Dazu bemerkt Haudek (Wien), 
dass man mit der Diagnose Gastro- 
spasmus vorsichtig sein muss. 
Schwarz (Wien) bemerkt zur Di¬ 
agnose Gastrospasmus, dass dreierlei 
Arten von Spasmus zu unterscheiden 
sind: Für L T lkus charakteristisch sind 
die Einziehungen an der grossen Kur¬ 
vatur. Die zweite Art ist der spasti¬ 
sche Zustand des Antrum; beim „Te¬ 
tanus“ des Antrum ist dieses zuerst 


nicht sichtbar; es tritt nur auf kurze 
Zeit auf und kontrahiert sich sofort 
wieder. Bei Einnahme der Mahlzeit 
in rechter Seitenlage entfaltet sich das 
Antrum leichter. Die wichtigste Form 
ist die Kontraktion des kaudalen Tei¬ 
les bei sonstiger Stierhornform des 
Magens. 

Haudek (Wien): Hypersekretion 
und Magenmotilität. Die Wismutre¬ 
tention bei Magengeschwüren ist nicht 
selten das einzige Symptom für die 
röntgenologische Geschwürsdiagnose. 
Die Wismutretention bei nicht steno- 
siertem Pylorus wurde bisher haupt¬ 
sächlich auf den Pyloruspasmus bezo¬ 
gen, doch spricht dagegen neben dem 
Fehlen von Rückständen nach der 
Probemahlzeit auch der Umstand, 
dass es H. gelang, in solchen Fällen 
zu beliebigen Zeiten durch Effieurage 
ansehnliche Teile der Wismutrück¬ 
stände in das Duodenum zu befördern, 
ein Beweis für das Offenstehen des 
Pylorus. Die Ursache der Retention 
scheint H. in dem Zusammentreffen 
zweier Momonte gelegen zu sein: ei¬ 
ner höhergradigen Hypersekretion 
und einer grossen Hubhöhe. Bei lan¬ 
gem Hakenmagen mit Hypersekretion 
kommt es schnell zu Sedimentierung 
der Mahlzeit; das Kontrastmittel 
sinkt auf den Magenboden, während 
sich in den höheren Partien, so auch 
im Antrum pylori wismutfreie Flüssig¬ 
keit ansammelt ; diese wird aus dem 
Magen ausgetrieben, erneuert sich 
aber immer wieder — der sichtbare 
Mageninhalt wird nur in ganz gerin¬ 
ger Menge entleert, er bleibt als all¬ 
mählich abnehmender Beschlag viele 
Stunden liegen. Höhergradige Wis¬ 
mutretention in einem Hakenmagen 
mit offenem Pylorus bedeutet also hö¬ 
hergradige Hypersekretion; da diese 
wieder in der Regel durch Magenge¬ 
schwüre hervorgerufen wird, ist der 
Magenrest indirekt symptomatisch für 
Magengeschwür — bei den Duodenal¬ 
geschwüren besteht wohl in gleicher 
Weise Hypersekretion, doch trägt hier 
die durch die Hypertonie bewirkte 
Kontraktionsstellung des Magens und 
der Umstand, dass diese Geschwüre 
bei Männern mit schrägem Magen 
häufig Vorkommen, dazu bei, dass 


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beim Ulcus duodeni Sechsstunden¬ 
reste häufig fehlen oder nur als zarte 
Beläge des kaudalen Poles sichtbar 
werden. Bei langen Hakenmägen geht 
aber auch das Ulcus duodeni nicht sel¬ 
ten mit mittelgrossen Sechsstunden¬ 
resten trotz schneller Anfangsentlee¬ 
rung einher. Experimentelle Versu¬ 
che von E g a n- und Uran o-Papave¬ 
rin etc. haben die Aufnahmen H.’s be¬ 
stätigt. 

H ä n i s c h fragt, ob in solchen Fäl-. 
len — bei Hypersekretion — die Pe¬ 
ristaltik herabgesetzt ist, während bei 
Pylorospasmus die Peristaltik erhöht 
ist. Dies ist ein differentialdiagnosti- 
sches Merkmal. 

Grödel: Wenn bei einem Holz- 
kncchtmagen dauernde Duodenum¬ 
füllung besteht, so handelt es sich um 
funktionelle Insuffizienz, während 
beim Hakenmagen der Brei zurückge¬ 
halten wird. 

H a u d e k bemerkt im Schlusswort, 
dass tiefe, peristalitische Wellen bei 
gedehntem Magen für Pylorostenose 
typisch sind. Aber sie treten auch erst 
nach Ausheberung hervor. 

G. Schwarz (Wien): Das Azi- 
dotest-Kapselverfahren. Als Ersatz 
für die Ausheberung dient das Azido- 
testverfahren. Mit Kontrastpulver ge¬ 
füllte Gelatinekapsel, die an einem mit 
Kongorot gefärbten Zwirnsfaden hän¬ 
gen, werden geschluckt, ihre Lage im 
Magen mittelst der Durchleuchtung 
kontrolliert, das freie Fadenende wird 
im Munde behalten. Nach 10 Minuten 
ist die Kapsel gelöst und der Faden 
wird herausgezogen. Die Farbreak¬ 
tion des Fadens gibt den Säuregehalt 
an. 

Lehmann (Rostock): Demon¬ 
stration eines Falles von Trichobezoar 
des Magens im Röntgenbild bei einem 
15jährigen Mädchen. Der Fremdkör¬ 
per, der einen vollständigen Ausguss 
des Magens darstellte, zeigte im Rönt¬ 
genbild eine fleckige Aussparung, die 
mit dem Magen verschieblich war. 
Der exstirpierte Tumor wog 350 g. 
Dazu demonstriert H a u d e k einen 
gleichen Fall. Hier liess sich der Tu¬ 
mor in die Magenblase hinaufheben, 
ragte aber auch ohnedies in die Ma¬ 
genblase hinein. 


Levy-Dorn und Ziegler 
(Berlin): Zur Charakteristik der rönt¬ 
genologischen Magensymptome auf 

Grund zahlreicher autoptischer Be¬ 
funde. Vortr. berichten über 96 Fälle, 
bei denen die klinischen und röntgeno¬ 
logischen Befunde durch Operation 
oder Sektion, zum Teil durch beide 
kontrolliert wurden. Die Operation 
erwies sich als kein sicheres Kontroll- 
mittel, denn ihr Ergebnis stimmte 
fünfmal mit der Sektion nicht überein. 
Besondere Beachtung wurde der Fra¬ 
ge geschenkt, wie weit sich aus der 
Magenform, soweit ein einzelnes 
Röntgenbild darüber Auskunft gibt, 
sichere Schlüsse ziehen lassen. Kaum 
ein Symptom war eindeutig, sodass 
die Notwendigkeit besteht, erst nach 
Heranziehen verschiedener röntgeno¬ 
logischer Methoden, wie der Schirm¬ 
untersuchung, Serienaufnahmen, un¬ 
ter Berücksichtigung der klinischen 
Ergebnisse ein Urteil zu fällen. Die 
vergleichenden Untersuchungen zeig¬ 
ten u. a., dass starke Verwachsungen 
des Magens einerseits der Röntgen¬ 
untersuchung entgehen können, an¬ 
drerseits sich geringfügige unter ge¬ 
wissen Umständen verraten. Dassel¬ 
be gilt für Tumoren. Die Restfigur ist 
bei Tumor oft geteilt. Adhäsionen 
entgehen oft dem Nachweis, auch die 
an der vorderen Bauchwand. Der Py- 
lorus tritt bei Hebung des Magens, 
Baucheinziehen nach rechts. Bei Ad¬ 
häsionen des Pylorus kann diese 
Rechtsbewegung sehr gross sein, bis 
über 4 cm. Es werden einige neue, 
diagnostisch wichtige Details mitge¬ 
teilt. In der Diskussion hierzu rät 
auch Holzknecht zur Vorsicht in- 
bezug auf Annahme von Adhäsionen. 
Bei Mägen, die mit der Gallenblase 
verwachsen sind, kann man nur dann 
über einen positiven Befund reden, 
wenn Ptose mit Hängebauch vorhan¬ 
den ist und dann der Pylorus hoch 
und quer gelegen ist. 

H o 1 i t z s c h (Budapest): Rönt¬ 
genbefund bei Ulcus ventriculi et Ul¬ 
cus duodeni. Vortr. demonstriert zwei 
Fälle von Ulcus ventriculi et Ulcus 
duodeni, die durch die Operation be¬ 
stätigt werden. In beiden Fällen wa- 

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ren die klinischen Symptome an sich 
ungenügend und erst auf Grund des 
radiologischen Befundes konnte vor 
der Operation die Multiplizität und 
die heterogene Plazierung der Ulzera 
bestimmt werden. Projektion. In der 
Diskussion hierzu teilt Schütze 
(Berlin) einen einschlägigen Fall mit. 
Menzer (Bochum) meint, dass es 
sich in solchen Fällen häufig um Lues 


handle, daher solle man Wassermann¬ 
reaktion anstellen. H a u d e k (Wien) : 
Hunderte von mikroskopischen Ulze¬ 
ra, die röntgenologische Erscheinun¬ 
gen machen, könnten vom Chirurgen 
nicht gefunden werden. Er weist auf 
die Fehlerquellen hin, die auf Periduo- 
denitis und Veränderungen der Pan¬ 
kreasfunktion beruhten. 

(Fortsetzung folgt.) 


23. Versammlung der Deutschen otologischen 

Gesellschaft.* 

Kiel, 28. und 29. Mai 1914. 


A. P a y s e r (Berlin): Ueber die 
Gewerbekrankheiten des Ohres. Die 
Kommission der deutschen otologi¬ 
schen Gesellschaft, bestehend aus den 
Herren Wittmaack, Voss und 
Peyser, wird auf dem III. Interna¬ 
tionalen Kongress für Gewerbekrank¬ 
heiten, September 1914, in Wien, über 
diesen Gegenstand berichten, und 
zwar W. über pathologische Anatomie. 
V. über Klinik, P. über Morbiditäts¬ 
statistik, Sozialhygiene, Sozialver¬ 
sicherung. Das Material stammt 
ausser aus eigenen Beobachtungen aus 
Umfragebeantwortung. Die Morbidi¬ 
tätsstatistik ist bisher unvollkommen. 
Die Häufung von Ohrenleiden in ge¬ 
wissen Betrieben ist erweislich, ihr 
wahrer L T mfang nicht. Die Anfangs¬ 
fälle entziehen sich der Beobachtung, 
die Statistiken der poliklinischen In¬ 
stitute registrieren die Professionsfälle 
nicht einwandfrei. Da die Anfangs¬ 
stadien heilbar sind, müssen die Pa¬ 
tienten durch Merkblätter zur Aufsu¬ 
chung ärztlicher Hilfe veranlasst wer¬ 
den. So werden sie auch statistisch 
erfassbar. 

Was die Sozialhygiene betrifft, so 
sind gewisse Betriebe, wie Bauarbei¬ 
ter, durch Ministerialerlässe vor gro¬ 


ben Schädigungen besser geschützt, 
andere, besonders die lärmgefährdeten 
Eisenindustriearbeiter, Weber etc. da¬ 
gegen nicht. Die Schallschädigungen 
bei diesen und im Eisenbahnbetrieb 
sind teils studiert, teils bedürfen sie 
noch genauen wissenschaftlichen Stu¬ 
diums. Vor allem die Frage, welche 
Einzelkomponenten besonders schädi¬ 
gen, ob Luftschall, Resonanz, Boden¬ 
schall. Dann, ob geschädigtes Mittel¬ 
ohr bezw. welche Schädigungen nach 
Art, Entstehungszeit, Sitz schützend 
oder prädisponierend wirken. Schliess¬ 
lich, welche Rolle die Konstitution 
spielt. 

Nach eingehender Prüfung der Mög¬ 
lichkeiten, welche Gewebeordnung 
und Reichsversicherungsordnung zur 
Vorbeugung und zum Schutz, sowie 
zur Entschädigung bieten, entwickelt 
P. ein in allen Einzelheiten ausgear¬ 
beitetes „System eines künstlichen 
Schutzes des Gehörorganes“, das zu 
seiner völligen Durchführung zwar ei¬ 
ne wesentliche Verbesserung und Ver¬ 
tiefung der statistischen und wissen¬ 
schaftlichen Unterlagen zur Voraus¬ 
setzung hat, von dem aber Einzelhei¬ 
ten schon jetzt anwendbar sind, wie 
Schalldämpfung, Betriebsregelung, 


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Aufklärung über Heilbarkeit im Be¬ 
ginne etc. und das in der Forderung 
einer „Liste der Lärmbetriebe“ gipfelt. 
Diese hätten Aufnahme- und Kontroll- 
untersuchungen durch Ohrenärzte ein¬ 
zuführen. 

W. Brock (Erlangen): Demon¬ 
stration von Schnitten durch Pauken¬ 
höhle und Warzenteil von drei Felsen¬ 
beinen mit Tubenabschluss. Sämtli¬ 
che Mittelohrräume sind mehr oder 
weniger mit schleimig-serösem Sekret 
ausgefüllt, ohne dass an der Schleim¬ 
haut Entzündungserscheinungen nach¬ 
zuweisen wären. Dieser Befund 
spricht dafür, dass die bei Tubenab¬ 
schluss sowohl im Hauptraum als 
auch in Zellen zu beobachtende Se¬ 
kretansammlung das Produkt eines 
Hydrops ex vacuo ist und dass infek¬ 
tiöse entzündliche Prozesse keine Rol¬ 
le spielen. 

Karl Beck (Heidelberg): Ueber 
Mittelohrveränderungen nach experi¬ 
menteller Läsion der knorpeligen Tu¬ 
be. B. versuchte, den chronischen 
Mittelohrkatarrh des Menschen zu 
operieren. Er lädierte bei Hunden den 
knorpeligen Teil der Tube. Nach ver¬ 
schiedenen Zeiten wurden die Hunde 
getötet. Es fanden sich 1. serös¬ 
schleimiger Inhalt der Mittelohrräu¬ 
me, der sich als steril erwies; 2. ent¬ 
zündliche Veränderungen in der 
Schleimhaut: 3. enorme Knochenneu¬ 
bildung in der Bulla B. hält die Flüs¬ 
sigkeit für ein Exsudat, und zwar als 
ein Produkt des Entzündungsprozes¬ 
ses in der Schleimhaut. Auch handelt 
es sich um exquisit entzündliche 
Knochenneubildung. 

Ernst W i n c k 1 e r (Bremen) : Zur 
Infektion der Mittelohrräume. Die 
Rolle, welche von vielen namhaften 
Autoren seit 1907 dem Streptococcus 
mucosus bei den eigenartig verlaufen¬ 
den Komplikationen akuter Mittelohr¬ 
infektionen zugeschrieben wird, 
scheint sich nur auf Beobachtungen in 
bestimmten Gegenden zu beschrän¬ 
ken. Der gleiche Ablauf, wie bei einer 
Infektion mit Streptococcus mucosus 


—Ausheilung einer mit und ohne 
Warzenfortsatzerscheinungen auftre- 
tenden akuten Otitis und dann plötz¬ 
liches Einsetzen schwerer Erschein¬ 
ungen ist viel häufiger bei Streptococ¬ 
cus lanceolatus und Streptococcus lon- 
gus festzustellen. Die Annahme, dass 
die ideal pneumatisierten Warzenfort¬ 
sätze nur von Infektionen mit Strepto¬ 
coccus mucosus befallen werden, ist 
nicht zutreffend. Die ausgebildete 
Pneumatisation der Mittelohrräume 
und Adnexe kann bei allen akuten In¬ 
fektionen — besonders denen mit 
Streptococcus longus — zu tief gehen¬ 
den Knochenerkrankungen und Zer¬ 
störungen führen. Sie ist (wie W. be¬ 
reits 1907 betont hat) bei vorhandenen 
Symptomen einer Mastoiditis stets als 
eine bedenkliche anatomische Kompli¬ 
kation zu betrachten. Wo es irgend 
angängig ist, sollte frühzeitig bei 
schweren Otitiden durch Röntgenauf¬ 
nahmen die vorliegende anatomische 
Struktur ermittelt werden. Eine ein¬ 
mal festgestellte Verdunklung der 
Zellen eines Warzenfortsatzes mit 
ausgedehnter Zellenentwicklung bleibt 
bestehen und hellt sich nie auf, auch 
wenn Jahre hindurch das Ohr geheilt 
bleibt. Erklärlich ist die bleibende 
Verdunklung durch die bekannten Re¬ 
parationsvorgänge. Andrerseits kön¬ 
nen Oedeme und Schmerzen zurück¬ 
gehen, die Sekretionen aus dem Mit¬ 
telohr versiegen und doch in der Tiefe 
des Warzenfortsatzes Herde Zurück¬ 
bleiben, die plötzlich zu schweren Zu¬ 
ständen führen. Bei jeder ausgedehn¬ 
ten Pneumatisation und jeder Ver¬ 
dunklung eines derartigen Warzen¬ 
fortsatzes ist auch nach Ablauf der 
Otitis eine Beobachtung des Patienten 
für längere Zeit erforderlich. Dazu 
nötigt nicht allein die Infektion mit 
Streptococcus mucosus. Im Gegen¬ 
satz zu dieser Infektion, die mit kap¬ 
sellosen Kokken als ungefährlich zu 
betrachten, lässt sich nicht verallge¬ 
meinern. 

O. Beck (Wien): Meningitis sup¬ 
purativa, Extraduralabszess der hinte¬ 
ren Schädelgrube nach eitriger Ton¬ 
sillitis. Bericht über ein 7jähriges 
Kind, bei dem aus scheinbar bester 
Gesundheit plötzlich unter schweren 


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meningealen Symptomen eine Läh¬ 
mung des Trigeminus, Abduzens, Fa- 
zialis, Kochlearis und Vestibularis 
auftraten. Hohes Fieber. Ausser die¬ 
sen auf einen basalen Prozess in der 
linken hinteren Schädelgrube hindeu¬ 
tenden Symptomen war der übrige 
Nervenbefund vollkommen negativ. 
In Differentialdiagnose kam eine Po¬ 
lyneuritis cerebralis menieriformis 
(F rankl-Hochwart) auf rheu¬ 
matischer Basis, ferner jene Art der 
H e i n e - M e d i n’schen Erkrankung, 
die vorwiegend mit zerebralen Er¬ 
scheinungen einhergeht. Und schliess¬ 
lich musste man auch an eine begin¬ 
nende tuberkulöse Meningitis denken. 
Die Lumbalflüssigkeit stand unter 
normalem Druck, war klar, im Zentri- 
fugat fanden sich spärlich Lymphozy¬ 
ten und keine Bakterien. Ohne dass 
sich am Krankheitsbild etwas geän¬ 
dert hätte, starb das Kind am 14. 
Krankheitstag. Die im moribunden 
Zustand ausgeführte Lumbalpunktion 
ergab polynukleäre Leukozyten und 
massenhaft Streptokokken. Bei der 
Obduktion fand sich linkerseits eine 
eitrige Tonsillitis, von dieser ausge¬ 
hend ein retro-suprapharyngealer Ab¬ 
szess. der an der Schädelbasis den 
Knochen seiner ganzen Dicke nach 
eingeschmolzen und einen Extradural¬ 
abszess in der linken hinteren Schädel¬ 
grube bewirkt hatte. Der Knochen¬ 
defekt ist durch Einschmelzung eines 
Teiles des Os occipitale, sphenoidale 
und petrosum entstanden. Eitrige 
Meningitis in der Cysterna chiasmatica 
und cerebellomedullaris. — Merkwür¬ 
dig ist an diesem Falle vor allem der 
völlig symptomlose Verlauf des retro- 
suprapharyngealen Abszesses, der 
erst klinische Symptome verursachte, 
als er gegen die Schädelbasis durchge¬ 
brochen war. 

E. R u 11 i n (Wien): Ueber Kom¬ 
pensation des Drehnystagmus. Bei 

Normalen sind die Zahlen des Nach¬ 
nystagmus nach Drehung: bei auf¬ 
rechtem Kopf 15—30" (horizontaler 
Nystagmus), bei vorgeneigtem Kopf 
10—12" (rotatorischer Nystagmus); 
bei einseitig Labyrinthlosen: bei auf¬ 
rechtem Kopf. Bei Drehung nach der 
gesunden Seite 3—5". Bei Drehung 


nach der labyrinthlosen Seite 15—30". 
Bei seitlich geneigtem Kopf erhält 
man sowohl bei normalen als einseitig 
labyrinthlosen die gleichen Zahlen. Dre¬ 
hung und Neigung des Kopfes gleich¬ 
sinnig gibt Abwärtsnystagmus. Dauer 
6—10". Drehung und Neigung un¬ 
gleichsinnig ergibt Aufwärtsnystag¬ 
mus. Dauer 5—8". Die Drehnystag¬ 
mus ist bei einem Verhältnis der Zah¬ 
len: nach der einen Seite 3—5", nach 
der anderen 15—30" für die Diagnose 
der einseitigen Labyrinthlosigkeit zu 
verwerten. Wenn aber die Labyrinth¬ 
zerstörung lange besteht und insbe¬ 
sondere, wenn die Zerstörung eine 
sehr vollkommene ist, tritt ein Phäno¬ 
men ein, das R. als Kompensation be¬ 
zeichnet hat. Dieses Phänomen ist 
das Gleichwerden des Drehnystagmus 
für beide Seiten. Man bekommt dann 
bei Drehung nach der gesunden und 
labyrinthlosen Seite Zahlen von 10 bis 
12". Die Kompensation tritt vorwie¬ 
gend bei drei Gruppen ein: 1. bei bin¬ 
degewebiger Ausheilung; 2. bei knö¬ 
cherner Ausheilung; 3. bei Sequestra¬ 
tion. Praktisch ist daher die Kompen¬ 
sation folgendermassen verwertbar: 
Wenn ein Fall von entzündlicher La¬ 
byrintherkrankung taub, kalorisch un- 
. erregbar ist, kein Fistelsymptom hat 
und das Phänomen der Kompensation 
zeigt, so handelt es sich also wahr¬ 
scheinlich um ein ausgeheiltes oder ein 
sequestriertes Labyrinth. Man wird 
daher in diesen Fällen zunächst die 
Radikaloperation machen. Findet man 
Zeichen von Ausheilung (Verknöche¬ 
rungen an der Labyrinth wand), so 
wird man sich mit der Radikalopera¬ 
tion begnügen; findet man Zeichen 
von Sequestration, so wird man die 
Labyrinthoperation anschliessen. 

Beyer: Beiträge zum Barany- 

schen Zeigeversuch. Vortr. berichtet 
über Erfahrungen mit dem Baräny- 
schen Reationszeigen. Bei Labyrinth¬ 
erkrankungen ist auffallend, im Ge¬ 
gensatz zum doppelseitigen Reaktions¬ 
zeigen bei künstlicher Labyrinthrei¬ 
zung, das häufig beobachtete einseiti¬ 
ge Vorbeizeigen des Armes der kran¬ 
ken Seite in allen oder einzelnen ver¬ 
schiedenen Ebenen. Das Gleiche fand 
sich auch bei Meniereerkrankung, hier 


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bemerkenswerterweise kombiniert mit 
atypischer Fallrichtung zur kranken 
Seite, Erscheinungen, die mehr für 
eine zentrale wie für eine Labyrinth¬ 
erkrankung sprechen. Die überra¬ 
schendsten und einander widerspre¬ 
chenden Bilder inbetreff des Ausfalls 
der Z. R. Hessen sich bei Hysterie fest¬ 
stellen. Auch bei der Lues waren die 
Befunde zunächst schwer zu deuten, 
erschienen dann aber erklärlicher von 
dem Gesichtspunkte aus, dass es sich 
dabei viel häufiger um meningitische 
Prozesse wie um reine Neurorezidive 
handeln müsse. Besonders auffallend 
und für diese Annahme sprechend war 
der häufig zu beobachtende Ausfall 
jeglicher Reaktion trotz erhaltener Er¬ 
regbarkeit der Vestibuläres. Bei me- 
ningischen Prozessen Hess sich dann 
ferner ein häufiger Wechsel in der Art 
des R. Z. nachweisen und bei einzel¬ 
nen Tumoren Befunde, die als Druck¬ 
wirkung aufzufassen wären, keine di¬ 
rekten Beobachtungen jedoch, die als 
Stütze für die Lokalisationstheorie zu 
betrachten wären. B. vermag darnach 
an dem Ausfall des Reaktionzeigens 
bei Labyrintherkrankungen noch kei¬ 
nen sicheren Schluss für die Diagnose 
des Grades oder des Fortschreitens 
der Krankheit zu ziehen. Wichtig er¬ 
scheint dagegen der Ausfall desselben 
als Hinweis auf luetische Erkrankung 
zu werden. 

G ü 11 i c h (Charlotetnburg) de¬ 
monstriert einen neuen Drehstuhl, der 
die sogenannte Optimumeinstellung 
der Labyrinthe bei der Drehung be¬ 
quem ermöglicht. Diese ist bei der 
Rechtsdrehung dann vorhanden, wenn 
das linke Labyrinth im Drehungsmit¬ 
telpunkt steht, und umgekehrt bei der 
Linksdrehung dann, wenn die Dreh¬ 
ungssache durch das rechte Labyrinth 
verläuft. G. greift auf seine Veröffent¬ 
lichung im letzten Band der Pas- 
teu r’schen Beiträge zurück, demon¬ 
striert seine sogenannte spontane 
Axialeinstellung der Labyrinthe und 
zeigt den Unterschied der Intensität 
des Nystagmus nach Rechts- und 
Linksdrehung bei einem Patienten. 
Er ist der Ansicht, dass bei der 
Rechtsdrehung nicht nur der Nach¬ 
nystagmus. sondern auch der eigentli¬ 


che Drehnystagmus (während der 
Drehung) hauptsächlich am linken 
Labyrinth innerviert wird. Denn bei 
der aktiven Rechtsdrehung leiste die 
eigentliche Dreharbeit das linke Bein, 
das rechte sei dabei mehr Stütze. Die 
Muskulatur des linken Beines werde 
von der linken Kleinhirnhemisphäre 
innerviert, diese aber stände in einem 
besseren nervösen Zusammenhang mit 
dem gleichseitigen Vestibularapparat 
als mit dem entgegengesetzten. Der 
G.’sche Drehstuhl ist so gebaut, dass 
der Patient den Oberkörper vollstän¬ 
dig senkrecht hält, einige Handgriffe 
ermöglichen die zentrale Labyrinth¬ 
einstellung. Der Patient wird mit ei¬ 
nem breiten Gürtel, der um die Brust 
gelegt wird, festgeschnallt. Arm¬ 
stützen sind nicht vorhanden, damit 
die Bäräny'sehen Abweichereaktionen 
gut beobachtet werden können. Durch 
die zentrale Kopfeinstellung werden 
nach G. Otolithenreizungen nach 
Möglichkeit vermieden, der Brechreiz 
sei infolgedessen auf diesem Stuhl be¬ 
deutend schwerer auslösbar als auf 
den alten Modellen, weil auf diesen 
der Kopf des Patienten zu weit ent¬ 
fernt vom Zentrum wäre und dadurch 
mehr zentrifugiert würde. Vortragen¬ 
der macht auf einige Fehlerquellen 
beim Drehnystagmus aufmerksam: 
Die ersten Drehungen geben stets den 
längsten Nystagmus, man muss die 
Patienten zuerst durch einige Drehun¬ 
gen an den Drehstuhl gewöhnen, viele 
Leute sind auf Rechtsdrehung trai¬ 
niert. Auf dem Drehstuhl kann man 
auch die Abweichereaktion während 
der Drehung gut beobachten (mit ver¬ 
längertem B ä r ä n y’schen Blickfixa¬ 
tor zu untersuchen). Zum Schluss be¬ 
tont G. die eigenartige Tatsache, dass 
die Abweichereaktion in den Armen 
bei vielen L T ntersuchten längere Zeit 
nach dem Drehen anhalte als der 
Nachnystagmus. 

Otto Mayer (Wien) demonstriert 
die histologischen Präparate von zwei 
Schläfenbeinen eines Falles von Oto- 
sklerose und eines Schläfenbeines von 
Ostitis fibrosa und kommt zu folgen¬ 
den Schlusssätzen: 1. Die bei der 
Otosklerose sich fixierende Knochen¬ 
veränderung ist keine spezifische Er- 


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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


krankung der Labyrinthkapsel. 2. Die 
Ostitis fibrosa der Labyrinthkapsel 
unterscheidet sich in dem untersuch¬ 
ten Fall von der Ostitis fibrosa der an¬ 
deren Knochen. Der Unterschied ist 
bedingt durch den spezifischen Aufbau 
der Labyrinthkapsel. Der scheinbar 
spezifische Charakter der Veränderun¬ 
gen der Labyrinthkapsel beruht wahr¬ 
scheinlich auf denselben anatomischen 
Verhältnissen. Die bei Otosklerose 
sich findenden Knochenveränderungen 
sind den von M. in dem Falle von 
Ostitis fibrosa beschriebenen Verände¬ 
rungen so ähnlich, dass sie histolo¬ 
gisch als ein Produkt eines der Ostitis 
fibrosa analogen Prozesses aufgefasst 
werden müssen. Vortragender teilt 
ferner mit, dass in dem Fall von Oto¬ 
sklerose die Ovarien atrophisch waren 
und dass die Hypophyse die von 
R ö s s 1 e an Kastratenhypophysen er¬ 
hobenen Veränderungen zeigte. 

Manasse (Strassburg), Demon¬ 
stration : Ostitis chFonica metaplasti- 
ca mit Stapesankylose bei einem 3 l / 2 - 
jährigen Kind. M. demonstriert die 


Schnitte von den Felsenbeinen eines 
3^jährigen Kindes, welches zwar nor¬ 
mal gehört hatte, aber mikroskopisch 
ausgesprochene otosklerotische Kno¬ 
chenveränderungen an der Prädilek¬ 
tionsstelle des ovalen Fensters mit 
partieller Stapesankylose zeigte. Es 
fanden sich in den Herden fast aus¬ 
schliesslich Neubildungsvorgänge, 
sehr wenig Resorptionserscheinungen. 
Am interessantesten war die Grenz¬ 
zone, an welcher in sämtlichen Schnit¬ 
ten überhaupt keine Osteoklasten zu 
finden waren. Ueberall zeigte sich, 
dass der alte Knochen lediglich durch 
Vordringen der osteoiden Substanz 
zum Schwinden gebracht wurde. 

Knick (Leipzig) : II. Beitrag zur 
Otosklerosefrage. K. demonstriert die 
Felsenbeinpräparate eines an Prosta¬ 
takarzinom verstorbenen Mannes, der 
in fast allen Knochen des Skeletts hy- 
perostotische Metastasen hatte und an 
einer akut aufgetretenen Schwerhörig¬ 
keit vom Typus der gemischten Form 
der Otosklerose litt. 

(Fortsetzung folgt.) 


Amerikanische balneologische Referate. 

Referiert von Dr. von Oefele. 


Begriff des Badearztes. — Zur Be¬ 
schaffung von Material für die baineo¬ 
logischen Referate ist viele Korrespon¬ 
denz erforderlich. Es ergibt sich beim 
Versuch von Vereinfachungen dieses 
Briefwechsels immer wieder das Be¬ 
streben, die beratenden Aerzte der ein¬ 
zelnen Badeorte zu erfahren. Es zeig¬ 
te sich dabei, dass für Amerika der Be¬ 
griff des europäischen Badearztes noch 
völlig fehlt. Im europäischen Bade¬ 
orte, wenn er auch noch so klein ist, 
ist der ansässige Arzt auf Hebung des 
Badeverkehrs bedacht. Die Kurfrem¬ 
den sind der wertvollere Teil seiner 
‘Praxis. Die Zeitopfer für die Kur¬ 
fremden sind allerdings auch gross. 
Aber die Einheimischen zahlen auch 
niemals so gut wie die Kurfremden. 
Im amerikanischen Badeorte ist der 
Fremde geneigt, die Benützung der 
Quellen für ein Schema zu betrachten, 


das man sich möglichst wenig durch 
ärztliche Nebenverordnungen verder¬ 
ben lassen darf. Ich ersehe aus einem 
amerikanischen Briefe, dass in einem 
Orte ortsbekannt ein Kranker lebt, für 
den die örtliche Quelle nach europäi¬ 
schen Analogien zweckmässig wäre. 
Der heimische Arzt hält aber den 
Kranken von der Mineralkur ab. Der 
Besitzer der Quelle lebt im gleichen 
Orte, ist von diesem Zustande persön¬ 
lich nicht erbaut, aber er findet die 
Sache sehr begreiflich. Er teilte mir 
•naiv mit, es sei nur ein kleiner Ort mit 
vielen Aerzten und geringem Kran¬ 
kenstände ; das gebräuchliche Honorar 
sei ein Dollar. Der behandelnde Arzt 
sei darauf angewiesen, den chronisch 
Kranken in Behandlung zu behalten. 
Sobald der Arzt die Quelle verordnen 
würde, hätte er seinen letzten Dollar 
erhalten, denn auch in früheren Fällen 


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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


29 


hätten die Patienten die zuträglichste 
Art des Quellengebrauches selbst aus¬ 
probiert. Ich war sehr begierig, zu 
erfahren, durch welches schwerbe¬ 
schaffbare Rezept der Patient immer 
wieder in das Sprechzimmer seines 
Arztes gezwungen wurde. Man höre 
und staune! Es handelte sich um ei¬ 
nen Diabetiker, dem der behandelnde 
Arzt schon lange kein Medikament 
mehr aufschrieb, sondern der sich im¬ 
mer wieder für einen neuen Dollar 
Buttermilch verordnen Hess. Aber bei 
Verordnung der Mineralquelle soll 
obige Gefahr bestanden haben. Es be¬ 
weist diese Mitteilung wiederum jene 
Unterströmung im amerikanischen 
Volksbewusstsein, die ich auch ander¬ 
weitig schon beobachtet habe. Mine¬ 
ralwasserkuren werden als Teile einer 
Volksmedizin aus alten Indianerüber¬ 
lieferungen betrachtet. Man glaubt 
sie darum im Widerspruch mit der 
ordnungsmässigen Heilkunde. Der 
amerikanische Arzt am Orte einer Mi¬ 
neralquelle will darum garnicht ein 
Badearzt werden. Er fürchtet, sich 
finanziell und im allgemeinen Ansehen 
zu schädigen. Der europäische Bade¬ 
arzt hält es für eine geschäftsmänni- 
sche Pflicht, über sein Bad jede ge¬ 
wünschte Auskunft zu erteilen. Der 
Anfragende fühlt sich dafür kaum zu 
besonderem Dank verpflichtet. Denn 
man betrachtet im allgemeinen die 
Antwort nur als eine Geschäftsaus¬ 
kunft im Interesse möglicher zukünf¬ 
tiger Geschäfte. Die Auskunft eines 
amerikanischen Arztes in einem Orte 
mit Mineralquellen wird als Gefällig¬ 
keit vom Kollegen zum Kollegen an¬ 
gesehen. Der Fragende scheint hier 
eine Dankesschuld auf sich zu nehmen. 


In Europa lässt die Badeverwaltung, 
aber auch jeder Logierwirt Reklame¬ 
bücher drucken und versendet sie un¬ 
entgeltlich. Schon diese Schriften 
werden unter Beirat und mehrfacher 
Revision verschiedener ortsansässiger 
Aerzte abgefasst. Sie gelten aber im¬ 
merhin noch für zu laienhaft. Darum 
legt jeder Arzt eines europäischen Ba¬ 
deortes seine Ansichten über seinen 
Wohnort noch in einem besonderen 
kleinen Buche nieder, das er an Kol¬ 
legen versendet. Die Literatur aus 
ärztlichen Federn ist darum in Euro¬ 
pa in jedem einzelnen Badeorte ins 
Ungemessene gewachsen. Umgekehrt 
ist es in Amerika fast allgemeine Re¬ 
gel, dass über den einzelnen Badeort 
keine gedruckten Auslassungen der 
ansässigen Aerzte vorhanden sind. Es 
besteht eine Scheu, sich als Badearzt 
der örtlichen Quelle und als ihr öffent¬ 
licher Anpreiser in bestimmten Er¬ 
krankungsfällen ansehen zu lassen. 

Für eine erfolgreiche amerikanische 
Balneologie ist es nötig, dass die Ba¬ 
deärzte, wie es solche z. B. in Arkan¬ 
sas Hot Springs ausnahmsweise gibt, 
nicht die Ausnahme sind, sondern dass 
sie zur durchschnittlichen Regel im 
Badeorte werden. Wo sich solche 
Kollegen in Wort und Schrift an die 
Hausärzte wenden, erzwingt die Natur 
der Sache eine aufrichtige, wahrheits- 
gemässe Darlegung. Lügen in Bade- 
brochiiren verraten sich rasch selbst 
und haben nur kurze Beine. Gesun¬ 
dung und gedeihliche Fortentwicklung 
der reichlichen und wertvollen ameri¬ 
kanischen Mineralquellen erfordern 
das Erstehen genügender Zahl publi¬ 
zistisch geschulter und tätiger Bade¬ 
ärzte. 


Therapeutische und klinische Notizen. 


— Behandlung der Appendicitis mit Ich - 
thalbin. Dr. G. B e 1 d a u, Riga, hatte viel¬ 
fach Gelegenheit, sich zu überzeugen, dass 
durch eine systematisch durchgeführte Ich- 
thalbinbehandlung viele nach gebräuchlichen 
Begriffen operationsbedürftige Fälle von Ap- 
pendicitis endgültig heilbar sind. Es handelt 
sich nicht nur um die Erkrankungsformen 


mit vagen, unbestimmten Symptomen und 
zweifelhafter Diagnose, sondern auch um 
konkrete Perityphlitiden mit fieberhaftem 
Verlauf, charakteristischer Druckempfind¬ 
lichkeit und palpabler Geschwulst. 

Da das Ichthalbin in sauren Medien unlös¬ 
lich ist, so passiert es bei normalen Sekre¬ 
tionsverhältnissen den Magen unverändert. 

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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


Erst im alkalischen Darmsaft spaltet es sich 
in seine Komponenten, wobei therapeutisch 
unwesentliches Eiweiss und Ichthyol in statu 
nascendi frei werden. Letzteres ist ein Darm- 
desinfiziens in weitestem Sinne des Wortes. 
Hartnäckige Kinderdiarrhöen, Enteritiden 
Erwachsener sowie enterale Gärungsprozesse 
verschiedenster Provenienz gehen unter Ich- 
thalbingebrauch verhältnismässig bald in Hei¬ 
lung über. Um mit Sicherheit einer vorzei¬ 
tigen Spaltung des Mittels im Magen yorzu- 
beugen, ist es zweckmässig, das Ichthalbin 
stets zusammen mit Salzsäure * zu ver¬ 
ordnen. 

Bei akuter Appendicitis verabfolgt man 
von Ichthalbin viermal täglich je eine tüch¬ 
tige Tischmesserspitze voll unmittelbar vor 
den Mahlzeiten mit sechs Tropfen verdünn¬ 
ter Salzsäure in 54 Glas Wasser. Nach Ab¬ 
flauen des akuten Anfalls lässt man es drei¬ 
mal täglich etwa 6 bis 8 Wochen, nötigenfalls 
noch länger, weiter gebrauchen. Da durch 
Lähmung der Peristaltik das Heranrücken 
des Ichthalbins an den Krankheitsherd Ein¬ 
busse erleiden würde, so empfiehlt es sich, 
solange der Schmerz erträglich ist, Opiate zu 
vermeiden. In der Mehrzahl der Fälle er¬ 


weist sich das Ichthalbin selbst als schmerz¬ 
lindernd. 

Ohne die Vorteile einer operativen Behand¬ 
lung der Appendicitis zu verkennen, weist B. 
auf den Wert der Ichthalbinmedikation hin, 
da es häufig genug vorkommt, dass eine Ope¬ 
ration aus irgendwelchen Gründen nicht aus¬ 
führbar ist oder der Kranke sich nicht ein¬ 
verstanden damit erklärt. Besonders über¬ 
zeugende Resultate ergibt die Ichthalbinbe- 
handlung bei den periodisch rezidivierenden 
Formen, bei welchen auch in der anfallsfreien 
Zeit geringe subjektive Beschwerden bestehen 
bleiben. Dass ebensowohl diese Beschwerden 
als auch akute Exazerbationen mit dem Be¬ 
ginne der Ichthalbinbehandlung in der Regel 
ausbleiben, kann wohl unmöglich dem blinden 
Zufall allein zugeschrieben werden. Es liegt 
nichts näher, als die Erklärung dafür in der 
bakteriziden und antiphlogistischen Wirkung 
des Ichthyols in statu nascendi zu suchen. 
Im übrigen ist das Ichthalbin ein harmloses 
Präparat. Auch in grösseren als den oben 
empfohlenen Dosen erzeugt es keine uner¬ 
wünschten Nebenerscheinungen. Nur in ganz 
vereinzelten Fällen scheint Idiosynkrasie gegen 
das Mittel zu bestehen. (M. Kl. 1914 No. 15.) 


Preisausschreiben der “Robert Koch-Stiftung zur 
Bekämpfung der Tuberkulose.“ 

Nach Beschluss des Vorstandes vom 16. April d. J. wird eine Preisaufgabe aus¬ 
geschrieben mit dem Titel: „Die Bedeutung der verschiedenartigen Strahlen (Sonnen-, 
Röntgen-, Radium-, Messthorium-) für die Diagnose und Behandlung der .Tuberku¬ 
lose.“ Die Arbeiten, die in deutscher Sprache abgefasst und mit der Maschine ge¬ 
schrieben sein müssen, sind bis zum 1. Juli 1915 bei dem Schriftführer der Stiftung, 
Herrn Geheimen Sanitätsrat Prof. Doktor Schwalbe (Berlin-Charlottenburg, Schlü¬ 
terstrasse 53), abzuliefern. Die Arbeit ist mit einem Motto zu versehen. Der Name 
des Verfassers ist im geschlossenen Umschlag beizuf-ügen, und auf den Umschlag ist 
das Motto der Arbeit zu setzen. Das Preisgericht besteht aus den Herren: Präsident 
des Kaiserl. Gesundheitsamtes Wirklicher Geheimer Oberregierungsrat Dr. B u m m 
(Berlin), Wirklicher Geheimer Obermedizinalrat Prof. Dr. Gaffky (Hannover), 
Ministerialdirektor Wirklicher Geheimer Obermedizinalrat Prof. Dr. Kirchner und 
Geheimer Obermedizinalrat Prof. Dr. Löffler (Berlin). Für die beste Arbeit ist 
ein Preis von 3000 Mk. angesetzt. Die Arbeit geht nach der Prämiierung in den Besitz 
der Robert Koch-Stiftung über. Die Veröffentlichung findet nach Massgabe der Be¬ 
dingungen statt, die für die gesamten mit den Mitteln der Stiftung ausgeführten Pub¬ 
likationen gelten: Die Preisarbeit erscheint in den „Veröffentlichungen der Robert 
Koch-Stiftung“, während ein von dem Verfasser angefertigter kurzer Auszug in der 
„Deutschen medizinischen Wochenschrift“ abgedruckt wird. 

Berlin, den 22. Juni 1914. 

Der Vorsitzende der Robert Koch-Stiftung zur Bekämpfung der Tuberkulose. 

Dr. v. S t u d t, Staatsminister. 

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CMcag» «ad Clevelaad. 

Herausgegeben von DR. ALBERT A. RlPPERGER 

unter Mitwirkung von Dr. A. Herzfeld, Dr. H. G. Klotz und Dr. von Oefele. 

Bd. XXV. New York, Juli und August 1914. Nr. 2 u. 3. 


Originalarbeiten. 


Behandlung der essentiellen Enuresis nocturna infantilis.* 

Von Dr. Philippart. 


Prognose. Die nächtliche Harnin¬ 
kontinenz der Kinder heilt, wiewohl 
dieselbe im allgemeinen eine günstige 
Prognose stellen lässt, nicht immer 
von selbst, wie man gewöhnlich 
glaubt. Man beobachtet, dass das 
Leiden häufig bis zum 30. bis 35. Le¬ 
bensjahre anhält und für die damit be¬ 
hafteten Individuen zur grössten Pla¬ 
ge wird. Wenn es auch, wiewohl sel¬ 
ten, hartnäckige Fälle nächtlicher In¬ 
kontinenz gibt, die jeder Behandlung 
trotzen, so weicht dennoch die grösste 
Anzahl solcher Fälle einer sorgfältig 
und genau durchgeführten Therapie. 

Hat man es mit einer hartnäckigen 
Inkontinenz zu tun, muss man an eine 
nicht essentielle, sondern symptomati¬ 
sche Inkontinenz denken, sei es als 
Folge einer Läsion, sei es aus fehler¬ 
hafter Entwicklung hervorgegangen, 
deshalb muss jede Inkontinenz auf- 


* „Gaz. med. de Paris", 14. Mai 1914. — 
Allg. Wien. med. Ztg. 1914 Nr. 25. 


merksam nach ihrer Ursache erforscht 
werden. 

An und für sich ist das Leiden bei 
Kindern als kein schweres aufzufas¬ 
sen, aber es deutet immer auf einen 
schlechten Stand des Nervensystems 
hin. 

In den Formen, die mit Reizbarkeit 
der Blase verbunden sind, leiden die 
Kinder auch nach ihrer Heilung an 
mit Urindrang verbundener Miktion. 
Knaben werden in späteren Jahren 
von Samenverlusten betroffen und 
können aus Anlass der Inkontinenz 
oder der Spermatorrhöe Psychopathen 
werden, weil diese Affektionen nicht 
die Folge der Harnerkrankung selbst 
sind, sondern diejenigen eines ur¬ 
sprünglichen Defektes, der in den er¬ 
sten Jahren die bedingende Ursache 
ihres Gebrechens war und seinen Ein¬ 
fluss auch später fortsetzt. 

Die Prognose ist im allgemeinen 
viel günstiger, wenn man es mit einer 
Atonie des Sphinkter zu tun hat und 


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32 


New Yokkee Medizinische Monatsscheut. 


die Kennzeichen der Degenereszenz 
nicht zu zahlreich und nicht sehr aus¬ 
geprägt sind. 

Die Form mit Pollakiurie ist jene, 
die am öftesten der Behandlung wi¬ 
dersteht, besonders bei jungen Mäd¬ 
chen. 

Die Prognose wird ernster, wenn 
die Inkontinenz nur eine larvierte 
Form der Epilepsie oder die larvierte 
Form der essentiellen Polyurie ist. 

Die Prognose ist trüber, • wenn die 
Inkontinenz nach Ablauf des 10. Le¬ 
bensjahres auftritt, denn da muss man 
immer eine Läsion der Nervenzentren 
oder eine mitbegleitende Tuberkulose 
renalen oder vesikalen Ursprunges be¬ 
fürchten oder einen Stein. 

Behandlung. Gegen das nächtliche 
Bettnässen sind vielfache Behand¬ 
lungsmethoden empfohlen worden. 
Wir werden die wichtigsten aufzählen 
und auf jene Nachdruck legen, welche 
die besten Erfolge lieferten. 

Kinder, die an essentieller Inkonti¬ 
nenz leiden, sind gewöhnlich schwäch¬ 
lich, man muss also vor allem anderen, 
bevor man das Leiden selbst in Be¬ 
handlung zieht, ein allgemeines toni- 
sierendes Verfahren einleiten. 

I. Allgemeine Behandlung. 

Man muss die kleinen Patienten 
stärken, man reicht ihnen China Kola¬ 
nuss, Arsenik in Form Fowler’scher 
Solution in Verbindung mit Eisenprä¬ 
paraten. Zeigt das Kind Zeichen thy- 
reoidaler Insuffizienz, so leite man die 
geeignete Behandlung ein. Mit dieser 
Behandlung verbinde man Land¬ 
aufenthalt, Duschen, Elektrizität, Mas¬ 
sage, Bäder. Apathische befinden sich 
im Sommer am Meeresstrande wohl. 
Jene Kinder, die eine gesteigerte ner¬ 
vöse Erregung aufweisen, schicke man 
aufs Land. Man vermeide bei solchen 
Kindern jede körperliche und geistige 
Anstrengung. Bei der Ernährung ent¬ 
halte man die Kinder von viel Fleisch 
und vermeide auch zu stickstoffreiche 
Nahrung, welche den Urin stark sauer 


macht. Gemüse, Eier und Milchspeisen 
bilden die Grundlage der Nahrung. 

Die Kranken sollen am Abend we¬ 
nig essen und nur soviel trinken, als 
sie unumgänglich nötig haben; man 
verbiete Kaffee und Tee, weil diese 
Getränke im allgemeinen stimulierend 
auf die medulläre Erregungsfähigkeit 
wirken. Man bediene sich vielmehr 
beruhigender Mittel, wie Chlöral, 
Brom in kleinen Dosen. Man muss 
Kindern das Getränk nicht ganz ent¬ 
ziehen, denn die Verminderung der 
eingeführten Flüssigkeit kann die 
Quantität des während der Nacht se- 
zernierten Harns herabsetzen, ohne 
die Symptome der Inkontinenz selbst 
zu beeinflussen. 

Die Darmfunktion soll eine geregel¬ 
te sein; Konstipation kann eine Kon¬ 
gestion der Organe im kleinen Becken 
herbeiführen, sie muss also bekämpft 
werden. 

Die an Inkontinenz leidenden Kin¬ 
der dürfen sich nicht unmittelbar nach 
der letzten Mahlzeit niederlegen, man 
lasse vielmehr den Nieren nach dem 
Abendessen die nötige Zeit zu ihrer 
Funktion und man empfehle den Kin¬ 
dern, bevor sie sich zum Schlafe 
rüsten, zu urinieren. Das Lager sei 
hart, die Kranken werden sich ge¬ 
wöhnen müssen, auf der Seite zu lie¬ 
gen, um so viel als möglich Konge¬ 
stion des Plexus venosus des Beckens 
zu vermeiden. 

Man wache darüber, dass die Respi¬ 
ration frei und der Kopf ein wenig 
hoch gelagert sei und dass die Kinder 
denselben nicht unter das Bettuch le¬ 
gen ; die Kinder dürfen auch nicht zu 
viel zugedeckt sein, aber ebensowenig 
darf man sie sich erkälten lassen, beson¬ 
ders die Füsse sollen warm- gehalten 
werden. 

II. Eigentliche Behandlung der Inkon¬ 
tinenz selbst. 

Wir unterscheiden hier: 

1. Psychische Mittel: (a) Sug¬ 
gestion; (b) korrektive Mittel; (c) Be- 


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New Yokker Medizinische Monatsschrift. 


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handlang durch Gemütsbewegung. 

2. Die Unterweisung in der Funk¬ 
tion. 

3. Interne Behandlung. 

4. Aeusserliche Behandlung, wo man 
in der Weise wirkt: (a) dass alle Ur¬ 
sachen des Reflexes ausgeschaltet 
werden; (b) dass man auf das Ner¬ 
vensystem des Ham- und Genital¬ 
apparates einwirkt; (c) durch Einwir¬ 
kung auf die Sphinkteren. 

1. Psychische Mittel: (a) Sug¬ 
gestion. Es ist angezeigt, die Sug¬ 
gestion zu versuchen, entweder im 
wachen Zustande oder im natürlichen 
oder künstlich herbeigeführten Schla¬ 
fe. Die Suggestion im wachen Zu¬ 
stande oder im natürlichen Schlafe 
wirkt in der Art, dass sie die Kinder 
zwingt, ihre Aufmerksamkeit auf die 
Funktion der Sphinkteren zu richten. 
Diese Suggestion wirkt auf die polla- 
kiurische Form: Die Kranken lernen, 
sich bei Tag zurückzuhalten und kön¬ 
nen bei Nacht während des Schlafes 
mehr Widerstand leisten. 

Die hypnotische Suggestion wende 
man ausschliesslich nur dann an, wenn 
man fest überzeugt ist, dass man es 
mit einem hysterischen Individuum zu 
tun hat, denn sie kann erst recht zur 
Hysterie führen und recht traurige 
Konsequenzen haben. 

(b) Korrektive Mittel. Auf diese 
Art der Behandlung braucht man kein 
grosses Gewicht zu legen; am wenig¬ 
sten dann, wenn der Kranke nicht aus 
Faulheit nicht uriniert. Bei reizbaren 
Individuen dienen Strafen nur dazu, 
sie noch reizbarer zu machen und kön¬ 
nen die Krankheit durch Autosug¬ 
gestion nur noch verschlimmern. 

(c) Die Behandlung durch Gemüts¬ 
bewegung ist auch ein zweischneidi¬ 
ges Schwert. Wenn manchmal Dro¬ 
hungen auch zur Heilung führen, so 
sieht man auch manchmal als veran¬ 
lassende Ursache des Beginnes der In¬ 
kontinenz einen Schrecken oder eine 
lebhafte Erregung. 

2. Erziehliche Anweisung der Funk¬ 


tion. Während des Tages ist der klei¬ 
ne Patient daran zu gewöhnen, den 
Harn so lange als möglich zurückzu¬ 
halten und ihn aufzufordern, der er¬ 
sten Anregung der Blase nicht zu fol¬ 
gen. 

Die Autoren raten, eine Einspritz¬ 
ung von warmer Borlösung in die 
Blase zu machen und dem Kranken zu 
sagen, er möge die Flüssigkeit mög¬ 
lichst lang in der Blase zurückhal¬ 
ten. 

Man muss dem Kranken lehren, 
seinen Sphinkter zu kontrahieren, in¬ 
dem man ihm befiehlt, ein- oder zwei¬ 
mal im Tage die Urinentleerung zu 
unterbrechen, doch dürfen diese 
Uebungen nicht zu oft gemacht wer¬ 
den, da sie bei Prädisponierten einen 
Spasmus der Urethra veranlassen 
könnten. 

Während der Nacht ist es angezeigt, 
den Kranken ein- bis zweimal aufzu¬ 
wecken, und zwar muss dies in voll¬ 
kommener Weise geschehen; der 
Kranke muss wissen, was er tut. Dr. 
G e n o u v i 11 e hat ein originelles 
Mittel vorgeschlagen, um den Kran¬ 
ken in dem Moment, wo er uriniert, 
aufzuwecken, das vom Standpunkte 
der erziehlichen Anweisung der Funk¬ 
tion von grosser Bedeutung ist. Sein 
kleiner Apparat besteht aus zwei me¬ 
tallischen Armen, die durch hydro¬ 
phile Watte von einander getrennt 
sind; dieselben sind zu einem zwei 
Leclanche - Elemente umfassenden 
System und einem Läutewerk ver¬ 
einigt. 

Sobald der Urin bei Beginn der 
Miktion die Watte benässt, entwickelt 
sich der Strom, das Läutewerk kommt 
in Gang und das Kind erwacht. Wir 
haben uns dieses Apparates in zwei 
Fällen bedient und denselben bei Be¬ 
handlung der Inkontinenz als zweck¬ 
mässig befunden. Dieses Verfahren 
wirkt anfangs durch Suggestion in der 
Tat, das Kind hat seine Gedanken auf 
den Apparat, gerichtet, denn es fürch¬ 
tet das plötzliche Erwecken, das, wenn 


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34 


New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


das Kind im Schlafe uriniert, zustande 
kommt; sein Schlaf wird also gegen 
alle Gewohnheit weniger tief sein; in 
der Folge tritt das Erwachen in dem 
Momente ein, in dem die unwillkürliche 
Miktion beginnt, sie wird also sozu¬ 
sagen eine physiologische, was, wie 
wir bereits erwähnt haben, von 
grossem Vorteil ist, um die Blase in 
ihrer Funktion zu erziehen; ja noch 
mehr, wenn der Kranke nicht spontan 
erwacht, so kann jemand, der mit ihm 
im selben Lokal schläft, ihn sogleich 
aufwecken. 

Interne Behandlung. Dieselbe ist 
verschieden, je nachdem man es mit 
der atonischen Form oder jener mit 
Reizbarkeit der Blase zu tun hat. 

(a) Bei der atonischen Form verord¬ 
net Trousseau Strychnin in Form 
eines Sirups. Strychninum sulfuricum 
0.05 auf 100 g Sirup für Kinder im Al¬ 
ter von 5 bis 10 Jahren, einen Kaffee¬ 
löffel früh und abends, zwei Tage hin¬ 
durch ; dann zwei Tage Unterbrech¬ 
ung, um Akkumulation zu vermeiden, 
sodann nehme man die Medikation 
wieder auf und gebe jeden Tag einen 
Kaffeelöffel mehr bis zu sechs Kaffee¬ 
löffeln im Tag. Diese Behandlung hat 
einen sehr guten Erfolg bei einem 
neunjährigen Mädchen geliefert, bei 
dem wir den Apparat von Dr. G e - 
n o u v i 1 1 e nicht angewendet ha¬ 
ben. 

Man hat Tinct. Rhois aromat., fünf 
Tropfen früh und abends für Kinder 
von zwei bis fünf Jahren angewendet 
und 20 Tropfen für Kinder über 10 
Jahre. Auch die Grimeaud’schen Pil¬ 
len: Limatura fer'r. 2.50, Ergotin. 0.30, 
Sacch. q. s. ut. f. pil. 10 waren einst 
sehr im Gebrauch Man gab davon 
sechs Pillen täglich. 

(b) Bei der Form mit Blasenreizung 
muss man antispasmodischen Mitteln 
den Vorzug geben. Belladonna oder 
deren Alkaloid Atropin werden hier 
angewendet. Man verordnet am 
Abend beim Niederlegen für einen 
Adoleszenten eine Pille, enthaltend 


1 cg von Extract. Belladonnae jeden 
Tag; wenn im Laufe von acht bis 
zehn Tagen keine Besserung eintritt, 
gibt man 2 cg, im Laufe von sieben bis 
acht Tagen vermehre man stets um 
1 cg die Dosis bis zu 10 bis 15 cg (?!), 
wie es notwendig ist. Auch nach er¬ 
zielter Heilung setze man diese Be¬ 
handlung eine Zeit fort, dann gehe 
man progressiv mit der Dosis wieder 
zurück. Trousseau sagt, man 
könne diese Behandlung 2, 4 bis 6 Mo¬ 
nate, ja sogar ein ganzes Jahr fort¬ 
setzen. Selbstverständlich muss man 
den Kranken unter Aufsicht haben 
und mit der Darreichung des Mittels 
aufhören, wenn sich Erscheinungen 
der Intoleranz zeigen, nämlich: Er¬ 
weiterung der Pupillen, Gesichtssto- 
störung, Trockenheit im Schlunde u. 
s. w. Die Medikation muss in sol¬ 
chem Falle 14 Tage pausieren und 
dann beginne man wieder mit kleine¬ 
ren Gaben. 

Jules Simon rät, einem Kinde 
von vier bis fünf Jahren einen Kaffee¬ 
löffel eines aus gleichen Teilen Bella¬ 
donna- und Tolusirup zusammenge¬ 
setzten Sirups zu reichen. 

C o m b y empfiehlt eine nicht zu ge¬ 
salzene und nicht zu süsse Nährung, 
er verwirft alles, was reizend wirkt, er 
reduziert die Getränke am Abend und 
verbietet Tee, Kaffee und Alkoholika. 
Das Kind soll einmal täglich am 
Abend zur Zeit, wenn es sich nieder¬ 
legt, mindestens eine Viertelstunde 
lang, in ein nasses Tuch eingewickelt 
werden; er gibt einem sechsjährigen 
Kinde früh, mittags und abends fünf 
Tropfen einer Atropinsolution 0.3: 1000. 
Er vergrössert diese Dosis jeden Tag 
bei jedesmaliger Einnahme um einen 
Tropfen bis auf 30 Tropfen. Bei dieser 
Gabe verharrt er zwei bis drei Tage, 
dann hört es durch 14 Tage mit der 
Darreichung des Mittels auf. Wenn 
die Heilung sich nicht einstellt, nimmt 
er wieder die Behandlung auf und ver¬ 
mehrt in leichter Art die Dosis. Der 
Patient muss sorgfältig überwacht 

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werden und man höre sofort bei der 
geringsten beunruhigenden Erschei¬ 
nung mit dem Mittel auf. 

Chloraleinnahme vor dem zu Bette¬ 
gehen in der Dosis von 0.25 bis 1.00 
wurde auch verordnet. 

Camph. brom. in Suppositorien zu 
0.10 bis 0.30 wurde ebenfalls verschrie¬ 
ben, auch Antipyrin in Dosen zu 0.25 
bis zu 2 g in Klysmen fand Anwen¬ 
dung. 

IV. Aeusserliche Behandlung. 

(a) Beseitigung der Ursachen des 
Reflexes. — Vor allem ist es ange¬ 
zeigt, alle Ursachen des Reflexes zu 
beseitigen. Man wird mit geeigneten 
Mitteln eine Vulvitis, Balanoposthitis, 
Polypen und Atresien der HarnöfF- 
nung behandeln. Das Verschwinden 
dieser pathologischen Zustände als 
Ursachen der Inkontinenz hat vielsei¬ 
tigen Erfolg. 

(b) Aktion auf das Uro-Genitals- 
system. — Hierher gehören die epidu¬ 
ralen Injektionen in den retrorektalen 
Raum, die Lumbalpunktion, Kauteri¬ 
sation der Regio anterior der Nasen¬ 
schleimhaut. 

1. Epidurale Injektionen. 

Cathelin hat nach therapeuti¬ 
schen Versuchen der Neuralgien des 
Urogenitalsystems und des Plexus 
sacralis bemerkt, dass die Injektion, 
die er in den Raum zwischen der Dura 
mater und den Canalis vertreb**alis bei 
einem Kranken machte, eine Harn¬ 
retention zur Folge hatte. Er hatte 
also danach die Idee, auf diese Weise 
die Harninkontinenz zu behandeln. 
Die Injektion besteht aus 10 ccm ent¬ 
weder reinem oder leicht kokainisier- 
tem artifiziellem Serum, sie wird mit 
einer 6 cm langen Platinnadel in der 
Gegend des Dreiecks gemacht, das 
von- der Vereinigung des Kreuz- und 
Steissbeins gebildet wird, einesteils 
durch den letzten Dornfortsatz des 
Kreuzbeins, anderenteils durch die 
fünf hinteren inneren Kreuzbein¬ 


höcker. Die Spitze dieses Dreiecks 
wird leicht gefunden, indem man mit 
dem Finger die Vorsprünge des Kam¬ 
mes des Kreuzbeins verfolgt; man 
fällt bald unterhalb des letzten Dorn¬ 
fortsatzes des Os sacrum in eine drei¬ 
eckige Vertiefung, in die die Injektion 
gemacht werden muss; man sticht un¬ 
mittelbar unterhalb des Vorsprunges 
des letzten Dornfortsatzes ein, und ist 
man auf den Knochen gestossen, so 
ziehe man die Nadel leicht zurück und 
neige sie darauf, das« man sie in der 
Richtung der vorderen Wand des Ca¬ 
nalis sacralis vorwärts schiebt. Die 
Nadel muss 3 bis 4 cm tief eindringen 
und dann vollführe man langsam die 
Injektion. Man muss zuvor darauf 
achten, ob nicht einige Tropfen de« 
Liquor cerebrospinalis durch die Na¬ 
del austreten. In diesem Falle ist es 
besser, die Injektion nicht zu machen, 
aber dies ereignet sich nur selten, be¬ 
sonders wenn man die Nadel sehr 
langsam einsticht. 

Die Injektion wirkt in der Art, dass 
sie die Reizbarkeit der Nerven der 
Cauda equina, welche den Canalis sa¬ 
cralis einnehmen, modifiziert, sei es 
durch Elongation, sei es durch die che¬ 
mische Wirkung des Natrium chlora¬ 
tum oder des Kokains. Gewöhnlich 
reicht die Injektion mit reinem artifi¬ 
ziellem Serum hin, aber bei sehr aus¬ 
geprägter Reizbarkeit der Blase ist es 
angezeigt, der Lösung etwas Kokain 
hinzusetzen, und zwar in dem oben 
angegebenen Verhältnis. 

2. Retrorektale Injektionen. 

Diese von Jaboulay empfohle¬ 
nen Injektionen bestehen darin, 100 
bis 150 ccm artifiziellen Serums in das 
Zellgewebe zwischen Sakrum und 
Rektum zu injizieren. Der Kranke 
wird in seitliche Lage gebracht, man 
versenkt die Nadel vertikal unmittel¬ 
bar unter die Spitze des Steissbeins. 
Den Zeigefinger plaziere man im Rek¬ 
tum, um die Nadel zu führen und um 
zu verhindern, dass die Flüssigkeit 


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New Yoekek Medizinische Monatsschrift. 


nicht in die rektale Kavität getrieben 
werde. Man wirkt in diesem Falle 
nicht auf die Nerven der Cauda equi- 
na, sondern auf den Plexus hypoga- 
stricus ein, der zu beiden Seiten der 
Blase und des Rektums liegt. Diese 
Injektion steigt stets mehr oder weni¬ 
ger nach oben. 

3. Lumbalpunktion. 

Diese wurde von B a b i n s k i ver¬ 
sucht. Man entzieht ein oder mehrere 
Mal 15 ccm der Zerebrospinalflüssig¬ 
keit. Diese Methode hat uns nichts 
geleistet. 

Alle diese Verfahren sind unschäd¬ 
lich, unter der Bedingung, dass sie in 
vorsichtiger, vernünftiger Weise und 
unter strengster Asepsis ausgeführt 
werden. Sie sollen nur dann zur An¬ 
wendung kommen, wenn die anderen 
einfachen Mittel versagt haben. 

4. Leichte Kauterisationen der vorde¬ 
ren Partien der Nasenschleimhaut. 

Wir machen auf die Methode Bon- 
n i e r s aufmerksam, der bei den an 
Inkontinenz leidenden Kindern die 
Reizbarkeit der Rückenmarkpartien 
durch leichte Kauterisation der vorde¬ 
ren Region der Nasenschleimhaut zu 
modifizieren trachtete. 

(c) Direkte Einwirkung auf die 
Sphinkteren. — Man kann die Sphink- 
teren der Blase direkt beeinflussen: 

1. durch lokale Massage; 2. durch 
wiederholtes Katheterisieren; 3. durch 
Kauterisation der hinteren Urethra; 
4. durch Elektrizität entweder direkt 
mit Hilfe von Induktionsströmen oder 
galvanischen Strömen oder dadurch, 
dass man die perineale, abdominale 
Lumbalregion oder die oberen Partien 
der Schenkel elektrisiert. 

1. Lokale Massage. 

Ich werde die mannigfaltigen Mas¬ 
sagemethoden, die von den verschie¬ 
denen Autoren in Anwendung gezo¬ 
gen wurden, nicht beschreiben. Es 
scheint mir, dass sie lieber für jene 


Inkontinenz reserviert bleiben soll¬ 
ten, welche bei der Frau infolge Er¬ 
schlaffung des Sphinkters der Urethra 
erzeugt wird. 

2. Wiederholter Katheterismus. 

Die wiederholte Einführung eines 
Explorators oder eines Bougies in die 
Harnröhre genügt manchmal, die Re¬ 
flexsensibilität der membranösen Re¬ 
gion zu erwecken und die Inkontinenz 
zu heilen, um so mehr, wenn sich da¬ 
mit gewöhnlich eine leichte Empfin¬ 
dung von Brennen verbindet, die eini¬ 
ge Zeit anhält und durch die Miktion 
wieder erweckt wird. 

3. Kauterisation der hinteren Urethra. 

Manche Autoren haben eine Irrita¬ 
tion der Schleimhaut der Urethra 
durch Einträufelung von Kanthariden- 
tinktur oder Nitras argent. angeraten, 
um die Reizbarkeit der membranösen 
Region zu erhöhen. Einträufelungen 
von Nitras argenti sind vorzuziehen, 
vorausgesetzt, dass sie mit aller jener 
Sorgfalt vorgenommen werden, die 
dieser kleinen Operation angemessen 
ist. 

G u y o n gibt den Rat, bei jungen 
Mädchen leichte lineare Kauterisatio¬ 
nen mit dem Galvanokauter rings um 
das Kollum zu machen. 

4. Elektrische Behandlung. 

Unter allen Methoden, die dazu be¬ 
stimmt sind, auf die Sphinkter einzu¬ 
wirken, muss man der elektrischen 
Behandlung den Vorzug geben. Da 
die Pathogenese dieser Affektion fest¬ 
steht, muss die Technik darin beste¬ 
hen, dem Sphintker der Pars membra- 
nacea den Tonus wiederzugeben, der 
ihm fehlt, und das normale Gleichge¬ 
wicht der Reflexe herzustellen, die im 
Momente der Miktion entstehen. Ich 
werde bloss die Technik jener Verfah¬ 
ren auseinandersetzen, die nach den 
Autoren die besten sind. 

Die klassischste Meth.ode besteht, 

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wie es G u y o n so meisterhaft ausein¬ 
andergesetzt hat, darin, lokal auf die 
Sphinkteren der Pars membranacea 
einzuwirken. 

(a) Die Elektrisation kann auf direk¬ 
te Art vor sich gehen mit Hilfe einer 
urethralen Elektrode, die aus einem 
biegsamen Stiel als Leiter besteht, der 
völlig isoliert an einem Ende eine me¬ 
tallene Olive trägt, die leicht an ihrer 
adhärenten Seite ausgebaucht ist, der¬ 
art, dass sie eine Art Ansatz bildet, 
den man gegen die Pars membranacea 
urethrae gut ansetzen kann. Die 
Olive wird zuerst bis in die Pars pro- 
statica urethrae eingeführt, dann zieht 
man selbe nach und nach zurück, bis 
der ausgebauchte Teil genau an den 
hinteren Rand des Sphinkters sich an¬ 
legt, der freie Teil des Stieles wird mit 
der Leitungsschnur in Kommunika¬ 
tion gebracht, die mit dem negativen 
Pol eines Induktionsapparates verbun¬ 
den ist. Die andere Elektrode, in Zu¬ 
sammenhang mit dem positiven Pol 
desselben Apparates, bildet den indif¬ 
ferenten Pol, sie hat die Form einer 
breiten Metallplatte und wird entwe¬ 
der auf die vordere Unterleibsgegend 
oder die Dorsolumbalregion angesetzt. 
Ein in warmes Salzwasser getauchter 
Wattebauschen wird zwischen Haut 
und die Elektrode gelegt. 

Man gebraucht mit Vorliebe Induk¬ 
tion sströme mit starken Drahtspira¬ 
len, diese wirken besser auf die mus¬ 
kuläre Kontraktilität ein. Die Unter¬ 
brechungen seien langsam und «an 
gebrauche nur Ströme von einer In¬ 
tensität, dass sie von dem Kranken 
leicht vertragen werden. Anfangs 
wird man die Sitzungen täglich vor¬ 
nehmen oder wenigstens dreimal in 
der Woche und sie sollen nicht länger 
als fünf und sechs Minuten dauern. 

Diese sozusagen rhythmische Fara- 
disation hat ausser ihrer Wirkung auf 
die Sensibilität des Sphinkters auch 
einen heilsamen Einfluss auf den Mus¬ 
kel, der grösser und stärker wird. Gal¬ 


vanische Ströme sind zu verwerfen 
aus dem Grunde, weil Schorfe entste¬ 
hen können bei Berührung mit den 
Metallelektroden. Muss man solche an¬ 
wenden, so gebrauche man einen schwa¬ 
chen Strom von 2 bis 3 Milliamperes, 
wechsle oft die Stelle und dehne die elek¬ 
trische Sitzung nicht länger als 4 bis 5 
Minuten aus. Der Strom muss nicht kon¬ 
tinuierlich sein, man kann ihn serien¬ 
weise unterbrechen, entweder mit der 
Hand oder mit dem Metronom. 

Bordie verwendet die Frir.klini- 
sation, und zwar in folgender Weise: 
Die statische Maschine ist mit einem 
Paar Kondensatoren versehen, der 
Kranke wird auf ein nicht isol'ertes 
Ruhebett plaziert. Die äussere Armie¬ 
rung des einen Kondensators wird auf 
den Boden gelegt, während die äusse¬ 
re Armierung des zweiten Kondensa¬ 
tors durch einen Konduktor m<t einer 
in die Urethra eingeführten Sonde in 
Zusammenhang gebracht wird. Die 
Pole der Maschine, die mit der inneren 
Armierung der Kondensatoren in Ver¬ 
bindung sind, werden einander ge¬ 
nähert, sodass 7 bis 10 Funken in einer 
Sekunde entstehen. Bei jedem Fun¬ 
ken erzeugt sich eine energische K** - 
traktion des Sphinkters und es werden 
ebensoviele Kontraktionen bewirkt, 
als es Funken zwischen den Kugeln 
gibt. Im Momente, in dem jeder Funke 
aufspringt, durchläuft ein hochfre¬ 
quenter Strom den Körper des Kran¬ 
ken. Jede Sitzung dauere 4 bis 5 Mi¬ 
nuten ; das Heilverfahren ist durchaus 
schmerzlos unter der Bedingung, dass 
die Kondensatoren richtig gewählt 
sind. Ihr Inhalt muss nicht gar zu 
gross sein. Man nimmt 2 bis 3 Sitzun¬ 
gen täglich vor, später nur eine. 

(b) Man kann die Elektrizität indi¬ 
rekt anwenden, indem man die aktive 
Elektrode an die hintere Partie des 
Perineums nach vorne vom Anus an¬ 
setzt. Diese Art der Elektrizität wird 
bei kleinen Kindern angewendet oder 
bei Erwachsenen, die eine sehr sensib- 


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New Yorker Mxdizinzschk Monatsschrift. 


le Harnröhre haben und bei denen 
man sich von der Schwierigkeit der 
Benutzung der intraurethralen Olive 
überzeugt hat. Man benutzt dabei 
Ströme einer starken Drahtspirale bei 
leichten Unterbrechungen. Diese Me¬ 
thode gibt ausgezeichnete Resultate, die 
Autoren raten, sie allgemein anzuwen¬ 
den und sich nur für hartnäckige Fälle 
die Einführung der Elektrode in die 
Urethra aufzusparen. 

Man kann auch von galvanischen 
Strömen statt der faradischen Ge¬ 
brauch machen. In diesem Falle setzt 
man den negativen Pol auf das Peri¬ 
neum und lässt Ströme von 8 bis 10 
Milliamperes durchgehen, indem man 
häufige Unterbrechungen macht und 
darauf achtet, dass die aktive Elektro¬ 
de auf der Applikationsstelle keinen 
Schorf verursacht. Statt der Unter¬ 
brechungen kann man die sogenann¬ 
ten elektrischen Wellen anwenden. 
Zu dieesm Zwecke manövriere man 
den Kollektor in der Weise, dass man 
von Null bis zu einer bestimmten Zif¬ 
fer Milliamperes geht und, ohne sich 
aufzuhalten, wieder beim Nullpunkt 
anlangt. Man kann 10 und 20 Milli¬ 
amperes erreichen, indem man jede Se¬ 
kunde eine Welle von einer Viertel¬ 
sekundendauer macht. Das ist nach 
unserer Ansicht die beste Art, den 
äusseren Sphinkter zu erregen, aber 
man darf diese Methode nur bei In¬ 
kontinenz infolge Atonie anwenden. 

Bei Ueberempfindlichkeit der Blase 
setze man den positiven Pol ans Peri¬ 
neum, einen Strom von 8 bis 10 Mil¬ 
liamperes ohne Unterbrechung durch 
3 bis 4 Minuten. 

Weil empfiehlt intensive Ströme 
mit einem Pol in der Lumbalgegend 
und den anderen in der Abdominalre¬ 
gion. Die Elektroden sind grosse, mit 
hydrophiler Gaze bedeckte Platten. 
Man lässt einen Strom von 50 bis 60 
Milliamperes, je nach der Grösse der 
Platten, hindurchgehen. 


(c) Statt direkt auf den Sphinkter, 
sei es auf urethralem, sei es auf peri¬ 
nealem Wege, einzuwirken, kann man 
auf den Sphinkter der Regio membra- 
nacea reflexartig einwirken, indem 
man die Perineal-Abdominal-Lumbal- 
gegend und die obere Schenkelpartie 
mit faradischem Strom bei rapider 
Unterbrechung elektrisiert, oder man 
setzt den Kranken in einen elektri¬ 
schen Sessel und appliziert ihm stati¬ 
sche Funken in der Lumbal- und Ab¬ 
dominalgegend. 

Diese Art der Behandlung findet in 
Fällen von chronischer Inkontinenz 
Anwendung. Man kann so eine Ver¬ 
änderung der krankhaften Reizung 
der uro-genitalen Zentren erhoffen. 

Welches Resultat hat die elektri¬ 
sche Behandlung? Nach statistischer 
Ermittlung hat man in 85 Prozent 
günstige Erfolge. Totale Heilung be¬ 
obachtet man in 55 Prozent der Fälle. 
15 Prozent der Fälle bleiben erfolglos. 
Misserfolge wurden bei kleinen Kin¬ 
dern, bei kleinen Mädchen, und bei 
einigen Fällen von Inkontinenz mit 
grosser, bei Tag und Nacht bestehen¬ 
der Reizbarkeit der Blase beobachtet. 
Manchmal ist die Heilung eine 
äusserst rasche, schon nach der ersten 
Sitzung, besonders bei Knaben, die an 
atomischer Inkontinenz leiden und 
über zehn Jahre alt sind. 

Aber die Genesung erfolgt gewöhn¬ 
lich nicht so rasch, sie erfordert oft 10 
bis 15 Sitzungen, und wenn da nicht 
bemerkenswerte Erfolge eintreten, so 
empfiehlt es sich, die Kranken ausru¬ 
hen zu lassen — etwas zwei Monate 
lang — und dann eine neue Serie elek¬ 
trischer Sitzungen zu beginnen. In 
vielen Fällen kommt es zu Rezidiven, 
aber sie weichen schnell. 

In von Misserfolg begleiteten Fällen 
darf man nicht gleich verzweifeln und 
allzu schnell die Schlussfolgerung ab¬ 
leiten, dass die Fälle unheilbar sind. 


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Mari sieht oft die Genesung eintreten 
hei Kranken, die man Monate lang 
ohne Erfolg regelmässig elektrisiert 


hat, die rasch genesen, wenn man mit 
der Behandlung einige Jahre später 
wieder beginnt. 


Bad Reichenhall und seine Sanatorien. 

Von Dr. Schmid, Bad Reichenhall. 


Die Wandlungen in der Anschauung 
der’ medizinischen Wissenschaft haben 
auch die Anschauung über die Bedeu¬ 
tung und die Bewertung der Kurorte 
sehr wesentlichem Wechsel unterwor¬ 
fen. Während man früher die Kranken 
je nach der Indikation dem einen oder 
anderen Kurorte überwies, sind mit der 
immergesteigerten Bedeutung der Diät¬ 
etik neue Forderungen aufgetreten, die 
die Kuren an den betreffenden Kur¬ 
plätzen nicht unwesentlich bestimmen. 

Dass in ganz besonderem Masse die 
Kurorte beteiligt waren, die wie Kissin- 
gen dank ihrer Quellen von Stoffwech¬ 
selleidenden besonders gerne aufgesucht 
werden, ist klar. In den verschiedenen 
Hotels und Villen dieser Kurorte wurde 
die Küche mehr und mehr nach be¬ 
stimmten, ärztlich genau vorgezeichne¬ 
ten Richtlinien eingerichtet, besonders 
aber entstanden Sanatorien, die in wirk¬ 
samer Weise die längst erprobten Mass-. 
nahmen der betreffenden Kurorte aus¬ 
nützen, sie steigerten durch eine genaue 
Individualisierung der. Ernährung und 
durch eine genau überwachte Lebens¬ 
führung und Tageseinteilung den Wert 
dieser Kuren um ein ganz bedeutendes. 
Ein ähnliches Vorgehen sehen wir auch 
in Bad Nauheim, das durch die Arbeiten 
seiner Aerzteschaft verstand, eine sys¬ 
tematische balneologische Behandlung 
der Herzkrankheiten zu schaffen, wo 
ebenfalls durch Errichtung ärztlich ge¬ 
leiteter Häuser die günstige Vereinigung 
allgemein diätetischer Vorschriften mit 
den speziellen Heilmitteln Bad Neu¬ 
heims neue für den Wert der Kur sehr 
förderliche Behandlungsbedingungen ge¬ 
schaffen wurde. 


Zu den Kurorten, die ihre Physiogno¬ 
mie den neuesten Errungenschaften an¬ 
passen, gehört Bad Reichenhall, das 
grösste Soolbad und der bedeutendste 
Luftkurort in den bayerischen Alpen. 

Bad Reichenhall verdankt seinen Ruf 
in erster Linie seinem milden, von 
schroff wechselnden Temperaturstürzen 
freien Klima und seinen starken Sbol- 
quellen, die bis zu 25 Prozent stark in 
seiner Mitte entspringen. 

Beide Faktoren haben Bad Reichen¬ 
halls Ruf gegründet und ihm einen ste¬ 
tig wachsenden Kreis treuer Anhänger 
geschaffen. Durch diese Faktoren wur¬ 
de auch die erste Periode bestimmt in 
der Entwicklung des Bades, in die auch 
die Einführung der Inhalations-Thera¬ 
pie und die Pneumatotherapie durch 
Eröffnung der pneumatischen Kammern 
fällt, um deren Erforschung sich Georg 
v. Liebig unvergängliche Verdienst 
erwarb. 

In jenen Zeiten war es in allererster 
Linie die grosse Schar der Rekonvales¬ 
zenten der Bronchitiker und vor allem 
waren es auch die Kinder, welche Rei¬ 
chenhalls Kurmittel suchten. Mit der 
immer fortschreitenden Verbesserung 
der Inhalationstechnik und dem stärke¬ 
ren Betonen der Pneumatotherapie tra¬ 
ten in Bad Reichenhall mehr und mehr 
die Erkrankungen der Luftwege in den 
Vordergrund. Da unter den Kurgästen 
sich auch eine grössere Reihe spezifi¬ 
scher Lungenkranker befand, die durch 
Inhalationen ihre Heilung erhoffte, so 
entstand der für Bad Reichenhall omi¬ 
nöse Ruf, Bad Reichenhall sei eine be¬ 
sonders geeigneter Kurort für Lungen¬ 
kranke. 

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Diesen Ruf hat Bad Reichenhall nie 
verdient, besonders aber ist er seit einer 
grossen Reihe von Jahren völlig hinfäl¬ 
lig. Wohl mag im ganzen das Klima 
Bad Reichenhalls dem Lungenkranken 
nicht ungünstig sein, das Fehlen aber 
einer geschlossenen Anstalt für Lungen¬ 
kranke, diese Grundbedingung für eine 
rationelle Behandlung der Leiden, Hess 
bei dem Verlangen dieser Kranken nach 
einer Anstaltsbehandlung und bei der 
Unmöglichkeit, die Kur länger als höch¬ 
stens fünf Monate unter den gleichen 
Bedingungen fortsetzen zu können, die 
Zahl der Lungenkranken von Jahr zu 
Jahr so abnehmen, dass jetzt nach Ein¬ 
führung der behördlich vorzunehmen¬ 
den Desinfektion mit Pflichtanzeige 
durch die Aerzte nur 75 Fälle von of¬ 
fener Tuberkulose unter einer Fremden¬ 
zahl von 16,000 Gästen gemeldet wur¬ 
den. 

Dem Wegbleiben der Lungenkranken 
folgte von Jahr zu Jahr sich steigernd 
das Zurückkehren der Rekonvaleszenten 
und vor allem der Kinder, und leitete so 
zu der dritten für Bad Reichenhall wohl 
wichtigsten und segensreichsten Periode 
über. Zu den ursprünglich der Luft 
und Soole wegen nach Bad Reichenhall 
gekommenen Kranken — den leichten 
Bronchitikern, Katarrhalikern. Rekon¬ 
valeszenten, Skrofulösen — kommen 
aus der' zweiten Periode die Emphyse- 
matiker und Asthmatiker, dank dem 
souveränen Kurmittel, den pneumati¬ 
schen Kammern, wieder; ferner sind 
uns jene zahlreichen Gäste geblieben, 
die ihre in der schlechten Luft der 
Städte und Arbeitsräume angegriffenen 
Luftwege durch Inhalationen und unse¬ 
re staubfreie und reine Luft säubern 
wollen. 

Noch eine Kategorie von Kranken 
besucht in immer grösserer Zahl Bad 
Reichenhall, das sind die Herzkranken. 
In unserer Soole, die wir zweckmässig 
und genau dosierbar mit Kohlensäure 
imprägnieren können, sodass die Bäder 
denen von Bad Nauheim und Kissingen 
absolut gleichkommen, haben wir ein 


in der modernen Uebungstherapie des 
Herzens unentbehrliches Hilfsmittel. 

Als weitere Unterstützung dieser 
Uebungstherapie dient uns unser weit 
ausgedehntes Wegenetz, das von absolut 
ebenen Wegen über sanfte Steigungen 
zu recht erheblichen Anforderungen an 
die Herzkraft führt, und dessen sinn¬ 
reiche Markierung eine genaue Dosie¬ 
rung der täglichen Uebung ermöglicht. 
Dazu kommt der grosse landschaftliche 
Reiz der Gegend, der auf die Psyche der 
Patienten einen so überaus grossen gün¬ 
stigen Eindruck macht und unsere Gäste 
zu warmen Freunden unseres Bades ge¬ 
winnt. 

Dass ein mit allen modernen Kurbe¬ 
helfen ausgestattetes Bad, wie Bad Rei¬ 
chenhall, auch über gute heilgymnasti¬ 
sche Institute und ein für jede Uebungs¬ 
therapie geschultes Personal verfügt, ist 
klar. Auch die für die Behandlung ge¬ 
wisser Formen von Herzfehlern mit 
konsekutiven Veränderungen der Lunge 
so wesentliche Apparate zur Behand¬ 
lung mit verdichteter und besonders mit 
verdünnter Luft sind seit Jahren hier 
im Gebrauch und haben sich auf das 
beste bewährt. 

Durch die Erschliessung der Kaiser 
Karl-Quelle (das war mein Verbre¬ 
chen!), einer Fotonen, kalten Kochsalz- 
cjiielle, ist ein weiterer Schatz in den rei¬ 
chen Kranz unserer natürlichen und 
durch den Fleiss der Reichenhaller ge¬ 
schaffenen Heilfaktoren getreten, der 
ebenfalls die Perspektive auf eine wei¬ 
tere Ausdehnung des Indikationsbezir¬ 
kes Bad Reichcnhall eröffnet. In ihr 
haben wir ein wirksames Mittel zur Be¬ 
kämpfung der Fettsucht erhalten, das 
im Verein mit unseren hydrotherapeuti¬ 
schen Einrichtungen und ganz beson¬ 
ders auch durch unser ausgedehntes 
Wegenetz, das jetzt eine Länge von 290 
km hat, im Laufe der Jahre ein sehr 
wesentlicher Faktor des Bades Reichen¬ 
hall werden wird. 

Freilich wird aber gerade dieser neue 
Gesichtspunkt, unter dem Bad Reichen- 
hall für Aerzte und Kranke in Betracht 

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41 


kommt, weitere Massnahmen erfordern, 
das ist eine geeignete Diät und eine ge¬ 
naue Ueberwachung de> ganzen Lebens. 
Deshalb ist auch in Lad Reichenhall das 
„Sanatorium Lad Reichenhall“ entstan¬ 
den, das in erster Linie dem Gedanken 
entsprang, die Reichenhaller Kuren ge¬ 
rade durch eine genaue Diät und Eintei¬ 
lung des täglichen Lehens, wie es eben 
nur in einem Sanatorium geschehen 
kann, doppelt wirksam zu machen. 

In den beiden Jahren seines Lestehens 
hat man sich auch von der Richtigkeit 
und der Berechtigung dieses Gedankens 
überzeugen können. Schwere Asthma¬ 
tiker konnten durch die besondere Flie¬ 
ge und Diät weit rascher sich erholen ; 
Herzkranke hatten durch die Kombinie¬ 
rung der Lade- und Diätkur weit grös¬ 
sere Erfolge, als wie sie bisher erzielen 
konnten. Dass alle eigentliche Diätku¬ 
ren bei Störungen des Magendarmka¬ 
nals, bei Fettsucht etc. wesentlich leich¬ 
ter und einwandsfreier zu gestalten 
waren, das ist ohne weiteres einleuch¬ 
tend. 

Noch ein weiterer Vorteil ist aber 
durch die Errichtung des Sanatoriums 
Lad Reichenhall für die Kranken ent¬ 
standen : Es können auch im Winter 
die Reichenhaller Kuren an Ort und 
Stelle genommen werden, ohne dass der 
Patient sich fürchten muss, sich zu er¬ 
kälten, denn die Kurmittel, besonders 
Inhalationen und Bäder, sind im Hause 
selbst untergebracht. Es fällt also die 
, Möglichkeit, sich nach den Bädern oder 
Inhalationen durch das Verlassen der 
Kuranstalt zu erkälten, fort. 


Dabei ist der Winter in Bad Reichen¬ 
hall klimatisch doppelt günstig. Eine 
grosse Besonnung macht das Liegen im 
Freien nicht nur möglich, sondern zum 
Genuss. Stärkere, störende Winde feh¬ 
len und hervorzuheben ist besonders der 
Mangel an Rauheit der Luft — das mil¬ 
de Klima! Da keine industriellen Be¬ 
triebe vorhanden sind, fehlt auch der so 
schädliche Kohlenruss. Die Bahnstrecke 
Salzburg - Lad Reichenhall - Berchtes¬ 
gaden wird elektrisch betrieben, seitdem 
die Talsperre mit dem 3 km langen zwi¬ 
schen den hohen Bergen prachtvoll ge¬ 
legenen Saalachsee vollendet ist. Kurz¬ 
um, Lad Reichenhall ist auch im Winter 
klimatisch berufen, Kranken ein günsti¬ 
ger Aufenthalt zu sein. 

Da Wintersport in allen Formen ge¬ 
trieben wird, so ist auch für die körper¬ 
liche Bewegung gesorgt, auch hierfür 
kommen die weit ausgedehnten, gebahn¬ 
ten Wege wieder zu besonderer Gel¬ 
tung. 

So sehen wir denn Bad Reichenhall 
in die erste Linie der Kurorte Deutsch¬ 
lands gerückt, ein Ort gesegnet von der 
gütigen Natur mit Schönheit der Ge¬ 
gend, heilbringendem Klima und Soole 
und anderen Faktoren, die dem Fleisse 
seiner Bewohner und ihrem Unterneh- 
mungsgeiste ihre Entstehung verdan¬ 
ken. Ein Kurort, der alle Neuerungen auf 
dem Gebiete der Balneotherapie besitzt 
und der auch durch das Sanatorium Bad 
Reichen hall die Möglichkeit weiterer 
Indikationen, vor allem aber die V inter- 
kur in Bad Reichenhall erwarb. 


Redaktionelles. 

Kriegsbetrachtungen. 


Der längst gefürchtete europäische 
Krieg ist zum Ausbruch gekommen. Fs 
kann nicht die Aufgabe einer medizini¬ 
schen Zeitschrift sein, Betrachtungen 
darüber anzustellen, welche Nation den 
Ausbruch des Krieges verschuldet hat. 


Wir haben uns mit der vollendeten Tat¬ 
sache abzufinden. Fs muss jedoch son¬ 
derbar berühren, in einem „Editorial“ 
des New York Medical Journal vom 15. 
August zu lesen, dass die „höchstzivili¬ 
sierten“ Nationen sich erst zuletzt in d a 


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gegenwärtigen Konflikt eingemengt hät¬ 
ten. Gemeint ist natürlich Frankreich 
und „dear old England,“ oder ist hier 
schon des letzteren treuer Freund und 
Bundesgenosse, die mongolische Rasse, 
Japan, miteingeschlossen? 

Der Krieg hatte kaum begonnen, als 
sich hier schon die unangenehmsten 
Folgen in jeder Beziehung bemerkbar 
machten. Zunächst kam eine durch 
nichts zu rechtfertigende Steigerung der 
Lebensmittelpreise, von gewissenlosen 
Spekulanten hervorgerufen, dann mach¬ 
te sich in der gesamten anglo-amerikani- 
schen Presse eine direkt deutschfeindli¬ 
che Haltung bemerkbar, die für ein neu¬ 
trales Land, in dem zudem die Deut¬ 
schen einen so bedeutenden Faktor bil¬ 
den, vollkommen unverständlich ist. Von 
dem „square deal“, auf das die Ameri¬ 
kaner stets so stolz sind, ist hier nichts 
zu merken. Allein nicht nur die Lebens¬ 
mittel stiegen im Preis, sondern eine 
noch unverhältnismässig hochgradigere 
Teuerung der Arzneimittel und Drogen 
trat ein, die sich natürlich schwer fühlbar 
macht und in erster Linie die ärmere Be¬ 
völkerung trifft. Es ist ja richtig, dass 
Amerika bezüglich vieler Arzneipflanzen 
und Arzneimittel auf Europa angewiesen 
ist, allein diese Tatsache rechtfertigt we¬ 
der die gewaltige Preissteigerung unmit¬ 
telbar nach Ausbruch des Krieges noch 
d ; e Ausdehnung derselben auf Drogen 
und deren Derivate, die nicht aus Europa 
stammen. Erfreulicherweise sind nicht 
alle Arzneimittelfabrikanten und Impor¬ 
teure an dieser Ausbeute der Notlage der 
leidenden Menschheit beteiligt. So hat 
speziell die New Yorker Firma Schering 
& Glatz bekannt gegeben, dass sie keinen 
Preisaufschlag vornehmen, vielmehr ihre 
Arzneipräparate zum bisherigen Preise 
abgeben wird, solange der Vorrat reicht, 
dass sie aber zugleich versucht, zu ver¬ 
hindern, dass ihre Produkte in die Hän¬ 
de von Spekulanten gelangen. 

Die oben erwähnte deutschfeindliche 
Haltung der anglo-amerikanischen Pres¬ 
se ist vom psychologischen Standpunkt 
aus schwer zu verstehen und bietet für 
den Soziologen vieles Interessante aber 
auch Rätselhafte. Man kann die Frage,, 
warum die anglo-amerikanische Presse 
und die dadurch beeinflusste öffentliche 
Meinung deutschfeindlich ist, beantwor¬ 


ten, wie man will, die nackte Tatsache, 
dass dies der Fall ist, bleibt bestehen. 
Daran ändern auch die mannigfachen 
Entschuldigungsversuche der Presse 
selbst, wenn sie sagt, sie gibt nur die 
von Europa übernommenen Nachrichten 
wieder, nichts. Denn der Ton macht die 
Musik, und es ist die Art und Weise, in 
welcher diese Neuigkeiten den Lesern 
aufgetischt werden, gegen die wir pro¬ 
testieren. Wir gönnen ja dem unheiligen 
Bund zwischen Franzosen, Engländern, 
Slawen und Mongolen die billigen Siege 
auf dem Papier, denn Deutschland scha¬ 
den dieselben nichts. Wir haben auch 
nichts gegen die Heldentaten, welche 
Belgier, Franzosen und Engländer tag¬ 
täglich verrichten, denn es kann in dieser 
traurigen Zeit nur erheiternd wirken, 
wenn man liest, dass eine einzige Eska¬ 
dron Belgier sechs deutsche Eskadronen 
in die Flucht geschlagen hat, dass sieben 
belgische Gendarme 200 Deutsche zum 
Teil vernichtet („annihilated“), zum 
Teil gefangen, und dass 200 Belgier 400 
Deutsche umringt und getötet haben, 
dass der belgische „Ulanentöter“ Leut¬ 
nant Hendrak jeden Morgen mit seinem 
Automobil auszieht und nicht eher heim¬ 
kehrt, bis er 7 bis 10 Ulanen getötet hat, 
dass die Deutschen wie die Hasen vor 
den Russen davonlaufen und dabei ihre 
Gewehre, Munition und sogar ihreh 
Proviant wegwerfen, dass die deutschen 
Soldaten in Belgien halbverhungert sind, 
sodass ein belgischer Soldat in Lüttich 
sich rühmen konnte, er lasse in Zukunft 
sein Gewehr zu Hause, er brauche nur 
ein Butterbrod hinzuhalten und die 
preussischen Soldaten liefen ihm nach bis 
unter die Festungsmauern etc. Woge¬ 
gen wir uns aber auf das energischste 
verwahren, ist die ganz schamlose Weise, 
in welcher die Deutschen als Barbaren 
bezeichnet und ihre Kriegsführung als 
grausam und jeder Zivilisation Hohn 
sprechend geschildert wird, ist die Ge¬ 
meinheit, mit welcher die angloamerika- 
nische Presse berichtet, die Deutschen 
feuerten mit Vorliebe auf Verwundete, 
Aerzte und Hospitäler, benützten die be¬ 
rüchtigten Dum-Dum-Geschosse, töteten 
wehrlose Einwohner mit Kolbenhieben, 
misshandelten Frauen und Kinder, so 
hätten z. B. deutsche Soldaten ein Kind 
an den Beinen gepackt und seinen Kopf 


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an dem Rinnstein zerschmettert, nur weil 
das Kind eine Mütze trug mit der Auf¬ 
schrift „La France“ und anderes mehr. 
Für diese gemeinen Verleumdungen gibt 
es keine Entschuldigung, denn selbst 
wenn dieselben von den Londoner und 
Pariser Lügenfabriken herübergekabelt 
wurden, wussten die hiesigen Zeitungs¬ 
schreiber ganz gut, dass die Deutschen 
solcher Schandtaten nicht fähig sind. 
Wenn sie dennoch diese Nachrichten 
brachten, geschah dies nur, um ihrem 
Hass gegen Deutschland Ausdruck zu 
geben und bei ihren Lesern Erbitterung 
gegen dasselbe hervorzurufen. Das ist 
ein Schandfleck auf der angloamerikani- 
schen Presse, der nicht wieder abzuwa¬ 
schen ist. A propos Dum-Dum-Geschos- 
se. Haben die hiesigen Zeitungsschrei¬ 
ber vergessen, vielleicht haben sie es 
auch nie gewusst, dass die Dum-Dum- 
Geschosse eine Erfindung des „most 
highly civilized“ Englands sind, in Dum- 
Dum in Indien für die Engländer herge¬ 
stellt und gegen die Indier benutzt wur¬ 
den? 

Die angloamerikanische Presse berich¬ 
tete ferner mit grossem Behagen und au¬ 
genscheinlichem Stolz, dass ein Häuflein 
reicher Amerikaner sich in Paris zu einer 
Fremdenlegion zusammengetan hat, um 
„im Kampfe der Zivilisation gegen das 
Barbarentum“ auf der Seite der Franzo¬ 
sen zu kämpfen. Es gehört wirklich ein 
starkes Stück von, milde ausgedrückt, 
Unverfrorenheit dazu, die Deutschen, 
das Volk der Philosophen und Denker, 
aus dem Mäner wie Kant, Göthe, Schil¬ 
ler, Virchow, Robert Koch, Behring u. 
s. w. hervorgegangen sind, als Barbaren 
zu bezeichnen und ihnen die Russen und 
Japaner als Vertreter der Zivilisation 
gegenüberzustellen, noch dazu von der¬ 
selben Presse, die bis vor kurzem in 
den schärfsten Ausdrücken gegen das 
unzivilisierte, kulturfeindliche Russland 
und seinen despotischen Zaren gewütet 
hat. Was Amerika der deutschen Kul¬ 
tur zu verdanken hat, hat diese Presse 
wohl vergessen. Dafür lässt sie sich 
aber von einem gewissen Herrn T. F r e- 
derick Lee aus White Plains, N. Y„ 
der während der letzten 14 Monate Eu¬ 
ropa mit dem Automobil durchquert hat, 
per Kabel aus London berichten, dass die 
Deutschen grosse Angst haben, die Rus¬ 


sen würden über Westfalen in Deutsch¬ 
land einfallen, wozu England die Trans¬ 
portmittel liefern würde. White Plains 
ist ganz nahe bei New York, und wir 
möchten Herrn Lee den Besuch der 
New Yorker Abendschulen zur Vervoll¬ 
kommnung seiner geographischen Kennt¬ 
nisse empfehlen. 

Nun zur neuesten „Greueltat“ der 
deutschen Armee. Die Deutschen bom¬ 
bardierten die befestigte Stadt Antwer¬ 
pen von einem Zeppelin-Luftkreuzer 
aus, zerstörten 60 Häuser vollständig, be¬ 
schädigten 900 Häuser und verwundeten 
eine Anzahl Frauen und Kinder. Es ist 
vergessen worden hinzuzufügen, dass 
die Kinder alle männlichen Geschlechts 
waren, denn diese töten die raffinierten 
Deutschen, früheren Pressberichten zu¬ 
folge, mit Vorliebe, weil dieselben später 
zu Soldaten heran wachsen könnten. Wie 
berichtet wurde, leistete der New Yorker 
Arzt Dr. Louis Livingston 
Seaman den Verwundeten die erste 
ärztliche Hilfe, was er in einem Kabel¬ 
gramm an den New Yorker Herald be¬ 
stätigt.* Dass sich Dr. Seaman bei 
der belgischen Armee aufhält, hat uns 
weiter nicht verwundert, denn „Wo Aas 
ist, sammeln sich die Geier.“ Wo immer 
zwei Nationen mit einander Krieg füh¬ 
ren, ist Dr. Seaman zu finden, nicht 
etwa um das Kriegssanitätswesen zu stu¬ 
dieren oder sich der Verwundeten anzu¬ 
nehmen, sondern nur um von sich reden 
zu machen und Stoff für seine Publika¬ 
tionen zu gewinnen. So weilte er wäh¬ 
rend des russisch-japanischen Feldzugs 
auf Seiten der Japaner und redete da¬ 
mals schon mehr, als er sollte, Seine 
Erfahrungen in jenem Kriege legte er in 
seinem Buche „From Tokio through 
Manchuria with the Japanese“ nieder, 
wobei er es sich nicht versagen konnte, 
noch im letzten Kapitel den deutschen 
Kaiser zu beschimpfen. Nun sehen wir 


* To the Editor of the Herald: 

I am with the dead and the wounded of the 
Zeppelin slaughter. The Germans attacked the 
sleeping city like a hyena in the night, murder- 
ing helpless women and children. 

In the name of civilization let America Pro¬ 
test. 

I appeal especially to the peace society. 

Louis Livingston Seaman, 
Surgeon Major United States Army Reserve 
Corps. 

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New Yorker Medizinische Monatsschkiit. 


ihn in Antwerpen und erfahren aus sei¬ 
ner famosen Depesche, in welcher er 
Deutschland mit einer Hyäne vergleicht, 
dass er „mit den Toten und Verwunde¬ 
ten der Zeppelinaffäre ist.“ Was er bei 
den Toten zu suchen hat, ist nicht ganz 
klar, Dr. Seaman müsste gerade in 
das Leichenbestattungsgeschäft gegan¬ 
gen sein, ebenso wenig lässt sich verste¬ 
hen, was er bei den Verwundeten zu tun 
hat. Denn man darf doch wohl anneh¬ 
men, dass es noch genug belgische Aerz- 
te in Antwerpen gibt, die sich um 
ihre Landsleute gekümmert haben dürf¬ 
ten, sodass dieselben nicht auf die Hilfe 
des New Yorker Arztes Dr. Seaman 
angewiesen waren, der übrigens seit ei¬ 
ner Reihe von Jahren nicht mehr Arzt, 
sondern nur noch Globetrotter ist. W enn 
er also wirklich bei den Verwundeten 
war, kann dies nur dadurch geschehen 
sein, dass er sich an sie herangedrängt 
hat, um wieder einmal seinen Namen vor 
die Oeffentlichkeit zu bringen. Im 
Uebrigen ist seine Kabelmeldung für 
einen amerikanischen Arzt des Reserve¬ 
korps so blödsinnig wie taktlos und dürf¬ 
te nicht gerade im Einklang mit Präsi¬ 
dent W i 1 s o n’s Anschauungen über die 
Neutralität dieses Landes stehen. „Die¬ 
ser Krieg ist nur Mord.“ Ta, was glaubt 


denn Dr. Seaman, was Krieg ist. Ha¬ 
ben seine guten Freunde, die Japaner, 
Port Arthur vielleicht nur mit Schoko¬ 
ladekugeln bombardiert? Der Appell an 
die Friedensgesellschaft ist naiv und 
rührend zugleich. Oh, Dr. Seaman, 
si tacuisses! 

Wie oben schon erwähnt, ist die 
deutschfeindliche Haltung der angloame- 
rikanischen Presse kaum verständlich. 
Münsterberg sagt in seinem Buche 
„Die Amerikaner“: Blut is dicker als 
Wasser; das Volk der Amerikaner in sei¬ 
ner Geisteseinheit versteht aber der nur, 
der begreift, dass Druckerschwärze noch 
dicker ist als Blut. Es darf jedoch nicht 
unterlassen werden zu erklären, dass die 
wirklich gebildeten Amerikaner mit die¬ 
sem Deutschenhass nichts zu tun haben, 
der deutschen Sache vielmehr volle Ge¬ 
rechtigkeit zu Teil werden lassen und 
die deutschfeindliche Richtung der Pres¬ 
se strenge verurteilen. Obenan steht in 
dieser Beziehung der Angloamerikaner 
Prof. John \V. B u r g e s s, Columbia- 
Universität in New York, der vor weni¬ 
gen Tagen einen Artikel über „Die ge¬ 
genwärtige Krise in Europa“ veröffent¬ 
licht hat, den sich alle Deutschenhasser 
zu Herzen nehmen sollten. 


In Memoriam 


In Memoriam. 

Die New Yorker Medizinische Mo¬ 
natsschrift betrauert den Verlust eines 
ihrer Mitarbeiter. Dr. Joseph W i 1- 
helm Gleitsmann starb am 2. Juli 
d. J., 73 Jahre alt, nach längerem schwe¬ 
ren Leiden. Er war in Bamberg in 
Bayern geboren, der Sohn eines Arztes, 
studierte Medizin in Würzburg und pro¬ 
movierte dort 1865. Während der fol¬ 
genden Jahre studierte er noch in Ber¬ 
lin und Wien und nahm als Militärarzt 
an dem Kriege von 1866 und dem 
Deutsch-Französischen Kriege von 1870 
teil. Als Mitglied des Alpenvereins ver¬ 
brachte er seine freie Zeit in der 
Schweiz. 

Von 1872 bis 74 war er Arzt auf 
Dampfern des Nord-Deutschen Lloyds 


und liess sich 1875 in Baltimore nieder. 
Angeregt durch die in Görbersdorf er¬ 
zielten Erfolge in der Behandlung der 
Tuberkulose beschloss er ein ähnliches 
Sanatorium in den Vereinigten Staaten 
zu errichten; nach längerem Suchen 
nach einer geeigneten Lokalität ent¬ 
schied er sich für Ashville, N. C., und 
eröffnete dort eine Anstalt. Daran, dass 
das Unternehmen nicht von Erfolg be¬ 
gleitet war, dürfte nicht sowohl seine 
Arbeit dte Schuld getragen haben, son¬ 
dern vielmehr der Umstand, dass weder 
das ärztliche noch das Laienpublikum 
für die Idee reif waren. 

Im Jahre 1880 kam Gleitsmann 
nach New York, um sich ausschliesslich 
der Behandlung der Krankheiten der 
oberen Luftwege: Hals, Larynx und 


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Nase, sowie des Ohres zu widmen. Die 
Frage, mit welchem Erfolg er dies ge¬ 
tan, hätte viel besser von einem Spezial¬ 
kollegen beantwortet werden können. 
Er trat bald in das Deutsche Dispensary 
ein und erreichte es später, dass ihm als 
besuchenden Laryngologen einige Bet- 
ten im Deutschen Hospital zur Verfü¬ 
gung gestellt wurden; 

Zeugnis für seine Tätigkeit liefern die 
zahlreichen in deutschen und amerikani¬ 
schen Zeitschriften veröffentlichten Ar¬ 
beiten. Wie sehr dieselben von seinen 
Fachkollegen gewürdigt wurden, be¬ 
weist seine Wahl zum Präsidenten der 
Amerikanischen Laryngologischen Ge¬ 
sellschaft, seine Wirksamkeit an der 
New York Policlinic als Professor der 
Laryngologie und Rhinologie von 1890 
bis 1910 und seine weitere Verbindung 
mit der Poliklinik als Professor Emeri¬ 
tus, nachdem körperliche Leiden seine 
Aktivität unterbrochen hatten. Er be¬ 


wahrte sein Interesse an der Wissen¬ 
schaft und solange er physisch imstande 
war, setzte er seine referierende Tätig¬ 
keit fort, auch Beiträge für die 
Monatsschrift liefernd. Ein hochbegab¬ 
ter Mann ist mit ihm dahingeschie¬ 
den ; seine persönlichen und geselligen 
Eigenschaften erwarben ihm viele 
Freunde, denen er treue Anhänglich¬ 
keit bewahrte. 

Nachdem die Deutsche Medizini¬ 
sche Gesellschaft unter der energi¬ 
schen Leitung von Karl H e i t z - 
m a n n neues Leben gewonnen hatte, 
widmete G leitsmann derselben 
reges Interesse; er war Präsident der 
Gesellschaft 1893 und 1894 und seit¬ 
dem hat er wohl ohne Unterbrechung 
die Stellung als Vorsitzender des 
Aufnahmekomitees eingenommen, die 
ihm häufig Gelegenheit bot, die Inte¬ 
ressen der Gesellschaft zu wahren und 
zu fördern. Klotz. 


Mitteilungen aus der neuesten Journalliteratur. 


Haut- und Geschlechtskrankheiten. 

Referiert von Dr. H. Klotz. 

Wolf f, Dr. Moritz, Stettin : Der 
praktische Wert der Wassermann- 
Reaktion. The Urologie and Cu- 
taneous Review, October 1913. I. 
4. 589. 

W o 1 f f gibt eine nüchterne, wahr¬ 
heitsgetreue Uebersicht über den Wert 
der Wassermann-Reaktion für den 
praktischen Arzt. Für praktische 
Zwecke kann man ohne Weiteres be¬ 
haupten, dass nur ein syphilitisches 
Serum eine positive Reaktion liefert, 
da die andern Zustände, bei denen die¬ 
selbe gefunden worden ist, genügende 
andere Unterscheidungsmerkmale bie¬ 
ten. Unter allen Umständen ist fest¬ 
zuhalten, dass nur eine vollständige 
oder beinahe vollständige Aufhebung 
der Hämolyse als positive Reaktion 
anzuerkennen ist, und zwar nur, wenn 
die Untersuchung genau nach der ur¬ 
sprünglichen Methode (mit Ausnahme 


der Zulassung alkoholischer Extrakte, 
namentlich der syphilitischen Leber) 
und von kompetenter Hand gemacht 
wurde. Auch unter diesen Bedingun¬ 
gen musste W o 1 f f in 3.6 Prozent die 
W.-R. für unentschieden erklären, 
während allerdings auf der anderen 
Seite die Tatsache Berücksichtigung 
verlangt, dass auch Syphilis nicht zu 
jeder Zeit positiv reagiert. 

Abgesehen also von der Spezifität 
der WR. hat dieselbe sehr verschiede¬ 
ne Bedeutung je nach der Periode der 
Krankheit. Am geringsten ist diesel¬ 
be im ersten Stadium, namentlich im 
Vergleich mit dem Spirochätenbefund, 
obwohl ihr unter gewissen Verhältnis¬ 
sen ein praktischer Wert zuerkannt 
werden muss, z. B. ist die Exzision 
des Primäraffektes nur zulässig, so 
lange die WR. negativ. In der Sekun¬ 
därperiode ist die Reaktion in 100 oder 
nahe 100 Prozent positiv. Für die ter¬ 
tiäre schwanken die Angaben zwi¬ 
schen 50 und 100 Prozent, aber ohne 
Trennung der behandelten Fälle; für 


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die unbehandelten Fälle gibt Boas 
die letztere Zahl. Im Stadium der 
Latenz hat man 50 bis 60 Prozent po¬ 
sitive erhalten von behandelten und 
unbehandelten, worunter wahrschein¬ 
lich auch manche geheilte Fälle wa¬ 
ren. Bei Tabes gibt die Spinalflüssig¬ 
keit fast immer positive, bei Paresis in 
95 Prozent und 100 Prozent im Blut¬ 
serum, während bei zerebro-spinaler 
Syphilis die Lumbarflüssigkeit in der 
Regel nicht positiv reagiert. Die he¬ 
reditäre Syphilis liefert Resultate 
gleich der sekundären ausser beim 
Neugeborenen, wo die Resultate un¬ 
sicher sind. Im allgemeinen kann man 
sagen, dass positive WR. die Anwe¬ 
senheit von Syphilis beweist, mit Aus¬ 
nahme der erwähnten Zustände, wie 
Scharlach, Lepra etc.; ein negativer 
Befund, namentlich wenn wiederholt, 
spricht mit grosser Wahrscheinlich¬ 
keit, aber nicht absolut gegen Lues. 
Die WR. muss immer nur in Verbin¬ 
dung mit den klinischen Erscheinun¬ 
gen in Betracht gezogen werden. 

Unter dieser konservativen Ab¬ 
schätzung der WR. bietet dieselbe al¬ 
len Zweigen der Medizin eine hilfrei¬ 
che Hand, so bei Krankheiten innerer 
Organe, namentlich bei Verdacht auf 
Tumoren, wo die positive WR. die 
Anwendung antiluetischer Therapie 
indiziert, bei der Behandlung von Ab¬ 
orten, bei der Anstellung von Ammen, 
besonders auf neurologischem Gebie¬ 
te, namentlich zum Nachweis von Ta¬ 
bes urid Parese, ferner bei Augen-, 
Ohren- und Halskrankheiten, und end¬ 
lich besonders auch bei Hautkrank¬ 
heiten. 

Im ersten Stadium hält W o 1 f f es 
nicht für gerechtfertigt, die Behand¬ 
lung allein von der WR. abhängig zu 
machen, vielmehr nur unter Berück¬ 
sichtigung der anderen Symptome, 
sowie etwaiger konstitutioneller Zu¬ 
stände wie Diabetes, Tuberkulose etc. 
In einer Anzahl von Fällen ist es auch 
bei günstigem klinischen Verlauf, we¬ 
nigstens vorläufig nicht immer mög¬ 
lich, die positive Reaktion in eine ne¬ 
gative zu verwandeln. Daher sieht 
W o 1 f f eine positive WR. unter ge¬ 
wissen Umständen nicht als Heirats¬ 
hindernis an. Leider werden manche 


der erwähnten Einschränkungen des 
Wertes der WR. in vielen Literatur¬ 
erzeugnissen teils ganz ignoriert, teils 
als ohne Bedeutung oder als grosse 
Ausnahmen hingestellt. 

Heller, Julius, Priv.-Doz., Ber¬ 
lin : Die Beziehungen zwischen 

Stoffwechsel und Hautkrankheiten. 

Urolog. and Cutan. Review. I. 4. 

Oktober 1913. 

Heller, der in seinem Buche „Die 
vergleichende Pathologie der Haut“ 
der Dermatologie ganz neue Gesichts¬ 
punkte eröffnet hat, gibt hier zunächst 
eine Uebersicht über die Entwicklung 
der Lehren von den Beziehungen der 
StofFwechselstörungen zu den Haut¬ 
krankheiten und weist darauf hin, 
dass neuerdings eine grössere Annähe¬ 
rung an den von jeher von der engli¬ 
schen und französischen Schule einge¬ 
nommenen Standpunkt stattgefunden 
hat. 

Hierauf werden die Methoden be¬ 
sprochen, mittelst deren der Zusam¬ 
menhang beider Krankheiten festge¬ 
stellt werden müsste, sowie, dass an¬ 
gesichts der Schwierigkeiten dieser 
Methoden soweit kaum mehr als Ar¬ 
beitshypothesen erzielt werden kön¬ 
nen. Zu unterscheiden sind die Haut¬ 
krankheiten, die nur in Zusammen¬ 
hang mit Ernährungsstörungen beob¬ 
achtet werden und solche, die auch 
ohne solchen Zusammenhang Vorkom¬ 
men. Die verschiedenen Dermatosen 
werden sodann in entsprechenden 
Gruppen betrachtet. 

Unter 1. den Dermatosen bei siche¬ 
ren Stoffwechsel-Störungen werden 
aufgezählt die Adipositas, welche 
verantwortlich ist für Striae atrophi- 
cae, Lipom, Adipositas dolorosa, Hy- 
peridrosis und Intertrigo; ferner die 
echten Harnsäureablagerupgen in der 
Haut bei Gicht, namentlich die in der 
Form eines Erythema nodosum; ohne 
auch nur den Schatten eines Beweises 
pathogenetischer Beziehungen sind 
alle möglichen Hautkrankheiten als 
bei Gicht vorkommend und mit der¬ 
selben in kausalem Zusammenhang 
stehend beschrieben worden, sogar die 
Prädisposition der Gichtiker zu Ek¬ 
zem und Psorisis wird als höchst zwei¬ 


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felhaft angesehen, mit Ausnahme ge¬ 
wisser Nagelerkrankungen. Weniger 
zweifelhaft ist der Zusammenhang 
verschiedener Dermatosen mit Diabe¬ 
tes : das besonders auf den unteren 
Extremitäten beobachtete Xanthom, 
die Färbung bei diabete bronce, Fu- 
runkulosis, Gangrän, Pruritus, beson¬ 
ders des Rückens, Balanitis, mitunter 
akute, auch allgemeine Ekzeme. 

Zu 2. den Hautkrankheiten bei Ano¬ 
malien des Stoffwechsels und der 
Drüsen mit innerer Sekretion gehören 
die Pigmentation bei Morb. Addisson., 
besonders neben Vitiligo, das Auftre¬ 
ten von Urticaria nach Einführung 
von Xebennierenextrakt; bei Base¬ 
dow: Hyperidrosis, Oedem (unab¬ 
hängig vom Herzen), Urticaria, Ery¬ 
them, Pruritus, Verlust der Haare 
und der Nägel; bei Akromegalie: Fi- 
bromata, Warzen, Atrophie des Bar¬ 
tes beim Mann und Haarhypertrophie 
im Gesicht bei Frauen; nach Sterilisa¬ 
tion bei beiden Geschlechtern, Haut¬ 
veränderungen in Zusammenhang mit 
Menstruation: Herpes progenitalis 

und Erytheme mit Gravität: Pigmen¬ 
tation, Impetigo herpetiformis. 

3. Hautkrankheiten bei Störungen 
der mit der Aufnahme, Bearbeitung, 
Verteilung und Ausscheidung der 
nahrungsmittelbeteiligten Organe. Bei 
Unterernährung kommen vor: Blässe 
der Haut, Trockenheit und Risse, 
Chloasma und Pityriasis Tabescenti- 
um, Purpura und Akne cachectico- 
rum, bei Diarrhoe: Ekzem des Afters, 
ebenso wie bei Verstopfung und bei 
Hämorrhoiden. Besonders berück¬ 
sichtigt werden die nach Einführung 
gewisser Stoffe in den Magen auftre¬ 
tenden Hauterscheinungen, meist nur 
bei besonders disponierten Individuen, 
teils von Nahrungsmitteln, teils von 
Arzneien und Serums, wie z. B. Echi¬ 
nokokkeninhalt. Solche Ausschläge 
entsprechen solchen, die auch nach 
unbekannten Ursachen auftreten. Bei 
Tieren werden nach Medikamenten 
entsprechende Formen von Dermato¬ 
sen beobachtet, nachgewiesener- 
massen auch nach Einführung verdor¬ 
bener Nahrung. Das nach Fütterung 
von schlechtem Buchweizen beobach¬ 
tete Auftreten von Erythem auf den 


weissen Hautpartien nach Aussetzung 
derselben an das Sonnenlicht erinnert 
an Pellagra. Natürlich verlangen der¬ 
artige Hautkrankheiten entsprechende 
Massnahmen. 

Leberkrankheiten haben zu Pruri¬ 
tus, Ikterus, vielleicht auch Zoster 
und Xanthom Beziehungen. Schwie¬ 
riger ist der Nachweis des Einflusses 
von Nierenerkrankungen auf die 
Haut, und manche der schwersten 
Hautveränderungen findet man hei 
gesunden Nieren. 

Kurz berührt werden endlich dys¬ 
trophische Hautkrankheiten unter 
Hinweis besonders auf Pruritus bei 
Tumoren (Akanthosis nigricans) und 
Dermatosen bei Konstitutionsanoma¬ 
lien, wie bei Skorbut, Rachitis etc. 
Dies führt zum Schluss zu der Be¬ 
trachtung der Diathesenlehre, der 
neuerdings auch in Deutschland mehr 
Beachtung geschenkt worden ist. 

Es gibt erstens ganz gewiss Indivi¬ 
duen mit angeborener oder erworbe¬ 
ner Neigung zu Hautkrankheiten, die 
sich unverändert durch das ganze Le¬ 
ben erhält: das Vorkommen von Pity¬ 
riasis versicolor, die besondere Em¬ 
pfindlichkeit gegen Licht und endlich 
Psoriasis, Lichen chronicus und 
Prurigo. 

Deutlicher, zweitens, lässt sich die 
Prädisposition nachweisen bei einer 
Anzahl von Individuen, die von Kind 
auf Neigung zu nässenden Ekzemen 
zeigen, zu Rachitis, zu Lymphdrüsen- 
und Mandelerkrankung, geringe Ent¬ 
wicklung von Haar und Nägeln, se¬ 
borrhoischem Ekzem, später zu Rheu¬ 
matismus, Gicht, bezw. Tuberkulose. 
Dieser Zustand ist von den Franzosen 
als herpetism oder arthritism bezeich¬ 
net worden. 

Betreffend den Einfluss von Haut¬ 
krankheiten auf die Ausscheidung 
verweist Heller auf Von Noor- 
d e n und Salomon’s Buch über die 
Pathologie des Stoffwechsels. Gewis¬ 
se Schlüsse lassen sich nicht ziehen. 

Im ganzen gibt Heller zu, dass 
noch wenige Fortschritte auf dem Ge¬ 
biete gemacht worden seien, dass aber 
die Lösung dieser Fragen weniger die 
Ansichten des brillianten Theoretikers 


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brauche als die unverdrossene Arbeit 
des Forschers. 

F o u q u e t, Dr. Charles, Paris: 

Travels of the Treponema Pallidum 
Through the Lymphatic and Blood 
Currents: Männer of Dissemination 
of the Syphilitic Virus. Urolog. and 
Cutan. Review. I. 4. Oktober 1913. 
370 . 

Fouque t, ein Schüler Gau¬ 
che r’s, sucht die Frage zu entschei¬ 
den, ob die Verbreitung des syphiliti¬ 
schen Giftes von vornherein auf dem 
Wege des Pdutes oder der Lymphbah- 
nen stattfindet. Er entscheidet zu 
Gunsten der lymphatischen Verbrei¬ 
tung: zuerst vermehren sich die Tre¬ 
ponema an der Stelle, wo sie in die 
Haut eingedrungen, und bilden den 
Schanker. Von da gelangen sie in die 
benachbarte Lymphdrüsengruppe und 
nach und nach von einem Drüsende¬ 
pot zu dem anderen, bis sie endlich 
durch den Ductus thoracicus die Vena 
subclavia und damit die allgemeine 
Blutzirkulation erreichen. Die (an¬ 
geblich? Ref.) häufige Abkürzung der 
Inkubationsperiode bei Schanker im 
Gebiet des Kopfes soll darauf beru¬ 
hen, dass die Entfernung des Schan¬ 
kers von der Eintrittsstelle in die Ve¬ 
ne geringer ist als die des Schankers 
am Penis. 

(Es ist auffällig, wie wenig in dieser 
wie in vielen anderen Arbeiten darauf 
Rücksicht genommen wird, wie wenig 
eigentlich von dem Treponema und 


seiner Lebensgeschichte wirklich be¬ 
kannt ist, ausser, dass dasselbe regel¬ 
mässig in den Produkten der Syphilis 
gefunden wird; ebensowenig davon, 
dass die Inkubationsperiode eine im 
Ganzen doch recht gleichmässig lange 
ist, ohne jeden Unterschied in der Na¬ 
tur, der Ausdehnung und des Sitzes 
des initialen Herdes, oder des Ge¬ 
schlechts, Alters, Rasse und Gesund¬ 
heitszustandes des Patienten, die doch 
auf gewisse Phasen in der Entwick¬ 
lung des Parasiten denken lassen. 
Ref.) 

I> o y c e, John W., M. D., Pitts¬ 
burgh : Robert’s Test for Albumen. 

Urolog. and Cutan. Review. I. No¬ 
vember 1913. 

Boy ce rühmt die Methode Ro¬ 
her t’s zum Nachweis von Albumen. 
Die aus 1 Teil Acid. nitr. und 5 bis 8 
Teilen einer saturierten Lösung von 
schwefelsaurer Magnesia in destillier¬ 
tem Wasser bestehende Lösung zeigt 
im Reagenzglas an der Berührungs¬ 
stelle mit der Albumen enthaltenden 
Flüssigkeit auch bei der gerinsten 
Menge eine scharfe weisse Linie. 
Boyce hält die Probe für bequem, 
bestimmter und empfindlicher als die 
mehr populären Proben. Seine ausser¬ 
ordentliche Genauigkeit kann höch¬ 
stens in einem Falle unter 40 nachtei¬ 
lig sein. Jeder Urin, der bei der 
R o 1) e r t’schen Probe reagiert, erfor¬ 
dert mikroskopische Utnersuchung. 


Kongressberichte. 


IV. Internationaler Chirurgenkongress. 

New York, 13.—16. April 1914, 


Kollektivbericht der Vereinigung 
Berichterstatter: 

(Fortsetzung 

5. Das Ulcus callosutn ventriculi 
soll, wenn es der Kräftezustand des 
Patienten erlaubt, reseziert werden. 
Das gilt ganz besonders für die pylo- 
rusfernen Ulzera der kleinen Kurva- 


der Deutschen mediz. Fachpresse. 

Dr. R. Tölken. 

und Schluss.) 

tur der Hinterwand. In allen übrigen 
Fällen ist die hintere Gastroenterosto¬ 
mie die Operation der Wahl. — Die 
Exzision der Magenulzera ergibt 
meist ungenügende Resultate. Sie be- 


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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


49 


seitigt den Pylorospasmus nicht. 
Wohl aber kann die Exzision mit 
gleichzeitiger Gastroenterostomie Be¬ 
friedigendes leisten. 

6. Die Exzision oder Resektion des 
Ulcus duodeni kommt nur ganz aus¬ 
nahmsweise in Betracht (hartnäckige 
rezidivierende Blutung, Perforations¬ 
gefahr, Krebsverdacht). 

7. Das beste Verfahren bei Ulcus 
duodeni ist die Kombination von Ga¬ 
stroenterostomie mit unilateraler Py- 
lorusausschaltung nach v. Eiseis¬ 
berg. Ist dieser letztere Eingriff aus 
irgend einem Grunde nicht angezeigt, 
so empfiehlt sich die Umschnürung 
des Pylorus mit einem Faszienstreifen 
oder die Verwendung des Ligamen¬ 
tum teres. Wir halten 'Versenkung 
des Faszienringes durch eine serose¬ 
röse Naht für notwendig. Die Pylo- 
rusausschaltung kann mit einer Sus¬ 
pension des Magens verbunden wer¬ 
den. Ganz sicher in ihrem Resultat 
ist nur die Methode v. Eiseis- 
bergs. 

8. Wird ein in d£r Nähe des Pylorus 
gelegenes Ulcus mit diesem reseziert, 
so empfiehlt sich die Versorgung des 
Magens nach dem Typus B i 11 r o t h 
II. Für die Ulzera der kleinen Kur¬ 
vatur und der Hinterwand ergibt die 
Querresektion mit axialer Nahtverei¬ 
nigung der Stümpfe die besten Resul¬ 
tate. 

9. Für manche Fälle von Ulkus in 
der Nähe des Pylorus, besonders mit 
hohen Säurewerten, empfiehlt sich 
nach ausgeführter Resektion die Ver¬ 
sorgung des oralen Magenstumpfes 
nach Reichel in Form breiter Ein- 
nähung in die oberste Jejunumschlin¬ 
ge; vielleicht schützt dieses Verfahren 
besser gegen das Ulcus pepticum je- 
juni. Tritt ein solches auf, ist ein Ver¬ 
such der Resektion gerechtfertigt. 
Auch die ganz breite Anastomose zwi¬ 
schen Magen und Duodenum (Fin- 
n e y) verringert vielleicht die Gefahr 
dieser Spätkomplikation der Gastro¬ 
enterostomie. Leider sind die Erfah¬ 
rungen über beide genannten Arten 
des Vorgehens noch zu klein. 

10. Das mit Gastroenterostomie be¬ 
handelte Ulcus callosum ist ebenso 
wie das Ulcus duodeni durch längere 


Zeit (j / 2 —1 Jahr) intern durch Verab¬ 
reichung von Atropin und Alkalien 
nachzubehandeln. Dies gilt ganz be¬ 
sonders für alle Fälle mit hohen Säure¬ 
werten des Magens. 

11. Die Gastroenterostomie ergibt 
ausgezeichnete unmittelbare und Dau¬ 
erresultate bei der Narbenstenose des 
Pylorus. Beim floriden und besonders 
pylorusfernen wirkt sie nicht so 
sicher. Es ist nur in 50.66 Prozent mit 
einem genügenden Erfolge zu rechnen. 

12. Die Mortalität der Ulkusresek¬ 
tion, ganz besonders der Querresek¬ 
tion, ist gering; sie beträgt ca. 10 Pro¬ 
zent, bei letzterer eher weniger. Sie 
bleibt allerdings immer höher als jene 
der Gastroenterostomie, doch fehlen 
ihr nahezu die Spättodesfälle jener an 
Perforation, Blutung, Ulcus pepticum 
jejuni, Nachoperationen. Die klini¬ 
schen Dauererfolge bei der Resektion 
sind gut. 

Lambotte (Antwerpen): Die 
Pylorusexklusion soll der Gastroente¬ 
rostomie stets hinzugefügt werden. 
Seit Jahren benutzt L. mit bestem Er¬ 
folg die einfache Ligatur des Pylorus ; 
wird der Faden nur bis zur Berührung 
der Schleimhaut locker angezogen, 
schneidet er auch nicht durch. Die¬ 
selbe Technik wird auch bei der En- 
terostomie benutzt. Hier kann man 
sich durch Einführen des Fingers da¬ 
von überzeugen, dass der Verschluss 
noch nach mehreren Monaten voll¬ 
ständig ist. Uebernähung des Fadens 
ist nicht nötig. 

Auch das Auftreten eines Ulcus 
pepticum hängt nur von der Technik 
ab, nicht von einer pathologischen 
Disposition. L. sah dasselbe nur ein¬ 
mal bei 600 Magenoperationen, an ei¬ 
ner Stelle, wo die Schleimhaut durch 
eine Klemme gequetscht worden war. 
So erklärt sich auch die angeblich so 
verschiedene Häufigkeit dieses Vor¬ 
kommens. 

Gibson (New York) hat ’74mal 
wegen Magen-, 27mal wegen Duode- 
nal-Perforation operiert, mit 25 Todes¬ 
fällen ( = F$). Die Pylorusvene ist 
eine sichere Grenze. Bei der Perfora¬ 
tion soll man möglichst ohne Gastro¬ 
enterostomie auszukommen suchen. 

Sonneiburg (Berlin) berichtet 


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. MED/ 

50 New Yorker Med$G)I|ci& iIoiJatsschäif?. 

-v--- 

über das Ergebnis der Diskussibns^lerl- löRiAfisep^sie häufen sich daher zu 


Berliner Chirurgen und Internen übeT" 
das Duodenalgeschwür (Berliner Ges. 
f. Chir., Nov.-Dez. 1913). Die meisten 
Redner hielten die Diagnose für gar 
nicht so einfach, die typische Anam¬ 
nese Moynihan’s fehle häufig; an¬ 
drerseits wurden ähnliche Symptome 
(z. B. der Hungerschmerz) auch bei 
Erkrankungen der Gallenwege und 
des Pankreas beobachtet. Sekretions¬ 
störungen des Magens können fehlen; 
ebenso okkulte Blutungen, die wieder¬ 
um auch andere Ursachen haben kön¬ 
nen. Auch das Röntgenbild gibt kei¬ 
nen sicheren Aufschluss. Meist wird 
man daher nur zu einer Wahrschein¬ 
lichkeitsdiagnose gelangen. Das Vor¬ 
kommen des Duodenalgeschwürs wur¬ 
de nicht für so häufig gehalten, wie 
englische und amerikanische Kollegen 
angeben. S. beobachtete unter 80 
Fällen nur 73 Geschwüre im Duode¬ 
num und 10 am Pylorus. Zum Schluss 
weist S. auf die Bedeutung der Blut¬ 
untersuchung (A r n e t h’sches Blut¬ 
bild) für die Differentialdiagnose und 
Prognose des perforierten Magen- und 
Duodenalgeschwürs hin; allerdings ist 
das Bild nicht so einheitlich wie z. B. 
bei der Appendizitis. 

B e v a n (Chicago): Der Chirurg 
muss mit dem Internen Zusammen¬ 
arbeiten. In 4 —5 Prozent treten gas- 
trojejunale Ulzera auf nach Gastro¬ 
enterostomie. Diese können durch 
geeignete medizinische Behandlung 
verhindert werden. Rosenauer 
(Chicago) hat aus Magengeschwüren 
Kulturen hergestellt und damit durch 
Injektion bei Tieren typische Ulzera 
erzeugen können. Das Ulkus entsteht 
also wahrscheinlich durch einen spezi¬ 
fischen Organismus bei geringer Wi¬ 
derstandskraft des Individuums und 
lokaler Disposition. 

Murphy (Chicago): Die erste 
akute Attacke des Ulkus entspricht 
anderen akuten Infektionen (Herz, 
Gelenke). Rosenauer züchtete 
Streptokokken in verschiedenen Me¬ 
dien und konnte mit jedem Stamm 
stets einförmig eine spezifische Läsion 
erzeugen, so auch Magengeschwüre. 
Diese sind als metastatische Herde 
von anderen Infektionen des Körpers 

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'bLSliimfften Jahreszeiten, wenn z. B. 
Pneumonien gehäuft auftreten. Be¬ 
züglich der Technik empfiehlt er warm 
seinen Knopf, doch nicht den in Eu¬ 
ropa gebräuchlichen runden, sondern 
den länglichen Knopf, der eine breite¬ 
re Kommunikation schafft. Nahtge¬ 
schwüre und Hämorrhagien kommen 
dann nicht vor. 

Kümmel (Hamburg) erklärt den 
Unterschied deutscher und amerikani¬ 
scher Statistiken damit, dass der 
Deutsche sich viel schwerer zur Ope¬ 
ration entschliesst, erst lange intern 
behandelt wird; daher sieht der Chi¬ 
rurg vorwiegend schwere Fälle. Beim 
Ulkus der Magenmitte Resektion; es 
tritt danach eine gewisse Parese des 
Pylorus ein. Unter 80 Gastroentero¬ 
stomien sah er nur drei Misserfolge, 
insofern der Pylorus durchgängig 
blieb. Die Duodenalsonde sollte be¬ 
nutzt werden, mit Einführung von 
Wismut und Röntgenbildern. Das 
wichtigste für die Diagnose ist der 
Nachweis von Blut. 

Manninger (Budapest): Bei 

Ulcus callosum soll man prinzipiell 
resezieren; denn häufig treten nach 
der Gastroenterostomie trotz Wohlbe¬ 
findens in den ersten Jahren doch von 
neuem Beschwerden auf, die Anasto- 
mose verkleinert sich; ausserdem ist 
die Häufigkeit der krebsigen Entar¬ 
tung doch wohl nicht so gering, wie 
heute gesagt wurde. Auch er glaubt, 
wie Kümmel, dass in Europa mehr 
reseziert wird, weil die Leute später 
zur Operation kommen. Die Faden¬ 
umschnürung des Pylorus, die L a m - 
b o 11 e empfiehlt, ist nach den Tier¬ 
experimenten als ganz unzuverlässig 
zu verwerfen; es ist Körpergewebe zu 
benutzen (Ligam. teres). Der sicher¬ 
ste Verschluss ist E i s e 1 b e r g’s Me¬ 
thode ; mit dem H ä r t l’schen Naht¬ 
instrument, das warm zu empfehlen 
ist, lässt sie sich in 2—3 Minuten aus¬ 
führen. Warnung vor Quetschung der 
Schleimhaut. 

Lilienthal (New York) hat in 
drei Fällen nach Gastroenterostomie 
später ein Karzinom erlebt. Die Ge¬ 
fahr der Resektion bei pylorusnahem 
Geschwür ist daher geringer als die 


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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


51 


drohende maligne Entartung. Daher 
ist bei elenden Leuten oder schwieri¬ 
gen Verhältnissen (akut entzündliche 
Infiltration) zweizeitig ,zu operieren, 
zunächst Gastroenterostomie, vier 
Wochen später Pylorektomie. Da¬ 
durch lässt sich die Mortalität der Re¬ 
sektion noch weiter herabdrücken. 

Gerster (New York): Trotz im¬ 
mer radikalerer Operation erleben wir 
immer noch Rezidive; die Ursache des 
pathologischen Zustandes können wir 
eben operativ nicht beseitigen. Die 
Physiologie muss daher noch genauer 
studiett werden. Bericht über einen 
Fall, wo nach Resectio pylori wegen 
Ulcus (völliger Verschluss nach B i 11- 
roth II) nach einem Jahr im Rönt¬ 
genbild der Wismutbrei durch den 
Pylorus wieder ins Duodenum über¬ 
trat ; das lässt sich wohl nur durch ein 
neues Ulkus, das in den Duodenal¬ 
stumpf perforierte, erklären. 

Willi Meyer (New York) hat 
zweimal trotz negativer Probeexzision 
intra operationem später ein inoperab¬ 
les Karzinom erlebt; daher soll man, 
wenn irgend möglich, resezieren. Die 
Maschine von H ä r 11 ist für schwa¬ 
che Patienten vorzüglich, ebenso für 
den ersten Akt der Oesophagusplastik 
aus dem Magen nach Jan (diese Me¬ 
thode ist übrigens schon 1905 von 
Beck und C a r r e 1 ausgeführt). Zur 
Ausheilung des Geschwürs ist der 
Pylorusverschluss unbedingt nötig. 

Kraske (Freiburg): Beim Ulcus 
callosum der kleinen Kurvatur wurde 
von den meisten Rednern die Resek¬ 
tion empfohlen. K. hat sich zwölfmal 
mit gutem Resultat der transgastri¬ 
schen Auslöffelung und Uebernähung 
des Geschwürs bedient als einer weni¬ 
ger eingreifenden Methode. Ein spä¬ 
ter aus anderer Ursache zur Sektion 
gekommener Fall zeigte das Geschwür 
völlig ausgeheilt, die Narbe war kaum 
auffindbar, der grosse Ulkustumor war 
völlig verschwunden. 

O c h s n e r (Chicago) : Anämie, 

Reiz durch ungeeignete Ernährung 
und Verschlucken septischen Mate¬ 
rials (von kariösen Zähnen, den Ton¬ 
sillen etc.) scheinen für die Entste¬ 
hung des typischen Ulkus von Bedeu¬ 
tung zu sein. L i 1 i e n t h a l’s zwei¬ 


zeitige Operation ist noch mehr zu 
empfehlen als K r a s k e’s Vorgehen. 

W. L. Rodmann (Philadelphia): 
Mehrere Jahre nach einer Gastroente¬ 
rostomie treten oft noch Blutungen, 
Perforation oder Karzinom auf. Da¬ 
her soll man resezieren. Die Zahl der 
Ulkuskarzinome nimmt zu, nicht ab. 
Die Ansicht von der grösseren Morta¬ 
lität der Karzinome ist übertrieben. 
375 radikale Operationen, von zahlrei¬ 
chen Autoren gesammelt, ergaben et¬ 
was mehr als 5 Prozent Mortalität; 
davon fallen auf 204 Pylorektomien 8 
Prozent, auf andere Resektionen et¬ 
was weniger als 4 Prozent Mortalität. 

M a y o hat bei Pylorektomie wegen 
Karzinom 10 Prozent, wegen Ulkus 
nur 5 Prozent Mortalität. Nur die Ge¬ 
schwüre in der Nähe des Pylorus nei¬ 
gen zu karzinomatöser Degeneration. 

Henschen (Zürich): In der 
Schweiz ist auch seit genauerem Ach¬ 
ten auf das Duodenalgeschwür dieses 
seltener als das Magengeschwür. Ge¬ 
nauer erforscht werden müssen noch 
die retroperitonealen Phlegmonen 
nach perforiertem Duodenalgeschwür, 
die garnicht so selten sind, aber nicht 
erkannt werden. 

W. Mayo (Rochester) : Die Ver¬ 
suche Rosenauer’s sind sehr be¬ 
achtenswert, erklären aber noch nicht 
alles: es entstehen nur akute, keine 
chronischen Ulcera. Nur das Mikro¬ 
skop kann entscheiden, ob ein Karzi¬ 
nom auf dem Boden eines Ulkus ent¬ 
standen ist; das ist nur dann sicher zu 
sagen, wenn der Geschwürsgrund .frei 
ist von Karzinom und dieses sich nur 
in den Rändern findet; ist auch am 
Grunde Karzinom, ist eine Entschei¬ 
dung unmöglich. Sektionsmaterial ist 
daher ungeeignet für diese Frage. Die 
zweizeitige Operation L i 1 i e n t h a Ts 
dürfte nur für ganz bestimmte Fälle 
angebracht sein. 

J u r a s z (Leipzig) : Krönlein’s 
Statistik ist für das Vorkommen des 
Karzinoms nach Ulkus nicht bewei¬ 
send, da sie schon in die 90er Jahre 
zurückreicht. Die Fadenumschnürung 
des Pylorus, die Lambotte wieder 
empfiehlt, ist durch Tierversuche als 
ganz unzuverlässig erwiesen. Auch 
die Pay r'sche Klinik hält mit Mayo 

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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


ein Ulkuskarzinom nur dann für er¬ 
wiesen, wenn nur die Ränder, nicht 
aber der Grund des Geschwürs Kar¬ 
zinom zeigen; drei solche Fälle wur¬ 
den beobachtet. Als erfreuliches Er¬ 
gebnis des Diskussion lässt sich fest¬ 
stellen, dass die allermeisten Redner 
für die Resektion beim Magengeshwür 
eingetreten sind. 

III. Gewebs- und Organ-Transplan¬ 
tationen. 

H. Morestin (Paris), Ref.: Die 
Einpflanzungen und Gewebstransplan¬ 
tationen haben die Grenzen der kon¬ 
servativen Chirurgie bedeutend erwei¬ 
tert. Den Beweis hierfür liefern die 
Fortschritte in der plastischen Thera¬ 
pie der Difformitäten und Hauter¬ 
krankungen mittelst Haut-, Epider¬ 
mis-, Fett- und Knorpeltransplanta¬ 
tionen. 

Die freie Hauttransplantation ge¬ 
lingt ziemlich gut unter besonderen 
Umständen: kleine Fragmente, dünne 
und weiche Haut, vom Unterhautzell- 
gewebe befreit, auf frische, streng 
aseptische Wunde gebracht. Für die 
Gesichtschirurgie findet sie wenig An¬ 
wendung, weil das implantierte Haut¬ 
stück stets eine gelbliche Farbe behält 
und trophische Störungen aufweist. 

Zweizeitige Hauttransplantation. Die 
italienische Methode ist trotz der ihr an¬ 
haftenden Nachteile in dieser Hinsicht 
viel wertvoller. Sie ist zu empfehlen in 
jenen Füllen, wo die Transplantation der 
oberen Hautschichten nicht genügt und 
wo in der Nachbarschaft nicht genügend 
Gewebe vorhanden ist. Für die Rhino-, 
Uheilo- und Klepharoplastik, wo sie be¬ 
sonders empfohlen wird, soll sie in Wirk¬ 
lichkeit nur ausnahmsweise gebraucht 
werden. Hervorragend wirkt sie für die 
Herstellung der Nasenspitze und des un¬ 
teren Teiles des Septums aus der Pal¬ 
marhaut der Hand. Die Hauttransplan¬ 
tationen nach T h i e r s c h finden zahl- 
1 eiche Anwendungen zur Heilung 
grosser Defekte nach Verbrennungen. 
Traumen oder Geschwulstentfernungen. 
Sie sind einzig zu verwenden bei voll¬ 
ständigem Abreissen der Kopfhaut und 
nach Exzision von Cancroiden. ln der 
I upustherapie und zur Heilung diffor- 
nier Narben sind sie weniger indiziert. 


Manchmal können sie als provisorische 
Autoplastik dienen. Haare können frei 
transplantiert werden oder mittelst ge¬ 
stielter Lappen, z. B. als Ersatz für die 
Augenbrauen oder den Schnurrbart. 

Die Knorpelstransplantationen gehö¬ 
ren zu den schönsten Errungenschaften 
(ier plastischen Chirurgie und haben die 
totale Rhinoplastik .ermöglicht. Der 
Knorpel wird stets gut vertragen, wenn 
er ganz umhüllt ist, und bleibt ewig le¬ 
bendig. Durch seine Lebensfähigkeit 
und Modellierbarkeit erweist er sich als 
besonders verwendbar zur Herstellung 
des Nasengerüstes. Ausser der totalen 
und partiellen Rhinoplastik kann er zur 
Korrektur sämtlicher Gesichtsdifformi- 
täten verwendet werden (Wangen, Kie¬ 
fer etc.). 

Die Fetttransplantationen sind zu em¬ 
pfehlen für tiefeingesunkene Narben, 
Knochenhöhlen etc. Das Fett wird zwar 
durch neugebildetes Gewebe ersetzt, aber 
das Resultat ist nichtsdestoweniger gün¬ 
stig. Da Fetttransplantate sich leicht 
und ungefährlich verschaffen lassen, ge¬ 
boren sie zu den besten Neuerungen in 
der kosmetischen und plastischen Chi- 
ru rgie. 

E. V i 11 a r d (Lyon), Corref.: Blut¬ 
gefässtransplantation, vorgetragen von 
M i c h o n (Paris) : Wir unterscheiden 
zwei Arten von I »lutgefässtransplanta- 
tionen, die sofortige Einpflanzung und 
die Einpflanzung von konservierten 
IMutgefässen. Ausserdem unterscheiden 
wir zwischen Arterien- und Venenver¬ 
pflanzung und zwischen auto-. homo- 
und heteroplastischen Verpflanzungen. 

Der Erfolg muss makroskopisch und 
mikroskopisch geprüft werden, da ein 
funktionell recht guter Erfolg keines¬ 
wegs immer gute anatomische Verhält¬ 
nisse beweist und da oft mikroskopisch 
schwere Veränderungen in makrosko¬ 
pisch normalen Geweben vorliegen. 

I. Sofortige Verpflanzungen. — Die 
U a r r e 1 sehe Technik ist die beste. 

1. Autoplastische Arterien Verpflanzun¬ 
gen.— Beim Tier findet vollständige 
Einheilung statt. 

2. I lomoplastische Arterieneinpflan¬ 
zungen. —- Makroskopisch sind die Re¬ 
sultate gilt. Jedoch unter dem Mikro¬ 
skop zeigt es sich, dass nach längerer 
Zeit die Anheilung einer Arterie bei Ver- 

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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


53 


pflanzung auf artgleiche Tiere zweifel¬ 
haft erscheint. 

3. Heteroplastische Arterienverpflan¬ 
zungen können gelingen. Es ist aber 
wahrscheinlich, dass däs transplantierte 
Gefäss dem implantierten Tier bloss als 
Führer zur Regeneration des eigenen Ge- 
fässes dient. 

4. Venentransplantationen gelingen 
schwerer. Das Venenstück wird hyper¬ 
trophisch und seine Struktur gleicht all¬ 
mählich derjenigen einer Arterie. 

II. Transplantation konsennertcr Ge¬ 
lasse. — Die beste Konservationsmethode 
ist das Aufbewahren in steriler physiolo¬ 
gischer Lösung bei 0°. Auf diese Art 
können Gefässstücke mit Erfolg implan¬ 
tiert werden; man muss sich aber bewusst 
sein, dass nur die elastischen Fasern über¬ 
leben und als Substrat für die anwachsen¬ 
den Zellen des implantierten Tieres 
dienen. 

III. Anwendungen der Gef (isst rans- 
plantationen beim Menschen. — Die Chi¬ 
rurgie kann in drei Fällen die Gefäss- 
transplantation benützen: 

1. Bei Gefässverletzungen: 

2. bei der Exstirpation einer mit den 
Gefässen verwachsenen Geschwulst; 

3. bei der Radikaloperation von Aneu¬ 
rysmen. 

Beim Menschen soll die autoplastische 
Venentransplantation bevorzugt werden. 

E. U 1 1 m a n n (Wien), Corref.: 
Gewebs- und Organtransplantation. 
Die Hoffnungen, welche man vor 15 
Jahren in die Zukunft der Gewebs- und 
Organtransplantationen gesetzt hat, ha¬ 
ben sich nur zum geringen Teile erfüllt. 
Es scheinen dem Erfolg der heteroplasti¬ 
schen Transplantation die Anaphylaxie, 
dem Erfolg der homoioplastischen die 
biochemische Eigenschaft des Individu¬ 
ums hindernd im Weg zu stehen. Nur 
bei der autoplastischen Transplantation 
sind sowohl in bezug auf den unmittel¬ 
baren Erfolg als auch auf Dauerresul¬ 
tate-günstige Ergebnisse zu erwarten, 
während heteroplastische T ransplanta- 
tionen mit Ausnahme der Transplantation 
von Knochen stets ein ungünstiges Re¬ 
sultat ergeben. Und auch der Knochen 
wird nicht erhalten, sondern wird durch 
Knochensubstanz des Empfängers substi¬ 
tuiert. Bezüglich der homoioplastischen 
Transplantation sind die Erfolge nicht 


gleichmässig und hängen vielleicht von 
der mehr oder minder grossen Aehnlich- 
keit des Blutserums zweier Individuen 
derselben Art ab. Wenn es gelingen 
sollte, das Blutserum zweier Individuen 
derselben Art und damit auch ihre Zell¬ 
substanzen ähnlich oder identisch zu 
machen, so könnten auch die homoioplas¬ 
tischen Transplantationen gleich gute 
Resultate geben wie die autoplastischen. 
Hier müssen weitere Versuche einsetzen. 

E. L e x e r (J ena), Corref.: Die 
freie Transplantation. L. erblickt 
seine Aufgabe im wesentlichen darin, 
unter Verwendung seiner eigenen 
Arbeiten und Erfahrungen die prak¬ 
tische Verwertung der freien Transplan¬ 
tation zu schildern. 

a) Allgemeiner Teil. 

Verschieden ist die Beurteilung über 
den Wert der Transplantationsfähigkeit 
einzelner Gewebe vom Standpunkt des 
Klinikers und von dem des Pathologen. 
Der klinische Erfolg ist nicht nur vor¬ 
handen 1. bei idealer Einheilung mit Er¬ 
haltung des Gewebes, sondern auch 2. bei 
langsamem Schwund und gleichzeitiger 
Substitution, ferner 3. gelegentlich bei 
vollständiger Abkapselung. Auch beim 
klinischen Misserfolg sind Unterschiede 
vorhanden, da das Transplantat teils 
durch eine heftige gegnerische Reaktion 
abgestossen wird oder durch allmählich 
eintretende Fremdkörpereiterung verlo¬ 
ren geht, teils der Misserfolg dadurch 
eintritt, dass die Resorption schneller vor 
sich geht als die Substitution oder die 
letztere nur durch Narbengewebe erfolgt. 
Am Misserfolge sind hauptsächlich, sieht 
man von infektiöser Eiterung ab, geringe 
Blutmassen schuld, welche den Anschluss 
an die Ernährung verhindern. 

Unterschiede der Einheilungsbedin¬ 
gungen bei Auto-, Homo- und lletero- 
plastik. — Für einen günstigen Erfolg 
sind verschiedene Bedingungen nötig. 
Genügende Lebenskraft. Ernährungs¬ 
und Anpassungsfähigkeit und Regenera¬ 
tionskraft des Transplantates, ferner die 
Verhältnisse des Wundbodens. Eine 
fehlerlose Operation, welche eine Beur¬ 
teilung über den Wert der Transplanta¬ 
tion eines Gewebes erlaubt, kann erst 
dann angenommen werden, wenn das 
letztere eine allseitig eingetretene Ver¬ 
klebung zeigt. Für die Technik ist 


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54 


New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


notwendig: Genaue Aseptik, gründliche 
Blutstillung. Schonung des Transplan¬ 
tates, Vermeidung von Nahtlinien über 
dem letzteren. Zur Nachbehandlung ist 
die Bedeutung der funktionellen Inan¬ 
spruchnahme wichtig. 

b) Spezieller Teil. 

In diesem Abschnitt wird zunächst die 
klinische Bedeutung der Epidermis- und 
Hauttransplantation besprochen. Neu ist 
die Verwendung der Haut, deren Epider- 
misschicht vollständig entfernt ist. Der 
Wert der Epidermis- und Hauthomo¬ 
plastik ist ausserordentlich gering; nach 
eigenen klinischen und experimentellen 
Versuchen sind Erfolge zu bezweifeln. 
Wahrscheinlich handelt es sich meist um 
narbige Substitution oder Schorfheilung. 
Daran schliesst sich die Besprechung der 
klinischen Erfolge bei Schleimhauttrans¬ 
plantation, Muskel-, Nerven-, Gefäss- 
transplantation, die Verpflanzung von 
Sehnen, Faszien, Periost und Bauchfell, 
von Knochen, Knorpel, Gelenken und 
ganzen Gliedern. Zum Schluss folgt eine 
kurze Bemerkung über die klinischen 
Misserfolge der Organverpflanzung. 

(Demonstration zahlreicher Diaposi¬ 
tive aus der L e x e r’schen Klinik.) 

A. C a r r e 1 (New York), Corref.: 
Die Transplantation von Organen. 
Obschon die technische Seite des Prob¬ 
lems der Organtransplantation gelöst ist, 
kann diese vorläufig auf die menschliche 
Chirurgie nicht angewandt werden, da 
die homoplastische Transplantation, die 
allein von Nutzen wäre, zwar gute un¬ 
mittelbare Erfolge, aber fast nie Dauer¬ 
resultate aufzuweisen hat. Schon 1908 
wurden im Rockefeller - Institut 
autoplastische Nierentransplantationen 
am Hunde mit Erfolg ausgeführt. Bei 
Durchströmen mit Lock e’scher Lösung 
konnte die Zirkulation 50-60 Minuten 
ohne Schaden völlig unterbrochen wer¬ 
den. Nach homoplastischer Transplan¬ 
tation beider Nieren samt Ureteren, 
Aorta und Vena cava traten dagegen 
stets nach Stägigem Wohlbefinden Dege¬ 
nerationserscheinungen der transplantier¬ 
ten Nieren auf, und kein Tier überlebte 
den 36. Tag. Vereinzelte gelungene Ova¬ 
rientransplantationen haben als Ausnah¬ 
me keine prinzipielle Bedeutung. Wir 
müssen daher die Ursachen der Reaktion 
des Organismus gegen ein neues Organ 


studieren und diese zu verhindern lernen. 
Diese regelmässig eintretende Reaktion, 
nach 6-7 Tagen mit Oedem und Leuko¬ 
zyteninfiltration beginnend, ist bei Hun¬ 
den stärker ausgesprochen als bei Katzen. 
Nur bei 3 Tieren blieb sie aus (3mal 
Transplantation des Beines, lmal der 
Kopfhaut und des Ohres) ; es trat reak¬ 
tionslose Anheilung ein. Aber diese 3 
Tiere litten alle an einer Allgemeininfek¬ 
tion, 1 an Pyämie, 2 an Pneumonien. 
Wir versuchten das daher durch Ab¬ 
szesserzeugung mit Terpentininjektionen 
nachzuahmen; doch bisher ohne wesent¬ 
lichen Erfolg. James B. Murphy hat 
kürzlich im Rockefeller-Institut sehr in¬ 
teressante Versuche über heteroplastische 
Tumortransplantationen gemacht: Rat¬ 
tentumoren auf Hühnerembryonen ver¬ 
pflanzt wuchsen von Ei zu Ei übertragen 
immer weiter; doch wenn das Hühnchen 
heran wuchs, verschwanden die Tumoren 
stets. In einer gewissen Lebensperiode 
muss sich also eine neue Funktion aus¬ 
bilden, die dem Organismus die Kraft 
gibt, das fremde Gewebe zu eliminieren. 
Weitere Kulturversuche ergaben nun, 
dass das Wachstum des Rattentumors 
im Hühnchenserum stets gehemmt 
wurde, wenn Milz oder Knochenmark 
von erwachsenen Hühnern zugefügt 
wurde; alle anderen Gewebe und Organe 
waren wirkungslos. Ebenso wuchs der 
Rattentumor im Hühnerembryo nicht 
weiter, wenn mit ihm Stücke von Milz 
oder Knochenmark transplantiert waren. 
Um also homoplastische Transplantatio¬ 
nen dauernd funktionsfähig zu erhalten, 
muss diese Reaktionskraft der Milz und 
des Knochenmarkes auf das fremde Ge¬ 
webe ausgeschaltet werden. Das ver¬ 
suchte Murphy zunächst durch Milz¬ 
exstirpation, dann durch Injektion von 
Benzol, das die Aktivität der Leukozyten 
herabsetzt; doch wurde die Reaktion da¬ 
durch nur etwas verzögert. Jetzt ist es 
ihm mit intensiver Röntgenbestrahlung 
aer mit Mäusetumoren geimpften Ratten 
gelungen, noch nach 35 Tagen den trans¬ 
plantierten Tumor weiter wachsen zu 
sehen. Bestimmte Schlüsse möchte ich 
daraus vorläufig noch nicht ziehen. Doch 
zeigen diese Experimente den Weg, den 
wir weiter studieren müssen, um die bio¬ 
logischen Kräfte kennen zu lernen, 
welche die Reaktion des Organismus ge- 


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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


55 


gen das fremde, homoplastische Trans¬ 
plantat verhindern können. 

Murphy (Chicago) : Die freie Fett¬ 
transplantation eröffnet der Gelenkplastik 
eine grosse Zunkunft. Die Resultate 
L e x e r s sind verblüffend. 1902 machte 
M. die erste Gelenkmobilisation mittelst 
eines mit Fett besetzten gestielten Fas¬ 
zienlappens ; es soll dadurch infolge der 
Reibung eine Art Hygrom gebildet wer¬ 
den. Demonstration von Bildern von 
Mobilisation des Knie-, Hüft- und Ellen¬ 
bogengelenks mit solchen gestielten Fas¬ 
zienfettlappen, von Knochentransplanta¬ 
tionen und Retransplantation von Ge¬ 
lenkenden. 

E. Rehn (Jena): Das Tierexperi¬ 
ment hat uns erst die nötige Sicherheit 
und Richtung für unsere Transplantatio¬ 
nen gegeben. Nach R e h n s Unter¬ 
suchung hat das Fettgewebe eine spe¬ 
zifische Eigenschaft; es ist entwicklungs¬ 
geschichtlich weit höher zu bewerten als 
Faszie und Sehne. Demonstration von 
Lichtbildern über Degeneration und Re¬ 
generation des Fettgewebes bei Homo- 
und Autoplastik. Das subkutane Fett¬ 
gewebe beteiligt sich an der Sehnenbil¬ 
dung. Bei Druck und Belastung dage¬ 
gen (in Gelenken der unteren Extremi¬ 
tät) muss das Fettgewebe bindegewebig 
degenerieren. Als Transplantationsmate¬ 
rial hat sich Vortr. neuerdings das Kutis- 
Bindegewebe ohne Epidermis vorzüglich 
bewährt; es lassen sich daraus histolo¬ 
gisch und klinisch richtige Faszien und 
Sehnen erzeugen, so dass dieses Mate¬ 
rial hinter der Faszien- und Sehnentrans¬ 
plantation nicht zurücksteht. Besonders 
für den Ersatz grosser Sehnen- und Bän¬ 
derdefekte scheint das Kutisgewebe prä¬ 
destiniert zu sein. 

W i t z e 1 (Düsseldorf) : Für die Ope¬ 
ration der traumatischen Epilepsie 
kommt es auf die freie Beweglichkeit 
des Gehirns gegen die Dura an. Be¬ 
richt über 2 Fälle, in denen durch mög¬ 
lichst weite Fortnahme des Knochens 
ausgiebige Lösung der fixierten Dura ma- 
ter, freie Transplantation eines möglichst 
grossen Reh nschen Fettlappens von der 
Dicke eines kleinen Fingers, der mög¬ 
lichst weit unter die Dura zu schieben 
und durch einige Nähte zu fixieren ist, 
ein sehr gutes Resultat erzielt wurde. 

Depage ' (Brüssel) : Beim Hunde 


gelingt der vollständige Ersatz des Duc¬ 
tus choledochus und eines Gallenblasen¬ 
defektes durch freie Transplantation ei¬ 
ner Vene ausgezeichnet; die Narben wa¬ 
ren später kaum noch zu erkennen. 

S t e i n t a 1 (Stuttgart) berichtete 
über Rhinoplastiken aus der Brust¬ 
haut mittelst Wanderlappens, die zu¬ 
erst 1900 von ihm ausgeführt wurden. 
Der Lappen wird zunächst in einen 
Spalt am Vorderarm eingeheilt. Er 
bildet die Nase nur aus Haut, ohne 
Unterfütterung wie L e x e r. Die Me¬ 
thode ist weniger kompliziert, man hat 
reichlicher Material als bei der italieni¬ 
schen Methode. Auch an anderen 
Körperstellen gibt die Wanderlappen¬ 
plastik gute Erfolge. 

Leonte (Bukarest) berichtet über 
freie Knochentransplantationen und 
freie Fetttransplantation in osteomye¬ 
litische Knochenhöhlen. In zwei Fäl¬ 
len hat er mit einem heteroplastischen 
Peritoneallappen einen guten Erfolg er¬ 
zielt. Der Ersatz des fünften Metakar- 
pus durch den fünften Metarsus ge¬ 
lingt sehr gut. Die Form des zu trans¬ 
plantierenden Knochens muss stets 
dem Substanzverlust genau angepasst 
sein. Die wichtigsten Punkte für 
einen guten Erfolg sind Autoplastik, 
stets periostbedeckter Knochen, gute 
Asepsis, keinen Fremdkörper in der 
Wunde belassen. 

F r e e m a n (Denver) und Porter 
(Boston) sprechen über die Verhü¬ 
tung von Narbenkeloiden und über 
Verbesserungen der Thier sch- 
schen Transplantationen bei Verbren¬ 
nungen. 

Carrel (New York): In dem Re¬ 
ferat V i 11 a r d s ist der heutige Stand 
der Blutgefäss-Transplantation nicht 
richtig dargestellt; die Resultate sind 
weit besser; bei mittelgrossen Arte¬ 
rien lassen sich in 95 Prozent gute Re¬ 
sultate erzielen. Bei den Venen ist die 
Technik noch leichter und die klini¬ 
schen Resultate noch besser als bei 
den Arterien. Haut und Periost ver¬ 
mögen in Kulturen aufzuwachsen und 
können so längere Zeit aufbewahrt 
werden; bei höheren Geweben ist das 
natürlich schwieriger. Wir haben hier 
in New York ein Laboratorium einge¬ 
richtet, wo solche Gewebe gezüchtet 

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56 


New Yokkxk Medizinische Monatsschbitt. A 


und präserviert werden. Vielleicht 
kann das für praktisch-chirurgische 
Zwecke später einmal von Bedeutung 
werden. 

C. R e h n (Frankfurt) : Für die 
Herzlösung bei obliterierender Peri¬ 
karditis hat sich von allen untersuch¬ 
ten Geweben am besten der Fettlap¬ 
pen bewährt. Er überzieht sich von 
den Gefässen aus mit einer Endothel¬ 
schicht, nicht etwa vom Perikard aus, 
wie durch Aschoffs Autorität fest¬ 
gestellt ist. 

Jurasz (Leipzig): Grosse Schä¬ 
deldefekte lassen sich sehr gut nach 
Röpke aus dem unterhalb der Spina 
gelegenen Teil der Skapula decken; 
man hat damit ein dünnes, grosses, 
leicht gewölbtes Material. Die Funk¬ 
tion des Armes wird nicht beeinträch¬ 
tigt. Zwei Fälle von Ersatz der Harn¬ 
röhre durch den Wurmfortsatz nach 
L e x e r gaben in der P a y r’schen 
Klinik ein schlechtes Resultat; sie 
führten zu Schrumpfung und Narben¬ 
stenose. 

MacKenzie (Portland, Oregon): 
Die Nerventransplantation wurde bis¬ 
her kaum erwähnt. In einem Falle von 
Recklinghause n’scher Krank¬ 
heit hat Vortragender den N. ischia- 


dicus wegen eines grossen Neurofi¬ 
broms ziemlich weit resezieren müs¬ 
sen. Es traten schwere trophische 
Störungen auf. Er schlitzte deshalb 
den Peroneus am Unterschenkel, 
schlug den langen Nervenlappen nach 
oben um und überbrückte mit ihm den 
Defekt im Ischiadikus. Die trophi- 
schen Störungen verschwanden; all¬ 
mählich kehrte auch die Sensibilität 
zurück. 

Franke (Braunschweig) empfiehlt 
bei traumatischer Epilepsie, nach 
freier Faszien-Transplantation zur 
Deckung des Duradefektes, das ent¬ 
fernte Knochenstück umgekehrt mit 
dem äusseren Periost nach innen wie¬ 
der einzusetzen. 


Als Sitz des nächsten Internationa¬ 
len Chirurgenkongresses 1917 wurde 
Paris bestimmt. Zum Vorsitzenden 
wurde Keen (Philadelphia) gewählt. 
Als Referatthemata wurden aufge¬ 
stellt : 

1. Biologische Reaktionen und Chi¬ 
rurgie. 

2. Strahlenbehandlung der Ge¬ 
schwülste. 

3. Chirurgie des Herzens und der 
Blutgefässe. 


10. Kongress der Deutschen Röntgen-Gesellschaft.* 

Berlin, 19. bis 21. April 1914. 

(Fortsetzung und Schluss.) 


Holzknecht (Wien) und L i p p- 
m a n n (Chicago) : Ueber vollständi¬ 
ge, dauernde Füllung des Duodenums. 
Holzknecht weist auf die Klee¬ 
blattform des Duodenums als Aus¬ 
druck des Ulcus duodeni hin. Die Ver¬ 
hältnisse sind nicht immer so günstig, 
dass sich das Duodenum von selbst 
darstellt. Man muss den Distinktor 
anwenden oder mit der Hand drücken. 
Auch die Buckyblende kann angewen¬ 
det werden. Man muss auch in ver¬ 
schiedenen Projektionsrichtungen un- 


* Kollektivbericht der „Vereinigung der 
Deutschen mediz. Fachpresse“. 


tersuchen. Abgesehen von den neue¬ 
ren Methoden der Füllbarkeit des Du¬ 
odenums gelingt es auch, das Ab- 
fliessen der Kontrastmahlzeit aus dem 
Duodenum zu verhindern, wenn man 
mit der Hand oder dem Distinktor an 
der Flexura duodeno-jejunalis ein¬ 
drückt. Demonstration von Diaposi¬ 
tiven. Dabei zeigt er eine Form von 
Schlingenbildung — Formvariante des 
Duodenum. Im Gegensatz zu anderen 
Autoren, die für die Einführung des 
Duodenalschlauches viele Stunden 
brauchen, gelingt es H., durch ver¬ 
schiedene Lagerungen schon in 20 Mi¬ 
nuten die Olive bis ins Duodenum zu 


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New York» Medizinische Monatsschrift. 


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bringen. Die Hauptsache ist, dass die 
Olive stets am tiefsten Punkte liegt. 
Da die Ulzera zu 90 Prozent im Bul¬ 
bus liegen, gelingt die Darstellung in 
den meisten Fällen ohne Schlauchfül¬ 
lung. 

David (Halle a. d. Saale) : Dünn¬ 
darmstudien. D. hat mit seiner Me¬ 
thode die einzelnen Abschnitte des 
Dünndarms lokalisiert, wobei sich 
eine grosse Mannigfaltigkeit in der 
Lage der Duodenojejunalschlinge er¬ 
gab, und die wahre Entleerungszeit 
des Dünndarms festgelegt. Die Pas¬ 
sagezeit entspricht unseren bisherigen 
Vorstellungen, manchmal kann jedoch 
der. Brei schon nach 1 % Stunde im 
Zökum sein. D. hat dann den Ver¬ 
dauungsgang mit Suspensionen ver¬ 
schiedener Nahrungsmittel — Mehl, 
Fleisch, Spinat — untersucht. Die 
Schlauchuntersuchung stellt auch eine 
Methode zur Kontrolle pharmakologi¬ 
scher Wirkungen dar. D. hat ferner 
die letzte Dünndarmschlinge durch 
Einläufe kontrolliert, indem er den 
Tonus der B a u h i n’schen Klappe 
durch Novokain herabsetzte. 

F. M. Groedel (Frankfurt a. M.): 
Dünndarmerkrankungen im Röntgen¬ 
bild. Vortr. zeigt zuerst einige Fälle 
von Tumoren, die teils in der Nach¬ 
barschaft des Dünndarms liegen, teils 
ihm selbst angehören, z. B. die tuber¬ 
kulösen Tumoren der Ileozökalgegend. 
In einem Fall konnte die Frühdiagno¬ 
se eines Dünndarmkarzinoms gestellt 
werden. G. zeigt, dass die Insuffizienz 
der B a u h i n’schen Klappe meist die 
Folge einer chronischen Perityphlitis 
ist. Ferner demonstriert er eine In- 
vaginatio ileocöcalis bei chronischer 
Appendizitis. Dabei zeigte sich ein 
sehr langer Wurmfortsatz. G. schliesst 
aus seinen Erfahrungen, dass auch bei 
Dünndarmerkrankungen die Diagnose 
häufig durch Röntgenuntersuchung in 
wertvoller Weise ergänzt, ja, in man¬ 
chen Fällen durch sie erst die Krank¬ 
heitsursache aufgedeckt wird. 

Max Cohn (Berlin) : Vom gesun¬ 
den und kranken Wurmfortsatz. C. 
hat die Zeitdauer der Füllung des Pro¬ 
cessus vermiformis und seine Gestalt 
von der vollständigen Füllung bis zur 


Entleerung studiert. Interessante 
Schlüsse Hessen sich ziehen, nachdem 
durch Einlauf oder Abführmittel eine 
völlige Entleerung angestrebt wurde. 
Das Zurückbleiben von Resten bot 
dann wichtige Fingerzeige. Dann und 
wann gelingt die völlige Füllung nicht, 
wie die nachfolgende Operation ergab. 
Gut konnten die mechanischen Ver¬ 
hältnisse, die zur Bildung von Kot¬ 
steinen führten, studiert werden. Für 
die Indikation zur Operation lassen 
sich noch keine weitgehenden Schlüsse 
ziehen. Trotzdem gibt die Röntgen¬ 
untersuchung oft wichtige Anhalts¬ 
punkte über Gesundheit und Krank¬ 
heit des Organs. 

Arthur F r ä n k e 1 (Berlin) : Es 
spricht für chronische Verwachsungen 
am Wurmfortsatz, wenn nach sechs 
Tagen ein Abführmittel gegeben wird 
und der Wurmfortsatz gefüllt bleibt. 

H ä n i s c h (Hamburg) : Beiträge 
zur röntgenologischen Dickdarmdia¬ 
gnostik. H. berichtet über weitere Er¬ 
gebnisse mit der von ihm angegebenen 
Methode der Dickdarmuntersuchung, 
welche auf der direkten Schirmbeob¬ 
achtung des Kontrasteinlaufs beruht. 
Gerade die Beobachtung der eintreten¬ 
den Füllung des Darmlumens ermög¬ 
licht abnorme Verhältnisse mit gröss¬ 
ter Sicherheit zu erkennen. H. demon¬ 
striert dazu eine Reihe von Diapositi¬ 
ven. Karzinom im S romanum. Die 
verengte Partie ist deutlich erkennbar. 
Ventilstenosen im S romanum. Der 
Einlauf überwindet die trichterförmige 
Verengung nicht, obwohl bei Einnah¬ 
me der Kontrastmahlzeit eine glatte 
Passage besteht und sogar noch ge¬ 
formter Stuhl entleert wird. Karzi¬ 
nom in der Ileozökalgegend. Gutarti¬ 
ge Stenose im Aszendens. Perisigmoi¬ 
ditis. Lues des Dickdarms, ulzeröse 
Kolitis und Hepatoptose. Hirsch- 
s p r u n g’sche Krankheit, Megakolon 
und Megasigmoideum. Invagination 
des Zökums bis ins Colon descendens 
bei sieben Monate altem Kinde. 

Schwarz (Wien). Weitere Er¬ 
gebnisse der röntgenologischen Dick- 
darmdiagnostik. Die chronisch katar¬ 
rhalische Dickdarmentzündung kenn¬ 
zeichnet sich durch abnorm gesteiger- 


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New Yobker Medizinische Monatsschrift. 


te Kontraktionserscheinungen. Bei 
schweren geschwürigen Dickdarm¬ 
entzündungen findet man zahllose ver¬ 
ästelte Schattenlinien. Verengernder 
Dickdarmkrebs dokumentiert sich 
durch stabile flüssige Stuhlniveaus mit 
darüberliegenden Gaskuppeln, die 
auch ohne Kontrasteinlauf kenntlich 
sind. Bei der Durchleuchtung wäh¬ 
rend des Einlaufs zeigt sich das Kar¬ 
zinom als Einlaufshindernis, als trich¬ 
terförmige Verengerung oder als Fül¬ 
lungsdefekt. Eine relative Früh¬ 
diagnose ist möglich, daher soll jeder 
verdächtige Fall geröntgent werden. 
Polypöse Geschwülste können sich 
dem röntgenologischen Nachweis ent¬ 
ziehen. 

Bachmann (Leipzig): Ueber die 
Darstellung des Rektumkarzinoms im 
Röntgenbild. B. zeigt Bilder von 
Dickdarmtumoren; er macht den Ein¬ 
lauf durch einen dünnen Katheter, 
welcher sich stets durch den Tumor 
hindurch bis oberhalb des Tumors hin¬ 
aufführen lässt. 

Sabat und Sczepansky (Lem¬ 
berg) : Ueber Interpositio coli hepato- 
diaphragmativa. Vortr. haben in sie¬ 
ben Monaten acht Fälle dieser Erkran¬ 
kung beobachten können und demon¬ 
strieren die Röntgenbilder. 

I. M. J u d t (Warschau): Pneumo¬ 
nie im Säuglingsalter. Im Gegensatz 
zu anderen Autoren hat J. in 80 Pro¬ 
zent der Fälle Herdpneumonien rönt¬ 
genologisch darstellen können. Er % gibt 
vergleichende Röntgen- und Autopsie¬ 
befunde von 185 Fällen. Das Röntgen¬ 
bild zeigt eine ausserordentliche Viel¬ 
gestaltigkeit. Das fibrinarme, die Al¬ 
veolen ausfüllende Exsudat absorbiert 
eine ausreichende Menge von Strah¬ 
len ; die lokale Apneumatose wird 
durch vikariierendes Emphysem kom¬ 
pensiert — dadurch tritt eine Berei¬ 
cherung des Schattenkontrastes ein. 
Bei Konfluenz der Herde wird das 
Bild deutlicher. Hypostatischc para¬ 
vertebrale Streifenpneumonien sind im 
Anfangsstadium nur wenig sichtbar; 
sie kommen zum Vorschein, wenn sich 
infektiöse Vorgänge in den Hyposta¬ 
sen entwickeln. Man kann drei mor¬ 
phologisch-radiologische Hauptgrup¬ 
pen unterscheiden: Knötchenform von 


miliarähnlichem Typus, lobäre Form 
der katarrhalischen Bronchopneumö 
nie und die konfluierende diffuse 
Form. 

B e 11 z (Cöln): Ein Fall von Lun¬ 
gengumma. Ein öOjähriger Mann mit 
unbestimmten Brustbeschwerden, kli¬ 
nisch auffallende Verbreitung dei 
Sternaldämpfung. Röntgenbild zeigt 
eine apfelgrosse, scharf halbkreisför¬ 
mige, begrenzte Beschattung im zwei¬ 
ten lnterkostalraum. Innerhalb der 
Beschattung deutliche Lungenzeich¬ 
nung erkennbar. Wassermann posi¬ 
tiv ; unter Schmierkur verschwand der 
Tumor völlig. Der Sitz des Tumors 
in der rechten Lunge sei typisch für 
Gumma. Demonstration von Diaposi¬ 
tiven. 

H u i s m u s (Cöln) : Die prakti¬ 
schen Vorzüge des Teleokardiogra- 
phen. Der Apparat soll den Orthodia- 
graphen als objektives Instrument er¬ 
setzen, die Herzfunktion prüfen, das 
Herz in einer beliebigen Phase aufneh¬ 
men, was in Verbindung mit dem 
Blitzapparat bei 150 bis 200 cm Ent¬ 
fernung in 1/200 Sekunde gelingt, wo¬ 
bei 400 Milliamperes in der Röhre ge¬ 
messen werden. 

Ziegler (Berlin): Die Diagnose 
beginnender Aortendilatationen na¬ 
mentlich der Aorta descendens und 
des Arcus bereitet auch bei Untersu¬ 
chung im ersten schrägen Durchmes¬ 
ser noch häufig grosse Schwierigkei¬ 
ten. Z. hat durch Untersuchung von 
76 thoraxgesunden Personen eine 
Norm für den Aortenverlauf festge¬ 
stellt und den Winkel bestimmt, bei 
dem während der Drehung in den er¬ 
sten schrägen Durchmesser das helle 
Mittelfeld eben als feiner Spalt für den 
Leuchtschirm sichtbar wurde. Dieser 
Drehungswinkel, den er als Normal¬ 
winkel bezeichnet, liegt im Mittel zwi¬ 
schen 20 und 22 Grad. Er beträgt 
hauptsächlich 21 Grad. Winkel unter 
13 Grad und über 27 Grad Hessen sich 
nur bei Skoliose konstatieren. Auch 
geringe Dilatationen der Aorta ver¬ 
mindern die Grösse des Winkels. Die 
Methode erscheint geeignet, die Dia¬ 
gnose zu fördern. 

E. Falk (Berlin) : Zur Genese der 
Halsrippen. Die Mehrzahl der Hals- 


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New Yokkeb Medizinische Monatsschutt. 


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rippen entwickelt sich aus den Kostal¬ 
fortsätzen des letzten Halswirbels. F. 
konnte nachweisen, dass Halsrippen 
auch dadurch entstehen können, dass 
eine kraniale Verschiebung der Wir¬ 
belbogen stattfindet. Hierdurch kommt 
ein ursprünglich zu einem Brustwirbel 
gehöriger Wirbelbogen mit dem Kör¬ 
per eines Halswirbels in Verbindung, 
sodass die zur Ausbildung kommende 
Halsrippe genetisch als eine vom er¬ 
sten Brustwirbel abstammende Rippe 
aufzufassen ist. F. beweist dies an 
zwei Präparaten und Röntgenbildern. 

Immelmann (Berlin): Röntge¬ 
nologische Differentialdiagnose zwi¬ 
schen Mediastinaltumor und persistie¬ 
render Thymus. Bei dieser findet sich 
neben dem Mittelschatten ein spitz 
nach unten verlaufender Schatten, 
welcher ganz leicht vibriert. Diese Be¬ 
weglichkeit ist pathognomonisch für 
persistierende Thymusdrüsen. 

III. Therapeutische Vorträge: Tiefen- 
und Oberflächentherapie. 

Heineke (Leipzig): Ueber bio¬ 
logische Röntgenstrahlenwirkung. 1. 
Die Wirkung ist bei hochempfind¬ 
lichen und weniger empfindlichen Zel¬ 
len ganz verschieden; auf der einen 
Seite (Lymphozyten) sofortiger Kern¬ 
zerfall, auf der anderen (Epithel, 
Keimdrüsen) langsame Zellenartung 
nach Ablauf einer Latenzzeit. 2. Die 
Latenzzeit ist bisher noch nicht recht 
erklärt worden. Wie H e r t w i g und 
v. Wassermann nachgewiesen ha¬ 
ben, kann den Zellen die Teilungsfä¬ 
higkeit genommen werden ohne direk¬ 
te Abtötung. Diese Sterilisierung der 
Zellen erklärt die Latenzzeit, da alle 
Zellen eine bestimmte Lebensdauer 
haben, nach deren Ablauf ein Gewebs¬ 
defekt entstehen muss, wenn sie nicht 
vermittelst Zellteilung durch neue Zel¬ 
len ersetzt werden. 3. Die verschiede¬ 
ne Reaktionsweise der Geschwülste 
erklärt sich durch die verschiedene 
Empfindlichkeit der normalen Zellen, 
von denen sie ausgehen. 

F. H e i m a n n (Breslau) : Der Ein¬ 
fluss der verschiedenen Filterung bei 
der Mesothorbestrahlung auf das Ka- 
ninchenovarium. H. hat Filter von 1 
mm Messing, 3 mm Aluminium und 


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3 mm Blei angewendet, auch ohne Fil¬ 
ter nur mit dem vqn der Fabrik gelie¬ 
ferten 0.2 mm Silber bestrahlt. Nur 
bei Bleifiltrierung trat die Wirkung 
der Zerstörung der Ovarien ein. Eben¬ 
so klinisch nur bei Blei. Bei Karzinom 
trat raschere Epithelisierung ein. Viel¬ 
leicht handelt es sich um eine Sekun¬ 
därwirkung des Bleis, die Vortr. eher 
für nützlich hält. Projektion. 

W o 1 f f (Berlin) berichtet über sei¬ 
ne Bakterienversuche, die negativ ver¬ 
liefen. Es wird auch bei Tuberkulose 
keine kausale Therapie geleistet. 

Friedländer (Schöneberg) fand 
bei Bestrahlung von Meerschwein¬ 
chenhoden kleine Dosen eben so wirk¬ 
sam wie grosse. 

Grunmach (Berlin) hat diesel¬ 
ben Erfahrungen gemacht. 

E v 1 e r (Berlin) sah bei Eiterung 
Heilwirkung, die auf Fermentwirkung 
bei vermehrter Zelltätigkeit zurückge¬ 
führt wird. 

M e n z e r (Bochum) meint, dass im 
Körper eine Aenderung in der Hülle 
der Bakterien hervorgerufen wurde, 
wenn sie dadurch leichter angreifbar 
werden. 

E b e r 1 e i n (Berlin) weist auf den 
Unterschied in der günstigen Beein¬ 
flussung der Botryomykose am Tiere 
hin, während im Reagenzglas keinerlei 
Einwirkungen zu beobachten sind. 

Hessmann (Berlin) meint, dass 
harte Röhren besser einwirken. E y - 
m e r (Heidelberg) hat auch Einwir¬ 
kungen in vitro gesehen. 

Löwenthal (Braunschweig) : 
Zur Schwerfilter-Therapie. Zur Zeit 
besteht keine Möglichkeit, mit den 
Röntgenröhren Strahlen, welche gleich 
den Gammastrahlen sind, zu erzeugen. 
L. hat mit einer sehr harten Röhre un¬ 
ter 1 bis 2 mm Bleifilter eine Strahlung 
erzeugt, die gleich den Gammastrahlen 
ist. Es gehen also auch durch Blei 
Strahlen hindurch, von denen aber 
trotzdem noch ein Teil im Körper ab¬ 
sorbiert wird. Von den Strahlen, die 
durch 1 mm Zink gegangen sind, wer¬ 
den noch 70 Prozent im Körper absor¬ 
biert. Bei Filterung durch 1 mm Blei 
erzeugt man eine genügend harte 
Strahlung, die ohne Hautschädigung 
anwendbar ist. Hinter den Filtern fin- 


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60 


New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


det man erstens primäre Strahlen, 
zweitens charakteristische Sekundär¬ 
strahlen und dritens eine besondere 
Strahlung, ähnlich den Kathoden¬ 
strahlen. 

Pagenstecher (Braunschweig): 
Ueber die Dauerbehandlung mit Rönt¬ 
genstrahlen. Es werden im ganzen re¬ 
lativ wenige Erfolge bei tiefliegenden 
Tumoren berichtet. Bisher machte 
man kurzzeitige intensive Bestrahlun¬ 
gen, bei denen nur die hohe Dosis in 
Frage kam, dann kamen Pausen we¬ 
gen der Verbrennungsgefahr. Durch 
diese Pausen findet die Geschwulst 
Zeit, sich zu erholen und weiterzu¬ 
wachsen. Um sie zu vermeiden, em¬ 
pfiehlt P. statt 3 mm Aluminium harte 
Filter von % bis 1 mm Blei oder 2 mm 
Kupfer zu verwenden. Schädigungen 
der Haut wurden selbst bei 120stündi- 
ger Bestrahlung derselben Hautstelle 
nicht beobachtet. Zur Ermöglichung 
dieser Dauerbestrahlung, 1 bis 2 Stun¬ 
den pro die, hat P. gemeinsam mit 
Löwenthal einen Filterkasten an¬ 
gegeben, der mit Schwerfiltern ausge¬ 
schlagen, die Bestrahlung von 4 bis 6 
Personen gleichzeitig mit einer Röhre 
gestattet. Ferner hat er eine Röhre 
mit Innenfilter konstruiert. Während 
der Intervalle der Röntgenbestrahlung 
werden kleinere Radiummengen auf¬ 
gelegt. Zu der Filterfrage spricht 
Gau ss (Freiburg), der auch durch 
schwere Filter eine Vermehrung der 
Strahlenwirkung annimmt. G a u s s 
ist wegen Mangels an Radium zur 
Röntgen - Strahlung zurückgekehrt. 
Hessmann (Berlin) bemerkt, dass 
man bei 1 mm Filter Messing viermal 
so lange als bei 3 mm Aluminium be¬ 
strahlen muss, um die gleiche Dosis zu 
erhalten. 

Hessmann (Berlin): Röntgen¬ 
behandlung maligner Tumoren mit 
Massendosen unter besonderer Be¬ 
rücksichtigung der Röntgenstrahlen in 
der Strahlentherapie des' Karzinoms. 
H. gibt grosse Dosen, sogenannte 
Massendosen und hat in 50 Prozent 
seiner Fälle günstige Erfolge. Bei 
Pharynx- und Larynxtumoren kombi¬ 
niert er Radium und Röntgen. Bei die¬ 
sen Massendosen muss eine allgemein 
roborierende Behandlung gleichzeitig 


mit der Bestrahlung eingeleitet wer¬ 
den. Bei Tumoren mit Hautbedeckung 
sind im allgemeinen nur bis 4 S. N. 
unter 3 mm Aluminium anzuwenden, 
besonders bei Kreuzfeuer. Erweichte, 
bezw. einschmelzende Tumoren müs¬ 
sen kanalisiert werden. Nach 4 S. N. 
sah H. Reaktion ersten Grades. Tu¬ 
moren ohne Hautbedeckung bestrahlt 
er mit wechselndem Filter. Bei ge¬ 
wöhnlichen postoperativen Bestrah¬ 
lungen ist bei den meist anämischen 
Patienten Vorsicht am Platz. E§ muss 
im Gegensatz zur Oberflächentherapie 
eine Pause von sechs Wochen eintre- 
ten. Bei perkutaner Behandlung des 
Magenkarzinoms muss man einen Fil¬ 
ter von 5 mm Aluminium anwenden. 
Es empfiehlt sich, die Magentumoren 
zur Bestrahlung durch Vorlagerung 
chirurgisch vorzubereiten. 

W i c h m a n n (Hamburg) : Zur 
Bewertung der Röntgenstrahlen in der 
Strahlentherapie des Karzinoms. Die 
Leistungsfähigkeit der Röntgenstrah¬ 
len in der Therapie des Krebses wird 
durch eine Reihe von Hindernissen be¬ 
grenzt, wie chirurgische Operationen, 
Mischinfektionen, refraktäres, bezw. 
ungünstiges Verhalten des Tumors. 
Manche Karzinome bedürfen weiche¬ 
rer, andere härterer Röntgenstrahlen. 
Eine ungünstige Beeinflussung des 
Tumors kann nicht nur durch zu 
schwache Dosen, sondern auch durch 
grosse, an sich genügende Dosen er¬ 
folgen. Mangelnde Radiosensibilität 
kann manchmal durch Ultraviolett, 
Elektrokoagulation, Abtragen des kar- 
zinomatösen Randes und Geschwulst¬ 
grundes* behoben werden. Manche 
Tumoren werden durch Kombination 
mehrerer Strahlungsfaktoren zur 
Rückbildung gebracht. Falls eine Tie¬ 
fenwirkung über 2 cm erreicht werden 
soll, so werden die Röntgenstrahlen im 
allgemeinen durch Radium ersetzt 
werden müssen. 

Paul Krause (Berlin) : Die Rönt¬ 
genbehandlung der Mammakarzinome. 
Auf Grund eines grossen Materials be¬ 
spricht K. die Therapie der Mamma¬ 
karzinome. Er unterscheidet Bestrah¬ 
lung ohne Operation, Bestrahlung von 
Rezidiven und Nachbehandlung von 
operierten Fällen. Die ausschliesslich 


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New Yoaxzt Medizinische Monatsschrift. 


61 


bestrahlten Fälle bieten eine sehr 
schlechte Prognose. Günstiger sind 
die Resultate nur bei sehr kleinen Tu¬ 
moren und mageren Patientinnen oder 
bei geschwürig zerfallenem Tumor oh¬ 
ne ausgedehnte Drüsenmetastasen. 
Die Rezidive mit Drüsenmetastasen 
bieten ein dankbares Feld bei richtiger 
Bestrahlung und genügender Aus¬ 
dauer von Patienten und Arzt. Es ge¬ 
lingt dann fast immer, die Neubildung 
zum Schwinden oder zur bindegewebi¬ 
gen Degeneration zu bringen. Erfor¬ 
derlich ist ausser der lokalen Bestrah¬ 
lung prophylaktische Therapie des 
Thorax und Halsringes. Was die pro¬ 
phylaktische Bestrahlung anlangt, so 
wird in den Fällen, bei denen es nicht 
gelang, alles Krankhafte zu entfernen, 
oder der begründete Verdacht besteht, 
dass dies nicht der Fall war, das offene 
Wundfeld bestrahlt und sekundär ge¬ 
näht. In den anderen Fällen wird 10 
Tage nach der Operation mit der Be¬ 
strahlung begonnen und in monatli¬ 
chen Serien ein Jahr lang fortgefahren. 
K. plaidiert für grosse Felder, für den 
Thorax und Halsring werden nur vier 
Felder genommen und nur Haupthaar, 
Gesicht und Abdomen abgedeckt. 
Weil die Rezidive fast immer im Un¬ 
terhautbindegewebe auftreten, benutzt 
er unfiltriertes, aber sehr hartes Licht, 
14 bis 15 W. E. Die Resultate sind 
sehr günstig, es ist stets gelungen, Re¬ 
zidive zu vermeiden. 

Manfred F r ä n k e 1 (Charlotten¬ 
burg) : Die Röntgenbehandlung der 
Lungentuberkulose. F. hat in 80 Fäl¬ 
len von Lungentuberkulose 16 Versa¬ 
ger und 64 positive Ergebnisse ver¬ 
zeichnet. Es trat subjektive Besse¬ 
rung ein, Hebung des Allgemeinbefin¬ 
dens, Schwinden der Stiche usw.; ob¬ 
jektiv ergab sich Sistieren des Aus¬ 
wurfs, geringerer Tuberkulosebefund 
und Schwinden der pathologischen At¬ 
mungsgeräusche. Die Hilusdrüsen im 
Röntgenbild wurden kleiner. Anfäng¬ 
liche Fiebersteigerung ist ein Zeichen 
für günstige Beeinflussung. Das tu¬ 
berkulöse Lungengewebe ist empfind¬ 
licher als normales. Die tuberkulösen 
Drüsen reagieren wie das Ovarium 
mit Bindegewebsbildung, narbiger 
Schrumpfung und damit Abkapselung 


der Herde. Die Kavernen bekommen 
dickere Hüllen, pleuritische Schwarten 
lösen sich. F. empfiehlt hohe Dosen 
zur Bestrahlung der einzelnen Herde 
und des ganzen Thorax. 

K ü p f e r 1 e (Freiburg) berichtet 
über seine Tierversuche, in denen er 
eine bindegewebige Abgrenzung der 
tuberkulösen Herde erzeugt hat. 

M e n z e r (Bochum) warnt vor zu 
grossen Hoffnungen. 

Fritz M. Meyer (Berlin) hat Bes¬ 
serung des Befindens bei Tuberkulose 
gesehen; er bestrahlt nach vorn und 
hinten grosse Felder. 

W. Friedländer (Berlin-Schö¬ 
neberg) : Röntgenbehandlung bei Ne¬ 
benhodentuberkulose. F. behandelte 
im Laufe des letzten Jahres sechs Fäl¬ 
le mit mittelharter Strahlung unter 3 
mm Aluminium und gab 2 bis 3 Ery¬ 
themdosen. Er konnte objektiv und 
subjektiv wesentlichen Rückgang der 
krankhaften Veränderung konstatie¬ 
ren. Der Erfolg tritt schneller ein als 
bei der Tuberkulinbehandlung und F. 
empfiehlt, bei dem an sich chronischen 
Verlauf der genannten Affektion vor 
einem chirurgischen Eingriff an den 
Keimdrüsen unbedingt einen Versuch 
mit der Röntgenbestrahlung zu ma¬ 
chen. 

H. E. Schmidt (Berlin): 1. Zur 
Röntgenbehandlung der Furunkulose. 
Sch. hat in 100 Fällen nie einen Miss¬ 
erfolg gesehen. Furunkel heilen 
schneller ab als bei jeder Behandlung. 
Auf den bestrahlten Stellen entstehen 
in der Regel nie wieder Furunkel. 2. 
Zur Frage der Sekundärstrahlenwir¬ 
kung. Vortragender hat nie Schädi¬ 
gungen durch Sekundärstrahlen beob¬ 
achtet. Die Schädigungen, die bisher 
auf die Sekundärstrahlen zurückge¬ 
führt werden, lassen sich als gewöhn¬ 
liche Verbrennungen erklären. 3. Zur 
Wirkung der Röntgenstrahlen auf die 
Speicheldrüsen des Menschen. Bei Be¬ 
strahlung der Hals- und Wangenge¬ 
gend wegen Lupus, tuberkulöser Drü¬ 
sen usw. hat Vortr. Schädigungen der 
Speicheldrüsen beobachtet, die in star¬ 
ker Vermehrung der Speichelabsonde¬ 
rung und daraus resultierender unan¬ 
genehmer Trockenheit im Munde be¬ 
stehend ca. 14 Tage dauerten. Jedoch 


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Nkw Yokku Medizinische Monatsschrift. 


zeigte sich dies nur ausnahmsweise, in 
der Regel wird die Bestrahlung dieser 
Gegend ohne Ausfallserscheinungen 
ertragen. 

Eckstein (Berlin): Ueber einige 
unbekannte Wirkungen der Röntgen¬ 
strahlen und ihre therapeutische Ver¬ 
wertung. Seit fünf Jahren hat E. bei 
Schmerzen traumatischen Ursprungs, 
z. B. bei Kontusionen, die vorzügliche 
Wirkung der Röntgenstrahlen festge¬ 
stellt, die meist augenblicklich, wäh¬ 
rend oder nach der Bestrahlung ein¬ 
trat und einige Stunden, in der Regel 
Tage, ja sogar einige Wochen anhielt. 
Es zeigte sich weiter, dass Schmerzen 
jeder Art günstig beeinflusst werden 
konnten, die Dosen waren meist ge¬ 
ring; die Wirkung zeigte sich schon 
nach 15 Sekunden und wurde von Mi¬ 
nute zu Minute starker. Verwandt 
wurden harte und mittelharte Röhren, 
die bei 0.4 bis 2 MA. in 15 bis 30 cm 
Fokus Hautdistanz 3 bis 7 Minuten 
lang mit und ohne Filter betrieben 
wurden E. empfiehlt die Methode zur 
Benutzung nach Operationen zur Be¬ 
seitigung des Nachschmerzes. Auch 
bei spastischen Zuständen zeigte sich 
die Nachwirkung. 

Fritz M. Meyer (Berlin): Die 
Anwendung filtrierter Röntgenstrah¬ 
len beim chronischen Ekzem. Bei 15 
Fällen schweren chronischen Ekzems 
wurde durch 1 mm Aluminium filtrier¬ 
te Strahlung angewendet und wurden 
ausgezeichnete Erfolge erzielt. In je¬ 
der Sitzung wurde E. D., im ganzen 
2 E. D. gegeben, dann trat eine Pause 
von drei Wochen ein. 

Winkler (Ingolstadt): Dauer¬ 
heilung der Mykosis fungoides. W. 
berichtet über zwei Fälle der seltenen 
Erkrankung bei einer 67jährigen Frau 
und einem 47jährigen Manne; derselbe 
ist seit 1911 geheilt. W. benutzt eine 
harte Röhre, gibt Serien von vier Sit- 
ungen bei 30 cm Abstand und 1 bis 1 l /i 
MA. Belastung, dann tritt eine vier¬ 
wöchige Pause ein. Der Rückgang 
der Neubildung erfolgt sichtlich. 

IV. Physikalisch-technische Vorträge. 

F. M. Groedel (Frankfurt a.M.): 

Verbesserungen am Instrumentarium 
und den Hilfsapparaten für die Rönt- 


genographie. 1. Ein neuer Einschlags¬ 
unterbrecher, bei dem Gas als Dielek¬ 
trikum benutzt wird. 2. Ein neuer Se¬ 
rienapparat. 3. Der Filmkino ist ver¬ 
bessert worden, sodass jetzt 15 Auf¬ 
nahmen in der Sekunde gemacht wer¬ 
den können. Der Apparat wird aber 
stets, wie G. meint, nur ein experimen¬ 
telles Instrument bleiben. 4. Ein neu¬ 
es Aufnahmestativ mit besonderer 
Vorrichtung für genaue Zentrierung; 
es lässt sich gleichzeitig durch Zwi¬ 
schenschaltung einer Nürnberger 
Schare für Teleröntgenographie und 
durch eine besondere Kassettenwech¬ 
selvorrichtung für Stereoskopaufnah¬ 
men verwenden. 5. Die Schaltung für 
Momentstereogramme ist verbessert 
worden und eine Apparatur zur Dop¬ 
pelaufnahme des Herzens bei axial 
verschobener Röhre gestattet, das 
Herz genau zu messen. Endlich lässt 
sich auf einem breiten Filmstreifen die 
Bewegungskurve des Herzens und ein 
Elektrokardiogramm genau nebenein¬ 
ander aufschreiben. 

Holzknecht (Wien): Neue 

Wiener Röntgenmodelle (Schwebe¬ 
kästchen, Distinktoren, Radiometer u. 
s. w.) H. demonstriert neue Hilfsap¬ 
parate, darunter eine Reihe verschie¬ 
den geformter Distinktoren. Ferner 
einen Expositionsschlüssel, der die ge¬ 
naue Expositionszeit mit Hilfe von 
Tabellen abzulesen gestattet; einen 
Schwebekasten, mit dem die Röhre 
frei überall hin bewegt werden kann. 
Eine Vorderblende, Kombination von 
Distinktor mit Buckyeffekt. Eine zir¬ 
kulierende Wasserkühlung — das er¬ 
hitzte Wasser steigt in die Höhe, kal¬ 
tes fliesst nach. H. empfiehlt, beson¬ 
ders bei Gleichrichterapparaten mit ih¬ 
rer weichen Strahlung auch zu Durch¬ 
leuchtungen ein Filter von 1 mm Alu¬ 
minium zu benutzen. 

Jos. Rosenthal (München): Ei¬ 
niges zur Frage der Strahlen-Tiefen- 
therapie. R. spricht über die Unge¬ 
nauigkeit der Messmethoden. Beim 
Vergleich von Sabourand und 
Kienböck ergeben sich grosse Dif¬ 
ferenzen, die mit steigender Röhren¬ 
härte zunehmen. R. fordert zu emsi¬ 
ger Arbeit auf diesem Gebiete auf. 

Dessauer (Frankfurt a.M.) : Das 


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63 


Strahlungsgemisch der Röntgenröhre 
und seine Bedeutung für die Tiefenbe¬ 
strahlung. Die Strahlung einer Rönt¬ 
genröhre ist nicht einheitlich, sondern 
setzt sich aus einer überaus grossen 
Summe von Strahlen verschiedener 
Härte zusammen. Durch besondere 
Anordnung des Apparates gelingt es, 
aus der Röhre eine homogene Strah¬ 
lung von sehr hoher Durchdringungs¬ 
kraft hervorzubringen, von der, wenn 
die Oberflächendosis bestimmt ist, die 
Dosis in jeder Gewebstiefe auf Grund 
einer Tabelle sofort angegeben wer¬ 
den kann. 

Eckert (Berlin): Ein neuer Ap¬ 
parat für die Tiefentherapie. E. de¬ 
monstriert die „schwingende Röhre“, 
ein Stativ, das die Röhre langsam über 
dem Körper hin- und herbewegt. Da¬ 
durch sollen besonders günstige Ver¬ 
hältnisse für die Tiefentherapie ge¬ 
schaffen werden. 

B u c k y (Berlin) : Weitere Mittei¬ 
lungen zur Abblendung der Körper¬ 
strahlung. B. hat sein Wabenfilter, 
das er auf dem vorigen Kongress de¬ 
monstriert hat, weiter durchkonstru¬ 
iert. Die Sekundärstrahlen werden si¬ 
cher ausgeschaltet, wenn die Höhe 
und Seitenlänge jedes Feldes ein be¬ 
stimmtes Verhältnis haben. Die Wa¬ 
benblende gibt ein Uebersichtsbild 
von derartiger Deutlichkeit, wie es 
sonst nur abgeblendete Teilbilder auf¬ 
weisen. Sie ist deshalb besser als die 
Holzknech Esche Vorderblende, 
die stets nur ein Teilbild gibt. 

H. Braun (Solingen) : Erfahrun¬ 
gen mit Vorderblenden zum Ausschal¬ 
ten der Sekundärstrahlen bei Röntgen¬ 
durchleuchtungen und -Aufnahmen 
(Buckyeffekt). B. hat das Buckyfilter 
für Aufnahmen und Durchleuchtun¬ 
gen benutzt. Er rühmt es sehr. Es 
muss sich aber zwangsläufig mit der 
Röhre bewegen, wenn es zentriert ist. 
Es ergab sich, dass es besser wirkt, je 
dicker das Objekt ist, da cs dann 
seihst weniger deutlich in die Erschei¬ 
nung tritt. (Demonstration von Bil¬ 
dern.) 

Silberberg (Berlin) : Hilfsmit¬ 
tel zur Röntgenuntersuchung der Ab¬ 
dominalorgane. S. demonstriert einen 
mit einem Leuchtschirm versehenen 


Zylinder, der als Hohlkompressorium 
dient. 

Menzer (Bochum) spricht für 
das Buckyfilter und wendet sich gegen 
den Distinktor, da durch die Kompres¬ 
sion die physiologischen Verhältnisse 
geändert würden. 

Fr ick (Berlin) lobt das Bucky¬ 
filter, weist aber darauf hin, dass man 
auf hellere Quadrate achten müsse, die 
sich manchmal mitten im Magenbild 
zeigen, andrerseits fänden sich auch 
dunklere Felder. 

B u c k y (Berlin) erklärt diese Er¬ 
scheinungen. Die helleren Felder ha¬ 
ben ihre Ursache in der Metallstrah¬ 
lung, die aber, seitdem mit Blei über¬ 
zogenes Kupfer benutzt werde, mini¬ 
mal geworden sei. Die unregelmässi¬ 
ge Helligkeit sei bedingt durch die 
Rundheit der durchleuchteten Körper. 

Ziegler (Berlin) meint, dass 
zwangsläufige Befestigung nicht nötig 
sei. Auch er hat die helleren Stellen 
gesehen. 

Braun (Solingen) weist darauf 
hin, dass die hellen Felder nur bei 
Aufnahmen, nicht bei der Durchleuch¬ 
tung stören. 

Holzknecht (Wien) hält die 
Kompression in vielen Fällen für not¬ 
wendig, daher sei sein Distinktor be¬ 
deutungsvoll. 

B. Walter (Hamburg): Ueber 
die Wertbemessung der Gummischutz¬ 
stoffe. Der Wert der Gummischutz- 
stoffe liegt ausser in ihrer absoluten 
Schutzwirkung in zweiter Linie in ih¬ 
rer Leichtigkeit. W. gibt eine Formel 
zur Bestimmung der spezifischen 
Leichtigkeit an. Am günstigsten ist in 
dieser Hinsicht das Zinn, sodass ein 
Panzer aus diesem Stoff vielleicht in 
Frage kommen kann. 

Derselbe: Ueber das Preis Ver¬ 
hältnis zwischen Radium und Meso¬ 
thorium. W. stellt unter Zuhilfenahme 
einer Formel fest, dass ein Mesotho- 
riumpräparat zwei Drittel W ert eines 
gleich starken Radiumpräparates hat. 

Buck y (Berlin) : Das Adaptome- 
ter, ein Instrument zur Messung ‘des 
Adaptionsvorganges des menschlichen 
Auges an die Dunkelheit. Das Instru¬ 
ment besteht aus einer regulierbaren 
Glühlampe, die sich hinter einer Grün- 


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scheibe befindet. Sie kann erst nach 
Adaption des Auges gesehen werden. 
(Demonstration des Apparates.) 

G. Grossmann (Charlotten¬ 
burg) : Kritische Betrachtungen über 
die heutigen Dosimeter. Wenn die im 
Prüfkörper gemessenen Veränderun¬ 
gen ein physikalisch richtiges Mass 
der Oberflächendosis der der gleichen 
Strahlung ausgesetzten Haut darstel¬ 
len, so müssen drei Hauptbedingun¬ 
gen erfüllt sein: die vom Prüfkörper 
aufgefangene Dosis muss der Ober¬ 
flächendosis proportional sein, es müs¬ 
sen stets die gleichen Bruchteile der 
vom Prüfkörper aufgefangenen Dosis 
in eine messbare Energie umgeformt 
werden; die im Prüfkörper eintretende 
Veränderung muss ein eindeutiges 
Mass jener Energie darstellen. G. be¬ 
spricht dann die Gesetze, nach denen 
diese Veränderungen eintreten. Am 
besten entspricht ihnen das Jonoquan- 
timeter, Sabourand-Noire nur annä¬ 
hernd, der Kienböckstreifen gar nicht. 
Es kann heute noch nicht mit voller 
Bestimmtheit gesagt werden, dass das 
Jonoquantimeter ein absolut sicheres 
Messinstrument darstellt, aber es ist 
sehr wahrscheinlich, dass es für alle 
Strahlenarten anwendbar ist. 

Immelmann und Schütze 
(Berlin): Praktische Erfahrungen mit 
dem Fürstenau’schen Intensimeter. 
Das Für stena u’sche Intensimeter 
baut sich auf der Einwirkung der 
Röntgenstrahlen auf Selen auf — es' 
ist ein Dosierungsinstrument für Be¬ 
strahlung und Diagnose. Die Haupt¬ 
bestandteile sind eine Zeigerskala und 
eine Auffangedose, die Selen enthält; 
diese wird mitbestrahlt; sie steht 
durch eine Leitungsschnur mit der 
Zeigerskala in Verbindung, die im 
Schutzhaus aufgestellt werden kann. 
Die Skala ist in Beziehung gesetzt zu 
dem alten Messverfahren. Das Instru¬ 
ment soll schnell und genau arbeiten. 

Levy-Dorn (BerLin): Vergleich 
einiger Dosimeter. Die Angaben an 
sich verhältnismässig zuverlässiger 
De simeter für die Menge der Rönt¬ 
genstrahlen. welche sie treffen, gehen 
weit auseinander, wenn man die Härte 
der Strahlen variiert. Dadurch ist 


eine grosse Verwirrung entstanden. 
L. hat durch eine Reihe vergleichen¬ 
der Messungen zwischen zwei gang¬ 
baren Dosimetern die sich ergebenden 
Abweichungen in eine Tabelle zusam¬ 
mengefasst, um bündige Rückschlüsse 
für die Angaben der anderen zu er¬ 
möglichen. Die Differenzen betragen 
bis zum Vierfachen. Solche Vergleiche 
sollten systematisch durchgeführt 
werden. 

Hammer (Freiburg i. Br.): Di¬ 
rekt zeigendes Dosimeter für Rönt¬ 
gen- und Radiumstrahlung. H. zeigt 
ein Jonoquantimeter mit direkt ables¬ 
barer Skala. 

Gottw. Schwarz (Wien): Eine 
neue Methode der Osmoregulation auf 
Distanz. Die Schwär z’sche Metho¬ 
de ermöglicht die Osmoregulierung 
ohne Flamme. Der Apparat besteht 
aus zwei Elektroden, die das Osmo- 
röhrchen umfassen und zum Glühen 
bringen — wie bei der Galvanokaustik. 
Darüber ist ein Glaszylinder gestülpt, 
in dem sich ein mit Aethylalkohol ge¬ 
tränkter Wattebausch befindet. Die 
Dämpfe diffundieren, ohne sich zu 
entzünden, in das Innere und machen 
so die Röhre weicher. 

Levy-Dorn (Berlin): Ueber die 
Coolidgeröhre der A. E. G. Die Coo- 
lidgeröhre unterscheidet sich in ihrem 
Aufbau und Wesen ganz erheblich von 
den bisherigen Röntgenröhren. Sie ist 
so hoch evakuiert, dass sie unter der 
gewöhnlichen Betriebsweise nicht an¬ 
spricht. Im Vakuum entstehen nun, 
wenn Metall zum Glühen gebracht 
wird, Elektronen, die dem. Betriebs¬ 
strom eine Leitung darbieten. Die 
Kathode besteht aus Wolfram, das 
beim Erhitzen keine Luft abgibt — sie 
wird erhitzt, gibt Elektronen ab und 
nun kann die Röhre betrieben werden. 
Je heisser die Kathode wird, je mehr 
Elektronen entstehen, desto weicher 
läuft die Röhre. Die Härte ist ausser¬ 
dem von der Belastung abhängig. Die 
Röhre leuchtet nicht auf, da die Glas¬ 
wand negativ aufgeladen ist, und die 
auftreffenden Kathodenstrahlen ab- 
stösst. Die Röhre befindet sich im 
Versuchsstadium, sie zeigt aber jetzt 
schon gewisse Vorzüge vor den alten 


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65 


Typen — da eine Röhre für alle 
Zwecke — weiche und harte Strah¬ 
lung, brauchbar ist. 

B 1 u m b e r g (Berlin): Einige Be¬ 
merkungen über die Coolidgeröhre. 
B. hat Versuche mit der Coolidgeröhre 
angestellt, die ergaben, dass die Röhre 
vier Stunden ohne Unterbrechung be¬ 
trieben werden kann. Die Kugel er¬ 
wärmt sich sehr wenig. B. hat die 
Erythemdose in 18 cm Entfernung un¬ 
ter 3 mm Aluminium in drei Minuten 
erreicht. Der Gebrauch des Akkumu¬ 
lators zur Erhitzung der Kathode ist 
noch unbequem. 

Dessauer (Frankfurt a. M.): 
Erzeugung von gammastrahlenarti¬ 
gen Röntgenstrahlen in den Röntgen¬ 
röhren. D. hat beim Betriebe von 
Röntgenröhren mit seinem Reformap¬ 
parat, indem er nur die Kuppen der 
Stromwellen herausschneidet, härtere 
Strahlung erzeugt. Es können auch 
mit weichen Röhren ganz harte Strah¬ 
len hervorgerufen werden; die Strah¬ 
lung wird auch härter bei Temperatur¬ 
erniedrigung der Antikathode. Die so 
erzeugten Röntgenstrahlen sind 10 bis 
20mal durchdringender als gewöhnli¬ 
che und stehen nahe bei der Gamma¬ 
strahlung. Es ergeben sich daraus 
neue Möglichkeiten für den Ersatz der 
Radiumstrahlung durch Röntgen¬ 
strahlen. 

Gust. Grossmann (Charlotten¬ 
burg) : Ueber Sekundärstrahlen und 
Strahlenfilter. Die quantitative Wir¬ 
kung der Sekundärstrahlen lässt sich 
heute noch nicht berechnen, weil noch 
sehr wenig darüber bekannt ist, wel¬ 
che Bruchteile der vom Sekundär¬ 
strahlensender absorbierten Primär¬ 
strahlenmenge in Sekundärstrahlen¬ 
energie umgeformt werden. Unter 
Benutzung der bisher vorhandenen 
spärlichen Erfahrungsdaten gelangt 
G. zu dem Ergebnis, dass die in der 
unmittelbaren Umgebung des Sekun¬ 
därstrahlensenders erzielbare Dosis 
bei Eisen, bezw. Nickel, Kupfer und 
Zink, das 1:15 bis 1.30fache der an der 
gleichen Stelle entstehenden und von 
der Primärstrahlung allein herriihren- 
den Dosis beträgt. Stoffe grossen 
Atomgewichts geben wahrscheinlich 
günstigere Resultate. — Was die 


Strahlenfilter anlangt, so verhalten 
sich alle Stoffe, deren Atomgewichte 
kleiner sind als 80, ebenso wie Alu¬ 
minium, d. h. je härter die Primär¬ 
strahlung, desto mehr Strahlen gehen 
durch das Filter hindurch. Silber ver¬ 
hält sich anders — sein Absorptions¬ 
vermögen nimmt erst ab, steigt bis zu 
einer gewissen Härte hart an, um dann 
wieder abzunehmen. 

W. Freih. v. Wieser (Wien): 
Methode zur Erzeugung konvergenter 
und paralleler Röntgenstrahlen. Durch 
eine besonders angeordnete Antika¬ 
thode und ein vor der Röhre liegendes 
Filter gelingt es v. W., Strahlen von 
bestimmter Konvergenz resp. paralle¬ 
le Strahlen zu erzielen. 

G r i s s o n (Berlin): Technische 
Neuerungen. G. gibt eine Apparatur 
für Röntgentiefenbestrahlung und eine 
für diese geeignete Röntgenröhre mit 
doppelter Luftkühlung an. G. hatte 
eine Formel für G-Einheiten angege¬ 
ben. Jetzt hat er ein Messgerät, wel¬ 
ches das Ausrechnen nicht mehr nötig 
macht. 

V. Diagnotische Vorträge. 

(Skelett, Allerlei.) 

Aug. Grob (Affeltern a. A.) : Er¬ 
gebnisse experimenteller Stauchung 
und Biegung am vorderen Ende des 
Vorderarmes. G. hat an 44 Knochen 
Studien über die Biegung und Stau¬ 
chung des Vorderarmes angestellt und 
gibt an der Hand von Zeichnungen 
und Röntgenpausen Aufschlüsse über 
die Parallelität resp. Gegensätzlichkeit 
der experimentellen Tatsachen zu den 
klinisch beobachteten Fällen. 

Franz Wohlauer (Charlotten¬ 
burg) : Demonstration von Röntgen¬ 
bildern tabischer Arthropathien. W. 
zeigt an einer grösseren Zahl von Dia¬ 
positiven die Veränderungen, die tabi- 
sche Osteoarthropathien im Röntgen¬ 
bild darbieten. Es ist ihm wiederholt 
gelungen, aus dem Röntgenbefund die 
Diagnose einer in den Anfangsstadien 
befindlichen Tabes zu stellen. In ei¬ 
nem Falle liess sich der Zusammen¬ 
hang zwischen Lues und Tabes zei¬ 
gen, indem das Kniegelenk eine tabi- 
sche Arthropathie aufwies, während 
die Tibia das typische Bild einer sy- 


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66 


New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


politischen Knochenerkrankung dar¬ 
bot. 

Grashey (München): Röntgeno¬ 
logische Fehldiagnosen. G. zeigt Bil¬ 
der, in welchen Fehldiagnosen gestellt 
bezw. eben noch vermieden wurden. 
Ein Sarkom des Schenkelhalses und 
ein Wirbelsarkom wurden für chro¬ 
nisch-entzündliche Prozesse gehalten. 
In einem Falle wurde ein Schenkel¬ 
halssarkom diagnostiziert, bei der 
Operation makroskopisch als Sarkom 
angesehen, während die mikroskopi¬ 
sche Diagnose Osteoidchondrom lau¬ 
tete. Erst bei der Rezidivoperation 
stellte der Pathologe die Diagnose 
chondroblastisches Sarkom. Eine nur 
noch ein Stück einschneidende Ole¬ 
kranonepiphysenlinie wurde für Frak¬ 
tur gehalten. G. zeigt ein Os ramuli, 
durch dessen doppelseitiges Bestehen 
die Frakturdiagnose zu vermeiden 
war. 

Graessner (Cöln a. Rh.): Der 
röntgenologische Nachweis der Spina 
bifida occulta. G. demonstriert ver¬ 
schiedene Formen der Spina bifida oc¬ 
culta der Lumbosakralgegend am Ske¬ 
lett und im Röntgenbild vom Leben¬ 
den. Sie kommt häufig vor, gewinnt 
praktisches Interesse im zweiten Le¬ 
bensjahrzehnt, wenn Gefühlsstörun¬ 
gen, Geschwüre der Füsse, Fussver- 
bildungen auftreten. In den meisten 
Fällen ist die Diagnose nur durch das 
Röntgenbild zu stellen. Frühes Er¬ 
kennen ist von grossem Wert, da 
durch Lösung bezw. Durchschneidung 
von Narbensträngen und Verwachsun¬ 
gen im Wirbelkanal, welche auf die 
Nerven drücken, eine Besserung zu er¬ 
zielen ist. In 60 bis 70 Prozent wurde 
die Spina bifida occulta bei Bettnäs¬ 
sern, ferner bei Frauen mit Scheidcn- 
und Uterusprolaps gefunden. Endlich 
fand G. das Leiden bei Unfallverletz¬ 
ten, die nach blossem Verheben über 
langdauernde Schmerzen im Kreuz 
klagten. 

W. A 1 t s c h u 1 (Prag) : Röntgen¬ 
befunde bei Myelodysplasie. A. hat 32 

Fälle von Bettnässern, Kinder und Er¬ 
wachsene, untersucht und in 22 Fällen 
Anomalien der Lenden- und Kreuz¬ 
beingegend gefunden. Zehn Fälle wa¬ 
ren normal. Bei fünf Fällen kam es zu 


keiner direkten Spaltbildung, sondern 
nur zu einer Verkümmerung der Dorn¬ 
fortsätze und Verschmälerung der 
Wirbelb.ögen. In 15 Fällen fanden sich 
Längsspalten. 

A. Köhler (Wiesbaden): Zur Pa¬ 
thologie des Os naviculare pedis der 
Kinder. K. bringt weitere Klärungen 
über Erkrankung des Os naviculare 
pedis (Köhler). In fast der Hälfte 
von bis jetzt 35 Fällen (Beobachtun¬ 
gen aller Autoren) war auffallend, 
dass die Kinder in den ersten Lebens¬ 
monaten äusserst schwach und elend 
waren. Wenn die Entwicklungshem¬ 
mung in ursächlichem Zusammenhang 
mit der fraglichen Navikularerkran- 
kung steht, dann wird sie sich wahr¬ 
scheinlich auch bei Myxöden finden. 
Vortr. fand in einem Falle von Myxö¬ 
dem, dem einzigen, den er untersuchen 
konnte, dass Leiden an beiden Navi- 
cularia in typischer Weise. 

Bachmann (Leipzig) hat zwei 
Fälle beobachtet und dabei merkwür¬ 
dige Epiphysenveränderungen gese¬ 
hen. 

Gr.ashey (München) führt das 
Leiden auf Entwicklungsstörungen 
zurück. 

Behn (Kiel) hat fünf Fälle gese¬ 
hen, bei Myxödem aber nichts gefun¬ 
den. 

D e 1 o r m e s (Halle) denkt an eine 
übermässige Gefässwucherung im prä- 
ossalen Stadium. 

Köhler schaltet nach alledem ein 
Trauma als Ursache definitiv aus. 

K r e i s s (Dresden) : Röntgenolo¬ 
gische Beckenmessungen. Mitteilung 
von Resultaten mit dem Kehrer-Des- 
sauerschen Beckenmessapparat. Wenn 
Promontorium und Symphyse genau 
auf der Platte sichtbar sind, lässt sich 
die Conjugata vera auf den Millimeter 
genau bestimmen. Bis zum 5. bis 6. 
Monat gelingt es fast immer, eine 
brauchbare Aufnahme zu erzielen, am 
Ende der Gravidität nur ausnahms¬ 
weise. Die Röntgenmessung hat den 
Vorzug der Gefahrlosigkeit, besonders 
in den Fällen, bei denen Sectio caesa¬ 
rea in Frage kommt. 

G. Loose (Bremen) : Projektion 
seltener Röntgenbefunde. L. zeigt 
Bilder von Missbildungen, Fremdkör- 


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pern, einem Pneumothorax, der durch 
einen heftigen Hustenstoss entstanden 
ist. Magen mit zwei Stenosen, ein 
Lithopädion, das im kaudalen Bauch¬ 
teil einer 75jährigen Frau lag. 

N e m e n o w (St. Petersburg) : De¬ 
monstration verschiedener Diapositi¬ 
ve. N. zeigt Bilder von Nadeln im 
Abdomen, die Operation förderte aus 
dem Magen 193 Nadeln zutage, 
Stricknadeln in der Blase, Beckennie¬ 
re mit doppeltem Ureter. Mehrere 
Uretermissbildungen, Gallensteine, ta- 
bische Arthropathie am Ellbogenge¬ 
lenk, Ulcus ventriculi et duodeni, 
Pneumatocele cranii. 

J. Schütze (Berlin): Demonstra¬ 
tion einiger seltener Röntgenogramme 
(aus dem Institut von Dr. Immel- 
mann). Sarkom der Wirbelsäule, 
Epicondylitis am Ellbogen, Hirntu¬ 
mor, Kalkherd im Schädel, Bursitis 
subacromialis. 

Rosenblatt (Odessa): Demon¬ 
stration einiger seltener Röntgenbil¬ 
der. R. zeigt ein Sarkom der Ulna, 
das reseziert und durch ein Stück der 
Fibula ersetzt wurde. Nach acht Mo¬ 
naten trat ein Rezidivsarkom im trans¬ 
plantierten Fibulaköpfchen auf. Es 
handelt sich entweder um Hinein¬ 


wachsen von Sarkomzellen aus der 
Umgebung oder, da die Geschwulst 
zentral sitzt, kann schon eine Meta¬ 
stase vor der Transplantation im Ca- 
pitulum fibulae vorhanden gewesen 
sein. 2. Angeborenes Divertikel der 
Speiseröhre. 3. Speiseröhrendiverti¬ 
kel. 4. Blinde Endigung des Colon 
descendens und kanalartige Verbin¬ 
dung der Flexura coli sin. mit der Am- 
pulla recti. 

S a b a t (Lemberg): Seltene Rönt¬ 
genbefunde. S. zeigt eine Kranioste- 
nose, Chondrokystom, Hydropyopneu- 
moperikard, Arteriosklerose der Aorta 
am Arcus und in der Pars descendens. 
Hämatom des Thorax, am Rand loka¬ 
lisiert. Colitis ulcerosa tuberculosa. 
Verkalkte tuberkulöse Niere. Sub¬ 
phrenischer Abszess mit Gasbildung, 
grosse Abdominalzyste, die sich als 
enorm erweiterte Gallenblase heraus¬ 
stellte. 

Max S c h e i e r (Berlin) : Zur Ver¬ 
wertung der Röntgenstrahlen für die 
Physiologie der Sprachlaute. Sch. 
zeigt die Haltung der Zunge und des 
weichen Gaumens im Röntgenbild bei 
den verschiedenen Vokalen und Diph¬ 
thongen der deutschen und fremden 
Sprachen. 


23. Versammlung der Deutschen otologischen 

Gesellschaft.* 

Kiel, 28. und 29. Mai 1914. 

(Fortsetzung und Schluss.) 


Denker (Halle a. d. S.): Ueber 
Untersuchungen des Blutes von Oto- 
sklerotikem mit dem Abderhalden- 
schen Dialysierverfähren. Vortragen¬ 
der hat auf dem Internationalen Oto- 
logenkongress in Boston die Hypothe¬ 
se aufgestellt, dass Anomalien der 
Hypophysenfunktion in ursächlichem 
Zusammenhang mit der Otosklerose 
stehen. Er gelangte zu dieser Annah¬ 
me durch die oftmals zu konstatieren- 


* Kollektivbericht der „Vereinigung der 
Deutschen mediz. Fachpresse* 4 . 


de zeitliche Koinzidenz der Gravidität 
resp. des Puerperiums mit dem Beginn 
der Ototsklerose. Die regelmässig 
auftretende Vergrösserung der Hypo¬ 
physe lässt sich zurückführen auf eine 
herabgesetzte Tätigkeit des Ovariums. 
Zu dieser Ansicht ist man berechtigt, 
weil eine Hypoplasie der Hypophyse 
nach der Kastration von weiblichen 
und männlichen Versuchstieren auf- 
.tritt und ferner, weil es gelingt, durch 
Zufuhr der Extrakte von Keimdrüsen 
die Hypophysenhyperplasie zu verhin¬ 
dern oder einzuschränken. Es ist aus- 


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serdem bekannt, das sinfolge einer ge¬ 
störten oder gesteigerten innersekreto¬ 
rischen Funktion der Hypophysis die 
als Akromegalie bezeichneten Kno¬ 
chenveränderungen auftreten. Dass 
die Akromegalie in ursächlichem Zu¬ 
sammenhang mit der Hypophysenver- 
grösserung steht, scheint dadurch be¬ 
wiesen, dass durch die Operation des 
Hypophysentumors die Akromegalie 
beseitigt werden kann. Wenn auch 
die Alteration der Labyrinthkapsel bei 
Otosklerose nicht vollkommen gleich¬ 
zustellen ist mit den Knochenverände¬ 
rungen der Akromegalie, so ist doch 
das zeitliche Zusammentreffen der hy¬ 
pophysär bedingten Knochenaltera¬ 
tion bei Gravidität mit dem Beginn 
der Otosklerose sehr auffallend und 
lässt einen ätiologischen Zusammen¬ 
hang zwischen einer Dysfunktion der 
Hypophysis und der Entstehung der 
Otosklerose vermuten. Um diesem 
Zusammenhang weiter nachzufor¬ 
schen, hat Denker vermittelst des 
Abderhalde n’schen Dialysierver- 
fahrens nach Abwehrfermenten gegen 
Abbauprodukte der Hypophyse in 
dem Blute von Otosklerotikern ge¬ 
forscht. Es wurden im ganzen 22 Fäl¬ 
le von Otosklerose und 13 Kontroll- 
fälle untersucht. Von den 22 Otoskle- 
rosefällen wurde 17mal Hypophyse 
abgebaut, während 5mal der Versuch 
negativ ausfiel. Bei 13 Kontrollfällen 
wurde Hypophyse 4mal abgebaut, 9- 
mal dagegen fiel der Versuch negativ 
aus. Es ergab sich demnach das in¬ 
teressante Resultat, dass bei Otoskle¬ 
rotikern in etwa 77 Prozent der Fälle 
Hypophyse abgebaut wurde, während 
dies bei den Kontrollfällen nur in 30 
Prozent der Fall war. Wenn man 
auch aus diesen Ergebnissen noch kei¬ 
ne allzuweitgehenden Schlüsse ziehen 
darf, so scheint das gefundene Resul¬ 
tat doch dafür zu sprechen, dass wahr¬ 
scheinlich der Hypophyse eine ursäch¬ 
liche Rolle .bei der Entstehung der 
Otosklerose zukommt, und man ist zu 
dieser Annahme umsomehr berechtigt, 
als auch die oben angeführten Gründe 
für den supponierten Zusammenhang 
zwischen einer Dysfunktion der Hy¬ 
pophyse und der Otosklerose zu spre¬ 
chen scheinen. Weitere Untersuchun¬ 


gen müssen in der Angelegenheit Auf¬ 
klärung schaffen. 

Zimmermann (Halle): Das 
Abderhalden’sche Dialysierverf ähren 
und die Diagnose der otogenen intra¬ 
kraniellen Komplikationen. Vortr. 
bespricht an Hand einer grossen Serie 
von eigenen klinischen wie experimen¬ 
tellen Untersuchungen am Kaninchen 
die Bedeutung, welche dem Dialysier- 
verfahren Abderhaldens für die 
Diagnose und die operative Indika¬ 
tionsstellung der vom Ohr aus indu¬ 
zierten intrakraniellen Komplikatio¬ 
nen zukommt, und stellt eine ganze 
Reihe von Thesen auf, die die bisheri¬ 
gen praktischen Ergebnisse zusam¬ 
menfassen und eine Orientierung für 
die weitere Forschung geben sollen. 
Als Wesentlichstes hat sich ergeben, 
dass regelmässig spezifische, auf Ner¬ 
vengewebe eingestellte Fermente im 
Plasma der Patienten oder Versuchs¬ 
tiere auftreten, wenn das Gehirn nach¬ 
weisbar erkrankt ist oder aber im Ver¬ 
such eine artifizielle Läsion erfahren 
hat, dass aber umgekehrt bei nach¬ 
weisbar intaktem Zentralorgan die 
Abderhalde n’sche Reaktion im 
Dialysierversuch ausnahmslos negativ 
ausfällt. Z. ist der festen Ueberzeu- 
gung, dass die serologischen Metho¬ 
den Abderhaldens, entgegen al¬ 
len Anfechtungen, auch für den Otia¬ 
ter praktisch diagnostische und thera¬ 
peutische Bedeutung haben werden, 
dass es aber noch vieler Arbeit, Nach¬ 
prüfung und Korrektion bedürfe, bis 
sich endgültig ein brauchbarer Kern 
herausschälen wird. 

Knick (eipzig): Serodiagnosti¬ 
sche Untersuchungen mit Hilfe des 
Abderhalden’schen Dialysierverfah- 
rens bei otogenen intrakraniellen 
Komplikationen. Untersuchungen auf 
hirnabbauende Fermente im Blut¬ 
serum mit Hilfe des Abderhal- 
d e n'schen Dialysierverfahrens erga¬ 
ben bei unkomplizierter Otitis media 
und Mastoiditis fast durchweg negati¬ 
ve Resultate. Bei komplizierter — 
Extraduralabszess, Sinusthrombose 
und Meningitis — waren die Reaktio¬ 
nen teils positiv, teils negativ, ohne 
dass sich daraus bestimmte Regeln ab¬ 
leiten lassen. Dasselbe fand sich auch 

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bei drei Hirnabszessen, die bald nega¬ 
tiv, bald positiv reagierten. Die prak¬ 
tische Bedeutung der Methode für die 
Diagnose' intrakranieller Komplikatio¬ 
nen scheint daher vorläufig noch zwei¬ 
felhaft. 

Siebenmann und Nakumu- 
ra (Basel) demonstrieren mikroskopi¬ 
sche Labyrinthpräparate von Meer¬ 
schweinchen, welche teils mit Methyl-, 
teils mit Aethylalkohol akut und chro¬ 
nisch vergiftet worden waren. Die 
minimalen aber konstanten degenera- 
tiven Veränderungen beschränken sich 
auf die Enden des peripheren Neurons 
des Vestibularis, hauptsächlich aber 
des Cochlearis, d. h. auf die Kerne der 
Haarzellen und der Ganglienzellen 
und in geringerem Grade auf die zu¬ 
gehörigen Nervenfasern. 

Otto Mayer (Wien) : Demonstra¬ 
tion histologischer Präparate eines 
funktionell geprüften Falles von Bo¬ 
gengangsfistel. 21jähriger Mann mit 
hochgradiger Phthisis pulmonum lei¬ 
det seit einem Jahre an schmerzlos 
aufgetretener rechtsseitiger Mittelohr¬ 
eiterung, seit zwei Tagen an heftigem 
Schwindel. Ohrbefund rechts: Total¬ 
destruktion des Trommelfells, profuse 
Eiterung. Gehör auf dem kranken Ohr 
für Flüsterstimme auf 2 m, Labyrinth 
kalorisch gut erregbar, Kompressions¬ 
nystagmus sehr leicht auslösbar (Tra¬ 
gusdruck). Kein Spontannystagmus, 
Drehschwindel. — Unter Behandlung 
Abnahme der Sekretion, nach drei 
Wochen Aufhören des Schwindels, 
Gehör gleich, Labyrinth kalorisch er¬ 
regbar, Fistelsymptom nicht mehr 
auslösbar. Tod infolge Hämoptoe. — 
Histologischer Befund: Defekt der 
knöchernen Labyrinthkapsel im äusse¬ 
ren Schenkel des horizontalen Bogen¬ 
ganges; am Rand des Defektes Span¬ 
gen neugebildeten Knochens, der De¬ 
fekt durch junges Bindegewebe und 
das grösstenteils erhaltene Endost 
verschlossen. Gerinnungserscheinun¬ 
gen der Perilymphe mit geringen Zell¬ 
beimengungen im horizontalen Bogen¬ 
gang, in der Cysterna perilymphatica 
vestibuli und der basalen Schnecke. In 
den Endolymphen nur wenige Gerinn¬ 
sel. Schlusssätze: 1. Trotz Defekts im 
Knochen (Usur) des horizontalen Bo¬ 


genganges kann bei erhaltener kalori¬ 
scher Erregbarkeit das Fistelsymptom 
nicht auslösbar sein. 2. Trotz gerin¬ 
ger, diffuser, seröser Labyrinthitis 
kann ein gutes Hörvermögen vorhan¬ 
den sein. Auch bei tuberkulöser Mit¬ 
telohreiterung besteht die Möglichkeit 
der Heilung des Defektes der knöcher¬ 
nen Labyrinthkapsel. 

H a e n 1 e i n (Berlin) : Der Taub¬ 
stumme in medizinischer (otologi- 
scher), medizinisch-statistischer Hin¬ 
sicht in Deutschland und anderen 
Staaten. 

1. Die obligatorische Schulpflicht ist 
für ganz Deutschland zu erstreben. Es 
ist dann bessere Möglichkeit zur Klä¬ 
rung wissenschaftlicher Fragen des 
Taubstummenwesens gegeben. 

2. Die beamteten Aerzte sind für die 
Untersuchung schulpflichtiger taub¬ 
stummer Kinder vorzubilden. 

3. Eine für Deutschland uniforme 
Bestimmung der Hörgrenze, bis zu 
welcher Kinder in Taubstummenan¬ 
stalten (resp. Schwerhörigenklassen) 
gehören, ist zu erstreben. Wünschens¬ 
wert ist Klassifikation der Taubstum¬ 
men nach Hörresten. Da in den Taub¬ 
stummenanstalten einzelner Bundes¬ 
staaten Kinder sind, die in Schwerhö- 
rigen-Schulen, sogar Schulen für 
schwachsinnige Kinder gehören, kön¬ 
nen statistisch und in der Beurteilung 
der Schulleistung falsche Bilder ent¬ 
stehen. 

4. Aufgaben des Schularztes der 
Taubstummenanstalten als Hygieni¬ 
ker, Arzt, Ohren-, Nasen- und Hals¬ 
arzt. 

5. Der grosse Wert der kontinuierli¬ 
chen Tonreihe für die Taubstummen¬ 
forschung resp. Otologie, ihr geringe¬ 
rer Wert für den Lehrer. 

Die Bemühungen der Beschaffung 
von Schläfenbeinen verstorbener 
Taubstummer, die in vivo mit der 
Tonreihe untersucht waren, sind zu 
verstärken. 

6. Die staatliche und die nicht amt¬ 
liche medizinische Statistik des Taub¬ 
stummenwesens in Deutschland. 

7. Statistisch bearbeitet oder zu be¬ 
arbeiten sind: 

a) Ursache der Taubstummheit. 

b) Schädelbildung bei vor der Ge- 

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burt Ertaubten (Kopfmasse, Zähne, 
Gaumenbildung). 

c) Ohr, Auge, Sprachwerkzeuge und 
ihre Funktion. 

d) Sprache, * Sprachfehler (phoneti¬ 
sche Fragen). 

e) Brustumfang, Vitalkapazität. 

f) Grösse, Gewicht, rohe Kraft. 

g) Tast-, Vibrationsgefühl. 

h) Psyche, Nervensystem, geistige 
Fähigkeiten. 

8. Taubblinde. 

9. Hinweise auf diese Fragen in aus- 
serdeutschen Staaten. 

O. Mauthner (Mähr.-Ostrau): 
Ein otologischer Beitrag zur natur¬ 
wissenschaftlichen Kunstbetrachtung. 
Vortr. berichtet über seine Studien zur 
Darstellung des Kindesohres in der 
Kunst. Er sieht dabei von phyloge¬ 
netischen und anthropologischen Ge¬ 
sichtspunkten vorläufig absichtlich ab. 
Den kardinalen Unterschied zwischen 
der Form des Kinderohres und der des 
Ohres erwachsener Menschen vorerst 
festlegend, schreitet er zur Betrach¬ 
tung des Kinderohres in den Darstel¬ 
lungen aller Kunstperioden. An der 
Hand zahlreicher Photographien und 
Kunstblätter, welche in historischer 
Anordnung vorgeführt werden, kommt 
Vortr. zu folgendem Schluss: Den 
erkannten Unterschied zwischen dem 
Ohr des Erwachsenen und dem Kin¬ 
derohr sowie die anatomische richtige 
Wiedergabe des Kinderohres zum 
Gradmesser künstlerischen Könnens 
erhebend muss konstatiert werden, 
dass selbst in den Glanzperioden der 
Antike der Griechen, der Renaissance 
und der Modernen das Modellstudium 
nicht immer bis zu dieser Feinheit ge¬ 
nauester Beobachtung und naturge¬ 
treuester Wiedergabe vorgedrungen 
ist und dass neben ausgezeichneten 
Darstellungen Kinder mit ihrer Alter¬ 
stufe nicht entsprechenden Ohren, ja 
sogar mit Ohren von Erwachsenen 
dargestellt werden. Vortr. meint, dass 
die Fortsetzung seiner Studien man¬ 
che Erweiterungen mit sich bringen 
werde, dass wir aber noch weit davon 
entfernt sind, die bisherigen Ergeb¬ 
nisse zu kunstkritischen Zwecken 
selbständig zu verwenden. 

A 1 b a n u s (Hamburg) : Demon¬ 


stration zur Radium-Mesothoriumbe¬ 
strahlung des Ohres. An der Hand 
von Diapositiven und Vorführungen 
physikalischer Art erörtert Vortr. die 
Möglichkeiten einer Radium- und Me¬ 
sothoriumbestrahlung des Ohres, da¬ 
bei eingehend auf die verschiedenen 
Strahlen der radioaktiven Substanzen, 
für deren Anwendung je nach der Er¬ 
krankung ganz verschiedene Indika¬ 
tionen bestehen. 

Ivo W o 1 f f (Berlin): Erfahrun¬ 
gen über Hörübungen mit dem Kine- 
siphon (Dr. Maurice). Vortr. hat 
mit dem M a u r i c e’schen Kinesiphon 
25 Patienten behandelt, die therapeu¬ 
tischen Erfolge entsprechen ungefähr 
denen der früheren Behandlungsme¬ 
thoden. Vortr. gibt eine Beschreibung 
des Apparates und bespricht die Mög¬ 
lichkeit, mie demselben Erfolge zu er¬ 
zielen. Die neue Behandlungsmetho¬ 
de ist immerhin als eine Bereicherung 
der geringen therapeutisch wirksamen 
Massnahmen bei progressiver Schwer¬ 
hörigkeit anzusehen. 

Stoltenberg-Lerche (Ham¬ 
burg) bespricht die funktionelle Be¬ 
handlungsmethode nach Zünd-Burguet 
bei hochgradiger Schwerhörigkeit und 
subjektiven Gehörsempfindungen. Das 
Prinzip dieser Methode, welche noch 
wenig Verbreitung gefunden hat, be¬ 
steht darin, das gesunkene Hörvermö¬ 
gen durch Tonwellen in verschiedenen 
Höhenlagen im Umfange der mensch¬ 
lichen Stimme und bei stets wechseln¬ 
der Intensität, je nach dem Grade der 
Schwerhörigkeit, zu beleben urtd zu 
besserer Hörfähigkeit anzuregen. Es 
handelt sich also darum, unabhängig 
von dem Wesen der organischen Er¬ 
krankung auf eine Steigerung der 
funktionellen Tätigkeit einzuwirken. 
Diese Tonmassen werden in einem 
Apparat erzeugt, durch telephonartige 
Hörer in die Ohren der Patienten ge¬ 
leitet und der Schwerhörigkeit ent¬ 
sprechend verschieden stark einge¬ 
stellt. Der Patient hat dadurch eine 
angenehme Empfindung, welche zu¬ 
gleich auch auf subjektive Gehörbe¬ 
schwerden, wie Sausen, Taubheitsge¬ 
fühl, Völle in den Ohren, Eingenom¬ 
menheit des Kopfes etc. häufig eine 
sehr erleichternde Wirkung ausübt. so 


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71 


dass diese Zustände oft gänzlich ver¬ 
schwinden. Zugleich mit dieser Ton¬ 
wellenbehandlung finden Hörübungen 
statt, wie sie von Urbantschitsch 
angegeben sind. Am meisten belästigt 
den Schwerhörigen die Unfähigkeit, 
der Konversation zu folgen durch die 
Abnahme seines Sprachverständnisses. 
Dieses soll hierdurch gefördert und 
langsam wieder zu höherer Leistungs¬ 
fähigkeit geführt werden. Die funk¬ 
tionelle Behandlung setzt bei alten 
Leiden erst da ein, wo unsere sonstige 
Therapie versagt. Ihre Wirkung im 
Einzelfall ist eine durchaus verschie¬ 
dene. Auch diese Methode hilft nicht 
jedem. Wo ein Gehör total erloschen 
ist durch Zerstörung seiner nervösen 
Elemente oder knöchernen Verwach¬ 
sungen im schallleitenden Apparat, 
wird man nichts mehr erreichen kön¬ 
nen. Wenigstens betreffs einer Hör¬ 
verbesserung. Wohl aber kommt auch 
hier noch eine Behandlung in Frage, 
wenn ausserdem subjektive Gehörs¬ 
empfindungen vorliegen, welche da¬ 
durch häufig die oberwähnte Besse¬ 
rung erfahren. In allen Fällen je¬ 
doch, wo durch alte Leiden die funk¬ 
tionelle Tätigkeit der Organe sehr ge¬ 
litten hat, kann hierdurch eine wesent¬ 
liche Belebung stattfinden, welche in 
scheinbar hoffnungslosen Fällen oft 
noch erstaunliche Resultate zeitigt. 
Es lässt sich dies aber nicht im voraus 
bestimmen und ergibt sich erst aus 
dem Verlaufe der Behandlung, welche 
deshalb zunächst nur probeweise statt¬ 
zufinden hat. Reagiert die Funktion 
des Organes auf diese belebende Ein¬ 
wirkung, so wird die Behandlung fort¬ 
gesetzt auf 4 bis 6 Wochen, solange 
noch eine Zunahme der Besserung zu 
konstatieren ist. Nach einigen Mona¬ 
ten Ruhe ist es empfehlenswert, eine 
erneute Untersuchung und eventuell 
Weiterbehandlung des Gehöres vorzu¬ 
nehmen. Es hat sich durch vielfache 
Beobachtungen herausgestellt, dass 
die funktionelle Tätigkeit des so be¬ 
handelten Ohres dann noch eine ganz 
erhebliche Steigerung erfuhr, welche 
viel grösser war wie die erst erzielten 
Resultate. Bei einer Statistik von 75 
Fällen chronischer Schwerhörigkeit, 
welche erst nach Versagen der sonst 


üblichen Therapie zur Behandlung 
herangezogen wurden, konnte noch 
eine Besesrung bei über 50 konstatiert 
werden, unter denen erheblich gebes¬ 
sert wurden 28. Bei diesen w r ar die 
Hörschärfe für Flüstersprache von ei¬ 
nigen Zentimetern auf mehrere Meter 
heraufgegangen. Bei 22 fand eine 
Wiederholung der Behandlung statt, 
fast durchweg mit dem Resultat einer 
weiterschreitenden Besserung. 

C. Hirsch (Stuttgart): Tumor 
der Vierhügelgegend. 48 Jahre alter 
Mann ertaubte im Verlauf von drei 
Wochen vollständig, nachdem er frü¬ 
her normal gehört hatte. Auf dem 
Wege über die medizinische und Ner¬ 
venabteilung kam der Patient auf die 
städtische Ohrenklinik in Frankfurt 
a.M. Auf Grund mehrfacher genau¬ 
ester, neurologischer, ophthalmologi- 
scher und otologischer Untersuchun¬ 
gen, die ein fast völlig eindeutiges Er¬ 
gebnis hatten, kam man zu der Di¬ 
agnose, dass es sich um einen Tumor 
der Vierhügelgegend handle, der, sei 
es allein durch Ergriffensein der hin¬ 
teren Vierhügel oder durch Druck auf 
die lateralen Schleifen oder die Cor¬ 
pora geniculata medialia in so kurzer 
Zeit zu dieser völligen Taubheit ge¬ 
führt hatte. Da während des Entwick¬ 
lungsstadiums der Prozess sich links 
rascher abwickelte als rechts, und auch 
linksseitige Kleinhirnsymptome Vorla¬ 
gen, wurde bei völliger Intaktheit bei¬ 
der Vestibuläres angenommen, dass 
sich der Sitz des Tumors mehr links 
befinde, und dass ein Druck auf beide, 
vorwiegend aber die linke Kleinhirn¬ 
hemisphäre ausgeübt werde. In Ab¬ 
wesenheit von Prof. Voss legte Vor¬ 
tragender das Kleinhirn zunächst als 
Palliativoperation frei in der Absicht, 
in einer zweiten Zeit die Vierhügel¬ 
gegend änzugehen. Exitus 1 Tag post 
operationem an Atemstillstand, nach¬ 
dem Patient zuerst vollkommen wie¬ 
der zur Besinnung gekommen war. 

Die Sektion ergab ein Sarkom des 
rechten Stirnhirns. Beide Felsenbeine 
wurden im Laboratorium der Frank¬ 
furter Ohrenklinik (Prof. Voss) in 
Serienschnitte zerlegt, sie erwiesen 
sich als völlig normal. Das Gehirn 
mitsamt dem Kleinhirn wurden im 

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neurologischen Institut der Senken- 
b e r g’schen Anatomie (Prof. E d i n - 
ger) in Serienschnitte zerlegt ; ausser 
dem makroskopisch festgestellten 
Stirnhirnsarkom konnte nichts Patho¬ 
logisches gefunden werden. 

Der Fall, der wie wohl kein zweiter 


klinisch und anatomisch gründlichst 
untersucht wurde, ist ein neuer Beweis 
für die proteusartigen Symptome, die 
ein Stirntumor durch Druck und se¬ 
kundären Hydrocephalus hervorrufen 
kann. 


Auruf! 

Europa steht in Flammen. Ein Krieg ist ausgebrochen, wie ihn die Weltgeschichte noch 
nicht erlebt hat. Wie die Geschicke der Völker sich gestalten mögen, weiss nur Gott allein. 
Wir aber wissen, dass unendliche Not und namenloses Elend die unabwendbaren Folgen 
dieses Krieges sein werden, wie immer der Ausgang sein möge. Zu den Völkern, die in den 
schrecklichen Krieg verwickelt sind, gehört auch Deutschland, das Land, in dem unsere oder 
unserer Vorfahren Wiege stand, mit dem unzertrennbare Bande des Blutes und des Herzens 
uns verbinden. 

Daher richten die Unterzeichneten an alle Deutschen und an alle Amerikaner deutschen 
Stammes die herzliche Bitte, der höchsten und heilgsten Menschenpflicht eingedenk zu sein 
und durch freiwillige Spenden die Not der deutschen Stammesbrüder zu lindern. Es gilt 
nicht nur die Verwundetn zu pflegen, sondern auch den Wittwen und Waisen hiilfreich zur 
Seite zu stehen, denen die Kriegsfurie den Beschützer und Ernährer entrissen hat. Reiner 
Menschlichkeit ist unser Bemühen gewidmet, ausschliesslich für wohltätige Zwecke sollen 
die gesammelten Beträge Verwendung finden. Daher kann jeder ein Scherflein beitragen 
ohne Ansehen der Nationalität. 

Es wird gebeten, Beiträge an die „NEW YORK TRUST CO.“, 26 Broad Street, New 
York City, unter der Bezeichnung GERMAN RELIEF FUND zu senden. Auch die Unter¬ 
zeichneten sind zur Annahme von Beiträgen berechtigt. 

Die eingesandten Gelder werden der deutschen Botschaft in Washington zur Ueber- 
weisung an den Zwecken des Aufrufs entsprechende Wohltätigkeitseinrichtungen in Deutsch¬ 
land übermittelt werden. 

Alex Andrae 
Charles Engelhard 
John Oscar Erckens 
E. Hossenfelder 
Rudolph Keppler 
Albert Leisel 
Adolf Pavenstedt 
Hans Reineke 
Dr. Richard Schuster 
Dr. G. E. Seyffarth 
Carl L. Schurz 
Charles H. Weigele 
Wilhelm Knauth 


Conrad Bühler 
Rudolf Erbslöh 
A. Heckscher 
E. C. Hothorn 
William Kiene 
Adolf Kuttroff 
Edmund Pavenstedt 
Dr. A. Ripperger 
Klaus A. Spreckels 
Hermann Schaaf 
Edmund Stirn 
C. B. Wolffram 
George Rueders 


Carl Bünz 
A. von Gontard 
C. von Helmolt 
William Kaupe 
G. B. Kulenkampff 
Henry E. Niese 
Christoph Rebhan 
Dr. Paul C. Schnitzler 
Oscar R. Seitz 
Dr. Gustav Scholer 
A. Vogel 
Robert Badenhop 


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BAD FMS * Emser Kränchen-Brunnen. — Einser Pistillen. — Emaer Smli 
4 *um Gurgeln und Inhalieren an Zerstäubungsapparaten. — König! 
Mineralquellen, weltberühmt durch Heilwirkung bei Katarrhen der Nase, des Rachens, 
des Kehlkopfs, der Luftröhren, sowie der Verdauungsorgane. (Hessen-Nassau.) 

D Aft Tim TYfC1U ♦ Helenenquelle und Georg-Victorquelle. 

dAU WILUUJNVJE.It ♦ Diuretisch. (Fürstenthum Waldeck.) 

Unübertroffene Wirkung bei Krankheiten der Harnorgane, Nieren- und Blasenleiden. 
Steinbildung, Harnsäure und Gicht. 

_ , _ _ ______ . _ _ . ___ Stahlbrunnen (Hessen-Nassau). 

BAD SCHWALB ACH ♦ Stärkster Eisensäuerling. 

Anämie, Chlorose, Frauenleiden. 


RHENSER 


Mineralbrunnen, Rhens am Rhein. 

Kohlensaures alkalisch-muriatisches Tafelwasser.^ 


Aufträge ausgeführt von stets frischem Vorrath, sowie Brosdiüren und weiter« 
Auskunft zu erhalten von dem General-Agenten. 

C. VON DER BRUCK, 


61 PARK PLACE 


NEW YORK 


T#l«phon«, 5894 Barclay 


DR. A. RIPPERGER’S 


X-RAY LABORATORY 


For Diagnosis and Therapy 


616 MADISON AVENUE 
NEW YORK 


Office Hout8 9-12 A. M. 
and by appointment 



Telephone 
Plaza 1470 


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HARVARD UMIVERSITY 





New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


Clinical Results with the Phylacogens. 


Under the above caption, Dr. R. W. Locher, Grafton, W. Va., in the 
Memphis Medical Monthly, has this to say: “In judging the therapeu- 
tic value of a new preparation, it is advisable that a great number of 
case reports be considered; and in order that the medical profession may 
have a great number of cases from which to judge, it is the duty of every 
physician to report such results as he may have. The Phylacogens äre 
of comparatively recent origin, and yet even at this early date they 
have displayed their ability to produce satisfactory and in some cases 
remarkable results in the treatment of a great variety of pathologicäl 
conditions. . . . 

“We are informed that the Phylacogens are not claimed to be a ‘cure- 
all’ in any sense of the word, but simply valuable therapeutic agents in 
the treatment of numerous infectious conditions. From the very fact 
that all but Mixed Infection Phylacogen are to be directed against spe¬ 
cific infections, it is necessary, before employing them, to make an accu- 
rate etiological diagnosis. For obvious reasons one cannot expect to pro¬ 
duce results if Rheumatism Phylacogen is administered in a case that 
is really one of gonorrheal arthritis. Neither will an Osteomyelitis or a 
syphilitic periostitis yield to Rheumatism Phylacogen, but the former 
may be logically treated with Mixed Infection Phylacogen. It would 
seem that this latter Phylacogen will ultimately prove of great value to 
the surgeon in combating post-operative infections, as well as infections 
following injuries of all kinds.” 

The writer then details fourteen case reports, covering a variety of 
diseases, and adds this by way of comment: 

“From the foregoing cases it would be possible to draw numerous 
conclusions. What is especially striking, however, is that the Phyla¬ 
cogen treatment is apparently successful in the vast majority of cases and 
seems to give prompter and more definite results than is possible to se- 
cure with the usual recognized treatments. As a physician’s experience 
increases he finds a greater number of cases in which each of the Phyla¬ 
cogens may be used, with the expectation of great benefit resulting there- 
from. In any event, it must be conceded that Phylacogen in its various 
forms presents great possibilities and must be classed as a therapeutic 
agent which is more than worthy of trial.” 


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18 


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HARVARD UNIVERSITY 



f^cw Vorher 


JVledizimscbe jVIonatöecbnft 


OilliiellM Organ der 

Dettfdtai nMHxMKhea CcftllfdMfttR 4er Städte nee gerk» 

€Wc«0O «Kd Clmland. 

Herausgegeben von Dr. ALBERT A. RlPPERGER 

unter Mitwirkung von Dr. A. Herzfeld, Dr. H. G. Klotz und Dr. von Oefele. 


Bd. XXV. 


Xew York, September, 1914. 


Xr. 4. 


Originalarbeiten. 


Neuere Ergebnisse der Röntgenologie.* 

Von Privatdozent Dr. Franz Bardachzi. 


Vor nicht zu langer Zeit hatte es den 
Anschein, als ob das Röntgenverfahren 
zum Höhepunkt der Entwicklung ge¬ 
langt wäre. Die Bestrebungen der ein¬ 
zelnen Fabriken von Röntgenapparaten, 
leist ungsfähigste Apparate zu liefern, 
waren mit dem Ausbau des Einzelschlag¬ 
verfahrens bis zu einer gewissen, bisher 
nicht zu steigernden Grenze gelangt, die 
diagnostischen Methoden waren in allen 
Richtungen gut durchgearbeitet, und 
auch das grosse Gebiet der Röntgenthe¬ 
rapie schien ausgebaut zu sein; bezüg¬ 
lich der Oberflächentherapie gab es kei¬ 
nen Zweifel mehr über die Leistungs¬ 
fähigkeit des Verfahrens; dagegen lau¬ 
teten die Meinungen über die mit der 
Tiefentherapie erzielten Erfolge nur bei 
wenigen Erkrankungen einstimmig gün¬ 
stig, bezüglich den meisten in Betracht 
kommenden Affektionen, vor allem aber 
bezüglich der Resultate bei den bösarti¬ 
gen Neubildungen, überwog mit Recht 
die pessimistische Beurteilung. 

•Nach einem Vortrage im Vereine detutscher Aertzte 
in Böhmen am 20. März 1914. Prag. m. W. 1914. 
Nr. 34. 


Ich möchte mir heute erlauben, einen 
kurzen Ueberblick über die neueren Er¬ 
gebnisse des Röntgenverfahrens zu ge¬ 
ben auf Grund eigener Erfahrungen, die 
ich auf einer mit Unterstützung der Ge¬ 
sellschaft zur Förderung deutscher Wis¬ 
senschaft, Kunst und Literatur in Böh¬ 
men unternommenen Studienreise ge¬ 
macht habe. 

Die Frage, ob bei der Wahl eines 
Röntgenapparates das Induktor- oder 
das Gleichrichtersystem vorzuziehen sei, 
scheint sich mehr und mehr zugunsten 
des letzteren Systems zu lösen, bei wel¬ 
chem der hochgespannte Wechselstrom 
durch einen sich synchron drehenden 
Hochspannungskommutator in den für 
die Röntgenröhre nötigen hochgespann¬ 
ten Gleichstrom umgewandelt wird. Das 
Gleichrichtersystem übertrifft den Be¬ 
trieb mittels Induktor und Unterbrecher 
nicht nur in Bezug auf die Einfachheit 
der Handhabung, sondern auch in Bezug 
auf die Qualität der Bilder und des 
Durchleuchtungslichtes. Deshalb ge¬ 
winnen die Gleichrichterapparate eine 
zunehmende Verbreitung. Die Fort- 


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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


schritte in ihrer Konstruktion lassen die 
Hoffnung zu, dass es bald gelingen wird, 
für alle Zwecke sowohl der Diagnostik 
als auch der Therapie dienende Univer¬ 
salinstrumentarien herzustellen. Die an¬ 
fänglichen Nachteile der Gleichrichter¬ 
apparate, die allzugrosse Röhrenabnutz¬ 
ung, vor allem aber die geringe Eignung 
für die Zwecke der Tiefentherapie infol¬ 
ge des mehr „weicheren“ Charakters des 
bei ihrer Verwendung von der Röhre 
ausgesandten Röntgenlichtes sind durch 
sinnreiche Modifikationen und Zusatz¬ 
apparate, an deren Konstruktion beson¬ 
ders Des sauer beteiligt war, beseitigt 
worden. 

Auch in der Erzeugung von Röntgen¬ 
röhren sind wesentliche Fortschritte zu 
verzeichnen. Eine auf einem ganz neuen 
Gesichtspunkt beruhende Röhrenkon¬ 
struktion, die L i 1 i e n f e 1 d’sche Röhre 
hat anscheinend noch keine praktische 
Bedeutung erlangt. Diese Röhre ist so 
weit evakuiert, dass sie auf den gewöhn¬ 
lichen Strom garnicht mehr anspricht. 
Es wird nun in sie durch zwei besondere 
Elektroden ein zweiter Strom, der soge¬ 
nannte Leitfähigkeitsstrom geschickt, 
welcher die Röhre erst für den Röntgen¬ 
strom durchgängig macht. Die Härte 
der Röhre hängt von der Stärke des Leit¬ 
fähigkeitsstromes ab. Man hätte also 
bei ihrem Gebrauch den wichtigen Vor¬ 
teil, je nach Wunsch harte oder weiche 
Strahlen aus der gleichen Röhre austre¬ 
ten lassen zu können, und könnte- eine 
Aufnahme mit härterer Strahlung begin¬ 
nen und mit weicherer beenden. 

In der letzten Zeit hat der Amerikaner 
C o o 1 i d g e eine Röhre konstruiert, 
welche als Kathode eine Wolframdraht¬ 
spirale besitzt; auch die Antikathode be¬ 
steht aus Wolframmetall. Die Röhre 
ist so hoch evakuiert, dass selbst bei 
höchster Spannung kein Strom zwischen 
den Elektroden hindurchgeht. Wird 
aber die Kathode mit Hilfe einer kleinen 
Batterie hoch erhitzt, so wird Röntgen¬ 
licht erzeugt. Die neue Röhre soll den 
Vorteil haben, wie die Lilienfeld’- 


sche beliebig harte Strahlen zu liefern, 
dabei aber ununterbrochen leistungsfä¬ 
hig sein, da es zu keiner Erhitzung des 
Glases kommt. 

Für die oft stundenlange Belastung, 
wie sie die moderne Tiefentherapie er¬ 
fordert, mussten neue Röhrentypen ge¬ 
schaffen werden. Am beliebtesten sind 
die Kühlvorrichtungen der Antikathode 
mittels fliessenden Wassers oder mit 
Pressluft, welche durch ein eigenes Ge¬ 
bläse zugeführt wird. Sehr grosse Ver¬ 
breitung hat auch die A m r h e i n’sche 
Röhre gefunden, bei welcher ein feinst 
zerstäubter Wasserstaubnebel mit 
grosser Wucht durch einen Luftstrom 
gegen die Antikathode geschleudert und 
diese dadurch intensiv gekühlt wird. 

Für kurzdauernde höchste Belastun¬ 
gen der Röntgenröhren, wie sie für 
Schnell- und Momentaufnahmen in Be¬ 
tracht kommen, bewährten sich vorzüg¬ 
lich Antikathoden mit einem Ueberzug 
aus dem erst bei 3000 Grad schmelzen¬ 
den Wolfram. 

Das Bestreben, die Aufnahmezeiten 
abzukürzen, hat zu einem Wettstreit der 
Fabriken geführt, die sich gegenseitig 
durch die Leistungen ihrer Einzelschlag¬ 
apparate zu übertreffen suchten. Der all¬ 
gemeinen Anwendung dieser Instrumen¬ 
tarien stehen aber gewisse Nachteile ge¬ 
genüber. Zunächst sind die Platten bei 
Aufnahmeseiten von unter 1/50 Sekun¬ 
de besonders bei der Aufnahme stärke¬ 
rer Körperpartien häufig unterbelichtet; 
dann ist es schwerlich möglich, bei Ver¬ 
wendung des Einzelschlages eine Auf¬ 
nahme mit Kompressionsblende zu ma¬ 
chen, denn die Aufladung aller Metall¬ 
teile der Blende bei so hohen Strominten¬ 
sitäten (über 200 Milliampere) lässt eine 
Verletzung der Patienten möglich er¬ 
scheinen. Glücklicherweise sind die 
Blitzaufnahmen für die Zwecke des 
Praktikers durchaus entbehrlich; von 
Vorteil für diesen wäre dieses Verfahren 
eigentlich nur bei den Aufnahmen des 
Herzens, dessen Konturen dann ideal 
scharf hervortreten. Da es aber heutzu- 


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New Yoejcxe Medizinische Monatsscheift. 


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tage mit jedem guten Apparate gelingt, 
eine Herzaufnahme in 1/20 Sekunden zu 
machen, ist die Schärfe auch bei so ge¬ 
wonnenen Herzaufnahmen eine für dia¬ 
gnostische Zwecke völlig genügende. 

Auch bezüglich der Schnellaufnahmen 
ist die frühere Begeisterung etwas ge¬ 
sunken ; ausgenommen bei Aufnahmen 
bewegter Körperteile exponiert man lie¬ 
ber etwas länger und legt mehr Wert auf 
gute Bildqualität als auf sportmässige 
Abkürzung der Expositionszeit. 

Seit Jahren werden Versuche ge¬ 
macht, die Bewegungen des Herzens, 
der Atmungsorgane und des Magens 
kinematographisch darzustellen; diese 
Röntgenkinematographie würde nicht 
nur für Lehrzwecke von grossem Vor¬ 
teile sein, sondern auch eine genaue Ana¬ 
lyse der einzelnen Bewegungsphasen, 
vor allem aber ein genaues Studium ei¬ 
ner verdächtigen Partie bei beliebig häu¬ 
figer Reproduktion gestatten. Da die 
kinematographische Aufnahme des 
Leuchtschirmbildes infolge zu geringer 
Lichtintensität keine guten Resultate 
gibt, muss das zu untersuchende Organ 
auf äusserst schnell gewechselte Platten 
aufgenommen werden. Vorläufig ist 
leider die Methode noch nicht ausgebaut 
und schon infolge ihrer grossen Kosten 
nur für wissenschaftliche Zwecke ge¬ 
eignet. 

Einen wichtigen Fortschritt in dia¬ 
gnostischer Beziehung bedeutet die von 
Buck y angegebene Wabenblende. Die¬ 
selbe hat den Zweck, die das Bild ver¬ 
schleiernden Sekundärst rahlen, welche 
in dem aufzunehmenden Körperteil ent¬ 
stehen, auszuschalten. Die B u c k y- 
Blende besteht aus gitterförmig ange¬ 
ordneten Kupferstreifen, welche so an¬ 
geordnet sind, dass sie gegen den Fokus 
der Röhre konvergieren. In den Ma¬ 
schen dieses Gitters, welches vor die 
Platte bezw. den Durchleuchtungsschirm 
gebracht wird, werden die Sekundär¬ 
strahlen unschädlich gemacht und das 
Bild gewinnt ungemein an Schärfe und 
Kontrast. 


Eine zunehmende Verbreitung hat der 
von Dr. Rupprecht angegebene 
Astralschirm erlangt; er hat den frühe¬ 
ren Leuchtschirmen aus Bariumplatin- 
zyanur gegenüber den Vorteil grösserer 
Haltbarkeit,‘dagegen den Nachteil inten¬ 
siven Nachleuchtens. 

Die Fortschritte in der Diagnostik be¬ 
treffen hauptsächlich das Gebiet der Un¬ 
tersuchung des Magendarmtraktus. Die 
Unentbehrlichkeit des Röntgenverfah¬ 
rens für die Beurteilung der Lage, Form 
und Grösse des Magens, über seine Be¬ 
ziehungen zu Nachbarorganen ist jetzt 
allgemein anerkannt; vor allem sind es 
die stenosierenden Prozesse sowie die 
Geschwüre und Neubildungen, deren 
Diagnose durch die Röntgenuntersu¬ 
chung in ganz ungeahnter Weise geför¬ 
dert worden ist. Wenn es nun aus die¬ 
sen Gründen auch feststeht, dass die 
Röntgenmethode für die Beurteilung ei¬ 
ner Magenerkrankung ebenso unent¬ 
behrlich ist, wie die übrigen klinischen 
Untersuchungsmethoden, so bricht sich 
andererseits doch immer mehr und mehr 
die Erkenntnis Bahn, dass dieses Ver¬ 
fahren nicht überschätzt werden dürfe. 
Bei einer zu einseitigen Anwendung des¬ 
selben können Fehlresultate nicht aus- 
bleiben. Dies gilt vor allem bezüglich 
der Frühdiagnose des Magenkarzinoms. 
W ir wissen jetzt, dass auch das Röntgen¬ 
verfahren in dieser Hinsicht Grenzen 
seiner Leistungsfähigkeit hat, die in der 
Zeit des allzugrossen Enthusiasmus 
manchmal übersehen wurden. Besonders 
sind es die hochsitzenden Karzinome des 
Magenkörpers in ihrem Beginne, welche 
dem Nachweise durch Röntgenstrahlen 
nur schwer zugänglich sind. 

Die früher ungemein schwierige Dif¬ 
ferentialdiagnose zwischen Spasmus und 
Stenose am Pylorus hat durch die von 
Holzknecht und S g a 1 o t z er be¬ 
fürwortete Anwendung des Papaverin 
eine wesentliche Förderung gewonnen. 
Dieses Präparat verzögert beim gesun¬ 
den Magen die Austreibungszeit; dage¬ 
gen hebt es beim Pylorospasmus die 


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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


durch diesen bedingte Motilitätsstörung 
durch seine Einwirkung auf die glatte 
Muskulatur auf; bei der Pylorustenose 
wird hingegen die Motilitätsverzögerung 
noch vermehrt. 

Die Untersuchung des Darmes mit 
Röntgenstrahlen hat uns wertvolle neue 
Aufschlüsse über die physiologischen 
und pathologischen Bewegungsvorgänge 
gebracht; auch die Pharmakologie hat 
aus den Studien über die Wirkung ver¬ 
schiedener Präparate, vor allem von Ab¬ 
führ- und Stopfmitteln wichtige neue 
Gesichtspunkte gewonnen. 

Die Diagnose des Ulcus duodeni ist 
durch die Röntgenmethode sehr geför¬ 
dert worden; als charakteristische Merk¬ 
male dieser Erkrankung gelten (Hau- 
dek) Stenosenerscheinungen, die zu ab¬ 
norm lange persistierenden Schatten im 
oberen Duodenum führen; das Nischen¬ 
symptom ; ein umschriebener auf das 
Duodenum beschränkter Druckpunkt; 
abnorm schnelles Uebertreten von Ma¬ 
geninhalt in das Duodenum; tiefe Ma¬ 
genperistaltik ; Pylorusfixation. 

Während man früher die Möglichkeit 
der Darstellung des Wurmfortsatzes be¬ 
zweifelte, haben C a s e, Max Cohn u. 
a. nachgewiesen, dass er bei geeigneter 
Technik sehr häufig radiologisch sicht¬ 
bar wird. Ob dieser Nachweis der Ap¬ 
pendix, besonders wenn ihr Schatten 
länger zu beobachten ist, für einen pa¬ 
thologischen Zustand spricht, ist noch 
nicht sicher entschieden. 

Für die radiologische Untersuchung 
des Dickdarmes kommt ausser der Fül¬ 
lung per os insbesondere auch die Fül¬ 
lung mittels Kontrasteinlaufs in Be¬ 
tracht. Mittels Mondamin oder Stärke 
kann man das Barium oder Wismut aus¬ 
gezeichnet in Suspension erhalten. Sehr 
zweckmässig ist es, das Einfliessen der 
schattengebenden Flüssigkeit direkt am 
Schirme zu beobachten, wie es Hae- 
n i s c h vorschlägt. 

Dank der Arbeit zahlreicher Autoren, 
in der letzten Zeit namentlich 
Schwär z, ist das anatomische und 


physiologische Verhalten des Dickdar¬ 
mes genau untersucht. 

Für dife Beurteilung höhergradiger 
Obstipationsformen haben diese Unter¬ 
suchungen so viel Neues gebracht, dass 
die Anwendung der Röntgenmethode in 
solchen Fällen streng angezeigt er¬ 
scheint. Vor allem die „hypokinetische“ 
Obstipation mit verringerter peristalti- 
scher Aktion und die „dyskinetische“ 
Obstipation mit der abnormen Kontrak¬ 
tionsarbeit besonders dem mittleren Ko- 
lonalabschnitte ergaben ganz ausgepräg¬ 
te in therapeutischer Richtung äusserst 
wichtige Merkmale. S t i e r 1 i n hat als 
erster erwiesen, wie wichtig die Rönt¬ 
genmethode für die Erkennung auch 
früher Stadien der Ileozoekaltuberkulo^c 
ist. Der Darminhalt durcheilt in solchen 
Fällen den kranken Kolonabschnitt so 
rasch, dass es nicht zu einer radiologisch 
nachweisbaren Ansammlung desselben 
kommt. 

Bezüglich des Nachweises beginnen¬ 
der Karzinome des Darmes ist das Rönt¬ 
genverfahren leider noch nicht genügend 
ausgebaut; während der Sitz einer Ste¬ 
nose an dem längeren Stehenbleiben der 
Kontrastmahlzeit meist leicht erschlossen 
werden kann und auch zahlreiche Beob¬ 
achtungen von charakteristischen Be¬ 
funden bei grösseren noch nicht steno- 
sierenden Darmkarzinomen vorliegen, 
muss bezüglich der Frühdiagnose des 
Darmkarzinoms nachdrücklich darauf 
hingewiesen werden, dass man auf einen 
negativen Röntgenbefund hin nie ein 
Karzinom ausschliessen darf. 

Als kontrastbildendes Mittel bei der 
Röntgenuntersuchung des Magendarm¬ 
traktes wird das Barium immer mehr 
verwendet. Die Befürchtungen, die frü¬ 
her seiner Anwendung im Wege stan¬ 
den, haben sich glücklicherweise nicht 
erfüllt und man ist berechtigt, das Prä¬ 
parat als ungefährlich zu bezeichnen. 
Gegen V erwechslungen mit löslichen 
Bariumsalzen schützt die Herstellung ei¬ 
nes für Röntgenuntersuchungen be¬ 
stimmten * Bariumpräparates seitens 


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grosser chemischer Firmen: die in eini¬ 
gen Minuten anzustellende Prüfung des 
Mittels sollte aber doch von keinem 
Röntgenologen verabsäumt werden. 

Die verschiedenen von einzelnen Schu¬ 
len vorgeschlagenen Kontrastmahlzeiten, 
welche den Magen und Darm verschie¬ 
den schnell passieren, haben für die Be¬ 
urteilung der Motilitätsstörungen einige 
Verwirrung gebracht. Deshalb sind die 
sich mehrenden Vorschläge, eine einheit¬ 
liche Normalmahlzeit für wissenschaft¬ 
liche Zwecke einzuführen, sehr zu be- 
grüssen. 

Die Darstellung der Leber und Milz 
auf der photographischen Platte gelang 
bisher nur zufälligerweise. Nach den 
Untersuchungen Loefflers und 
Meyer-Betzs erschienen diese Or¬ 
gane dann ganz deutlich, wenn man so¬ 
wohl Magen wie Darm mit Gas füllt. 
Diese Methode scheint besonders für den 
Gallensteinnachweis von Bedeutung. 
Denn bisher hatten sich die Hoffnungen, 
die man bezüglich des Nachweises von 
Gallensteinen auf das Röntgenverfahren 
setzte, nicht erfüllt: der Dichtigkeitsun¬ 
terschied der Steine gegenüber der Um¬ 
gebung ist viel zu gering, sodass gelun¬ 
gene Gallensteinaufnahmen zu den Sel¬ 
tenheiten gehörten. 

Eine zunehmende Bedeutung scheint 
das Röntgenverfahren für die Geburts¬ 
hilfe zu gewinnen. Kehrer und Des¬ 
sauer haben kürzlich eine Methode an¬ 
gegeben, mittels welcher eine exakte 
Beckenmessung auf röntgenologischem 
Wege möglich ist; diese Messung gestat¬ 
tet die Bestimmung der Conjugata vera 
auf den Millimeter genau. Da die Tech¬ 
nik eine sehr einfache ist, dürfte das 
Verfahren bald auf den Kliniken allge¬ 
mein angewandt werden. 

Die Darstellung der Frucht im Uterus 
ist wohl oft versucht worden, doch sind 
gelungene Bilder noch Seltenheiten. Die 
für die Strahlen leicht durchlässigen 
kindlichen Organe und das Fruchtwas¬ 
ser im Verein mit der Plazenta sowie 
dem mütterlichen Becken bieten ganz un¬ 


günstige Bedingungen für solche Auf¬ 
nahmen dar. 

Einen ganz ungeahnten Aufschwung 
hat die Röntgentiefentherapie in den 
letzten Jahren genommen. Der Fort¬ 
schritt in dieser Richtung ist insbeson¬ 
dere mit den Namen Perthes, Des¬ 
sauer, Holzknecht innig ver¬ 
knüpft. 

Die vielfachen Misserfolge der frühe¬ 
ren Zeit sind — wie man jetzt weiss — 
auf Anwendung zu geringer Dosen zu¬ 
rückzuführen. Durch Applikation sol¬ 
cher geringer Dosen wird aber — wie 
besonders die Versuche von Schwarz 
lehren — gerade das Gegenteil der beab¬ 
sichtigten W irkung erzielt, nämlich eine 
Zellreizung. Es wird also das Tumor¬ 
gewebe nicht nur nicht zerstört, sondern 
zu schnellerem W achstum angeregt. Ge¬ 
nügend starke Dosen konnte man aber 
früher nicht in die Tiefe senden, da sonst 
schwere Hautveränderungen aufgetreten 
wären. Diese Gefahren sind jetzt durch 
die Einführung der „Homogenbestrah¬ 
lung“ beseitigt. Es sind verschiedene 
W ege möglich, um in die Tiefe nahezu 
so viel Strahlung zu bringen, wie an die 
Oberfläche der Haut. W T enn wir uns mit 
einer hartstrahlenden Röhre weit vom 
Körper des Patienten entfernen, so wird 
nach mathematischen Grundsätzen die 
Haut nicht viel mehr Röntgenlicht erhal¬ 
ten als das Körperinnere. Die Versuche 
Dessauer’s und Holzknech Fs, 
diese Methode praktisch auszuarbeiten, 
scheiterten aber an den grossen techni¬ 
schen Schwierigkeiten und der Kostspie¬ 
ligkeit des Verfahrens. 

Eine sichere Erfolge gewährleistende 
Grundlage gewann die Tiefentherapie 
erst durch den Ausbau der Filtertechnik 
(v. J a k s c h, G a u s s u. a.) : wir wis¬ 
sen jetzt, dass Aluminium von 3—5 mm 
Dicke das geeignetste Filtermaterial dar¬ 
stellt, indem es die gefährliche weiche 
Strahlung fast vollkommen ausschaltet 
und ganz enorme Dosen von hartem 
Röntgenlicht in die Tiefe gelangen lässt. 

Die Zeiten, wo der Besitz eines Rönt- 


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genapparates dazu berechtigte, Tiefen¬ 
therapie zu treiben, sind vorüber; die 
Anschaffung eines modernen Instrumen¬ 
tariums und der Hilfsgeräte ist natürlich 
unerlässliche Vorbedingung, doch muss 
vor allem vollständige Beherrschung der 
Röhren- und Filtertechnik gefordert 
werden ; nichts ist unsinniger und stiftet 
mehr Schaden als die Verabreichung zu 
geringer Dosen Röntgenlichtes, die das 
Wachstum des Karzinoms nur fördern 
können. 

Man hat, um die höchstmögliche Dosis 
vergrössern zu können, versucht, die 
Haut weniger empfindlich zu machen, in¬ 
dem man sie komprimierte oder durch 
Adrenalin blutärmer machte; von Vor¬ 
teil erscheint besonders das Verfahren 
Chr. Mülle r's, welche die Haut mit¬ 
tels einer wassergekühlten Aluminium¬ 
elektrode, welche gleichzeitig als Filter 
dient, kühlt, komprimiert und zugleich 
durch Hochfrequezströme anämisiert, 
gleichzeitig wird nach seinem Vorgang 
das Tumorgewebe dem hyperämisieren- 
den Einfluss der Thermopenetration aus¬ 
gesetzt und so sensibler für die Strahlen 
gemacht. 

Die Gefahren für die Haut sind bei 
Verwendung harter gefilterter Strahlen 
sehr gering: selbst bei Ueberschreiten 
der zulässigen Dosis kommt es nicht 
mehr zu der so gefürchteten Röntgen- 
dermatitis, sondern zu einer leichten, 
bald abheilenden entzündlichen Verände¬ 
rung. 

Die in die Tiefe gelangende Dosis 
kann weiter dadurch vervielfacht wer¬ 
den, dass man von zahlreichen Ein¬ 
bruchspforten aus bestrahlt und so durch 
„Kreuzfeuerwirkung“ einen vermehrten 
Effekt erhält: wir wissen jetzt, dass die 
in den Gewebsschichten entstehenden 
Sekundärstrahlen ungemein verstärkend 
für die primäre Bestrahlung einwirken, 
vor allem auch dadurch, dass sie sich 
diffus im Körperinnern ausbreiten und 
dadurch auch eine Geschwulst beeinflus- 
s wenn sie nicht direkt dem Strahlen- 
c’:.:lrss ausgesetzt wird. 


Die therapeutischen Fortschritte der 
letzten Zeit verdanken wir hauptsächlich 
der systematischen Anwendung der In¬ 
tensivtiefentherapie an gynäkologischen 
Kliniken. Vor allem sind es die Schulen 
K r ö n i g’s. Bum m’s und Doeder- 
1 e i n’s, deren Erfolge in der Behandlung 
des Karzinoms auch den ärgsten Skepti¬ 
ker überzeugen müssen. 

Bezüglich der Myomtherapie sind die 
Akten eigentlich schon geschlossen. Pa¬ 
tientinnen im klimakterischen Alter sol¬ 
len nicht mehr. operiert, sondern be¬ 
strahlt werden. 

Der günstige Erfolg der Röntgenbe¬ 
strahlung ist der Beeinflussung des Fol¬ 
likelapparates der Ovarien zuzuschrei¬ 
ben. Ausfallserscheinungen können also 
auch nach der Bestrahlung wie nach der 
Operation auftreten. Dagegen werden 
den Patientinnen die immerhin erhebli¬ 
chen Nachteile und Gefahren der Opera¬ 
tion bei gleich sicherem Erfolg erspart. 

Von jugendlichen Individuen mit My¬ 
omen soll man nach Krönig diejeni¬ 
gen Fälle der Bestrahlung zuführen, in 
welchen sonst die Totalexstirpation des 
Uterus indiziert war; Fälle, in welchen 
die Myomenukleation in Betracht 
kommt, soll man operieren: denn durch 
die Bestrahlung wird Amennorhoe her¬ 
beigeführt. 

Eine weitere allgemein anerkannte In¬ 
dikation für die Röntgenbestrahlung bie¬ 
ten die gutartigen klimakterischen Blu¬ 
tungen. 

Der hauptsächlich zwischen der Ham¬ 
burger und der Freiburger Schule ge¬ 
führte Streit, ob bei der Myombehand¬ 
lung mässige oder grosse Röntgendosen 
zweckmässiger sind, scheint zugunsten 
des energischen Verfahrens gelöst zu 
sein. 

Den grossen Umschwung, den das ver¬ 
flossene Jahr in der Karzinombehand¬ 
lung gebracht hat, kann man, wie 
A s c h n e r treffend sagt, kaum drasti¬ 
scher zur Darstellung bringen, als durch 
den Hinweis, dass die Patientinnen mit 
inoperablem Uteruskarzinom früher als 


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wahre Crux aller Kliniken, fast wie aus¬ 
sätzige, vollständig aufgegebene Men¬ 
schen behandelt wurden, deren man sich 
sobald als möglich wieder zu entledigen 
suchte, und dass dieselben Kranken heu¬ 
te einen gern gesehenen Bestandteil un¬ 
seres Krankenmaterials liefern, da wir 
sie sehr häufig erheblich bessern, ihnen 
das Leben verlängern und sie in günsti¬ 
gen Fällen klinisch sogar vollständig hei¬ 
len können. 

Diese verblüffenden Erfolge bei inope¬ 
rablen Tumoren haben angesichts der 
leider wenig günstigen Resultate der 
operativen Behandlung hervorragende 
(iynäkologen bewogen, auch operable 
Tumoren zu bestrahlen. 

Wenn auch die Zeit noch zu kurz ist, 
um von definitiver Heilung zu sprechen, 
so ist doch in vielen Fällen vollständiges 
Schwinden des Karzinoms, der Drüsen¬ 
metastasen erzielt worden. Diese Resul¬ 
tate, die zum Teil mit der Röntgenbe¬ 
strahlung allein, zum Teil bei gleichzei¬ 
tiger Anwendung von Mesothorium oder 
Radium erreicht wurden, führten einzel¬ 
ne Kliniker zu dem Standpunkt, über¬ 
haupt die Operation des Karzinoms des 
Genitalsystems aufzugeben und prinzi¬ 
piell nurmehr die günstigere Aussichten 
bietende Bestrahlungstherapie anzuwen¬ 
den. 

Die Bestrahlung muss in solchen Fäl¬ 
len sowohl von der Vagina wie von den 
Hautdecken aus erfolgen. Verwendung 
genügend gefilterter harter Strahlen, Be¬ 
sitz eines leistungsfähigen Instrumenta¬ 
riums und Verabreichung früher als un¬ 
möglich angesehener Massendosen ist 
unerlässliche Vorbedingung; denn Un¬ 
terdosierung kann der Patientin nur 
Schaden bringen. Nach K r ö n i g und 
0 u m m können auf ein und dieselbe 
Hautstelle bis zu 150 Kienböckenseiten 
verabfolgt werden, ja die Schleimhäute 
vertragen noch viel mehr. 

Die mehrfach geäusserte Befürchtung, 
dass es nach Verwendung dieser grossen 
Dosen von Röntgenlicht zu Spätschädi¬ 
gungen der Haut, vor allem aber zu 


schweren Veränderungen innerer Orga¬ 
ne, vor allem des Darmes kommen kön¬ 
ne, hat sich bisher glücklicherweise nicht 
erfüllt. 

Nach übereinstimmender Meinung der 
Autoren hat die Röntgenmethode vor der 
Bestrahlung mit radioaktiven Substan¬ 
zen den Vorteil weit grösserer Tiefen¬ 
wirkung, sodass sie jetzt vielfach ange- 
wendet wird. 

(lanz ähnliche günstige Resultate, wie 
mit der Bestrahlung der Uterus- und 
Yulva-Karziilome wurden bei der glei¬ 
chen Behandlung von Brustdrüsenkrebs 
und Rezidiven nach solchem erzielt. 

Als allgemein angenommen kann des¬ 
halb der Grundsatz gelten, bei der siche¬ 
ren Beeinflussung der Karzinomzelle 
durch die Bestrahlung, alle Fälle von 
Uterus- und Brustdrüsenkarzinom nach 
der Operation einer gründlichen Rönt¬ 
genbestrahlung zu unterziehen, die sich 
nicht nur auf den Ort des früheren Tu¬ 
mors, sondern vor allem auch auf die 
regionären Drüsen beziehen muss. Ge¬ 
wiss wird man durch solche Bestrahlun¬ 
gen dem Auftreten von Rezidiven oft 
Vorbeugen können. 

Die Zukunft wird uns zeigen, ob auch 
Karzinome anderer Organe durch Rönt¬ 
genbestrahlung dauernd beeinflusst wer¬ 
den können; dauernde Besserungen von 
Magenkarzinomen sind bisher nicht be¬ 
kannt. Direkte Bestrahlung des nach 
F i n s t e r e rs Vorschlag vorgelagerten 
Tumors, Verabreichung von Massen¬ 
dosen (bis zu zirka 300 X unter 3 mm 
Aluminium) von verschiedenen Ein¬ 
bruchstellen her sollten wohl bei inope¬ 
rablen Tumoren öfters versucht werden. 

Die Bestrebungen, die Tumoren für 
die Bestrahlung durch Injektion chemi¬ 
scher Präparate sensibler zu machen, 
haften bisher keine ausgesprochenen Er¬ 
folge ; dagegen scheint das beschriebene 
Mülle rsche Verfahren geeignet, die 
Röntgen Wirkung zu unterstützen. 

Von grossem Interesse sind die Erfol¬ 
ge, welche die Röntgenbestrahlung bei 



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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


Drüsen- und Gelenkstuberkulose sowie 
bei tuberkulösen Lymphomen aufzuwei¬ 
sen hat (I s e 1 i n, Fritsch u. a.); sie 
lassen es wünschenswert erscheinen, die¬ 
se Behandlung, mehr als es bisher ge¬ 
schieht, zu versuchen. 

De 1 a Camp und K ü p f e r 1 e hat¬ 
ten nachgewiesen, dass hämatogen er¬ 
zeugte Lungentuberkulose am Kanin¬ 
chen durch Röntgenstrahlen beeinfluss¬ 
bar ist; auf Grund dieser Untersuchun¬ 
gen versuchten es nun die genannten 
Autoren, die Lungentuberkulose mit 
Röntgenstrahlen zu behandeln; sie fan¬ 
den günstige Erfolge in allen Stadien; 
ausgesprochene Heilerfolge konnten in 
Fällen des 1. und 2. Stadiums erreicht 
werden. Von Interesse ist. dass mittel¬ 


starke Dosen der hartgefilterten Strahlen 
bessere Erfolge gaben als grössere. 

Aus meinen Darstellungen ist zu er¬ 
sehen, dass das Röntgenverfahren in der 
letzten Zeit ganz ungeahnte neue grosse 
Erfolge in technischer, diagnostischer 
und therapeutischer Richtung aufzuwei¬ 
sen hat; am wichtigsten erscheinen wohl 
die Resultate mit der Karzinombehand¬ 
lung. Die nächsten Jahre werden es leh¬ 
ren, ob es mit der neuen Methode gelingt, 
dauernde Heilungen herbeizuführen ; 
wenn aber auch nur in einem Teile der 
Fälle so weitreichende Besserungen und 
volle Symptomlosigkeit für einige Mo¬ 
nate zu erzielen wären, wie sie bisher 
sichergestellt sind, müsste das neue Ver¬ 
fahren als segensreich gepriesen werden. 


Ueber die Beeinflussung innerer Blutungen durch intrave¬ 
nöse Traubenzuckerinfusionen.* 

Von Dr. Julius Löwy. 


Die Zahl der wirksamen Medikamente, 
über welche die Medizin zur Stillung in¬ 
nerer Blutungen verfügt, ist eine relativ 
geringe und es rechtfertigt dieser Um¬ 
stand, sowie die Wichtigkeit eines ra¬ 
schen therapeutischen Vorgehens bei 
schweren Blutungen das Interesse, wel¬ 
ches neuempfohlenen Medikamenten ent¬ 
gegengebracht wird. 

Im letzten Jahre wurden wiederum in¬ 
travenöse Traubenzuckeninfusionen zur 
Stillung innerer Blutungen von 
Schreiber 1 ) empfohlen; derselbe 
verwendete 200 ccm von 5—20 Prozent 
Traubenzuckerlösungen und will insbe¬ 
sondere bei Darmblutungen gute Erfolge 
beobachtet haben. Er begründet die 
blutgerinnungsbefördernde Wirkung die¬ 
ser Lösung mit der von den Vel¬ 
de n’schen 2 ), für hypertonische Koch- 

*Aus Prag. m. W. 1914. Nr. 33. 

1) K. Schreiber, Die Therapie der Gegenwart, 
15. 195. 1913. 

2) v o n den V e 1 d e n, Verhandl. d. Kongr. f. 
innere Med., 26. 155. 1909. 


Salzlösungen geltenden Auffassung, dass 
die Wirkung derartiger Injektionen in 
einer Gewebsauslaugung mit gleichzeiti¬ 
ger Mobilisierung einer gerinnungsbe¬ 
fördernden Substanz besteht, wodurch 
die Blutgerinnungsfähigkeit verbessert 
wird. 

Ganz abgesehen davon, dass die ra¬ 
sche Verbrennung von Traubenzucker 
und sein geringeres Diffusionsvermögen 
im menschlichen Organismus einen we¬ 
sentlichen Unterschied von infundierten 
Traubenzuckerlösungen zu Kochsalzlö¬ 
sungen darstellt und daher die für NaCl 
Lösungen geltenden Wirkungen nicht 
ohne weiteres auf Traubenzuckerlösun¬ 
gen übertragen werden können, so muss¬ 
ten die guten Erfolge, die Schreiber 
erzielt hat, umso auffallender sein, als 
einen Monat vorher Kuhn 3 ) auf expe¬ 
rimenteller Grundlage eine gerinnungs¬ 
hemmende Wirkung von intravenösen 

3) F. Kuh n, Deutsche Zeitschr. f. Chirurgie, 122. 
90. 1913. 


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Traubenzuckerlösungen nach weist und 
Zuckerinfusionen geradezu als Prophy- 
laktikum gegen Thrombosen empfiehlt. 
Kuhn kommt direkt zu dem Schlüsse, 
dass auf intravenösem Wege in die Blut¬ 
bahn eingeführter Zucker zweifellos an- 
tithrombosierende Eigenschaften im 
Blute hat und dass diese während der in¬ 
travenösen Zufuhr und einige Stunden 
nach derselben zur Geltung kommen. 
Seine Versuche gelten allerdings im Ge¬ 
gensätze zu den Schreibe rischen 
Versuchen für isotonische d. i. 4 Prozent 
Traubenzuckerlösungen. 

Da die Auffassungen dieser beiden 
Autoren einander gegenüberstehen, so 
habe ich im Aufträge meines Chefs eini¬ 
ge diesbezügliche Versuche bei Patienten 
mit inneren Blutungen vorgenommen, 
über die ich im folgenden kurz berichten 
will. 

Die Infusionen wurden mit allen asep¬ 
tischen Kautelen durchgeführt; in Ver¬ 
wendung kamen 5—20 Prozent Trau¬ 
benzuckerlösungen, und zwar wurden 
durchschnittlich 200 ccm der Lösung in¬ 
fundiert. Unangenehme Nebenerschei¬ 
nungen kamen nicht zur Beobachtung. 
Der nach der Infusion ausgeschiedene 
Harn war stets zuckerfrei, enthielt je¬ 
doch gewöhnlich viel Urate. Eine bei 
einem Patienten durchgeführte Harn¬ 
säurebestimmung (Methode Hopkins 
— v. Jak sch 4 ) ergab bei streng pu- 
rinfreier Diät ein Steigen der täglichen 
Hamsäureausscheidung von 0.7 g auf 
1.5 g und ich glaube, dass sich diese 
Steigerung der Ausscheidung der endo¬ 
genen Harnsäure wohl nur durch eine 
Auslaugung der Gewebe erklären lässt 
und dies umsomehr, als in allen Fällen 
eine wenn auch mässige Steigerung der 
Diurese unter dem Einflüsse der Infu¬ 
sion beobachtet wurde. Nennenswerte 
Blutdruckschwankungen vor und nach 
der Infusion waren nicht vorhanden; dje 
maximale Differenz betrug in einem Fal¬ 
le 5 mm Hg. Die Versuche wurden an 

4) v. J a k s c h. Klinische Diagnostik. 6. Auflage, 
p. 476. 1907. Verlag Urban u. Schwarzenberg. 


vier Fällen von Darmblutungen, einem 
lalle von Nierenblutung und sieben 
Fällen von Haemoptoe ausgeführt. 

Bei zwei Fällen von Darmblutungen 
waren gute Erfolge zu verzeichnen. Bei 
dem einen Falle handelte es sich um eine 
Dannblutung aus nicht näher geklärter 
Ursache, der zweite Fall war eine schwe¬ 
re Darmblutung auf anämischer Basis. 
Bei beiden Fällen hörte die Blutung 24 
Stunden nach der Infusion von 200 ccm 
einer 20prozentigen Traubenzuckerlö- 
sung auf und bei dem zweiten Falle stieg 
die Erythrozytenzahl innerhalb einer 
W oche von 940,000 auf 2,240,000, der 
Hämoglobingehalt von 1.4 g auf das 
Doppelte. Die beiden anderen Fälle, ein 
Carcinoma intestini und eine im Laufe 
einer Anämie auftretende Blutung zeig¬ 
ten keinerlei Beeinflussung. 

Ohne Erfolg waren auch drei bei ei¬ 
nem Falle von Nephritis haemorrhagica 
im Laufe einer W r oche durchgeführte 
Infusionen. Bei den sieben Fällen von 
Haemoptoe waren nur zwei Erfolge zu 
verzeichnen, und zwar handelte es sich 
in beiden Fällen um Patienten, die nur 
wenig Blut expektorierten, sodass anzu¬ 
nehmen war, dass die blosse Ruhe den¬ 
selben therapeutischen Effekt gehabt 
hätte. 

Bei den übrigen fünf schweren Fällen 
war der therapeutische Effekt gleich 
Null, während andere Styptika, wie z. 
B. eine subkutane Injektion von 
M e r c k’scher Gelatine zur Stillung der 
Blutung führte. 

Da die Ausführung dieser Infusionen 
viel Zeit und Sorgfalt erfordert und der 
therapeutische Effekt keinesfalls besser, 
ja bei Haemoptoe insbesondere eher 
schlechter ist als der bei den bisher ge¬ 
bräuchlichen Styptika bekannte, so glau¬ 
be ich nicht, dass der Traubenzucker als 
Styptikum in den Arzneimittelschatz 
eingeführt zu werden verdient und er 
könnte höchstens bei Darmblutungen in 
Betracht gezogen werden. 

Von rein theoretischem Interesse ist 
vielleicht auch die Fähigkeit des Trau- 


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benzuckers, wahrscheinlich infolge sei¬ 
ner geringeren DifFusionsfähigkeit durch 
längere Zeit, die zu seiner Lösung nötige 
Flüssigkeit innerhalb der Blutbahn in 
Zirkulation zu erhalten, was aus folgen¬ 
der Tabelle hervorgeht. 

Zeit. Infraktion. 

Vor der Infusion. 55.1 

Unmittelbar nach der Infusion. 53.8 

7 Minuten nach der Infusion. 53.0 

15 Minuten nach der Infusion. 53.3 

22 Minuten nach der Infusion. 53.0 

2 Stunden nach der Infusion. 53.4 

Die obige Tabelle zeigt die Verände¬ 
rungen der Refraktion im Kapillarblute 
eines etwa 50 kg schweren tuberkulösen 


Patienten an, der eine intravenöse Trau¬ 
benzuckerinfusion von 250 ccm einer iso¬ 
tonischen, d. h. 4prozentigen Lösung er¬ 
halten hat und es geht aus ihr hervor, 
dass infolge der Blutverdünnung die Re¬ 
fraktion des Serums sinkt, und es ist in¬ 
teressant, dass dieses Sinken des Bre¬ 
chungsindex noch zwei Stunden nach 
der Infusion unvermindert anhielt. 

Es ist anzunehmen, dass das bereits 
erwähnte geringere Diffusionsvermögen 
des Zuckers hiebei eine Rolle spielt und 
es ist vielleicht möglich, bei gleichzeiti¬ 
ger Kontrolle des Blutzuckers auf die¬ 
sem Wege auch einen näheren Auf¬ 
schluss über das Verhalten des gesunden 
und kranken Organismus zu Trauben¬ 
zucker zu erhalten. 


Ein weiterer Kunstgriff der Sternberg’sehen 

Entfettungskur. * 

Von Wilhelm Sternberg, Berlin. 


Zur Sternber g’schen Entfettungs¬ 
kur gehört ebenso wie zur Stern¬ 
ber g’schen Mastkur zweierlei. Das ist 
erstlich die Unterscheidung von Nah¬ 
rungsbedarf und Nahrungsbedürfnis, so¬ 
wie die Unterscheidung von Nähren und 
Zehren. Kaffee ist ein willkommenes 
Genussmittel zur Befriedigung des Nah¬ 
rungsbedürfnisses und als nicht nähren¬ 
des, sondern „zehrendes“ Getränk ein 
dankbares Mittel für Entfettungskuren. 
Der Begriff des Zehrens wurde in der 
exakten Medizin, so alt er auch im 
Volksmunde ist, bisher vollkommen ver¬ 
nachlässigt. 

Kaffee „zehrt“, weil Kaffee den Schlaf 
verscheucht und das Schlafbedürfnis 
vermindert. Auch beim Schlaf muss 
man unterscheiden den Schlaf an sich 
und das Schlafbedürfnis. Kaffee ver¬ 
ringert das Schlafbedürfnis. Das ist der 
Grund dafür, dass, wie ich 1 ) schon aus¬ 
geführt, der Lokomotivführer mit Recht 

* Prag. m. W. 1914. Nr. 28. 


besonders bei den Nachtfahrten Kaffee 
zu sich nimmt. Auch darin begründet 
sich die Nervosität der Lokomotivbeam- 
ten, ein beachtenswerter Faktor für die 
Berufshygiene dieses Gewerbes. Ich 
verordne zu meinen Entfettungskuren 
regelmässig Kaffee. 

Wohl wird manchem Patienten ge¬ 
sagt, er dürfte zum Entfetten sein Nach¬ 
mittagsschläfchen nicht mehr halten und 
er dürfe nicht so lange Nachtruhe haben. 
Aber in Wirklichkeit wird dieser Rat¬ 
schlag doch nicht so streng befolgt, wie 
es verlangt wird. Und das liegt daran, 
dass es auch beim Schlaf ebenso wie bei 
der Nahrung nicht bloss ankommt auf 
den objektiven Bedarf, sondern auch auf 
das subjektive Bedürfnis. Deshalb be¬ 
schränkt sich die Sternber g’sche 
Entfettungskur ebenso wie die Stern¬ 
ber g’sche Mastkur nicht bloss auf den 
objektiven Bedarf, sondern berücksich¬ 
tigt auch noch das subjektive Bedürfnis. 
Das subjektive Schlafbedürfnis aber her- 


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abzusetzen, ist ein Leichtes. Man hat 
nur anregende Genussmittel zu verab¬ 
folgen. Ich gebe Kaffee oder Tee nach 
Tisch und nach dem Abendbrot. Ueber 
diese Verordnung sind die meisten recht 
erfreut. Denn diese Mittel haben den 
Vorzug, Genussmittel zu sein. 

Es ist merkwürdig, dass Gaertner 
diesen meinen Standpunkt bezüglich des 
Kaffees noch nicht vertritt, doppelt 
merkwürdig deshalb, weil Gaertner 
im Gegensatz zu allen anderen Autoren 
bereits in zwei prinzipiellen Punkten 
sich meinen neuen Anschauungen mei¬ 
ner Entfettungskur und meiner Ernäh¬ 
rungslehre nähert. Das ist erstlich die 
Berücksichtigung des Geschmacks und 
zweitens die Berücksichtigung der 
Nahrungsbedürfnisse. Gaertner-) 
meint: 

„Eine mit der Theorie nicht im Ein¬ 
klang stehende Erfahrung habe ich mit 
dem Kaffe gemacht. Ungezuckerter 
schwarzer Kaffee besitzt keinen Nähr¬ 
wert, sollte also, wie Wasser, ganz indif¬ 
ferent sein und freigegeben werden kön¬ 
nen. Ich habe dies oft versucht und 
nicht selten die Verordnung wiederrufen 
müssen. Die Gewichtsabnahme ging bes¬ 
ser vonstatten, wenn kein oder wenig 
Kaffee mitverzehrt wurde. Es gibt aber 
sehr viele Fälle, bei denen der Erfolg 
durch die Verordnung einer Tasse Mok¬ 
ka nicht gestört wird.“ 

Zwei Punkte sind es, die Gaertner 
übersieht. Erstlich übersieht Gaert¬ 
ner die Wirkung der Temperatur, na¬ 
mentlich bei Getränken, und zweitens 
Wirkung und Begriff des Zehrens. 

Die warme Temperatur ist, wie ich 
(„Die taktile Sensibilität des Magens“, 
Ztbl. f. Physiol., Bd. 27, Nr. 14, S. 734) 
bewiesen habe, geeignet, das Hungerge¬ 
fühl zu besänftigen; ganz besonders 
schnell wird das Sättigungsgefühl erregt, 
wenn warme Flüssigkeiten eingenommen 
werden. Denn die warme Flüssigkeit 
kann die Magenwanderungen, die ich 
(„Das Nahrungsbedürfnis, der Appetit 
und der Hunger“, Leipzig, 1913) für die 


Träger des Hungergefühls halte, leich¬ 
ter, schneller und inniger beeinflussen als 
feste Speisen. Daher verordne ich zu 
meiner Entfettungskur warme Mahlzei¬ 
ten, warmes Frühstück und auch warmes 
Abendbrot, während für die Stern- 
berg’sche Mastkur im Gegenteil kalte 
Mahlzeiten bevorzugt werden. Wenn 
man allgemein diese Wirkung der Tem¬ 
peratur auf die Nahrungsbedürfnisse 
noch nicht bedacht hat, so liegt das da¬ 
ran, dass man zweitens die Nahrungs¬ 
bedürfnisse zu wenig studiert hat. 

Mit Recht, wie ich 3 ) meine, verlegt 
die Küche den Genuss des Kaffees an 
den Schluss der Mahlzeit. 

Den Brauch der Kochkunst, mit dem 
Genuss von Kaffee die Mahlzeit zu be- 
schliessen, hat man ebenfalls schon ver¬ 
sucht, wissenschaftlich zu begründen. 

Bei der Wichtigkeit, welche die Lehre 
von der Diät nun einmal auf die sekre¬ 
torischen und chemischen Bedingungen 
der Nahrung ausschliesslich legt, hat 
man zunächst die Magensaftsekretiton 
auch zur Erklärung dieser Tatsache her¬ 
angezogen. Nachdem Fujitani 4 ) 
den ziffernmässigen Beweis geliefert 
hatte, dass Infuse von Kaffee und Tee 
schon in sehr grosser Verdünnung deut¬ 
lich die Verdauung hemmen, hat P i n - 
cussohr) nachgewiesen, dass der 
Kaffee die Magensaftsekretion steigert. 
Durch diese Beobachtung soll nach 
Harnack") die Tatsache verständ¬ 
lich gemacht sein, dass der Genuss von 
Kaffee nach reichlichen Mahlzeiten be¬ 
sonders beliebt ist. Damit wäre dann 
aber ein und dieselbe Erscheinung, näm¬ 
lich die Magensaftsekretion, zur Erklä¬ 
rung für zwei Erscheinungen herange¬ 
zogen, und zwar für zwei diametral ent¬ 
gegengesetzte. Denn einmal hat man 
nach P a w 1 o w die Magensaftsekretion 
als physiologische Begründung des Rei¬ 
zes angesehen, den der Appetit ausübt, 
und nun betrachtet man dieselbe Erschei¬ 
nung als physiologische Begründung des 
Reizes, um dessentwillen die Kochkunst 
gerade an den Schluss der Mahlzeit die 


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Darreichung dieses Genussmittels ver¬ 
legt. 

Es liegt deshalb auch hier nahe, an die 
Beeinflussung des psychischen Allge¬ 
meingefühls zu denken, das in den bei¬ 
den zuständigen Wissenschaften der 
Diätetik und Pharmakologie überhaupt 
noch nicht in Rechnung gezogen ist, an 
das Sättigungsgefühl. Ich 7 ) habe dies 
bereits eingehend erörtert. Tatsächlich 
beeinflusst Kaffee in so hohem Masse das 
Sättigungsgefühl und sogar auch das 
Durstgefühl, wie Kokain das Schmerz¬ 
gefühl. Darin sehe ich auch den Grund 
für den allgemeinen Brauch des Kaffee- 
genusses am frühen Morgen. Wenn 
Hueppe 8 ) erklärt, dass auch für star¬ 
ke Leute der Genuss von Kaffee am 
Morgen ganz unsinnig erscheine, weil er 
das Gefühl der Nüchternheit zwar über¬ 
winde, aber dem Organismus, der von 
der Nacht her ausgeruht und ohne wei¬ 
teres arbeitsfähig sei, schon überflüssige 
Reize zuführe, oder wenn Albu 0 ) be¬ 
hauptet, „die Erfrischung der Nerven 
am Morgen durch Kaffee kann durch 
eine kalte Waschung viel energischer er¬ 
setzt werden“, „die Sitte, das erste Früh¬ 
stück mit dem Genuss vom Kaffee oder 
Tee zu beginnen, lässt sich physiologisch 
gar nicht rechtfertigen“, so haben diese 
Forscher die Beeinflussung des Gefühls, 
der Erfrischung und des Gefühls der 
Sättigung gar nicht in Rechnung gezo¬ 
gen. Unter diesem Gesichtspunkt er¬ 
scheint der Kaffeegenuss doch nicht so 
unsinnig. 

Den Hunger zu verlegen, ist für den 
beruflichen Küchenmeister gar keine so 
schwierige Aufgabe. Diese Erfahrung 
ist dem Laienpublikum schon längst be¬ 
kannt. In Kaffeehäusern kann man oft 
die Bemerkung hören, dass das Publi¬ 
kum nicht fortfahren will mit dem Ge¬ 
nuss von Kaffee „so kurz vor Tisch“, 
„weil man dann nicht mehr essen könne“. 
W er vo r der Mahlzeit ein Tässchen 
Kaffee trinkt, kann sicher sein, zur 
Mahlzeit viel weniger Appetit zu haben. 
Deshalb verlohnt es sich, diesen ein¬ 


fachen Kunstgriff systematisch zu Ent¬ 
fettungskuren anzuwenden, vorausge¬ 
setzt, dass der Genuss von Kaffee nicht 
aus besonderen Rücksichten verboten ist, 
etwa wegen seiner Wirkung auf das 
Herz. Andernfalls ist aber das Genuss¬ 
mittel des Kaffees ein wahres Heil¬ 
mittel. 

Der Kaffee verlegt den Appetit, und 
zwar wird das Genussbedürfnis nach 
Kaffee selber schon nach einer auffallend 
kurzen Zeit und bereits nach einer ver¬ 
hältnismässig geringen Menge Kaffee 
gestillt. Selbst die Kaffeeschwestern 
schwelgen nicht unersättlich in dem Ge¬ 
nuss. Fragt man in besuchten Kondito¬ 
reien und Kaffeehäusern nach, so ist 
man über das geringe Mass erstaunt, bis 
zu dem sich selbst die Damen versteigen. 
Dabei ist es auffallend, dass diese Wir¬ 
kung sogar ziemlich lange anhält. Die 
Verführung zu übermässiger Fortsetz¬ 
ung im Genuss besteht also beim Kaffee 
nicht wie beim Alkohol . Es ist darum 
eine ganz übertriebene Furcht von Sani¬ 
tätsrat Lohmeyer, wenn er den jun¬ 
gen Leopold Treibei in Fonta¬ 
nes 10 ) Roman so überaus streng warnt, 
nie mehr als eine Tasse Kaffee zu trin¬ 
ken. Eine Gewöhnung tritt auch nicht 
so leicht ein, wie eine solche an Alkahol 
oder Morphium sich einstellt. 

Man muss beim Sättigungsgefühl wie 
beim Appetit zwei verschiedene Zustän¬ 
de unterscheiden, wie ich 11 ) schon her¬ 
vorgehoben habe: 

1. Sättigung, Appetitlosigkeit oder gar 
Ueberdruss der Nahrungsaufnahme der¬ 
selben Speise gegenüber. 

2. Sättigung, Appetitlosigkeit oder 
gar Ueberdruss auch allen anderen Ge¬ 
richten gegenüber. 

Der Kaffeegenuss befriedigt auch das 
Bedürfnis nach anderen Nahrungsmit¬ 
teln. Kaffee verdirbt, verlegt den Appe¬ 
tit, er „zehrt“, wie der Volksmund sagt. 
In diesem Sinne ist Kaffee ein wahres 
Sparmittel. Der entgegengesetzte Fall 
tritt beim Genuss der alkoholischen Ge¬ 
nussmittel ein. Denn einmal verführen 


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diese Genussmittel zu übermässiger 
Fortsetzung des Genusses. Sodann ma¬ 
chen sie auch Appetit auf andere Spei¬ 
sen. Ein weiterer Fall steht in dieser 
Beziehung dem Kaffee gegenüber in den 
Süssigkeiten. Der Genuss der süssen 
Genussmittel, welche jeder gern nascht, 
fordert zur Fortsetzung des Genusses 
auf. Süssigkeiten schmecken „nach 
mehr“, wie sich der Volksmund aus¬ 
drückt. Die süsse Geschmacksqualität 
ist allgemein beliebt, beim Menschen und 
beim Tier. Allein andererseits sättigen 
Süssigkeiten oder rufen wenigstens das 
Sättigungsgefühl hervor und verlegen 
den Appetit. Schliesslich ist aber noch 
ein vierter Fall möglich. Bittermittel 
wirken unangenehm und können selbst 
Ekel hervorrufen. Kein Mensch ver¬ 
langt etwa fortzufahren mit ihrem Ge¬ 
schmack. Trotzdem oder vielleicht so¬ 
gar deswegen machen die Bittermittel 
Appetit auf andere Geschmacks-Quali¬ 
täten. Es ist bemerkenswert, dass diese 
W irkung allen Bittermitteln ohne Aus¬ 
nahme zukommt. Entstammen doch die 
arzneilichen Bittermittel ganz heteroge¬ 
nen chemischen, physiologischen und 
pharmakologischen Klassen. Daraus 
geht schon hervor, dass es allein der bit¬ 
tere Geschmack in diesen verschieden¬ 
sten „Stomachicis“ ist, dem diese Wir¬ 
kung auf den Appetit zukommt. Das 
allein deutet bereits die hervorragende 
Einwirkung des Geschmacks auf den 
Appetit an. 

Es besteht also in beiden Punkten eine 
Gegensätzlichkeit zwischen den süssen 
und bitteren Geschmacksmitteln. Eben¬ 
so besteht in beiden Punkten eine Gegen¬ 
sätzlichkeit in der W irkung von Kaffee 
und Bier auf den Appetit. Zwar 
schmeckt das wirksame Prinzip im Kaf¬ 
fee, Koffein-Dimethylxanthin, wie alle 
Alkaloide, schwach bitter. Daher müsste 
man wohl annehmen, dass dieser bittere 
Geschmack den Kaffee wie alle anderen 
Amara zu einem appetitanregenden Mit¬ 
tel macht. Allein diese direkte Wirkung 
des bitteren Geschmacks, die äussere und 


örtliche Beeinflussung des Sinnes mit ih¬ 
ren Reflexen auf den Appetit wird auf¬ 
gehoben und noch übertroffen von der 
indirekten inneren entfernten Wirkung 
auf das Sättigungsgefühl 12 ) nach der 
Resorption des Kaffees. Wird ja auch 
der Hunger offenbar von zweierlei ganz 
verschiedenen entgegengesetzten Zustän¬ 
den beherrscht. Erregt und beseitigt 
wird das Hungergefühl sowohl von 
äusseren Zuständen, welche in der Ma¬ 
genschleimhaut vor sich gehen (Magen¬ 
dusche), und von inneren, die im Blut 
vor sich gehen. Schon diese eine Tat¬ 
sache drängt zu der Annahme, dass das 
Hungergefühl, worauf ich 13 ) schon wie¬ 
derholt hingewiesen habe, zu den Kitzel¬ 
gefühlen zu zählen ist. Denn die Kitzel¬ 
gefühle sind neben manchen anderen Be¬ 
sonderheiten noch dadurch ausgezeich¬ 
net, dass sie gleichermassen von äusse¬ 
ren wie von inneren Reizen erregt und 
beseitigt werden können. So erklärt 
sich die sättigende und durstlöschende 
Wirkung des Kaffees trotz .der Flüssig¬ 
keitszuführung und trotz des angeneh¬ 
men, leicht bitteren Geschmacks. ! 

Zudem fragt es sich, ob diese Wir¬ 
kung des Kaffees auf das Sättigungsge¬ 
fühl überhaupt dem Koffein zukommt 
oder diesem Alkaloid allein. Ist ja auch 
nicht der Wohlgeschmack und das Aro¬ 
ma dieses Genussmittels durch den Al¬ 
kaloidgehalt bedingt, und hat doch Har- 
nack 14 ) die allgemein herrschende An¬ 
sicht widerlegt, als beruhe die Wirkung 
des Kaffees allein auf Koffein, wie ich 15 ) 
diese in der Theorie übliche Vorstellung 
vom Alkohol beseitigt habe. 

Schliesslich klagen aber auch die Ver¬ 
käuferinnen in den Kaffeegeschäften 
über Verlust des Appetits und über das 
andauernde Gefühl der Sättigung durch 
die „Kaffeluft.“ Und dies kann nicht 
auf Koffein zurückzuführen sein. Denn 
Kaffein ist geruchlos. Deshalb verlohnt 
es sich, diese Beobachtung als Kunst¬ 
griff für Entfettungskuren zu verwerten. 

Kaffee ist ein Genussmittel und Kaffee 
ist ein Heilmittel. Denn Kaffee zehrt. 


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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


Und Kaffee zehrt, weil dieses Getränk 
erstlich den Appetit auf die anderen 
Nahrungsmittel verlegt und zweitens 
weil dieses Genussmittel mit den Nah¬ 
rungs-Bedürfnissen zugleich das Schlaf¬ 
bedürfnis herabsetzt. Daher ist Kaffee¬ 
genuss neben anderen Kunstgriffen, die 
ich 10 ) angegeben habe, ein wirksamer 
Kunstgriff für die Sternberg'sche 
Entfettungskur. Entgegengesetzt ver¬ 
hält es sich mit der Bouillon, über die 
man auch in den neuesten Arbeiten nach 
meiner Ansicht irrtümliche Urteile ab- 
gibt. 

LITERATUR. 

1) „Der Schlaf der Lokomotivbeamten.“ Zentralbl. 
f. Gewerbehyg. Januar 1914. — „Digalen bei Schlaf¬ 
losigkeit.“ Therap. Monatsh. 1913. 

2) Prof. Dr. Gustav Gaertner, Wien: „Diäteti¬ 
sche Entfettungskuren.“ Leipzig, 1913. S. 83. 

3) ,,I)as Sättigungsgefühl.“ Ztschr. f. Psychothe¬ 
rapie u. med. Psychologie. Bd. IV. Heft 6. 1912. 
S. 368/369. 

4) Archives internationales de Pharmacodynamie. 
1905. IM. 14. 


5) Münch, med. Wochenschr. 1906. Nr. 26. 

6) Deutsche med. Wochenschr. 1907. S. 37. 

7) „Kochkunst und ärztliche Kunst,“ Stuttgart, S. 

105. 1907. 

8) Blätter für Volksgesundheitspflege, Heft 6. 1906. 

9) „Grundzüge der Ernährungstherapie,“ 26. Heft 

d. „Physik.-Therap.“ v. Marcuse-Strasser, S. 
43. 1908. Ich habe diese Irrtümer widerlegt. „Das 

Sättigungsgefühl.“ Ztschr. f. Psychotherapie u. med. 
Psychologie. Bd. IV. Heft 6. 1912. S. 369/370. 

10) Frau Jenny Treibei, 8. Kapitel. 

11) „Geschmack und Appetit.“ Zeitschr. f. phys. u. 
diät. Therapie. 1907/1908. Bd. 11, S. 4 u. 5. „Das 
Sättigungsgefühl.“ Ztschr. f. Psychotherapie u. med. 
Psychologie. Bd. IV. Heft 6. 1912. S. 370. 

12) „Das Sättigungsgefühl.“ Ztschr. f. Psychothe¬ 
rapie u. med. Psychologie. Bd. IV. Heft 6. 1912. S. 
370/371. 

13) „Die physiologische Grundlage des Hungerge¬ 
fühls.“ Zeit9chr. f. Sinnesphysiologie. 1911. Bd. 45. 
„Das Nahrungs-Bedürfnis.“ Leipzig, 1913. Joh. Ambr. 
Barth. 

14) Ueber die besonderen Eigenarten des Kaffeege¬ 
bäcks u. das Thumsche Verfahren zur Kaffeerei¬ 
nigung ü. Verbesserung.“ Münch, med. Wochenschr. 
1903. Nr. 85. 

15) Therap. d. Gegenw. Dezember 1911. „Alko¬ 
holische Getränke als Hypnotica.“ — Das Sättigungs¬ 
gefühl.“ Ztschr. f. Psychotherapie u. med. Psycho¬ 
logie. Bd. IV. Heft 6. S. 371/372. 

16) Kunstgriff der diätetischen Küche für die 
Stern bergsche Entfettungskur.“ Prager med. 
Wchschr. XXXVIII. Nr. 45, 1912. 


Ein Erfolg deutschen und 

Auf Ersuchen des Staates New York, 
das an die bayerische Staatsregierung 
gerichtet und dem von dieser mit erfreu¬ 
licher Unbedenklichkeit und Grosszügig¬ 
keit stattgegeben worden war, konnte — 
in privater Eigenschaft— der Vorstand 
des Staatlichen Chemisch-Balneologi- 
Laboratoriums von Bad Kissingen (und 
seinen Filialen Bocklet, Brückenau und 
Steben), der Chemiker und Baineologe 
Dr. Paul H a e r 11, im vorigen Novem¬ 
ber nach Amerika reisen, um als Balneo- 
logical Expert of the State of New York 
die staatlichen Quellen von Saratoga im 
Staat New York einem eingehenden ört¬ 
lichen Studium im einzelnen zu unter¬ 
ziehen, sich gutachtlich über die Ver¬ 
wendbarkeit und Ergiebigkeit der einzel¬ 
nen Quellen im allgemeinen zu äussern 

"Auf dem so wichtigen Gebiete des Austausches 
wissenschaftlicher und wirtschaftlicher Werte zwischen 
Deutschland und Amerika ist ein neuer grosser Erfolg 
zu verzeichnen. Bei der Bedeutung dieser Angelegen¬ 
heit geben die „Münchener Neueste Nachrichten“ 
nachfolgende ausführliche Darstellung der in Betracht 
kommenden Verhältnisse und der namentlich für 
Bayern wertvollen Ergebnisse. 


bayerischen Bäderwesens.* 

und die Wege zu zeigen, welche von der 
modernen Mineralquellentechnik und 
Hygiene gewiesen werden. 

Saratoga Springs liegt als bekannter 
Badeort sieben Bahnstunden nördlich 
von New York. Die natürlich ausge- 
tretenden (im Gegensatz zu vielen künst¬ 
lich erschlossenen) kohlensäurereichen, 
kalten Mineralquellen, welche chemisch 
verschiedenartig zusammengesetzt sind, 
wurden schon von den alten Indianer¬ 
stämmen als Trink- und Badewasser bei 
allerlei Erkrankungen, einige auch bei 
Verwundungen im Krieg und als wun¬ 
dertätige Heilwsser überhaupt benützt 
und verehrt. Sie sollten überdies gegen 
Verwundungen und Erkrankungen 
schützen und grosse Krieger schaffen. 
Den grössten Ruf genoss die sagenum¬ 
wobene, von den Indianern als Medicin 
Spring of the great Spirit (die Heil¬ 
quelle des grossen Geistes) bezeichnete 
Quelle: The High Rock Spring. 

Als die Indianer von den Weissen, ge- 


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rade durch Kampfe in und um Saratoga, 
teils niedergemetzelt, teils vertrieben wa¬ 
ren, wurde Saratoga bald ein vornehmer 
und teurer Badeort mit Spielhöllen, 
Sportfesten, Rennplätzen usw., den man 
als Monte Carlo Amerikas bezeichnete. 
Die Wasser wurden aber fast nur zu 
Trinkkuren benützt. In der zweiten 
Hälfte des vorigen Jahrhunderts erreich¬ 
te Saratoga seinen Höhepunkt, bekam 
Riesenhotels (bis zu 1000 Zimmern ent¬ 
haltend) und war einer der kostspielig¬ 
sten Treffpunkte der oberen Zehntau¬ 
send. 

Als vor Jahren Hasard und Totalisa¬ 
tor verboten wurden, ging der Kurort 
zurück. Nur der Wasserversand behielt 
Bedeutung. Die Quellen waren nach 
und nach von mehreren Gesellschaften 
angekauft worden, die einen Trust bil¬ 
deten und in vierzigjährigem Raubbau 
aus den Quellen komprimierte Kohlen¬ 
säure gewannen, wodurch der Auftrieb 
der Wasser sehr geschwächt wurde — 
zumal man nach Einstellung des Betrie¬ 
bes viele Bohrlöcher offen gelassen hatte. 
Seitdem vor einem Jahr die Sommer¬ 
rennen ä la Baden-Baden wieder gestat¬ 
tet wurden, hat sich der Verkehr wieder 
sehr gehoben. Der wertvolle Quellen¬ 
bestand aber wurde seit langem neben¬ 
sächlich behandelt, wofür die primitiven 
Trinkstellen und ein ebensolches Bade¬ 
haus mit wenigen Wannen Beweis sind. 

Es ist das Verdienst des berühmten 
Finanzmannes und Wohltäters Spen¬ 
cer Trask und seiner schriftstelle¬ 
risch wie künstlerisch begabten Gattin 
Katharina Trask, der amerikani¬ 
schen „Berta v. Suttner“, sowie des ein¬ 
flussreichen Richters Charles C. Le¬ 
ster, dass sie die amerikanische Staats¬ 
regierung auf diese alten Quellenschätze 
aufmerksam machten und für eine gross¬ 
zügige, planmässige Ausnützung interes¬ 
sierten. Der Staat (Senat of New York, 
Legislature) erwarb 1909 das umfang¬ 
reiche Quellengebiet und setzte die 
„State Reservation Commission at Sara¬ 
toga Springs“ ein mit Mr. Trask als 


Oberhaupt, dem, als er einer Eisenbahn¬ 
katastrophe zum Opfer fiel, der ebenfalls 
als Finanzmann und Philanthrop wie als 
F riedenspolitiker bekannte George 
Foster Peabody, A. M., L.L. D., 
ebenbürtig nachfolgte. Bedeutende 
Staatsmänner und Gelehrte gehören der 
Kommission an: Senator Godfrey, der 
vom Krieg gegen die Südstaaten bekann¬ 
te General Benjamin T r a c y, als juristi¬ 
scher Berater Charles C. Lester, als 
medizinischer Experte der als erste Au¬ 
torität auf dem Gebiete der Hygiene gel¬ 
tende Verfasser der Internationalen me¬ 
dizinischen Encyklopädie Albert Warren 
Ferris, A. M., M. D., der Ingenieur 
Frederick Edwards und als leitender 
Sekretär Irving R o u i 11 a r d. Hervor¬ 
ragende Persönlichkeiten schenkten die¬ 
sem stattlichen Unternehmen ihr Inte¬ 
resse wie Exzellenz Gl y n n, derzeit 
Gouverneur des Staates New York, der 
berühmte Erfinder Edison und der 
Professor der Elektrizitäts-Wissenschat¬ 
ten und Besitzer des Nobelpreises Ch. P. 
Steinmetz. 

Der Staat New York beabsichtigte mit 
diesen Massnahmen Saratoga unter 
sachgemässer Fassung seiner Quellen zu 
einem modernen Heilbad für das ameri¬ 
kanische Volk (nicht Luxusbad) in eu¬ 
ropäischem Sinn zu machen. Zur Er¬ 
werbung der Quellen half teilweise das 
in Amerika vereinfachte Enteignungs¬ 
verfahren. Nun ging die Kommission 
daran, die Quellenschätze in balneolo- 
gisch einwandfreier Weise nach moder¬ 
ner Mineralquellentechnik und Hygiene 
zu installieren. Für Massnahmen mehr 
provisorischer Natur wurde eine Million 
Dollars aufgewendet. Da in den Verei¬ 
nigten Staaten keine bedeutendere neu¬ 
zeitliche Bade- und Trinkanlage für koh¬ 
lensäurehaltige Wässer sich befindet, 
ebenso die balneologische Wissenschaft, 
die praktische Erfahrung und die grossen 
therapeutischen Erfolge auf diesem Ge¬ 
biet dort noch wenig bekannt und stu¬ 
diert sind, so beschloss die Kommission, 
sich die erstklassigen europäischen Heil- 


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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


bäder mit kohlensäurereichen Quellen 
zum Vorbild zu nehmen. 

Im vergangenen Jahre wurde die 
American Association for Promoting 
Hygiene and Public Baths beauftragt, 
behufs ausführlichen Gutachtens die eu¬ 
ropäischen Heilbäder zu besuchen und 
die Gesamtinstallationen der Quellen 
und Badehäuser eingehend zu besichti¬ 
gen. Der Präsident dieser Association, 
Professor S. B a r u c h, Dozent für 
Wasserheilkunde an der Columbia-Uni¬ 
versität und weltbekannt als Begründer 
der Free Public Baths, unternahm mit 
dem leitenden Arzt der Vanderbiltklinik 
Dr. W i 11 s o n eine grosse Informa¬ 
tionsreise durch die berühmtesten Bäder 
Englands, F rankreichs, Deutschlands 
und Oesterreichs. Dabei besichtigte er 
auch unser Bad Kissingen unter Füh¬ 
rung des Kissinger k. Bezirksarztes Dr. 
Maar und des staatlichen Chemikers 
und Balneologen Dr. H a e r 11, sowie 
das Heilbad Brückenau. Die von der 
bayerischen Staatsregierung unter Zu¬ 
ziehung bewährter Baukünstler (Ge¬ 
heimrat M. Littmann für Kissingen, 
Hofoberbaurat E. Droliinger für 
Brückenbau) durchgeführten monumen¬ 
talen Neubauten und neuen Installatio¬ 
nen fanden die grösste Bewunderung der 
Amerikaner. * 

Die Folge war, dass der Staat New 
York durch seine Kommission an die 
bayerische Staatsregierung die eingangs 
erwähnte Eingabe richten Hess. „Da un¬ 
serem medizinischen Experten“, hiess es 
u. a., „die mustergültigen und modernen 
Einrichtungen in den staatlichen bayeri¬ 
schen Bädern als geschickteste Lösung 
aller baineologischen Fragen imponier¬ 
ten, hat er uns den Rat gegeben, Herrn 
Dr. Paul H a e r 11 nach New York und 
Saratoga zum Council zu berufen.“ 
Weiterhin wurde betont, „dass die Un¬ 
terstützung des Genannten dem Wohl 
der Allgemeinheit dienen wird, da es 
sich um ein Bad handelt, das all den zahl¬ 
reichen Leidenden (von 15 Millionen 
Einwohnern des Staates New York und 


90 Millionen der Vereinigten Staaten) 
zugute kommen soll, die sich nicht die 
Wohltat der europäischen Heilbäder ge¬ 
statten können, und dass dieser edle 
Zweck die Idee einer unsauberen Kon¬ 
kurrenz ausschliesst.“ 

Mit Genehmigung der Staatsregie¬ 
rung konnte darauf Dr. H a e r 11 am 4. 
November auf dem Dampfer Kaiser 
Wilhelm II. die Ausreise antreten, ge¬ 
langte am 12. November nach New York 
und zwei Tage später nach Saratoga. 

Dr. phil. Paul H a e r 11 wurde vor 
fünf Jahren zur Einrichtung und Lei¬ 
tung des damals von der k. b. Staatsre¬ 
gierung gegründeten Staatlichen Che- 
misch-Balneologischen Laboratoriums 
berufen. Vorher war er sieben Jahre in 
Frankreich, England und der Schweiz 
— zuletzt als Direktor des gleichfalls von 
ihm installierten „Laboratoire de Re- 
cherches Scientifiques“ in Nizza — tätig 
und beherrscht die französische und eng¬ 
lische Sprache vollständig. In fast drei¬ 
wöchigem Aufenthalt studierte Dr. 
H a e r 11 die Quellen von Saratoga auf 
ihre Verwendbarkeit und Ergiebigkeit. 
Eine Analyse der Wasser konnte in der 
kurzen Zeit nicht in Frage kommen. 
Ueberdies sind sämtliche Quellen schon 
von amerikanischen Universitäten analy¬ 
siert worden. Es wurden nur einige 
wichtige Kohlensäurebestimmungen, Se¬ 
rienanalysen und Radioaktivitätsbestim¬ 
mungen zur genaueren Orientierung 
ausgeführt. Die Wasser erwiesen sich 
als übersättigt mit Kohlensäure, dem für 
Bäder unentbehrlichen Agens; auch die 
Trinkquellen halten den Vergleich mit 
den berühmtesten der Welt aus. Dabei 
sind sie aber zumeist völlig verwahrlost, 
Fassung und Leitung unzugänglich und 
alle Einrichtungen, die heute ein moder¬ 
ner Kurort haben muss, fehlen. 

Nach den Vorschlägen Dr. Haertls 
müssen die Quellen vollständig neu ge¬ 
fasst werden. Damit das Wasser sich 
nicht zersetzt und übelriechend wird, 
müssen statt der Eisen roh re solche aus 
Phosphorbronze oder reinem Kupfer 


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verwendet werden. Bei allen Quellen 
müssen Schächte aus Eisenbeton einge¬ 
baut werden bis unterhalb des Grund¬ 
wassers, um die für die Bäder erforder¬ 
liche reichliche Quellschüttung zu erzie¬ 
len. Mit eisenarmierten Zinn- oder 
Holzröhren muss das Wasser zu einer 
zentralen Trinkhalle geleitet werden. 
Ein Gradierwerk zur Konzentration des 
Salzwassers für Badezwecke und für In¬ 
halationen ist nötig. Ferner empfiehlt 
sich die Erbauung eines Kurhauses mit 
Lesehallen, eines neuen Badehauses und 
die Einrichtung eines baineologischen 
Laboratoriums. Endlich liegt es, und 
zwar nicht in letzter Linie, an den ame¬ 
rikanischen Aerzten, die Entwicklung 
durch Studium der Balneologie und der 
Heilfaktoren, die in Bade- und Trink¬ 
kuren liegen, zu fördern. 

Diese und weitere Vorschläge sind in 
einer Denkschrift enthalten, die Dr. 
H a e r 11 der New Yorker Staatsregie¬ 
rung übergab. 

Wiederholt und unverhohlen gab Dr. 
H a e r 11 seiner berechtigten Verwunde¬ 
rung darüber Ausdruck, dass diese rei¬ 
chen Quellenschätze bei der doch sprich¬ 
wörtlich gewordenen praktischen Veran¬ 
lagung der Amerikaner bisher noch nicht 
entsprechend ihrer grossen volkswirt¬ 
schaftlichen Bedeutung gewürdigt wor¬ 
den sind. 

Die Aufnahme unseres Landsmannes 
jenseits des Ozeans war eine glänzende 
und das Interesse an seiner Mission be¬ 
wegte die weitesten Kreise. Wir brau¬ 
chen nur die verschiedenen grossen ame¬ 
rikanischen Zeitungen durchzublättern, 
um das bestätigt zu finden. Die New 
Yorker Staats-Zeitung vor allem, dann 
das dortige Deutsche Journal, die mit der 
ungeheuerlichen Auflage von 1,350,000 
Exemplaren in Albany erscheinende 
Knicker-Bocker Press, ferner die New 
Yorker Evening Sun, die New Yorker 
Times, der Saratogian und Saratoga Sun 
weisen auf die Ankunft des bayerischen 
Experten hin, beleuchten mit Anerken- 
nungs- und Daankesworten für die bay¬ 
erische Regierung seine Aufgabe, beglei¬ 


ten seine Tätigkeit und bringen immer 
wieder mit rühmenden Worten nach der 
Art der amerikanischen Zeitungen sein 
Bildnis. 

In dem tausendzimmerigen United 
States Hotel, einem der grössten der 
Welt, hielt Dr. H a e r 11 einen ausführ¬ 
lichen Vortrag in englischer Sprache vor 
der Aerzteschaft, den staatlichen und 
städtischen Behörden über die Monu¬ 
mentalbauten unserer staatlichen Bäder 
und Quellen Kissingen, Brückenau, 
Bocklet, Steben und Reichenhall, unter 
gleichzeitiger Ausstellung photographi¬ 
scher Abbildungen und technischer 
Zeichnungen. In einer Konferenz mit 
Gouverneur G1 v n n Hess dieser sich 
über eine Stunde lang Vortrag erstatten 
und zollte volle Bewunderung den Pho¬ 
tographien der Monumentalbauten, die 
in Kissingen (von L i 11 m a n n), in 
Steben (von Ministerialrat Frhni. v. 
Schacky), in Brückenau und Rei¬ 
chenhall (von Drollinger) in den 
letzten Jahren entstanden sind. Die 
Sonntage wurden dazu verwendet, dem 
Gast die Schönheiten und Sehenswürdig¬ 
keiten des Landstriches um Saratoga, 
sowie das grösste Elektrizitätswerk der 
Welt, die „General Electric Works“, de¬ 
ren Direktor früher Mr. Peabody war, 
zu zeigen. Zum Schluss gab Gouver¬ 
neur G 1 y n n zu Ehren Dr. H a e r 11 s 
ein Bankett. Dann war Dr. H a e r 11 
noch zu Gast bei Edison in dessen 
grossartigen Laboratorien im Llewellyn- 
Park bei Orange (New Jersey) und trat 
am 2. Dezember auf dem Dampfer 
„Kronprinzessin Cecilie“ die Heimreise 
an. 

Gleich nach Neujahr traf im Auftrag 
der Saratoga-Kommission der Architek¬ 
turprofessor Ch. Anthony aus Sche- 
nectady in Kissingen ein, um dort die 
mustergiltigen Kurbauten zu studieren. 
Die Kissinger Neubauten und Installa¬ 
tionen sowie das neue Badehaus in 
Brückenau machten auf ihn den grössten 
Eindruck. Da es seine Aufgabe war, 
sich einen allgemeinen Ueberblick zu 
verschaffen, besuchte er auch Wiesba- 


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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


den, Homburg und Nauheim und fand 
überall grösstes Entgegenkommen und 
herzlichste Aufnahme. Sofort nach sei¬ 
ner Rückkehr wird Anthony beim Senat 
von New York die für den Ausbau Sa- 
ratogas zu einem erstklassigen Volks- 
heilbad erforderlichen Millionen bean¬ 
tragen. 

Fragen wir, was unserem Bad Kis- 
singen und den übrigen bayerischen 
staatlichen Mineralbädern so weitrei¬ 
chende Anerkennung und eine führende 
Rolle in der modernen Balneologie ein¬ 
getragen hat, so dürfen wir voran die 
tatkräftige Förderung durch die k. b. 
Staatsregierung verzeichnen. Sie ist es, 
die besonders in Bad Kissingen unter 
der quellentechnischen Aufsicht und 
Verantwortung des Staatlichen Che- 
misch-Balneologischen Laboratoriums 
Hand in Hand mit dem Architekten Ge¬ 
heimrat und Prof. Max Littmann- 
München, den staatlichen Bau-, Berg¬ 
werks- und Medizinalbehörden und ei¬ 
ner Reihe erstklassiger Spezialfirmen die 
monumentalen und zweckmässigen neu¬ 
en Kurbauten und Kuranlagen mit dem 
erschlossenen Luitpoldsprudel sowie die 
vorbildlichen Neuinstallationen geschaf¬ 
fen hat. Diese Installationen wurden in 
einem massgebenden Spezial-Sachver- 
ständigen-Gutachten des bekannten che¬ 
mischen Laboratoriums Fresenius-YVies- 
baden als mustergiltig, neuartig und als 
bemerkenswerte Fortschritte in der 
Quellentechnik eingehend gewürdigt. 

Die hohe Anerkennung, die vor allem 
den neuesten Kureinrichtungen des 
Weltbades Kissingen bis aus dem fernen 
Westen gezollt wird, möge beweisen, 
welch reiche Früchte das unablässige 
Wohlwollen des erlauchten Herrscher¬ 
hauses und die weise und tatkräftige 
Fürsorge des bayerischen Staates um die 
wertvollen Heilquellen Kissingens seit 
100 Jahren getragen haben. Nichts 
wurde unterlassen, kein Opfer gescheut, 
um diese kostbaren Naturschätze zu er¬ 
forschen, zu erhalten und zu verbessern. 
Die berühmtesten bayerischen Chemiker 


und Geologen — es seien unter vielen 
nur J. v. L i e b i g und W. v. G ü b e 1 
genannt — widmeten sich mit dem tiefen 
Schatz ihres Wissens der Erforschung 
der Quellen, die namhaftesten Techniker 
wurden zu ihrer Sanierung und reiche¬ 
ren Ausnützung berufen, und seit vielen 
Jahrzehnten sammelten in ununterbro¬ 
chener Reihenfolge die staatlichen Quel¬ 
lenbeobachter, Geologen und Chemiker 
(Knorr, Martin, Denk, Hurt, Hecken¬ 
lauer, Wiedemann, Scheck, Haertl) eine 
Fülle von Erfahrungen und Kenntnissen 
über die Heilquellen Kissingens. Auf 
solch sicheres Fundament konnten die 
gegenwärtigen quellentechnischen Fort¬ 
schritte in Bad Kissingen gegründet 
werden. 

Von den herangezogenen Spezialfir¬ 
men seien genannt: Dyckerhoff & Wid- 
mann A.-G. Nürnberg-München, August 
Völkel-München, Thiele & Höring-Hei¬ 
delberg. Thiergärtner, Voltz & Wittmer 
G. m. b. H. Baden-Baden, Weise & 
Monski-Halle a. S., J. Dölger-Bad Kis¬ 
singen, A. Elz-Schweinfurt-H.-B., Noell- 
Würzburg und Enzner & Pesel-Bad Kis¬ 
singen. 

Der Erfolg, der in diesen bayerisch¬ 
amerikanischen Beziehungen, die sich 
unversehens hier angebahnt haben, zum 
Ausdruck kommt, darf also mit Genug¬ 
tuung gebucht werden, ohne dass wir an¬ 
deren Bädern nahetreten wollen, da eben 
die besonderen Bedürfnisse Saratogas 
gerade auf Kissingen wiesen. Es kann 
dieser Erfolg nicht hoch genug einge¬ 
schätzt werden. Die gesamte Bäder¬ 
kunde wird davon Vorteil haben, gleich¬ 
wie die in den Kissinger Einrichtungen 
verkörperte Mineralquellentechnik als 
neue und schwierige Spezialwissenschaft 
grösste Bedeutung hat. Im besonderen 
wird unser Bad Kissingen als bestinstal¬ 
liertes Mineralbad für kohlensäurehalti¬ 
ge Quellen in den amerikanischen Zei¬ 
tungen allenthalben besprochen, was eine 
hervorragende Propaganda bei den lei¬ 
stungsfähigsten Kreisen der Vereinigten 
Staaten für unsere Bäder bedeutet. Auch 


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der Ruf der vorzüglich gehaltenen, herr¬ 
lichen Kissinger Promenaden drang be¬ 
reits über den ,,grossen Teich.** 

Ferner noch ein wichtiger Umstand: 
dass beim Ausbau Saratogas die deut¬ 
sche, besonders die bayerische Spezial¬ 
industrie für Balneologie nennenswerte 
Aufträge erwarten darf, da gerade die 
für diese spezialwissenschaftliche Tech¬ 
nik notwendigen Materialien zum 
grossen Teil bei uns fabriziert werden 
und wegen der hohen Modellkosten uno 
erforderlichen Spezialfabrikanlagen viel 
billiger und zweckmässiger von unserer 
Industrie bezogen als in Amerika kopiert 
werden. In Betracht kommen besonders 
unsere Firmen für Mineralquelleitungen, 
Rohrmaterial. Zapfstellen, Phosphor¬ 
bronze, Rotgussfabrikate, Spezialisolie¬ 
rungen. kohlensäurebeständige Wand¬ 
platten ( hartgebrannt) und komplette 
Iiäderinstallationen. Einige Musterbä- 
der sind bereits in Auftrag gegeben. 

Endlich darf noch betont werden, dass 
der Ausbau Saratogas durch den Staat 
New York nicht nur — wie vielleicht von 
engherzigen Geistern befürchtet werden 
könnte — keine Konkurrenz für die eu¬ 
ropäischen Heilbäder bedeutet, sondern 
vielmehr eine Steigerung des Interesses 
für dieselben herbeiführen wird. Denn 
wird erst einmal — worauf von den her¬ 
vorragendsten Persönlichkeiten in New 
York wiederholt hingewiesen wurde — 
das amerikanische Volk mit der so emi¬ 
nenten Heilwirkung der natürlichen koh¬ 
lensäurereichen Mineralquellen vertraut 


gemacht und von den einheimischen 
Aerzten zur Benützung solcher Bäder 
erzogen, dann werden nicht nur die Heil¬ 
quellen Saratogas — welche der Staat in 
erster Linie für diejenigen Leidenden 
bestimmt hat, die sich eine Kur in einem 
europäischen Heilbad aus geschäftlichen, 
gesundheitlichen oder pekuniären Rück¬ 
sichten nicht gestatten können — aufge¬ 
sucht werden, sondern in noch erhöhtem 
Masse auch die europäischen Heilbäder. 
Das, was also der bayerische Staat durch 
sein vornehm-liberales Entgegenkommen 
indirekt für das Yolkswohl des fremden 
Staates tut, wird nicht zu seinem Scha¬ 
den sein. 

F2s ist überhaupt eine besonders er¬ 
freuliche Seite dieser ganzen Angelegen¬ 
heit, dass ideelle Massstäbe dabei eine 
Rolle spielen — in dem Sinn, den Dr. 
I I a e r 11 meint, als er auf dem letzten 
Bädertag in Badenweiler einen Vor¬ 
trag über „Fassung, Pumpenanlagen. 
Leitungen, Reservoire und Erwär¬ 
mungsmethoden für kohlensäurereiche 
Mineralquellen“ mit dem Hinweis 
schloss: Es möchten zum Wohl der 
Menschheit und zur Förderung der 
W issenschaft und Technik die einzelnen 
Bäder ihre technischen Errungenschaf¬ 
ten nicht als Geheimnisse betrachten, 
sondern ihre Erfahrungen gegenseitig 
austauschen, um nicht eine ungesunde 
Konkurrenz, sondern im freien ehrlichen 
Wettbewerb einen stetigen Fortschritt in 
der Ausnutzung der Naturkräfte zu er¬ 
zielen. 


Redaktionelles. 

Kriegsbetrachtungen. 


Der europäische Krieg dauert an; mit 
ihm halten gleichen Schritt die Feind¬ 
seligkeiten und Hetzereien in der anglo- 
amerikanischen Presse, denen durch die 
Ankunft der belgischen Lügenkommis¬ 
sion, wie das von dem König von Bel¬ 
gien an Präsident Wilson gesandte 
Komitee von der hiesigen deutschen 


Presse genannt wird, willkommene 
Nahrung gegeben wurde. Berichte, 
dass deutsche Soldaten mit auf dem 
Ba j onett au fgespiessten Säuglingen 
durch die Strassen ziehen, den Kindern 
männlichen Geschlechts die Arme ab- 
hauen, damit sie später keine Waffen 
tragen können, dass sie nicht nur die 


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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


feindlichen, sondern sogar ihre eigenen 
Verwundeten töten, um der Pflege der¬ 
selben enthoben zu sein, sind an der 
Tagesordnung. Dabei berichten diesel¬ 
ben Zeitungen mit Stolz, dass ein Turko 
den abgeschlagenen Kopf eines deut¬ 
schen Soldaten in seinem Tornister nach 
Paris gebracht habe und erst durch eine 
Geldentschädigung seitens der Behörden 
bewogen werden konnte, sein Trophäe 
herzugeben. Wir glauben natürlich von 
letzterer Geschichte kein Wort, wollten 
dieselbe nur hier erwähnen, um zu zei¬ 
gen, dass die angloamerikanische Pres¬ 
se mit wenigen Ausnahmen jegliches 
Gefühl für Rechtlichkeit und Anstand 
verloren hat. Die New Yorker Sun 
brachte in ihrer Sonntagsausgabe Re¬ 
produktionen von, was sie als „patrioti¬ 
sche“ französische Postkarten bezeich- 
nete. Die eine zeigt einen Turko, der 
den deutschen Kaiser und den Kaiser 
von Oesterreich bei der Kehle hält, mit 
der Unterschrift „There they are, the 
two who would devour Europe.“ Die 
Franzosen wollen mit diesem Bild wohl 
den „Kampf der Zivilisation gegen den 
Barbarismus“ illustrieren. Das zweite 
Bild, noch gemeiner wie das erste, zeigt 
eine Gruppe englischer, russischer und 
französischer Soldaten, wobei ein baum¬ 
langer Engländer ausruft: „And now 
we must finish with this foul beast of a 
Hohenzollern.“ Dabei steht ein franzö¬ 
sischer Soldat auf dem umgestürzten 
deutschen Grenzpfahl. Und solche 
Schandbilder werden von der Sun als 
patriotisch bezeichnet. Pfui! Es wur¬ 
den auch einige, wenn auch nur schwa¬ 
che Versuche gemacht, das deutsche Mi¬ 
litärsanitätswesen und die Verwunde¬ 
tenfürsorge in den Schmutz zu ziehen, 
doch wollten dieselben nicht so recht 
durchdringen. Dafür machen sich die 
hiesigen Zeitungen um so mehr Sorgen 
um die mangelhafte Verpflegung der 
deutschen Armee. Eo lässt sich der 
Globe aus Paris berichten, dass ein fran¬ 
zösischer Militärarzt, der einen verwun¬ 
deten deutschen Gefangenen zu behan¬ 
deln hatte, aus diesem herausbekam, 
dass er in der letzten Zeit nur noch Ha¬ 
fer zu essen bekam. Eine andere hiesi¬ 
ge Zeitung fand diese Mitteilung wich¬ 
tig genug, um weiter verbreitet zu wer¬ 
den. Sie las aber in der Eile „cats“ statt 


„oats“ und berichtete demgemäss ihrer¬ 
seits ihren Lesern, dass die deutsche 
Armee in der letzten Zeit an Katzen 
lebte. 

Das British Medical Journal vom 22. 
August berichtet, dass die Leitung des 
britischen Militärsanitätswesens das An¬ 
erbieten von Zahnärzten, das Gebiss 
englischer Kriegsfreiwilliger unentgelt¬ 
lich in Stand zu setzen, angenommen 
hat, wodurch es ermöglich wurde, viele 
Freiwillige anzunehmen, die sonst ihrer 
Zähne wegen hätten zurückgewiesen 
werden müssen. Der Grund hiefür ist 
nicht so ohne weiteres einleuchtend, 
denn die Zeit, in der die Soldaten gute 
Vorderzähne haben mussten, um die 
Patronen aufzubeissen, ist ja wohl vor¬ 
über, allein das British Medical Journal 
belehrt uns, dass „an army travels on its 
stomach“. Das mag für die englische 
Armee zutreffen, die Stärke der deut¬ 
schen Armee beruht nicht in dem Ma¬ 
gen der Soldaten, sondern, wie bekannt, 
in ihren Beinen. 

Von Dr. Louis Livingston 
S e a m a n, der die famose Depesche 
aus Antwerpen an den New Yorker 
Herald geschickt hatte, hört man nichts 
mehr, er ist plötzlich still geworden. 
Wie die hiesigen Zeitungen berichten, 
ist sein vorlautes Benehmen in Washing¬ 
ton sehr übel vermerkt worden und steht 
ihm, da er Arzt des amerikanischen Re¬ 
servekorps ist, bei seiner Rückkunft ein 
Disziplinarverfahren in Aussicht. 

Das amerikanische Rote Kreuzschiff 
„Hamburg“ ist endlich abgefahren, 
nachdem noch im letzten Moment Hin¬ 
dernisse in den Weg gelegt worden wa¬ 
ren. Die Gesandten der „Alliierten“ 
legten nämlich Protest gegen die Ab¬ 
fahrt ein, da ein Bruchteil der Schiffs¬ 
bemannung, Heizer und Kohlenzieher, 
deutscher Nationalität waren. Und die 
„Hamburg“ durfte wirklich nicht ab¬ 
fahren, bis der anstössige Teil der Be¬ 
satzung durch Nichtdeutsche ersetzt 
worden war. Dieses kleinliche Beneh¬ 
men der Herren Franzosen und Eng¬ 
länder verursachte eine tagelange Ver¬ 
zögerung der Abfahrt des Schiffes. 

Armes Deutschland! Die Alliierten 
haben einen neuen Bundesgenossen be¬ 
kommen. Wie eine französische Zei¬ 
tung berichtet und die hiesige anglo- 


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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


93 


amerikanische Presse weiterverbreitet, 
hat ein wildgewordener französischer 
Stier achtzehn deutsche Soldaten getö¬ 
tet. Also nicht nur Japanesen, Singa- 
lesen und Turkos, sondern auch das 
Rindvieh kämpft auf Seiten der „Zivili¬ 
sation gegen den Barbarismus“. Wie 
sagt doch das New York Medical Jour¬ 
nal? Die „most highly civilized” haben 
sich zuletzt in den Konflikt gemengt. 

Dafür, dass Franzosen und Englän¬ 
der, die berufenen Vertreter der Zivili¬ 
sation und Humanität, vide Kolonial¬ 
kriege derselben, wirklich Dum-Dum- 
Geschosse gegen die Deutschen be¬ 
nutzen, sind nunmehr positive Beweise 
erbracht worden, wie ja auch der deut¬ 
sche Kaiser wegen dieses Verstosses 
gegen die Beschlüsse der Internationa¬ 
len Friedenskonferenz vom Jahre 1890 
bei Präsident Wilson Protest einge¬ 
legt hat.* 

In Deutschland begann sofort nach 
Erklärung des Krieges eine ausgedehn¬ 
te Bewegung zur Fürsorge für die Ver¬ 
wundeten und Kranken, insbesondere 
seitens des Roten Kreuzes. An die 
Spitze stellte sich der deutsche Kaiser, 
der 100,000 Mark für die Zwecke des 
Roten Kreuzes und die gleiche Summe 
zur Fürsorge für die Familien der zu 
den Fahnen Einberufenen spendete, fer¬ 
ner stellte er die Kgl. Schlösser in 
Strassburg, Wiesbaden, Königsberg und 
Koblenz zur Aufnahme von Verwunde¬ 
ten und Kranken zur Verfügung. Der 
Kaiser von Oesterreich hat eine Million 
Kronen für Fürsorgezwecke für die 
Armee gespendet. Die von privater Sei¬ 
te gestifteten Beiträge haben bereits eine 
bedeutende Höhe erreicht. Die Mit¬ 
glieder der Berliner amerikanischen 
Aerztegesellschaft haben beschlossen, 
ihre Dienste in den Sanitätsanstalten der 
deutschen Heere anzubieten. 

An den verschiedenen deutschen Uni¬ 
versitäten ist fast die gesamte Studen¬ 
tenschaft dem Ruf zu den Fahnen ge¬ 
folgt. Das Münchener Korps Franco- 

* Interessant is zu erfahren, was in der neuesten 
Auflage von Funk & Wagnall’s Dictionary über die 
Dum-Dum-Geschosse gesagt ist: „They are so named 
from Dumdum, near Calcutta, the seat of thc am- 
munition factory for the Indian army. The majority 
of the International Peace Conference of 1899 decided 
against its use in war, the United States and England 
bcing in minority.“ 


nia hat sich in corpore zum Waffen¬ 
dienst gestellt und hat an sämtliche An¬ 
gehörige des Kösener S. C. einen Auf¬ 
ruf ergehen lassen, sich als Freiwillige 
zu stellen. Aehnliche Aufrufe haben 
auch die deutschen Burschenschaften er¬ 
gehen lassen. 

In ihrer Nummer vom 25. August 
schreibt die Münchener Medizinische 
Wochenschrift folgendes: „Eine über¬ 
aus beklagenswerte Erscheinung, die in 
diesem Kriege der ersten Kulturvölker 
unerwarteterweise hervortritt, ist die 
häufige Verletzung der Genfer Konven¬ 
tion. Die Fälle, in denen auf Aerzte 
geschossen wurde, sollen sehr zahlreich 
sein, ebenso diejenigen, in denen aus 
Häusern, die die Genfer Flagge trugen, 
geschossen wurde. Noch schlimmer ist, 
dass von der belgischen und französi¬ 
schen Bevölkerung an verwundeten 
Kriegern bestialische Grausamkeiten 
verübt wurden. Da diese Vorkommnis¬ 
se die schärfsten Gegenmassregeln zu 
einem Gebot der Selbsterhaltung ma¬ 
chen, so erhält dadurch die Kriegsfüh¬ 
rung eine an sich unnötige Härte, die 
niemand mehr bedauern kann als die 
deutschen Soldaten und das deutsche 
Volk. Unqualifizierbar ist das Vorgehen 
Japans gegen Deutschland, das sich als 
glatte Erpressung kennzeichnet. Und 
das von Japan, das von Deutschland so 
viele Wohltaten erfahren hat! Ein Le¬ 
ser unseres Blattes schickt uns die Fra¬ 
ge: „Was fängt die Universität nun mit 
den japanischen Geschwulstdoktoren an, 
von deren Namen das Dissertationsver¬ 
zeichnis Ihrer letzten Nummer strotzt?“ 
Wir können die Frage mit dem Aus¬ 
spruch eines Münchener Klinikers be¬ 
antworten : „Wir werden ihnen die 
Türe weisen.“ Die Säuberung unserer 
Universitäten von diesen wenig er¬ 
wünschten Gästen wird eine der, wie 
wir hoffen, vielen wertvbllen Errungen¬ 
schaften dieses Krieges sein“. 

In der gleichen Nummer teilt die M. 
m. W. mit, dass infolge des plötzlich 
eingetretenen grossen Bedarfs an Mor¬ 
phium nicht nur der Preis dieses wich¬ 
tigen Arzneimittels eine ausserordent¬ 
liche Steigerung erfahren hat, sondern 
dass es auch an verschiedenen Stellen 
an genügenden Vorräten fehlt, sodass 
für Apotheken vielfach Schwierigkeiten 


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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


bei der Deckung ihres Bedarfs entste¬ 
hen. Da unter den obwaltenden Um¬ 
ständen auch auf weitere Zufuhren von 
Opium nicht gerechnet werden kann, so 
ist darauf Bedacht zu nehmen, die vor¬ 
handenen Vorräte an Morphium tun¬ 
lichst zu schonen. Der preussische Mi¬ 
nister des Innern ersucht daher die 


Aerztekammern, auf die Aerzte ihres 
Bezirks dahin einzuwirken, dass sie bei 
ihren Verordnungen in geeigneten Fäl¬ 
len statt des Morphiums entsprechende 
Ersatzmittel berücksichtigen und Mor¬ 
phium nur da verschreiben, wo es un¬ 
entbehrlich und in keiner Weise zu er¬ 
setzen ist. 


Referate und Kritiken. 


Therapeutische Technik für die ärzt¬ 
liche Praxis. Ein Handbuch für 
Studierende und Aerzte. Herausge¬ 
geben von Professor Dr. Julius 
Schwalbe. Mit 626 Abbildungen. 
Vierte, verbesserte und vermehrte 
Auflage. Verlag von Georg Thieme, 
Leipzig 1914. 1096 S. Preis geb. 

Mk. 26.50. 

Von S c h w a 1 b e’s vorzüglichem 
Handbuch der Therapeutischen Technik 
liegt abermals eine neue Auflage vor, die 
eine Reihe Veränderungen und trefflicher 
Ergänzungen enthält. Neuhinzugekom- 
men sind die Kapitel „Diathermie“ und 
„Behandlung nach Bergonie" von Prof. 
Rieder, die „Technik der Ernährung 
des gesunden und kranken Säuglings" 
von Prof. H. Ko eppe (Giessen), die 
„Allgemeine Technik der Laparotomie" 
und die „Chirurgische Behandlung der 
Peritonitis" von Prof. Werner. Der 
Abschnitt „Technik der Augenheilkun¬ 
de" ist nach dem Tode von Evers- 
b u s c h durch seinen Amtsnachfolger 
Geheimrat v. H e s s in Gemeinschaft mit 
Prof. L o h m a n n neu bearbeitet. Der 
Abschnitt „Technik der Frauenheilkun¬ 
de" von Geh.-Rat Fritsch hat unter der 
Mitarbeit von Prof. Stoeckel (Kiel) 
an manchen Stellen eine durchgreifende 
Veränderung erfahren. Auch alle übri¬ 
gen Abschnitte sind, soweit es die fort¬ 
schreitende Technik in der Medizin be¬ 
dingte, ergänzt und verbessert worden. 
Auch in der neuen Auflage wurden wie¬ 
derum viele Abbildungen durch bessere 
ersetzt und neue hinzugefügt, sodass die 
Zahl derselben nunmehr auf 626 gestie¬ 
gen ist. Der Umfang des Werkes hat 
sich trotz der Vermehrung seines Inhal¬ 
tes nur um 26 Seiten gesteigert, dank den 


erheblichen Kürzungen oder Streichun¬ 
gen unwesentlicher Teile, namentlich in 
den Abschnitten Augen- und Frauenheil¬ 
kunde. Das S c h w a 1 b e’sche Werk, 
das in seiner Art einzig in der medizini¬ 
schen Literatur dasteht, den Aerzten 
noch speziell zu empfehlen, dürfte wohl 
überflüssig sein, da dasselbe durch seine 
früheren Auflagen sich selbst auf die 
beste Weise empfohlen hat. 

Die Prognosenstellung bei der Lun¬ 
gentuberkulose mit eingehender Be¬ 
rücksichtigung der physikalischen und 
serologischen Befunde und der thera¬ 
peutischen Prognostik. Bearbeitet von 
Priv.-Doz. Dr. D. O. K u t h y und Dr. 
A. W olff-Eisner. Mit 21 Text¬ 
abbildungen. Verlag von Urban & 
Schwarzenberg, Berlin und Wien 
1914. 572 S. Preis geb. $5.00. 

Das vorliegende Werk dürfte wohl 
das erste sein, dass sich einzig und allein 
und in der eingehendsten Weise mit der 
Prognostik der Lungentuberkulose be¬ 
schäftigt, die bisher in der Literatur nur 
sehr stiefmütterlich behandelt worden 
war, weil man gewohnt war. mit der 
Diagnose zugleich eine ungünstige Pro¬ 
gnose zu verknüpfen. Der Grund hier¬ 
für lag darin, dass die Diagnosen fast 
durchwegs Späterkennungen der Krank¬ 
heit gewesen sind, von einer Frühdia¬ 
gnose im wahren Sinne des Wortes aber 
kaum die Rede sein konnte. Heute ver¬ 
hält sich die Sache anders: die Diagnose 
Lungentuberkulose umfasst an sich kei¬ 
ne Prognose mehr, dieselbe ist vielmehr 
als eine sehr delikate Frage zu betrach¬ 
ten, deren Beantwortung dem prakti¬ 
schen Arzte sozusagen täglich obliegt. 
Das vorliegende Buch beschäftigt sich 


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Medizinische Monatsschrift. 


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vor allem mit der prognostischen Wert¬ 
schätzung sämtlicher klinischen Symp¬ 
tome, sodann mit der entsprechenden 
W ürdigung der neueren prognostischen 
Methoden, denen bei der Stellung der 
Prognose nicht immer die genügende Be¬ 
achtung geschenkt wird. Von ganz be¬ 
sonderem Interesse ist der Abschnitt 


über die Wirkung therapeutischer Ein¬ 
griffe der Lungentuberkulose hinsicht¬ 
lich der Beurteilung der verschiedenen 
Tuberkulinpräparate und der Serum¬ 
therapie, der Heliotherapie, Röntgen¬ 
behandlung etc. Das Buch bildet eine 
wertvolle Bereicherung der medizini¬ 
schen Literatur. R. 


Mitteilungen aus der neuesten Journalliteratur. 


Innere Medizin. 

Referiert von Dr. A. Herz fei d. 

F. Pentimalli: Zur Frage der 
chemotherapeutischen Versuche auf 
dem Gebiete der experimentellen 
Krebsforschung nebst einer Mittei¬ 
lung über die Wirkungen des kol¬ 
loidalen Wismuts. 

Autor stimmt mit Wassermann 
überein in der Behauptung, dass die 
X-Strahlung des Radiums und Meso¬ 
thoriums gegenüber dem Mäusekrebs 
so gut wie unempfindlich ist und dass 
er deswegen als Yergleichsobjekt für 
therapeutische Massnahmen mit dieser 
Strahlung am menschlichen Krebs nicht 
in Betracht kommt. Bestrahlungen von 
Tumorbrei in Ringerlösung trotz stärk¬ 
ster Dosen haben nur negative Resultate 
ergeben. Die chemotherapeutischen 
Versuche mit Selenverbindungen und 
anderen in der Literatur empfohlenen 
Präparaten haben in keinem Falle ein 
eindeutiges positives Resultat ergeben. 
Die erfolgreichen Versuche mancher 
Forscher sind entweder in noch nicht 
nachweisbaren Differenzen im Aufbau 
der chemischen Präparate oder in beson¬ 
deren Verhältnissen der Tumoren (früh¬ 
zeitige Nekrose, Trauma, Autoimmuni- 
sation) begründet. Das kolloidale 
Wismut hat sich als ein spezifisches 
Nierengift bezw. als ein direktes Reiz¬ 
mittel des hämopoetischen Gewebes 
erwiesen. (D. m. W. 1914 Nr. 29.) 

Carl Klieneberger: Agglutina¬ 
tionstiter bei Infektionskrankheiten, 
insbesonder bei Typhus und Para¬ 
typhus. 

Nach Verfasser ist die in der Litera¬ 


tur vertretene Meinung, dass beim 
Typhus und Paratvphus Agglutinations¬ 
werte von 1 :20000 unglaublich hohe 
Veränderungen darstellen und dass 
Titerwerte selbst von 1 :20C0 nur sel¬ 
ten Vorkommen, nicht ganz richtig. 
Verfasser fand in acht Fällen von Ab¬ 
dominaltyphus bei der W i d a P sehen 
Reaktion nach Proescher-Neis- 
s e r Agglutinationswerte zweimal 1 : 
81920 und einmal 1:163840. (D. m. W. 

1914 Nr. 36.) 

Adolf Meyer: Erfahrungen mit 
dem Tuberkulin Rosenbach bei 
Lungentuberkulose. 

Verfasser berichtet über gute Resul¬ 
tate. Das Präparat, das nicht „ganz 
konstant“ zu sein schien, zeichnet sich 
durch geringe Giftigkeit, leichte Dosier¬ 
barkeit und gute Bekömmlichkeit aus. 
Starke Stichreaktionen sah Verfasser 
selten. (D. m. W. 1914 Nr. 30.) 

Dr. Heinrich Epstein: Rasche 
Heilung der gemeinen Neuralgie 
durch ein neues Antineuralgicum. 

Epstein, einer unserer bedeutend¬ 
sten Kenner der aus der alten Volks¬ 
medizin uns überlieferten Medikamen¬ 
ten empfiehlt in Behandlung des oben¬ 
erwähnten Leidens den Roob Sambuci. 
Aus 48 mit diesem harmlosen Saft be¬ 
handelten Fällen zieht Verfasser fol¬ 
gendes Resume: 

1. Roob Sambuci ist ein Spezificum 
gegen gemeine Neuralgie; frische Fälle 
werden in 10 bis 12 Minuten dauernd 
geheilt. Aeltere Fälle müssen die Gabe 
durch 3 bis 5 Tage täglich einmal neh¬ 
men und zwar stets 20 bis 30 Gramm 


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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


in einer 20prozentigen Alkohollösung. 
Die angenehmste Form war eine Lö¬ 
sung in einem stärkeren spanischen 
Wein; ohne Alkohol gereicht, tritt Hei¬ 
lung erst nach 5 bis 7 Tagen ein. 

2. Tritt keine Besserung ein, dann ist 
diese Form der Neuralgie keine ge¬ 
meine. 

3. Verschlimmert sich der Schmerz 
(auch ohne Alkohol gereicht), dann 
liegt eine Neuritis vor. 

(Ich möchte den Kollegen dieses ein¬ 
fache, harmlose und billige Medikament 
zur Nachprüfung empfehlen. Ref.) 
(Prag. m. Wschr. 1914 Nr. 8.) 

Max H e n i u s: Zur medikamentö¬ 
sen Behandlung der Diarrhoeen. 

Im Vordergründe der Therapie der 
Diarrhoeen stehen die zweckmässige 
Regelung der Lebensweise durch Diät 
und physikalisch-therapeutische Mass¬ 
nahmen, doch sind wir in vielen Fällen 
auch auf eine medikamentöse Behand¬ 
lung angewiesen. F i e 1 d beschrieb 
eine Anzahl Fälle, in welchen er die 
Diarrhoe einer „gastrokolischen Reflex¬ 
wirkung“ beobachtete, zu deren Be¬ 
kämpfung er das Kokain empfahl. Ver¬ 
fasser hat diese „physiologisch gut ge¬ 
gründete Methode“ nachgeprüft und 
empfiehlt nur das Kokain in der Form 
der Gelonida neurenterica: Cocain 

0.005, Natrii Bicarb 0.1, Menthol. Man 
gibt Erwachsenen dreimal täglich drei 
Tabletten *4 Stunde vor der Mahlzeit, 
Kindern *4 bis 1 Tablette. (Ich habe 
bereits beim Referieren der F i e 1 d’- 
schen Arbeit auf die Gefahren der in¬ 
neren Anwendung des Kokaines und 
seiner Derivate aufmerksam gemacht. 
Ref.) D. m. W. 1914 Nr. 40.) 

H. Quincke: Ueber die therapeuti¬ 
schen Leistungen der Lumbalpunk¬ 
tion. 

Grundsätze für die Anwendung der 
Lumbalpunktion: 

1. Bei lebenbedrohender zerebrospina- 
ler Drucksteigerung, wo ein Flüssig¬ 
keitserguss als Ursache oder als mitbe¬ 
teiligt oder als möglich angenommen 
werden darf. 

2. Bei minder schweren Drucksteige¬ 
rungen zur Linderung von Beschwer¬ 


den, Kopfschmerz, Benommenheit, Er¬ 
brechen. 

3. In akuten Fällen einfacher seröser 
Transudation, entzündlich oder nicht¬ 
entzündlich. 

4. Bei nur vorübergehender Besse¬ 
rung muss die Punktion wiederholt 
werden, in akuten täglich, allmählich 
seltener, in chronischen in Intervallen 
von 3 bis 10 Tagen. 

5. Bei fortgesetzten Punktionen sind 
für den Eingriff der Krankheitsverlauf, 
die einzelnen Symptome und die Ergeb¬ 
nisse früherer Punktionen zu beachten. 

6. Bei jeder L. P. sind die technischen 
Regeln, Nachbehandlung, Anfangs- und 
Enddruck zu beachten und die Flüssig¬ 
keitsmenge zu messen, eventuell weiter 
zu untersuchen. 

7. Bei eitriger bazillärer Zerebrospi- 
nalmeningitis wird durch methodisch 
wiederholte Punktionen sehr häufig ein 
günstiger Ausgang ermöglicht. 

8. Hirntumoren oder der Verdacht 
darauf bilden keine Kontraindikation 
gegen L. P., sogar eine Besserung der 
Symptome für längere Zeit kann sie zur 
Folge haben. (Ther. Mh. Juli 1914.) 


Medikamentöse Therapie. 

A. Bickel und A. T s f v i d i s: 
Ueber den Einfluss der Digitalis¬ 
körper auf die Kurve des Elektro¬ 
kardiogramms. (Aus der experi¬ 
mentell-biologischen Abteilung des 
Königl. pathologischen Instituts der 
Universität Berlin.) 

In ihrem im Jahre 1910 erschienenen 
Buche über das Elektrokardiogramm 
teilen F. Kraus und Nicolai bereits 
Kurven mit, die sie von unter Digitalis¬ 
wirkung stehenden Herzen erzielt ha¬ 
ben. In ausführlicher Weise beschäf¬ 
tigte sich dann später S e 1 e n i n mit 
diesem Gegenstände und leitete aus sei¬ 
nen Beobachtungen eine neue Theorie 
über das Wesen des Elektrokardio¬ 
gramms her. Indessen betreffen die bis¬ 
lang vorliegenden Beobachtungen ent¬ 
weder den Zustand der chronischen Di¬ 
gitaliswirkung oder befassen sich, wie 
die Versuche von S e 1 e n i n, vor allem 


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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


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mit dem Bilde, das das toxische Stadium 
der Digitalisvergiftung darbietet. 

Jedenfalls bedürfen diese und die mit 
ihnen in Beziehung stehenden Fragen 
noch weiterer experimenteller Durchar¬ 
beitung, und so stellten die Yerf. 
sich die Aufgabe, den Einfluss der aku¬ 
ten Digitaliswirkung, wie sie nach den 
intravenösen Digitalisinjektionen auf- 
tritt, auf .den Ablauf des Elektrokardio¬ 
gramms zu studieren. 

Nachdem Focke neuerdings wieder 
gezeigt hat, dass für die Digitalisthera¬ 
pie eigentlich nur die komplexe Droge 
oder ein aus ihr bereitetes vollwertiges 
Extrakt, das möglichst sämtliche Stoffe 
der Folia Digitalis besitzt, in Frage 
kommt, und dass die verstümmelten 
Digitalisauszüge keinen Sinn haben, 
haben die Verfasser sich bei ihren Ver¬ 
suchen lediglich mit einem derartigen 
Extrakt befasst, nämlich dem von 
Focke titrierten Digitalvsatum Bür¬ 
ger. Sie wählten dieses Digitalysat und 
nicht ein Blätterinfus, weil sie für die 
Yergleichsversuche mit verschiedenen 
Dosierungen ein Präparat benötigten, 
auf dessen gleichmässigen Gehalt an 
wirksamen Stoffen sie sich verlassen 
konnten. 

Als Versuchstiere dienten Kaninchen. 
Die Ableitung wurde bei der Aufnahme 
des Elektrokardiogramms vom Oeso¬ 
phagus und Mastdarm aus vorgenom¬ 
men. Die Substanz wurde in die Ohr¬ 
vene injiziert. 

Zunächst orientierte die Verfasser 
eine Aufnahme des Carotispulses- und 
Druckes mit Hilfe des Gad-Cowl- 
schen Tonometers am Kvmographion 
über die Geschwindigkeit des Eintritts 
der Digitaliswirkung nach der intrave¬ 
nösen Injektion des Dialysats in die 
Ohrvene. 

Versuch: Ein 1800 g schweres Ka¬ 
ninchen erhält, nachdem der Puls in der 
Norm aufgenommen war, 1 ccm Digi¬ 
talysat pro Kilo Körpergewicht in die 
rechte Ohrvene injiziert. Unmittelbar 
nach der Injektion erhebt sich nach 
einer initialen Senkung der Druck, die 
Pulsamplitude wird grösser und die 
Schlagfolge verlangsamt sich. Diese 
Drucksteigerung mit der Bradycardie 
bleibt einige Zeit bestehen. Dann sinkt, 
wie die Kurven zeigen, der Druck, aber 


die Pulsamplitude bewahrt ihre Grösse 
und die Bradycardie dauert fort. 

Aus diesem Versuch geht hervor, dass 
man bei der Dosierung von 1 ccm pro 
Kilogramm Kaninchen eine kräftige 
und nachhaltige Herzwirkung erhält. 
Für ihre elektrokardiographischen Beob¬ 
achtungen wählten die Verf. nun Dosie¬ 
rungen, die teils niedriger, teils höher 
waren, als die hier angewandten. Sie 
verwandten nämlich 0.7 bis 2 ccm Digi- 
talysatum Bürger pro Kilogramm Ka¬ 
ninchen. 

Vor, unmittelbar nach und endlich in 
bestimmten Intervallen nach der Injek¬ 
tion des Arzneimittels wurde die elektro- 
kardiographische Kurve mit dem Appa¬ 
rat von Bock- T h o m a aufgenom¬ 
men. 

Aus den Beobachtungen geht hervor, 
dass kleine und mittlere Dosen — bis et¬ 
wa 1 ccm Digitailsatum Bürger — pro 
Kilogramm Körpergewicht beim Kanin¬ 
chen eine Tendenz der Zacken zur Ver-r 
grösserung bedingen. Dass davon auch 
die F-Zaeke nicht ausgenommen ist, er¬ 
scheint im Hinblick darauf bemerkens¬ 
wert, als man ja vielfach aus der Grösse 
der F-Zacke Rückschlüsse auf die Herz¬ 
kraft zu ziehen geneigt ist. Bei grösse¬ 
ren Digitalisdosen jedoch sehen die Yerf. 
ein umgekehrtes Bestreben Platz grei¬ 
fen : die Zacken werden kleiner, A, J 
und Jp, vor allem aber auch F. Diese 
Verkleinerung braucht genau wie die 
Vergrösserung nicht kontinuierlich fort¬ 
zuschreiten, sondern kann durch vor¬ 
übergehende Schwankungen unterbro¬ 
chen sein. Unabhängig von diesen Ver¬ 
änderungen in der Zackenhöhe, die bald 
in dem, bald in jenem Sinne sich voll¬ 
zieht, je nach der Grösse der Dosis des 
Medikamentes, beobachten die Verfas¬ 
ser unter allen Umständen die Verlän¬ 
gerung der Herzphase und der Herz¬ 
pause, und es erscheint bemerkenswert, 
dass die erstere darin die letztere in der 
Regel übertrifft. 

Aus diesen streng objektiven wis¬ 
senschaftlichen Untersuchungen ist zu 
ersehen, dass die konstante und ein¬ 
heitliche Wirkung des Digitalysatum 
Bürger durch das Elektrokardiogramm 
in graphischer Darstellung voll und 
ganz nachgewiesen wird, wobei eine ku¬ 
mulative Wirkung in der toxischen 


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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


Form als gänzlich ausgeschlossen anzu¬ 
sehen ist, da bei wiederholten Versu¬ 
chen an den Tieren die Wirkung stets 
dieselbe war. ohne irgend welche toxi¬ 


schen Erscheinungen der Digitalis-In 
fuse, was für die Praxis am Kranken 
bett und in der Klinik von grösster the 
rapeutischer Bedeutung ist. 


Feuilleton. 

Der Krieg und unser Pachtgebiet Kiautschou.* 

Zeitgemässe Betrachtung von San.-Rat Dr. Franz Kronecker, Berlin-Steglitz. 


Jedem anständigen Japaner — und 
auch deren gibt es, wie ich sicher weiss, 
eine nicht geringe Zahl — muss das Be¬ 
tragen der Regierung seines Heimatlan¬ 
des die Röte der Scham ins Gesicht trei¬ 
ben ! Jene skrupellose Gewinnsucht und 
Beutegier- t (Aasgeier-Politik nennt so 
ein in Deutschland ansässiger hochgebil¬ 
deter und vorurteilsfreier Engländer 
treffend das Verhalten der leitenden 
Kreise Englands und Japans) — er¬ 
scheint uns um so niederträchtiger und 
verwerflicher, als das Inselreich des fer¬ 
nen Ostens seine gesamte Kultur und 
seine märchenhaften Erfolge zu Wasser 
und zu Lande, in Politik und Wissen¬ 
schaft beinahe ausschliesslich unserem 
Vaterlande verdankt. Ganz besonders 
ist dies auf dem Gebiete der ärztlichen 
Wissenschaft und Kunst der Fall. Aus¬ 
gezeichnete deutsche Vertreter unseres 
Faches zogen schon im Anfänge der 70er 
Jahre des vergangenen Jahrhunderts 
hinaus in das damals noch so weltenferne 
asiatische Inselreich, um dem wissbegie¬ 
rigen, nach westländischer Bildung ver¬ 
langenden Völkchen die Errungenschaf¬ 
ten der mächtig emporstrebenden deut¬ 
schen Medizin zu bringen. Genannt sei¬ 
en hier u. a. der Pharmakologe Lan- 
g a r d, ein Schüler L i e b r e i c h’s, der 
aus der berühmten L u d w i g’schen 
Schule stammende Phvsilologe Tiegel, 
der Chirurg S k r i e b a und der Inter¬ 
nist v. Bälz. Die hohen Verdienste, 
welche sich namentlich der letztgenannte 
um Lehre und Wissenschaft dort 
draussen erwarb, haben die Japaner ehr¬ 
lich und voll anerkannt. Bereits bei sei¬ 
nen Lebzeiten haben sie v. Bälz, wel¬ 
cher etwa vor Jahresfrist die Augen 

*Aus I). m. P. 1914. Nr. 16. 


schloss, in ihrer Hauptstadt Tokio, wo 
er mehr als 30 Jahre lang gewirkt hat, 
ein Denkmal errichtet. 

Niemand wird zu behaupten wagen, 
dass ihm die kleinen, gelben, schlitzäugi¬ 
gen, ewig grinsenden Mongolen persön¬ 
lich übermässig sympathisch sind. Was 
er an dem Japaner schätzt und achtet, das 
ist seine ungewöhnlich hohe Intelligenz 
und schnelle Auffassungsgabe, seine Ge- 
wandheit und Geschicklichkeit, seine pe¬ 
nible Sauberkeit und Akkuratesse. Die¬ 
se Eigenschaften sind es auch, welchen 
sie ihre höchst anerkennenswerten Er¬ 
folge auf dem wichtigen Gebiete der öf¬ 
fentlichen Gesundheitspflege vornehmlich 
zu danken haben. Ist es ihnen doch mit 
Hilfe rationeller, rücksichtslos durchge¬ 
führter Quarantänemassregeln, systema¬ 
tischer Mosquitobekämpfung und ande¬ 
rer verständiger Massnahmen geglückt, 
im Laufe der letztvergangenen Jahre 
nicht allein ihr Stammland, sondern auch 
das früher überaus heftig von Cholera, 
Pest und Malaria heimgesuchte Formo¬ 
sa, welches sie nach Beendigung des 
Krieges gegen China im Jahre 1895 an¬ 
nektierten, gründlich zu assanieren und 
vor dem Einbrüche der mörderischen 
.Volksseuchen des fernen Ostens fast 
vollständig zu schützen ! Allen jenen für 
den Arzt und Forscher so überaus wert¬ 
vollen Eigenschaften ist es wohl auch in 
erster Linie zu danken, dass namentlich 
in jüngster Zeit eine sehr grosse Zahl 
von Japanern als Famuli und Koassisten- 
ten, ja sogar als wirkliche Assistenten 
und Abteilungsvorsteher in unseren 
deutschen Instituten und Krankenhäu¬ 
sern Verwendung gefunden haben, nach 
Angabe englischer Tageszeitungen in der 
Berliner Charite allein nicht weniger als 
23 (!) Einer Reihe hervorragend tüch- 


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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


99 


tiger Aerzte und Forscher darf sich die 
junge japanische Wissenschaft rühmen; 
ihre Xamen haben im Abendlande, spe¬ 
ziell in Deutschland einen guten Klang. 
Erwähnt seien an dieser Stelle die Bak- 
teriologen K i t a s a t o und A o v a in o, 
beides Schüler und langjährige Mitar¬ 
beiter Robert Koch’s. und Schiga. 
Mitentdecker des nach ihm und Kruse 
benannten Erregers der Bazillenruhr. 

Mit um so grösserem Ekel muss jeden 
deutschen Standesgenossen jetzt das Ge- 
baren dieses von uns bisher so hochbe¬ 
werteten und verhätschelten Volkes er¬ 
füllen. Noch vor wenigen W ochen, kurz 
nach Beginn des furchtbaren Ringens, in 
des>en Mitte wir jetzt stehen, glaubten 
die schlitzäugigen Kollegen uns weiss¬ 
machen zu können, ihre Regierung wer¬ 
de voller Bewunderung für unseren Mut 
und unsere Entschlossenheit, es mit einer 
W elt von Feinden aufzunehmen, unver¬ 
brüchlich zu uns halten und möglicher 
Weise dem plumpen russischen Bären, 
mit welchem sie sich selbst vor 10 Jahren 
gemessen, den Todesstoss versetzen. 
Freilich unsere leitenden Kreise wussten 
es besser. Sie brauchten keinen Rönt¬ 
genapparat, um Herz und Nieren unse¬ 
rer teuren Schüler und Gäste zu prüfen! 
Sie kannten sie längst! Und sie haben 
sich nicht getäuscht! Aber die Herren 
Japs werden sich täuschen! Sie sollen 
sehen, dass wir unsere blühende Ko¬ 


lonie Kiautschou, auf welche sie es bei 
ihrem Beutezuge abgesehen haben, nicht 
so leichten Kaufes aus der Hand geben. 
Kiautschou mit seiner Hauptstadt Tsing¬ 
tau stehen unter der Marineverwaltung. 
Das Pachtgebiet ist stark befestigt und 
hat eine tapfere, ausgezeichnet geschulte 
Besatzung von Marineinfanterie und 
Marineartillerie. Die sanitären und hy¬ 
gienischen Verhältnisse der Kolonie sind 
geradezu mustergültig. Wer sich über 
diese, den Arzt vornehmlich interessie¬ 
renden Angelegenheiten näher zu unter¬ 
richten wünscht, der mag die kleine im 
Verlage von J. Goldschmidt im vergan¬ 
genen Jahre erschienene Schrift: „Fünf¬ 
zehn Jahre Kiautschou. Eine kolonial¬ 
medizinische Studie“ lesen, welche 
Schreiber dieses auf Grund der von den 
leitenden Stellen herausgegebenen Be¬ 
richte verfasst hat. 

Mögen sie kommen, die kleinen gelben 
Teufel. Alles ist zu ihrem Empfange 
wohl vorbereitet! An unseren Forts und 
Stacheldrahtzäunen dürften sie sich ihre 
gelben breiten Raubtierzähne schon aus- 
beissen. „Jeder Klaps ein Japs!!“ Un¬ 
sere blauen Jungens werden dafür sor¬ 
gen, dass dieser Klaps von guter deut¬ 
scher Eisenfaust ausgeteilt, am rechten 
Platze sitzt und unseren dankbaren 
Freunden und Schülern das Wiederkom- 
men für absehbare Zeit gründlich ver¬ 
leidet !! 


Amerikanische balneologische Referate. 

Referiert von Dr. von Oefele. 


Office of Information, U. S. Depart¬ 
ment of Agriculture. — Endlich ein¬ 
mal ein offenes Wort gegen den Unfug 
mit Radioaktivität! Die unmöglich¬ 
sten Empfehlungen wurden mehr und 
mehr damit gedeckt, dass einem Was¬ 
ser Radioaktivität als Aushängeschild 
gegeben wurde. Das Bureau of Chem¬ 
istry weist auf das rasche Schwinden 
der Radioaktivität hin. Es werden 
strenge Massnahmen gegen Importe 
mit der schwindelhaften Reklame von 


Radioaktivität angekündigt. Es wird 
in diesem Rundschreiben auch auf die 
alte Erfahrung hingewiesen, dass viele 
Mineralwässer an der Quelle getrun¬ 
ken wirksamer sind als in versandtem 
Zustande. Es wird darauf hingewie¬ 
sen, dass die Radioaktivität in vier Ta¬ 
gen auf 50 und in zwölf Tagen auf 10 
Prozent herabgegangen ist. Die Ar¬ 
gumente, welche hier offiziell gegen 
den Versand radioaktiver Wässer auf¬ 
geführt werden, sind zutreffend. Die¬ 
selben Schlussfolgerungen müssen 
aber auf den Ersatz importierter Mi- 


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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


neralwässer durch amerikanische Mi¬ 
neralwässer hindrängen. Der Ab¬ 
schnitt der amerikanischen baineologi¬ 
schen Referate arbeitet in diesem Sin¬ 
ne. Es wäre sehr erwünscht, dass die 
Washingtoner Gelehrten diese ihre 
Ueberzeugung auch in praktisches 
Handeln umsetzen würden. Es müss¬ 
te dann auch eine der grossen engli¬ 
schen amerikanischen Aerzteblätter 
eine ständige Spalte über Balneologie 
schaffen. 


The Old Iron Spring Ballston Spa, 

N. Y. — Es ist die älteste Quelle in 
Ballston Spa. Mir liegt ein Bild vor. 
Eine höchst unzweckmässige Selters¬ 
wasserbude in einer europäischen Pro¬ 
vinzstadt niederer Ordnung wäre si¬ 
cherlich geschmackvoller und prakti¬ 
scher eingerichtet. Der Staub vorüber¬ 
sausender Automobile wird bei entspre¬ 
chender Windrichtung in die Trinkhalle, 
wenn wir es so nennen dürfen, und in 
die Gläser der Kurgäste getrieben. 
Da aber vier solcher Strassen vorhan¬ 
den sind und bei der ganzen Anlage 
ein Windwirbel entstehen muss, so ist 
wohl kaum eine Windrichtung denk¬ 
bar, bei der dies nicht der Fall sein 
sollte. Gleichzeitig sind die Wege so 
angelegt, dass man kaum sehen kann, 
ob nicht von irgend einer Seite ein 
Fuhrwerk kommt. Man denke sich 
schwache Kranke, die sich nur lang¬ 
sam fortbewegen und die mit Gemüts¬ 


ruhe bei leichter Bewegung die Wir¬ 
kung des Wassers erzielen sollen. Bei 
Regen haben sie weit und breit keine 
Deckung; bei Wind sind die Luftwir¬ 
bel um die sogenannte Trinkhalle her¬ 
um unerträglich; bei lebhaftem Fuss- 
gängerverkehr verstopft sich der gan¬ 
ze Fussweg; bei lebhaftem Wagen¬ 
verkehr kommt der Fussgänger aus 
der Todesangst überhaupt nicht mehr 
heraus; der schwerkranke Kurgast, 
dem eine helfende Begleitung das 
Wasser besorgt, findet keine Sitzgele¬ 
genheit und nicht einmal einen passen¬ 
den Platz für einen mitgebrachten 
Jagdstuhl; Platz zum Aufheben von 
Privattrinkgläsern ist nicht vorhan¬ 
den ; mehr als ein Trinkmädchen kön¬ 
nen garnicht tätig sein. In grossen 
europäischen Badeorten kommen oft¬ 
mals tausend Personen gleichzeitig an 
die Quelle und müssen mehrfache Rei¬ 
hen bilden. In kleinen Badeorten wer¬ 
den es mitunter mindestens hundert 
Wartende. Old Iron Spring würde mit 
20 gleichzeitigen Kurgästen in Ver- 
legenheit sein. Eine Kurkapelle für 
das musikalische Bedürfnis der Trin¬ 
kenden ist in Europa die Regel. Hier 
könnte eine solche auch nicht im Aus¬ 
nahmefall untergebracht werden. Man 
braucht nichts zu sehen als diese an¬ 
gebliche Trinkhalle und jeder Sach¬ 
verständige muss sehen, dass die Ent¬ 
wicklung von Ballston Spa als moder¬ 
ner Kurort noch garnicht begonnen 
hat. Bei den grossen Vorzügen des 
Ballstoner Wassers ist dies sehr be¬ 
dauerlich. 


Therapeutische und klinische Notizen. 


— Ueber einen bemerkenswerten Selbst¬ 
mordversuch mit 50 Tabletten Bromural 
berichtet Dr. Botet Ozores, Barcelona. 
(Clinica Moderna, Zaraoza, 1914, Nr. 220.) 

B. weist auf die vielseitige Verwendbar¬ 
keit des Bromurals hin, betont das Fehlen 
von unerwünschten Nebenwirkungen und 
kommt dabei auf die völlige Ungiftigkeit 
des Präparates zu sprechen, von der er sich 
in einem näher beschriebenen Fall über¬ 


zeugen konnte. Es handelte sich um eine 
Patientin, die an starker nervöser, geisti¬ 
ger Erregung mit Schlaflosigkeit und Hal¬ 
luzinationen litt und durch Bromural ge¬ 
heilt wurde. Einige Monate später wurde 
Autor dringend zu derselben Kranken ge¬ 
rufen. Die Patientin lag ausgestreckt im 
Bett und reagierte weder auf Zurufe noch 
auf Reizversuche wie Kneifen. Schläge u. 
s. w. Der Puls war kaum bemerkbar, Fre¬ 
quenz und Rhythmus aber waren normal. 


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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


101 


die Atmung war sehr schwach, der Reflex 
der Augenlider eingestellt. Ein hinzugezo- 
gener Neurologe fand nach eingehender 
Untersuchung alle Lebensäusserungen ein¬ 
gestellt, auch die Pupillen reagierten nur 
träge. Nach wiederholter Aethereinspritz- 
ung richtete sich die Patientin auf und be¬ 
kam nach Einnahme von Ipecacuanhairup 
und Tartar, stibiat. starkes Erbrechen. 
Zehn Minuten später war die Patientin 


wieder vollständig frisch. Sie erzählte, 
dass sie vor drei Stunden eine Lösung von 
50 Bromural-Tabletten genommen habe 
mit der Absicht, Selbstmord zu begehen 
und nach kurzer Zeit in Schlaf versunken 
sei. Sie konnte sich an nichts Unange¬ 
nehmes erinnern mit Ausnahme eines von 
einer Art Lähmung begleiteten Schmerzes 
am Oberschenkel, wo eben die Aetherin- 
jektionen gemacht worden waren. 


Kleine Mitteilungen. 


— Beschränkungen in der Aufnahme in den 
ersten Jahrgang der 1i w iener medizinischen 
lakuliat. Seit längerer Zeit schon hat die 
Ueberfullung aller medizinischen Institute 
durch den in den letzten Jahren stark ange¬ 
wachsenen Andrang zum medizinischen Stu¬ 
dium das Unterrichtsministerium sowie das 
Professorenkollegium der Wiener medizini¬ 
schen Fakultät veranlasst, dieser l'rage ihr 
Augenmerk zuzuwenden. Als Ergebnis der 
langwierigen Beratungen ist folgende Kund¬ 
machung, die vor einigen Tagen am schwarzen 
Brett angeschlagen wurde, anzusehen: 

„Das k. k. Ministerium für Kultus und Un¬ 
terricht hat mit Erlass vom 24. Juni 1914, Z. 
14.309, Aufnahmebeschränkungen an der Wie¬ 
ner medizinischen Fakultt für das Studienjahr 
1914/15 genehmigt, auf Grund welcher das 
Professorenkollegium der Wiener medizini¬ 
schen Fakultät in seiner Sitzung vom 1. Juli 
1914 folgendes beschlossen hat: 

„1. Die Zahl der in den ersten Jahrgang (er¬ 
stes und zweites Semester) neu aufzunehmen¬ 
den, zur Immatrikulation zuzulassenden Stu¬ 
dierenden der Medizin wird mit vierhundert 
festgesetzt. 

„2. Von den Studierenden, welche die Auf¬ 
nahme anstreben und den vorgeschriebenen 
Bedingungen entsprechen, werden jene aus 
Niederösterreich und denjenigen Kronländern, 
in welchen eine Universität mit medizinischer 
Fakultät nicht besteht, sowie aus Bosnien und 
der Herzegowina in erster Linie inskribiert; 
sie haben die Inskription in der Zeit vom 23. 
September bis 8. Oktober durchzuführen. 

„3. Studierende aus den übrigen im Reichs¬ 
rate vertretenen Königreichen und Ländern, 
dann Ausländer können erst nach den Vorge¬ 
nannten, bis die genannte Gesamtzahl von 400 
erreicht ist, aufgenommen werden. Diese ha¬ 


ben sich bis zum 12. Oktober, 12 Uhr mittags, 
vorschriftsmässig unter Vorweisung des Na¬ 
tionales und der Dokumente wie die übrigen 
schriftlich im Dekanat zu melden; über ihre 
eventuelle Aufnahme wird am 13. Oktober ent¬ 
schieden sein. Zum Nachweise ihrer Zustän¬ 
digkeit haben sämtliche die Immatrikulation 
anstrebenden Studierenden des ersten Jahr¬ 
ganges ausser dem Nachweise ihrer österrei¬ 
chischen Staatsangehörigkeit ihre Heimat¬ 
scheine beizubringen. Studierende anderer 
Fakultäten können sich für die Uebungen im 
Seziersaale nicht inskribieren. Spätere In¬ 
skriptionen, sei es mit Gesuchen an das Deka¬ 
nat oder den akademischen Senat, sind, sobald 
die Gesamtzahl von 400 erreicht ist, nicht zu¬ 
lässig; dasselbe gilt für eventuelle Uebertritte 
von anderen Fakultäten/ 4 

Ucber den Zweck und die Motive dieser 
Verfügung äusserte sich der Dekan der medi¬ 
zinischen Fakultät Hofrat Prof. P a 11 a u f 
wie folgt: 

Die Massnahme der medizinischen Fakultät 
entsprang lediglich der Notwendigkeit, den 
Studienbetrieb auf eine solche Grundlage zu 
stellen, dass die aus unserer Universität her¬ 
vorgehenden Mediziner den Aufgaben, die ih¬ 
nen ihr Beruf stellt, vollkommen gewachsen 
sind. 

Während an der philosophischen Fakultät 
die Zahl der Hörer eine absteigende Tendenz 
aufweist, ist der Zudrang zum medizinischen 
Studium so stark geworden, dass die zur Ver¬ 
fügung stehenden Institute und Studieneinrich¬ 
tungen den Mindestanforderungen nicht nach- 
kommen können. 

Namentlich die Vertreter der Lehrfächer für 
Anatomie und Histologie klagen schon seit 
langem darüber, dass ihre Hörer an der unter¬ 
sten Grenze der fachlichen Ausbildung ange- 


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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


langt sind, weil ihnen nicht Räume und Ma¬ 
terial genug zur Verfügung stehen. 

Beim medizinischen Studium gehören An¬ 
schauungsunterricht und praktische Uebungen 
zu den wichtigsten Erfordernissen. Nun kann 
aber bei einer derartigen Ueberfüllung, wie 
wir sie in Wien haben, nicht das nötige Lei¬ 
chenmaterial für die Sezierübungen beschafft 
werden und es ist beinahe unmöglich gewor¬ 
den, dass jeder Student eine ganze Leiche zum 
Sezieren bekommt. Das muss er aber haben, 
wenn er als Arzt in den Beruf tritt. 

Im vergangenen Jahre hatten wir im ersten 
Semester über 600 Hörer. Da diese im zwei¬ 
ten Jahrgange gleichfalls noch Sezierübungen 
machen müssen, wären wir für das kommende 
Jahr auf weit über 1000 Hörer gekommen. Da 


musste ein Riegel vorgeschoben werden. 

Das Professorenkollegium der medizinischen 
Fakultät ist bei seiner Beschlussfassung sehr 
vorsichtig vorgegangen und hat die nach Mass- 
gabe der Verhältnisse höchstzulässige Zahl als 
Grenze festgesetzt. 

Dieser Beschluss gilt nur für das kommende 
Studienjahr und muss im Bedarfsfalls alljähr¬ 
lich erneuert werden. 

Er erstreckt sich lediglich auf die Inskrip¬ 
tionen für den ersten Jahrgang. Die Auslän¬ 
der, welche an den Kliniken und Krankenan¬ 
stalten hospitieren, um ihre Ausbildung zu ver¬ 
vollständigen, werden dadurch nicht getroffen. 
Das sind ja zumeist Aerzte, die ihre erste Aus¬ 
bildung bereits hinter sich haben. 


Auruf! 


Europa steht in Flammen. Ein Krieg ist ausgebrochen, wie ihn die Weltgeschichte noch 
nicht erlebt hat. Wie die Geschicke der Völker sich gestalten mögen, weiss nur Gott allein. 
Wir aber wissen, dass unendliche Not und namenloses Elend die unabwendbaren Folgen 
dieses Krieges sein werden, wie immer der Ausgang sein möge. Zu den Völkern, die in den 
schrecklichen Krieg verwickelt sind, gehört auch Deutschland, das Land, in dem unsere oder 
unserer Vorfahren Wiege stand, mit dem unzertrennbare Bande des Blutes und des Herzens 
uns verbinden. 

Daher richten die Unterzeichneten an alle Deutschen und an alle Amerikaner deutschen 
Stammes die herzliche Bitte, der höchsten und heilgsten Menschenpflicht eingedenk zu sein 
und durch freiwillige Spenden die Not der deutschen Stammesbrüder zu lindern. Es gilt 
nicht nur die Verwundetn zu pflegen, sondern auch den Wittwen und Waisen hülfreich zur 
Seite zu stehen, denen die Kriegsfurie den Beschützer und Ernährer entrissen hat. Reiner 
Menschlichkeit ist unser Bemühen gewidmet, ausschliesslich für wohltätige Zwecke sollen 
die gesammelten Beträge Verwendung finden. Daher kann jeder ein Scherflein beitragen 
ohne Ansehen der Nationalität. 

Es wird gebeten, Beiträge an die „NEW YORK TRUST CO.“, 26 Broad Street. New 
York City, unter der Bezeichnung GERMAN RELIEF FUND zu senden. Auch die Unter¬ 
zeichneten sind zur Annahme von Beiträgen berechtigt. 

Die eingesandten Gelder werden der deutschen Botschaft in Washington zur Ueber- 
weisung an den Zwecken des Aufrufs entsprechende Wohltätigkeitseinrichtungen in Deutsch¬ 
land übermittelt werden. 


Alex Andrae 
Charles Engelhard 
John Oscar Erckens 
E. Hossenfelder 
Rudolph Keppler 
Albert Leisel 
Adolf Pavenstedt 
Hans Reineke 
Dr. Richard Schuster 
Dr. G. E. Seyffarth 
Carl L. Schurz 
Charles H. Weigele 
Wilhelm Knauth 


Conrad Bühler 
Rudolf Erbslöh 
A. Heckscher 
E. C. Hothorn 
William Kiene 
Adolf Kuttroff 
Edmund Pavenstedt 
Dr. A. Ripperger 
Klaus A. Spreckels 
Hermann Schaaf 
Edmund Stirn 
C. B. Wolffram 
George Rueders 


Carl Bünz 
A. von Gontard 
C. von Helmolt 
William Kaupe 
G. B. Kulenkampff 
Henry E. Niese 
Christoph Rebhan 
Dr. Paul C. Schnitzler 
Oscar R. Seitz 
Dr. Gustav Scholer 
A. Vogel 
Robert Badenhop 


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Original from 

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JNcw Yorker 


JVIedizimöcbe JYIonatsscbrift 

Offlgiali— Orgmn der 

DoitKbai medixMKNa 8<feNfAartea der Städte nee Veit, 

€Mcago und Clevekmd. 

Herausgegeben von Dr. ALBERT A. RlPPERGER 

unter Mitwirkung von Dr. A. Herzfeld, Dr. H. G. Klotz und Dr. von Oefele. 


!!,1. XXV. 


New York, Oktober, 1914. 


Nr. 5. 


Originalarbeiten. 

Ueber eine Urinprobe, die für die Karzinom- und 
Sarkomdiagnose von Nutzen ist.* 

Von Dr. Frederick Klein und Dr. Charles H. Walker. 


Die Diagnose maligner Erkrankun¬ 
gen ohne mikroskopische Untersu¬ 
chung galt immer als mehr oder wenig 
problematisch. Einfache Untersu¬ 
chungsmethoden, besonders chemi¬ 
scher Natur, dürften daher für den 
Diagnostiker von grossem Nutzen 
.sein. 

In den Jahren 1911 und 1912 gaben 
Salomon und Saxl in Wien eine 
Probe bekannt, die ohne Zweifel viel 
zur Vereinfachung und Festigung ei¬ 
ner positiven Diagnose beitrugen. Sie 
stellten fest, dass in 170 von 185 Fäl¬ 
len, die durch die Urinuntersuchung 
als karzinomatös bezeichnet wurden, 
später die Diagnose durch das Mi¬ 
kroskop bestätigt wurde. 

Die Methode besteht in der Oxydie¬ 
rung des neutralen Schwefels im Urin 
durch Wasserstoffsuperoxyd in der 
nachfolgenden Weise: 

Dem schwach angesäuerten kalten 

* I)ie Arbeit erschien in englischer Sprache in der 
August-Nummer des Post Graduate. 


Urin wird Baryumchlorid zugesetzt und 
dann filtriert. Das Filtrat wird nunmehr 
erhitzt und abermals eine Baryumchlorid- 
lösung, die zuvor ebenfalls erhitzt wurde, 
zugesetzt und die Mischung dann wie¬ 
derum filtriert. Auf diese Weise wer¬ 
den die Sulfate und die Aetherschwe- 
felsäure mit dem Niederschlag elimi¬ 
niert. Alsdann wird dem zweiten Fil¬ 
trat Wasserstoffsuperoxyd sowie aber¬ 
mals eine Baryumchloridlösung zuge¬ 
setzt. Erscheint dann eine wolkige 
oder trübe Reaktion oder ein Nieder¬ 
schlag (Baryumsulfat), darf man an¬ 
nehmen, dass es sich um Karzinom 
handelt. 

Einige Jahre zuvor schon hatte Dr. 
Frederick Klein in New York die 
Theorie aufgestellt, dass bei allen ma¬ 
lignen Erkrankungen die Schwefelver¬ 
bindungen, Taurin und Zystin, gewis¬ 
se Reduktionsvorgänge erleiden und 
dann nicht mehr als Taurin C 2 H 4 NH 2 
SO a H und Zystin C s H 5 NH 2 S0 2 vor¬ 
handen sind. 


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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


Durch kritische Verwertung nun 
dieser Schwefelveränderungen gelang¬ 
te man zur Diagnose der in Frage ste¬ 
henden pathologischen Zustände. Es 
ist ja möglich, dass auch noch bei an¬ 
deren krankhaften Zuständen die er¬ 
wähnten chemischen Veränderungen 
wahrgenommen werden können, allein 
soviel steht fest, dass ein ausgespro¬ 
chener Unterschied hinsichtlich der 
chemischen Reaktion bei Urinen be¬ 
steht, die von gesunden und von krebs- 
oder sarkomkranken Personen her¬ 
rühren. 

Die Frage nach der Aetiologie der 
malignen Erkrankungen hat mit unse¬ 
rem Gegenstand kaum etwas zu tun, 
ebenso wenig wie die Differential¬ 
diagnose zwischen Karzinom und Sar¬ 
kom. Immerhin zeigen die chemi¬ 
schen Veränderungen, die bei dem 
Einsetzen einer malignen Erkrankung 
zu Tage treten und sich durch die 
Ausscheidungen aus der Leber, im 
Blute und im Urin kundgeben, dass 
sie sehr nahe verwandt, wenn nicht 
identisch sind. 

Was immer auch sich als Ursache 
herausstellen mag, so bleibt doch als 
Endresultat die ungleiche Oxydation 
der Sekrete und der Gewebe. Dies 
wird erwiesen durch eine Hyperoxy¬ 
dation am Sitz der Neubildung mit 
entgegengesetzter oder mangelhafter 
Oxydation der Schwefelverbindungen 
an anderen Stellen. 

Die Leber ist das grosse und haupt¬ 
sächlichste chemische Laboratorium. 
Ein sorgfältiger Vergleich der Chemie 
der Leber bei einem malignen Falle 
und bei einer gesunden Person bringt 
den Beweis für obige Behauptung. 
Schwefelammon-Jodreagens und Schwe¬ 
felammon-Azetonreagens mit gesunden 
und kranken Urinen bringen den Beweis 
im Reagensglas. 

Bei einem malignen Fall besitzen die 
Schwefelverbindungen, Taurin und 
Zystin, nicht mehr die chemische Zu¬ 
sammensetzung nach der empirischen 


Formel C 2 H 4 NH 2 SO a H und C 8 H B NH 2 
S0 2 , sondern sie finden sich in einem 
reduzierten Zustand. 

Die nachfolgende Urinprobe basiert 
auf den oben erwähnten chemischen 
Beobachtungen und kann als zuver¬ 
lässiger Nachweis einer malignen Er¬ 
krankung betrachtet werden, wie auch 
der Grad der chemischen Veränderung 
für die Prognose ob Anfangs- oder 
vorgerücktes Stadium benutzt werden 
kann. 

Fügt man zu einem Urin Jod und 
HCl (Salzsäure) hinzu, erscheint die 
Probe in manchen Fällen hell, in an¬ 
deren wieder dunkel gefärbt. Im er- 
steren Fall ist der Urin mehr oder we¬ 
niger entfärbt, weil das Jod in HJ 
(Hydrojodsäure) umgewandelt und 
dadurch die Probe zum Teil entfärbt 
wurde, wodurch der Urin wieder seine 
ursprüngliche Farbe erhält. Bei der 
dunkleren Probe gelingt es der HCl 
nicht, das Jod in HJ oder ein anderes 
lösliches Jodsalz umzuwandeln, son¬ 
dern das Jod besteht als freies Jod wei¬ 
ter und der Urin ist durch das freie 
Jod dunkler gefärbt. 

Dass dies tatsächlich der Fall ist, 
kann weiterhin bewiesen werden 
durch Hinzufügen einer Stärkelösung. 
Die eine Probe bekommt infolge des 
freien Jods eine blaue oder purpurne 
Farbe, die andere bleibt unverändert 
oder wird blassgrün. 

In vorgeschrittenen Fällen von ma¬ 
ligner Erkrankung zeigt sich diese 
Farbenveränderung sehr ausgespro¬ 
chen. Auf diese Weise lässt sich das 
Fortschreiten der Erkrankung nach- 
weisen. 

Die Methode dieser Jodprobe ist die 
folgende: 

Es werden für den Vergleich der 
Farbe zwei Lösungen hergestellt. 

1. Zu 10 ccm destillierten Wassers 
werden 10 Tropfen einer 1/10 Normal- 
Jodlösung (U. S. Pharmacopoea, S. 
549) zugesetzt. Diese Lösung wird als 
„A“ bezeichnet und besitzt ungefähr 


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105 


die Farbe des normalen oder nicht¬ 
malignen Urins nach angestellter Re¬ 
aktion. 

2. Zu 10 ccm destillierten Wassers 
werden 3 Tropfen einer 1/10 Normal- 
Jodlösung (U. S. P.) hinzugefügt. 
Diese Lösung wird als „B‘* bezeichnet 
und entspricht ziemlich genau malig¬ 
nem Urin nach angestellter Probe. 

Nun wird die Urinprobe vorgenom¬ 
men, wie folgt: 

Zu 4 ccm Urin werden 10 Tropfen 
einer 1/10 Normal-Jodlösung (U. S. P.) 
hinzugefügt und gut durchgeschüttelt. 
Dann werden 4 ccm Salzsäure, C. P. 
Sp. Gew. 1.19 zugesetzt und wieder 
gut geschüttelt. Hat der Urin dann 
die Farbe von „A“, kann der Fall als 
nichtmalign betrachtet werden, wenn 
die von „B“ als malign. 

Eine andere chemische Reaktion ist 
die folgende: Man füge zu einem 
Tropfen Urin von einer gesunden Per¬ 
son eine Lösung von Kaliumperman¬ 
ganat (K Mn0 4 ). Sofort entsteht 
Manganhydroxyd (MnOH 3 ), welches 
sich niederschlägt, wodurch die Lö¬ 
sung entfärbt wird. Fügt man zur 
Kalipermanganat-Lösung einen Trop¬ 
fen Urin zu, der nachweislich von ei¬ 
nem malignen Fall stammt, tritt kein 
Niederschlag auf und die Kaliperman- 
ganat-Lösung wird purpurrot. Lässt 
man die Probe bei einer Temperatur 
von ungefähr 30 C. stehen, so tritt nach 
18 oder 20 Stunden die oben erwähnte 
Entfärbung ein und es bildet sich der 
Niederschlag von MnOH a . Als weitere 
komparative Probe kann das Schwefel¬ 
ammonazeton- oder das Schwefelam¬ 
mon-Jodreagens Verwendung finden. 

Noch eine andere sehr interessante 
chemische Reaktion konnte beobachtet 
werden bei zwei Fällen von schwerem 
Ikterus bei Karzinom der Leber und 
der Gallenblase. Beide Patienten wa¬ 
ren sehr schwer ikterisch und der Urin 
zeigte starke Gallenfarbstoffreaktion. 
Hinzufügen von Jodlösung rief nur die 
dunkele braunrötliche Jodfarbe hervor. 
Setzte man jedoch die Jodlösung 48 


Stunden nach innerlicher Darreichung 
von Schwefel und Selen dem Urin zu r 
bekam derselbe eine helle grasgrüne 
Färbung. Diese Reaktion trat bei bei¬ 
den Fällen ein und hielt an, solange 
Schwefel und Selen gegeben wurden, 
verschwand jedoch beim Aussetzen 
dieser Mittel, um bei der abermaligen 
Darreichung derselben wieder aufzu¬ 
treten. 

Ikterus-Urin plus Jodlösung = 
braunrötliche Farbe. 

Ikterus-Urin plus Sclnvefel-Selen- 
Behandlung plus Jod = helle gras¬ 
grüne Farbe. 

Die Erklärung hierfür ist die fol¬ 
gende : 

Ikterus-Urin enthält Glykogen (C^ 
H, 0 C) 5 ) und ähnliche Kohlehydrate. 
Schwefel und Selen verwandeln diesel¬ 
ben augenscheinlich in Stärkeverbin- 
dungen, daher die grüne Reaktion. Das 
Experiment hat gezeigt, dass Jod zu 
einer Selenlösung bei Gegenwart von 
Schwefelsäure zugefügt grüne Fär¬ 
bung hervorruft. 

Glykogen (tierische Stärke) plus 
Jod = braunrötliche Farbe. 

Glykogen nach Schwefel-Selen-Dar- 
reichung plus Jod = helle grasgrüne 
Farbe. 

Die umgekehrte Reaktion wird dies 
bestätigen. 

Flüssige Stärke plus HCl oder H 2 
S0 4 plus Hitze = Dextrose (Trauben¬ 
zucker, Diabetes-Zucker). Diese Lö¬ 
sung wird durch Jod nicht beeinflusst^ 
ausgenommen dass sie eine braunröt¬ 
liche Farbe annimmt ähnlich wie bei 
der Glykogenreaktion. 

Flüssige Stärke, die nicht so behan¬ 
delt wird, gibt eine blaue oder grüne 
Färbung, je nach der Konzentration 
oder Anwesenheit von Gallenfarbstof¬ 
fen. 

Urine von Patienten unter Schwe¬ 
fel- und Selenbehandlung, aber ohne 
Ikterus, ergaben beim Zusatz von Jod¬ 
lösung keine grüne Färbung. 

Beim Ueberblick über die obigen 
chemischen Untersuchunegn soll spe- 

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ziell die vergleichende Probe zwischen 
den Urinen von malignen und augen¬ 
scheinlich normalen Fällen hervorgo- 
hoben werden, sowie der Gebrauch der 
1/10 Normal-Jodlösung U. S. P. und 
von HCl, wie beschrieben. Die Resul¬ 
tate dieser Untersuchungen waren 


sehr bestimmt und genau, wobei ein 
ausgesprochener Unterschied in der 
Farbe auf einen vorgeschrittenen Zu¬ 
stand hinwies, während geringere Far¬ 
benunterschiede einen beginnenden 
oder weniger ausgedehnten Prozess 
bedeuteten. 


Zur physikalischen Therapie des M. Basedowii.* 

Von Dr. B. von Barth-Wehrenalp (Eichwald). 


Die therapeutische Beeinflussung 
des unter dem Namen der Bas e- 
d o w’schen oder G r a v e’schen 
Krankheit bekannten Symptomenkom- 
plexes, der hauptsächlich durch drei 
—allerdings nicht immer gleichmässig 
ausgeprägte—Erscheinungen : Exoph¬ 
thalmus, Struma und Tachykardie 
charakterisiert ist, leidet, wie es noch 
auf so vielen anderen Gebieten der 
Heilkunde der Fall ist, in bedeuten¬ 
dem Masse darunter, dass über die 
Pathogenese des Leidens noch keine 
Uebereinstimmung erzielt ist und wir 
von der eigentlichen Natur der Krank¬ 
heit sehr wenig Sicheres wissen. Je 
nachdem man diese oder jene Theorie 
dem Basedow zugrundelegt, em¬ 
pfiehlt sich diese oder jene Behand¬ 
lungsweise ; da auch hier der Sug¬ 
gestion weite Wege gewiesen sind, ist 
das Resultat der gemachten Beobach¬ 
tungen in der Regel ein recht unsiche¬ 
res und von subjektiven Vorbehalten 
getrübtes. 

Während die Majorität der Forscher 
die Krankheit für ein ausgesprochenes 
Leiden der Schilddrüse erklärt und je 
nach ihrem speziellen Standpunkte 
entweder von „Hyperthyreoidsmus“ 
oder von „Hypothyreoidismus“ oder 
endlich von einer „perversion de la se- 
cretion interne“ spricht, mehren sich 
die Stimmen, welche das ErgrifFensein 
der Schilddrüse für einen sekundären 


*Aus Prag. m. Wschr. 1914 Nr. 31. 


Prozess halten, der von den verschie¬ 
densten Organen ausgelöst werden 
kann. Besonders Erb hat sich in die¬ 
ser Frage entschieden auf den Stand¬ 
punkt O p p e n h e i m’s und derer ge¬ 
stellt, die den Basedow für eine Neu¬ 
rose von spezieller Art und Lokalisa¬ 
tion ansehen, die wieder sehr enge 
Verwandtschaft mit der Neurasthenie, 
der Hysterie, der psychopathischen 
Belastung und anderen Neurosen hat. 
Hiebei ist zunächst an den Sympathi¬ 
kus zu denken, dann an die kardiomo- 
torischen und vasomotorischen Zen¬ 
tren und Bahnen im verlängerten Mar¬ 
ke sowie an die trophischen Nerven- 
zentren. Eine ziemlich grosse Bedeu¬ 
tung scheint dem psychischen Trauma 
als auslösender Ursache des Basedow 
zuzukommen. Ein sehr interessanter 
Fall dieser Art wurde unlängst von 
Popper in Wien vorgestellt. Es 
handelte sich um ein Mädchen, wel¬ 
ches zwei Wochen nach einem grossen 
Schrecken eine gewaltige Vergrösse- 
rung der Schilddrüse bekam, worauf 
sich eine Woche später noch ödema- 
töse Anschwellungen des Gesichtes, 
Cyanose der Extremitäten, Dermogra¬ 
phismus, übermässige Schweissabson- 
derung, Exophthalmus und eine Ta¬ 
chykardie von 150 Schlägen einstell¬ 
ten, während subjektive Symptome 
gänzlich ausblieben. In äusserst geist¬ 
reicher Weise hat W i n t e r n i t z 
darauf hingewiesen, dass scharfe Be¬ 
obachter unter den Künstlern, z. B. 


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Maler, in ihrer Darstellung von läh¬ 
mendem Schreck und grossem Ent¬ 
setzen an die T rias der Basedow- 
Symptome erinnern. „Vielen dürfte 
ein Bild in Erinerung sein, das der be¬ 
rühmte Marinemaler R o m a k s ge¬ 
schaffen. Er hat die Schlacht von 
Lissa gemalt und den Moment fixiert, 
in dem Tegetthoff die italienische 
Panzerfregatte zu rammen unter¬ 
nimmt. Tegetthoff auf der Kom¬ 
mandobrücke und unter ihm am Steu¬ 
errade vier kräftige Matrosen den ent¬ 
scheidenden Moment des furchtbaren 
Zusammenstosses erwartend. Mit al¬ 
ler Kraft das Steuerrad festhaltend, 
mit hochgerötetem Gesicht, die Augen 
aus ihren Höhlen hervortretend, den 
Hals gebläht, und man sieht förmlich 
unter dem Matrosenhemd das mächtig 
klopfende Herz. Der scharf beobach¬ 
tende Künstler malt Angst und Ent¬ 
setzen mit den Hauptsymptomen des 
Basedow/' 

Die therapeutischen Massnahmen, 
die gegen den M. Basedow zu treffen 
sind, bewegen sich oft haarscharf auf 
dem Grenzgebiete zwischen der Chi¬ 
rurgie und der internen Medizin, und 
von beiden Seiten werden triftige 
Gründe geltend gemacht, um die Be¬ 
handlung der Krankheit ins eigene La¬ 
ger hinüberzuziehen. Zwischen die 
genannten zwei extremen Standpunkte 
schiebt sich wie ein mächtiger Keil die 
physikalische Therapie dazwischen 
mit ihren zahlreichen Prozeduren und 
Massnahmen, die besonders auf dem 
hier in hohem Grade in Betracht kom¬ 
menden vasomotorischen Gebiete ganz 
Ausgezeichnetes zu leisten vermögen, 
wenn sie in methodisch-konsequenter 
Weise und in der richtigen, auf die 
speziellen Bedürfnisse des Individu¬ 
ums Bedacht nehmenden Auswahl zur 
Anwendung gebracht werden. 

Die Hydrotherapie ist schon seit 
langer Zeit für die Behandlung des M. 
Basedowii empfohlen, aber doch erst 
seit der Blütezeit der W i n t e r n i t z- 
schen Schule, die die nötige Energie 


mit der ebenso notwendigen Schonung 
in richtigen Einklang zu bringen 
wusste, in die allererste Reihe gerückt 
worden. W ir haben es bei der Glotz¬ 
augenkachexie zunächst immer wieder 
mit vasomotorischen Störungen zu 
tun, auf die sich nicht nur die tachy- 
kardischen Erscheinungen, sondern 
auch die Hyperhydrosis, das Pulsieren 
der Struma und der Gefässe überhaupt 
sowie die ganze unregelmässige und 
unzweckmässige Verteilung des Blu¬ 
tes im Körper zurückführen lassen* 
Alle Massnahmen, die das Nerven¬ 
system stärker zu erregen imstande 
sind, müssen natürlich strenge vermie¬ 
den werden, weshalb Douchen, Güsse 
und Bäder, die eine stärkere Reaktion 
hervorrufen können, von vornherein 
kontraindiziert sind. 

Die sich zunächst der Behandlung 
entgegendrängende Erscheinung ist 
die Tachykardie, und gerade diese ist 
auf hydrotherapeutischem Wege sehr 
leicht und mit grosser Bestimmtheit 
zu beeinflussen. Der kalte Herz- 
sehlauch, mehrmals des Tages für eine 
halbe Stunde, später für die doppelte 
Zeit angewendet, pflegt günstig einzu¬ 
wirken und die Frequenz der Puls¬ 
schläge prompt herabzusetzen, aber 
nicht immer. Gerade bei nicht orga¬ 
nischen Herzleiden, die auf nervöser 
Basis beruhen, und dazu gehört ja die 
stürmische Erregung des Herzens 
beim Basedow, kommt es nicht selten 
vor, dass der kalte Herzschlauch keine 
deutliche Wirkung gibt oder wegen 
der Opposition des Patienten ausge¬ 
setzt werden muss; ich habe in sol¬ 
chen Fällen die Applikation der Kälte 
auf das Herz immer durch Massage 
des Herzens ersetzt, und zwar in Form 
der ausgezeichneten Vibration der 
Herzgegend oder der Riickenhackung. 
Beides wird bei Herzleiden nervösen 
Ursprungs sehr oft nicht nur objektiv 
besser vertragen als die Kälte, sondern 
entspricht auch dem subjektiven Ge¬ 
fühle des Patienten besser. Und jeder 
erfahrene Physiater weiss, welche Be- 


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deutung den Empfindungen der Kran¬ 
ken zukommt. Wenn die direkte Ap¬ 
plikation der Kälte auf die Herzge¬ 
gend nicht empfehlenswert ist, dann 
tun kalte Anwendungen auf den 
Nacken und die Wirbelsäule vorzüg¬ 
liche Dienste. Kühlschläuche, die sich 
in ihrer Form der Konfiguration des 
Rückens anschmiegen und niemals di¬ 
rekt auf die Haut, sondern immer zu¬ 
nächst auf einen gewöhnlichen kalten 
Umschlag zu liegen kommen und 
gleichmässig von kaltem Wasser 
durchströmt werden, wirken sehr gut. 
Bei einigermassen empfindlichen Na¬ 
turen ist es gut, mit der Temperatur 
ebenso vorsichtig ein- und auszuschlei¬ 
chen, wie man es seit jeher bei den 
elektrischen Applikationen tut. Die 
lange dauernde Kälteeinwirkung auf 
die Wirbelsäule vermag, wie W i n - 
t e r n i t z gezeigt hat, die Reflexerreg¬ 
barkeit in ganz bedeutendem Masse 
herabzusetzen, wodurch sich auch das 
heftige Zittern der Basedow-Kranken 
prompt vermindert. Die gleiche Wir¬ 
kung erzielen auch feuchte Einpackun¬ 
gen, die in der Therapie des Basedow 
überhaupt kaum zu umgehen sind und 
sich mit der Anwendung des Herz- 
kiihlers oder Rückenschlauches zwang¬ 
los verbinden lassen. Die Dauer die¬ 
ser Einpackungen, bei welchen die 
Arme der Patienten, um ihnen das 
lästige Gefühl des Gefesseltseins zu er¬ 
sparen, freibleiben können, hängt ganz 
von individuellen Momenten ab. Sie 
sollen nie so lange dauern, dass der 
Patient fcu schwitzen beginnt, müssen 
aber auch ohne Rücksicht auf die be¬ 
reits erreichte Dauer sofort unterbro¬ 
chen werden, wenn der Kranke unru¬ 
hig wird und die Packung nicht mehr 
als angenehm und wohltätig empfin¬ 
det. Damit die Wiedererwärmung des 
Kranken, die zu einem günstigen Er¬ 
folge der Packung unbedingt nötig ist, 
recht rasch erfolgt, ist es empfehlens¬ 
wert. die Prozedur gleich morgens im 
Bette, wenn der Körper noch von der 
Nachtruhe her recht warm ist, vorneh¬ 


men zu lassen; wenn dies nicht mög¬ 
lich ist, soll die Haut des Kranken vor 
der Einpackung durch eine trockene 
Abreibung künstlich erwärmt werden, 
ausserdem können mit warmem Was¬ 
ser gefüllte Krücken zu den Füssen, 
die bezüglich der Erwärmung stets die 
Stiefkinder des Körpers darstellen, mit 
eingepackt werden. Auf diese Weise 
wird die Haut des Kranken nach der 
erfolgten Auspackung eine gesunde 
warme Röte zeigen und nicht die ei¬ 
gentümliche areolar-zyanotische In¬ 
jektion, die ein Zeichen der vorhande¬ 
nen ungleichmässigen Wärmevertei¬ 
lung ist. W ie immer in der Hydro¬ 
therapie muss auch nach diesen Pack¬ 
ungen, die sich durch eine gewaltig be¬ 
ruhigende Einwirkung auf die Blut¬ 
zirkulation und die Innervation aus¬ 
zeichnen, eine tonisierende Prozedur 
sofort angeschlossen werden, etwa ein 
nicht zu kühles Halbbad oder ein 
Bürstbad, welch letzteres die gleich- 
massige Durchblutung der Haut noch 
bedeutend fördert. Es werden sich na¬ 
türlich immer Fälle finden, wo die ra¬ 
sche W iedererwärmung in der Ein¬ 
packung ausbleibt und die Kranken 
beständig über Frösteln klagen; da 
empfiehlt es sich, nach dem Vorschlä¬ 
ge von Tobias trockene Einpackun¬ 
gen mit gleichzeitiger Anwendung des 
Rückenschlauches zu verordnen; durch 
letzteren wird aber nicht kaltes, 
sondern warmes W r asser geschickt. 
Damit der Forderung des Ein- und 
Ausschleichens mit der Temperatur 
Genüge geschieht, beginnt man mit 38 
Grad C. und steigt mit der Zeit auf 41 
bis 42 Grad. Die Zeitdauer soll 20 
Minuten nicht überschreiten, da weder 
höhere Temperaturen noch längere 
Dauer gut vertragen werden. In den 
Anstalten wird gewöhnlich Gewicht 
darauf gelegt, dass die Packungen 
recht fest und stramm gemacht wer¬ 
den, weil dadurch eine innigere Be¬ 
rührung der Körperoberfläche mit dem 
nassen Tuche herbeigeführt wird und 
die Wiedererwärmung des Patienten 


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rascher erfolgt: eine straffe Packung 
sieht auch schöner und technisch voll¬ 
kommener aus. Aber ich bin bei ner¬ 
vösen, leicht aufgeregten und ängstli¬ 
chen Patienten schon längst davon ab¬ 
gekommen und lasse die Packungen in 
solchen Fällen ganz locker machen; 
die Erwärmung erfolgt auf diese Wei¬ 
se fast gerade so schnell, und dafür 
bleibt die Aengstlichkeit, das Gefühl 
der Fesselung, das dem Kranken die 
ganze Prozedur zur Qual macht, gänz¬ 
lich aus, was meiner Ansicht nach ei¬ 
nen sehr wichtigen Faktor ausmacht 
und gewiss auch zur Beruhigung der 
Herztätigkeit beiträgt. 

Zur Herabstimmung des überreizten 
Nervensystems der Basedowkranken, 
die oft am ganzen Körper zittern und 
vibrieren wie überheizte Lokomotiven, 
möchte ich auch die Kohlensäurebäder 
nicht gerne entbehren, die sehr zweck¬ 
mässig mit Soole versetzt werden ; die 
Temperatur dieser Bäder darf nicht zu 
niedrig sein, man wird wenigstens im 
Beginne nicht leicht unter 26 Grad Re- 
aumur herabgehen dürfen. Sympto¬ 
matisch kann man bei Gelegenheit 
auch von anderen hydropathischen 
Prozeduren als den genannten Ge¬ 
brauch machen, nur müssen, wie 
schon erwähnt, alle stärker erregen¬ 
den Massnahmen strenge ausgeschal¬ 
tet bleiben, während Variationen in 
den diversen beruhigenden Prozedu¬ 
ren dem Belieben des Einzelnen und 
den individuellen Verhältnissen des 
speziellen Falles Vorbehalten bleiben. 
Die Diarrhöen, welche sehr oft mit 
dem Basedow verbunden sind und die 
Kranken arg belästigen, sind wohl im¬ 
mer nervöser Natur, werden aber 
gleichwohl durch innere Darreichung 
von Heideibeerabkochung günstig be¬ 
einflusst. Auch das Gegenteil, starke 
Obstipation, ist nicht selten; gegen 
diese empfiehlt Epstein grosse 
Oelklysmen, womit er zu wiederholten 
Malen die ganzen Basedowsymptome 
zum Verschwinden gebracht zu haben 
angibt. 


Neben den nervösen Symptomen des 
Basedow tritt noch eine Erscheinung 
von grösster Bedeutung in den Vor¬ 
dergrund : die rasche Abmagerung; 
und diese kann nicht früh genug be¬ 
kämpft werden. Sie ist umso auffal¬ 
lender, als die Basedowkranken vor 
Beginn ihrer Krankheit sehr oft gut¬ 
genährte oder auch fettleibige Indivi¬ 
duen waren und nicht selten aus Fami¬ 
lien stammen, in denen die Fettsucht 
erblich ist. Gerade so wie in der Hy¬ 
drotherapie alles vermieden werden 
muss, was erregend wirkt, so hat auch 
die Diätverordnung ihre Hauptauf¬ 
gabe darin zu suchen, alles auszuschal¬ 
ten,- was das Nervensystem und spe¬ 
ziell die Herznerven erregen könnte. 
In erster Linie verbietet sich daher 
der Genuss von Alkohol, Tee, Kaffee 
und scharfen Gewürzen. Die Speisen 
sollen leichtverdaulich, dabei nahrhaft 
und reizlos sein ; die üblichen Mahlzei¬ 
ten werden vermehrt, damit einerseits 
keine L'eberfüllung des Magens mit 
ihrer sich regelmässig einstellenden 
Rückwirkung auf die Herztätigkeit 
eintritt und andererseits die Nah¬ 
rungsaufnahme doch eine genügende 
bleibt. Ich pflege den Patienten eine 
regelmässige Mastkur zu verordnen, 
bei welcher ich ein besonderes Ge¬ 
wicht auf die Einnahme der Milch, 
und zwar in Form der sogenannten 
Mastmilch lege. Diese wird aus ge¬ 
wöhnlicher Vollmilch durch Ein¬ 
dampfen auf das halbe Volumen her¬ 
gestellt, mit etwas Kalkwasser — um 
eine leichtere Verdaulichkeit zu erzie¬ 
len — versetzt und in Tagesquanten 
von \/i Litern, entsprechend 3 Litern 
Vollmilch, konsumiert. Der Zusatz 
von Kalkwasser wirkt bei disponierten 
Individuen leicht stopfend; man kann 
dann das Kalkwasser durch Milch¬ 
zucker ersetzen, der nicht nur sehr 
nahrhaft ist, sondern auch eine leicht 
auflösende Nebenwirkung besitzt. Die¬ 
se Art der Milchdarreichung kann ich 
für viele Fälle der täglichen Praxis 
wärmstens empfehlen; der Kranke 

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braucht nur das halbe in der Milch 
enthaltene Wasser zu schlucken und 
bekommt doch den ganzen Nährwert 
derselben. 

Die Diät ist eine gemischte, bei wel¬ 
cher das Fett eine verhältnismässig 
geringe Rolle spielt und das Hauptge¬ 
wicht auf die Zufuhr von Eiweiss und 
Kohlehydraten gelegt wird. Fett¬ 
masten sind nie von langer Dauer, 
während die hier erläuterte Diät fast 
immer dauernde Erfolge gibt. Die Pa¬ 
tienten müssen im Tage ungefähr 
sechs Stunden lang, womöglich im 
Freien, liegen und bekommen alle 
Speisen in mässig warmem Zustande. 
Auf diese Weise werden wöchentliche 
Zunahmen bis zu drei Kilogramm er¬ 
zielt. Im Anfänge der Behandlung 
pflegen die Kranken noch etwas abzu¬ 
nehmen, in der zweiten Woche bleibt 
das Körpergewicht stabil, um dann 
mit Beginn der dritten Woche oft ra¬ 
pid zuzunehmen; damit geht eine we¬ 
sentliche Besserung aller Beschwer¬ 
den Hand in Hand. 

Die Mastkur, in der angedeuteten 
Weise angewendet, kommt automa¬ 
tisch einer weiteren Indikation entge¬ 
gen, die bei Basedowkranken sehr 
wichtig ist: der Forderung nach stren¬ 
ger körperlicher und geistiger Ruhe. 
Wie bei den gewöhnlichen Neurasthe¬ 
nikern muss die Hetze des gewohnten 
täglichen Lebens ausgesetzt, die ge¬ 
wohnte häusliche Umgebung gemie¬ 
den werden, um dem Kranken eine 
vollständige Ausspannung zu ermög¬ 
lichen, weshalb sich, wo es halbwegs 
angängig ist, die Abgabe in eine An¬ 
stalt von selbst der Kalkulation auf¬ 
drängt. Damit ist auch der Forderung 
nach einem entsprechenden Klima¬ 
wechsel meistens genug getan, und die 
würzige Waldluft, in welcher die Pa¬ 
tienten, ohne sich bewegen zu müssen, 
den grössten Teil des Tages verbrin¬ 
gen können, macht ihren heilbringen¬ 
den Einfluss schon nach kurzer Zeit 
geltend. Es ist vielleicht nicht über¬ 
flüssig zu betonen, dass die Kranken 


am besten allein oder mit einer Person, 
die nicht ihrer gewohnten Umgebung 
angehört, in die Anstalt geschickt 
werden. 

Mit der einfachen Abschiebung des 
Kranken „aufs Land 44 ist — abgesehen 
von der Unmöglichkeit einer rationel¬ 
len Behandlung in einer unpraktischen 
Sommerwohnung — meistens nicht 
viel erzielt, weil die Kranken, sich 
selbst überlassen, immer dazu neigen, 
ihrem Drange nach reichlicher Aus¬ 
nützung der „guten Luft 44 nachzuge¬ 
ben und mehr spazieren zu gehen als 
gerade ihnen, die so notwendig Ruhe 
brauchen, zuträglich ist. Man hat den 
Basedow-Kranken oft den Aufenthalt 
an der See angeraten, wohl kaum mit 
sehr viel Recht, da die zehrende See¬ 
luft gewiss nicht geeignet ist, das Ner¬ 
vensystem zu beruhigen und das See¬ 
klima im Gegenteil gerade mehr für 
torpidere Fälle passt. Seebäder sind 
wegen ihrer erregenden Wirkung ganz 
gewiss nicht für Basedow-Kranke ge¬ 
eignet. Wannenbäder in gewärmtem 
Seewasser dürften in ihrer Wirkung 
den Kohlensäuresoolbädern nahe kom¬ 
men. Aehnliche Verhältnisse liegen 
bezüglich des Aufenthaltes in Höhen¬ 
kurorten vor, der von manchen Seiten 
warm empfohlen, aber von sehr auto¬ 
ritativer Seite auch energisch wider¬ 
raten wird. 

Zu den ältesten Behandlungsmetho¬ 
den des Basedow gehört die Elektro¬ 
therapie, die leider den grossen Nach¬ 
teil hat, dass man nie weiss, wie viel 
von ihrer Wirkung auf Suggestion be¬ 
ruht. Schon der LTmstand, dass von 
den verschiedenen Autoren die man¬ 
nigfaltigsten Variationen für die An¬ 
wendung des elektrischen Stromes 
empfohlen werden, dass bald der gal¬ 
vanische, bald der faradische Strom 
zur Anwendung kommen soll, gibt zu 
denken. Dazu kommt noch, dass es, 
wenn man beispielsweise den Sympa¬ 
thikus galvanisch beeinflussen will, 
garnicht so ausgemacht ist, dass man 
den genantnen Nerven mit dem Stro¬ 
ck rigi aal fro-m 

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me tatsächlich erreichen kann. Ich 
glaube daher, dass der Elektrotherapie 
in der Behandlung des Basedow kein 
sehr massgebender Einfluss zukom¬ 
men dürfte. Am häufigsten ist die 
(Galvanisation des Halssympathikus. 
Sie wird meistens so ausgeführt, dass 
die Anode als indifferente Elektrode 
auf die Dornfortsätze der obersten 
Halswirbel aufgesetzt, die Kathode 
dagegen in die Fossa auriculomaxilla- 
ris appliziert wird, wobei das oberste 
Halsganglion des Sympathikus er¬ 
reicht werden soll. Man kann auch 
labil verfahren, indem man mit der 
Kathode längs der grossen Halsge- 
fässe den Halssympathikus in seinem 
Verlaufe zu erreichen sucht. Die 
Stärke des angewendeten Stromes be¬ 
trägt ungefähr 5 MA, was ich für et¬ 
was zu viel halte, da man gerade mit 
den schwächsten Strömen die besten 
Resultate erreicht haben will. Stärke¬ 
re Ströme von 5 bis 10 MA werden an¬ 
gewendet. wenn man das Halsrücken¬ 


mark elektrisieren will. Dabei kommt 
die Kathode rückwärts auf den ober¬ 
sten Halswirbel zu liegen, während 
der positive Pol etwas tiefer, ungefähr 
zwischen den Schulterblättern, auf die 
Wirbelsäule aufgesetzt wird. Von der 
Galvanisation der Medulla oblongata 
und der Schilddrüse selbst habe ich nie 
einen Erfolg gesehen. 

Wenn ich das Gesagte zusammen¬ 
fasse, dürfte es wohl keinem Zweifel 
unterliegen, dass die moderne Behand¬ 
lungsweise des Basedow sich zunächst 
der bewährten Massnahmen der Hy¬ 
drotherapie (besonders lokale Kälte¬ 
anwendungen und feuchte Einpack¬ 
ungen) und der Diätetik (Ueberernäh- 
rung mit Vermeidung jeder einseitigen 
Ernährungsweise) bedienen wird, da 
die medikamentöse Behandlung noch 
zu keiner Uebereinstimmung geführt 
hat. Auf die Frage, ob und wann die 
operative Behandlung des Basedow 
einzuleiten ist, soll hier nicht einge¬ 
gangen werden. 


Die Anwendung des Karmins zur Magendarmdiagnose. ^ 

Von Seymour Basch, M. D. 

Adjunct Attcnding Physician im Lebanon Hospital, New York City, U. S. A. 


Trotzdem das Karmin schon seit ver¬ 
hältnismässig langer Zeit zur Diagnose 
von Magendarmerkrankungen Anwen¬ 
dung findet, hat sein Gebrauch für die¬ 
sen Zweck bis heute wenig allgemeine 
Verbreitung gefunden. Griitzner 1 ) 
hat bereits im Jahre 1874 seine kolori- 
metrische Methode zur Pepsinbestim- 
niung beschrieben, bestehend in einem 
Vergleich mit standarisierten Karmin¬ 
glyzerinlösungen und der Menge von 
Farbstoff, die bei der Verdauung von 
karmingefärbtem Fibrin im Magensaft 

* Vortrag zur 16. Jahresversammlung der Ameri¬ 
can Gastro-enterological Association in Washington, 
D. C., Mai 1913. (Aus Arch. f. VerdjfUungskr. Bd. 
XX. H. 1 1914.) 

1) (» r ü t z n e r, Arch. f. d. ges. Phys. 1874. Bd. 
VIII. S. 452. 


in Freiheit gesetzt wurde; diese Metho¬ 
de ist inzwischen durch genauere Prii- 
fungsverfahren ersetzt worden. 

Karminrot, Kochinilin, gereinigte 
Karminsäure ist das Farbenprinzip von 
Kokkus kakti, besser bekannt als das 
südamerikanische Kochenilleninsekt. Es 
kommt im Handel oft mit Blei, Baryum, 
Stärke, Rosanilin u. dgl. verfälscht vor, 
doch sind diese Verunreinigungen leicht 
erkennbar. Natürlich darf nur der reine 
Farbstoff innerliche Anwendung finden, 
der ja sehr billig, überall zu bekommen 
und unter allen klimatischen Bedingun¬ 
gen haltbar ist. Die Farbe ist dem Auge 
gefällig und kann entweder in Gelatin- 
kapseln oder trocken auf der Zunge 
bezw. mit Wasser oder Nahrung ver- 


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mischt genommen werden. Das reine 
Karmin ist in massigen Mengen voll¬ 
kommen unschädlich. Ich habe wieder¬ 
holt bis zu einem halben Teelöffel ohne 
nachteilige Nachwirkung verabreicht. 
Ad. Schmidt 2 ) erwähnt, dass es ei¬ 
nen leichten Reiz auf den Darm aus¬ 
üben kann, doch habe ich diese Erfah¬ 
rung niemals gemacht. 

Innerlich verabreicht, behält das 
Mittel seine deutlich rote Farbe und 
färbt die Fäzes, mit welchen es sich 
gründlich vermischt, ziegelrot. Die 
Stärke und Ausgiebigkeit der Färbung 
ist ungefähr proportional zur eingenom¬ 
menen Menge, der Schnelligkeit, mit 
welcher sie durch den Verdauungs¬ 
kanal geht, sowie zu der Konsistenz des 
Darminhaltes. Wahrscheinlich wird die 
Farbe nicht resorbiert, denn sie ist im 
Urin, Schweisse, Speichel, Tränen und 
den sichtbaren Geweben nicht merkbar. 
In seinen Eigenschaften der Unresor¬ 
bierbarkeit und Färbungskraft besteht 
sein Wert als einfaches und harmloses 
Diagnostikum. 

Bisher wurde das Karmin in der Ma- 
gendarmdiagnose benutzt: 

1. Zur Bestimmung bezw. Unterschei¬ 
dung der Fäzes einer Diätform von der 
einer anderen. 

2. Zur Feststellung der Geschwindig¬ 
keit der Magendarmmotilität. 

Das erste Verfahren wird schon lange 
verwendet bei Studien des Stoffwechsels 
und der Nahrungsausnützung, d. h. für 
dieselben Zwecke, für welche als Färbe¬ 
mittel Holzkohle, Kakao, Milch, Heidel¬ 
beeren u. dgl. verabreicht wurden, fer¬ 
ner eine Reihe von ganz unverdaulichen 
Substanzen, wie Kork, Kieselsäure usw., 
deren Gegenwart im Stuhle leicht er¬ 
kennbar ist. Dem Vorschläge von 
Adolf Schmidt 3 ) folgend, habe ich 
seit 189 1 ) 4 * ) das Karmin für Stuhlbeob¬ 

2) Ad. S c h m i (I t. Die Funktionsprüfling des Dar¬ 
mes usw. 2. Attfl. Wiesbaden, 1908. 

3) S c h in i d t, Dts-ch. Arch. f. klin. Med. 1898. 
Bd. LXI. S. 548. 

4) S. Basch, Ztschr. f. klin. M. 1899. Bd. 

XXXVII. II. 5 und 6. 


achtungen gebraucht. Für diesen Zw eck 
genügen 0.3 g. Dieses Quantum er¬ 
zeugt zumeist zwei deutlich rote Stuhl¬ 
gänge, von welcher der letzte jedoch 
teilweise nur leicht gerötet ist oder nur 
einige Karminkristalle enthalten kann. 
Grosse Dosen sollen nicht verordnet 
werden, sie verlängern nur die Farb- 
wdrkung auf die Darmexkrete. Die Pa¬ 
tienten nehmen das Mittel mit einem 
Teelöffel Wasser. 

Die Erreichung des zweiten Zweckes, 
nämlich Feststellung der Magendarm¬ 
motilität, ist auch von Ad. S c h m i d t 6 ) 
und von Spivak 6 ) in Angriff genom¬ 
men worden. Für die Ermittelung der 
Geschwindigkeit in den einzelnen Darm¬ 
teilen haben wir kein anderes Mittel als 
die Röntgenstrahlen. Wo diese jedoch 
nicht anwendbar sind, können wir einen 
Begriff über die Nahrungspassage 
durch den ganzen Darm vermittels eines 
von zwei Wegen gewinnen: Wir kön¬ 
nen entweder die Karminlösung direkt 
in das Duodenum einführen und die 
Zeitdauer ihrer Ausscheidung feststel¬ 
len, oder den Patienten das Mittel per o^ 
einnehmen lassen und von der Zeitdauer 
des Erscheinens der gefärbten Fäzes die 
abgeschätzte Magenmotilität abziehen. 

Erwähnung finden soll auch die Tat¬ 
sache, dass das Karmin zur experimen¬ 
tellen Demonstration der „Schichtung“ 
des Mageninhalts während der vor sich 
gehenden Verdauung bei Tieren eben¬ 
falls verwendet worden ist. 

Ich möchte nun die folgenden weite¬ 
ren diagnostischen Indikationen in Vor¬ 
schlag bringen : 

1. Zur Feststellung, ob der Verdau- 
ungstrakt frei oder überstaut ist, und ob 
eine bestehende Stauung vorübergehend 
oder andauernd ist. 

2. Zur Entdeckung einer fistulösen 
Verbindung mit dem Verdauungstrak- 
tus. 

3. Zum Nachweise, auf einfache Art. 

5) Schmidt, Die Funktionspr ?fung des Darmes. 
2. Aufl. 1908. 

6) Spivak, Denver Medical Times. Nov. 1910. 


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ob eine Duodenalsonde im Duodenum 
oder im Magen ist. 

4. Als Hilfsmittel bei der Diagnose 
von Oesophagusdilatation und Diver¬ 
tikel. 

Ich habe das Karmin öfters für die 
drei erstgenannten Zwecke verwendet 
und kann die Methode wegen ihrer Ein¬ 
fachheit und Genauigkeit empfehlen. 

Unter normalen Umständen muss das 
Karmin, da es nicht resorbiert wird, den 
Verdauungskanal passieren und in den 
Fäzes zum Vorschein kommen, wie ge¬ 
sagt durch die leicht erkennbare rote 
Farbe. Eventuelles verzögertes Er¬ 
scheinen kann verursacht werden durch 
motorische Schwäche des Darmes oder 
des Magens, spastische Kontraktionen, 
irgendeine der vielen Formen von teil- 
weiser Stockung, Verstopfung usw. 
Bei Abwesenheit von Erbrechen muss 
das Ausbleiben der Farbe im Stuhle ei¬ 
ner vollständigen Stauung akuter oder 
chronischer Art irgendwo im Verdau- 
dungstraktus zugeschrieben werden. 
Als Beispiele der praktischen Verwer¬ 
tung des Verfahrens möchte ich erwäh¬ 
nen die Differentialdiagnose zwischen 
spastischen und echt anatomischen Zu¬ 
ständen im Oesophagus, der Kardia, 
dem Pylorus und dem Darme, mit voll¬ 
ständiger oder unvollständiger Obstruk¬ 
tion. Ich möchte besonders seine An¬ 
wendung vorschlagen bei vermuteter 
infantiler oder sogenannter kongenita¬ 
ler Pylorusstenose. Nobecourt und 
M e r k 1 i n 7 ) haben gezeigt, dass bei 
normalen Kindern, bis zu drei Monate 
alt, die Verabreichung von 0.015 g Kar¬ 
min in drei bis neun Stunden von rotem 
Stuhlgange gefolgt wird. Daher musste 
die vollständige Karminretention end¬ 
gültig eine anatomische Obstruktion ir¬ 
gendwo im Verdauungstraktus bewei¬ 
sen. 

Zur genaueren Feststellung der Art 
und des Ortes der Stockung unter ir¬ 
gendwelchen der vorgenannten Um- 


7) Nobecourt und M e r k 1 i n. Bull. d. I. Soc. 
d. Pediatrie. 12. I. 1910. 


stände müssen wir die klinischen Daten 
heranziehen, ferner die Anwendung von 
Sonden, die Instrumente für direkte 
U ntersuchungen, die Röntgenstrahlen, 
usw. ln geeigneten Fällen haben alle 
diese Prüfungsmethoden unschätzbaren 
Wert. Wenn dieselben jedoch nicht 
verwendbar sind, dann wird die Dar¬ 
reichung einiger Zentigramm Karmin, 
mit etwas Wasser oder Nahrung, ge¬ 
fahrlos und unbedenklich sein und die 
Situation möglicherweise erhellen. 

Der besondere Wert der Karminprü¬ 
fung ist evident in Fällen von Darmob¬ 
struktion, bei der Stuhlgang stattfindet, 
die Fäzes aber von einer Stelle unter¬ 
halb der Obstruktion stammen. Wenn 
in einem solchen Falle ungefärbte Fäzes 
nach Darreichung von Karmin ausge¬ 
schieden werden, so ist die komplette 
Obstruktion positiv erwiesen. Der fol¬ 
gende Fall veranschaulicht diese Tat¬ 
sache: 

Herr A. B., vor einigen Jahren in 
Konsultation mit Herrn Dr. A. Mayer- 
New York behandelt. Vor einiger Zeit 
wurde das Colon ascendens wegen Kar¬ 
zinom reseziert. Kurz nach der darauf¬ 
folgenden Erleichterung stellte sich er¬ 
neute und allmählich stärker werdende 
Stuhlverstopfung ein, bis ein Zustand 
von völligem Darmverschluss mit häu¬ 
figem Erbrechen, das später fäkal wur¬ 
de, vorhanden war. Zu gleicher Zeit 
entleerte sich doch etwas Stuhl per rec¬ 
tum, entweder spontan oder nach einem 
Einlauf. Durch Magenausspülung und 
Atropin subkutan wurde das Erbrechen 
beseitigt, und auch das Allgemeinbefin¬ 
den besserte sich einigermassen. Es 
war nunmehr von therapeutischem und 
prognostischem Standpunkte wichtig, zu 
ermitteln, ob die Obstruktion eine voll¬ 
ständige war oder nicht. Der Patient, 
der zu Hause lag und zu krank war, um 
sich irgendwelchen umständlichen Prü¬ 
fungsmethoden zu unterziehen, bekam 
sodann 0.3 Karmin mit etwas Wasser 
vermischt, ohne dass er darauf erbrach. 
Die folgenden Stuhlgänge wiesen keine 
Rotfärbung auf. Dieselbe Dosis Kar- 

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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


min wurde am nächsten Tage wieder ge¬ 
geben, mit dem gleichen Resultate. Die 
Schlussfolgerung, dass es sich um eine 
komplete Retention handele, wurde 
durch die Folge bestätigt. Das Kot¬ 
erbrechen stellte sich bald wieder ein, 
begleitet von heftiger Darmperistaltik, 
starken Gurgellauten, vollständiger 
Stuhlretention, schnell wachsendem Stu¬ 
por und allen anderen Erscheinungen 
einer totalen Intestinalobstruktion und 
systematischen Vergiftung. 

Der Wert des Karmins zum Nach¬ 
weise von extern gelegenen Fisteln 
zeigte sich besonders in einem Falle, der 
im Jahre 1900 von mir behandelt wurde. 

Herr A. G., 45 Jahre alt, hatte seit 
fünf Monaten schwere krampfartige 
Schmerzen, die vom Rücken zum Hypo¬ 
gastrium strahlten. Gleichzeitig trat, 
an Stelle des bisher regelmässigen 
Stuhlganges, Verstopfung ein, die je¬ 
doch auf milde Laxantien oder Einläufe 
übermässig reagierte. Manchmal war in 
den Fäzes Blut vorhanden. Der Patient 
war etwas blass, hatte an Gewicht ver¬ 
loren und klagte über Schwäche. In den 
sechs Wochen, bevor er in Behandlung 
trat, bemerkte er eine Trübung des 
Urins und öfters Schmerzen unmittelbar 
vor der Harnentleerung. 

Abgesehen von den Symptomen der 
Allgemeinschwäche war die körperliche 
Untersuchung negativ. ' Das Abdomen 
war weich, auf Druck nicht schmerzhaft, 
und Veränderungen konnten nicht 
wahrgenommen werden. Mehrmalige 
Untersuchungen des frischgeleerten 
Urins zeigten eine saure Reaktion, sehr 
trübes Aussehen, keinen besonderen Ge¬ 
ruch ; im Sediment waren mikroskopisch 
Erythrozyten, Eiterzellen und viele ge¬ 
streifte Muskelfasern erkennbar. 

Der letztgenannte Befund konnte nur 
einem intra vesikulären Rhabdomyoma 
oder einem fistulösen Gange zwischen 
der Blase und dem Darm zugeschrieben 
werden. Um die Diagnose aufzuklären, 
wurde eine fleischfreie Diät und 0.3 
Karmin per os verschrieben. Bald dar¬ 
auf zeigte sich rot gefärbter Urin, der 


Karminkristalle, aber keine Muskel¬ 
fasern enthielt. Dadurch war also ein 
Rhabdomyoma ausgeschlossen, und das 
Bestehen einer intravesikulären Fistel 
bewiesen. Die Cystoskopie, welche ei¬ 
nige Tage darauf von Herrn Dr. E 1 s- 
b e r g - New York vorgenommen wur¬ 
de, zeigte einen Tumor ca. 1 Zoll im 
Durchmesser, der sich am Boden der 
Blase, grösstenteils auf der linken Seite, 
befand. Der Tumor war mit normaler 
Schleimhaut bedeckt, aber von einer tie¬ 
fen Röte umgeben. Sonst war die Blase 
normal; eine Ulzeration oder Fistel war 
nicht nachzuweisen. 

Eine positive Diagnose auf bösartigen 
Darmtumor mit fistulösem Gange in die 
Blase wurde gestellt. Eine Woche spä¬ 
ter hatte der Urin zum ersten Male ei¬ 
nen deutlich fäkalen Geruch, es waren 
in demselben nunmehr Kotteilchen und 
Blut makroskopisch zu sehen. Danfi war 
auch ein Abdominaltumor zu palpieren. 
Der Patient kam zur Operation, und es 
zeigte sich ein unoperierbares Lympho¬ 
sarkom des Ileum, das der Blase anhaf¬ 
tete und in diese durchbrach. Eine spä¬ 
tere Autopsie bestätigte die vorstehen¬ 
den Befunde. 

Der Fall zeigt deutlich die Leichtig¬ 
keit, mit welcher eine nach aussen- füh¬ 
rende Fistel diagnostiziert werden kann, 
selbst wenn die gewöhnlichen Merk¬ 
male fäkaler Natur fehlen. Ferner deu¬ 
tet er darauf hin, dass mittels der Kar¬ 
minmethode irgendeine Fistelkommuni¬ 
kation zwischen dem Verdauungskanal 
und der Aussenfläche des Körpers er¬ 
mittelt werden kann. 

Bei Duodenalintubation und -Ernäh¬ 
rung ist es wichtig zu wissen, ob das 
Distalende der Sonde sich im Duodenum 
oder im Magen befindet. Es ist nicht 
immer möglich, den Saft aufzusaugen, 
und wenn er goldgelb ist und eine star¬ 
ke Kongoreaktion gibt, so kann er ent¬ 
weder vom Magen oder vom oberen 
Duodenumabschnitt stammen. Die Fra¬ 
ge kann leicht gelöst werden, wenn man 
den Patienten etwas klare, frische, wäs¬ 
serige Karminlösung trinken lässt und 


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dann die Nahrung>spritzc sofort an¬ 
bringt und aufsaugt. Ist das Ende der 
Sonde im Magen, wird Karminlösung 
heraufgezogen; wenn im Duodenum, 
entweder garnichts oder nur der charak¬ 
teristische gallengelbe Duodenalsaft. 

Der folgende Fall zeigt die praktische 
Karminanwendung für diesen Zweck: 

Frau H. R. wurde mit der Duodenal- 
Xahrungssonde nach H i n h o r n we- 
gens Ulcus ventriculi behandelt. Am 
achten Tage rührte sie an der Sonde un¬ 
absichtlich mit der Hand und war so¬ 
dann nicht davon abzubringen, dass die 
Kapsel nunmehr im Magen war. Die 
Patienten, welche häufig an Parästhesien 
litt, klagte, dass nicht nur die harte Kap¬ 
sel Schmerzen im Magen verursachte, 
sondern dass sie bei jeder Mahlzeit die 
Nahrung im -Magen fühlte. Um der 
Patientin ihre Sorgen zu beseitigen, gab 
ich ihr 50.0 ccm einer klaren, tiefroten 
Karminlösung, und trotz wiederholten 
Saugens acht Minuten hindurch konnte 
keine rote Flüssigkeit erlangt werden. 

Obwohl die Röntgenstrahlendemon¬ 
stration bei weitem die beste Methode 
zur Diagnose und Differentialdiagnose 
von Oesophagusdilation und Divertikel 
darstellt, wird hiermit vorgeschlagen, 
das Karmin für diesen Zweck in dersel¬ 
ben Weise zu verwenden wie die bisher 
gebrauchten, weniger deutlichen Nah¬ 
rungsflüssigkeiten (schwarzen Kaffee, 
Milch usw.). Das Karmin hat den be¬ 


sonderen Vorteil, dass es ungiftig ist, 
von jedermann genommen werden kann 
und seine physikalisch-chemischen Ei¬ 
genschaften nicht verändert. 

Zum Schluss möchte ich zusammen¬ 
fassen, dass wir in der Karminprobe ein 
einfaches, harmloses, verlässliches und 
handliches Prüfungsverfahren besitzen 
für die Trennung der Fäzes, die Bestim¬ 
mung der Magendarmmotilität und 
Wegsamkeit, zur Feststellung von Fi¬ 
stel-Kommunikationen zwischen dem 
Yerdauungskanal und dem Körper¬ 
äusseren oder anderen Eingeweiden, 
zum Nachweise des distalen Endes der 
Duodenalsonde im Duodenum und als 
Hilfsmittel bei der Unterscheidung 
zwischen Oesophagaldivertikulum und 
-dilatation. 

Bei der allgemeineren Anwendung des 
Mittels werden sich wohl weitere An¬ 
wendungsgebiete dafür finden. 

In der Diskussion, die dieser Mittei¬ 
lung folgte, sagte Herr Dr. Willy 
M e y e r - New York, dass in einem der 
Fälle von transthorakischer Thorakoto¬ 
mie, die er im Journ. of the Amer. med. 
Assoc. vom 20. V. 1911 mitteilte, sich 
eine äusserliche Fistel nach der Opera¬ 
tion entwickelte. Der Beweis, dass die¬ 
selbe mit dem Oesophagus kommuni¬ 
zierte, wurde dadurch geliefert, dass er 
den Patienten etwas Karmin schlucken 
liess, das am nächsten Tage durch die 
Rotfärbung des Verbandes sichtbar war. 


Ueber Entfernung von Flecken aus Geweben und von der 
Haut, verursacht durch Arzneimittel, Chemikalien, etc. 


Manche Arzneimittel und Chemikalien 
hinterlassen in Geweben, besonders in 
der Wäsche, und auf der Haut unange¬ 
nehme Flecken, die selbst durch wieder¬ 
holtes Waschen mit Wasser und Seife 
nicht entfernt werden können. Man be¬ 
darf dazu je nach Alter und Art der 
Flecken verschiedene Chemikalien und 
Lösungsmittel. Die nachstehenden An¬ 


gaben bringen wir aus einem längeren 
Artikel in der „Pharm. Zentralhalle“ 
1914, Nr. 20, wie derselbe in der Wien, 
klin. Rdsch. 1914 Nr. 28 wiedergegeben 
ist. 

Für die Entfernung von Flecken sind' 
vor allem folgende Momente in Betracht 
zu ziehen : 

1. Die Entfernung von Flecken ist 

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tunlichst bei Tageslicht (nicht bei künst¬ 
licher Beleuchtung) vorzunehmen, er¬ 
stens, weil sich die Farbenabstufungen 
und das Endresultat besser beurteilen 
lassen und zweitens wegen der Feuerge¬ 
fährlichkeit mancher Fleckenentfer¬ 
nungsmittel, wie Aether, absoluter Alko¬ 
hol, Benzin, Benzol, Weingeist und Ter¬ 
pentinöl. 

2. Je frischer die Flecken sind, um so 
leichter lassen sie sich entfernen. Alte 
Flecken sind durch tiefes Eindringen in 
die Gewebe, Aufnahme von Staub und 
Oxydation durch den Sauerstoff der 
Luft widerstandsfähiger. Zu ihrer Ent¬ 
fernung sind die angegebenen Mittel 
meist wiederholt anzuwenden. 

3. Vor Anwendung eines Verfahrens 
empfiehlt es sich, mit einem Probestück¬ 
chen des zu reinigenden Gegenstandes 
einen Versuch anzustellen, ob mit dem 
Verfahren die gewünschte Wirkung er¬ 
zielt wird oder ob die Farbe oder die 
Gewebe unter der Behandlung zu stark 
angegriffen werden; im letzteren Falle 
sind verdünntere Lösungen anzuwen¬ 
den. 

4. Alle Gewebe (Wäsche), die zur 
Entfernung der Flecken mit Salzsäure, 
Chlorkalklösung, Chlorwasser und Eau 
de Javelle behandelt sind, werden nach 
gutem Auswaschen mit Wasser noch 15 
bis 20 Minuten in eine Lösung von Na¬ 
triumthiosulfat (unterschwefligsaurem 
Natrium) 1 + 10 gelegt, zur Entfer¬ 
nung der letzten Spuren Chlor, und dann 
nochmals mit reinem Wasser ausgewa¬ 
schen. 

5. Bei farbigen Geweben ist die An¬ 
wendung bleichender Chemikalien, wie 
'Chlorkalklösung, Chlorwasser, Eau de 
Javelle und Wasserstoffperoxyd nicht 
anwendbar, weil dadurch weisse Flecken 
entstehen. 

6. Auf die Giftigkeit verschiedener 
Fleckenreinigungsmittel, wie Chloro¬ 
form, Zyankalium, Kleesalz u. s. w., 
braucht an dieser Stelle wohl kaum noch 
besonders hingewiesen zu werden. 


A. Flecken anorganischen Ursprungs. 

Chromsäure-Flecken 

(auch Flecken von Kaliumdichromat) 
entfernt man von der Haut und aus 
Weisswaren mit einer Mischung von 10 
Gramm verdünnter Schwefelsäure (1 + 
5) und 5 g zerriebenem Natriumthiosul¬ 
fat und darauffolgendem Abwaschen mit 
viel Wasser. 

Goldsalz-Flecken. 

Auf der Haut und in Weisswaren wer¬ 
den die Flecken mit einer Lösung von 1 g 
Zyankalium in 5 g Wasser betupft und 
nach einigen Minuten mit Wasser abge¬ 
waschen. 

Höllenstein- ( Silbersalz -) Flecken. 

(a) Auf der Haut. Frische schwarze 
Hecken werden, mit einer # Lösung von 
1 g Jodkalium in 2 g Wasser eingerieben, 
gelblichweiss und lassen sich dann leicht 
mit Natriumthiosulfatlösung (1 + 10) 
vollständig entfernen. Alte schwarze 
Flecken entfernt man mit einer Lösung 
von 1 g Zyankalium in 50 g Wasser und 
Nachspülen mit Natriumthiosulfatlösung 
(1 + 10). Ebenso kann zu diesem 
Zweck das ,,Sublimatfleckwasser“ von 
Sylla benutzt werden, es besteht aus ei¬ 
ner Lösung von 1 g Quecksilbersublimat 
und 1 g Salmiakpulver in 8 g destillier¬ 
tem Wasser. 

(b) Auf Weisswaren (Wäsche). 
Frische Flecken betupft man mit einer 
Lösung von 1 g Jodkalium in 10 g Was¬ 
ser, bis sie gelblich geworden sind, dann 
betupft man statt mit Jodkaliumlösung 
mit einer Lösung von 1 g Natriumthio¬ 
sulfat in 10 g Wasser und wäscht mit 
vielem Wasser gut aus. Alte Flecken 
betupft man statt mit Jodkaliumlösung 
mit einer Lösung von 1 g Zyankalium in 
50 g Wasser, bis sie verschwinden und 
behandelt sie dann weiter ebenso wie die 
frischen. 

(c) Auf gefärbten baumwollenen und 
wollenen Stoffen (auch Weisswarefi). 
Die Flecken werden mit einer Lösung 


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von 2 g Kupferchlorid in 8 g Wasser 
betupft, bis sie verschwinden, dann be¬ 
tupft man sie mit Natriumthiosulfat¬ 
lösung (1 -f- 10) und wäscht mit war¬ 
mem Wasser gut aus. 

(d) Rühren die Flecken auf den Ge¬ 
weben von Höllensteinsalbe her, so ist 
das Fett vor der Behandlung mit den 
Lösungen durch Benzin, Aether oder 
Chloroform zu entfernen. 

Jo d- ( Jodtintur -) Flecken. 

(a) Von der Haut lassen sich die gel¬ 
ben bis braunen Flecken durch mit Was¬ 
ser befeuchtetes, zerriebenes Natrium¬ 
thiosulfat entfernen, welches wiederholt 
angewendet werden muss. 

(1)) Aus Weisswaren (Wäsche) ent¬ 
fernt man die gelben bis braunen Flecken 
durch eine Lösung von 1 g Natriumthio¬ 
sulfat in 10 g Wasser und tüchtiges Aus¬ 
waschen ; oder man träufelt eine Lösung 
von 2 g Jodkalium in 8 g W asser auf 
die Recken und wendet nach 30 Minu¬ 
ten erst die Natriumthiosulfatlösung an. 

Ist in der Wäsche viel Stärke vorhan¬ 
den, zum Beispiel in Oberhemden, Kra¬ 
gen, Stulpen usw., so entstehen mit Jod 
dunkelblaue Flecken (Jodstärke), die 
ausser mit obiger Behandlung noch mit 
absolutem Alkohol entfernt werden 
können. 

Kaliiitnpermanganat-Flecken. 

(a) Von der Haut lassen sich Flecken 
von übermangansaurem Kali, nur so¬ 
lange sie noch frisch sind, mit einer Mi¬ 
schung von gleichen Teilen Salzsäure 
und Wasser entfernen. Alte Flecken be¬ 
seitigt man (zugleich mit der Oberhaut) 
nur durch Abreiben mit Bimsstein von 
den Händen. 

(b) Aus Weisswaren (Wäsche). Man 
träufelt auf die Flecken eine Lösung 
von 1 g Oxalsäure in 9 g heissem Was¬ 
ser und wäscht nach einigen Minuten 
mit viel Wasser nach; oder man träufelt 
auf die Flecken eine Lösung von 1 g Na- 
triumbisulfit in 5 g Wasser und nach ei¬ 
nigen Minuten dieselbe Lösung mit zwei 
bis drei Tropfen Salzsäure versetzt, dann 


wird mit viel W'asser gut ausgewaschen; 
oder die Flecken werden mit einer Mi¬ 
schung von 1 g Schwefelammonium und 
5 g W asser beträufelt und nach einigen 
Minuten mit viel heissem Wasser ausge¬ 
waschen. 

Lauge-Flecken 

aus farbigen Stoffen werden durch wie¬ 
derholtes Auftupfen mit Speiseessig und 
Auswaschen mit Wasser entfernt. 

Säure-Flecken 

sind, solange sie noch frisch und nicht 
von zu konzentrierten Mineralsäuren, 
welche die Gewebe meist stark angreifen 
oder zerstören, herrühren, leicht durch 
Salmiakgeist oder eine Lösung von 10 g 
doppeltkohlensaurem Natrium in 150 g 
Wasser zu entfernen, wenn man die 
Stoffe damit tüchtig durchtränkt und 
dann in reinem W asser auswäscht. Bei 
älteren Flecken erzielt man durch ein 
längeres und wiederholtes Einwirken 
obiger Mittel mitunter noch die beab¬ 
sichtigte Wirkung. 

B. Flecken organischen Ursprungs. 

Anilinfarben-Flecken. 

(a) Auf der Haut. Chlorkalk und 
Wasser werden zu einem dicken Brei 
verrührt, der auf die gefärbten Stellen 
gelegt wird, von denen man vorher 
durch Wasser und Seife den grösseren 
Teil des Farbstoffes entfernt hat. Die 
Flecken verschwinden erst nach längerer 
und wiederholter Einwirkung des Breies. 

Eine erbsengrosse Menge kristallisier¬ 
ter Chromsäure löst man in einigen 
Tropfen Wasser und mit dieser Lösung 
werden die Flecken betupft und schnell 
mit W'asser abgespült. Nötigenfalls ist 
der Versuch einigemal zu wiederholen. 

(b) In Weisswaren. Die Flecken 
werden mit einer Mischung von 5 g Es¬ 
sigsäure in 50 g Weingeist wiederholt 
betupft und ausgewaschen. 

Die mit Wasser gut durchfeuchteten 
Flecken werden abwechselnd je fünf Mi¬ 
nuten mit Eau de Javelle und darauf mit 

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einer Mischung von 5 g Salzsäure und 
100 g Wasser behandelt, bis die Flecken 
verschwunden sind. Darauf muss man 
mit Wasser gut auswaschen, zuletzt mit 
Natriumthiosulfatlösung. 

In 50 g heissen Wassers wird 1 g 
übermangansaures Kalium gelöst und 
diese Flüssigkeit wird langsam auf die 
Flecken geträufelt, nach zehn Minuten 
werden die Flecken mit einer Lösung 
von 10 g doppeltschwefligsaurem Natri¬ 
ums in 50 g Wasser, der einige Tropfen 
Salzsäure zugesetzt sind, betupft. Dann 
wird gut ausgewaschen. 

Blut-Flecken. 

Aeltere Blutflecken, die sich mit Was¬ 
ser und Seife nicht entfernen lassen, be¬ 
handelt man mit einer warmen Lösung 
von l g Kleesalz in 5 g Wasser und spült 
mit heissem Wasser nach. 

Chrysarobin-Flecken. 

(a) Von der Haut reibt man die 
Flecken mit absolutem Alkohol, Benzol 
oder Chloroform ab und wäscht mit 
Wasser nach. 

(b) Auf Weisswaren. Man behandelt 
die Flecken zuerst mit Chloroform, dann 
mit absolutem Alkohol und wäscht zu¬ 
letzt mit Wasser nach. 

Auf die Flecken träufelt man Benzol, 
drückt dies nach einiger Zeit aus, wieder¬ 
holt dasselbe, wenn nötig, und wäscht 
schliesslich mit warmem Wasser nach. 

Man kann auch die Flecken mit einer 
Mischung von gleichen Teilen Benzol 
und absolutem Alkohol wiederholt be¬ 
netzen und ausdrücken und zuletzt mit 
warmem Wasser auswaschen. 

Ichthyol-Flecken 

werden durch Auswaschen mit warmem 
Seifenwasser entfernt. 

Leinöl- und Firnis-Flecken . 

Frische Leinölflecken sind aus Stoffen 
leicht durch Benzin, Aether oder Chloro¬ 
form zu entfernen. 

Alte, verharzte Leinölflecke behandelt 
man mit französischem Terpintinöl und 


wäscht mit Seifenwasser, dem etwas So¬ 
da zugesetzt ist, nach. 

Frische Firnisflecken lassen sich durch 
Chloroform entfernen. Alte Firnis¬ 
flecken bringt man nur schwer und lang¬ 
sam weg. Zuerst wendet man eine Mi¬ 
schung von gleichen Teilen Aether und 
französischem Terpentinöl an, mit der 
die Flecken längere Zeit erweicht wer¬ 
den, dann werden sie mit einer heissen 
Auflösung von 10 g Soda in 40 g Was¬ 
ser, zuletzt nur mit heissem Wasser aus¬ 
gewaschen. 

Perubalsam-Flecken . 

Die Flecken werden zuerst mit Chloro¬ 
form wiederholt reichlich befeuchtet und 
dasselbe durch Ausdrücken möglichst 
entfernt, darauf mit Weingeist, dann mit 
Seifenspiritus behandelt und zuletzt mit 
Seifenlösung ausgewaschen. 

Pikrinsäure-Flecken. 

Auf frische Pikrinsäure-Flecken schüt¬ 
tet man einen Brei von kohlensaurer 
Magnesia mit Wasser, lässt diesen län¬ 
gere Zeit ein wirken und verreibt ihn 
tüchtig; dann wäscht man mit starkem 
Seifenwasser aus. Auf ältere Flecken 
träufelt man eine Lösung von 1 g Schwe¬ 
felleber in 5 g Wasser und wäscht nach 
ein bis zwei Minuten mit starker Seifen¬ 
lösung gut aus. 

Protargol-Flecken. 

Frische Protargol-Flecken kann man 
durch stundenlanges Einweichen in eine 
starke Seifenlösung und darauf folgen¬ 
des Auswaschen entfernen. Alte Flecken 
weicht man in einer Mischung von glei¬ 
chen Teilen Wasserstoffperoxyd und 
Salmiakgeist zehn Minuten ein (man 
kann statt dieser Mischung auch eine 
Lösung von Natriumthiosulfat 10:100 
nehmen), bringt den Stoff dann einige 
Stunden in starke Seifenlösung, wäscht 
die Flecken damit aus und spült mit rei¬ 
nem Wasser nach. 

Pyrogallol-Flecken. 

Frische Flecken von Pyrogallussäure 
werden mit einer Lösung von 1 g Ferro- 

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sulfat in 9 g Wasser betupft, bis sie eine 
dunkelblaue Farbe angenommen haben, 
dann wird die Wäsche mit destilliertem 
Wasser gut ausgespült und die Flecken 
mit einer bereit gehaltenen Lösung von 

1 g Kleesalz in 5 g Wasser möglichst 
schnell befeuchtet und mit vielem Was¬ 
ser gut ausgewaschen. 

Nicht zu alte Flecken entfernt man 
durch Behandeln mit einer Lösung von 

2 g Ammoniumpersulfat in 10 g Wasser 
und darauf folgendes Auswaschen mit 
reinem Wasser. 

Resorzin-Flecken , 

Die Flecken werden mit einer Lösung 
von 2 g Zitronensäure in 10 g Wasser 
fünf Minuten lang befeuchtet, dann mit 
Aether ausgewaschen und darauf in 
Wasser eingeweicht und ausgespült. 

Styrax-Flecken 

entfernt man aus der Wäsche durch wie¬ 
derholtes Durchtränken mit Benzol und 
Ausdrücken des Gewebes, darnach 
wäscht man mit absolutem Alkohol gut 
aus. 

Teer-Flecken . 

Da es mehrere Teersorten gibt (Bu¬ 
chenholzteer, Steinkohlenteer usw.) von 
abweichender Zusammensetzung und 
Konsistenz, so sind hier verschiedene 
Verfahren der Fleckenreinigung ange¬ 
geben. Es empfiehlt sich, eine Prüfung 


der einzelnen Verfahren zunchst an klei¬ 
nen Flecken vorzunehmen, um das geeig¬ 
nete herauszufinden. 

1. Die Flecken in Weisswaren werden 
mit Wasser befeuchtet, mit französi¬ 
schem Terpentinöl und einem Borsten¬ 
pinsel behandelt, beiderseits mit weissem 
Fliesspapier bedeckt und mit einem hei¬ 
ssen Bügeleisen mehrfach überfahren, 
zuletzt mit warmem Seifenwasser ausge¬ 
waschen. 

2. Besonders alte und harte Flecken 
weicht man mit warmem Wasser und 
warmem Olivenöl (oder Schweinefett) 
auf, behandelt sie dann mit Hilfe eines 
Borstenpinsels abwechselnd mit starker 
Seifenlösung und französischem Terpen¬ 
tinöl und wäscht sie dann mit heissem 
Wasser aus. 

3. Die Flecken werden zuerst mit Te¬ 
trachlorkohlenstoff und einem Borsten¬ 
pinsel behandelt, darauf mit Seifenspiri¬ 
tus und nachher mit Weingeist und Sei¬ 
fenwasser ausgewaschen. 

4. Die Flecken werden mit einer Mi¬ 
schung von Eigelb mit Terpentinöl be¬ 
strichen, nach einer Stunde wird die 
trockene Kruste abgekratzt und mit 
heissem Wasser nachgewaschen. Etwa 
noch vorhandene, gelbliche Flecken be¬ 
seitigt man mit schwach durch Salzsäure 
angesäuertem Wasser und wäscht dann 
mit viel kaltem Wasser, zuletzt mit Na¬ 
triumthiosulfatlösung nach. 


Redaktionelles. 

Kriegsbetrachtungen. 


Mit jedem Schiff treffen Amerikaner 
hier ein, die aus den im Kriege stehen¬ 
den Ländern zurückkehren. Ein Teil 
dieser Ankömmlinge erzählt die schau¬ 
erlichsten Geschichten über die angeb¬ 
lichen Grausamkeiten, welche die 
Deutschen im Feindesland ausgeübt 
haben sollen und die von der anglo- 
amerikanischen Presse gierig aufge¬ 
nommen und publiziert werden. Ihnen 
gegenüber finden die Stimmen hervor¬ 


ragender Amerikaner, die in der 
Kriegszone verweilt hatten und diese 
Schauerberichte als unwahr und er¬ 
funden bezeichnen, kaum Gehör. Dass 
sich aber sogar Aerzte, denen man 
doch mehr Beobachtungsgabe und 
auch Anstandsgefühl Zutrauen sollte, 
nicht scheuen, derartige Lügenberich¬ 
te in die Welt zu setzen, ist auf das 
tiefste zu bedauern. 

Die Evening Post brachte an hervor- 


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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


ragender Stelle einen Bericht eines ge¬ 
wissen Dr. Frederic S. Mason, 12 
F'ifth Avenue, New York — die deut¬ 
schen Kollegen wollen sich den Namen 
dieses Edlen merken — der soeben aus 
Frankreich zurückkam und die unglaub¬ 
lichsten Lügen über die deutsche Armee 
erzählt. Dabei gibt er selbst zu, dass 
alles, was er zu erzählen hat, auf Hö¬ 
rensagen beruht. „I was told.“ So 
gibt er an, dass ihm gesagt worden sei, 
dass die Deutschen keine Gefangenen 
machten, dass daher viele französische 
Soldaten aufgefunden worden seien 
mit durchschnittenen Hälsen : dass die 
Deutschen den nur leicht verwunde¬ 
ten englischen Soldaten Hände und 
Füsse banden und sie dann in die Maas 
warfen. Eine andere Geschichte, die 
„von den französischen Behörden un¬ 
tersucht und als wahr befunden wur¬ 
de“ ist folgende: Deutsche Ulanen 
wurden sinnlos betrunken in einer Ke¬ 
gelbahn in einem Städtchen in der 
Nähe von Lüttich gefunden; in dem 
gleichen Raum fanden sich die Lei- 
rlien von drei Kindern, denen die 
Köpfe abgeschnitten waren. Soweit 
sind dies alles nur Geschichten, die 
Dr. Mason, wie er selbst zugibt, nur 
„gehört“ hat. Jetzt kommt aber eine 
Sache, die er „selbst gesehen“ hat: 
In einem Hospital in Belgien sah Dr. 
Mason einen Vater mit seinen bei¬ 
den Töchtern im Alter von 16 und 25 
Jahren. Dieselben waren durch das 
Ambulanzkorps eingeliefert worden 
und werden mit ganz besonderer Sorg¬ 
falt gepflegt, um ihre Genesung sicher¬ 
zustellen. Ist diese erfolgt, werden die 
drei nach den Vereinigten Staaten ge¬ 
bracht, um den lebenden Beweis für 
die deutschen Grausamkeiten zu lie¬ 
fern. Die beiden Mädchen waren näm¬ 
lich von deutschen Ulanen geschändet 
und verstümmelt worden. Dies hat 
zwar Dr. Mason nicht selbst gese¬ 
hen, allein das hält ihn nicht davon ab, 
das Ganze als Tatsache hinzustellen, 
von welcher er sich im Gegensatz von 
seinen sonstigen Mordgeschichten per¬ 
sönlich überzeugt hat. Fürwahr für 
einen Arzt eine traurige Schlussfolge¬ 
rung! Dr. M a s o n sieht sich dann 
noch bemüssigt, hinzuzusetzen: „Ich 
möchte sagen, dass Vierfünftel der 


weiblichen Flüchtlinge von den deut¬ 
schen Eindringlingen geschändet und 
dann in der Regel noch in der einen 
oder anderen Weise verstümmelt wur¬ 
den.“ 

Wenn englische und französische 
Zeitungen derartige Schand- und Lü¬ 
gengeschichten veröffentlichen, so 
lässt sich dies zwar nicht verstehen, 
aber doch erklären; wenn aber ein Arzt 
in einem neutralen Lande, in dem Milli¬ 
onen von Deutschen und Tausende von 
deutschen Aerzten leben, derartige Lü¬ 
gengeschichten bekanntgibt, so kann dies 
nicht scharf genug gebrandmarkt wer¬ 
den. Ein derartiges Benehmen ist ei¬ 
nes Arztes unwürdig und die einzige 
Erklärung dafür ist die, dass der Herr 
eben Engländer ist, wie aus seiner An¬ 
gabe, dass er in Rangoon in der engli¬ 
schen Armee im Feldzug gegen Bur¬ 
ma gedient hat, hervorgeht. Wir ver¬ 
stehen ja, dass bei der hier bestehen¬ 
den Pressfreiheit ein Verbot seitens 
der Bundesregierung, derartige Arti¬ 
kel zu veröffentlichen, nicht erwartet 
werden darf, aber ein moralischer 
Druck seitens der Regierung wäre 
doch am Platze und vielleicht auch 
von Nutzen. Es lässt sich psycholo¬ 
gisch auch sehr schwer verstehen, 
dass sich Staatssekretär B r y a n die 
grösste Mühe gibt, zur Zeit mit allen 
möglichen Staaten Friedensverträge • 
abzuschliessen, dabei aber ruhig zu¬ 
sieht, wenn in der Presse fortwährend 
Artikel veröffentlicht werden, die zum 
Rassenhass und Rassenkrieg aufrei¬ 
zen. 

Dass England vorbildlich für die 
Verbreitung dieser Berichte wirkt, 
wird durch folgendes illustriert: Die 
Londoner militärische Zeitschrift 
„The War“ bringt der D. m. W. zu¬ 
folge auf dem Umschlag einer ihrer 
letzten Nummern eine neue Waffe, das 
„Rote Kreuz-Maschinen-Gewehr.“ In 
einem mit dem roten Kreuz ge¬ 
schmückten Wagen ist ein Maschinen¬ 
gewehr eingebaut, das von mehreren 
deutschen Soldaten mit grimmigem 
Aussehen bedient wird. Das verlo¬ 
gene Bild zeigt die Patronen im Lade¬ 
streifen des Maschinengewehres falsch 
eingesetzt, den Boden nach vorn, das 
Geschoss nach hinten, sodass ein 


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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


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Schiessen unmöglich ist. Trotzdem 
sieht man das Gewehr auf dem Bilde 
in voller Tätigkeit. Auch tragen die 
deutschen Soldaten Schuppenketten 
unterm Kinn, die es bekanntlich in der 
Feldarmee nicht gibt. 

Die D. m. \Y. scheint übrigens be¬ 
züglich der Beurteilung derartiger Lü¬ 
genberichte im Auslande etwas zu op¬ 
timistisch zu sein. Sie schreibt u. a. 
in ihrer Nummer vom 24. September 
folgendes: „In den Lügenfeldzügen 

der feindlichen Zeitungen sind wir 
auch weiterhin unterlegen, da wir 
glücklicherweise über ein gleich star¬ 
kes Aufgebot an Schamlosigkeit und 
Niedertracht wie unsere Gegner — 
einschliesslich der amtlich „festgena¬ 
gelten“ englischen Gesandten in Kon¬ 
stantinopel, Kopenhagen, Haag u. a. 
(). — nicht verfügen. Wir haben auch 
diese Angriffe nicht mehr so zu fürch¬ 
ten, denn im Auslande hat man fast 
überall inzwischen die Wahrheit er¬ 
kannt. Und so können wir -auch ge¬ 
lassen den Vorwurf des „Vandalis¬ 
mus“ und der „Barbarei“ ertragen. 
.... Lassen wir also die belgische 
Mission in Amerika Klage über unse¬ 
ren Vandalismus führen. Sobald erst 
unsere zur Feststellung russischer und 
belgischer Grausamkeiten eingesetz¬ 
ten staatlichen Kommissionen ihre — 
hoffentlich mit nicht allzu grosser 
Gründlichkeit ausgedehnte — Arbeit 
beendet und bekannt gegeben haben 
werden, wievielen ostpreussischen 
Frauen durch Kosaken die Brüste ab¬ 
geschnitten und die Bäuche aufge¬ 
schlitzt, wieviele deutsche Offiziere 
von gastfreundlichen belgischen Be¬ 
amten beim Mittagstisch heimtückisch 
erschossen, wieviele Mitglieder unse¬ 
res Sanitätspersonals bei der Aus¬ 
übung ihres Berufs den Franktireurs 
zum Opfer gefallen sind, wieviele Sol¬ 
daten von Dum-Dum-Geschossen ver¬ 
letzt worden sind — dann wird auch 
das uns wenig wohlwollende Ausland 
erkennen, auf welcher Seite Barbarei 
und Kannibalentum zu suchen ist.“ 
Die D. m. W. kennt eben die hiesige 
anglophile Presse nicht. Wer hier et¬ 
was den Alliierten Nachteiliges Vor¬ 
bringen will, predigt tauben Ohren. 

Dr. Louis Livingston Seaman, 


das Seitenstück zu Dr. M a s o n, lässt 
wieder von sich hören. Nachdem er, 
um dem ihm bevorstehenden Diszipli¬ 
narverfahren zu entgehen, schleunigst 
seine Resignation als Arzt des ameri¬ 
kanischen Reservekorps eingeschickt 
hatte, die auch prompt angenommen 
wurde, konnte er es sich erlauben, wie¬ 
der von neuen Heldentaten zu berich¬ 
ten. Die diesbezüglichen Kabelmel¬ 
dungen sind jedoch so läppisch, dass 
es sich wirklich nicht verlohnt, näher 
darauf einzugehen. 

Das Bestehen eines Morphiumman¬ 
gels, der die preussische Regierung, 
veranlasst hat, die Aerzte zur Spar¬ 
samkeit bei der Verordnung von Mor¬ 
phium aufzufordern (vergl. Septem¬ 
ber-Nummer S. 93) wird von der Fir¬ 
ma E. Merck, Darmstadt, bestritten. 
Die Firma schreibt: „Die deutsche 
Industrie ist in der Lage, einen weit¬ 
gehenden Bedarf an Morphium und 
Kokain sowie an allen anderen wich¬ 
tigen Arzneistoffen zu decken. Es be¬ 
darf auch nicht der Zufuhr durch das 
Ausland, weil etwa unerhörte Preis¬ 
steigerungen den Bezug im Inland un¬ 
möglich machten. Die in Betracht 
kommenden Fabriken haben keine 
Preissteigerungen eintreten lassen, die 
nicht nach Lage der Verhältnisse, d. 
h. durch Verteuerung der Rohstoffe 
geboten und als normal zu bezeichnen 
sind. 

Der M. m. W. (6. Oktober) zufolge 
lautet der offizielle Bericht über den 
Gesundheitszustand in der deutschen 
Armee sehr günstig. Die Darmkatar¬ 
rhe und leichten Ruhrfälle seien in der 
Abnahme begriffen; Typhuserkran¬ 
kungen seien vereinzelnt. Die Orga¬ 
nisation des Feldsanitätswesens habe 
sich bewährt: der Transport der Ver¬ 
wundeten sei gut gegangen, wenn 
auch natürlich nicht allen Wünschen 
entsprochen werden konnte. Das ein¬ 
zige, was bisweilen Schwierigkeiten 
gemacht habe, war der Transport vom 
Schlachtfeld zur Etappe, es seien aber 
bereits für diesen Zweck weitere 
Transportmittel in grösserer Zahl be¬ 
schafft und da nun auch der Nach¬ 
schub von Verbandmaterial und Arz¬ 
neien regelmässig erfolge, könne man 
zufrieden sein. Die Zahl der im Felde 


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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


stehenden Aerzte wird auf 9,000 ange¬ 
geben. 

Eine weitere Aeusserung des Gene¬ 
ralstabsarztes betreffe die Greueltaten 
gegen deutsche Verwundete. Exz. v. 
Schierning hat dem Kaiser die 
folgende Meldung erstattet: 

„Vor einigen Tagen wurde in Or- 
chies ein Lazarett von Franktireurs 
überfallen. Bei der am 24. September 
gegen Orchies unternommenen Straf¬ 
expedition durch Landwehrbataillon 
No. 35 stiess dieses auf überlegene 
feindliche Truppen aller Gattungen 
-und musste unter Verlust von acht 
Toten und 35 Verwundeten zurück. 
Ein am nächsten Tage ausgesandtes 
bayerisches Pionierbataillon stiess auf 
keinen Feind mehr und fand Orchies 
von Einwohnern verlassen. Am Orte 
wurden zwanzig beim Gefecht am vor¬ 
hergehenden Tage verwundete Deut¬ 
sche grauenhaft verstümmelt aufge¬ 
funden. Ohren und Nasen waren ih¬ 
nen abgeschnitten und man hatte sie 
durch Einführen von Sägemehl in 
Mund und Nase erstickt. Die Richtig¬ 
keit des darüber aufgenommenen Be¬ 
fundes wurde von zwei französischen 
Geistlichen unterschriftlich bestätigt. 
Orchies wurde dem Erdboden gleich- 
gemacht.“ 

Die anglophile amerikanische Pres¬ 
se, die mit grosser Vorliebe von dem 
Kampfe der zivilisierten Nationen ge¬ 
gen die deutschen Barbaren und Hun¬ 
nen spricht, sollte sich diesen offiziel¬ 
len Bericht des deutschen General¬ 
stabsarztes in ihr Stammbuch schrei¬ 
ben, ebenso aber auch den nachfolgen¬ 
den Aufruf der Krüppelhäuser und des 
Reservelazaretts Angerburg: 

Die russischen Taten und unser Elend! 

Bei Beginn des Krieges richteten 
wir in unseren Krüppelhäusern ein 
Reservelazarett mit 250 Betten für 
Verwundete ein. Schon waren über 
100 kranke und verwundete Soldaten 
darin. — Da nahten die Russen. An¬ 
gerburg wurde geräumt. Alles floh, 
das Lazarett bis jenseits der Weichsel. 
Es blieben nur zurück ausser wenigen 
Einwohnern der Anstaltsgeistliche 
Pfarrer Lic. Braun mit den Seinen, 
den Krüppelkinderen, Siechen, Idio¬ 


ten, Schwestern. Superintendent Braun, 
der Anstaltsleiter, als Verfasser der 
geharnischten Kriegspredigten, durch 
welche die Russen sehr erzürnt waren, 
floh wenige Stunden, ehe die Kosaken 
am 23. August einrückten. Sie 
schossen in die Fenster des Krüppel¬ 
heims, ohne jemand zu treffen. Dann 
schossen sie drei sieche Männer in den 
Anstalten tot, verletzten eine taub¬ 
stumme, sieche Frau, erschossen acht 
Männer und eine Frau auf der Strasse 
und haben dann 18 Tage hier plün¬ 
dernd und raubend gehaust. Pfarrer 
Lic. Braun erlangte vom russischen 
Heerführer Schutz für die Anstalten, 
sodass Pfleglinge und Schwestern ge¬ 
schont wurden. Er selbst wurde per¬ 
sönlich zwar bedroht, blieb jedoch un¬ 
verletzt. Not gross. Anstaltskühe ge¬ 
schlachtet. Vom 8. bis 10. September 
blutige Schlacht in der Nähe. Vor der 
Flucht erschossen die Russen ohne 
Grund noch 13 meist junge Leute, zu¬ 
sammenbindend und an die Mauer 
stellend, sprengten Eisenbahnbrücke, 
brannten die Anstaltsscheunen mit der 
ganzen Ernte nieder und hatten be¬ 
schlossen, angeblich weil aus Häusern 
geschossen sei — was aber falsch war 
— die ganze Stadt zu zerstören und 
alle Männer zu töten. Da — plötzlich 
wilde Flucht der Russen. Unsere Hu¬ 
saren rückten ein. Seliges Glück? 
Rettung! Erlösung! Die 18-tägige 
Schreckenszeit zu Ende. Der Anstalts¬ 
leiter kehrte von seiner Flucht einen 
Tag nach der siegreichen Schlacht 
heim und fand alle Seinen unverletzt. 
Die Verwüstungen durch die Russen 
in Ostpreussen sind unbeschreiblich. 
An jedem Abend war der Himmel glü¬ 
hend rot von den Feuerscheinen der 
brennenden Ortschaften. Am 10. d. 
Mts. sah man von den Anstalten aus 
15 solcher Feuerscheine. Nach der 
grossen blutigen Schlacht in nächster 
Nähe unserer Stadt wurden 85 schwer 
verwundete Russen von den russi¬ 
schen Aerzten im Stich gelassen, die 
auch die ärztlichen Instrumente unse¬ 
rer Klinik stahlen und flohen. Bald 
nach der Schlacht wurden 14,000 ge¬ 
fangene Russen durch unsere Stadt 
geführt. Die russischen Verwundeten 
wurden weiter transportiert und in das 


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Reservelazarett unserer Anstalten 200 
deutsche Verwundeten vom Schlacht¬ 
feld gebracht, mit welchen wir, unsere 
Milchkühe und Schweine schlachtend, 
unser Letztes geteilt haben. Um 
schleunigste Hilfe lieht inständigst 


Der Vorstand der Krüppelhäuser und 
des Reservelazaretts Angerburg. 

H. Braun, Superintendent. 

Dr. Götz, Direkt, des Reservelazaretts. 

Th. Passarge, Kantor. 

Pfarrer Lic. Braun, Anstaltsgeistlicher. 


Mitteilungen aus der neuesten Journalliteratur. 


Haut- und Geschlechtskrankheiten. 

Referiert von Dr. H. Klotz. 

Rücker, C. VW, United States Pub¬ 
lic Health Service: Die Notwen¬ 
digkeit der Errichtung eines natio¬ 
nalen Leprosariums. 

Dy er, I., New Orleans: Die Ver¬ 
pflichtung der Regierung zur Für¬ 
sorge und Ueberwachung der Lepra. 

(Journ. Am. Med. Ass., LXIII., 297 
sequ., Julv 25, 1914.) 

K ä y s e r, J. D., Haag: Ueber Aetio- 
logie, Prophylaxis und Therapie der 
Lepra. (Derma. Wschr., LVIII., 
621 u. 6*51, 30. Mai u. 16. Juni 1914. ) 

Rückers und D y e r\s vor der 
Dermatologischen Sektion der Amer¬ 
ican Medical Association gehaltene 
Vorträge behandeln die schon wieder¬ 
holt aufgetauchte Frage der Notwen¬ 
digkeit der Gründung einer Lepra- 
Heim- und Heilstätte seitens der föde- 
rälen Regierung, und gaben zu einer 
lebhaften Debatte Veranlassung. 

Rücker weist zunächst darauf 
hin, dass wir von der Lepra selbst und 
namentlich von ihren Verbreitungs¬ 
wegen nur sehr wenig bestimmte 
Kenntnisse besitzen, dass aber die 
Fälle in den Vereinigten Staaten im¬ 
mer häufiger werden, sodass entschie¬ 
dene Gefahr bestehe. Aus der Masse 
sich vielfach widersprechender Befun¬ 
de lassen sich zwei Tatsachen unbe¬ 
stritten herausheben: dass Abschliess¬ 
ung und Reinlichkeit am meisten die 
Kontrolle der Krankheit fördern, und 
dass dies nur in geschlossenen Anstal¬ 
ten möglich ist. In den von verschie¬ 
denen Staaten errichteten Anstalten 
erreichen die Kosten per Kopf eine 


enorme Höhe, weil die Zahl der Pa¬ 
tienten nur eine geringe ist. Die im 
Publikum verbreitete, unbegründete, 
übermässige Furcht vor der Lepra und 
die infolgedessen vorgekommene un¬ 
menschliche Behandlung derselben 
machen Abhilfe besonders dringend. 
Der Entwurf eines entsprechenden 
Gesetzes wird zum Schluss mitgeteilt. 

D y e r, der in Louisiana die Lepra 
gründlich studiert und in dem Staats- 
Leprosarium praktische Erfahrungen 
gesammelt, befürwortet das nationale 
Vorgehen in der Hauptsache aus den 
gleichen Gründen Die Angaben, wie 
eine solche Anstalt eingerichtet sein 
solle, beweisen die praktische Erfah¬ 
rung: die Anstalt soll alle notwendi¬ 
gen Bedingungen erfüllen für die ge¬ 
hörige Pflege der Kranken und für das 
Studium der Krankheit. Die Fälle sol¬ 
len je nach Typen und nach der 
Krankheitsperiode gruppiert werden, 
im Endstadium befindliche von den 
frischen abgesondert sein ; für mit an¬ 
deren Krankheiten komplizierte soll 
eine Krankenstation (Infirmary) be¬ 
stehen ; Einzelzimmer verdienen den 
Vorzug, sie sollen möglichst frischer 
Luft ausgesetzt sein; sie sollen aus 
Holz hergestellt werden behufs leich¬ 
terer Zerstörung und billigerer Erneu¬ 
erung, aber Decken, Fussböden und 
W ände sollen aus Material bestehen, 
das häufige Räucherungen erlaubt; es 
sollen gute Badeeinrichtungen und 
reichlich heisses Wasser zur Verfü¬ 
gung stehen. Jede Behandlung, die 
zur Anwendung kommt, soll systema¬ 
tisch durchgeführt werden. Die Ein¬ 
richtung der Anstalt soll eine derarti¬ 
ge sein, dass man das Publikum über¬ 
zeugen kann, dass sie zur Pflege und 
Behandlung der Kranken bestimmt 


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New Yorkek Medizinische Monatsschrift. 


ist, nicht zu unfreiwilliger Festhaltung 
derselben. 

D y e r empfiehlt die Annahme des 
bereits seit einem Jahre dem Kongres 
vorliegenden Lafferty'sehen Gesetz¬ 
vorschlags. 

In der Debatte wird von verschie¬ 
denen Seiten betont, dass die Gefahr 
der Ansteckung nicht so gross sei, 
dass eine zwangsweise Unterbringung 
aller Fälle notwendig sei, und dass un¬ 
ter günstigen Verhältnissen der Le¬ 
pröse wohl im eignen Hause bleiben 
könne. Von grosser Wichtigkeit sei 
es, dass das Publikum seitens der 
Aerzte besser über die Lepra aufge¬ 
klärt werde, um Wiederholung von 
Grausamkeiten zu verhindern. Chas. 
J. W h i t e schildert die Unzulänglich¬ 
keit der Massregeln einzelner Staaten 
an der Leprastätte in Massachusetts. 

Zum Schluss erklärt Rücker, dass 
es in der Tat in der Absicht des U. S. 
Public Health Service liege, der An¬ 
stalt den Charakter eines Zufluchts¬ 
ortes oder Heims zu geben mit Ein¬ 
richtungen für die Unterhaltung (The¬ 
ater etc.) wie für die womöglich auch 
etwas einbringende Beschäftigung, 
nicht den eines Gefängnisses, in denen 
Patienten gegen ihren Willen gehalten 
würden. 

Käyser hat in Verein mit Dr. K. 
D e J o n g e die Leprazustände in den 
Holländischen Besitzungen in Ost¬ 
indien genau untersucht und berührt 
in der Hauptsache nur diese. Auf 
Grund der Geschichte der Leprafor¬ 
schung bespricht er die Aetiologie mit 
etwas skeptischem Verhalten gegen¬ 
über dem Bazillus Hansan’s. Seine 

Ansicht über die Verbreitung der Le¬ 
pra ist in kurzem: Die Ansteckung 
geht aus von einem Leprakranken, 

aber die Gefahr ist gering, nicht 

grösser als bei der Tuberkulose, beson¬ 
ders da, wo Reinlichkeit und gute hy¬ 
gienische Verhältnisse bestehen, wird 
aber grösser je schlimmer es mit die¬ 
sen bestellt ist. Unter den Wohnungs¬ 
verhältnissen wie sie in Batavia und 
wohl den meisten tropischen, halb¬ 

zivilisierten Plätzen bestehen, ist eine 
wirksame Prophylaxe kaum denkbar. 
Für die Bekämpfung unter solchen 
Umständen befürwortet K. die Pflege 


der Kranken in ihren Wohnungen 
(Gemeindepflege), wodurch das Zu¬ 
trauen derselben gewonnen und Ge¬ 
legenheit gegeben werde, ihre Umge¬ 
bung zu unterrichten, wie sie sich zu 
schützen habe; daneben die Errich¬ 
tung einer grossen Zahl lokaler Kran¬ 
kenhäuser für diejenigen, welche diese 
aufzusuchen wünschen. Dagegen em¬ 
pfiehlt er für Holland selbst die Er¬ 
richtung einer Anstalt für die Pflege 
und Behandlung Lepröser, ohne 
Zwang, aber von solchem Charakter, 
dass die Kranken selbst sich veran¬ 
lasst finden, dieselben aufzusuchen. 
Die Behandlung ist keineswegs aus¬ 
sichtslos. Sie muss in erster Linie hy¬ 
gienisch-diätetisch sein (Klimawech¬ 
sel, auch für die Kinder der Leprösen, 
frische Luft, körperliche Bewegung, 
gute Ernährung). Warme und heisse 
Bäder und Unnas lokale Behand¬ 
lung (Pyrogallol). Innerlich ver¬ 
spricht Chaulmoograöl immer noch 
am meisten. Nastin fand Käyser 
wirkungslos. 

Siler, J. P\, U. S. A.; Garrison, 

P. E., U. S. N., und MacNeal, 

W. J., New York: Weitere Studien 
der Thompson-McFadden Pellagra- 
Kommission. (Jour. Amer. Med. 
Assoc., LXIII., 1090, 25. Sept. 1914.) 

Auf dem Gebiete der ungeheuer zu¬ 
nehmenden Pellagra-Literatur ver¬ 
dient der hier veröffentlichte Auszug 
aus dem zweiten Bericht der 
Thompson-McFadden - Kom¬ 
mission besondere Beachtung. Die¬ 
selbe ist mit der genauen Untersu¬ 
chung der Zustände in Spartanburg 
County, S. C., beschäftigt, da sich dort 
eine besondere Verbreitung der Pella¬ 
gra gezeigt hat. 

Der anfangs 1913 veröffentlichte er¬ 
ste Bericht der Kommission hatte 
zu folgenden Schlüssen geführt: 

1. Die Annahme, dass die Einfüh¬ 
rung von unverdorbenem oder verdor¬ 
benem Mais die wesentliche Ursache 
der Pellagra sei, findet in ihren Arbei¬ 
ten keine L T nterstützung. 

2. Pellagra ist aller Wahrscheinlich¬ 
keit nach eine spezifische Infektions- 
-krankheit, die auf soweit unbekann- 

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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


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tern Wege von einer Person auf die 
andere übertragen wird. 

3. Ausser der allgemeinen Verbrei¬ 
tung von Fliegen der Gattung Simu- 
lium in dem beobachteten Terrain 
konnten keine Tatsachen entdeckt 
werden, welche dieselben der Verur¬ 
sachung der Pellagra verdächtig 
machten. Wenn ein blutsaugendes 
Insekt der Verbreiter ist, so würde 
Siomoxis calcitrans als der wahr¬ 
scheinlichste Träger anzusehen sein. 

4. Die Kommission ist geneigt, en¬ 
ges Zusammenleben im Hause und 
Verunreinigung der Speisen mit den 
Auswurfstoffen der Pellagrakranken 
als mögliche Arten der Verbreitung 
der Krankheit anzusehen. 

5. Eine spezifische Ursache der 
Krankheit konnte nicht erkannt wer¬ 
den. 

Der zweite kürzlich veröffentlich¬ 
te Bericht liefert folgende Schlüsse: 

1. Die grösseren aktiven Pellagra¬ 
herde in Spartanburg County fanden 
sich innerhalb und in der Umgebung 
der grossen Mittelpunkte der Bevölke¬ 
rung, und besonders in den Dörfern 
mit Baumwoll-Spinnereien. 

2. Kinder unter zwei Jahren, Er¬ 
wachsene innerhalb der der Ge¬ 
schlechtsreife folgenden fünf Jahre, 
und männliche Erwachsene in der Pe¬ 
riode des aktiven Lebens wurden am 
wenigsten häufig von Pellagra befal¬ 
len. Dagegen wurden Frauen von 20 
bis 44 Jahren, alte Leute beiderlei Ge¬ 
schlechts und Kinder im Alter von 2 
bis 10 Jahren am häufigsten befallen. 

3. Ein bestimmter Zusammenhang 
zwischen Beschäftigung und Vorkom¬ 
men von Pellagra konnte nicht gefun¬ 
den werden, obwohl die hohe Erkran¬ 
kungszahl bei Frauen und Kindern auf 
das Haus deutet als den Platz, in wel¬ 
chem die Krankheit für gewöhnlich er¬ 
worben wird. 

4. In der Gruppe der am genauesten 


studierten einschlägigen Fälle wurde 
in 80 Prozent der Nachweis enger Be¬ 
rührung mit einem vorher bestande¬ 
nen Fall geliefert. 

5. Eine Haus-zu-Haus-Absuchung 
der Wohnungen von über 5000 Leu¬ 
ten, in sechs endemischen Pellagra¬ 
herden lebend, war nicht imstande, 
eine bestimmte Beziehung der Krank¬ 
heit zu irgend einem wesentlichen Be¬ 
standteil der Ernährung nachzuwei¬ 
sen. 

6. In diesen sechs Dörfern traten 
neue Fälle fast ausschliesslich in Häu¬ 
sern auf, in welchen schon ein früherer 
Pellagrakranker wohnte, oder in an- 
stossenden Häusern, es nahelegend, 
dass die Krankheit von alten Fällen als 
Mittelpunkt ausgeht. 

7. Soweit es beobachtet werden 
konnte, hat sich Pellagra am rasche¬ 
sten da verbreitet, wo gesundheits¬ 
widrige Methoden der Abfallsversor¬ 
gung in Gebrauch waren. 

8. Weitere Beweise wurden ge¬ 
bracht dafür, dass Fliegen von der 
Gattung Simulium nichts mit Pellagra 
zu tun haben. 

9. Tierimpfungen und experimentale 
Studien von Eingeweidebakterien ha¬ 
ben keine überzeugenden Resultate 
ergeben. 

10. Blutuntersuchungen haben in 
den meisten Fällen eine Lymphozyto¬ 
se gezeigt, ohne eine für Pellagra cha¬ 
rakteristische konstante Unregel¬ 
mässigkeit erkennen zu lassen. 

11. Beweise für die Erblichkeit der 
Krankheit gibt es nicht. 

12. Die unmittelbaren Resultate hy¬ 
gienischer und diätetischer Behand¬ 
lung Erwachsener sind gut gewesen, 
aber die meisten der Fälle sind rück¬ 
fällig geworden, wenn sie unter die 
früheren Bedingungen der Lebens¬ 
weise zurückkehrten. Bei Kindern ist 
die Prognose ungleich günstiger. 


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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


Amerikanische baineologische Referate. 

Referiert von Dr. von Oefele. 


Lithiumquellen. — Am 16. Februar 
1914 im „Supreme Court of the Dis- 
trict of Columbia“ wurde endlich zu 
Ungunsten von Buffalo Lithia Water 
ein Prozess entschieden, der seit dem 
21. Dezember 1910 schwebte. Die Be¬ 
zeichnung als Lithiumwasser wird da¬ 
rin für Buffalo Lithia Springs in 
Mecklenburg County, Virginia, als ge¬ 
setzwidrige Bezeichnung verworfen. 
Fs ist dies ein prinzipieller Fall, der 
für viele Mineralwasseretiketten ver¬ 
hängnisvoll ist. Der Missbrauch mit 
irreführenden Bezeichnungen war 
nachgerade allerdings himmelschrei¬ 
end geworden. Im engeren Sinne wird 
die Sache zuerst Bedeutung für die 
vielen Lithiaquellen Amerikas bekom¬ 
men. Praktisch wird die Grenze 
schwer zu ziehen sein, denn nicht 
überall liegt das Unrecht so klar wie 
bei Buffalo Lithia Springs. Bei voll¬ 
ständiger Durchführung der im Ge¬ 
richte verfochtenen Ansichten des 
Ackerbauministeriums würde es über¬ 
haupt kaum eine Lithiumquelle oder 
sogar überhaupt keine Heilquelle ge¬ 
ben. Die Ausführungen waren viel zu 
theoretisch, da nicht ein einziger er¬ 
fahrener Balneologe zum Worte kam. 

Quellen, die nach meinen Aufzeich¬ 
nungen in Betracht kommen, sind: 
Ballardville Lithia Springs, Bowden 
Lithia Springs, Cloverdale Lithia 
Springs, Crockett Arsenic - Lithia 
Springs, Farmville Lithia Springs, 
Geneva Lithia Springs, Harris Lithia 
Springs, Iron Lithia Springs, London- 
derry Lithia Springs, Nye Lithia 
Springs, Powhatan Lithia and Alum 
Springs, Tuscarora Lithia Spring. 

Unter den Alkalien erhielt das Li¬ 
thium an sich einen ganz unverdienten 
Ruf, da Lithiumurate verhältnismässig 
leicht löslich sind. Aber Kalium ist in 
Mineralwässern stets gleichzeitig in 
wesentlich grösseren Mengen vorhan¬ 
den und steht in seiner lösenden Kraft 
für Urate dem Lithium nicht wesent¬ 
lich nach. Praktisch werden sich in 
Quellenkuren Kalium und Lithium 
stets in ihren Wirkungen unterstützen. 


Hendrixson hebt hervor, dass von 
einem bestimmten amerikanischen Li¬ 
thiumwasser 300 Liter getrunken wer¬ 
den müssen, um eine einzelne durch¬ 
schnittliche medizinische Lithium¬ 
dosis aufzunehmen. Ich möchte aller¬ 
dings darauf hinweisen, dass bei Be¬ 
achtung der lösenden Begleitstoffe die 
Literzahl schon theoretisch wesentlich 
geringer wird und bei gleichzeitiger 
Beachtung baineologischer Erfahrung 
sich noch weiter verringert. Viele der 
obigen Quellen haben aber auch nach 
meiner Ansicht keine Berechtigung, 
sich auf ihren Lithiumgehalt zu beru¬ 
fen. 

Wenn man den Nachweis auf ganz 
unendlich geringe Spuren Lithium 
ausdehnt, so enthalten viele natürliche 
Mineralquellen Lithium, wenn nicht 
die meisten. Auch in Deutschland ist 
die Mode eingerissen, geringen Li¬ 
thiumgehalt der Quellen zu Reklame¬ 
zwecken zu betonen. In dieser Weise 
erzählen von Lithiumgehalt interes¬ 
sierte Leute in Dürkheim, Kissingen, 
Baden-Baden, Bilin, Assmannshausen, 
Tarasp, Kreuznach, Salzschlirf, 
Aachen, Selters, Wildbad, Ems, Hom¬ 
burg, Karlsbad, Marienbad, Egger, 
Franzensbad, Wheal Clifford, Bad 
Orb, Sciacca, Salso Maggiore. 

Lithium kann ja nicht als vorherr¬ 
schender Bestandteil der Quellen er¬ 
wartet werden. Auch in den festen 
Mineralien kommt Lithium nur in ge¬ 
ringen Mengen vor. Wenn ein Mine¬ 
ral 1 bis 10 Prozent Lithium enthält, 
so wird dies als reichlicher Gehalt be¬ 
zeichnet. Bei dieser Seltenheit des 
Elementes Lithium ist es sicherlich er¬ 
wähnenswert, Mass eine Quelle bei 
Redruth in Cornwall in England in 24 
Stunden 400 Kilogramm Chlorlithium 
liefert. 

Um uns zurecht zu finden, müssen 
wir zuerst wieder europäische Verglei¬ 
che heranziehen. Der Gehalt wird als 
Lithiumchlorid auf Trockensubstanz 
der betreffenden Quelle bezogen: Bo- 
nifazius-Brunnen in Salzschlirf 20 pro 
Mille, Baden-Baden 19 pro Mille, Kö- 


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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


127 


nigsbrunnen Wildbach (Würtemberg) 
7 pro Mille, Kreuznach verschiedene 
Quellen nahezu 5 pro Mille. Nahezu 
3 pro Mille in der Natalienquelle in 
Franzensbad, in verschiedenen Quel¬ 
len von Kissingen, in der Kronenquel¬ 
le in Salzbrunn und im Kochbrunnen 
in Wiesbaden. 

Amerika übertrifft diese europäi¬ 
schen Quellen bei weitem. In den Fel¬ 
sen der Umgebung von Ballardville 
Lithia Springs, Middlesex County, 
Massachusetts, sollen die lithiumrei¬ 
chen Spodumene und Lepidolit Vor¬ 
kommen. Die Quelle enthält nur 24.51 
Grains Trockensubstanz auf eine U. S. 
Gallone; davon sind aber 22.01 Grains 
Lithiumkarbonat. Auch Nye Lithia 
Springs, zwei Meilen von Wytheville 
in Virginia, enthält drei Quellen, wo¬ 
von zwei als Lithia Springs und eine 
als Chalybeate Spring bezeichnet wer¬ 
den. Die eine der Lithia Springs ent¬ 
hält 30 Prozent der Trockensubstanz, 
und die Chalybeate Spring 10 Prozent 
der Trockensubstanz Lithiumkarbo¬ 
nat. Chadwick Lithia Well in Cam¬ 
bridge Springs, Pa., kommt bei Be¬ 
rechnung auf Trockensubstanz noch 
etwas über den Bonifaziusbrunnen in 
Salzschlirf. In Saratoga Springs wech¬ 
seln in den alten Analysen die Anga¬ 
ben sehr, doch sonst als zuverlässig 
befundene Analysen würden einzelne 
Quellen in Saratoga Springs noch über 
den Königsbrunnen in Wildbad stel¬ 
len ; die Quellen von Ballston Spa kä¬ 
men ziemlich allgemein dem Königs¬ 
brunnen gleich. 

Wo wirklich das Lithium in Be¬ 
tracht kommt, sind somit die amerika¬ 
nischen Quellen reicher an Lithium als 
der Durchschnitt von Europa. Im¬ 
merhin glaube ich, dass auch Mengen¬ 
verhältnisse wie in Franzensbad, Kis¬ 
singen, Salzbrunn und Wiesbaden als 
bemerkenswerter Lithiumgehalt be¬ 
zeichnet werden müssen. 

Wenn allerdings Geneva Lithia 
Springs in Geneva, N. Y., im besten 
Falle den dreissigsten Teil eines pro 
Mille Lithium in Trockensubstanz 
enthält, so geht das schon weit unter 
die Grenzen bemerkenswerten Lithi¬ 
umgehaltes. Ohne den Eingriff in 
Washington hätte in Amerika ein 


Sprachgebrauch begonnen, der nahezu 
allen reinen, natürlichen, nicht distil- 
lierten Trinkwässern mit akratischer 
Mineralisation den Namen „Lithia 
Water“ beilegt. 

Die Riesenstädte Amerikas entstan¬ 
den oft in unglaublicher Zeit aus dem 
Nichts. In der einen oder anderen 
Hinsicht wurde dem raschen Wachs¬ 
tum nicht Rechnung getragen. Auch 
politischer Diebstahl öffentlicher Gel¬ 
der kam vor. Da oder dort liegt oder 
lag die Wasserversorgung der Städte 
im Argen. Im allgemeinen misstraut 
darum das Publikum den öffentlichen 
Wasserleitungen und kauft sich abge¬ 
fülltes Trinkwasser. Die wohlhaben¬ 
den Kreise gestatten sich diesen 
Luxus durchgehend. Dies sind aber 
auch die Kreise, in denen häufig Gicht 
und in Amerika vor allem Rheumatis¬ 
mus vorkommt. Trinkwässer, die auf 
solche Abnehmer rechneten, nannten 
sich mit irgend einer Zusammensetz¬ 
ung von Lithium, da doch irgend ein 
Name nötig war. Bei den geringen 
Mengen Lithium, die dafür früher in 
Betracht kamen, war es garnicht aus¬ 
geschlossen, dass da und dort sogar 
diese geringen Mengen aus künstli¬ 
chen Zusätzen stammen. 

Otterburn Lithia aus Amelia Court- 
house, Va., leitet seinen Namen von 
einem Gehalte von 0.000003 Prozent 
Lithium; Golindo Lithia aus Staunton, 
Va., von 0.00001 Prozent Lithium, und 
Sublett Lithia in Danville, Va., von 
den überall auffindbaren Spuren Lithi¬ 
um ab. Manchmal werden durch sol¬ 
che Namengebung deutliche Quellen¬ 
charakter verschleiert. Die oben an¬ 
geführten Geneva Lithia Springs, 
N. Y., sind gut charakterisierte Gips¬ 
quellen. Eine Namensgebung dersel¬ 
ben nach 0.00001 Prozent Lithium war 
ein Unfug. Jedenfalls ist der Kampf 
von Washington gegen Irreführungen 
mit Freuden zu begrüssen, wenn er die 
berechtigten Grenzen von Chemie und 
medizinischer Balneologie respektiert. 
Hiervon muss Washington die Hände 
lassen. Denn in medizinischer Balne¬ 
ologie mangelt dort noch jede einge¬ 
hendere Kenntnis. 

Die Mineralquellen von Wisconsin. 

— Wenn wir Wisconsin als natürli¬ 


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128 


New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


ches baineologisches Gebiet betrach¬ 
ten wollen, so müssen wir Michigan 
nördlich des Michigan-Sees und einen 
östlichen Streifen von Minnesota in 
dies Gebiet einbeziehen. Wenig süd¬ 
lich vom Lake Superior verläuft hier 
eine uralte Gebirgserhebung in der 
Richtung des Parallelkreises. Im Lau¬ 
fe langer geologischer Perioden hat 
dieses Gebirge seine Erhebungen über 
den Meeresspiegel zum grössten Teile 
verloren. Es ist aber im westlichen 
Teile doch die Wasserscheide geblie¬ 
ben zwischen den grossen Seen und 
den Zuflüssen des Mississippi. Den 
Kern dieser Erhebungen bilden Lau- 
rentinische Schiefer in einer abgerunde¬ 
ten Masse. Sie bedecken mehr als ein 
Drittel des Staates Wisconsin. Für 
dieses ganze Gebiet fand ich vorläufig 
keine Mineralquelle verzeichnet. Nach 
Nordosten nahe der Grenze im Gebie¬ 
te von Michigan wechseln in zerrisse¬ 
nen kleinen Abschnitten verschiedene 
Huronische und Laurentinisehe Ge¬ 
steine anderer Art. Hier liegt Sterling 
Spring bei Crystall Falls, die einzige 
Quelle nach Nordosten. Denn auch 
die Cambrischen, Ordovicischen und 
Silurischen Schichten von Nord-Michi¬ 
gan haben im Gegensatz zu anderen 
amerikanischen Oertlichkeiten bisher 
keine Mineralquellen geliefert. Es sind 
dort wohl in Zukunft noch welche zu 
erhoffen. 

Im Nordwesten von Wisconsin ent¬ 
hält ein kleines Gebiet geologische 
Formationen des Keweenawan. So 
klein dies Gebiet auch ist, so enthält es 
doch zwei Quellen: Bay City Spring 
bei Ashland und Solon Springs. Vom 
Westende des Lake Superior übergrei¬ 
fend nach Minnesota, selbst den Staat 
Iowa noch streifend, aber nicht den 43. 
Breitengrad nach Süden überschrei¬ 
tend und im weiteren Bogen wieder 
den Lake Superior im Osten errei¬ 
chend, liegt ein Bogen Cambriseher 
Formationen. Im nördlichen Minne¬ 
sota ist dieser Streifen sehr schmal. Es 
schliessen sich weiter nach Westen 
Oberhuronischc Gesteine an. Hier lie¬ 
gen Itasco County Mineral Spring bei 
Grand Rapids, Glengarry Spring bei 
Walker, Lake View Spring und Poke- 
gama Spring bei Detroit. Alle bisheri¬ 


gen sieben Quellen können wir als 
Quellen der obersten Urgebirge oder 
auch der Uebergangsgebirge bezeich¬ 
nen. 

Die übrigen Teile des besprochenen 
Gebietes gehören palaeozoischen For¬ 
mationen an. Der zugehörige Cambri- 
sche Bogen ist schon kurz skizziert. 
Ihm lagert sich weiter südlich ein Or- 
dovizischer Bogen und weiter ein Silu- 
rischer vor, welch letzterer aber im Sü¬ 
den einmal durchbrochen ist und schon 
zum grössten Teil ausserhalb von 
Wisconsin liegt. 

Im Cambrischen Teile liegen die 
Minnesotaer Quellen Indian Medicinal 
Spring bei Elk River, Mankato Mine¬ 
ral Spring und White Mineral Spring 
bei Minnesota City. Ausserdem ge¬ 
hören dahin Bethania Mineral Spring 
und Saint Croix Mineral Spring in Os- 
ceola, New Saratoga Spring in Star 
Prairie, Chippewa Spring in Chippewa 
Falls, Arctic Spring in Galesville, 
Sparta Artesian Well in Sparta, Sheal- 
tiel Mineral Spring in Waupaca, Wan¬ 
toma Mineral Spring in Wantoma und 
Richmond Spring in White. 

Besonders reich an Quellen ist die 
Grenzlinie des Cambrischen und Or¬ 
dovicischen Gebietes. Inglewood 
Spring bei Minneapolis, Highland 
Spring bei St. Paul und Gersinger 
Spring bei Rochester sind Quellen im 
Staate Minnesota. Im Staate Wiscon¬ 
sin fallen zwei Drittel des Verlaufes 
des 43. Breitengrades auf diese geolo¬ 
gische Grenze. Es ist dies dieselbe 
Linie, welche in Neuenglatid und im 
Staate New York die stärkste Häufung 
an Mineralquellen aufweist. Die un¬ 
mittelbare Umgegend von Waukesha 
besitzt die grösste Zahl hieher gehöri¬ 
ger Quellen. Almanaris Spring, Arca- 
dian Spring, Bethesda Spring, Clysmic 
Spring, Fountain Spring, Gien Rock 
Mineral Spring, Horeb Mineral Spring, 
Hygiea Spring, Siloam Spring, Silu- 
rian Spring, Vesta Spring, Waukesha 
Lithia Spring und White Rock Spring. 
Diese Quellen liegen schon im Ordo¬ 
vicischen Gebiete. Dahin gehören auch 
Castalia Spring in Wauwatosa und 
ebenda Nee-ska-ra Spring, sowie Saint 
Winifred’s Well in Pewaukee. Zum 
Teil entspricht diese Häufung von Mi- 


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Nkw Yorker Medizinische Monatsschrift. 


129 


neral-Quellen dem Bedürfnis der nahen 
Grossstadt Milwaukee, die auf dem 
gleichen Breitengrade liegt. Es ist 
aber bemerkenswert, dass für Milwau¬ 
kee selbst nur Sparkling Spring, 
sicherlich ein Artefact, verzeichnet ist. 
Soweit der 43. Breitegrad bei Milwau¬ 
kee Silurformationen durchschneidet, 
sind mir keine Mineralquellen bekannt. 
Erst beim Eintritt in das Ordovician 
findet sich jene Häufung. An dieser 
Stelle wollte ich aber zunächst nur von 
den Quellen an der Grenze von Cam- 
brischen und Ordovicishen Schichten 
sprechen. Im Westen des Staates 
Wisconsin ist diese Grenze eine ausge¬ 
sprochene geologische V erwerfungs- 
spalte, in die sich der Unterlauf des 
Flusses Wisconsin eingegraben hat. 
Dort finden sicjj weitere Grenzquellen. 
Palmyra Spring ist etwas nach Süden, 
Waterloo Spring etwas nach Norden 
abgedrängt. Weiter nach Westen 
folgt noch Black Earth Mineral Spring 
und Fort Crawford Mineral Well. Im 
ganzen liegen 22 von 49 Mineralquel¬ 
len des Staates Wisconsin in nächster 
Nähe des 43. Breitengrades. 

Im Ordovicischen Gebiete verläuft 
im Staate Wisconsin eine andere Mi¬ 
neralquellenspalte, welche der Achse 
der Green Bay entspricht. Sie enthält 
in Green Bay selbst Allouez Magnesia 
Spring, Salvator Mineral Spring, Saint 
John Spring, Lebens-Wasser Spring, 
in Appleton Tellulah Spring und in 
Foxlake Peerless Mineral Spring. 


Zum Ordovician gehören in Minne¬ 
sota Rosendahl Sulphur Spring bei 
Jordan und Owatonna Spring bei Owa- 
tonna, im Süden von Wisconsin Dar¬ 
lington Mineral Spring, Beloit Jodo 
Magnesia Spring, dann Sheridan 
Spring bei Lake Geneva, Gihon Spring 
bei Delavan und drei Quellen bei 
Janesville: Burr Lithia Spring, Mus- 
kik-kee-wa-boo Spring und Hiawatha 
Spring. 

Arm an Quellen sind die Sibirischen 
Formationen im Staate Wisconsin. 
Nicht weit von Green Bay liegt isoliert 
Maribel Mineral Spring und bei She- 
boygan Sheboygan Mineral Spring 
und Giddings Spring. Südwestlich von 
Milwaukee in Hale’s Corners ist 
Hackett’s Spring. 

Je nach der geologischen Zusam¬ 
mengehörigkeit besitzen diese Quellen 
weitgehende Uebereinstimmungen. 
Auch in diesen weiter abgelegenen 
Gebieten ergibt es sich als unnötig, 
jede einzelne Mineralquelle als selbst¬ 
ständiges Individuum aufzufassen. 
Wir müssen ebenso, wie wir es für un¬ 
sere näher gelegenen New Yorker 
Quellen getan haben, die Eigenschaf¬ 
ten von Quellengruppen betrachten 
und die einzelne Quelle nur als Abtö¬ 
nung innerhalb der betreffenden Grup¬ 
pe auffassen. Dadurch wird es uns 
möglich, einen ordnenden Ueberblick 
in die amerikanischen Heilquellen zu 
bringen, der bisher dem ärztlichen 
Praktiker unmöglich war. 


Therapeutische und klinische Notizen. 


— Behandlung der Appendizitis mit Iehthal- 
bin. Dr. G Bel da u in Riga hat vielfach 
Gelegenheit gehabt, sich zu überzeugen, dass 
durch eine systematisch durchgeführte Ich- 
thalbinbehandlung viele nach gebräuchlichen 
Begriffen operationsbedürftige Fälle von Ap¬ 
pendizitis endgiltig heilbar sind. Hierbei habe 
er im Auge nicht nur die Erkrankungsformen 
mit vagen, unbestimmten Symptomen und 
zweifelhafter Diagnose, sondern konkrete Pe¬ 
rityphlitiden mit fieberhaftem Verlaufe, cha¬ 
rakteristischer Druckempfindlichkeit und pal- 
pabler Geschwulst. 

Da das Ichthalbin in sauren Medien unlös¬ 
lich ist. so passiert es bei normalen Sekre¬ 


tionsverhältnissen den Magen unverändert. 
Erst im alkalischen Darmsafte spaltet es sich 
in seine Komponenten, wobei therapeutisch 
unwesentliches Eiweiss und Ichthyol in statu 
nascendi frei werden. Letzteres ist ein Darm- 
desinfiziens in weitestem Sinne des Wortes. 
Hartnäckige Kinderdiarrhöen, Enteritiden Er¬ 
wachsener sowie enterale Gärungsprozesse 
verschiedenster Provenienz gehen unter Ich- 
thalbingebrauch verhältnismässig bald in Hei¬ 
lung über. Um mit Sicherheit einer vorzeiti¬ 
gen Spaltung des Mittels im Magen vorzu¬ 
beugen, ist es zw'eckmässig, das Ichthalbin 
stets zusammen mit Salzsäure zu verordnen. 

Bei akuter Appendizitis verabfolgt man das 


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130 


New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


Ichthalbin viermal täglich je eine tüchtige 
Tischmesserspitze unmittelbar vor den Mahl¬ 
zeiten mit sechs Tropfen verdünnter Salz¬ 
säure in % Glas Wasser. Nach Abflauen des 
akuten Anfalls lässt man es dreimal täglich 
zirka 6 bis 8 Wochen, eventuell noch länger 
weiter brauchen. Im Anfalle selbst ist es vor¬ 
teilhaft, die Bauchdecke über dem schmerz¬ 
haften Bezirke zwei- bis dreimal täglich mit 
Ichthyol, Spirit, aether., Collod. elast. aa part. 
aequal. ausgedehnt zu bepinseln. Darüber 
kommt Eisblase respektive warme Kompresse, 
je nach dem subjektiven Empfinden des Kran¬ 
ken. Da durch Lähmung der Peristaltik das 
Heranrücken des Ichthalbins an den Krank¬ 
heitsherd Einbusse erleiden würde, so meidet 
B. prinzipiell Opiate, so lange der Schmerz 
erträglich ist. In der Mehrzahl der Fälle er¬ 
weist sich das Ichthalbin selbst als schmerz¬ 
lindernd. 

Obwohl es B. ferne liegt, die Vorteile einer 
operativen Behandlung der Appendizitis zu 
verkeennen, so möchte er doch die Ichthalbin- 
behandlung angelegentlichst zur Nachprüfung 
empfehlen. Kommt es doch häufig genug vor, 
dass eine Operation aus irgendwelchen Grün¬ 
den nicht ausführbar ist oder der Kranke mit 
einer solchen sich nicht einverstanden erklärt. 
Besonders überzeugende Resultate ergibt die 
Ichthalbinbehandlung bei den periodisch rezi¬ 
divierenden Formen, bei welchen auch in der 
anfallsfreien Zeit geringe subjektive Be¬ 
schwerden bestehen bleiben. Dass ebenso¬ 
wohl diese Beschwerden als auch akute Exa¬ 
zerbationen mit dem Beginne der Ichthalbin¬ 
behandlung in der Regel ausbleiben, kann 
wohl unmöglich dem blinden Zufall allein zu¬ 
geschrieben werden. Es liegt nichts näher, als 
die Erklärung dafür in der bakteriziden und 
antiphlogistischen Wirkung des Ichthyols in 
statu nascendi zu suchen. Im Uebrigen ist 
das Ichthalbin ein harmloses Präparat. Auch 
in grösseren als den von B. empfohlenen Do¬ 
sen erzeugt es keine unerwünschten Neben¬ 
erscheinungen. Nur in ganz vereinzelnten 
Fällen scheint Idiosynkrasie gegen das Mittel 
zu bestehen. Dabei beobachtet man Uebelkeit 
nach dem Einnehmen, Oppressionsgefühl und 
höchst unangenehmes Aufstossen mit Ich¬ 
thyolgeschmack, Symptome, welche auf eine 
vorzeitige Spaltung des Mittels im Magen zu¬ 
rückzuführen sind. (M. Kl. 1914 Nr. 15.) 

— Secalysatum (Bürger). Unter dem 
Namen Secalysatum bringt Bürger ein Prä¬ 
parat auf den Markt, das nicht nur die wirk¬ 


samen Bestandteile des Mutterkorns — und 
zwar in vierfacher Konzentrierung — enthält, 
sondern daneben noch einen bestimmten Pro¬ 
zentsatz von Kotarninum hydro-chloricum. 
Letzteres hat in gewöhnlichen Lösungen einen 
sehr bitteren, schlechten Geschmack, während 
das Secalysat von keinem unangenehmen Ge^ 
schmack und gut einzunehmen ist. Es sind 
ausserdem aus dem Secalysat sämtliche gifti¬ 
gen Stoffe des Secale cornutum entfernt, wie 
z. B. die Sphacelinsäure. 

B r ö m e 1 hat das Secalysat nun in Fällen 
seiner Praxis verwandt, in denen es galt, Blu¬ 
tungen zu beseitigen resp. zu verhindern, die 
auf einer mangelhaften Kontraktion des Ute¬ 
rus beruhten, und zwar stets mit gutem Er¬ 
folg. Seine Erfahrungen decken sich mit 
L o e w y’s Versuchen, die er dahin zusammen¬ 
fasst: „Bemerkenswert ist, dass in einzelnen 
der Versuche Secale allein unwirksam blieb, 
während das ,Secalsyat‘ zu deutlichen, zum 
Teil starken Kontraktionen führte.“ B rö- 
m e 1 ist überzeugt, dass das Präparat vielen 
Kollegen eine willkommene Bereicherung ih¬ 
res Arzneischatzes werden wird. Was den 
Preis anbelangt, so ist Secalysat billiger als 
eine entsprechend zusammengesetzte Verord¬ 
nung und hat den grossen Vorzug konstanter 
Wirksamkeit. (D. m. W.) 

— lieber Fortschritte der Argentumtherapie 

bei der Gonorrhöe des Mannes. Rosenfeld 
hat mit einem von der Firma E. Schering her¬ 
gestellten neuen Silberpräparat, Hegonon, 
Versuche angestellt und machte mit demsel¬ 
ben günstige Erfahrungen. Er sah (1.) die 
besten Erfolge bei ganz frischen Fällen, und 
zwar besonders dann, wenn die Patienten so 
fort bei Bemerken der Erkrankung zu ihm 
kamen, also bei oberflächlicher Anterior. R. 
gebrauchte in diesen Fällen eine Lösung von 
0.25:100. (2.) Bei Fällen, die später in Be¬ 

handlung kamen, sodass es sich um eine vor¬ 
dere beginnende Tiefengonorrhoe handelte, 
hat sich das Hegonon ebenfalls bewährt. R. 
liess in diesen Fällen vier- bis sechsmal täg¬ 
lich injizieren. Hegonon ist vollkommen reiz¬ 
los. (M. m. W.) 

— Atophan bei Krankheitszuständen auf 
gichtischer Basis. P. F. Richter hat bei 
Myalgien auf gichtischer Basis mit dem Ato- 
phan ausserordentlich günstige Erfolge er¬ 
zielt; es war hier den anderen einschlägigen 
Mitteln bei weitem überlegen. 

G. L. K a h 1 o wendete das Atophan auch 
in einer Reihe von Fällen an, bei denen es 

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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


131 


sich um gichtische Halsbeschwerden und gich¬ 
tischen Nasenkatarrh handelte. Es wurden 
hier fast immer gleichmässig gute Resultate 
erhalten. 

F. Deutsch berichtet über einen Fall von 
chronischer gichtischer Ischias, der nach Ato- 
phan eine ganz auffällige Besserung erfuhr. 


P. F. Richter machte von dem Atophan, 
wie bei Myalgien, auch bei Neuralgien mit 
ausgezeichnetem Erfolg Gebrauch, wobei die 
Wirkung des Atophans derjenigen der sonsti¬ 
gen antineuralgischen Mittel weit überlegen 
war. („Das Atophan und seine therapeuti¬ 
sche Bedeutung.“) 


Kleine Mitteilungen, 


— Infolge des Krieges ist die Ausfuhr von 
Verband - und Arzneimitteln, sowie von ärzt¬ 
lichen Instrumenten und Geräten über die 
Grenze des deutschen Reiches verboten. Unter 
dieses Verbot fallen nach Bekanntmachung des 
Reichkanzlers: Reine Karbolsäure, Quecksil¬ 
ber und Sublimat, Jod, Jodkalium und Jod¬ 
natrium, Jodoform, Chloroform, Pyrazolonum 
phenylmethylicum und seine Abkömmlinge 
(Pyramidon etc.) gepulvertes Opium, Mor¬ 
phium und seine Salze, phosphorsaures Co¬ 
dein, Paraformaldehyd, salzsaures und schwe¬ 
felsaures Chinin, Akreolin, Salvarsan, Ver¬ 
bandwatte, Verbandgaze und andere Verband¬ 
stoffe, chirurgische und andere ärztliche, auch 
zahnärztliche Instrumente und Geräte, bakte¬ 
riologische Geräte, Material für bakteriologi¬ 
sche Nährböden (Agar-Agar, Gelatine, Pep¬ 
ton) Schutzimpfstoffe, Schutzsera und Heil¬ 
sera bei Infektionskrankheiten, Versuchstiere. 

Diese Liste hat dann durch eine neue Be¬ 
kanntmachung im Reichsanzeiger eine bedeu¬ 
tende Erweiterung erfahren. Es fallen jetzt 
unter das Verbot ausserdem noch: Aloe, 
Chinarinde, Formaldehydlösungen, Galläpfel, 
Gerbsäure, Tannin. Ipecacuanhawurzel, auch 
emetinfreie, Koffein, Kresolseifenlösungen, 
Lysol, Mastix und Mastixpräparate wie Mas- 
ticol, ausser . Opium auch Opiumzubereitungen 
wie Opiumpulver, Opiumtinkturen, Opium¬ 
extrakt, Pantopon, Neosalvarsan, Simaruba- 
rinde, Weinsäure, Weinsteinsäure, Wollfett, 
Lanolin, Zitronensäure, Gummi für Gummi¬ 
schläuche, Drainagen, Gummibinden u. a. 

— Krieg und Aerztesustand. Hierzu äussert 
sich die Berl. Klin. Wochenschrift, dass kaum 
ein anderer Stand so viele internationale Be¬ 
ziehungen angebahnt, so viele gemeinsame Be¬ 
strebungen mit Vertretern anderer Nationen 
gepflegt habe, wie gerade der Aerztestand. 
Kaum ein Jahr sei verflossen, seit der grosse 
internationale Kongress in. London getagt hat 
und gerade Deutschland sei es gewesen, wel¬ 


ches damals die nächste Tagung in unser Reich 
zu Gaste geladen hätte. Zahlreiche interna¬ 
tionale Gesellschaften haben sich seither ver¬ 
sammelt oder sollten binnen Kurzem zusam¬ 
mentreten — und nun sei mit eiserner Faust 
in Stücke geschlagen, was in sorglichem Bau 
und mit vieler Hingabe jahrelang aufgerichtet 
worden etc. — Die Deutsche Med. Wochen¬ 
schrift weist mit Recht darauf hin, dass unter 
den Unterzeichnern des gegen den Krieg mit 
Deutschland gerichteten, in der Times veröf¬ 
fentlichten Protestes sich bedauerlicherweise 
kein einziger Vertreter der englischen Aerzte- 
schaft befindet. 

— Cholerafalic. Die Korrespondenz Wil¬ 
helm meldet: Vom Sanitätsdepartement des 
Ministeriums des Innern wird mitgeteilt: 
Durch die bakteriologische Untersuchung 
wurden ein Fall von asiatischer Cholera in 
Wien und zwei Fälle in der Gemeinde Lisko 
des gleichnamigen Bezirkes in Galizien fest¬ 
gestellt. In Wien handelt es sich um einen 
verwundeten Offizier, der vom nördlichen 
Kriegsschauplatz am 16. September 1. J. in 
Wien eintraf und sofort in Spitalsbehandlung 
gebracht wurde. Auch die beiden Erkran¬ 
kungen in Lisko betreffen Militärpersonen. 
Die erforderlichen Massnahmen wurden 
durchgeführt. Der an Cholera Erkrankte 
wurde ins Franz Josef-Spital überführt und 
auf die Abteilung für Infektionskrankheiten 
untergebracht. Sein Befinden hat sich gebes¬ 
sert. — Am 26. d. M. wurde ein zweiter Fall 
von Cholera bakteriologisch festgestellt, auch 
dieser betrifft eine am 23. September vom 
nördlichen Kriegsschauplatz in Spitalbehand¬ 
lung eingelangte Militärperson. — In Brünn 
ist ebenfalls an einer vom nördlichen Kriegs¬ 
schauplatz eingetroffenen Militärperson Cho¬ 
lera konstatiert worden. — Das Ministerium 
des Innern verlautbart: Irr Miskolcz, Szatmar- 
Nemeti, Ungvar und im Budapester Gellert- 
spital wurde je ein und ih Tokod drei neue 
Fälle festgestellt. 


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132 


New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


— Gesundheitsstand in Russland. Nach 
einer Mitteilung des Dz. Pozn., die sich auf 
einen Bericht über den Stand der öffentlichen 
Gesundheit in Russland für das Jahr 1911 
stützt, fallen von den „Vergiftungskrankhei¬ 
ten“ nicht weniger wie 7 Prozent auf akute 
Alkoholvergiftung. Die Zahl der Syphilis¬ 
kranken wuchs von 1895 bis 1911 von 804,402 
auf 1,264,435. Der Tod infolge von Krank¬ 
heiten wie Pocken ist in Russland etwas Nor¬ 
males. Der Flecktyphus erfordert 120,671 
Opfer. Pest und Cholera herrschen mit ge¬ 
ringer Unterbrechung ständig in Russland 
(Nachbarschaft der asiatischen Herde solcher 
Krankheiten). Krätzekranke gab es 1895: 
1,508,196, acht Jahre später, 1903, 3,630,731. 
Das Trachom wies in den zehn Jahren von 


1902 bis 1911 einen Zuwuchs von 497,616 auf 
941,464 auf. In manchen Gouvernements ist 
jeder zehnte Einwohner krätzekrank. Die 
Zahl der Aerzte in Russland — 21,747 — steht 
in gar keinem Verhältnisse zur Ausdehnung 
und Einwohnerzahl des Landes. Dabei woh¬ 
nen 72 Prozent der Aerzte Russlands in den 
Städten, da die Wohnungsverhältnisse auf 
dem Lande sehr schlecht sind, die Gegenden 
sind schwach bevölkert, die Entfernungen der 
Dörfer gross. Es gibt Bezirke, in denen erst 
auf 138,900 Einwohner ein Arzt zu rechnen 
ist. Die Zahl der Dienstuntauglichen betrug 
auf 100 Dienstpflichtige in den Jahren 1874 
bis 1883 13, 1884 bis 1893 19, 1907 21, 1911 23. 
(Allg. Wien. m. Ztg. 1914 Nr. 28.) 


Aufruf! 


Europa steht in Flammen. Ein Krieg ist ausgebrochen, wie ihn die Weltgeschichte noch 
nicht erlebt hat. Wie die Geschicke der Völker sich gestalten mögen, weiss nur Gott allein. 
Wir aber wissen, dass unendliche Not und namenloses Elend die unabwendbaren Folgen 
dieses Krieges sein werden, wie immer der Ausgang sein möge. Zu den Völkern, die in den 
schrecklichen Krieg verwickelt sind, gehört auch Deutschland, das Land, in dem unsere oder 
unserer Vorfahren Wiege stand, mit dem unzertrennbare Bande des Blutes und des Herzens 
uns verbinden. 

Daher richten die Unterzeichneten an alle Deutschen und an alle Amerikaner deutschen 
Stammes die herzliche Bitte, der höchsten und heilgsten Menschenpflicht eingedenk zu sein 
und durch freiwillige Spenden die Not der deutschen Stammesbrüder zu lindern. Es gilt 
nicht nur die Verwundetn zu pflegen, sondern auch den Wittwen und Waisen hülfreich zur 
Seite zu stehen, denen die Kriegsfurie den Beschützer und Ernährer entrissen hat. Reiner 
Menschlichkeit ist unser Bemühen gewidmet, ausschliesslich für wohltätige Zwecke sollen 
die gesammelten Beträge Verwendung finden. Daher kann jeder ein Scherflein beitragen 
ohne Ansehen der Nationalität. 

Es wird gebeten, Beiträge an die „NEW YORK TRUST CO.“, 26 Broad Street, New 
York City, unter der Bezeichnung GERMAN RELIEF FUND zu senden. Auch die Unter«, 
zeichneten sind zur Annahme von Beiträgen berechtigt. 

Die eingesandten Gelder werden der deutschen Botschaft in Washington zur Ueber- 
weisung an den Zwecken des Aufrufs entsprechende Wohltätigkeitseinrichtungen in Deutsch¬ 
land übermittelt werden. 


Alex Andrae 
Charles Engelhard 
John Oscar Erckens 
E. Hossenfelder 
Rudolph Keppler 
Albert Leisel 
Adolf Pavenstedt 
Hans Reineke 
Dr. Richard Schuster 
Dr. G. E. Seyffarth 
Carl L. Schurz 
Charles H. Weigek 
Wilhelm Knauth 


Xonrad Bühler 
Rudolf Erbslöh 
A. Heckscher 
E. C. Hothorn 
William Kiene 
Adolf Kuttroff 
Edmund Pavenstedt 
Dr. A. Ripperger 
Klaus A. Spreckels 
Hermann Schaaf 
Edmund Stirn 
C. B. Wolffram 
George Rueders 


Carl Bünz 
A. von Gontard 
C. von Helmolt 
William Kaupe 
G. B. Kulenkampff 
Henry E. Niese 
Christoph Rebhan 
Dr. Paul C. Schnitzler 
Oscar R. Seitz 
Dr. Gustav Scholer 
A. Vogel 
Robert Badeohop 


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JVIcdiziniöcbc JVIonatööcbnft 


Offlatolles Orgtn der 

DtstfdK« meustaiKNa 6efdlfdwift«i der Staate nee Verk. 

CMago md Cimland. 

Herausgegeben von Dr. ALBERT A. RlPPERGER 

unter Mitwirkung von Dr. A. Herzfeld, Dr. H. G. Klotz und Dr. von Oefei.e. 


Bd. XXV. 


New York, November. 1914. 


Nr. 6. 


Originalarbeiten. 

Zur Kasuistik der Pankreaskrankheiten.* 

Von G. A. Friedman, MD., New York. 

Attending Physician in Digestive Diseases Vanderbilt-Clinic. 


() s e r und Koerte haben so aus¬ 
führlich die Symptomatologie der Pan- 
kreaskrankheiten geschildert, dass die¬ 
jenigen Autoren, welche später auf dem¬ 
selben (iebiete arbeiteten, nichts Bemer¬ 
kenswertes zum klinischen Bilde dieser 
Affektionen hinzufügen konnten. Aber 
trotz der vorzüglichen Schilderung der 
Symptome und des klinischen Verlaufs 
in den Monographien der erwähnten 
Autoren ist. wie Albu sich treffend 
ausdrückt, die Diagnose einer Pankreas¬ 
erkrankung vielfach immer noch als ein 
glücklicher Zufall zu betrachten. 

Wie man häufig annehmen muss, lie¬ 
gen die diagnostischen Schwierigkeiten 
darin, dass die Symptome der Pankreas- 
lärionen derartig mit denjenigen der 
Magendarmkrankheiten vermischt sind, 
dass es schwer fällt, ein für die Pan¬ 
kreaskrankheit charakteristisches Symp¬ 
tom herauszukristallisieren. Gelingt es 
aber, ein Verdachtsmoment herauszu¬ 
greifen, so kann die in den letzten Jah- 

* Aus Arch. f. Verdauungskr., Bd. XX, H. 2 
(1914). 


reu ausgearbeitete Funktionsprüfung 
des Pankreas in den meisten Fällen zu 
einer positiven Diagnose führen. 

Zweck der vorliegenden Mitteilung 
ist nicht, auf Einzelheiten der Symp¬ 
tomatologie, des klinischen Verlaufs 
oder der allgemeinen Funktionsprüfung 
einzugehen, weil darüber ausgezeichnete 
Abhandlungen von M a y o, Robson, 
A 1 b u u. a. existieren, in welchen auch 
eine umfangreiche Literatur angegeben 
wird. Hier sollen vielmehr nur in aller 
Kürze die wichtigsten Symptome her¬ 
ausgegriffen werden, die uns veranlas¬ 
sen, eine Erkrankung des Pankreas zu 
vermuten, als da sind: Glykosurie, per¬ 
manent oder transitorisch auftretend, 
Fettstühle ohne Ikterus, Massenhaftig- 
keit der Stühle, zuweilen Ikterus allein. 
Fehlt Glykosurie bei Anwesenheit ei¬ 
nes der letzten drei Verdachtsmomente, 
so muss bewiesen werden, dass alimen¬ 
täre Glykosurie besteht. Luter allen 
Umständen muss aber das Fehlen oder 
die bedeutende Verminderung der pan- 
kreatischen Fermente in den Stühlen, 


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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


resp. in dem nach Einhorn oder 
Gross gewonnenen Duodenalinhalt 
festgestellt werden. Nur dadurch kann 
der endgültige Beweis geliefert werden, 
dass entweder die sekretorische Tätig¬ 
keit der Drüse aufgehört hat oder ver¬ 
mindert wurde, oder aber, dass dem Ab¬ 
fluss des Succus pancreaticus ein Hin¬ 
dernis in den Weg gelegt wurde. Nur 
dann kann der mikroskopische und che¬ 
mische Nachweis von Steatorrhoe und 
Kreatorrhoe in den Fäzes die Diagnose 
einer Pankreaserkrankung unterstützen. 
Für den Praktiker ist es also wichtig, 
sich die Technik der Fermentanalyse an¬ 
zueignen, denn die chemische Analyse, 
die doch mehr wissenschaftliches Inte¬ 
resse hat, muss dem Fachmann überlas¬ 
sen bleiben. 

Von den subjektiven Symptomen ist 
meiner Erfahrung nach der epigastrale 
Schmerz von der grössten Bedeutung. 
Dieses Symptom, welches schon mehr¬ 
fach mit Erfolg für die Diagnose der 
akuten Pankreatitis verwendet worden 
ist, hat meines Wissens noch keine prak¬ 
tische Ausnützung für die chronischen 
Pankreaserkrankungen erfahren. Diese 
Schmerzen strahlen nach dem Rücken 
in der dem Epigastrium entgegengesetz¬ 
ten Richtung aus; zuweilen treten sie in 
Paroxysmen auf, zuweilen sind sie aber 
auch konstant. Die Schmerzen stehen 
in keinem Zusammenhang mit der Nah¬ 
rungsaufnahme. Bei einem meiner Pa¬ 
tienten, den ich mehrere Monate lang 
beobachtete, war dieses Symptom so 
ausgeprägt, dass ich schon bei der er¬ 
sten Untersuchung eine Erkrankung des 
Pankreas vermutete. Die eingeleitete 
Funktionsprüfung sicherte dann auch 
die Diagnose. Ueber diesen Fall habe 
ich im Medical Record unter Beifügung 
des Operations- und Autopsiebefundes 
berichtet. 

Eine Frau, die nicht ikterisch ist, und 
deren einzige Klage in paroxysmusarti- 
gen, nach dem Rücken ausstrahlenden 
Schmerzen besteht, befindet sich augen¬ 
blicklich in einem hiesigen Hospital un¬ 
ter meiner Beobachtung. Der Stuhl die¬ 


ser Patientin wurde mehrere Male, der 
Duodenalinhalt einmal untersucht. Tryp¬ 
sin und Amylase fehlten stets. Azotor- 
rhoe ist markant. Fettgehaltsverhält¬ 
nisse normal. Zweimal wurde Zucker 
im Urin nachgewiesen, sechsmal fehlte 
derselbe. Da Patientin schon seit vier 
Jahren an den erwähnten Anfällen litt, 
so wurde Probelaparotomie vorgeschla¬ 
gen, die aber bis jetzt abgelehnt wurde. 
Es wurde von uns hier pankreatische 
Lithiasis vermutet. 

Fall 2 soll noch mehr die Wichtigkeit 
des epigastralen Schmerzes für die Pan¬ 
kreasdiagnose beleuchten. 

Ekel vor Fleisch gehört entschieden 
zu den seltenen Angaben der Pankreas¬ 
kranken, doch bestand derselbe bei einer 
meiner Patientinnen mehrere Monate 
lang. Die Autopsie ergab in diesem 
Falle Karzinom des Pankreaskopfes; 
auch wurde ein Kalkulus im Ductus pan¬ 
creaticus gefunden und akut entstandene 
Magenparalyse, die sich anscheinend 
nach Verabreichung eines Abführmittels 
entwickelte. Dieser Fall wurde von mir 
im New York Medical Journal veröf¬ 
fentlicht. 

Hierbei erlaube ich mir noch über 
fünf Fälle zu berichten. 

Fall 1. Julia D., 56 Jahre, konsultier¬ 
te mich zum ersten Male im Mai 1912. 
Sie klagte über Anfälle von sehr hefti¬ 
gen Schmerzen, die immer zuerst im lin¬ 
ken Hypochondrium auftreten, nach der 
Brust, dem Rücken und der linken 
Schulter ausstrahlen. Der erste Anfall 
ereignete sich vor acht Jahren nach ei¬ 
ner Entbindung. Patientin hatte schon 
damals das Gefühl, als ob ein Stein im 
linken Hypochondrium läge. Die 
Schmerzen sind in der letzten Zeit sehr 
heftig geworden und quälen die Patien¬ 
tin mehrmals im Laufe des Tages. Der 
Anfall hört nur nach Einnahme eines 
von ihrem Arzt verschriebenen Pulvers 
auf. Niemals will sie Schmerzen nach 
rechts verspürt haben; auch stehen die 
Schmerzen in keinem Zusammenhang 
mit der Nahrungsaufnahme. Ikterus ist 
niemals vorhanden, ebensowenig Durst- 


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gefühl. Hartnäckige Verstopfung. Ver¬ 
lor im letzten Jahre 12 kg an Gewicht. 
Als Mädchen litt Patientin ganz kurze 
Zeit an Verdauungsstörungen. Lues und 
Alkohol in Abrede gestellt. Patientin 
hat 12 lebende Kinder geboren. Fami¬ 
liengeschichte negativ. 

Status 31. V. Robust aussehende 
Frau. Zähne in sehr schlechtem Zu¬ 
stande. Kein Ikterus. Herz und Lun¬ 
gen normal. Epigastrische Pulsation. 
Venter pendulus, rechtsseitige Wander¬ 
niere. Leberrand und Milz nicht pal- 
pabel. Keine Schmerzhaftigkeit nach 
rechts, aber intensiv im linken Hypo- 
ehondrium. 

Urin: Zucker positiv (Nylander, Feh¬ 
ling). Keine Gallenreaktion. 

Fäzes 7. V. Reaktion schwach alka¬ 
lisch. Farbe normal, Geruch nicht stin¬ 
kend. Blut positiv. Mikroskopisch ist 
eine enorme Anzahl Muskelfasern zu be¬ 
obachten, von denen die meisten ihre 
Querstreifung beibehalten haben. Viele 
Fettnadeln und Fetttropfen, aber keine 
Kristalle von normalem Fett. 

8. V. Trypsin selbst in 1/10 Lösung 
(Gross-Fuld) nicht verdaut. 

21. V. Massenhafte Stuhlentleerung. 
Ohne Beimischung von Urin gewogen 
240 g. Okkultes Blut positiv. Hb. 80 
Prozent. Rektale Untersuchung nega¬ 
tiv. 

Der Urin wurde noch mehrere Male 
untersucht, und stets wurde in demsel¬ 
ben ein Zuckergehalt von l l / 2 '—2 Pro¬ 
zent gefunden. Der Patientin wurde 
vorgeschlagen, sich wegen chronischer 
Pankreatitis, als einer möglichen Kom¬ 
plikation von Gallensteinen, operieren zu 
lassen. Sie entzog sich aber meiner Be¬ 
obachtung bis zum Januar 1913. 

21. I. Ausgesprochener tiefer Ikterus, 
der nach Angabe der Patientin plötzlich 
vor 10 Tagen entstanden sein soll. Aber 
schon vor 10 Wochen bemerkte sie, dass 
der Urin braun wurde, und vor fünf Ta¬ 
gen beobachtete sie tonfarbigen Stuhl. 
Es konnte jetzt eine harte Masse im 
rechten Hypochondrium und in der Ge¬ 
gend des Colon descendens palpiert und 


ausserdem absolute Dämpfung der lin¬ 
ken Lunge von unten bis zur Angula 
scapulae konstatiert werden, mit voll¬ 
ständigem Verschwinden des Pektoral- 
fremitus (pleuritischer Erguss). Urin 
ikterisch, kein Zucker. Galle positiv. 
Fäzes ton farbig. Keine Spur von Tryp¬ 
sin. Sterkobilin negativ. 

Blut: Hb. 80 Prozent, rote Blutkör¬ 
perchen 5,800,000, weisse 9,800. Poly- 
morphonukleäre Leukozyten 86, kleine 
Lymphozyten 12, Eosinophile 1, Ueber- 
gangsformen J/i Prozent. 

Operationsbericht 23. I. 1913 (Dr. A. 
A. Gerster) : Krebsige Masse in der 
Gallenblase, welche mit Steinen gefüllt 
ist. Krebsige Knoten im Pankreas und 
eine grosse harte Tumormasse in der 
Flexura lienalis oder im Schwanz des 
Pankreas. 

Merkwürdigerweise verschwand der 
Ikterus nach der Probelaparotomie voll¬ 
ständig. Patientin fühlte sich wohl bis 
Mai, zu welcher Zeit fast im ganzen Ab¬ 
domen und im Rectum Metastasen zu 
palpieren waren. Exitus Ende Juni. 
Autopsie konnte nicht erhalten werden. 

Besprechung. Es ist möglich, dass 
Patientin das Karzinom schon hatte, als 
ich sie zum ersten Male sah. Es ist auch 
sehr wahrscheinlich, dass es sich primär 
im Pankreas entwickelte und vielleicht 
in der Cauda. Per contiguitatem ver¬ 
breitete sich die Geschwulst nach rechts 
und links. Für den Sitz des Karzinoms 
in der Cauda würde noch die Tatsache 
sprechen, dass die Schmerzen stets nach 
links verspürt wurden, und der Erguss 
in der linken Pleurahöhle stattfand. Da 
aber auch Gallensteine in der Gallenblase 
gefunden wurden, so litt Patientin wahr¬ 
scheinlich an einer häufigen Komplika¬ 
tion der Gallensteine, chronischer Pan¬ 
kreatitis, vielleicht noch an pankreati- 
scher Lithiasis, wie in dem erwähnten 
Falle, wo bei der Autopsie ausser Pan- 
kreaskarzinöm noch ein Kalkulus im 
Ductus pancreaticus gefunden wurde. 
Nachträglich erfuhr ich, dass bei dieser 
Patientin schon vor drei Jahren ab und 
zu Zucker im Urin konstatiert wurde. 


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Fall 2. L. H., 50 Jahre, Knopffabri¬ 
kant, konsultierte mich am 15. Oktober 
1913. Patient klagt über kontinuierli¬ 
chen Schmerz im Epigastrium, der von 
da in der entgegengesetzten Richtung 
nach dem Rücken ausstrahlt. Diesen 
Schmerz verspürte er zuerst im Juni. 
Völle in der Magengrube nach Mahlzei¬ 
ten. Hat nur einige Pfund an Gewicht 
abgenommen. Appetit sehr schlecht. 
Seit 10 Jahren litt Patient ab und zu an 
Dyspepsie, die sich in Schmerzen zwei 
bis drei Stunden nach den Mahlzeiten 
äusserte. Der Stuhlgang war stets re¬ 
gelmässig. Vor einigen Jahren erbrach 
er mehrere Male. Hat nie Blut im Er¬ 
brochenen oder Stuhl beobachtet. Nie¬ 
mals Ikterus. Will immer mager gewe¬ 
sen sein. Lues und Potus in Abrede ge¬ 
stellt. 

Status: Mager aussehender Mann. 
Gewicht 103 Pfund. Man fühlte bei der 
Tiefenpalpation nach Hausmann 
eine Resistenz oder Tumormasse zwi¬ 
schen Epigastrium und Nabel. Ausser¬ 
dem wird intensive Schmerzhaftigkeit 
beim Palpieren nach rechts in der Nabel¬ 
gegend empfunden, wo der rechte Rek- 
tusmuskel sehr rigid ist. 

Aus dem nüchternen Magen einige 
Tropfen Speichel gewonnen. Congo ne¬ 
gativ. Probefrühstück: freie Säure 0, 
(iesamtazidität 10, 90 ccm ausgehebert. 
Fäzes: Okkultes Blut 9. Blut: ITb. 65 
Prozent. Rote Blutkörperchen 6,004,000, 
wcisse 7.440. Polymorphonukleäre Leu¬ 
kozyten 56 1 !-, K. L. 26, G. L. 6, Mast. 1, 
Eos. 3.5, Uebergangsformen l l / 2 . 

Harn: Indikan im Ueberschuss. Was¬ 
sermann negativ. 

Radiologischer Bericht: Hypermoti- 
lität des Magens und Darms. Der Bis- 
mutlibrei verliess schon nach einer hal¬ 
ben Stunde den Magen. 

Probelaparotomie 30. X. (Dr. Ger¬ 
ste r) : Magen gründlich besichtigt und 
normal gefunden. Duodenum normal. 
Einige kleine krebsige Knoten an der 
oberen und unteren Leberfläche. Karzi- 
nomatöse Masse im Pankreaskopf. 

Chirurgische Diagnose: Primäres 


Karzinom des Pankreas mit Metastasen 
in der Leber. 

Epikrise. Vor der Operation wurde 
garnicht an eine Erkrankung des Pan¬ 
kreas gedacht. ’ Am 30. November, nach 
der Probelaparotomie, wurde der Stuhl 
untersucht. M ikroskopisch konnten, 
nachdem dem Patienten y 2 Pfund 
Fleisch gereicht wurde, viele Muskel¬ 
fasern im Stuhl, aber nur einzelne Fett¬ 
tropfen gefunden werden. Trypsin und 
Amylase in vollständig normalen Wer¬ 
ten. Er scheint, dass die Probelaparo¬ 
tomie das Wachstum der Geschwulst be¬ 
schleunigte, was nach meiner Erfahrung 
gar keine seltene Erscheinung nach Ope¬ 
rationen bei bösartigen Geschwülsten ist, 
denn der Leberrand reichte schon bald 
nach der Laparotomie zwei Finger unter 
dem Nabel; die Oberfläche war höcke¬ 
rig, und in der Bauchhöhle waren einige 
Knoten zu palpieren. Dieser Fall ge¬ 
hört zu denjenigen, wo die Funktions¬ 
prüfung des Pankreas keine Aufklärung 
gab. Post factum war für die Erkran¬ 
kung des Pankreas auch nur der nach 
dem Rücken vom Epigastrium ausstrah¬ 
lende Schmerz massgebend. Es fragt 
sich nur, ob man eine positive Diagnose, 
auf ein subjektives Symptom gestützt, 
stellen darf. 

Fall 3. S. S., 48 Jahre, Schneider. 

Ins Hospital aufgenommen am 8. Ok¬ 
tober 1913. Exitus 23. Oktober. (Pro¬ 
tokoll-No. 244, Beth David-Hospital.) 

Vor neun Wochen begann Patient 
über undefinierbare Schmerzen im Epi¬ 
gastrium zu klagen, mit einem Gefühl 
von Völle nach den Mahlzeiten. Eine 
Woche später hatte er einen sehr hefti¬ 
gen Anfall von Schmerzen im oberen 
Abdomen mehr nach rechts. Die 
Schmerzen waren von schneidendem 
Charakter, traten plötzlich auf und 
strahlten nicht nach dem Rücken aus. 
Seitdem verspürte er keine Schmerzen 
mehr. Am nächsten Morgen nach die¬ 
sem Anfall fiel ihm auf, dass er gelb 
wurde. Die Gelbsucht stieg allmählich 
an und blieb dann stationär. Der Stuhl 
war tonartig gefärbt und der Urin braun. 


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Wird auch von Hautjucken gequält, be¬ 
sonders in der Nacht, was ihn des Schla¬ 
fes beraubt. Appetit gut. Gewichtsver¬ 
lust einige Pfund. Stuhlgang bis zum 
Anfall regelmässig, seitdem Verstopf¬ 
ung. 

Vorgeschichte: Malaria im Alter von 
sechs Jahren. Hat vor 13 Jahren einen 
ähnlichen Anfall durchgemacht, aber da¬ 
mals strahlte der Schmerz nach Rücken 
und Schulter rechts aus. 

Status: Tiefer Ikterus. Sieht fast 
wie ein Araber aus. Sclerae deutlich 
gelb. Viele Krätzmarken und Haemor- 
rhagien an der Haut. Herz und Lungen 
normal. Rektaluntersuchung negativ. 
Abdomen weich. Schmerzhaftigkeit 
kann nicht nachgewiesen werden. Obere 
Lebergrenze sechste Rippe, rechter Le¬ 
berrand vier Finger unter dem Nabel. 
Hart. Oberfläche knotig. Weder Milz 
noch Nieren palpabel. Harn ikterisch. 
Galle positiv. Urobilin negativ. Ma¬ 
geninhalt ergibt mässige Hyperazidität. 
Fäzes: Okkultes Blut positiv. Tonfar¬ 
big. Wassermann negativ. Duodenal¬ 
inhalt: Nach dem Verweilen der Ein- 
h o r n’schen Röhre während der Nacht 
werden des Morgens 5 ccm aspiriert. 
Farbe gelblich grün. Reaktion schwach 
sauer. 

Blut: Reaktion schwach positiv. Fer¬ 
mente. Amylopsin vorhanden, in kleinen 
Quantitäten nachgewiesen mit Stärke¬ 
kleister nach 25 Minuten, schwache Ery¬ 
throdextrinreaktion nach drei Stunden. 
Kontrolle negativ. Trypsin: schwache 
Verdauung von koaguliertem Eiweiss 
nach drei Stunden. Kontrolle negativ. 
Pepsin negativ. Keine Verdauung von 
koaguliertem Eialbumen in zwei Stun¬ 
den. 

Fäzes: Farbe grauweiss, tonartig. 

Gallenpigment negativ (Ruperts Re¬ 
agenz Quecksilberoxydul), auch für Hy- 
drobilirubin. Keine Muskelfasern (Pa¬ 
tient hat längere Zeit kein Fleisch zu 
sich genommen), einige Stärkekörnchen. 
Eine enorm grosse Anzahl von Fett¬ 
kügelchen und Fettnadeln. 


Keine Leukozyten. Keine rote Blut¬ 
körperchen. 

Wahrscheinlichkeitsdiagnose: Karzi¬ 
nom des Pankreaskopfes mit Metastasen 
in der Leber. 

19. Oktober. Temperatur stieg plötz¬ 
lich auf 103 Grad F., erreichte am 20. 
106 Grad F. Am 22. Oktober Hämate- 
mesis und subnormale Temperatur. Exi¬ 
tus am 23. Oktober. Autopsie konnte 
leider nicht ausgeführt werden. 

Epikrise. Es scheint, dass Patient an 
Gallensteinen litt (typischer Gallenstein¬ 
anfall vor 13 Jahren). Dieser Fall ist 
ähnlich wie Fall 1, wo bei der Operation 
Gallensteine und Karzinom des Pan¬ 
kreas gefunden wurden. 

Fall 4. R. I., 39 Jahre, Italiener 
(Protokoll Vanderbilt-Klinik, Serie C, 
18,405). Patient gibt an, dass er seit 14 
Monaten in seinem Stuhl Fett beobach¬ 
tet hat, wenn er auch ganz kleine Quan¬ 
titäten Fett genoss. Ihm fiel auch da¬ 
bei auf, dass die Stühle aashaft stinkend 
und massenhaft waren. Stuhlgang nor¬ 
mal, solange er kein Fett zu sich nimmt, 
sonst diarrhoisch und massenhaft. Der 
Stuhl enthält auch viel Schleim. Die 
Farbe des Stuhls soll der Nahrung ge¬ 
mäss wechseln, z. B. sieht derselbe im¬ 
mer grün aus, wenn er pflanzliche Stoffe 
isst, gelb nach Makkaroni. Will viel an 
Gewicht abgenommen haben (sein 
Durchschnittsgewicht soll gewöhnlich 
147 Pfund gewesen sein). Im Beginn 
seiner Krankheit soll er häufig uriniert 
haben. Niemals hat er Durst verspürt. 
S£it vier Monaten leidet er an nach dem 
Rücken ausstrahlenden Schmerzen im 
Epigastrium, zuweilen auch an frontalen 
Kopfschmerzen. 

Vorgeschichte: Vor 17 Jahren litt er 
an Erysipelas. Schon vor sieben Jahren 
beobachtete er zuweilen Fett im Stuhl. 
Ein Professor in Neapel, den er konsul¬ 
tierte, beruhigte ihn; er meinte, dies 
wäre ohne Bedeutung, solange er keine 
Beschwerden habe. Patient will niemals 
ikterisch gewesen sein. 

Status: Patient ist gut körperlich ent- 


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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


wickelt, sieht eher gesund aus. Herz 
und Lungen normal. Beim Palpieren 
zwischen Epigastrium und Nabel rea¬ 
giert er mit Schmerz, sonst Befund ne¬ 
gativ. Patient wiegt 128 Pfund. Sein 
Urin wurde sechsmal im Verlauf der Be¬ 
obachtung untersucht; dreimal konnte 
Zucker im Urin nachgewiesen werden, 
dreimal war er zuckerfrei. 

Blut: Hb. 80 Prozent, rote Blutkör¬ 
perchen 4,200,000, weisse 6,100. Poly- 
morphonukleäre Leukozyten 48 Prozent, 
K. L. 42, mononukleäre 7, Eosinophile 2, 
Uebergangsformen 0.5, Mastzellen 0.5 
Prozent. 

Fäzes (von Dr. Crohn untersucht). 
Gesamtgewicht (getrocknet) 96.5 g. 
Tonfarbig. Beschaffenheit massig. Aus¬ 
sehen fett. Viele Partikel von unverdau¬ 
ten Pflanzenstoffen. Geruch schwach 
ranzig. Mikroskopisch: Voll von unver¬ 
dauten Muskelfasern und Kristallen neu¬ 
tralen Fettes. Viele Kristalle von Seifen 
und Fettsäuren. Bakterien. Chemisch: 
Sterkobilin positiv. Fermente: 1 g Fä¬ 
zes verdaut, 25 ccm einer 1 proz. Stärke¬ 
lösung, d. h. 25 Einheiten. Eine mässig 
schwache Reaktion. Trypsin (Gross- 
Ftild) 9, Lipase 0. Stuhl, getrocknet. 
96.5 g. N. 4.8 Prozent = 4.63 g. F. 45 
— 72 Prozent = 44.11 g, von dieser 
Menge 53 Prozent gespaltenes Fett 
(Fettsäuren und Seife). Patient entzog 
sich meiner Beobachtung seit 27. Mai. 

Welcher Natur diese Pankreaskrank¬ 
heit war, muss dahingestellt bleiben. 

Fall V. V. W., 28 Jahre, konsultierte 
mich zuerst am 28. März 1912. Fami¬ 
liengeschichte negativ. Will vor Juni 
1907 nie krank gewesen sein. Sie wurde 
dann mit Syphilis infiziert und mit 
Schmierkur energisch behandelt. Im 
Verlauf der letzten 2]/ 2 Jahre trat keine 
Hauteruption mehr auf. Im November 
1909 wurde Zucker im Urin gefunden. 
Patientin klagte auch dann über Pruri¬ 
tus vulvae. Beide Beschwerden ver¬ 
schwanden nach eingeleiteter antidiabe¬ 
tischer Behandlung. Der Zuckergehalt 
von der Zeit ab, wo er zuerst gefunden 


wurde, schwankte zwischen 0 und 2 l / 2 
Prozent. Patientin hat zwei gesunde 
Kinder geboren, bevor sie Syphilis ak¬ 
quirierte. Vor zwei Jahren litt sie an 
Durchfällen, die erst vor sieben Monaten 
aufhörten als Resultat der Behandlung. 

Im Verlauf der letzten Jahre leidet 
Patientin an Schmerzen im Epigastrium, 
ganz unabhängig von der Nahrungsauf¬ 
nahme. Trotz der Behandlung ver¬ 
schwindet dieser Schmerz nicht und ver¬ 
ursacht der Patientin beständige Sorge. 
Kein Diabetes in der Familie. 

Status: Robust aussehende Frau. In¬ 
tensive Schmerzhaftigkeit im Epigastri¬ 
um. Die Schmerzen strahlen nach dem 
Rücken aus. 

Urin: 28. März Zucker positiv. Am 

1. April 0.6 Prozent, am 4. Mai 0, am 

2. Juni 2 Prozent. 

Aus der von Dr. v. O e f e 1 e ange- 
stellten Fäkalanalyse entnehme ich das 
Wichtigste: 5. April 1912 Menge 202g. 
Kohärenz weich, nicht geformt. Farbe 
braun, hellbraun mit einem Stich ins 

Graue. Geruch sauer. Lakmusreaktion 
deutlich sauer. Gesamtfestbeständteile 
23.92 Prozent, Asche 18.18 Prozent. 
Erster Aetherextrakt 21.88 Prozent. 

Farbe intensiv zitronengelb. Zweiter 

Aetherextrakt 4.38 Prozent. Gesamt¬ 

ätherextrakt 26.26 Prozent. 

Stearinsäure (Fried. M ü 11 e r) 3.55 
Prozent, ungespaltenes Fett (Müller) 
18.33 Prozent, gespaltenes Fett (Mül- 
1 e r) 7.9 Prozent, Koeffizient der Spal¬ 
tung 30: 100, Steapsin 0, Trypsin schwa¬ 
che Reaktion. Amylopsin deutlich vor¬ 
handen. Mikroskopisch: Viele Muskel¬ 
fasern von niederen Tieren in grossen 
Stücken und absolute unverdaut. 

Es unterliegt keinem Zweifel, dass in 
diesem Falle eine Pankreasinsuffizienz 
vorlag. Nun bleibt eine Frage zu be- 
answorten, ob man die Schuld für diese 
Pankreatitis der Lues oder der energi¬ 
schen Schmierkur zuschreiben soll. 

Zum Schluss soll noch betont werden, 
dass epigastraler Schmerz in den klini¬ 
schen Bildern von Fall 2, 4 und 5 so auf- 


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139 


fallend vorherrschte, ja, dass im Fall 2 
dieses Symptom das einzige charakteri¬ 
stische für Pankreasaffektion war. Es 
sollte deswegen diesem Symptom mehr 
Aufmerksamkeit gewidmet werden, und 
zwar hauptsächlich dann, wenn der 
Schmerz in keiner Beziehung zur Nah¬ 
rungsaufnahme steht. Fall 2 beweist 
noch, dass das Pankreas stark affiziert 
sein kann, obwohl die Funktionsprüfung 
desselben negativ ausfällt. 


Literaturverseic h nis. 

1. O s e r, L., Die Erkrankungen des Pan¬ 
kreas, Wien, 1898. 2. K o e r t e, W., Die chi¬ 
rurgischen Krankheiten und die Verletzungen 
des Pankreas, Stuttgart, 1898. 3. A 1 b u, A., 
Beitrlge zur Diagnostik der inneren und chi¬ 
rurgischen Pankreas-Erkrankungen, Halle, 

1911. 4. M a y o R o b s o n and C a m m i d g e, 
The Pancreas, its Surg. and Pathol., Phila¬ 
delphia and London, 1907. 5. Friedman n, 
G. A., A Case of Chronic Pancreatitis with 
Polycythämia, Med. Record, 23. November 

1912. 6. Derselbe, Cammidge Reaction in 
Pancreatic Diseases with Notes of a Case, 
New York Med. Journ., 11. April 1908. 


Zur Behandlung der Tuberkulose mit Sanocalcin- 

Tuberkulin.* 

Von Dr. Caleari. 


Ueber die Bedeutung des Tuberkulins 
für die Tuberkulosetherapie zu spre¬ 
chen, halte ich vollständig für überflüs¬ 
sig. Die zahlreichen Präparate, welche 
seit Jahren existieren, und jene, die neu 
entstehen, beweisen am besten, dass die 
Frage, ob mit Tuberkulin therapeuti¬ 
sche Erfolge zu erzielen sind, nicht mehr 
zu Recht besteht. Sie zeigen aber auch, 
dass dem alten K o c h’schen Tuberku¬ 
lin, welches — man sage was man wolle 
— noch immer souverän die Therapie 
beherrscht, noch grosse Mängel anhaf¬ 
ten. Diesem Umstand verdanken eben 
die anderen Tuberkulinpräparate ihre 
Entstehung. 

In erster Linie ist es die grosse Giftig¬ 
keit des Alttuberkulins, welche schon 
den Kliniker und noch mehr den prakti¬ 
schen Arzt stets zu grosser Vorsicht 
mahnt und seine Anwendung etwas 
kompliziert gestaltet. Ausserdem zieht 
sich in vielen Fällen die Behandlung viel 
zu sehr in die Länge und stellt die Ge¬ 
duld so manches Patienten auf harte 
Probe, wenn sie ihn nicht allzu früh 
aus der Anstalt treibt. Welcher Tuber¬ 
kulosetherapeut weiss nicht ein Wort 
über die zahlreichen Misserfolge zu 
sprechen, welche bei besonders tuberku- 

# Aus W. klin. Rdsch. 1914 Nr. 38/40. 


linempfindlichen Patienten trotz der 
grössten Vorsicht noch immer nicht zu 
vermeiden sind. 

Die störende Giftigkeit des Tuberku¬ 
lins herabzusetzen, lag auch in den In¬ 
tentionen des Erfinders des Sanocalcin- 
Tuberkulins, eines Präparates, welches 
in der chemischen Fabrik Goedecke & 
Co. hergestellt wird und eine lösliche 
Verbindung des Calciumglycero-Lakto- 
phosphats mit Tuberkulin enthält. Die¬ 
ses Mittel wird in Serienpackungen von 
zwölf steigenden, in sterilen Ampullen 
eingeschmolzenen Dosen abgegeben; die 
erste Dose Nr. 1 enthält 0.0001 g Tuber¬ 
kulin, jede nächste Dose zirka die dop¬ 
pelte Menge der letzten, bis die Dosis 
Nr. 12 mit 0.5 g Tuberkulin abschliesst. 

Die mit diesem Präparat von Korb 1 ) 
und Camphausen 2 ) erzielten Er¬ 
folge veranlassten mich, das Mittel auch 
in unserer Anstalt anzuwenden. Ob¬ 
wohl die Zahl der damit bisher behan¬ 
delten Patienten noch eine kleine und 
die Beobachtungsdauer eine viel zu 
kurze ist, kann man immerhin schon 
jetzt auf die Wirksamkeit der Mittel ge¬ 
wisse Schlüsse ziehen. Ich möchte da¬ 
her im Nachstehenden einige Kranken- 

1) Zeitschrift f. Tuberkulose 1912 Bd. 19 II. 4. 

2) Zeitschrift f. Tuberkulose 1913 Bd. 21 H. 3. 


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140 


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geschichten ohne grossen Kommentar 
anführen, aus welchen sich der Leser 
selbst ein Urteil bilden möge. 

Es wurden sowohl leichte als schwere 
Fälle behandelt. Unter den ersteren be¬ 
finden sich einige, wo die klinische Dia¬ 
gnose anfangs zweifelhaft war. Einge¬ 
leitet wurde die Behandlung nach der 
dem Präparat beiliegenden Gebrauchs¬ 
anweisung mit verdünnten Dosen; im 
Verlauf der Behandlung musste jedoch 
von den fixierten Dosen Abstand ge¬ 
nommen und zu Verdünnungen gegrif¬ 
fen, beziehungsweise die Dosen wieder¬ 
holt werden. 

Fall 1. Alma F., 18 Jahre alt, here¬ 
ditär nicht belastet. Im Oktober 1912 
Hämoptoe. Seither allgemeines Schwä¬ 
chegefühl ohne andere Symptome. Ap¬ 
petit gut. Objektiv seit einem Jahre 
spärliches, kaum wahrnehmbares, klein¬ 
blasiges Rasseln und leichte Dämpfung 
über der linken Lungenspitze. Tempe¬ 
ratur normal. Gewicht bei der Aufnah¬ 
me am 29. Januar 1. J. 55 Kilogramm. 
Die Pirquet’sche Reaktion am 10. Fe¬ 
bruar negativ, wurde bei der Wieder¬ 
holung am 16. Februar nach 48 Stunden 
mittelstark positiv. Seit der Aufnahme 
eine Gewichtszunahme von einem Kilo¬ 
gramm. 

Am 18. Februar mit der Behandlung 
mit Sanocalcin-T uberkulin begonnen. 
Die erste Injektion (Nr. 1) sowie die 
zweite Injektion (Nr. 2) am 25. Februar 
verliefen ohne jede Reaktion. Die drit¬ 
te Injektion am 1. März (Nr. 3) war 
acht Stunden später von allgemeiner 
Mattigkeit, schwachem Hustenreiz mit 
geringem bazillenfreiem Auswurf ge¬ 
folgt. Die höchste Temperatur betrug 
37.1 Grad C. Die Rasselgeräusche links 
sind viel deutlicher geworden, die At¬ 
mung verschärft. Die Impfstellen nach 
Pirquet, selbst die erste, wo die Re¬ 
aktion negativ ausgefallen war, zeigten 
starke, die Injektionsstellen eine leichte 
Rötung. Diese Reaktion war nach zwei 
Tagen wieder verschwunden. Die vierte 
Injektion am 8. März (Nr. 4) wurde 
reaktionslos vertragen. 


Nach der sechs Tage später vorge¬ 
nommenen fünften Injektion (Nr. 5) 
wurde die höchste Temperatur, 37.2 
Grad C., am dritten Tag erhoben; allge¬ 
meine Mattigkeit hat vier Tage gedau¬ 
ert. Mit Rücksicht darauf wurde vor¬ 
sichtshalber bei der nächsten Injektion 
am 23. März nur die Hälfte der Num¬ 
mer 6 verwendet; trotzdem stellte sich 
abends wieder Mattigkeit und Husten¬ 
reiz ein, jedoch ohne Temperatur¬ 
erhöhung. Die subjektiven Beschwer¬ 
den sind nach zwei Tagen vollkommen 
verschwunden. Am 28. März wurde die 
Hälfte der Nr. 6 ohne Reaktion injiziert. 
Die nächsten Injektionen mit den Num¬ 
mern 7 und 8 wurden ebenfalls ohne 
Reaktion vertragen. Nummer 9 wurde 
wegen eingetretener Reaktion in glei¬ 
cher Dosis viermal wiederholt, worauf 
die Nummern 10* und 11 wieder reak¬ 
tionslos vertragen wurden. Gegenwär¬ 
tig ist der allgemeine Zustand der Pa¬ 
tientin sehr gut, das Aussehen blühend, 
der Appetit vorzüglich. Die Schwäche¬ 
zustände und das Gefühl der Mattigkeit 
sind ganz verschwunden. Objektiv ist 
keine Dämpfung mehr, nur ein minimal 
verschärftes Atmen nachweisbar. Das 
Körpergewicht beträgt 58.5 Kilogramm, 
hat also im ganzen um Z]/ 2 Kilogramm 
zugenommen. 

Fall 2. Peter P., 28 Jahre alt, here¬ 
ditär belastet, ist seit Juni vorigen Jah¬ 
res krank, hat Hämoptoe gehabt. Bei 
der Aufnahme am 12. September 1913 
war Dämpfung über der linken Lungen¬ 
spitze und Rasselgeräusche über der 
ganzen linken Lunge nachweisbar. Das 
Körpergewicht betrug 61.5 kg. Der Pa¬ 
tient wurde zuerst mit Alttuberkulin be¬ 
handelt, auf welche er mit leichten, bis 
37.3 Grad C. betragenden Temperatur¬ 
steigerungen und Kopfschmerzen rea¬ 
gierte. 

Bei Beginn der Sanocalcin-Tuberku- 
lin-Behandlung (am 18. Februar) wa¬ 
ren in beiden Lungen zerstreute Rassel¬ 
geräusche nachweisbar. Im ganzen 
wurden 16 Injektionen gemacht. Die 
erste und zweite war ohne Reaktion. 


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141 


Die dritte Injektion hatte eine allgemei¬ 
ne Reaktion, Fieber bis 40 Grad C. und 
eine ausgesprochene Herdreaktion zur 
Folge. Die früher gemachte Pirquet- 
Probe ist stark positiv geworden, die 
Rasselgeräusche in der Lunge waren 
vermehrt, hauptsächlich links oben. Die 
vierte Injektion war nur von allgemei¬ 
nen Erscheinungen (Kopfschmerzen, 
Mattigkeit), ohne Fieber begleitet. Ge¬ 
wichtszunahme 1 kg. Nr. 5 wurde ohne 
Reaktion zweimal wiederholt. Nr. 6 
hatte wieder Fieber bis zu 40.2 Grad C. 
und neuerliches Auftreten der Kutan¬ 
reaktion zur Folge. Das Körpergewicht 
betrug am 16. April 73 kg. Nach zehn 
Tagen wurde Nr. 6 wiederholt und ver¬ 
ursachte wieder eine starke Reaktion 
(Temperatur bis 40 Grad C.), ja selbst 
die dritte Wiederholung der Nr. 6 am 
9. Mai war von Fieberbewegungen bis 
39.4 Grad C. gefolgt. 

Mitte Mai wurde der Patient auf eige¬ 
nes Verlangen aus der Anstalt entlassen 
und weiterhin ambulatorisch behandelt. 
Am 15. Mai wurde Nr. 6 zum vierten 
Male wiederholt, die höchste Tempera¬ 
tur war 39.1 Grad C. Am 22. Mai wur¬ 
de wieder Nr. 6 injiziert. Temperatur 
38.2 Grad C. Dann in zehntägigen In¬ 
tervallen wurde noch einmal Nr. 6 wie¬ 
derholt. Die letzte Injektion hatte nur 
Hustenreiz, aber kein Fieber zur Folge. 
Nr. 7 wurde ohne Reaktion, die Nr. 8 
zweimal ohne Fieber, nur von Husten¬ 
reiz begleitet, injiziert. Gegenwärtig ist 
das Allgemeinbefinden des Patienten zu¬ 
friedenstellend, der lokale Prozess be¬ 
deutend gebessert, das Gewicht um 10)4 
kg gestiegen. 

Fall 3. Bianca C., 24 Jahre alt, ver¬ 
heiratet. Die hereditär belastete Patien¬ 
tin hatte vor vier Jahren Abortus und 
Hämoptoe, vor sechs Jahren linksseitige 
Pleuritis. Seit zwei Monaten Husten, 
Auswurf und Abmagerung. Befund bei 
der Aufnahme am 30. Juli: Anämische 
Patientin von grazilem Körperbau, Ver¬ 
kürzung des Perkussionsschalles links 
oben, Rasselgeräusche, Atmungsgeräu¬ 
sche links verstärkt und scharf. Rechts 


oben Rasselgeräusche ohne Dämpfung. 
Bazillen im Sputum. Nach 25 Cacody- 
latinjektionen wurde die Patientin auf 
eigenes Verlangen Ende Januar 1. J. aus 
der Anstalt gebessert entlassen. Die Be¬ 
handlung mit Sanocalcin-Tuberkulin 
wurde anfangs Februar 1. J. begonnen. 
Die Patientin hat im ganzen acht Injek¬ 
tionen erhalten, welche mit Ausnahme 
von Nr. 3, 5 und 6 mit geringen Reak¬ 
tionen verbunden waren. Diese Num¬ 
mern ergaben Temperatursteigerungen 
bis zu 40 Grad C. und starke Herdreak¬ 
tionen. Die letzte Injektion mit Nr. 8 
hatte nur eine Herdreaktion erzeugt. 
Die Patientin steht noch weiter in Be¬ 
handlung. Eine auffallende Besserung 
ist nicht zu merken, wohl aber ist der 
Allgemeinzustand zufriedenstellend. 

Fall 4. Edmea F., 25 Jahre alt, here¬ 
ditär angeblich nicht belastet. Als Kind 
hat sie die Blattern durchgemacht. Sie 
ist seit 2)4 Jahren krank, hatte wieder¬ 
holt abundante Hämoptoe, war schon 
vor 1)4 Jahren in der Anstalt, ist seit 
5. Juli 1913 bettlägerig. Status: Blass, 
sehr abgemagert, Gewicht 42)4 kg. 
Ueber beiden Lungen diffuse Rasselge¬ 
räusche, Bazillenbefund. Sie wurde an¬ 
fangs mit Cacodylat behandelt und hat 
100 Injektionen bekommen. Das Ergeb¬ 
nis war eine Gewichtszunahme von 5)4 
Kilogramm. Der Verlauf war fast 
afebril. 

Bei Beginn der Kur mit Sanocalcin- 
Tuberkulin am 18. Februar 1. J. waren 
über dem Oberlappen der linken Lunge, 
insbesondere über der Lungenspitze, 
grossblasige Rasselgeräusche hörbar. 
Pirquet mittelstark. 

Die zwei ersten Injektionen mit Sano¬ 
calcin-Tuberkulin waren ohne Reaktion. 
Nach der dritten Injektion trat Mattig¬ 
keit, Schüttelfrost und 39.6 Grad C. Fie¬ 
ber ein. Die Pirquet’sche Probe wurde 
wieder sichtbar. Die Herdreaktion war 
sehr ausgeprägt. Ueber der ganzen lin¬ 
ken Lunge Rasseln, an der Basis der 
rechten Lunge Giemen. Nach Ablauf 
der Reaktion ist eine auffallende Besse¬ 
rung des Appetits und allgemeines 


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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


Wohlbefinden eingetreten. Die Injek¬ 
tion von Nr. 4 (am 14. März) war von 
schwacher allgemeiner Reaktion beglei¬ 
tet. Die höchste Temperatur betrug am 
nächsten Tage 37.5 Grad C. Seither be¬ 
ginnen täglich subfebrile Temperatur¬ 
schwankungen. Am 31. März wurde 
Nr. 4 ohne Reaktion wiederholt. Wegen 
eingetretener Menstruation und allge¬ 
meiner Abgeschlagenheit wurde mit der 
Behandlung bis 27. April ausgesetzt und 
dann wieder auf Nr. 3 zurückgegriffen. 
Diese Wiederholung ergab noch eine 
stärkere Reaktion (Fieber bis 40.2 Grad 
C.) als die erste Injektion mit Nr. 3. 
Am 9. Mai wurde Nr. 3 mit allgemeiner 
Reaktion und Temperatursteigerung auf 
37.7 Grad C. wiederholt. Seither ist ein 
unregelmässiges Fieber bis 38.2 Grad C. 
und Gewichtsabnahme (Körpergewicht 
am 15. Juni 42^4 kg) zu notieren. 
Schwäche und Appetitlosigkeit dauern 
an, weshalb die weiteren Injektionen 
vorläufig eingestellt wurden. 

Fall 5. Franz D., 29 Jahre alt, here¬ 
ditär unbelastet. Kehlkopf- und Lun¬ 
gentuberkulose, Patient afebril, von gu¬ 
ter Ernährung. 

Beginn der Kur im März* Im ganzen 
wurden sieben Injektionen bis zu Nr. 6 
verabfolgt. Die Nummern 4 und 6 ga¬ 
ben stärkere Reaktionen mit Tempera¬ 
turerhöhung bis 38 Grad C. Seit der 
letzten Injektion blieb jedoch ein kon¬ 
tinuierliches Fieber zurück. Der Krank¬ 
heitsprozess schritt fort, trotz der Be¬ 
handlung und der Patient verliess'auf 
eigenes Verlangen die Anstalt. 

Fall 6. Emil V., 55 Jahre alt, heredi¬ 
tär belastet, seit drei Jahren krank. Be¬ 
fund: Dämpfung rechts, abgeschwächtes 
Atmen, an der Basis kein Atemgeräusch 
hörbar. Pirquet positiv. Am 31. März 
Injektion mit Nr. 1 ohne Reaktion. Am 
7. April Nr. 2 ebenfalls reaktionslos. 
Nach der dritten Injektion (Nr. 3 am 
13. April) Fieber bis 39.2 Grad C. und 
allgemeine Abgeschlagenheit. Die Ras¬ 
selgeräusche sind auch links, an der 
Spitze und Basis, aufgetreten. Die In¬ 
jektion von Nr. 4 am 19. April bewirkte 


nur allgemeine Abgeschlagenheit ohne 
Temperaturerhöhung. Seither sind die 
katarrhalischen Erscheinungen links ver¬ 
blieben. Da die allgemeine Verschlim¬ 
merung fortdauerte, wurde das Sanocal- 
cin-Tuberkulin ausgesetzt und die Be¬ 
handlung mit Alttuberkulin aufgenom- 
men, aber ohne Erfolg. 

Fall 7. Lydia C., 1 2> l / 2 Jahre alt, an¬ 
geblich hereditär unbelastet, litt schon in 
der zartesten Kindheit öfters an katar¬ 
rhalischen Erscheinungen. Seit fünf 
Jahren leidet das Kind an beiderseitiger 
Koxitis. Rechts ist der Prozess mit 
geringer Ankylose geheilt, links sind 
noch Schmerzen vorhanden. Drei Mo¬ 
nate vor der Aufnahme hatte Patientin 
schwache Hämoptoe. Status praesens : 
Lieber den rechten Oberlappen sind At¬ 
mungsgeräusche etwas abgeschwächt. 
Patientin klagt öfters über Schmerzen in 
dieser Gegend. Die Temperatur ist 
subfebril. Die am 27. März vorgenom¬ 
mene Pirquet’sche Probe hatte eine star¬ 
ke Reaktion mit Fieber bis 39 Grad C. 
und Lymphangoitis zur Folge. 

Am 3. April wurde Nr. 1 des Sanocal- 
cin-Tuberkulins injiziert. Es trat eine 
starke allgemeine Reaktion auf: Husten¬ 
reiz, unruhige Nacht, profuser Schwei߬ 
ausbruch. Temperatur 37.9 Grad C., am 
nächsten Tage 38 Grad C. 

Die Kur wurde nicht weiter fortge¬ 
setzt und die Behandlung mit Alttuber¬ 
kulin versucht, welches jedoch selbst in 
Dosen von y 2 Millionstel Gramm 
schlecht vertragen wurde. 

Fall 8. Andreas G., 50 Jahre alt, Tag¬ 
löhner. Laut Anamnese ist er seit zwei 
Monaten krank und arbeitsuntauglich 
und er hustet und magert rasch ab. 

Status am 26. März: Fieberfrei, 
Dämpfung über den beiden Lungen¬ 
spitzen, links mehr als rechts, Rasselge¬ 
räusch links oben, verlängertes Exspi- 
rium rechts oben, Pfeifen in beiden Un¬ 
terlappen. Im Sputum Bazillen. Pir¬ 
quet negativ. Auf ein Milligramm Tu¬ 
berkulin Temperaturerhöhung auf 38 
Grad C., Gewicht 58 kg. 

Die Behandlung mit Sanocalcin-Tu- 


Qrigiraal frorn 

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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


143 


berkulin wurde ambulatorisch durchge¬ 
führt. 

Am 30. März wurde die Hälfte von 
Nr. 1 injiziert, höchste Temperatur¬ 
erhöhung am zweiten Tage 37.6 Grad C. 

Die zweite Injektion am 1. April mit 
der Hälfte von Nr. 1 verlief ohne Reak¬ 
tion. 

Am 4. April wurde Nr. II ohne Reak¬ 
tion injiziert. Die Injektion mit Nr. 3 
(am 6. April) erzeugte leichte Allge¬ 
meinreaktion (höchste Temperatur 37.8 
Grad) und schön ausgeprägte Herd¬ 
reaktion. Nach Ablauf derselben fühlt 
sich der Patient ungewöhnlich wohl. 

Am 10. April wurde Nr. 4 injiziert. 
Temperatur 37 Grad C. Die Injektion 
mit Nr. 5 (am 25. April) wurde reak- 
tionsios vertragen. Am 29. April fühlte 
sich der Patient derart gebessert, dass er 
wieder arbeiten wollte. Links oben nur 
spärliche Rasselgeräusche, Pfeifen ver¬ 
schwunden, Appetit sehr gut, Gewichts¬ 
zunahme 6 kg. Patient war nur mit 
Mühe zu bewegen, im Krankenstand 
noch weiter zu bleiben. Injektion mit 
Nr. 6 war von Temperaturerhöhung 
(37.9 Grad C.) und Mattigkeitsgefühl 
begleitet. Die nächsten Injektionen mit 
je der Hälfte von Nr. 7 und 8 (am 6., 
15., 18. und 22. Mai) verliefen ohne Re¬ 
aktion. Desgleichen die Injektion mit 
der Hälfte von Nr. 9 (am 2. Juni). Die 
Wiederholung dieser Dosis am 13. Juni 
ergab eine leichte Reaktion. (Tempera¬ 
tur 37.6 Grad C.) Am 24. Juni wurde 
Patient über eigenes Verlangen in sehr 
gebessertem Zustand aus der Behand¬ 
lung entlassen. Die subjektiven Krank¬ 
heitserscheinungen sind ganz ver¬ 
schwunden. Objektiv ist nur leichte 
Dämpfung beiderseits mit verlängertem 
Exspirium und geringes Giemen links 
geblieben. 

Fall 9. Serafine S., 33 Jahre alt, here¬ 
ditär belastet. Seit einigen Tagen leidet 
Patientin an heftigen Kopfschmerzen in 
der rechten Augengegend und starker 
Herabsetzung der Sehschärfe des rech¬ 
ten Auges. Der Augenbefund, den ich 
der Liebenswürdigkeit des Augenarztes 


Herrn Dr. B o 11 e r i verdanke, war am 
10. März folgender: I. A.: Aeussere 
Teile und Adnexe normal, Bulbus äusser- 
lich normal. R. A.: Zarte, staubförmige 
Glaskörpertrübungen im ganzen Fundus 
zerstreut, besonders in der Gegend der 
Makula viele rundliche, grauweisse, et¬ 
was prominente, von einem hellen Sau¬ 
me umgebenen Herde, über welche die 
Netzhautgefässe bogenförmig hinweg¬ 
ziehen. Die Grenze der Sehnerven¬ 
scheibe ist ganz undeutlich, der Sehnerv 
gerötet und leicht geschwollen, die Ve¬ 
nen erweitert und geschlängelt. Visus : 
Fingerzählen in l / 2 Meter mit — 6.25 
idem. L. A.: Normal, Fingerzählen in 2 
Meter mit — 6.25 sf. 6/6. 

Die Wassermann’sche und Pirquet- 
sche Probe negativ. Temperatur nor¬ 
mal. Auf 1 Milligramm Alttuberkulin 
37, auf 3 Milligramm 37.4 Grad C. 

Am 2. April wurde die Behandlung 
mit Sanocalcin-Tuberkulin begonnen. 

Injektion mit Nr. 1 verlief reaktions¬ 
los. Nach Nr. 2 (am 6. April) stellten 
sich heftige Kopfschmerzen ein, ohne 
Temperaturerhöhung. Nach Nr. 3 (am 
9. April) traten Schmerzen im Halse, 
im linken Arme und in den Füssen ein. 
Höchste Temperatur 37.8 Grad C. Ge¬ 
wicht 58 kg. 

Nr. 4 (16. April) und Nr. 5 (22. 
April) erzeugten keine Reaktion. Die 
Injektion von Nr. 6 (am 28. April) war 
von Kopf- und Halsschmerzen, Husten¬ 
reiz und Fieber bis 39.9 Grad C. beglei¬ 
tet. Die nächste Injektion mit der 
Hälfte von Nr. 7 (14. Mai) verlief ohne 
Reaktion. Die subjektiven Beschwerden 
bedeutend gebessert. Der Augenbefund 
am 16. Mai war: Glaskörper klar, Seh¬ 
nerv von normalem Aussehen. Die Her¬ 
de in der Makula stark pigmentiert, 
flach und von einer hellen Linie um¬ 
säumt. An der Peripherie vereinzelte 
noch wenig pigmenitierte Herde. V. R. 
mit — 6.25 Fingerzählen in 2J4 m. 

Am 19. Mai wurde die letzte Dosis 
(die Hälfte von Nr. 7) wiederholt und 
erzeugte nur geringe Reaktion (Tempe¬ 
ratur 37.8 Grad C.). Die nächste Injek- 


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New Yoricks Medizinische Monatsschrift. 


tion mit der Hälfte von Nr. 8 (25. Mai) 
hatte keine Reaktion zur Folge. Am 3. 
Juli wurde die Hälfte von Nr. 9 injiziert 
und hat eine starke allgemeine Reaktion 
Fieber bis 40 Grad C. hervorgerufen. 
Nach Ablauf derselben fühlte sich Pa¬ 
tientin sehr wohl und da nach dem am 
25. Juni erhobenen Augenbefund die 
Chorioiditis vollkommen abgelaufen 
war, wurde sie mit unverändertem Kör¬ 
pergewicht aus der Behandlung ent¬ 
lassen. 

Aus den bisherigen Erfahrungen mit 
Sanocalcin-Tuberkulin glaube ich fol¬ 
gende Schlüsse ziehen zu können: 

1. Das Sanocalcin-Tuberkulin ist ohne 
Zweifel viel weniger giftig als das Alt¬ 
tuberkulin, was insbesonders bei den 
Anfangsdosen deutlich in die Augen 
springt. 

2. Wegen der sehr guten Herdreaktion 
und geringen allgemeinen Reaktion bei 
den Anfangsdosen ist das Präparat, zu 
diagnostischen Zwecken sehr gut brauch¬ 


bar und ohne jede Gefahr für den Pa¬ 
tienten verwendbar. 

3. Die von der Fabrik abgeteilten Do¬ 
sen scheinen jedoch für die allgemeine 
Behandlung viel zu hoch bemessen zu 
sein. Sie könnten vielleicht bei tuber¬ 
kulinempfindlichen Patienten stürmische 
Reaktionen mit nachfolgender Schädi¬ 
gung des Allgemeinbefindens hervor- 
rufen. Eine schablonenmässige Ver¬ 
wendung des Mittels in der Reihenfolge 
der uns zur Verfügung gestellten Do¬ 
sierung ist nicht geraten. Die niedrigen 
Dosen sind ausreichend, aber es ist er¬ 
wünscht, dass zwischen die höheren Do¬ 
sen, von Nr. 3 angefangen, Zwischen¬ 
dosen eingeschoben werden nach der 
Gebrauchsanweisung, die die Firma 
Goedecke & Co. neuerdings ihren Pack¬ 
ungen beifügt. Dadurch wird die Si¬ 
cherheit der Behandlung wesentlich er¬ 
höht und die Behandlungsdauer im 
Verhältnis zu der Alttuberkulinkur 
wesentlich abgekürzt werden. 


Die Herxheimersche Reaktion.* 

Von G. Milian. 


Unter Herxheime r’scher Reak¬ 
tion versteht man die Entzündung, die 
in syphilitischen Geweben unter dem 
Einflüsse eines spezifischen Heilverfah¬ 
rens auftritt. Herxheimer hat be¬ 
obachtet, dass eine bestehende Roseola 
nach der ersten Merkureinspritzung 
stärker erscheint bezw. wenn sie im Ab¬ 
heilen war, intensiver wird. Diese Be¬ 
obachtung fand wenig Beachtung, bis 
Ehrlich auf dieselbe all die Störun¬ 
gen bezog, die im allgemeinen Verhal¬ 
ten des Organismus oder im Verhalten 
der inneren Organe nach Salvarsan- 
anwendung auftraten. Unter den 
Quecksilberpräparaten scheint Hg. sali- 
cyl. die Herxheimer-Reaktion am deut¬ 
lichsten herbeizuführen, die Arsenbe- 


*Aus Allg. Wien. m. Ztg. 1914 Nr. 21. 


handlung bewirkt sie viel intensiver als 
die mit Quecksilber, ganz besonders 
führen Salvarsan und Neosalvarsan da¬ 
zu. und zwar können kleinere Dosen in 
dieser Hinsicht ebenso wirksam sein als 
grosse, subkutane Applikation ebenso als 
intravenöse. Das allgemeine Exanthem 
der Syphilis maculosa zeigt die Reaktion 
oft und stark, die tertiären Syphilide 
zeigen die Reaktion nur schwach. Auch 
für die inneren Organe ist das Vorkom¬ 
men der Reaktion sichergestellt. Thal¬ 
mann schreibt die Reaktion den Giften 
zu, die aus der Leibessubstanz der Spi¬ 
rochäten frei werden, wenn diese infolge 
der Behandlung sterben. Baum ver¬ 
gleicht diese Reaktion mit der des Tu¬ 
berkulins auf Tuberkelherde; auch inso- 
ferne besteht eine Aehnlichkeit zwischen 
beiden Reaktionen, als bei schwerer Lues 


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die Herxheimer-Reaktion ebenso aus¬ 
bleibt, wie die Tuberkulinreaktion bei 
schwerer Tuberkulose. Desgleichen feh¬ 
len beide bei Gesunden. Ehrlich, 
I v e r s e n und andere schreiben die Re¬ 
aktion dem Umstande zu, dass die Spi¬ 
rochäten nicht getötet, sondern in einen 
Reizungszustand geraten, sei es infolge 
ungenügender Dosen des Antisyphiliti- 
kums, sei es bei grösseren Dosen infolge 
grosser Resistenz der vorliegenden Spi¬ 
rochätenart. Am intensivsten ist die Re¬ 
aktion bei der Roseola, hier erscheint sie 
oft schon zwei Stunden nach der Injek¬ 
tion, das Exanthem wird stärker und 
ausgedehnter, um zirka sechs Stunden 
nach ihrem Auftreten abzuklingen. Oft 
erscheint sie an Partien, die sonst frei 
bleiben, wie am Gesichte, sodass Patient 
aussieht, als hätte er die Masern. Doch 
ist tags darauf das Gesicht wieder frei. 
Die Papeln der Syphilis papulosa werden 
infolge der Reaktion grösser und röter, 
manchmal zeigen sie sogar einen Ent¬ 
zündungshof. Einen solchen sieht man 
auch in seltenen Fällen nach der Injek¬ 
tion im Herde von Pigmentsyphilis auf- 
treten, gleichfalls selten treten bald vor¬ 
übergehende Entzündungen am ulzerö¬ 
sen Syphilid auf. Auch an syphiliti¬ 
schen Manifestationen der Schleimhaut 
kommt es zu Reaktionserscheinungen, 
stärkerer Rötung und deutlicherer 
Schwellung. Gummata können an¬ 
schwellen, oder wenn sie offen sind, be¬ 
sonders reichliche Absonderung dar¬ 
bieten. 

Gewöhnlich führen die antisyphiliti¬ 
schen Medikamente zu mehr minder 
deutlichen, mit Fieber einhergehenden 
Allgemeinerscheinungen, die besonders 
ausgesprochen nach Salvarsaninjektio- 
nen vorzukommen pflegen. Manche hal¬ 
ten diese für Intoleranzerscheinung und 
schuldigen dafür den Gebrauch nicht 
vollkommen sterilen Wasers an, andere 
wieder halten dieselben für eine Herx¬ 
heimer-Reaktion, den Ausdruck des 
Kampfes zwischen Mikroben und Medi¬ 
kament. Es kann sowohl der eine als 
auch der andere Umstand Schuld tragen. 


Im ersten Falle, wo es sich um Intole¬ 
ranz handelt, müssen sich die allgemei¬ 
nen Erscheinungen bei jeder Injektion 
wiederholen und selbst dann auftreten, 
wenn die Syphilissymptome infolge der 
Behandlung sich gebessert haben, die 
Wassermann-Reaktion sich verloren hat 
und die Spinalflüssigkeit frei von zelli- 
gen Elementen ist. Im zweiten Falle 
werden die Allgemeinerscheinungen mit 
jeder wiederholten Reaktion geringer 
sein, parallel dem Nachlassen der Syphi¬ 
lis geringer werden, wird die Wasser- 
mann’sche Reaktion stationär bleiben 
oder sogar zunehmen, der Liquor zellige 
Elemente enthalten, solange als noch 
Fieber und Allgemeinerscheinungen 
nach der Injektion sich einstellen. Doch” 
darf 'deshalb die Salvarsanbehandlung 
nicht aufgegeben werden, muss man sie 
vielmehr fortsetzen, weil sie zur Heilung 
der durch Syphilis bedingten Krank¬ 
heitsfolgen führt. Dieses gilt auch für 
viszerale Reaktionen, welche nach der 
Injektion auftreten und irrtümlich der¬ 
selben zur Last gelegt, als Intoleranz¬ 
erscheinung aufgefasst werden, während 
es sich in der Tat um Herxheimer-Reak¬ 
tion handelt, welche einen bis dahin la¬ 
tenten Zustand manifest gemacht hat. 
Autor gibt aus der Leber und aus der 
Nervenpathologie Beispiele von einer¬ 
seits Herxheimer-, andererseits Intole¬ 
ranz-Reaktionen. Die nach Salvarsan- 
injektion aufgetretenen Todesfälle an 
Apoplexia serosa will Autor nicht als 
Herxheimer-Reaktion gelten lassen, da 
solche nur an schon bestehenden Syphi¬ 
lisherden auftritt, ihm aber keine ent¬ 
sprechende Hirnveränderung bekannt 
ist, deren Steigerung als Herxheimer- 
Reaktion das Auftreten von Apoplexia 
serosa bedingen würde. Man beobach¬ 
tet ja solche schon während des Schan¬ 
kers, zu einer Zeit, wo es sicher keine 
Spirochätenansiedlung im Gehirn gibt. 
Gewöhnlich kommt es zur Apoplexia se¬ 
rosa erst bei der zweiten Salvarsaninjek- 
tion, während eine wirkliche Herx¬ 
heimer-Reaktion zum zweitenmale eher 
milder auftreten müsste, als das erste- 

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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


mal, da die erste Injektion schon Spiro¬ 
chäten zerstört hat und sich die Wasser¬ 
mann-Reaktion bei der zweiten Injektion 
gewöhnlich verringert hat. Dies zeigte 
sich auch in den in der Literatur er¬ 
wähnten Fällen von Apoplexia serosa, 
auch ergab sich dabei der Liquor frei 
von zeitigen Elementen, fanden sich we¬ 
der makroskopische noch mikroskopi¬ 
sche Gehirnveränderungen, auch zeig¬ 
ten sich keinerlei entzündliche Vor¬ 
gänge, die als Reaktion im Syphilisherde 
hätten gedeutet werden können, ähnlich 
wie sich solche um die Haut und 
Schleimpapeln infolge von Herxheimer- 
Reaktion finden. 

Die Hautreaktionen erscheinen bald 
nach der Injektion, verschwinden bald 
und sind milde, die viszeralen Reak¬ 
tionen sind intensiver und wiederholen 
sich manchmal bei jeder Injektion. Sie 
haben als fieberhafte Reaktion insoferne 
eine erhöhte Bedeutung, als sie im Falle 
latenter Syphilis kundtun, dass syphiliti¬ 
sche Herde im Körper vorhanden sind. 
Auch werden ganz verschiedene syphili¬ 
tische Herde, von denen seit Monaten 
keine Spur mehr zu sehen war, nach ei¬ 
ner Injektion wieder deutlich sichtbar, 
tritt die verschwundene Wassermann- 
Reaktion wieder auf, so werden auch 
viszerale Zustände manifest, sei es, dass 
sie zum erstenmal nach der Injektion er¬ 
scheinen oder scheinbar verschwundene 


in Evidenz gelangen. Ein auftretender 
Ikterus zeigt an, dass die Leber nicht 
gesund ist, Ohrensausen, dass der N. 
acusticus leidet. Man wird dadurch auf 
die Organe aufmerksam, die von der 
Syphilis heimgesucht sind. Die Reak¬ 
tion zeigt sich besonders in Fällen, die 
der Behandlung trotzen und in welchen 
leicht Rezidiven auftreten, oft ist es die 
Herxheimer-Reaktion, die die Rezidive 
einleitet. 

Ein Arsenexanthem unterscheidet sich 
von der Herzheimer-Reaktion darin, 
dass ersteres juckt und erst etwas spä¬ 
ter, keinesfalls wenige Stunden nach 
der Injektion erscheint, letzteres nicht 
juckt und bald nach der Injektion auf- 
tritt. Wichtig ist es, bei der viszeralen 
und allgemeinen Reaktion die Herx¬ 
heimer-Reaktion von den Intoleranz¬ 
erscheinungen zu untershceiden. Hier 
ist auf das oben bemerkte zu verweisen. 
Die Herxheimer-Reaktion wird bei jeder 
neuen Injektion schwächer, die Intole¬ 
ranzerscheinung selbst bei wiederholter 
Injektion, oft selbst geringeren Dosen 
heftiger. Die Herxheimer-Reaktion wird 
schwächer mit der Besserung der Syphi¬ 
lis, die Intoleranzsymptome bei wieder¬ 
holter Injektion trotz Besserung der Sy¬ 
philis stärker. Immerhin ist die Unter¬ 
scheidung oft sehr schwer und erfordert 
viel Behutsamkeit seitens des Arztes. 


Einiges über Befruchtung und Einbettung des 
menschlichen Eies.* 

Von Meyer-Ruegg. 


Das Ovulum liegt beim neugeborenen 
Mädchen in der Follikelanlage, dem so¬ 
genannten Primärfollikel, fertig gebil¬ 
det. Sämtliche Follikelanlagen mit den 
darin gebildeten Eiern werden auf die 
Welt gebracht; wohl wächst noch nach 


* Korrespondenz!)!, f. Schweizer Aerzte 
1914. 


der Geburt der Eierstock, doch nimmt 
nur das Stroma zu und drängt die Fol¬ 
likelanlagen auseinander. Mit der Pu¬ 
bertät beginnt die Ovulation. Von Zeit 
zu Zeit reift ein Follikel und stösst das 
in ihm enthaltene Ei aus. Während der 
Reifung vermehrt sich das Follikelepi¬ 
thel, legt sich in zwei- bis dreifacher 
Schichte an die bindegewebige Follikel- 


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wand, wuchert an einer Stelle der Wand 
zu einem grösseren, das Ei in seine Mit¬ 
te nehmenden Zellhaufen. Im Innern 
des Follikels bildet sich der Liquor folli¬ 
culi. Durch Yergrösserung des Folli¬ 
kels, durch Zunahme des Liquor folli¬ 
culi wölbt sich der Follikel aus dem 
Stroma heraus, platzt und tritt dessen 
Inhalt, gewuchertes Follikelepithel und 
Ei, heraus. Aus dem geplatzten Follikel 
bildet sich das Corpus luteum, das heute 
als drüsiges Organ mit wichtiger inne¬ 
rer Sekretion aufgefasst wird. Man 
schreibt ihm die Auslösung der menstru¬ 
ellen Blutung zu. Ausserdem soll es 
auch im Falle der vollzogenen Befruch¬ 
tung für die Ansiedelung und das feste 
Einnisten des befruchteten Eies in der 
Uterusscheimhaut wichtig sein. Vom 
dritten Monate der Schwangerschaft 
schrumpft das Corpus luteum und er¬ 
lischt dessen Funktion; dann entwickelt 
sich die interstitielle Eierstockdrüse, die 
nach Kollaps von Follikeln aus dem zu¬ 
rückgelassenen Epithel hervorgeht,** 
und die Funktion des Corpus luteum 
übernimmt. Corpus luteum sowohl als 
die Drüse haben eine entgiftende Wir¬ 
kung gegenüber den aus den Chorion- 
epithelien in die Mutter eindringenden 
Giften. Bei übermässiger Wucherung 
der letzteren geraten auch die Zellen der 
interstitiellen Drüse in Wucherung. 
Französische Autoren fanden bei Hype- 
remesis gravidarum mangelhaft ent¬ 
wickelte Corpora lutea mit Entartung 
und Schwund der Luteinzellen und wol¬ 
len durch Verabreichung von Luteintab¬ 
letten bei Hyperemesis gravidarum die 
besten Erfolge erzielt haben. 

Die Uterusschleimhaut besitzt keine 
Submukosa, sondern sitzt der Uterus¬ 
wand so fest an, dass eine Ablösung von 
derselben nicht möglich ist. Schlauch¬ 
förmige Drüsen durchziehen sie in ihrer 


ganzen Dicke und greifen mit ihren oft 
verzweigten Enden zwischen die Mus¬ 
kelbündel der Uteruswand, wodurch die 
Verbindung von Schleimhaut und Mus¬ 
kularis gefestigt wird. Die Uterus¬ 
schleimhaut befindet sich in stetigem, 
zyklischem Wandel. Im Beginne des 
Zyklus ist die Schleimhaut 1 bis 2 mm 
dick, die Oberfläche glatt, die Drüsen 
schlank. Nach zehn Tagen beginnen 
Wucherungsvorgänge; die Schleimhaut 
nimmt an Dicke bis zu 7 mm zu, bedingt 
durch Zunahme der einzelnen Elemente 
und durch reichliche Durchtränkung 
des Zwischengewebes mit Blutplasma. 
Dabei wachsen in den tieferen Lagen be¬ 
sonders auffällig die Drüsenschläuche. 
Insbesondere wuchern deren Epithelien 
so enorm, dass die Drüsenwanderungen, 
um Platz für sie zu haben, sich in Fal¬ 
ten legen und einen stark gewundenen 
Verlauf annehmen müssen. Sie rücken 
viel näher aneinander heran, verdrängen 
das Zwischengewebe so, dass auf einem 
Durchschnitt fast nur erweiterte Drü¬ 
senlumina getroffen werden, sodass der¬ 
selbe wie der Durchschnitt eines 
Schwammes erscheint, und der Name 
Spongiosa für die tiefere Schicht seine 
Berechtigung findet. In den oberen 
Schichten dagegen ist das Zwischenge¬ 
webe mächtig, sind die Drüsenschläuche 
auseinandergedrängt und spärlicher, so¬ 
dass diese Schicht mit Recht den Namen 
Kompakta führt. In diesem geschwell¬ 
ten blut- und saftreichen Zustand ist die 
Schleimhaut sehr geeignet für die Auf¬ 
nahme eines Eies. Bleibt die Befruch¬ 
tung aus, so erscheinen in der subepithe¬ 
lialen Zone konfluierende Blutaustritte, 
die stellenweise das Epithel durchbre¬ 
chen und in die Uterushöhle treten. Die 
Frau menstruiert. Dieser Aderlass führt 
zu Abschwellung der ganzen Schleim¬ 
haut, die Blutfülle und der Saftreichtum 
des Gewebes schwindet, die Drüsen 
strecken sich wieder. Die Epitheldefekte 
der Schleimhaut regenerieren sich rasch, 
am Schlüsse der Menstruation ist sie 
völlig hergestellt. Nach Robert Schrö¬ 
der verhält sich die Sache so, dass sich 


** Ein Eierstock hat eine Anzahl Follikel. 
Während der ganzen Geschlichtstätigkeit 
des Weibes können höchstens 400 ausrei¬ 
fen, Nach Zerfall des Follikels bleibt Epi¬ 
thel zurück, dessen Wucherung die er¬ 
wähnte interstitielle Fierstocksdrüse bildet. 


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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


in der Menstruation die Schleimhaut in 
der Spongiosa loslöst, und sich bei einer 
jeden Menstruation ebenso wie nach ei¬ 
ner Geburt eine Dezidua losstösst, dass 
aber schon am fünften und sechsten Ta¬ 
ge die ganze Schleimhaut regeneriert ist 
und ein neuer Zyklus beginnt. 

Die Implantation eines Eichens hält 
die Menstruation hintan und bewirkt 
Weiterentwicklung der prämenstruellen 
Veränderungen. 

Die Vorgänge bei der Befruchtung 
sind folgendermaßen zurechtzulegen: 
Die Sperma fäden gelangen durch den 
Uterus in die Tuben, wo ihre Wande¬ 
rung in der Ampulla tubal ihr vorläufi¬ 
ges Ziel findet. Das reife Ei wird durch 
einen Flimmerstrom in die Ampulle ge¬ 
leitet ; hier findet die Imprägnation statt. 
Das befruchtete Eichen wird dann durch 
Flimmerbewegung aus der Tube in den 
Uterus geführt. Die Dauer dieser Reise 
ist auf etwa acht bis zehn Tage anzu¬ 
setzen. Noch auf dem Wege zum Ute¬ 
rus beginnt das Ei seine erste Entwick¬ 
lung durchzumachen. Es verliert die 
Granulosazellen, die es aus dem Cumu¬ 
lus proligerus des G r a a f’schen Folli¬ 
kels mitgenommen hat, macht seine Fur¬ 
chung durch und gelangt als Keimblase 
in den Uterus, noch in die Zona pellu- 
cida eingehüllt, doch ist letztere stark 
gedehnt und verdünnt, bereit, das ein¬ 
bettungsfähige Ei freizugeben, denn 
schon ist das Bildungsmaterial für das¬ 
selbe erschöpft und die Gewebsverbin- 
dung mit der Mutter notwendig, wenn 
das Ei nicht zugrunde gehen soll. Wird 
dieser Einbettungsfähigkeits - Zustand 
schon in der Tube erreicht, so kommt es 
zu Tubarschwangerschaft; wird es auch 
erst nach längerer Wanderung, etwa bis 
zum Os internum uteri, einbettungsfä¬ 
hig, so kommt es zu Placenta praevia. 
Es kann den Uterus auch verlassen, be¬ 
vor es einbettungsfähig geworden ist 
und dann ausserhalb desselben zugrunde 
gehen. Auch von dem Orte der Be¬ 
fruchtung hängt viel ab; so wird es, falls 
diese schon am Eierstock stattfindet, bei 
langsamer Flimmerbewegung leicht zur 


Nidation des Eies in der Tube kommen. 
Die Einbettung besteht darin, dass ge- 
fässhaltige Fortsätze des Eies mit der 
mütterlichen Schleimhaut der Gebärmut¬ 
ter in Verbindung treten. 

Die Einbettung kann Aneinanderlage¬ 
rung oder Durchwachsung sein. Im er- 
steren Falle lässt sich das Ei so ablösen, 
dass die Schleimhaut unversehrt bleibt; 
es kommt nicht zur Bildung einer Dezi¬ 
dua, so bei den Einhufern, Wiederkäu¬ 
ern. Im anderen Fall ist eine Trennung 
nur auf Kosten von mütterlichem Gewe¬ 
be möglich, es fällt ein Teil der mütter¬ 
lichen Schleimhaut (Dezidua) ab, so bei 
den Raubtieren, Nagern, Primaten, auch 
beim Menschen. Das Ei kann sich mit¬ 
ten in der Uterushöhle niederlassen, zen¬ 
trale Einbettung (Raubtiere) ; es kann 
in eine Schleimhautfurche schlüpfen, die 
sich nachträglich vom übrigen Uterus- 
kavum abschnürt, exzentrische Einbet¬ 
tung (Igel) ; es kann sich unter Ein¬ 
schmelzung des Gewebes eine Grube 
graben, die nachträglich gegen die Ute¬ 
rushöhle abgeschlossen wird, interstitiel¬ 
le Einbettung, wie' sie beim Menschen 
statthat. Dabei müssen mütterlicher und 
kindlicher Blutkreislauf streng vonein¬ 
ander geschieden bleiben, es darf sich 
nirgends mütterliches und kindliches 
Blut vermengen. Bei den Adeziduaten 
legen sich entweder die Fortsätze des 
Chorion an das unversehrte Epithel der 
Uterusschleimhaut an, chorio-epitheale 
Verbindung, oder durchdringen Cho¬ 
rionfortsätze das Epithel in nur geringer 
Tiefe, chorio-syndesmoidale Verbindung. 
Bei den Deziduaten dringen die Fort¬ 
sätze entweder bis an die Blutgefässe, 
ohne das Endothel zu durchdringen, 
chorio-endotheliale Verbindung (Raub¬ 
tiere) oder sie dringen, wie beim Men¬ 
schen, in das Innere der Blutgefässe hin¬ 
ein und werden direkt vom mütterlichen 
Blut umspült, chorio-hämale Verbin¬ 
dung. 

Beim Menschen geschieht nach Pe¬ 
te r s die Einbettung so, dass das Eichen 
auf freiem Felde zwischen den Drüsen¬ 
mündungen liegt. Es hat sich bereits zu 


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149 


einer Keimblase von 0.3 bis 0.5 mm ent¬ 
wickelt. Die Zellen, an die es sich ange¬ 
lagert hat, werden von ihm unheimlich 
rasch eingeschmolzen, anfangs das Epi¬ 
thel, dann auch das subepitheliale Gewe¬ 
be, sodass es sich immer tiefer eingräbt, 
um endlich ganz unter der Oberfläche zu 
versinken. Das eingeschmolzene Mate¬ 
rial bildet die Nahrung des Eies. Bald 
kommt es zu zottenförmigen Wucherun¬ 
gen an der Oberfläche der Blase, die auf 
die erweiterten Kapillaren des subepi¬ 
thelialen Gefässnetzes stossen und das¬ 
selbe anzapfen. Diese mit solch aggres¬ 
siver Kraft ausgestatteten Oberflächen¬ 
zellen des Eies sind die Epithelzellen des 
Chorion. Diese sind in zwei Lagen an¬ 
geordnet, der tieferen Langhans’schen 
Zellenschicht, die aus niedrigen, regel¬ 
mässig nebeneinander liegenden Zylin¬ 
derzellen besteht, und dem Synzitium 
oder der Deckschicht, in der keine Zell¬ 
grenzen wahrnehmbar sind; es besteht 
aus Protoplasma, in dem Zellkerne ein¬ 
zeln oder in Haufen gruppiert einge¬ 
streut sind. Sobald das Ei mit der 
Schleimhaut der Mutter in innigen Kon¬ 
takt kommt, geraten beide Zellschichten 
in starke Wucherung. Die Gesamtheit 
der Wucherung des Chorion fasst man 
als Trophoblast zusammen. 

Bei weiterer Vergröserung wächst das 
Ei aus der Mukosa heraus in die Uterus¬ 


höhle hinein, sodass ein immer kleinerer 
Teil desselben in der Uterus wand steckt. 
An diesem bildet sich die Plazenta; der 
in den Uterus hineinwachsende Umfang 
wird von der Reflexa bedeckt. Die zot¬ 
tenförmigen Fortsätze des Chorionepi¬ 
thels breiten sich fächerartig aus; ihre 
Enden vereinigen sich, sodass unterein¬ 
ander kommunizierende Räume entste¬ 
hen, in welche das in den angebohrten 
mütterlichen Gefässen fliessende Blut 
hineindringt. Dies sind die zwischen 
den Chorionzotten gelegenen intervillö- 
sen Räume. Anfangs sind die Zotten 
nur aus Epithel aufgebaut, erst später 
wuchert der Mesoblast in sie hinein und 
bringt ihnen das bindegewebige Gerüste. 
Die Chorionepithelzellen wuchern ins 
mütterliche Gewebe, viele von ihnen 
werden durch Venen in den Körper ge¬ 
führt, man spricht dann von einer chori- 
alen Invasion. Gegen diese wehrt sich 
das mütterliche Blut, indem es ein Anti¬ 
ferment bildet. Den Nachweis des Fer¬ 
mentes benutzt Abderhalden für 
die Diagnose der Schwangerschaft. 
Wichtig ist, dass diese Reaktion auch 
bei Extrauterinschwangerschaft in fri¬ 
schen Fällen verlässliche Resultate gibt. 
Einwucherung der Chorionepithelien ins 
mütterliche Gewebe führt zu Chorion¬ 
epitheliom, hydropische Quellung der¬ 
selben zu Blasenmole. 


Arzneireklame—Antiautotox. 

Referiert von D r. v. O e f e 1 e. 


In der Oktober- und November-Num¬ 
mer 1914 von The Medical Council 
(Philadelphia, Pa.) erschien ein Artikel 
von Dr. Eugen G. Kessler mit dem 
Titel „Obscure Differences Underlying 
the Effects of Sulphates.“ Dieser Arti¬ 
kel enthält vier kurze, aber sehr wert¬ 
volle Krankengeschichten, die im ge¬ 
samten Rahmen des Artikels nicht ge¬ 
nügend zur Geltung kommen. Ich habe 
diese veröffentlichten Krankengeschich¬ 


ten durch persönliches Entgegenkom¬ 
men K e s s 1 e r’s ergänzt erhalten. Dar¬ 
aus ist zu ersehen, dass Kessler Anti¬ 
autotox sehr oft mit sehr gutem Erfolge 
verwendet hat und dass er für die vier 
Hauptrichtungen der Verwertbarkeit 
des Antiautotox nur jene Kranken¬ 
geschichten als Belege ausgewählt hat, 
ohne auf weiteres Material näher einzu¬ 
gehen. 

Die Ergebnisse können auch in dieser 


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Weise dargestellt werden, dass Anti- 
autotox nicht in erster Linie ein Ent- 
leerungsmittel für den Darm ist, son¬ 
dern dass es auch auf schädliche Stoffe 
einwirkt, die im Säftestrom des Organis¬ 
mus kreisen. Eine feststehende Dosie¬ 
rung des Präparates für alle Formen 
von Autointoxikationen würde darnach 
falsch sein. Im ersten Falle K e s s 1 e r’s 
mussten grosse Einzeldosen nur für kür¬ 
zeste Zeit gereicht werden, was Ent¬ 
giftung mit gleichzeitigem Abführen 
verursachte, aber als zwei scharf trenn¬ 
bare Wirkungen erscheinen lässt. Im 
zweiten Falle kamen sehr niedrige Ein¬ 
zeldosen für langen Zeitraum in Be¬ 
tracht. Im dritten Falle wurde wie im 
ersten Falle nach einem alten Ausdruck 
umstimmend mit hoher Dosierung be¬ 
gonnen und dann wie im zweiten Falle 
die Behandlung mit niedriger Dosierung 
aufgenommen. Im vierten Falle han¬ 
delte es sich um mehrfache wiederholte 
Behandlung gleich dem ersten Falle, 
aber zwischen den einzelnen Wieder¬ 
holungen lagen grössere arzneifreie In- 
• tervalle. 

In allen vier Fällen handelte es sich 


aber um eine Einwirkung auf die chemi¬ 
sche Zusammensetzung des Säftebestan¬ 
des des Organismus, der sich natürlich 
auch wieder weiter in der chemischen 
Zusammensetzung der Körperausschei¬ 
dungen geltend macht. In diesem Sinne 
wäre es längst Pflicht der Verfertiger 
von Antiautotox gewesen, der ärztlichen 
Profession Belege für die Wirkungen 
von Antiautotox vorzulegen. In Erman¬ 
gelung solcher Belege legt Verfasser 
ein entsprechendes Analysenpaar vor. 
Die erste Probe wurde im diagnosti¬ 
schen Interesse des l’atienten unmittel¬ 
bar vor der Antiautotox-Behandlung ge¬ 
sammelt ; die zweite 24 Stunden später, 
nachdem die initiale Wirkung des Anti¬ 
autotox als Abführmittel schon viele 
Stunden vorüber war. Die erste Analyse 
ist mir mit gewöhnlichem Preise bezahlt, 
die zweite machte ich freiwillig unter 
persönlicher Uebernahme der entstande¬ 
nen Kosten. Das Entgegenkommen war 
sogar so gering, dass selbst bei Samm¬ 
lung der Proben einige kleine Anweise 
nicht eingehalten und die Vornahme der 
Untersuchung damit unnötigerweise er¬ 
schwert wurde. 


Urinprobe . 

Durchsichtigkeit . 

Farbe . 

Spezifisches Gewicht. 

Lakmusreaktion. 

Indikan .. 

Aminosäuren . 

Verschiedene Eiweissstoffe, Zucker 
und verschiedene andere pathologi¬ 
sche Bestandteile. 

Azidität entsprechend. 

Gewogene Trockensubstanz . 

Harnstoff .. 

Bei 4° Celsius ausfallende Harnsäure 
Bei 4° Celsius gelöste Harnsäure. .. . 

Gesamte Harnsäure . 

Ammoniak . 

Asche . 

Gesamtchlor . 

Phosphorsäure. 

Schwefelsäure . 


Vor Antiautotox . 
undurchsichtig 
ziegelrot 
1025 

deutlich sauer 
stark vermehrt 


Nach Antiautotox. 
schwach getrübt 
orange 
1024 

sehr sauer 
ungefähr normal 


reichlich vorhanden sehr schwach vorhanden 


abwesend 
82 ccn/lONaOH 
6 . 10 % 

3.36% 

0.084% 

0.014%; 

0.098% 

0.265% 

0.74% 

0.525% 

0.385% 

0.365% 


abwesend 

86 cc n/10 NaOH 
4.95% 

3. 13% 
0.014% 
0.016% 
0.030% 
0.187% 
1.39% 
0.440% 
0.495 % 
0.260% 


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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


151 


Zu diesen Befunden ist zu bemerken, 
dass nach Darreichungen von Sulfaten 
überhaupt sehr rasch eine Steigerung 
des Sulfatgehaltes des Urins beginnt 
und in der Folge wieder abklingt. In 
dem hier nach Antiautotox gesammelten 
Urin zeigt ein Vergleich, dass die Hoch¬ 
flut der Sulfate schon vorüber war und 
das Abklingen derselben den Tiefstand 
erreicht hatte. Diese Feststellung ist 
für die Beurteilung der beiden Zahlen¬ 
reihen wesentlich. Bei Vergleich der 
Zahlen des spezifischen Gewichtes und 
der Trockensubstanz ergibt sich, dass 
die gelösten Stoffe des ersten Urins 
durchschnittlich spezifisch leichter als 
diejenigen des zweiten Urins waren. 
Nach Abzug von Harnstoff und Asche 
ergibt der erste Urin noch 2.00 Prozent, 
der zweite nur 0.43 Prozent Reststoffe, 
welche dieses niedrige spezifische Ge¬ 
wicht bedingen und welche nach franzö¬ 
sischen Forschungen die giftigen Eigen¬ 
schaften von Urinen verursachen. Wir 
sehen auch, dass die Summe von Chlor, 
Phosphorsäure und Schwefelsäure im 
zweiten Urin weniger als die Gesamt¬ 
asche, im ersten Urin aber mehr als die 
Gesamtasche beträgt. Im ersten Urin 
muss darum ein grosser Teil dieser an¬ 
organischen Säuren sich in Bindung mit 
Stoffen der 2 Prozent Reststoffe befun¬ 
den haben und beim Veraschen flüchtig 


geworden sein. Denn zu allem Ueber- 
flusse zeigt auch die nahezu gleichge¬ 
bliebene hohe Azidität, dass es sich nicht 
lim einseitige Erhöhung der Säuren in 
anorganischen Verbindungen gehandelt 
haben kann. . 

Die ständige Neubildung autotoxischer 
Stoffe, wie sie sich im gleichzeitigen Ab¬ 
fluss durch den Urin ausdrückt, ist also 
hier innerhalb der anfänglichen Höhe 
herabgesetzt worden. Andere günstige 
Einflüsse wie auf Harnsäure und Am¬ 
moniak kann der Leser selbst ersehen. 
Wenn auch die Darreichung aller Sul¬ 
fate günstige Wirkungen in diesen Rich¬ 
tungen ergibt, so ist der hohe Grad die¬ 
ser Wirkung in der vorliegenden Beob¬ 
achtung doch aussergewöhnlich. Eine 
systematische Erforschung in wissen¬ 
schaftlichen Bahnen könnte dem Anti¬ 
autotox sicherlich nur förderlich sein. 
Aber die Fabrikanten müssten nach al¬ 
tem deutschen Brauch selbst die Hand 
zum Werk anlegen und sich nicht ame¬ 
rikanisieren zum Grundsatz: „Let 
George do it.“ 

Antiautotox hätte den entgegenstehen¬ 
den passiven Widerstand schon längst 
überwinden können, denn nach chemi¬ 
schen und osmotischen Grundsätzen der 
menschlichen Physiologie ist die Rezept¬ 
formel gut und sinnreich aufgebaut. 


Redaktionelles. 

Kriegsbetrachtungen. 


Amerikanische und kafiadische medizini¬ 
sche Journale und der Krieg . — Deut¬ 
sche Denkschrift über die Verletzung 
der Genfer Konvention. — Aufruf zur 
Versorgung britischer Soldaten mit 
zvarmen Kleidungsstücken . 


In der ersten unserer „Kriegsbetrach- 
tungen“ (s. August-Nummer d. J.) ha¬ 
ben wir die Ansicht ausgesprochen, dass 
es nicht Aufgabe einer medizinischen 
Zeitschrift sein könne, Betrachtungen 


darüber anzustellen, welche Nation den 
Ausbruch des Krieges verschuldet hat. 
Dr. Taylor, der Redakteur der in 
Philadelphia erscheinenden Medical 
World scheint anderer Meinung zu sein. 
Derselbe veröffentlicht nämlich in der 
Oktober-Nummer der Medical World 
einen Leitartikel: „What was the Cause 
of the War“, einmal weil er diese Frage 
für die zur Zeit wichtigste ansieht, die 
nur von sehr Wenigen genau beantwor¬ 
tet werden kann, während Dr. Taylor 


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152 


New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


sich für kompetent erklärt, dies zu tun, 
andererseits weil gerade die Aerzte ein 
ganz besonderes Interesse haben an al¬ 
lem, was mit Leben und Tod zusammen¬ 
hängt. Wenn wir auch selbstverständ¬ 
lich den letzten Punkt zugeben müssen, 
soweit es in der Möglichkeit des ärztli¬ 
chen Handelns liegt, das Leben zu erhal¬ 
ten und den Tod abzuwenden, so können 
wir doch nicht einsehen, wie dadurch 
den Aerzten eine besondere Berechti¬ 
gung und Befähigung verliehen werden 
könnte, ein Urteil über die wahre Ur¬ 
sache des Krieges abzugeben. Von die¬ 
sem Standpunkte ausgehend, wären die 
Leichenbestatter zum mindesten gerade¬ 
so, wenn nicht mehr berechtigt, über die 
Ursache des Krieges zu debattieren. 
Warum nun hält Dr. Taylor sich für 
besonders befähigt und auserlesen, die 
von Vielen umstrittene Frage, wer den 
Krieg verursacht hat, zu beantworten? 
Weil er „alle offiziellen Dokumente und 
Depeschen der britischen Regierung in 
dieser Angelegenheit genau untersucht 
hat, ebenso ähnliche Dokumente, wie sie 
von der deutschen Regierung veröffent¬ 
licht und kommentiert wurden.“ Ausser¬ 
dem erhielt er seine Weisheit von einem 
„intelligenten und gewissenhaften“ 
schwedischen Offizier sowie von einem 
amerikanischen Professor, der „Deutsch¬ 
land kennt und diesen Sommer daselbst 
verbracht hat.“ Sic! 

Es sei ferne von uns, Dr. Taylor 
die Berechtigung abstreiten zu wollen, in 
seinem Journal die Ursachen des gegen¬ 
wärtigen Krieges zu besprechen, wenn 
wir auch die angegebenen Gründe für 
seinen Befähigungsnachweis in dieser 
Beziehung nicht anerkennen können und 
für lächerlich halten, allein wir möchten 
ganz energisch Protest einlegen gegen 
die Beschimpfungen der deutschen Na¬ 
tion, die er damit verknüpft. Nach Dr. 
Taylor haben die Deutschen, die „ver¬ 
rückt“ geworden sind, den Krieg verur¬ 
sacht. Dr. Taylor liebt Deutschland, 
allein er hasst die Arroganz und den 
Militarismus der deutschen Regierung, 
die um des europäischen Friedens willen 
vernichtet werden muss usw. Es ver¬ 
lohnt sich nicht, näher auf die Ausfüh¬ 
rungen von Dr. Taylor einzugehen, 
da dieselben der Hauptsache nach aus 
den genügend bekannten Gemeinplätzen 


besteht, wie dieselben tagtäglich in der 
anglophilen Tagespresse erscheinen. 
Wir möchten nur noch zwei Punkte er¬ 
wähnen, die auf das Urteilsvermögen 
Dr. Taylor’s und seine Befähigung 
bei derlei Dingen mitzureden, ein eigen¬ 
tümliches Licht werfen. Er teilt näm¬ 
lich mit, dass in diesem Kriege schätz¬ 
ungsweise täglich ungefähr 50,000 Per¬ 
sonen das Leben verlieren. Das würde 
für einen einzigen Monat die stattliche 
Summe von einer und.einer halben Mil¬ 
lion ergeben, sodass wir daraus den 
Trost schöpfen dürfen, dass der Krieg 
nicht mehr sehr lange dauern kann. Das 
andere ist, dass Dr. Taylor Napoleon 
als einen der „stupidsten und verrückte¬ 
sten Charaktere der Geschichte“ bezeich¬ 
net. 

Im Gegensatz zu dem Obigen soll die 
Haltung, die der Pacific Pharmacist in 
dieser Sache einnimmt, lobend hervorge¬ 
hoben werden. Wenn derselbe jedoch in 
seiner Oktober-Nummer schreibt: „Mit 
Freuden bemerken wir, dass die ameri¬ 
kanische pharmazeutische und medizini¬ 
sche Presse die Instruktion unseres Prä¬ 
sidenten bezüglich strikter Neutralität 
in Wort und Tat .befolgt“, so zeigen 
die Auslassungen der Medical World, 
dass dieses Vertrauen nicht durchwegs 
gerechtfertigt ist. Dass wir von kanadi¬ 
schen Journalen nichts Besseres erwar¬ 
ten durften, ist selbstverständlich. Als 
Probe sei in i\achstehendem ein Teil 
eines Leitartikels aus dem Canadian 
Pharmaceutical Journal wiedergegeben, 
wie derselbe im Pacific Pharmacist zi¬ 
tiert ist. Das kanadische Blatt schreibt 
u. a. folgendes: 

„Zu diesem Krieg kam noch hinzu das 
kaltblütige, vorsätzliche Morden und 
Schlachten unschuldiger Kinder, wehr¬ 
loser Mütter, schwächlicher Greise und 
—Morden der „Engel auf dem Schlacht¬ 
felde“, der Schwestern vom Roten 
Kreuz, die an der Seite der Verwunde¬ 
ten niedergeschossen wurden. Da gibt 
es kein Verbrechen, das zu scheusslich 
ist, keine Tat zu gemein, für die gothi- 
schen Horden, die Europa überfluten auf 
den Befehl eines selbstsüchtigen Frömm¬ 
lers, der in sakrilegischer Weise den Se¬ 
gen des Allmächtigen auf sein höllisches 
Werk herabfleht. Während Hekatom¬ 
ben aufgetürmt werden, verhungern 


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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


153 


ganze Völker, kommt die Herstellung 
der nötigsten Bedarfsartikel zum 'Still¬ 
stand, weil die Mittel zur Herstellung 
vernichtet werden, und das ganze Ge¬ 
bäude kommerzieller Unternehmungen 
fällt zusammen wie ein Kartenhaus. Für 
Deutschland, den Angreifer, bedeutet 
dies eine Katastrophe, die in ihrer Aus¬ 
dehnung noch nicht übersehen werden 
kann. Fünfzig Jahre geduldigen Auf¬ 
baus eines wundervollen Schiffs- und 
Handelssystems werden an einem einzi¬ 
gen Tage ausgelöscht und seine prahle¬ 
rische Flotte wird ein Gegenstand des 
Spottes und Hohnes für die ganze 
Welt“. 

Für ein pharmazeutisches Journal eine 
ganz ansehnliche Leistung! Mittlerwei¬ 
len ist vielleicht auch dem Redakteur des 
Canadian Pharmaceutical Journal zum 
Bewusstsein gekommen, dass die ganze 
Welt nicht über die deutsche, wohl aber 
über die englische Flotte spottet und 
lacht. Als Antwort auf die gemeine 
Beschuldigung der Bestialitäten, die sich 
angeblich die „gothischen Horden“ ha¬ 
ben zu schulden kommen lassen, geben 
wir mit Nachstehendem die deutsche 
Denkschrift über Frankreichs Verletz¬ 
ung der Genfer Konvention wieder, wie 
sie im amtlichen Teil des Reichsanzei¬ 
gers veröffentlicht wurde: 

Die kaiserliche Regierung Hess nach¬ 
stehende Denkschrift über die Verletz¬ 
ung der Genfer Konvention vom 6. Juli 
1906 durch die französischen Truppen 
und Freischärler, worin gegen deren 
völkerrechtswidriges Verhalten scharfer 
Protest erhoben wird, der französischen 
Regierung sowie den Regierungen der 
neutralen Mächte zugehen: 

In dem gegenwärtigen Kriege haben 
die französischen Truppen und Frei¬ 
schärler die zur Verbesserung des 
Loses der Verwundeten und Kranken 
bei den im Felde stehenden Heeren ge¬ 
troffenen Bestimmungen der Genfer 
Konvention vom 6. Juli 1906, die von 
Frankreich und Deutschland ratifiziert 
worden sind, in flagranter Weise ver¬ 
letzt. Aus der grossen Zahl bekannt ge¬ 
wordener Fälle werden in den Anlagen 
diejenigen aufgeführt, die bereits durch 
gerichtliche Vernehmungen oder dienst¬ 
liche Meldungen einwandfrei festgestellt 
wurden. An der Spitze der Genfer Kon¬ 


vention steht einer der ersten Grund¬ 
sätze des Kriegsrechts, dass nämlich die 
Verwundeten und Kranken des feindli¬ 
chen Heeres ebenso wie die Verwunde¬ 
ten und Kranken des eigenen Heeres 
versorgt werden sollen. (Art. 1 Abs. 1.) 
Diesem Grundsatz haben die französi¬ 
schen Truppen und Freischärler in’s Ge¬ 
sicht geschlagen; indem sie deutsche 
Verwundete, die in ihre Hände fielen, 
nicht nur roh behandelt, sondern auch 
beraubt, ja sogar teilweise in bestiali¬ 
scher Weise verstümmelt und ermordet 
haben (Anlage 1 bis 8). Für die beweg¬ 
lichen Sanitätsformationen sehen Artikel 
6 und 14 der Genfer Gonvention den be¬ 
sonderen Schutz vor. Diesen Bestim¬ 
mungen zuwider haben französische 
Truppen deutsche Automobile mit Ver¬ 
wundeten angegriffen (Anlage 6) und 
Sanitätswagen beschossen (Anlage 11 
und 14), obwohl das rote Kreuz deutlich 
erkennbar war. Auch wurden deutsche 
Lazarette überfallen und ihres Personals 
und Ausrüstung beraubt (Anlage 7). 
In völkerrechtswidriger Weise vergin¬ 
gen sich ferner französische Truppen ge¬ 
gen Artikel 9 der Genfer Konvention, 
der das Sanitätspersonal der kriegsfüh¬ 
renden Heere schützen, ja sogar neutral 
behandelt wissen will. Wie sich aus den 
Anlagen ergibt, wurde der Führer einer 
Sanitätskolonne von einem französischen 
Truppenführer verhaftet und wegge¬ 
schleppt (Anlage 9) ; ein Arzt, der ei¬ 
nem Verwundeten helfen wollte, wurde 
von französischen Truppen erschossen 
(Anlage 10). Auch wurden Aerzte und 
Begleitmanschaften eines Sanitätswa¬ 
gens unter Feuer genommen (Anlage 
11), sowie Krankenträger bei der Ber¬ 
gung von Verwundeten durch französi¬ 
sche Truppen und Freischärlern ange¬ 
griffen, verwundet oder getötet (Anlage 
12 und 14) oder zu Kriegsgefangenen 
gemacht (Anlage 15). Ebenso wurde 
ein deutscher Feldgeistlicher von franzö¬ 
sischen Truppen gefangen und wie ein 
gemeiner Verbrecher behandelt (Anlage 
8). Die kaiserliche Regierung bringt 
mit Entrüstung diese dem Völkerrecht 
und der Menschlichkeit hohnsprechende 
Behandlung deutscher Verwundeter, 
deutscher Sanitätsformationen und des 
deutschen Sanitätspersonals zur öffent¬ 
lichen Kenntnis, und legt hiermit feier¬ 


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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


lieh Verwahrung gegen die unerhörten 
Verletzungen der von allen Kulturstaa¬ 
ten geschlossenen Weltverträge ein. 

Berlin, den 10. Oktober 1914. 

Anlage 1. Grenadier Haenseler der 
2. Kompagnie, 3. Bat. der Garde-Ersatz¬ 
brigade sagt über die Vorgänge am 5. 
September 1914 an der Eisenbahnbrücke 
über die Meurthe nördlich Rehainviller 
aus: Die Franzosen traten die liegen¬ 
gebliebenen Leute unseres Zuges mit 
Füssen, und als diese Lebenszeichen 
durch Schreien oder Stöhnen gaben, 
hörte ich Schüsse. Auch ich erhielt ei¬ 
nen Fusstritt, verhielt mich aber ruhig. 
Bei eintretender Dunkelheit sah ich mich 
nach meinen verwundeten Kameraden 
um und stellte fest, dass sie nach ihrer 
Lage tot sein mussten, während sie am 
Morgen nur leicht verwundet w^ren. 

Anlage 2. Franz Hevissen von der 4. 
Eskadron des Jäger-Regiments zu Pfer¬ 
de Nr. 7 sah am 7. September südwest¬ 
lich Arlons auf belgischem Gebiet aus 
einem Versteck, wie Franzosen in der 
hellen Nacht auf dem Gefechtsfelde um¬ 
hergingen und deutsche verwundete 
Jäger mit Lanzen erstachen. 

Anlage 3. Musketier Theodor Muedel 
der 9. Kompagnie Inf. Reg. Nr. 138 
wurde am 25. August bei Luneville ver¬ 
wundet. Ein Franzose, der einen Revol¬ 
ver und einen Degen trug, fragte einen 
neben Muendel liegenden Gefreiten in 
gebrochenem Deutsch, wo er verwundet 
sei. Der Gefreite antwortete am Fuss, 
darauf schoss der Franzose den Gefrei¬ 
ten mit dem Revolver durch den Kopf. 
Bei der Rückkehr des Franzosen erhielt 
Muendel selbst mit dem Bajonettkolben 
einen Schlag gegen die rechte Schläfe 
und über die linke Schulter, obwohl die 
bereits erlittene Verwundung an dem 
starken Austritt des Blutes durch die 
Uniform deutlich bemerkbar war. 

Anlage 4. Musketier Kämpen der 8. 
Kompagnie des Regiments Nr. 78 sah 
am 29. August in der Nähe von Guise 
bei St. Quentin, wie ungefähr 50 fran¬ 
zösische Soldaten unter Führung meh¬ 
rerer Offiziere im Zickzack über das 
Schlachtfeld gingen und mit dem Bajo¬ 
nett auf Verwundete einstachen. So auf 
einen Verwundeten, der 10 Schritt von 
Kämpen entfernt lag. Als er Hilfe rief. 


schoss ihn ein französischer Offizier mit 
der Pistole in den Mund. Kämpen 
selbst, der sich tot stellte, erhielt neun 
leichte Verletzungen mit dem Bajonett. 

Anlage 5 enthält den Bericht der 
Oberärzte Neuman und Grünfelder ei¬ 
nes bayerischen Pionier-Regiments über 
die Beraubung und Verstümmelung 
deutscher Soldaten des 35. Landwehr- 
Regiments bei Orchies. Die aufgefun¬ 
denen Leichname waren ihrer Schuhe 
und Strümpfe sowie sämtlicher Erken¬ 
nungszeichen beraubt. Ein Mann war 
von hinten niedergeschossen worden. Er 
lag auf dem Rücken, der Mund und die 
Nasenlöcher waren mit Sägespänen voll¬ 
gepfropft. Einem anderen war sein lin¬ 
kes Ohr glatt abgeschnitten und das Ge¬ 
sicht was blaurot, eine Folge des Er¬ 
stickungstodes. Der Mund, die Nase 
und die Augen waren mit Sägespänen 
vollgepfropft. Am Halse waren Wür¬ 
gezeichen zu erkennen. Einem anderen 
war der Goldfinger glatt am Knöchel 
abgeschnitten, in der Bauchwand sassen 
vier Schusslöcher, vom Pulverschmauch 
eingefasst, ein Zeichen, dass die Schüsse 
aus unmittelbarer Nähe abgegeben wor¬ 
den sind. Fünf andere Erschlagene 
zeigten nur Verletzungen durch eine 
stumpfe Gewalt. Einem waren die Au¬ 
gen ausgestochen. Aus den festgestell¬ 
ten Tatsachen ergab sich, dass ein 
grosser Teeil der Leute gefallen war. 

Anlage 6 betrifft den Ueberfall der 
Verwundeten-Automobile, die die Gen¬ 
fer Flagge führten. Bei Rethencourt 
wurden am 8. September Verwundete 
und ihre Führer ermordet und beraubt. 

Anlage 7 enthält Meldungen des Ar¬ 
meearztes der 2. Armee, nach denen das 
Kriegslazarett des 2. Armeekorps in 
Perronne von den Franzosen allen Per¬ 
sonals und des Materials beraubt wurde. 

In Anlage 8 berichtet der katholische 
Feldgeistliche, Redemptoristenpfarrer B. 
Brinkmann, der am 7. September nach 
dem Gefecht bei Esternav bei Trefols 
von Gendarmen abgeführt und in ein 
schmutziges Gefängnis ohne Fenster ge¬ 
bracht, sowie ohne Nahrung gelassen 
wurde. Am anderen Tage wurde er 
durch eine Kette mit einem gefesselten 
französischen Zivilverbrecher zusam¬ 
mengeschlossen und mit diesem mehrere 


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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


155 


Tage unter Hohn und Spott der Bevöl¬ 
kerung durch viele Dörfer transportiert. 
Auf der Gendarmeriestation wurden 
ihm seine Uhr, sein Geld und seine Ho¬ 
senträger, sowie seine Rote-Kreuz-Binde 
abgenommen, obwohl er Papiere besass. 
Am 11. September erfolgte seine Ver¬ 
nehmung durch das Kriegsgericht in 
Chateau-Thierry. Obgleich am anderen 
Morgen schriftlich seine Freilassung 
verfügt wurde, wurde ihm das betreffen¬ 
de Schreiben verheimlicht und er noch 
volle drei Tage auf dem Bahnhof zu¬ 
rückgehalten. Dort waren ungefähr 300 
Gefangene, fast nur Verwundete oder 
Kranke. Einrückende Franzosen unter¬ 
suchten die Kleider der Verwundeten 
und nahmen für sich, was ihnen beliebte, 
insbesondere Geld und Uhren. Die Ver¬ 
wundeten lagen Tag und Nacht auf dem 
Steinboden des offenen Schuppens bei 
Regen und Sturm. Die Wundpflege der 
Gefangenen wurde vollständig vernach¬ 
lässigt. Brinkmann erzählt noch einzel¬ 
ne Fälle empörender Rohheit in der Be¬ 
handlung der hungernden Gefangenen. 

Anlage 9 berichtet, dass am Postamt 
der Stadt Vic eine gerade gebildete Sa¬ 
nitätskolonne mit der Genfer Binde 
stand, als französische Truppen die 
Stadt besetzten. Der Major wollte die 
Sanitätskolonne als Befreite begrüssen, 
was der Gerichtsassessor Eyles als deren 
Führer scharf ablehnte. Eyles wurde 
verhaftet und später von den Franzosen 
mitgenommen*. 

Nach Anlage 10 wurde der Oberarzt 
Dr. Stahmer beim Ulanen-Regiment Nr. 
19 bei Villers la Montagne von franzö¬ 
sischen Schützen aus nächster Entfer¬ 
nung erschossen, obwohl sie die Rote- 
Kreuz-Binde unbedingt sehen mussten. 

Nach Anlage 11 erhielt am 19. August 
bei Guenzbach ein mit einer grossen 
Rote-Kreuz-Flagge versehener Sanitäts¬ 
wagen des zweiten Bataillons des Land- 
wehr-Infanterie-Regiments Nr. 123 bei 
der Abfahrt Schnellfeuer, obwohl das 
Rote Kreuz bei dem klaren Wetter weit¬ 
hin kenntlich sein musste und der Feind 
• in etwa 400 Meter Entfernung lag. 

In Anlage 12 berichtet die 6. Infan¬ 
terie-Division an das Generalkommando 
des 3. bayerischen Armeekorps, dass am 
26. August bei Maixe die Krankenträ¬ 


ger-Patrouillen der Sanitätskompagnie 
bei dem Absuchen des Gefechtsfeldes 
nach Verwundeten von französischer In¬ 
fanterie ohne Rücksicht auf das Rote 
Kreuz beschossen wurden. 

In Anlage 13 berichtet der Etappen¬ 
delegierte Graf Reichenbach aus Valen- 
ciennes, dass in der sonst sicheren Ge¬ 
gend nlit der Krankentransportabteilung 
auch 13 Mann Freiwilliger der Kran¬ 
kenpflege beim Heranschaffen von Ver¬ 
wundeten trotz des deutlichen Rote- 
Kreuz-Abzeichens durch die Bevölke¬ 
rung überfallen wurden. Sech^ wurden 
getötet und einer ist verletzt worden. 

Nach Anlage 14 wurden am 22. Sep¬ 
tember die Krankenträger und Kranken¬ 
wagen der 2. Sanitätskompagnie der 10. 
Infanterie-Division bei St. Remy von 
Franzosen auf 50 Meter unter heftiges 
Feuer genommen. Einige Franzosen 
liefen direkt auf die Krankenwagen zu 
und erschossen in einem derselben drei 
bereits eingelieferte Verwundete, den 
Wagengefreiten, den Fahrer und die 
beiden Pferde. Die Kompagnie hatte 
8 Todte und 9 Schwerverletzte. 

Nach Anlage 15 wurden fünf Kran¬ 
kenträger, die in Baccarat zur Pflege der 
deutschen und französischen Militärbe¬ 
hörden zurückgelassen wurden, am 14. 
September von den französischen Mili¬ 
tärbehörden nach Rambervillers ge¬ 
bracht und dort gleich Gefangenen be¬ 
handelt. Ein französischer Gendarm 
nahm ihnen die Neutralitätsbinde weg. 
Der meldende Oberarzt Dr. Starck wur¬ 
de am 18. September von Rambervillers 
nach der Schweiz geführt, die fünf 
Krankenträger jedoch trotz der Bitten 
des Arztes zurückgehalten, mit der 
Bemerkung: „Ce ne sont plus vos 
hommes.“ 

Dass der Krieg auch hierzulande son¬ 
derbare Früchte zeitigt, geht aus einem 
Aufruf hervor, der vor einigen Tagen 
in einer hiesigen Tageszeitung veröf¬ 
fentlicht wurde. Es handelt sich um 
nichts weniger als um die freiwillige 
Spende von warmen Kleidungsstücken 
für die britischen Soldaten und Matro¬ 
sen! Wer nicht die nötige Zeit zum An¬ 
fertigen dieser Bekleidungsartikel hat, 
wird gebeten, Geld für den Ankauf der 
erforderlichen Stoffe einzuschicken, die 


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156 


New Yobkek Medizinische Monatsschur. 


dann zum Verarbeiten denjenigen zu¬ 
geschickt werden, die zwar Zeit, aber 
kein Geld haben. Unterzeichnet ist der 
Aufruf von sechs mehr oder weniger be¬ 
kannten Persönlichkeiten, wobei natür¬ 
lich die „Reverends“ nicht fehlen, die 
wahrscheinlich an den Sonntagen nicht 
ermangeln, heiss für den Frieden zu be¬ 
ten. Dies ist fürwahr ein beschämendes 
und zugleich trauriges Armutszeugnis 
für Grossbritannien. In einem neutra¬ 
len Lande zu betteln für warme Klei¬ 
dung für seine Soldaten! Dabei konnte 
man in einer anderen Zeitung vom glei¬ 
chen Tagt lesen, dass in New York al¬ 
lein 37,776 Schulkinder Hunger leiden, 
nicht zu reden von den Tausenden und 
Abertausenden Erwachsenen in New 


York, denen der Hunger und die Kälte 
geradeso weh tut wie den Belgiern, für 
die zu sammeln es hier geradezu zur 
Hysterie geworden ist. In den letzten 
Tagen hat man sogar schon schüchterne 
Versuche gemacht, Sammlungen für die 
„armen Serben“ einzuleiten. 

Was den ehrenwerten New Yorker 
Arzt Dr. Frederic S. Mason an¬ 
langt, auf dessen Lügenbericht betreffs 
angeblicher deutscher Grausamkeiten 
wir in der Oktober-Nummer aufmerk¬ 
sam gemacht haben, wird uns von einem 
Kollegen mitgeteilt, dass der genannte 
Herr Anzeigeagent für die New Yorker 
Firma E. Fougera & Co., Importeure 
französischer Patentmedizinen, ist, wo¬ 
mit wohl alles erklärt ist. 


Referate und Kritiken 


Ucber Brüche des knöchernen Trom¬ 
melfellrandes. Ein Beitrag zur Un- 
* fall-Lehre. Von Prof. Dr. Hein¬ 
rich W a 1 b. Mit 18 Figuren auf 
4 Tafeln. A. Marcus & E. Webers 
Verlag. Bonn, 1914. 67 S. Preis 
Mk. 3.—. 

Die sehr interessante und besonders 
für die Unfallpraxis wichtige Arbeit 
gipfelt in folgenden Schlusssätzen: 

1. Bei den Verletzungen des Kopfes 
durch Fall, Schlag oder Stoss wird häu¬ 
fig eine stärkere Blutung aus dem Ohr 
beobachtet. Die häufigste Quelle der¬ 
selben sind isolierte Brüche des Margo 
tympanicus, die gewöhnlich mit einem 
Riss des Trommelfells verbunden sind. 

2. Eine Schädelbasisfraktur kann nur 
durch Ausfallserscheinungen resp. Reiz¬ 
zustände diagnostiziert werden, welche 
der Bruch und seine Begleiterscheinun¬ 
gen selbst auslösen. 

3. Die peripheren Felsenbeinbrüche 
sind sehr häufig mit Labyrinth Verletzun¬ 
gen vergesellschaftet. Leztere bedingen 
und erklären die oft lange Zeit nach der 
Verletzung noch fortdauernden Be¬ 
schwerden, insbesondere Schwerhörig¬ 
keit, Kopfschmerzen und Schwindel. 

4. Die Brüche des Margo tympanicus 
mit oder ohne Trommelfellruptur heilen 


meistens glatt aus. Dieselben bedingen 
für sich nach der Heilung keine oder ge¬ 
ringe Beschwerden; insbesondere ist das 
Hörvermögen, in Fällen wo das Laby¬ 
rinth gesund geblieben ist, oft wenig 
oder gamicht gestört. Dagegen kann 
besonders in der ersten Zeit Ohrensau¬ 
sen durch dieselben veranlasst werden, 
und zwar reflektorisch durch Reizung 
der in der Trommelfellnarbe eingeheil¬ 
ten Nervenenden. 

5. Die traumatischen Trommelver¬ 
letzungen heilen in der grössten Mehr¬ 
zahl der Fälle, ohne bleibende Perfora¬ 
tionen zu hinterlassen, auch dann, wenn 
die Verletzung von einer Mittelohreite¬ 
rung begleitet ist. Wird daher im 
Trommelfell eine grössere, rundliche 
Perforation gefunden, bei fortdauernder 
Eiterung und besonders, wenn sich der¬ 
selbe Befund an beiden Trommelfellen 
ergibt, so ist der Verdacht gerechtfer¬ 
tigt, dass das Leiden zu Unrecht auf ei¬ 
nen Unfall zurückgeführt wird, vielmehr 
schon vor dem Unfall bestanden hat. 

6. Reine Trommelfellrupturen, die 
keinen Zusammenhang mit Margofrak- 
turen haben, kommen durch indirekte 
Gewalt äusserst selten zustande; sie fin¬ 
den sich in den Fällen leichter, wo das 
Trommelfell verdünnt resp. erschlafft 
war. 


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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


157 


Die Geschichte der Pest zu Regens¬ 
burg. Von Stabsarzt Dr. S c h ö p p- 
ler, München. Verlag von Otto 
Gmelin. München, 1914. 191 S. 

Preis Mk. 5.—. 

Das vorliegende Buch ist für jeden 
Liebhaber historisch-medizinischer Ab¬ 
handlungen, insbesondere aber für den 
Seuchenforscher von grossem Werte. 
Der Verfasser verpflichtet aber, wie sich 
Prof. Georg Sticker in dem dem 
Buche vorausgeschickten Geleitworte 
ausdrückt, nicht allein den Epidemiolo¬ 
gen ; er verpflichtet den Arzt, die die 


V olkskrankheiten im Zusammenhänge 
mit der bürgerlichen Geschichte zu be¬ 
greifen versucht; er verpflichtet den 
Historiker, der die Geschichte der Staa¬ 
ten nicht bloss in Kriegszügen und poli¬ 
tischen Intriguen merkwürdig findet; er 
verpflichtet den Politiker, der Rechen¬ 
schaft von sich darüber fordert, wie weit 
er denn ein Recht habe, die Geschicke 
eines Volkes leiten zu wollen; er ver¬ 
pflichtet endlich jeden Menschen, der 
das unbegreifliche Leben unseres Ge¬ 
schlechtes staunend im Spiegel der Ver¬ 
gangenheit schauen mag. 


Mitteilungen aus der neuesten Journalliteratur, 


Richard Sielmann - München: 

Kasuistische r Beitrag zur Behand¬ 
lung der Basedow’schen Krankheit 

mittels Röntgenbestrahlung. 

Siegelmann verfügt über 21 Fäl¬ 
le von Basedow, die er mit Röntgen¬ 
strahlen behandelte und zwar mit sehr 
gutem Erfolg. Nur ein Fall erwies sich 
gegen die. Röntgenbestrahlung voll¬ 
ständig refraktär, ein zweiter besserte 
sich anfangs, dann aber verschlimmer¬ 
ten sich die Symptome, sodass von wei¬ 
teren Bestrahlungen Abstand genom¬ 
men werden musste. Als vollständig ge¬ 
heilt betrachtet S. vier Fälle. Von den 
Testierenden 15 Fällen haben sich sieben 
bedeutend gebessert, sodass kaum noch 
Symptome der Erkrankung übrig ge¬ 
blieben sind, während acht nur zeitweili¬ 
ge Besserung zeigten. Monatelang sind 
sie zwar beschwerdefrei, dann tritt wie¬ 
der ein Teil des belästigenden Sympto- 
menkomplexes auf, der aber auf einige 
Bestrahlung prompt zurückgeht. In den 
meisten Fällen erfolgte Körpergewichts¬ 
zunahme. Den Halsumfang sah S. um 
2—4 cm sich verkleinern. S. kommt da¬ 
her zu den nachfolgenden Schlussfolge¬ 
rungen : 

1. Jeder Fall von Basedow ist nach 
Versagen der medikamentösen und son¬ 
stigen Behandlung der Röntgentherapie 
zuzuführen. 2. Bei Versagen der Rönt¬ 


gentherapie tritt die Operation in ihre 
Rechte. 3. Hat auch die Operation kei¬ 
nen vollen Erfolg, ist wiederum Rönt¬ 
gentherapie indiziert. (M. m. W. 1914 
Nr. 43.) 

(Ref. kann aus eigener Erfahrung die 
Angaben des Verf. bestätigen und geht 
in seiner Forderung noch weiter, näm¬ 
lich jeden Basedowfall sofort mit Rönt¬ 
genstrahlen zu behandeln und nicht erst 
die Zeit mit Medikamenten und sonsti¬ 
gen zweifelhaften therapeutischen Me¬ 
thoden zu verlieren. 

Rudolf Emmerich und Oskar 

L o e w: Ueber erfolgreiche Behand¬ 
lung des Tic convulsif durch Chlor¬ 
kalzium. 

Die Verfasser berichten über zwei 
Fälle, von denen der eine besonders 
schwer war und bei seiner raschen Pro¬ 
gredienz und bei der zunehmenden 
Schwäche und der raschen und beträcht¬ 
lichen Verschlechterung des Ernäh¬ 
rungszustandes wahrscheinlich bald zum 
Tode geführt haben würde. Wenn trotz¬ 
dem das Chlorkalzium in beiden Fällen 
bei monatelanger Verabreichung eine 
evidente Heilwirkung entfaltet hat, so 
beweist dies, dass man bei der Aetiolo- 
gie der Kranheit des Tic convulsif und 
der Myoklonie an Anomalien des Kalk- 
stoffwechsels zu denken berechtigt ist, 
zumal ja auch als begünstigendes Mo- 


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ment für die Entstehung der infantilen 
Form die Rachitis angesehen wird. Die 
Verabreichung des Chlorkalziums ge¬ 
schah in der Weise, dass die Patienten 
dreimal täglich einen Kaffeelöffel der 
folgenden Lösung erhielten: 


Chlorcalcium cryst. pur.100.0 

Aqua destillata .500.0 

Ausserdem wurde den Patienten em¬ 
pfohlen, reichlich Gemüse und frisches 
oder gekochtes Obst zu verzehren. (M. 
m. W. 1914 Nr. 47.) 


Feuilleton 

Ueber Geschosswirkung und Verwundungen. 


Dem Feldpostbrief eines deutschen 
Stabsarztes aus der Schlacht bei Lauter¬ 
fingen bei Metz, der in der in Frank¬ 
furt a. M. erscheinenden Wochenschrift 
‘‘Umschau’* veröffentlicht wird, ent¬ 
nimmt die Allg. W. m. Ztg. die nach¬ 
stehenden Ausführungen: 

Auffallend häufig sind — namentlich 
bei raschem Vordringen der Truppe — 
die Lungen- und Bauchschüsse. Beson¬ 
ders in Lauterfingen hatten wir auf¬ 
fallend viele derartige Verletzungen bei 
deutschen Verwundeten, während mir 
bei Franzosen einige ganz auffallende 
Verletzungen mit deutlicher Schussrich¬ 
tung von oben nach unten in Erinnerung 
stehen, für deren Erklärung die eigen¬ 
tümliche Fechtweise der französischen 
Infanterie, die mit Vorliebe in Häusern 
und Wäldern Deckung sucht, herange¬ 
zogen wird. In dem Walde von Lauter¬ 
fingen sollen einzelne Schützen auf Bäu¬ 
men angetroffen worden sein. Auffallend 
wenig Erschwerungen machen oft Lun¬ 
genschüsse, bei den meisten kommt es 
natürlich zu schweren Blutungen in die 
Brusthöhle, die leider oft genug zu eite¬ 
rigen Rippenfellentzündungen führen. 
Einer eigentümlichen Leichenerscheinung 
möchte ich Erwähnung tun, die wir 
gleich beim ersten Betreten eines 
Schlachtfeldes in Lauterfingen — wo 
tags zuvor ein heftiger Kampf deutscher 
Artillerie gegen französische Infanterie 
stattgefunden hatte — zu beobachten 
Gelegenheit hatten. Es ist dies die 
ausserordentlich starke Blutsenkung bei 
den Gefallenen. Die Leichen der fran¬ 
zösischen Artilleristen, die den Bahn¬ 
damm entlang herumlagen, waren beim 
Sturm meist mit dem Kopf vorangefallen 
und das Gesicht der Leichen war in den 
meisten Fällen in ganzer Ausdehnung 


dunkelblau verfärbt, vielfach sogar ganz 
schwarz, besonders ausgeprägt bei einem 
französischen Offizier, der noch dazu 
etwas gekräuseltes schwarzes Haar hatte, 
so dass er von unseren Leuten allgemein 
für einen Turko gehalten wurde, bis ein 
Freimachen der Brust uns lehrte, dass 
die übrige Körperhaut ganz weiss war. 
Hier in Lauterfingen hatten wir auch 
am besten Gelegenheit, die Wirkung 
deutscher Artillerie zu beobachten, auf¬ 
fallend viele Schädelzertrümmerungen, 
totale Zerschmetterungen äusserer Kör¬ 
perteile, die zu sofortigem Tode führen 
mussten. Nach meiner persönlichen 
Schätzung — die Richtigkeit muss erst 
die spätere Statistik lehren — scheint die 
Wirkung der deutschen Artillerie hin¬ 
sichtlich des Vorkommens sofort tödli¬ 
cher Verletzungen überlegen zu sein; ich 
hatte den Eindruck, weitaus mehr nicht 
tödlicher, wenn auch schwere und ausge¬ 
dehnte Weichteilverletzungen auf deut¬ 
scher Seite gesehen zu haben. Die durch 
Granatsplitter bewirkten Verletzungen 
zeichnen sich durch die grösste Mannig¬ 
faltigkeit aus, es finden sich alle Ueber- 
gänge von den ausgedehntesten zerfetzten 
Weichteil wunden bis zu völligen Zer¬ 
schmetterungen. Ein paar seltene Ver¬ 
letzungen sind mir wegen des paradoxen 
Aussehens in besonderer Erinnerung ge¬ 
blieben. Ein Mann, der angab, von 
einem Granatsplitter getroffen worden zu 
sein, welcher eine vollkommen der Ein¬ 
schussöffnung eines Infanteriegeschosses 
gleichende Wunde neben dem Schulter¬ 
blatt hatte, bei welchem man jedoch im 
ersten Moment keine Ausschussöffnung 
finden konnte. Erst bei genauerer Be¬ 
trachtung fand man auf der Brust, dicht 
unter der unverletzten' Haut, eine leichte 
Erhebung, an der man einen harten, 


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zackigen Gegenstand, der dem Gefühl 
nach keinem Infanteriegeschoss entspre¬ 
chen konnte, durchfühlen konnte. Der 
Granatsplitter hatte die Lunge durch¬ 
bohrt, trotzdem hatte der Mann jedoch 
noch ein paar hundert Meter zu Fuss zu¬ 
rückgelegt. Sehr eigenartige Verletzun¬ 
gen stellen auch die sogenannten Tunnel¬ 
schüsse dar. Ich erinnere mich eines 
Falles, bei dem durch Granatsplitter die 
Muskulatur des Oberarmes halbkreis¬ 
förmig weggerissen worden war, die 
Haut über dem Schusskanal dagegen 
noch erhalten geblieben war. 

Abgesehen von dem Vorteil, die Ver¬ 
letzungen in frischem Zustand zur Be¬ 
handlung zu bekommen, hat die Tätig¬ 
keit des Arztes bei der Sanitätskom¬ 
pagnie aber den Nachteil, dass er den 
Wundverlauf bei den einzelnen Fällen 
nicht zu beobachten Gelegenheit hat. 
Nur selten fand sich einmal Gelegenheit 
zu einem kurzen Besuch während einer 
Ruheperiode in einem nahe gelegenen 
Feldlazarett. Nach dem, was ich bei 
einem derartigen Besuch zu sehen Ge¬ 
legenheit hatte, ging jedenfalls leider mit 
allzu grosser Deutlichkeit hervor, dass 
wir auch in der Zeit der modernen 
Wundbehandlung im Krieg mit einem 
grossen Prozentsatz von Wundinfek¬ 
tionen zu rechnen haben. Trotz der 
Schulung unseres Krankenträgerperso¬ 
nals, trotz aller Vorkehrungsmittel, die 
Verletzten sobald als möglich zum Ver¬ 
band zu brigen, ist eine Verschmutzung 
der Wunden in einer grossen Anzahl 
von Fällen, sei es durch Erdboden, sei 
es durch Kleiderfetzen, unvermeidlich. 


Nicht selten kommt es zum Auftreten 
von Wundstarrkrampf, der sich oft erst 
nach 20 Tagen jinstellen kann. Die Aus¬ 
dehnung der Verletzung und der Grad 
der Verunreinigung der Wunde steht 
meist durchaus nicht in Proportion mit 
der Häufigkeit des Eintretens von Starr¬ 
krampfsymptomen, so dass sich als Regel 
bei allen verunreinigt aussehenden Wun¬ 
den die prophylaktische Anwendung 
von Tetanusserum empfiehlt. Als wei¬ 
teres vorzügliches Prophylaktikum gegen 
Wundinfektion hat sich ausgiebige An¬ 
wendung von Jodtinktur in der Umge¬ 
bung der Wunde bewährt. 

Einer Beobachtung möchte ich zum 
Schluss dieses Briefes noch gedenken. 
Ich hatte mir nämlich — nach den Be¬ 
richten vom russisch-japanischen Krieg 
— vorgestellt, dass das Auftreten von 
akuten Geisteskrankheiten ein häufiges 
sein würde und war erstaunt, bis jetzt 
kein einziges Mal eine echte Psychose, 
abgesehen von vereinzelten rasch vor¬ 
übergehenden Erschöpfungszuständen, 
zu Gesicht bekommen zu haben. Mag 
diese Erscheinung auf den im Vergleich 
zu den Russen geringeren Alkoholmiss¬ 
brauch zurückzuführen sein, wie auf die 
bei uns bessere Verpflegung oder auf 
Resistenz Veranlagung, j eden falls schien 
mir persönlich diese Tatsache eine ge¬ 
wisse Gewähr dafür zu geben, dass der 
allgemeine geistige Zustand unserer 
Truppen nicht zum plötzlichen Versagen 
disponiert ist, und der geistige Zustand 
der Truppe ist es ja doch, der in letzter 
Linie zum Siege verhilft. 


Therapeutische und klinische Notizen. 


— Neue Literaturangaben über Digipura- 
tum und Diuretin. Hofrat Prof. Ortner, 
II. Med. Univ.-Klinik, Wien, „Ueber die prak¬ 
tische Anwendung der Digitalis am Kranken¬ 
bette“ schreibt: „. . . Unter den konstant 

zusammengesetzten Digitalispräparaten möch¬ 
te ich eines an erster Stelle setzen, das Digi- 
puratum (Kn oll). Dieses hat den Vorteil 
nicht nur der konstanten, gleichmässigen Wir¬ 
kungsart, sondern auch noch den weiteren, 
dass es im wesentlichen nur die wirksamen 


Substanzen der Digitalisblätter, das Digitalin, 
Digitalein und Digitoxin enthält, während die 
den Magen schädigenden Saponine aus dem¬ 
selben entfernt sind. Zudem ist es eine fast 
reine Lösung der Gerbsäureverbindungen der 
genannten wirksamen Glykoside der Digitalis¬ 
blätter, ist daher im Magen unlöslich, reizt die 
Magenschleimhaut nur wenig, während es im 
alkalischen Darmsaft rasch löslich ist und 
rasch resorbiert wird. Man gibt dasselbe in 
Pulverform oder häutiger noch in Tabletten- 


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form zu 0.1 g in mittlerer Dosis 3—4 mal täg¬ 
lich. Es gibt auch ein Digipuratum solubile, 
das sich zur intramuskulären oder intravenö¬ 
sen Injektionen sehr gut eignet und hierzu in 
Ampullen ä 1 ccm = 0,1 g der wirksamen 
Substanz 1—2 mal, sogar bis 3 mal täglich an¬ 
gewendet wird. Man kann es auch innerlich 
zu 3 mal 20 Tropfen in Verwendung ziehen. 

„Um die Gefahr des Versiegens der Diurese 
zu vermeiden, setzen wir zweckmässig zur 
Digitalis in höchstens mittleren Dosen, also 
0.3 g Pulv. digit. titrat. oder Digipuratum pro 
die, ein Theobrominpräparat zu, das exquisit 
gefässerweiternd auf die Nierengefässe wirkt, 
beispielsweise Diuretin oder ein ähnliches 
Doppelsalz des Theobromins. . . .“ (W. 

m. W. 1914 Xr. 9.) 

Prof. Tob ler, Breslau, „Die Behandlung 
des akuten Brechdurchfalls der Säuglinge'*: 
..Bei sehr starker Pulsbeschleuni¬ 
gung und bei beginnender Pneumonie (der 
Kinder) kombinieren wir die Kampferthera¬ 
pie sofort mitder Digitalis. Wir benützen am 
liebsten Digipuratum-Lösung (Kn oll) 1—3 
mal 3—5 Tropfen. . (D. m. W. 1914 

Xr. 10.) 

— Die Wirkung der Digitalis auf Blutdruck 
und Puls bei bestehender Herzdekompensa¬ 
tion. Dr. Charles H. Lawrence, Boston, 
berichtet über die im Massachusetts General 
Hospital angestellten Versuche, die bezweck¬ 
ten, die Wirkung der Digitalis bei Patienten, 
deren Herzdekompensation durch verschiedene 
Ursachen entstanden war, zu erforschen. Die 
Fälle, die zur Beobachtung kamen, bestanden 
aus Herzklappenfehlern, Arteriosklerose mit 
Degeneration des Myokards, Angina pectoris 
und chronischer Xephritis mit Hypertension. 
Bei allen Patienten machte sich mehr oder 


weniger eine Dekompensation des Herzens 
fühlbar. In fast sämtlichen Fällen wurde Di¬ 
gitalis in Form von Digipuratum (Kn oll) 
verordnet. Einige Patienten bekamen Digi¬ 
talistinktur. Die Durchschnittsdosis des Digi- 
puratums betrug 2—3 Tabletten täglich. 

Wie aus den Beobachtungen hervorgeht, 
scheinen in der Regel Digitalispräparate bei 
Herzdekompensation ein Fallen des Blut¬ 
druckes verbunden mit gesteigerter Harnaus¬ 
scheidung hervorzurufen. Bei einer kleinen 
Anzahl von Fällen war ein erhöhter systoli¬ 
scher Druck ohne Diurese zu konstatieren. 
Es scheint daher, dass durch Verabreichung 
von Digitalis bei Herzdekompensation, auch 
wenn durch Vergrösserung der Systole ein 
scheinbar entgegengesetztes Resultat erzielt 
wird, eine Kontraindikation nicht in Frage 
kommt. Die Wirkung der Digitalis auf die 
Diastole gleicht im allgemeinen dem Einfluss 
auf die Systole. Eine Verringerung der Sy¬ 
stole hat jedoch gewöhnlich ein Sinken des 
Pulses zur Folge. Ein abgeschwächter Puls 
muss nicht unbedingt auch eine Herabsetzung 
der Blutzirkulation zur Folge haben, zumal 
wenn das Verhältnis des Pulsdruckes zum 
Maximaldruck ein erhöhtes ist. Dass diese 
Annahme mit Recht besteht, geht aus der Tat¬ 
sache hervor, dass in 81 Prozent der beobach¬ 
teten Fälle trotz schwachen Pulses Erhöhung 
der Diurese eintrat. 

L. kommt zu dem Schluss, dass Digitalis¬ 
präparate ohne weiteres auch bei bestehender 
Herzdekompensation Patienten mit Arterio¬ 
sklerose, Angina pectoris oder Hypertension 
der Xierengefässe verabreicht werden kön¬ 
nen ; in solchen Fällen tritt selten eine Erhö¬ 
hung des Blutdruckes ein. (Boston M. & S. 
Journ., Jan. 1914.) 


Kleine Mitteilungen. 


— Vebersicht über den Stand der Cholera 
und die gegen die Verbreitung derselben 
getroffenen Massnahmen. Eine an kompe¬ 
tenter Stelle angelegte Uebersicht über die 
Verbreitung der Cholera in Oesterreich zeigt, 
dass die Mehrzahl der an Cholera Erkrank¬ 
ten in den innerösterreichischen Ländern 
Soldaten betrifft, die vom nördlichen Kriegs¬ 
schauplätze kommen, während der Rest vor¬ 
nehmlich aus diesen Gegenden geflüchtete 


Zivilpersonen sind. Soweit aus den von 
unseren Truppen besetzten Teilen Russlands 
und Galiziens authentische Nachrichten vor- 
licgen, sind dort an Fällen, in denen Cho¬ 
lera festgestellt wurde, oder Choleraverdacht 
besteht, nicht viel über 600 gemeldet worden. 
In Wien und Niederösterreich erreicht die 
Ziffer der Erkrankten 125, die der Todesfälle 
nur 2. Dabei ist in Wien kein einziger Fall 
unter der einheimischen Bevölkerung bis jetzt 


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vorgekommen. Nirgends in ganz Oesterreich 
besteht ein wirklicher Choleraherd. 

In Mähren war in Niemtschitz kein solcher 
wohl zu vermuten, doch wurde der Verdacht 
durch die Tatsachen widerlegt; in Mähren 
wurden nämlich bei Soldaten 28, bei Flücht¬ 
lingen 4, bei Einheimischen 14 Fälle mit einer 
Sterblichkeit von 40% festgestellt. Das so¬ 
fortige energische Eingreifen der Sanitätsbe¬ 
hörde hat eine Weiterverbreitung der Seuche 
von Niemtschitz aus verhütet. Nach der amt¬ 
lichen Cholerastatistik sind in Schlesien 25 
Militärpersonell, 3 Flüchtlinge, 3 Einheimische; 
Kärnten 9 Militärpersonen, 2 Flüchtlinge; 
Krain 1 Militärperson, 2 Flüchtlinge; Vorarl¬ 
berg 3 Flüchtlinge; Böhmen 2 Militärpersonen, 
1 Flüchtling; Salzburg 1 Militärperson er¬ 
krankt ; in allen übrigen Ländern gibt es 
keinen Cholerafall. 

Aus dieser Ucbcrsicht geht hervor, dass 
mir in zwei Fällen eine Uebertragung der 
Seuche* auf Einheimische stattgefunden hat. 
Auch auf dem Wege von Ungarn droht die 
Gefahr einer Seuchenvcrschleppung nicht, 
denn die von der ungarischen Regierung ge¬ 
troffenen Massnahmen bieten den erforder¬ 
beben Schutz in ausreichendem Masse. 

Nichtsdestoweniger hat das Sanitätsdeparte- 
rr.ent des Ministeriums des Innern im Verein 
mit den militärischen Behörden alle Mass¬ 
nahmen getroffen, um die mögliche Ver¬ 
breitung epidemischer Krankheiten tunlichst 
hintanzuhalten. So werden under anderem 
grosse Barackenlager mit einem Belegraume 
con 3000 Betten geschaffen, um für alle Fälle 
gerüstet zu sein. Diese Baracken werden 
gröstenteils aus Holz gebaut und mit allen 
hygienischen Einrichtungen versehen. Die¬ 
selben werden in der Umgebung des Wil- 
helminenspitals und dem Kaiser Franz Josef- 
Spital ausgeführt werden. Uebrigens bestehen 
in Wien bereits zwei kommunale Epidemie- 
spitälcr mit einem Belegraum von 1500 Betten. 
Auch in allen übrigen Kronländern wurden 
die geeigneten Massregeln zur Verhütung 
der Ausbreitung der Kriegsseuchen getroffen. 
(Allg. Wiener m. Ztg.) 

— Fürsorge-Nachrichten. Der Medizinal- 
Abteilung des Königlich Preussischen Kriegs¬ 
ministeriums sind von der chemisch-pharma¬ 
zeutischen Fabrik Knoll & Co., Ludwigshafen 
a. Rh., grössere Mengen des bekannten Beru- 
higungs- und Schlafanregungsmittels Bromu¬ 
ral im Werte von über 20,000 Mk. zur Ver¬ 
wendung im Felde und zur Behandlung und 


Pflege unserer Verwundeten als Spende zur 
Verfügung gestellt worden. Die Verteilung 
an die einzelnen Stellen ist nach Weisungen 
des Kaiserlichen Kommissärs für die freiwil¬ 
lige Krankenpflege unter Zustimmung ' des 
Kriegsministeriums erfolgt. 

Ebenso wurden mit Zustimmung des K. u. 
K. Kriegsministeriutns der K. u. K. Militär- 
Medikamentendirektion in Wien von der che¬ 
misch-pharmazeutischen Fabrik Knoll & Co., 
Ludwigshafen a. Rh., grössere Mengen des 
bekannten Beruhigungs- und Schlafanregungs¬ 
mittels Bromural und des Digitalispräparates 
Digipuratum im Werte von etwa 15,000 Kr. 
als Spende zur Verfügung gestellt. 

— Deutsche A erste vor einem Pariser 
Kriegsgericht verurteilt. Zu welchen Unge¬ 
heuerlichkeiten die nationale Verbitterung und 
Verblendung selbst Richter verleiten kann, da¬ 
von liefert die Verurteilung gefangener deut¬ 
scher Aerzte seitens eines Pariser Kriegsge¬ 
richtes den deutlichen Beweis. Die deutschen 
Aerzte standen unter der fälschlichen Beschul¬ 
digung verübter Gewalttätigkeiten in den von 
den Deutschen besetzten Gegenden sowie die 
Vernachlässigung in der Behandlung der Ver¬ 
wundeten. Trotz des entschiedenen Protestes 
der Angeklagten gegen die ihnen zugemuteten 
Uebeltaten wurden sie zu empfindlichen Frei¬ 
heitsstrafen bis zu zwei Jahren Gefängnis ver¬ 
urteilt. Wie ungerecht dieses Urteil ist, kann 
man daraus ersehen, dass selbst französische 
Blätter diese richterliche Entscheidung als 
eine beklagenswerte hinstellen. 

— Verminderte Frequenz der li’iener Uni¬ 
versität. Die kriegerischen Zeiten sind nicht 
ohne schädigenden Einfluss auf die Frequenz 
der Wiener Universität geblieben. Während 
in den Wintersemestern der letzten zwei Jah¬ 
re die Zahl der inskribierten Hörer die Ziffer 
10,000 überstieg, beträgt die Ziffer der bis En¬ 
de November eingeschriebenen Studierenden 
aller Fakultäten nicht mehr als 3528 und in 
dieser Ziffer sind auch die Studierenden der 
Universitäten Lemberg und Czernowitz, die 
vom Unterrichtsminister die Erlaubnis erhiel¬ 
ten, eine einstweilige Einschreibung in Wien 
zu erwirken, mitinbegriffen. Von den 3528 
Eingeschriebenen entfallen auf die medizini¬ 
sche Fakultät 1098. Erwägt man, dass die 
Zahl der im 1. Semester eingeschriebenen Hö¬ 
rer gleichfalls eine erhöhte ist, da diese das 
stellungspflichtige Alter noch nicht erreichten, 
so kann man urteilen, welche grosse Anzahl 


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New Yorkeb Medizinische Monatsschrift. 


der Universitätshörer Kriegsdienste leisten. 
Die Zahl der weiblichen Hörer ist relativ und 
durch den Zuwachs der nicht eröffneten Uni¬ 
versitäten Lemberg und Czernowitz auch ab¬ 
solut höher geworden und beträgt 546. 

— Resolution der k. k. Gesellschaft der 
Merzte zu Gunsten der verurteilten deutschen 
Militärärzte. In der Sitzung der k. k. Gesell¬ 


schaft der Aerzte vom 4. Dezember wurde 
einstimmig eine Resolution zu Gunsten der 
von einem Pariser Kriegsgerichte verurteilten 
kriegsgefangenen deutschen Militärärzte be¬ 
schlossen ; die Resolution wird in den näch¬ 
sten Tagen den österreichischen Aertzen be¬ 
kanntgegeben und ausserdem soll ihr Inhalt 
auf diplomatischem Wege der französischen 
und englischen Regierung mitgeteilt werden. 


Aufruf! 


Europa steht in Flammen. Ein Krieg ist ausgebrochen, wie ihn die Weltgeschichte noch 
nicht erlebt hat. Wie die Geschicke der Völker sich gestalten mögen, weiss nur Gott allein. 
Wir aber wissen, dass unendliche Not und namenloses Elend die unabwendbaren Folgen 
dieses Krieges sein werden, wie immer der Ausgang sein möge. Zu den Völkern, die in den 
schrecklichen Krieg verwickelt sind, gehört auch Deutschland, das Land, in dem unsere oder 
unserer Vorfahren Wiege stand, mit dem unzertrennbare Bande des Blutes und des Herzens 
uns verbinden. 

Daher richten die Unterzeichneten an alle Deutschen und an alle Amerikaner deutschen 
Stammes die herzliche Bitte, der höchsten und heilgsten Menschenpflicht eingedenk zu sein 
und durch freiwillige Spenden die Not der deutschen Stammesbrüder zu lindern. Es gilt 
nicht nur die Verwundetn zu pflegen, sondern auch den Wittwen und Waisen hülfreich zur 
Seite zu stehen, denen die Kriegsfurie den Beschützer und Ernährer entrissen hat. Reiner 
Menschlichkeit ist unser Bemühen gewidmet, ausschliesslich für wohltätige Zwecke sollen 
die gesammelten Beträge Verwendung finden. Daher kann jeder ein Scherflein beitragen 
ohne Ansehen der Nationalität. 

Es wird gebeten, Beiträge an die „NEW YORK TRUST CO.“, 26 Broad Street, New 
York City, unter der Bezeichnung GERMAN RELIEF FUND zu senden. Auch die Unter¬ 
zeichneten sind zur Annahme von Beiträgen berechtigt. 

Die eingesandten Gelder werden der deutschen Botschaft in Washington zur Ueber- 
weisung an den Zwecken des Aufrufs entsprechende Wohltätigkeitseinrichtungen in Deutsch¬ 
land übermittelt werden. 


Alex Andrae 
Charles Engelhard 
John Oscar Erckens 
E. Hossenfelder 
Rudolph Keppler 
Albert Leisel 
Adolf Pavenstedt 
Hans Reineke 
l)r. Richard Schuster 
Dr. G. E. Seyffarth 
Carl L. Schurz 
Charles H. Weigele 
Wilhelm Knauth 


Conrad Bühler 
Rudolf Erbslöh 
A. Heckscher 
E. C. Hothorn 
William Kiene 
Adolf Kuttroff 
Edmund Pavenstedt 
Dr. A. Ripperger 
Klaus A. Spreckels 
Hermann Schaaf 
Edmund Stirn 
C. B. Wolffram 
George Rueders 


Carl Bünz 
A. von Gontard 
C. von Helmolt 
William Kaupe 
G. B. Kulenkampff 
Henry E. Niese 
Christoph Rebhan 
Dr. Paul C. Schnitzjer 
Oscar R. Seitz 
Dr. Gustav Scholer 
A. Vogel 
Robert Badenhop 


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JSIew Yorker 


JVIedizimscbe (Monatsschrift 


Offizielles Orgun der 

Dcvtfdx« medtxiiJfdwi 6efellfdNifte« der Staate nee Verft, 

CMcago Md Clevelaad. 

Herausgegeben von DR. ALBERT A. RlPPERGER 
unter Mitwirkung von Dr. A. Herzfeld, Dr. H. G. Klotz und Dr. von Oefele. 


Bd. XXV. 


New York, Dezember, 1914. 


Nr. 7. 


Originalarbeiten. 


Das Abderhalden-Verfahren in pathologischer Hinsicht.* 

Von Dr. Adolph Gehrmann, Chicago. 


Gegenüber der Erscheinung der Ab¬ 
wehrfermente, die physiologisch im 
Blute kreisen mögen, stehen diejenigen 
ähnlichen Fermente, die man in ver¬ 
schiedenen pathologischen Zuständen 
finden kann. 

Zunächst ist in dieser Hinsicht zu er¬ 
wähnen, dass diese Fermente in einem 
engen Zusammenhang mit Immunitäts¬ 
fragen stehen, hauptsächlich die Präzi¬ 
pitine und Albumolysine. Dagegen 
scheinen sie nicht eine so bestimmte 
Körperwiderstandskraft zu zeigen, wie 
man sie während der Entwicklung von 
Antiproteidkörperchen sieht. Die Ab¬ 
wehrfermente tauchen rasch auf im 
Blute und verschwinden schnell, weiter 
zeigt solch ein aktives Serum eine mehr 
ausgedehnte Gruppenaktivität, als man 
bei den letzteren sehen kann. Wie wir 
es verstehen, entwickeln sich Antipro¬ 
teidkörperchen langsam in einem so be¬ 
handelten Tiere und sie erhalten sich 
lange und sind sehr spezifisch für das 

♦ Vortrag, gehalten in der Deutschen Med. 
Gesellschaft in Chicago am 12. November 
1914. 


bestimmte Proteid, das man gebraucht 
hat. 

Weiter haben wir die interessanten 
Fragen zu beantworten, wo die Fermen¬ 
te entstehen. Man hat schon viel er¬ 
forscht inbezug auf die Trypsinfermen¬ 
te im Blute. Zu gleicher Zeit beweisen 
Experimente und physiologische Be¬ 
trachtungen, dass so oft Zellen zerfallen, 
zur selben Zeit ein spezifisches Ferment 
für die Zellen entweder losgelassen oder 
in Uebermengen produziert wird. 

Als Beispiel hat man Folgendes: 

Leberextrakt verdaut Leberpepton. 

Schilddrüsenextrakt verdaut Schild¬ 
drüsenpepton. 

Muskelextrakt verdaut Muskelpepton. 

Hodenextrakt verdaut Nieren- und 
Hodenpepton. 

(Jacoby, Hofmeisters Beitr. 1913.) 

Weiterhin ist es wohl bekannt, dass 
Fermente dieser Art erscheinen, wenn 
Leukozyten und rote Blutkörperchen 
zerfallen. Dieses spricht hauptsächlich 
für die Theorie, dass alle diese Fermen¬ 
te sich bilden während einer Störung in 
den Zellen selber. Abderhalden 


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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


nimmt an, dass seine Fermente, wie man 
sagen möchte, sich mobilisieren und 
schon vorher entstanden waren infolge 
eines weitausgedehnten Zerfalls von 
Leukozyten oder roten Körperchen. Die 
Schnelligkeit, mit welcher die Fermente 
auftreten und verschwinden, könnte 
diese Herkunft anzeigen, aber es würde 
sicherlich gegen die relative spezifische 
Wirkung sprechen, die so absolut aner¬ 
kannt ist. Wie ist es möglich, dass ver¬ 
einzelte, zerstreute Leukozyten in dem 
zirkulierenden Blute die Fähigkeit ha¬ 
ben, ein bestimmtes Ferment allein für 
Gehirn-Albumin loszulassen? Es wür¬ 
de kaum wahrscheinlich sein! Meine 
Ueberzeugung ist, dass das rasche Er¬ 
scheinen und schnelle Verschwinden 
dieser Fermente unmittelbar auf die 
Störungen zurückgeführt werden kann, 
die in dem bestimmten Organ vor sich 
gehen. Wenn ein solcher Zustand ein- 
tritt, erscheinen die Fermente, und wenn 
der Zustand aufhört, verschwinden die 
Fermente bald wieder. Bis jetzt ist uns 
der Vorgang bei solchen Störungen un¬ 
bekannt. Ich fühle mich veranlasst, die 
früheren Experimente von Abder¬ 
halden anzuführen, worin er Lösun¬ 
gen von Albumin, Peptonen, Kohle¬ 
hydraten und Fett in die Blutbahn in- 
jektiert hat, als ein Verfahren zur An- 
tikörperbildung, bei dem er selbst eine 
Gruppenreaktion gezeigt hat, die in kei¬ 
ner Weise so spezifisch ist, als man sie 
in späteren Experimenten durch eine 
Einverleibung von Organstücken oder 
Albumin bei normalen wie auch bei pa¬ 
thologischen Verhältnissen zeigen 
konnte. 

Weitere interessante Beobachtungen 
wurden gemacht durch fortschreitendes 
näheres Studium dieser Fermente. Ab¬ 
derhalden ist es gelungen, die Fer¬ 
menttätigkeit von Tier zu Tier zu über¬ 
tragen. In der Tat bestätigt er, dass 
diese Tätigkeit verstärkt werden kann 
durch Uebertragung von Tier zu Tier. 
Dies ist eigentümlich, besonders da es 
eine Hauptregel der Fermente ist, dass, 
sobald die Produkte der Tätigkeit er¬ 


scheinen, eine Verzögerungsneigung be¬ 
merkbar ist. Er selbst würde mehr 
Zeit gebrauchen, diese Phase zu ent¬ 
scheiden. Er entdeckte auch, dass seine 
Fermente, nach dem sie inaktiviert wa¬ 
ren durch Erhitzen, wieder aktiv wur¬ 
den, wenn man frisches Serum zufügte. 
Dies gelingt auch im Tierexperiment. 
Als Probe wurde aktives Serum für be¬ 
stimmte Organe inaktiviert und in Ha¬ 
sen injiziert. Das Blut von dem Hasen, 
welches vorher negativ war, wurde jetzt 
nach der Injektion aktiv für das be¬ 
stimmte Organ, das gebraucht worden 
war. In anderen Tierexperimenten hat 
er gefunden, dass, wenn er das von ei¬ 
nem positiven Versuch herrührende 
Dialysat einem Tier injizierte, sich bald 
Abbaufermente für dasselbe Organ im 
Blute zeigten, andererseits, dass von 
einer negativen Probe keine Abwehr¬ 
fermente im Tier erzeugt wurden. Man 
könnte hierdurch annehmen, dass die 
Produkte des Abbaues imstande sind, 
das gleiche Ferment hervorzurufen, 
durch welches diese abgehalten w-urden. 

Die Entstehung solcher Fermente ist 
nach de V a e 1 e zurückzu führen auf 
die Globulinfraktion des Serums. Er 
findet, dass, wenn einem Serum Amoni- 
um-Sulfat bis zur Globulinausscheidung 
zugefügt wird, dann eine wahrnehmbare 
Erscheinung oder eine verstärkte pro¬ 
teolytische Aktivität auftritt. Ferner, 
wenn man Serum-Globulin oder Fibri¬ 
nogen einem Serum zusetzt, entsteht da¬ 
rin eine grössere Menge Spaltprodukte. 
Die Zusetzung von Albumen gab nega¬ 
tive Resultate. 

Durch diese verschiedenen Beobach¬ 
tungen scheint es möglich, dass die Ent¬ 
stehung von Abbaufermenten durch ei¬ 
nen Circulus vitiosus verursacht wird. 
Auf diesem Punkt beruht die Erfahrung, 
dass Fermente entstehen, wenn man das 
von einem positiven Versuch herrührende 
Dialysat in ein Tier einspritzt. Es ent¬ 
steht im Anfang eine Zersetzung in ei¬ 
nem Organ und die kleinsten Mengen 
Spaltprodukte werden absorbiert, diese 
regen die Bildung von speziellen Fer- 


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165 


menten an. Vielleicht kommen diese 
durch einen toxischen Zerfall von Leu¬ 
kozyten oder roten Blutkörperchen zu¬ 
stande. Jetzt wird das Serum aktiv und 
proteolysiert, denn das teilnehmende 
Organ und die neuen Spaltprodukte ru¬ 
fen eine neue Menge von Ferment her¬ 
vor. Inwiefern eine antitryptische Ak¬ 
tion als ein zu vermeidender Zustand 
gegen solche progressive Vermehrung 
wirkt, kann bis jetzt nur vermutet wer¬ 
den. 

Wenn wir nun die praktische Seite 
betrachten, da finden wir bis jetzt, dass 
diese Abwehrfermente Wirkungen zei¬ 
gen bei folgenden pathologischen Zu¬ 
ständen : 

1. Verdauung von Organalbuminen, 
welche sich im Körper befinden. 

2. Verdauung von Exsudaten oder 
Degenerationen, ob entzündeter Zustand 
oder nicht. 

3. Verdauung von bösartigen oder 
gutartigen Neubildungen. 

4. Verdauung von Albumin in von 
Parasiten durchsetzten Geweben. 

5. Abwehrfermente gegen existieren¬ 
de Organe. 

In dieser Hinsicht hat man den gröss¬ 
ten Fortschritt gemacht in der Unter¬ 
scheidung von verschiedenen Geistes¬ 
krankheiten. Was es gerade alles be¬ 
zeichnet, ist nicht klar, aber als ein dia¬ 
gnostisches Verfahren, durch welches 
mehrere unbestimmte Zustände grup¬ 
piert werden können, verdient die Ab¬ 
derhalden- Methode grosse Aner¬ 
kennung. Eine neue Aussicht hat sich 
eröffnet für die Neuropathologie. 

J a u s e r’s oftmals angeführter Be¬ 
richt über das Finden von Geschlechts¬ 
drüsenfermenten bei Dementia praecox 
findet eine weitere Anerkennung. 

Unter anderem ist der Bericht von 
K a f k e zu erwähnen. Er findet, dass 
die Abwehrfermente für Geschlechts¬ 
drüsen charakteristisch für diesen Zu¬ 
stand sind. Nebenniere wird selten ver¬ 
daut in solchen Fällen, aber manchmal 
die Schilddrüse. Er findet auch neben¬ 
bei, dass Hypophysissubstrate nur in 


Fällen von Tumoren dieser Drüse und 
bei Akromegalie verdaut werden. 

P e s k e r glaubt mittels des Abder¬ 
halden -Verfahrens die Geisteskrank¬ 
heiten in zwei Gruppen teilen zu kön¬ 
nen. Auf der einen Seite Dementia pa- 
ralytica und zerebrale Syphilis, wo Ge¬ 
hirngewebe zerstört wird, und auf der 
anderen Seite Dementia praecox, bei 
welcher Geschlechtsdrüsen zerstört wer¬ 
den. In allen Fällen von funktionellen 
Psychosen findet man keine Abwehr¬ 
fermente im Blute. 

Es ist möglich, dass eine vorsichtige 
Technik solche Zustände definitiv unter¬ 
scheiden kann und die Methode einen 
positiven Nachweis gibt, dass eine mehr 
oder weniger bemerkenswerte Organ¬ 
zerstörung stattfindet. 

Die Abderhalden - Methode in 
Geschwulstfällen: Die gesamte Mei¬ 

nung, soweit wie die Literatur und Er¬ 
fahrung zeigen, spricht dagegen, dass 
Abderhalden als eine Diagnose für Ge¬ 
schwulstfälle genügt. Da gibt es meh¬ 
rere Tatsachen, die dagegen sind. Die 
grosse Verschiedenheit von Geschwül¬ 
sten. Diese fangen auch klein an und 
sind schwer frühzeitig zu erkennen. Da 
sind auch Störungen, die das Ge¬ 
schwulstwachstum begleiten, welche 
auch ähnlich bei anderen Krankheiten 
Vorkommen: Anämie, Toxämie und spe¬ 
zifischer Zellenzerfall in den betroffenen 
Organen. Indessen ist es möglich, dass 
in mancher Beziehung die Krebsdiagno¬ 
se verbessert wird. So findet Wein¬ 
berg durch sein reiches Material und 
wie seine Proben zeigen, dass Serum 
von Karzinomfällen nur Karzinom¬ 
gewebe, Serum von Sarkomfällen nur 
Sarkomgewebe verdaut, und weiter, 
dass Serum von Spindelzellensarkomen 
positiv wirkt gegen Spindelzellgewebe 
und nicht gegen Lymphosarkome. Er 
hebt auch hervor, dass man die Methode 
verwerten kann zur Feststellung von 
Rezidiven oder Metastasen. Wo immer 
die Fermente nach der Operation beste¬ 
hen blieben, war ein nachfolgendes 
Wachstum gefunden worden. 


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Fermente gegenüber Exsudaten und 
Entzündungen: Hier gibt es vieles, 

das noch sehr unbestimmt ist. Viel frü¬ 
her als von Abderhalden wurde 
von Müller gezeigt, dass das Exsu¬ 
dat bei Lungenentzündungen rneistens 
durch Leukozytenfermente beseitigt 
wird. Bei verschiedenen Lungenent¬ 
zündungen zeigten Experimente, dass 
das Blut Lungengewebe verdaut. Die 
gewonnenen Tatsachen sind interessant, 
aber es ist nicht anzunehmen, dass diese 
neue Methode viel zu den jetzigen di¬ 
rekten chemischen und bakteriologi¬ 
schen Untersuchungen beitragen kann. 
Meissner berichtet aus seiner tier¬ 
ärztlichen Praxis, dass er das Entstehen 
von Abwehrfermenten im Blute von tu¬ 
berkulösen Tieren und auch bei Rotz 
und Streptokokkeninfektionen fand, 
wenn er die Organteile gefüllt mit sol¬ 
chen Bakterien als Substrate benutzte. 
Trotzdem ist die negative Kontrolle 
nicht sicher. Er sagt aber, dass Serum 
bei Rotz und Streptokokkeninfektionen 
negativ war, wenn es mit dem entgegen¬ 
gesetzten Antigen gebraucht wurde. 

In der Parasitenkunde. 

G o z o n y macht seine Beobachtun¬ 
gen bekannt mit Blut bei verschiedenen 
Protozoeninfektionen. Als Substrate be¬ 
nutzte er Organteile, die mit Protozoen 
durchdrungen waren. Die verschiedenen 
Parasiteninfektionen waren folgende: 

Trypanosoma - Erkrankung, Hühner- 
Spirochätose, Sarcosporidiasis (Disto- 
miasis. und Trichinosis). 


Er erzielte mit Serum von den ersten 
dreien regelmässige Resultate. Die an¬ 
deren waren unbestimmt. Jedoch war 
die Beobachtung interessant, dass Tri- 
chinosis-Serum positiv für Muskelge¬ 
webe ausfiel, aber hauptsächlich dann, 
wenn solches Trichinen enthielt. 

Wir müssen diesen Bericht im^Ganzen 
mehr als eine Grüppenreaktion betrach¬ 
ten, bei der eine weitere Analyse noch 
nötig ist. 

Zum Schluss müssen wir Abder¬ 
halden unseren Dank sagen für die 
vielen neuen Gedanken, die seine Ent¬ 
deckung in der chemischen Pathologie 
angeregt hat. Wenn auch die Technik 
noch Schwierigkeiten enthält, so lässt 
das Verfahren weitere grössere Mög¬ 
lichkeiten erwarten. Wir kommen da¬ 
durch dem Verständnis für die Aetio- 
logie näher, wodurch für später ein 
grosser Einfluss auf die Behandlung er¬ 
hofft werden darf. 

Columbus Medical Laboratory, 

Chicago. 

REFERENZEN. 

Abderhalden. Med. Klinik 1914. A b- 
derhalden und Grigoresen, Med. Kli¬ 
nik 1914. de Wale, Zeitschr. f. Immunitätsf. 
Oreg., Bd. 22, 1914. Falls, Jour. A. M. A., 
3, Okt. 1914. Meissner, Deutsche Tier- 
ärztl. Wschr. No. 26. 1913. Wohl, Jour. A. 
M. A. (Diskussion), 1. Aug. 1914. Wein¬ 
berg, Münchener Med. Wschr. No. 30, 28. 
Jli 1914. P e s k e r, Zeitschr. f. d. ges. Neu- 
rol. u. Psychiatrie, Bd. 22, 1914. Gozony, 
Zentralbl. f. Bak. Orig., 73, 1914. Kafke. 
Zeitschr. f. d. ges. Neurol. u. Psychiatrie, Bd. 
18, 1913. Mayer, Münchener Med. Wschr., 
S. 703, 1914. 


Schmerzhafte Zufälle als Begleiterscheinungen kleiner 
uterinaler Fibrome während der Schwangerschaft.* 


Von Dr. 

In den folgenden Ausführungen wer¬ 
de ich nicht von den grossen Uterus- 
Fibromen sprechen, die nach ihrem Sitze 
die Ursache einer Dystokie oder die 

•Mitgeteilt in der kaiserlich medizinischen Gesell* 
Schaft in Konstantinopel. — Grece med. — Allg. Wien, 
m. Ztg. 


Stavrides. 

Ausgangspunkte schwerer Komplika¬ 
tionen wie Brand, Peritonitis usw. sein 
können. Was darüber schon gesagt und 
geschrieben wurde, ist hinlänglich be¬ 
kannt, und es wäre überflüssig, darauf 
wieder zurückzukommen; die Zufälle, 
die ich bei meinen Kranken zu beobach- 


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ten Gelegenheit hatte, sind interessant 
and merkwürdig, ja sie sind selten. Vor 
Erklärung dieser Erscheinungen will ich 
kurz die Symptome meiner Kranken 
schildern. 

1. Fall. Mitte September 1908 wurde 
ich zur Frau Th. gerufen, die sich im 
sechsten Monate ihrer zweiten Schwan¬ 
gerschaft befand. Sie berichtete mir, 
dass sie plötzlich von ungemein starkem 
Schmerz in der Nabelgegend befallen 
wurde; der Schmerz, sagt die Kranke, 
sei plötzlich ohne jede ernste Ursache 
aufgetreten während sie ruhig ihrer Be¬ 
schäftigung nachging. Als sie instink¬ 
tiv mit der Hand an den Sitz des 
Schmerzes griff, war sie lebhaft über¬ 
rascht, daselbst eine Geschwulst zu kon¬ 
statieren, die sie niemals früher beob¬ 
achtete und die ich selbst nie bei Palpa¬ 
tion des graviden Uterus entdecken 
konnte. In der Tat konnte ich bei sorg¬ 
fältiger Untersuchung der Patientin un¬ 
ter der Nabelnarbe und direkt unter der 
Haut (an dieser Stelle befand sich an¬ 
lässlich des Auseinanderweichens der 
Linea alba eine Bauchhernie) einen klei¬ 
nen flachen Tumor mit unregelmässigem 
Rande, im grossen Diameter 5 bis 6 cm 
messend, der sich von oben nach unten 
erstreckt und sich beim Betasten hart 
von Konsistenz erweist, konstatieren. 
Der beim Versuche, den Tumor zu be¬ 
grenzen, hervorgerufene Schmerz ist 
sehr ausgesprochen, dazu noch eine ge¬ 
ringe peritoneale Reaktion und leichter 
Meteorismus. Ich verordnete feuchte, 
laue Kompressen auf den Unterleib und 
ein Suppositorium mit 1 cg Morphin. 
Am andern Tage gestattete der Zustand 
der Patientin, die sich viel wohler be¬ 
fand, eine eindringlichere Untersuch¬ 
ung. So konstatierte ich, dass der Tu¬ 
mor eine Partie des uterinalen Paren¬ 
chyms sei und durch Teilung der Fa¬ 
sern aus dem Corpus Uteri hervortrete. 
Ich beliess die Kranke bei feuchtwarmen 
Umschlägen zu Bette. Die Schmerzen 
besserten sich allmählich, die geringe 
peritoneale Reaktion verschwand und 
die Kranke konnte nach Ablauf von acht 


Tagen das Bett verlassen, die Ge¬ 
schwulst blieb sich gleich und war beim 
Betasten schmerzhaft. Ungeachtet die¬ 
ses kleinen Inzidenzfalles gedieh die 
Schwangerschaft zu ihrem normalen 
Ende und Frau Th. wurde am 20 De¬ 
zember von einem Mädchen spontan ent¬ 
bunden. Das Wochenbett schien bis 
zum fünften Tage einen normalen Ver¬ 
lauf zu nehmen, da bemerkte ich, dass 
die Lochien sich merklich vermindern. 
Keine Temperaturerhöhung. Am achten 
Tage trat beinahe eine Stockung der 
Lochien ein und die Temperatur stieg 
bis 38 Grad. Nachdem in die Uterus¬ 
höhle eine Kanüle eingeführt wurde und 
ihre Branschen sich öffnete, floss eine 
ziemlich reichliche Menge übelriechen¬ 
der Lochien heraus. Eine intrauterinale 
Auswaschung mit einer Jodlösung und 
Drainage des Uterus sicherte den Aus¬ 
fluss dieser Flüssigkeit. Die Tempera¬ 
tur sank nach und nach. Die Kranke 
fühlt sich wohl und am 15. Tage nach 
der Entbindung verliess sie das Bett. 
Bei der Untersuchung fand ich den Ute¬ 
rus von gehöriger Grösse, wie derselbe 
am 15. Tage sein soll und auf seiner vor¬ 
deren Fläche konstatierte ich an Stelle 
der Geschwulst eine kleine knopfförmige 
Erhöhung in der Grösse einer kleinen 
Nuss. Nach drei Monaten ist der Ute¬ 
rus beinahe normal und zeigt keinen 
Vorsprung an seiner Oberfläche. 

2. Fall. Frau K., 37 Jahre alt, im 
fünften Monat der Schwangerschaft, 
wurde plötzlich von einem lebhaften 
Schmerz an der linken Seite des Uterus 
befallen, ein wenig oberhalb des Pou- 
p a r t’schen Bandes. Ich wurde eilig 
geholt und konstatierte bei der Unter¬ 
suchung an der oberwähnten Stelle ei¬ 
nen Tumor in der Grösse einer Manda¬ 
rine, der, in zwei Teile gespalten, an der 
Oberfläche des LHerus lag. Die Ge¬ 
schwulst ist sehr schmerzhaft bei Druck 
und ich dachte sogleich an den Tumor, 
den ich vor zwei Jahren zu beobachten 
Gelegenheit hatte. Ruhe, feuchtwarme 
Umschläge und Opium beruhigten die 
Schmerzen. Die Kranke beendete ihre 


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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


Schwangerschaft und brachte rechtzei¬ 
tig einen gesunden Knaben zur Welt. 
Das Wochenbett verlief normal und die 
während der Schwangerschaft auf dem 
Uterus konstatierte Geschwulst war drei 
Monate später nicht mehr nennenswert. 

3. Fall. Im Monat Dezember 1911 
wurde ich von meinem Kollegen Dr. P. 
zu einer seiner Klientinnen pro consilio 
gerufen, dieselbe war \]/ 2 Monate 
schwanger, beklagte sich über einen 
äusserst heftigen Schmerz neben der 
Fossa iliaca sinistra. Bei der Untersu¬ 
chung konstatierte man eine unregel¬ 
mässig höckerige Geschwulst in der 
Grösse eines Hühnereies, die auf der 
linken Seite des Uterus sass, ein wenig 
oberhalb des P o u p a r t’schen Bandes. 
Die Kranke fiebert ein wenig und die 
Temperatur schwankte in diesen kriti¬ 
schen Tagen zwischen 37.5 und 38.1. 
Auch in diesem Falle wurden die 
Schmerzen durch Ruhe, feuchtwarme 
Umschläge und Morphin-Suppositorien 
gestillt. Der Tumor blieb fortwährend 
auf seinem Platz; die Schwangerschaft 
verlief bis zu ihrem rechtzeitigen Ende, 
die Entbindung ging normal vor sich 
und alles kam wie in den beiden vorher¬ 
gehenden Fällen in Ordnung. 

In diesen drei Fällen, die ich eben mit¬ 
geteilt habe, schilderte ich nur kurz die 
Erscheinungen, die ich selber beobach¬ 
tet habe, ohne hiefür eine Erklärung zu 
geben. Ich will nun versuchen, diese 
Erscheinungen, die, wie man sieht, ziem¬ 
lich seltsam sind, zu erklären. Diese 
Tumoren, die bei voller Schwanger¬ 
schaft am Corpus Uteri gravidi sich prä¬ 
sentieren, können nichts anderes sein als 
kleine Fibrome, die im normalen Zu¬ 
stande im Parenchym dieses Organs ih¬ 
ren Sitz haben. Man weiss, dass die 
Fibrome im allgemeinen während der 
Schwangerschaft an Volumen zuneh¬ 
men. Diese Tatsache wurde bei bereits 
sichtbaren Fibromen bewiesen, deren 
Volumen in der Schwangerschaft bei¬ 
nahe um das Doppelte sich vergrösserte. 
Hier verhält es sich aber nicht so; die 
kleinen Fibrome, von denen ich aber 


sprach, sind im normalen, das heisst, 
nicht schwangeren Zustande so winzig 
klein, dass man sie nicht findet, wenn 
man auch noch so sorgfältig dieselben 
sucht. Während der Schwangerschaft 
entwickeln sich diese Tumoren, nehmen 
an Umfang zu und brechen plötzlich 
hervor. Aber wie soll man die so leb¬ 
haften Schmerzen erklären, welche Be¬ 
gleiter dieser Geschwülste sind und die 
die Aufmerksamkeit des Arztes auf sich 
ziehen? Was unseren ersten Fall be¬ 
trifft, so ist die Sache ziemlich leicht. 
Die Patientin hat bis zum Tage vor dem 
erlittenen Zufall keinen Vorsprung auf 
der vorderen Fläche des Uterus darge¬ 
boten, sie wurde plötzlich von intensiven 
Schmerzen befallen und so wie die an¬ 
deren Patientinnen sah sie jetzt zum er¬ 
sten Male die kleine Geschwulst. Hier 
können wir also annehmen, dass dieser 
kleine im Parenchym des Uterus aber an 
seiner Oberfläche sitzende Tumor nach 
und nach die Muskelfasern dieses Or¬ 
ganes auseinandertrennte und peritoneal 
frei wurde; bei diesem Vorgang hat der 
Tumor sicherlich irgendwelche Unan¬ 
nehmlichkeiten und Schäden bewirkt. 
Es haben dabei Blutergüsse stattgefun¬ 
den, welche die lebhaften Schmerzen 
und die geringe peritoneale Reaktion, 
die wir konstatierten, erklären können. 

Als Stütze meiner gut begründeten 
Hypothese dient eine dritte Schwanger¬ 
schaft derselben Kranken. Bei dieser 
dritten Schwangerschaft wurde Frau 
Th. ganz und gar nicht von Schmerzen 
belästigt, trotzdem die Geschwulst auf 
demselben Platze wie vorher sich be¬ 
fand. 

Was soll man aber von jenen anderen 
Tumoren sagen, die aller Wahrschein¬ 
lichkeit nach schon auf der Oberfläche 
des Uterus bestanden. Um einen siche¬ 
ren Aufschluss über diese Frage zu ha¬ 
ben, wandte ich mich an den Professor 
der Geburtshilfe Dr. Couvelaire in 
Paris. Dieser konnte nach einem chirur¬ 
gischen, ein Jahr nach der Entbindung 
ausgeführtem Eingriff, Blutpigment im 
Innern der ganz kleinen Fibrome, die 


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169 


während der Schwangerschaft hyper¬ 
trophisch wurden und zu den heftigen 
Schmerzen Veranlassung gaben, kon¬ 
statiert. Also können die Schmerzan¬ 
fälle, die ich konstatierte, entweder 
durch die Veränderungen erklärt wer¬ 
den, welche die Fibrome verursachten, 
nämlich die Oedeme, interstitielle Blu¬ 
tungen usw. oder durch die lokalisierte^ 
peritoneale Reaktion dunklen Ur¬ 
sprungs bedingt sein. Da ist auch die 
Meinung Professors Legueus*, der 
Gelegenheit hatte, eine Kranke, die sich 
im zweiten Monate der Schwangerschaft 
befand und mit einem Fibrom behaftet 
war, zu operieren. Bei dieser Patientin 
hat der Schmerz auch plötzlich einge¬ 
setzt, aber in Begleitung desselben trat 
eine heftige peritoneale Reaktion ein mit 
Auftreibung des Unterleibes und Tem¬ 
peratu rsteigerung. Wegen des Meteo¬ 
rismus war die Untersuchung schwierig 
und nur in der Narkose war es möglich, 
sich darüber Rechenschaft zu legen, dass 
es sich um Schwangerschaft im zweiten 
Monate und Uterus-Fibrome handle mit 
einer Peritonitis aus unerklärbarer Ur¬ 
sache. Die Laparotomie ä froid ausge¬ 
führt, der eine subtotale Hysterektomie 
folgte, zeigte, dass man es mit einem 
langen Fibrom zu tun habe, das den obe¬ 
ren Pol des graviden Uterus bedeckte 
und das selbst mit einer Hülle epiploi- 
scher und intestinaler Adhärenzen ver¬ 
sehen war. Der Ausgangspunkt dieser 
Peritonitis lag nicht in einer Entzün¬ 
dung der Adnexe, diese waren mikro- 
skoisch gesund und zu weit von den Ad- 
säsionen entfernt, um die Ursache der 
Entzündung abzugeben. Der Appendix 
war normal, sodass Professor Legueu 
sich der Behauptung hinneigte, dass alle 
beobachteten Läsionen von den patholo¬ 
gischen Veränderungen des Fibroms ab¬ 
hängig wären, was übrigens festzustel¬ 
len nicht möglich war. 

Dr. L e p a g e hat in derselben Sitz¬ 
ung berichtet, dass er bei einer im fünf¬ 
ten bis sechsten Monate der Schwanger- 

* Socict6 de Gynekologie ä obstetrique et de Pedea- 
trie de Paris, Sitzung vom 8. Mai 1911. 


schaft befindlichen Frau ein ungestieltes 
Fibrom beobachtet habe, das von epi- 
ploischen Adhäsionen bedeckt war; es 
wurde eine Hysteroektomie ausgeführt, 
und zwar mit Erfolg. Auch hier han¬ 
delte es sich um eine lokalisierte Epi- 
ploitis vom Fibrom ausgehend. 

Dr. P o t o k i sagt, dass die Fibrome 
ohne Appendizitis, ohne begleitende Ad- 
nextis zu peritonealen Reaktionen Ver¬ 
anlassung geben können. Er hat bei 
einer im siebenten Monate schwangeren 
Frau ein ungestieltes Fibrom ohne epi- 
ploische Anheftungen operiert, das nur 
mit einer lokalen Peritonitis, mit Fieber 
und Schmerzen kompliziert war. Infol¬ 
ge einer bei einem Versuche, das Fibrom 
zu enukleieren, verursachten Blutung 
musste man von der Enukleation ablas- 
sen. Man verschloss wieder die Bauch¬ 
höhle und die Entbindung erfolgte 
rechtzeitig. 

Aus dem Gesagten kann man ersehen, 
welch beträchtliche Entwicklung die 
kleinen Tumoren, die man im normalen 
Uterus kaum vermuten kann, in der 
Schwangerschaft erreichen können und 
die merkwürdigen Symptome, die in ih¬ 
rer Begleitung auftreten, kennen lernen. 

Aber, was insbesondere interessant 
ist, in den Fällen, die uns beschäftigen, 
ist das plötzliche Auftauchen des fibro- 
matösen Tumors bewirkt durch die 
Trennung der Uterusfasem. Da und 
dort war der Tumor parenchymatös, 
rasch wurde er aber subperitoneal. 

Die Darmnaht kann eine zirkuläre 
oder laterale sein, je nach Mobilität des 
Intestinums: Die letztere ist vorzuzie¬ 
hen, und wenn nötig, ist das Colon des- 
cendens zu mobilisieren. 

Die Technik dieser Mobilisation und 
die anatomischen Einzelheiten der Blut- 
bespülung des Beckenkolons, die der 
Chirurg sich gegenwärtig halten muss, 
würden eine allzu lange Auseinander¬ 
setzung erfordern. 

Die Invagination des oberen Stumpfes 
in diesem unteren gibt gute Resultate 
und ist die Methode der Wahl für die 
tiefen Abtragungen. 


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170 


Nkw Yorker Medizinische Monatsschrift. 


Eine aseptische Technik während der 
ganzen Operationsdauer ist die wichtig¬ 
ste Sache und betrifft den Schutz des 
Bauchschnittes, der Peritonealhöhle, die 
Trennung mittels Thermokauterisation 
des Intestinums und die möglichst nicht 
im ganzen Umfang, sondern nur mit 
zwei Flächenpunkten ä la Lembert 
ausgeführte Naht. 

Die Operationsresultate der Radikal¬ 
operation sind verschiedeen, je nach den 
Bedingungen, unter denen die Operation 
ausgeführt wurde. 

In durch Okklusion komplizierten 
Fällen gibt die Radikaloperation sehr 
schlechte Resultate, welche immer auch 
die angewendete Operationsmethode sei. 
Der Prozentsatz der Todesfälle, wie er 
sich bei 84 von mir seit 1900 gesammel¬ 
ten Fällen ergibt, beträgt 60 Prozent. 
Aber die von den einzelnen Kliniken er¬ 
langten Resultate sind noch schlechter. 

Die nicht komplizierten Fälle sind je 
nach den Hauptmethoden eingeteilt 
worden. 

1. Operation in nur eintm Zeitpunkt. 

Gesamtzahl der Fälle 356. Prozent¬ 
satz der Todesfälle 33.4 Prozent; und 
mit Berücksichtigung der verschiedenen 
Positionen des Tumors finden wir ein 
Minimum von 24.4 Prozent für die Tu¬ 
moren des Zökums und ein Maximum 
von 35 Prozent für diejenigen des Sig¬ 
ma. Da diese Statistiken auch vor 1900 
oder kurz nachher operierte Fälle ent¬ 
halten, habe ich noch eine andere be- 
grenztere Auslese gemacht, und zwar 
Fälle von 1905 an betreffend. Hiebei 
fand ich, dass unter 44 nur zwei starben, 
was einen Prozentsatz von 4.5 Prozent 
Todesfällen ergibt. Ich muss aber sa¬ 
gen, dass zirka zwei Drittel dieser Sta¬ 
tistik sich auf Tumoren der rechten Sei¬ 
te mit zirka 4 Prozent Todesfällen be¬ 
ziehen, während andererseits bei links¬ 
seitigen Tumoren 15 Prozent auf zu wei¬ 
sen waren. 

Ich habe im ganzen 68 Fälle von Tu¬ 
moren der rechten Seite gesammelt, die 


mehr in jüngster Zeit operiert worden 
sind und welche 8.8 Prozent Todesfälle 
ergeben haben. Diese Differenz zwi¬ 
schen den Fällen der ersten Zeiten, wel¬ 
che für die rechtsseitigen Tumoren 35 
Prozent und für die linksseitigen 54 
Prozent Todesfälle ergaben, ist sehr be¬ 
merkenswert. 

In den persönlichen Statistiken von 
W. J. M a y o beträgt der Prozentsatz 
an Todesfällen bei rechtsseitigen Tumo¬ 
ren 11 Prozent und bei denen des Sigma 
13 Prozent. Da er uns die für letztere 
in Anwendung gekommene Operations¬ 
methode nicht angibt, kann ich sie nicht 
in die vorhergehenden Statistiken mit- 
einbeziehen. 

2. Enterektomie mit vorhergehendem 
Anus artificialis. 

Ich habe nur 69 in drei Zeitabschnit¬ 
ten operierte Fälle gesammelt und einen 
Prozentsatz von 21.7 Prozent Todesfäl¬ 
len gefunden; 143 nach Mikulicz 
und P a*u 1 operierte Fälle ergaben 12.5 
Prozent Mortalität. Trotz solcher her¬ 
vorragender Resultate scheinen die bei¬ 
den erwähnten Methoden nicht populär 
zu sein, da beide von 211 Fällen im Ge¬ 
gensätze zu 356 einzeitigen Operationen 
repräsentiert sind. 

Fasst man nun die nach diesen drei 
Methoden operierten Fälle mit anderen 
nach kombinierten Methoden oder mit 
einer vorhergehenden Entero-anasto- 
mose operierten und solchen Fällen, für 
die die Operationsmethode nicht ange¬ 
geben wurde, zusammen, ergibt sich eine 
Summe von 739 nicht komplizierten 
Fällen mit einer Mortalität von zirka 26 
Prozent. 

In der Sammlung von de Bovis, 
welche bis 1900 gelangt, wird eine Ge¬ 
samtheit von 346 Enterotomien mit 
einer Mortalität von 32.6 Prozent auf¬ 
geführt. Dies würde einen kleinen Fort¬ 
schritt in den letzten 13 Jahren bedeu¬ 
ten, aber dieser Schluss würde ein un¬ 
richtiger sein, da, wie ich bereits gesagt 
habe, es mir unmöglich war, die dem 


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17! 


Jahre 1900. vorhergehenden oder zu¬ 
nächst vorgekommenen Fälle von mei¬ 
ner Statistik auszuscheiden. 

Wenn wir dagegen der nur die letzten 
Jahre betreffenden Statistik Rechnung 
tragen, haben wir einen sehr niedrigen 


Prozentsatz von Todesfällen (und zwar 
9 Prozent für die rechtsseitigen und 15 
Prozent der linkerseits gelegenen Tumo¬ 
ren) und diese Daten können dartun. 
was wir uns für die Zukunft erwarten 
können. 


Ueber die chirurgische Behandlung der malignen 
Tumoren des Dickdarms.* 

Von Professor Raffaele Bastianelli in Rom. 


Das Hauptthema meiner Ausführun¬ 
gen über die chirurgische Behandlung 
der malignen Tumoren soll die Behand¬ 
lung betreffen, und da will ich nur zwei 
damit eng verbundene Fragen der Pa¬ 
thologie vorerst einer Besprechung un¬ 
terziehen. 

1. Bis wohin sind die Darmwände, 
jenseits der sichtbaren Grenzen, bei ei¬ 
nem Falle von Dickdarmkrebs in Mit¬ 
leidenschaft gezogen? Wenn die Be¬ 
hauptung H a n d 1 e v’s richtig ist, dass 
mittels spezifischer Färbungen der 
Schleimhaut Infiltrationsstreifen in allen 
Richtungen der Mukosa im Umkreise 
des Tumors entdeckt werden können, 
müssen wir systematisch ausgedehnte 
Exstirpationen beträchtlicher Darmab¬ 
schnitte vornehmen, um eines Erfolges 
sicher sein zu können. 2. In welcher 
Zeit und wie häufig sind die Drüsen be¬ 
troffen ? Mein Bericht bringt keine 
Schlüsse über diesen Punkt, da systema¬ 
tische Studien hierüber nicht betrieben 
wurden und die Untersuchungen 
C1 o g g s, welche grösstenteils auf Be¬ 
funde post mortem basieren, uns keine 
genaue Idee über den Status in jenem 
Zeitpunkte verschaffen können, in dem 
ein Tumor zur Operation kommt. 

Wenn ich jetzt zur Besprechung der 
Behandlung komme, muss notwendiger¬ 
weise diejenige der Komplikationen von 
der des Tumors selbst getrennt werden, 

•Auszug aus dem zweiten Teile des Berichtes vor 
-dem Internationalen medizinischen Kongress (Rivista 
ospedaliera). Allg. Witn. m. Ztg. 


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da die ersteren an sich einen Krankheits¬ 
prozess darstellen können, welcher je 
nach seinen speziellen Indikationen eine 
eigene Behandlung erfordert. Unter 
diesen Komplikationen ist die wichtig¬ 
ste der Darmverschluss. 

Ich hoffe, dass alle über das Prinzip, 
dass während bestehender Okklusion 
keine Radikalbehandlung des Tumors 
zulässig ist, einig sind. Welches sind 
die Grenzen eines derartigen prinzi¬ 
piellen Standpunktes? Sollen wir dar¬ 
unter nur die akute und komplette Ok¬ 
klusion verstehen oder diesen Grundsatz 
auch auf den chronischen Verschluss 
und auf leichte Hindernise der fäkalen 
Zirkulation ausdehnen? Ich will gleich 
hervorheben, das der Chirurg sich inner¬ 
halb der Grenzen dieses Prinzips mög¬ 
lichst weit halten soll, da nichts sicherer 
für den Patienten und leichter für den 
Operateur ist, als die Ausführung der 
Operation in mehreren Zeitabschnitten. 

Die Blinddarmtumoren machen eine 
Ausnahme. Bei diesen soll in der Regel 
die primäre Resektion ausgefährt wer¬ 
den, ausgenommen, dass es sich um eine 
schwere und komplette Oklusion han¬ 
delt. Ich möchte aber nicht die Blind¬ 
darmtumoren mit denjenigen des Colon 
ascendens und des Leberwinkels, ein¬ 
schliesslich des rechten Drittels des Co¬ 
lon transversum in eine Linie bringen, 
im Gegensätze zu denjenigen Tumoren, 
welche im absteigenden Kolon oder an 
der linken Seite gelegen sind. Wir wer¬ 
den in der Folge sehen, dass eine solche 


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172 


New Yoekee Medizinische Monatsschrift. 


Trennung sehr wichtig vom technischen 
Gesichtspunkte aus ist; und wenn wir 
auch derselben einen grossen Wert für 
die Entscheidung der Art und Weise 
einer radikalen Operation beimessen, 
möchte ich die Tatsache hervorheben, 
dass ihre Bedeutung, soweit es die Ok¬ 
klusion betrifft, begrenzt ist, und dass 
sie, weil schematisch, die natürlichen 
Mängel jedes Schemas hat. Wenn ein 
Chirurg bei einer Intestinal-Okklusion in 
allen Fällen an eine primäre Exzision 
des Tumors schreiten würde, da der¬ 
selbe an der rechten Seite gelegen ist, 
würde er sicherlich nicht richtig handeln. 

Wenn wir von der akuten Okklusion 
absehen, bei der es unumgänglich ist, 
den Darm zu eröffnen, und die Resek¬ 
tion für den Moment nicht erforderlich 
oder zu gefährlich ist, müssen wir die¬ 
jenigen Fälle, bei denen die Okklusion 
subakut, chronisch oder inkomplett ist, 
in Betracht ziehen. 

Wenn sie durch einen Zökaltumor 
hervorgerufen ist, kann sie bloss vermit¬ 
telst eines am Dünndarm applizierten 
Anus artificialis oder durch eine ileo- 
zökale Anastomose gemildert werden: 
Ersterer wurde als sehr unbequem und 
als Ursache von Erschöpfung angese¬ 
hen, die Anastomose wiederum bringt 
sicherlich grössere Gefahr mit sich und 
kann auch ungenügend sein. Dies sind 
die Gründe, weshalb einige der Ansicht 
sind, dass unter solchen Umständen ein 
Blinddarmtumor in einer Anfangsperio¬ 
de reseziert werden kann, auch schon 
deshalb, weil die Operation leicht auszu¬ 
führen ist. Dagegen kann die durch ei¬ 
nen Tumor des Colon ascendens oder 
des Leberwinkels hervorgerufene Ok¬ 
klusion leicht durch einen künstlichen 
Zökalanus behoben werden. In der Fol¬ 
ge werde ich der Vor- und Nachteile 
desselben, über die ich in meinem Be¬ 
richte ausführlich berichtet habe, ge¬ 
denken. 

Ueberdies kann sich die Radikal-Ope¬ 
ration infolge Lokalisation und Adhäsi¬ 
onen des Tumors schwierig gestalten, 
und wir müssen von Fall zu Fall inbe¬ 


zug auf die Grösse der Geschwulst, all¬ 
gemeine Bedingungen, vorgerücktes Le¬ 
bensalter, Unterschiede machen, da bei 
Bestehen derartiger Umstände kein 
Prinzip strenge festgehalten werden 
kann. 

Für die Tumoren der linken Seite er¬ 
fordert auch die leichte Okklusion einen 
vorher zu applizierenden Anus präter- 
naturalis, da wir den Tumor selten lo¬ 
kalisieren oder aus seiner Ausdehnung, 
seinen Adhäsionen, über die Operabilität 
oder die zur Wiederherstellung der 
Darmkontinuität anwendbar^ Mittel 
ein Urteil fällen können. 

Für mich bedeutet der Anus cöcalis 
die Operation der Wahl. Wenn die Ok¬ 
klusion akut und schwer ist, die Ursache 
nicht bekannt, wäre auch eine Inzision 
an der rechten Seite empfehlenswert. 

Vor allem können wir gleich beobach¬ 
ten, ob das Zökum dilatiert oder leer ist 
und je nach dem Falle handeln; zwei¬ 
tens können wir die Höhle querdurch 
untersuchen, indem wir, wenn es uns 
notwendig erscheinen sollte, behutsam 
die ganze Hand einführen; endlich kön¬ 
nen wir an die Darmhöhle eine Ileum- 
oder Zökumschlinge anheften, um daran 
einen künstlichen Anus zu applizieren. 

Durch diese Manipulationen wollen 
wir, wenn der Schnitt nicht umfangreich 
und nach dem Schema der McBur- 
n e y’schen Inzision für Appendizitis ge¬ 
macht ist, den Austritt der Eingeweide 
und die dadurch drohende Gefahr be¬ 
seitigen. 

Wie man weiss, bieten der Anus am 
Dünndarm und derjenige am Zökum 
Nachteile für die Kranken; meiner Er¬ 
fahrung nach aber sah ich niemanden 
durch das einfache Faktum des Beste¬ 
hens dieser künstlichen Oeffnungen zu¬ 
grundegehen ; auch Menschen, die seit 
drei bis fünf Monaten damit lebten, wie 
ich gelegentlich beobachtet habe, waren 
in gutem Ernährungszustand und befan¬ 
den sich, den Umständen angemessen, 
wohl. 

Sicherlich möchte ich mit Paul über¬ 
einstimmen, einen definitiven Anus ili- 


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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


173 


cactis oder cöcalis als verwerflich zu be¬ 
zeichnen ; ich bist aber nicht dieser Mei¬ 
nung, wenn es nur eine zeitweise Mass¬ 
nahme darstellt. 

Der zökale Anus muss weit seia; die 
Oeffnung der Blinddaia*wand muss die 
Valvula ileo-cöcaüs freilegen; nur so 
ausgeführt wird er sicher und vollstän¬ 
dig den gesamten Intestinalinhalt ab- 
zieben lassen. 

Anderenfalls können wir wahmeh- 
men, dass die Darmschmerzen andauern 
und auch einen Anus linkerseits in Fäl¬ 
len von Tumor des Sigma notwendig 
machen; während oder nach der Resek¬ 
tion des Tumors kann sich dort keine 
vollkommene Sicherheit für die Passage 
der Fäkalmassen ergeben. 

Wenn ich diesen Teil meines Berich¬ 
tes resümiere, möchte ich mir folgende 
Fragen vorlegen: Welches sind die In¬ 
dikationen und Grenzen eines künstli¬ 
chen Anus gegenüber einer primären 
Resektion inbezug auf die Schwere des 
fäkalen Zirkulationshindernisses und der 
Lokalisation des Tumors? Welche ist 
die beste Situation des Anus artificialis? 

Indem ich nun zum Gegenstand der 
Radikalbehandlung gelange, wird die 
Hauptdiskussion natürlicherweise auf 
die primäre Enterektomie im Gegensätze 
zur sekundären fallen. 

Warum die sekundäre Enterektomie 
(unabhängig von der Okklusion) so po¬ 
pulär war, ist wohl bekannt. 'Einfach 
durch technische Erwägungen, wie man 
leicht beobachten kann, wenn wir die 
Exzision des Dünndarms mit jener des 
Dickdarms vergleichen. Im ersteren 
Falle könne wir uns, wie .wir wissen, auf 
die Naht verlassen und die Operation 
wird im allgemeinen vollständig auser- 
halb des Abdomens ausgeführt. Im 
zweiten Falle erweist sich die Ausfüh¬ 
rung der Naht schwieriger infolge der 
Zartheit der Wände, Gegenwart von 
Fettanhängen und unter gewissen Be¬ 
dingungen durch die unvollständige pe¬ 
ritoneale Bekleidung der Darmwände, 
tiefe Lokalisation des Tumors, Möglich¬ 
keit von Nekrose der Ränder durch 


eventuell verminderten Blutzufluss und 
durch -grösstenteils septischen fäkalen 
irihalt. Ueberdies ist in der Folge die 
Vereinigung durch die festen Fäkalmas¬ 
sen bedroht. In der Tat sind die Miss¬ 
erfolge gewöhnlich infolge von Perito¬ 
nitis und Sepsis zahlreich gewesen. 

Deshalb halte ich es für angezeigt, 
mit wenigen Worten in die Diskussion 
über primäre und sekundäre Enterekto¬ 
mie einzugehen. 

Die Resektion und die gleichzeitige 
Naht bilden die ideale Operation, da sie 
in allen Fällen, ausgenommen bei gewis¬ 
sen ausgedehnten Tumoren des Sigma, 
w t o ein definitiver Anus eine von jegli¬ 
cher Methode unabhängige Notwendig¬ 
keit ist, ausgeführt werden kann. Es ist 
die Operation der Wahl für die Tumo¬ 
ren der rechten Seite, da nach der Ent¬ 
fernung des Zökums und des Colon as- 
cendens wir an die ileo-zökale Anasto- 
mose fortschreiten können, die uns eine 
grosse Sicherheitsperspektive darbietet. 
Für die Tumoren der linken Seite be¬ 
stehen, da die Verbindung gewöhnlich 
eine solche von Kolon mit Kolon dar¬ 
stellen wird, alle mit einer derartigen 
Naht verbundenen Gefahren und aus 
diesem Grunde wird die primäre Ver¬ 
bindung, unabhängig von dem Allge¬ 
meinzustande des Patienten und von der 
Okklusion von vielen Chirurgen vermie¬ 
den. Die zirkuläre Naht ist sicherlich 
weniger sicher und dieselbe sollte nur in 
sehr günstigen Fällen, wenn die Darm¬ 
enden einen kompletten Peritonealüber¬ 
zug haben und ihr Kaliber mehr oder 
weniger gleich ist, ausgeführt werden. 
Die laterale Anastomose ist vorzuziehen. 

Ueber die M i k u 1 i c z’sche Opera¬ 
tion habe ich keine persönliche Erfah¬ 
rung, da ich immer bei rechtsseitigen 
Tumoren, wenn möglich, eine primäre 
Operation und bei allen Fällen von 
linksseitigen Tumoren eine Operation in 
drei Zeitabschnitten ausgeführt habe, 
auch wenn die Okklusion keine schwere 
war. 

Ich glaube nicht, dass die Exteriori- 
sation irgendwelche Vorteile vor der 


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174 


New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


Operation in drei Zeitabschnitten, näm¬ 
lich mit vorgängigem künstlichem Anus, 
habe. Dieser erleichtert die Zirkulation 
der Fäkalmassen, gibt Gelegenheit zu 
einer nachfolgenden umfangreichen und 
aseptischen Resektion und eine grosse 
Sicherheit des Erfolges für die komplet¬ 
te Deviation der Fäzes. Endlich lässt 
sich der zökale Anus leicht und ohne 
Gefahren irgendwelcher Art, im Ver¬ 
gleich zum Verschluss des durch die 
Exteriorisation resultierenden Anus 
schliessen. Trotz der guten Resultate 
dieser Methode finden, wie ich glaube, 
die Operationen in einem und in drei 
Zeitabschnitten eine grössere Verwen¬ 
dung und werden die M i k u 1 i c z’sche 
Methode immer mehr in den Schatten 
stellen. Derselben Ansicht bin ich auch 
bezüglich der P a u l’schen Methode, die 
ihrem Schöpfer so glänzende Resultate 
geliefert unter den Chirurgen, aber kei¬ 
ne Popularität erlangt hat. 

In den letzten Jahren herrschte die 
Tendenz vor, häufiger die Operation in 
einem Zeitabschnitte auszuführen, und 
die Resultate sind sehr befriedigend aus¬ 
gefallen; wenn wir aber die einzelnen 
Fälle betrachten, nehmen wir wahr, 
dass es sich grösstenteils um Tumoren, 
die rechterseits gelegen waren, handel¬ 
te, und die Resektion war von einer 
Anastomosis ileocolica gefolgt. 

Ich glaube, dass es am angezeigtesten 
ist, keinen feststehenden Plan zu verfol¬ 
gen, sondern je nach den Umständen die 
verschiedenen Methoden in Verwen¬ 
dung zu ziehen, und der Chirurg wird 
die einzeilige Operation für wenige 
günstige Fälle von Tumoren der linken 
Seite reserviert halten und für die Mehr¬ 
zahl der Zökal-Tumoren ohne akute Ok¬ 
klusion ; in allen anderen Fällen wird 
man sich an die Operation in drei Zeit¬ 
abschnitten zu halten haben. 

Was die Technik der Resektion be¬ 
trifft, will ich die einzelnen Eigentüm¬ 
lichkeiten der vier Gebiete des Kolon, 
welche gemeinsame Punkte bezüglich 
der Blutbespülung und symphatischen 


Drainage besitzen, gesondert bespre¬ 
chen. 

Diese vier Gebiete sind: 

1. Das Dünn-, Dickdarm- und rechts¬ 
seitige Dickdarmgebiet. 

2. Das mittlere Dickdarmgebiet. 

3. Das linksseitige Dickdarmgebiet. 

4. Das untere mesenterische Gebiet. 

Für jedes gilt die Regel, nicht nur den 

Tumor, sondern das damit zusammen¬ 
hängende Lymphgebiet zu entfernen; 
dies erheischt eine umfangreiche Ab¬ 
tragung des Mesenteriums; die Resek¬ 
tion des Intestinums muss also notwen¬ 
digerweise umfangreich sein, viel um¬ 
fangreicher als es für die radikale Ex¬ 
stirpation des Tumors den Anschein ha¬ 
ben könnte. Dies geschieht zu dem 
Zwecke, um eine gute Blutbespülung der 
zu vereinigenden Enden zu erzielen. 

Dieses Prinzip ist technisch von 
grösster Wichtigkeit, da in der fehlen¬ 
den Zirkulation der Dünndarmenden die 
häufigste Ursache des Misserfolges der 
Nähte zu suchen ist. 

Für die rechterseits gelegenen Tumo¬ 
ren ist die typische Operation die ileo- 
zökale Resektion, wobei in jedem Falle 
15 cm des Ileums, das Zökum, das Colon 
ascendens, der Leberwinkel mit der er¬ 
sten Portion des Colon transversum mit¬ 
zunehmen sind. Abgeschlossen wird die 
Operation mit einer seitlichen Vereini¬ 
gung zwischen Ileum und Kolon. Dies 
erreicht man am besten, indem man vor 
allem Intestinum und Tumor mobilisiert 
und die beiden von der hinteren Wand 
des Abdomens, längs der durch Anlage¬ 
rung des primitiven Mesenteriums an 
das rückwärtige Peritoneum gebildeten 
Erhöhung abtrennt. Dann wird das In¬ 
testinum aus dem Abdomen gehoben 
und die Arterien systematisch an ihrem 
Ursprung aus der Arteria mesenterica 
superior unterbunden, zu gleicher Zeit 
die darüber gelagerten lymphatischen 
Drüsen in die Tiefe gedrängt. Hierauf 
wird Intestinum und Mesenterium in ei¬ 
nem Block herausgeschnitten. 


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. New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


175 


Für die Tumoren der Flexura sigmoi- 
dea wäre die typische Operation die 
komplette Abtragung dieses Darmtrak- 
tus mit vorhergehender Abschnürung 
der Arteria mesenterica inferior und 
Abtragung des Mesenteriums mit seinen 
Drüsen und dazu noch der Lymphdrüse 
nahe ihrem Ursprünge. Eine derartige 
Operation würde aber notwendigerweise 
dem unteren Segment die Blutbespülung 
abschneiden; daher müsste dasselbe in 
der Folge bis zum Rektum abgetragen 
werden. Aus diesem Grunde denke ich, 
dass eine solche ausgedehnte Operation 
nicht systematisch ausgeführt werden 
dürfte. 

Die definitiven Resultate sind, wie es 
sich aus 239 seit mehr als drei Jahren 
operierten Fällen ergibt, durch zirka 43 
Prozent repräsentiert, wenn wir sie mit- 
bezug auf die die Operation Ueberleben- 
den in Betracht ziehen; dagegen aber 
nur durch zirka 29 Prozent, wenn wir 
sie io Beziehung zu allen operierten Pa¬ 
tienten bringen, was richtiger ist. 

Die Tumoren des Zökums scheinen 
einen doppelt so grossen Prozentsatz 
dauernder Heilungen im Vergleich zu 
den linksseitigen Tumoren zu ergeben. 

Inwieweit diese Daten der Wahrheit 
nahe kommen, weiss ich nicht. Wenn 
wir uns fragen, wieviele Fälle von 100 
Tumoren des Dickdarmes, die wir sehen, 
bis zum heutigen Tage von den Chirur¬ 
gen zur Heilung gebracht wurden, 
dürften wir zu einem viel entmutigen- 
deren Schlüsse gelangen. 

Wenn wir annehmen, dass bei dem 
gegenwärtigen Stande unserer diagno¬ 
stischen Hilfsmittel fast die Hälfte der 


Fälle zu unserer Beobachtung kommen, 
wenn sie nicht mehr operabel sind, blei¬ 
ben davon nur 50, von denen zirka 25 
Prozent durch die Operation zugrunde 
gehen. Es bleiben also 38 Ueberleben- 
de, von denen weniger als ein Drittel 
nach drei Jahren noch am Leben ist, so- 
dass von allen 100 Fällen 13 Ueber- 
lebende übrig blieben. 

Aber auch nach drei oder mehr Jah¬ 
ren sind Rezidiven häufig, sodass nur ein 
überaus kleiner Prozentsatz, sagen wir 
10 Prozent, uns heute eine entsprechen¬ 
de und approximative Idee unserer bis¬ 
her erreichten definitiven Resultate gibt. 

Dieser Umstand darf uns nicht ent¬ 
mutigen; im Gegenteil, indem wir die 
Operationsmortalität noch unter 9 oder 
12 Prozent zu erniedrigen versuchen 
und in Anbetracht der grossen Fort¬ 
schritte, welche die X-Strahlen in der 
Diagnose herbeigeführt haben, können 
wir erhoffen, im nächsten Dezennium 
viel bessere Resultate zu erzielen. 

Wir können uns dieser Hoffnung ver¬ 
trauensvoll hingeben, weil kein Tumor 
des Verdauungsapparates uns eine 
grössere Aussicht auf Radikalheilung 
gibt als diejenigen des Dickdarms, da 
einerseits ihr Wachstum ein langsames 
ist und die Ausbreitung erst spät vor 
sich geht, andererseits ihre Abtragung 
in solcher Ausdehnung möglich ist, dass 
uns die Sicherheit gegeben ist, weit jen¬ 
seits der Grenzen des Leidens dringen 
zu können. 

Die Vervollkommnung der Technik 
und frühzeitige Diagnose werden uns 
diese Zukunft vergewissern. 


Saratoga Springs. 


Die Ausnützung eines der wertvoll¬ 
sten Besitztümer des Staates New 
York vollzieht sich in Saratoga 
Springs, wo die aus 160 Brunnen, 
Quellen und Bohrungen entnommenen 
Mineralwässer zu Trink- und Bade¬ 


zwecken angewendet werden. Die 
Quellen sind wiederhergestellt worden 
und viele sprudeln oder spritzen aus 
der Erde empor, während alle fort¬ 
währende Wasserzunahme mit stei¬ 
gendem Gasdruck und Mineralgehalt 


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176 


New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


aufweisen. Diese Gesundbrunnen sind 
alle alkalisch-salinisch and enthalten 
wertvolle mineralische Bestandteile, 
welche in wechselnden Proportionen 
und mit einigen Unterschieden auf- 
treten. Alle besitzen Radioaktivität. 
Gegenwärtig sind vier laxierende Wäs¬ 
ser vorhanden, nämlich, Hathorn No. 
1, Hathorn No. 2, Coesa und Orenda, 
von welchen das letztere dem ur¬ 
sprünglichen Kongress - Gesundbrun¬ 
nen in seinen besten Tagen ungefähr 
gleichkommt. Es stehen zwei Tafel¬ 
wässer, Minnonene und Geyser, zur 
Verfügung; das letztere ist in gerin¬ 
gem Grade harntreibend und beide be¬ 
fördern die Verdauung und verbessern 
den Appetit. 

Neben den erwähnten Gesundbrun¬ 
nen, die auf Flaschen gezogen werden, 
gibt es viele andere, die an Ort und 
Stelle getrunken werden können, ein¬ 
schliesslich Karista, welches das stärk¬ 
ste trinkbare Eisenwasser, das man 
kennt, darstellt und von grossem 
Nutzen bei Blutarmut und ähnlichen 
Zuständen ist ; Columbian, ein mildes 
Eisenwasser von gleichem Werte; Za- 
lama, von feinem Geschmack, alka¬ 
lisch-salinisch, einen hübschen Szene¬ 
rie-Effekt als Sprudelquelle darbie¬ 
tend, sowie Emperor und Peerless, 
schwach laxierend und als alterieren- 
des Mittel und Tonikum bekannt. 

Von grösserer Bedeutung als die 
Trinkwässer sind jedoch die Badewäs¬ 
ser, welche gasförmige Kohlensäure in 
einem hohen Grade von Uebersätti- 
gung enthalten. Einige der Quellwäs¬ 
ser enthalten mehr als zwei Volumen 
Gas und es ist möglich, in die Bade¬ 
wanne, wie es täglich geschieht, ein 
hochwertiges Mineralwasser einzulas¬ 
sen, das 1.28 Volumen Gas in dem 
Wasser von der Temperatur des Bades 
aufweist. Diese Bäder sind wirkungs¬ 
voll bei Verdauungsbeschwerden, Neu¬ 
ritis, Nervenschwäche, Erschöpfung, 


Arteriosklerose und gewissen Herz¬ 
krankheiten. Innerlich eingenommen 
sind die Trinkwässer wertvoll bei Ver- 
daungsbeschwerden, Gelenkkrankhei¬ 
ten, Zuckerkrankheit, sowie bei Blut¬ 
armut, wie oben angegeben. 

Somit vereint Saratoga Springs in 
sich die Vorzüge von Karlsbad, Nau¬ 
heim, Kissingen und anderen auslän¬ 
dischen Kurorten. 

Ausser dem jetzt offenen Badehause 
und während der Errichtung eines 
grossen und hochfeinen Etablisse¬ 
ments durch den Staat, rüsten die 
Kommissäre der Staatsreservation in 
Saratoga Springs ein früheres Quell¬ 
haus (in welchem die kaufmännische 
Handhabung des Kohlensäuregases 
sonst vollzogen wurde) für den Em¬ 
pfang von ungefähr dreihundert Pati¬ 
enten pro Tag aus, indem sie moderne, 
mit den neuesten Mineralwasser-Er¬ 
hitzern versehene Wannen aufsetzen 
lassen und Vorbereitungen für die 
beste, gewissenhafteste medizinische 
Behandlung treffen. Dieses Badehaus 
wird im Mai zur Benutzung fertig sein 
und Patienten zur Verfügung stehen, 
die bisher in grosser Anzahl europäi¬ 
sche Kurorte aufgesucht hatten, von 
welchen sie jetzt durch die Kriegszu¬ 
stände ausgeschlossen sind. 

Die von der Reservations-Kommis¬ 
sion verteilten Broschüren enthalten 
interessante Angaben über die Ge¬ 
sundbrunnen, begleitet von Analysen, 
und zeigen an, was in der Linderung 
von Krankheiten durch den Gebrauch 
dieser aussergewöhnlichen Wässer er¬ 
reicht worden ist. Eine Broschüre 
über die Kohlendioxyd-Bäder von Dr. 
F e r r i s vom Reservations-Bureau ist 
auch auf Verlangen erhältlich. 

Das Unternehmen wird unzweifel¬ 
haft dem Staate grossen Gewinn brin¬ 
gen, sobald das projektierte Badehaus 
und die Zentral-Trinkhalle erbaut 
sind. 


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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


177 


Referate und Kritiken. 


Lehrbuch der Massage. Von Dr. med. 
A. Müller. Mit 341 zum Teil far¬ 
bigen Abbildungen nach Original¬ 
zeichnungen des Verfassers. A. 
Marcus & E. Webers Verlag, Bonn, 
1915. 675 S. Preis brosch. Mk. 18, 
geb. Mk. 19.60. 

In dem vorliegenden Lehrbuch der 
Massage hat der Verfasser sein Bemü¬ 
hen besonders dahin gerichtet, festzu¬ 
stellen, dass der Angriffspunkt der Mas¬ 
sage immer der Bevvegungsapparat und 
an diesem ganz besonders die Muskula¬ 
tur ist, gleichviel ob es sich um traumati¬ 
sche, orthopädische, rheumatische oder 
nervöse Beschwerden handelt, dass es in 
allen diesen Fällen ganz bestimmte, 
krankhafte, durch das Tastgefühl nach¬ 
weisbare Veränderungen sind, auf die 
die Massage in spezifischer Weise ein¬ 
wirkt, und dass auf der Beeinflussung 
dieser Veränderungen alle Erfolge be¬ 
ruhen, die durch Massage erreicht wer¬ 
den und erreichbar sind. Mit dieser Er¬ 
kenntnis ist die Einheit auf dem Gebie¬ 
te der Massage hergestellt. Denn es gibt 
damit keine besondere chirurgische und 
keine besondere “Nerven”-Massage 
mehr, sondern eine einheitliche, in je¬ 
dem Falle sich nach der wissenschaft¬ 
lichen Einsicht in den klinischen Zusam¬ 
menhang des Einzelfalles richtende 
Kunst der Masage. In dieser Auffas¬ 
sung und Durchführung wird die Mas¬ 
sage aber auch zu einer besonderen, voll¬ 
berechtigten medizinischen Spezialität. 

Das vorliegende Lehrbuch stellt in 
seinem ersten Teil die allen Massage¬ 
anwendungen gemeinsame wissenschaft¬ 
liche Grundlage dar, während der zwei¬ 
te Teil die auf dieser einheitlichen 
Grundlage sich aufbauende ebenso ein¬ 
heitliche, aber jedem Einzelfalle ohne 
weiteres anpassbare Technik beschreibt. 


Verfasser ist dabei in der Weise vorge¬ 
gangen, dass jede einzelne, durch die 
anatomische Eigenart der Gebilde be¬ 
dingte Handführung, jeder Griff, wie er 
ihn nennt, in Bild, Wort und Bedeutung 
für sich besonders dargestellt wurde. 
Verfasser ist es auf diese Art gelungen, 
gewissermassen einen Atlas der Mas¬ 
sage-Technik herzustellen, und man 
muss zugeben, dass er hiebei an Aus¬ 
giebigkeit der bildlichen Darstellung und 
an Vollständigkeit das Möglichste er¬ 
reicht hat. R. 

Warum hassen uns die Völker? Von 

Dr. Magnus Hirschfeld in 

Berlin. A. Marcus & E. Webers Ver¬ 
lag, Bonn, 1915. 43 S. Preis Mk. 

0.80. 

Wir haben es hier mit einer höchst 
zeitgemässen Broschüre aus der Feder 
des bekannten Berliner Arztes Mag¬ 
nus Hirschfeld zu tun, deren Lek¬ 
türe besonders den Deutschen in Ame¬ 
rika empfohlen werden kann. Sehr 
treffend charakterisiert der Verfasser 
den Deutschenhass als eine geistige Epi¬ 
demie, welcher vor allem drei An¬ 
steckungskeime, die von den Infektions¬ 
trägern weiter und weiter getragen 
werden, zu Grunde liegen: Misstrauen 
— heisst der eine, Missgunst — der an¬ 
dere, Missverstand — der dritte. Wäre 
Verfasser mit den amerikanischen Ver¬ 
hältnissen besser vertraut, hätte er 
wahrscheinlich noch einen vierten An¬ 
steckungskeim erwähnt: Unwissenheit. 
Denn nur die letztere ermöglicht es, 
dass die Verleumdungspolitik der hiesi¬ 
gen anglophilen Tageszeitungen mit ih¬ 
ren blödsinnigen Lügen und Verdäch¬ 
tigungen gegen Deutschland fortwäh¬ 
rend die amerikanische öffentliche Mei¬ 
nung durchseucht. R. 


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178 


New Yorks» Medizinische Monatsschrift. 


Mitteilungen aus der neuesten Joumalliteratur. 


Gynäkologie und Geburtshilfe. 

Prof. O. Hoehne - Kiel: Ueber die 

Behandlung retinierter Plazentar¬ 
reste. 

Seitdem sich Winter 1909 auf dem 
Gynäkologen-Kongress in Strassburg 
gegen die aktive Behandlung retinierter 
Plazentarreste bei uteriner Infektion 
ausgesprochen hat, ist der Streit über 
das Für und Wider der Ausräumung 
nicht verstummt. Hoehne hat nun¬ 
mehr das Material der Kieler Frauen¬ 
klinik aus dem 17jährigen Zeiträume 
1897-1914 nach dieser Seite hin geprüft 
und kam dabei zu den nachstehenden 
Schlussfolgerungen: 

Wenn auch eine schwere puerperale 
Erkrankung nur selten 'direkt auf die 
Retention eines Plazentarrestes, zurück¬ 
zuführen ist, so stellt doch das retinierte 
Plazentarstück auf jeden Fall eine sehr 
unangenehme Komplikation dar, weil es 
die normale Involution des Uterus ver¬ 
hindert, häufig schwächende langdau¬ 
ernde oder profuse sturzartige Blutun¬ 
gen verursacht und mindestens die Ent¬ 
stehung eines ernsten Puerperalfiebers 
begünstigen kann. Es muss also auf das 
richtige Erkennen eines Plazentardefek¬ 
tes und auf die sofortige Entfernung ei¬ 
nes fehlenden Plazentarstückes unmit¬ 
telbar post partum das allergrösste Ge¬ 
wicht gelegt werden. Wird aber der 
Plazentardefekt nicht sofort erkannt, so 
weisen gerade ungewöhnliche Blutver¬ 
luste im Wochenbett, im Verein mit 
schlechter Involution des Uterus und 
OfTenbleiben des Zervikalkanales, auf 
die Retention hin und geben als solche 
oft eine strikte Indikation zur Ausräu¬ 
mung des Uterus. 

* Besteht gleichzeitig Fieber, so braucht 
dies nicht abzuhalten, den Plazentarrest 
zu entfernen, es sei denn, dass die In¬ 
fektion schon die Grenzen des Uterus 
überschritten hat. Allerdings wird man 
gut tun, in solchen fieberhaften Fällen 
nur dann einzugreifen, wenn eine wirk¬ 
lich schwere Blutung zum Handeln 
zwingt, also eine eventuelle spontane 
Ausstossung (Sekalepräparate) nicht 
abgewartet werden kann. Ist der Blut¬ 


verlust nur gering, die Anämie keines¬ 
wegs bedrohlich, so ist es ratsam, die 
Zeit des Abwartens zur bakteriologi¬ 
schen Kontrolle auszunutzen. Ergibt 
letztere keine Streptokokken oder hämo¬ 
lytische Staphylokokken, so wird man 
sich auch bei geringerem Blutverlust 
viel leichter zur baldigen Entleerung des 
Uterus entschliessen können, während 
die Anwesenheit virulenten Keimmate¬ 
rials zu grösster Vorsicht und denkbar 
langem konservativen Verhalten mahnt. 
Entschliesst man sich aber zu aktivem 
Vorgehen, so muss die Säuberung des 
Uterus eine möglichst schonende, ohne 
Zuhilfenahme scharfer Instrumente und 
unbedingt vollständig sein. Die Fälle an 
der Klinik lehren, wie gefährlich gerade 
die unvollständige Ausräumung des 
Uterus für die Puerpera ist. 

Fieber, jauchige Lochien und mangel¬ 
hafte Involution des Uterus allein dür¬ 
fen niemals eine Indikation zum Aus¬ 
tasten des puerperalen Uterus geben, 
sondern nur eine profuse Blutung. 

Hat die puerperale Infektion schon 
die Uteruswand überschritten oder be¬ 
steht schon eine Allgemeininfektion des 
Körpers, so bleibt zu erwägen, ob man 
sich bei profusen Blutungen auf die Ent¬ 
leerung des Plazentarrestes beschränken 
oder besser radikaler Vorgehen soll, in¬ 
dem man den Uterus mit Plazentarrest 
entfernt, eventuell Venenunterbindun¬ 
gen vornimmt, womöglich nach vorheri¬ 
gem Schutz des Peritoneums durch die 
anteoperative Reizbehandlung, mit der 
auch gerade bei puerperalen Infektions¬ 
fällen günstige Erfahrungen gemacht 
wurden. (Zbl. f. Gyn. 1914 Nr. 49.) 

J. Veit- Halle: Das untere Uterin¬ 
segment und seine praktische Be¬ 
deutung. 

Veit stimmt mit A s c h o f f und 
seinen Schülern in der Dreiteilung des 
Uterus überein. Er lehnt nur die histo¬ 
logische Möglichkeit der Charakterisie¬ 
rung ab. Die Bestrebungen, histologi¬ 
sche Charaktere der Schleimhaut des 
unteren Uterinsegmentes zu finden, sind 
ja dankenswert: sie sind aber charakte- 


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ristisch nur am nicht schwangeren Ute¬ 
rus, während wir nicht imstande sind, 
diese Charaktere als masgebend für die 
Geburt und das Wochenbett anzuerken¬ 
nen. Für die Praxis ist die Kenntnis 
des unteren Uterinsegmentes von der 
grössten Bedeutung für die rechtzeitige 
Erkenntnis der Gefahr des Drohens der 
Uterusruptur. Würde der Praktiker 
denken, dass das nur mikroskopisch 
möglich — also am Kreissbett unmög¬ 
lich — sei, so würde er sich in gefahr¬ 


vollem Irrtum befinden. V. ist daher 
der Ansicht, dass die Kenntnis des un¬ 
teren Uterinsegmentes für geburtshilf¬ 
liche und gynäkologische Operationen 
notwendig ist, dass die klinische Er¬ 
kenntnis dieses Abschnittes bei einiger 
Aufmerksamkeit an der Lebenden leicht 
gelingt, dass die Annahme der Dreitei¬ 
lung des Uterus ebenso geboten ist, wie 
die Anerkennung grosser individueller 
Verschiedenheiten dieses Abschnittes. 
(Zbl. f. Gyn. 1914 Nr. 44.) 


Sitzungsberichte. 


Deutsche Medizinische Gesellschaft der Stadt New York. 


Sitzung, Montag, den 5. Oktober 1914. 

Vizepräsident Dr. H. Fischer er¬ 
öffnet in Abwesenheit des Präsidenten 
Dr. G. Seeligmann, der von seiner 
Europareise noch nicht zurückgekehrt 
ist, die Sitzung nach l / 2 9 Uhr. 

In Abwesenheit des protokollieren¬ 
den Sekretärs muss von der Verlesung 
des Protokolls der letzten Sitzung ab¬ 
gesehen werden, und die Versamm¬ 
lung tritt sofort in die Tagesordnung 
ein. 

Vorträge. 

1. Dr. Max Einhorn: Weitere 
Erfahrungen über Duodenalfütterung 
mit Demonstration von Patienten: 

Ich bin gern der Aufforderung des 
Präsidenten, Ihnen heute die Duode¬ 
nalernährung vorzuzeigen, nachge¬ 
kommen und habe zwei Patienten mit¬ 
gebracht, bei denen ich zunächst die 
Nahrung einführen werde. 

Sobald der Schlauch im Duodenum 
sitzt, kann man natürlich Flüssigkeiten 
einführen, ebenso wie man Flüssig¬ 
keiten aus dem Duodenum herausbe¬ 
kommen kann. Man kann die Nah¬ 
rung durch die Schwere ins Duodenum 
fallen lassen. Das habe ich zuerst 
durch einen Irrigator getan, aber ich 
fand, dass die Flüssigkeit entweder zu 
schnell oder zu langsam einfloss, und 
infolgedessen habe ich die Aenderung 
getroffen, dass ich die Nahrung ein¬ 


spritzte. Es stellte sich aber zu um¬ 
ständlich heraus, den Schlauch immer¬ 
fort auf- und zuzumachen, die Spritze 
zu entfernen und zu füllen. Ich habe 
daher eine Hahnvorrichtung einge¬ 
führt, sodass die Spritze nicht abge¬ 
setzt zu werden braucht. Es ist am 
besten, wenn die Nahrung bei Blut¬ 
wärme eingespritzt wird, denn das Du¬ 
odenum ist, ungleich dem Magen, ge¬ 
gen Kälte und Hitze sehr empfindlich. 
Der Magen erwärmt die Speisen. Hier 
müssen wir das selber tun. Das Glas 
wird also in einem Behälter mit war¬ 
mem Wasser gehalten. Sobald die 
Nahrung eingespritzt ist, wird die 
Spritze ausgewaschen. Der Schlauch 
muss immer rein gehalten werden, 
sonst verstopft er sich. Ich gebe die¬ 
sen Patienten gewöhnlich Milch, rohe 
Eier und Zucker. Denen, die den Zucker 
nicht gut vertragen, gebe ich an des¬ 
sen Stelle Butter. Gewöhnlich gebe 
ich 7 Unzen Milch, ein Ei und einen 
Esslöffel Zucker, 15—30 g. Wenn man 
Butter hinzutut, ist es gut, ein wenig 
Mehl beizufügen, das das Fett bindet, 
sonst schwimmt die Butter oben. 
Ausser dieser Ernährung, die der Pa¬ 
tient achtmal des Tags alle zwei Stun¬ 
den erhält, bekommt er noch zwischen¬ 
durch zweimal des Tags 250—500 ccm 
Wasser oder eine Zuckerlösung lang¬ 
sam durch den Schlauch eingeführt. 
Achtmal des Tags 7—8 Unzen Flüssig- 


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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


keit, das ist noch nicht genug, den Ver¬ 
lust des Körpers an Flüssigkeit zu 
decken. Wenn man aber täglich ausser 
der Ernährung 1—2 Liter Wasser hin¬ 
zugibt, dann ist es ungefähr genug. 

(Vorstellung der beiden Patienten.) 

Diser Herr hat einen erweiterten 
Magen, Wanderniere und ausserdem 
ein Magengeschwür und Pylorospas- 
mus. Der andere Herr hat kein Ge¬ 
schwür, aber einen stark erweiterten 
Magen, wie das bei Japanern, wahr¬ 
scheinlich infolge der grossen Mengen 
Pflanzennahrung, öfter der Fall ist. 
Durch die Duodenalernährung ist der 
Umfang des Magens bedeutend ver¬ 
ringert worden. 

Ich habe bisher ungefähr 150 Fälle 
mit der Duodenalernährung behandelt, 
und ich möchte jetzt auf einige Punkte 
hinweisen, die bei der Duodenalernäh¬ 
rung besonders beachtet werden müs¬ 
sen. 

Zunächst muss darauf geachtet wer¬ 
den, dass die Ernährung nicht zu 
schnell vonstatten geht, weil der Pa¬ 
tient sonst Beschwerden hat. Ferner 
muss die Temperatur richtig einge¬ 
stellt werden, wenn sich nicht Unan¬ 
nehmlichkeiten einstellen sollen. Wenn 
Luft mit der Nahrung eingeführt wird, 
kann es leicht zu Störungen kommen. 
Wenn die Nahrung zu heiss einge¬ 
spritzt wird — das geschieht öfter als 
zu kalt — haben die Patienten natür¬ 
lich Beschwerden. Wir fühlen nicht 
den Hitzegrad im Duodenum. Man 
spürt die Reflexerscheinungen; die 
Leute bekommen Herzpalpitationen, 
Schwächeanfälle, Kollapserscheinun¬ 
gen. 

Als Komplikation während der Er¬ 
nährung würde ich einige Erscheinun¬ 
gen bezeichnen, die mehr oder weniger 
als normal betrachtet werden müssen. 
Dahin gehört ein leichtes Gefühl der 
Völle auf der rechten Seite, ferner 
leichte Schweissanfälle kurz nach der 
Ernährung. Gewöhnlich werden diese 
Symptome geringer, wenn sich die Pa¬ 
tienten an die Ernährung gewöhnt ha¬ 
ben. In manchen Fällen bleiben sie 
ausgesprochen. Nur wenige Patienten 
haben gar keine Symptome. Einige 
Patienten bekommen Reizzustände im 
Hals. Dies ist besonders am ersten 


oder zweiten Tag der Fall, nachher 
verliert sich das. Eine Patientin, die 
an schweren Anginaanfällen litt und 
sehr heruntergekommen war, bekam 
eine starke Halsentzündung, mit 
Schwellung der Epiglottis. Nach 1—2 
Tagen entwickelten sich Atembe¬ 
schwerden, kurz, es war ein ernster 
Zustand. Die Frage war, ob man die 
Behandlung unterbrechen und die 
Halsaffektion behandeln sollte. Ich 
dachte die Behandlung fortzusetzen 
und den Versuch zu machen, die Epi¬ 
glottis zu behandeln. Die Affektion 
lag auf der anderen Seite als wo der 
Schlauch lag. Die Epiglottis wurde 
geätzt und es gelang, den Zustand zu 
bessern, und die Patientin genas nicht 
nur von der schweren Halskrankheit, 
sondern auch von dem schweren Ma¬ 
genleiden. 

Schwere Komplikationen infolge der 
Behandlung habe ich sonst nicht ge¬ 
sehen. Was die Indikation für diese 
Behandlung betrifft, so würde ich sa¬ 
gen, die Methode der Duodenalernäh¬ 
rung dient dem Zweck, den Körper in 
geeigneter Ernährung zu erhalten, wo 
die gewöhnliche Ernährung nicht von¬ 
statten gehen kann. Mit Rektalernäh¬ 
rung können wir dem Körper keine ge¬ 
nügende Ernährung verschaffen, das 
können wir aber mit Duodenalernäh¬ 
rung. Wenn der Magen frei ist, brau¬ 
chen wir das Duodenum nicht, im an¬ 
deren Fall tritt die Duodenalernährung 
ein. Ferner dient die Duodenalernäh¬ 
rung zur Ruhigstellung der oberen 
Teile, wenn wir mit der gewöhnlichen 
Behandlung nicht gut fertig werden 
können. Eine Ulzeration kann nicht 
gut heilen, wenn von dem Organ im¬ 
mer Arbeit verlangt wird. Bei diesen 
Ulzerationen des Magens, des Pylorus 
und des Duodenums, bei spastischen 
Zuständen des Pylorus, wenn sie von 
schwerer Natur sind, können wir mit 
dieser Behandlung etwas erzielen. 
Nach meiner Erfahrung hat sich die 
Behandlung auch bei schweren Zu¬ 
ständen, nicht nur bei leichten Ulze¬ 
rationen bewährt. Ich möchte beson¬ 
ders Ulzerationen in der Nähe des Py¬ 
lorus mit spastischen Zuständen her¬ 
vorheben, vorausgesetzt, dass der 
Schlauch durchgeht. Aber wo keine 


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Nkw Yorker Medizinisch! Monatsschrift. 


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wirkliche Striktur ist, erwarten wir, 
dass der Schlauch durchgeht, auch 
wenn es längere Zeit dauert. Auch 
Fälle, wo es sich um schwere Hyper¬ 
sekretion des Magens handelt, werden 
durch diese Behandlung günstig beein¬ 
flusst. 

Diskussion. 

Dr. Mark I. Knapp: Ich möchte 
Herrn Dr. Einhorn fragen, nach 
welcher Methode die ‘Magenerweite¬ 
rung festgestellt worden ist (Dr. Max 
Einhorn: Durch das Plätscherge¬ 
räusch). Ich habe vor zwei Jahren et¬ 
was darüber veröffentlicht. Ich habe 
in dem Fall das Plätschergeräusch in 
der Magengegend wahrgenommen. 
Um die Flüssigkeit vom Magen zu ent¬ 
fernen, habe ich den Schlauch einge¬ 
führt. Aber es kam absolut nichts her¬ 
aus. Später füllte ich den Magen mit 
einer gemessenen Quantität Wasser, 
doch habe ich eine viel grösere Quan¬ 
tität herausbekommen. Dann hörte 
das Plätschergeräusch auf. Somit war 
das Plätschergeräusch nicht im Ma¬ 
gen, obwohl es in der Nachbarschaft 
des Magens, im Duodenum, gewesen. 
Ich glaube nicht, dass wir berechtigt 
sind, vom Plätschergeräusch allein auf 
den Umfang des Magens zu schliessen. 
Ob wir Magenerweiterung haben, das 
können wir durch andere physikali¬ 
sche Methoden genau konstatieren. 

Was wir hier gesehen haben, ist ja 
sehr schön. Ein physikalisches Expe¬ 
riment. Aber die Frage ist die In¬ 
dikationsstellung. Warum sollen wir 
in das Duodenum hineingehen? Die 
Antwort ist gegeben: Läsionen des 
Magens. Die Idee ist ausgezeichnet, 
bloss dass die Peristalsis nach beiden 
Seiten hingeht. Vom Duodenum in 
den Magen ist nicht weit. Wir sahen 
auch, was in den Magen hineingeführt 
worden ist, nicht Fleisch, sondern ein 
bischen Milch, ein Ei, hie und da ein 
bischen Butter. Warum können wir 
nicht ebensogut die Speise durch den 
Mund einführen? Ich habe grade eine 
Patientin, bei der ich dies gern tun 
würde. Es ist ein Fall, der als Neu¬ 
rasthenie angesehen wird. Wenn die 
Patientin sich so schön beschäftigen 
könnte, wäre sehr gut, und ich glaube, 


der Arzt soll alles tun, um seinen Pa¬ 
tienten Gutes zu tun. Ob aber diese 
Methode wirklich heilt, ob wir sie bei 
Ulzeration einführen sollen, das ist 
eine andere Frage. Haben wir Ulkus 
oder kein Ulkus? Haben wir Ulkus, 
dann muss die Behandlung es reizen. 
Haben wir kein Ulkus, dann sollen wir 
nichts einführen. Es schadet freilich 
nicht Warum sollte der kleine 
Schlauch schaden. Spastische Erschei¬ 
nung ist keine Obstruktion, keine or¬ 
ganische Obstruktion. Sie bleibt auch 
nicht immerzu, sie hört auf. Ich will 
nicht weiter auf das Thema eingehen, 
aber ich habe bis jetzt noch nicht ein- 
sehen können, wozu überhaupt diese 
Prozedur eingeführt worden ist. Es 
sei denn, um psychisch einzuwirken. 
Das müssen wir sehr häufig, aber mit 
der Magenerweiterung hat dies nichts 
zu tun, und wenn der Pylorus offen ist, 
dann brauchen wir nicht dieses Eimer- 
chen einzuführen. Ich habe seinerzeit 
Dr. Einhor n’s Schriften über Duo¬ 
denalfütterung gelesen, aber ich habe 
noch nicht einsehen können, warum 
dies geschehen soll, ausser dass es sich 
um psychische Einwirkung handelt. 

Dr. Edmund Stieglitz: Ich 
habe seit einem Jahr diese Duodenal¬ 
behandlung an sieben Patienten durch¬ 
geführt, in einem Fall mit Hilfe von 
Dr. Einhorn. Es war ein ausser¬ 
ordentlich schwieriger Fall von Ulcus 
ventriculi bei einer höchst nervösen 
Frau. Diese Frau hatte innerhalb drei 
Monate drei Ulkuskuren durchge¬ 
macht, zuerst mit Rektalfütterung, 
dann durch einfache Flüssigkeit, und 
schliesslich haben wir, da immer wie¬ 
der Blutung stattfand und die Schmer¬ 
zen und Beschwerden nicht nach- 
liessen, die Duodenalkur eingeführt. 
Die Frau hat ausserordentlich unter 
der Fütterung gelitten; trotz Kodein, 
Atropin u.s.w. hat sie Schmerzen nach 
der Fütterung gehabt. Sie hat aber 
sehr grosse Willenskraft besessen und 
das Rohr 14 Tage bei sich behalten. 
In den letzten drei Tagen konnten wir 
nur drei Fütterungen in 24 Stunden 
durchführen. Sie hat während der Kur 
etwa acht Pfund abgenommen. End¬ 
lich, nachdem das Rohr entfernt war, 
zeigten sich absolut keine Spuren von 


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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


Blut mehr, sie hatte keine Schmerzen 
und Beschwerden mehr, und bei der 
Prüfung mit dem Faden haben wir ab¬ 
solut keine Blutspuren mehr gefunden. 
Die Frau war heute zufällig in der 
Sprechstunde bei mir. Sie ist die dank¬ 
barste Patientin, die ich je gesehen 
habe, und ich bin Herrn Dr. Ein¬ 
horn sehr dankbar, dass er mir die 
Methode gezeigt hat, die Ulzera ohne 
Operation zu heilen, um so dankbarer, 
als ich mit Operation Erfahrungen ge¬ 
habt habe, die nichts weniger als befrie¬ 
digend waren. Vor drei Jahren z. B. 
hatte ich einen Fall, der wegen wieder¬ 
holter heftiger Blutung von einem aus¬ 
gezeichneten Chirurgen operiert wur¬ 
de. Es ging dem Patienten sehr gut, 
er erholte sich ausgezeichnet, die Blu¬ 
tungen waren verschwunden, und er 
war augenscheinlich in guter Gesund¬ 
heit, bis etwa 14 Monate nach der Ope¬ 
ration wieder eine heftige Blutung 
stattfand. Die Patientin wurde ohn¬ 
mächtig. Dann wurde sie mit dem 
E i n h o r n’schen Duodenalrohr be¬ 
handelt und nach 14 Tagen war sie ge¬ 
heilt und die Heilung hat seitdem an¬ 
gehalten. 

Meine letzte Erfahrung, die grade 
geschlossen ist, ist folgende: Am 
Dienstag fand ich im Hospital einen 
Patienten, der wegen organischer 
Striktür des Pylorus operiert werden 
sollte. Da nichts durch den Pylorus 
ging und ausserdem am nächsten Mor¬ 
gen Rosinen und dergleichen Speise¬ 
reste gefunden wurden, so wurde die 
Diagnose auf organische Striktür ge¬ 
macht. Ich schlug vor, dass man dem 
Patienten das Duodenalrohr einführe, 
nachdem man l / 2 Stunde vorher Atro¬ 
pin gegeben. Am nächsten Morgen 
war das Rohr im Duodenum. Der Pa¬ 
tient, der grosse Schmerzen gehabt, 
hatte von dem Augenblick an, wo das 
Rohr im Zwölffingerdarm war, keine 
Schmerzen mehr. Er hat das Rohr 14 
Tage getragen und während der Zeit 
fünf Pfund gewonnen und das Hospi¬ 
tal ohne irgend welche Beshwerden 
verlassen. Solche Erfahrungen ver¬ 
anlassen mich, in dieser Methode den 
grössten Fortschritt in der Behand¬ 
lung der Magenkrankheiten zu sehen, 


den wir in den letzten zehn bis zwan¬ 
zig Jahren gemacht haben. 

Dr. Mark I. Knapp: Ich möchte 
an Herrn Dr. Stieglitz eine Frage 
stellen. Wenn es sich in dem Fall um 
eine organische Striktür gehandelt hat, 
wie kommt es, dass das Duodenalröhr¬ 
chen — der Schlauch ist doch nicht 
von Gold oder Silber oder Eisen — 
nicht zerdrückt worden ist. 

Dr. Stieglitz: Ich stelle mir die 
Sache so vor: Nachdem das Rohr 
durchgegangen war und das Atropin 
den Spasmus des Pylorus gelöst hatte 
und der Magen absolut frei von Speise 
war, genügte der Spasmus nicht mehr, 
das Duodenalrohr zu zerdrücken. 
Ausserdem gab ich in diesem Fall 
grosse Dosen von Bismuth, die jeden¬ 
falls auch dazu beigetragen haben, den 
Spasmus am Pylorus zu verringern. 

Dr. Max Einhorn (Schluss¬ 
wort)): Ich bin Herrn Dr. Stieg¬ 
litz für seine Bemerkungen sehr 
dankbar. Diese Schläuche sind so kon¬ 
struiert, dass sie nicht leicht kollabier¬ 
bar sind. Es gehört schon ein sehr 
starker Druck dazu, wenn kein Inhalt 
durchgehen soll. Ich glaube nicht, 
dass der Spasmus des Pylorus imstan¬ 
de ist, das zu tun. 

Was das Plätschergeräusch betrifft, 
so bin ich fest überzeugt, dass sehr 
viele Aerzte dadurch genau feststellen 
können, wo der Magen liegt. Die Fäl¬ 
le, wo das Plätschergeräusch ausser¬ 
halb des Magens liegt, sind selten, und 
das ist dann eine andere Form. 

(Ein Mitglied der Versammlung 
fragt, was die Markierung des Schlau¬ 
ches zu bedeuten habe.) 

Marke 1 bezeichnet die Entfernung 
von den Lippen zur Kardia; Marke 2 
die Entfernung von den Lippen zum 
Pylorus, wenn der Ende im Pylorus 
liegt; Marke 3, ungefähr 15 cm jenseits 
des Pylorus; Marke 80, der ganze 
Schlauch, ungefähr 80 cm. Nähere 
Erläuterung an der Tafel.) 

Die Einführung ist sehr leicht. Für 
gewöhnlich gebe ich sie am Abend. 
Man muss aber darauf achten, bevor 
der Patient zu Bett geht, dass der 
Schlauch bis 3 hineingekommen ist. 
Während der Nacht hält der Mund den 


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Schlauch fest. In sämtlichen Fällen, 
wo ich die Methode anwenden wollte, 
habe ich sie ohne Schwierigkeit durch¬ 
führen können, ausser es sei denn 
wirkliche Stenose vorhanden. 

2. Dr. Jacob Heckmann liest 
einen Vortrag über sogenannte Schul¬ 
terverstauchung mit Demonstration 
von Röntgenbildem. 

Dr. S. Epstein und Dr. H. 
Fischer diskutieren den Vortrag: 

Präsident Dr. H. Fischer: Wir 
müssen Herrn Dr, Heckmann für 
seinen Vortrag sehr dankbar sein. Es 
handelt sich um eine Frage von so 
grosser Wichtigkeit für die Patienten, 
besonders im Licht unserer jetzigen 
neuen Unfallgesetzgebung. Es sind 
immer die sogenannten Verletzungen, 
die schmerzhaft sind und bei denen 
keine Frakturen da sind, die übersehen 
werden. Sie bilden fast das tägliche 
Brot für die Chirurgen. Wir sehen im¬ 
mer Fälle, die erst nach Wochen und 
Wochen zu uns kommen. 

Die Bemerkungen von Dr. E p 
stein haben mich ebenfalls sehr in¬ 
teressiert. Früher waren wir gewohnt, 
bei grossen Operationen der Brust¬ 
drüse den Arm fest am Körper zu ver¬ 
binden. Es stellte sich aber heraus, 
dass man grosse Mühe hatte, bis die 
Patientin imstande war, ihren Arm ho¬ 
rizontal zu erheben. Später hat man 
angefangen, von dieser Regel abzuge¬ 
hen, und ich war erstaunt zu sehen, 
wie die Frauen sich schon nach vier 
Tagen mit dem Kopf auf den Hals le¬ 
gen und ihr Haar kämmen können. 
Der Grund ist mir nicht ganz klar. Es 
ist nicht allein Fixation des Gelenks. 
Trotzdem können die Patienten ihre 
Muskulatur viel schneller gebrauchen, 
als wenn der Arm in hängender Stel¬ 
lung ist. Ich lege keinen Patienten 
mehr in Verband. 

Präsident Dr. H. Fischer: Ich 
habe der Versammlung noch mitzutei¬ 
len, dass die Abstimmung die einstim¬ 
mige Wahl von Dr. Theodor 
Blum zum Mitglied der Gesellschaft 
ergeben hat. 

Hierauf tritt Vertagung ein. 

Schluss der Sitzung gegen 11 Uhr. 


Sitzung, Montag, den 2. November 
1914. 

Präsident Dr. G. Seeligmann 
eröffnet die Sitzung um l /i9 Uhr und 
die Versammlung tritt sofort in die 
Tagesordnung ein. 

I. Vorstellung von Patienten, Präpa¬ 
raten U.S.W. 

Dr. M. T o e p 1 i t z: Vorstellung 
eines Falles von bulbo-zerebraler Stö¬ 
rung mit Demonstration der Bavaryi- 
schen Probe. 

Diskussion. 

Dr. H. C 1 i m e n k o diskutiert den 
Fall auf Einladung. 

Vorträge. 

1. Dr. Ottojoachim (New Or¬ 
leans) : Kriegschirurgische Beobach¬ 
tungen in einem Garnisonlazaret wäh¬ 
rend des gegenwärtigen Krieges. 

Diskussion. 

Präsident Dr. G. Seeligmann: 
Vielleicht ist unser lieber Kollege Dr. 
Stadtmüller bereit, einige Worte 
über die Erfahrungen zu sagen, die er 
als Leiter eines Lazarets in der Pfalz 
gemacht hat. 

Dr. Norbert Stadtmüller: 
Ich muss zunächst bemerken, dass ich 
nicht auf dem Kriegsschauplatz war. 
So weit bin ich nicht gekommen. Ich 
war vielmehr in der Rheinpfalz, einem 
sogenannten Roten-Kreuz-Lazaret tä¬ 
tig. Vorher hatte ich die Ehre, eine 
Zeit lang zugleich mit dem Kollegen 
Dr. Joachim mich in dem Garnison- 
lazarct Landau zu betätigen. Ich habe 
seinen Worten nur wenig hinzuzufü¬ 
gen. Dr. Joachim hat sich so aus¬ 
führlich über die verschiedenen Wun¬ 
den und ihre Behandlung verbreitet, 
dass ich nur auf zwei Punkte zurück- 
komemn möchte. Die inneren Krank¬ 
heiten und die dem Grenzgebiete zwi¬ 
schen Chirurgie und innerer Medizin 
angehörenden lagen mir besonders am 
Herzen. Da ist mir nun erstens die im 
Vergleich zu anderen Kriegen so ge¬ 
ringe Zahl von Typhusfällen aufgefal¬ 
len. Das ist ganz ungewöhnlich. Im 


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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


spanisch-amerikanischen Krieg z. B. 
sind mehr Soldaten durch den Typhus¬ 
bazillus gefallen als durch die Kugel. 
Unter dem grossen Material in Landau 
habe ich nicht mehr als ein Dutzend 
Typhusfälle gesehen, und unter mei¬ 
nem eigenen Material im Lazaret 
Edenkoben hatte ich nicht einen einzi¬ 
gen Typhusfall, trotzdem die deut¬ 
schen Truppen nicht gegen Typhus 
geimpft sind. Ob das darauf zurück¬ 
zuführen ist, dass ich zu früh auf der 
Szene war und dass der Typhus sich 
später erst entwickelt, weiss ich nicht. 
Sehr wahrscheinlich haben die hygie¬ 
nischen Vorbereitungen, die getroffen 
waren, an diesem ausgezeichneten Re¬ 
sultat mitgewirkt. 

Der zweite Punkt, der mir auffiel, 
betrifft das merkwürdige Heilbestre¬ 
ben von Lungenwunden, die durch Ge¬ 
wehrschüsse gesetzt waren. Granat¬ 
wunden waren freilich ziemlich bös¬ 
artig. Ich sah Fälle durch Lungen¬ 
gangrän und Sepsis infolge von Gra¬ 
natsplitterverletzungen zugrunde ge¬ 
hen trotz operativen Eingreifens. Die 
Wunden, die durch Mantelgeschosse 
gesetzt waren, verliefen gewöhnlich so, 
dass die Leute etwa einen oder zwei 
Tage oder garnicht Blut spuckten, 
dass sie kaum husteten, meist ohne 
Fieber nach dem Lazaret kamen und 
fieberfrei blieben, dass man aber Hä- 
mothorax durch Perkussion, Auskul¬ 
tation und gelegentliche Probepunk¬ 
tion nachweisen konnte. Sie erhalten 
sich meist unter spontaner Aufsau¬ 
gung des Blutergusses, sodass sie bald 
wieder Garnison- und selbst Feld¬ 
dienst tun konnten. Die Schussöffnun¬ 
gen waren gewöhnlich schon nach we 
nigen Tagen geschlossen. Das gilt 
nicht allein für die Mantelgeschosse, 
sondern auch für keinere Granatsplit¬ 
ter, wie diesen bohnengrossen, den ich 
Ihnen hier vorzeige und den ich aus 
der Ausschusswunde unterhalb des 
rechten Schlüsselbeins entfernte. 

Vielleicht könnte man noch auf an¬ 
dere interessante Punkte kommen, wie 
z. B. die Kriegsneurosen. Denn es ist 
keine Frage, wie es traumatische Neu¬ 
rosen gibt, so gibt es Kriegsneurosen 
Diese betreffen häufig das Gebiet der 
Herzinnervation. Wir haben Wochen 


lang hohe Pulsfrequenz, Herzklopfen, 
Schlaflosigkeit und vasomotorische 
Störungen bei Leuten beobachten kön¬ 
nen, die gewiss mit gesundem Herzen 
ins Heer eingetreten waren. Dr. 
J o a c h e m hat das ja erwähnt. Aber 
auch Psychosen sind vorgekommen. 
Ich weiss von einem Fall, wo ein Sol¬ 
dat gleich nach der Schlacht auf seine 
eigenen Kameraden zu schiessen an¬ 
fing. Bei der vorgerückten Zeit muss 
ich wohl weitere Erörterungen bis auf 
eine andere Gelegenheit verschieben. 

Präsident Dr. G. Seeligmann 
spricht den Herren Dr. Joachim 
und Dr. Stadtmüller für ihre Mit¬ 
teilungen den Dank der Gesellschaft 
aus. 

2. Dr. S. Stern: Tiefe Röntgen¬ 
therapie und ihre Anwendung bei der 
Behandlung maligner Geschwülste. 

Präsident Dr. G. Seeligmann 
dankt dem Redner, der den Vortrag in 
englischer Sprache gehalten hatte, 
ebenfalls auf englisch und begrüsst 
und teilt den von Dr. Stern einge¬ 
nommenen Standpunkt, dass es nicht 
die Schuld der Technik, sondern die 
eines noch unbekannten Etwas ist, 
wenn in gewissen Fällen die Behand¬ 
lung erfolglos bleibt. 

3. Dr. W. Stewart: Fortschritte 
der Röntgentechnik in der Diagnose 
der Speiseröhren-Erkrankungen. 

Diskussion von Dr. Knapp und 
Dr. Fischer. 

III. Nomination der Beamten für das 
Jahr 1915. 

Es werden nominiert: 
als Präsident: Dr. Freudenthal: 
als Vizepräsident: Dr. Krause; 
als protok. Sekretär: Dr. Rehling. 
Dr. Stein; 

als stellvertr. protok. Sekretär: Dr 
G r a e s e r : 

als korresp. Sekretär : Dr. K u d 1 i c h, 
Dr. B o p p ; 

als Schatzmeister: Dr. Breiten- 
f e 1 d : 

als Mitglieder des Aufnahme-Komi 
tees: Dr. Seeligmann. Dr 
Pfister, Dr. Stadtmüller, 
Dr. T o r e k, Dr. S e i b e r t, Dr. 
Kämmerer. 


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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


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Dr. Rehling lehnt dankend ab. 
Hierauf tritt Vertagung ein. 

Schluss der Sitzung gegen 11 Uhr. 


Sitzung, Montag, den 7. Dezember 
1914. 

Präsident Dr. G. Seeligmann 
eröffnet die Sitzung um Y^9 Uhr und 
fordert zunächst den Schatzmeister 
Dr. Breitenfeld auf, seinen Jah¬ 
resbericht zu erstatten. 

Schatzmeister Dr. S. Breiten¬ 
feld verliest den Jahresbericht und be¬ 
richtet über den Hilfsfond. 

Auf Antrag von Dr. Carl Pfister 
beschliesst die Versammlung, die Be¬ 
richte des Schatzmeisters mit Dank 
anzunehmen. 

Diskussion. 

Dr. A« Oestmann: Kann viel¬ 
leicht ausnahmsweise auch einmal ein 
früherer deutscher medizinischer Stu¬ 
dent, der einige klinische Semester 
hinter sich hat, aber kein Examen ge¬ 
macht, aus diesem Hilfsfond unter- * 
stützt werden? Ein solcher Student 
kam in der letzten Zeit zu mir in ver¬ 
wahrlostem Zustande. Ich habe ihn 
zu anderen deutsch-akademisch gebil¬ 
deten Herren geschickt und dachte 
auch an unseren Hilfsfonds. Aber so¬ 
viel ich weiss, muss einer das Staats¬ 
examen drüben absolviert haben, um 
auf Unterstützung der Gesellschaft 
Anspruch zu machen. 

Dr. S. Breitenfeld: Nicht nur 
das, sondern er muss auch Mitglied 
der Deutschen Medizinischen Gesell¬ 
schaft sein. Nur in Ausnahmefällen 
wird auch anderen Aerzten Unter¬ 
stützung gegeben. Nicht-Aerzte wer¬ 
den garnicht unterstützt. 

Präsident Dr. G. Seeligmann: 
Ich bin der Ansicht, dass man in 
aussergewöhnlichen Zeiten wie diese 
einen Fall, wie ihn Dr. Oestmann 
mitgeteilt, sehr wohl vor das Hilfs¬ 
komitee bringen könnte, und ich habe 
keinen Zweifel, dass das allgemeine 
Gefühl dafür sein würde, ineinem sol¬ 
chen Fall eine Ausnahme zu machen. 
Wenn die Herren nichts dagegen ha¬ 
ben, schlage ich vor, dass diesem 


Herrn die Adresse des Hilfskomitees 
gegeben wird. 

Die Versammlung erklärt sich da¬ 
mit einverstanden und Dr. Breiten¬ 
feld wird dann das Gesuch des 
Hilfsbedürftigen dem Komitee vorle¬ 
gen. 

Dr. D. Cook fragt, ob es nicht an¬ 
gebracht sei, das Geld, das die Gesell¬ 
schaft für den monatlichen Lunch zah¬ 
le, vielmehr dem Hilfsfonds zu über¬ 
weisen. 

Präsident Dr. G. Seeligmann: 
Es ist gut, dass wir uns einmal über 
diese Frage aussprechen. Wir sind 
eine Gesellschaft geworden, die von 
Jahr zu Jahr trotz aller Anstrengun¬ 
gen, die gemacht werden, weniger 
zahlreich besucht wird und weniger 
aktiv ist, und im Verhältnis zu der 
Zahl der Mitglieder, die sich an den 
Versammlungen beteiligen, sind wir 
eigentlich recht wohlhabend. Wenn 
die Stimmung der Gesellschaft so wä¬ 
re, Leuten, die in Not sind, zu helfen, 
so wäre mir das ausserordentlich sym¬ 
pathisch. Deshalb brauchten wir gar¬ 
nicht auf unseren Lunch zu verzichten. 
Davor fürchte ich mich, denn von er¬ 
fahrener Seite wird betont, wenn der 
Lunch aufhöre, komme vielleicht gar 
niemand mehr. 

Dr. Carl Pfister: Die Frage ist 
schon sehr oft ventiliert worden. Es 
ist wahr, für eine kleine Gesellschaft 
geben wir sehr viel Geld aus. Jede 
einzelne unserer Sitzungen kostet uns 
60 bis 70 Dollar. Was den Lunch be¬ 
trifft, so glaube ich doch, wir sind 
nicht bloss eine wissenschaftliche Ge¬ 
sellschaft, sondern eine Gesellschaft, 
die sich sozial und kollegial treffen 
will, und die einzige Gelegenheit, wo 
die Kollegen Zusammenkommen und 
sich aussprechen können, bietet eben 
der Lunch. Es wäre mir aber genau 
so sympathisch, wenn wir uns offiziell 
in einer Kneipe versammeln wollten. 

Unser Verein hat ein Vermögen von 
über 2,800 Dollar und es stehen uns 
keine grossen Ausgaben bevor. Könn¬ 
ten wir da nicht vielleicht einen Teil, 
etwa 500 Dollar, dem Hilfsfonds über¬ 
weisen? 

Dr. S. Breitenfeld: Der 


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186 


New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


Hilfsfonds hat ja selbst ein Vermögen 
von 1,200 Dollar. 

Dr. H.' K1 e i n: Wenn wir nnser 
Vermögen angreifen wollen, dann wä¬ 
re es wohl angebracht, dass wir den 
Witwen und Waisen unserer Kollegen 
in Deutschland beispringen. Wir sind 
Aerzte und sollten für die Witwen und 
Waisen der Aerzte sorgen. 

Präsident Dr. G. Seeligmann: 
Zur Aufklärung möchte ich bemerken, 
dass von den 9,000 Aerzten an beiden 
Fronten bis jetzt 237 gefallen sind. 
Die Zahl ist klein, aber wir stehen erst 
am Anfang. Dr. K1 e i n’s Vorschlag 
ist mir sehr sympathisch, aber es ist 
vielleicht praktischer, noch etwas zu 
warten, bis sich übersehen lässt, wel¬ 
che Dimensionen die Sache erreicht, 
und dann unser Geld dahin zu 
schicken, wo es am meisten Nutzen 
bringt. 

Die Versammlung ist mit dem Vor¬ 
schlag des Präsidenten einverstanden. 

Präsident Dr. G. Seeligmann: 
teilt zu der bevorstehenden Beamten¬ 
wahl mit, dass Dr. Krause die No¬ 
mination zum Vizepräsidenten abge¬ 
lehnt hat. 

Dr. Carl Pfister nominiert hier¬ 
auf Herrn Dr. H. Fischer zum 
Vizepräsidenten. 

Präsident Dr. G. Seeligmann 
teilt ferner mit, dass auch Dr. Töp¬ 
litz die Nomination zum korrespon¬ 
dierenden Sekretär abgelehnt hat. 

Dr. M. Rehling verliest sodann 
das Protokoll der vorigen Sitzung, 
welches genehmigt wird. 

Die Versammlung tritt hierauf in 
die Tagesordnung ein: 

I. Vorträge. 

1. Dr. Gustav Baar (Portland, 
Ore., und Karlsbad, Oesterr.): Der 

differential-diagnostische Wert der re¬ 
kurrierenden Indikanurie bei Magen- 
Darmkrankheiten. 

Diskussion. 

Dr. A. Oestmann: Der Vortrag 
hat mich sehr entzückt. Ich bin prak¬ 
tischer Arzt und verstehe von diesen 
Dingen nicht viel, aber ich muss sagen, 
ein Viertel aller Patienten, die zu mir 


kommen, kommen mit solchen Sachen 
wie Autointoxikation. Zunächst freue 
ich mich, in der Lage zu sein, an Herrn 
Dr. Baar eine Reihe von Fragen stel¬ 
len zu können. 

Die Diagnose Autointoxikation ist 
noch garnicht alt. Vor zehn, elf Jah¬ 
ren hiess alles „Harnsaure Diathese“, 
unter welchem Namen man sich auch 
kein klares Bild vorstellen konnte. 
Gibt es so etwas überhaupt? Es sei 
mir vergönnt, hier das Kapitel der 
harmlosen Darmantiseptika anzu¬ 
schneiden. 

Wie sind Sie grade auf Ichthyol- 
Irrigation gekommen, und wie stark 
ist sie? Ich weiss, es war vor 25 Jah¬ 
ren ein Lieblingsmittel der Aerzte und 
man gab es damals in grossen Dosen. 
Ich wundere mich, dass Sie von Ich¬ 
thyol, innerlich, durch den Mund, 
nichts gesagt haben. Ich möchte hier 
die Naphthalin-Emulsionen als Klys¬ 
ma zu gebrauchen erwähnen, die vor 
22 Jahren durch Rossbach (in 
Halle?) aufkamen. Ich habe sie ein 
paar Mal bei fürchterlichen gastro-in- 
testinalen Erscheinungen bei Kindern 
mit ausgesprochenem Erfolg ge¬ 
brauch. Die Emulsion besteht aus ei¬ 
nem Gramm Naphthalin mit 100.0 Aq. 
dest. gekocht, und mit 6 Liter kochen¬ 
dem Eibischthee vermischt, auf 37 Grad 
C. abgekühlt zu gebrauchen. Ross¬ 
bach, ich glaube in Halle, empfiehlt 
Naphthalin in Klysmen, auch innerlich 
in Dosen von 0.03. In der letzten Zeit 
ist das Magnesium salicylicum, ein 
Präparat von Schering, aufgekom¬ 
men. Kreosot wird auch in ganz klei¬ 
nen Dosen gegeben. Ich erinnere mich 
eines Lieblingsrezepts von Dr. P e y - 
s e r, das ich von ihm in mehreren 
Konsultationen gelernt und seitdem 
oft angewendet habe. Folgendes Re¬ 
zept wirkt bei Magenstörungen, wie 
sie jedem praktischen Arzt Vorkom¬ 
men, sehr gut: Rp. Kreosot (Beech- 
wood) 10.0, Tinctur. Gentianac 50.0, 
M. D. S. dreimal täglich (nach jeder 
Mahlzeit) 6 Tropfen = 1 Tropfen 

Kreosot in einem Glase guten Port¬ 
weins — Dr. Peyser hatte be¬ 
kanntlich eine Praxis elegans — zu 
nehmen und allmählich zu steigen bis 
auf dreifnal täglich 18 Tropfen. Ich 


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187 


habe dieses Rezept bei Gährungsvor- 
gängen im Magen sehr oft verschrie¬ 
ben und es hat mir ausgezeichnete 
Dienste geleistet, wo andere Sachen 
glänzend versagt haben. 

Sie sagten, Lakto-Bacilline wäre 
nichts. Es wird allerdings markt¬ 
schreierisch in den Handel gebracht, 
aber ich habe doch in verzweifelten 
Fällen von Diabetes mit 2 bis 3 Pro¬ 
zent Zucker den Zuckergehalt ver¬ 
schwinden sehen. Ich kann keine ge¬ 
naue Erklärung dafür geben, da ich 
nur ein einfacher praktischer Arzt 
bin, aber es war ein glänzender klini¬ 
scher Erfolg. Allerdings habe ich auch 
Diabetesfälle gehabt, wo das Mittel 
gar keinen Erfolg hatte. Aber ich bin 
immer auf Lacto-Bacilline zurückge¬ 
kommen. 

Ich möchte gern etwas lernen heute 
Abend. So habe ich jetzt einen Fall 
von schwerem chronischen Durchfall, 
der ein ganzes Jahr durch mehrere 
Hände gegangen ist. Es ist sonst 
nichts nachzuweisen, kein Darmkarzi¬ 
nom, keine Darmtuberkulose, kein 
Darmamyloid. Der Mann sieht ka- 
chektisch aus und hat sehr viel'an Ge¬ 
wicht verloren. Ich gebe ihm eine 
Darmauswaschung mit warmer Koch¬ 
salzlösung, und nachdem sie gemacht 
ist, lasse ich den Darm mit dünn ge¬ 
kochter Stärke mit einem Zusatz von 
Listerine (1 Esslöffel voll zum Liter) 
auswaschen und habe eine genaue Di¬ 
ät vorgeschrieben von Sachen, die 
nicht lange im Darm verweilen, und 
alles, was Diarrhoe verursachen kann, 
habe ich ausgeschlossen. 

Ich möchte gern wissen, was Sie auf 
meine Fragen betreffs harmloser 
Darm-Antiseptica, die auf Zustände, 
die wir unter dem irreführenden und 
unbestimmten Namen „Intestinal Au- 
to-Intoxication“ zusammenfassen, ei¬ 
nen Einfluss üben, zu sagen haben. 

Dr. Daniel Cook: Nach langjähri¬ 
ger Erfahrung kommt man wirklich zu 
dem Schluss, dass, wenn nicht alle, so 
doch ein grosser Prozentsatz aller die¬ 
ser Fälle, wo die Leiden permanent 
sind, auf Trauma im Intestinaltrakt 
beruhen, wie der Vortragende gesagt 
hat. Die Natur kann sich helfen und 
hilft sich so bei den grössten Aus¬ 


schreitungen. Schnell legt sich das 
wieder, und die Leute werden wieder 
wohl, wenn sie sich ein wenig in Acht 
nehmen. Wenn die Sache aber per¬ 
manent wird, besteht gewöhnlich eine 
Läsion. Ich habe in den letzten Wo¬ 
chen einen Fall gehabt. Die Frau war 
seit vielen Jahren behandelt. Auch 
Dr. Einhorn hat sie behandelt. Sie 
war vor vielen Jahren im New Yorker 
Hospital und hat wahrscheinlich da¬ 
mals Appendizitis gehabt, obwohl man 
es Gastritis genannt hatte. Damals 
behandelte man Fälle auf Gastritis, 
heutzutage sehr selten. In diesen 
chronischen Fällen helfen Magenaus¬ 
waschungen und dergleichen nur tem¬ 
porär. Sie bekam vor 2 bis drei Mona¬ 
ten einen Anfall von Appendizitis. 
Ich wurde am Morgen gerufen. Die 
Frau hatte Erbrechen und Verdau¬ 
ungsbeschwerden und ich befürchtete 
eine Wiederkehr des Appendizitis. Sie 
war am Abend nicht besser, fortwäh¬ 
rendes Erbrechen, keine Temperatur, 
keine Spannung der Muskeln. Ich 
blieb die Nacht bei ihr. Nach Mitter¬ 
nacht ging die Temperatur in die Hö¬ 
he, Spannung trat ein, die Frau zog die 
Beine in die Höhe: es war kein Zwei¬ 
fel, dass es Appendizitis war. Ich sag¬ 
te gleich, der Fall muss morgen ins 
Hospital zur Operation. Aber da 
mussten erst andere Mitglieder der 
Familie hinzugezogen werden. Die 
Frau wollte absolut nicht gehen und es 
ward Mittag, bevor wir sie dazu über¬ 
redeten. Dann wollte sie nicht in einer 
Ambulanz fahren, sondern in einem 
Auto. Im Hospital wurde sie operiert 
und der Eiter quoll heraus. Der Ap¬ 
pendix war schon geborsten. Der Ap¬ 
pendix zeigte, dass sie die Sache Jahre 
lang mit sich herumgetragen hatte. 
Viele andere Fälle derartig sind mir 
^vorgekommen. Ich glaube, in allen 
diesen chronischen Fällen haben wir 
eine Läsion in den Eingeweiden, oder 
im Magen oder an der Gallenblase. 

Dr-. Gustav Baar (Schlusswort): 
Ich danke den Herren sehr für die Dis¬ 
kussion meines bescheidenen Beitrags. 
Zuerst möchte ich dem Herrn Kolle¬ 
gen im allgemeinen bemerken, dass ich 
Indikanurie nicht als identisch mit 
Autointoxikation auffasse. Indikan ist 


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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


kein Gift. Wenn wir Indol finden, so 
hat das keine Giftbedeutung, denn ich 
habe in allen diesen Fällen auch die 
Fäzes untersucht, und in vielen Fällen 
haben die Fäzes sehr mässig Indol und 
der Urin massenhaft oder umgekehrt. 
Wenn die Läsion besteht, so genügt 
das Indol der Fäzes, um massenhaft 
Indikan zu geben. 

Was die Bemerkung über Ichthyol- 
Irrigation betrifft, so versichere ich 
Sie, wenn man gewöhnliches Wasser 
nimmt und das Kolon damit aus¬ 
wäscht, hat man genau denselben Er¬ 
folg. Die ganze Reihe der Antisepti¬ 
ka, Bismuth, Salicyl, Ichthyol haben 
keinen Einfluss, ob ich es gebe oder 
nicht. Der Typus der Indikanurie war 
da, was immer ich gab. Es gibt keine 
Darmantiseptika, mit Ausnahme von 
Kalomel. Das ist das einzige, was ir¬ 
gend welchen Einfluss auf die Indi— 
kankurve machte. Ich habe jeden Tag 
40 Proben von allen meinen Patienten 
machen lassen. Deshalb glaube ich, 
muss meine Feststellung irgend wel¬ 
chen Wert haben. Es gibt also keinen 
Einfluss irgend welcher Darmantisep¬ 
tika. Ich habe noch gar keinen Grund 
gehabt, den Darm zu desinfizieren. 
Sie brauchen 1 cg Indol pro kg, um sep¬ 
tische Erscheinungen zu erzielen. Das 
ist eine Quantität, die von keinem 
Menschen noch gebildet wurde. Wo 
kommt die Intoxikation her? Wahr¬ 
scheinlich von anderen Toxinen, und 
gegen die haben wir kein anderes An¬ 
tiseptikum als einfache. 

Es freut mich, dass Herr Dr. Cook 
als alter Praktiker diese Ansicht hat. 
Wenn ich einmal graue Haare habe 
oder gar keine, werde ich zu derselben 
Ansicht kommen. Wenn man Jahre 
lang ein Individuum beobachtet, wie 
Sie getan haben, dann kommt man zu 
der Diagnose, dass viele dieser Fälle 
chirurgische Fälle sind, und wir haben* 
als Internisten nichts damit zu tun 
und sollten das je früher desto besser 
cinsehen. 

Zum Schluss möchte ich Herrn Dr. 
Seeligmann antworten. Warum 
haben die Gallensteine es nur im An¬ 
fall? Gallensteine können latent sein. 
Dann werden sie keine Entzündung in 
der Gallenblase machen. Man hat 


Hunderte solcher Gallenblasen aufge¬ 
schnitten und keine Läsion gefunden. 
Aber wenn die Leute eine Cholezysti¬ 
tis bekommen, d. h. einen Anfall be¬ 
kommen, dann ist die Läsion da, dann 
habe ich eine Lücke in der Mukosa. 
Ich gebe zu, ich habe viele Fälle von 
Appendizitis ohne Indikan gesehen, 
nämlich wenn die Entzündung nicht 
genügend war, um die pathologische 
Läsion der Lücke darzustellen. Das 
gilt auch sonst. Wenn Sie keine Tu¬ 
berkelbazillen im Sputum finden, ha¬ 
ben Sie noch kein Recht zu sagen, es 
ist keine Tuberkulose da. Wenn Sie 
aber Indikan finden, ist sicher eine pa¬ 
thologische Läsion da. Wenn Sie kei¬ 
ne Galle in den Darm hineinb.ekom- 
men, können Si§ auch keine Indikanu¬ 
rie bekommen. Das ist ein Neben¬ 
punkt, auf den ich wegen der Kürze 
der Zeit in meinem Vortrag nicht ein- 
gehen konnte. Die Läsion bleibt be¬ 
stehen, aber wenn sie nicht so war, 
dass sie eine Lücke darstellt, haben 
wir keine Indikanurie. 

Was den Typhus betrifft, so habe 
ich nicht viel Eifahrung. Wir haben 
im Westen nicht viel Typhus. Aber 
so viel kann ich sagen und aus der Li¬ 
teratur feststellen, Typhus hat viel In¬ 
dikanurie, aber auch viele Fälle, wo 
keine Indikanurie vorkommt. Ich 
kann nur so viel sagen: Typhusbazill 
und Kolonbazill sind einander sehr 
ähnlich und jeder Bakteriologe weiss, 
dass die DifFerentialdiagnose dadurch 
gestellt wird, ob der Kolonbazill die 
Typhusbazillen umbringt oder umge¬ 
kehrt. Wenn der Kolonbazill über¬ 
hand nimmt, werden wir Indol haben, 
wenn der Typhusbazill überhand 
nimmt, keines. 

Bei Dysenterie konnte ich finden, 
dass Leute, die Wochen lang dafür be¬ 
handelt sind und Indikanurie haben, 
schliesslich keine Blutung mehr hat¬ 
ten, aber immer noch Indikanurie. Ich 
sagte dem Mann, Du bist noch nicht 
gesund, und nach einigen Wochen ist 
er zurückgekommen. Das Blut war 
negativ geworden, aber noch immer 
bestand Indikanurie. Solange Indika¬ 
nurie da ist, ist die Läsion da. 

Präsident Dr. G. Seeligmann 
spricht Herrn Dr. B a a r für seinen 


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189 


interessanten Vortrag den Dank der 
Gesellschaft aus. 

2. Dr. Arthur Stein: Uebcr den 
sogenannten Dämmerschlaf bei Gebur¬ 
ten. 

Präsident Dr, G. Seeligmann: 
Da ich annehmen darf, dass auch Dr. 
H e 11 m a n über dasselbe Thema be¬ 
richten wird, so schlage ich vor, dass 
wir erst auch seinen Vortrag hören 
und dann die beiden Vorträge zusam¬ 
men diskutieren. Die Versammlung 
ist damit einverstanden. 

3. Dr. A. H e 11 m a n : Erfahrungen 
und Eindrücke an europäischen Klini¬ 
ken. 

Diskussion. 

Dr. M. Rehling: Inbezug auf Ge¬ 
burtshilfe weiss ich nichts über den 
Gebrauch von Skopolamin und Mor¬ 
phin. Ueber den Gebrauch derselben 
bei der Chirurgie habe ich einige Er¬ 
fahrung. Ich glaube, wir werden im¬ 
mer mehr mit lokaler Anästhesie ar¬ 
beiten und als Hilfsmittel werden wir 
solche Sachen wie Skopolamin und 
Morphin gebrauchen. Wir können da¬ 
durch den Shock vermeiden. Ich habe 
eine grose Eiterniere exstirpiert, meh¬ 
rere Kropfoperationen, eine Gastro- 
enterotomie gemacht, die sonst nicht 
angerührt werden konnten, und es 
ging alles glänzend und schön. Man 
muss sich Zeit nehmen, muss den Pa¬ 
tienten Zeit geben, einzuschlafen, ein 
wenig die Hände befestigen, damit sie 
nicht unwillkürlich hingreifen. Ich 
habe auch eine Patientin mit Basedow 
operiert. Sie wurde mir aufgedrängt. 
Diese Patientin war etwa 34 Jahre alt, 
hatte Blutspucken, eine Myokarditis, 
grosse Leber, grosse Milz, Oedeme 
und Aszites, und war fast im Sterben. 
Es war die Frage, ob man sie über¬ 
haupt operieren könnte. Die Familie 
wollte, dass man es wenigstens ver¬ 
suche. Ich gab ihr eine einmalige Do¬ 
sis Skopolamin, nur um zu sehen, was 
es für eine Wirkung habe. Sie wurde 
ruhig und schlief ein. So wurde sie 
dann mit Skopolamin und Morphin 
operiert. Als sie aufwachte, wusste 
sie nicht, dass sie operiert worden war 
und hatte eine ununterbrochene Re¬ 


konvaleszenz. Ich glaube, es ist das 
eine sehr gute Sache, wenn wir es rich¬ 
tig anwenden. 

Dr. Daniel Cook: Ich möchte 
Herrn Dr. Stein fragen, ob er auch, 
wie man bei seinem Verfahren erwar¬ 
ten sollte, weniger Dammrisse beob¬ 
achtet hat. Das würde ein Hauptargu¬ 
ment für die Skopolamin-Narkose sein, 
dann würden die Frauen, bei denen der 
praktizierende Arzt nicht verhindern 
kann, dass das Perineum mehr oder 
weniger zerrissen wird, sich nicht 
mehr mit Ringen u.s.w. herumquälen 
müssen. 

Dr. Arthur Stein (Schlusswort): 
Um die letzte Frage, die Dr. Cook 
gestellt, zuerst zu beantworten, so 
muss ich sagen, dass wir kaum Damm¬ 
risse beobachten. In allen Veröffent¬ 
lichungen wird das ganz besonders 
hervorgehoben, dass dadurch, dass die 
Geburt an und für sich langsam von¬ 
statten geht und die willkürliche An¬ 
wendung der Bauchpresse ausgeschal¬ 
tet ist, die Gefahr des Dammrisses 
ganz bedeutend herabgesetzt wird. 

Ich möchte dann nur einen Punkt 
aus Dr. Hellman’s interessanten 
Bemerkungen herausgreifen, das ist 
die Stroganof f sehe Methode. Ich 
war etwas erstaunt zu hören, dass Dr. 
H e 11 m a n sie überhaupt noch an¬ 
wendet, denn wir alle wissen, dass vor 
wenigen Jahren die Methode, ich 
möchte beinahe sagen ad acta, gelegt 
wurde, und zwar von fast allen bedeu¬ 
tenden Geburtshelfern. Damals wur¬ 
de gegen die Methode folgendes ins 
Feld geführt: Die Eklampsie wird 
hervorgerufen durch ein Gift, das wir 
heute in seiner Art noch nicht genau 
kennen, das aller Wahrscheinlichkeit 
nach aber von der Plazenta ausgeht. 
Wenn wir nun nach der Stroga¬ 
nof f sehen Methode der Frau weiter 
und weiter Gifte dem Körper zufügen, 
ohne die Geburt zu vollenden, so kann 
das auf die Dauer keinen guten Erfolg 
haben. Ich selbst erinnere mich von 
meiner Studenten- und Assistentenzeit 
her, dass diese Methode angewandt 
wurde, aber sie war mir immer -zuwi¬ 
der. Heutzutage gibt es bei Eklampsie 
nur eine rationelle Methode, das ist 
die Entleerung des Uterus während 


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der Schwangerschaft oder Geburt 
durch vaginalen oder den klassischen 
Kaiserschnitt. 

Dr. A. H e 11 m a n spricht ein kur¬ 
zes Schlusswort auf englisch. 

II. Beamtenwahl. 

Die Beamtenwahl für das Jahr 1915 
verlief wie folgt: 

Präsident: Dr. W. Freudenthal. 

Vizepräsident: Dr. H. Fischer. 

Protok. Sekretär: Dr. A. Stein., 


Stellvert. protok. Sekretär: Dr. H. 
G r a e s e r. 

Korresp. Sekretär: Dr. B o p p. 

Schatzmeister: Dr. S. Breiten¬ 
feld. 

Aufnahme-Komitee: Dr. S e e 1 i g - 
mann, Dr. Pfister, Dr. Stadt- 
m ü 11 e r, Dr. T o r e k, Dr. Käm¬ 
merer. 

Hierauf tritt Vertagung ein. 

Schluss der Sitzung J412 Uhr. 


Arzneireklame. 

Referiert von D r. v. O e f e 1 e. 


Casoid Foods.—Thos. Leeming & 
Co., 99 Chambers Street, New York.— 
Prof, von Noorden hat für einen 
Kollegen in St. Louis, Mo., zwei 
Schachteln Biskuit bestellt — in dieser 
Richtung ist ja N o o r d e n genügend 
bekannt — und dies wird für eine rie¬ 
sige Reklame mit Retourpostkarte aus¬ 
genützt. Caseinderivate gehören aller¬ 
dings zu den wichtigsten diätetischen 
Heilmitteln. In Europa sind eine 
Menge solcher Präparate bekannt und 
geschätzt. Die Präparate von C a 1 - 
1 a r d & Co. in London sind nur ver¬ 
einzelte Beispiele. Empfohlen hat 
von Noorden wohl schon jedes die¬ 
ser Präparate, soweit eine finanzkräf¬ 
tige Firma den Vertrieb leitet. Bedau¬ 
erlich ist nur, dass Europa mit seiner 
relativen Armut an Milch das milch¬ 
reiche Amerika durch importierte Ca¬ 
seinpräparate überschwemmt, die doch 
nebenbei durch den weiten Transport 
über See immer an Schmackhaftigkeit 
verlieren. Im einen oder im anderen 
Sinne gehört Amerika dem amerikani¬ 
schen Rindviehe. 

Catgut—Index Abstract of Surgical 
Technique.—Van Horn & Sawtell, 307 
Madison Avenue, New York.—Dieser 
Index-Abstrakt erscheint ziemlich häu¬ 
fig und bringt stets neue Auszüge aus 
der chirurgischen Literatur. Natürlich 
erfolgt die Auswahl der Referate mit 
einer gewissen Rücksicht auf die Em¬ 
pfehlung von Katgut. Wirwerden spä¬ 


ter auf diese periodische Erscheinung 
zurückkommen. 

Regulin Wafers and Ferma Biscuits. 
—The Reinschild Chemical Co., 71 
Barclay Street, New York.—Es ist seit 
Jahrtausenden ein Bestreben für Arz¬ 
neimittel eine angenehme Form der 
Darreichung zu finden. Mode und Ge«: 
schmack der Menschen ändert sich fort¬ 
während. Damit ist auch der Begriff 
einer angenehmen Form der Arznei¬ 
darreichung fortgesetzten V erschie- 
bungen und Veränderungen unterwor¬ 
fen. Manche Arzneistoffe werden fa- 
brikmässig in solche Formen gebracht. 
Es ist unstreitig ein Bedürfnis für diese 
Patentmedizinen vorhanden. Aber das 
Bedürfnis, dass fertige Patentmedizi¬ 
nen als Grundlage für die Ausarbei¬ 
tung von Patentpräparaten zweiter Po¬ 
tenz verwendet werden, kann kaum an¬ 
erkannt werden. Bei vorliegenden 
Präparaten handelt es sich darum um 
ein durch Kaskara verstärktes Gelatine¬ 
präparat als Abführmittel und ein Ei- 
senmanganpeptonat von Dietrich 
in Helfenberg als Antianämikum in 
Backwerkform für Frauen und Kinder 
zu reichen. Pia fraus ist für den Arzt 
nicht völlig zu vermeiden. Aber diese 
Biskuit- und Waffelntherapie geht doch 
wohl zu weit. Es ist schon heute 
manchmal schwer, einen Ice Cream 
Parlor und eine Apotheke zu unter¬ 
scheiden. Doch ist dies insofern ein¬ 
fach, als die Apotheke auch Zigarren 


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New Yorks* Medizinisch* Monatsschrift. 


191 


führt, der Ice Cream Parlor aber nicht. 
Regulinwaffeln und F^rmabiskuit ge¬ 
hören darum schon zum unlautern 
Wettbewerb des Apothekers gegen den 
Konditor. 

Stiefel’s Resorcin Soap—Scarlatina 
Schering & Glatz, New York. —Die 
Empfehlung ist kurz und sachlich, 
wenn auch Referent in Einzelheiten 
anderer Ansicht ist. Es ist jetzt mehr 
als 20 Jahre. All überall herrschte noch 
der strengste Glaube, dass bei Haut¬ 
krankheiten der kleine, Patient ins Bett 
gesteckt werden müsse und jede Be¬ 
rührung der Haut mit Wasser gleich 
tötlichem Gifte wirke. Ich hatte da¬ 
mals einige Scharlachnephritiden un¬ 
günstig verlaufen sehen und stand in 
meiner ersten eigenen Landpraxis ei¬ 
ner Masernepidemie in Niederbayern 
gegenüber. Bei einem zweiten Auf¬ 
flammen dieser Epidemie in einem neu¬ 
en Wirkungsbezirke hatte ich gleich¬ 
zeitig einen verreisten Kollegen zu ver¬ 
treten und dessen eigene Mädchen an 
Masern zu behandeln. Meine Studien 
über die Wechselbeziehungen zwischen 
den verschiedenen Ausscheidungsorga¬ 
nen waren noch nicht so klar wie 
heute; doch die Beziehungen zwischen 
Haut und Nieren bei Scharlach und 
zwischen Haut und Respirationsorga¬ 
nen bei Masern hatte ich schon er¬ 
kannt. Ich griff damals alle 12 Stun¬ 
den sofort bei Beginn der Hautverfär¬ 
bungen zu warmen Schmierseifenwa¬ 
schungen im gut geheizten Zimmer mit 
zweimaligem täglichen Wechsel vorge¬ 
wärmter frischgewaschener Leib- und 
Bettwäsche. So viel ich weiss, war 
ich der erste, der mit dem alten Aber¬ 
glauben der Wasserscheu brach. Mein 
Kollege hatte von diesem Ketzertum 
keine Ahnung, sondern glaubte an ein 
neues Mitbringsel von der Alma Mater 
durch den Anfänger. Er sah den gün¬ 
stigen Erfolg und verbreitete diese Be¬ 
handlung durch Empfehlung bei be¬ 
nachbarten Kollegen. Sie bürgerte 
sich rasch ein, ohne dass jemand recht 
wusste, woher sie kam. Es war dies 
zwischen den Jahren 1887 und 1890. 
Wer in der Monatsschrift meine Darle¬ 
gungen über die Urinzusammensetz¬ 
ung las, wird meinen damaligen Ge¬ 


dankengang, der auch noch meiner 
heutigen Anschauung entspricht, ver¬ 
stehen. Ich habe später auch kurze 
Publikationen darüber geschrieben, so¬ 
viel ich mich erinnere, in Krüche's 
ärztlicher Rundschau und in der von 
Boltenstern oder P a g e 1 redi¬ 
gierten deutschen Aerztezeitung. Es 
interessiert mich darum natürlich um¬ 
somehr, dass Stiefel in Offenbach 
jetzt solche Seifen fertig auf den Markt 
bringt. Allerdings „first in the field“ 
stimmt nicht zu meinen obigen Priori¬ 
tätsansprüchen. Dann kann ich auch 
nicht ersehen, ob S t i e f e Ts Seifen 
Kali- oder Natronseifen sind. Nach 
meinen Erfahrungen sind Kaliseifen 
vorzuziehen. Jedenfalls kann die Me¬ 
dikation von Scharlach, Masern und 
anderen akuten Hauterkrankungen mit 
sieben bis acht Abseifungen und fol¬ 
genden warmen Bädern in den drei bis 
vier ersten Erkrankunstagen nicht 
warm genug empfohlen werden. Alle 
die gefürchteten Begleiterkrankungen 
und Nachkrankheiten innerer Organe 
nach diesen akuten Exanthemen sind 
Folgen gestörten Stoffwechsels und 
werden durch die Abseifungen auf ein 
Mindestmass herabgedrückt. 

Virol.—The Etna Chemical Com¬ 
pany, 708-710 Washington Street, New 
York. —Manche von den annoncierten 
Arzneimitteln müssen wiederholt be¬ 
sprochen werden; denn sie schicken in 
kurzen Zwischenzeiten verschiedene 
Reklamen an Aerzte oder Laien. Sol¬ 
che vielgestaltige Anpreisungen belie¬ 
ben auch die Geschäftsführer von Vi¬ 
rol. Als Anhang der Reklame „Virol 
—its nutrient value“ werden noch 11 
andere kleine Reklameschriften ange- 
boten. Davon liegt mir auch „Before 
and After“ vor. Darin wird eine grös¬ 
sere Reihe von Photogrammen repro¬ 
duziert. Es sind äusserst kacchektische 
Kinder, die auf kürzere oder längere 
Viroldarreichung ein gemästetes Aus¬ 
sehen bekommen haben. Die beglei¬ 
tenden Gewichtskurven können aber 
doch nicht ganz den Eindruck verwi¬ 
schen, dass im Beginn der Viroldar¬ 
reichung akute Darmkatarrhe äusge- 
löst wurden. Auch bei den Bildern 
dürfen wir nicht vergessen, dass die 


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192 


New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


Erfolge glänzend erscheinen, dass sie 
aber nicht vom Arzt für eine unpartei¬ 
ische wissenschaftliche Publikation, 
sondern vom Bureau des Fabrikanten 
für Reklamezwecke ausgewählt wur¬ 
den. 

Casoid Foods for Diabetes.—Thos. 
Leeming & Co., 99 Chambers Street, 
New York.—Kaseinhaltige Nährpräpa¬ 
rate sollen nach dieser Reklame un¬ 
umgänglich in der modernen Behand¬ 
lung von Diabetes sein. Dieser Satz 
ist aber ein Anachronismus in sich 
selbst. Was vor 1890 moderne Dia¬ 
betesbehandlung war, bedurfte Stärke¬ 
freier mehlähnlicher Stoffe ohne da¬ 
von genügend zur Hand zu haben. 
Gegenwärtig hat uns die Technik als 
Abfall der zentralisierten Butterge¬ 
winnung reichliche Kaseinpräparate er¬ 
möglicht. Aber gegenwärtig weiss — 
wenigstens die moderne — Diabetes¬ 
behandlung, dass eine stärkefreie Dia¬ 
betesbehandlung. ungemein viele Ge¬ 
fahrsquellen einschliesst. Bei dem 
kleinen Bruchteil aller Erkrankungen, 
den Diabetes ausmacht, ist es ein aus¬ 
sichtsloses Unternehmen, immer und 
immer wieder neue Nährpräparate für 
die wenigen Diabetiker zu erfinden. 
Die Indikationen für Kaseinnährprä¬ 


parate sind in der wirklich modernen 
diätetischen Behandlung wesentlich 
breiter. Es ist sehr zu wünschen, dass 
die Unmengen von abfallendem Kasein 
in der amerikanischen Milchwirtschaft 
mehr zur Stillung des Stickstoffhun¬ 
gers von gesunden und kranken Leu¬ 
ten der Grossstadt ausgenützt werden. 

Neurosine.—Dios Chemical Co., St. 
Louis, Mo.—Es wird als Neurotikum, 
Antispasmodicum, Anodynum und Hyp- 
notikum empfohlen. Es enthält etwas 
über 8 Prozent Kalium-, Natrium- und 
Ammoniumbromid, 2 Promille Zink¬ 
bromid, 6 Prozent Hopfenextrakt, 8 
Prozent Cascara sagrada, je 0,15 Pro¬ 
mille Bilsenkraut und Tollkirschenex¬ 
trakt, 1 Promille Hanfextrakt, 0,1 Pro¬ 
mille Bittermandelöl und 5 Prozent Al¬ 
kohol mit etwas aromatischem Elixir 
Im Grunde dreht es sich um die be¬ 
kannte alte Erlenmaye r’sche Em¬ 
pfehlung, die verschiedenen Bromide 
zur Verstärkung ihrer Wirkung zu 
kombinieren, eine Empfehlung, die von 
allen Nachprüfern als berechtigt er¬ 
klärt wurde. Diese Brommischung ist 
hier durch andere Sedative verstärkt, 
aber unter Ausschluss der Opiumalka¬ 
loide und des Chlorals. selbstverständ¬ 
lich auch unter Ausschluss von Kokain. 


Kleine Mitteilungen. 


— Choleraschutzimpfung. Das österr. Mini¬ 
sterium des Innern hat mit Erlass vom 9. Nov. 
d J. den Landesregierungen intimiert, die Ge¬ 
impften zu belehren, dass bei dem nur relati¬ 
ven Schutze der Choleraschutzimpfung die 
sonst gebotenen hygienisch-prophylaktischen 
Vorkehrungen nach wie vor eingehalten wer¬ 
den müssen. Zu beachten ist auch, dass eine 
einmalige Injektion keinen genügenden Schutz 
gewährleistet; vielmehr müssen die Impfun¬ 
gen in Abständen von sechs oder acht Tagen 
ein zweites Mal (nach einigen Fachautoren so¬ 
gar ein drittes Mal) wiederholt werden; fer¬ 
ner, dass nur wirksamer, von jeder Reizwir¬ 
kung freier Impfstoff angewendet werden 
darf und dass schliesslich nach fachliterari¬ 
schen Angaben am ersten und zweiten Tage 


nach der Impfung eine erhöhte Empfänglich¬ 
keit für die Krankheit eintreten kann. Es wird 
empfohlen, den Choleraschutzimpfstoff aus 
dem staatlichen serotherapeutischen Institute 
in Wien (IX. Zimmermanngasse 3) zu bezie¬ 
hen. Dieses Institut liefert den Impfstoff in 
Fläschchen von 10 bis 100 ccm zum Preise von 
Kr. 2 bis 16; demnach stellt sich der Preis für 
1 ccm bei Abnahme von mindestens 1 Fläsch¬ 
chen zu 50 ccm auf 16 h.; bei Abnahme klei¬ 
nerer Mengen auf 20 h. Hingegen kommen 
Einzelimpfungen etwas teurer zu stehen und 
zwar 2 ccm zu K. 1. Allfälliger Bedarf an 
Impfstoff aus dem staatlichen serotherapeuti¬ 
schen Institut in Wien ist fallweise unter An¬ 
gabe der Zahl der Portionen und des Ortes 
des Bedarfes daselbst anzusprechen. 


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jMcdtztnfecbc JVIonateöchnft 

OfllstoUea Organ dag 

DottfdHa IHtftxlRifdKt titftHffrrftta 4er Staate Re# York. 

CMcage «Ml eietebnO. 

Herausgegeben von Dr. ALBERT A. RlPPERGER 
unter Mitwirkung von Dr. A. Herzfeld, Dr. H. G. Klotz und Dr. von Oefele. 

Bd. XXV. New York, Januar 1915. Nr. 8. 


Originalarbeiten. 


Der augenblickliche Standpunkt der Syphilistherapie. * 

Von Dr. A. Rosten berg, 

Attending Derroatologist, Bronx Hospital. 

Attending Dermatologist, German Hospital, O. P. D. New York. 


Jn der letzten Versammlung der 
American Medical Association wurde 
in dem Symposium über Syphilis von 
autoritativer Seite die Behauptung auf¬ 
gestellt, dass 99 Prozent aller prakti¬ 
schen Aerzte hierzulande nicht fähig 
wären, Syphilis den heutigen Anforde¬ 
rungen entsprechend zu behandeln. Ob 
diese Behauptung übertrieben ist oder 
nicht, will ich dahingestellt sein lassen* 
Wenn dem aber wirklich so wäre, so 
würde dies einen sehr traurigen Zustand 
bedeuten, da jeder praktische Arzt Sy¬ 
philisfälle sieht und behandelt, und wir 
werden wohl alle zugeben müssen, dass 
Syphilis keine gleichgiltige Erkrankung 
ist. B 1 a s c h k o behauptet, dass 33 
Prozent aller Syphilitiker an Syphilis 
sterben und 50 'Prozent davon an Syphi¬ 
lis eines lebenswichtigen Organs. Da¬ 
her ist es die Pflicht eines jeden prakti¬ 
schen Arztes, - Syphilis richtig zu er¬ 
kennen und richtig zu behandeln, da 

•Vortrag, gehalten in der Deutschen Medizinischen 
Gesellschaft der Stadt New York am 4. Januar 1915. 


diese Seuche, wenn frühzeitig in An¬ 
griff genommen, einer Therapie durch¬ 
aus zugänglich ist, wenn jedoch uner¬ 
kannt und unbehandelt geblieben, zum 
grössten Feinde der menschlichen Ge¬ 
sellschaft wird. 

Ist nun heutzutage ein abschliessendes 
Urteil über die Syphilistherapie gefällt 
worden? Scheinbar nicht! Trotz aller 
modernen Forschungen herrscht sogar 
heute noch unter unseren Meistern eine 
Meinungsverschiedenheit darüber, wel¬ 
che Behandlungsmethode die beste sei. 
Wechselmann im neuen Virchow- 
Krankenhaus in Berlin, der, wie Sie ja 
wohl alle wissen, über ein ungeheuer 
grosses Syphilismaterial verfügt, wen¬ 
det nur Salvarsan an, während Busch- 
k e in demselben Krankenhaus das Sah- 
varsan ganz und gar verwirft und 
Quecksilber immer noch als das allein¬ 
seligmachende Medikament hinstellt. 

Wie bei den meisten Streitfragen ähn¬ 
licher Natur scheint jedoch auch hier die 
Wahrheit glücklicherweise in der Mitte 


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194 


New Yobkeb Medizinische Monatsscheift. 


zu liegen, d. h. die meisten Syphilis¬ 
forscher vertreten heutzutage den 
Standpunkt, dass zu einer rationellen 
Therapie eine rationelle Kombination 
beider Mittel gehört. Beide Mittel tö¬ 
ten entweder die Spirochäten ganz und 
gar oder hemmen wenigstens ihre Ent¬ 
wicklung, und zwar scheint ein jedes 
Mittel, Experimenten zufolge, die 
Mikroorganismen in seiner eigenen, be¬ 
sonderen Art anzugreifen, sodass es 
wohl logisch erscheint, beide Waffen 
gleichzeitig gegen den Feind ins Feld zu 
führen. Weiterhin scheint es, als ob die 
Kombination beider Mittel nicht nur 
wirksamer sei als jedes allein, sondern 
auch als ob die toxische Wirkung auf 
den Organismus des Patienten dabei we¬ 
niger ausgesprochen erscheint. Salvar- 
san setzt nämlich eine grosse Anzahl 
von Endotoxinen frei, während es die 
Spirochäten abtötet, und die Wirkung 
dieser Endotoxine wird bedeutend ab¬ 
geschwächt, wenn Quecksilber vorher 
oder nachher mitangewandt wird. 
Ausserdem wird die wirksame Dosis ei¬ 
nes jeden Medikamentes kleiner bemes¬ 
sen sein können, wenn kombiniert, als 
wenn jedes allein gebraucht würde. 

Die besten therapeutischen Erfolge 
können wir naturgemäss erwarten, wenn 
wir einen Fall im frühesten Primärsta¬ 
dium zu sehen bekommen. N e i s s e r 
und Uhlenbluth haben durch Ex¬ 
perimente an Tieren erwiesen, dass 
gleich nach der Infektion das Virus frei 
im Blut zirkuliert; wird jetzt das Sal- 
varsan in die Vene eingespritzt, so trifft 
es den Feind im offenen Felde und kann 
einen grossen Sieg davontragen, ja viel¬ 
leicht sogar den denkbar grössten Tri¬ 
umph, nämlich eine komplette Sterilisa¬ 
tion des Patienten. Leider gehören aber 
zwei Vorbedingungen dazu, um solch 
ein glänzendes Resultat zu erzielen; er¬ 
stens müssen wir unsere Patienten er¬ 
ziehen, dass sie ihre venerischen Krank¬ 
heiten nicht vor uns verheimlichen und 
erst zu einem guten Freund oder Quack¬ 
salber mit ihren Leiden gehen, und 
zweitens müssen wir auch imstande sein, 


eine richtige Diagnose in diesem frühen 
Stadium zu stellen. Hier heisst es 
„Hic Rhodus, hic salta!” Die Sekun- 
där-Erscheinungen abwarten, wie es in 
den früheren guten Tagen galt, würde 
heutzutage als Ignoranz und Nachläs¬ 
sigkeit angesehen werden. Wir müssen 
auf der Stelle die Diagnose machen und 
demgemäss gleich mit der Behandlung 
anfangen. Leider lässt uns die Wasser- 
mann’sche Reaktion, meiner Meinung 
nach die wertvollste der drei nuen Ent¬ 
deckungen in der modernen Syphilis¬ 
kunde, hier vollständig im Stich. Wir 
sehen selten eine positive Reaktion frü¬ 
her als sechs Wochen nach der Infek¬ 
tion. Hegen wir daher den leisesten 
Zweifel, ob wir es mit einem Ulkus dur¬ 
um zu tun haben oder nicht, so ist es un¬ 
sere Pflicht, nach einer weiteren Bestä¬ 
tigung zu suchen, und glücklicherweise 
haben wir jetzt den Spirochätennachweis 
zu unserer Verfügung. Hier jedoch 
ein Wort der Warnung! Die Tusche¬ 
methode mit indischer Tinte, die ihrer 
Einfachheit wegen sehr populär zu wer¬ 
den scheint, ist nicht zuverlässig. Die 
Untersuchung sollte stets mit dem Dun¬ 
kelfeldapparat vorgenommen werden. 
Hier finden wir oft die Spirochäten auf 
den ersten Blick in grosser Anzahl, 
während wir dasselbe Präparat mit indi¬ 
scher Tinte gefärbt oft stundenlang er¬ 
folglos untersuchen können. 

Haben wir also jetzt eine positive 
Diagnose gestellt, dann heisst es sofort 
mit der Therapie beginnen! Jetzt ha¬ 
ben wir die besten Chancen, wie schon 
früher erwähnt, nicht nur den Schanker 
allein, sondern auch die Krankheit zu 
kurieren. Die Spirochäten sitzen jetzt 
noch im Primäraffekt und vielleicht in 
den benachbarten Lvmpdrüsen. Eine 
einzige Salvarsaneinspritzung kann sie 
mitunter alle abtöten oder wenigstens 
ihre weitere Entwicklung und Verbrei¬ 
tung hemmen. E h r 1 i c h’s „Therapia 
sterilisans magna“ würde somit erreicht 
sein, gamicht so unmöglich in einem so 
frühen Falle! Leider waren aber die 
Rezidive seit diesem berühmten Aus- 


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New Ycbkxb Medizinische Monatsschrift. 


195 


Spruch Ehrlich's so zahlreich, dass 
heutzutage niemand mehr, und Ehr¬ 
lich selbst nicht, es bei einer einzigen 
Einspritzung von Salvarsan bewenden 
lässt. Man muss eine Anzahl davon ge¬ 
ben und Quecksilber mit dazu. 

Soll man den Schanker exzidieren? 
Viele Autoren empfehlen diese Opera¬ 
tion, wenn angänglich. Ich selbst tue 
es nicht, sondern dringe nur auf Rein¬ 
lichkeit und gebrauche Kalomel als 
Streupulver. Ich fange dann meine Be¬ 
handlung mit einer Einspritzung von 
0.3 bis 0.45 Neosalvarsan an, je nach 
Gewicht und Rüstigkeit des Patienten. 
Ich möchte gleich hier betonen, dass ich 
bis vor kurzem fast ausschlieslich Neo¬ 
salvarsan benutzt habe und glaubte, 
dass die Wirkung gerade so gut sei wie 
beim Alt-Salvarsan, nur vielleicht nicht 
so nachhaltend. Da aber jetzt von so 
vielen Seiteen die Wirkung des Neosal- 
varsans der des Alt-Salvarsans nachge¬ 
stellt wird, so habe ich in der letzten 
Zeit auch wieder mit Alt-Salvarsan be¬ 
gonnen, glaube aber immer noch, dass 
für den praktischen Arzt und besonders 
ambulatorisch angewandt das Neosal¬ 
varsan vorzuziehen sei, da es sich so 
leicht in Wasser ohne Zusatz anderer 
Chemikalien auflöst. Dann kann man 
dasselbe in konzentrierter Lösung an¬ 
wenden, eine einfachere und praktische¬ 
re Methode als die Infusion, die Ihnen 
allen ja wohl bekannt ist und die ich hier 
nicht näher beschreiben will. Für die 
sogenannte konzentrierte Methode brau¬ 
chen wir keinen komplizierten Apparat. 
Das Neosalversan wird in 10 ccm frisch 
destilliertem und abgekochtem Wasser, 
das man abkühlen lässt, aufgelöst, in 
eine Recordspritze aufgesogen und lang¬ 
sam in eine Vene, am besten in die Vena 
mediana am Ellbogen, unter aseptischen 
Kautelen eingespritzt. Wie Sie sehen, 
ist dies eine sehr einfache Prozedur und 
kann mit Leichtigkeit zu irgend einer 
Zeit in der Sprechstunde ausgeführt 
werden. Ich pflege meine Patienten zu 
ermahnen, sich hinzulegen, sobald sie 
nach Hause kommen. In vielen Fällen 


ist sogar diese einfache Vorschrift un¬ 
beachtet geblieben, die Patienten sind 
ihrer gewöhnlichen Beschäftigung nach¬ 
gegangen und trotzdem ist glücklicher¬ 
weise nichts passiert. Wie Sie sehen, 
wende ich die direkte intravenöse Me¬ 
thode an, ausser in solchen Fällen, wo 
wegen eines sehr fetten Arms oder sehr 
spärlich entwickelter Venen das Ein¬ 
dringen in das Lumen grosse Schwierig¬ 
keiten bereiten würde, ohne die Vene 
herauszupräparieren, um diese ver¬ 
werfliche Operation zu vermeiden, 
spritze ich in solchen Fällen das 
Salvarsan intramuskulär ein, ent¬ 
weder in wässeriger Lösung oder in ei¬ 
ner öligen Suspension, beides ziemlich 
schmerzhaft, verglichen mit der absolut 
schmerzlosen intravenösen Methode. 
Nach der ersten Einspritzung gebe ich 
meinen Patienten weitere 4 bis 5 Ein¬ 
spritzungen in derselben Weise, wie vor¬ 
hin erörtert, indem ich die zweite Ein¬ 
spritzung nach 8 bis 10 Tagen der er¬ 
sten folgen lasse, und zwar brauche ich, 
falls die erste Einspritzung reaktionslos 
verlaufen war, eine Dosis von 0.45 bis 
0.6, zwei Wochen darauf 0.6 bis 0.75 
und steigere dann in der letzten Ein¬ 
spritzung bis auf 0.9 Neosalvarsan oder 
Salvarsan in den entsprechenden Dosen. 
Gleich nach der ersten Salvarsanein- 
spritzung gebe ich wöchentlich eine 
Quecksilberinjektion und zwar benutze 
ich das fast schmerzlose Salizylqueck- 
silber in 10- bis 20prozentiger Emulsion, 
wovon ich jedesmal 10 Tropfen in die 
Glutaeal-Muskulatur spritze; und gebe 
auf diese Weise 10 bis 15 Injektionen. 
Damit beschliesse ich einen Kursus der 
Behandlung. Vier bis sechs Wochen 
später kontrolliere ich den Erfolg der 
Behandlung durch eine Wassermann- 
Untersuchung. In einer Anzahl der 
Fälle wird dieselbe negativ ausfallen und 
somit ist die Infektion scheinbar abor¬ 
tiert. 

Sollen wir nun mit jeglicher Behand¬ 
lung vor der Hand aufhören und den 
weiteren Verlauf des Falles nur durch 
mehrfache, in bestimmten Zeiträumen 

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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


wiederholte, Wassermann-Untersuchun- 
gen kontrollieren? Viele Autoren ver¬ 
fahren in dieser Weise und eine grosse 
Anzahl von Abortivkuren wurden von 
mannigfacher Seite berichtet. Ich selbst 
habe eine Anzahl derselben in verschie¬ 
denen Kliniken drüben gesehen, ja so¬ 
gar einige davon mit einer luetischen 
Reinfektion. Trotzdem halte ich es per¬ 
sönlich für sicherer, und ich schliesse 
mich hier der Majorität an, es nicht mit 
einer einzelnen Kur bewenden zu lassen, 
sondern den Patienten zwei Jahre lang 
zu behandeln, wenn auch serologische 
und klinische Symptome fehlen, und 
zwar empfehle ich im ersten Jahre zwei 
oder drei und im vierten Jahre ein bis 
zwei Behandlungskurse. 

Haben wir also auf diese Weise unse¬ 
ren Patienten zwei Jahre lang energisch 
behandelt und beobachtet und serolo¬ 
gisch und klinisch keinerlei luetische 
Symptome gefunden, können wir ihn 
dann mit absoluter Sicherheit als kuriert 
erklären und ihm versprechen, kuriert 
zu bleiben? Es ist bis jetzt noch zu 
früh, diese Frage mit absoluter Sicher¬ 
heit zu entscheiden; die Beobachtungs¬ 
dauer, die uns bisher zur Verfügung 
stand, ist eine zu kurze, um definitive 
Schlüsse zu ziehen. Ich selbst bin op¬ 
timistisch genug veranlagt, die Frage 
bejahend zu beantworten. Ist der Pa¬ 
tient jedoch skeptisch oder ist er ein 
Heiratskandidat, dann stehen uns noch 
zwei weitere Proben zur Verfügung, um 
den Status zu eruieren. Die erste Probe 
ist die provokative Wassefmann-Unter- 
suchung, von Gennerich und M i- 
1 i a n vorgeschlagen. Der Patient er¬ 
hält eine mittlere Dosis Salvarsan und 
sein Blut wird zwei Wochen lang unter¬ 
sucht, in der ersten Woche täglich und 
dann am 14. Tage. Sollte irgend eine 
dieser Untersuchungen positiv ausfallen, 
so würde dies beweisen, dass irgendwo 
ein latenter Fokus lebender Spirochäten 
gesessen hat, der durch das Salvarsan 
aufgerührt wurde, ein genügender Be¬ 
weis dafür, dass der Patient noch nicht 
gänzlich kuriert war. Freilich wird da¬ 


durch noch immer nicht bewiesen, dass 
er infektiös ist, und die Erlaubnis zur 
Ehe könnte unter Umständen doch er¬ 
teilt werden. Die zweite Probe besteht 
in der Untersuchung der Cerebrospinal¬ 
flüssigkeit, besonders in den Fällen in¬ 
diziert, wo der Patient zu irgend einer 
Zeit verdächtige cerebrale Symptome 
gezeigt hat, wie z. B. starke Kopf¬ 
schmerzen und Schwindelanfälle. Die 
Cerebrospinalflüssigkeit wird auf die so¬ 
genannten vier Phasen von Nonne hin 
untersucht, bestehend in einem posit. 
Blutwasserm., posit. Wasserm., Lym- 
phocytose und posit. Globulinreaktion 
der Cerebrospinalflüssigkeit. Die Ein¬ 
zelheiten dieser Untersuchungen sind 
mehr oder weniger Laboratorienver¬ 
suche und gehören kaum in den Rahmen 
dieses Vortrags. 

In dem Vorausgehenden haben wir 
die Behandlung der Syphilis in dem 
Primärstadium besprochen. Leider aber 
konsultiert die Mehrzahl unserer Pa¬ 
tienten uns erst, wenn sie es überhaupt 
tun, nachdem die sekundären Erschei¬ 
nungen auf getreten sind. Sie kommen 
mit einer Roseola, Haut- und Schleim¬ 
hautpapeln, einer allgemeinen Adenopa- 
thie etc. 

Jetzt wird die klinische Diagnose wohl 
nicht mehr schwer fallen. Immerhin 
wird es doch ratsam sein, auch hier 
durch eine Wassermann-Probe die Di¬ 
agnose vollauf zu bestätigen, und die 
Reaktion wird jetzt in 100 Prozent der 
Fälle positiv ausfallen. In diesem Sta¬ 
dium bedeutet der Patient eine grosse 
Gefahr für die menschliche Gesellschaft, 
da seine Läsionen von Spirochäten 
durchseucht sind und eine unschuldige 
Infektion durch Berührung leicht genug 
stattfinden kann. Im Salvarsan haben 
wir hier ein ausgezeichnetes Mittel, die 
gefährlichen infektiösen Symptome 
prompt zu beseitigen. Aber wir müssen 
hier vorsichtig sein. Wie schon oben 
erwähnt, könnte jetzt die Wirkung des 
Salvarsans zu stürmisch verlaufen, da 
die enorme Anzahl der abgetöteten Spi¬ 
rochäten eine zu grosse Menge gefähr- 


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197 


Hoher Endotoxine freisetzen könnte. 
Daher werden wir zweckmässiger dem 
Salvarsan eine bis zwei Quecksilberin¬ 
jektionen vorausschicken und dann mit 
Salvarsan nachfolgen, in derselben Wei¬ 
se, wie ich es vorher geschildert habe. 
Jetzt können wir kaum mehr eine Abor¬ 
tivkur erwarten; die Rezidive werden 
zahlreich sein trotz rationeller Therapie. 
Wir werden daher intermittierende 
Quecksilber-Salvansankuren je nach den 
Symptomen drei bis fünf Jahre lang, ja 
mitunter noch länger einschlagen müs¬ 
sen und uns auf den Wassermann-Aus¬ 
fall verlassen, indem ein positiver Was¬ 
sermann als ein Symptom von Syphilis 
betrachtet und demgemäss behandelt 
werden muss, während ein negativer 
Wassermann in prognostischer und the¬ 
rapeutischer Hinsicht nicht absolut ent¬ 
scheidend ist. Heidingsfeld in 
Cincinnati hat an der Hand von 442 
Fällen, die er lege artis etwa 2 1 / 2 Jahre 
behandelt hatte, ausgefunden, dass nur 
77 Prozent derselben wiederholt einen 
negativen Wassermann aufweisen. In 23 
Prozent blieb der Wassermann positiv 
trotz aller Behandlung und trotz Abwe¬ 
senheit alher klinischen Symptome. 

Was soll man nun mit diesen soge¬ 
nannten latenten Fällen anfangen, wo 
scheinbar die Spirochäten salvarsan- 
und quecksilberfest geworden sind ? 
Soll man hier in einer energischen Be¬ 
handlung beharren? Heidingsfeld 
hat gezeigt, dass seine Resultate besser 
waren, wenn er solche Fälle nicht mehr 
spezifisch behandelte, sondern nur To¬ 
nika anwandte oder andere Arsenikprä¬ 
parate wie z. B. das Natrium cacody- 
latum. Auf diese Weise gelang es ihm 
schliesslich, einige dieser persistierenden 
positiven Wasermann-Reaktionen in ne¬ 
gative umzustimmen. 

In den Spätstadien der Lues, allge¬ 
mein als Terziärstadium bekannt, wo 
ausser Haut und Schleimhäuten auch die 
inneren Organe affiziert werden, dürfen 
wir in der Therapie neben Salvarsan und 
Quecksilber unseren alten Freund und 
Beistand, das Jodkalium nicht vergessen. 


Man fängt mit kleineren Dosen an, und 
hat der Patient kein Idiosynkrasie ge¬ 
gen Jod, soll man die Dosen bald bis 
auf 6 bis 8 Gramm einer konzentrierten 
Lösung pro die steigern, am besten in 
Milch oder Vichy verabreicht. Jodkali 
muss auch in allen malignen Formen der 
Lues angewandt werden. Hier aber hat 
das Salvarsan seine glänzendsten Resul¬ 
tate gezeigt, ja ist in vielen Fällen so¬ 
gar zum Lebensretter geworden. Fort¬ 
schreitende Läsionen, die früher durch 
Knochenzerstörung zu argen Ver¬ 
stümmlungen oder durch Perforation 
grosser Blutgefäse zum Tode geführt 
hätten, können jetzt mitunter durch eine 
Salvarsaneinspritzung zum Stillstand 
gebracht werden. Ausser Salvarsan ver¬ 
wenden wir hier auch zweckmässiger 
das energischer wirkende Kalomel an¬ 
statt des Quecksilbersalizylats und zwar 
in derselben Stärke wie dieses und auch 
in Emulsionform. 

Wenn man die Cerebrospinalflüssigkeit 
aller Luetiker untersucht, so findet man 
in einer überraschend grosen Anzahl pa- 
thologi sehe V eränderungen derselben, 
nach Ravaut z. B. in 70 Prozent aller 
sekundären Luesfälle. F o r d v c e be¬ 
hauptet in einer Abhandlung über die 
Behandlung der Syphilis des Nerven¬ 
systems, die neulich erschienen ist, dass 
sobald die Spirochäten sich in dem 
menschlichen Organismus verbreiten,' 
das Nervensystem auch dabei schwer 
ergriffen wird. Das kann sich in einer 
Meningitis mit klinischen Symptomen 
zeigen oder ohne klinische Symptome 
und nur mit Veränderungen in der Ce¬ 
rebrospinalflüssigkeit, die glücklicher¬ 
weise jedoch nur in einer verhältnis¬ 
mässig geringen Anzahl der Fälle spä¬ 
terhin zu organischen Veränderungen 
des Nervensystems führen. Es ist fer¬ 
nerhin erwiesen, dass das Centralnerven¬ 
system sehr früh ergriffen wird. Cere¬ 
brale Lues ist schon vier Monate nach 
der Infektion festgestellt worden, und 
ich selbst habe einen Fall von cerebraler 
Facialisparese gleichzeitig mit einer be¬ 
stehenden Roseöla gesehen. Auch 


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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


N a u n y n behauptet an der Hand eines 
sehr grossen Untersuchungsmaterials, 
dass die Infektion des Nervensystems im 
ersten Jahre nach der Infektion statt¬ 
findet und späterhin die Häufigkeit ab¬ 
nimmt. Noguch i’s Entdeckung le¬ 
bender Spirochäten in den zentralen 
Nervengeweben von Paresis- und Ta¬ 
besfällen hat zweifellos erwiesen, dass 
diese Erkrankungen nicht mehr in die 
Gruppe der meta- oder parasyphiliti¬ 
schen Erscheinungen gehören, wie man 
zuvor glaubte, sondern als echte Fälle 
cerebraler und spinaler Lues aufgefasst 
werden müssen. Salvarsan würde mit 
grosser Erwartung in diesen Fällen an¬ 
gewandt, aber leider waren die Resul¬ 
tate sehr entmutigend, bei Parese durch¬ 
aus nicht besser als früher; bei Tabes 
sah man in manchen Fällen eine geringe 
Beserung einiger Symptome. In den 
sonstigen Fällen von cerebraler Lues, 
wie Gummata, Arteriitis und seröse 
Meningitisformen sind die Erfolge je¬ 
doch erheblich besser als bei alleiniger 
Behandlung mit Quecksilber und Jod. 
Seitdem man aber die früher erwähnten 
pathologischen Veränderungen der Ce¬ 
rebralflüssigkeit in all diesen Fällen ge¬ 
funden hat, ist man auf die Idee gekom¬ 
men, das Salvarsan direkt dem Cerebro¬ 
spinalkanal einzuverleiben, indem man 
annahm, dass aus anatomischen Ur¬ 
sachen das Salvarsan in das Blut einge¬ 
spritzt gar nicht in die Cerebrospinal¬ 
flüssigkeit hineingelangte und deswegen 
nicht mit den dort deponierten Spiro¬ 
chäten in Berührung kam. Seitdem man 
diese direkte intraspinale Methode an¬ 
wendet, sind die therapeutischen Erfolge 
viel besser. Leider aber ist die Methode 
doch noch zu jung, um definitive 
Schlussfolgerungen zuzulassen. 

Bei der Behandlung der kongenitalen 
und acquirierten Lues der Kinder wen¬ 
den wir jetzt auch das Salvarsan an. 
Auch hier ist die intravenöse Methode 
die beste; leider ist die Technik natur- 
gemäss schwieriger als bei den Erwach¬ 
senen ; wenn wir die Medianvene in der 
Ellbogengegend wählen, werden wir die¬ 


selbe meistens freilegen müssen. Um 
dieses zu vermeiden, hat man* die Jugu- 
larvene benutzt oder, wie Holt em¬ 
pfohlen hat, die Postaurikularvenen, die 
besonders beim Schreien des Kindes 
sich anspannen und auf diese Weise das 
Eindringen der Nadel erleichtern. Für 
Kinder bis zu acht Monaten wird man 
ungefähr 0.075 Neosalvarsan anwenden, 
für ältere Kinder ungefähr 5 mmg pro. 
Kilo Körpergewicht. Von den Queck¬ 
silberpräparaten empfiehlt sich Kalomel, 
das sehr gut vertragen wird, weniger 
Inunktionen mit grauer Salbe, bei ganz 
kleinen Kindern sind Sublimatbäder 
sehr zweckmässig. 

Aus dem Vorstehenden erscheint es 
wohl klar, das wir in dem Salvarsan ein 
ganz vorzügliches Mittel in der moder¬ 
nen Syphilistherapie besitzen. Wir 
müssen darüber aber nicht vergessen, 
dass dasselbe durchaus kein gleichgülti¬ 
ges Mittel ist und um es mit Sicherheit 
anwenden zu können, müssen wir auch 
mit seinen Nebenerscheinungen, Kon¬ 
traindikationen und möglichen Gefah¬ 
ren vollkommen vertraut sein. Es wird 
uns dieses sofort klar werden, wenn wir 
bedenken, dass Salvarsan 34 Prozent 
reines Arsenik enthält. Die Chemie 
lehrt uns, dass Arsenik Albumen koagu¬ 
liert und dass die Funktion einer Zelle, 
die gereizt ist und besonders einer 
exkretorischen epithelialen Zelle, durch 
Arsenik entweder behindert oder in hö¬ 
herem Grade ganz und gar aufgehoben 
werden kann. Ist die Niere ergriffen, 
so wird Anurie einsetzen, die Uriüaus- 
scheidung wird unmöglich gemacht, das 
Arsenik wird sich im Körper anhäufen 
und schliesslich Vergiftungserscheinun¬ 
gen hervorrufen. Daher muss man von 
vorne herein solche Fälle ausschliessen, 
bei welchen die Ausscheidung des Ar¬ 
seniks erschwert oder unmöglich er¬ 
scheint, so z. B. bei Erkrankungen der 
Nieren, der Leber und des Darmkanals. 
Ferner ist es ratsam, Fälle von schwe¬ 
ren Cirkulationsstörungen wie unkom- 
pensierte Klappenfehler, vorgeschrittene 
Myocarditiden, Aneurysmen, schwere 

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New Yoft ku Medizinische Monatsschrift. 


199 


Arteriosklerose auszuschliessen, auch 
vorgeschrittene Tuberkulose, Alkoholis¬ 
mus und alle kachektischen Zustände 
werden eine Kontraindikation darstellen 
oder wenigstens zu sehr grosser Vor¬ 
sicht mahnen,. ausser wenn diese Zu¬ 
stände direkt durch die Lues verursacht 
waren. 

Beobachtet man alle diese Vorsichts- 
massregeln genau, dann werden N e i s- 
s e r zufolge 99.9 Prozent aller Salvar- 
saneinspritzungen symptomlos verlaufen 
oder wenigstens nur von ganz geringer 
Reaktion gefolgt sein, wie z. B. geringer 
Temperatursteigerung, leichtem Erbre¬ 
chen oder Durchfall. Diese Symptome 
treten gewöhnlich vier bis fünf Stunden 
nach der Einspritzung auf, um dann am 
nächsten Tage vollständig zu verschwin¬ 
den. Wechsel mann und andere 
behaupten, dass diese Erscheinungen 
garnichts mit dem Salvarsan zu tun ha¬ 
ben, sondern durch tote saprophytische 
Bakterien, die sich in dem abgekochten 
Wasser anhäufen, odei» durch Bei¬ 
mischungen von Blei und anderen me¬ 
tallischen Substanzen, die von den Glas- 
ntensilien herrühren, verursacht werden, 
der sogenannten Glas- oder Wasserfeh¬ 
ler. Diese Erklärung erscheint doch et¬ 
was gekünstelt und wird auch heutzu¬ 
tage von den meisten Autoren nicht 
mehr anerkannt. Es scheint doch, 
•das die oben erwähnten Symptome leich¬ 
te Vergiftungserscheinungen sind, die 
durch das Arsenik hervorgerufen wer¬ 
den. 

Ein weiteres toxisches Phänomen ist 
•die sogenannte Jarisch-Herzheimerische 
Reaktion, eine vasomotorische Störung, 
die sich in den verschiedenen Organen in 
verschiedenem Grade zeigt. Die spezi¬ 
fischen Läsionen erscheinen dabei mehr 
ausgesprochen, die Roseolen erscheinen 
z. B. grösser und in einer dunkler roten 
Farbe. Die Ursache dieser Reaktion 
wird von den meisten Autoren so er¬ 
klärt, das die Endotoxine, die während 
<ies Abtötens der Spirochäten frei wer¬ 
den, die Kapillaren dilatieren und da¬ 


durch in den umliegenden Geweben ein 
Oedem verursachen. 

Von manchen Autoren ist auch das 
Erscheinen der so sehr gefürchteten 
Neurorezidive als eine späte Herzhei¬ 
merische Reaktion erklärt worden. Die¬ 
se Xeurorezidive sind Paresen oder Pa¬ 
ralysen von Gehirnnerven, besonders ist 
der Acusticus, Opticus und Facialis be¬ 
troffen. Auch meningitische Reizer¬ 
scheinungen, die zu epileptiformen At¬ 
tacken führen, gehören hierher. Eine 
ziemlich grosse Anzahl dieser Fälle wur¬ 
de am Anfang der Salvarsanära beob¬ 
achtet. Die Erfahrungen mit Atoxyl, 
das zu totaler Blindheit in einer Anzahl 
von Fällen geführt hatte, war noch 
frisch im Angedenken der Profession, 
und natürlich erhob sich auch ein 
grosser Protest gegen Salvarsan. Dem 
gegenüber versuchte Ehrlich, unter¬ 
stützt von N e i s s e r und Wechsel¬ 
mann, zu beweisen, dass es nicht das 
Salvarsan sein könne, das diese Neuro- 
rezidive verursachte, da die beste Be¬ 
handlung für diese Fälle eine prompte 
weitere Salvarsaninjektion sei. Sie be¬ 
haupteten, dass die Ursache in einer un¬ 
genügenden Behandlung läge, wobei ei¬ 
nige Herde von nicht abgetöteten Spiro¬ 
chäten zurückblieben, besonders in der 
Cerebrospinalflüssigkeit, wo ein Ein¬ 
dringen des -Salvarsans durch Diffusion 
nicht hatte stattfinden können. Diese 
zurückgebliebenen Herde werden daher 
durch die Behandlung nur irritiert und 
nehmen den Charakter einer primären 
Läsion an, d. h. sie rufen eine schwere 
lokale entzündliche Reaktion hervor, 
wobei die Nerven durch Druck affiziert 
werden, besonders an den Stellen, an 
welchen sie durch enge Foramina aus 
dem Schädel austreten. 

Im Gegensatz zu Ehrlich und sei¬ 
nen Anhängern behauptet Finger und 
andere, dass das Salvarsan infolge sei¬ 
ner neurotropischen Eigenschaften einen 
Locus minoris resistentiae im Central¬ 
nervensystem herbeiführe, sodass der 
syphilitische Prozes dort eher einen fe- 


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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


sten Fuss fassen könne, oder aber, dass 
das durch die Syphilisinfektion ge¬ 
schwächte Nervensystem einen geringe¬ 
ren Widerstand der toxischen Wirkung 
des Salvarsans darböte. Wieder andere 
Autoren entlasten das Salvarsan gänz¬ 
lich und behaupten, dass diese Neuro- 
rezidive in der natürlichen Folge der 
Krankheit früher oder später doch von 
selbst aufgetreten wären. Was nun auch 
die wirkliche Ursache dieser Neurorezi- 
dive sein mag, die Tatsache steht fest, 
dass wir dieselben heutzutage viel selte¬ 
ner sehen, seitdem wir nicht mehr ver¬ 
einzelte grosse Dosen von Salvarsan an¬ 
wenden und seitdem wir Quecksilber mit 
dabei benutzen. 

Glücklicherweise verlaufen die Neu- 
rorezidive in den meisten Fällen nicht 
tötlich. Leider aber sind auch Todes¬ 
fälle nach Salvarsananwendung vorge¬ 
kommen und werden, wie ich befürchte, 
auch in der Zukunft auftreten, aber hof¬ 
fentlich viel seltener als in der Vergan¬ 
genheit. 

Meutberger in Strassburg hat 
274 Salvarsan- und Neosalvarsantodes- 
fälle bis zum Januar 1914 zusammenge¬ 
stellt. Schmitt in Würzburg hat 
nach eingehender Revision dieser Fälle 
die Anzahl auf 172 reduziert, da 102 
Fälle nicht genügend erwiesen waren. 
Von diesen 172 Fällen waren die Mehr¬ 
zahl leider junge Leute zwischen 20 und 
40 Jahren, die ausser ihrer Lues sonst 
vollständig gesund waren. Die Todes¬ 
fälle passierten in allen Stadien der 
Lues und unabhängig von der Anzahl 
und Dosis der Salvansaneinspritzungen. 

Man kann diese Todesfälle gewisser- 
massen in drei Gruppen teilen. In der 
ersten Gruppe starben die Patienten 
ganz plötzlich nach der Einspritzung, 
ohne vorher irgendwelche alarmierende 
Symptome zur Schau getragen zu ha¬ 
ben. 

In der zweiten Gruppe entwickelten 
sich die Symptome mehr subakut einige 
Tage nach der Injektion. Sie bestanden 
in heftigen Kopfschmerzen, allgemeiner 
Körperschwäche, heftigem Erbrechen, 


Diarrhoe, Sphinkterenlähmutlgep, Atem¬ 
not, Cyanose, Konvulsionen, schliesslich 
Koma und Exitus nach drei bis vier Ta¬ 
gen. Bei der Autopsie hat man gewöhn¬ 
lich eine seröse Meningitis und hämor¬ 
rhagische Encephalitis gefunden. 

In der dritten Gruppe fand man voll¬ 
ständige oder partielle Harnverhaltung* 
Hämaturie und Konvulsionen, die in ei¬ 
nigen Tagen tötlich verliefen. Hier er¬ 
wies die Autopsie eine hochgradige De¬ 
generation der Nieren und der Leber* 
geradeso wie man sie experimentell nach 
Arsenikvergiftung findet. 

Aber sogar in diesen verzweifelten 
und scheinbar hoffnungslosen Fällen ist 
neuerdings ein Mittel empfohlen wor¬ 
den, das in vielen Fällen die Katastrophe 
abzuwehren scheint. Auch dieses war 
das Verdienst E h r 1 i c h's. In dem 
British Medical Journal vom Mai 1914 
in der Diskussion über die Salvarsan- 
todesfälle, die durch eine hämorrhagi¬ 
sche Encephalitis verursacht waren* 
weist er auf die enorme Dilatation der 
Blutgefässe hin, die man stets ln diesen 
Fällen vorfand und behauptet, dass der 
normale Regulator des Blutgefäss¬ 
systems, das Adrenalin, dort nicht in 
genügender Menge vorhanden war, ge¬ 
radeso wie bei Addison scher Krankheit 
und bei hypoplastischen Prozessen der 
Nebennieren, wodurch ein sogenannter 
Status thymo-lymphaticus hervorge¬ 
rufen wurde. 

M i 1 i a n in Paris war der erste, 
der bewies, dass in den Fällen, in wel¬ 
chen während der Salvarsaninjektion 
eine blaurote Schwellung des Gesichtes 
und der Lippen und gleichzeitige Dys¬ 
pnoe eintrat, eine prompte Adrenalin¬ 
einspritzung den Status lymphaticus 
zum Verschwinden brachte oder dass er 
gamicht auftrat, wenn Adrenalin vor 
dem Salvarsan injiziert wurde. Auch 
bedenkliche Symptome von schweren 
Durchfällen und von Harnverhaltung 
wurden durch wiederholte Adrenalin¬ 
anwendung beseitigt, ja sogar einen 
scheinbar hoffnungslosen Fall von hä¬ 
morrhagischer Encyphalitis will er auf 

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diese Weise gerettet haben. Auch von 
anderer Seite sind seitdem ähnliche Re¬ 
sultate mit diesem Mittel beobachtet 
worden. 

Wenn wir aber auch zugeben müssen, 
dass das Adrenalin keine Panacaea in 
allen diesen verzweifelten Fällen in der 
Zukunft sein wird, heben nicht die un¬ 
zähligen glänzenden Erfolge, die wir, 
seitdem Ehrlich uns das Salvarsan 


gegeben hat, mit diesem Mittel erzielt 
haben, die verschwindende Anzahl der 
Todesfälle auf? Wir müssen daher zu¬ 
geben, dass das Salvarsan in Verbin¬ 
dung mit Quecksilber vorläufig unser 
bestes Mittel in der Therapie der Sy¬ 
philis ist und es wäre sicherlich irra¬ 
tionell, ohne dieses Mittel fertig werden 
zu wollen, wie von mancher Seite gera¬ 
ten wird. 


Ueber Fieber mit Berücksichtigung der menschlichen 

Eigenwärme.* 

Von Dr. Armbruster, Schweinheim. 


Wenn ein warmblütiges Kaninchen in 
einen Wärmekasten von 36 Grad C. ge¬ 
setzt wird, so steigt die Temperatur auf 
41 bis 42 Grad C.; bei 40 Grad in der 
Umgebung erhöht sich seine Körper¬ 
temperatur auf 44 bis 45 Grad und nach 
einiger Zeit tritt dann der Tod durch 
Lähmung der nervösen und kontraktilen 
Apparate besonders des Herzens ein. 
Vor diesen Lähmungserscheinungen 
zeigt sich enorme Beschleunigung der 
Atmung und der Herzkontraktionen. 

Aus diesem Versuch erkennt man, 
dass die Körpertemperatur sich nie mit 
der Temperatur des umgebenden Me¬ 
diums bei Warmblütlern ausgleicht; sie 
steigt, so weit es ihr die Lebensbedin¬ 
gungen erlauben, ziemlich proportional 
mit der Erhöhung der Aussentempera- 
tur. Die Wärmestrahlung hat hier nach 
aussen aufgehört, und da der Körper bei 
seinem hohen Wassergehalt ein schlech¬ 
ter Wärmeleiter ist. so bringt auch die 
Leitung bei einem entsprechenden Was¬ 
serbad keinen genügenden Ausgleich 
hervor. Der Schweiss sucht durch 
Wärmeabgabe mit seiner Kälte erzeu¬ 
genden Verdunstung möglichst lange 
vor Ueberhitzung zu bewahren. In 
trockner Luft von 55 bis 60 Grad ist 
aber selbst die profuseste Schweiss- 
sekretion nicht mehr imstande vor 

*Aus D. med. Presse, 1915, No. 3. 


Ueberhitzung zu schützen und in feuch¬ 
ter Luft, die weniger Ausdünstung zu¬ 
lässt, genügen noch weniger Grade. 

Aus diesem Versuch erkennt man fer¬ 
ner, das auch die Warmblüter und da¬ 
her auch der Mensch in ihrer Eigen¬ 
wärme von der Aussentemperatur ab¬ 
hängig sind. Darauf beruhen die Ta¬ 
gesschwankungen, indem Nachmittags 
die erhöhte Wärmestrahlung der Erde 
die Körperstrahlung hemmt. Wenn im 
Sommer die Hemmung nicht stärker ist 
als im Winter, so weist der trügerische 
Temperatur sinn auf die vorzügliche Ur¬ 
sache hin, die in einer körperlichen Ak¬ 
komodation an das umgebende Medium 
besteht. Daher findet der Mensch einen 
Keller im Winter warm, im Sommer 
kühl trotz konstanter Lufttemperatur; 
sonst wäre auch ein Aufenthalt der nor¬ 
dischen Bewohner in der heissen Zone 
undenkbar. Die ausgleichende Körper¬ 
strahlung vor allem verfügt der Luft 
gegenüber über erhebliche Reserve¬ 
kräfte, die durch diese Akkomodation 
zur Geltung kommen. Da die Tempe¬ 
ratur des menschlichen Embryos nur um 
l / 2 Prozent C. etwa und ziemlich kon¬ 
stant höher ist als die mütterliche, so 
haben die lebenstätigen Zellen schon die 
entsprechende Anpassung ererbt und 
zwar infolge des Fruchtwassers, das 
statt Strahlung die intensivere Leitung 

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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


auslässt. Zudem bleibt das Fruchtwas¬ 
ser bei seiner Wärme innerhalb der 
menschlichen Temperaturgrenzen. Die 
normale Eigenwärme schwankt durch 
solche vererbten Ursachen beim Schafe 
zwischen 38 bis 41 Grad, bei Schweinen 
zwischen 38.5 bis 40.0 Grad, bei Vögeln 
zwischen 39.4 bis 43.9 Grad C. 

Eine körperliche Temperaturerhö¬ 
hung von aussen her, die schlechthin 
ebenfalls Fieber genannt wird, weil sie 
so selten vorkommt, ist meist beruflicher 
Art, z. B. bei Geologen zu finden, wel¬ 
che den Vulkanismus oder eine heisse 
Quelle in ihrer zugänglichen Tiefe er¬ 
gründen wollen. Gar rasch gewöhnt 
sich sonst der Mensch, wie die Heizer, 
an eine erhöhte Temperatur, und nur 
bei Jünglingen weist bisweilen patholo¬ 
gisch Akne auf den Beruf mit der aus- 
trockenden Haut hin, der ihren Talg 
konsistenter macht. Das Fieber ent¬ 
steht eigentlich nicht von aussen, son¬ 
dern von innen und ist nur durch einen 
Vergleich mit dem angeführten Versuch 
eines Kaninchens leichter ätiologisch zu 
erkennen. 

Der praktische Arzt vermag nament¬ 
lich bei Puerperalfieber unschwer wahr¬ 
zunehmen, dass enorme Temperatur¬ 
steigerungen durch Schüttelfröste ein¬ 
geleitet werden. Das dabei vorhandene 
Kältegefühl entsteht durch die Vasokon¬ 
striktoren, die plötzlich und intensiv ge- 
wissermassen in tetanischer Form sich 
2 usammeriziehen und dadurch bei feh¬ 
lender Blutzufuhr einen Schüttelfrost 
hervorrufen. Eine analoge Erscheinung 
ist das zuerst bei Kälte eintretende 
Blasswerden der Haut. Unmittelbar 
nach dem Schüttelfrost gibt es eine Ge- 
fässlähmung, der Puls wird gespannt 
wie stets bei Fieber. Die Spannung löst 
erhöhte fortbewegende Kraft der Tu- 
nica media aus, die durch die nunmehr 
aufgehobene Elastizität der Tunica inti- 
ma als Reservekraft ähnlich wie bei Ar¬ 
terienverkalkung zur Geltung kommt. 
Die Elastizität der Intima wird aufge¬ 
hoben durch Lähmungserscheinungen, 
die bei Kälte nach der erwähnten Zu¬ 


sammenziehung eine Hyperämie erzeu¬ 
gen, ferner durch die veränderten Be¬ 
ziehungen zwischen Blut und Intima, 
wodurch bei der Intima des Herzens, 
dem Endokard, akzidentelle Geräusche 
entstehen, was eine vermehrte Reibung 
anzeigt. 

Damit sind wir beim Fieber* ange¬ 
langt. Der Blutstrom ist bekanntlich 
eine zweifache Wärmequelle. Einmal 
erzeugt er Wärme durch die Fortbewe¬ 
gung und durch Reibung an den Gefäss- 
wänden, sodann verteilt er rasch die 
Wärme gleichmässig im Bereich des 
ganzen Körpers. Bei Fieber steigt die 
Pulsfrequenz mit der Temperatur, so¬ 
lange keine hyperpyretischen Lähmun¬ 
gen eintreten. „Die Arten nehmen neue 
Eigenschaften an und können sie fort¬ 
erben, wenn sie dem Kampf ums Da¬ 
sein dienlich sind,“ heisst ein Fundamen¬ 
talgrundsatz der modernen Wissen¬ 
schaft. Hier bei der erhöhten Puls¬ 
frequenz kann er gut Anwendung fin¬ 
den. Jene Individuen smd gerade er¬ 
halten geblieben, denen bei Infektion 
das Herz rascher zu schlagen begann* 
was mit der Lungendyspnoe in der 
durch Wärme verdünnten Luft zusam¬ 
menhängt, indem dadurch eine dör Ent¬ 
lastung des Herzens günstige Vermin¬ 
derung des systolichen Blutquantums, 
ferner eine grössere Hemmung des stär¬ 
ker strömenden Blutes gegen erfolg¬ 
reiche Ansiedlung von Bakterien auf¬ 
trat und schlieslich durch vermehrte* 
Reibung des Blutes an den Gefässwän- 
den eine die Bakterien tötende erhöhte 
Temperatur sich einstellte. Im Laufe 
der Jahrtausende ist dann durch ner¬ 
vöse Einflüsse, wobei der Vagus na¬ 
mentlich sowohl bei der Atmung als 
auch beim Herz eine bedeutungsvolle 
Rolle spielt, die günstige Pulserhöhung 
bei Fieber Regel geworden. 

Bedenkt man ferner bei Infektion, 
dass sich im Blute reichlich organisierte 
Fremdkörper, kleine Lebewesen, finden, 
die erhöhten Stoffwechsel verursachen 
und dadurch Wärme erzeugen, so hat 
man eine weitere Ursache für Tempe- 


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203 


raturerhöhung beim Fieber der Infek¬ 
tionskrankheiten gefunden. Bei Giften 
anorganischer Natur entsteht ebenfalls 
Fieber, wenn sie ins Blut gespritzt wer¬ 
den. Es tritt dadurch unter anderm ei¬ 
ne vermehrte Tätigkeit der entsprechen¬ 
den Blutbestandteile gegen das Gift ein, 
die ebenfalls Wärme auslöst; um so 
mehr ist dies der Fall bei Infektion 
durch die lebhaftere Tätigkeit der Pha¬ 
gozyten, wenigstens kann hier leichter 
„die erhöhte Wärme in diesen knappen 
Ausführungen erklärt werden. 

Somit entsteht die fieberhafte Tem¬ 
peraturerhöhung bei Infektionskrank¬ 
heiten : 

1) durch erhöhte Reibung des Blutes 
an den Gefässwänden: 

2) durch erhöhten Stoffwechsel, wo¬ 
zu die Bakterien als kleine Lebewesen 
beitragen; 

3) durch erhöhte Tätigkeit der Pha¬ 
gozyten.. 

Aber es sind nicht bloss regulative 
Nerveneinflüsse dabei, durch die ziem¬ 
lich genau bei 1 Prozent C. Temperatur¬ 
erhöhung acht Pulsschläge mehr ausge¬ 
löst werden. Die Nerven bewirken auch 
und zwar aus Utilitätsprinzip vermehr¬ 
tes Fieber, wodurch bei Infektions¬ 
krankheiten den Erregern der Opti¬ 
mumboden entzogen wird, sodass sie 
sich der neuen Körpertemperatur anzu¬ 
passen suchen, anfangs oftmals virulen¬ 
ter werden und als solche durch Ver¬ 
drängung der schwächeren Keime sich 
nur fortpflanzen, was eine Exazerbation 
der Epidemie bedeutet, dadurch aber wie 
Obstfrüchte durch Ueberreifen teigig 
werden, zugrunde gehen; infolgedessen 
kommt eine Epidemie zum Erlöschen. 
Der fehlende Schweiss, der erschwerbar 
künstlich bei infektiöser Temperatur¬ 
steigerung hervorgerufen werden kann, 
deutet darauf hin, dass hier nervöse Ein¬ 
flüsse die Verdunstung hintanhalten, um 
die Erreger zu zerstören. 

Was die Arten des Fiebers betrifft, so 
entsteht Fieber: 

1) durch Temperaturerhöhung des 


umgebenden Mediums, wie der erwähn¬ 
te Versuch mit dem Kaninchen beweist, 
was im eigentlichen Sinne jedoch nicht 
Fieber genannt werden sollte; 

2) durch mancherlei infektiöse Erre¬ 
ger vor allem, worunter namentlich sol¬ 
che, welche akute Krankheiten erzeugen, 
anzuführen sind; 

3) durch Gifte, am ehesten in seltene¬ 
ren Fällen, wenn sie direkt dem Blute 
einverleibt werden. Da der Pulsschlag 
durch T emperatu rerhöhung vermehrt 
wird, werden sie oft schon dadurch un¬ 
wirksam aus dem Körper ausgeschieden, 
was bei den Uranfängen des menschli¬ 
chen Lebens und noch früher für Er¬ 
kennung von den der Nahrung dienli¬ 
chen Früchten von hohem Wert war, 
namentlich auch zur Verbreitung des 
Menschengeschlechts in alle Zonen; 

4) durch unbekannte Ursachen, wie 
Obduktionen bisweilen beweisen. Hier 
sind auch nervöse Einflüsse anzuführen. 

Zum Schluss sei noch auf die eigen¬ 
artige Erscheinung hingewiesen, dass 
die Tagesschwankungen der körper¬ 
lichen Temperatur, wenn diese vorüber¬ 
gehend z. B. durch intensive Arbeit er¬ 
höht wird, sich ausgleichen, sodass die 
Endsumme des Tages ungefähr stets 
dieselbe ist. Es sind hier wohl ebenfalls 
nervöse Einfliise im Spiele, mehr noch 
die Wärmekapazität der lebenstätigen 
Zellen, die durch diese Ausgleichung 
ihre Lebenskraft unvermindert zu erhal¬ 
ten suchen. Gerade für sie hat auch die 
Natur jene Kontraktion der Gefässe ge¬ 
schaffen, die Schüttelfrost hervorruft, 
sobald das Blut durch pathogene Keime 
durchsetzt wird. Dadurch sucht sie 
nochmals das Gewebe von diesen Kei¬ 
men fernzuhalten und ihnen einen Nähr¬ 
boden zu verwehren. Auch durch diesen 
Tagesausgleich wird eine tropische Ak¬ 
komodation den Bewohnern anderer 
Zonen ermöglicht, indem sich die Zel¬ 
len besser wieder erholen können, um in 
der Tageshitze neue, seither ungewohnt 
hohe Aussenwärme wieder aufzuneh¬ 
men. 


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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


Das permanente Warm-Wasserbad, das rationelle 
Heilmittel für Tetanus.* 

Von Dr. A. Rose, New York. 


In der französischen Zeitung von New 
York vom 6. November findet sich ein 
Artikel „Heilung des Tetanus. Wunder¬ 
bare Entdeckung eines Arztes in den 
Ardennen.“ Der Artikel lautet: „Eine 
der auffallendsten Erscheinungen des 
gegenwärtigen Krieges ist das ausser¬ 
ordentlich häufige Vorkommen von Te¬ 
tanus unter den Verwundeten. Alle 
Hospitäler beklagen dieses Uebel, gegen 
das die medizinische Wissenschaft 
machtlos ist. Dr. Delorm e, Ober¬ 
arzt des französischen Sanitätskorps, 
gibt die Unmöglichkeit zu, vorgeschrit¬ 
tene Fälle zu heilen. Er sagt, 89 Pro¬ 
zent solcher Fälle verlaufen tötlich, und 
dass er nur Palliative empfehlen könne. 
Dr. Blake vom amerikanischen Ambu¬ 
lanz-Korps sagt, dass Tetanus das ern¬ 
steste Problem sei, mit dem die Aerzte 
während dieses Krieges sich zu beschäf¬ 
tigen hätten und er glaubt, dass prophy¬ 
laktische Inokulation von antitetani- 
schem Serum an allen Verwundeten 
auf dem Schlachtfeld das einzige Mittel 
gegen die Kalamität sei. Diese Inoku¬ 
lationen jedoch haben vorgeschrittene 
Fälle nicht geheilt. Es ist berichtet 
worden, dass viertausend solcher Fälle 
letal verliefen. „Dr. Doyen, heisst es 
ferner in dem Artikel, der berühmte 
Chirurg, hat von der Entdeckung eines 
neuen Heilmittels gesprochen, eines 
Heilmittels, das ein Arzt in den Arden¬ 
nen entdeckt habe. Es ist ein neues Se¬ 
rum. die Zusammensetzung desselben ist 
in den französischen Zeitungen nicht an¬ 
gegeben. Der Entdecker behauptet, in 
80 Prozent Heilung erzielt zu haben. 
Zugleich mit der Inokulation des Serums 
macht er intravertebrale Injektionen 
von Chloral. 

Die Doktoren A. P. C. A shurst 
und R. L. J o h n fragen in einem Arti- 

# Aus I). m. Presse, 1915, Nr. I. 


kel :** „Gibt es eine rationelle Behand¬ 
lung des Tetanus?“ Sie nehmen an, dass 
eine Behandlung rationell ist, wenn sie 
auf Kenntnis der Pathogonia (sie nen¬ 
nen es mit dem barbarischen Wort Pa- 
thogenosy) der betreffenden Krankheit 
beruht und glauben, dass im Fall von 
Tetanus solche Kenntnis vorliegt. 

Die Entdeckung des Bacillus tetani 
und seine Züchtung hat bewiesen, dass 
der Tetanus eine Infektionskrankheit ist. 
Alle bisherigen Behandlungen, selbst er¬ 
folgreiche, sagen die Verfasser, waren 
rein empirische. Sie behaupten, dass 
Inokulation mit antitetanischem Serum 
eine rationelle Behandlung ist, trotzdem 
dieser Behandlung gerade das Wesent¬ 
lichste fehlt, die Heilung. Es gibt nun 
aber eine rationelle, auf wissenschaftli¬ 
chen Tatsachen beruhende Behandlung, 
bei der man wirklich Heilung erzielt, die 
den Verfassern unbekannt ist. 

Das Warm-Wasserbad ist das empiri¬ 
sche Heilmittel des Tetanus seit Hippo- 
krates gewesen, jetzt aber, da wir po¬ 
sitive Beweise haben, dass es die Pro¬ 
dukte der Infektion und der Entzün¬ 
dung durch die Blutzirkulation aus dem 
Körper entfernt, jetzt, da wir ein System 
seiner Anwendungsweise kennen, ist es 
nicht mehr ein empirisches, sondern ein 
wirklich rationelles Heilmittel. 

Ehe die spezifische Wirkung des 
Warm-Wasserbades, nämlich Elimina¬ 
tion der Produkte von Entzündung und 
Infektion demonstriert wurden, ehe eine 
systematische Anwendung festgestellt 
wurde, war es bekannt, dass das Bad 
sehr guten Erfolg bei Tetanus, Cerebro¬ 
spinalmeningitis, infantilen Konvulsio¬ 
nen und einer grossen Anzahl von Ner¬ 
venerkrankungen hat. dass es Hypere¬ 
rethismus reduziert und dass es ein ide¬ 
ales Mittel ist, Schmerz zu stillen. 

**The Rational Treatment of Tetanus. American 
Journal of the Medical Sciences. June and July, 1913. 


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Dr. Paul G u e r c h e hat in seiner 
Dissertation „Balneotherapie dans les 
Tetanos. De l’emploi des bains chauds 
dans le traitement du Tetanos. Pon- 
toise 1910“ eine sehr wertvolle Geschich¬ 
te und Kasuistik gegeben, aus der ich 
hier einen Auszug mitteile. 

B a y o n von Cayenne, der in der letz¬ 
ten Hälfte des 18. Jahrhunderts lebte, 
hielt warme Bäder für das beste Mittel, 
konvulsive Muskelkontraktionen zu er¬ 
schlaffen und Tetanus zu heilen. Viele 
Chirurgen dieser Zeit teilten diese Mei¬ 
nung. 

Chalmes hielt das warme Bad für 
das beste Mittel, Disphagie zu heben. 

Martin de Padro, Larrey, 
Christie (1812), Cramer (1837), 
R i e s s sprechen über die Behandlung 
des Tetanus mittels des Warm-Wasser- 
bades. 

B e g i n war der erste, soweit ich aus 
der Literatur ersehen kann, der erwähnt, 
dass die Bäder, um erfolgreich zu sein, 
von langer Dauer sein müssen. 

Simon D a w o s k y berichtet den Fall 
eines jungen Mädchens, das von Teta¬ 
nus befallen wurde, nachdem es durch 
einen Nagel verletzt worden, der in dem 
Fuss geblieben war und nur mit Mühe 
herausgezogen werden konnte. Die 
Kontraktionen und Spasmata hatten al¬ 
ler Behandlung widerstanden, sie genas 
aber in sehr kurzer Zeit, als ihr warme 
Kamillenbäder gegeben wurden. 

Hasse berichtet (in einem Werke 
Virchow’s angeführt) über vier Fälle 
von Tetanus, in denen durch Warm- 
Wasserbäder grosse Erleichterung er¬ 
zielt wurde und die sämtlich genasen. 

Foment berichtet im Jahre 1859 
den Fall eines Mannes von 43 Jahren, 
der durch das Warm-Wasserbad von 
Tetanus kuriert worden ist. 

L a s e 1 a n c beschreibt einen Fall, in 
dem 29 Bäder von 38 Grad und 2 bis 3 
Stunden Dauer gegeben wurden, Gene¬ 
sung. (Bullet, gen. de Therapie 1864.) 

K r a u s s gibt in der Allgem. Wien, 
med. Ztg. 1865 eine bemerkenswerte Be¬ 


schreibung der Wirkung des permanen¬ 
ten Bades im Fall von Tetanus. 

Lederer beschreibt in der Wiener 
med. Presse 1965 einen Fall, in welchem 
das Bad Erfolg erzielte, nachdem Nar¬ 
kotika keinen Nutzen gebracht hatten. 

Dionis des Carrieres. Bullet 
et Memoire de la Societe Medicale 1878. 
Fall eines deutschen Soldaten, 22 Jahre 
alt. Narkotika hatten versagt. Ein Bad 
von sechs Stunden und ein anderes von 
drei Stunden Dauer brachten Heilung. 
Der Verfasser dieses Berichtes sagt: 
Die sedative Wirkung und der kurative 
Effekt des Dauerbades können nicht be¬ 
stritten werden. 

Guerche führt weiter eine ziemli¬ 
che Anzahl von Fällen aus den Jahren 
von 1872 bis 1874 an, in denen ausser 
dem Bad Opium und Chloral angewen¬ 
det worden waren. 

E. D u v a 1 sagt in seinem Buch „Trai- 
te pratique et clinique d’Hydrotherapie, 
Paris, 1888“: Bei der Hydrotherapie 
des Tetanus sehen wir von Opiaten ab, 
indem wir annehmen, dass diese zuge¬ 
fügte Medikation die hydrotherapeuti¬ 
sche Wirkung beeinträchtigen könnte. 

Der wärmste Fürsprecher des perma¬ 
nenten Bades in Tetanus ist Zech- 
m e i s t e r in Wien, und Wiener Aerzte 
haben die Methode nach ihm benannt. 

Die folgenden sind Zechmeister- 
sche Fälle, die in Guerch e’s Disser¬ 
tation angeführt sind: 

1. Fall. In Wiener med. Presse 1876 
beschrieben.. Kind von acht Jahren. Es- 
war zuerst Chloral gegeben worden, 
dann aber Bäder von 18 bis 20 Stunden 
Dauer während drei aufeinander folgen¬ 
den Tagen. Nach Aussetzung der Bäder 
stellten sich die Tetanussymptome wie¬ 
der ein, ein Bad aber von 1 Stunden 
Dauer brachte Heilung. Dieser Fall wie 
mehrere andere, die Zechmeister 
berichtet, waren von besonderem Inte¬ 
resse in Anbetracht der massgebenden 
Zustände: arme Familie, Schwierigkeit, 
das Bad einzurichten, genau solche, mit 
denen ich bei der Behandlung von Zere- 


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206 


New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


brospinalmeningitis mittelst permanen¬ 
ten Bades in Mietskasernen zu kämpfen 
hatte. 

2. Fall. In der Allgem. Wiener, med. 
Zeitung von 1865 beschrieben. Eine 
Frau. Bäder von 4 bis 5 Stunden Dau¬ 
er, zwei Stunden Pause zwischen den 
Bädern. Auch hier bestanden Schwie¬ 
rigkeiten infolge ärmlicher Umgebung, 
das Bad einzurichten. Die Kranke be¬ 
stand aber darauf, die Schwierigkeiten 
zu überwinden, weil ihr das Baden 
grosse Besserung inbezug auf Beweg¬ 
lichkeit brachte, und es wurde ermög¬ 
licht, sie 17 bis 18 Stunden ohne Unter¬ 
brechung im Wasser zu lassen. 

3. Fall. (Wiener med. Presse 1866.) 
Jüngling von 20 Jahren verweilte im 
Bad täglich 18 bis 21 Stunden. Jedes¬ 
mal, wenn er 3 bis 4 Stunden aus dem 
Wasser war, stellte sich wieder Rigor 
ein, jedoch jeden Tag weniger, und am 
12. Tag war die Starrheit sehr gering: 
am 14. Tag war Patient geheilt. 

Zechmeister beschreibt auch in 
der Wiener med. Presse 1866 einen Fall 
von Zerebrospinalmeningitis. Kind von 
11 Jahren. Permanentes Bad. Heilung. 

4. Fall. (Allg. med. Zeitung 1864.) 
Knabe von 14 Jahren. Z. schreibt: Dies 
ist der schlimmste Fall, den ich in 25 
Jahren gesehen habe. Während sechs 
Wochen hatte der Starrkrampf bestan¬ 
den. Die Augen, die Zunge, der Ver- 
Uauungskanal, die Blase waren ver¬ 
schont, aber die Muskeln des Gesichts, 
des Nackens, der Brust, der Extremitä¬ 
ten waren steif wie Stränge. Versuch 
der Bewegung brachte heftigsten Opi¬ 
sthotonus, der mehrere Minuten anhielt, 
asphyktische Anfälle und entsetzliche 
Schmerzen hervor; der Knabe schrie 
und jammerte und wurde zyanotisch. 
Man hatte zwanzig Blutegel am Rücken 
angesetzt und während sechs Tage kei¬ 
ne Applikation gemacht, allerart Narko¬ 
tika waren gegeben worden, dazu auch 
Quecksilber. Schliesslich Bäder von 1 
bis 1 y 2 Stunde Dauer. Auch in diesem 
Fall verursachten ärmliche Verhältnisse 
Schwierigkeiten, doch gelang es den El¬ 


tern schliesslich, täglich 5 bis 6 Bäder 
von 1 bis lj /2 Stunde Dauer zu geben. 
Diese wurden fünf Wochen lang fort¬ 
gesetzt und der Knabe genas. 

Im Jahre 1876 heilten von acht Fällen 
sieben mittelst permanenten Bades. 

B 1 a c h e z (Gazette hebdomadaire de 
Med. et de Chir. 1878) heilte zwei Fälle 
von Tetanus mittelst täglicher Bäder 
von 35 Grad Temperatur und jedesmali¬ 
ger zweistündiger Dauer. 

Ribosy Perdijo 1899 gab Bäder 
von 36.7 Temp. 2 bis 3 Stunden Dauer, 
oft wiederholt. 

Louis Martin und Henri Darre. 
(Societe Medicale des Hopitaux 1809.) 
Fall von subakutem Tetanus genesen 
unter Gebrauch von antitetanischem Se¬ 
rum. 

In einem Fall Edouard V., 8 Jahre alt, 
entwickelte sich Bronchopneumonie zu 
einer Zeit, als der ganze Körper durch 
Kontraktionen immobilisiert war. Die 
Lungenkomplikation zu überwinden, 
nahmen Martin und Darre Zuflucht 
zu Balneotherapie. Der Patient war am 
25. April 1909 in das Pasteur-Hospital 
gebracht worden, neun Tage, nachdem 
er in einen Rechen gefallen war, dessen 
Zinken eine Wunde in der linken Glu- 
taealgegend verursacht hatten. Teta¬ 
nus hatte sich eingestellt. Er erhielt 
eine subkutane Injektion von 20 ccm an¬ 
titetanischem Serum. Am nächsten Tag 
hatten sich die Symptome verschlim¬ 
mert. Intravenöse Injektion von 80 ccm 
des Serums, gleichzeitig wurden Chlo- 
ral und Bromkali per rectum appliziert. 
Am Abend Besserung. Eine andere in¬ 
travenöse Injektion am 2. April, wieder¬ 
holt am 28., 29. und 3Q. April. Zustand 
verschlimmert. Am 1. Mai Husten, 
Bronchopneumonie. Kind unterdrückt 
den Husten und wirft deshalb nicht aus. 
Am 3. Mai ist Patient sehr krank. Tem¬ 
peratur 41, Puls 160, Respiration 80, der 
ganze Körper zyanotisch. Narkotische 
Injektionen werden ausgesetzt. Im war¬ 
men Wasserbad von 1 bis 2 Stunden 
Dauer bessert sich der Zustand bestän¬ 
dig und Patient wurde am 4. Juni voll- 


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ständig geheilt entlassen. In Guer- 
c h e rs Dissertation ist diese interessan¬ 
te Krankengeschichte in allen Einzelhei¬ 
ten wiedergegeben. Es ist bekannt, dass 
die Respiration durch das Bad beein¬ 
flusst wird, die Respirationsbewegungen 
werden frequenter und tiefer, es kommt 
zu mehr energischer Lungenventilation, 
es wird eine grössere Menge von Sauer¬ 
stoff absorbiert, man nimmt an, um ein 
Drittel bis ein Halb mehr als normaliter. 

Krauss. (Allgem. Wiener med. 
Zeitung 1865.) Inkubation acht Tage. 
Pauline Zaoralasc, 22 Jahre alt. von ro¬ 
buster Konstitution, kleiner Statur. Ist 
niemals krank gewesen. Am 29. April 
rannte sie sich eine Nadel, drei Zoll 
lang, in die linke Ferse und es erforder¬ 
te Anstrengung, die Nadel herauszuzie 
hen. Am 6. Mai heftige Konvulsionen, 
während derselben fiel sie und erlitt da¬ 
bei eine Luxation des linken Armes. Sie 
wurde zu Bett gebracht, klagte über 
Schmerz, Steifigkeit des Nackens, 
Uebelkeit und allgemeine Schwäche, sie 
konnte kaum den Mund öffnen, aber 
die Extremitäten waren beweglich. Am 
nächsten Tag wurde ein ländlicher 
Wunderdoktor aus einem nahen Dorfe 
zugezogen, um die Luxation zu reduzie¬ 
ren. Derselbe unternahm seinen Hokus 
Pokus, wobei er die Kranke vor 
Schmerz aufschreien machte und legte 
den ganzen Arm in Pflaster. Die Te¬ 
tanus-Symptome verschlimmerten sich 
und die Eltern schickten am 11. Mai 
nach einem Arzt, der eine Mixtur und 
ein Liniment verordnete. Am 14. Mai 
profuse Epistaxis. Die Eltern bemerk¬ 
ten. dass die Kranke den Mund nicht 
öffnen konnte. Bei einem zweiten Be¬ 
such verschrieb der Arzt ein Pulver, 
welches jedoch infolge des Trismus 
nicht geschluckt werden konnte. Das 
Mädchen verbrachte die Nächte schlaf¬ 
los, urinierte wenig und war verstopft. 
Am 27. Mai wurde Dr. Krauss zuge¬ 
zogen. Er schreibt: Ich fand sie zu 
Bett, sie hatte Dorsäl-Decubitus. der 
Rumpf war wie ein Bogen gekrümmt, 
die Extremitäten gestreckt, der linke 


Arm gebogen in einer Schlinge befind¬ 
lich, die Luxation bestand noch. Der 
Kopf ruhte vollständig unbeweglich auf 
dem Nacken, die Masseteren waren hart 
und steif, ebenso die Muskeln der Brust 
und des Bauches, wie ein Brett, die Wir¬ 
belsäule kann nicht gebeugt werden. Die 
unteren Extremitäten sind weniger steif 
als die oberen. An der linken Ferse fin¬ 
det sich eine Zikatrix von der Grösse ei¬ 
nes Stecknadelkopfes, der untere Teil 
des Beines ist entzündet. Von Zeit zu 
Zeit hat Patientin Konvulsionen, wäh¬ 
rend deren sie stöhnt. Die Kiefer sind 
geschlossen, sie kann weder sprechen 
noch schlucken, das Gesicht drückt 
Schmerz aus. Sehen und Hören sind in¬ 
takt. Die Augen sind beweglich, Pupil¬ 
len mässig kontrahiert, die Stirne gerun¬ 
zelt. Patientin scheint lebhafte Auf¬ 
merksamkeit meinen Bewegungen und 
der Konversation ihrer Eltern zu zollen, 
wenn sie sich nicht in einer Krise befin¬ 
det. Das Herz ist stürmisch, die Haut 
wann und mit Schweiss bedeckt. Tem¬ 
peratur 35, Resp. 24, Puls 120. Diagno¬ 
se: Traumatischer Tetanus, emprostho- 
tonische Form. Ich machte eine subku¬ 
tane Injektion von Atropin, aber ausser 
einer leichten Dilation der Pupillen 
konnte ich keine Intoxikationssymptome 
bemerken, ebenso wenig eine Wirkung 
auf die Kontraktionen und Konvulsio¬ 
nen. Drei Stunden später machte ich 
eine zweite Injektion dreimal so stark 
als die erste mit demselben negativen 
Resultat. Da Atropin keine Wirkung 
gezeigt, versuchte ich Opium, und da in¬ 
folge des Trismus die Administration 
per os unmöglich war, verordnete ich 
Klvstiere von zwei Gramm Opium drei¬ 
mal täglich. Kein Effekt auf die Krisen, 
aber ein oder zwei Stunden Schlaf. In 
diesem desparaten Fall, in dem weder 
Atropin von Nutzen gewesen, beschloss 
ich, Zechmeister’s Methode anzuwenden 
und Hess die Kranke am 2. Juni in ein 
Vollbad von 38 Grad bringen. Diese 
Temperatur wurde beständig beibehal¬ 
ten. Schon nach fünf Minuten waren 
die Fuss- und Kniegelenke beweglicher. 


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Ntw Y< 


Umzuntcn Momatuchkiit. 


Patientin konnte den rechten Arm be¬ 
wegen, den Mund öffnen und deutlich 
sprechen. (Ich will hier nicht die Ein¬ 
zelheiten bezüglich der Wirkung des Ba¬ 
des auf Temperatur und Puls wieder¬ 
gegeben.) Während der 30 Minuten, 
während die Kranke im Wasser war, 
zeigte 9ich keine Manifestation von Te¬ 
tanus. Sie befand Ach wohl im Bade 
und bestand auf Wiederholung dessel¬ 
ben. Jedesmal, wenn sie im Wasser war, 
bestand eine entschiedene Remission der 
Symptome. Allmälig konnte sie mehr 
und mehr schlafen, die Beweglichkeit 
des Kopfes und der Kiefer kehrte zu¬ 
rück, und was besonders wichtig, sie 
konnte essen. Bei meinem Besuch am 
13. Juni fand ich sie ausser Bett, auf ei¬ 
nem Stuhl sitzend. Sie konnte deutlich 
sprechen und war wohl genug, herumzu¬ 
gehen. Sie genas vollkommen.“ 

Noch viele andere und unter densel¬ 
ben in allen Einzelheiten beschriebene 
Fälle finden sich in Guerche’s Disserta¬ 
tion. Mortalitätsstatistiken von Tetanus 
sind allgemein bekannt, eine solche in- 
bezug auf Behandlung mit Warm-Was- 
serbad kann ich nicht geben. In Guer¬ 
che’s Dissertation ist nur ein Todesfall 
erwähnt, der einen Greis betraf. 

Um zu verstehen, weshalb das perma¬ 
nente Warm-Wasserbad das rationelle 
Heilmittel für Tetanus ist, haben wir zu 
lernen, in welcher Weise es wirkt, um 
die Produkte der Entzündung und In¬ 
fektion durch den allgemeinen Blutkreis¬ 
lauf auszuscheiden. Vor allem wollen 
wir sehen, dass es das ideale schmerz¬ 
stillende Mittel ist. Wie die von Guer- 
che gesammelten Fälle zeigen, bringt 
es fast augenblickliche und selbst voll¬ 
ständige Erleichterung von Schmerzen. 
Selbst wenn es keine anderen Vorteile 
böte, würde es dieserhalb allein von 
grossem Werte sein, besonders da, wo 
die Schmerzen die denkbar entsetzlich¬ 
sten sind, wie dies bei Tetanus der Fall 
ist. und es muss als eine Grausamkeit 
betrachtet werden, diesen schwer Lei¬ 
denden dieses Mittel vorzuenthalten. 

Es möge mir gestattet sein, einiges 


aus meinem Artikel „Das permanente 
Warm-Wasserbad, das rationelle Heil¬ 
mittel für Phymatiasis (Tuberkulose) 
und Infektionskrankheiten im Allgemei¬ 
nen“, der in der Deutschen Medizini¬ 
schen Presse Nr. 14 und 15, 1913 er¬ 
schienen ist, zu rekapitulieren. 

Die wesentlichsten Vorteile des per¬ 
manenten Bades sind die, welche, auf 
seiner physiologischen Wirkung auf Zir¬ 
kulation und Innervation im Allgemei¬ 
nen beruhen. Das Prinzip bei Anwen¬ 
dung des permanenten Bades ist, die 
Produkte der Entzündung und Infektion 
auszüscheiden. 

Indem das warme Bad die Haut mit 
einem überall gleichmässig temperierten 
Medium umgibt, nimmt es dem Wärme¬ 
verlust das zeitlich und räumlich 
Schwankende und wirkt so beruhigend. 
Vermutlich findet auch hier das für mo¬ 
torische Nerven gültige Gesetz, wonach 
Quellung der peripherischen Nerven¬ 
endigungen ihre Erregung herabsetzt, 
Vertrocknung sie steigert, seine Anwen¬ 
dung. Man hat angenommen, dass der 
beruhigenden Wirkung der warmen 
Bäder die durch das Auflösen der Per¬ 
spiration im Bade bedingte Zurückhal¬ 
tung der Feuchtigkeit und dadurch her¬ 
vorgerufene Quellung der Krause’schen 
Endkolben und der Meissner'sehen Tast¬ 
körperchen zugrunde liegt, wodurch 
eine Sistierung der Molekularbewegung 
bei den Nervenendigungen und dadurch 
der Anstoss zu einer allgemeinen Beru¬ 
higung des Nervensystems hervorgeru¬ 
fen wird. 

Wenn ein Teil des Körpers in war¬ 
mem Wasser suspendiert ist, so entsteht 
eine Reizung der Enden der Hautner¬ 
ven. Diese Reizung wird auf die vaso¬ 
motorischen Nerven übertragen, wobei 
eine Dilatation der Blutgefässe entsteht 
und folglich eine Beschleunigung der 
Zirkulation. Diese Beschleunigung der 
Zirkulation erleichtert die Ausscheidung 
der Produkte der Infektion, und mit der 
Entfernung der Toxine durch den Blut¬ 
kreislauf, im Fall von Tetanus, ver¬ 
schwinden die Symptome der Erkran- 


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New Yoekee Medizinische Monatsschrift. 


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kung. Ausführliches hierüber findet 
sich in dem angeführten Artikel der 
Deutschen Medizinischen Presse Nr. 14 
und 15, 1913. 

Den unumstösslichen Beweis, dass 
durch das warme Bad die Produkte der 
Infektion und Entzündung ausgeschie¬ 
den werden, liefert die Behandlung des 
Erysipels des Stammes oder der Extre¬ 
mitäten. Bringen wir einen Patienten 
mit Erysipel, ausgenommen des Gesich¬ 
tes selbstverständlich, in das warme Bad, 
oder suspendieren wir den ergriffenen 
Teil, Hand, Arme, Fuss, Bein im war¬ 
men Wasser, so geht innerhalb weniger 
Stunden die Fiebertemperatur zurück, 
in ein oder zwei Tagen ist sie normal 
und alle Erysipelsymptome verschwin¬ 
den. Seit dem Jahr 1888 habe ich wie¬ 
derholt solche Fälle beschrieben und 
zwar in englischen wie auch in deut¬ 
schen medizinischen Journalen. 

Wird ein Glied längere Zeit im war¬ 
men Bade gelassen, so schwellen die 
Weichteile an, es tritt eine ganz erheb¬ 
liche Volumenzunahme ein, und nach 
Herausnahme aus dem Bad ist die Haut 
des gehadeten Gliedes heisser, oft ganz 
hochrot, und die höhere Färbung 
schwindet erst nach mehreren Tagen. 

Winternitz hat Versuche über 
die Volumensveränderungen der Extre¬ 
mitäten unter dem Einflüsse von diffe¬ 
renten Temperaturen gemacht und sich 
zu diesem Zweck eines sinnreichen Ap¬ 
parates bedient. Er vermochte an dem 
im Wasser im Apparat suspendierten 
Arm Volumensvergrösserungen zu mes¬ 
sen, die mit dem Puls synchrooisch ent¬ 
standen und durch die mit jeder Herz¬ 
systole in den Arm getriebene Blutwelle 
bewirkt werden, ebenso Volumensver- 
minderungen, die der während der In¬ 
tervalle zwischen zwei Systolen ab- 
fliessenden Blutwelle entsprachen. 

Die Wirkung des Warm-Wasserbades 
ist dieselbe bei Zerebrospinalmeningitis 
wie bei Tetanus, hierüber habe ich in 
dem angeführten Artikel meine Betrach¬ 
tungen und Erfahrungen mitgeteilt. 

Vor fünfzig Jahren schrieb Zech- 


m e i e r: „Alle gegen Tetanus trauma- 
ticus empfohlenen Mittel lassen den 
Kranken beinahe stets sterben, ja sie er¬ 
leichtern auch wenig, ausgenommen das 
warme Bad, in welchem sich der Kranke 
bald behaglich findet, weil darin die 
Krämpfe nachlassen. Das bestimmte 
mich vor mehreren Jahren, die Kranken 
in anhaltendem warmen Bade mehrere 
Tage zu erhalten, und zwar 10 bis 14 
Tage lang, wobei ich die Genugtuung 
hatte, die Kranken genesen zu sehen. 
Mir sind auf diese Art fünf, und unter 
der Behandlung anderer Kollegen zwei 
traumatische Tetanussfälle in Gesund¬ 
heit übergegangen, wie es in der Allg. 
med. Wiener Zeitung 1864 und 1865 und 
der Wiener med. Presse 1866 zu finden 
ist. Warum man in verzweifelten Fäl¬ 
len, wo der Kranke durch die anhaltend 
krampfhafte Starrheit höchst ermüdet 
ist, durch grosse Dosen narkotischer 
Gifte ihn unnütz noch weiter schwächt, 
wo das Blut durch gehindertes Atmen 
ohnehin schon übermässig karbonisiert, 
der Kohlensäurevergiftung, dem Stick¬ 
tode ausgesetzt ist, ihm noch Morphin, 
Atropin, Calabar, Chloroform, Chloral 
auf allen Wegen beigebracht wird — 
warum man das einfache, unschädliche, 
allerorts leicht zu habende Mittel, das 
anhaltend warme Bad nicht in Anwen¬ 
dung bringt, weiss ich nicht. Seit sechs 
Jahren erinnere ich mich nur zweimal, 
dass Kollegen darauf Rücksicht genom¬ 
men haben, nachdem alle bisher üblichen 
Mittel fruchtlos in Anwendung gebracht 
waren. Sie erinnerten sich meiner oben 
angedeuteten Fälle, setzten und liessen 
den Kranken im Bade und hatten die 
Freude, ihren Kranken genesen zu se¬ 
hen. Es ist zu wünschen, dass diese 
Mitteilung nicht nur in alle medizini¬ 
sche, sondern auch in alle anderen Zei¬ 
tungen aller Länder übergehe, denn es 
ist schrecklich, wenn ein sonst gesunder 
Mensch in Folge einer oft unbedeuten¬ 
den Verletzung sein Leben einbüssen 
soll, wo doch ein so einfaches Mittel bei¬ 
nahe stets Rettung verschaffen kann.“ 
Wie muss der edle Mann gelitten ha- 

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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


ben! Ich fand in Virchows und 
Hirse h’s Jahresbericht aus jener Zeit 
eine sarkastische Bemerkung über ihn 
und über seine Idee, Tetanus mittelst 


Dauerbades zu behandeln. Sein Name 
wird jedoch in der Geschichte der Medi¬ 
zin neben dem Namen Semmelweis fort¬ 
leben. 


Krieg und Tuberkulose.* 


Krieg und Tuberkulose, wahrschein¬ 
lich ein zeitgemässes Thema! Sind doch 
unser aller Gedanken täglich und stünd¬ 
lich nur auf den Krieg gerichtet; ver¬ 
spüren doch auch wir in der Heimat 
seine grausamen Wirkungen nur zu 
deutlich. Wer hätte nicht den Verlust 
von nahen Verwandten, guten Freunden 
zu beklagen, die ihm der Krieg geraubt 
hat? Wer unter uns bangte nicht um 
irgend ein teures Leben, das er in Ge¬ 
fahr weiss? Wer könnte sein Herz ver- 
schliessen vor dem Anblick der Not und 
des Elends, die durch plötzliche Unter¬ 
brechung von Handel und Wandel über 
so viele Familien hereingebrochen sind, 
die in friedlichen Zeiten von ihrer Hän¬ 
de Arbeit lebten ? Darüber sind wir uns 
alle einig, ob arm oder reich, dass der 
Krieg schwere Opfer verlangt, Opfer an 
Gut und Blut, an Leben und Gesundheit. 
Aber unser Volk ist bereit und imstande, 
diese Opfer, auch die schwersten, zu tra¬ 
gen, und es ist wohl keiner unter uns, 
der nicht von der Ueberzeugung durch¬ 
drungen wäre, dass wir zum Heile unse¬ 
res Volkstums, für den Bestand und den 
Wohlstand unseres Landes solche un¬ 
vermeidlichen Opfer tragen müssen. 
Sehen wir also getrost dem männermor¬ 
denden Kriege ins Auge und betrachten 
wir einmal die unheilvollen Wirkungen, 
die er auf dem uns besonders beschäfti¬ 
genden Gebiete der Schwindsuchtsbe¬ 
kämpfung hervorruft. Vielleicht finden 
wir dann auch Mittel und Wege, um da 

•Vortrag, gehalten iin der Versammlung des Ver¬ 
eins zur Bekämpfung der Schwindsucht in Chemnitz 
und Umg. (E. V.) und des Kreisverbandes zur Be¬ 
kämpfung der Tuberkulose im Regierungsbezirk Chem¬ 
nitz am 20. Nov. 1914 von Oberstabsarzt Dr. Helm, 
Generalsekretär des Deutschen Zenralkomitees zur 
Bekämpfung der Tuberkulose. Aus Tub.-Fürs.-Bl. 
1914 Nr. 4 (Die Einleitung ist wegen Raummangels 
fortgelassen.) 


helfend einzugreifen, wo es sich nicht 
um Unvermeidliches und Unabänderli¬ 
ches handelt. 

Es unterliegt keinem Zweifel, dass in 
Kriegszeiten die Gesundheit aller, nicht 
nur die der Soldaten, sondern auch die¬ 
jenige der nicht kriegführenden Bevöl¬ 
kerung mannigfachen Gefahren ausge¬ 
setzt ist, besonders durch die ungünsti¬ 
geren Emährungsverhältnisse und 
durch die stets den Krieg begleitenden 
Seuchen. Es ist auch hinreichend be¬ 
kannt, dass in früheren Kriegen die 
Zahl der von Seuchen Dahingerafften 
diejenige der auf dem Schlachtfelde Ge¬ 
fallenen oder an ihren Wunden Gestor¬ 
benen um ein Vielfaches übertroffen hat. 
Wenn wir heute aus dem Felde hören, 
der Gesundheitszustand der Truppen sei 
trotz aller Strapazen, trotz aller Unbil¬ 
den der Witterung andauernd gut, so 
kann uns das mit stolzer Genugtuung 
erfüllen als ein Zeichen dafür, dass die 
Militärmedizinalverwaltung ihr Mög¬ 
lichstes an Vorsorge getan hat, um un¬ 
sere Soldaten gesund zu erhalten und 
vor den Kriegsseuchen zu bewahren. 
Die bessere Kenntnis von dem Wesen 
der Krankheiten befähigt uns heute zu 
weit wirksameren Verhütungsmassre- 
geln als in früheren Kriegen; ich erin¬ 
nere nur an die Schutzimpfungen gegen 
Typhus, Cholera, die neuerdings zu der 
schon 1870 mit grossem Erfolg ange¬ 
wandten Schutzpockenimpfung hinzuge¬ 
kommen sind und sich bereits allgemei¬ 
ne Anerkennung erworben haben. Wird 
es so zweifelllos gelingen, eine grosse 
Zahl von Verlusten durch seuchartige 
Erkrankungen zu verhüten, so ist ande¬ 
rerseits gerade bei der Tuberkulose sehr 
zu befürchten, dass sie bei den Angehö- 

Qrigiraal fro-m 

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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


211 


rigen des Feldheeres in einem, mit den 
Friedensverhältnissen verglichen, recht 
erheblichen Umfange in die Erschei¬ 
nung treten wird. Das liegt vor allem in 
ihrem langwierigen Verlauf und in der 
Schwierigkeit ihrer Erkennung begrün¬ 
det. Wie mancher trägt den Keim der 
Tuberkulose in sich, ohne deutliche 
Krankheitserscheinungen darzubieten 
und ohne sich selbst krank zu fühlen? 
Und wie viele, die sich freudig ihrer 
Pflicht gegen das Vaterland bewusst, 
zum Dienste gemeldet, mögen ihre Kräf¬ 
te überschätzt haben? Und wie viele 
mögen trotz des Bewusstseins unvoll¬ 
kommener Leistungsfähigkeit, trotz 
ihres schon beträchtlich geschwächten 
Körpers bis zuletzt aushalten wollen, um 
nicht als Schwächlinge dazustehen, um 
nicht vorzeitig in die Heimat zurückge¬ 
schickt zu werden? Es liegt auf der 
Hand, dass die Auslese der Tauglichen 
und die Zurückweisung der wegen Tu¬ 
berkuloseverdachts Unbrauchbaren im 
Augenblick der Mobilmachung nicht so 
peinlich durchgeführt werden konnte, 
wie in ruhigen Zeiten; es leuchtet auch 
ein, dass die gesundheitliche Ueberwa- 
chung des einzelnen Mannes im Felde 
nicht so genau sein kann wie im Frieden, 
und es bedarf keiner Erörterung, dass 
an eine Schonung des einzelnen, an ir¬ 
gendwelche Massnahmen besonderer 
Fürsorge für ihn im Kriege nicht zu 
denken ist, so lange er sich bei der käm¬ 
pfenden Truppe befindet. So werden 
denn sicherlich alle die Umstände, die 
die Widerstandsfähigkeit des Körpers 
herabzusetzen nur zu geeignet sind, An¬ 
strengungen und Entbehrungen, Kälte 
und Nässe, sowie Aufregungen und 
Mangel an Schlaf Zusammenwirken, um 
bei einer grösseren Anzahl von Leuten 
die schlummernde Tuberkulose zum 
Ausbruch zu bringen. Ohne Zweifel 
wird der Krankenzugang an Tuberku¬ 
lose während des Krieges beim Heere 
wie bei der Flotte im Vergleich zu der 
ständig fallenden Linie der letzten Frie¬ 
densjahre einen merkbaren Anstieg zei¬ 
gen. Indesen, das ist nach dem Gesag¬ 


ten wohl unvermeidlich; mit der Aus¬ 
sicht auf ein vorübergehendes Anwach¬ 
sen der Erkrankungs- und Sterbefälle 
an Tuberkulose im Heer und Flotte 
müssen wir uns abfinden. 

Wie steht es nun in der bürgerlichen 
Bevölkerung? Auch hier sind seit Be¬ 
ginn des Krieges in vielen Familien die 
Lebensverhältnisse durch verminderte 
Einnahmen und schlechtere Ernährung 
so ungünstig beeinflusst, dass der Aus¬ 
bruch der Tuberkulose bei vielen 
schwächlichen Personen dadurch geför¬ 
dert, der Verlauf der Erkrankung be¬ 
schleunigt und die Gefahr der Ansteck¬ 
ung für die bis dahin gesunde Umge¬ 
bung erheblich vermehrt wird. So er¬ 
hebt sich eine drohende Gefahr aller¬ 
orten, der es gilt, rechtzeitig entgegen¬ 
zutreten, die Gefahr, dass die Tuberku¬ 
lose, auf deren Bekämpfung wir seit 
mehr als 30 Jahren mit allem Eifer und 
allen Mitteln hinarbeiten, sich wieder im 
Volke stärker ausbreite. Diese Gefahr 
ist durchaus nicht gering anzuschlagen; 
der Keim der Tuberkulose ist immer 
noch in unserem Volke sehr reichlich 
verbreitet, wenn auch die Tuberkulose¬ 
sterblichkeit von Jahr zu Jahr abnimmt. 
Noch finden sich schätzungsweise im 
Deutschen Reiche fast eine Million tu¬ 
berkulöse Kranke; noch sterben alljähr¬ 
lich in Deutschland etwa 100,000 Men¬ 
schen an der Tuberkulose. 

Es besteht also eine unverkennbare 
und sehr nahe Beziehung zwischen 
Krieg und Tuberkulose, die unsere 
ernsteste Aufmerksamkeit verdient. Wir 
haben einerseits bestimmt damit zu rech¬ 
nen, dass durch den Krieg eine unver¬ 
meidliche Steigerung der Tuberkulose¬ 
erkrankungen im Heere und in der Flot¬ 
te eintreten wird. Bei dem engen Zu* 
sammenhang zwischen unserer Wehr¬ 
macht und der Bevölkerung entsteht 
daraus die Gefahr, dass die lungenkrank 
aus dem Kriege Zurückkehrenden in ih¬ 
ren Familien die Krankheit weiter ver¬ 
breiten könnten. Andererseits ist auch 
in der bürgerlichen Bevölkerung eine 
Zunahme der Erkrankungen an Tuber- 

Qrigiraal frorri 

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212 


Nbw Yobkkk Medizinisch! Monatsschrift. 


kulose zu erwarten, wofem es nicht 
rechtzeitig gelingt, dafür Abhilfe zu 
schaffen, und daraus würde wieder für 
unsere gesund aus dem Feldzuge heim¬ 
kehrenden Krieger die Gefahr erwach¬ 
sen, dass sie nach glücklichem Ueber- 
sthen des Krieges am heimischen Herd 
von dem schleichenden Gift der Tuber¬ 
kulose bedroht werden. Beides Aus¬ 
sichten so unheilsvoll, dass alles aufge¬ 
wandt werden muss, was in unsern Mit¬ 
teln steht, um die Gefahr abzuwenden. 

Was nun zuerst die im Kriege an Tu¬ 
berkulose erkrankten Soldaten (d. h. 
Unteroffiziere und Mannschaften) an¬ 
langt, so ist die Fürsorge für ihre Un¬ 
terbringung zur Pflege und Wiederher¬ 
stellung lediglich Sache der Militärbe¬ 
hörden. Wer im Feldzuge an Tuberku¬ 
lose erkrankt, hat den Anspruch auf 
eine angemessene Krankenbehandlung, 
an deren Stellfe, wenn Aussicht auf bal¬ 
dige Wiederherstellung nicht besteht, 
die Versorgung mit Rente tritt. Dass 
lungenkrankte Soldaten, die aus dem 
Felde in die Heimat zurückgeschickt 
worden sind, hier von den Ersatztrup¬ 
penteilen ohne den Versuch einer ärzt¬ 
lichen Behandlung zum Zwecke ihrer 
Wiederherstellung und ohne Regelung 
ihrer Versorgungsansprüche nach Hau¬ 
se entlassen werden, wie es vereinzelt 
aus Unkenntnis der Bestimmungen ge¬ 
schehen ist, entspricht durchaus nicht 
dem Willen der Heeresverwaltung. Die¬ 
selbe hat vielmehr gleich im Beginn des 
Krieges darauf Bedacht genommen, sich 
ausser den ihr bereits im Frieden zur 
Verfügung stehenden Betten eine 
grössere Zahl von Plätzen in zahlreichen 
Lungenheilstätten zu sichern. Sie hat 
weiterhin auch Bestimmungen getroffen, 
um eine möglichst schnelle Ueberfüh- 
rung der lungenkranken Soldaten aus 
den Lazaretten und Krankensammelstel¬ 
len in die Heilstätten zu ermöglichen, in 
Anlehnung an das schon im Frieden ge¬ 
übte Verfahren, sich wegen der Heilbe¬ 
handlung der tuberkulös befundenen 
Heeresangehörigen und Wehrpflichtigen 
mit den Zivilbehörden ins Einvernehmen 


zu setzen. So werden einerseits die La¬ 
zarette möglichst schnell von den tuber¬ 
kulösen und tuberkuloseverdächtigen 
Kranken entlastet, wodurch auch die 
Ansteckungsgefahr für andere nicht¬ 
tuberkulöse Kranke beseitigt wird, an¬ 
dererseits werden die lungenkranken 
Soldaten auf diese Weise möglichst 
schnell der spezialistischen Behandlung 
durch den Heilstättenarzt und der be¬ 
sonderen Kurmittel dieser Anstalten 
teilhaftig. Dass von dieser Einrichtung 
auch bereits Gebrauch gemacht wird, 
kann ich auf Grund einer von mir veran¬ 
stalteten Umfrage bestätigen; am 10. 
November befanden sich bereits 212 
lungenkranke Militärpersonen in Heil¬ 
stättenbehandlung. Das vorher ange¬ 
deutete Zusammenwirken mit den Zivil¬ 
behörden (unteren Verwaltungsbehör¬ 
den und Versicherungsanstalten) wird 
dazu führen, dass die Kuren -in den 
Heilstätten je nach dem Urteil des be¬ 
handelnden Arztes so weit verlängert 
werden können, als es die Rücksicht auf 
die Erzielung eines Dauererfolges wün¬ 
schenswert erscheinen läst. Wir dürfen 
also von diesem Zusammenarbeiten er¬ 
hoffen, dass ein guter Teil der im Feld¬ 
zuge an Tuberkulose erkrankten Mann¬ 
schaften durch die Behandlung wieder 
gesund und arbeitsfähig wird; daneben 
wird bei allen, auch den schwerer heil¬ 
baren Kranken durch den Heilstätten¬ 
aufenthalt eine Schulung in gesundheit¬ 
licher Beziehung erzielt, sodass sie wis¬ 
sen, wie sie sich zu verhalten haben, um 
die Ansteckung ihrer Familie zu ver¬ 
meiden. Die Militärverwaltung hat also 
bereits durch die ergangenen Anord¬ 
nungen, soweit es in ihrer Macht steht, 
dafür gesorgt, zu verhüten, dass der Be¬ 
völkerung irgendeine Gefahr seitens der 
tuberkulös kranken Soldaten erwachsen 
könnte. 

Wie können wir nun der anderen 
Gefahr Vorbeugen, der Gefahr des 
Umsichgreifens der Tuberkulose in 
der durch die Not des Krieges 
beeinträchtigten bürgerlichen Bevölke¬ 
rung? Diese Frage lässt sich ganz kurz 


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Nkw Yorkrr MmztMiacBK Monatsschrift. 


213 


dahin beantworten: wir brauchen nur 
alle diejenigen Einrichtungen auch wäh¬ 
rend des Krieges aufrechtzuerhalten, 
mit denen wir in Friedenszeiten so er¬ 
folgreich die wirtschaftliche Not und die 
Krankheiten bekämpft haben; sie sollen 
weiter arbeiten, weenn möglich mit dop¬ 
pelter Kraft und mit verzehnfachten 
Mitteln. So erging schon wenige Tage 
nach der Mobilmachung des Heeres von 
der „Zentralstelle für Kriegswohlfahrts¬ 
pflege des Roten Kreuzes“ in Berlin der 
Aufruf zur friedlichen Mobilmachung 
aller für die öffenliche Gesundheits¬ 
pflege tätigen Kreise und Kräfte. Die¬ 
sem Aufruf folgte ein solcher des „Deut¬ 
schen Zentralkomitees zur Bekämpfung 
der Tuberkulose“ und die Begründung 
eines besonderen Tuberkulose-Aus¬ 
schusses bei der genannten Zentralstelle, 
der es sich zur Aufgabe gemacht hat, 
für die Kriegsdauer überall im Reiche 
die Tuberkulosenarbeit zu unterstützen 
und aufrecht zu erhalten durch Vermitt¬ 
lung von Personal und Gewährung von 
Rat und Beihilfe. Dass die Aufrufe zur 
Fortführung aller Liebeswerke in unse¬ 
rem Volke nicht ungehört verhallt sind, 
hat sich in der Folgezeit schnell heraus¬ 
gestellt. Wo in den ersten Tagen und 
Wochen des Krieges bange Zweifel und 
Mutlosigkeit geherrscht hatten, weil 
man glaubte, die Verhältnisse würden 
eine Fortsetzung der Friedensarbeit 
nicht gestatten, da kehrte bald wieder 
Hoffnung und Zuversicht ein. Die Ar¬ 
beit war da, an ihr war kein Mangel, die 
Aermsten der Armen bedurften mehr 
denn je der werktätigen Hilfe; aber hier 
und da fehlte es an Helfern, die Aerzte. 
Schwestern oder Leiter der Fürsorge¬ 
stellen, Heilstätten und dergl. waren im 
Kriege, doch gelang es fast überall, ge¬ 
eigneten Ersatz zu finden, und bald kün¬ 
deten Zeitschriften ans allen Teilen des 
Reiches und Aufrufe und Berichte in 
den Zeitungen, dass die Wohlfahrts¬ 
pflege allerorten wieder im Gange sei. 
Von den Heilstätten, von denen im An¬ 
fänge ein grösserer Teil geschlossen 
wurde, um kranken und verwundeten 


Soldaten Obdach zu bieten, sind die mei¬ 
sten inzwischen wieder eröffnet. Die 
Versicherungsanstalten, denen der Krieg 
unerwartet einerseits grosse Ausfälle an 
ihren sonst so sicheren Einnahmen, an¬ 
dererseits neue grosse Aufgaben und 
Verpflichtungen gebracht hat, haben 
zwar die Gewährung von Heilverfahren 
hie und da gegen frühere Zeiten einge¬ 
schränkt, sie steuern aber durch ihre 
hilflreiche Tätigkeit auch jetzt überall 
der fühlbarsten Not und arbeiten auch 
damit wieder für die Volksgesundheits¬ 
pflege. Die Vereine sind ebenfalls eifrig 
auf dem Plan und verdoppeln, wie ich 
bemerken konnte, vielfach ihre Leistun¬ 
gen trotz aller finanziellen Schwierig¬ 
keiten, die auch ihnen durch den Krieg 
erwachsen sind. Auch hier gilt das 
mannhafte Wort: „Wo ein Wille ist, 
da ist auch ein Weg.“ Die Opferwillig¬ 
keit unseres Volkes ist so gross, dass 
jeder, der zu geben hat, gern gibt und 
täglich gibt, um auch seih Scherflein für 
das Vaterland zu opfern. Es gilt nur, 
die Gaben fleissig zu sammeln. Die 
Aufgaben, die zur Zeit in der Tuber¬ 
kulosebekämpfung an uns herantreten, 
und die hauptsächlich auf die möglichst 
gute Absonderung aller ansteckenden 
Lungenkranken herauslaufen, erfordern 
Geld und nochmals Geld und zum drit¬ 
ten Male Geld. Möchten sich recht viel 
willige Helfer finden, die durch Geld¬ 
spenden an die örtlichen Vereine und 
Fürsörgestellen diese in den Stand 
setzen, ihre Aufgabe auch m diesen 
schweren Zeiten zu" erfüllen und unsere 
jetzt besonders der Fürsorge bedürfti¬ 
gen ärmeren Bevölkerung tatkräftig zu 
helfen! Dann würden die Worte: 
„Krieg und Tuberkulose“ ihren 
Schrecken für uns verlieren. 

Im einzelnen lassen sich unsere Auf¬ 
gaben in der Jetzzeit im Kampfe gegen 
die Tuberkulose dahin erläutern: Es 
kommt in erster Linie darauf an, die an¬ 
steckenden Lungenkranken abzuson- 
dem, damit sie ihre Familienangehöri¬ 
gen und die sonst im Hause befindlichen 
Personen, einschliesslich etwaiger Ein- 


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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


quartierung, nicht in Gefahr bringen. 
Jetzt, nach vier Monaten Kriegsdauer ist 
ja die Frage bezüglich der Fürsorge für 
die Einquartierung nicht mehr so bren¬ 
nend, wie im Anfänge des Krieges; ich 
möchte aber nicht unterlasen zu erwäh¬ 
nen, dass der hiesige Verein zur Bekäm¬ 
pfung der Schwindsucht dieser Frage 
eine ganz besondere Aufmerksamkeit 
geschenkt hat. Aber wenn es auch zwei¬ 
fellos von der grössten Bedeutung ist, 
dass die im ansteckenden Stadium be- 
, findlichen Kranken so viel wie möglich 
abgesondert werden, damit eine Krank¬ 
heitsübertragung auf Gesunde vermie¬ 
den wird, so mus doch darauf geachtet 
werden, dass die Absonderung nicht zu 
unnötiger Härte führt. Die Kranken 
aus ihrer Familie herauszureissen und 
in ein Krankenhaus zu bringen, ist nicht 
immer erforderlich; auch in der Familie 
ist die Durchführung gesundheitlicher 
Grundsätze in gewissem Umfange er¬ 
reichbar. Bei der ärmeren Bevölkerung 
freilich, wo vielfach für eine zahlreiche 
Familie nur eine Stube oder ein Schlaf¬ 
raum zur Verfügung stehen, und wo 
häufig mehrere Personen ein Bett teilen 
müssen, ist es in den meisten Fällen aus¬ 
geschlossen, auf anderem Wege als 
durch die Unterbringung in einer Kran¬ 
kenanstalt oder in einem Heim den nö¬ 
tigen Schutz der noch nicht Erkrankten 
zu schaffen. Wenn dies bereits für den 
Frieden erforderlich erscheint, so trifft 
es in erhöhtem Masse da zu, wo durch 
den Krieg die Wohnungsverhältnisse 
verschlechtert sind. Weiter sind aber 
auch diejenigen Personen besonders im 
Auge zu behalten, die den Krankheits¬ 
keim bereits in sich tragen, Hine dass 
die Krankheit bis dahin zum Ausbruch 
gekommen wäre. Dazu gehören insbe¬ 
sondere die schwächlichen und tuber- 
kuloseverdächtigen Kinder. Hier gilt 
vor allem: was wir für die Jugend tun, 
das widmen wir der Zukunft des Vater¬ 
landes. Der überwiegende Teil der 


Kinder ist zu retten, wenn rechtzeitig 
das geschieht, was zur Stärkung und 
Kräftigung ihres Körpers erforderlich 
ist, um sie widerstandsfähiger gegen die 
Krankheitskeime zu machen. So tritt 
die Kinderfürsorge auch im Kriege be¬ 
sonders in den Vordergrund. Es erhebt 
sich demnach die Frage: Wie sorgen 
wir am besten für die bereits angesteck¬ 
ten Erwachsenen und Kinder, um den 
Ausbruch der Krankheit zu verhüten? 
In einer Stadt wie Chemnitz, wo die 
Fürsorgetätigkeit des Vereins zur Be¬ 
kämpfung der Schwindsucht die engste 
Fühlung unterhält mit allen massgeben¬ 
den Behörden und Stellen, da fehlt es 
nicht an Einrichtungen, um diesen For¬ 
derungen gerecht zu werden. Es kann 
sich hier lediglich darum handeln, dass 
die Mittel, die naturgemäss jetzt in er¬ 
ster Linie dem Roten Kreuz zufliessen, 
knapper bemessen sind, und dass die 
Fürsorgetätigkeit durch Abgang des für 
den Kriegsdienst erforderlichen Perso¬ 
nals vorübergehend erschwert wird. 
Diese Schwierigkeiten müssen aber 
überwunden werden. Es darf auch im 
Kriege die Sammeltätigkeit nicht ruhen, 
und der Mangel an Fürsorge- und 
Krankenschwestern lässt sich unschwer 
beheben durch Gewinnung von Frauen 
und Mädchen, die in der Absicht, sich 
der Kriegskrankenpflege zu widmen, 
eine entsprechende Ausbildung genos¬ 
sen, aber in den Lazaretten bisher keine 
Verwendung gefunden haben. Für die¬ 
se könnte eine ausserordentlich dank¬ 
bare Tätigkeit auf dem Gebiete der so¬ 
zialen Fürsorge geschaffen werden. 

Gelingt es so, die segensreiche Tätig¬ 
keit der Fürsorgestellen auch während 
des Krieges ungeschwächt aufrecht zu 
erhalten und ihre Arbeit womöglich mit 
vermehrten Kräften und Mitteln fortzu¬ 
setzen, dann dürfen wir uns auch der 
Hoffnung hingeben, dass uns wie im 
Kriege, so auch in der Tuberkulosebe¬ 
kämpfung ein Sieg beschieden sein wird. 


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215 


Mitteilungen aus der neuesten Joumalliteratur. 


Haut- und Geschlechtskrankheiten. 

Referiert von Dr. H. Klotz. 

Stokes, John Hinchman, 
M. D., Ann Arbor, Mich.: Eine kli¬ 
nische, pathologische und experi¬ 
mentelle Untersuchung durch den 
Biss der „schwarzen Fliege“ (Simi- 
lium venustum) verursachter Haut¬ 
verletzungen. Jour, of Cutaneous 
Diseases, XXXII., November und 
Dezember 1914. 

Similium venustum ist neben Simi- 
lium vittatum der Hauptvertreter der 
in neuerer Zeit, namentlich in Verbin¬ 
dung mit Pellagra oft genannten In¬ 
sektengattung Similium in den nörd¬ 
lichen Teilen Amerikas und unter dem 
Namen der „Black Fly“ allen Natur¬ 
forschern, Reisenden und besonders 
tägern und Fischern nur zu wohl be¬ 
kannt. Daher dürfte diese Arbeit von 
allgemeinerem Interesse sein, zumal 
genügend Zeugniss vorliegt, dass für 
jemand, der die Fliege nicht kennt, auf 
einen Angriff derselben nicht vorbe¬ 
reitet und entfernt von irgend einer 
Zufluchtsstätte ist, die Begegnung mit 
dem Insekt ernste und sogar tötliche 
Folgen haben kann. So musste im 
Jahre 1909 die Eröffnung der Biologi¬ 
schen Station und des Ingenieurlagers 
der Universität von Michigan in der 
Nähe von Douglas Lake, Cheboygan 
County, wo auch der Verfasser seine 
Erfahrungen gemacht und seine Un¬ 
tersuchungen angestellt hat, um eine 
Woche verschoben werden. 

Similium venustum kommt in nord¬ 
westlicher Richtung bis nach Labra¬ 
dor vor, westlich im Gebiete der 
grossen Seen bis nach Kansas und 
nach Süden hin entlang der grossen 
Flüsse. Der Hauptvertreter weiter 
nach Süden hin ist das unter dem Na¬ 
men des „Buffalo Gnat“ bekannte Si¬ 
milium pecuarum, eine grosse und ge¬ 
fährliche Plage für Menschen und be¬ 
sonders Tiere, wie Maultiere, Schwei¬ 
ne etc. Die Gattung umfasst andere 
zahlreiche Spezies in Südamerika, 
Australien, im nördlichen Europa 
(Sand Flies) und die besonders ge¬ 


fürchtete „Columbacher Mücke“ in 
Ungarn. 

Nach einer kurzen Uebersicht der 
Literatur wird die Fliege beschrieben. 
Stokes fand sie im Durchschnitt 
nur 3 mm lang, der Kopf ist klein, der 
Thorax aber gross, mit Schuppen be¬ 
deckt, die Flügel durchsichtig und 
breit; nur die weiblichen Tiere sind 
Blutsauger. Der Angriff beginnt ver¬ 
mittelst eines scharfen, kurzen Stiletts; 
gleichzeitig mit dem Beginn des Sau¬ 
gens wird Speichel mit ziemlicher 
Kraft in die Wunde eingepresst und 
am Ende wird ein Tropfen eines un¬ 
bekannten Giftes in dieselbe einge¬ 
führt. Wegen ihrer Kleinheit ist die 
Fliege nicht auffällig, ihr Flug ist ge¬ 
räuschlos, der Angriff erfolgt mit 
grosser Kühnheit und lässt sich nicht 
leicht abwehren. Kleidung schützt 
gegen Angriff von aussen, aber ver¬ 
möge der Beschaffenheit des Thorax 
kann die Fliege in Plätze eindringen, 
wo Druck und Reibung einen Mos- 
quito töten würden. Alle beissenden 
Glieder der Gattung Similium zeigen 
grosse Anziehung zu Gegenden mit 
sehr dünner Haut wie das Gesicht und 
besonders die Augengegend, Nase und 
Stirn, und zu schwer erreichbaren 
Punkten; es ist merkwürdig, mit wel¬ 
cher Ausdauer sie den Nacken und die 
Haargrenze zu erreichen suchen. An 
solchen Stellen finden sich die Efflo- 
reszenzen in Gruppen angehäuft, das 
Vorhandensein von früheren Stichen 
scheint die Fliegen besonders anzu¬ 
ziehen. Der Stich selbst ist absolut 
schmerzlos im Augenblick und einige 
Zeit danach, die Fliege hält fest bis 
sie gesättigt ist und fällt ab oder fliegt 
davon. Nach der Entfernung der Pro- 
boscis erscheint sofort ein Tropfen 
klarer Lymphe und eine nicht selten 
recht reichliche Blutung, die charak¬ 
teristisch für den Biss ist; ein Blut¬ 
gerinnsel und häufig eine Ecchymose 
kennzeichnen die Stelle des Stichs. 

Die weiteren Folgen sind zum 
grossen Teil abhängig von dem Grade 
der natürlichen Empfänglichkeit des 
Individuums und der erworbenen Im- 


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216 


New Yoftj 


Medizinische Monatsschrift. 


munität. In der Mehrzahl der Fälle 
entwickelt sich auf urtikarieller Basis 
eine papülo-vesikulöse Effloreszenz, 
deren Verlauf sich auf mehrere Tage 
bis zu mehreren Wochen erstrecken 
kann. Der typische Verlauf zeigt vier 
Stadien: das papulöse, das vesikulöse 
oder pseudo-vesikulöse, das reife ve- 
siko-papulöse oder nässende papulöse, 
und das der Rückbildung, endend mit 
der Narbe. Die volle Entwicklung 
<ier papulo-vesikulösen Effloreszenz 
findet statt am ersten bis dritten oder 
fünften Tage und mag einige Tage bis 
drei Wochen anhalten. Die Rück¬ 
bildung ist gekennzeichnet durch das 
Auf hören des Nässens, Abschwellung 
der Papel und endlich narbige Verän¬ 
derungen. Die begleitenden Sympto¬ 
me sind starkes Jucken, lokalisiert 
oder mehr verbreitet, im Anfang mit 
Wärmegefühl oder Brennen verbun¬ 
den, das ausserordentlich hartnäckig 
ist,, mit ausgesprochener Neigung zu 
spontanen, periodischen Exazerbatio¬ 
nen. Wo die Effloreszenzen nahe bei¬ 
sammen stehen, kann mehr weniger 
ausgebreitetes Oedem vorhanden sein. 

Eine deutliche Anschwellung der 
benachbarten Lymphdrüsen kommt 
bei der Mehrzahl der empfänglichen 
Individuen innerhalb 24 Stunden zu¬ 
stande ; die einzelnen Drüsen sind 
schmerzhaft und oft gegen Druck un- 
gemein empfindlich, zeigen aber keine 
Neigung, in Eiterung überzugehen. 
Wiederholtes Ausgesetztsein führt zu 
Immunität gegen alle sekundären Er¬ 
scheinungen, die bei Einheimischen 
meist hochgradig entwickelt ist. Es 
gibt auch deutliche Variationen der 
Intensität der Virulenz der Fliegen 
und der Empfänglichkeit einzelner In¬ 
dividuen. Konstitutionelle Symptome 
sind beschrieben worden, konnten 
aber von Stokes nicht beobachtet 
werden. 

Die histologische Untersuchung 
zeigte, dass die in Folge der Einfüh¬ 
rung eines toxischen Agens auftreten¬ 
den Veränderungen: Gefässerweite- 
rung mit anfangs perivaskulärem, spä¬ 
ter allgemeinem Oedem und ein poly¬ 
morphes, perivaskuläres Infiltrat, we¬ 
sentlich im Corium verlaufen. Auf¬ 


fällige lokale Eosinophilie ist eins der 
am meisten bezeichnenden Erschei¬ 
nungen : meist polymorphonukeläre 
Zellen, aus den Blutgefässen stam¬ 
mend, streben dem Zentrum der Ef¬ 
floreszenz zu und sind an der Stelle 
des Einstichs so zahlreich, dass sie ein 
ganz ungewohntes Bild darbieten. 
Sehr bald findet eine ausgesprochene 
Vermehrung der Mastzelien statt, be¬ 
sonders in der Nähe der Talg- und 
Schweissdrüsen und der Gefässe. Vom 
ersten Stadium an besteht eine bedeu¬ 
tende Infiltration mit Rundzellen, die 
aber grösstenteils auf die Nähe der 
Gefässe und den Kern der zentralen 
Infiltration beschränkt bleibt. Eine 
weitere eigentümliche pathologische 
Erscheinung ist das bedeutende loka¬ 
lisierte Oedem und Anschwellung des 
Papillarkörpers neben dem in dem 
Herd durchaus vorhandenen allge¬ 
meinen Oedem. Dieser Lokalprozess 
führt zur Bildung vön Bläschen mit 
Verdünnung der überliegenden Epi¬ 
dermis, Abflachung der Retezapfen 
und leichtem fibrinösen Exsudat in 
dem Pseudo-vesikel. • Der mehr chro¬ 
nische Charakter zeigt sich in der Bil¬ 
dung embryonalen Bindegewebes und 
fibroblastischer Wucherung des peri¬ 
vaskulären Infiltrates. Die Epidermis 
zeigt nur geringe Veränderungen durch¬ 
aus sekundären Charakters. Sie beste¬ 
hen in der gelegentlichen Bildung wirk¬ 
licher Bläschen, mässigem intrazellulä¬ 
rem Oedem der Malpighischen und ba¬ 
salen Zellen und Pigmentveränderungen. 
Der Prozess hinterlässt nur geringe 
Reste von Fibrosis, namentlich in der 
Nähe der Gefässe, und Pigmentation. 
Direkte Beweise von der Einwirkung 
irgend welcher Bakterien oder Proto¬ 
zoen konnten nicht erbracht werden. 

Experimentell war Stokes imstan-r 
de, vermittelst in Alkohol präservierter 
Fliegen klinisch und histologisch die 
durch den Biss des lebenden Insektes 
verursachten Veränderungen zu repro¬ 
duzieren. Dies schliesst ein lebendes 
infektiöses Agens aus, aber es gelang 
nicht, die Natur des toxischen Elements 
nachzuweisen, obwohl einige charakte¬ 
ristische Eigenschaften desselben fest¬ 
gestellt wurden. 


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N*w Yoft Km Medizinisch! Monatsschkipt. 


217 


Sitzungsberichte. 


Deutsche Medizinische Gesellschaft der Stadt New York. 


Sitzung, Montag, den 4. Januar 1915. 

Präsident Dr. Gustav Seelig- 
m a n n eröffnet die Sitzung nach *49 
Uhr. 

Sekretär Dr. M. Rehling ver¬ 
liest das. Protokoll der vorigen Sitz¬ 
ung, welches genehmigt wird. 

Hierauf tritt die Versammlung in 
die Tagesordnung ein. 

I. Vorstellung von Patienten. 

a) Dr. R. D e n i g : Operation we¬ 
gen Keratokonus. 

b) Dr. F. T o r e k: Präparat und 
Röntgenogramm eines Falles von Oeso- 
phagus-Divertikel, kompliziert mit 
Lungenabszess. 

II. Anqirache. 

Ansprache des neuerwählten Präsi¬ 
denten. 

• Präsident Dr. W. Freudenthal: 
Ich möchte zunächst den Herren Kol¬ 
legen meinen Dank für die auf mich 
gefallene Wahl ausdrücken. Ferner 
möchte ich meinem Herrn Vorgänger 
für die schönen Worte danken, die er 
soeben gesprochen hat und die mir 
ganz aus dem Herzen kamen. Am 4. 
Januar 1897, also genau heute vor 18 
Jahren, hatte ich zum ersten Mal die 
Ehre, den Vorsitz hier übernehmen zu 
dürfen. Es hat sich in der Zeit so 
manches verändert. So mancher ist 
von uns gegangen, den wir lieb ge¬ 
wonnen haben, so mancher, der eine 
grosse Stütze des Vereins gewesen. 
Ist für diese Männer Ersatz geschaf¬ 
fen worden? Sie wissen, dass die Ein¬ 
wanderung namentlich der gebildeten 
Klassen in den letzten Jahren äusserst 
gering war, und, wie die Sachen 
draussen stehen, ist für die nächste 
Zukunft eine Einwanderung von Me¬ 
dizinern überhaupt nicht zu erwarten. 
Wenn ich an die Verhältnisse in Eu¬ 
ropa denke, so blutet mir das Herz, 
besonders wenn ich an unser altes Va¬ 
terland denke, dessen Hochschulen 


doch die meisten von uns ihre akade¬ 
mische Bildung verdanken. Andere 
freilich auch. Die haben es aber ver¬ 
gessen. Doch meine Gefühle sind 
nach dieser Richtung hin so ausge¬ 
prägt, dass ich mich scheue, näher auf 
diesen Punkt einzugehen. Ich möchte' 
aber hier dasselbe betonen, was Dr. 
Seeligmann gesagt hat, dass jetzt 
grade der Zeitpunkt gekommen ist, 
wo wir uns nach berühmten Mustern 
fester aneinanderschliessen sollten, wo 
wir auch im Geist der Gründer dieser 
Gesellschaft nach den wissenschaft¬ 
lichen Verhandlungen hier zusammen¬ 
bleiben und einen gemeinschaftlichen 
Ideenaustausch pflegen sollten. Aber, 
sagte mir erst vor kurzem einer, ist 
wirklich noch eine Existenzberechti¬ 
gung für die Deutsche Medizinische 
Gesellschaft vorhanden? Nun, solan¬ 
ge es noch so viele Aerzte gibt, die 
draussen geboren und erzogen sind, 
solange wird es eine Notwendigkeit 
sein, dass wir Zusammenkommen und 
uns in deutscher Sprache medizinisch 
und freundschaftlich unterhalten. 
Aber auch für andere, die draussen 
ihre Erziehung genossen haben, wird 
es eine Genugtuung sein, hier Mit¬ 
glied werden zu können. Wenn es 
aber einmal dazu kommen sollte, dass 
die meisten unserer Vorträge auf eng¬ 
lisch gehalten würden und die Diskus¬ 
sion in derselben Sprache geführt wer¬ 
den müsste, dann allerdings wäre es 
besser, wir schliessen unsere Tore und 
gehen in corpore zu einem der hier so 
zahlreichen und zum Teil ausgezeich¬ 
neten englisch sprechenden Vereine 
über. Aber die Anzahl unserer Mit¬ 
glieder ist für die kommenden Jahre 
Bürgschaft genug, und wenn ich den 
Appell meines Vorgängers wieder¬ 
holen darf, so bitte auch ich Sie, Ihre 
Zeit ein klein wenig der Deutschen 
Medizinischen Gesellschaft zu opfern. 
Empfangen Sie nochmals meinen 
herzlichen Dank für Ihre Wahl. 

Und nun möchte ich einige Gäste 

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New Yen ui Medizinische MoNATSscHurt. 


begrüssen, die uns heute mit ihrem 
Besuch beehren, insbesondere Herrn 
Dr. Felix von Luschau, Profes¬ 
sor der Anthropologie an der Univer¬ 
sität Berlin, sowie Herrn Dr. Spitz- 
k a, bisher Professor der Anatomie in 
Philadelphia. 

Ehe wir weitergehen, möchte ich 
noch bemerken, dass die nächste Sitz¬ 
ung wahrscheinlich nicht hier in der 
Academy stattfinden wird, sondern in 
Aeolian Hall. Wir werden, denke ich, 
einen sehr interessanten Vortrag über 
die körperliche Erziehung in der Eli¬ 
sabeth Duncan Schule in Darmstadt 
zu hören bekommen. 

In der letzten Vorstandsitzung wur¬ 
de der Antrag gestellt und einstimmig 
angenommen, den Witwen und Wai¬ 
sen der im Krieg gefallenen deutsch¬ 
österreichisch - ungarischen Kollegen 
250 Dollar zu senden, und der Vor¬ 
stand empfiehlt Ihnen ebenfalls die 
einstimmige Annahme des Antrags. 

Auf Antrag von Dr. Carl Pfister 
beschliesst die Versammlung einstim¬ 
mig, dem Antrag des Vorstands ge¬ 
mäss die Summe von 250 Dollar für 
den betreffenden Zweck zu bewilligen. 

III. Vorträge. 

a) Dr. W. Freudenthal: Neue 
Methoden in der Behandlung des 
bronchiden Asthmas. 

b) Dr. A. Rosten b erg: Der au¬ 
genblickliche Stand der Syphilis¬ 
therapie. 

Diskussion. 

Dr. Ludwig Weiss: In dem in¬ 
teressanten Vortrag ist uns beinahe 
Alles in nuce gegeben worden, was 
wir über die neue Behandlung der 
Syphilis wissen. An dem Vortrag sel¬ 
ber kann ich keine Kritik üben, inso¬ 
fern er als fleissiges Sammelreferat 
wirklich all dasjenige bringt, was bis 
zum letzten Moment geleistet wurde; 
aber wir sind dem Vortragenden zu 
Dank verpflichtet dafür, dass er es uns 
in so angenehmer Form brachte. Durch 
die neueren Ansichten über Syphilis, 
welche durch die Entdeckung des Sy¬ 
philis-Erregers, durch die Etablierung 
der Wassermann'schen Reaktion als 
diagnostischen und prognostischen 


Behelf eingeleitet wurde, haben wir 
ungeahnte therapeutische und diagno¬ 
stische Fortschritte zu verzeichnen, 
die in diesem Moment in ihrer Anwen¬ 
dung noch zu jung sind, um allge¬ 
meine Regeln daraus zu deduzieren. 
Wir wissen mit ziemlicher Genauig¬ 
keit, was unser altes Quecksilber be¬ 
deutet und uns leistet. Vierhundert 
Jahre der Anwendung dieses Mittels 
haben uns darüber aufgeklärt, was wir 
davon zu erwarten, was wir davon zu 
befürchten haben. Soviel aber ist ge¬ 
wiss, dass wir in dem Salvarsan — 
und darin stimmen wir alle mit dem 
Vortragenden überein — das beste 
jetzt bekannte Mittel zur Bekämpfung 
der Lues wissen. Ob es nun, wie im 
Anfang, intramuskulär oder durch die 
Venen oder, wie in neuester Zeit, in¬ 
traspinal angewendet wird, das ist ei¬ 
ne Frage, die mit dem jeweiligen Fall 
in innigem Zusammenhang steht. Die 
intravenöse Anwendung kennen wir ja 
alle, und ich möchte Ihre Zeit nicht 
damit verbrauchen. Wir wissen, dass 
einige Gefahren damit verbunden sind, 
die sich aber bei guter Technik und 
absoluter Aseptik beinahe auf Null re¬ 
duzieren. Wir wissen, dass wir bei 
dem Neosalvarsan wie bei dem alten 
Salvarsan — bei Neosalvarsan mehr 
als bei dem alten — gewisse Nach¬ 
erscheinungen nicht sehr beängstigen¬ 
der Natur haben, wie Kopfschmerzen, 
Gliederreissen, Erbrechen, die nach 
ein paar Stunden zurückgehen und 
nicht immer, wie manche annehmen, 
auf fehlerhafter Technik beruhen. 

Die intraspinale Anwendung des 
Alt-Salvarsans bei cerebro-spinaler 
Lues, Tabes und Parese hat bereits 
Vielversprechendes geleistet. Ihr An¬ 
wendung jedoch erfordert tadellose 
Technik und Laboratoriumfazilitäten. 

Gleihwie eine wissenschaftliche Be¬ 
handlung der Gonorrhoe ohne Mikro¬ 
skop unmöglich ist, so ist es nicht 
möglich, dass man ohne Wassermann- 
sche Reaktion eine zielbewusste Sal- 
varsanbehandlung durchführen könn¬ 
te. Ohne sie wäre die Behandlung 
eine grob empirische. Im Allgemeinen 
bietet die Statistik folgenden Anhalts¬ 
punkt : dass 75 bis 80 Prozent der 
Fälle vom klinischen sowohl als vom 

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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


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Laboratorium-Standpunkte nach Sal- 
varsanbehandlung negativ werden, 
dass 25 Prozent unbeeinflusst bleiben 
und von diesen 25 Prozent 20 der alten 
Behandlung Folge leisten, indem sie 
dann auf Quecksilber negativ ausfal- 
len. Fünf Prozent von diesen 25 blei¬ 
ben positiv, man tue, was man wolle, 
und diese 5 Prozent sind die sozial ge¬ 
fährlichsten, aber nicht in der Weise, 
wie der Vortragende meinte, durch 
Ansteckungsfähigkeit, sondern in an¬ 
derer Weise, und ich werde Ihnen ei¬ 
nen solchen Fall vorlegen, welcher 
meine Ansicht charakterisiert. Mir 
wurde ein Fall von Ehrlich selber 
zugewiesen, um ihn hier weiter zu be¬ 
handeln. Er hatte 18 Jahre vorher 
Syphilis, wurde im Anfang zwei Jahre 
lang behandelt und hatte 16 Jahre lang 
gar keine Symptome. Die Wasser- 
mann’sche Reaktion vor der Behand¬ 
lung zeigte 4 +. Er wurde der ge¬ 
bräuchlichen Behandlung unterzogen 
von acht intravenösen Salvarsanein- 
spritzungen in 14tägigen Intervallen 
mit zwei lOprozentigen Quecksilber- 
Salizylinjektionen intramuskulär zwi¬ 
schen je zwei Salvarsan-Einspritzun- 
gen. Nach acht Wochen hatte er 3+. 
Nach einer vierteljährigen Pause wur¬ 
de er mit seinen 3+ wieder in Behand¬ 
lung genommen, bekam sechs Salvar- 
san-diesmal Alt-Salvarsan-Ein¬ 

spritzungen mit dem gebräuchlichen 
Hg in der Zwischenzeit. Nach acht 
Wochen war die Reaktion wieder 4 
positiv. Nun kommt das Tragische 
der Sache. Der Mann war verlobt in 
einem kleinen Städtchen eines südli¬ 
chen Nachbarstaates. Er wollte hei¬ 
raten, aber trotz meines Zuredens, 
dass diese 4+ nach so intensiver Be¬ 
handlung nichts bedeuten, dass er 16 
Jahre ohne Symptome war und flott 
darauf los heiraten könne, tat er es 
nicht. Eines Tages kam er zu mir und 
sagte: Nun so steht es, wenn man 

ehrlich ist, die Leute wollten mich 
teeren und federn, weil ich nicht hei¬ 
raten wolle, während ich doch aus Ge¬ 
wissenhaftigkeit mich davon zurück¬ 
halte. Hier wäre also eine unbeabsich¬ 
tigte soziale Katastrophe, verursacht 
durch eine hartnäckig positiv bleiben¬ 
de Wassermann’sche Reaktion. Nun 


denken Sie nur ja nicht, dass ich mich 
dieser Probe gegenüber feindselig ver¬ 
halte. Ich glaube an die Wassermann- 
sche Reaktion, aber es sind Limitatio¬ 
nen vorhanden, und wir müssen nicht 
blindlings sagen: Du hast 3 + und 
darfst daher nicht heiraten. Bei Leu¬ 
ten, die ein derartiges Verhalten zei¬ 
gen, dabei gesund und ohne Sympto¬ 
me sind, ist die Gegenwart einer Kom¬ 
plement bildenden Substanz vielleicht 
in einer Blutveränderung und nicht in 
der Gegenwart von Spirochäten oder 
deren Toxinen zu suchen. Wir kön¬ 
nen solche Leute mit der grössten Ge¬ 
wissenhaftigkeit heiraten lassen; sie 
werden weder syphilitische Kinder er¬ 
zeugen noch ihre Frauen anstecken,, 
und in dieser Beziehung, meine ich, 
sollte man mit der so segensreichen 
Wassermann’schen Reaktion nicht zu 
katechetisch vorgehen und in derarti¬ 
gen positiv bleibenden Spätfällen ihrer 
Limitation eingedenk sein. 

Dr. Ludwig O u 1 m a n: Dr. Ro¬ 
stenberg hat vorhin bemerkt, dass 
er mit kleinen Dosen anfängt und zu 
grösseren Dosen übergeht. Ich glaube, 
dass bei einem kräftigen Patienten 
gleich mit grossen Dosen angefangen 
werden soll. 

Im Allgemeinen gebe ich auch lie¬ 
ber das Alt-Salvarsan, aber für ambu¬ 
lante Behandlung halte ich Neu-Sal- 
varsan für zweckmässiger und glaube, 
dass die Wirkung in Neu-Salvarsan, 
wie auch in einer Arbeit betont wurde, 
einfach in der Wirkung auf die Was- 
sermann’sche Reaktion besteht. 

Die Exzision des Schankers habe 
ich in Berlin vor 13 Jahren zu sehen 
Gelegenheit gehabt. Von der heissen 
Luftbehandlung, der zum Teil noch 
intensiveren Behandlung als Exzision, 
habe ich nicht sehr viel Erfolg gese¬ 
hen. Seit wir mit Quecksilber und 
Salvarsan eine viel schönere Heilung 
des Schankers hervorrufen können, 
glaube ich, dass wir die Exzision ruhig 
beiseite lassen können. 

Was die Heiratsfrage betrifft, so 
glaube ich, dass wir die Patienten 
nicht so lange behandeln können. Er¬ 
stens würden wir sie selbst verlieren, 
und zweitens, wenn die Patienten län¬ 
gere Zeit symptomfrei waren und 


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New Yoeue Medizinische Monatsschrift. 


wenn wir eine Anzahl W'asserman- 
Reaktionen bekommen haben, die ne¬ 
gativ waren, dann können wir, aller¬ 
dings ohne dass wir die Verantwort¬ 
lichkeit voll auf uns nehmen, ihnen ru¬ 
hig sagen: Wenn Sie glauben, dass 
Sie heiraten müssen, so heiraten Sie. 
Sollte sich aber das Geringste zeigen, 
so muss eine Behandlung eingeleitet 
werden. 

Die zweimonatliche Wassermann- 
Untersuchung ist sehr gut, sowohl für 
die Reichen wie für die Armen. Für 
den Mittelstand ist das eine andere 
Frage. Ich glaube, wenn man einst¬ 
weilen eine oder zwei negative Unter¬ 
suchungen gehabt hat, dass man längere 
Zwischenräume sollte abwarten lassen. 

Die Frage der Injektion bei Xieren- 
und Lebererkrankungen anlangend, so 
haben wir es immer so gehalten, dass 
wir, wenn wir auf kleine Dosen 
Quecksilber Besserung der Symptome 
gesehen haben, dann energisch mit an¬ 
tisyphilitischer Behandlung vorgegan¬ 
gen sind. 

Bei kleinen Kindern ist eine Me¬ 
thode, die ich mit Dr. Will heim 
einmal beschrieben habe, zu empfeh¬ 
len. Die rektale Anwendung des Sal- 
varsan ist doch immerhin empfehlens¬ 
werter weil schmerzloser nach meiner 
Ansicht. Man kann grössere Dosen 
von Salvarsan geben. Das Mittel wird 
schneller von der Leber aufgenommen 
und dann hat man nicht die Schwierig¬ 
keiten, die die intravenöse Injektion 
bereitet. 

Dr. H. H e i m a n diskutiert den Vor¬ 
trag in englischer Sprache. 

Dr. A. Rostenberg (Schluss¬ 
wort): Ich habe dem Gesagten kaum 
etwas hinzuzufügen und bin nur sehr 
erfreut, dass meine Arbeit eine so leb¬ 
hafte Diskussion hervorgerufen hat. 
Herrn Dr. W e i s s möchte ich bei¬ 
stimmen insofern, dass man nicht zu 
viel Wert auf einen positiven Wasser¬ 
mann in der Heiratsfrage legen muss. 
Wenn der Patient trotz aller Behand¬ 
lung doch einen positiven Wasser¬ 
mann zeigt, so sind das Fälle, wo der 
Patient salvarsan- und quecksilberfest 
geworden ist und der Wassermann 


nicht mehr negativ gemacht werden 
kann. Es liegt die Gefahr nahe, dass 
man die Patienten zu Syphilitophoben 
heranzieht, und wer einen solchen ge¬ 
sehen, der wird zugeben, dass dieser 
an der fürchterlichsten Krankheit lei¬ 
det, die man sich vorstellen kann. Ich 
kenne einen Fall, wo ein Mann, ohne 
wirkliche Symptome von Syphilis zu 
zeigen, sich das Leben nahm, weil er 
dachte, nicht kuriert zu sein. 

Herrn Dr. O u 1 m a n möchte ich er¬ 
widern, dass ich es doch vorziehe, mit 
kleinen Dosen anzufangen, da man aus 
der Reaktion immerhin entnehmen 
kann, ob man mit grösseren Dosen 
fortfahren soll. Wenn ich nach zwei 
Jahren nach beständiger Beobachtung 
serologisch und klinisch keine Symp¬ 
tome mehr sehe, dann höre ich mit der 
Behandlung auf. Zwei Jahre genügen. 
Nur wo die Wassermann’sche Unter¬ 
suchung dann doch positiv ausfällt, 
wird man mit der Behandlung wieder 
einsetzen müssen. 

Herr Dr. H e i m a n hätte vor eini¬ 
gen Wochen, wo ich einen Vortrag in 
der Bronx County Gesellschaft gehal¬ 
ten, zur Diskussion kommen sollen. 
Er hätte mir einen grossen Dienst er¬ 
wiesen, wenn er in jener Gesellschaft 
mich so glimpflich behandelt hätte wie 
heute Abend. Da waren einige Her¬ 
ren anwesend, die einen ganz entge- 

f engesetzten Standpunkt ein nahmen. 

!iner der Herren behauptete: Einmal 
Syphilis, immer Syphilis. Eine so 
furchtbar traurige Behauptung wurde 
gemacht, dass man Syphilis überhaupt 
nicht mehr kurieren könne, und von 
palliativer Behandlung wäre garnicht 
die Rede. 

Zum Schluss sage ich nochmals den 
Herren, die sich an der Diskussion be¬ 
teiligt haben, meinen besten Dank. 

Präsident Dr. W. Freudenthal: 
Ich teile Ihnen noch mit, dass Dr. 
John G. Gerster einstimmig zum 
Mitglied der Gesellschaft gewählt 
worden ist. 

Hierauf tritt Vertagung ein. 

Schluss der Sitzung um j^ll Uhr. 


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Medizinische Momatsscheift. 


221 


Therapeutische und klinische Notizen. 


— Ueber seine Erfahrungen mit Codeonal 
berichtet Dr. Leva, Assistent der Psychia¬ 
trie- und Nervenkllnik der Universität 
Strassburg: Die Krankheiten der Ver¬ 

suchspersonen waren Psychosen leichteren 
und schwereren Grades, Neurosen und or¬ 
ganische Nervenleiden, bei denen allge¬ 
mein neurasthenische Beschwerden und 
körperliche Schmerzen bestanden. Die üb¬ 
liche Dosis bestand in 2—3—4 Tabletten, 
die nach dem Abendessen dargereicht wur¬ 
den. In einigen Fällen von Hypomanie, 
depressiver Erregung und Dementia prae¬ 
cox, deren Schlaflosigkeit durch Hyoszin 
zu beseitigen war, wurde die allgemeine 
motorische Unruhe und Erregung auch bei 
Steigerung der Dosis nicht merklich be¬ 
einflusst. Günstiger war die Wirkung bei 
einer Reihe von Kranken, bei welchen nach 
abgeklungener Psychose Zustände leichter 
periodischer Erregung mit Schlaflosigkeit 
auftraten. Bei Patienten, die kurz vorher 
schwere hysterische Erregungszustände 
überwunden hatten, trat nach Einnahme 
von zwei Codeonaltabletten angenehmer 
ruhiger Schlaf ein. Aehnlich war die Wir¬ 
kung bei Kranken, die an organischen Af¬ 
fektionen des Zentralnervensystems mit 
körperlichen Beschwerden litten. 

Bei Kindern, die an schwerer Chorea 
minor mit Psychose erkrankt waren, ge¬ 
nügte nach Geringerwerden der motori¬ 
schen Unruhe eine Tablette Codeonal, um 
einen ruhigen Schlaf zu erzeugen. Bei 
Zuständen, die mit starken Affektions¬ 
schwankungen und innerer Spannung und 
Hemmung einhergingen, schien die narko¬ 
tische Wirkung des Codeonals nicht auszu¬ 
reichen. 

In keinem der beobachteten Fälle war ein 
erhebliches Schwanken des Blutdruckes er¬ 
kennbar. Ebenso traten keine unangeneh¬ 
men Allgemeinerscheinungen auf. 

Die Beobachtungen des Autors lehren, 
dass Codeonal bei Psychosen und Neuro- 
psychosen, die mit allgemein motorischer 
Unruhe und schweren affektiven Erregungs¬ 
zuständen einhergehen als Sedativum wohl 
selten ausreicht. Hingegen eignet sich das 
Präparat sehr gut als Schlafmittel bei Zu¬ 
ständen von leichter allgemeiner nervöser 
Erregbarkeit und Erschöpfung, sowie bei 
organschen Nervenaffektionen, die mit kör¬ 


perlichen Schmerzen verbunden sind. (Med. 
Klinik.) 

— Ueber Kopaivabalsam. Die optische 
Drehung eines aus Manaos in Brasilien 
stammenden Balsams betrug im 100 mm- 
Rohr — 40°, die des abdestillierten Oeles 
— 35° 20' und die des Harzes, das nur zu 
20.4 Prozent in dem Balsam enthalten war, 
55°. 

Im Anschlüsse an diesen Befund wurden 
die betreffenden Werte auch an einer Rei¬ 
he anderer Balsame: Marakaibo, Maturin, 
afrikanischen und Handelsware ermittelt; 
nach folgendem Verfahren wurde das äthe¬ 
rische Oel abgeschieden: 

Ein Quantum von 20 bis 50 g Balsam 
wird mit etwa 100 ccm gesättigter Koch¬ 
salzlösung in einem Kochkolben der Was¬ 
serdampfdestillation unterworfen, bis kei¬ 
ne wesentlichen Mengen Oel mehr über¬ 
gehen, was etwa vier Stunden in Anspruch 
nimmt. Das Destillat wird mit Kochsalz 
versetzt, in einem Scheidetrichter das oben 
schwimmende ätherische. Oel abgetrennt, 
dieses mit etwas getrocknetem Natrium¬ 
sulfat entwässert, filtriert und polarisiert. 
Durch besondere Versuche wurde ermit¬ 
telt, dass verschiedene Fraktionen des 
Oeles denselben Drehungswinkel besasseh. 

Auf die Wichtigkeit der Feststellung des 
optischen Verhaltens des ätherischen Oeles 
der Kopaivabalsame hatte bereits From- 
m e hingewiesen. Dessen Angaben erfuh¬ 
ren noch eine wertvolle Ergänzung durch 
die Ermittlung der Drehung des zurück¬ 
bleibenden Harzes. 

Der Destillationsrückstand wurde noch 
warm in eine Schale herausgespült, die 
Salzlösung mit Wasser weggewaschen, das 
Harz in der Wärme vom Wasser befreit 
und in Chloroform gelöst. Diese Lösung 
wurde, falls nicht klar, mit getrocknetem 
Natriumsulfat geschüttelt und filtriert, dann 
polarisiert und die Drehung auf reines 
Harz in 100 mm-Schicht umgerechnet an¬ 
gegeben. Natürlich können diese Zahlen 
nicht als absolut genau angesehen werden. 
Nebenher wurde der Harzgehalt durch län¬ 
geres Erhitzen von 2 g Balsam im Trocken¬ 
schrank, bis keine erhebliche Abnahme 
mehr erfolgte, ermittelt. Betreffs des afri¬ 
kanischen Balsams ist noch zu bemerken, 


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222 


New YoftKEK Medizinische Monatsschbutt. 


dass er mit Ammoniak sofort gelatiniert, 
ein direkter Zusatz als dadurch erkennbar 
wird. 

Aus den gefundenen Zahlen ist ersicht¬ 
lich, dass echte offizielle Balsame selbst 
stark nach rechts drehen, aber ein ätheri¬ 
sches Oel mit Linksdrehung und ein Harz 
mit starker * Rechtsdrehung liefern; wäh¬ 
rend afrikanischer Balsam wenig, sein Oel 
stark rechts und sein Harz etwa ebenso 
stark links dreht. 

Stellen diese Notizen auch nur erste Ver¬ 
suche dar, so ist doch bei der Wichtigkeit 
des Kopaivabalsams als Arzneimittel jeder 
Beitrag zu seiner Prüfung von Wert und 
bietet auf eden Fall zu weiteren Untersu¬ 
chungen Anregung. (Riedel's Berichte.) 

— Jodival, ein Jodkaliersatzpräparat 
Trotzdem Dr. Franz Dorn in Berlin schon 
verschiedene Jodkaliersatzpräparate ange¬ 
wandt hat, in der Voraussetzung, das zu 
finden, was die Mittel versprachen, musste 
er nach geraumer Zeit manches derselben 
beiseite legen, da die gerühmten Vorzüge 
zum Teil fehlten, und er oft nicht das er¬ 
reichte, was er mit Jodkalium erzielte. Es 
wirft sich ja nun von selbst die Frage auf, 
warum er nicht bei Jodkalium geblieben; 
aber jeder weiss, mit welchen unangeneh¬ 
men Nebenwirkungen wir bei Jodkalium 
häufig rechnen müssen. Er richtete daher 
schon lange sein Augenmerk daiauf, ein 
wirklich brauchbares Jodkaliersatzpräparat 


unter der Zahl der angepriesenen heraus¬ 
zufinden. Vor ca. 1Jahren wurde nun 
ein Jodkaliersatzpräparat vorgelegt, dar¬ 
gestellt von der Firma Knoll & Co., Lud¬ 
wigshafen a. Rh., welches unter dem Na¬ 
men „Jodival“ in den Handel kommt. 

Jodival ist a-Monojodisovalerylharnstoff 
und stellt ein weisses, mikrokristallinisches 
Pulver dar, von schwach bitterem Ge¬ 
schmack, unlöslich in kaltem Wasser, 
Aether und Alkohol. Es enthält 47 Prozent 
Jod, passiert den Magen ungelöst und un- 
zersetzt, löst sich erst im Dünndarm und 
wird als Jodivalnatrium resorbiert. Wenn 
auch nur mit geringen Erwartungen, mach¬ 
te D. auch Versuche mit diesem Präparat 
und fand in demselbeen Vorzüge vereinigt, 
die man an ein brauchbares Jodkaliersatz¬ 
präparat stellt. Es hat keine störenden 
Nebenerscheinungen, ruft insbesondere kei¬ 
ne Magenbeschwerden hervor und zeichnet 
sich durch schnelle Jodwirkung sowie voll¬ 
kommene Resorption aus. Zu erwähnen 
ist auch die gleichzeitig sedative Wirkung 
des Jodivals infolge seiner Zusammensetz¬ 
ung mit Baldrian, die ich besonders schätze. 
Wenn D. auch nicht alles unterschreibt, 
was andere Autoren über das Präparat ge¬ 
sagt haben, so hält er es nach seinen da¬ 
mit gemachten Beobachtungen jedenfalls 
für ein gutes Ersatzpräparat. Seine Erfah¬ 
rungen erstrecken sich hautsächlich auf das 
Gebiet der Arteriosklerose, auch mit lueti¬ 
scher Basis, und auf Störungen der Luftwege. 


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JScw Yorker 

JVIedizimscbe JVlonatsöcbrift 

OffliiillM Organ der 

feaffftet mttttMMta titfenftaftta der Städte new gen 
£Mcago «ad eimiaad. 


Herausgegeben von Dr. ALBERT A. RlPPERGER 


unter Mitwirkung von Dr. A. Herzfeld, Dr. H. G. Klotz und Dr. von Oefele. 


Bd. XXV. 


New York, Ferrl'ar 1915. 


Nr. 9. 


Originalarbeiten. 

Die Körper-Kulturbewegung in Deutschland und die 
Elizabeth Duncan Schule.* 

Von Max Merz, 

Direktor der Elizabeth Duncan Schule. 


Dem Arzte fällt heute neben der Auf¬ 
gabe die Kranken zu behandeln, die hohe 
und ebenso wichtige Aufgabe zu, Krank¬ 
heiten zu verhüten, d. h. Gesunde gesund 
zu erhalten. Für die Volkshygiene — 
ein gut Teil der Volkswohlfahrt— hat 
der Arzt zu sorgen. Ihm obliegt die 
Sammlung und Verarbeitung eines 
wichtigen statistischen Materials aller 
Krankheitserscheinungen und die Er¬ 
forschung ihrer Ursachen; er hat die 
Fragen der Volksernährung, der Woh¬ 
nungsfürsorge zu prüfen, trägt die Ver¬ 
antwortung für sanitäre Verhältnisse in 
Stadt und Land, ihm obliegt auch die 
Jugendfürsorge, insofern sie ärztliche 
Kontrolle (durch die Tausende Uebel 
rechtzeitig aufgedeckt werden), Zahn¬ 
pflege, Schutz gegen geistige oder leib¬ 
liche Ueberanstrengung, Regulierung 
des Verbrauchens jugendlicher Kräfte, 
hygienische Aufklärung, zu der auch 

* Vortrag, gehalten in der Deutschen Medizini¬ 
schen Gesellschaft der Stadt New York am 3. Fe¬ 
bruar 1915. 

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die sexuelle Aufklärung gehört, u.s.w. 
betrifft, kurz und gut, dem Arzte ob¬ 
liegt die hygienische Fürsorge, die man 
am besten mit dem einen Worte „Ras¬ 
senhygiene“ bezeichnen kann, wobei 
selbstverständlich das Hauptgewicht auf 
die Hygiene zu legen ist, da wir von ab¬ 
geschlossenen, reinen Rassen innerhalb 
der Kulturwelt nicht viel mehr sprechen 
können. Die rassenhygienische Forde¬ 
rung aber kann nur dann ganz und voll 
erfüllt werden, wenn die Jugendfürsor¬ 
ge als ihre Grundlage angesehen wird. 

Zu dem Kapitel der Jugendfürsorge 
und Schulhygiene gehört auch die kör¬ 
perliche Erziehung. Ich möchte gleich 
von vornherein erklären, dass wir in 
Deutschland wohl orientiert sind über 
die alles überragenden Leistungen Ame¬ 
rikas auf sportlichem Gebiete, dass aber 
Deutschland auf dem Gebiete der kör¬ 
perlichen Erziehung Fortschritte aufzu¬ 
weisen hat, die sicher für andere Länder 
interessant, wenn nicht vorbildlich sind. 
Die Voraussetzungen für den Auf- 

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224 


New Yo&kee Medizinische Monatsscheut. 


schwung von Sport und Spiel in Ame¬ 
rika und Deutschland sind zu verschie¬ 
dene, als dass die beiden Länder mitein¬ 
ander verglichen werden können. Er¬ 
stens war die Leibesübung der männli¬ 
chen Jugend Deutschlands im wesentli¬ 
chen an die militärische Dienstleistung 
gebunden, war also eine Pflichterfül¬ 
lung, während sie in Amerika von jeher 
mehr freies Spiel war, also aus freiem 
Entschlüsse kam. Zweitens hatte die 
amerikanische Jugend für Sport und 
Spiel mehr freie Energien zur Verfü¬ 
gung als die deutsche, überhaupt die 
europäische Jugend. Die amerikanische 
Jugend hatte sozusagen nicht so viele 
kulturelle Hemmungen zu überwinden, 
da die innere Hingabe an ästhetisch- 
künstlerische Probleme doch bis zu ge¬ 
wissem Grade wegfiel, während sie in 
Deutschland, wie überhaupt in West- 
Europa durch die ganze Atmosphäre be¬ 
dingt, eine bedeutende Rolle spielten. 
Der neuzeitlichen Entwicklung von 
Sport und Spiel geht eine lange Ge¬ 
schichte des deutschen Turnens und der 
deutschen Turnvereine voraus. Vor 
hundert Jahren, zur Zeit der Befreiungs¬ 
kriege ins Leben getreten, mussten sich 
die Turnvereine in der Mitte des vori¬ 
gen Jahrhunderts oft verbotener politi¬ 
scher Umtriebe zeihen und sich manche 
Unterdrückung gefallen lassen. Erst in 
der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhun¬ 
derts wird ihre Bedeutung eine allge¬ 
meine. Auch in Oesterreich treten die 
Turnvereine um die Achtziger Jahre in 
den Vordergrund. Dann aber kam der 
grosse Aufschwung der Naturwissen¬ 
schaften und ihre Popularisierung. Die 
Eolge davon war, das man sich auch in 
Laienkreisen viel mehr mit den Heil¬ 
wissenschaften beschäftigte, und, nach¬ 
dem auch auf den Gebieten der Technik 
und Kunst sich neue Kräfte regten, war 
es nicht zu verwundern, dass plötzlich 
der Befreiung des Körpers mit leiden¬ 
schaftlicher Begeisterung das W ort ge¬ 
sprochen wurde. Xaturheilverfahren, 
Vegetarismus, Kaltwasserbehandlung. 
Licht- und Luftbäder wurden propa¬ 


giert. Es schien als ob über ganz Jung- 
Deutschland und Oesterreich die Sehn¬ 
sucht gekommen wäre, sich mit Wasser¬ 
fluten, -Dämpfen und Sonnenstrahlen 
den Schutt vergangener Zeiten von der 
Seele zu spülen. Bald nachher setzte die 
Sportbewegung ein. Der Rudersport 
hatte bereits eine Tradition, der Rad¬ 
fahrsport trat neu hinzu. Der Deutsche 
und der Oester reicher waren von jeher 
leidenschaftliche Xaturverehrer und 
demgemäss gute Wanderer. Die Hin¬ 
gabe an den Alpen- wie an den Berg¬ 
sport brachte in das Wandern System 
und übte auf Alt und Jung erzieheri¬ 
schen Einfluss aus. 

Es galt W ege zu bahnen in die ent¬ 
legensten Bergtäler, durch Schluchten 
und über Wasserstürze hinweg, hinauf 
zu den Schneefeldern. Gletschern und 
den Häuptern der Bergriesen. Der 
deutsch-österreichische Alpenverein teilt 
sich in verschiedene Sektionen, von de¬ 
nen jede die Kosten der Erhaltung eines 
bestimmten Gebietes, also die Anlagen 
der Wege, Klettersteige, Markierungen, 
Sicherungen, Orientierungstafeln und 
die Erbauung und Erhaltung der zahl¬ 
reichen Schutzhäuser und Schutzhütten 
zu tragen hat. Dem Bergsport obliegt 
Arm und Reich, Hoch und Niedrig, und 
auf seine Ausbreitung ist auch der enor¬ 
me Aufschwung, den der Wintersport 
genommen hat, zurückzuführen. 

Von einer Körperkulturbewegung im 
Sinne der modernen Zeit kann man aber 
erst sprechen, als mit Beginn des Jahr¬ 
hunderts die Rasenspiele ihre Verbrei¬ 
tung fanden. Von da ab ging es mit 
Riesenschritten aufwärts. Es ist nicht 
meine Aufgabe, die Körperkulturbewe¬ 
gung Deutschlands in Detail zu behan¬ 
deln, nur einige Streiflichter möchte ich 
geben. Die Beteiligung deutscher 
Mannschaften an den olympischen Spie¬ 
len, die Reisen junger Sportsleute ins 
Ausland brachten den heimischen Ver¬ 
einigungen viel Neues. Auch hier ha¬ 
ben wir den Satz: „Deutsch sein, heisst 
gründlich sein“ kennen zu lernen. Da 
man zu lernen hatte, lernte man griind- 


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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


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lieh und nützte die Resultate gleich zur 
Schaffung neuer Organisationen. Bei 
dem Umstande, dass ein verhältnis¬ 
mässig kleines Land so zahlreiche be¬ 
deutende Städte aufzuweisen hat, ist bei 
der Kürze der Verbindung der Verkehr 
unter diesen ein ungemein lebhafter 
und deshalb auch für jede einheitliche 
Organisation günstig. So haben wir in 
den letzten zehn Jahren in Deutschland 
auf sportlichen Gebieten einen Auf¬ 
schwung genommen, der mit Berück¬ 
sichtigung der Kürze der Zeit ganz ver¬ 
einzelt darstehen dürfte, und der sicher 
gelegentlich der „Internationalen Olym¬ 
piade Berlin 1916/* die ja nun leider 
kaum stattfinden dürfte, grosse Ueber- 
raschungen gebracht hätte. Carl D i e m, 
der verdienstvolle Sekretär des deut¬ 
schen Reichsausschusses für die olym¬ 
pischen Festspiele, oder Dr. M a 1 w i t z, 
der Arzt des deutschen Stadions in Ber¬ 
lin und der begeisterte Organisator auf 
sportlichem Gebiet, würden Ihnen bes¬ 
ser als ich an trockenen Zahlen den 
sportlichen Aufschwung Deutschlands 
sowohl nach Richtung der Organisa¬ 
tionen wie nach den Leistungen darle¬ 
gen können. Ich möchte nur noch dar¬ 
auf hinweisen, dass wir in Deutschland 
bereits von einer wissenschaftlichen 
Kontrolle der Leibesübung sprechen 
können. Eine Reihe von Physiologen, 
allen voran Geheimrat Prof. Z u n t z, 
Berlin, versuchen die Grenzen, inner¬ 
halb deren die Leibesübung als gesund¬ 
heitsfördernd bezeichnet werden kann, 
festzustellen und die Leistungsfähigkeit 
von Herz, Lunge und Niere als der beim 
Sport am meisten angestrengten Organe 
zu prüfen. Selbstverständlich hängt die¬ 
se von der individuellen Disposition ab, 
immerhin verfügt die Wissenschaft be¬ 
reits über ein statistisches Material, aus 
dem noch reiche Erfahrungen gezogen 
werden können. Die bestehenden Sport¬ 
laboratorien verfügen über die feinsten 
Messinstrumente, wie über die fach¬ 
wissenschaftlich ausgebildeten Leute. 
Die Vorträge des Geheimrats Z u n t z 
über die Grenzen der körperlichen Lei¬ 


stungen im physiologischen Sinne 
zählen zu den interessantesten, die ich 
gehört habe. Eine interessante und 
bedeutende Tatsache ist, dass die Mili¬ 
tärbehörden zu den besteh Förderern 
des Sportes, insbesondere der Rasen¬ 
spiele und des Fünfkampfes geworden 
sind. Nicht nur die Mannschaften, son¬ 
dern auch die Offiziere stellen ein 
grosses Kontigent der Sportausübenden 
und man findet auf den Sportplätzen der 
vielen Garnisonstä^te ebenso Mann¬ 
schaftsriegen wie Offiziersriegen in 
fröhlicher Tätigkeit. Es dürfte eine Ih¬ 
nen bekannte Tatsache sein, dass zwei 
kaiserliche Prinzen als Mitglieder des 
B. S. C. zu den besten Läufern und 
Springern zählen. 

Es liegt nun in der Natur der Sache, 
dass, wenn wir uns mit der Körperkul¬ 
tur der Frau beschäftigen, wir auf ästhe¬ 
tische Momente stossen, was nicht sagen 
soll, dass beim männlichen Sportbetrieb 
die ästhetische Forderung wegfällt. 

Ja diese deckt sich sogar mit der physio¬ 
logischen Gesetzmässigkeit, da erwiesen 
ist, dass ein überforcierter Körper we¬ 
der den physiologischen noch den ästhe¬ 
tischen Gesetzen entspricht. Der Frage 
der körperlichen Erziehung des weibli¬ 
chen Geschlechtes wurde erst im letzten 
Jahrzehnt jene Aufmerksamkeit ge¬ 
schenkt, die ihr zukommt. Man hat in 
früheren Jahren im Turnunterricht: we¬ 
nig Unterschied gemacht zwischen bei¬ 
den Geschlechtern. Höchstens wurden 
den Mädchen noch ein sozusagen homö¬ 
opathischer Tanzunterricht verabreicht. 
Dieser sollte zu einer Art gespreizter 
Grazie führen, die von Anmut und Na¬ 
türlichkeit so weit entfernt war wie das 
Korsett vom antiken Busenband. Der 
neue Kurs, den das junge Deutschland 
in den Neunziger Jahren einschlug, 
brachte auch der Frau die Befreiung. 

Es erschlossen sich ihr die Universitä¬ 
ten, das Frauenstudium nahm raschen 
Aufschwung, die Beteiligung an einzel¬ 
nen Sporten wurde gegen den Wider¬ 
spruch einer philiströsen Welt durchge¬ 
setzt, endlich begann auch die Reform 

Original from 

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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


der Frauenkleidung und hatte die Be¬ 
freiung eines, leider nur kleinen Teiles 
der Frauen von der Knechtung durch 
Korsette und Hackenschuhe zur Folge. 

In dieser Zeit fiel nun das erste Auf¬ 
treten Isadora D u n c a ns wodurch die 
ästhetische Forderung mit einem Schla¬ 
ge in den Vordergrund trat, da man, 
abgesehen von der völlig neuen Bewe¬ 
gungstechnik, plötzlich die Wirkung 
und Leistung eines von allen Schikanen 
unzweckmässiger Kleidung und von wi¬ 
dernatürlichem Zwange befreiten Kör¬ 
pers vor Augen hatte. Man anerkannte 
in Deutschland zu einer Zeit die Bedeu¬ 
tung ihrer Kunst, als man in anderen 
Ländern sich noch die Nachtmütze der 
Prüderie oder Ignoranz über die Ohren 
zog. Der Geist des jungen Deutschlands, 
sein beispielloser Idealismus und Glaube 
an neue Ziele der Menschen schufen 
eben die geistige Atmosphäre, in der die 
Ideen einer neuen Bewegungskunst sich 
verbreiten konnten. 

Man hatte in dieser Zeit, wenn ich 
mich paradox ausdriicke, sozusagen den 
Körper neu entdeckt. Auch in der bil¬ 
denden Kunst! Man überrannte die 
Kunstanschauungen einer verblassten 
Klassizistik, man ging überall auf den 
Grund. Der Naturalismus hatte seine 
segensreiche Wirkung. Man liess sich 
durch den Formenkram einer stagnie¬ 
renden Zeit nicht mehr düpieren. Man 
riss Götter von ihren Altären, brach alte 
Tafeln entzwei und ging mit aller Lei¬ 
denschaft daran, eine neuere Welt zu 
schaffen. Und man schuf sie auch. 
Merkwürdigerweise hat uns gerade die¬ 
se leidenschaftliche Suche nach neuen 
Werten unter anderem auch die Antike 
wieder nahe gebracht. W ir sahen sie 
nicht mehr durch die historische Brille, 
sondern direkt, mit klarem, für ihre leh- 
rensvolle Schönheit empfänglichem Au¬ 
ge. Die neue Formensprache der „Mo¬ 
derne“ und das neue und tiefere Erleben 
der antiken Welt blieben selbstverständ¬ 
lich nicht ohne Einfluss auf die Vorstel¬ 
lungen, die man über die körperliche 
Bildung hatte, umsomehr, als das Den¬ 


ken und Fühlen der Zeit in gleicher 
W r eise von naturwissenschaftlichen An¬ 
schauungen, wie von einer tiefen Liebe 
zur Natur bestimmt war. Aber auch von 
anderer Seite wurde dieses Ideal ver¬ 
kündet. Ich kann über das jahrzehnte¬ 
lange Ringen, das in Deutschland um 
ein ästhetisches Problem geführt wor¬ 
den ist, nicht ohne weiteres hinweg¬ 
springen. Das Thema liegt dem Arzt 
fern, aber ich möchte darauf hinweisen, 
dass auch eine Reihe von physiologi¬ 
schen Studien in dem künstlerischen 
Schaffen Richard Wagne r’s, auf das 
ich hinweisen möchte, ihre Wurzel ha¬ 
ben. „Der wirkliche leibliche Mensch 
als künstlerisches Material“ lautet eines 
der Hauptstücke im Credo Richard 
W a g n e r’s. So sehen wir auch von 
dieser Seite die Forderung nach einer 
veredelten Körperlichkeit dem Bewusst¬ 
sein der Menschen nahe gebracht. An 
den hoheitsvollen Gesang, auf den 
rhythmisch bewegten Körper in den 
Schriften Friedrich N i e t z s c h c's. 
diesem tiefen Kenner antiken Geistes, 
mochte ich nur nebenbei erinnern. 

Unter diesen V oraussetzungen muss¬ 
te die Gründung einer eigenen Schule 
durch Isadora und Elizabeth Dun- 
can in Berlin gewisse fortschrittlich 
gesinnte Kreise nicht nur interessieren, 
sondern mit grossen, über die persönli¬ 
chen Leistungen Isadora Duncan’s hin¬ 
ausgehenden Hoffnungen erfüllen, da 
das Verlangen, die körperliche Aus¬ 
druckskultur in neue Bahnen zu lenken, 
ein Ergebnis der Zeitstimmung war. 

Elizabeth Duncan, die ältere 
Schwester, die als Bewegungslehrerin in 
Amerika bereits reiche Erfahrungen ge¬ 
sammelt hatte, hatte nicht nur das In¬ 
stitut zu leiten, sondern den eigentlichen 
körperlichen Unterricht zu erteilen. 
Elizabeth Duncan ist Erzieherin 
von Natur aus. Einfachheit in Denken 
und Handeln sind die Grundzüge ihres 
Wesens. Raffinement ist ihr fremd. Ihr 
starker Einfluss auf die Kinderseele ent¬ 
springt ihrer inneren Balance und ihrer 
pädagogischen Intuition. Sie fühlt in- 

Original fro-rri 

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New Yqrxee Medizinische Monatsscheift. 


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stinktiv den jeweiligen Kräftezustand 
des kindlichen Organismus. Das setzt 
sie in die Lage, das Kind zu einer Oeko- 
nomie in der Verwendung seiner Ener¬ 
gien anzuleiten. Ich möchte dies als 
Kunst des seelischen Haushalts bezeich¬ 
nen, der uns allen so dringend nottut. 
Wer viel mit Kinder zusammen ist, wird 
beobachten können, dass das Kind von 
hunderterlei Launen gequält wird, die 
vielfach in der Phantasie ihren Ursprung 
haben. Das Kind ist so recht das Eben¬ 
bild Gottes, d. h. es will fortwährend 
aus dem Nichts etwas Neues schaffen. 
Kommen dann organische Störungen 
vor, die das freudige Spiel der Phanta¬ 
sie unterbinden, dann wird das Kind zu 
seiner eigenen Qual der Tyrann seiner 
Umgebung. Nur wenige Eltern wissen 
sich zu helfen, d. h. wissen die Kräfte 
des Kindes in geregelte Bahnen zu lei¬ 
ten, und man sieht verzweifelte, zwi¬ 
schen Trost und Strafe schwankende 
Mütter, wütende Väter und unglückli¬ 
che, weil unverstandene Kinder. Und 
doch wäre so leicht zu helfen, wenn man 
das Kind schon früh zu einer geregelten 
Tätigkeit anleitet und es dazu auf sich 
selbst stellt. Das tut Elizabeth Duncan 
und sie fängt beim Körper an. Aber sie 
nimmt durch die Art ihrer körperlichen 
Erziehung tiefsten Einfluss auf das 
Seelenleben des Kindes. Sie bringt das 
Kind zu innerer Ordnung, zur Harmo¬ 
nie. Ihre Arbeit beruht auf einer eben¬ 
so einfachen wie schweren Erkenntnis, 
die uns allen mehr oder weniger im Be¬ 
wusstsein lebt und die am besten mit den 
Worten Goethes umschrieben werden 
kann: „Man kann ebenso, wie man von 
seinen Organen Lehren empfängt, auch 
seinen Organen Lehren geben/* Wer 
sollte diese Worte besser verstehen als 
der Arzt und der Lehrer? Dabei be¬ 
schränkt sich der Unterricht Elizabeth 
Duncan’s nur auf die drei Grundbewe¬ 
gungsarten : Gehen, Laufen und Sprin¬ 
gen. Wenige nur wissen, wie schwer 
es ist, richtig zu gehen oder richtig zu 
laufen und dass Jahre hingehen können, 
bis ein Kind soweit fortgeschritten ist, 


dass sein Gehen den Eindruck eines har¬ 
monischen Sichfortbewegens macht. 
Dazu genügt nicht eine poetische Vor¬ 
stellung oder ein Gefühlsüberschwang; 
dazu genügt auch nicht rohe Kraft, son¬ 
dern dazu gehört eine organische Si¬ 
cherheit, die auf einer erst bewussten 
und schliesslich gefühlsmässigen Kon¬ 
trolle der leiblichen Funktionen beruht. 

Es handelt sich genau so um „die Me¬ 
chanisierung bewusster Willensaktio- 
nen*‘ wie beim Erlernen irgend einer 
technischen Fertigkeit, die. schliesslich 
dem Lernenden in Fleisch und Blut 
übergeht. Zu dieser Arbeit ist eine Dis¬ 
ziplin notwendig, über die kein Kind 
vom Hause aus verfügt, sondern die ihm 
anerzogen werden muss. Deshalb hat 
auch jedes Kind in der Elizabeth Dun¬ 
can Schule eine stramme militärische 
Gymnastik, nach schwedischem System, 
durchzumachen, mit der eine heilgym¬ 
nastische Behandlung vorhandener oder 
erworbener körperlicher Fehler verbun¬ 
den ist. Dass die leichten körperlichen 
Fehler, die der grössere Prozentsatz der 
Kinder aufweist, von den Eltern nicht 
beachtet werden, nimmt nicht Wunder, 
dass sie die Fehler, die im Verhältnis 
zum normalen Körper als schwer zu be¬ 
zeichnen sind, nicht genug beachten, ist 
eine Tatsache, über die man nicht hin¬ 
weggehen soll, ohne davor zu warnen. 
Denn die Nichtbeachtung solcher kör¬ 
perlichen Fehler hat oft weitere körper¬ 
liche und seelische Schäden zur Folge. 
Wie oft kommen in unsere Schule Müt¬ 
ter, die das Talent und die Grazie ihres 
Kindes anpreisen und dann in ihrer 
mütterlichen Eitelkeit ungemein ge¬ 
kränkt sind, wenn man ihnen nachweist, 
dass das, was sie Grazie und Talent nen¬ 
nen, Blutarmut und Affektion, Hysterie 
und Forcierung sind. Dass man noch 
über körperliche Fehler spricht, können 
sie garnicht begreifen, denn sie haben 
nie versucht, einmal von dem blossen 
Gesichtsausdruck abzusehen und sozu¬ 
sagen das Mienenspiel des ganzen Kör¬ 
pers zu betrachten. Sie haben nie dar¬ 
an gedacht, dass auch in der Beinstel- 

Qrigiraal ftom 

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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


lung und in der Gliederbewegung ein 
seelischer Ausdruck zu erkennen ist. 
Das Schädigende der konventionellen 
Kinderkleidung liegt unter allen Um¬ 
ständen in der Betonung des Puppen¬ 
haften, in der Unterstreichung des Ne¬ 
bensächlichen, wodurch die Aufmerk¬ 
samkeit vom Körper abgezogen wird. 
Wie in so vielen anderen Dingen, kön¬ 
nen wir auch hier sehen, dass die Men¬ 
schen der Konvention bedürfen, um sich 
über Wahrheiten und tatsächliche Ver¬ 
hältnisse im Leben hinwegzutäuschen. 
Dieser Art Konvention weiss Elizabeth 
D unca n in ihrer Erziehung aus dem 
Wege zu gehen, indem sie ihre Schüle¬ 
rinnen auf das Rein-Menschliche hin¬ 
leitet und dieses durch die eigene Ein¬ 
fachheit ihres Wesens von jeder Nei¬ 
gung zu Aeusserlichkeiten zu bewahren 
weiss. Bei ihr ist die körperliche Er¬ 
ziehung die Grundlage für ein erhöhtes 
ethisches Bewustsein. 

Es kann nicht als ein blosser Zufall 
bezeichnet werden, dass diese Schule in 
Deutschland gegründet wurde. Eliza¬ 
beth D li n c a n fand dort jene Atmos¬ 
phäre, die für eine gründliche Arbeit 
Voraussetzung war. Gewiss war das Un¬ 
ternehmen zu neu, als dass es ohne 
Kämpfe abgegangen wäre. Aber die 
Leiterin dieser jungen Schule schuf sich 
durch ihre stille, unaufdringliche Art, 
wie durch ihr konsequentes Festhalten 
an der einmal gestellten Aufgabe, rasch 
viele Freunde. Der Komponist Profes¬ 
sor H u m p e r d i n c k, Professor 
Schott, Geheimrat Professor D r. 
H o f f a, die Schriftsteller S c h e r i n g 
und Federn, ferner eine Reihe Per¬ 
sönlichkeiten aus den ersten Kreisen 
Berlins halfen dem jungen Lmternehmen 
vorwärts. 

Nach verhältnismässig kurzer Zeit 
schon, konnte Elizabeth Duncan 
auf die Erfolge ihrer Lehrmethode hin- 
weisen und dieselbe einer kleinen 
Gruppe von Schülerinnen, die in dem 
Institut anfangs auf Kosten Isadora 
D unca n’s, später auf Kosten der 
deutschen Freunde lebten, dargelegt 


werden. Das Interesse an den Zielen 
der Schule nahm zu und man musste 
darauf bedacht sein, ihrer Verallgemei¬ 
nerung die Wege zu bahnen. 

Im Jahre 1908 stellte der Grossherzog 
von Hessen, auf meine Bitte hin, aus 
seinem Privatsitz am Odenwald bei 
Darmstadt, Elizabeth Duncan ein 
grosses Gelände zur Verfügung. Ein 
Komitee hervorragender Personen erbau¬ 
te mit einem Kostenaufwand von Mk. 
300,000 der Schule daselbst ein wunder¬ 
bares, den modernsten Anforderungen 
entsprechendes Heim. Daselbe wurde 
1911 unter Anwesenheit des Grossher¬ 
zogs und der Grossherzogin von Hessen 
zur feierlichen Einweihung gebracht. 
Im Sommer des gleichen Jahres weilte 
die Schule sechs Monate an der Inter¬ 
nationaler Hygiene-Ausstellung in Dres¬ 
den und wurde daselbst für ihre Tätig¬ 
keit mit dem grossen goldenen Preise 
ausgezeichnet. 

Für den guten Gesundheitszustand der 
Kinder in der Elizabeth Duncan Schule 
spricht der Umstand, dass während ihres 
10jährigen Bestandes ein einziger Fall 
einer Lungenentzündung, die Folge einer 
Erkältung in den bayerischen Bergen, 
einige leichte Windpockenfälle und eini¬ 
ge Halsentzündungen vorgekommen 
sind. Die Zöglinge werden hinsicht¬ 
lich der Atmung, der Grösse, des Ge¬ 
wichts allmonatlich gemessen. Darüber 
wird Statistik geführt. Die Ernährung 
ist eine einfache und zweckentsprechen¬ 
de. Die Tageseinteilung wird mit mili¬ 
tärischer Pünktlichkeit eingehalten. Vor 
dem Frühstück haben die Kinder X 
Stunde gymnastische Hebungen zu ma¬ 
chen. Das Frühstück ist um 8 Uhr, der 
wissenschaftliche Unterricht, in Kurz¬ 
stunden erteilt, währt ab *49 Uhr vor¬ 
mittags bis 12 Uhr. Der Nachmittag und 
Abend sind der körperlichen und musika¬ 
lischen Erziehung, der häuslichen Tätig¬ 
keit, der Erholung und dem Spiel ge¬ 
widmet. 

Das Darmstädter Institut hatte die Auf¬ 
gabe, neben der Erziehung von Kindern, 
Lehrerinnen für die Bewegungslehre 

. 

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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


229 


Elizabeth Duncan’s heranzubilden.. Die 
Schule unterstand der Aufsicht des Mi¬ 
nisteriums. Der wissenschaftliche Un¬ 
terricht wurde von staatlich geprüften 
Lehrkräften unter Aufsicht eines akade¬ 
mischen Oberlehrers erteilt. Mit Er¬ 
laubnis der Schulbehörden hielt die 
Schule im Laufe der 10 Jahre ihres Be¬ 
standes in allen grossen Städten 
Deutschlands, Hollands, Belgiums und 
der Schweiz ca. 600 öffentliche Vorträge 
über ihre Ziele und die Lehrmethode, 
und leistete so eine umfangreiche Auf¬ 
klärungsarbeit. Im Vorjahre wurde ein 
Plan in Angriff genommen, demzufolge 
30 siebzehnjährige Mädchen, die aus 15 
verschiedenen deutschen Städten zur 
Ausbildung in das Darmstädter Institut 
entsandt werden sollten, damit sie gele¬ 
gentlich der ,,Internationalen Olympiade 
Berlin 1916“ die Methode der Schule 
vertreten. Sie sollten nach bestandenem 
Examen in ihre Heimatstädte als Lehre¬ 
rinnen zurückkehren. Der Krieg ver¬ 
hinderte die Ausführung dieses Planes. 
Damit die Schule ihre Arbeit nicht un¬ 
terbrechen musste, übersiedelte sie, als 
Deutschland in Kriegsgefahr war, auf 
Beschluss des Komitees, nach New 
York, um hier eine Zweigschule einzu¬ 
richten. Dieselbe befindet sich in 
Kitchawan Hills, nahe Croton-on-Hud¬ 
son, auf dem wunderbaren Terrain des 
Schriftstellers Ralf W a 1 d o Trine. 

Diese amerikanische Zweigschule 
wird mit dem Darmstädter Mutterinsti¬ 
tut auf eine Basis gestellt. Die Unter¬ 
richtspläne entsprechen selbstverständ¬ 
lich den schulgesetzlichen Bestimmun¬ 
gen des Staates New York, nur werden 
die körperliche und die geistige Ausbil¬ 
dung auf eine Stufe gestellt. Im wis¬ 
senschaftlichen Unterricht wird an der 
deutschen Arbeitsmethode festgehalten. 
Das oberste Gesetz ist „Gründlichkeit.“ 
Das Kind soll nicht an allem Möglichen 
nippen, sondern den vorgeschriebenen 
Lehrstoff wirklich verarbeiten und so zu 
einer Selbstständigkeit in der Arbeit 
fortschreiten. Sowie im Darmstädter 
Institut die Kinder die englische Spra¬ 


che als Umgangssprache zu erlernen 
haben, so haben sie in der amerikani¬ 
schen Schule die deutsche Sprache zu 
erlernen. Es soll dadurch die Möglich¬ 
keit eines Austausches der älteren Schü¬ 
lerinnen zwischen dem Darmstädter und 
New Yorker Institut gegeben werden. 
An diese Jugendschule schliesst sich ein 
Seminar mit sechs Semestern zur Aus¬ 
bildung von Bewegungslehrerinnen. In 
dasselbe werden nur junge Mädchen 
bis zum 17. Jahre mit entsprechender 
Vorbildung aufgenommen. 

Vieles bliebe zu sagen übrig; über die 
musikalische Ausbildung, über die Be¬ 
ziehungen und Unterschiede zwischen 
musikalischer und körperlicher Rhyth¬ 
mik. Gerade auf diesem letzteren Ge¬ 
biete werden so häufig Irrtümer began¬ 
gen, doch würde dies zu weit führen. 
Ich hoffe, mich in einem eigenen \ or¬ 
trag über dieses Thema verbreiten zu 
dürfen. 

Wenn ich Sie nun bitte, die an mei¬ 
nem Vortrag sich anschliessenden prakti¬ 
schen Demonstrationen der Musterschü¬ 
lerinnen unserer Schule, die wir aus 
Deutschland mitgebracht haben, nicht 
als künstlerische Leistungen zu betrach¬ 
ten, sondern als Uebungsstudien, so ge¬ 
schieht es deshalb, weil unsere Schule 
vor allem als Schule für das Leben be¬ 
trachtet werden will. Finden Sie aber 
in den Leistungen kiintslerische Momen¬ 
te, so erinnern Sie sich bitte daran, dass 
Kunst höchster und vollendetster Aus¬ 
druck der Natur sein soll. Es ist absurd, 
von Kindern künstlerische Leistungen 
zu verlangen, deshalb richte man sein 
Augenmerk auf die Natur in ihnen. 
Beachtet man beim Kind das, was man 
,,künstlerisch“ nennt, dann läuft man 
Gefahr, unnatürlich zu werden; beach¬ 
tet man das Natürliche, dann hält man 
sich und dem Kinde den Weg zur Kunst 
offen. 

Ich komme zum Schluss mit einer 
Bitte zu ihnen, indem ich ihnen diese 
Schule ans Herz legen möchte. Helfen 
sie ihr hier vorwärts zu kommen. Da 
das Heim in Darmstadt jetzt der Pflege 

Original fro-m 

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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


von Verwundeten dient, ist die Schule, 
um ihre Arbeit nicht zu unterbrechen, 
nach New York zur Errichtung der 
schon früher geplanten Zweigschule 
übergesiedelt. Ich möchte Sie einladen, 
uns auf unserem Hügel in Croton am 
Hudson, wo wir unsere Wohnstätte ein¬ 
gerichtet haben, zu besuchen. Sie sind 
uns besonders am Sonntag, aber auch 
sonst herzlich willkommen. Sollten Sie 
ein Interesse daran haben, dass die 
Schule erhalten bleibt, dann unterstützen 
Sie uns bitte in unseren Bestrebungen. 
Ich befinde mich heute in einer deut¬ 
schen Gesellschaft und möchte deshalb 
noch folgendes hinzufügen: Im Vor¬ 
jahre überzeugte sich der deutsche 
Kronprinz, der Protektor des deutschen 
Reichsausschusses für die olympischen 


Spiele in Berlin 1916, in einer für ihn 
veranstalteten Vorführung von den Lei¬ 
stungen unserer Schülerinnen. Er 
sandte daraufhin an den Grossherzog 
von Hessen ein begeistertes Telegramm. 
Ich glaube keine Indiskretion zu bege¬ 
hen, wenn ich den Wortlaut der Ant¬ 
wort des Grossherzogs mitteile, denn er 
ist ein Zeugnis dafür, mit welcher Liebe 
dieser Fürst für kulturelle Unterneh¬ 
mungen eintritt. Das Telegramm lautet: 

„Herzlichen Dank für Dein Tele¬ 
gramm. Ich halte viel von der Zukunft 
der Schule und kämpfe für sie. Bitte 
hilf mir diese schöne Sache gegen Miss¬ 
verständnisse zu schützen und sie für 
unser deutsches Vaterland zu erhalten.*' 

So bitte ich sie nochmals: Helfen Sie 
uns, unsere Mission zu erfüllen. 


Typhusschutzimpfungen im Kriege. * 

Von Sanitätsrat Dr. Otto Deicke. 


Jn der letzten Zeit sind auf Anord¬ 
nung unserer Heeresverwaltung an den 
im Felde stehenden Truppen und an den 
in ununterbrochenen Schüben aus der 
Heimat nachrückenden Truppenteilen 
Schutzimpfungen gegen den Unterleibs¬ 
typhus vorgenommen worden; auch die 
an den Lazaretten tätigen Aerzte, 
Schwestern und Krankenwärter haben 
sich dieser Impfung unterziehen müssen. 
Diese Schutzimpfungen haben, da es 
sich um etwas neues handelt, und da 
auch durch die in den Lazaretten tätigen 
einheimischen Helfer und Helferinnen 
vielfache Beziehungen zur Bevölkerung 
bestehen, die allgemeine Aufmerksam¬ 
keit erregt. So erscheint es wohl ange¬ 
zeigt, im Verein für Gesundheitspflege, 
dessen Aufgabe es ist, über gesundheit¬ 
liche Fragen Aufklärung zu verbreiten, 
die Frage der Schutzimpfungen, insbe- 

* Vortrag, gehalten in der allgemeinen Mit¬ 
gliederversammlung des Vereins für Gesund¬ 
heitspflege am 4. Dezember 1914. Monatsbl. 
f Gesundheitsptl., Kraunschweig. 


sondere der Schutzimpfungen gegen Ty¬ 
phus, einmal zu einer kurzen Besprech¬ 
ung zu bringen. Wenn ich mich der 
Aufgabe unterziehe, hierzu den einlei¬ 
tenden Vortrag zu halten, so liegt es 
nahe, von der Schutzimpfung auszu¬ 
gehen, die Ihnen allen bekannt ist, von 
der Impfung gegen die Blattern, welche 
durch Reichsgesetz vom 8. April 1874 
für alle neugeborenen Kinder, sowie als 
Wiederimpfung im 12. Lebensjahre, für 
das Heer ausserdem noch bei sämtli¬ 
chen neueingestellten Rekruten, gesetz- 
mässig vorgeschrieben ist. Wenngleich 
die Schutzimpfung gegen die Pocken 
nicht auf einer so sicheren wissenschaft¬ 
lichen Grundlage steht, wie die Schutz¬ 
impfungen gegen Typhus, Cholera, 
Ruhr, Starrkrampf und Diphtherie, so 
sind die Verhältnisse doch ähnliche und 
insofern einer Besprechung an erster 
Stelle günstig, als die Pockenimpfung 
Ihnen allen bekannt und vertraut ist. 
Sie wissen alle, dass wir es der Pocken¬ 
impfung verdanken, wenn die Pocken 

Original ffom 

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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


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bei uns in Deutschland ihr Heimatrecht 
verloren haben, und wenn diese Krank¬ 
heit selbst uns Aerzten nur ausnahms¬ 
weise, und dann meist an Ausländern, 
zu Gesicht kommt, während in Ländern, 
welche die gesetzmässige Pockenim¬ 
pfung nicht haben, wie z. B. Russland, 
die Blattern immer noch eine Volks¬ 
seuche ersten Ranges sind. Durch das 
Verschwinden der Pocken in falsche Si¬ 
cherheit gewiegt, hat man in neuerer 
Zeit mehrfach in Ländern, wo die 
Pockenimpfung früher gesetzmässig 
festgelegt war, dem Ansturm der über¬ 
all vorhandenen, hauptsächlich Laien- 
Gegnem der Pockenimpfung nachgege¬ 
ben und die Impfung in das Belieben 
eines jeden einzelnen gestellt, auch un¬ 
ser Reichstag hat in seiner letzten Sitz¬ 
ungsperiode eine den Impfgegnern et¬ 
was mehr entgegenkommende Haltung 
angenommen; dieses ist ausserordent¬ 
lich bedauerlich. Denn es liegt die Ge¬ 
fahr vor, dass mit der Aufhebung des 
Impfzwanges, wenn erst einmal der, un¬ 
serer jetzigen Generation durch die bis¬ 
herigen Impfungen innewohnende Blat¬ 
ternschutz nachgelassen haben wird, in¬ 
folge der naturgemäss sehr bald ein¬ 
setzende V erminderung der Schutz¬ 
impfungen, über kurz oder lang die 
Blatternseuche in ihrer ganzen früheren 
Entsetzlichkeit wiederkehren wird. Es 
ist hier nicht der Ort, auf das Für und 
Wider der Pockenimpfung des weiteren 
einzugehen, ich will nur darauf hinwei- 
sen, dass die Menschheit es mit Jubel 
begrüsste, als vor mehr als 100 Jahren 
Jenner seine Erfolge bekannt gab, die 
er durch Impfung des Kuhpockengiftes 
bei der echten Blatternerkrankung er¬ 
zielt hatte, dass man diesem* einfachen 
Wundarzte als einem Wohltäter der 
Menschheit ein Standbild in Kensington 
Garden in London errichtete, und dass 
auch heute noch bei allen wissenschaft¬ 
lich urteilsfähigen Aertzen bis auf we¬ 
nige Ausnahmen die Wirksamkeit und 
die verhältnismässige Unschädlichkeit 
der Kuhpockenimpfung feststeht. Es 
handelte sich bei der Jenne r'schen 


Entdeckung um die gefundene Tatsache, 
dass das Ueberstehen der völlig harm¬ 
losen Kuhpockenkrankheit einen beinahe 
sicheren Schutz gewährte vor der Er¬ 
krankung an den entstellenden und le¬ 
bensgefährlichen Blattern. Beide Krank¬ 
heiten, Kuhpocken und Pocken, sind an¬ 
scheinend zwei grundverschiedene 
Krankheiten, ihre Erreger sind bis jetzt 
nicht bekannt, und ein wissenschaft¬ 
licher Zusammenhang hat bisher nicht 
geliefert werden können. Und doch 
much ein solcher bakteriologischer Zu¬ 
sammenhang zwischen beiden Krank¬ 
heiten bestehen, sonst könnte das Ueber¬ 
stehen der einen Krankheit nicht Schutz 
gewähren vor der Erwerbung der ande¬ 
ren. Diese Schlussfolgerung ist mit vol¬ 
ler Sicherheit aufzustellen auf Grund 
der Forschungsergebnisse, welche zu ei¬ 
ner Schutzimpfung gegen die Diphthe¬ 
rie, den Typhus, die Cholera, den Starr¬ 
krampf und die bazilläre Ruhr führten. 
Denn waren die Umstände, welche J e n- 
n e r zu der Entdeckung der Blattern¬ 
schutzimpfung führten, rein empirischer 
Natur, indem er aus der Immunität der 
Melker gegen die Blatternerkrankung 
seine wichtigen und segensreichen 
Schlussfolgerungen zog, so stehen die 
übrigen Schutzimpfungen auf streng 
wissenschaftlichem Boden und bilden die 
Ergebnisse der Forschungen unserer 
besten Gelehrten, eines Koch, Pa¬ 
steur, Pfeiffer, Löffler, Beh¬ 
ring, C h a n t e m e s s e, W i d a 1 und 
vieler anderer. Es ist keine Frage, dass 
Kuhpocken und echte Pocken der Infek¬ 
tion durch kleinste Lebewesen ihre Ent¬ 
stehung bei Tier und Mensch verdan¬ 
ken. Denn die wissenschaftlichen For¬ 
schungen ergaben, dass Schutzimpfun¬ 
gen nur gegen solche Krankheiten mög¬ 
lich sind, welche zu den ansteckenden, 
übertragbaren Krankheiten gehören und 
durch solche kleinste Lebewesen hervor¬ 
gerufen werden, welche für den tieri¬ 
schen bezw. menschlichen Körper eine 
giftige, eine toxische Wirkung haben 
Die giftigen Erreger der Diphtherie, 
des Typhus, der Cholera, des Starr- 

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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


krampfes, der Ruhr sind bekannt, und 
durch das eingehende Studium ihrer Le¬ 
hensbedingungen und ihrer Lebens¬ 
äusserungen wurden die Grundlagen 
festgestellt für ihre Beziehungen zum 
tierischen und menschlichen Körper, vor 
allem für die Veränderungen, welche 
der tierische Körper durch das Eindrin¬ 
gen dieser Bakterien und durch ihre 
Giftwirkung in seinen Säften erfährt. 
Denn man muss bei der Ansteckung ei¬ 
nes Körpers durch irgendwelche giftige 
Bakterienart zwei Wirkungsweisen die¬ 
ser Bakterien auseinanderhalten. Er¬ 
stens, die an der Eingangspforte auf 
günstigem Nährboden stattfindende 
Vermehrung der Bakterien und die von 
hier aus erfolgende Ueberschwemmung 
des Körpers mit den infizierenden Bak¬ 
terien selbst, und zweitens, die Vergif¬ 
tung des Körpers durch die giftigen 
Stoffwechselprodukte der an der Ein¬ 
gangspforte haftenden oder im Blute 
kreisenden Bakterien. Es handelt sich 
also bei den ansteckenden Krankheiten 
immer erst um eine Infektion, um das 
Festsetzen einer Bakterienart an einer 
ihr zusagenden Stelle, in zweiter Linie 
um eine Intoxikation, um eine Vergif¬ 
tung des Körpers durch 'Stoffwechsel¬ 
produkte der Bakterien. Der infizierte 
Körper wehrt sich gegen beides gewis- 
sermassen mit gleichen Waffen. Er 
schickt, wie Metschnikoff nachge¬ 
wiesen hat, weisse Blutkörperchen ins 
Feld, welche die Eigenschaft haben, die 
Bakterien in sich aufzunehmen und un¬ 
schädlich zu machen, und er bildet ge¬ 
genüber den giftigen Stoffwechselpro¬ 
dukten der Bakterien im Blute Gegen¬ 
gifte, welche die Bakteriengifte binden, 
welche auch die Eigenschaft haben, die 
Bakterien zu lähmen, die Bakterienleiber 
zum Aufquellen zu bringen und sie auf¬ 
zulösen. Uebersteht ein Körper eine 
solche ansteckende Krankheit, so bleiben 
in der Regel seinem Blute die Schutz¬ 
stoffe erhalten und damit auch für die 
Zukunft die Fähigkeit, neu eindringen¬ 
de Bakterien derselben Gattung zu ver¬ 
nichten und die vom Körper von der 


Einfallspforte aus aufgesogenen Stoff¬ 
wechselgifte dieser Bakterien unschäd¬ 
lich zu machen. Der Körper ist damit 
dauernd geschützt gegen eine neue An¬ 
steckung durch den betreffenden Krank¬ 
heitsstoff, er ist immun. 

Sie alle kennen diese vom Körper er¬ 
worbene Immunität nach dem einmali¬ 
gen Ueberstehen der Masern, des Schar¬ 
lachs, des Keuchhustens. Dieses sind 
hauptsächlich deswegen Kinderkrank¬ 
heiten, weil sie, von dem empfänglichen 
kindlichen Körper erworben und einmal 
überstanden, dem Körper für später ge¬ 
gen diese Krankheiten Schutz verleihen. 
Ausnahmen kommen vor. Aber nicht 
allein dieses. Behring wies nach, 
dass das Blut, oder auch das von Blut¬ 
zellen befreite Blutwasser, das Serum 
des Blutes, einem solchen immunen Kör¬ 
per entnommen und einem anderen Kör¬ 
per, der die betreffende Krankheit noch 
nicht durchgemacht hat, in geringer 
Menge eingespritzt, seine schutzbrin¬ 
gende Eigenschaft auf diesen überträgt 
und so Schutz vor der Krankheit gewäh¬ 
ren, ja sogar Heilung der schon ausge¬ 
brochenen Krankheit herbeiführen kann. 
Auf dieses B e h r i n g’sche Gesetz 
gründet sich die Serumtherapie, welche 
in der Heilung einer der verderblichsten 
Seuchen des Kindesalters, der Diphthe¬ 
rie, ihre Triumphe feiern konnte. Wenn 
es auch nicht immer gelingt, bei ande¬ 
ren ansteckenden Krankheiten die 
Schützstoffe im Körper des serumspen¬ 
denden Tieres so anzureichern, dass mit 
dem Serum dieses Tieres eine genügen¬ 
de Heilwirkung gegen die betreffende 
Krankheit beim Menschen erzielt wird, 
so steht das Prinzip doch fest begründet 
und kann-bei allen ansteckenden Krank¬ 
heiten, deren Erreger man kennt, beob¬ 
achtet und experimentell erhärtet wer¬ 
den. Wir bezeichnen die Art des Krank-- 
heitsschutzes, wo der Körper nach einer 
Bakterieninfektion die Schutzkörper ge¬ 
gen diese Bakterienart selbst bildet' als 
aktive Immunität, wo dem Körper aber 
die Schutzstoffe in Form von Serum ei¬ 
nes fremden, gegen die betreffende 

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Krankheit immun gewordenen Körpers 
zugeführt werden, als passive Immuni¬ 
tät. Um diese beiden Arten der Immu¬ 
nität noch einmal an einem Beispiel zu 
zeigen, so hat ein Körper nach dem 
Ueberstehen eines Scharlachs aktive Im¬ 
munität gegen Scharlach erworben, nach 
der Einspritzung einer genügenden 
Menge von Diphtherieheilserum aber 
passive Immunität gegen Diphtherie. 
Im allgemeinen verleiht die von einem 
Körper selbst bewirkte aktive Immuni¬ 
tät einen länger dauernden Schutz als 
die von einem fremden Körper stam¬ 
mende passive Immunität. Dass aber 
auch der aktive Schutz nicht immer für 
das ganze Leben ausreicht, habe ich frü¬ 
her schon erwähnt, und es wird dies 
durch spätere Neuerkrankungen an der¬ 
selben ansteckenden Krankheit des öfte- 
len erwiesen. Ein Körper kann aber 
auch künstlich zur Bildung eigener 
Schutzkörper gegen eine Krankheit an¬ 
geregt werden, also künstlich aktiv im¬ 
munisiert werden durch Einspritzung 
lebender oder abgetöteter spezifischer 

giftiger Krankheitsbakterien unter die 
Haut. Und hiermit kommen wir auf 
das eigentliche Thema unseres Vortra¬ 
ges, zu der Schutzimpfung gegen den 
Typhus. Ihr gleichartig sind die Schutz¬ 
impfungen gegen Cholera, Starrkrampf 
und Ruhr. Wir gehen dabei von der 
Tatsache aus, dass lebende Typhus¬ 
bazillen, welche durch den Mund einge¬ 
führt, iit vier Tagen Typhus erzeugen 

würden, unter die Haut eingespritzt, 
hier kaum örtliche Erscheinungen ma¬ 
chen und vor allem keine Allgemeiner¬ 
krankung an Typhus hervorrufen, wohl 
aber den Körper zur Bildung von 
Schutzstoffen anregen. 

Ich muss zunächst, ehe ich auf die 
Wirkungen dieser Einspritzungen für 
den menschlichen Körper weiter ein¬ 
gehe, einiges über den Typhus erregen¬ 
den Bazillus selbst sagen. Die Erreger 
des Unterleibstyphus sind eine stäbchen¬ 
förmige kurze Bakterienart, plump ge¬ 
baut mit abgerundeten Enden und. da 
mit zahlreichen Geiseslfäden versehen, 


lebhaft beweglich. Sie wurden von 
E b e r t h 1880 zuerst gesehen und von 
G a f f k y auf künstlichen Nährböden 
gezüchtet. Sie gedeihen hauptsächlich 
in Bouillon, auf Agar-Agar, auf Kartof¬ 
feln und Nährgelatine und bilden da¬ 
selbst rasenförmige Kulturen in Blatt¬ 
form oder perlenartige Tropfen. Sie 
verflüssigen die Gelatine nicht. Mikro¬ 
skopisch haben sie grosse Aehnlichgeit 
mit den harmlosen, den menschlichen 
Darm zahlreich bevölkernden Kolibazil- 
len, von denen sie sich nur dadurch un¬ 
terscheiden, dass die Kolibazillen auf 
künstlichem Nährboden reichlicher und 
schneller Säure entwickeln und Milch 
zur Gerinnung bringen. Die Typhus¬ 
bazillen werden von den an Typhus er¬ 
krankten Menschen im Kot und im L T rin 
ausgeschieden, besonders reichlich durch 
den Urin, welcher, nach Petrusch - 
ky's Angaben, in 1 ccm 150 Millionen 
Keime enthalten kann. Die neuere me¬ 
dizinische Wissenschaft hat die alte 
Pettenkofe r’sche Lehre, nach wel¬ 
cher der Typhus in den Bodenverhält¬ 
nissen seine Ursache findet und abhän¬ 
gig ist von dem Grundwasserstande und 
den Bodengasen, völlig verlassen und 
die K o c h’sche Lehre der bazillären In¬ 
fektion und der Kontaktinfektion ange¬ 
nommen und höchstens den Bodenver¬ 
hältnissen eine begünstigende Rolle bei 
Typhusepidemien zugebilligt. Die allei¬ 
nige Ansteckungsquelle für Typhus ist 
nach Koch der mit Typhusbazillen infi¬ 
zierte und Typhusbazillen ausscheiden¬ 
de Mensch. 

Nachdem man gelernt hat, exakt 
den Typhus bakteriologisch nachzu¬ 
weisen und seine Diagnose, ohne den 
Kranken auch nur gesehen zu haben, 
durch Mikroskop und Reagenzglas zu 
stellen, ist kein Raum mehr für eine 
Lehre, welche auf statistische Wahr¬ 
scheinlichkeitsrechnung sich gründet. 
Ich habe schon erwähnt, dass die 
Eigenbewegung der toxischen Bakte¬ 
rien gelähmt wird durch die im Körper 
gebildeten Schutzstoffe, dass die Bak¬ 
terienleiber aufquellen, sich zusam- 

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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


menballen und aufgelöst werden, 
wenn sie mit Blut oder Blutserum in 
Berührung kommen, in welchen die je¬ 
weiligen Schutzstoffe sich gebildet 
haben. Letzteres geschieht bei einem 
Typhuskranken bereits in der ersten 
Woche. So konnte W i d a 1 diese von 
G r u b e r gefundene Tatsache zu ei¬ 
ner Typhusdiagnose benutzen, indem 
er vollgiftige lebende Bazillen einer 
künstlichen Typhuskultur mit dem 
Blut des typhusverdächtigen Kranken 
zusammenbrachte. Leidet der Kran¬ 
ke wirklich an Typhus, so werden die 
unter dem Mikroskop am hängenden 
Tropfen beobachteten Typhusbazillen 
regungslos werden, sich zusammenbal¬ 
len und aufquellen. Es ist dies die 
G ruber- \V i d a l’sche Agglutina¬ 
tionsprobe. Diese Probe ist rein spe¬ 
zifisch und nur bei Typhus positiv, 
fällt allerdings auch bei solchen Kran¬ 
ken im bejahenden Sinne aus, die frü¬ 
her einmal Typhus überstanden haben 
oder mit Typhusbazillen geimpft sind. 
Denn auch sie beherbergen die Schutz¬ 
stoffe gegen den Typhus in ihrem Blu¬ 
te. Deshalb ist die weitere Sicherung 
der Frühdiagnose wichtig durch den 
Nachweis der in Blut, Kot und Urin 
der Kranken etwa enthaltenen Tv- 
phusbazillen mittels Züchtung auf 
künstlichen Nährböden. Das Blut ent¬ 
hält die Typhusbazillen bereits vom 
ersten Tage der Erkrankung an. Doch 
nun zurück zur Schutzimpfung. Die 
Versuche, an Tieren durch Einspritz¬ 
ung lebender oder abgetöteter Typhus¬ 
bazillen unter die Haut Schutz gegen 
Typhuserkrankung zw erzeugen, gehen 
zurück auf B e u m e r und P e i p e r 
und besonders auf Pfeiffer und 
K o 11 e, die im Jahre 1887 durch diese 
Impfung grössere Tiere gegen Ty¬ 
phusinfektion schützen konnten. Auf 
Grund dieser Versuche wurden 1896 
zuerst von Chantemesse Impfun¬ 
gen an Menschen vorgenommen. Man 
impfte zuerst mit Typhuskulturen, die 
man von dem künstlichen Nährboden 
abgeschabt, mit physiologischer Koch¬ 


salzlösung aufgeschwemmt und durch 
Kochen abgetötet hatte. Die Impfun¬ 
gen mit dieser Vaccine waren von hef¬ 
tigen Reaktionen entzündlicher Natur 
an der Einspritzungsstelle begleitet, 
deshalb sehr schmerzhaft, und auch 
die Allgemeinerscheinungen bei den 
Geimpften waren erheblich. Sie be¬ 
standen in Kopfschmerz, Schwindel, 
Schüttelfrösten, Fieber bis zu 39 und 
40 Grad und Abgeschlagenheit des 
Körpers während mehrerer Tage; die 
Schutzwirkung der Impfungen war 
verhältnismässig kurz, nur einige Mo¬ 
nate dauernd. Doch wurden schwere¬ 
re Folgen oder gar Todesfälle nach 
den Impfungen nicht beobachtet. Un¬ 
sere Schutztruppen in Südwest wur¬ 
den fakultativ auf diese Weise geimpft 
mit verhältnismässig gutem Erfolge. 
Unter 7000 Geimpften erkrankten 14 
Prozent an Typhus und starben 5 Pro¬ 
zent, während unter 10,000 Nicht¬ 
geimpften 19 Prozent erkrankten und 
12 Prozent starben. Die Erkrankun¬ 
gen verliefen bei den Geimpften leich¬ 
ter und schneller als bei den Nichtge¬ 
impften. Die Unschädlichkeit der Im¬ 
pfungen stand jedenfalls auch nach 
diesen grösseren Versuchen fest. Doch 
konnten diese Impfungen wegen ihrer 
unangenehmen Nebenerscheinungen 
auf die Dauer sich nicht behaupten. 
Bedeutend bessere Erfolge erzielten in 
der Folgezeit W right und L e i s h - 
mann durch eine geringe Afenderung 
in der Herstellung des Impfstoffes. 
Versuche Cassellanis hatten er¬ 
geben, dass die Einspritzung lebender 
Typhusbazillen unter die Haut so gut 
wie gar keine Reizungserscheinungen 
an der Injektionsstelle hervorriefen, 
und dass die durch die Impfung le¬ 
bender Typhusbazillen erzielte Immu¬ 
nität eine viel sichere und nachhaltige¬ 
re war, als sie nach der Injektion der 
durch Erhitzung getöteten Bazillen er¬ 
zeugt wurde. Durch die starke Er¬ 
hitzung der Bazillenkultur wurden al¬ 
so einerseits die unangenehmen Ne¬ 
benerscheinungen grösser, anderer¬ 
em rigi na I from 

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seits die Schutzwirkung geringer. 
Dadurch, dass Leishmann Bouil¬ 
lonkulturen durch vorsichtiges ein- 
stündiges Erwärmen auf 53 Grad C. 
abtötete, erreichte er eine fast völlige 
Reaktionslosigkeit der Impfungen und 
einen weit grösseren Schutz gegen 
Typhuserkrankungen, dessen Dauer 
statt wenige Monate nunmehr 2 bis 3 
Jahre anhielt. 10,000 auf diese Weise 
Geimpfte hatten eine Erkrankungs¬ 
ziffer von nur 0.5 Prozent, eine Morta¬ 
lität sziff er von 0.05 Prozent, 9000 Un- 
geimpfte dagegen eine Erkrankungs¬ 
ziffer von 3 Prozent und eine Mortali¬ 
tätsziffer von 0.5 Prozent. Die glei¬ 
chen Erfolge erzielte Russell mit 
einem ähnlich hergestellten Impfstoff 
in Amerika. Anstatt der Bouillonkul¬ 
turen L e i s h m a n n’s benutzte er 
Agarkulturen. Eine dritte Art des 
Impfstoffes wandte Besredka an. 
Er behandelte lebende Typhusbazillen 
mit Typhusimmunserum, sensibilisier¬ 
te sie, wie der fachmännische Aus¬ 
druck heisst, und injizierte diese le¬ 
bende sensibilisierte Kultur. Beson¬ 
ders in Italien erzielte man mit diesem 
Impfstoff gute Erfolge. Praktisch ist 
es einerlei, welchen der neueren Impf¬ 
stoffe man verwendet, da das Prinzip, 
möglichst vollgiftige Bakterienleiber 
bei dem Impfling zur Resorption zu 
bringen und hierdurch eine aktive Im¬ 
munisierung anzuregen, bei allen 
Impfstoffen dasselbe ist. Nachdem 
nunmehr die Typhusschutzimpfungen 
ihre unangenehmen Nebenwirkungen 
nahezu ganz verloren hatten, und eine 
genügende Schutzwirkung durch sie 
sich erzielen Hess, wurden sie überall 
da, wo die Verhältnisse es erforderten, 
angewandt. Sie wurden in Algier und 
Tunis, wo der Typhus bisher unge¬ 
zählte Opfer gefordert hatte, mit glän¬ 
zendem Erfolge erprobt. Im serbi¬ 
schen Feldzuge war die Mortalität bei 
Geimpften 2.9 Prozertt, bei Nichtge¬ 
impften 12.8 Prozent. In Indien fiel 
die Typhusmortalität von 15.6 Prozent 
im Jahre 190«> auf 2.3 Prozent im Jahre 


1911. Amerika führte die Zwangs¬ 
impfung in seinem Heere ein mit dem 
Erfolg, dass die Erkrankungsziffer 
von 29 im Jahre 1908 auf 4 sank im 
Jahre 1912. In der japanischen Ar¬ 
mee, die gleichfalls den Impfzwang 
einführte, erkrankten nach dieser Zeit 
nur noch 1 Prozent an Typhus gegen¬ 
über 14.52 Prozent Erkrankungen in 
der Zeit vor dem Impfzwange. ln 
Marokko hatte die französische Armee 
bei Geimpften nur noch eine Erkran¬ 
kungsziffer von 3.5 Prozent, gegen¬ 
über einer Erkrankungsziffer von 
64.97 Prozent bei Nichtgeimpften. 
Die Erfolge der Typhusschutzimpfun¬ 
gen sind also nach Einführung der 
neuen Impfstoffe in der Tat glänzende. 
Was das für eine Armee heissen will, 
geschützt zu sein gegen eine so gefähr¬ 
liche, die Truppen in ihren Kräften 
und in ihrer Zahl so schwächende Seu¬ 
che, das mögen Sie daraus beurteilen, 
dass das deutsche Heer 1870 74,000 
Typhuskranke hatte, von denen 8,789 
Mann starben, von den französischen 
Kriegegefangene starben an Typhus 
3,835 Mann. Es interessiert Sie ge¬ 
wiss auch, zu hören, dass an Ruhr da¬ 
mals 386,552 Mann erkrankten, von 
denen 2,380 Mann starben. Die Eng¬ 
länder hatten im Burenfeldzuge nicht 
weniger als 42,741 Typhuskranke, un¬ 
sere Truppen in Südwestafrika wäh¬ 
rend des Hereroaufstandees 4,700 
Kranke mit 555 Todesfällen. Es star¬ 
ben Geimpfte im Verhältnis von 2 zu 
5 Ungeimpften. 

Die Schutzimpfungen werden in 
der Weise vorgenommen, dass man 
in der Brustgegend zwischen Schlüssel¬ 
bein und Brustwarze zwei- bis drei¬ 
mal eine Einspritzung unter die Haut 
mit dem absolut sterilen und mit Phe¬ 
nol versetztem Impfstoff in achttägi¬ 
gen Zwischenräumen macht, am 
besten nachmittags, um etwa auftre¬ 
tende leichte Reaktionserscheinungen 
in der Nacht abklingen zu lassen. Man 
spritzt zuerst eine kleinere Dosis von 
0.5 ccm mit einem Gehalt von etwa 

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500 Millionen abgetöteten Typhusba¬ 
zillen ein, bei den beiden folgenden 
Einspritzungen eine Volldosis von 
1 ccm mit einem Gehalt von etwa 1,000 
Millionen Bazillen. Bei den hier in 
Braunschweig vorgenommenen Im¬ 
pfungen waren die örtlichen Reizer¬ 
scheinungen an der Injektionsstelle 
gering; sie bestanden in leichter Rö¬ 
tung und Schwellung, fehlten stellen¬ 
weise aber auch ganz. Nach 4 bis 5 
Stunden traten leichte Allgemeiner¬ 
scheinungen auf, bestehend in einem 
Gefühl von Abgeschlagenheit, stellen¬ 
weise leichtem Kopfdruck und leich¬ 
ter Temperatursteigerung. Eine Be¬ 
einträchtigung der Arbeitsfähigkeit 
trat nur selten ein, und nach 2 bis 3 
Tagen pflegte der Normalzustand wie¬ 
der erreicht zu sein. Nur eine leichte 
Empfindlichkeit der Umgebung der 
Infektionsstelle blieb etwas länger be¬ 
stehen, war aber bis zum Termin der 
nächsten Injektion, also nach acht Ta¬ 
gen in jedem Falle vollständig ge¬ 
schwunden. Eine ernstere Störung ir¬ 
gendwelcher Art ist nicht zu meiner 
Kenntnis gekommen. Die Schutz¬ 
impfungen gegen Typhus können also 
auch nach hiesigen Erfahrungen als 
völlig ungefährlich bezeichnet werden. 

Bieten die Impfungen nach den bis¬ 
herigen Erfahrungen auch keinen ab¬ 
solut sicheren Schutz gegen Erkran¬ 
kung und gegen Tod durch Typhus, so 
setzen sie doch ohne Frage die Er- 
krankungs- und Sterbeziffer ganz er¬ 
heblich herab und sichern im allgemei¬ 
nen einen leichten Verlauf der Erkran¬ 
kung. Bei der Anhäufung so gewal¬ 
tiger Menschenmassen, wie sie die 
moderne Kriegsführung mit sich 
bringt, und bei den ungünstigen hy¬ 
gienischen Verhältnissen im Felde ist 
der Ausbruch von Kriegsseuchen, be¬ 
sonders des Typhus, unvermeidbar. 
Der Typhus ist eine Krankheit des 
Schmutzes, und von dem gibt es in 
einem Kriege genug. Schlechte Un¬ 
terkunftsverhältnisse, unzweckmässige 
Ernährung, Trinkwasser aus infizier¬ 


ten Flussläufen und Brunnen und der 
Zwang, alles dieses widerstandslos 
über sich ergehen zu lassen, geben den 
Boden ab für häufige und schwere Ma¬ 
gen- und Darmkatarrhe. Die ge¬ 
schwächten Verdauungsorgane wer¬ 
den wiederum leichter mit Typhus in¬ 
fiziert als gesunde, widerstandsfähige. 
Und diese Infektionsgelegenheiten 
gibt es überall, wo grosse Menschen¬ 
massen sich anhäufen. D r i g a 1 s k i 
und Conradi haben 1901 die Ent¬ 
deckung gemacht, dass scheinbar ganz 
gesunde Leute Bazillen ausscheiden 
können. Manche in ihrer Entstehungs¬ 
ursache dunkle Epidemie hat durch 
die Entdeckung solcher Bazillenträger 
seither ihre Aufklärung gefunden. 

Hat jemand einen Typhus überstan¬ 
den, so scheidet er, scheinbar völlig 
gesund, meist noch längere Zeit Ty¬ 
phusbazillen durch Kot oder Urin aus. 
Diese Ausscheidung von Bazillen, von 
typhösen Herden in der Gallenblase 
oder den Nieren stammend, kann 
jahrelang dauern, ohne dass irgendein 
Symptom diese Dauerausscheider als 
solche kennzeichnet. Im Jahre 1911 
untersuchte man die Rekruten zweier 
Armeekorps auf solche Bazillenträger 
und fand zwei anscheinend ganz ge¬ 
sunde Rekruten, die Typhusbazillen, 
und zwei, die Paratyphusbazillen, eine 
Abart der Typhusbazillen, ausschie¬ 
den. Es ist ein Fall bekannt, wo eine 
Köchin, die vor 32 Jahren Typhus 
durchgemacht hatte, als Bazillenträ¬ 
gerin sämtliche Familien, bei denen 
sie in Stellung war, mit Typhus infi¬ 
zierte. Von einer Kartoffelschälfrau, 
die ebenfalls Typhusbazillen aus¬ 
schied, nachdem sie 30 Jahre zuvor 
Typhus überstanden hatte, wurden im 
10. Armeekorps eine grosse Anzahl 
Soldaten mit Typhus infiziert, die ei¬ 
nen von der Frau bereiteten Kartoffel¬ 
salat genossen hatten. Da man bis 
jetzt kein Mittel hat, solche Daueraus¬ 
scheider zu heilen, und auch Schutz¬ 
impfungen bei ihnen nichts nützen, so 
sind sie als dienstuntauglich möglichst 


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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


237 


bald aus der Truppe zu entfernen, 
nachdem man sie als Bazillenträger 
erkannt hat. Dazu gehören natürlich 
genau systematische Untersuchungen 
mindestens jener Leute, die einmal 
Typhus selbst überstanden haben oder 
in deren Umgebung in letzter Zeit 
Typhus vorgekommen ist. Diese For¬ 
derung ist aber meines Wissens noch 
nicht durchgeführt. Dazu kommen 
noch Fälle von leichtem Typhus oder 
von larviertem Typhus, deren Träger 
als gesund im Heere Dienst tun. Man 
wird also mit der Annahme nicht fehl¬ 
gehen, dass sich in den grossen Heeren 
der kriegführenden Parteien eine gan¬ 
ze Anzahl typhusbazillenausscheiden- 
der Soldaten befinden, die doppelt ge¬ 
fährlich sind für eine Truppe bei den 
gesundheitswidrigen und unhygieni¬ 
schen Verhältnissen, unter denen sie 
zu leben gezwungen ist. Nehmen wir 
hinzu, dass wir gegen ein Land, wie 
Russland, Krieg führen, in dem alle 
die Seuchen, die einem Heere gefähr¬ 


lich werden können, Pocken, Typhus, 
Ruhr und auch Cholera, schon in Frie¬ 
denszeiten mehr als in anderen Län¬ 
dern verbreitet sind, so wird man es 
unserer Heeresverwaltung Dank wis¬ 
sen, dass sie Schritte tut, unser Heer, 
soweit es möglich ist, auch hiergegen 
zu wappnen.* Unser Volk und unser 
Heer haben ein Recht zu verlangen, 
nicht nur in der Waffenrüstung auf’s 
allerbeste ausgerüstet den Feinden 
entgegengeführt zu werden, sondern 
auch den unsichtbaren Feinden, den 
Epidemien gegenüber, so geschützt zu 
sein, wie es nach dem Stande der Wis¬ 
senschaft zurzeit möglich ist. Und 
dazu bieten die Schutzimpfungen die 
Mittel. Lassen Sie uns hoffen, dass 
wir Dank unseren mit zielbewusster 
Kraft durchgeführten Rüstungen den 
sichtbaren wie unsichtbaren Feinden 
gegenüber Sieger bleiben. 

* Inzwischen sind auch Choleraschutzimpf¬ 
ungen an den im Felde stehenden Truppen 
ausgeführt worden. 


Typhus exanthematicus. 

Von Dr. A. Rose, New York. 


Das kaiserliche Gesundheitsamt hat 
ein Rundschreiben „Ratschläge zur 
Bekämpfung des Fleckfiebers (Fleck¬ 
typhus)“ herausgegeben. In demselben 
heisst es: Das Fleckfieber (exanthe- 
matischer Typhus, Petechialtyphus) 
ist eine schwere, in Deutschland nicht 
einheimische Infektionskrankheit. Die 
Sterblichkeit an Fleckfieber wird auf 
etwa 1/7 der von der Krankheit befal¬ 
lenen bemessen. Sein Erreger ist noch 
nicht bekannt. 

Die Tatsache, dass der exanthema- 
tische Typhus immer zu Kriegszeiten 
in grossen und weitverbreiteten Epi¬ 
demien auftritt, wird in dem Rund¬ 
schreiben nicht erwähnt. Die vierte 
und schwerste Typhusperiode des 18. 
Jahrhunderts begann mit den Kriegen 


der französischen Revolution und en¬ 
dete erst mit der zweiten Dekade des 
19. Jahrhunderts nach dem Nieder¬ 
gang des Napoleonischen Reiches und 
der Wiederherstellung des Friedens in 
Deutschland. 

Die Symptomatologie und der Ver¬ 
lauf sind, wie nicht anders zu erwar¬ 
ten, von dem kaiserlichen Gesund¬ 
heitsamt in klassischem Stil bündig 
und genau beschrieben, namentlich ist 
die Differentialdiagnosis zwischen Ab¬ 
dominal- und exanthematischem Typhus 
hervorgehoben. 

„Während das klinische Bild und 
die überaus leichte Uebertragbarkeit 
des Fleckfiebers schon seit dem 16. 
Jahrhundert bekannt sind, scheinen 
erst neuere Forschungen Licht in die 

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238 


New Yqrkzs Medizinische MoNATsscHEirr. 


Verbreitungsweise der Krankheit ge¬ 
bracht zu haben. Sie haben gezeigt, 
dass die Krankheit durch Vermitte¬ 
lung des Ungeziefers, namentlich der 
Läuse, von Mensch zu Mensch über¬ 
tragen werden kann« Damit steht 
auch die alte Erfahrung in Einklang, 
dass die Schlafstellen der herumzie¬ 
henden Bevölkerung, die Herbergen 
und Asyle die hauptsächlichsten Brut¬ 
stätten. der Seuche sind. Auch ist es 
begreiflich, dass hauptsächlich obdach¬ 
lose Personen, Bettler, Zigeuner, 
Landstreicher, Hausierer von dem 
Fleckfieber befallen werden und dass 
gerade in Kriegszeiten und im Winter 
die Krankheit leicht an Verbreitung 
gewinnen kann.“ 

Weiter gibt das kaiserliche Gesund¬ 
heitsamt Verordnungen über den 
Transport Typhuskranker, und hier 
bin ich enttäuscht, weil der Bericht 
des Dr. K r a n t z über die wichtigen 
Beobachtungen des Typhus im York- 
schen Korps im Jahre 1813, und den 
ich in meinem Buche Napoleon's Cam¬ 
paign in Russia Anno 1812 vollständig 
wiedergegeben, nicht erwähnt ist. Dr. 
Krantz hat das Alpha und Omega 
der Behandlung des exanthematischen 
Typhus erkannt. Was Krantz im 
Jahre 1817 im Magazin für die ge¬ 
samte Heilkunde über den Gang der 
Krankheiten, welche in der königlich- 
preussi sehen Armee vom Ausbruch 
des Krieges im Jahre 1812 bis zu Ende 
des Waffenstillstandes (im August 
1813) geherrscht haben, veröffentlicht 
hat, ist in der New Yorker Medizini¬ 
schen Monatsschrift vom März 1912 
vollständig abgedruckt. 

In dem Buche über den russischen 
Feldzug Napoleons habe ich alles, was 
ich über die Läuseplage in der grossen 
Armee finden konnte, zusammenge- 
stellt. Der französische Chirurg Ma¬ 
jor Ca rp n n, indem er die Ereignisse 
von Wilna — gleich entsetzlich wie 
die des Ueberganges über die Bere- 
sina — erzählt, beschreibt die wider¬ 
lich entsetzliche Läuseplage. 


Ich führe auch von Suckow, ei¬ 
nen württembergischen ersten Lieu¬ 
tenant an, der das unerträgliche durch 
Läuse verursachte Elend bespricht, 
durch das der Schlaf am Wachtfeuer 
gestört wurde, ferner sodann von 
B o r c k e, der erschrak, als er ent¬ 
deckte, dass sein ganzer Körper von 
Läusen angefressen war, und ferner 
aus den Aufzeichnungen eines franzö¬ 
sischen Obersten, der beim Kratzen 
ein Stück Fleisch aus dem Nacken riss, 
dem der durch die Wunde verursachte 
Schmerz ein Gefühl der Erleichterung 
zu sein schien. Unter den Umstän¬ 
den, welche den russischen Feldzug 
charakterisierten, namentlich die Un¬ 
möglichkeit der körperlichen Reini¬ 
gung, entwickelte sich das Ungeziefer 
in einer Weise, die jeder Beschreibung 
spottete. Niemand entging der Plage: 
nach Constant, dem Diener Napo- 
leon’s. hatte selbst der Kaiser sein 
Teil. 

Als die Ueberlebenden des Rück¬ 
zugs von Moskau, diese hohläugigen 
Gespenster mit den abgefrorenen Fin¬ 
gern und Zehen, die Gesichter mit ei¬ 
ner Maske von Schmutz überzogen, 
vom Rauch der Wachtfeuer ge¬ 
schwärzt, in Schaffelle und Lumpen 
gehüllt, mit langen Bärten, in deut¬ 
sche Quartiere kamen, gaben die gu¬ 
ten Leute ihren Gästen Gelegenheit, 
sich gründlich zu reinigen, Wohl¬ 
habende Hessen die Diener dabei hel¬ 
fen, in den Häusern der Arbeiter taten 
dies Mann und Frau. Ein Sergeant 
mit einem Kameraden erhielten Quar¬ 
tier im Hause eines ehrenhaften 
Schneiders. Als dieser sah, wie diese 
zwei Soldaten mit Läusen behaftet 
waren, Hess er sie sich entkleiden, bü¬ 
gelte die äusseren Kleider mit einem 
Bügeleisen, während die Frau die Un¬ 
terkleider kochte. 

Auffallend ist, dass dieser Gegen¬ 
stand, die Läuseplage, in den medizi¬ 
nischen Kriegsgeschichten kaum je er¬ 
wähnt wird, obwohl jeder, der im Feld 
gewesen, damit vertraut ist. Einige 


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meiner Leser beklagten sich, dass ich 
nicht mehr darüber mitgeteilt habe. 
Ich gab alles, was ich in alten Papie¬ 
ren über den russischen Feldzug ge¬ 
funden, dabei fand ich kein Wort über 
Abhilfe, bis mir eine kleine Schrift 
„Weyland, Ueber die sichere Ver¬ 
tilgung der Kleiderläuse, der Plage 
der Armeen im Felde und im Bi- 
vouak“, Militärarzt, Wien 1872, zu Ge¬ 
sicht kam. W e y 1 a n d empfiehlt ein 
Mittel, das er in dem Feldzug von 
1870—71 bewährt gefunden. Er lernte 
es von dem Konservator eines Natu- 
ralienkabinets kennen. Dieser teilte 
ihm mit, dass die meisten derartigen 
Sammlungen trotz der Behandlung 
mit Arsenik beim Ausbalgen durch die 
verschiedenen Pediculi und Tinea¬ 
arten, in nicht sehr langer Zeit zu 
(irunde gingen, er wende deshalb zu 
deren Vertilgung Benzin an und erhal¬ 
te dadurch seine Sammlungen besser, 
als durch jede andere frühere Behand¬ 
lungsmethode. Dies wurde von W e y- 
1 a n d adoptiert. Sobald die Verwun¬ 
deten aufgenommen waren, war das 
erste, sie vollständig in einem eigens 
dazu bestimmten Raume zu entklei¬ 
den, gehörig zu reinigen oder ihnen je 
nach den Umständen ein warmes Bad 
verabreichen zu lassen, ehe sie mit 
neuem Leibgeräte in die für sie her¬ 
gerichteten Betten in den Krankensaal 
gebracht wurden. Die sämtlichen Klei¬ 
der wurden der Luft ausgesetzt. Um 
seinen Plan auszuführen, liess er fünf 
Fuss hohe und ebenso breite hölzerne 
Kisten anfertigen, mit einem Deckel 
verschliessen und innen mit festem 
blauen Papier, das mit Stärkekleister 
angeklebt war, möglichst luftdicht ma¬ 
chen. Dann schüttete er etwas Benzin 
auf den Boden der Kiste und liess da¬ 
nach die Kiste mit Kleidungsstücken 
belegen, nachdem jede Schichte mit 
einer massigen Quantität Benzin über¬ 
gossen war. War dann eine Kiste mit 
den Effekten bis oben angefüllt, so 
wurde der Deckel fest zugeschlagen 
und der Inhalt dadurch so ziemlich 


hermetisch abgeschlossen. Nach zwei- 
bis dreimal 24 Stunden wurde der 
Deckel entfernt, die Kleider wurden 
herausgenommen, und da sah man mit 
Erstaunen und Grauen die Bälge der 
toten Läuse herabfallen, aber in einer 
Menge, von welcher man vorher keine 
Ahnung hatte. Das Benzin verflüchtete 
sich nämlich während dieser Zeit, durch¬ 
drang die Effekten und tötete alle diese 
Parasiten, weil bekanntlich das Leben 
aller ähnlichen Tierbildungen in einer 
mit Benzin geschwängerten Atmosphäre 
erlöschen muss. 

Prof. A. Loewv schreibt in Ber¬ 
liner Klin. Wochenschrift 1914, No. 43, 
über die Verseuchung der Quartiere in 
der östlichen Armee mit Ungeziefer und 
sagt, bis jetzt gibt es kein Mittel, das 
sich als ausreichend wirksam dagegen 
erwiesen hätte. Seidenes Unterzeug 
ist als Ungezieferprophylaxe gerühmt 
worden. Wie L o e w y von einem Ve¬ 
teranen des Schleswig-Holsteinschen 
Krieges von 1864 lernte, soll Asa foetida 
mit ziemlicher Sicherheit die Läuse fern¬ 
halten. 

In Athen begegnet man Männern vom 
Lande, welche die malerische griechisch¬ 
albanische Tracht, die Phoustanella tra¬ 
gen. Der Stolz dieser Phoustanella- 
phoroi, wie sie genannt werden, ist das 
Gewand schneeweiss zu haben. Gele¬ 
gentlich bemerken wir einen Mann mit 
brauner Phoustanella, das ist einer, der 
aus grosser Entfernung kommt und auf 
längerer Reise ist. Weil ihm die Ge¬ 
legenheit fehlt, seine Kleider regel¬ 
mässig zu waschen, taucht es sie in 
Teerwasser, einesteils um die Spuren 
des täglichen Gebrauches zu- verwischen, 
andernteils als Schutz gegen Ungeziefer. 

Professor A. Blaschko empfiehlt 
zur Prophylaxe des Flecktyphus, jedem 
Soldaten je 30 bis 50 g Naphthalin mit¬ 
zugeben, von denen er, sobald Juckreiz 
verspürt wird, etwa Teelöffel voll an 
Hals und Genick unter den Hemdkragen 
schüttet. Von dort fällt es von selbst 
allmählich den Rumpf entlang. Auch 
könnte das Naphthalin, in Mullsäckchen 


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Nkw Yorker Medizinische Monatsschrift. 


eingenäht, in einem Bande um den Hals 
getragen werden. Um sich im Quartier 
vor Läusen zu schützen, sollte der Sol¬ 
dat kleine Mengen des Naphthalin¬ 
pulvers ins Bett streuen. Um sich gegen 
Kopfläuse zu schützen, die ebenso ge¬ 
fährlich sind, hält Blaschko es für 
empfehlenswert, dass die Soldaten sich 
die Haare kurz scheeren lassen. 

Was ich über die Läuseplage in den 
Armeen geschrieben, erregte das Inte¬ 
resse des Oberarztes der amerikanischen 
Armee. Auf meine Anfrage erfuhr ich. 


dass die Person der Soldaten alle zwei 
Wochen von einem Militärarzt unter¬ 
sucht wird, dass täglich und wöchent¬ 
liche Inspektionen der Barracken von 
Linienoffizieren vorgenommen werden, 
ebenso häufige Inspektion der Barbier¬ 
stuben der militärischen Reservationen. 
Nur zwei Fälle von exanthematischem 
Typhus wurden während des letzten 
Jahres in der amerikanischen Armee be¬ 
richtet. Diese zwei Fälle kamen von 
China; die Soldaten hatten sie von Ein¬ 
geborenen bekommen. 


Mitteilungen aus der neuesten Journalliteratur. 


M. Nonne und Fr. W o h 1 w i 11: 

Ueber einen klinisch und anatomisch 
untersuchten Fall von isolierter re¬ 
flektorischer Pupillenstarre bei Feh¬ 
len von Paralyse, Tabes und Syphi¬ 
lis cerebrospinalis. 

Eine 38jährige Händlerin wurde am 
4. August 1912 in schwerem Delirium 
tremens aufgenommen; sie zeigte 
Symptome beginnender Lungentuber¬ 
kulose. Vor 13 Jahren syphilitisch in¬ 
fiziert, hatte sie damals eine Schmier¬ 
kur durchgemacht, war seitdem nicht 
antisyphilitisch behandelt worden. Als 
Stigma von Syphilis bestand eine 
grosse Perforation am weichen Gau¬ 
men ; ob die grosse, harte Leber Fol¬ 
gen von Alkoholismus oder Syphilis 
sei, blieb unentschieden. Es bestand 
Anisokorie, Entrundung der Pupillen, 
beiderseits echte reflektorische Pupil¬ 
lenstarre. Wassermann im Blute ein¬ 
mal negativ, drei Wochen später -)—|- 
-F, im Liquor: Wassermann 0, Lym- 
phozystose 0, Phase negativ. Die Lun¬ 
generkrankung machte Fortschritte, 
Patientin starb nach einem Aufenthal¬ 
te im Krankenhause von etwa einem 
Jahr. Von Seiten des Nervensytsems 
war bei wiederholter Untersuchung 
kein anderes Symptom zu finden, als 
die erwähnte reflektorische Starre bei¬ 
der Pupillen. Die Obduktion ergab 
Lungentuberkulose, Myodegeneratio 
cordis, Aortitis luetica im Anfangsteil 
der Aorta, nichts von Aneurysma. Am 


Gehirn und Rückenmark makrosko¬ 
pisch nicht Abnormes, mikroskopisch 
zeigte sich die Arachnoidea etwas zel- 
ienreicher als normal, Infiltrate fehl¬ 
ten sowohl hier als an den übrigen 
Hirnteilen. Die Anordnung der Zell¬ 
schichten der Rinde war nicht alte- 
riert; die Ganglienzellen des Rücken¬ 
marks liess ausser einer dem Alter 
entsprechenden Einlagerung lipoiden 
Pigments nichts Abnormes erkennen, 
die Markfasern zeigten nirgends einen 
Ausfall. Paralyse, Tabes, Syphilis 
cerebrospinalis, selbst der Anfangs¬ 
stadien, konnten mit Bestimmtheit 
ausgeschlossen werden. 

Dementsprechend lässt sich nicht 
mehr behaupten, dass echte reflekto¬ 
rische Pupillenstarre Ausdruck von 
Paralyse, Tabes oder Syphilis cere¬ 
brospinalis sei. Die Autoren nehmen 
an, dass das Symptom klinisches Re- 
sidium eines früheren syphilitischen 
anatomischen Prozesses gewesen sei, 
der, wie die Abwesenheit der Liquor¬ 
reaktion beweist, vollkommen er¬ 
loschen war. (Neurol. Zbl., 1914, Nr. 
10 .) 

Ledergerber und Bauer: Bei¬ 
träge zur Untersuchung von tuber¬ 
kulösem Urin. 

Die Autoren geben zum Nachweis 
von Tuberkelbazillen im Urin nach¬ 
stehendes Verfahren an: Zu einer 
Menge Harn von 100 bis 200 ccm 


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wird so viel Ammoniak hinzugefügt, 
bis die Lösung schwach alkalisch ist, 
diese wird dann 60 Mintuen stehen ge¬ 
lassen, bis sich die Phosphate zu Bo¬ 
den gesenkt haben, die klare Flüssig¬ 
keit wird vom Bodensatz abgegosesn 
(Zusatz von Alkohol befördert die Se- 
dimentierung), letzterer wird zentrifu¬ 
giert und die darüber stehende Flüs¬ 
sigkeit abgegossen, dem Bodensatz 
wird wieder Essigsäure zugesetzt, bis 
die Phosphate gelöst sind, dann wer¬ 
den einige Tropfen Chloroform zuge¬ 
setzt und die Mischung durch 10 Mi¬ 
nuten geschüttelt, die Flüssigkeit wird 
zentrifugiert, von dem Bodensatz auf 
den Objektträger ausgestrichen, das 
Material hoch über eine Flamme aus¬ 
getrocknet. Hierauf folgen Fixieren 
und Färben. (Korr.-Bl. f. Schweiz. 
Aerzte, 1914, Nr. 5.) 

C. Hart: Ueber das Ulcus duodeni. 

Man hält das Ulcus duodeni nicht 
mehr für so selten, als dies früher ge¬ 
schah. Autor fand in 450 Leichen¬ 
obduktionen 22mal, das heisst in 4.89 
Prozent entweder ein Ulkus oder eine 
Narbe im Duodenum. Von diesen 22 
Fällen betrafen 16, das ist 72.8 Pro¬ 
zent, das männliche Geschlecht, wäh¬ 
rend das Magenschwär bekanntlich 
bei Frauen häufiger ist. Fünfmal war 
das Ulkus die zum Tode führende 
Krankheit. In den vom Autor sezier¬ 
ten 450 Fällen kamen 21mal Ulzera im 
Magen vor, sodass das Vorkommen von 
Geschwüren im Magen und im Duode¬ 
num gleich häufig erscheint. Am häu¬ 
figsten ist die Hinterwand der Pars 
horizontalis in der Nähe des Pylorus 
befallen. Wahrscheinlich weil hier 
der saure Magensaft am ehesten zur 
Wirkung gelangt, während er weiter 
unten durch Galle und Pankreassekret 
neutralisiert wird. Hyperazidität er¬ 
höht die Gefahr der Geschwürsbil¬ 
dung, besonders wenn der Mageninhalt 
abnorm rasch ins Duodenum tritt. 
Autor glaubt als eine Hilfsursache der 
Entstehung des Ulkus neben der pep¬ 
tischen Schädigung durch sauren Ma¬ 
gensaft nervöse Einflüsse annehmen 
zu sollen, vagotonische Krämpfe, re¬ 
flektorische Entstehung von Leiden 
des Appendix oder der Gallenblase. 


Er hat jüngst auf die Entstehung neu¬ 
rotischer Magenblutungen aufmerk¬ 
sam gemacht und hat seitdem nach 
Hirnblutung peptische Ulzera sowie in 
einem Falle von Meningitis infolge 
von Schädelfraktur hämorrhagische 
Erosionen im Magen neben frischem 
Ulcus duodeni gefunden. Unter den 
klinischen Symptomen ist der beson¬ 
ders nachts auftretende Hunger¬ 
schmerz hervorragend wichtig. Doch 
kann dieses Symptom, wenn das Ul¬ 
kus unter einer Schleimhautfalte ver¬ 
steckt ist, fehlen und das Geschwür 
symptomenlos bleiben; es besteht 
höchstens ein rechts neben der Mittel¬ 
linie in der Pylorusgegend sitzender 
Schmerz, der sehr vieldeutig ist. Käst 
immer ist der Pylorusring verdickt 
und der Magen dilatiert; es besteht 
motorische Insuffizienz des Magens, 
was sich röntgenographisch durch Zu¬ 
rückbleiben der letzten Speisemengen 
im Magen kundgibt, während der An¬ 
fang des Uebertrittes vom Magen ins 
Duodenum sich rasch genug einstellt. 
Oft kommt es zu Blutungen, die ok¬ 
kult bleiben können, wenn nicht die 
Untersuchung des Stuhles auf Blut 
das Statthaben solcher nachweist. Da¬ 
bei muss man sich bewusst bleiben, 
dass ein negatives Resultat Ulcus duo¬ 
deni nicht ausschliesst. 

Das Ulcus duodeni kann ebenso wie 
ein Magengeschwür unter Bildung 
tiner strahligen Narbe ausheilen. 
Hart hat nie durch eine solche Narbe 
Stenosenbildung oder Entstehung ei¬ 
nes Sanduhrduodenums beobachtet, 
doch konnte er Bildung von Diverti¬ 
keln zwischen Narbensträngen kon¬ 
statieren, die Duodenalwand erschien 
gewissermassen gerafft. In diesen 
Divertikeln kann Wismutbrei liegen 
bleiben und die Diagnose eines narbig 
geheilten Ulkus ermöglichen. Das 
Ulcus duodeni wird häufiger Todesur¬ 
sache als das Magengeschwür, in 
Simmond’s Fällen in 40 Prozent, in 
denen des Autors in 20 Prozent, in 
D i e t r i c h’s Fällen kam es in 20 Pro¬ 
zent der Fälle zu tötlicher Perforation, 
während Magengeschwürperforationen 
nur in 7 Prozent der Fälle zu tötli¬ 
cher Blutung führten. Obschon das 
Ulcus duodeni latent bleiben kann und 

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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


Fälle spontaner Heilung Vorkommen, 
muss es doch als bösartiges Leiden 
gelten. Die Ueberkleidung des Ge¬ 
schwürs mit Schleimhaut erfolgt sel¬ 
ten und zieht sich lange hin, während 
impier Komplikationen drohen. Wenn 
man jedoch rechtzeitig chirurgisch 
eingreift durch Gastrojejunostomie, 
den Pylorus und das Duodenum aus¬ 
schaltet, so sind die Resultate äusserst 


zufriedenstellend. W i t z e 1 erklärt 
apodiktisch: „Einen rechtzeitig ope¬ 
rierten Patienten mit Ulcus duodeni 
non complicatum verliert man nicht.* 4 
Freilich, wenn das Ulcus duodeni mul¬ 
tipel erscheint, oder mit Magenulzera- 
lionen zusammen vorkommt, ist die 
Aufgabe des Chirurgen viel schwieri¬ 
ger und die Prognose schlechter. 
(M. Kl. 1914 Nr. 9.) 


Sitzungsberichte. 


Deutsche Medizinische Gesellschaft der Stadt New York. 


Sitzung, Mittwoch, den 3. Februar 
1915, abgehalten im Hotel Biltmore. 

Präsident Dr. W. Freudenthal 
eröffnet die Sitzung um l / 2 9 Uhr. 

Dr. S. B r e i t e n f e 1 d stellt den 
Antrag, von einer Verlesung des Pro¬ 
tokolls der vorigen Sitzung abzusehen 
und die Versammlung beschliesst 
demgemäss. 

Hierauf tritt die Versammlung in 
die Tagesordnung ein: 

Vorträge. 

Die körperliche Erziehung des 
weiblichen Geschlechts und die Elisa¬ 
beth Duncan Schule. 

1. Dr. Charles Jaeger: Einlei¬ 
tender Vortrag. 

2. Direktor Max Merz: Die Kör¬ 
per-Kulturbewegung in Deutschland 
und die Elisabeth Duncan Schule. 

(Vortrag ist in dieser Nummer der 
Monatsschrift als Originalarbeit ge¬ 
druckt.) 

3. Deutsche Schülerinnen der Eli¬ 
sabeth Duncan Schule: 

a ) (iymnastische Hebungen. 

1)) Rhythmische Hebungen. 

Direktor Max Merz: Ich komme 
zum Schluss mit einer Bitte zu Ihnen, 
indem ich Ihnen diese Schule ans 
Herz legen möchte. Helfen Sie ihr, 
hier vorwärts zu kommen. Da das 
Heim in Darmstadt jetzt der Pflege 
von Verwundeten dient, ist die Schule, 


um ihre Arbeit nicht zu unterbrechen, 
nach New York zur Errichtung der 
langgeplanten Zweigschule übergesie¬ 
delt. Wenn Sie heute ein Interesse 
für die Schule gewonnen haben, möch¬ 
te ich Sie einladen, uns auf unserem 
Hügel in Croton am Hudson, wo wir 
uns eingerichtet haben, zu besuchen. 
Sie sind uns besonders am Sonntag, 
aber auch sonst herzlich willkommen. 

Sollten Sie ein Interesse daran ha¬ 
ben, dass die Schule erhalten bleibt, 
dann unterstützen Sie uns bitte in un¬ 
seren Bestrebungen. 

Ich befinde mich heute in einer 
deutschen Gesellschaft und möchte 
deshalb noch folgendes hinzufügen: 
Im vorigen Jahre überzeugte sich der 
deutsche Kronprinz, der Protektor des 
deutschen Reichsausschusses für die 
olympischen Spiele, Berlin 1916, in 
einer für ihn veranstalteten Vorfüh¬ 
rung von den Leistungen unserer 
Schülerinnen und sandte dann ein be¬ 
geistertes Telegramm an den Gross¬ 
herzog von Hessen, worauf dieser ant¬ 
wortete : ,,Herzlichen Dank für Dein 

Telegramm. Ich halte viel von der 
Zukunft der Schule und kämpfe für 
sie. Bitte hilf mir, diese schöne Sache 
gegen Missverständnisse zu schützen 
und für unser deutsches Vaterland zu 
erhalten.“ Helfen Sie uns, unsere 
Mission zu erfüllen. 

Präsident Dr. W. Freudenthal: 
Wir alle, die wir die graziösen und 


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Nkw Yorks Mkdizinischk Monatsschrift. 


243 


ästhetischen Uebungen der Kinder ge¬ 
sehen haben, können nicht umhin, die 
Vollkommenheit der Kinder und die 
Fertigkeit der Lehrer zu bewundern. 
Für uns Mediziner sind hauptsächlich 
die gymnastischen Uebungen inbezug 
auf die Prophylaxe von Krankheiten 
von Wichtigkeit. Die Berührung des 
nackten Körpers mit der Atmosphäre 
gehört zu den Fragen, die uns Aerzten 
besonders am Herzen liegen. Wie ich 


die gymnastischen Uebungen gesehen, 
kamen mir meine eigenen Kinder in 
Erinnerung, mit denen ich die meisten 
dieser Uebungen selbst gemacht habe. 

Da wir heute keine Diskussion ha¬ 
ben, so erübrigt mir nur noch, allen 
denen, die uns heute einen so grossen 
Genuss verschafft haben, im Namen 
der Gesellschaft herzlich zu danken. 

Hierauf tritt Vertagung ein. 

Schluss der Sitzung um ^11 Uhr. 


Feuilleton. 

Die Pickwick Medizinische Gesellschaft.* 
(Offizieller Bericht.) 


Präsident Dr. Hiram Pringle hat 
den Vorsitz. Andere Mitglieder haben 
andere Sitze. 

Der Präsident: Meine Herren ! Wir 
haben heute Abend die Ehre, Herrn Dr. 
E. Scarlet Pimple aus East Pick¬ 
wick, dessen wohlbekanntes Werk» über 
Pneumonie ohne Zweifel ein jeder von 
Ihnen in seiner Bibliothek hat, in unse¬ 
rer Mitte zu sehen. Dr. Pimple be¬ 
darf bei Pickwicker Aerzten keiner Ein¬ 
führung, sein Ruf ist ihm längst voraus¬ 
gegangen. Es gereicht mir zu grossem 
Vergnügen, ihn vorzustellen. Der Titel 
seines Vortrags lautet: Die Pneumonie. 

Dr. Pimple besteigt unter Applaus 
die Plattform und verliest seine Arbeit, 
deren Autoreferat in Nachstehendem 
wiedergegeben ist: 

Ich schätze ungemein die Ehre, dass 
man mich aufgefordert hat, vor Ihrer 
gelehrten Körperschaft zu erscheinen. 
Viele von Ihnen sind uns in East Pick¬ 
wick durch Ihre Arbeit bekannt und ich 
schätze den Vorzug, meine Anschau¬ 
ungen Ihnen vorlegen zu dürfen, nicht 
gering. 

Die Lungenentzündung ist eine der 
wichtigsten Erkrankungen, deren Be¬ 
handlung an uns herantreten kann. Wie 
Sie wisen, habe ich ihre Symptome und 

'Wir geben hiermit eine Uebcrsetzung des in der 
nengegründeten Zeitschrift „The Medical Pickwick“ 
erschienenen satyrischen Berichtes über eine Sitzung 
der Medical Pickwick Society. Man kann natürlich 
statt Pickwick den Namen irgend einer beliebigen 
medizinischen C.esellschaft «etzen. Anm. d. Red. 


Behandlung zum Gegenstand speziellen 
Studiums gemacht, dessen Resultate ich 
in dem Buche niedergelegt habe, das Ihr 
Herr Vorsitzender so schmeichelhaft er¬ 
wähnte und von welchem ich mehrere 
Exemplare mitgebracht habe und die 
Ihr Herr Sekretär Ihnen gerne käuflich 
überlassen wird. 

Im Ganzen habe ich bis jetzt 762 Fäl¬ 
le behandelt, von denen keiner tötlich 
verlief. Es ist zwar richtig, dass von 
dieser Zahl 276 starben, allein diese 
Fälle können wohl nicht in . meiner 
Sterblichkeitsliste mitaufgezählt wer¬ 
den, weil ich bei denselben beim Eintritt 
des Todes nicht zugegen war und daher 
wohl angenommen werden darf, dass 
der Tod durch eine andere Ursache als 
durch die Pneumonie verursacht wurde. 
Dies gibt eine Statistik, deren sich viel¬ 
leicht niemand zu schämen braucht, wie 
ich dies auch selbst nicht tue. 

Es tut mir leid, dass ich Ihnen infolge 
einer Vereinbarung mit meinem Verle¬ 
ger keine Einzelheiten betreffs meiner 
Behandlungsmethode mitteilen kann, 
aber Sie finden sie niedergelegt in mei¬ 
nem Buch nebst 74 Abbildungen, die je¬ 
den einzelnen Punkt klar erläutern. Die 
Abbildungen sind auf japanisches Pa¬ 
pier von ganz besonderer Stärke ge¬ 
druckt, wodurch das Buch in einer Wei¬ 
se verschönt wurde, wie dies sonst nicht 
möglich gewesen wäre. So weit haben 
wir über zwei Tausend Exemplare ver¬ 
kauft, und wenn man die Tantiemen in 


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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


Betracht zieht, darf ich wohl sagen, dass 
das Schreiben eines Buches, wie ich es 
getan, fast ebenso gewinnbringend ist 
wie die Tätigkeit eines Chirurgen. 
Wenn es dem Schreiber zugleich ge¬ 
lingt, einige Angaben oder Data mitein- 
fliessen zu lassen, die den Anschein er¬ 
wecken, dass er mehr über das Thema 
weiss, als dies tatsächlich der Fall ist, so 
wird sein Weerk dadurch nur noch zug¬ 
kräftiger werden. Ich brauche nicht zu 
sagen, dass dies in meinem Falle nicht 
zutrifft. 

Die Pneumonie ist also, wie schon er¬ 
wähnt, eine akute Infektionskrankheit. 
Dies habe ich mit besonderem Geschick 
in meinem Buche nachgewiesen. Ich 
habe mehrere Hundert Fälle analysiert 
und gefunden, dass, soweit es die Aetio- 
logie betrifft, die Mehrzahl der- Aerzte 
mit mir übereinstimmt. Sie finden die 
Resultate dieser Untersuchungen in 
meinem Buche auf besonderes chinesi¬ 
sches Papier gedruckt und in ganz aus¬ 
gezeichneter Weise arrangiert, sodass 
man auf einem Blick sehen kann, dass 
die Entstehung der Pneumonie infekti¬ 
öser Natur ist. Ich betrachte dies als 
einen der wertvollsten Abschnitte mei¬ 
nes Buches. 

Ich will nun in ausführlicher Weise 
zu Ihnen über die Symptome der Krank¬ 
heit reden, da es mir nicht möglich war, 
dafür das gesetzliche Verbot des Nach¬ 
drucks zu erhalten. Schmerzen, Husten 
und Fieber gehören zu den vor Nach¬ 
druck gesetzlich nicht geschützten Er¬ 
scheinungen, allein ich bin nicht ganz 
sicher, ob auch der initiale Schüttelfrost 
dazu gehört, da ich einige Besonder¬ 
heiten dabei entdeckt habe, die ich in der 
nächsten Auflage veröffentlichen will, 
sodass ich nicht sehr gut jetzt darüber 
sprechen kann. Allein alle von Ihnen, 
die in der glücklichen Lage sind, ein 
Exemplar meines Buches zu besitzen, 
werden jedes Symptom sorgfältig be¬ 
sprochen, auf spezielles indisches Papier 
gedruckt und so weit angänglich an Pa¬ 
riser Kunstmodellen illustriert finden. 
Es ist dies ein Vorzug, der für das Werk 
die grösste Zugkraft bildet und allein 
den mässigen Preis des Buches auf¬ 
wiegt. 

Es bleibt mir nun nur noch übrig, 
über die Prognose der Pneumonie zu 


sprechen. Ein flüchtiger Blick auf die 
Seiten 418 bis 436 in dem erwähnten 
Werk wird dem Leser zeigen, in welch 
einfacher Weise er die prognostischen 
Zeichen nachschlagen kann. Diese Ta¬ 
belle, auf die ich ganz besonders stolz 
bin, ist auf eine ganz spezielle Papier¬ 
sorte gedruckt, welche eine Verringe¬ 
rung des Umfanges des Buches gestat¬ 
tete. Es nahm mich mehrere Abende, 
die Tabelle zusammenzustellen, und ich 
betrachte dieselbe als einen meiner wert¬ 
vollsten Beiträge zur medizinischen 
Wissenschaft. 

Gestatten Sie mir, dass ich Ihnen 
nochmals danke für Ihr freundliches 
Entgegenkommen, Ihre Aufmerksam¬ 
keit und die Ehre, die Sie mir erwiesen 
haben durch Ihre Einladung, vor Ihnen 
zu sprechen. Zum Schluss möchte ich 
noch bemerken, dass mein Buch mit mei¬ 
nem Porträt als Titelbild geschmückt 
ist, welches ich auf Wunsch mit meinem 
Autogramm versehen werde. (Lauter 
und anhaltender Beifall.) 

Dr. Jingle (halblaut zum Sekre¬ 
tär)' Blödsinniger Vortrag. 

Dr. Tingle, der Sekretär, halblaut 
zum Präsidenten: Unsinn. 

Präsident: Meine Herren ! Sie ha¬ 
ben den erschöpfenden und erstaunungs- 
werten Vortrag des Herrn Dr. P i m - 
p 1 e gehört. Ich ersuche unseren Kol¬ 
legen Dr. Pringle, die Diskussion zu 
eröffnen. 

(Dr. O’Mingle weckt Dr. Prin¬ 
gle mit einem Rippenstoss auf.) 

Dr. Pringle: Herr Präsident und 
meine Herren! Wir können uns Glück 
wünschen, den Vorzug gehabt zu ha¬ 
ben, den glänzenden Ausführungen Dr. 
P i m p 1 e’s zuhören zu dürfen. Es war 
dies in der Tat ein seltener Genuss. Er 
hat das Thema so erschöpfend behan¬ 
delt, dass darüber nur wenig mehr zu 
sagen ist. Sein durchgreifendes Wissen 
über den Gegenstand, seine meisterhafte 
Auffassung des Themas, kurz, sein 
gründliches Beherrschen der Pneumonie 
machen es einem, der weniger Erfah¬ 
rung hierin besitzt, zur Unmöglichkeit, 
auch nur ein Wort beizufügen, das Ihre 
Kenntnis der Krankheit noch bereichern 
könnte. Und dennoch wage ich es, Ihre 
Aufmerksamkeit auf einige meiner eige¬ 
nen Beiträge zur Erkenntnis der Pneu- 


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monie zu lenken, auf einige kurze Mono¬ 
graphien, die für wert erachtet wurden, 
in den Index medicus aufgenommen zu 
werden und die allenthalben zitiert 
wurden. Ich nehme an, dass diese Ar¬ 
beiten den Herrn Präsidenten bestimmt 
haben, mich zur Eröffnung der Diskus¬ 
sion aufzufordem. Zum Schlüsse möch¬ 
te ich betonen, dass ich alles unter¬ 
schreibe, was Dr. Pimple gesagt hat, 
und nochmals wiederholen, dass sein 
Vortrag uns einen grossen Genuss be¬ 
reitet hat. 

Präsident: Die allgemeine Diskus¬ 

sion über den Vortrag ist eröffnet. 

(Langes Schweigen.) 

Dr. Pfeffernuss: Herr Präsi¬ 
dent und meine Herren! Ich erhielt 
meine medizinische Ausbildung in Hei- 
dinghain, wo wir stets gelehrt wurden, 
dass die Pneumonie eine Krankheit, 
aber kein Buch ist. Deshalb- 

Präsident: Ich bitte den Herrn Kol¬ 
legen, die Diskussion auf den Vortrag 
von heute Abend zu beschränken. Die 
Gesellschaft interessiert sich nicht für 
seine medizinische Erziehung. 

Dr. Pfeffernuss setzt sich nie¬ 
der. 

Präsident: Will sich noch einer der 
Herren an der Diskussion beteiligen? 

(Rufe: Dr. O’M i n g 1 e.) 

Dr. O'M i n g 1 e: Herr Präsident 
und meine Herren! Ich hatte nicht die 
Absicht, heute Abend zu sprechen, al¬ 
lein die schmeichelhafte Aufforderung 
der Gesellschaft lässt mir keine Wahl. 
Bis zu einem gewisen Grade habe ich 
mich gefreut — ja, gefreut ist das rich¬ 
tige .Wort — über den Vortrag unseres 
geehrten Gastes. Es ist darin manches 
enthalten, worin ich mit ihm überein¬ 
stimme, und anderes wieder oder vice 
versa, worin ich mit ihm nicht überein¬ 
stimme. Allein dies sind Kleinigkeiten, 
wie die Bücherreferenten sagen, und ich 
möchte keinen Missklang in die Krank¬ 
heit hineinbringen. Wenn wir etwas 
heute Abend gelernt haben, so ist es 
dies, dass Bescheidenheit und ein ge¬ 
wisser Konservatismus von seiten des 
Arztes die entscheidenden Punkte bei 
der Behandlung der Pneumonie bilden. 
Der Verfasser der Arbeit ist zu beglück¬ 
wünschen, und wir alle, ein jeder von 
uns, können uns Glück wünschen, dass 


wir den Vortrag gehört haben, und ich 
selbst möchte der Träger der Glück¬ 
wünsche sein. 

Präsident: Wenn sich niemand mehr 
an der Diskussion beteiligen will, erteile 
ich Herrn Dr. Pimple das Schluss¬ 
wort. 

Dr. Pimple: Meine Herren! Ich 
weiss das Wöhwollen, das Sie meinen 
schwachen Bemühungen entgegenge¬ 
bracht haben, wohl zu schätzen. Ihre 
erschöpfende Diskussion hat wenig zur 
weiteren Besprechung übrig gelassen. 
Immerhin möchte ich auf den ausge¬ 
zeichneten Gedanken des Herrn Dr. 
— ich habe nicht das Vergnügen, ihn 
zu kennen, allein ich glaube, sein Name 
ist P e p p e r u s — zurückkommen. 
Pneumonie ist, um mich exakt auszu¬ 
drücken, wie ich ja auch in meiner Ein¬ 
leitung angedeutet habe, wohl eine 
Krankheit, allein wie kann einer die¬ 
selbe erkennen ohne ein Buch, welches 
ihm hiezu die Anleitung gibt? Es hat 
keinen Zweck, mich auf eine weitere 
Diskussion einzulassen — meine Stel¬ 
lung und Haltung liegt klar zu Tage. 

Zum Schluss, meine Herren, gestatten 
Sie mir, nochmals meiner Genugtuung 
Ausdruck zu geben, dass es mir ver¬ 
gönnt war, heute Abend in Ihrer Mitte 
zu verweilen. Ich werde die angenehm¬ 
sten Erinnerungen an einen vergnügten 
wissenschaftlichen Abend unter ge¬ 
schätzten Kollegen, ich darf wohl sagen 
Freunden, mit mir nehmen. (Anhalten¬ 
der Beifall.) 

Präsident: Ich darf wohl sicher an¬ 
nehmen, dass ich im Sinne der Gesell¬ 
schaft spreche, wenn ich sage, dass wir 
die Liebenswürdigkeit des Herrn Dr. 
Pimple, vor uns zu sprechen, vollauf 
zu schätzen wissen, und dass wir seine 
geniale Gesinnung herzlich erwidern. 
Das nächste auf der Geschäftsordnung 
ist die Vorstellung von Patienten. Lei¬ 
der kann das Programm nicht so einge¬ 
halten werden, wie es gedruckt wurde, 
da Dr. Pennyroval durch seine 
Praxis zu Hause festgehalten wurde — 
er lässt sich jedoch entschuldigen. Um 
zum zweiten Fall zu kommen, erteile ich 
das Wort unserem Mitglied Dr. 
Staple. 

Dr. Staple: Herr Präsident, ge¬ 
ehrter Gast und Mitglieder! Ich modl¬ 


et rigi na I from 

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246 


New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


te Ihnen Kenntnis geben von den Re¬ 
sultaten einer ganz aussergewöhnlichen 
Operation, die Sie, wie ich glaube, eben¬ 
so interessieren wird, wie dies bei mir 
der Fall war. Ein gründliches Durch¬ 
forschen der Literatur hat mich über¬ 
zeugt, dass die Operation, die ich an¬ 
gegeben habe, ganz einzig dastehend 
und originell ist. 

Der Patient J. J., 7 Jahre und 2 Mo¬ 
nate alt, war mir von Dr. Tingle zu 
einer Operation für Wolfsrachen zuge- 
schickt worden. Sorgfältiges Ausfra¬ 
gen brachte die Tatsache zu Tage, dass 
derselbe kongenital war. Meine Beob¬ 
achtungsgabe ermöglichte mir früher 
schon zu bemerken, wie oft und mit wel¬ 
cher Leichtigkeit kleine Kinder die 
grosse Zehe in den Mund stecken. Fast 
mit plötzlicher Gewalt drängte sich mir 
der Gedanke auf, dass, wie die Phalan¬ 
gen als Brücke für eingesunkene Nasen 
benutzt wurden, es möglich sein könnte, 
einen Ersatz für den fehlenden Gau- 
inenteil in der Verwendung der Zehe zu 
finden. Nachdem ich Dr. Tingle die 
Chancen einer derartigen Operation 
auseinandergesetzt hatte, kamen wir 
überein, dass wir in unserem Interesse 
die Familie von den neuen, ausserge¬ 
wöhnlichen und segensreichen Erfolgen, 
die eine zweizeitige Operation haben 
könnte, in Kenntnis setzen sollten. 

Wir Hessen daher den Patienten auf 
meine Abteilung am Pickwick Allge¬ 
meinen Krankenhaus transferieren. Un¬ 
ter leichter Lachgasanästhesie frischte 
ich sorgfältig die Ränder der Gaumen¬ 
spalte an und skarifizierte die Ränder 
der grossen Zehe. Die grosse Zehe 
wurde dann sorgfältig in den Mund des 
Kindes gebracht. Ein Gipsverband ge¬ 
nügte. um Zehe und Kopf des Kindes 
während des Heilungsvorganges, der 
der ersten Operation folgte, zu fixieren. 
Isotonische Salzlösung wurde subkutan 
angewandt zur Stillung des Durstes. 
Nach zehn Tagen wurde der Verband 
entfernt und gefunden, dass primäre 
Vereinigung stattgefunden hatte. Unter 
Aetheranästhsie amputierte ich dann das 
Endglied der grossen Zehe. Glatte 
Heilung. Ich hatte nie zuvor eine er¬ 
folgreichere plastische Operation ausge¬ 
führt. Die einzige Unannehmlichkeit, 
die an dem Kinde beobachtet werden 


konnte, war das Wachstum des Nagels, 
welchen ich leider nicht erst entfernt 
hatte, in dem Glauben, dass die verän¬ 
derte Funktion eine Atrophie infolge 
Nichtgebrauches mit sich bringen wür¬ 
de. Es steht Ihnen frei, den Patienten 
selbst zu untersuchen und zu sehen, 
welch ganz aussergewöhnliches Resultat 
erzielt worden ist. 

Präsident: Der sehr interessante und 
aussergewöhnliche Fall des Herrn Dr. 
Staple steht zur Diskussion. 

Dr. Winkle: Der soeben berichte¬ 
te Fall hat mich sehr interessiert, ob¬ 
wohl ich mich erinnere, dass in den 
Sitzungsberichten der Königl. Gesell¬ 
schaft für Prestidigitateure im Jahre 
1843 oder vielleicht 1844 sich eine An¬ 
deutung an eine Operation findet, die so¬ 
weit ich mich erinnere, in hohem Grade 
vorbildlich ist für die uns heute Abend 
im Detail mitgeteilte. Ebenso erinnert 
mich dies an einen meiner eigenen Fälle, 
der zwar nicht strikt analog, aber doch 
von genügendem Interese ist, um in die¬ 
sem Zusammenhang erwähnt zu werden. 
Wenn ich mich recht erinnere, habe ich 
den Fall vor neun Jahren in dieser Ge¬ 
sellschaft vorgestellt. Der Patient war 
ein Mann von ungefähr 79 Jahren, der 
durch Friedenspredigen seine Stimme 
verloren hatte. Nach vorausgegangener 
Laryngostomie setzten wir eine kleine 
Galtonpfeife ein: Patient war später im¬ 
stande, dieselbe ertönen zu lassen und 
durch lange und kurze Pfiiffe nach dem 
M ors esehen Code konnte er sich un¬ 
behindert mit seinen Freunden unterhal¬ 
ten. 

Dr. Z i n d 1 e : Herr Präsident! Ich 
möchte an Herrn Dr. Staple eine 
Frage richten, falls dies gestattet ist. 
Wie würde der Herr Kollege in ähnli¬ 
chen Fällen verfahren, in welchen zu¬ 
gleich kongenitales Fehlen der grossen 
Zehe besteht? 

Präsident: Irgendwelche weitere Dis¬ 
kussion? Wenn nicht, erteile ich Herrn 
Dr. Staple das Schlusswort. 

Dr. Staple: Herr Präsident, mei¬ 
ne Herren! Ich bin sicherlich Herrn 
Dr. Winkle dankbar dafür, dass er 
meine Aufmerksamkeit auf den zitierten 
Fall gelenkt hat, den ich leider nur im 
Auszug gelesen habe. Was ich jedoch 
davon gelesen habe, hat mich vollkom- 


Qriginal fro-m 

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New Yoixd Medizinische Monatsschrift. 


247 


men überzeugt, dass die beschriebene 
Technik mit der von mir heute Abend 
an gegebenen nichts gemein hat. 

Was die Frage des Herrn Dr. Z i n - 
d I e anbelangt, so kann ich nur sagen, 
dass das einzuschlagende Verfahren 
sich naturgemäss nach der Grösse der 
Spalte und der Beschaffenheit der Te¬ 
stierenden Zehen zu richten hätte. 

Präsident: Damit, meine Herren, 

schliesst das Programm für den heuti¬ 
gen Abend, und ich bin sicher, dass Sie 
alle darin mit mir übereinstimmen, dass 
wir an Wissen und Unternehmungsgeist 
zur Verfolgung unseres hehren Berufes 
gewonnen haben. Bevor ich die Sitz¬ 
ung vertage, will ich die Mitglieder 


daran erinnern, dass einige derselben 
immer noch ihre Beiträge für mehr 
als sechs Jahre nicht bezahlt haben. 
Wenn dieselben vor Schluss dieses Jah¬ 
res nicht bezahlt werden, verlieren diese 
Mitglieder nach unseren Statuten ipso 
facto die Mitgliedschaft. Der Schatz¬ 
meister ist, wie auch sonst, bereit, Bei¬ 
träge von den Mitgliedern entgegenzu¬ 
nehmen. Und nun noch ein Wort: die 
üblichen Erfrischungen werden im an¬ 
stosenden Zimmer serviert werden. 

Die Sitzung wird dann sine die ver¬ 
tagt. 

Dr. P h i 1 e t u s Tingle, Sekretär. 

Dr. Ira S. W i 1 e. 


Therapeutische und klinische Notizen. 


— Zur Dosierung des Styptols. Während 
der letzten fünf Jahre hat G. Foy Gelegen¬ 
heit gehabt, Styptol bei verschiedenen Uterus- 
blutungen zu verschreiben und ist schliesslich 
zu ausserordentlich grossen Dosen überge¬ 
gangen, womit er gute Erfolge erzielte. Er 
verabreichte bis zu 0.6 g, während sonst nur 
0.1 bis 0.15 g gegeben wird. So gab er in ei¬ 
nem Fall 0.6 g alle zwei Stunden, ohne dass 
die geringsten Nebenwirkungen auftraten. Es 
empfiehlt sich, das Mittel in Zwischenräumen 
von 2, 3 oder 4 Stunden, jenach der Lage des 
Falles, zu geben. Autor findet das Präparat 
als Styptikum allen ähnlichen Mitteln über¬ 
legen und weist darauf hin, dass Styptol in 
höheren Dosen zu verordnen ist, als wie bis¬ 
her üblich war. (The Med. Press, 1912.) 

— Zur Behandlung entzündeter H unden. 
Dr. Pflei derer (Ulm) empfiehlt zur Be¬ 
handlung entzündeter Wunden sowie auch 
Furunkeln eine Salbe aus Levirunose (Blaes) 
und Glyzerin. Herstellung: die Levurinose 
wird mit so viel Glyzerin verrieben, bis eine 
dünne Paste entsteht, die später eindickt und 
durch Zusatz von Glyzerin dann wieder we¬ 
niger konsistent gemacht werden kann. Die 
Mischung wird messerrückendick auf Lein¬ 
wand aufgetragen; der Verband zweimal bis 
dreimal täglich erneuert. Beim Verbandwech¬ 
sel örtliches warmes Bad mit Wasser oder 
Kamillenabkochung oder ähnlichem. Durch 
Behandlung der Furunkel nach dieser Me¬ 
thode hat Verfasser seit mehreren Jahren die 


Inzisionen vermeiden können. — Auch Ge¬ 
schwürsflächen mit schlechtem Belag reinigen 
sich meist schnell unter der Lcvurinosepaste. 
(Aerztl. Rundschau 1914.) 

— Behandlung und Prophylaxe des Periton - 
sillarabszesses. Von Dr. L e v i n g e r ( Mün¬ 
chen). Der Ausgangspunkt und Sitz der 
meisten Peritonsillarabszesse ist die Regio 
supratonsillaris. Der Prozess stellt sich fast 
immer zunächst als ein supratonsillärer Ab¬ 
szess dar. In selteneren Fällen verbreitet er 
sich auch paratonsillar, unter der die Fossa 
supratonsillaris nach unten gegen die die ei¬ 
gentliche Tonsille abgrenzende Schleimhaut¬ 
falte. Im weiteren Verlauf kann der Eiter 
die ganze Tonsille lateral umgeben. Die mei¬ 
sten Aerzte pflegen einen peritonsillären Ab¬ 
szess von vorne, durch den vorderen Gaumen¬ 
bogen hindurch, zu inzidieren, entweder stets 
an derselben Stelle, oder dort, wo sich schon 
Fluktuation zeigt. Im ersteren Falle bleibt 
die Inzision oft erfolglos; wartet man die 
sichere Fluktuation ab, so bedingt das. abge¬ 
sehen von der Verlängerung der Schmerzen, 
eine Gefahr der Allgemeininfektion für den 
Patienten. Verfasser empfiehlt deswegen, 
stets sofort operativ vorzugehen, sobald der 
Beginn einer peritonsillären Eiterung sicher 
festgestellt ist. Es gelingt nun, den beginnen¬ 
den Abszess fast immer in der Region ober¬ 
halb der Mandel aufzufinden. Wenn man sich 
aber mit dem üblichen kleinen Schnitt be¬ 
gnügt, tritt häufig Verklebung und Eiterreten- 

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248 


New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


tion ein, was manchmal sogar zu einer weite¬ 
ren Ausbreitung der Abszedierung führt. Des¬ 
wegen soll man nach Verfasser die Oeffnung 
von vornherein so gross anlegen, dass ein 
Verkleben unmöglich ist, und zwar gelingt 
dies nach Verfasser dadurch, dass man den 
oberen Pol der Tonsille extrakapsulär her¬ 
auspräpariert und mit der Kapsel exstirpiert. 
Der ganze Eingriff erfordert nicht viel mehr 
Zeit als eine Inzision, die Blutung ist sehr 
gering, zur Verminderung des Schmerzes ko- 
kainisiert man, oder, noch besser, man infil¬ 


triert den vorderen Gaumenbogen mit lpro- 
zentiger Novokain-Suprareninlösung. Nach 
Exzision des oberen Tonsillenpols — der Ei¬ 
ter beginnt schon während der Operation ab- 
zufliessen — entsteht ein weitklaffender Hohl¬ 
raum, jegliche Drainage ist überflüssig; eine 
Eiterretention ist ausgeschlossen. Die Hei¬ 
lung tritt rasch ein und, wie Verfasser glaubt, 
verhütet die Entfernung des oberen Tonsillar- 
pols auch ein Rczidivieren des Peritonsillar- 
abszesses. ( Münch, med. Wochcnschr. Nr. 23, 
914, Allg. med. Zentral-Ztg.) 


Kleine Mitteilungen. 


— Mit Beginn dieses Jahres ist eine neue 
medizinische Zeitschrift ins Leben getreten, 
The Medical Pickwick , die ausschliesslich der 
humoristischen und menschlichen Seite unse¬ 
res Berufes gewidmet ist. Historische Noti¬ 
zen. kurze Biographien berühmter oder be¬ 
kannter Aerzte, humoristische und satyrische 
Skizzen, passende Gedichte füllen die Spalten, 
die streng wissenschaftlich medizinischen Ar¬ 
tikeln verschlossen sind. Der Arzt sieht so 
viele Schatenseiten des menschlichen Lebens, 
dass die Lektüre einer Zeitschrift, die ihm die 
heitere Seite desselben und die Lichtseite 
seines Berufes näher bringt, nur wohltuend 
wirken kann. Redakteur der, was Pauier. 
Druck und Illustrationen anbclangt, sehr ele¬ 
gant gehaltenen Zeitschrift ist Dr. Samuel 
M. B r i c k n e r, Saranac Lake, X. V.. an 
welchen literarische Beiträge zu senden sind. 
Der Medical Picknick erscheint monatlich: 
Subskriptionspreis für die Vereinigten Staa¬ 
ten $2: Preis für eine Nummer 25 Cents. 
Bestellungen sind an die Medical Pickwick 
Press zu richten. 

— Saratoga Springs. Professor Irving 
Fisher von der Yale Universität hat die 
autoritative Aussage gemacht, dass Nieren¬ 
krankheiten uns jährlich 90,000 Leben kosten. 
Mindestens 70 Prozent dieser Leben könnten 
gerettet oder verlängert werden, falls die An¬ 
zeichen der B r i g h t'schen Krankheit oder 
Albuminurie frühzeitig erkannt würden. Die¬ 
se Erkennung ist nicht schwer, wenn der Pa¬ 
tient sich gründlich untersuchen lässt. Die 
Kur von Dr. Martin H. Fischer für 
angehende Nierenerkrankung mit alkalisch- 
salinischen Mineralwässern eröffnet ein Spe¬ 
zialfeld für Saratoga Springs, denn unter den 
dort vorhandenen Mineralwässern befinden 


sich ideale Quellen für diesen Zweck, sowie 
auch die Karista-Quelle, die das stärkste 
trinkbare Eisenwasser, das man kennt, liefert. 
Die Anwendung von warmen brausenden 
Mineralwasser-Badern bei gleichzeitigem in¬ 
nerlichen Gebrauch von Mineralwasser ist 
von grosser Bedeutung in den späteren Sta¬ 
dien von Nierenkrankheiten, sowie bei Ent¬ 
artung der Herzmuskel und Arteriosklerose, 
Neuritis, Nervenschwäche, Zuckerkrankheit, 
Rheumatismus, Gicht und Arthritis. Fett¬ 
leibigkeit und die Folgen von Ermattung oder 
von wundärztlichen Operationen werden 
durch innerliche und äusserliche Behandlung 
mit Naturwässern fortlaufend erleichtert. 

Die stärkenden Eigenschaften der Luft in 
Saratoga Springs und die Abwesenheit von 
Fabriken oder Lärm verursachenden Maschi¬ 
nen oder Industrien jeglicher Art, verbunden 
mit der ausserordentlichen Trockenheit der 
Atmosphäre, sowie hunderte von schattigen 
Bimmen tragen dazu bei, dass viele gesund¬ 
heitsförderliche Faktoren zusammentreten und 
das Städtchen zu einem ausgezeichneten, ja 
sozusagen idealen Kurort machen, wo man 
Erholung und neue Lebenskräfte erlangen 
kann. 

Saratoga Springs ist leicht zu erreichen. Es 
liegt fünf Stunden von New York City ent¬ 
fernt. fünf und drei viertel Stunden von Bos¬ 
ton und zehn Stunden von Philadelphia. Es 
besitzt ausgezeichnete, nach vielen Richtungen 
laufende Automobilstrassen. 

Die von den Kommissaren der Staatsreser¬ 
vation herausgegebene Broschüre enthält die 
von den meisten nicht mit diesem Kurort 
bekannten Personen gewünschte Auskunft, 
sowie einem von Dr. F e r r i s, dem Direktor 
der Reservation, verfassten Artikel über die 
Kohlendioxyd-Bäder. 

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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


D A T\ C1WC ♦ Emser Kränchen-Brunnen. — Emser Pastillen. — Emser Salz 
♦ zum Gurgeln und Inhalieren an Zerstäubungsapparaten. — KönigL 
Mineralquellen, weltberühmt durch Heilwirkung bei Katarrhen der Nase, des Rachens, 
des Kehlkopfs, der Luftröhren, sowie der Verdauungsorgane. (Hessen-Nassau.) 

D A T\ WTI nTTWr UW ♦ Helenenquelle und Georg-Victorquelle. 

OsWJ W ILI/UllUEll ♦ Diuretisch. (Fürstenthum Waldeck.) 
Unübertroffene Wirkung bei Krankheiten der Hamorgane, Nieren - und Blasenleiden, 
Steinbildung, Harnsäure und Gicht. 


BAD WILDUNGEN: 


BAD SCHWALBACH: 


Stahlbrunnen ( Hessen-Nassau). 
Stärkster Eisensäuerling. 
Anämie, Chlorose, Frauenleiden. 


RHENSER 


Mineralbrunnen, Rhens am Rhein. 

Kohlensaures alkalisch-muriatisches Tafelwasser. 


Aufträge ausgeführt von stets frischem Vorrath, sowie Broschüren und weitere 
Auskunft zu erhalten von dem General-Agenten. 

C. VON DER BRUCK, 


61 PARK PLACE 


NEW YORK 


Telephone, 5894 Barclay 


DR. A. RIPPERGER’S 


X-RAY LABORATORY 


For Diagnosis and Therapy 


616 MADISON AVENUE 
NEW YORK 


Office Hours 9-12 A. M. 
and by appointment 


Telephone 
Plaza 1470 


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Clinical Results with the Phylacogens. 


Under the above caption, Dr. R. W. Locher, Grafton, W. Va., in the 
Memphis Medical Monthly, has this to say: “In judging the therapeu- 
tic value of a new preparation, it is advisable that a great number of 
case reports be considered; and in order that the medical profession may 
have a great number of cases from which to judge, it is the duty of every 
physician to report such results as he may have. The Phylacogens are 
of comparatively recent origin, and yet even at this early date they 
have displayed their ability to produce satisfactory and in some cases 
remarkable results in the treatment of a great variety of pathological 
conditions. . . . 

“We are informed that the Phylacogens are not claimed to be a ‘cure- 
all' in any sense of the word, but simply valuable therapeutic agents in 
the treatment of numerous infectious conditions. From the very fact 
that all but Mixed Infection Phylacogen are to be directed against spe¬ 
cific infections, it is necessary, before employing them, to make an accu- 
rate etiological diagnosis. For obvious reasons one cannot expect to pro¬ 
duce results if Rheumatism Phylacogen is administered in a case that 
is really one of gonorrheal arthritis. Neither will an Osteomyelitis or a 
syphilitic periostitis yield to Rheumatism Phylacogen, but the former 
may be logically treated with Mixed Infection Phylacogen. It would 
seem that this latter Phylacogen will ultimately prove of great value to 
the surgeon in combating post-operative infections, as well as infections 
following injuries of all kinds.” 

The writer then details fourteen case reports, covering a variety of 
diseases, and adds this by way of comment: 

“From the foregoing cases it would be possible to draw numerous 
conclusions. What is especially striking, however, is that the Phyla¬ 
cogen treatment is apparently successful in the vast majority of cases and 
seems to give prompter and more definite results than is possible to se- 
cure with the usual recognized treatments. As a physician’s experience 
increases he finds a greater number of cases in which each of the Phyla¬ 
cogens may be used, with the expectation of great benefit resulting there- 
from. In any event, it must be conceded that Phylacogen in its various 
forms presents great possibilities and must be classed as a therapeutic 
agent which is more than worthy of trial." 


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I* 


Original fro-m 

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JSew Yorker 


JMedizimscbe JVIonateecbrift 


OflUlallM Organ der 

DonkNa imexüifdHi «efeWtoftei der Städte nee Vera, 

Chicago lud Clerefamd. 

Herausgegeben von Dr. ALBERT A. RlPPERGER 
unter Mitwirkung von Dr. A. Herzfeld, Dr. H. G. Klotz und Dr. von Oefele. 


Bd. XXV. 


New York, März 1915. 


Nr. 10. 


Originalarbeiten. 


Die psychische Seite der Syphilis, moderne Syphilis¬ 
lehren und Common Sense.* 

Von Dr. Hermann G. Klotz. New York. 


Ansteckung mit Syphilis bedingt nicht 
notwendigerweise viel körperliches Lei¬ 
den. Am meisten ist es zu erwarten von 
der verhältnismässig seltenen malignen 
Syphilis; unter den früher auftretenden 
Erscheinungen ist wohl die Iritis die 
schmerzhafteste und gefährlichste; mehr 
weniger akute Mund- und Halserkran¬ 
kungen und Periostitis machen vorüber¬ 
gehend Beschwerden, weichen . aber 
meist rasch der Behandlung. Unter den 
tertiären Symptomen können die der 
Haut und der Schleimhäute, sowie 
manche der Knochen, deren Wichtigkeit 
immer durch ihren Sitz bedingt wird, 
längere Zeit ohne schwerere subjektive 
Störungen bestehen, und auch Affek¬ 
tionen wichtiger innerer. .Organe mit 
Ausnahme des Nervensystems können 
vorhanden sein ohne schwerere Folgen. 
Aber von der grossen Mehrzahl der Sy¬ 
philitiker kann . man wohl behaupten, 

■*In englischer Sprache veröffentlich! rhrr New York 
Medical Journal vom 2. Januar 1915 unter dem Titel: 
The ‘ Psychic Aspect ot Syphilis in the Light o*. 
Modern Syphilology and of Common Sense. 


dass sie den ganzen Verlauf der Krank¬ 
heit durchmachen ohne jedwede oder 
jede mehr als vorübergehende Schmer¬ 
zen oder Funktionsstörungen. Dagegen 
ist ein gewisses Mass moralischen und 
geistigen Leidens das Loos der Mehr¬ 
zahl von denen, welche sich ihrer An¬ 
steckung mit Syphilis bewusst sind, 
meist entsprechend der vorhergegange¬ 
nen Entwicklung ihrer moralischen und 
geistigen Erziehung und ihren Begriffen 
von dem Wesen der Kranhkeit selbst. 
Ich habe nicht im Auge und werde nicht 
weiter berücksichtigen die übertriebenen 
Gemütszustände, die wir gemeinlich als 
Syphilophobie bezeichnen, sondern die 
erschütternde Empfindung, welche ganz 
begreiflicherweise, auftritt, , : wenn einem 
Individuum klar wird^ dass, es mit Sy¬ 
philis infiziert worden ist, und die durch 
die Vereinigung verschiedener Umstän¬ 
de nur zu leicht eine recht .tiefgehende 
werden kann. ... 

Betrachtet man die Verhältnisse, wie 
sie im Allgemeinen bis vor wenigen Ja,h- 


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Original ffom 

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250 


New Yoekxe Medizinische Monats scheut. 


ren bestanden, so hatten die meisten 
Leute entweder überhaupt keine Kennt¬ 
nis von der Syphilis oder nur eine höchst 
unklare Idee von ihrem Wesen, die meist 
unzuverlässigem, gewöhnlich in hohem 
Grade übertreibende Hörensagen ent¬ 
stammte und mit Furcht und Schrecken 
erfüllte. Kein Wunder, wenn sich die 
Opfer unerwartet in den Klauen des so 
gefürchteten Feindes fanden, dass sie 
nur zu leicht alle Selbstkontrolle verlo¬ 
ren und der Verzweiflung nahe waren. 
Die Aussicht auf eine langausgedehnte 
Krankheit mit den unvermeidlichen Aus¬ 
gaben, die Gefahr, andere zu infizieren 
und die Verantwortung für die Vermei¬ 
dung derselben, die Notwendigkeit, die 
Ansteckung geheim zu halten teils aus 
Geschäftsrücksichten, teils wegen der 
viel wichtigeren Familienverhältnisse, 
die fortwährende Angst, dass die Symp¬ 
tome der Krankheit dieselbe verraten 
könnten, das unvermeidliche Aufgeben 
mancher lieb gewordener Gewohnheiten 
und geselliger Beziehungen und ähnli¬ 
che Umstände versetzen den Patienten 
in eine Lage, deren Schwierigkeiten un- 
übersteiglich und überwältigend er¬ 
scheinen. Unter solchen Verhältnissen 
hört man wohl das Opfer der Ansteck¬ 
ung von Selbstmord reden; glücklicher¬ 
weise kann ich mich keines Falles erin¬ 
nern, in dem es mir nicht gelungen wäre, 
die Aufregung des Patienten zu be¬ 
schwichtigen, indem ich ihn lehrte, die 
unvermeidlichen Folgen etwas mehr 
philosophisch zu betrachten und sich an¬ 
zuschicken, entschlossen und energisch 
den Kampf gegen die Krankheit aufzu¬ 
nehmen, in dem wir auf den Erfolg un¬ 
serer Behandlung fast mit der Sicher¬ 
heit eines physiologischen Experiments 
rechnen können. Leider machte man 
diese Erfahrung nicht in allen Fällen, 
am häufigsten aber bei denen, welche auf 
einer höheren Bildungsstufe stehen. Die 
ersten Eindrücke der Ansteckung zeigen 
sich bei den verschiedenen Klassen in 
verschiedenem Grade und in verschie¬ 
dener form, bis wir in den tiefsten Ge¬ 
sellschaftsschichten eine tierähnliche In¬ 


differenz finden, aber auch diese selten, 
ohne eine unbestimmte Furcht und Ab¬ 
scheu vor einer von Seiten eines hinter¬ 
listigen Feindes drohenden Gefahr. 

Wenn es dem Arzt gelingt, in ein sol¬ 
ches Verhältnis zu dem Patienten zu 
treten, dass er in einer höheren und 
wichtigeren Stellung als der des blossen 
Verabfolgers von Behandlung erscheint, 
so wird sich die Stimmung des Patien¬ 
ten bald verbessern. Wenn es erlaubt 
wäre, wie bei anderen Krankheiten, na¬ 
mentlich bei Tuberkulose, unsere Patien¬ 
ten an solche Menschen zu verweisen, 
die den gleichen Kampf aufzunehmen 
hatten und mit völlig hergestellter Ge¬ 
sundheit aus demselben hervorgegan¬ 
gen, wenn wir ihnen unsere früheren 
Patienten zeigen könnten, augenschein¬ 
lich vollständig gesund, verantwortliche 
und wichtige Stellungen in Geschäften 
und in öffentlichen Aemtern einnehmend 
und mit Erfolg ausfüllend, im Besitz 
gesunder Frauen und Kinder und im 
Stande, ihr Leben gerade so gut wie an¬ 
dere zu geniessen, welche schwere Last 
könnten wir oft von ihrem Herzen neh¬ 
men. Immerhin, während sie die ver¬ 
schiedenen Stadien der Behandlung 
durchmachen, ohne dass Rückfälle Vor¬ 
kommen, und wenn sie nur hier und da 
durch leichte Erscheinungen an die An¬ 
steckung erinnert werden, so fangen die 
Patienten an, nach und nach eine weni¬ 
ger schwarzgefärbte und düstere An¬ 
sicht von der Krankheit zu gewinnen, 
aber sie werden dem Arzt mit mancher¬ 
lei Fragen kommen wie die folgenden: 
Kann ich je geheilt werden? Kann ich 
mich je verheiraten? Kann ich gesunde 
Kinder bekommen? u.s.w., Fragen, die 
natürlich, entsprechend dem Stand¬ 
punkt und der Erfahrung des Arztes, 
recht verschieden beantwortet werden. 

Die erste dieser Fragen habe ich per¬ 
sönlich direkt zu beantworten vermie¬ 
den, weil ich angenommen habe, dass 
wie bei anderen Infektionskrankheiten, 
der menschliche Körper Mittel und We¬ 
ge besitzt oder zu entwickeln imstande 
ist, vermöge deren er das infizierende 


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251 


Agens erfolgreich zu bekämpfen und 
nach und nach aus dem Körper auszu¬ 
treiben vermag, und zwar in dem beson- 
dem Falle der Syphilis unterstützt 
durch spezifische Behandlung. Daher 
habe ich meinen Patienten einzuprägen 
gesucht, dass sie gewissenhaft und mit 
hinreichender Ausdauer eine methodi¬ 
sche Behandlung durchführen, eine ver¬ 
nünftige Lebensweise führen, die in der 
Hauptsache nichts einschliesst, was nicht 
ebenso ratsam zu befolgen wäre für je¬ 
den Menschen, der seine Gesundheit er¬ 
halten will, so viel als möglich’ allzu 
anstrengende Beschäftigungen zu ver¬ 
meiden, ganz besonders solche, die 
Nachtarbeit erfordern, ferner alle ge¬ 
mütliche Aufregung und Sorge, vor al¬ 
lem Uebermass im Genuss geistiger 
Getränke, Tabak u.s.w., welche ihre 
nachteiligen Wirkungen viel leichter 
und rascher bei dem Syphilitiker ent¬ 
wickeln. Unter solchen Bedingungen 
würden sie die beste Aussicht haben, 
die infizierenden Elemente aus dem Kör¬ 
per zu vertreiben und völliges Wohlbe¬ 
finden und Arbeitsfähigkeit in gleichem 
Masse wie andere Menschen wieder zu 
erlangen und zu erhalten. Jedoch wur¬ 
den sie unverhohlen darauf aufmerksam 
gemacht, dass man ihnen keine absolute 
Versicherung geben könne, dass sie 
nicht das Wiederauftreten dieser oder 
jener Symptome der Krankheit erfahren 
könnten; dass aber auch die späteren, 
sogenannten tertiären Erscheinungen 
nur selten so rasch auftreten, dass sie 
nicht rechtzeitig erkannt würden, um 
erfolgreich einer energischen Behand¬ 
lung unterworfen zu werden. Trotzdem, 
dass man dem Patienten nicht das Ver¬ 
sprechen einer absoluten Heilung geben 
konnte, gelang es doch, ihn von den 
meisten der unglückseligen Schreck¬ 
bilder zu befreien, die ihn verfolgt hat¬ 
ten und eine gewisse innerliche Ruhe 
herzustellen. Wenn dann schliesslich 
die Umstände den Abschluss der Be¬ 
handlung zu rechtfertigen schienen und 
wenigstens ein weiteres Jahr ohne Be¬ 
handlung und ohne Rückfälle vorüber¬ 


gegangen war, war der Patient wohl 
vollständig über seine Angst und 
Furcht hinweggekommen und sah mit 
Vertrauen der Zukunft entgegen. Den¬ 
noch fuhr er wohl fort, auch die klein¬ 
ste Störung mit Argwohn zu beobach¬ 
ten, ganz besonders auch das geringste 
Fleckchen auf der Haut, und zuweilen 
wegen der geringfügigsten Symptome 
zum Arzt zu kommen. Ich möchte hier 
bemerken, dass ich genügend Grund zu 
der Behauptung zu haben glaube, dass 
eine Anzahl von Syphilitikern seit ih¬ 
rer Ansteckung eine wesentliche Ver¬ 
besserung ihres allgemeinen Gesund¬ 
heitszustandes erworben und bewahrt 
haben, wohl weil sie sich willig fanden, 
manche schädliche Gewohnheit aufzu¬ 
geben, welche sie vorher nicht für wich¬ 
tig genug gehalten hatten, um densel¬ 
ben freiwillig zu entsagen, und nun be¬ 
reit waren, ihre Lebensweise mehr in 
Einklang mit den Anforderungen der 
Hygiene und des Gemeinsinns zu brin¬ 
gen. 

. Die Heiratsfrage betreffend, so habe 
ich unter sorgfältiger Erwägung der 
Verhältnisse in dem einzelnen Falle 
manchen Patienten den Rat gegeben, 
nicht zu heiraten, andere habe ich in ih¬ 
rem Entschluss nicht zu heiraten, nicht 
irre gemacht, während ich in anderen 
Fällen, wo die Verheiratung günstigere 
Bedingungen für die Erhaltung der Ge¬ 
sundheit des Patienten zu bieten schien 
ohne Schädigung der Familie, das Hei¬ 
raten eher begünstigt und dazu geraten 
habe, und für gewöhnlich ist nichts vor¬ 
gekommen, das mich meine Entschei¬ 
dung hätte bereuen machen. Nicht un¬ 
gewöhnlich war es, dass noch einmal ein 
Sturm das Gemüt des Patienten in Auf¬ 
ruhr brachte, wenn sich die Zeit für die 
Geburt des ersten Sprösslings nahte; 
gross war die Erleichterung, wenn der 
glückliche Vater berichtete, dass das 
Kind vollständig gesund und ohne ein 
Fleckchen sei. Wenn keine Störung 
oder Veranlassung zu weiterer Behand¬ 
lung auftrat, dann fühlten sich die Pa¬ 
tienten mehr von ihrer Heilung ver- 


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sichert, hörten auf, sich darum zu sor¬ 
gen und brachten es fertig, ihre Syphilis 
zu vergessen, ausser wenn etwa irgend 
eine ungewöhnliche persönliche Empfin¬ 
dung oder eine Krankheit der Kinder, 
ganz besonders wieder eine Hautkrank¬ 
heit, das alte Gespenst wieder aufweck¬ 
te. Auch dann trieb es wohl den Pa¬ 
tienten wieder zu dem vertrauten Bera¬ 
ter, wenn irgend ein ungünstiges Ereig¬ 
nis in dem Zustand irgend eines Be¬ 
kannten auftrat, mit dessen medizini¬ 
scher Geschichte er in zuverlässiger oder 
unzuverlässiger Weise bekannt gewor¬ 
den war. 

Ich habe nicht selten erfahren, dass 
Individuen, die zu einer Zeit Syphilis 
akquiriert hatten und später wegen lo¬ 
kaler Störungen Spezialisten konsultier¬ 
ten, besonders Halsspezialisten, die Yer- 
sicherung erhielten, das ihr Zustand ab¬ 
solut nichts mit der Syphilis zu tun habe, 
trotzdem aber eine Medizin, meist Jod¬ 
kali, verschrieben bekamen, mit der Be¬ 
merkung, das dieselbe eigentlich nicht 
nötig sei, immerhin nichts schaden kön¬ 
ne. Aber oft genug schadet sie doch; 
man muss sich nur vergegenwärtigen, 
dass, nachdem ein Patient unter Enthal¬ 
tung jeglicher Behandlung längere Zeit 
frei von allen Symptomen gewesen ist, 
die Einschaltung jeder auch noch so ge¬ 
ringfügiger spezifischer Behandlung das 
vorher erworbene Gefühl der Sicherheit 
beeinträchtigen oder zerstören wird und 
wenigstens für den Augenblick den Ge¬ 
danken entstehen lässt, dass er doch am 
Ende Erscheinungen der Syphilis würde 
bekommen haben, wenn er nicht diese 
Behandlung erhalten, oder aber, wenn 
er keine Aenderung in dem Zustande 
seiner vielleicht recht unbedeutenden 
Leiden beobachtet, geneigt sein wird, 
denselben grössere Wichtigkeit zuzu¬ 
schreiben oder sie wohl gar für unheil¬ 
bar zu halten. Es ist oft recht schwer, 
nach solcher Erfahrung den früheren 
Zustand des Vertrauens und der Sicher¬ 
heit wiederherzustellen. 

Es blieb also, so lange wir das Aus¬ 
bleiben von Krankheitserscheinungen 


nicht garantieren konnte, unter allen 
Umständen eine Unsicherheit zurück, 
und wie ich es bereits in dem Kapitel 
über die Prognose der Syphilis (in 
M o r r o w’s System of Genito-Urinary 
Diseases, Syphilology and Dermatology. 
1893) ausgesprochen habe, „diese Un¬ 
sicherheit bildete den am meisten stö¬ 
renden und niederdrückenden Zug im 
Bilde der Syphilis; eine Folge unserer 
unvollkommenen Kenntnis von der wah¬ 
ren Natur der Krankheit bleibt diese 
Unsicherheit der Fluch der Syphilis und 
wird es bleiben, bis wir Mittel und We¬ 
ge besitzen werden, ganz zweifellos die 
Gegenwart oder die Abwesenheit des 
Giftes der Syphilis — welcher Natur 
auch dasselbe sein mag — und seine 
Produkte im Körper festzustellen.“ Wir 
hatten also den Einfluss der Syphilis 
auf das Gemüt des Kranken anzuerken¬ 
nen und demselben in der Beratung des¬ 
selben Rechnung zu tragen. Jetzt aber 
finden wir uns angesichts der ungeheuer 
eingreifenden Veränderungen in der 
ganzen sozialen wie wissenschaftlichen 
Atmosphäre der Syphilis, welche in den 
letzten Jahren entstanden sind, und es 
scheint wohl ebenso gerechtfertigt als 
der Mühe wert zu betrachten, welchen 
Einfluss diese Veränderungen auf die 
psychische Seite der Syphilis ausgeübt 
haben und noch ausüben. 

Auf sozialem Gebiete ist der Schleier 
gelüftet worden, den Kurzsichtigkeit, 
irre geleitete Beurteilung und Prüderie 
über die sogenannten venerischen 
Krankheiten und besonders über Syphi¬ 
lis gebreitet hatten, hauptsächlich durch 
die Wirksamkeit von meist von Aerzten 
ausgehenden Gesellschaften wie unsere 
American Society of Moral and Sanita- 
ry Prophylaxis, nachdem man sich über 
die die ganze menschliche Gesellschaft 
bedrohende Gefahr klar geworden war. 
Wie weit die Publizität des Gegenstands 
gegangen, brauchen wir hier nicht wei¬ 
ter zu betrachten. Das einzelne Opfer 
der Syphilis hat daraus hauptsächlich 
den Vorteil gezogen, dass es im Allge¬ 
meinen möglich geworden ist, bessere 


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Kenntnis von der Krankheit und ihren 
Folgen zu erlangen. Nun ist die Sy¬ 
philis sicherlich schlimm genug in ihrer 
Wirklichkeit und muss unter allen Um¬ 
ständen ernst genommen werden, aber 
zur Zeit herrscht die Neigung, die direk¬ 
ten und indirekten Folgen zu über¬ 
schätzen und zu übertreiben, in den dü¬ 
stersten Farbentönen zu malen, ohne der 
mildernden Umstände zu gedenken oder 
sie mehr in den Vordergrund zu brin¬ 
gen, namentlich den Umstand, dass 
Syphilis mehr als irgend eine andere In¬ 
fektionskrankheit spezifischer Behand¬ 
lung und entsprechender Anleitung zu¬ 
gänglich ist. Diese Uebertreibung er¬ 
streckt sich besonders auf den Einfluss 
auf die Nachkommenschaft der Syphili¬ 
tiker und noch mehr auf die Beteiligung 
der zentralen Nervenorgane, insbeson¬ 
dere in der Form von Tabes und Paresis. 
Nach manchen Veröffentlichungen 
möchte man beinahe zu dem Schlüsse 
kommen, dass die grosse Mehrzahl der 
Syphilitiker unfehlbar der Tabes und 
Paresis verfallen sind. Doch konnte 
ein wohlbekannter Neurolog, Dr. L. 
Pierce Clark, sich nicht enthalten, 
gelegentlich einer Diskussion von Vor¬ 
trägen über Syphilis des Nervensystems 
und über Syphilis und Geisteskrankheit 
in der obengenannten Gesellschaft aus¬ 
zusprechen (Social Diseases, IV, p. 173, 
Okt. 1913) : „Ich glaube, wir müssen 
uns in Acht nehmen, dass wir die Tat¬ 
sachen betreffend die der Syphilis zuge¬ 
schriebenen üblen Einflüsse nicht über¬ 
treiben. Diesen Standpunkt im Auge 
habend, möchte ich aussprechen, dass 
eine sehr kleine Zahl der Syphilitiker 
paretisch wird, eine viel grössere Anzahl 
geraten nicht in diesen Zustand.“ Wäh¬ 
rend er eine innige Beziehung der Sy¬ 
philis zum Idiotismus zugibt, fährt er 
fort: „Während Arteriosklerosis ein 

häufiger Begleiter oder Folgezustand 
der Syphilis ist, müssen wir daran den¬ 
ken, dass das Umgekehrte keineswegs 
wahr ist. Eine ganz unbedeutende Zahl 
von Arteriosklerotikern ist wahrschein¬ 
lich syphilitisch.“ Diese Bemerkung 


dürfte sich wohl mit gleicher Berechti¬ 
gung auf Endarteriitis, Endokarditis und 
vielleicht auch auf Aortenaneurysma an¬ 
wenden lassen. Betreffend Tabes und 
Paresis, so wird die Tatsache gemeinlich 
nicht berücksichtigt, dass in der Regel 
Syphilis an und für sich nicht allein die¬ 
se Zustände hervorbringt, sondern nur 
im Verein mit und unter dem Einfluss 
von Ursachen, die meist in moderner 
Zivilisation und ihren Anforderungen 
an Körper und Geist vieler Leute be¬ 
gründet sind, Ursachen, die früher als 
die primären, dominierenden und we¬ 
sentlichen angesehen wurden, jetzt aber 
nur noch als sekundäre Faktoren in Be¬ 
tracht kommen. Es würde praktischer 
und humaner sein, mehr Gewicht auf 
die Möglichkeit der Behandlung zu legen 
und mit grösserem Nachdruck auf die 
Eröffnung von Krankenhäusern für de¬ 
ren Anwendung zu dringen. Der Sy¬ 
philitiker findet also nur wenig Vorteil 
in der grösseren Publizität, auch nicht 
der unschuldig infizierte. Zwar wird 
es anerkannt, dass die Krankheit häu¬ 
fig genug unschuldig erworben wird, 
aber dem einzelnen Opfer wird oft ge¬ 
nug nicht Glauben geschenkt, und es 
bleibt all den Nachteilen unterworfen, 
denen der Syphilitiker überhaupt aus¬ 
gesetzt ist. Hier und da wird ihm 
wenigstens die Notwendigkeit des Ge¬ 
heimhaltens erspart, namentlich in 
der Familie, und er erhält etwas Teil¬ 
nahme, aber in den meisten Fällen 
wird er besser tun. ebenso wie die 
Schuldigen, die Sache so viel wie mög¬ 
lich für sich zu behalten und sich mit 
der teilnehmenden Ermunterung sei¬ 
nes ärztlichen Beraters zu trösten. 

Von viel grösserer Bedeutung als 
die Aenderungen der öffentlichen Mei¬ 
nung sind natürlich die während der 
letzten zehn Jahre auf dem Gebiete 
der Syphilis gemachten Entdeckun¬ 
gen: der Nachweis der Spirochaeta 
pallida als Erreger der Krankheit, die 
Anwendung gewisser Reaktionen des 
Blutserums der Kranken für die Di¬ 
agnose und die Einführung des Sal- 


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Tarsans in die Therapie. Während ich 
diesen Einfluss auf die psychische Sei¬ 
te studierte, war es mir interessant zu 
finden, dass Dr. Bloom in Louis- 
ville, Ky. (Urolog. and Cutan. Review, 
May, 1914), in ähnlicher Weise die 
klinische Seite bearbeitet hatte und 
dass wir in mancher Beziehung zu 
ähnlichen Resultaten gekommen wa¬ 
ren. Von grösstem Interesse für un¬ 
sere Frage ist die Serumreaktion. Der 
Versuch, den Wert der Blutuntersu¬ 
chungen und besonders des am weite¬ 
sten verbreiteten Repräsentanten der¬ 
selben, der Wassermann-Reaktion, für 
die psychische Seite der Syphilis zu 
bestimmen, ist ein etwas komplizier¬ 
tes Problem. Zuerst wurde gelehrt, 
dass eine positive Reaktion bedeute, 
dass der Körper des betreffenden In- 
dividiums zu irgend einer Periode sei¬ 
ner Existenz mit dem aktiven Erreger 
der Syphilis infiziert worden war und 
dass dieser noch nicht vollständig wie 
der eliminiert worden sei. Ohne di¬ 
rekt ausgesprochen zu werden, er¬ 
schien es mehr als ein natürlicher 
Schluss, dass eine negative Reaktion 
die Abwesenheit des Syphiliserregers 
anzeigte. Natürlich stiegen unsere 
Hoffnungen gewaltig, und es schien 
Grund genug vorhanden, zu jubeln, 
dass wir endlich im Stande sein wür- 
. den, unseren Patienten ein klares Ge¬ 
sundheitszeugnis auszustellen. Leider 
sind diese Hoffnungen nicht in vollem 
Masse erfüllt worden, und während 
unter gewissen Verhältnissen und un¬ 
ter Berücksichtigung verschiedener 
anderer Faktoren, namentlich des 
Charakters früherer und gegenwärti¬ 
ger Symptome, eine dauernde negati¬ 
ve Reaktion es in hohem Grade wahr¬ 
scheinlich macht, dass eine definitive 
Heilung eingetreten ist, so ist der Be¬ 
weis nicht absolut. Eine sicherlich 
bestehende Syphilis gibt nicht unter 
allen Umständen eine positive Reak¬ 
tion ; die Erfahrung hat gelehrt, auf 
Grund einer ungeheuren Menge von 
Einzeluntersuchungen bei zweifellos 


mit Syphilis angesteckten Personen, 
dass während des sogenannten Sekun¬ 
därstadiums für gewöhnlich 100 Pro¬ 
zent positiver Reaktionen erhalten 
werden, aber während der tertiären 
und latenten Perioden nur zwischen 
50 und 60 Prozent. Da unter den letz¬ 
teren behandelte und mangelhaft 
oder garnicht behandelte Fälle meist 
nicht getrennt worden sind, so kann 
man wohl ohne Bedenken annehmen, 
dass eine Anzahl der Patienten in den 
späteren Stadien wirklich geheilt wa¬ 
ren. Wenn jedoch, wie es von zahl¬ 
reichen Autoren anerkannt wird, die 
positive Reaktion als ein Symptom 
der Syphilis angesehen werden muss, 
so haben wir keine absolute Versiche¬ 
rung, dass sie nicht ebenso wie man¬ 
che andere Symptome auch nach 10- 
jähriger und längerer Abwesenheit al¬ 
ler Erscheinungen wieder auftreten 
kann sowohl bei Individuen, die zu 
richtiger Zeit mit energischen und als 
ausreichend angesehenen Mitteln be¬ 
handelt, als bei solchen, die nur unge¬ 
nügende oder gar keine Behandlung 
erhalten hatten. Weniger Gewicht 
dürfte darauf zu legen sein, dass nach 
M. W o 1 f f - S t e 11 i n (Urolog. and 
Cutan. Review, Techn. Suppl., Oct., 
1913) in einer 3.6 Prozent betragen¬ 
den Anzahl von Fällen die Probe un¬ 
entschieden ausfällt, teils infolge un¬ 
sicherer Zeichen, teils von Autoinhibi¬ 
tion, ebenso nicht darauf, dass man in 
manchen Fällen, einen negativen Was¬ 
sermann erhält in der Gegenwart un¬ 
verkennbarer sekundärer oder tertiä¬ 
rer Erscheinungen der Syphilis auf 
der Haut, den Schleimhäuten oder 
anderswo. Solche Ausnahmen dienen 
nur zur Bestätigung der Regel, dage¬ 
gen haben einige Autoren, und zwar 
solche mit ausgedehnter persönlicher 
Erfahrung auf dem Gebiete der Se¬ 
rumuntersuchung, bestimmt ausge¬ 
sprochen, dass nach ihrer Ansicht eine 
negative Serumreaktion von keinerlei 
Bedeutung ist, sodass wir eine nega¬ 
tive WR. nicht mit gutem Gewissen 


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ohne weiteres als einen absoluten Be¬ 
weis von Heilung anerkennen dürfen. 

Dagegen können wir wohl die posi¬ 
tive Phase der Serumuntersuchung 
als den sicheren Beweis ansehen, dass 
in dem betreffenden Körper das 
infizierende Agens der Syphilis oder 
seine Produkte in irgend einer Form 
anwesend sind. Die nicht zahlreichen 
Zustände, bei denen mehr weniger re¬ 
gelmässig eine positive Reaktion be¬ 
obachtet worden ist, wie Scharlach, 
Lepra u.s.w., können für gewöhnlich 
auf Grund der klinischen Symptome 
ohne Mühe von Syphilis unterschie¬ 
den werden, wenn nicht unmittelbar, 
so doch nach einiger Beobachtung. 
Dagegen gehen die Ansichten ziem¬ 
lich auseinander inbezug auf die Un¬ 
terscheidung verschiedener Grade der 
Reaktion. So sagt Bloom (1. c.): 
„Angesichts von Berichten von allen 
Teilen der Welt, nach mehr als einer 
Million Untersuchungen des Serums, 
bleibt für.mich die Auslegung einer 
Wassermann-Probe immer noch ein 
Gegenstand sorgfältiger Ueberlegung. 
Nimmt man an, dass vier plus (+ -f- 
+ +) vollständige Sättigung mit kei¬ 
ner Haemolysis bedeutet und dass ein 
plus (+) bis zu 75 Prozent Haemoly¬ 
sis, plus-minus (-]-) aber etwas we¬ 

niger als vollständige Haemolyse dar¬ 
stellt, welche Bedeutung soll man kli¬ 
nisch einem einzigen plus (+) oder 

einem plus-minus (H-) beilegen?“ 

Jessner (Haut- und Geschlechts¬ 
krankheiten, II, 129, 1913) sagt: „Es 
ist nicht gestattet, Schlüsse zu ziehen 
von dem verschiedenen Grade von In¬ 
tensität in der Reaktion auf die Un¬ 
terschiede in der Intensität der 
Krankheit. Erstens ist es soweit nicht 
möglich, die verschiedenen Grade der 
Reaktion mit Sicherheit festzustellen, 
und. zweitens ist es fraglich, inwieweit 
de Intensität der Reaktion derjenigen 
des Standes der Infektion entspricht.“ 
Von anderer Seite ist Einspruch er¬ 
hoben worden gegen jede Klassifika¬ 
tion von verschiedenen Graden von 


plus (+) oder minus (—) mit der 
Forderung, dass ein Bericht entweder 
einfach positiv oder negativ angebe, 
aber zur Zeit werden in den meisten 
Fällen verschiedene Grade von plus 
und minus berichtet. 

Als Hilfsmittel der Diagnose steht die 
Serumreaktion in den frühesten Stadien 
der Infektion nicht zur Verfügung; in 
den ersten vier bis fünf Wochen ist sie 
für gewöhnlich negativ, d. h. solange 
die Spirochaeten noch nicht die allge¬ 
meine Zirkulation erreicht haben und 
keine Bildung von Antikörpern verur¬ 
sachen. Daher ist während dieser Pe¬ 
riode neben den klinischen Symptomen 
nur der Nachweis von Spirochaeten ent¬ 
scheidend für die Diagnose und für die 
Aussicht auf den Erfolg einer Abortiv¬ 
kur. Sobald die Reaktion positiv wird, 
muss diese Aussicht als unsicher ange¬ 
sehen werden; dafür wird die positive 
Reaktion, namentlich wenn die lokalen 
Erscheinungen nicht überzeugend sind 
oder das Auftreten sekundärer Sympto¬ 
me verzögert ist, die Zweifel betreffend 
der Ansteckung beseitigen und mag den 
Patienten vor der so peinlichen Lage 
bewahren, dass er für immer in Unge¬ 
wissheit lebt, ob er wirklich Syphilis 
hatte oder nicht. 

Ist die Diagnose sicher gestellt, so ge¬ 
stattet die WR. bis zu einem gewissen 
Grade — aber immer unter Berücksich¬ 
tigung der klinischen Kennzeichen — 
den Fortschritt der Krankheit und den 
Einfluss der Behandlung zu kontrollie¬ 
ren. Es wird zur Zeit mehr weniger 
allgemein angegeben, dass man routine- 
mässig in jedem Falle sofort das Blut 
untersuchen lasse, gleichviel ob charak¬ 
teristische Symptome anwesend sind 
oder nicht, ebenso von Zeit zu Zeit im 
Verlaufe der Behandlung. Jedoch bei 
ruhiger Ueberlegung muss man wohl zu 
dem Schlüsse kommen, dass die Serum¬ 
prüfung keinem praktischen Zwecke 
dient in Gegenwart von bestimmten se¬ 
kundären oder tertiären Krankheits¬ 
erscheinungen, wie sie, seit die Syphilis 
vor mehr als vier Hundert Jahren allge- 


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mein bekannt geworden ist, völlig ge¬ 
nügend für die Erkennung der Krank¬ 
heit durch ein geübtes Auge gewesen 
sind, namentlich wenn dasselbe auch in 
der Diagnose der Hautkrankheiten hin¬ 
reichend erfahren war. Dies ist auch 
deswegen von grosser Wichtigkeit, weil 
nicht jedes Symptom, das an einem Sy¬ 
philitiker zum Vorschein kommt, not¬ 
wendigerweise von der Syphilis abhän¬ 
gig ist. Trotzdem sagt ganz richtig 
Sloom (1. c. p. 233) : „Es ist merk¬ 
würdig, wie oft sonst ganz intelligente 
Aerzte, wenn sie wissen, dass ein Pa¬ 
tient Syphilis hat, schliessen, dass ir¬ 
gend welche Störung, die auftreten mag, 
notwendigerweise syphilitischen Ur¬ 
sprungs sei. Ekzem bet einem Mann, 
der Syphilis gehabt hat, wird als syphi¬ 
litisch angesehen, und sogar eine Urti¬ 
karia wird für eine Anzeige alter Syphi¬ 
lis angesehen, wenn der Patient je diese 
Krankheit gehabt hat.“ 

Mit nicht weniger Grund kann man 
auch Einspruch erheben gegen die rou- 
tinemässige häufige Wiederholung der 
Serumuntersuchung während der Peri¬ 
ode der aktiven Behandlung, ausgenom¬ 
men diejenigen Fälle, in welchen beson¬ 
ders günstige Umstände Erfolg für eine 
Abortivkur in Aussicht stellen. Sonst 
ist es doch jetzt allgemein angenommen, 
dass, mögen spezifische Symptome vor¬ 
handen sein oder nicht, eine methodi¬ 
sche so weit wie möglich einen bestimm¬ 
ten Plan verfolgende Behandlung über 
einen mehr weniger ausgedehnten Zeit¬ 
raum durchgeführt werden muss, wie 
auch die eingeschaltenen Serumunter¬ 
suchungen ausfallen mögen. Nur wenn 
die Behandlung unter dem angenomme¬ 
nen Plan genügend lange fortgesetzt 
und dann eine mehrmonatliche Pause 
gemacht worden ist, erhält die WR. ih¬ 
ren vollen Wert und ist ihre Anwen¬ 
dung sicherlich gerechtfertigt. Dieser 
Protest gegen die unnötigen Wasser¬ 
mann-Proben vor und während fortge¬ 
setzter Behandlung ist zum Teil veran¬ 
lasst worden durch die nicht unerheb¬ 
lichen Kosten der Behandlung für den 


Patienten. Es ist schon vorher erwähnt 
worden, dass der finanzielle Punkt eine 
wesentliche Rolle spielt bei der Entwick¬ 
lung von Unruhe und Sorge bei dem 
Syphilitiker, namentlich bei den zahlrei¬ 
chen Patienten, welche den sogenannten 
Mittelklassen angehören und die ohne 
grosse Einkommen doch nicht geneigt 
sind, die unentgeltlichen Dienste öffent¬ 
licher oder wohltätiger Einrichtungen 
in Anspruch zu nehmen. Ferner ist 
zu bedenken, dass bei einer gewissen 
Anzahl von Syphilitikern schon das Be¬ 
wusstsein des Krankseins und die unge¬ 
stört fortgesetzte Behandlung die Stim¬ 
mung in hinreichender Spannung erhal¬ 
ten ; bei solchen werden die wiederhol¬ 
ten Untersuchungen mit der unvermeid¬ 
lichen Aufregung während des Wartens 
auf den Bericht, und die Enttäuschung 
und Angst im Falle eines ungünstigen 
Ausfalls nur zu leicht das psychische 
Leiden unnötiger Weise vermehren. 
Schliesslich ist es doch besser, für die 
Gemütsstimmung des Patienten, so lan¬ 
ge er gewissenhaft seine Behandlung 
durchführt, je weniger er an seine un¬ 
angenehme Lage erinnert wird. In ähn¬ 
lichem Sinne hat sich B a g i n s k y aus¬ 
gesprochen in der im Frühjahr 1914 in 
der Berliner Medizinischen Gesellschaft 
stattgehabten Diskussion der Syphilis¬ 
frage. Ein weiterer Punkt ist der, dass 
immer wieder betont wird, dass die 
Wassermann- und andere Serum-Unter¬ 
suchungen nur dann von Wert sind, 
wenn sie in einem wohleingerichteten 
Laboratorium von geübten Arbeitern 
gemacht werden. Nun müssen recht 
viele praktische Aerzte ihre syphiliti¬ 
schen Patienten behandeln, denen solche 
Vorteile nicht zur Verfügung stehen. 
Wollte man unter allen Umständen auf 
der Kontrolle durch die WR. bestehen, 
dann würde man zu verstehen geben, 
dass ein Arzt unter solchen Umständen 
einen Syphilitiker überhaupt nicht be¬ 
handeln dürfte ohne ein Unrecht zu tun. 
Aber für den Patienten selbst, der auf 
den betreffenden Arzt angewiesen ist. 
würde die Aussicht auf Heilung getrübt 


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257 


und dadurch sein psychisches Leiden er¬ 
höht. c 

Es wird zur Zeit ziemlich allgemein 
angenommen und von zahlreichen Auto¬ 
ren darauf bestanden, dass ein positiver 
WR. eo ipso sofortige Einleitung spezi¬ 
fischer Behandlung und Fortsetzung 
derselben verlangt, bis die Reaktion ne¬ 
gativ wird. So lange man es mit offen¬ 
baren Zeichen der Krankheit zu tun hat, 
wird man kaum im Zweifel sein, dass 
man bei der Behandlung beharrt bis die¬ 
selben völlig beseitigt sind. Wenn aber 
dieses Ziel erreicht worden ist, oder 
wenn überhaupt keine anderen Symp¬ 
tome vorhanden ‘waren, muss man sich 
wohl die Frage vorlegen, wie lange denn 
vernünftiger Weise diese therapeuti¬ 
schen Anstrengungen fortgesetzt wer¬ 
den sollen und müssen. Neisser hat 
schon frühzeitig darauf hingewiesen, 
dass namentlich in den späteren Stadien 
der Krankheit es nicht immer möglich 
ist. die Umkehr der positiven Reaktion 
zu der negativen zu erreichen, ganz be¬ 
sonders da, wo die Patienten während 
der frühen Periode der Infektion nur 
ungenügende oder gar keine Behand¬ 
lung erhalten, oder wenn sie längere 
Zeit vor der Untersuchung nicht spezi¬ 
fisch behandelt worden waren. Diese 
Erfahrung ist von einer Anzahl Autoren 
gänzlich ignoriert und von anderen als 
von geringerer Bedeutung hingestellt 
worden. Und doch liegt es auf der 
Hand, dass solche fortgesetzte erfolg¬ 
lose Bemühungen wohl einen beunruhi¬ 
genden und deprimierenden Einfluss auf 
den psychischen Zustand und indirekt 
auch auf das körperliche Befinden aus¬ 
üben. Daher erscheint es recht zeitge- 
mäss und angebracht, wenn C r a i g und 
C o 11 i n s ( Vier Jahre Erfahrung mit 
Salvarsan und Xeosalvarsan in der Be¬ 
handlung auf Syphilis beruhender Ner¬ 
venkrankheiten, Journ, Am. Med. Ass., 
June 20, 1914) sagen: „In unserem En¬ 
thusiasmus in dem Bestreben, die Was¬ 
sermann-Reaktion negativ zu machen, 
müssen wir nicht vergessen, dass wir 
den Patienten behandeln und nicht den 


Zustand seines Serums.“ Mit ganz be¬ 
sonderem Gewicht passt diese Warnung 
auf Fälle von latenter Syphilis, welche 
eine recht schwierige Frage eröffnen. 
Dieselbe Frage ist auch in ganz passen¬ 
der Weise von Bloom (1. c. p. 226 und 
231) berührt worden. Welche Art von 
Behandlung und von welcher Dauer soll 
ein Patient bekommen, der vor 25 Jah¬ 
ren eine mehr weniger gründliche Be¬ 
handlung durchmachte, sich 5 bis 8 Jah¬ 
re danach verheiratete und der Vater 
einer Familie gesunder Kinder wurde 
und sich endlich der Wassermann-Probe 
unterwirft, ohne seit er aus der Behand¬ 
lung entlassen wurde, je klinische Er¬ 
scheinungen von Syphilis gezeigt zu 
haben. Der Befund ist ein einziges 
Plus. Bedeutet dieses eine Plus eine ir¬ 
gendwo in seinem Körper aktive Syphi¬ 
lis, die sich zu irgend einer Zeit durch 
klinische Symptome wieder zu erkennen 
geben mag? Ist dieser Zustand ein ge¬ 
nügender Grund für einen Kursus von 
Behandlung von hinreichend energi¬ 
schem Charakter und von genügender 
Dauer, um einen negativen Wassermann 
hervorzubringen ? Oder bedeutet der¬ 
selbe nur eingekapselte oder harmlose, 
entartete Spirochaeten, die nur die Fä¬ 
higkeit besitzen, Antokörper zu erzeu¬ 
gen und nichts weiter?“ Eine während 
des letzten Sommers gemachte Beobach¬ 
tung soll eine praktische Antwort auf 
diese Frage geben: 

Herr C. K., 47 Jahre alt, Buchhalter, 
bekam Syphilis vor 23 Jahren und wur¬ 
de damals hier und in Aachen von mir 
persönlich bekannt gewesenen kompe¬ 
tenten Aerzten in der Hauptsache mit 
Einreibungen behandelt. Seitdem haben 
sich nie wieder Symptome der Syphilis 
bei ihm gezeigt, er ist seit 18 Jahren ver¬ 
heiratet, hat zwei gesunde Kinder, seine 
Frau ist gesund und er selbst hat sich 
ungestörter Gesundheit erfreut, bis vor 
ungefähr anderthalb Jahren sich ein un¬ 
angenehmes Gefühl von Schwere im 
Unterleib einstellte. Als er zufällig er¬ 
fuhr, dass seine Mutter infolge von Ma¬ 
genkrebs gestorben sei, wurde er sehr 


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258 


New Yorkeb Medizinische Monatsschrift. 


ängstlich, sodass ihn ein Freund behufs 
gründlicher Untersuchung und Beob¬ 
achtung in ein Hospital aufnehmen liess. 
Die Untersuchung zeigte keine wesent¬ 
lichen Störungen irgend welcher Or¬ 
gane : wegen Syphilis befragt, machte er 
der obigen Geschichte entsprechende 
Angaben; der sofort vorgenommene 
Wassermann ergab drei Plus. Nun 
wurde ihm sofort mitgeteilt, dass er in 
der grössten Gefahr schwebe, Tabes 
oder Paresis zu bekommen und auf die 
energischeste Weise behandelt werden 
müsse; er bekam letzten Herbst zwei 
intravenöse Salvarsan-Dosen und 15 
Einspritzungen von salizylsaurem 
Quecksilber. Eine in diesem Frühjahr 
vorgenommene Wassermannprobe wies 
zwei Plus auf, und nun wurde sofort 
wieder die gleiche Kur wie im Spätjahr 
angeordnet, mit der Aussicht, dass die 
Reaktion um ein weiteres Plus vermin¬ 
dert werden möchte. Ehe der Patient 
diese neue Kur antrat, fragte er mich 
um Rat. Auf einen bescheidenen, gegen 
früher verringerten Gehalt angewiesen, 
hat er die Kosten der Behandlung ziem¬ 
lich schwer empfunden. Sein Magen 
hat ihm keine Beschwerden mehr ge¬ 
macht, aber seit er von den drohenden 
Nervenkrankheiten gehört hat, fängt er 
an, allerhand Empfindungen im Rücken 
und namentlich in den untern Extremi¬ 
täten zu vermuten und auch schon zu 
fühlen und ist faktisch zum Neurasthe¬ 
niker geworden: dabei sind Pupillen¬ 
erscheinungen und Sehnenreflexe unge¬ 
stört. Nun tadle ich nicht den behan¬ 
delnden Arzt; er hat genau in Einklang 
mit den herrschenden Ansichten und 
Lehren gedacht und gehandelt, aber ich 
tadle die Lehrer, die den Syphilitiker 
nur vom Standpunkte des Laboratori¬ 
ums ansehen, ohne der psychischen Seite 
und der Bedeutung derselben für das 
Wohlbefinden des Patienten genügend 
Rechnung zu tragen. 

C. K. ist jetzt sicherlich subjek¬ 
tiv und objektiv in einem schlimme¬ 
ren Zustand als vor der Serumunter¬ 
suchung. Ich habe ihm geraten, den 


jetzt vorgeschlägenen zweiten Kurs von 
Behandlung durchzumachen, aber da¬ 
nach jede Serumuntersuchung und Be¬ 
handlung zu vermeiden solange er nicht 
bestimmte Krankheitserscheinungen auf¬ 
zuweisen habe. Und doch fürchte ich, 
dass er nie oder wenigstens auf eine 
Reihe von Jahren hin wieder so zufrie¬ 
den und glücklich sich fühlen wird wie 
vorher und dass er mehr oder weniger 
neurasthenisch bleiben wird. Es ist 
auch zu bedenken, welchen Einfluss es 
auf den Patienten haben würde, wenn 
die WR. keine weitere Verminderung 
des Plus oder, was immerhin möglich, 
gar ein Wiederansteigen zu drei Plus 
ergeben sollte. 

Zur Zeit leben Tausende von Men¬ 
schen unter gleichen oder ähnlichen Be¬ 
dingungen, wie Herr K., ehe man ihn 
wegen seiner Syphilis befragte und die 
WR. erhalten worden war. Sollen oder 
müssen wir alle, die einmal Syphilis be¬ 
kommen haben, aber augenscheinlich 
ganz gesund sind, nach dem Laborato¬ 
rium bringen, um ihr Blut zu untersu¬ 
chen, und wenn ein Plus gefunden wird, 
sie ohne Gnade zu behandeln bis die Re¬ 
aktion sich ändert? oder dürfen wir die 
alte Regel befolgen: „Let well enough 
alone?“ Das erstere Verfahren würde 
allerdings mehr wissenschaftlich und 
dem Zeitgeist entsprechend, das andere 
mehr in Einklang sein mit Gemeinsinn 
(common sense) und mit Rücksicht auf 
menschliches Fühlen. Ich glaube, dass 
man unter gehöriger Berücksichtigung 
aller Umstände in jedem einzelnen Falle 
doch für solche Verhältnisse gewisse all¬ 
gemeine Regeln aufstellen könnte, wie 
z. B.: Wo weniger wie 10 Jahre seit 
der Ansteckung verflossen sind, würde 
ich auch in Abwesenheit auch nur des 
geringsten Symptoms von Syphilis 
nichts einzuwenden haben gegen eine 
Serumuntersuchung oder gegen spezifi¬ 
sche Behandlung im Falle eines positi¬ 
ven Befundes, aber mit dem Vorbehalt, 
dass die Behandlung nicht unbegrenzt 
verlängert werden soll, nur um eine 
Umwandlung der Reaktion zu erzielen. 


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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


259 


Individuen, die vor mehr als 10 Jahren 
infiziert wurden, weenn im Anfang ge¬ 
nügend behandelt, oder wo die Ansteck¬ 
ung 15 Jahre und länger zurückliegt, 
auch wenn ihre Behandlung nicht hin¬ 
reichend kräftig und anhaltend war, 
aber wenn sie seit deem Abschluss der 
Behandlung nie wieder spezifische 
Symptome gezeigt haben, zur Zeit frei 
von solchen sind, besonders wenn sie 
verheiratet sind, gesunde Kinder haben, 
keine Geschichte von Abortus etc. vor¬ 
liegt, und sie mehr oder weniger ver¬ 
gessen haben, dass sie je Syphilis ge¬ 
habt, solche Individuen würde ich 
ganz gehörig in Ruhe lassen und würde 
nicht die Verantwortlichkeit auf mich 
nehmen, diesen Zustand der Ruhe durch 
eine Serumuntersuchung zu zerstören, 
und ich würde entschieden von einer 
solchen abraten, wenn mir die Frage 
direkt vorgelegt würde. Ich würde al¬ 
lerdings streng darauf dringen, wie ich 
es bei allen Patienten vom Beginn der 
Ansteckung an getan habe, dass er oder 
sie eine vernünftig regelmässige Lebens¬ 
weise einhalte, wie sie eigentlich jeder 
tun sollte, der sich seine Gesundheit zu 
erhalten wünscht, insbesondere alles 
Uebermass in Arbeit wie in Erholung 
vermeide, namentlich im Genuss berau¬ 
schender Getränke, Tabak und Ge¬ 
schlechtsgenuss, die, wie ich glaube, ih¬ 
ren schädlichen Einfluss auf den Syphi¬ 
litiker eher und mit grösserer Intensi¬ 
tät äussern. Wo, wie in dem oben be¬ 
sprochenen Falle die Serumuntersu¬ 
chung bereits stattgefunden, würde ich 
es besonders von dem psychischen Ver¬ 
halten des Patienten abhängig machen, 
ob iph raten würde, den Befund völlig 
zu ignorieren oder, wie ich es dort ge¬ 
tan, eine begrenzte Behandlung durch¬ 
zumachen. 

In Gegenwart unzweifelhafter Er¬ 
scheinungen der Krankheit würde ich 
natürlich kräftige Behandlung empfeh¬ 
len, nicht nur mit Jod, bis zum vollstän¬ 
digen Verschwinden der Symptome und 
eine angemessene Zeit darüber hinaus, 
aber nicht ins Unendliche fortgesetzt, 


wenn die Reaktion nicht wesentlich ge¬ 
ändert oder umgekehrt würde. Densel¬ 
ben Plan würde ich auch verfolgen in 
Fällen typischer syphilitischer AfiFek- 
tionen des Nervensystems, aber nicht 
bei Tabes oder Paresis, bei denen neu¬ 
ere intraspinale Methoden so gute Re¬ 
sultate versprechen. Finden sich Er¬ 
scheinungen von zweifelhafter Natur, 
so liefert die Serumuntersuchung doch 
keine Entscheidung und wir müsen uns 
mehr auf die therapeutische Probe ver¬ 
lassen, zumal es doch kaum irgend wel¬ 
che durch die Syphilis verursachte Er¬ 
scheinungen gibt, die nicht durch eine 
energische Behandlungsmethode wenig¬ 
stens vorübergehend günstig beeinflusst 
werden. Nur dürfen wir nicht verges¬ 
sen, dass wir solche Zustände nicht mehr 
beeinflussen können, welche Folgen oder 
das vollendete Produkt der Syphilis dar¬ 
stellen wie gewisse Lähmungen, na¬ 
mentlich nach Apoplexien, Narben, 
Knochenverdickungen etc. 

Noch möchte ich aufmerksam machen 
auf den Wert der Serumuntersuchung 
in Fällen von wirklicher Syphilophobie, 
sowohl bei denen, die wirklich und nach¬ 
weislich infiziert sind, als bei denen, die 
entweder bestimmt niemals infiziert wa¬ 
ren und die, welche im Ungewissen sind 
infolge von Umständen in Zusammen¬ 
hang mit der vermeintlichen Ansteck¬ 
ung, meistens von voreiliger Allgemein¬ 
behandlung. Wer die bedauernswerte 
Lage solcher Individuen hat kennen 
lernen, wird kaum mit N e i s s e rs Vor¬ 
schlag einverstanden sein, spezifische 
Behandlung einzuleiten, auch wenn je¬ 
des entscheidende Zeichen der Syphilis 
fehlt 

Der Nachweis der Spirochaeta pallida 
wird von der grössten Bedeutung für 
den Patienten dadurch, dass schon vor 
dem Auftreten der positiven Wasser¬ 
mann-Reaktion eine bestimmte Diagno¬ 
se möglich wird und damit die Anzeige 
für sofortige Behandlung, denn diese 
verspricht im günstigen Falle eine 
Abortivkur, oder wenigstens eine we¬ 
sentliche Abkürzung der aktiven Perio- 


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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


de der Krankheit und der Behandlung. 
Die sekundären Symptome haben in der 
Regel genügend charakteristische klini¬ 
sche Eigenschaften, sodass es zur Dia¬ 
gnose des Spirochaetennachweises kaum 
bedarf, und bei den tertiären Formen ist 
die Zahl derselben in der Regel so ge¬ 
ring, dass ein negativer Befund nicht 
von grosser Bedeutung ist. Von beson¬ 
derem Interesse ist der Nachweis der 
Spirochaeten in den zentralen Organen 
des Nervensystems bei Paresis und Ta¬ 
bes geworden, der wenigstens vom ätio¬ 
logischen Standpunkt den „Parasyphili¬ 
tischen“ Charakter dieser Zustände eli¬ 
miniert, während dieselben wegen der 
resultierenden anatomischen Gewebs¬ 
veränderungen doch noch eine Klasse 
für sich bilden. Schliesslich it unsere 
Kenntnis der Spirochaeta pallida oder 
des Trepanoma pallidum und seiner Le¬ 
bensgeschichte doch noch eine recht ge¬ 
ringe, namentlich wissen wir nicht, ob 
und wie weit die natürliche Neigung der 
Syphilis in der Form mehrerer auf ein¬ 
ander folgender Ausbrüche von ver¬ 
schiedener Heftigkeit aufzutreten, von 
Phasen in der Entwicklung der Mikro¬ 
ben abhängig ist. Mancherlei Unter¬ 
suchungen auf diesem Gebiete sind zur 
Zeit im Gange und versprechen Aufklä¬ 
rung wichtiger Punkte, namentlich des 
Vorkommens von Stämmen von ver¬ 
schiedener Intensität und verschiedener 
Affinität zu den Geweben des Körpers, 
welche wohl imstande sein würden, die 
Aussichten für den Patienten zu beein¬ 
flussen. 

Nachdem bereits vorher besonderes 
Gewicht darauf gelegt worden ist, dass 
Syphilis weit mehr als die meisten In¬ 
fektionskrankheiten ein günstiges Feld 
für therapeutische Massnahmen darbie¬ 
tet, müssen wir die Einführung des Sal- 
varsans in die Syphilistherapie als die 
wichtigste Bereicherung derselben an- 
sehen. welche bestimmt ist, die Aussich¬ 
ten für den Kranken so viel günstiger 
zti gestalten und sein psychisches Leiden 
zu erleichtern. Salvarsan schien unbe¬ 
dingt y.v gewährleisten, dass es alles er¬ 


füllen würde, was es versprach, daher ist 
es auffällig, dass trotz der ungeheuren 
Menge von Literatur jetzt nach mehr 
als vier Jahren die Ansichten über den 
Wert des Mittels und seine Indikationen 
doch noch ziemlich weit auseinander 
gehen. Verschiedene Umstände sind 
dafür verantwortlich gewesen. Zunächst 
zeigte es sich bald, dass eine „sterilisa- 
tio magna“ vermöge einer einzelnen 
Dose, wie sie an Tieren nachgewiesen 
wurde, beim Menschen nicht erzielt 
werden kann. Diese Enttäuschung er¬ 
schütterte natürlich einigermassen das 
V ertrauen zu dem Mittel. Die Neigung 
mancher Autoren, in ihrem Enthusias¬ 
mus die guten Eigenschaften zu über¬ 
schätzen und Anspruch auf Resultate zu 
machen, welche nicht völlig bestätigt 
werden konnten, und die anderer, die 
bisher üblichen Behandlungen, die durch 
mehrere Jahrhunderte hindurch befrie¬ 
digende Dienste geleistet hatten, her- 
unterzureissen, unbarmherzig zu ver¬ 
dammen und womöglich ganz in die 
Rumpelkammer zu werfen, dienten nicht 
gerade dazu, die Stimmung gegen das 
neue Mittel günstiger zu gestalten, ga¬ 
ben Veranlassung zu einer weniger gün¬ 
stigen Stimmung gegen das neue Mittel, 
welche noch Nahrung erhielt durch eine 
gereizte Kritik jeden Zweifels oder je¬ 
der Meinungsverschiedenheit und eine 
empfindsame Unduldsamkeit gegen je¬ 
den wenn auch auf Tatsachen und 
Gründe gestützten Widerspruch von 
Seiten der Vorkämpfer für das Salvar¬ 
san. Eine im März, April und Mai 1914 
in der Berliner Medizinischen Gesell¬ 
schaft stattgehabte Diskussion wies noch 
ziemliches Auseinandergehen der ' An¬ 
sichten auf betreffs des Wertes des Sal- 
varsans, der Methoden seiner Anwen¬ 
dung und namentlich seiner V erbindung 
mit Quecksilber. Und doch scheint es 
nicht schwer, ein vorurteilsfreies Bild 
von den Vorteilen des Salvarsans zu ent¬ 
werfen. V or dem Erscheinen des Sal¬ 
varsans hatte ich persönlich in der 
Hauptsache keine Ursache gehabt, mit 
den Erfolgen der Ouecksilberbehand- 


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New Yoekek Medizinische Monatsschrift. 


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lung unzufrieden zu sein, wohl deshalb, 
weil ich schon seit 1886 intramuskuläre 
Einspritzungen unlöslicher Salze, na¬ 
mentlich von salizylsaurem Quecksilber 
und Kalomel, welche jetzt nach langem 
Widerspruch, namentlich in den Ver¬ 
einigten Staaten, ziemlich allgemein für 
die wirksamste Methode der Queck¬ 
silberbehandlung angesehen werden, so 
viel wie möglich angewendet und sie 
zur Methode der Wahl gemacht hatte. 
Ebenso wie Bloom habe ich in einer 
ganzen Anzahl von Fällen, bis zu 25 
Jahren nach Abschluss der Behandlung, 
Berichte von negativem Wassermann 
erhalten. Bei Patienten mit tertiären 
Symptomen der Haut, der Schleimhäu¬ 
te, der Knochen, des Hodens etc. habe 
ich in der Regel promptes Verschwin¬ 
den derselben nach energischer Behand¬ 
lung meist nur mit Quecksilber gesehen. 
In Fällen, die nie vorher oder wenig¬ 
stens nicht innerhalb einer Reihe von 
Jahren mit Quecksilber behandelt wor¬ 
den waren, bin ich nicht selten über¬ 
rascht worden durch den beinahe magi¬ 
schen Einfluss der ersten Quecksilber¬ 
einspritzung, ähnlich wie wir sie jetzt 
bei Salvarsan sehen. Unter diesen Um¬ 
ständen habe ich anfangs eine ziemlich 
konservative Stellung gegenüber dem 
Salvarsan eingenommen, aber ich er¬ 
kenne jetzt gern an, dass wir dem Mit¬ 
tel Erfolge verdanken, die wir früher 
vergeblich angestrebt hatten, und die 
uns zu einer günstigeren Ansicht über 
die Heilbarkeit der Syphilis berechtigen 
und die psychische Seite wesentlich 
freundliche** gestalten. 

Die Möglichkeit einer Abortivkur 
während der frühesten Stadien der In¬ 
fektion. d. h. ehe die Spirochaeten die 
allgemeine Zirkulation erreicht haben 
und die Serumreaktion positiv geworden 
ist, ist jetzt durch eine so grosse Zahl 
von Beobachtungen festgestellt, dass 
man wohl auf den Einspruch verzichten 
muss, dass eigentlich noch nicht genü¬ 
gend lange Zeit verstrichen ist, um die 
Möglichkeit des Wiederauftretens von 
Symptomen absolut auszuschliessen. 


Xächstdem ist von der grössten Wich¬ 
tigkeit die auffällige Wirkung des Sal- 
varsans in Fällen von maligner Syphilis, 
denen wir früher beinahe hilflos gegen¬ 
über standen, ebenso in den verhältnis¬ 
mässig doch recht seltenen Fällen, in 
denen Quecksilber und Jod absolut nicht 
vertragen werden oder in denen diese 
Mittel entweder von Anfang an oder 
nach längerem Gebrauch die sonst übli¬ 
che Wirkung versagen. Diese Umge¬ 
staltung der Aussicht in solchen Fällen, 
die uns sonst in die grösste Verlegenheit 
setzten, würde allein genügenden Grund 
abgeben, das Mittel hoch zu preisen und 
demselben Dank zu erweisen. Ein wei¬ 
terer Vorteil ist sein Einfluss auf anä¬ 
mische und kachektische Zustände bei 
Syphilitikern; es ist wunderbar, wie die¬ 
selben an Gewicht zunehmen und objek¬ 
tive und subjektive Verbesserungen des 
Allgemeinbefindens aufweisen. Bei Ta¬ 
bes und Paresis versprechen die neueren 
Methoden der Salvarsanbehandlung, 
wenn auch zur Zeit noch im Probesta¬ 
dium, Besserung der Symptome und 
Auf halten des Prozesses. Weniger auf¬ 
fällig sind die Erfolge mit Salvarsan in 
der sekundären und tertiären Periode 
derjenigen Fälle, die man vielleicht als 
normale bezeichnen kann, sodass eine 
grose Anzahl von Syphilologen entschie¬ 
den für die Kombination mit Queck¬ 
silbereinspritzungen oder Inunktionen 
eintreten. In vielen Fällen werden aller¬ 
dings alle Arten von Krankheitserschei¬ 
nungen günstig beeinflusst, ganz beson¬ 
ders die der Schleimhäute, während an¬ 
dere gar keine oder nur geringe Besse¬ 
rung zeigen. So leisten die harte 
Schwellung mancher Primäraffekte, in¬ 
dolent vergrösserte Lymphdrüsen, man¬ 
che Svphilide, besonders papilläre und 
manche andere Symptome nicht selten 
dem Salvarsan Widerstand, um rasch 
auf Quecksilber zu verschwinden. Be¬ 
treffend die Erkrankungen der Sinnes¬ 
und der Nervenorgane gehen die An¬ 
sichten der Spezialisten ziemlich weit 
auseinander, jedoch mit deutlicher Be¬ 
vorzugung der älteren Behandlung mit 


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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


Quecksilber und Jod. Dagegen wieder¬ 
um zeigen einige sonst ausserordentlich 
hartnäckige Störungen, wie das schup¬ 
pende Syphilid der Hohlhand und die 
Leukoplakie, meist grosse Besserung 
unter Salvarsan, während bei Hautge¬ 
schwüren die Kombination beider Me¬ 
thoden angezeigt ist. Rückfälle treten 
bei blosser Salvarsanbehandlung eher 
früher und zahlreicher auf. 

Trotz aller Vorteile, die das Salvarsan 
bietet, darf man doch nicht übersehen, 
dass auch unter der mildesten Ausle¬ 
gung der seine Anwendung begleiten¬ 
den üblen Zufälle und Todesfälle die 
Tatsache feststeht, dass es nicht frei von 
Gefahr ist und dass es nur mit der 
grössten Vorsicht angewandt werden soll. 
Diese Frage ist so viel behandelt wor¬ 
den, dass es hier genügt, sie zu erwäh¬ 
nen und zu erklären, dass diese Nach¬ 
teile nicht genügend sind, um den Ge¬ 
brauch des Mittels zu verbieten. Dage¬ 
gen ist Salvarsan mit Ausnahme der 
Abortivbehandlung in dem Frühstadium 
der Syphilis, für welche leider nur eine 
geringe Anzahl von Fällen Gelegenheit 
darbieten, und der malignen und Intole¬ 
ranz gegen Quecksilber zeigenden Fälle 
nicht unentbehrlich noch unfehlbar. 
Ferner in Anbetracht der langjährigen 
und keineswegs so unbefriedigenden Er¬ 
fahrung bis zum Anfang des gegenwär¬ 
tigen Jahrhunderts ist nicht einzusehen, 
warum nicht auch jetzt noch Patienten, 
allerdings in energischer Weise, mit 
Quecksilber allein oder in Verbindung 
mit Jod behandelt werden dürften, so¬ 
lange die Krankheit günstig verläuft, 
und man dann zum Salvarsan greift, 
wenn die ältere Methode im Stich lässt. 
Einige Autoren bestehen darauf, dass 
die einzige Rettung für den Syphilitiker 
im Salvarsan liege; einzelne gehen so 
weit, dass sie es für tadelnswert oder 
gar für ein Verbrechen erklären, einen 
Syphilitiker ohne Salvarsan zu behan¬ 
deln. Nun gibt es eine nicht unbeträcht¬ 
liche Anzahl von Patienten, welche we¬ 
gen organischer Störungen oder ihres 
allgemeinen Gesundheitszustandes ent¬ 


weder gänzlich oder wenigstens auf in¬ 
travenöse Anwendung des Salvarsans 
verzichten müssen. Andere werden 
durch finanzielle oder soziale Verhält¬ 
nisse verhindert; wieder andere wohnen 
zu weit entfernt von kompetenten Aerz- 
ten, zumal wenn immer und immer wie¬ 
der betont wird, dass die Anwendung 
des Salvarsans nur unter Beobachtung 
der peinlichsten Vorsichtsmassregeln 
stattfinden soll. Würden diese Behaup¬ 
tungen von der alleinigen Heilwirkung 
des Salvarsans als wohl begründet an¬ 
erkannt, so würde allen diesen Kranken 
jede Hoffnung auf Heilung abgeschnit¬ 
ten, ganz gewiss sehr zum Nachteil ihrer 
Gemütsstimmung, und alle die Tausen¬ 
de, welche vor der Einführung des Sal¬ 
varsans ihre Behandlung durchgemacht 
und sich als geheilt angesehen haben, 
müssten ohne Weiteres als ungeheilt an¬ 
gesehen werden. Und was werden jene 
Salvarsanenthusiasten ihren Patienten 
sagen, wie werden sie dieselben beruhi¬ 
gen, wenn die Zufuhr von Salvarsan 
aufhört, wie wohl unter augenblickli¬ 
chen Verhältnissen keineswegs unwahr¬ 
scheinlich ? 

Schlusssätze: 

1. Syphilis ist geneigt, die Gemüts¬ 
stimmung des Patienten mehr oder we¬ 
niger aus dem Gleichgewicht zu brin¬ 
gen. 

2. Die Entdeckung der Spirochaeta 
pallida als infizierendes Agens der Sy¬ 
philis, die Einführung des Salvarsans in 
die Therapie und der Serumunter¬ 
suchungen in die Beurteilung der Krank¬ 
heit haben die Prognose der Syphilis 
wesentlich günstiger gestaltet, nament¬ 
lich mit Rücksicht auf die psychische 
Seite. 

3. Unter dem gegenwärtigen Zu¬ 
stand unserer Kenntnisse macht die ne¬ 
gative Serumreaktion unter gewissen 
Bedingungen die Heilung des Patienten 
in hohem Grade wahrscheinlich, aber 
nicht absolut sicher. 

4. Unter manchen Umständen, na¬ 
mentlich bei älterer, sogenannter laten- 


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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


263 


ter Syphilis kann die Serumuntersu¬ 
chung' leicht mehr Schaden als Nutzen 
anrichten und sollte seine Anwendung 
den Regeln des praktischen Gemein¬ 
sinns (common sense) unterworfen 
werden. 

5. Dem psychischen Einfluss der Sy¬ 
philis soll genügend Rechnung getragen 
werden, namentlich so lange noch die 


geringste Unsicherheit betreffend der 
definitiven Heilung besteht, und soll 
sich der Patient nicht allein auf das La¬ 
boratorium verlassen, sondern in erster 
Linie auf den Rat und die Teilnahme 
des Arztes, der die klinischen Symptome 
sorgfältig überwacht und das Selbstver¬ 
trauen des Patienten zu befestigen ver¬ 
steht. 


Ueber Magenresorption. 

Von Dk. Armbruster, Schweinheim. 


Bei diesen Ausführungen seien zu¬ 
nächst die Gestalt des Magens, sodann 
seine Muskulatur, fernere seine die Re¬ 
sorption vorbereitenden Schleimhaut¬ 
drüsen, weiter seine Gefässe und Ner¬ 
ven, sowie seine Klappe ins Auge ge¬ 
fasst. Was die Gestalt des Magens be¬ 
trifft, so sei hier hervorgehoben, dass 
der Pylorus verhältnismässig hoch steht, 
was längerem Verweilen der Speisen in 
diesem Organ günstig ist, sodann, dass 
sich der Magen gegen den Pylorus hin 
verengert. Auch ist eine seichte Ein¬ 
schnürung der grossen Kurvatur zu er¬ 
wähnen, von wo aus der betreiffende 
Raum gegen den Magenausgang zu, 
Antrum pylori genannt, wenden kann. 
Beim horizontal gehenden Hunde mit 
seinen vier Beinen ist diese Einschnü¬ 
rung weit stärker wie beim Menschen 
ausgeprägt. Die Muskulatur besteht 
aus einer äusseren Längsfaserschicht 
und einer inneren Ringfaserschicht. 
Die äussere Schicht zeigt sich besonders 
an den beiden Kurvaturen und an der 
Pars pylorica. Die Schleimhaut mit ih¬ 
ren Drüsen überzieht das Mageninnere. 
Die Drüsen haben am Volumen der 
Schleimhaut den wesentlichsten Anteil. 
Sie gehören den schlauchförmigen an, 
stehen dicht bei einander und sind teils 
einfach, teils zusammengesetzt. Von den 
sehr reichen Blut- und Lymphgefässen 
sei zunächst hervorgehoben, dass die 

•Aus D. m. Presse, 1915. Nr. 5. 


Venen dem Pfortaderkreislauf zugehö¬ 
ren. Ferner sei erwähnt, dass die Ar- 
teria coeliaca Magen, Milz, Leber, Duo¬ 
denum und Bauchspeicheldrüse mit ih¬ 
ren Aesten versorgt. Von den Magen¬ 
nerven sind am meisten die Vagi, weni¬ 
ger der Sympathicus bekannt. Auch 
selbsttätige Ganglienzellen dürfte viel¬ 
leicht seine Wandung besitzen. 

Physiologisch sei zunächst erwähnt, 
dass entsprechend der Anordnung der 
Längsmuskulatur eine verstärkte Pe¬ 
ristaltik geegn den Pylorus zu besteht, 
ferner, dass auch normaler Weise umge¬ 
kehrte Wellen beim Magen Vorkommen, 
endlich der Magensaft mit seinen Fer¬ 
menten, welche er selbstständig bildet, 
und mit seinem Sekrete, der giftigen 
Salzsäure. Sie dienen der Verdauung 
von Eiweiss vor allem, sodann von 
Kohlehydraten, wobei auch das Ptyalin 
des Mundspeichels mithilft. Auch Fet¬ 
te werden im Magen schon hydrolytisch 
gespalten, ebenso werden Leim- und 
leimgebendes Gewebe aufgelöst, nicht 
dagegen Keratin, welches auch wahr¬ 
scheinlich in gesunden Tagen die Re¬ 
sistenz seines eiweissreichen Epithels 
neben dem alkalischen Blut erzeugt und 
vor Selbstverdauung schützt. Von Fer¬ 
menten produziert der Magensaft Pep¬ 
sin, das Eiweiss und Leim verdaut, so¬ 
dann das Labferment, einen Milch koa¬ 
gulierenden Körper, endlich das Hom- 
marsten’sche Ferment, für Kohlehydra- 


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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


te von Einfluss. Die Salzsäure ist vor 
allem für Eiweiss und Leim wichtig. 
Weiter sei über Innervation hervorge¬ 
hoben, dass Reizung der Vagi Magen¬ 
kontraktionen hervorruft und Durch¬ 
schneidung derselben die Fortbewegung 
der Speisen aus dem Magen erheblich 
beeinträchtigt. Noch sei darauf hinge¬ 
wiesen, dass infolge der Salzsäure und 
Fermente die Speisen im Magen zuerst 
Chymus genannt werden.' 

Nach dieser anatomischen und physi¬ 
ologischen Einleitung zum eigentlichen 
Thema! Der Aufsaugung dienen im 
Magendarmkanal die Blut- und Lymph- 
gefässe. Bei den Lymphgefässen wird 
angenommen, dass sie nur sogenannte 
diffundierfähige Stoffe wie Wasser, 
Salze, Zucker, Glyzerin, Seifen, Pep¬ 
tone durch poröse Membranen, die den 
Zellen, wie den Kapillarwänden wohl zu 
eigen sind, resorbieren, worauf später 
noch ausführlicher zurückgekommen 
wird. Die Aufsaugung der Lymph- 
oder Chylusgefässe ist dagegen sicher 
auch für starke Kolloide wie Eiweiss, 
und für unlösliche, aber fein verteilte 
Stoffe wie Fettemulsion, möglich, wel¬ 
che der Ductus thoracicus reichlich auf¬ 
weicht. Bei den Darmzotten erkennt 
man unschwer diese Chylusgefässe, die 
von longitudinalen glatten Muskelfasern 
mit Kontraktionen, an denen auch die 
Zotten selbst teilnehmen, begleitet sind. 
Wäre keine Kontraktion dieser Chylus¬ 
gefässe mit der Resorption des Darmes 
verbunden, so dürfte die Lymphe sich 
teilweise in den Darm ergiessen; so 
werden aber durch diese Zusammenzie¬ 
hung mit ihrem Abfluss in entgegenge- 
etzter Richtung vom Darmlumen die 
Chylusgefässe neben anderm von Flüs¬ 
sigkeit befreit und lösen alsdann als Ka- 
pillargefässe um so intensiver Darmre¬ 
sorption aus. Von den analogen Ver¬ 
hältnissen beim Magen sei später noch 
ausführlicher die Rede. 

Die Magenwand resorbiert wohl in 
gesunden Tagen eigentlich nur Flüssig¬ 
keit mit entsprechend verdünnten Lö¬ 
sungen und diese bei nicht erhöhter 


Temperatur nur langsam. Nach exak¬ 
ten Beobachtungen saugt sie am schnell¬ 
sten warme Flüssigkeit auf. Reichlich 
kaltes Wasser dagegen öffnet rasch die 
Pylorusklappe und stürzt in den Darm. 
Das ungleiche Verhalten des Magens 
für verschieden erwärmte Flüssigkeiten 
ist von hohem Vorteil. Warmes Was¬ 
ser ist ungleich weniger in der Regel 
giftig wie kaltes, was bei den Speisen, 
wie bei dem Nachtschattengewächs der 
Kartoffel, am besten bekannt ist. Aber 
dass bei allen Temperaturen trotzdem 
die Magenresorption verhältnismässig 
langsam ist, kann man bei Kurarever¬ 
giftung sehen, wo das Blut vielfach gar- 
nicht zu einem wirksamen Giftgehalt 
gelangt, da die Nierenausscheidung stär¬ 
ker ist. Die langsame und deshalb auch 
zumeist spärliche Resorption -im Magen 
ergibt sich auch daraus, dass das Was¬ 
ser vorzüglich durch den Dickdarm re¬ 
sorbiert wird, nachdem der Speisebrei 
den langen Dünndann passiert hat, 
ebenso daraus, dass die Magensäfte nur 
teilweise trotz des langen Verweilens 
der Speisen darin das Verdaute für Re¬ 
sorption fähig machen und das Weitere 
die Darmsäfte zu besorgen haben. 

Nebenbei bemerkt, zeigt sich aus den 
folgenden sechs Punkten, dass der Ma¬ 
gen für ein langes Verweilen des Giy- 
mus, also für eine sehr langsame Ver¬ 
dauung, eingerichtet ist. Dafür spricht 
1) die Tiefe der grossen Kurvatur im 
Hinblick auf den Magenausgang, 2) die 
ungleiche Anordnung seiner Längsmus¬ 
kulatur, 3) seine normalen umgekehrten 
Wellen, 4) die Gerinnung der Milch 
durch das Labferment. 5) die Pylorus¬ 
klappe, 6) die Herabsetzung der Chy- 
mustemperatur, wie später bewiesen 
wird. Bezüglich des Labfermentes ist 
zu bemerken, dass die dadurch bewirkte 
Gerinnung der Milch für die kindliche 
Ernährung von hoher Bedeutung ist. 
Beim Kinde der ersten Lebensmonate, 
wo Magen- und Darmsaft stärker wir¬ 
ken, wird diese Gerinnung samt der 
Magensäure oft so erheblich, dass es 
Erbrechen gibt, was durch zeitweiliges 


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265 


Einnehmen von Natrium bicarbonicum 
dann rasch gehoben wird. Wahrschein¬ 
lich vermindert die allmählich grösser 
gewordene Magenhöhle sowohl die In¬ 
tensität des Magensaftes als auch viel¬ 
leicht wegen schwächer werdenden lon¬ 
gitudinaler Muskulatur den Brechreiz 
beim Erwachsenen. 

Bezüglich der Pylorusklappe seien 
hier ausserhalb des Themas folgende 
Erörterungen unternommen. Die Py- 
lorusklappe wird geöffnet: 1) durch Her¬ 
absetzung der Chymustemperatur wäh¬ 
rend der Verdauung, 2) durch den 
Sphincter antri, der das schon eingangs 
erwähnte Antrum pylori etwas abschnii- 
rend umgrenzt, 3) durch Nerventätig¬ 
keit, wie namentlich Versuche am Va¬ 
gus beweisen. 

Die erwähnte Herabsetzung der Chy- 
muswärme erfolgt deshalb, weil die 
Temperatur des Speisebreies durch den 
Wärmeverbrauch infolge der Verdau¬ 
ung sinkt, in zwei bis drei Stunden um 
0.2 bis 0.6 Prozent. Daher befördern 
auch warme Umschläge die Verdauung. 
Durch diese Herabsetzung der Chymus- 
wärme wird dann teilweise von Zeit zu 
Zeit die Pylorusklappe geöffnet. Da die 
Speisen zwei bis drei Stunden im Ma¬ 
gen verweilen, so hat die Natur dafür 
gesorgt, dass infolge reflektorischer An¬ 
regung durch die Magennerven erst 
nach Ablauf von diesen zwei bis drei 
Stunden nach Einführung der Speisen 
eine intensivere Pankreassekretion ein- 
tritt. 

Wie schon erwähnt, resorbiert wohl 
der Magen in gesunden Tagen durch 
seine venösen Blutgefässe so gut wie 
ausschliesslich Flüssigkeiten mit ent¬ 
sprechenden Lösungen. Die Lymphge- 
fässe sind bei ihm hier ziemlich untätig, 
wenigstens für direkte Resorption. In¬ 
direkt bekommen sie allerdings rasch 
das Resorbierte von den Blutgefässen, 
die. wie das Oedem in kranken Tagen 
beweist, mit der Lymphe in ausgedehn¬ 
ter Beziehung stehen. Wenn auch nicht 
die vorzüglichen Zottenkontraktionen 
wie im Darm für die Lymphgefässe des 


Magens bestehen, so kann trotzdem in 
kranken Tagen teilweise durch vasomo¬ 
torische Nerven an eine direkte Resorp¬ 
tion der Lymphgefässe gedacht werden. 
Die ausgedehntere Resorption erklärt 
sich dann gleichzeitig durch eine infolge 
der Krankheit bedingten Abnahme des 
arteriellen Blutdruckes in den entspre¬ 
chenden Magenkapillaren und dadurch 
Zunahme der venösen Blutaufsaugung. 
Solche Affektionen sind Albuminurien, 
Diabetes mellitus, Lungentuberkulose 
mit ihrem starken Fett verbrauch. Auch 
Anämie kann hierher gehechnet werden. 

Es fragt sich ferner, ob weitere Kräf¬ 
te vorhanden sind, welche eine Magen¬ 
resorption für die Lymphbahnen direkt 
ausliefern können. Die Magenperistal¬ 
tik dürfte wie auch beim Darm — und 
zwar beim Magen mit seinen normalen 
rückläufigen Wellen erhöht — solche 
Resorptionskräfte erzeugen. Durch die 
Peristaltik nämlich mit ihrem Wellen¬ 
berg und Wellental wird jeweils beim 
Wellental durch Verkürzung der 
Lymphgefässe und durch die dadurch 
entstehende Einwirkung ihres Lumens 
die Kapillarattraktion aufgehoben, und 
der Inhalt der Kapillarröhrchen ergiesst 
sich in den Lymphstrom. Von früheren 
einschlägigen Erörterungen abgesehen, 
mögen diese Kapillarröhrchen eine ähn¬ 
liche Beschaffenheit haben wie die Harn¬ 
röhre gegen die Blase zu, die nur Urin 
herauslässt, aber normaler Weise keine 
Flüssigkeit von aussen einzudringen ge¬ 
stattet. Bei der weiblichen Vagina ist 
es noch eklatanter, z. B. beim Baden der 
Fall. Aber auch eine Saugbewegung 
wird durch die Peristaltik zugunsten 
der Resorption ausgelöst, an der vor 
allem die Blutgefässe, ebenfalls auch 
die Lymphgefässe beteiligt sind. Beim 
Wellenberg entsteht leerer Raum, was 
von diesen beiden Seiten ein Saugen 
und damit Resorption, vor allem zu¬ 
nächst Kapillarattraktion, auslöst. Die 
Bewegung von Blut und Lymphe er¬ 
zeugt mit diese Aufsaugung, der Chy- 
musdruck unterstützt sie. 

Vermöge seiner physiologischen Tä- 


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tigkeit, die mehr der Verdauung als der 
Resorption dient, hat der Magen auch 
hemmende Kräfte gegen Resorption. 
Sie sind mechanischer und thermischer 
Art. Die senkartige Ausbuchtung des 
Magens verhindert vor allem einen 
Druck seiner Wand bei der Peristaltik 
auf den Chymus zu Gunsten der Resorp¬ 
tion, wie wir dies bei dem zylinderischen 
Darm sehen, wobei sich noch der Dünn¬ 
darm nach unten zu verengert. Auch 
ein Gasdruck, der den Chymusdruck für 
Aufsaugung unterstützt, wird in gesun¬ 
den Tagen beim Magen vermieden, in¬ 
dem Magengase durch die Kardia ent¬ 
weichen; in kranken Tagen rufen Gase 
gern eine Magenparalyse hervor, die bei 
Kindern und geschwächten Personen 
rasch tötlich wirkt. Bei den hemmen¬ 
den Kräften thermischer Art sei darauf 
hingewiesen, dass zunehmende Abküh¬ 
lung der Chymusflüssigkeit, wie dies 
während der Verdauung der Fall ist, die 
Magenresorption durch die Tätigkeit 
der Vasokonstriktoren hemmt. 

Bedenkt man, dass das genossene Ei¬ 
weis vor der Assimilation ein Gift ist, 
dass eine Reihe von Nahrungsmitteln, 
z. B. wie schon hervorgehoben die Kar¬ 
toffeln, ungekocht zum Teil verhältnis¬ 
mässig hohe Dosen an Gift besitzen, so 
sind die hemmenden Kräfte für eine un¬ 
eingeschränkte Magenresorption ohne 
weiteres verständlich, daher auch die 
schon erwähnte Erscheinung bei Kurare. 
Bei Eiweiss ist eben noch der alkalische 
Darmsaft nötig, um die Verdauung voll¬ 
ständiger für die Assimilation zu 
machen. 

Beim Dünndarm bietet, wie hier ab¬ 
sichtlich vollständiger, zum Teil wieder¬ 
holend, hervorgehoben werden soll, an 
den Epithelzellen die freie Oberfläche 
eine kutikulare Verdickung, welche, von 
der Seite betrachtet, saumartig sich dar¬ 
stellt. Dieser Saum ist von feinen Li¬ 
nien senkrecht durchsetzt, die man als 
Porenkanäle deutet. Das zuweilen dar¬ 
stellbare Zerfallen der verdickten Platte 
in feine, parallel angeordnete Stäbchen, 
spricht gleichfalls für das Bestehen einer 


senkrechten Differenzierung. Zwischen 
diesen, auch die Zotten überziehenden 
Epithelzellen mit Kutikularplatten fin¬ 
den sich einzellige Drüsen von Becher¬ 
form, die deshalb Becherzellen genannt 
werden. Die Parakanäle dienen der re¬ 
sorbierenden Endosmose für den Blut¬ 
kreislauf, während die kontraktilen 
Darmzotten mit ihren Gefässstämmchen 
Fette und kolloides Eiweiss dem Haupt¬ 
strom zuführen. Verstärkt wird auch 
die Resorption im Dünndarm durch den 
grossen Reichtum an sogenanntem reti¬ 
kulärem Gewebe in verschiedenen For¬ 
mationen. Dieses Netzgewebe ist, wie 
eben angedeutet, in dem Zottengewebe 
stark vertreten und bildet ausserdem in 
der Schleimhaut des ganzen Verdau¬ 
ungskanals follikuläre Anhäufungen, 
wie die Balgdrüsen des Mundes und Ra¬ 
chens, Tonsillen, die solitären Follikel 
und Peyer’schen Haufen des Dünn¬ 
darms. Beim Magen fehlen zumeist 
diese Einrichtungen für Resorption, ein 
Beweis dafür, dass ihn die Natur vor 
allem für die Verdauung bestimmt hat. 
Noch sei hervorgehoben, dass dieses 
Netzgewebe du rch Zottenkontraktionen 
und auch durch die Darmperistaltik 
kleinmaschiger wird, was ebenfalls die 
Resorption begünstigt. 

Beim Magen kann man immerhin in¬ 
folge seiner senkartigen Ausbuchtung 
daran denken, dass an der kleinen Kur¬ 
vatur eine Inaktivitätsatrophie seiner 
Drüsen und Zellen entsteht, weil sie 
nicht durch den Chymusdruck angeregt 
werden. Die Natur hat allerdings da¬ 
gegen mehrfach gesorgt. Einmal da¬ 
durch, dass der Magen längere Zeit wei¬ 
tere Zufuhr von Speisen vertragen kann, 
wie ersichtlich bei den Hauptmahlzeiten, 
wie wohl ein geraumes Verweilen darin 
stattfindet. Der Magen der Säuglinge 
mit ihrem alleinigen Nahrungsmittel, 
der Muttermilch, ist deshalb auch 
schlauchförmiger. Allein trotzdem ent¬ 
steht aus denselben Gründen, wie bei 
den weiblichen Brustdrüsen, an der klei¬ 
nen Kurvatur gern Krebs infolge Inak¬ 
tivitätsatrophie, wenn wir diesen Be- 


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griff, der eigentlich den Muskeln gilt, 
erweitern. Er würde noch zahlreicher 
sein, wenn nicht die Natur die kleine 
Kurvatur von aussen so vorteilhaft 
durch Rippen und Leber geschützt hätte. 
Ein Analogon für letztere Behauptung 
ist oft die Lieblingsstelle des Krebses 
am Oesophagus in der Höhe der Bifur¬ 
kation, welche durch die Atmung ent¬ 
sprechende Hustenstösse von aussen her 
in Mitleidenschaft gezogen wird, wäh¬ 
rend innerhalb des Oesophagus die Spei¬ 
sen Insulte auszulösen vermögen. 

Die moderne Chirurgie hat durch ge¬ 
eignete Operationen schon den ganzen 
Magen in seltenen Fällen ausgeschaltet. 
Die Physiologen kamen ihr dabei sozu¬ 
sagen zu Hilfe, indem sie durch Ver¬ 
suche erkannten, dass bei Einführung 
der Natur unterhalb des Pylorus ausgie¬ 
bige Verdauung von Eiweiss und 
Fleisch stattfindet. Man sieht hieraus, 
wie reichlich die Natur den Verdau- 
ungstraktus mit Sekretion ausgestattet 
hat, um auch bei kümmerlicher Nahrung 
in den Tagen gewisser Krankheiten tun¬ 
lichst Resorption herbeizuführen. 

Fassen wir das Ergebnis aus diesen 
Ausführungen hinsichtlich der Magen¬ 


resorption zusammen, so kann vom Ma¬ 
gen in gesunden Tagen gesagt werden, 
dass er Wasser mit entsprechend ver¬ 
dünnten Lösungen aufsaugt, und zwar 
warmes Wasser rascher als kaltes. In 
kranken Tagen resorbiert er wohl auch 
Fette wie bei Lungentuberkulose, kol¬ 
loides Eiweiss wie bei Albuminurie. 
Auch Kohlehydrate in konzentrierter 
Lösung werden wohl z. B. bei Diabetes 
mellitus durch die Magenwand dann 
aufgenommen. Die Kräfte sind neben 
Endosmose Kapillarattraktion und das 
erörterte Saugen. Vielleicht findet bei 
Rhachitis, wo durch körperliche Hinfäl¬ 
ligkeit, entsprechende Krankheiten eine 
vermehrte Resorption von Kalksalzen 
auftritt, auch eine solche bisweilen durch 
den Magen statt, bevor sie assimilations¬ 
fähig sind, weshalb sie dann als un¬ 
brauchbar zum Aufbau wieder ausge¬ 
schieden werden. In Gegenden, wo 
keine Rhachitis auftritt, scheint das 
Trinkwasser eine erhöhte Assimilation 
der Kalksalze für den Körper vorberei¬ 
tet zu haben. In sehr vielen Fällen von 
Rhachitis jedoch, verhindert ein Magen¬ 
katarrh vor allem die Kalksalze für 
Baustoffe verwendbar zu machen. 


Anleitung zum Verständnis von Kotanalysen. 

Von Dr. Felix von Oefele. 

(Fortsetzung.) 


Azidität des Kotes. 

Die Reaktion des Kotes auf Phenol¬ 
phthalein ist immer sauer und auf Me¬ 
thylorange immer alkalisch. Für Lak- 
mus ist die Reaktion wechselnd. 


Wässerige Reaktion auf der 

Rückseite des Lakmus- Zahl der 
papiers. Fälle. 

Stark sauer. 27 

Sauer. 200 

Schwach sauer. 126 

Neutral . 147 

Schwach alkalisch. 270 


Alkalisch . 869 

Stark alkalisch. 290 


1929 . 

Die überwiegende Mehrzahl der Kot¬ 
proben reagierte alkalisch und vor allem 
der Kot des gesunden Menschen reagiert 
alkalisch. Diese Bestimmungen waren 
am feuchten oder mit Wasser befeuchte¬ 
ten Kot auf Lakmuspapier gewonnen 
und auf der Rückseite des Lakmus- 
papiers abgelesen. In der Literatur sind 
die Angaben über die Lakmusreaktion 


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des Kotes sehr schwankend. Nach 
L a n d o i s 1 ist die Reaktion des Kotes 
oft sauer, namentlich infolge der Milch- 
säuregährung reichlich genossener Koh¬ 
lehydrate. Auch zahlreiche andere durch 
Gärung entstandene Säuren sollen zur 
Reaktion beitragen. Kommt es jedoch 
im unteren Darmabschnitte zur Bildung 
reichlichen Ammoniaks, so kann neu¬ 
trale und selbst alkalische Reaktion über¬ 
wiegen. Starke Absonderung von 
Schleim im Darme soll neutrale Reaktion 
begünstigen. Nach Nothnagel 2 3 re¬ 
agiert der Kot Erwachsener bei ge¬ 
mischter Kost neutral bis schwach alka¬ 
lisch. # Nach J a k s c h s ist die Reaktion 
wechselnd alkalisch oder sauer. Auch 
Schmidt 4 gibt für den gesunden 
Menschen bei gemischter Kost neutrale 
Reaktion mit nur geringen Abweichun¬ 
gen nach der einen oder anderen Seite 
an. Der reine Fleischkot soll in der Re¬ 
gel alkalisch reagieren. Die alkalische 
Reaktion des Kotes ist die Folge reich¬ 
licher Ammoniakbildung durch Fäulnis¬ 
vorgänge. Dies entspricht scheinbar 
meinen Zusammenstellungen. Drei Vier¬ 
tel der Kotproben meiner Patienten er¬ 
gaben alkalische Reaktionen. Es waren 
Patienten, welche reichlich Fleisch ge¬ 
nossen. Der Kot von Hund und Katze 
reagiert meist sauer und derjenige von 
pflanzenfressenden Tieren meist alka¬ 
lisch, so viel ich erfahren konnte. Viel¬ 
leicht ist in den Angaben von Lan- 
d o i s und anderen zu sehr der Hunde¬ 
kot beachtet, vielleicht auch die Phenol¬ 
phthaleinprobe verwendet. 

Aus dem Aetherauszuge 5 ergibt sich 
in organischer Bindung 0.03 Prozent der 
Trockensubstanz an Wasserstoff, wel¬ 
cher durch Metalle vertretbar, aber un- 
vertreten ist. Der Kot enthält aber auch 
noch durch Säureradikale vertretbare 

1) Lehrbuch der Physiologie, S. 347. 

2) Beiträge zur Physiologie und Pathologie 
des Darmes, Berlin, 1884, S. 79. 

3) Klinische Diagnostik, Wien, 1892, S. 193. 

4) Die Faezes des Menschen, Berlin, 1913, 
S. 104. 

5) Siehe später! 


Hydroxyle in ungefähr schätzbarer 
Menge. Denn der Kot is keine einheit¬ 
liche Masse, sondern eine mechanische 
M ischung mikroskopischer Partikeln, 
deren verschiedene auch verschiedene 
Reaktion besitzen können wegen sehr 
verschiedener Löslichkeit in Wasser. 

Für die anorganische Chemie ist die 
massanalytische Bestimmung von Basen 
und Säuren ungemein wichtig und zu¬ 
gleich leicht ausführbar. Für den Kot 
ist die Bestimmung nach verschiedener 
Richtung schwierig und ebenso die Deu¬ 
tung der gewonnenen Resultate. Denn 
der Kot ist wie erwähnt keine einheit¬ 
liche Masse. Dann besitzt aber der Kot 
selbst eine Reihe von intensiven Farb¬ 
stoffen, welche unter Umständen die 
Schärfe des Farbenumschlages ver¬ 
decken. 

Die von Kern 6 untersuchten Kot¬ 
proben gesunder Säuglinge reagierten 
alkalisch. Sie waren von den Windeln 
abgekratzt. Eine Vermischung mit Urin 
hatte nicht stattgefunden; die von Urin 
genässten Stellen der Windeln reagier¬ 
ten deutlich sauer und der Kot deutlich? 
alkalisch. Saure Reaktion des Kuh¬ 
milchstuhlganges gibt Kern für den 
Kot des Säuglings bei ungenügender 
Ausnützung des Nahrungsfettes an. 
Von Kinderärzten wurde bisher die Re¬ 
aktion des Kotes verhältnismässig am 
häufigsten geprüft, da Biedert schon 
vor mehr als zwei Jahrzehnten die Wich¬ 
tigkeit dieser Reaktionsprüfung gezeigt 
und seitdem mehrfach wieder betont hat 
Volle Würdigung haben allerdings die 
Hinweise B i e d e r t’s nicht überall ge¬ 
funden. 

Im Darme spielen sich zwei chemische 
Prozesse ab: eine saure Gärung mit 
Oxydation und eine alkalische Fäulnis, 
mit Reduktion. Erstere ergibt wasser¬ 
lösliche sauer reagierende Stoffe, letzte¬ 
re Ammoniak. Beide Vorgänge gehen 
neben einander her, obwohl immer der 
eine oder andere überwiegt. Der über¬ 
wiegende bedingt die Lakmusreaktion. 

6) Deutsche Aerzte-Zeitung 1905, S. 146. 


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Die stets vorhandenen höheren freien 
Fettsäuren des Kotes beteiligen sich we¬ 
gen ungenügender Löslichkeit im Was¬ 
ser nicht an der Reaktion auf Lakmus. 
Die Azidität des Kotes ist darnach da¬ 
von abhängig, welche Pilzkolonien im 
Darm überwiegen. Zum Teil schliessen 
sich auch Pilze gegenseitig aus. F o r - 
cart 7 stellte mit Urin im Reagenzglase 
fest, dass Bakterium coli und Staphy¬ 
lokokken neben einander vegetieren kön¬ 
nen, dass dagegen Streptokokken vom 
Bakterium coli und dieses vom Proteus 
verdrängt werden. Die Erreger der 
sauren Gärung und der Fäulnis im Dar¬ 
me sind trotz der vielen bakteriologi¬ 
schen Arbeiten, welche sich mit Kot be¬ 
schäftigt haben, noch nicht im Einzelnen 
festgestellt. Es gibt Bakterienarten, 
welche für das eine, und solche, welche 
für das andere in Frage kommen; mit 
anderen Pilzsorten steht es ähnlich. 

Vor allem ist aber zu bedenken, dass 

7 ) Ein Beitrag zur Frage des Antagonis¬ 
mus zwischen Bacterium coli und den Harn¬ 
stoff zersetzenden Bakterien. Inaug. Dissert., 
Basel. 1903. 


bis in das unterste Ileum der Chymus 
immer noch weiter verdünnt wird, so- 
dass das spezifische Gewicht der betref¬ 
fenden Darmflüssigkeit meist unter 
1004, häufig nur 1002 ist. In dieser 
dünnen Flüssigkeit gedeiht vor allem die 
Milchsäuregärung. Im Kolon erfolgt 
dann aber rasch eine weitgehende Ein¬ 
dickung, in welcher die Pilze der Milch¬ 
säuregärung absterben müssen. Die 
Fäulnispilze kommen dabei in die Ober¬ 
hand. Die Milchsäuregärung zersetzt 
meist Stoffe der Kohlehydratgruppe und 
bildet Säuren. Die Fäulniserreger zer¬ 
setzen meist Stickstoffsubstanzen und 
bilden vorwiegend alkalische Stoffe. 

Auch Selter 8 bedient sich zur Prü¬ 
fung der Reaktion des Kotes ausschliess¬ 
lich des Lakmuspapiers. Er ist sich da¬ 
bei wohl bewusst und hat es verschie¬ 
dentlich erprobt, dass bei der Prüfung 
mit anderen Indikatoren (Phenolphtha¬ 
lein, Curcuma etc.) gewisse Unter¬ 
schiede bestehen. (Fortsetzung folgt) 


8) Die Verwertung der Faezesuntersuchung, 
S. 32. 


Mitteilungen aus der neuesten Journalliteratur. 


R. Marek, Prossnitz: Weitere Er¬ 
fahrungen in der Behandlung der 
Uterusmyome. 

Autor berichtet über 374 Myomkran¬ 
ke. Die supravaginale Amputation gibt 
die besten Resultate und ist die Opera¬ 
tion der Wahl. Oft kommt es zu sar- 
komatöser. Umwandlung des Myoms 
und zu Metastasen in entfernten Orga¬ 
nen. Wenn die Beschwerden seitens des 
Uterus geringfügig sind, so imponiert 
das Leiden blos als eines des metasta¬ 
tisch erkrankten Organes und gibt Ver- 
faser Beispiele dafür an; so wurde ein 
metastatisches Lungensarkom mit Hä¬ 
moptoe bei nicht erkanntem Leiden des 
Uterus für Lungentuberkulose gehalten. 
Mit Rücksicht auf diese nicht allzu sel¬ 
tene sarkomatöse Degeneration ist die 
Lehre von der Gutartigkeit der Myome 
fallen zu lassen. Zur Röntgenbehand¬ 


lung lässt er Myome nur zu, falls die 
Operation abgelehnt wird, falls sie aus 
konstitutionellen Gründen kontraindi¬ 
ziert ist, falls das Klimakterium nahe ist 
(Röntgenbehandlung führt zu Amenor¬ 
rhoe). Unter 16 röntgenbehandelten 
Fällen sind neun geheilt, vier gebessert, 
drei ungeheilt, zwei der letzteren wur¬ 
den nachträglich operiert. Die Röntgen¬ 
behandlung der Myome ist jedenfalls 
eine wesentliche Bereicherung der The¬ 
rapie und hat Autor vor, dieselbe immer 
mehr anzuwenden. (Wien. kl. Wschr.) 

Bl. Förster, Tübingen: Klinische 

Ergebnisse mit dem Abderhalden- 

schen Dialysierverfahren. 

In vielen Fällen klinisch sicheren 
Basedows fand sich Abbau von Bade- 
dow-Struma. Ovarien und Thymus. In 
zweifelhaften Fällen konnte durch die 


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Methode die Diagnose bestätigt und die 
entsprechende Therapie mit Erfolg ein¬ 
geleitet werden. Auch für die Gut¬ 
achtertätigkeit zeigt sich die Dialysier- 
methode wertvoll. Interessant sind zwei 
Fälle, die Abbau von Hypophyse zeig¬ 
ten ; in einem zeigte sich Abbau von 
Ovarialsubstanz, im anderen nicht. Im 
ersten Falle Zwergwuchs mit Infantilis¬ 
mus (17jähriges Mädchen ohne Perio¬ 
de), im anderen adipöse Dystrophie hy¬ 
pophysärer Grundlage ohne Beteiligung, 
der Geschlechtsdrüsen. Das Serum ei¬ 
nes 43jährigen Mannes mit feministi¬ 
schem Charakter (kleine Testikel, klei¬ 
ne* Penis) baute Hoden und Ovarien 
ab. Er klagte über Beschwerden, wie 
sie bei Frauen im klimakterischen Alter 
auftreten. Der feministische Charakter 
stimmt dazu; andere Sera hatten die 
gleiche Ovarialsubstanz nicht abgebaut. 
(Med. Klinik.) 

Margarete Levy, Berlin, und 
Walter W o 1 f f, Berlin-Wilmers¬ 
dorf: Kamphertherapie mit künst¬ 
lichem Kampher. 

Durch den jetzigen Krieg ist Deutsch¬ 
land fast von jeder Zufuhr aus dem Aus¬ 
land abgeschnitten und auf die heimi¬ 
sche Produktion in einem Masse 
angewiesen, wie es in Friedenszeiten 
kaum erwartet worden ist. Wie wir bei 
der Ernährung gezwungen sind, das 
quantitative Verhältnis der einzelnen 
Nahrungsmittel anders zu gestalten, 
z. B. an Zucker mehr zu verbrauchen, 
was wir an Fett sparen müssen, so müs¬ 
sen wir uns auf anderen Gebieten nach 
Ersatz für solche Mittel umsehen, die 
wir selbst nicht oder nur in kleinem 
Masse produzieren. Dank dem Hoch¬ 
stand unserer chemischen Industrie sind 
wir dazu glücklicherweise in den wich¬ 
tigsten Fällen in der Lage. Auch unter 
unseren Arzneien gibt es eine grosse An¬ 
zahl ausländischer Produkte, deren Zu¬ 
fuhr mit einem Schlage sistiert hat, und 
da der vorhandene Vorrat bei weitem 
nicht ausreicht, um den Bedarf zu 
decken, so müssen wir uns nach Ersatz 
umsehen. Bei der Bekämpfung der mei¬ 
sten Krankheiten stehen uns so viele 
verschiedene Mittel zur Verfügung, 
dass sich ein eigentlicher Mangel hof¬ 
fentlich nicht fühlbar machen wird, 


wenn jeder Arzt das Seine dazu beiträgt, 
mit den in Frage kommenden Medika¬ 
menten (z. B. dem Opium und seinen 
Alkaloiden) sparsam umzugehen, und 
wo immer es möglich ist, unsere ein¬ 
heimischen Drogen oder die Erzeugnis¬ 
se unserer chemischen Fabriken zu ver¬ 
wenden. Auch der am Krankenbette 
verwendete Kampher ist eine solche im¬ 
portierte Droge; denn von den vielen 
Kampherarten, die existieren, kommt 
bei uns, vom Menthol abgesehen, fast 
nur eine zur Verwendung, der aus dem 
Japankampherbaum (Laurus camphora) 
durch Destillation gewonnene gewöhn¬ 
liche Kampher von der Formel C 10 H l6 O. 
Die Einfuhr hat naturgemäss seit Be¬ 
ginn der Feindseligkeiten mit Japan auf¬ 
gehört. 

Neben den neueren subkutan oder in¬ 
travenös anzu wendenden Mitteln der 
Digitalisgruppe, der Gefässwirkung des 
Adrenalins und dem Koffein hat der 
Kampher sein Anwendungsgebiet behal¬ 
ten, das durch pharmakologische Arbei¬ 
ten am geschädigten Herzen eine bes¬ 
sere theoretische Unterlage erhielt. 
Deshalb fragt es sich, ob der Japan- 
Kampher durch ein in seiner Wirkung 
ähnliches oder gleichwertiges Präparat 
ersetzt werden kann. 

Die Bemühungen, Kampher synthe¬ 
tisch darzustellen, reichen um viele Jah¬ 
re zurück. Nach zahlreichen vergebli¬ 
chen Versuchen ist es in mühevoller 
Arbeit der Schering’schen Fabrik vor 
mehreren Jahren gelungen, aus Terpen¬ 
tinöl künstlichen Kampher herzustellen; 
jedoch ist er bislang in der Medizin zu 
therapeutischen Zwecken kaum zur Ver¬ 
wendung gelangt. 

Der künstliche Kampher unterscheidet 
sich vom natürlichen nur dadurch, dass 
er optisch inaktiv ist; während der na¬ 
türliche die Polarisationsebene nach 
rechts dreht, handelt es sich beim künst¬ 
lichen um eine razemische Verbindung, 
d. h. der künstliche Kampher besteht aus 
Rechts- urtd Links-Kampher. Ueber 
seine therapeutische Wirksamkeit ist nur 
sehr wenig bekannt. G r a w i’t z, als 
einziger Kliniker, hat sich seiner zur 
Behandlung schwerer Anämieen bedient 
und erprobte ihn auch sonst im Char¬ 
lottenburger Krankenhause, wie in der 
später genannten Arbeit von Lan- 


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271 


g a a r d und Maass berichtet wird. 
Pharmakologische Prüfungen nahmen 
neben wenigen anderen Langaard 
und Maass vor. Sie stellten fest, dass 
zwischen dem künstlichen und natürli¬ 
chen Kampher nur geringe quantitative 
Unterschiede bestehen. Die Aehnlich- 
keit erstreckt sich nach diesen Autoren 
auch auf die Wirkungslosigkeit beider 
Kampher auf das normale, nicht vergif¬ 
tete Tierherz. Die nicht gewünschte er¬ 
regende Wirkung auf das Zentralner¬ 
vensystem tritt nach Langaard und 
Maass bei dem inaktiven Kampher 
eher auf als bei dem Rechts-Kampher. 
Das liegt wahrscheinlich daran, dass der 
künstliche Kampher ausser dem Rechts- 
Kampher auch Links-Kampher enthält, 
der nach Untersuchungen von Pari 
dreizehnmal so giftig sein soll als der 
Japan-Kampher. Langaard und 
Maass kamen 1907 zu dem Resultat, 
das kein Grund vorliege, den Japan- 
Kampher in der Arzneibehandlung 
durch den razemisehen Kampher zu er¬ 
setzen. 

Im Hinblick darauf, dass die Vorräte 
Deutschlands an Kampher bald knapp 
werden könnten, hat das Ministerium 
die Aufmerksamkeit der Kliniken und 
Krankenhäuser auf den künstlichen 
Kampher gelenkt und angeordnet, seine 
Anwendung am Krankenbette zu prüfen 
sowie Berichte über die Erfahrungen 
einzuschicken. 

Nach Erscheinen dieses Erlasses 
wurde in der I. Medizinischen Klinik 
der Kgl. Charite angefangen, syntheti¬ 
schen Kampher zu verwenden. 

Die Indikationen waren dieselben wie 
beim natürlichen Kampher: Herzschwä¬ 
che der verschiedensten Ursachen mit 
ihren Folgeerscheinungen (Lungen¬ 
ödem). Ausserdem wurde das Präparat 
bei Lungentuberkulose, Bronchitis und 
Pneumonie gegeben. 

Naturgemäss war es nicht möglich, 
in allen Fällen genaue Prüfungen von 
Blutdruck, Atmung und Puls vorzuneh¬ 
men, da das injektionsfreie Intervall zur 
Anstellung solcher Untersuchungen oft 
zu kurz war und zuweilen die ganze 
Nacht hindurch in kurzen Abständen 
die Injektion wiederholt wurde. Von 
diesen Patienten lässt sich aber allge¬ 


mein sagen, das man den Eindruck be¬ 
kam, dass wie beim natürlichen Kam¬ 
pher post injectionem der Puls dem pal¬ 
pierenden Finger beser gespannt schien 
und die Atmung an Tiefe gewann. Die 
Dosierung erfolgte wie beim natürlichen 
Kampher. Es wurden 0.2 bis 0.5 g, ja 
manchmal bis 1.6 g gegeben, nötigen¬ 
falls die Injektion wiederholt. 

In einer Reihe von Fällen war es 
möglich, nach der Injektion genaue 
Feststellungen über Blutdruck, Atmung 
und Puls zu machen und die Dauer der 
Wirksamkeit zu bestimmen. Es Hess 
sich dabei folgendes feststellen: Nach 
einer Injektion von 0.2 bis 0.5 g künst¬ 
lichen Kamphers geht der Blutdruck in 
die Höhe und erreicht sein Maximum 
zirka eine viertel Stunde nachher, um 
nach einer halben bis dreiviertel Stunde 
wieder auf seine ursprüngliche Tiefe 
herabzugehen. Wiederholt man dann 
die Injektion, so kann man neuerdings 
eine Erhöhung des Blutdrucks erzielen, 
d. h. das Herz verliert nicht seine An¬ 
spruchsfähigkeit, und man kann deshalb 
die Injektion beliebig oft wiederholen. 
Dieses Verhalten des Herzens zeigte 
sich sehr eklatant bei einer Patientin mit 
foudroyanter Magenblutung, die wäh¬ 
rend der Nacht viertelstündlich 0.2 
Kampher erhielt. An dem der Blutung 
folgenden Tage wurde der Puls, der am 
Morgen kräftig und gut war, wieder 
klein und frequent. Eine Injektion von 
0.2 künstlichen Kamphers genügte, um 
den auf 95 mm Hg gesunkenen Blut¬ 
druck wiederum auf 110 steigen zu las¬ 
sen. In einem Falle von schwerer Aor¬ 
teninsuffizienz mit Oedemen und über 
eine Woche andauernden Anfällen von 
kardialem Asthma mit Lungenödem 
wurden fünf Tage lang neben Morphium 
und Koffein täglich dreimal 3 ccm des 
20prozentigen künstlichen Kampheröls 
gegeben mit dem Erfolge, dass der Pa¬ 
tient, der fast moribund erschien, sich 
erholte und ohne Oedeme sowie frei von 
Asthma entlassen werden konnte. Hier 
wirkte die Injektion vor allem auch auf 
die subjektiven Symptome grösster 
Herzangst deutlich beruhigend ein, und 
das langdauernde Lungenödem mit 
Trachealraseln wurde be^gitigt zu einer 
Zeit, wo von Digitalispräparaten oder 


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272 


New Yoekee Medizinische Monatsscheift. 


Strohphantin kein Gebrauch mehr ge¬ 
macht werden konnte, da die zulässige 
Gesamtdosis überschritten war. 

In Uebereinstimmung mit den Unter¬ 
suchungen beim natürlichen Kampher 
Hess sich auch beim künstlichen keine 
gesetzmässige Beeinflussung von At¬ 
mung und Pulsfrequenz feststellen. Im¬ 
mer aber wurde unter dem Einfluss der 
Injektion die Atmung tiefer. 

Spritzte man an einem Tage Patien¬ 
ten mit natürlichem Kampher und nach 
Abklingen der Wirkung mit künst¬ 
lichem, so bestand kein Unterschied 
zwischen beiden Kampherarten. Das 
rasche Nachlassen der Wirkung teilt der 
künstliche Kampher mit dem natürli¬ 
chen, eine Eigenschaft, die man viel¬ 
leicht auf die rasche Ausscheidung bei¬ 
der zurückführen kann. In einigen 
untersuchten Fällen Hessen sich schon 
eine Viertelstunde nach Injektion von 
0.2 g Kampher im Urin reduzierende 
Körper durch einen positiven Ausfall 
der X y 1 a n d e r’schen Reaktion nach- 
weisen, nach einer halben Stunde gelang 
der Nachweis nicht mehr. Beim gesun¬ 
den Menschen erwies sich auch der 
künstliche Kampher als völlig wirkungs¬ 
los auf das Herz. 

(Geschah die bisher geschilderte Prü¬ 
fung des Präparats, um festzustellen, ob 
der künstliche Kampher dem natürlichen 
für die Verwendung als Stimulans bei 
Herzschwäche nicht nachstünde, so 
wurde ferner geprüft, ob auch die chro¬ 
nische Kamphertherapie ebensogut mit 
dem synthetischen Kampher durchführ¬ 
bar ist wie mit dem Japan-Kampher. 
Die chronische Kamphertherapie ist seit 
langem bei Lungentuberkulose, z. B. von 
A 1 e x a n d e r und Koch empfohlen 
worden. Die bestehenden Wirkungen 
auf das Allgemeinbefinden und die ka¬ 
tarrhalischen Erscheinungen haben auch 
bei diesem Mittel wie bei vielen anderen 
dazu geführt, dass manche in dem Kam¬ 
pher ein Spezifikum gegen Tuberkulose 
sahen. Es ist das aber ebensowenig der 
Fall wie bei den vielen anderen empfoh¬ 
lenen und wieder vergessenen Mitteln 
gegen die Tuberkulose. Der Kampher 
wirkt wie auch der Mentha-Kampher, 
das Menthol und das Eukalvptol vor¬ 
züglich auf die Expektoration und ist 
sogar als Fxpektorans besonders für 


langdauernden Gebrauch den intern an¬ 
zuwendenden Medikamenten vorzuzie¬ 
hen. Mag man ihn bei klinisch behan¬ 
delten Patienten subkutan anwenden 
oder in der Ambulanz als Einreibung, 
als Oleum camphoratum und linim. sa- 
ponato-camphoratum. Ausser' der ex- 
pektorierenden kommt hierbei noch eine 
leichte antipyretische Wirkung in Be¬ 
tracht, die sich häufig bei Temparatur- 
steigerungen der Tuberkulösen bewährt, 
aber auch in Fällen chronischer Pneu¬ 
monie ohne Lösung ausgenutzt zu wer¬ 
den verdient. Auch hier hat sich der 
künstliche Kampher als ebenso wirksam 
und ebenso unschädlich erwiesen. Schäd¬ 
liche Wirkungen auf die Nieren wurden 
nicht beobachtet. Man gibt zweck¬ 
mässig 1X2 ccm der 20prozentigen 
öligen Lösung ein- bis zweimal am Tage 
im Anfang und schliesslich ähnlich der 
von Berliner empfohlenen Menthol- 
Eukalyptoltherapie täglich oder einen 
um den anderen Tag 1 ccm subkutan. 
Diese Verwendung ist empfehlenswert 
ausser bei Tuberkulose auch bei chroni¬ 
schen und subchronischen Bronchitiden, 
bei Fiebernden in Verbindung mit leich¬ 
ten Antipyreticis oder hydrotherapeuti¬ 
schen Prozeduren, bei Nichtfiebernden 
als einziges Medikament oder in Verbin¬ 
dung mit hustenstillenden Mitteln. 

Schliesslich bleibt noch ein Wort über 
die Kamphertherapie der- kroupösen 
Pneumonie zu sagen. Die von Mor- 
genroth inaugurierte vielverspre¬ 
chende Optochintherapie ist klinisch 
noch nicht so ausgiebig erprobt, dass sie 
schon jetzt Eingang in die Allgemein¬ 
praxis gefunden hat. 

Wir besitzen aber im Kampher ein 
Mittel, das wegen seiner vorzüglichen 
Wirkung bei der Lungenentzündung 
noch grössere Beachtung verdient als 
ihm bisher geschenkt wurde. Verfasser 
sprechen dabei nicht von der exzitieren¬ 
den Kampherwirkung, nicht von der 
Anwendung wiederholter kleiner Dosen 
bei Herzschwäche, sie sprechen hier von 
der Anwendung des Kamphers in mas¬ 
siven Dosen. Sie wenden diese grossen 
Dosen gern an und geben wie H ö t z e 1 
durchschnittlich 10 ccm des 20prozenti- 
gen Kampheröls zweimal am Tage. 
Wenn auch von Morgenroth dar¬ 
auf hingewiesen wird, dass es kampher- 


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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


273 


feste Pnenmokokkenstämme gibt, so 
sind die Vorzüge des Kamphers so 
grosse und vielseitige, dass die Verfas¬ 
ser glauben möchten, dass sich die Zahl 
der Anhänger dieser Therapie rasch ver¬ 
mehren wird. Der Kampher wirkt hier 
erstens stimulierend auf das Herz, das 
bei dieser Krankheit besonders viel zu 
leisten hat; zweitens als Expektorans, 
auch hier besser als jedes andere der be¬ 
kannten Mittel. Er wirkt drittens spe¬ 
zifisch auf die Pneumokokkeninfektion 
— wenn auch nicht in allen Fällen — 
und dadurch temperaturherabsetzend. 
Die Atmung wird freier und müheloser, 
die Dyspnoe nimmt ab, die Zyanose 
wird geringer, das Abhusten geht leich¬ 
ter vonstatten, das subjektive Befinden 
hebt sich bedeutend, und in vielen Fäl¬ 
len sinkt die Temperatur in drei bis vier 
Tagen zur Norm, um nicht wieder anzu¬ 
steigen, wenn man das Mittel nicht zu 
frühzeitig aussetzt. Auch bei der Pneu¬ 
monie wurde an Stelle des Japan-Kam- 
phers der künstliche Kampher versucht; 
allerdings haben Verf. bisher nicht über 
8 ccm des Oleum forte, also 1.6 g pro 
dosi und 3.2 g pro die gegeben. In ei¬ 
nem Falle von Oberlappenpneumonie, 
der drei Wochen lang 2 bis 2.4 g pro 
die erhielt, wurden dabei eine für den 
Patienten nicht unangenehme Müdig¬ 
keit und Schlafbedürfnis beobachtet, die 
aber z. B. die regelmässige Nahrungs¬ 
aufnahme nicht hinderten und die auch 
bei den gleichen Dosen natürlichen 
Kamphers in Erscheinung traten. Im¬ 
merhin wird man bei Anwendung dieser 
massiven Dosen Vorsicht walten lassen, 
man wird sich erinnern, dass im razemi- 


schen Kampher auch der Linkskampher 
vorhanden ist, der, wie oben erwähnt, 
3mal so giftig ist als der Japankampher. 
Man hat ferner zu bedenken, dass der 
Kampher an Glykuronsäure gebunden 
ausgeschieden wird und deshalb bei 
Hungernden eventuell Vergiftungs¬ 
erscheinungen auftreten könnten. Für 
gewöhnlich scheint eine erhebliche .Ge¬ 
fahr nicht vorzuliegen, da die Ausschei¬ 
dung, wie oben erwähnt, überaus schnell 
vonstatten geht. 

Niemals sind Erregungszustände be¬ 
obachtet worden, die nach den Lehrbü¬ 
chern eigentlich vor Eintreten der Mat¬ 
tigkeit und des Schlafbedürfnisses 
auftreten sollen. Wohl aber haben Verf. 
starke Transpiration bemerkt, diese aber 
ebenso beim natürlichen wie beim künst¬ 
lichen Kampher. 

Bei den grossen Oeldosen ist es 
zweckmässig, die Injektionsstellen zu 
wechseln. Man wähle die Inguinal¬ 
gegend abwechselnd mit den seitlichen 
Partieen des Oberschenkels bis hinauf 
in die Trochantergegend und spritze 
eventuell epifaszial, wie Wechsel- 
m a n n es für die Neosalvarsaninjektion 
empfiehlt. 

Alles in allem kann man sagen, dass 
wir im künstlichen Kampher ein Präpa¬ 
rat besitzen, das in den allermeisten 
Fällen den früher allein verwandten 
Japankampher ersetzen kann Nur bei 
der Verwendung von Dosen, die 1 g 
Kampher pro dosi überschreiten, sei 
man bei dem künstlichen Kampheröl et¬ 
was vorsichtiger, als es bei dem na¬ 
türlichen erforderlich gewesen ist. 

(Therap. d. Gegenw., März 1915.) 


Sitzungsberichte. 

Deutsche Medizinische Gesellschaft der Stadt New York. 


Sitzung, Montag, den 1. März 1915. 

Präsident Dr. W. Freudenthal 
eröffnet die Sitzung um J / 2 9 Uhr. 

Sekretär Dr. A. Stein verliest das 
Protokoll der Sitzung vom 3. Februar 
und 4. Januar. Beide Protokolle wer¬ 
den genehmigt. 

Sekretär Dr. A. Stein verliest so¬ 


dann das Protokoll der Sitzung des Ver¬ 
waltungsrats vom 19. Februar, wonach 
die Frage der Beibehaltung des Lunch 
dem Plenum zur Entscheidung vorge¬ 
legt werden soll. 

Präsident D. W. Freudenthal 
bemerkt hierzu, dass grade heute ein 
neuer Oekonom angetreten sei, der ver- 


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274 


New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


sprochen habe, gute Sachen zu liefern. 
Unter den Umständen sei es vielleicht 
das beste, die Abstimmung über die Fra¬ 
ge zu verschieben. 

Auf Antrag von Dr. Carl Pfister 
beschliesst die Versammlung, die Sache 
bis zur nächsten Sitzung zu verschieben. 

Präsident Dr. W. Freudenthal 
teilt ferner mit, dass er nach der Sitz¬ 
ung des Verwaltungsrats einen Brief 
von dem Deutsch-Amerikanischen Lite¬ 
rarischen Verteidigungs-Ausschuss er¬ 
halten habe, der die Deutsche Medizini¬ 
sche Gesellschaft um Unterstützung 
bitte. Ein Vorschlag des Verwaltungs¬ 
rats liege nicht vor, sodass die Versamm¬ 
lung selbst darüber entscheiden möge. 

Auf Antrag von Dr. Carl Pfister 
beschliesst die Versammlung, dem Lite¬ 
rarischen Verteidigungsausschuss mit¬ 
zuteilen, dass die Deutsche Medizinische 
Gesellschaft als wissenschaftlicher Ver¬ 
ein ihre Fonds nicht für Zwecke wie die 
des Verteidigungs-Ausschusses verwen¬ 
den könne. 

Inzwischen sind die Stimmzettel ver¬ 
teilt und eingesammelt worden, und 
Präsident Dr. W. Freudenthal 
verkündet darauf, dass sämtliche Kandi¬ 
daten zu Mitgliedern der Gesellschaft 
gewählt worden sind. 

Hierauf tritt die Versammlung in die 
Tagesordnung ein. 
sie. 

Vorträge. 

1. Dr. Herman Fischer: Die 
lokale Anästhesie in der Chirurgie. 

2. Dr. Percy Fridenberg: 
Die lokale Anästhesie in der Ophthal¬ 
mologie. 

3. Dr. Richard Jordan: Die 

lokale Anästhesie in der Oto-Laryn- 
gologie. 

4. Dr. Hermann J. Boldt: Die 
intraspinale Anästhesie. 

5. Dr. Charles Eisberg: Die 

intratracheale Insufflations - Anästhe- 

Diskussion. 

Dr. G watlime y, der als Gast der 
Gesellschaft vom Präsidenten vorge¬ 
stellt und willkommen geheissen wird, 
diskutiert den Vortrag in englischer 
Sprache. 

Dr. S. J. Meitzer: Ich habe eigent¬ 


lich wenig zu sagen. Es wird hier über 
die Narkose des Menschen diskutiert, 
und darüber habe ich persönlich keine 
Erfahrung. Vielleicht darf ich aber fol¬ 
gendes Erlebnis erwähnen. Es war im 
Jahre 1882 oder 1883 in Berlin beim 
Chirurgenkongress. In der Diskussion 
der Frage, ob Aether oder Chloroform, 
sagte mein alter Lehrer B a r d e 1 e - 
ben: „Ich habe jetzt 33,000 Narkosen 
mit Chloroform ausgeführt und habe 
keinen Patienten verloren; ich werde 
deswegen beim Chloroform bleiben/ 1 Im 
nächsten Jahre berichtete er jedoch, dass 
er im verflossenen Jahre zwei oder drei 
Fälle von Chloroformnarkose verloren 
hatte. Man darf eben über ein gewisses 
Verfahren oder ein gewisses Narkoti¬ 
kum auch auf Grund von 100, 500 oder 
1000 Fällen noch kein definitives Urteil 
abgeben. Glücklicherweise ist der 
Mensch versorgt mit dem, was ich vor 
einigen Jahren „factors of safety“ ge¬ 
nannt habe. Es ist ganz erstaunlich, 
wieviel ein Mensch aushalten kann und 
was man ihm bieten darf. Ich habe das 
als früherer praktischer Arzt vielfach in 
meiner eigenen Praxis erfahren und 
habe es in der Tätigkeit anderer Aerzte 
gesehen. Ich möchte daher kein Urteil 
über den Wert irgend einer Methode 
oder eines Narkotikums abgeben auf 
Grund von statistischen Angaben, wel¬ 
che auf relativ kleinen Zahlen beruhen. 
Vielleicht darf ich ein Wort über die 
intratracheale Anästhesie sagen, weil 
mein Name ein wenig mit der Methode 
verknüpft ist. Ein wesentlicher Punkt 
unterscheidet diese Methode von allen 
anderen Viethoden. Man ist sich dar¬ 
über nicht völlig klar, dass bei jeder 
Form der allgemeinen Narkose, der In¬ 
halations-, der intravenösen oder der 
intrarektalen Narkose, es sich um eine 
V ergiftung des Respirationszentrums 
handelt. Die „factors of safety“ der 
Atemfunktion sind so gross, dass der 
narkotisierte Mensch diese Vergiftung 
gewöhnlich aushalten kann. Am schla¬ 
gendsten sieht man es bei der Ueber- 
druckmethode, wenn eine thorakale 
Operation gemacht wird, wo die Respi¬ 
ration nur mit 1/10 der Funktion arbei¬ 
tet. Dennoch sterben nur sehr wenige 
in der genannten Prozedur. Die Respi¬ 
rationsfunktion. wie jede andere Funk- 


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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


275 


tion des Körpers, kann mit 1/10, % der 
Funktion für eine Zeit weiter arbeiten. 
Doch wenn man die Sache näher stu¬ 
diert, findet man bei den gewöhnlichen 
Narkosen, dass in kurzer Zeit das Respi¬ 
rationszentrum mehr. oder weniger 
asphyktisch wird. Der Patient atmet 
oberflächlich weiter und kommt damit 
aus. Kommt aber irgend ein Zwischen¬ 
fall vor, oder handelt es sich um einen 
Menschen, der geringen Widerstand be¬ 
sitzt, da auf einmal reicht diese Respira¬ 
tionsfunktion nicht mehr aus. Nun, da¬ 
rin unterscheidet sich die intratracheale 
Narkose von allen anderen Methoden 
der Narkose; sie ist gleichzeitig beglei¬ 
tet von einer zuverlässigen künstlichen 
Atmung. Die Atmungsfunktion ist 
nach dieser Methode sogar besser ver¬ 
sorgt als im normalen Zustand. Daher 
bleibt unter dieser Methode der Patient 
völlig frei vom Shock, wie jeder weiss, 
der damit gearbeitet hat. Ich darf viel¬ 
leicht auch die Engländer zitieren, die 
gewiss nicht so leicht geneigt sind, eine 
neue Sache anzunehmen, wenn sie na¬ 
mentlich nicht von ihnen selbst herrührt. 
Man hat die Methode der intratrachea¬ 
len Insufflation in London mit grossem 
Enthusiasmus aufgenommen; auch die 
dortigen Erfahrungen bezeugen einstim¬ 
mig, das in der intratrachealen Insuffla¬ 
tion Shock ein sehr seltenes Ereignis ist. 

Dr. Franz Torek: Das Thema der 
Vorträge, die wir gehört, ist eines jener 
Themen, die uns alle interessieren, ob 
wir Chirurgen sind oder Mediziner, und 
das, was uns geboten wurde, ist so reich¬ 
haltig, dass man Stunden lang darüber 
diskutieren könnte. Dr. Fischer hat 
im grossen ganzen alles dargelegt, was 
bei der lokalen Anästhesie in Betracht 
kommt. Ich möchte nur noch sagen, 
dass einige Operationen, bei denen wir 
früher ganz besonders die Aspirations¬ 
gefahr fürchteten, wie z. B. die Resek¬ 
tion des Oberkiefers oder des Larynx, 
jetzt bequem mit der lokalen Anästhesie 
gemacht werden können. Ich mache 
diese beiden Operationen jetzt selten in 
anderer Weisee. 

Ich möchte so manches über die ein¬ 
zelnen Vorträge sagen, ich muss aber 
darüber hinweggehen, um mich über 
einen Punkt, die rektale Anästhesie, zu 
äussern. Wenn wir bei dieser auch 


meistens gute Narkosen erzielen, so 
spricht dies noch immer nicht für abso¬ 
lute Sicherheit der Methode, selbst 
wenn wir hintereinander hundert Fälle 
mit bestem Erfolge zu verzeichnen ha¬ 
ben. In dieser Beziehung sollten wir 
uns die Worte, die Dr. Meitzer ge¬ 
sprochen hat, sehr zu Herzen nehmen, 
nämlich, dass eine noch so lange Reihe 
von Fällen, die gut verlaufen sind, uns 
nicht zu der Ueberzeugung bringen soll¬ 
te, dass deswegen die Methode sicher 
ist. Ein einziger Fall, der das Gegen¬ 
teil beweist, ist viel mehr wert als eine 
Reihe von hundert öder mehreren hun¬ 
dert erfolgreichen Fällen. Deshalb 
möchte ich über einen Fall von rektaler 
Anästhesie berichten, der tötlich ausge¬ 
gangen ist. Um zu zeigen, dass der Tod 
nicht aus anderen Ursachen, Herzkol¬ 
laps oder Blutung, eingetreten ist, muss 
ich auf kleine Einzelheiten eingehen und 
werlese Ihnen den Krankenbericht: 

„Es handelte sich um einen 48 Jahre 
alten Mann mit Blumenkohlkarzinom 
des linken Oberkiefers, das sich auf den 
weichen Gaumen erstreckt und auf die 
Submaxillar- und Zervikaldrüsen über¬ 
gegriffen hatte. Er wog 138 Pfund und 
war in gutem Gesundheitszustände. 

„Die Entfernung der Drüsen und die 
Unterbindung der linken Carotis exter¬ 
na wurde unter Inhalationsnarkose ohne 
irgendwelchen Zwischenfall ausgeführt. 
Es erfolgte prompte, glatte Heilung. 

„Eine Woche später wurde die Resek¬ 
tion des Oberkiefers unter rektaler Oel- 
Aethernarkose ausgeführt. Die Vorbe¬ 
reitung geschah in der üblichen Weise. 
Am Nachmittag vor der Operation wur¬ 
de Rizinusöl verabreicht und spät 
abends ein Seifenklystier gegeben. Am 
Morgen der Operation, 6 Uhr, Mast¬ 
darmausspülung, bis das Wasser klar 
zurückkam. Um 7.45 Uhr wurde Chlo¬ 
reton 0.6 in Aether 12.0 und Oel 4.0 
ins Rektum gespritzt. Um 8 Uhr Mor¬ 
phin 0.01. Um 8.25 Uhr wurde die 
Narkosenmischung bestehend aus Aether 
180.0 und Oel 60.0 in den Mastdarm 
eingeführt. Um diese Zeit war der Puls 
90, Respiration 20. Um 8.45 Uhr mässi- 
ger Grad chirurgischer Narkose, jedoch 
die oberflächlichen Reflexe noch nicht 
erloschen; Puls 72, Respiration 20. 
Leichte Zyanose, welche durch Hervor- 


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276 


New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


ziehen der Zunge mittelst durch dieselbe 
geführten Seidenfadens behoben wird. 

„Um 9.20 Uhr Puls 72, Respiration 
20. Novokain x / 2 Prozent mit Suprare- 
nin am Operationsgebiet eingespritzt, 
um die Blutung möglichst einzuschrän¬ 
ken. Operationsmethode nach Ko¬ 
cher. Um 10 Uhr mässige Zyanose, 
daher Auswaschung des Rektums, wo¬ 
rauf die Zyanose nachliess, aber nicht 
vollständig verschwand. Die Blutung 
während der Operation war mässig und 
lies sich leicht kontrollieren. Der Faden 
wurde in der Zunge belassen, damit die 
Pflegerin nötigenfalls mit dessen Hilfe 
dem Zurücksinken der Zunge entgegen 
arbeiten könne. 

„Während des ganzen Verlaufs der 
Operation war eine leichte Zyanose vor¬ 
handen, die sich jedoch, wie schon be¬ 
merkt, zeitweise erhöhte. Pupillen klein 
(Morphinwirkung) ; kein Erbrechen; 
keine übermässige Schleimabsonderung*; 
nicht der geringste Shock. Um 11 Uhr, 
nach Beendigung der Operation, beweg¬ 
te sich der Patient etwas.“ 

Nicht lange, nachdem der Patient im 
Bett war, sah ich ihn und fand ihn leicht 
zyanotisch, mit oberflächlicher Atmung 
und gutem Puls. Nichts deutete auf ir¬ 
gendwelche Gefahr, und ich verliess das 
Hospital; die weiteren Aufzeichnungen 
stammen also ausschliesslich vom Haus¬ 
stabe des Hospitals: 

„11.40 Uhr, Puls 78, Respiration 12. 
Etwas später deutliche Zyanose. At¬ 
mung etwas erschwert und durch Vor¬ 
schieben des Unterkiefers nur wenig er¬ 
leichtert. Das Kopfende des Bettes 
wurde nun erhöht und das Rektum 
nochmals sehr sorgfältig ausgespült. 
Respiration jetzt 10, Puls 84, voll und 
weich. Kampheröl 1.5, Strychnin 0.002, 
und Atropin 0.0006 werden eingespritzt. 
Zehn Minuten später immer noch Zya¬ 
nose, aber Respiration auf 19 gestiegen; 
Puls voll und weich. Um 12.05 Uhr 
Puls 56, Respiration 8. Um 12.20 Uhr 
nahm das Gesicht ein teigiges Aussehen 
an; läppen, Ohren und Hände zyano¬ 
tisch : Atmung seicht, unregelmässig, 
infrequent, erschwert; Puls kaum fühl¬ 
bar ; Haut kalt und feucht. Intravenöse 
Salzwasserinfusion wird verabreicht, 
das Fussende des Bettes wird erhöht, 
Adrenalin wird in die Karotis injiziert, 


Kampher und Atropin hypodermatisch r 
Hitze wird am Körper appliziert, künst¬ 
liche Atmung, jedoch Exitus um 12.45 
Uhr.“ 

Nach dieser Beschreibung unterliegt 
es kaum einem Zweifel, dass es sich um 
Paralyse des Respirationszentrums han¬ 
delte infolge einer zu grossen Dose des 
Narkotikums, denn die Herztätigkeit 
war bis kurz vor dem Tode gut und die 
Möglichkeit einer Erstickung absolut 
ausgeschlossen, denn die Herren Haus¬ 
ärzte, welche den Fall mit grossem In¬ 
teresse beobachten, stellten dies in Ab¬ 
rede. Durch Zurücklassen des Fadens 
in der Zunge Hess sich letztere leicht 
kontrollieren. Eine Möglichkeit von 
Tod infolge verborgener Blutung war 
auch ausgeschlossen. 

Dieser Fall zeigt also ganz deutlich, 
dass die rektale Narkose mit Oel und 
Aether ihre Gefahren hat grade so wie 
alle anderen Methoden der Anästhesie. 
Sie hat sogar eine Gefahr mehr, nämlich 
die, dass das ganze Narkotikum, das wir 
gebrauchen, auf einmal eingeführt wer¬ 
den muss und dass, wie der beschriebene 
Fall zeigt, selbst die nachträgliche Aus¬ 
waschung des Rektums nicht genügt, 
um einen gefahrbringenden Ueberschuss 
zu entfernen. Aus der genauen Angabe 
der Zeit ersehen Sie, dass der gefähr¬ 
liche Zustand eintrat, als der Patient 
schon über eine Stunde im Bett war. 
Mit anderen Worten, die Narkose wur¬ 
de immer tiefer, nachdem die Operation 
schon beendet war, bis sie schliesslich so 
tief war, dass sich eine Paralyse des 
Respirationszentrums einstellte. Die nö¬ 
tige Dosis muss bei jeder Narkose im 
Voraus abgeschätzt werden und das ist 
nicht immer möglich. Das Körperge¬ 
wicht ist hierbei nicht ein verlässlicher 
Massstab. Wenn man zu wenig gibt, 
hat man keine Narkose, denn ein Nach¬ 
giessen ins Rektum nützt nichts. Des¬ 
halb hat diese Form der Anästhesie eine 
Gefahr ausser denen, welche jeder an¬ 
deren Narkose anhaften. 

Dr. W. Freudenthal: Gestatten 
Sie mir, auch ein Wort zu sagen und 
zwar zu den Bemerkungen von Dr. Jo r- 
d a n. Er sagte, es sei nicht geraten, 
Kokain- und Adrenalinlösung in die 
Tonsillen einzuspritzen. Das entspricht 
nicht ganz meiner Erfahrung. Man 


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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


277 


darf wohl einspritzen, nur ist Vorsicht 
geboten. Ich habe eine akute Intoxika¬ 
tion erlebt nach Einspritzung von Adre¬ 
nalin, und möchte den Fall noch kurz 
erwähnen. Er betrifft ja ein so ausser¬ 
ordentlich wertvolles Mittel, das wir 
jeden Tag und fast jede Stunde gebrau¬ 
chen. Es handelte sich um eine Opera¬ 
tion wegen Deviatio septi nar. Ein As¬ 
sistent von mir hatte gesehen, dass ich 
Adrenalin in die Mukosa einspritzte, 
und ich hatte ihm gezeigt, wie wün¬ 
schenswert es sei, eine Quaddelbildung 
hervorzurufen. Während ich nun mei¬ 
ne Hände wusch, injizierte er eine nicht 
verdünnte Lösung von Adrenalin, 
1:10000, und zwar eine ganze Spritze 
mit einem Mal. Zufälligerweise drehte 
ich mich um und sah den Patienten an. 
Ich kann seine Farbe kaum beschreiben. 
Er war totenbleich, das ist das einzige 
Wort, das ich dafür finden kann. Die 
Respiration hörte in demselben Moment 
auf. Wir versuchten alles Mögliche. 
Es waren zufällig eine ganze Anzahl er¬ 
fahrener Chirurgen anwesend, die alle 
halfen. Aber es war nichts zu machen. 
Es war sofortiger Herzstillstand einge¬ 
treten. Ich untersuchte die Literatur 
und fand, dass eine ganze Anzahl Pa¬ 
tienten an einer akuten Adrenalin-Ver¬ 
giftung gestorben sind. Ein Herr hier 
in New York berichtet drei Fälle aus 
seiner eigenen Praxis, und er beschreibt 
die Symptome so genau, wie viel Adre¬ 
nalin er genommen hat etc., dass gar 
kein Zweifel ist. dass alle drei an akuter 


Adrenalinvergiftung gestorben sind. 
Dr. Harris von hier teilte mir auch 
einen Fall mit. Selbst Einspritzung von 
Adrenalin in die Haut ist manchmal 
nicht ohne Gefahr. Ein Patient kam 
mit einem schweren Asthmafall zu ei¬ 
nem Kollegen, und er spritzte, wie er 
das oft getan, 10 Tropfen Adrenalin¬ 
lösung ein. Der Patient fiel sofort zu 
Boden und wurde bleich, und der Kol¬ 
lege hatte 2V 2 Stunden zu arbeiten, ehe 
er den Patienten wieder entlassen konn¬ 
te. Und doch ist Adranalin so ausser¬ 
ordentlich wertvoll für uns alle. 

Der heutige Abend bot uns eine 
grosse Genugtuung insofern, als zwei 
Herren hier waren, die so Hervorragen¬ 
des auf diesem Gebiet geleistet haben 
wie Dr. Meitzer durch seine bahn¬ 
brechenden Arbeiten und Dr. Eis¬ 
berg durch seine chirurgischen Ver¬ 
suche, die es Dr. T o r e k ermöglicht 
haben, seine erwähnte Operation so aus¬ 
zuführen, wie er es getan hat. Ich glau¬ 
be, wir können den Herren zu ihren Er¬ 
folgen gratulieren. 

Dr. Richard Jordan (Schluss¬ 
wort) : Ich möchte nur betonen, dass 
Dr. F reudenthal sich vor drei Jah¬ 
ren durch Veröffentlichung der Adrena¬ 
lin-Todesfälle ein grosses Verdienst er¬ 
worben hat. Denn die Gefahr der Adre¬ 
nalin-Injektion war damals noch nicht 
genügend bekannt. 

Hierauf tritt Vertagung ein. 

Schluss der Sitzung 11 Uhr. 


Therapeutische und klinische Notizen. 


— Behandlung der Frostbeulen. San.-Rat 
Dr. Schwering teilt folgende, sicher wir¬ 
kende Behandlungsweise der Frostbeulen mit, 
die in der Medizin völlig unbekannt ist. 

Man überpinselt die erkrankten Hautstellen 
ohne weitere Vorbereitung, trocken oder 
sorgfältig abgetrocknet, reichlich mit Jodtink¬ 
tur, streicht, sobald sie eingetrocknet ist, dick¬ 
flüssiges. reines Ichthyol darüber und drückt 
reichlich Watte hinein, soviel nur kleben blei¬ 
ben will. Strumpf oder Handschuh schützen 
den Verband genügend, der je nach der 
Schwere des Falles drei bis acht Tage liegen 
bleiben und trocken gehalten werden muss. 


Der Juckreiz ist mit Anlage des Verbandes 
verschwunden, Röte und Schwellung bei Ab¬ 
nahme desselben. 

Verfasser hat diese Behandlungsmethode in 
seiner Praxis seit Jahren mit jedesmaligem 
sofortigem Erfolge angewandt and bis jetzt 
keinen Misserfolg gehabt. (Med. Klinik No. 
47, 1914.) 

— Die sedative Wirkung des Diogenals bei 
Psychosen und Neurosen. In Ergänzung frü¬ 
herer Mitteilungen berichtete Dr. Friedrich 
M ö r c h e n in Ahrweiler ausführlich über 
Versuche, die er seit 1 l /i Jahren mit dem 


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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


neuen, dem Veronal verwandten Sedativum 
Diogenal, insbesondere bei chronischen Psy¬ 
chosen mit mehr oder weniger schweren Er- 
regungs- und Unruhezuständen angestellt hat 
Meist wurde Diogenal protahiert gegeben, je 
nach Schwere des Falles drei- bis viermal 
täglich 0.5 bis 1.5 g durch 3 bis 14 Tage hin¬ 
durch. Schlafmachende Wirkung trat erst bei 
Einzeldosen von 2 g ab ein, die selten verab¬ 
reicht, aber ohne Nachteile vertragen wurden. 
Zur Behandlung kamen Patienten mit Demen¬ 
tia praecox, Schizophrenie, halluzinatorischem 
Erregtsein, Paranoia, angeborenem Schwach¬ 
sinn, Katatonie u.s.w. Es wurde die Erfah¬ 
rung gemacht, dass sich mitDiogenal sedative 
Wirkungen so intensiver und nachhaltiger 
Art erzielen lassen, wie sie bisher bei einem 
so wenig Nebenerscheinungen bedingenden 
und so wenig hypnotisch wirkenden Mittel 
nicht bekannt waren. Die innere Spannung, 
die Gereiztheit, der Negativismus, die Aggres¬ 


sivität der Kranken Hessen fast ausnahmslos 
unter der protrahierten Diogenalwirkung we¬ 
sentlich nach. Es war ersichtlich, dass das 
Medikament ein angenehmes subjektives Ge¬ 
fühl bei den Patienten erzeugte. Ausgezeich¬ 
neten sedativen Einfluss hatte Diogenal ferner 
bei manisch depressiven weiblichen Kranken 
in der manischen Phase. Ferner wurde es 
mit gutem Erfolg gegen die Missempfindun¬ 
gen bei Neurasthenie sowie bei Entziehungs¬ 
kuren (Morphium, Opium, Alkohol) versucht. 
Die unangenehmen Gefühle von Unruhe und 
leichter Präkordialangst während oder nach 
Entziehungskuren blieben unter der Diogenal- 
anwendung geradezu aus. Unerwünschte 
Nebenwirkungen wurden nicht gesehen, eben¬ 
sowenig wesentliche Aenderungen an Puls 
und Blutdruck, Einwirkungen auf die Nieren 
oder Hautausschläge. (Psychiatrisch-neurolo¬ 
gische Wochenschrift Nr. 50, 1914.) 


Kleine Mitteilungen. 


— In deutschen täglichen Zeitungen ist eine 
amtliche Mahnung veröffentlicht: Keine 
Furcht vor dem Fleckfieber . In manchen 
Kreisen scheint die Furcht zu bestehen, dass 
das in einzelnen Gefangenenlagern herr¬ 
schende Fleckfieber (Flecktyphus) sich aus- 
breiten könne. Zu dieser Befürchtung liegt 
kein Grund vor. 

Das Fleckfieber hat allerdings in früheren 
Jahren auch in Deutschland eine grosse Aus¬ 
breitung gehabt, als Fleckfieber, Hunger¬ 
typhus, Kriegstyphus, Lagertyphus u.s.w. Seit 
den vierziger Jahren des vorigen Jahrhun¬ 
derts ist es in Deutschland fremd geworden, 
sodass es in den letzten Jahren überhaupt 
nicht mehr vorgekommen ist bis auf verein¬ 
zelte Fälle in den Grenzprovinzen, wo es nur 
bei Landstreichern, die über die Grenze ge¬ 
kommen, auftrat. Aber auch in diesen Fällen 
ist es über die Herbergen niedrigster Art und 
die Arrestlokale für diese Leute nicht hinaus¬ 
gekommen. 

Die Krankheit wird durch ein noch unbe¬ 
kanntes Mikrobium hervorgerufen, welches 
ausser im Menschen nur noch in den Läusen, 
und wahrscheinlich nur in Kleiderläusen vor¬ 
kommt. Aus verschiedenen Erscheinungen 
muss man folgern, dass die Krankheitserreger 


in der Laus eine gewisse Umwandlung oder 
Ausreifung erfahren, denn die Läuse können 
erst vier Tage später, als sie von einem Kran¬ 
ken Blut genossen haben, die Krankheit auf 
andere übertragen. 

Man war früher der Auffassung, dass die 
Krankheit ansteckend wäre, namentlich durch 
Berührung. Versuche an Affen und fortge¬ 
setzte Beobachtungen an Menschen haben aber 
mit Sicherheit ergeben, dass die Krankheit 
durch Berührung nicht übertragen werden 
kann, sondern nur durch Läuse. 

Aus dieser Eigenart der Uebertragung er¬ 
gibt sich die Art der Bekämpfung, wie sie in 
Deutschland in den Gefangenenlagern plan- 
mässig mit vollem Erfolg durchgeführt wird. 

Das kaiserliche Gesundheitsamt in Berlin 
hat einige Verfahren zur Vertilgung von 
Kleiderläusen veröffentlicht. In den Kasseler 
Lagern hat Geh.-Rat v. Gärtner aus Jena, 
Prof, der Hygiene und Mitglied des Reichs¬ 
gesundheitsrats persönlich Anordnungen zur 
Bekämpfung des Flecktyphus getroffen. Bei 
den umfassenden Massregeln der deutschen 
Regierung ist eine Uebertragung der Krank¬ 
heit auf die Bevölkerung so gut wie ausge¬ 
schlossen. A. Rose. 


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DtstfAts ItkAzMffte« Gdtnftaftta der Staate new ftrt, 

Cbkago md ClmlaiMl. 

Herausgegeben von Dr. ALBERT A. RlPPERGER 
unter Mitwirkung von Dr. A. Herzfeld, Dr. H. G. Klotz und Dr. von Oefele. 


Bd. XXV. 


New York, April u. Mai 1915. 


Nr. 11 u. 12. 


Originalarbeiten. 

Klinische Gesichtspunkte zur Frage der intravenösen 
Vakzinetherapie bei Typhus.* 

Von Professor Dr. R. Schmidt. 


Unsere therapeutische Bekämpfung 
des Typhus abdominalis war bisher 
gewissermassen eine vorsichtige De¬ 
fensive, die ihren Rückhalt findet in 
diätetischen und hydriatischen Mass¬ 
nahmen und in den allgemeinen Prin¬ 
zipien einer modernen Krankenpflege. 
Es muss mit Nachdruck betont wer¬ 
den, dass die Resultate dieses vorsich¬ 
tigen Verhaltens am Krankenbette 
sehr günstige sind und in normalen 
Zeitläuften die Mortalität 5 bis 10 Pro¬ 
zent kaum übersteigen dürfte. Seit 
ungefähr zwei Jahren sind Bestrebun¬ 
gen im Gange, an die Stelle der De¬ 
fensive eine sehr aktive Offensive zu 
setzen und zwar in der Form intra¬ 
venöser Injektionen von lebenden oder 
abgetöteten Typhusbazillen. Viel¬ 
leicht unter dem Einfluss der erhöhten 
Aktivität unserer Kriegsstimmung ha¬ 
ben sich diese Bestrebungen in letzte¬ 
rer Zeit stärker akzentuiert. Ich will 

# Nach einem am 5. März 1915 in der Wissenschaft¬ 
lichen Gesellschaft der deutschen Aerzte in Prag ge¬ 
haltenen Vortrage. Aus Prag. m. W. t 1915, Nr. 14. 


den historischen Entwicklungsgang 
des Problemes der intravenösen Vak¬ 
zinetherapie bei Typhus nur flüchtig 
streifen. In einem an Anregungen ver¬ 
schiedener Art reichen Artikel über 
„Ergebnisse und Probleme der Ty¬ 
phusforschung“ empfiehlt W. F o r - 
net 1 ), diesen direkten Weg der Vak¬ 
zineeinverleibung versuchsweise zu 
betreten. 

I c h i k a w a berichtet 1914 über 87 
mittels intravenöser Vakzineinjektion 
behandelter Krankheitsfälle, mit einer 
Mortalität von 10 Prozent. 

Thiroloix und B a r d o n 2 ) tei¬ 
len ebenfalls 1913 einen Fall mit, in 
welchem die intravenöse Vakzine¬ 
injektion kritischen Abfall der Tempe¬ 
ratur und rasche Heilung bewirkte. 

Die zur Zeit in Oesterreich mitge¬ 
teilten und im Gange befindlichen Un¬ 
tersuchungen hinsichtlich einer Ueber- 

1) Ergebnisse der inneren Medizin und Kinderheil¬ 
kunde, 1913. 

2) Bullet, et man. de la societ£ med. des höpit. de 
Paris. S. 108, 1913. 


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280 


New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


prüfung der Methode sind wohl ange¬ 
regt durch die in der Wiener klini¬ 
schen Wochenschrift 1914, No. 45 pub¬ 
lizierten Erfahrungen von R. Kraus, 
welcher daselbst über sehr günstige 
Erfolge verschiedener argentinischer 
Aerzte I. P e n a und anderer berich¬ 
tet. Es folgten im allgemeinen gün¬ 
stig lautende Mitteilungen von v. Ko¬ 
ran y i (Budapest) und A. Biedl 
(Prag). H. Eggerth (Losoncz). 
In einer demnächst erscheinenden Ar¬ 
beit wird mein Assistent G. Holler, 
derzeit Chefarzt der k. u. k. Kranken- 
und Verwundetenstation in Sternberg, 
über seine Erfahrungen auf dem Ge¬ 
biete der intravenösen Vakzinebehand¬ 
lung des Typhus berichten. 

Durch die Mitteilungen der letzten 
Zeit ist das Thema der intravenösen 
Vakzinetherapie des Typhus zur Dis¬ 
kussion gestellt und es erscheint mir 
zweckmässig, dasselbe von klinischen 
Gesichtspunkten, auf Beobachtungs¬ 
tatsachen und auf Ueberlegungen 
fussend, zu beleuchten. Da es schon 
nach den bisherigen Erfahrungen — 
so berichtet A. Biedl nebst günsti¬ 
gen Erfolgen über zwei Fälle, welche 
in unmittelbarem Anschlüsse an die 
Injektion an unstillbarem Nasenbluten 
zu Grunde gingen — feststeht, dass 
die intravenöse Vakzineapplikation ge¬ 
wiss einen sehr energischen Eingriff 
in das pathologisch-physiologische Ge¬ 
schehen des Krankheitsprozesses dar¬ 
stellt, so dürfte die Frage nach den 
theoretischen Prämissen wohl gerecht¬ 
fertigt sein, da man sich zu einem 
eventuell lebensbedrohlichen thera¬ 
peutischen Vorgehen kaum nur auf 
Grund einer erst im Ausbau begriffe¬ 
nen Empirie entschliessen wird. Ich 
halte daher die Frage für berechtigt: 
„Was sollen wir uns vorstellen, wenn 
wir einem Typhuskranken etwa 250 
Millionen lebender oder toter Tvphus- 
bazillen einspritzen ?” 

Die natürliche Vorstellung dürfte 
wohl dahin gehen, dass die Einspritz¬ 
ung eine höchst intensive Reizung des 


Immunkörper produzierenden Systems 
zur Folge hat. Es ergeben sich daher 
zwei weitere Fragen: 

1. Wohin haben wir die Immuni¬ 
tätskörperbildung zu lokalisieren? 

Die Annahme einer derartigen Lo¬ 
kalisation als Arbeitshypothese hat R. 
Pfeifer und A. Wassermann 
zu seinen interessanten Versuchen 
veranlasst, aus welchen wir wohl mit 
grosser Wahrscheinlichkeit annehmen 
dürfen, dass Milz, Knochenmark und 
lymphatisches System als Hauptliefer¬ 
stätten anzusprechen sind. Vielleicht 
würde es sich empfehlen, bei atypi¬ 
schem Ablauf der Immunkörperpro¬ 
duktion, Ausbleiben oder sehr verspä¬ 
tetem Auftreten einer Agglutininbil¬ 
dung und dergleichen, auch die jewei¬ 
lige Eigenart der endokrinen Drüsen 
in Betracht zu ziehen. Ich hatte in 
der letzten Sitzung Gelegenheit, einen 
Fall von Typhus bei operiertem Ba¬ 
sedow zu demonstrieren, der auffal¬ 
lend war durch die grosse Zahl der be¬ 
stehenden Atypien. 

2. In welchem Zustande funktionel¬ 
ler Leistungsfähigkeit befindet sich im 
konkreten Falle das wenigstens in sei¬ 
nen Umrissen schon sichtbar werden¬ 
de System? 

Hier sind auf Grund biologischer 
Vorstellungen verschiedene Möglich¬ 
keiten offen. Das System ist z. B., wie 
wir es vielleicht in Fällen von Status 
thymico-lymphaticus anzunehmen be¬ 
rechtigt sind, konstitutionell minder¬ 
wertig angelegt, durch die im Gange 
befindliche Typhuserkrankung schon 
abnorm belastet und ohne Reserve¬ 
kraft. „Spritzen“ wir in einem derar¬ 
tigen Falle, so liegt der Gedanke nahe, 
dass wir nicht nützen, sondern scha¬ 
den. Es ist aber auch gewiss der Fall 
denkbar, dass das System sich nur tor¬ 
pide verhält gegenüber den einwirken¬ 
den Reizen und durch Verstärkung 
des Reizes reichliche Antikörperpro¬ 
duktion erzwungen werden kann und 
es so eventuell zu einer Abtötung der 
Typhusbazillen wenigstens in der 


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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


Blutbahn kommt. Ueber diesen 
Punkt, über eventuell erhöhte Bakteri- 
zidie des Serums und dergleichen lie¬ 
gen bisher keine genügenden Untersu¬ 
chungen vor. Hinsichtlich der Mög¬ 
lichkeit einer Abtötung der Mikroben 
in Gallenblase, Stuhl und dergleichen 
wird man allerdings a priori sich be¬ 
sonderen Hoffnungen nicht hingeben 
können. 

Sich über das Wesen der heilenden 
Potenzen eines therapeutischen Ver¬ 
fahrens Vorstellungen zu bilden, ist 
wohl das Bestreben jedes denkenden 
Arztes und in diesem Sinne möge das 
Vorgebrachte beurteilt werden. Auch 
R. Kraus hat sich naturgemäss die 
Frage vorgelegt, ob bei den anschei¬ 
nend günstigen Erfolgen argentini¬ 
scher Aerzte Antikörperbildung im 
Spiele sei oder vielleicht anaphylakti¬ 
sche Phänomene in Betracht kämen. 
Er gelangt bei seinen theoretischen 
Erwägungen zur Negierung beider 
Möglichkeiten, da er nach seinen Be¬ 
obachtungen mit intravenöser Injek¬ 
tion von Bakterium Koli-Vakzine bei 
Typhus abdominalis eine ganz ähn¬ 
liche Beeinflussung gefunden zu haben 
glaubt, wie mit Typhusvakzine. Auch 
anderweitige Infektionsprozesse, so 
Strepto- und Staphylokokken und 
Pyocyaneusmykosen sollen auf Bakte¬ 
rium Koli-Vakzine sehr günstig rea¬ 
gieren. R. Kraus gelangt, wie schon 
betont, auf Grund dieser Versuche zur 
Ablehnung der Annahme einer spezi¬ 
fischen Wirkung der Typhusvakzine. 
Ich möchte nun allerdings glauben, 
dass dieser Schluss nicht einwandfrei 
ist. Wir sind doch nicht imstande, das 
gesamte biochemische Geschehen 
nach Injektion von Typhusvakzine 
einerseits und Koli-Vakzine anderer¬ 
seits zu überblicken. Was wir beob¬ 
achten, sind vielleicht nur Partial¬ 
phänomene. Zwei Grössen können ei¬ 
nen gemeinsamen Faktor haben und 
doch ganz verschieden sein. Zwei po- 
lyedrische Körper können in einer 
ihrer Oberflächen sich vollkommen 

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gleichen bei ganz differenter geometri¬ 
scher Formel. Ich möchte glauben, 
dass die Schlussfolgerungen, welche 
R. Kraus aus seinen Koliexperimen- 
ten zieht, insofern über das Ziel hin- 
ausschiessen als er eine spezifische 
Einwirkung ganz in Abrede stellt. 
Möchte mich aber durchaus der Auf¬ 
fassung anschliessen, dass hier auch 
eine unspezifische Komponente zur 
W irkung gelangt. Auch Tuberkulin¬ 
wirkung setzt sich gewiss aus einer 
spezifischen und unspezifischen Quote 
zusammen. Verschiedenen Eiweiss¬ 
körpern resp. Abbauprodukten dersel¬ 
ben scheint eben besonders bei direk¬ 
ter Einverleibung in die Blutbahn eine 
mächtig aufpeitschende Wirkung auf 
den Organismus zuzukommen. 

Durch die eben entwickelten Vor¬ 
stellungen sind, glaube ich, Prämissen 
gegeben, welche die Möglichkeit einer 
therapeutischen Wirkung nicht a limi¬ 
ne ausgeschlossen erscheinen lassen. 

Falls man sich nunmehr prinzipiell 
zur Anwendung der intravenösen Vak¬ 
zinetherapie bei Typhus entschliesst, 
steht man zunächst vor dem Problem: 
In welchen Fällen von Typhus soll 
man spritzen? Oder eine Frage, die 
mir leichter zu beantworten scheint: 
In welchen Fällen soll man die Injek¬ 
tion unterlassen ? Schon I c h i k a w a 
hat über das Auftreten von Blutungen 
nach intravenöser Vakzineinjektion 
berichtet: Teils waren es Darmblu¬ 
tungen, teils Blutungen aus der Lun¬ 
ge, aus der Nase und in die Haut. A. 
B i e d 1 stellt unter Hinweis auf zwei 
Fälle, welche in unmittelbarem An¬ 
schluss an die Injektion an unstillba¬ 
rem Nasenbluten zugrunde gingen, als 
unbedingte Kontraindikation auf 
„Blutungen irgendwelcher Art." Bei 
Aufrechterhaltung dieser Kontraindi¬ 
kation in voller Schärfe wäre nun al¬ 
lerdings die Indikationssphäre der in¬ 
travenösen Vakzinetherapie hochgra¬ 
digst eingeengt. Nasenbluten zählt 
bekanntlich zu den häufigen Sympto¬ 
men eines Typhus, tritt nicht selten 


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282 


Nsw Youeb Medizinische Monatsschrift. 


als Frühsymptom auf und kann sich 
jederzeit im Verlaufe der Erkrankung 
einstellen. Auch wäre zu bedenken, 
dass ein sich vorbereitendes, noch nicht 
stattgefundenes Nasenbluten, also ge- 
wisermassen die Tendenz zum Nasen¬ 
bluten ebenso als Kontraindikation 
gelten müsste, wie eine schon stattge¬ 
fundene Epistaxis. Die Schwierigkei¬ 
ten sind hier also gross. Ich möchte 
empfehlen, hier besonders die Vorge¬ 
schichte der Kranken zu berücksichti¬ 
gen. Es gibt geborene Nasenbluter. 
Wenn wir die Vorgeschichte von 
Phthisikern, von Magengeschwür- 
kranken, von Chlorosen und Leukä¬ 
mien zurückgehen, so erfahren wir 
nicht selten, dass die Kranken an häu¬ 
figem und intensivem Nasenbluten zu 
leiden hatten. In derartigen Fällen 
w r äre natürlich ganz besondere Vor¬ 
sicht am Platze, während vielleicht ein 
gelegentliches Nasenbluten im Ver¬ 
laufe eines Typhus weniger schwer in 
die Wagschale fällt. Leider hängt 
über der intravenösen Vakzinetherapie 
auch das Damoklesschwert der Darm¬ 
blutung, falls wir uns nicht streng¬ 
stens auf die erste und zweite Woche 
beschränken; die genaue Datierung 
dürfte gelegentlich schwierig sein. 
Leider sind wir im jeweiligen Falle 
über die Zahl der Geschwüre, über die 
Tiefe derselben, über eine eventull 
sich vorbreitende Gefässarrosion im 
Unklaren. Jedenfalls müsste man bei 
Kranken zwischen 40 und 50 Jahren, 
die bekanntlich besonders zu Darm¬ 
blutungen neigen, gerade in dieser 
Hinsicht ausserordentlich vorsichtig 
sein. Auf jeden Fall möchte ich em¬ 
pfehlen, die Untersuchung auf okkulte 
Darmblutung nie zu unterlassen. Die 
Möglichkeit profuser Menstrualblu¬ 
tungen, beginnender Gravidität, die 
herabgesetzte Gerinnungsfähigkeit des 
Blutes bei Konstitutionen, welche un¬ 
ter thyreotoxischem Einflüsse stehen, 
wären gleichermasen zu berücksichti¬ 
gen. Weiterhin kämen bei Typhen der 
dritten Woche Darmgeschwüre nicht 


nur als eventuelle Quelle schwerer 
Blutungen, sondern auch vom Stand¬ 
punkte der Perforationsgefahr in Be¬ 
tracht. Bei stark in die Tiefe vorge¬ 
drungenen Ulzerationen ist selbstver¬ 
ständlicherweise absolute Ruhigstel¬ 
lung des Kranken oberstes Prinzip. 
Schüttelfröste oder gar Krämpfe, wie 
sie A. B i e d 1 in einem seiner Fälle 
beobachtete, müssen unter solchen 
Umständen wohl als sehr unerwünscht 
erscheinen. Als weitere Kontraindi¬ 
kation haben Schwächezustände des 
kardiovaskulären Systems zu gelten, 
deren exakte Einschätzung und Ueber- 
prüfung allerdings gerade bei Typhus¬ 
kranken auf Schwierigkeiten stossen 
kann. 

G. Holler empfiehlt in seiner im 
Druck begriffenen Arbeit im An¬ 
schlüsse an die Vakzineinjektion mit 
Kampfer und Koffein nicht zu sparen 
und überhaupt den Kranken in der 
Zeit nach der Injektion ständig gerade 
in Hinsicht auf kardiovaskuläre 
Schwächezustände genauestens zu 
überwachen. Er verweist auf eine 
Kontraindikation, die meines Wissens 
bisher nicht mit genügender Schärfe 
hervorgehoben wurde. Das sind bron- 
chitische und pneumonische Kompli¬ 
kationen. Postvakzinöse Schwäche¬ 
zustände des Herzens und vielleicht 
auch vasoparalytische Einflüsse im 
Bereich der Lungen scheinen hier be¬ 
sonders ungünstig zur Geltung zu 
kommen. Eine mehr minder selbst¬ 
verständliche Forderung ist, dass man 
die Injektion nicht auf einem zu hohen 
Temperaturgipfel vornimmt, um nicht 
bedrohliche Hyperpyrexien zu er¬ 
zielen. 

Ist man in einem konkreten Falle 
nach sorgfältigster Prüfung des Pro 
und Kontra zur Meinung gelangt, eine 
intravenöse Vakzineinjektion liege im 
Interesse des Kranken, so steht man 
vor der Wahl der anzuwendenden 
Vakzine. Es leuchtet theoretisch voll¬ 
kommen ein, dass mit lebender und 
sensibilisierter Vakzine (Besredka- 


Qriginal fro-m 

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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


283 


Vakzine) ceteris paribus intensivere 
Reaktionen erzielt werden können. 
Nur fragt sich, ob hiebei nicht auch 
die unerwünschten Nebenwirkungen, 
wie Provokation von Blutungen und 
dergleichen, auch maximal ausfallen, 
und andererseits ist das Arbeiten mit 
lebenden Typhusbazillen gerade 
nichts sehr Angenehmes. Sollten sich 
also die Befunde von G. Holler, 
welcher mit Aethervakzine günstige 
Erfolge erzielt zu haben glaubt, weiter¬ 
hin bestätigen, so wäre dies auch vom 
Standpunkte der anzuwendenden Vak¬ 
zine sehr erfreulich. G. Holler in¬ 
jiziert meist 100,(XX),000, findet aber, 
dass 50,000,000 oft gleichen Effekt 
ausüben. Letzteres würde wohl dafür 
sprechen, dass mit 50,000,000 die maxi¬ 
male Reizstärke erreicht ist. 

Von den verschiedenen Autoren, 
welche sich bisher mit intravenöser 
Vakzinetherapie beschäftigt haben, 
wird übereinstimmend auf die Mög¬ 
lichkeit verwiesen, den Krankheits¬ 
prozess abortiv zu beeinflussen. Es 
kommt im Allgemeinen schon wenige 
Stunden nach der Injektion zu einem 
starken Ansteigen der Temperatur bis 
41 Grad, ja selbst 42 Grad, dem dann 
häufig ein ähnlich rascher Abfall zur 
Norm, oder sogar unter die Norm 
folgt. Von da an verhält sich aber die 
Temperaturkurve verschieden. Manch¬ 
mal kommt es zu einem neuerlichen 
beträchtlichen Ansteigen der Tempe¬ 
ratur, an das sich dann eventuell eine 
typische, über mehrere Tage sich er¬ 
streckende Entfieberung anschliesst, 
oder diese lytische Phase setzt ohne 
neuerliches Ansteigen nach der pseu¬ 
dokritischen Entfieberung ein. Im All¬ 
gemeinen handelt es sich im An¬ 
schluss an die Vakzineinjektion also 
nicht um eine wirkliche Krise, sondern 
um eine Pseudokrise und lässt sich der 
postvakzinöse Verlauf der Tempera¬ 
turkurve keineswegs etwa differential¬ 
diagnostisch gegenüber anderweitigen 
Infektionsprozessen verwerten. Nach 
Untersuchungen G. Holle r’s kommt 


es nicht selten im Anschlüsse an die 
Injektion zum Wiederauftreten der 
eosinophilen Zellen im Blute, was al¬ 
lerdings noch nicht gestattet, das 
Ausbleiben eines Rezidivs anzuneh¬ 
men. Da bekanntlich Typhusfälle 
nicht selten auch spontan abortiv ver¬ 
laufen — so konnte ich einen Fall de¬ 
monstrieren, der am neunten Tage 
bereits entfiebert war — so werden 
natürlich manchmal Zweifel berech¬ 
tigt sein, ob die Entfieberung wegen 
oder nach der intravenösen Vakzine¬ 
injektion aufgetreten sei. Von gröss¬ 
tem Interesse scheint mir die Frage 
nach der Häufigkeit der Rezidiven bei 
den mit intravenöser Vakzineinjektion 
behandelten Fällen. G. Holler ver¬ 
weist mit Nachdruck darauf, dass Re¬ 
zidive leicht auftreten und noch lan¬ 
ge Zeit nach der Entfieberung diäte¬ 
tisch grosse Vorsicht am Platze ist. 
Die Feuerprobe für die intravenöse Vak¬ 
zinetherapie liegt natürlich einzig und 
allein in dem Vergleiche der Mortali¬ 
tätsstatistik „vakzinierter“ und nicht 
„vakzinierter“ Fälle. Es ist eine 
Selbstverständlichkeit, auf die ich aber 
doch hinweisen möchte, dass es viel 
weniger darauf ankommt, ob ein Ty¬ 
phus zwei Wochen kürzer oder länger 
dauert, sondern ob er stirbt oder am 
Leben bleibt. Bedingungen für eine der¬ 
artige Statistik wäre natürlich mög¬ 
lichste Gleichartigkeit des Materials 
in Bezug auf Alter, Kräftezustand, Be¬ 
ginn der Behandlung und dergleichen. 
Ob gerade Kriegstyphen hier ein ge¬ 
eignetes Untersuchungsmaterial dar¬ 
stellen, erscheint mir allerdings frag¬ 
lich. 

So wie für die Beurteilung der Tu¬ 
berkulintherapie extrapulmonale Ver¬ 
laufsformen von Tuberkulose, so nach 
e. B. Grocco-Ponce t’scher Rheu¬ 
matismus ausserordentlich instruktiv 
sind, wäre es gewiss von Interesse, die 
intravenöse Vakzinetherapie in ihrer 
Wirkung auf extraintestinale, typhöse 
Krankheitsprozesse wie Otitis, Osteo¬ 
myelitis, Orchitis, Typhoid spine, spe- 


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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


zifische Gelenkprozesse und derglei¬ 
chen anzuwenden. Hier besteht die 
Möglichkeit, in loco imorbi reaktive 
Aeusserungen direkt zu beobachten 
und daraus die Einwirkung auf spezi¬ 
fische interne, einer direkten Beobach¬ 
tung ' nicht zugängliche Krankheits¬ 
herde (Geschwüre etc.) zu er- 
schliessen. 

Ich habe mich der stets undankba¬ 
ren Aufgabe unterzogen, gewisser- 
massen als Bremse zu wirken. Ich 
habe aber die Ueberzeugung, dass, 
falls nicht mit grösster Strenge und 
grösster Umsicht die leider sehr zahl¬ 


reichen und schwer einschätzbaren 
Kontraindikationen der intravenösen 
Vakzinetherapie berücksichtigt wer¬ 
den, es nach einer entsprechenden 
Zahl von Opfern zu einem Rückschlag 
kommen wird, wie wir ihn in der er¬ 
sten Aerä der Tuberkulintherapie er¬ 
lebt haben. Hier vorzubeugen, das In¬ 
teresse von Kranken zu wahren, aber 
auch zu verhüten, dass eine Methode 
rasch diskreditiert wird, die vielleicht 
als Stufe im Entwicklungsgang zu 
einer aktiveren Typhusbehandlung 
eine Berechtigung hat, war Zweck 
meiner Ausführungen. 


Die Läuseplage in den Armeen vor vierhundert Jahren. 

Von Dr. A. Rose. 


Die Läuseplage, die jetzt so viel 
Aufmerksamkeit beansprucht, ist in 
früheren Kriegen noch viel mehr eine 
Pein der Krieger gewesen. Seltsame 
Mittel wurden dagegen empfohlen, die 
auf dem Aberglauben des Volkes be¬ 
ruhten. Ein Büchlein wollte nicht nur 
die Ungezieferplage lindern, sondern 
es wusste auch allerlei Mittel, die 
Krieger unverwundbar und stichfest 
zu machen. Der Titel desselben ist: 
„Das geheime Kunst- und Arznei- 
Büchlein“ oder „Der räysende Sama¬ 
riter des Krieges,“ gedruckt im Jahre 
1540. Gegen die grossen Leiden des 
Krieges, gegen Verwundung, gegen 
Bluten und gegen Ungeziefer werden 
da allerlei Mittel empfohlen. Folgen¬ 
de sind einige derselben gegen Läuse: 

„ Man hält dafür, wann einer ein 
Beinlein von einem todten Menschen 


so auf den Gottesacker leichtlich zu 
bekommen, in seine Kleider vernäht, 
werde er nicht leichtlich von Läusen 
und Ungeziefer angefochten. Oder 
nimm Wermuth, einen guten Tteil, 
und die inneren Abschnitten von Pfer¬ 
dehufen, siede solche in halb Lauch 
und Wasser und dunke dein Hemd 
darein, und lasse es trucknen, so wird 
Dir keine Laus darein kommen, und 
die darinnen seyn, heraus marschi- 
ren. 

Es folgen dann Waffensalben, die 
unverwundbar machen und den Be¬ 
sitzer zum Sieger über alle Feinde, 
wenn es sein Schwert damit labt, ver¬ 
helfen. Ferner werden mitgeteilt: 
Blutstelelnde Mittel, und schliesslich 
sagt der räysende Samariter: „Mit 
diesen Rezepten ausgerüstet, kam der 
Krieger heil und gesund durch alle 
Fährnisse der Schlachten!“ 


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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


285 


Erfahrungen über Zystitis im Kindesalter.* 

Von Professor Dr. Rudolf Fischl. 


Wenn ich es unternehme, an dieser 
Stelle über eine Krankheit zu schrei¬ 
ben, die uns Kinderärzten wohlver¬ 
traut ist und über welche ich eigent¬ 
lich nicht viel Neues zu sagen weiss, 
so geschieht dies aus dem Grunde, 
weil ich mich oft genug überzeugen 
konnte, dass dieses so wichtige und 
im Kindesalter durchaus nicht seltene 
Leiden noch keineswegs Gemeingut 
der in der Praxis stehenden Aerzte ge¬ 
worden ist. Wiederholt habe ich es 
sowohl bei der konsultativen Tätigkeit 
in der Stadt als auch namentlich am 
Lande erlebt, dass im betreffenden 
Falle an Zystitis gar nicht gedacht 
wurde, während, wie ich an einigen 
Beispielen zu zeigen bemüht sein wer¬ 
de, eine solche Diagnose aus diesem 
oder jenem Grunde nahelag. Daraus 
resultierten nicht nur unangenehme 
Situationen für den behandelnden und 
den von ihm zu Rate gezogenen Arzt, 
sondern auch gewisse Gefahren für die 
kleinen Patienten. Denn wenn auch 
die Zystitis im Allgemeinen eine harm¬ 
lose und durch entsprechende Thera¬ 
pie relativ rasch zu beseitigende Af¬ 
fektion darstellt, so gibt es auch 
schwere Fälle hartnäckiger Natur, und 
solche diagnostische Versäumnisse 
und die durch sie bedingte Ablenkung 
der Therapie in falsche Bahnen kön¬ 
nen von peinlichen, ja selbst verhäng¬ 
nisvollen Folgen sein. 

Früher hat man auch in unseren 
Kreisen die Affektionen der kindlichen 
Blase zu den kasuistischen Seltenhei¬ 
ten gezählt, und wenn man die ältere 
Literatur durchsieht, ist man erstaunt, 
wie wenig und wie schlecht Verwert¬ 
bares darüber gesagt wird. 

Erst der Aufschwung der Urologie, 
der neben sonstigen Erweiterungen 
unserer Kenntnisse auch die unerwar- 

*Aus Prag. m. VV., 1915, Nr. 15. 


tete Häufigkeit von Infektionen der 
unteren und oberen Harnwege auf¬ 
deckte, bot Anlass, diesen Dingen auch 
im Kindesalter nachzugehen, und es 
war besonders die Grazer Klinik, die 
unter ihrem damaligen Leiter weiland 
Theodor Escherich den Gegen¬ 
stand bearbeitete und interessante 
Publikationen aus der Feder von 
Escherich selbst sowie von seinen 
Schülern T r u m p p und Pfaund¬ 
ler veranlasste. Es stellte sich dabei 
heraus, dass diese Erkrankungen im 
früheren und späteren Kindesalter 
eine unerwartete Frequenz aufweisen, 
dass vorwiegend, anfangs glaubte man 
sogar ausschliesslich, Mädchen ergrif¬ 
fen werden, und dass das Bacterium 
coli der gewöhnlichste Erreger diese: 
Prozesse sei, was schon von vorne- 
herein auf eine vom Darm ihren Aus¬ 
gang nehmende Infektion deutete. 

Die weitere ausgedehnte Arbeit auf 
diesem Gebiete hat sich einerseits da¬ 
mit beschäftigt, die Infektionswege 
klarzulegen, was sowohl auf Grund 
der klinischen Eindrücke, als patholo¬ 
gisch-anatomischer Befunde, als expe¬ 
rimenteller Untersuchungen geschah, 
andererseits das in dieser Lebens¬ 
epoche durchaus nicht klare und viel¬ 
fach irreführende Symptomenbild zu 
fixieren, und endlich der Therapie 
feste Grundlagen zu bieten. In allen 
diesen Richtungen haben wir erfreu¬ 
liche Fortschritte zu verzeichnen, ohne 
jedoch zu einer vollständigen Klärung 
gelangt zu sein. 

Was zunächst die Häufigkeit der in 
Rede stehenden Affektionen anlangt, 
so wechseln die betreffenden Angaben 
in weiten Grenzen, was einesteils damit 
zusammenhängt, dass mit zunehmen¬ 
der Aufmerksamkeit auch die Zahl der 
Fälle wächst, andernteils jedoch auch 
darin seinen Grund hat, dass die Fre- 


Qriginal fro-m 

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286 


New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


quenz sich auch nach dem den betref¬ 
fenden Beobachtern zur Verfügung 
stehenden Material richtet. 

Auf meiner poliklinischen Abteilung 
wird diesen Dingen seit jeher die 
grösste Aufmerksamkeit geschenkt 
und neben den vor jeder Ordinations¬ 
stunde bereitgestellten ausgekochten 
Metallspateln sind auch Metallkathe¬ 
ter zurechtgelegt, um in verdächtigen 
Fällen unter entsprechenden Kautelen 
den Harn entnehmen zu können. Den 
Katheterismus nehme ich prinzipiell 
nur bei weiblichen Individuen vor, wo 
er unter Verwendung steriler Instru¬ 
mente, Einfettung mit Vegetalin 1 ) und 
vorheriger Auswaschung der Scheide 
mit Sublimatlösung einen ganz unbe¬ 
denklichen Eingriff darstellt, von wel¬ 
chem wir niemals den geringsten 
Nachteil beobachten konnten. Bei 
Knaben unter einem Jahre lasse ich 
nach vorheriger sorgsamer Reinigung 
der Glans penis den R a u d n i t z’schen 
Harnfänger anlegen, was unter Be¬ 
nützung starkwandiger Glaskölbchen 
als Auffanggefässe gleichfalls unbe¬ 
denklich geschehen kann. 

Auf diesem Wege bin ich zu der 
Ueberzeugung gelangt dass das Lei¬ 
den unter unserem Material relativ 
viel seltener ist als bei anderen Beob¬ 
achtern, und als Grund dieser Diffe¬ 
renz möchte ich die Ernährungsweise 
der Säuglinge ansehen, die bei uns, wie 
ich dies schon an anderen Stellen zei¬ 
gen konnte, im ersten Lebensjahre 
eine überwiegend natürliche ist. Es 
hängt dies meiner Meinung nach mit 
der verschiedenen Virulenz der Koli¬ 
bakterien bei natürlich und künstlich 
genährten Säuglingen zusammen, die 
unter den letzerwähnten Verhältnissen 
eine entschieden gesteigerte ist. Bei 
einem Zugang von etwa 15,000 Kin¬ 
dern im Laufe der letzten zwölf Jahre, 
die zu reichlich zwei Dritteln dem er¬ 
sten Lebensjahre angehörten, konn¬ 
ten wir nur 26 Fälle eruieren und auch 

1) Einer sterilen von Zuckerkand] empfoh¬ 
lenen in Tuben befindlichen Katheterschmiere. 


von diesen betrafen bloss sechs Kinder 
der ersten zwölf Lebensmonate, Zah¬ 
len, die gegen die von G ö p p e r t, 
Finkeistein, Trump p, Lang¬ 
stein, Thiemich u. a. mitgeteil¬ 
ten stark zurückstehen. Der Rest ver¬ 
teilt sich auf die späteren Lebensjahre. 

Es ist ferner bemerkenswert und für 
den Infektionsmodus bezeichnend, 
dass alle diese sechs Fälle Mädchen 
betrafen, wie überhaupt das starke 
Lieberwiegen des weiblichen Ge¬ 
schlechtes sowohl unter meinem poli¬ 
klinischen als privaten Material zu 
deutlichem Ausdruck kommt, wie die 
folgenden Zahlen beweisen. Unter 
den erwähnten 26 Fällen gehörten 22 
dem weiblichen Geschlechte an und 
nur vier betrafen Knaben, und von 15 
ausserhalb der Anstalt gesehenen Fäl¬ 
len war nur ein einziger männlichen 
Geschlechts. 

Bekanntlich hat die Frage des In¬ 
fektionsweges vielfache Kontroversen 
geweckt, indem gegenüber der ur¬ 
sprünglich von Escherich ge- 
äusserten Anschauung, es handle sich 
stets um ein direktes Hineinwandern 
der Infektionserreger vom Anus her 
auf dem kurzen und weiten Wege der 
weiblichen Urethra in die Blase, von 
anderen Forschern geltend gemacht 
wurde, dass bei Knaben, welche die 
Affektion zwar seltener, aber immer¬ 
hin doch aufweisen, eine solche Ent¬ 
stehungsweise ausgeschlossen erschei¬ 
ne, weshalb wenigstens für diese ein 
anderer Weg angenommen werden 
müsse. Inbetreff dieses ist allerdings 
eine Einigung nicht erzielt worden, 
indem ein Teil der Autoren hämato¬ 
gene Infektion mit Ausscheidung der 
Keime durch die Nieren, oberen und 
unteren Harnwege, ein anderer Ueber- 
tritt vom Mastdarm in die Blase auf 
dem Wege von daselbst nachgewiese¬ 
nen Lymphbahnen annimmt. 

Das Experiment hat nach dieser 
Richtung keine entscheidenden Auf¬ 
schlüsse gegeben, was nicht weiter 
Wunder nehmen kann, da es erstens 


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New Yoekeb Medizinische Monatsscheift. 


287 


mit Tieren, meist Kaninchen, arbeitet, 
die eine hohe Unempfänglichkeit ihrer 
unteren Harnwege gegen bakterielle 
Infektionen aufweisen, zweitens unter 
Bedingungen, welche denen der natür¬ 
lichen Infektionsweise denn doch sehr 
wenig ähneln, weshalb ich den daraus 
gezogenen Schlüssen sehr skeptisch 
gegenüberstehe. 

Wenn man sich auf den klinischen 
Eindruck verlässt, und in solchen Fra¬ 
gen bleibt er meiner Meinung nach der 
massgebendste Faktor, so spricht die¬ 
ser mit Entschiedenheit dafür, dass es 
sich zunächst um eine primäre Erkran¬ 
kung der Blase handelt, an die sich, 
bei längerer Dauer und ungenügender 
Behandlung, eine solche der oberen 
Harnwege und der Nieren schliessen 
können, wobei die Möglichkeit einer 
hämatogenen Infektion zugestanden 
sein mag, jedoch als grosse Seltenheit 
bezeichnet werden muss. Wäre dem 
anders, dann hätten die Fälle eine viel 
ungünstigere Prognose, als sie sie in 
der Regel aufweisen, und, in Analogie 
mit den Erfahrungen bei anderen hä¬ 
matogenen Infektionen des frühen 
Kindesalters, würden wir viel schlech¬ 
tere therapeutische Ergebnisse erzie¬ 
len, als sie in der weitaus grössten 
Mehrzahl der Fälle zu verzeichnen 
sind. 

Auch die Symptome, die allerdings, 
wie später gezeigt werden soll, oft an 
Prägnanz viel zu wünschen übrig las¬ 
sen und häufig die Aufmerksamkeit 
nach falschen Richtungen ablenken, 
deuten auf eine durch lokale Blasen¬ 
entzündungen bedingte Störung der 
Miktion und lassen sich dahin charak¬ 
terisieren, dass häufige und spärliche 
Harnentleerung, Empfindlichkeit der 
Blase gegen Berührungen, Schmerzen 
und Tenesmus nach erfolgter Urin¬ 
emission so deutlich vorhanden sind, 
dass sie selbst die Umgebung des Kin¬ 
des zur Annahme eines Blasenleidens 
veranlassen. So finden sich unter den 
poliklinischen Fällen 12, in denen sol¬ 
che Symptome von den Kindern selbst 


oder von ihrer Umgebung beobachtet 
wurden und den Grund für ihre Vor¬ 
stellung bildeten, was bei der geringen 
Achtsamkeit der Kreise, aus denen un¬ 
ser Material zum grössten Teile 
stammt, immerhin bemerkenswert er¬ 
scheint und im oben angeführten Sin¬ 
ne gedeutet werden muss. Dabei sei 
noch betont, dass sich unter diesen 
Fällen auch solche aus den späteren 
Monaten des ersten Lebensjahres be¬ 
finden, wo es schon einer gewissen In¬ 
tensität der Erscheinungen bedarf, um 
die Aufmerksamkeit von den Zähnen 
und dem Darm weg nach dieser Rich¬ 
tung zu lenken. 

Neben solchen Fällen, in denen von 
vorneherein der Verdacht einer Bla¬ 
senaffektion geweckt wird, deren Ent¬ 
stehung im Anschluss an Darmstörun¬ 
gen fast ausnahmslos nachweisbar ist, 
rangieren aber diejenigen, welche erst 
durch eine genaue unter den entspre¬ 
chenden Kautelen vorgenommene 
Harnuntersuchung in ihrem wahren 
Wesen erkannt werden, während die 
Erscheinungen entweder vager Natur 
sind oder Veranlassung bieten, den 
Sitz des Leidens auf ganz anderen Ge¬ 
bieten zu suchen. Dass sie recht häu¬ 
fig sind, beweist schon die Tatsache, 
dass das poliklinische Krankenmate¬ 
rial dieser Kategorie mehr als die 
Hälfte solcher symptomatisch unaus¬ 
geprägter Fälle aufweist. 

G ö p p e r t, dem wir gerade in die¬ 
ser Richtung sehr interessante Be 9 b- 
achtungen danken, hat auf die häufige 
Verwechslung mit Typhus, Meningi¬ 
tis, Influenza, Pneumonie u. dgl. hin¬ 
gewiesen und dies durch Krankenge¬ 
schichten aus seiner reichen Erfahrung 
belegt. Dass man bei richtiger Psy¬ 
chologie der Diagnosestellung schon 
von vornherein mitunter die richtige 
Vermutung hegen kann-, möchte ich an 
der Hand zweier recht lehrreicher Be¬ 
obachtungen zeigen. 

Vor zwei Jahren konsultierte mich 
ein Kollege von grosser Erfahrung 
über den Zustand eines etwa achtjäh- 


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288 


New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


rigen Mädchens, das bereits seit mehr 
als einer Woche in seiner Behandlung 
stand und neben einem ziemlich hohen 
kontinuierlichen Fieber sowie massi¬ 
ger Diarrhöe keine sonstigen Erschei¬ 
nungen aufwies. Er hatte die Vermu¬ 
tung ausgesprochen, dass es sich um 
einen leichten Abdominalis handle, 
und aus diesem Grunde auch eine 
Blutuntersuchung vornehmen lassen, 
die jedoch inbezug auf spezifische Ag¬ 
glutination ein negatives Ergebnis lie¬ 
ferte. Ich fand das Kind aufrecht im 
Bette sitzend mit einer Lektüre be¬ 
schäftigt ; von objektiven Symptomen 
konstatierte ich nichts als eine leichte 
Milzschwellung, Bronchitis und Rose¬ 
ola fehlten, und auch der Gesamtein¬ 
druck zeigte keine Spur eines Status 
typhosus. Hingegen erfuhr ich auf 
meine Frage nach einer eventuellen 
Harnuntersuchung, dieselbe sei vor¬ 
genommen worden und hätte einen 
mässigen Eiweissgehalt ergeben. Die¬ 
ses Moment in Zusammenhalt mit den 
leichten Krankheitserscheinungen, die 
eine durch Typhus bedingte Albumi¬ 
nurie, wie sie ja doch nur schwereren 
Fällen eignet, ausschlossen, veranlass- 
te mich, trotz vollständiger Abwesen¬ 
heit aller lokalen Blasensymptome, die 
das sehr intelligente Kind gewiss an¬ 
gegeben hätte und die auch von seiner 
aufmerksamen Umgebung bemerkt 
worden wären, eine Zystitis zu vermu¬ 
ten und die nachgewiesene Albuminu¬ 
rie auf diese zurückzuführen. Die so¬ 
fort vorgenommene Harnuntersuch¬ 
ung gab mir Recht, und eine darauf¬ 
hin eingeleitete entsprechende Thera¬ 
pie hatte in kurzer Zeit Fieberabfall 
und Genesung des Kindes zur Folge. 

Noch interessanter war der zweite, 
am gleichen Orte von einem anderen 
Kollegen beobachtete Fall, den ich 
gleichfalls konsultativ zu sehen Gele¬ 
genheit hatte. Es handelte sich um 
ein etwa neun Jahre altes fettleibiges 
Mädchen, das vor einigen Tagen im 
Anschluss an einen längeren, bei 
grosser Hitze vorgenommenen Spa¬ 


ziergang (es handelte sich um einen 
Weg von etwa zwei Stunden) plötz¬ 
lich unter sehr hohem Fieber und Pro¬ 
stration erkrankt war, * wozu sich in 
den nächsten Tagen auch Diarrhöen 
und Husten gesellten. Der Eindruck, 
welchen ich von der Patientin emp¬ 
fing, war der eines ausgesprochenen 
Status typhosus; hochgerötete Wan¬ 
gen, trockene fuliginös belegte Lippen, 
eine trockene, an den Rändern rote 
Zunge, leichter Meteorismus, ausge¬ 
sprochene Milzschwellung und etwas 
Bronchitis, dabei wie mir die beige¬ 
brachte Probe zeigte, ein übelriechen¬ 
der geschichteter Stuhl von erbsen¬ 
suppenartigem Aussehen. Der behan¬ 
delnde Arzt, früherer klinischer 
Assistent und sehr sorgsamer Beob¬ 
achter, las mir einen langen Status 
vor, in dem auch das B a b i n s k i'sche 
Zehenphänomen nicht fehlte, und 
sprach seine Ueberzeugung aus, es 
handelte sich um einen Typhus, wenn 
auch die Ficke r’sche Blutprobe bis¬ 
her negativ ausgefallen sei. Ich muss 
gestehen, dass ich ihm auf den ersten 
Blick hin Recht gab, doch stimmte mir 
die plötzliche Entstehung des Krank¬ 
heitsbildes im Gefolge einer grösseren 
körperlichen Anstrengung bei heissem 
Sommerwetter nicht recht mit meinen 
sonstigen Erfahrungen über den kind¬ 
lichen Abdominalis. Die genaue so¬ 
matische Untersuchung des Kindes, 
welche ich. nunmehr vornahm, ergab 
das Vorhandensein einer Vulvovagini¬ 
tis, und dieser Umstand bewog mich, 
auch in diesem Falle an eine Blasen¬ 
entzündung zu denken, die offenbar 
durch das mechanische Hineinpressen 
des infektiösen Scheidensekrets in die 
Urethra bei der starken Marschlei¬ 
stung des fetten Kindes entstanden 
war. Ich äusserte dem ein wenig er¬ 
staunten Kollegen gegenüber diese 
Vermutung und bat um Vornahme der 
Harnuntersuchung, welche dieselbe 
voll bestätigte. Auch in diesem Falle 
hatte die eingeleitete Therapie raschen 
und vollen Erfolg und der schwere 


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289 


Status war nach einigen Tagen ge¬ 
wichen. 

Dass auch bestehende Blasensymp- 
tome, wenn sie von sonstigen Allge¬ 
meinerscheinungen begleitet werden, 
keine richtige Wertung erfahren und 
trotz solcher der Sitz des Leidens an 
falscher Stelle gesucht wird, zeigt der 
folgende Fall, in welchem der diagno¬ 
stische Irrweg auch insofern von un¬ 
angenehmen Folgen war, als es einer 
monatelangen komplizierten Therapie 
bedurfte, bevor es gelang, des Leidens 
Herr zu werden. Ein damals 2^2jähri- 
ges Mädchen stand bereits durch Wo¬ 
chen wegen kontinuierlichen Fiebers in 
Behandlung, ohne dass ausser der 
Temperatursteigerung und an die 
Harnentleerung sich schliessenden 
Schmerzen irgend ein prägnantes 
Symptomenbild die sichere Diagnose 
des Zustandes gestattet hätte, welcher, 
wie so oft, auch diesmal wieder als 
typhöses Fieber aufgefasst und mit 
strenger Diät und antipyretischen 
Massnahmen behandelt worden war. 
Der weitere Verlauf gestaltete sich so, 
dass die anfänglich kontinuierliche 
Temperaturerhöhung einem unregel¬ 
mässig remittierenden bis auf 40 Grad 
ansteigenden Fieber wich, während 
der Gesamtzustand des Kindes ausser 
seiner wohl auf die strenge Nahrungs¬ 
beschränkung zurückzuführenden Ab¬ 
magerung keine Besonderheiten auf¬ 
wies. Als ich in diesem, gleichfalls 
bereits durch Wochen anhaltenden 
Stadium zu Rate gezogen wurde, fiel 
mir schon beim Betreten des Kranken¬ 
zimmers ein eigentümlicher fauliger 
Geruch auf, der von dem unter dem 
Bette des Kindes stehenden Nachttopf 
stammte. Ich nahm eine Probe des 
darin befindlichen Harns in die Woh¬ 
nung des Kollegen mit und konnte 
schon makroskopisch eine starke grob¬ 
flockige und fetzige Trübung konsta¬ 
tieren. Nach kurzem Zentrifugieren 
erhielt man ein reichliches Sediment, 
das aus dichten Rasen von Leukozy¬ 
ten bestand, zwischen denen massen¬ 


hafte Kurzstäbchen herumwirbelten. 
Bei genauerer Nachschau fand sich hie 
und da ein leukozytärer Zylinder, 
Epithel der oberen Harnwege und an 
einzelnen Stellen eine gruppenweise 
Anordnung der Leukozyten zu runden 
Pfropfen, die offenbar den Sammel¬ 
röhren entstammten. Dabei war der 
Eiweissgehalt höher als es der Zahl 
der Formelemente entsprach. Damit 
war die Diagnose auf Zystopyelitis ge¬ 
sichert, welche, wie nachträgliche 
anamnestische Erhebungen ergaben, 
im Gefolge einer Diarrhöe aufgetreten 
war, und die Therapaie musste dem¬ 
entsprechend eine andere Richtung 
einschlagen. Die lange Dauer und 
grosse Intensität des Prozesses Hessen 
mich von einer bloss medikamentösen 
Behandlung nicht mehr viel erwarten, 
sodass ich lediglich zu einem kurzen 
Versuche mit Urotropin riet, bei des¬ 
sen Wirkungslosigkeit sofort Blasen¬ 
spülungen angeschlossen werden soll¬ 
ten. Die Schwierigkeit der Durchfüh¬ 
rung solcher unter den speziellen Ver¬ 
hältnissen nötigte jedoch dazu, das 
Kind nach einiger Zeit in ein Prager 
Sanatorium aufzunehmen, wo ich in 
Gemeinschaft mit Herrn Kollegen Ar¬ 
thur G ö t z 1 die lokale Behandlung 
fortsetzte, die in Spülungen der Blase 
mit 2 Prozent Borlösung und nachhe- 
rigem Einspritzen schwacher Argen¬ 
tum nitricum-Solution bestand, doch 
gelang es auch auf diese Weise nicht, 
den Harn rein zu machen, und der 
Erfolg bestand lediglich darin, dass 
das Fieber endgiltig wich und das Ge¬ 
samtbefinden des Kindes sich wesent¬ 
lich besserte, mit welchem Resultat 
wir uns vorläufig begnügen mussten. 

Als nach der Heimkehr der kleinen 
Patientin ihr Zustand nach den mir 
gewordenen Berichten stationär blieb, 
indem der Harn konstant Trübung 
und fauligen Geruch aufwies und sich 
infolge der chronisch gewordenen 
Zystopyelitis die für solche Fälle recht 
charakteristische Anämie mit leichtem 
Stich ins Ikterische einstellte, nahm 

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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


ich sie nochmals in Sanatorium, um 
daselbst eine Vakzinebehandlung 
durchzuführen, wobei mich wiederum 
der auf diesem Gebiete sehr erfahrene 
Kollege G ö t z 1 freundlichst unter¬ 
stützte. Es gelangte eine von Herrn 
Dozenten Dr. Gottlieb Salus aus 
dem aseptisch entnommenen Harn des 
Kindes hergestellte Autovakzine zur 
Verwendung, welche im ccm 40 Mil¬ 
lionen Kolibazillen enthielt und in 
mehrtägigen Intervallen in steigender 
Dosis subkutan injiziert wurde. Schon 
nach der zweiten Einspritzung zeigten 
die Kolibazillen im Urinpräparat deut¬ 
liche Agglutination und waren zum 
Teil in Leukozyten inkorporiert; 
gleichzeitig war im negativen Präpa¬ 
rat ein Verlust ihrer Beweglichkeit zu 
konstatieren. Nach weiteren zwei In¬ 
jektionen waren die Bakterien aus 
dem Harn verschwunden und auch die 
Zahl der darin nachweisbaren Form¬ 
elemente erschien wesentlich verrin¬ 
gert ; nach der fünften Einspritzung 
konnte man eine wenigstens momen¬ 
tane vollständige Beseitigung des ab¬ 
normen Harnbefundes konstatieren, 
und wie eine vor kurzer Zeit von mir 
vorgenommene neuerliche Untersuch¬ 
ung ergab, hält dieses günstige Resul¬ 
tat an, womit allerdings noch nicht ge¬ 
sagt ist, dass dies auch dauernd der 
Fall sein wird. 

Es hatte also grosser Schwierigkei¬ 
ten, eines komplizierten therapeuti¬ 
schen Apparates und ziemlich langer 
Zeit bedurft, um das Kind von einem 
Leiden zu befreien, das bei rechtzeiti¬ 
ger Diagnose und entsprechender Be¬ 
handlung gewiss rasch gewichen wäre, 
wie ich dies in anderen derartigen 
Fällen regelmässig konstatieren konn¬ 
te, und gerade solche gewiss unange¬ 
nehme Vorkommnisse machen es dem 
Arzte zur Pflicht, bei ein wenig in die 
Länge gezogenen, in ihrem Wesen 
unklaren Fieberzuständen eine genaue 
makro- und mikroskopische Harn¬ 
untersuchung vorzunehmen, was ja in 
der oben angegebenen Weise nicht die 


geringsten Schwierigeiten bietet. In 
dem erwähnten Falle sind wir noch 
nicht zu spät gekommen und waren in 
der Lage, den Zustand zu beseitigen ; 
dass dies nicht immer gelingt, bewei¬ 
sen zahlreiche Beobachtungen anderer 
Autoren, in denen es entweder zu 
schweren aszendierenden Prozessen 
mit ungünstigem Ausgang kam oder 
sich ein chronisches Siechtum ent¬ 
wickelte. Ja, es findet sich von ver¬ 
schiedenen Seiten (Lenhartz, 
G o e p p e r t u. a.) die gewiss begrün¬ 
dete Ansicht ausgesprochen, dass viele 
in ihrer Aetiologie rätselhafte Pyeliti¬ 
den bei Frauen in ihren ersten Anfän¬ 
gen auf solche übersehene Affektionen 
der ersten Kinderjahre zurückzüfüh- 
ren sind. 

Die Harnuntersuchung muss stets 
unter sorgsamen Käutelen vorgenom¬ 
men werden, um auch nach dieser 
Richtung alle eventuellen Irrtümer zu 
vermeiden; so waren wir in der Poli¬ 
klinik wiederholt in der Lage, bei fie¬ 
bernden Kindern, die keinen befriedi¬ 
genden Lokalbefund aufwiesen, einen 
diffus trüben Harn zu gewinnen, der 
beim Halten der Eprouvette gegen das 
Licht die charakteristische Sonnen¬ 
stäubchentrübung aufwies, welche je¬ 
doch, wie die mikroskopische Nach¬ 
schau zeigte, durch amorphe oder in 
Wetzsteinform auskrystallisierteHarn¬ 
säure bedingt war, somit einer urati- 
schen Diathese entsprang, und keine 
zystitische Grundlage hatte. 

Vor kurzem hat Abels einen sehr 
interessanten und wohl einzelstehen¬ 
den Befund mitgeteilt, in welchem es 
sich um offenbar in verbrecherischer 
Absicht in die Blase des Kindes ein- 
gebrachte Frauenhaare und Papier¬ 
fetzen handelte, die zu Fremdkörper- 
zystitis führten Auch da sind bei 
Ausserachtlassung der nötigen Kaute- 
len Irrtümer möglich, wie ein Fall 
meiner Beobachtung zeigt, den ich mit 
wenigen Worten erwähnen will. Es 
handelte sich um ein 7]/ 2 Monate altes 
Mädchen aus einer deutsch-böhmi- 


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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


291 


sehen Landstadt, das seit längerer Zeit 
Fieberbewegungen und leichten Harn¬ 
drang darbot und von verschiedenen 
Aerzten erfolglos behandelt worden 
war, bis einer derselben die Vermu¬ 
tung äusserte, dass eine Zystitis vor¬ 
liege und das Kind an mich zur wei¬ 
teren Beobachtung wies. Ich konsta¬ 
tierte bei dem massig entwickelten 
Kinde, die recht charakteristische 
Blässe mit leichtem Stich ins Gelbe, 
sowie eine beiderseitige leichte 
Schmerzhaftigkeit der Nierengegend. 
Die Untersuchung des mir über¬ 
sandten Urins lieferte folgenden merk¬ 
würdigen Befund: In dem lichten 
Harn schwimmen gröbere weissliche 
Flocken, die Eiweissprobe ist negativ 
(weder Essigsäure- noch Ferrozyan- 
kalifällung), mikroskopisch spärliche 
Leukozyten, reichlich Epithel, meist 
aus der Vagina, grössere Gruppen von 
zusammengeballten Fäden (Wolle 
oder Baumwolle) mit eingestreuten 
Lykopodiumzellen, grosse geschichte¬ 
te und kleinere runde und eckige stark 
lichtbrechende Körper, die sich auf 
Jodzusatz dunkelblau färben, keine 
sicheren Bakterien. Es war also frag¬ 
lich, ob es sich um eine bloss mechani¬ 
sche Blasenreizung durch Fremdkör¬ 
per oder um eine Zystitis handle, wes¬ 
halb ich am nächsten Tage nach sorg¬ 
fältiger Reinigung der Vagina den 
Harn mit Katheter entnahm und darin 
den Befund einer mässigen Blasen¬ 
entzündung ohne die beschriebenen 
offenbar beim Pudern der Genital- und 
Aftergegend hineingeratenen Beimen¬ 
gungen konstatieren konnte. Zur si¬ 
cheren Entscheidung ist daher sorgsa¬ 
mer Katheterismus notwendig. 

In der Literatur finden sich verein¬ 
zelte Beobachtungen von Inkontinenz 
und Enuresis mitgeteilt, die ihren 
Grund gleichfalls in einer Zystitis hat¬ 
ten, nach deren Beseitigung das 
Symptom sich rasch verlor. Auch hie- 
für bin ich in der Lage, aus der eige¬ 
nen Erfahrung einen Fall beizusteu- 
ern. Es handelte sich um den fünf¬ 


jährigen Sohn eines österreichischen 
Diplomaten, der im Orient tätig ist; 
der sehr intelligente und durchaus 
nicht nervöse oder anderweitig kranke 
Junge bot seit Monaten die Erschei¬ 
nung der Inkontinenz des Harns am 
Tage und der Enuresis in der Nacht 
dar, die sowohl ihn als seine Mutter 
sehr unglücklich machte. Die ver¬ 
schiedenen gegen das Bettnässen em¬ 
pfohlenen Behandlungsmethoden wa¬ 
ren ohne den geringsten Erfolg ver¬ 
sucht worden, den Harn zu untersu¬ 
chen war aber keinem der behandeln¬ 
den Aerzte eingefallen. Ich holte das 
Versäumnis nach, konstatierte eine 
mässige Zystitis und war in der ange¬ 
nehmen Lage, durch die eingeleitete 
Urotropintherapie das Kind innerhalb 
weniger Tage dauernd von seinem 
lästigen Uebel zu befreien. 

Eine allerdings nicht sehr vollstän¬ 
dige und auch nicht ganz beweisende 
Beobachtung von allgemeiner Koliin- 
fektion mit meningitischen Sympto¬ 
men, welche letal endete, soll den 
Schluss dieser vielleicht schon zu aus¬ 
führlich geratenen Kasuistik bilden. 
Moll hat aus der Kinderklinik der 
Landesfindelanstalt ein ähnliches, al¬ 
lerdings besser beobachtetes und 
durch die Sektion verifiziertes Vor¬ 
kommnis mitgeteilt. In meinem Falle 
handelte es sich um das zirka drei 
Jahre alte Töchterchen eines Kollegen 
im Lande, das unter unklaren Fieber¬ 
erscheinungen längere Zeit krank war, 
und bei welchem vermutungsweise die 
Diagnose auf tuberkulöse Meningitis 
gestellt wurde. Als ich das Kind sah, 
war es hochgradig abgemagert, bot 
typische Zerebral Symptome dar, hatte 
aber auch den Befund einer schweren 
Zystitis, denn der mit Katheter ent¬ 
leerte Harn war diffus trüb und zeigte 
im nativen Präparat ohne vorherige 
Zentrifugierung massenhafte Leuko¬ 
zyten und lebhaft bewegliche Kurz¬ 
stäbchen. Ich riet neben entsprechen¬ 
der Diät zu wiederholten Blasenspü¬ 
lungen und interner Urotropindar 


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292 


New Yotm Medizinische Monatsscheift. 


chung, doch die Therapie erwies sich 
in diesem Falle als machtlos und schon 
nach zwei Tagen starb das Kind unter 
schweren meningealen Symptomen. 
Die Möglichkeit, dass es sich hier um 
eine sekundäre, erst in den letzten 
Krankheitsstadien hinzugetretene Zy¬ 
stitis gehandelt hat, ist nicht von der 
Hand zu weisen, zumaf ja auch der 
entscheidende Sektionsbefund fehlt, 
immerhin geben aber solche Vor¬ 
kommnisse besonders in Zusammen¬ 
halt mit analogen von anderer Seite 
publizierten Mitteilungen zu denken 
und sind Anlass, auch in derartigen 
Fällen durch rechtzeitige Harnunter¬ 
suchung die Situation zu klären. 

Ich will mich zum Schlüsse nur 
noch in aller Kürze der Therapie zu¬ 
wenden. Je früher solche Fälle richtig 
diagnostiziert werden, desto erfolg¬ 
reicher und einfacher gestaltet sich 
dieselbe. Bei der in ihren Anfangs¬ 
stadien richtig erkannten Zystitis 
kommt man in der Regel mit der in¬ 
ternen Behandlung aus, und kann ich 
mich mit dem Urotropin sehr zufrie¬ 
den erklären, nur muss man dasselbe 
in genügender Dosis und entsprechend 
lange darreichen, also bei Kindern im 
ersten Lebensjahre mindestens 0.5 g 
pro die, bei älteren entsprechend mehr 
und so lange, bis der Hambefund nor¬ 
mal geworden ist, was meist innerhalb 
einer Woche eintritt. Zeigt sich, was 
meiner Erfahrung zufolge selten der 
Fall ist, das Urotropin unwirksam, so 
kann man es durch Hippol, Hexal oder 
Zystopurin substituieren, auch Helmi- 
tol in gleich grossen Dosen liefert un¬ 
ter solchen Verhältnissen ganz befrie¬ 
digende Ergebnisse. Ist man jedoch 
innerhalb von ein bis zwei Wochen bei 
innerer Behandlung nicht zum Ziele 


gelangt, so hat ihre weitere Fortsetz¬ 
ung keinen Zweck und man muss die 
mechanische Behandlung der Blase zu 
Hilfe nehmen, wobei ich als Spülflüs¬ 
sigkeit zunächst dünne Lösungen von 
übermangansaurem Kali anwende, um 
erst bei Ausbleiben des Effektes zu 
stärkeren Aetzmitteln, also Argentum 
nitricun in der Konzentration von 
1:5000 oder 1 Proz. Protargollösung 
überzugehen. Nur selten bleibt bei 
solchem Vorgehen, rechtzeitige Er¬ 
kennung des Zustandes vorausgesetzt, 
der Erfolg aus; das Urteil über die 
Vakzinetherapie lautet sehr verschie¬ 
den, neben enthusiastischem Lob trifft 
man auf vernichtenden Tadel dersel¬ 
ben. Der einzige obenerwähnte Fall, 
in welchem ich sie anzuwenden Gele¬ 
genheit hatte, ist günstig verlaufen, 
nachdem die sonstige Therapie voll¬ 
ständig versagt hatte, doch lassen sich 
aus einer Beobachtung selbstverständ¬ 
lich keine allgemeinen Schlüsse ablei¬ 
ten. Was die von Thomson emp¬ 
fohlene Alkalitherapie betrifft, hat sie 
im Kindesalter ihre Schwierigkeiten, 
da grössere Doseen der betreffenden 
Medikamente oft zu Darmstörungen 
führen. Auch fand ich den frischen 
Urin bei Kolizystitis so oft neutral re¬ 
agierend, dass die Grundlage dieser 
Behandlungsweise, saure Harnbe¬ 
schaffenheit, fehlte. 

Immerhin hoffe ich aber in den vor¬ 
stehenden Zeilen die Aufmerksamkeit 
der in der Praxis tätigen Kollegen auf 
dieses in seiner Bedeutung noch im¬ 
mer unterschätzte Krankheitsbild ge¬ 
lenkt zu haben und würde mich auf¬ 
richtig freuen, wenn es mir gelungen 
sein sollte, sie in Hinkunft vor Fehl¬ 
diagnosen nach dieser Richtung zu 
bewahren. 


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Nbw Yomqr MssxziNiscn Monatsschrift. 


293 


Die Diagnose des Magen- und Duodenalgeschwürs.* 

Von F. de Quervain in Basel. 


Autor legt das Hauptgewicht auf die 
Aufnahme einer Serie von Radiogram¬ 
men, welche die wichtigsten Phasen 
des Verdauungsvorganges festhalten. 
Das nicht stenosierende und nicht pe¬ 
netrierende Magengeschwür erzeugt 
einen umschriebenen Spasmus in der 
Höhe des letzteren, der stets von der 
grossen Kurvatur her den Magen ein¬ 
schnürt. Autor hatte nie Gelegenheit, 
eine Einschnürung zu sehen, die von 
der kleinen Kurvatur gegen die grosse 
hinzieht. Auch findet man beim Ge¬ 
schwür den Spasmus stets an dersel¬ 
ben Stelle, wodurch sie sich von den 
Einziehungen durch peristaltische 
Wellen unterscheidet. Doch fehlt der 
Krampf bei leerem Magen, weshalb 
man ihn bei der Operation nicht an¬ 
trifft, er ist sofort da, wenn dem Ma¬ 
gen Inhalt zugeführt wird. Auch am 
gefüllten Magen ist er durch 0.001 
Atropin oder durch 0.03 Papaverin 
zum Verschwinden zu bringen. Auch 
tritt der Spasmus nicht bei jedem Ma¬ 
gengeschwür auf, immerhin ist er für 
viele Magengeschwüre das einzige ob¬ 
jektiv nachweisbare Zeichen. Von be- 
sonderehi Werte ist der Spasmus am 
Pylorus. Wenn bei der Kohlehydrat¬ 
kontrastmahlzeit nach sechs Stunden 
noch ein erheblicher Rest im Magen 
zurückgeblieben ist, muss an Pylorus- 
geschwür gedacht werden. Doch 
kommt ein solches reflektorisch auch 
bei fern vom Pylorus liegenden Ma¬ 
gengeschwüren vor. In derlei Fällen 
aber glaubt Faulhaber, handle es 
sich um eine infolge von Perigästritis 
um das Geschwür entstandene Ver¬ 
zerrung des Pylorus, wodurch ein me¬ 
chanisches Hindernis sich bildet. Ein 
Sechsstundenrest kommt auch bei du¬ 
odenaler Motilität (anfangs rasche, 
dann sich verzögernde Entleerung des 
Magens), bei toxischem Pylorospas- 

•Aus Schweiz. Korr. Bl., 1914, Nr. 35. 


mus (Nikotin, Morphium) sowie bei 
Hyperazidität ohne Geschwür vor. 
Immerhin kann ein solcher Sechsstun¬ 
denrest Hinweis auf ein bestehendes 
Pylorusgeschwür geben. 

Das nicht stenosierende, penetrie¬ 
rende Magengeschwür umfasst vor¬ 
züglich die alten Geschwüre der klei¬ 
nen Kurvatur. Penetrierend ist ein 
Magengeschwür, das alle Schichten 
der Magen wand durchsetzt, wobei je¬ 
doch der Hohlraum des Magens durch 
Verwachsungen oder durch die Blätter 
des Lig. gastrohepaticum von der frei¬ 
en Bauchhöhle getrennt ist. Letzteres 
Ligament bildet den natürlichen 
Schutz gegen die Perforation in die 
freie Bauchhöhe. Dadurch, dass es 
sein Bindegewebe vermehrt, bildet es 
einen immer festeren Geschwürsgrund. 
Verwachsungen kommen durch peri- 
gastritische Prozesse zustande, die zur 
Verklebung mit anliegenden Organen 
führen (Leber, Netz, hintere Bauch¬ 
wand), welche immer dichter werden 
und Verwachsungen bilden; in letzte¬ 
ren kann sich das Geschwür immer 
mehr eingraben, wobei auch die Bil¬ 
dung von Verwachsungen immer 
mehr zunimmt. Hiebei braucht eine 
Perforation nicht stattzufinden. Er¬ 
folgt doch eine solche bei nicht allzu 
gefülltem Magen und ist sie nur steck¬ 
nadelkopfgross, so dichtet sie sich un¬ 
ter perigastritischen Vorgängen mit 
Hilfe der benachbarten Serosa und des 
Netzes ab, mit oder ohne Abszessbil¬ 
dung Solche Abszesse können, sei es 
durch Resorption, sei es durch Selbst¬ 
drainage, in dem Magen ausheilen bis 
auf den aus den Nachbarorganen ge¬ 
bildeten Geschwürsgrund. Bei einer 
derartig gedeckten Perforation kam es 
nach Ausbildung der Verwachsungen 
zur völligen Zerstörung der Magen¬ 
wand am Geschwürsgrunde. 

Wir müssen die an der kleinen Kur- 


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294 


New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


vatur und deren Nachbarschaft gele¬ 
genen penetrierenden Geschwüre von 
denen, die fern von der kleinen Kur¬ 
vatur gelegen sind, sondern. Das 
Kennzeichen der ersteren, die, falls 
sie nicht bluteten, vor der Röntgenzeit 
höchstens vermutet werden konnten, 
ist die auf dem Röntgenbild sichtbare 
Nische, deren charakteristische Zei¬ 
chen das scharf umschriebene Vorra- 
gen an der kleinen Kurvatur, die über 
dem Schatten oft sichtbare Gasblase 
sowie das längere Liegenbleiben der 
Kontrastsubstanz und oft auch der 
Gasblase, auch nach der Entleerung 
des Magens, sind. Wenn die Nische 
nahe der Kardia liegt, kann sie leicht 
übersehen werden. Es ist dann, falls 
man gegründeten Geschwürsverdacht 
hat, der Kranken in Trendelenburg¬ 
scher Lage zu untersuchen und die 
Kontrastbreimenge reichlicher zu be¬ 
messen (600 g statt 400). 

Das stenosierende Magengeschwür 
ist schon vor der Röntgenperiode er¬ 
kannt worden, sobald Retentionser¬ 
scheinungen Vorlagen, Anfälle von 
Magensteifung, Zeichen einer schwe¬ 
ren Dilatation oder gar Retentions¬ 
erbrechen, Nahrungsreste vom vorher¬ 
gehenden Tage bei Sondenuntersuch¬ 
ung. Man unterscheidet die medio¬ 
gastrische und die Pylorusstenose. Die 
erstere gibt den echten Sanduhrmagen. 
Hier wird der Uebergang des Kon¬ 
trastbreies in den unteren Magenab¬ 
schnitt stark verzögert (beim spasti¬ 
schen Sanduhrmagen werden beide 
Magenabschnitte gleich hintereinander 
gefüllt. Auch lässt sich der echte 
Sanduhrmagen durch Atropin oder 
Papaverin nicht beeinflussen). 

Bei der organischen Pylorusstenose 
dehnt sich der Magen in die Breite, so 
dass die Füllungsreste beim stehenden 
Patienten eine tellerförmige Gestalt 
annehmen und der Pylorus ebenso 
weit nach rechts verschoben wird. 
Auch fällt ein grösserer oder geringe¬ 
rer Abschnitt des Pylorus aus dem 
Schatten aus. 


Als nicht stenosierendes Duodenal¬ 
geschwür bezeichnet man ein Ge¬ 
schwür, das jenseits des Pylorus liegt 
und höchstens mit seinem Randteile 
an diesen herantritt. Charakteristisch 
für dasselbe ist der oft auf Jahre zu¬ 
rückreichende Spätschmerz nach Nah¬ 
rungsaufnahme. Der Magen entleert 
sich rascher als normal, in zwei bis 
drei Stunden ist sein Inhalt grössten¬ 
teils im Darme. Oft aber verzögert 
sich gegen den Schluss der Entleerung 
dieselbe, sodass bisweilen ein Sechs¬ 
stundenrest liegen bleibt. Trotz dieses 
Restes hat sich die Kontrastfüllung 
bis zur Flexura lienalis des Dickdarms 
vorgeschoben. Die abnorm rasche 
Entleerung deutet man als Insuffizienz 
des Pylorus, der auch in der Tat ab¬ 
norm offen am Röntgenschirm gefun¬ 
den wird. Doch findet man diese ab¬ 
norme Mobilität nicht in allen Fällen 
von Duodenalgeschwür und auch ohne 
Geschwür bei Hyperazidität und nach 
H a u d e k bei beginnendem Karzinom 
des Magenkörpers, auch hat man sie 
bei Erkrankungen des Pankreas und 
der Gallenblase gefunden. Die duode¬ 
nale Motilität ist demnach nur Ver¬ 
dachtsmoment, aber nicht charakte¬ 
ristisches Zeichen. Das Vorhanden¬ 
sein eines grösseren Schattens im 
Röntgenbilde entsprechend dem Bul¬ 
bus duodeni ist nur dann mit Recht 
auf Erkrankung des Duodenums zu 
beziehen, wenn derselbe sich bei meh¬ 
reren Aufnahmen als unregelmässig 
verzerrt, hakenförmig gekrümmt dar¬ 
stellt. Ein medianwärts zurückgebo¬ 
gener Zipfel spricht dafür, dass dn^ 
Duodenum in seinem obersten Teil 
fixiert ist Von grösserer Bedeutung 
ist das Zurückbleiben von Kontrast¬ 
substanz an umschriebener Stelle im 
Duodenum, doch kann solches auch 
durch Verwachsung des Duodenums 
mit den Nachbarorganen bedingt sein. 
Es ist also der persistierende Duode¬ 
nalfleck ein wichtiges Verdachtsmo¬ 
ment, aber kein sicheres Zeichen. 

Die geringe Verschieblichkeit des 


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New Yor] 


Medizinische Monatsschrift. 


295 


Duodenums bezw. der ganzen Pylo- 
rusgegend beweist, dass im Bereiche 
des Duodenums ein entzündlicher Pro¬ 
zess vorhanden oder abgelaufen ist. 
Im allgemeinen spricht, falls Ge¬ 
schwürswahrscheinlichkeit besteht, ein 
negativer Befund am Magen für den 
Sitz der Erkrankung am Duodenum. 

In der Norm verlässt der Speisebrei 
das Duodenum so rasch, dass nur sel¬ 
ten ein Röntgenbild eine vollständige 
Zeichnung dieses Darmteiles erhalten 
wird. Findet man diesen mit Kon¬ 
trastbrei angefüllt, so muss unterhalb 
desselben ein Hindernis bestehen. 
Wenn die Anamnese auf ein Duode¬ 
nalgeschwür hinweist, andere Ursa¬ 
chen, etwa tuberkulöse Drüsen, peri- 
cholezystitische Entzündung sich aus- 
schliessen lassen, so kann man ein 
stenosierendes Duodenalgeschwür an¬ 
nehmen. Uebrigens ist beim Duode¬ 
nalgeschwür die Stenosierung recht 
selten. Unter Umständen kann man 
den zapfenförmigen Ausguss des ver¬ 
engten Lumens auf dem Röntgenbilde 
erkennen. Holzknecht hat auf 
die Bedeutung resultatloser peristalti- 
scher Wellen oberhalb der Stenose 
hingewiesen. Bei Knickung des Duo¬ 
denums am Uebergang ins Jejunum 
wie beim arteriomesenterialen Darm¬ 
schluss findet man ebenfalls Ausguss 
des Duodenums mit Kontrastbrei. 
Eine derartige Stauung ist aber noch 
viel seltener als Duodenalstase aus an¬ 
deren Ursachen. 

Verwachsungen können erschlossen 
werden aus abnormer Lage des Pylo- 
rus bei normal gefülltem Magen, ans 
zu geringer Verschieblichkeit des Py- 
lorus bei der Untersuchung in den 
verschiedenen Körperstellungen, aus 
Formanomalien des Magens, die durch 
andere Ursachen unerklärbar sind. 
Fixierte Lage des Pylorus links von 
der Mittellinie weist, wie die Erfah¬ 
rung zeigt, auf Krebs hin. Spitz aus¬ 
gezogene Vorragungen oder Einbuch¬ 
tungen der peristaltischen Wellen, die 
sich konstant bei verschiedenen Aufnah¬ 


men finden, erlauben die sichere Diagno¬ 
se zerrender oder einschnürender Ver¬ 
wachsungen. Von besonderer Bedeutung 
ist der Duodenalfleck, der nach völliger 
Entleerung zurückbleibt. Durch Ver¬ 
wachsung wird die Duodenalwand 
taschenartig ausgezogen, in dieser 
Tasche bleibt der Kontrastbrei einige 
Zeit liegen. Zeigt sich bei mehreren 
Aufnahmen stets die gleiche Formano¬ 
malie, so lässt sich diese meist auf 
Verwachsungen beziehen, obschon 
auch der gleiche Befund bei Taschen 
infolge von Geschwür oder bei ange¬ 
borenen Taschen vorkommt. Je mehr 
man Verwachsungsdiagnosen durch 
die Operation kontrolliert, desto mehr 
kommt man zum Eindruck, dass so¬ 
wohl klinisch als auch radiologisch zu 
viele Verwachsungen diagnostiziert 
werden. 

Dass krebsige Umwandlung eines 
Magengeschwürs vorkommt, ist sicher, 
doch geschieht dies verhältnismässig 
selten, auch müssen nicht alle nach 
einem Magengeschwür entstandenen 
Krebse durch dasselbe entstanden 
sein. Das Charakteristische des Ge¬ 
schwürs ist die Nische, das Plus von 
Schatten, das Charakteristische des 
Karzinoms, die Aussparung, das Mi¬ 
nus von Schatten im Röntgenbild. 
Nun kann bei kallösem Geschwür in¬ 
folge der starren Infiltration eine Aus¬ 
sparung sich zeigen, bei zerfallendem 
Krebse eine Nische sich abbilden. Be¬ 
sonders schwer ist die Unterscheidung 
bei Pylorusstenose, da auch das kallös 
infiltrierte Pylorusgeschwür sich als 
ein Tumor darstellen und ebenso einen 
Schattenausfall bedingen kann wie das 
Karzinom. Noch schwerer ist es, das 
Duodenalkarzinom durch das Rönt¬ 
genbild vom Ulcus duodeni zu diffe¬ 
renzieren. Hier sind es indirekte Er¬ 
scheinungen, wie Verschluss des Duc¬ 
tus choledochus und pancreaticus, die 
die Diagnose sichern können. 

Hinsichtlich der Operationsfrage 
kommt Autor zu nachstehendem 
Schlüsse. Ist nach sechs Stunden 

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296 


New Yoricks Medizinische Monatsschrift. 


nichts aus dem Magen ausgetreten, so 
liegt die Notwendigkeit des Eingriffes 
sehr nahe, ist nach zwölf Stunden der 
Verschluss ein völliger geblieben, so 
muss eingegriffen werden. Finden wir 
nach dieser Frist den Darm teilweise 
gefüllt, können wir ruhig zuwarten, 
das Hindesnis wird sich von selbst be¬ 


heben. Immer aber müssen Röntgen¬ 
untersuchung, klinische Beobachtung 
und anatomische Kontrolle Hand in 
Hand gehen. Der Schluss des Auf¬ 
satzes bespricht die Spätstörungen 
nach den Magen- und Darmopera¬ 
tionen und den Wert des Röntgen¬ 
bildes zu Beurteilungen desselben. 


Konservative Operation der Aneurysmen.* 

Von Dr. G. Doberauer. 


Für die meisten Gebiete der Kriegs¬ 
chirurgie sind aus den reichen Erfah¬ 
rungen der jüngsten Vergangenheit, 
zu welchen die letzten kriegerischen 
Konflikte (Burenkrieg, russisch-japa¬ 
nischer, Balkankriege) einer grossen 
Anzahl hervorragender Chirurgen Ge¬ 
legenheit boten, unsere Anschauungen 
über die zweckmässigste Form der 
Therapie festgelegt und die wieder¬ 
holten Diskussionen haben in dieser 
Hinsicht seit dem Chirurgenkongress 
von 1906 nichts wesentlich Neues 
mehr zutage gefördert; wenn ich mich 
auch nicht mit der Behauptung einver¬ 
standen erklären kann, dass für die 
Kriegschirurgie die Zeit des Individu- 
alisierens überhaupt vorbei sei und 
derjenige seiner Aufgabe am besten 
gerecht werde, welcher dem gewiss im 
Grossen und Ganzen als zweckmässig 
erkannten Kanon schematisch huldige, 
so ist doch zu erkennen, dass die Be¬ 
folgung dieser Regeln vonseite der 
grossen Masse der Aerzte, welche zur 
Bewältigung der Verwundetenfürsor- 
ge aufgeboten werden müssen und die 
naturgemäss nicht in ihrer Gänze fach¬ 
ärztlich durchgebildet sein können, 
viel Unheil verhüten kann. 

Auf der anderen Seite hat jedes 
Schema seine Grenzen in der individu¬ 
ellen Variabilität der Verletzung, der 
äusseren und persönlichen Verhältnis¬ 
se des Kranken sowohl wie des zur 

•Prag. m. W. 1915, Nr. 13. 


Hilfeleistung berufenen Arztes. Auch 
die nicht stille stehende Entwickelung 
der chirürgischen Technik ändert fort¬ 
während die Behandlungsweise und 
die Indikationen; so müssen die Fort¬ 
schritte gerade der letzten Jahre auf 
dem Gebiete des plastischen Gewebs- 
und Organersatzes die Grenzen für die 
Erhaltbarkeit verletzter Extremitäten 
in ausserordentlichem Masse erwei¬ 
tern. 

Zu jenen Fragen der chirurgischen 
Therapie, welche hauptsächlich der 
Entwickelung der Technik ihre Förde¬ 
rung verdanken, gehört vor allem die 
Chirurgie der Gefässe. In den letzten 
Jahren durch eifrige Arbeit der experi¬ 
mentellen Chirurgie zu rascher Ent¬ 
wickelung und Vervollkommnung ge¬ 
bracht, hat dieser Zweig unserer Wis¬ 
senschaft bislang nur in vereinzelten, 
besonders günstig liegenden Fällen die 
Uebertragung vom Tierversuch in die 
klinische Verwertung erlebt und er¬ 
wartet von der Kriegszeit mit ihrem 
reichen Material einschlägiger Ver¬ 
letzungen die Gelegenheit allgemeiner 
Anwendung und Wertschätzung. 

Es wird Sache einer späteren Nach¬ 
forschung nach dem Abschluss der ge¬ 
genwärtigen Ereignisse sein, festzu¬ 
stellen, in welchem Ausmasse und mit 
welchem Erfolge die modernen Me¬ 
thoden der konservativen Gefäss- 
chirurgie zur Anwendung gelangten, 
zur Zeit ist es für den in der Mitte der 


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New Yokee Mbowniscu Monatsscheift. 


297 


Ereignisse Stehenden und genügender 
literarischer Behelfe entbehrenden 
Chirurgen unmöglich zu übersehen, 
was in dieser Hinsicht bisher geleistet 
oder versucht wurde, doch scheint 
nach allem, was mir bisher von ein¬ 
schlägigen Publikationen, kriegsärzt¬ 
lichen Vorträgen etc. zu Gesichte kam, 
das positive Ergebnisse aufweisende 
Material noch sehr gering, sodass in 
dieser Frage auch einzelne oder weni¬ 
ge Fälle bedeutungsvoll erscheinen 
umsomehr, als sie noch während der 
jetzigen Geschehnisse Nachahmung 
finden können. 

Die eigentliche Chirurgie der Blut¬ 
gefässe beginnt erst mit der besonders 
von C a r r e 1 und Stich ausgebilde¬ 
ten und besonders von ersterem mit 
unerreichter Kunst geübten zirkulären 
Gefässnaht; dieselbe ermöglicht, die 
Kontinuität eines verletzten Gefäss- 
rohres vollkommen blutdicht wieder¬ 
herzustellen und damit die Zirkulation 
in dem verletzten Organ in normaler 
Weise zu erhalten, sodass die mit der 
Unterbindung gegebene Opferung des 
Stammes in Wegfall kommt. Die 
Wichtigkeit der Erhaltung eines Ge- 
fässstammes steigt mit seinem Quer¬ 
schnitt und mit der Nähe zum Zirku¬ 
lationszentrum, dem Herzen und ist 
bei den grössten Gefässen eine Frage 
der Erhaltung des Lebens, weiterhin 
des von dem betreffenden Stamm ver¬ 
sorgten Organes oder Körperabschnit¬ 
tes. Wir können also durch die Wie¬ 
derherstellung des Lumens eines 
Gefässrohres ein Organ in seiner un¬ 
gestörten Funktion erhalten, welches 
durch die zur Stillung der Blutung 
erforderliche Ligatur mit grösserer 
oder geringerer W ahrscheinlichkeit 
der Nekrose verfallen wäre. 

Ob das Stromgebiet einer Arterie — 
um solche handelt es sich in erster 
Reihe — von dem Bestände des Haupt¬ 
stammes absolut abhängig ist, d. h. 
mit seiner Unterbrechung abstirbt 
oder ein Ersatz des gesperrten Ernäh¬ 
rungsweges durch Seitenbahnen ein¬ 


tritt, lässt sich mit Sicherheit nur für 
die Aorta descendens vorher bestim¬ 
men, wenn wir von den für die konser¬ 
vative Blutstillung kaum je in Be¬ 
tracht kommenden Hauptarterien in¬ 
nerer Organe (renalis, hepatica, me- 
senterialis) absehen. Bei den übrigen 
Verzweigungen der Aorta können wir 
nur mit Wahrscheinlichkeiten, rech¬ 
nen, welche sich nach der Entfernung 
vom Zentrum abstufen und von nicht 
kontrollierbaren anatomischen Varie¬ 
täten — Abgang unregelmässiger Sei¬ 
tenäste und Verbindungen mit benach¬ 
barten Stromgebieten — abhängen. 

Die Unterbindung derartiger Ge- 
fässstämme ist also immer mit dem 
grossen Risiko irreparabler Ernäh¬ 
rungsstörung verbunden und die Un¬ 
berechenbarkeit dieser Gefahr lässt uns 
dankbar zu einem Verfahren greifen, 
welches die Unterbindung entbehrlich 
macht. So ist die Naht verletzter Ge- 
fässe grösseren Kalibers in den letzten 
Jahren immer häufiger geübt worden; 
die nicht sehr grosse Gelegenheit dazu 
gaben meist Stichwunden, gelegent¬ 
lich wohl auch unbeabsichtigte Neben¬ 
verletzungen grösserer Gefässstämme 
bei Operationen sehr grosser oder ver¬ 
wachsener Tumoren (Vena cava bei 
Nephrektomien, Vena portae etc.). 
Die Unfallsverletzungen industrieller 
Betriebe liefern kaum je geeignetes 
Material, da hier die Zertrümmerun¬ 
gen in der Regel so weitgehende sind, 
dass selbst im Falle gelingender Ge¬ 
fässnaht deren Sicherheit mangels ge¬ 
nügender Bedeckung mit gesundem 
Gewebe oder infolge ausgebreiteter 
Wundeiterung fraglich ist. 

Es sind auch im Verlaufe des Feld¬ 
zuges Gefässnähte schon verschiedent¬ 
lich mit Erfolg ausgeführt worden; ich 
spreche nur von den erfolgreichen 
Operationen, welche durch dauernd 
nachweisbaren peripheren Arterien¬ 
puls gekennzeichnet sind, Mitteilun¬ 
gen von Versuchen mit nachfolgender 
Thrombose der Naht oder gar Gangrän 
sind als auf Mangel der Technik beru- 


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298 


New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


hend bei dem heutigen Stande der Fra¬ 
ge wirklich überflüssig. Die geglück¬ 
ten Operationen sind indes umso höher 
einzuschätzen, da sie unter verhältnis¬ 
mässig recht ungünstigen äusseren 
Umständen vollbracht wurden, welche 
auch im besteingerichteten Feldlaza¬ 
rett weit hinter den Einrichtungen un¬ 
serer klinischen Operationsräume zu¬ 
rückstehen müssen und jedenfalls, 
wenn der Verletzte überhaupt noch 
rechtzeitig dem Operateur zugeführt 
wird, ausserordentlich rasches und ge¬ 
schicktes Handeln erfordern. 

Die meisten offenen Verletzungen 
grösserer Gefässstämme verbluten 
wohl auf dem Schlachtfelde, ehe ihnen 
Hilfe gebracht werden kann, oder es 
muss auf dem Hilfsplatz die Unterbin¬ 
dung gemacht werden, weil weder die 
Zeit noch der Mangel an geeigneten 
Vorkehrungen etwas anderes gestat¬ 
tet, oder die Verletzten trugen eine 
Umschnürung so lange, dass ohnedies 
dauernde Schädigung der Extremität 
zu erwarten steht. 

Neben diesen „offenen“ Gefässver- 
letzungen stehen dann jene, wo bei 
sehr kleinen Oberflächenwunden und 
starken bedeckenden Weichteilen die 
Blutung nicht nach aussen ihren Weg 
findet, sondern sich in die umgeben¬ 
den Gewebe ergiesst, bis die Spannung 
derselben eine dem arteriellen Drucke 
gleichwertige Höhe erreicht und so 
eine provisorische Blutstellung be¬ 
wirkt, oder die Verletzung des Gefäss- 
rohres keine durchtrennende ist, son¬ 
dern lediglich eine mehr oder minder 
weit gehende Seitenwandverletzung 
darstellt; in diesem Falle erfolgt die 
Blutung unter geringem Drucke und 
aus einer kleineren OefTnung, wodurch 
der temporäre Verschluss durch 
Weichteilspannung und Hämatom er¬ 
heblich erleichtert ist; so unterbleibt 
die Verblutung nach aussen, wenn Ar¬ 
terie und Vene, neben einander lie¬ 
gend, so verletzt sind, dass das arteri¬ 
elle Blut statt nach aussen in die 
Venenwunde sich ergiesst, wobei nach 


kurzer Zeit aus der arteriovenösen 
Anastomose das Aneurysma arterio- 
venosum entsteht, welches allmählich 
sich vergrössert und erst sekundär ge¬ 
fährliche Folgen mit sich bringt 

Das s.eltenste Ereignis dürfte es 
wohl sein, dass durch das passierende 
Projektil die Gefässwand nicht eröff¬ 
net wird, dass nur eine Schichte und 
zwar entweder die Intima einreisst 
und das Blut sich zwischen die Schich¬ 
ten der Gefässwand, diese auseinander¬ 
wühlend, ergiesst (Aneurysma disse¬ 
cans) oder die äussere Wandschicht 
durch Kontusion so weit geschädigt 
wird, dass sie dem Blutdruck nicht 
mehr Stand hält und sich hernienartig 
vorbuchtet, wodurch das unter den 
traumatisch entstandenen wohl selten¬ 
ste echte Aneurysma zustande kommt. 

Alle diese Arten von Gefässverletz- 
ungen, deren Endzustand wir unter 
dem weiteren Namen Aneurysma 1 ) zu¬ 
sammenfassen, führen nicht zum un¬ 
mittelbaren Verblutungstode, werden 
oft erst nach geraumer Zeit durch die 
ausgebildeten Symptome des Aneurys¬ 
ma: pulsierende Geschwulst, fühlbares 
und hörbares Schwirren, Kühle der 
Extremität, Exophthalmus bei Karo- 
tis, Fehlen oder Schwäche des periphe¬ 
ren Pulses, sekundäre Symptome wie 
neuralgische Schmerzen, Kontraktur¬ 
stellung etc manifest und diagnosti¬ 
ziert. .Derartige Fälle kommen dann 
auch in die Lazarette des Hinterlandes 
und erheischen hier ihre definitive Er¬ 
ledigung. 

Dass ein einmal festgestelltes Aneu¬ 
rysma beseitigt werden muss, insofern 
das überhaupt möglich ist, darüber 
herrscht keine Differenz: bedeutet es 
doch für den Träger eine stete Gefahr, 
welche sich in einer plötzlichen Kata¬ 
strophe äussern kann, dem Platzen der 
Geschwulst und dem Verblutungstode, 
oder, noch ehe es dazu kommt, durch 

1) Die begründeten Einwendungen, dass diese Ver¬ 
allgemeinerung des Wortes Aneurysma vom patholo- 

?;isch-anatomischcn Gesichtspunkt aus nicht 211 rccht- 
ertigen ist, werden die allgemein eingebürgerte 
Anwendung dieser Terminologie nicht mehr ausrotten 
können. 


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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


299 


anderweitige Schäden, wie Kreislauf¬ 
störung, Raumbeengung, Knochen- 
usur, Neuralgien und Lähmungen un¬ 
erträglich werden. 

Mit welcher Wahrscheinlichkeit ein 
Aneurysma zum Verblutungstode 
führt, lässt sich schwer ziffermässig 
ausdrücken; für die nicht traumati¬ 
schen Aneurysmen der Aorta liegen 
diesbezügliche Statistiken vor, welche 
zwischen 60 und 25 Prozent schwan¬ 
ken (siehe P o h r t)*) ; hier führen oft 
andere Krankheiten, die selbst wieder¬ 
um auf das Aneurysma zurückzufüh¬ 
ren sind, das Ende herbei, ehe es zum 
Platzen kommt. Als solche Folge¬ 
erscheinungen werden angeführt: 
Kompression von Organen der Brust¬ 
höhle, Aorteninsuffizienz und sonstige 
Kreislaufstörungen, Embolien, Stau¬ 
ung im Lungenkreislauf u. a. 

Da bei den Gefässerweiterungen pe¬ 
ripher von der Aorta diese lebensbe¬ 
drohenden sekundären Störungen 
nicht im gleichen Masse in Frage kom¬ 
men, ist wohl damit zu rechnen, dass 
das, wenn auch langsam, so doch un¬ 
aufhaltsam fortschreitende Wachstum 
der Geschwulst in letzter Linie zum 
Platzen derselben führt und dieser 
Endausgang als der häufigste anzuse¬ 
hen ist. Die anatomische Art des 
Aneurysma verum, dissecans und ar- 
terio-venosum zeigen ein langsames 
Wachstum und grössere Garantien ge¬ 
gen die Berstung als das Aneurysma 
spurium, wo die Arterie mit einem 
grossen Gewebshohlraum in offener 
Kommunikation steht. Davon also, 
beziehungsweise, da die spezielle Di¬ 
agnose des Aneurysma a prioji in den 
seltensten Fällen möglich ist, von dem 
Tempo des Wachstums und dem Gra¬ 
de der Verdrängungs- oder Drucker¬ 
scheinungen hängt es ab, wie lange 
wir mit unserem Einschreiten warten 
dürfen; auf der anderen Seite begrenzt 
und bestimmt unseren Entschluss zum 
Eingriff das Wartenmüssen, wenigstens 
war dies der Fall bei den älteren Me- 

2) Münchener med. Wochenschr. 1914, Nr. 36. 


thoden der Aneurysmabehandlung. 

Die Behandlung hat das Ziel, das 
Ausströmen des Blutes aus dem nor¬ 
malen Gefässquerschnitt in die Umge¬ 
bung oder einen diesen Querschnitt an 
Volumen übertreffenden Hohlraum zu 
sistieren; das kann erreicht werden zu¬ 
nächst durch Unterbrechung des wei¬ 
teren Zuflusses zu der gefährdeten 
Stelle, welche die Unterbindung des 
Stammes zentral vom Aneurysma er¬ 
strebt ; da der Sack sich aber von dem 
durch Kollateralen gespeisten periphe¬ 
ren Stück wieder füllen kann, ist zur 
sicheren Ausschaltung auch dessen 
Ligatur erforderlich, un, um die Wie- 
deranfüllung von aus der Sackwand 
selbst abgehenden Nebenzweigen zu 
verhindern und die raumbeengenden 
Wirkungen der Geschwulst mit einem 
Schlage zu beseitigen, ist nach doppel¬ 
ter Unterbindung die Entleerung des 
ganzen Sackes als radikalste und beste 
Methode zu empfehlen. 

Ehe man sich getraute, die Unter¬ 
bindung beziehungsweise Exstirpation 
bei grösseren Gefässstämmen auszu¬ 
führen, übte man die methodische 
Kompression des zuführenden Gefäss- 
stammes, um durch zeitweise gänzliche 
oder teilweise Ausschaltung des Blut¬ 
stromes im Aneurysmasack fest haf¬ 
tende, dauernde Gerinnung zu erzeu¬ 
gen, welche die Wand verstärken und 
weiterer Dehnung Widerstand leisten 
sollte. 

In der Tat ist es in manchen Fällen 
gelungen, auf diese Weise eine Ver¬ 
ödung des Aneurysma zu erreichen, 
eine Gewähr dauernder Heilung ist 
aber selbst im Falle scheinbaren Er¬ 
folges nicht gegeben, das Verfahren 
kostet unendliche Mühe und Geduld, 
ist für den Kranken recht unbequem 
und schmerzhaft und schliesslich nur 
anwendbar, wenn digitale Kompres¬ 
sion nach Lage des zuführenden Stam- 
mes gegen ein genügend festes Wider¬ 
lager möglich ist, beschränkt sich also 
wohl auf die mehr peripher gelegenen 
Gliederabschnitte und die Karotis; ge- 

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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


genwärtig kommt die Kompression 
wohl nur noch in Frage als vorberei¬ 
tende Massnahme für die Unterbin¬ 
dung oder Exstirpation, um einerseits 
zu erproben, wie die Extremität oder 
das Gehirn die Absperrung der Zirku¬ 
lation vertragen und andererseits, um 
die Ausbildung kollateraler Ersatz¬ 
wege zu fördern. 

Bestand und Ausmass solcher Wege 
können wir nicht zuverlässig ab¬ 
schätzen, sie hängen wohl im wesent¬ 
lichen ab von der Zeit des Bestehens 
des Aneurysmas und der Intensität der 
Zirkulationsstörung, welche durch das¬ 
selbe erzeugt wird; je weniger Blut 
durch dasselbe hindurch den periphe¬ 
ren Gefässabschnitt erreicht, desto 
mehr ist die Ernährung des Gefäss- 
bezirkes auf Kollateralen angewiesen, 
desto besser werden sich diese ent¬ 
wickeln; ist also die Zirkulation im 
Hauptgefäss peripher der Verletzungs¬ 
stelle mangelhaft, die Ernährung des 
Gliedes aber eine gute, so kann man 
annehmen, dass genügend Kollateralen 
vorhanden sind, um auch nach zentra¬ 
ler Ausschaltung die Lebensfähigkeit 
zu gewährleisten; der periphere Arte¬ 
rienpuls gilt in diesem Sinne als Kri¬ 
terium, indem man bei Fehlen dessel¬ 
ben auf gute Ausbildung der Kollate¬ 
ralen schliessen will, während guter 
oder gegenüber der normalen Seite nur 
wenig veränderter peripherer Puls zu 
grösserer Vorsicht mahnt. 

Indes ein absolut verlässlicher Indi¬ 
kator ist der periphere Puls nicht, da¬ 
her die bisher gütige Regel, eine mög¬ 
lichst lange Zeit verstreichen zu 
lassen, ehe man zur Operation des 
Aneurysmas schreitet und, wenn tun¬ 
lich, noch eine vorbereitende Kom¬ 
pressionsbehandlung durchzuführen. 
Die Zeit des Wartens hat ihre Grenzen 
natürlich in den Schädigungen, welche 
das Aneurysma mit sich bringt, und in 
seinem Wachstum, im Allgemeinen 
nimmt man einen Zeitraum von 5 bis 6 
Wochen als genügend an, über wel¬ 


chen man aber auch ohne Not nicht 
hinausgehen soll. 

Diesen Behandlungsmethoden ge¬ 
genüber steht die moderne „ideale“ 
Aneurysmaoperation, welche mit Hilfe 
der Gefässnaht die Wiederherstellung 
normaler anatomischer Verhältnisse 
erzielt, die Gefässstämme für die Zir¬ 
kulation erhält und damit naturgemäss 
alle Ueberlegungen über Ausbildung 
von Nebenwegen und die Sicherung 
der Ernährung des Gefässbezirkes 
überflüssig macht. L e x e r ist wohl 
auf diesem Gebiete vorangegangen, in¬ 
dem er ein Aneurysma der Poplitea 
resezierte und Arterie und Vene durch 
zirkuläre Naht mit vollkommenem und 
idealem Erfolge der sofortigen Wie¬ 
derherstellung normaler Zirkulation 
vereinigte. 

Die Details der Methode sind durch¬ 
aus nicht einheitlich und schematisch, 
ebensowenig wie die Formen der 
Aneurysmen; am* einfachsten wäre es, 
die seitliche Oeffnung des Gefässes 
durch Naht zu schliessen, das dürfte 
aber nur bei Stichverletzungen mög¬ 
lich sein und wenn der Fall sehr bald 
nach der Verletzung zur Operation 
kommt, später sind die Wundränder 
schon kallös, erfordern eine Anfrisch¬ 
ung und damit eine derartige Ver- 
grössereung der Oeffnung, dass seitli¬ 
che Naht eine Einschnürung erzeugen 
würde; geringe Einziehung wird bei 
der Dehnbarkeit der Gefässwand durch 
den Blutdruck wohl ausgeglichen, stär¬ 
kere Verengerung der lichten Weite 
der Arterie gibt aber doch die Gefahr 
von Thrombose. 

Bei längerem Bestände der Gefäss- 
verletzung bilden sich in der Umge¬ 
bung schwartige Gewebsveränderun¬ 
gen, welche auch die Gefässwand 
selbst verändern und sie für die erfolg¬ 
reiche Anwendung einer Gefässnaht 
ungeeignet machen, dann muss man 
ebenso wie bei der Naht verletzter 
Nervenstämme Stücke des Gefässes 
opfern, bis man in allen Schichten in- 


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301 


takte, zarte Gefässwand vor sich hat; 
dadurch ergibt sich nun in der Regel 
ein grösserer oder geringerer Längs¬ 
defekt, der noch vergrössert wird 
durch die starke Retraktion der Ge- 
fässenden nach ihrer vollständigen 
Querdurchtrennung. An manchen 
Körperstellen wird durch Beugung des 
Gelenkes dieser Defekt so weit auszu¬ 
gleichen sein, dass Naht ohne grössere 
Spannung möglich ist, so beim Knie, 
durch dessen spitzwinkelige Flexion 
eine beträchtliche Strecke ersetzt wer¬ 
den kann; ist die Naht einmal verheilt, 
passt sich das elastische Gefässrohr 
der nachherigen langsamen Streckung 
des Gelenkes sehr wohl an. 

Ansonst ist aber bei derartigen Län¬ 
gendefekten direkte Naht nicht mög¬ 
lich, die feinen Fäden reissen bei nur 
halbwegs stärkerer Spannung aus oder 
bei Dehnung des Gefässrohres löst sich 
die Intima ab; hier tritt dann der 
plastische Ersatz des fehlenden 
Stückes in sein Recht. So gut wie im¬ 
mer ist es erforderlich beim Aneurys¬ 
ma arterio-venosum, wo die Arterie 
aus der festen Verlötung mit der er¬ 
weiterten Vene ohne bedenkliche Schä¬ 
digung nicht frei zu präparieren ist. 

Ich habe in den ersten Monaten des 
Krieges sechs Aneurysmen zur Be¬ 
handlung erhalten, welche alle schon 
mehrere Wochen alt waren, bei denen 
ich mir aber ohne Rücksicht auf die 
Möglichkeit der Ligatur mit Ausnah¬ 
me eines einzigen Falles, der die Arte- 
ria radialis betraf, die Aufgabe stellte, 
konservativ, also mit Erhaltung der 
Zirkulation in dem verletzten Gefäss- 
stam zu operieren, eine Aufgabe, die 
ich in drei Fällen mit vollem Erfolge 
lösen konnte. 

Ich lasse zunächst die Krankenge¬ 
schichten folgen: 

1. Josef Sch., 26 Jahre, aufgenom¬ 
men am 9. Oktober 1914. Verletzt am 
12. November am südlichen Kriegs¬ 
schauplatz durch Schrapnellschuss durch 
die rechte Schulter; verheilter Einschuss 
an der Vorderfläche der Schulter, ein¬ 


wärts vom Humeruskopf, in der hinte¬ 
ren Achselfalte eine Inzisionswunde, 
durch welche in einem Feldlazarett die 
Kugel entfernt worden war. Am Vor¬ 
derarm starke ödematöse Schwellung, 
der Oberarm zeigt prall gespannte fluk¬ 
tuierende Geschwulst, welche, da auch 
Fieber besteht, fast zu der gefährlichen 
Verwechslung mit Abszess geführt hät¬ 
te, wenn nicht die diffuse Pulsation und 
das hör- und fühlbare Schwirren die 
Diagnose gesichert hätte. Radialpuls 
nicht zu fühlen, Parese sämtlicher Arm¬ 
nerven, welche erst einige Tage nach 
der Verletzung sich eingestellt und zu¬ 
nächst mit Parästhesien begonnen hatte, 
nachdem unmittelbar nach der Verletz¬ 
ung der Arm gut hatte bewegt werden 
können; Blutung nach ausen war gering 
gewesen. Die als ziemlich dringlich er¬ 
achtete Operation wird zunächst aufge¬ 
schoben, um das Eintreffen der für die 
beabsichtigte konservative Operation er¬ 
forderliche und augenblicklich nicht vor¬ 
rätigen feinen Seide zu erwarten; am 
14. Oktober wird dann zur Operation 
geschritten; die Geschwulst* ist in den 
vier Tagen des Zuwartens ganz bedeu¬ 
tend gewachsen, das Aussehen des 
Kranken schlechter geworden und eben¬ 
so haben die Schmerzen im Arm stark 
zugenommen. Es sollte zunächst am 
oberen Ende der pulsierenden Ge¬ 
schwulst der zuführende Stamm der Ar- 
teria axillaris behufs zeitweiser Abklem¬ 
mung freigelegt werden, allein schon 
nach Inzision der Haut entleerte sich 
ein ungeheurer Schwall arteriellen Blu¬ 
tes aus dem offenbar geplatzten Aneu¬ 
rysmasack; durch eine mit Kompressen 
bewaffnete in die Wunde eingeführte 
Faust konnte die Blutung so weit in 
Schranken gehalten werden, dass durch 
raschen Schnitt die Freilegung der Ge- 
fässe in der Unterschlüsselbeingrube 
und deren Abklemmung möglich war; 
dann Verlängerung des Schnittes in der 
Bizepsfurche bis gegen den Elbogen; es 
ist der ganze Arm vom Schlüsselbein bis 
zum Elbogen von Blut durchwühlt, teil¬ 
weise finden sich straffe, fibröse Ver¬ 
wachsungen und grosse Gerinnsel; nach 
deren Ausräumung erkennt man die den 
halben Umfang der Arterie einnehmen¬ 
de Wunde derselben sowie einen kinder¬ 
faustgrossen, geplatzten Erweiterungs- 


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302 


New Yorker Medizinische Monatsschhtk. 


sack der V ena axillaris; die Verletzung 
sass in der Höhe der Haargrenze. Da 
der Zustand des Kranken inzwischen ein 
äusserst bedrohlicher geworden ist und 
nur durch Kochsalzinfusion während 
der Operation die Herzaktion zu halten 
ist, muss von der geplanten Gefässplas- 
tik Abstand genommen werden und wird 
Arterie und Vene oberhalb und unter¬ 
halb der Verletzung je doppelt unter¬ 
bunden und durchschnitten. Toilette 
der Wunde, Tamponade der grossen 
Wundhöhle, da bei der überschwem¬ 
menden Blutung und der zu ihrer Stil¬ 
lung nötigen raschen Manipulation die 
Asepsis zweifelhaft geworden war. Der 
schwer kollabierte Patient erholte sich 
nach der ausgiebigen Kochsalztransfu¬ 
sion bald; die Extremität war so weit 
ausreichend ernährt, dass keine Gan¬ 
grän eintrat, aber enormes Oedem, Ge¬ 
fühllosigkeit und Lähmung bestanden 
weiter, im Laufe der Rekonvaleszenz 
traten da und dort Dekubitalgeschwüre 
auf, welche nur langsam zur Heilung 
kamen, das Oedem war noch nach drei 
Monaten nur teilweise geschwunden, 
Sensibilität zurückgekehrt, Motilität 
fehlt noch immer. 

2. O. Rsekus, 31 Jahre, aufgenom¬ 
men am 26. Oktober 1914, verletzt am 
20. Oktober durch Infanterie-Spitzge¬ 
schoss. Steckschuss des linken Ober¬ 
schenkels mit Einschuss unterhalb des 
Poupar t’schen Bandes. Der Ober¬ 
schenkel zeigt eine pralle, dem doppel¬ 
ten Umfang des normalen gleichkom¬ 
mende Geschwulst, welche deutliche 
Pulsation und starkes Schwirren auf¬ 
weist ; beginnende ödematöse Schwel¬ 
lung des Unterschenkels, kein Puls in 
den Fussarterien, Hypästhesie, keine 
Temperatursteigerung. Da in den we¬ 
nigen Beobachtungtagen die Schwellung 
rapide und bedrohlich zunimmt und 
starke Schmerzen sich einstellen, wird 
am 31. Oktober zur Operation geschrit¬ 
ten. 

Freilegung der grosen Gefässe unter¬ 
halb des Leistenbandes, Abklemmung 
von Arterie und Vene durch elastische 
Klemme; Freilegung der Geschwulst, 
Ausräumung der grossen Massen flüssi¬ 
gen und geronnenen Blutes, welches die 
einzelnen Muskelschichten durchwühlt 
hat und die Orientierung und Blossle¬ 


gung der Gefässwunde recht schwierig 
macht; es ist die Arterie oberhalb des 
Abganges der Profunda ganz durch- 
rissen, die Vene hat ein grosses seit¬ 
liches Loch, zu einem ar fc terio-venösen 
Aneurysma war es deswegen nicht ge¬ 
kommen, das Blut ergoss sich aus beiden 
Gefässen unter die Muskulatur. Nach¬ 
dem die Gefässe auch peripher abge¬ 
klemmt waren, wurde das verletzte 
Stück der Arterie reseziert und direkte 
zirkuläre Naht unter erträglicher Span¬ 
nung ausgeführt. Nach Lösen der 
Klemmen geht der Blutstrom durch die 
Nahtstelle und peripher derselben ist 
kräftige Pulsation, welche auch in den 
Fussarterien sofort nachweisbar ist. 
Dieselbe Manipulation wird an der Ve¬ 
ne gemacht, da einfache Naht der seit¬ 
lichen OefTnung wegen der ausgiebigen 
Zerreissung nicht möglich; indes stellt 
sich hier die Zirkulation nicht her, es hat 
sich peripher von der Verletzungsstelle 
ein Thrombus gebildet. Das Oedem des 
Unterschenkels und Fusses verschwin¬ 
det sofort, die Extremität hat normale 
Temperatur, der Puls in den Fussarte¬ 
rien bleibt tastbar; bis auf einige sub¬ 
kutane Abszesse (Nahtabstossung) un¬ 
gestörte Heilung; kann nach drei Wo¬ 
chen das Bett verlassen und gehen, ohne 
dass eine Spur von Zirkulationsstörung 
am Bein eintritt. 

3. H. Franz, 28 Jahre, Aneurysma ar- 
terio-venosum femorale sin., aufgenom¬ 
men am 1. November 1914. Verletzt 
am 19. September durch Infanteriege¬ 
schoss mit stumpfer Spitze; verheilter 
Einschuss an der Spitze des Trigonum 
Scarpae, Ausschuss diametral gegen¬ 
über an der Hinterfläche des Ober¬ 
schenkels. Der Verletzte bemerkte die 
zunehmende Geschwulst des Oberschen¬ 
kels erst seit einer Woche, hat von der¬ 
selben im Uebrigen keine Beschwerden. 
In der Nähe des Einschusses eine unge¬ 
fähr zwei faustgrosse pulsierende 
schwirrende Geschwulst; Puls an der 
Tibialis post, nicht zu tasten; kein 
Oedem des Unterschenkels, keine Sen- 
sibilitäts- oder Motilitätsstörungen. Ope¬ 
ration am 2. November: Längsschnitt 
im Trigonum Scarpae und Freilegung 
der inguinalen Gefässstämme, Abklem¬ 
mung mit elastischer Klemme oberhalb 
des Leistenbandes. Dann Aufsuchen 


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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


303 


der Verletzungsstelle der Gefässe; es 
findet sich ein aus derben Schwarten 
schwierig freizupräparierendes etwa 
pflaumengrosses (nach Abklemmung 
kollabiertes!) arterio-venöses Aneurys¬ 
ma ; im Gewebe um die Gefässe keine 
Blutung; Arterien- und Venenwunde 
decken sich, also richtiges arterio¬ 
venöses An. Resektion des Sackes; di¬ 
rekte Naht der Arterie wegen Spannung 
unmöglich, daher Resektion eines zirka 
8 cm langen Stückes der Vena saphena, 
welches in umgekehrter Stromrichtung 
durch zirkuläre Naht in den Arterien¬ 
defekt umgepflanzt wird. Die Naht ist 
dicht und der Blutstrom passiert das 
übergepflanzte Stück, welches Arterien¬ 
pulsation unter leichter Schlängelung 
zeigt; auch jenseits der peripheren Naht 
im distalen Arterienstück guter Puls; 
durch je eine Naht wird die Gefäss- 
scheide des oberen und unteren Arte¬ 
rienstumpfes zwecks Entspannung der 
Gefässnaht an das umgebende Gewebe 
im Sinne der Annäherung der beiden 
Enden befestigt. Das eingepflanzte 
Stück, welches nach Entnahme von sei¬ 
nem Mutterboden sich stark kontrahier¬ 
te, wird nicht sofort durch den Blut¬ 
strom etwa über seinen normalen Durch¬ 
messer erweitert, sondern gibt allmäh¬ 
lich dem Drucke nach, bis es die Weite 
der angrenzenden Arterienstücke er¬ 
reicht hat. Die Vena femoralis war auf 
weite Strecken infolge narbiger Verän¬ 
derung zur Naht unbrauchbar, es hätte 
also auch hier eine Ueberpflanzung ge¬ 
macht werden müssen, von der aber mit 
Rücksicht auf die ziemlich lange Dauer 
der Operation (l l / 2 Stunden) abgesehen 
wird; sie wird doppelt unterbunden und 
die Wunde geschlossen. Der Puls ist in 
den Fussarterien sofort nach der Ope¬ 
ration fühlbar und bleibt es auch ; die 
Extremität hat normales Aussehen und 
Temperatur, keine Spur von Zirkula¬ 
tionsstörung. 18. November verlässt 
der Kranke das Bett und wird schon am 
29. November mit vollkommen normal 
gebrauchsfähigem Bein entlassen. 

4. R. Conrad, 25 Jahre, aufgenom¬ 
men am 17. November 1914. Aneurys¬ 
ma verum arteriae radialis sinist. Ver¬ 
letzt am 22. Oktober 1914 durch Infan¬ 
teriespitzgeschoss. Einschuss an der 
Radialseite der Handwurzel, Ausschuss 


an der ulnaren Seite etwas höher. An 
der Stelle der Arteria radialis eine hasel¬ 
nussgrosse nur von Haut bedeckte pul¬ 
sierende, gut abgegrenzte Geschwulst, 
welche sich durch Kompression zum 
Verschwinden bringen lösst. Operation 
19. November 1914. Freilegung der 
Arterie oberhalb und unterhalb der Ge¬ 
schwulst und Präparation derselben; es 
besteht keine Kontinuitätsverletzung der 
Arterie, dieselbe ist an ihrer dem Kno¬ 
chen aufliegenden Wand normal, die 
vordere Wand ist umschrieben zu der 
kleinen pulsierenden Geschwulst ausge¬ 
buchtet ; offenbar hat das tangential pas¬ 
sierende Geschoss die Gefässwand ge¬ 
quetscht; Unterbindung der Arterie 
ober- und unterhalb der Erweiterung 
und Exstirpation derselben. Hautnaht; 
am 22. November geheilt entlassen. 

5. Sch. Franz, 21 Jahre, aufgenom¬ 
men 9. Dezember 1914. Aneurysma ar- 
terio-venosum iliac ext. sin. Verletzt 
am 20. November durch Infanteriege¬ 
schoss ; Steckschuss; verheilter Ein¬ 
schuss etwas einwärts vom linken, obe¬ 
ren Darmbeinstachel. Oberhalb des 
Leistenbandes eine schätzungsweise 
wallnussgrosse, pulsierende Geschwulst, 
welche starkes Schwirren zeigt; keine 
Schmerzen, keine erkennbare Zirkula- 
tions- oder Nervenstörung; Puls in den 
Fussarterien nicht zu tasten. Obwohl 
nun keine Beschwerden bestanden, wur¬ 
de dem Kranken die Operation vorge¬ 
schlagen, da bei dem Sitz des Aneurys¬ 
ma oberhalb des Leistenbandes mit dem 
voraussichtlichen Wachstum der Ge¬ 
schwulst sich die technischen Schwierig¬ 
keiten der Operation, insbesondere die 
Begrenzung zentralwärts, vermehren 
mussten. 

Operation am 23 Dezember. Freile¬ 
gung des retroperitonealen Raumes 
durch Schnitt wie zur Unterbindung der 
Iliaca mit Durchtrennung des Leisten¬ 
bandes ; Abklemmung von Arterie und 
Vene; nach schwieriger Präparation in 
schwieligem Gewebe erkennt man ein 
arterio-venöses Aneurysma, die Verletz¬ 
ung der Gefässe liegt etwas oberhalb des 
Leistenbandes; die Gefässe sind durch 
derbe schwartige Verwachsungen an der 
hinteren Beckenwand fixiert und die 
Loslösung derselben von dort ohne 
Schädigung unmöglich; es bleibt nichts 


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304 


New Yorks* Medizinische Monaxsschur. 


übrig, als eine Strecke von zirka 8 cm 
von beiden zu resezieren. Zum Ersätze 
zunächst der Vene wird die Saphena 
derselben Seite 10 cm weit nach unten 
freigelegt, an ihrer Einmündungsstelle 
in die Femoralis nach oben umgeschla¬ 
gen und das freie Ende mit dem zentra¬ 
len Stumpfe der Iliaca durch Gefäss- 
naht vereinigt; das periphere Ende der 
Vena femoralis oberhalb der Saphena- 
Mündung wird unterbunden. Dieser 
Akt der Operation war wegen der tie¬ 
fen Lage des zentralen Venenendes und 
der grossen Differenz der Lumina 
ausserordentlich schwierig und zeitrau¬ 
bend. Hierauf Resektion eines 10 cm 
langen Stückes der Saphena der ande¬ 
ren Seite und Einpflanzung desselben in 
umgekehrter Stromrichtung in den De¬ 
fekt der Arterie. Der Blutstrom geht 
durch das implantierte Stück unter deut¬ 
licher peripherer Pulsation, welche auch 
in den Fussarterien zu konstatieren ist. 
Schluss der Operationswunde mit Naht 
des durchtrennten Leistenbandes. Die 
Extremität hat sofort normale Tempe¬ 
ratur und Aussehen, keine Oedeme, gut 
tastbaren peripheren Arterienpuls; nach 
drei Wochen kann der Kranke gehen 
und ist ohne jede Beschwerde oder nach¬ 
weisbare Störung geheilt. 

6. P. Julius, 26 Jahre, aufgenommen 
am 26. Dezember 1914. Aneurysma ar- 
terio-venosum carotidis communis sin. 
Verletzt am 12. November durch Infan¬ 
terie-Stumpfgeschoss. Einschuss an der 
rechten Wange oberhalb des Kiefer¬ 
winkels. Ausschuss im linken oberen 
Halsdreieck; der Schuss muss wohl, da 
im Kehlkopf eine Verletzung nicht er¬ 
kennbar ist, hinter demselben den 
Pharynx durchsetzt haben. An der 
linken Halsseite deutlich sichtbare und 
tastbare taubeneigrosse pulsierende 
Geschwulst mit schwirrendem Ge¬ 
räusch. dieses auch bei Auskultation 
am Schädel deutlich hörbar; das linke 
Auge protrudiert, Pupille enge im Ge¬ 
gensatz zur anderen Seite, linksseitige 
Stimmbandlähmung; keine Herz- und 
Atmungs - Anomalien ; andauernder 
Kopfschmerz. Operation am 26. De¬ 
zember. Freilegung der Halsgefässe 
vom Warzenfortsatz bis gegen das 
Sternum am Vorderrande des Kopf¬ 
nickers unter Einkerbung seines me¬ 


dialen Randes. Die Vena jugularis 
zeigt sich unterhalb ihres Austrittes 
aus dem Schädel auf 2 Daumenstärke 
erweitert,, zeigt schwirrende Pulsation; 
keine Blutung ins umgebende Gewebe. 
Der Aneurysmasack, dessen Freiprä- 
parierung nach temporärer zentraler 
Abklemmung der Karotis und Jugu¬ 
laris versucht wird, ist mit der Umge¬ 
bung stark verwachsen, reicht bis an 
die Wirbelsäule und nach oben an die 
Schädelbasis, hat nach vorn eine zip¬ 
felförmige Ausbuchtung des venösen 
Abschnittes. Dieser Teil ist ziemlich 
dünn in seiner Wand und reisst bei der 
Präparation ein, wobei es eine starke 
venöse Blutung gibt, welche durch Ab¬ 
klemmung und Umstechung gestillt 
werden kann; da die Resektion des 
Sackes, abgesehen von der technischen 
Schwierigkeit zwecklos erscheint, weil 
die distalen Enden der Gefässstämme 
keinesfalls so weit aus den Knochen¬ 
kanälen des Schädels freizumachen 
sind, dass eine Gefässnaht möglich 
wäre, wird die Karotis knapp unter¬ 
halb des Sackes doppelt unterbunden 
und durchschnitten. Wundnaht, Hei¬ 
lung per primam. Die Pupillendiffe¬ 
renz ist bald nach der Operation ver¬ 
schwunden, indem nun auch die linke 
normale Weite und Reaktion zeigt, es 
treten keinerlei zerebrale Ausfalls¬ 
symptome auf, der früher bestandene 
Kopfschmerz ist verschwunden, der 
Kranke fühlt sich vollkommen wohl 
und die Stimmbandlähmung zeigt 
nach einigen Tagen deutliche Rück¬ 
bildung, nach zwei Wochen ist sie 
gänzlich behoben und der Kranke ge¬ 
heilt. 

Unter den beschriebenen Fällen wa¬ 
ren also drei arterio-venöse, ein echtes 
und zwei sogenannte falsche Aneurys¬ 
men, fünf waren aseptisch, No. 1, ob¬ 
wohl mit verheilter Einschusswunde 
und ohne Vereiterung des Blutergus¬ 
ses, als infiziert anzusehen, da be¬ 
trächtliche Temperatursteigerung be¬ 
stand. Bei allen wurde das Ziel der 
Operation, d. i. die Stillung des Aus¬ 
trittes von Blut aus dem verletzten 
Gefässrohr und Beseitigung der sekun¬ 
dären Folgen des ausgebildeten Aneu¬ 
rysma, erreicht, ohne dass es zur Gan- 

Qrigircal fro-rri 

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Medizinische Monatsschrift. 


305 


grän der Extremität, beziehungsweise 
Schädigung des Gehirnes gekommen 
wäre. In dem Falle der Arteria radi- 
alis kam dies natürlich gar nicht in 
Frage und habe ich diesen Fall haupt¬ 
sächlich wegen der relativen Seltenheit 
eines Aneurysma verum aus traumati¬ 
scher Ursache mit hier aufgenommen; 
alle übrigen Fälle betrafen aber Ge- 
fässstämme, deren Unversehrtheit für 
das bezügliche Stromgebiet von vita¬ 
lem Interesse ist; daher ging ich an 
jede Operation ohne Rücksicht auf die 
grössere oder geringere Wahrschein- 
lichkeit, die Unterbindung ohne Scha¬ 
den ausführen zu können, mit der Ab¬ 
sicht heran, das Gefäss funktionell zu 
erhalten beziehungsweise wieder her¬ 
zustellen. Einmal verhinderte techni¬ 
sche Unmöglichkeit, das anderemal 
gefahrdrohender Zustand des Verletz¬ 
ten die Ausführung dieser Absicht, in 
letzterem Falle sehr zum Nachteil des 
Enderfolges; denn obwohl die Ver¬ 
letzung eine Arterienstrecke betraf, 
welche inbezug auf vitale Wertigkeit 
mit der Carotis communis oder der 
iliaca sich nicht vergleichen lässt, da 
reichliche Anastomosen aus den 
Aesten der Subklavia die Ausbildung 
eines kollateralen Kreislaufes begün¬ 
stigen, und obwohl nahezu fünf Wo¬ 
chen seit der Verletzung verflossen 
waren, hatte die durch die Umstände 
gebotene Unterbindung der Axillaris 
wohl nicht Gangrän, aber doch schwe¬ 
re Zirkulationsstörung der Extremität 
zur Folge, welche nur langsam und 
teilweise sich zurückbildete, Muskula¬ 
tur und Nerven indes so schwer beein¬ 
flusste, dass deren vollständige Resti¬ 
tution und damit eine befriedigende 
Gebrauchsfähigkeit der Extremität 
kaum zu erwarten steht. Diese Stö¬ 
rungen traten ein, obwohl der periphe¬ 
re Arterienstumpf nach Abklemmen 
des zentralen noch geblutet hatte, ein 
Beweis mehr gegen die Zuverlässigkeit 
des C o e n e n’schen Zeichens; auch 
andere (Zahradnicky) 3 ) haben 

3) Kriegsärztliche Sitzung Mähr.-Weisskirchen. 
Februar 1915. 


das Vertrauen darauf mit nachfolgen¬ 
der Gangrän bezahlt. 

Möglich, dass multiple Thrombosen 
der Seitenäste in meinem Falle das un¬ 
günstigere Resultat mit verschulde¬ 
ten; ich erwähnte schon, dass ich den 
Fall als infiziert ansehe und folgere 
daraus die Annahme der Thrombosie¬ 
rung. Auch scheint mir von Habe- 
r e r’s 4 ) Meinung gerade hier zutref¬ 
fend, dass bei rasch wachsendem 
Aneurysma der Druck derselben die 
Seitenbahnen schädige, weshalb die 
bisherige Lehre, deren Ausbildung 
möglichst lange abzuwarten, in ihrer 
allgemeinen Berechtigung anzuzwei¬ 
feln sei. Jedenfalls geben solche Er¬ 
fahrungen die deutliche Mahnung, 
dass durch zu langes Warten ebenfalls 
und vielleicht grössere Gefahren be¬ 
schworen werden wie durch zu frühes 
Eingreifen. Hätte man in meinem 
Falle früher unterbunden, so scheint 
es mir zweifellos, dass die Ernährungs¬ 
störungen erheblich geringer gewesen 
wären; als ebenso gewiss nehme Ich 
an, dass sie zu vermeiden waren, wenn 
die Erhaltung des Gefässes gelungen 
wäre, was allerdings auch wegen der 
Unsicherheit der Asepsis des Falles 
zweifelhaft war. 

Der Fall ist gerade wegen des Ge¬ 
gensatzes zu den übrigen mit Gefäss- 
naht operierteen eine wirksame Illu¬ 
stration zu der Ueberlegenheit der 
letzteren Methode; schwere Ernäh¬ 
rungsstörung trotz genügend langer 
Zeit des Zuwartens bei einem an sich 
bezüglich Unterbindung nicht so pre¬ 
kären Gefässe dort — Ausbleiben jeg¬ 
licher Schädigung bei sofortiger Wie¬ 
derherstellung normaler Zirkulation 
hier, auch wenn, wie in Fall 2, ohne 
vorbereitendes Zeitintervall operiert 
werden musste. 

Es ist wohl schwer, einem Einwand 
zu begegnen, es hätte in diesen Fällen 
auch die Unterbindung ohne Gangrän 
gemacht werden können; wie schon 
erwähnt und allgemein bekannt, ist 

4) v. H a b e r c r, Wiener klin. Wochenschr. 1914, 
Nr. 46. 

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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


die Vorhersage, ob die Ausschaltung 
eines bestimmten Gefässstammes Gan¬ 
grän zur Folge hat, sehr zweifelhaft; 
jedenfalls besteht aber diese Gefahr, 
sie wird durch Fall 1 demonstriert; 
auch v. Haberer erlebte bei der 
Unterbindung der Poplitea partielle 
Gangrän, Zahradnicky unter 9 
Fällen viermal, und die Gefahr wird 
zur Gewissheit, wenn man wegen Blu¬ 
tung oder Berstung vor Ablauf eines 
entsprechenden Zeitraumes eingreifen 
muss. 

Dass die Gefässnaht in allen Fällen 
tatsächlich zur Wegsamkeit des Arte¬ 
rienrohres geführt hat, würde durch 
das Ausbleiben von Zirkulationsstö¬ 
rungen (ausser in Fall 2, wo vor der 
Operation solche bestand und schon 
kurz nach der Verletzung operiert 
werden müsste) allein nicht bewiesen, 
ist aber wohl durch das sofortige Auf¬ 
treten des peripheren Pulses einwand¬ 
frei sichergestellt. 

Es ist wohl kaum einer Beweisfüh¬ 
rung bedürftig, dass die Erhaltung der 
Gefässstämme zweckmässig und er¬ 
wünscht ist, es könnte höchstens in 
Frage gestellt werden, ob sie beim 
Aneurysma notwendig und möglich 
ist. Die Notwendigkeit glaube ich ge¬ 
nügend erörtert zu haben und wenn 
ihr Vorteil nur darin bestünde, dass uns 
das bange Hoffen und Harren erspart 
bleibt, ob nach der Unterbindung Gan¬ 
grän eintritt oder nicht, so müsste 
schon das allein genügen, ihre Anwen¬ 
dung zu fordern. 

Dass sie aber auch möglich ist, muss 
ganz entschieden betont werden; wenn 
das vielfach noch bezweifelt wird, so 
liegt das vielleicht in einer Ueber- 
schätzung der technischen Schwierig¬ 
keit, die leicht jenen Chirurgen pas¬ 
siert, welche sich nicht mit der Metho¬ 
de näher vertraut gemacht haben. Im 
Besitze des geeigneten, übrigens recht 
einfachen Instrumentariums — es 
kommt im wesentlichen nur auf genü¬ 
gend feine Nadeln und Nahtmaterial 
an — und bei der Voraussetzung asep¬ 


tischen Operierens, ist die Gefässnaht 
durchaus kein experimentelles Parade¬ 
stück, sondern eine Operation, welche 
eigentlich regelmässig, zumal bei den 
grösseren Gefässkalibern, die bei der 
klinischen Praxis in Frage kommen, 
gelingen muss. v. Haberers Be¬ 
denken, dass „bei ausgedehnter Lä¬ 
sion des Gefässes es am nötigen Mate¬ 
rial zur Naht gebricht und die bisher 
erzielten Erfolge der Transplantation 
noch zu wenig sicher sind, um die Me¬ 
thode verallgemeinern zu können,“ 
möchte ich an der Hand der berichte¬ 
ten Erfolge ebenso entschieden ent¬ 
gegentreten; die Transplantation von 
Gefässstücken ist nicht wesentlich 
schwieriger als die direkte Gefässnaht, 
ich möchte sogar behaupten leichter, 
wenn diese nur einigermassen grösse¬ 
re Spannung findet, und jedenfalls 
dann erfolgsicherer. Am Material da¬ 
zu kann es kaum fehlen, jede Vene 
grösseren Querschnittes ist hiezu ge¬ 
eignet, die Vena saphena allerdings 
scheint mir wegen der grösseren 
Wandstärke ganz besonders empfeh¬ 
lenswert ; wenn auch jede Vene durch 
Hypertrophie und Metaplasierung ih¬ 
rer Wandung, sobald ihr die Funktion 
einer Arterie zugemutet wird, den 
Charakter einer solchen mehr oder we¬ 
niger annimmt, so dehnen sich dünn¬ 
wandige Venen, wie die Brachialis et¬ 
wa, unter dem Drucke des arteriellen 
Blutstromes zunächst doch stark aus, 
während die Saphena, wenn sie ausge¬ 
schnitten ist, nicht wie die dünnwandi¬ 
gen Venen glatt kollabiert, sondern 
sich zirkulär und in der Längsachse 
stark kontrahiert, wodurch ihre 
grössere Wandstärke und Elastizität 
noch stärker markiert wird und sie 
dann, in den arteriellen Strom einge¬ 
schaltet, sich nicht oder nur unmerk¬ 
lich für kurze Zeit dilatiert. 

Bloss muss man bei Verwendung 
der Saphena darauf achten, das rese¬ 
zierte Stück in umgekehrter Strom¬ 
richtung zu verwenden, weil der Blut¬ 
strom die gegensinnig gestellten Ve- 

Ürigmal fro-m 

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New Yorks» Medizinische Monatsschrift. 


307 


nenklappen wohl überwindet, aber 
doch in denselben knotige Erweiterun¬ 
gen der Venen erzeugt, welche die Ge¬ 
fahr der Thrombosierung in sich tra¬ 
gen. 

Bei Verletzung beider Gefässstäm- 
me ist zu versuchen, beide in ihrer 
Kontinuität wieder herzustellen; es 
scheint nur das bei der Vene oft 
schwieriger als bei der Arterie, weil 
die erstere durch das Trauma selbst, 
dann aber durch das Aneurysma und 
die Schwartenbildung viel mehr in 
Mitleidenschaft gezogen und in ihrer 
Wand geschädigt wird, wie die weit 
resistentere Schlagader. Zum Glück 
ist der Ersatz der Vene nicht von so 
zwingender Notwendigkeit und wenn 
derselbe sehr grosse technische 
Schwierigkeiten bietet (grössere 
Streckendefekte, Unzugänglichkeit des 
zentralen Stumpfes) so wird man nach 
gelungener Wiederherstellung der Ar¬ 
terie ruhig die Vene ligieren können. 
Auch Hotz 5 ) ging mehrfach so vor, 
indem er bei Präparierung arterio¬ 
venöser Aneurysmen die Vene des 
Aneurysmas selbst zum Ersatz des 
Arteriendefektes verwendete. 

Das in Fall 4 angewendete Verfah¬ 
ren der einseitigen Implantation der 
Saphena in den zentralen Sttumpf der 
Vene, während die periphere Verbin¬ 
dung durch die Einmündungsstelle in 
die Vena femoralis dargestellt wird, 
ist ein Versuch, über, dessen Wert ich 
mich nicht äussern will, bevor ich 
durch Tierversuch mit entsprechender 
Nachkontrolle die Funktion dieses Ve¬ 
nenstückes geprüft habe. Jedenfalls 
ersparte mir dieser Ausweg einige 
Zeit: die theoretische Schwäche der 
Sache liegt darin, dass eventuelle 
Klappen in dem umgedrehten Saphe- 
nastück dem venösen Blutstrom ent¬ 
gegenstehen und dass an der Ligatur¬ 
stelle der Vena femoralis ein Blindsack 
entsteht, der zu Thrombose führen 
kann, welche sich auf die Abzweig¬ 
stelle der Saphena fortpflanzt. Indes- 

5) Münchener med. Wochenschr. Xr. 7, 1915. 


sen ist bei nicht infiziertem Opera¬ 
tionsgebiet und aseptischem Vorgehen 
diese fortschreitende Thrombose nicht 
wahrscheinlich und die Klappen dürf¬ 
ten wohl durch den aus grösserem in 
kleineres Kaliber einströmenden venö¬ 
sen Blutstrom insuffizient werden und 
jedenfalls nur ein zeitweiliges relatives 
Stromhindernis darstellen. 

Sobald man also den Gefässersatz 
als ein im Rahmen der durchaus aus¬ 
führbaren Operationen liegendes Ver¬ 
fahren ansehen kann, muss man auch 
die Ueberlegenheit des konservativen 
Vorgehens über die Unterbindung an¬ 
erkennen, welche, mag sie noch so oft 
ohne Schaden gemacht werden, bei al¬ 
len Kautelen immer wieder einmal 
eine Gangrän bringt. Die Gefässnaht 
hat dann noch den grossen Vorzug, 
dass man mit der Ausführung der Ope¬ 
ration, sobald die Diagnose der Gefäss- 
verletzung feststeht, nicht länger zu¬ 
zuwarten braucht, sondern sofort ein- 
greifen kann, wodurch manche Gefahr 
plötzlicher Nachblutung und andere 
sekundäre Folgen des Aneurysmas, 
wie Nervenlähmungen etc. erspart 
werden können. Es ist sogar zu em¬ 
pfehlen, bei Anwendung der Gefäss¬ 
naht möglichst frühe zu operieren, ehe 
noch durch stärkere Schwartenbildung 
der Eingriff erschwert und kompliziert 
wird. % 

Der ablehnende Standpunkt, wel¬ 
chen noch manche Chirurgen gegen 
die konservative Aneurysmaoperation 
einnehmen, scheint mir, wie gesagt, 
teils durch die äusseren Umstände ge¬ 
geben, unter welchen die meisten an 
derartige Verletzungen herangehen 
mussten. Dringliche Umstände be¬ 
gründen sich immer ihre eigenen Indi¬ 
kationen; für normale Verhältnisse 
sind diese aber nicht giltig und so hal¬ 
te ich mich für berechtigt, zu behaup¬ 
ten, dass die bisherigen Grundsätze 
über die Behandlung der Aneurysmen 
im Sinne des konservativen Vorgehens 
revidiert werden müssen. 

Wenn irgend möglich, soll die Ge- 


Qriginal fro-m 

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fässnaht oder der Gefässersatz ver¬ 
sucht, die Unterbindung auf jene Fälle 
beschränkt werden, wo das eine Gefäss- 
ende nicht erreichbar oder rasche Be¬ 
endigung der Operation dringend gebo¬ 
ten ist. Wenn man diese Fälle, welche 
als nicht für die Gefässnaht geeignet, in 
der Regel von vornherein zu erkennen 
sind, ausscheidet, ist die Operation mög¬ 
lichst früh zu machen; sie ist dann ein¬ 
facher, vermeidet die Gefahr des weite¬ 
ren Wachstums des Aneurysmas und 
spart dem Verletzten längeres Kranken¬ 
lager. 

Voraussetzung ist die Garantie asep¬ 
tischen Operierens, sowohl was die 
äusseren Umstände, wie den Zustand 


des Operationsgebietes betrifft; die infi¬ 
zierten Aneurysmen scheiden also zu¬ 
nächst aus und sind so lange konserva¬ 
tiv zu behandeln, bis sie aseptisch sind; 
das ist dann tunlich, wenn wohl die 
äusseren Wunden unrein sind, der Blut¬ 
erguss selbst aber nicht infiziert ist; 
sonst sind sie nach den bisherigen Re¬ 
geln zu behandeln. Dass man gerade 
dann oft die geeignete Zeit für die Li¬ 
gatur nicht abwarten kann und wegen 
unabweislichen Frühoperierens oder 
septischer Thrombosierung der Kollate- 
ralen Gangrän erlebt, ist ein Missstand, 
den man wegen der vitalen Indikation 
in Kauf nehmen muss. 


Mitteilungen aus der neuesten Joumalliteratur. 


Therapie und Arzneimittel. 

T e u t o n,-,Wiesbaden : Die jetzigen 

Heilmittel der Syphilis. 

Bei jeder Form der Lues hält Verfas¬ 
ser, im strikten Gegensatz zu Wech- 
selmann, aber in Uebereinstimmung 
mit der überwiegenden Mehrzahl der 
Aerzte, die Kombination einer milden 
bis mässig starken Quecksilberkur mit 
einigen Salvarsan-, in der Privatpraxis 
insbesondere mit Neosalvarsan-Infusio- 
nen, der Anwendung dieser Mittel allein 
für entschieden überlegen, gemäss dem 
von Kochmann entwickelten - Prin¬ 
zip, dass sich bei Kombination mehre¬ 
rer, in demselben Sinne wirkender 
Medikamente in mittlerer Dosierung die 
gewollten günstigen Wirkungen addie¬ 
ren bezw. potenzieren, während die un¬ 
günstigen Nebenwirkungen der einzel¬ 
nen Mittel, entsprechend der geringeren 
Dosis, ganz oder zum grossen Teile 
wegbleiben. Starke Quecksilberkuren, 
insbesondere Kalomel-Injektionen, soll 
man nicht mit Salvarsan kombinieren. 
Es müssen unbedingt die wichtigsten 
Ausscheidungswege, also die Nieren 
und der Darm, offen gehalten und ge¬ 
schont werden. Weiterhin erachtet 
Touton nicht diejenige Quecksilber¬ 


methode and und für sich als die beste, 
bei der die längste Remanenz während 
der Kur stattfindet, weil gerade damit 
die Möglichkeit einer Kumulierung, die 
zur Intoxikation führt, gegeben ist. In 
dieser Hinsicht sind die Injektionen 
von unlöslichen Quecksilbersalzen, wie 
Kalomel, Salizyl- und Thymol-Queck¬ 
silberverbindungen, besonders bedenk¬ 
lich, weil man nicht weiss, wieviel 
Quecksilber täglich vom Organismus in 
gelöster oder brauchbarer Form aufge¬ 
nommen wird. 

Nicht eine möglichst lange Remanenz, 
sondern eine möglichst rasche Expul¬ 
sion der verbrauchten oder veränderten 
Mittel ist die beste Gewähr gegen die 
Schädigungen des Organismus. Ge¬ 
steigerte Kochsalzzufuhr begünstigt 
übrigens auch die Quecksilberaufnahme 
und die Wiederauflösung der zunächst 
ausgefällten Albuminate. 

Unter den Quecksilberpräparaten, de¬ 
ren Quecksilber erfahrungsgemäss 
leicht abgespalten und schnell resorbiert 
wird, bei denen also eine gefährliche 
Kumulierung nicht zu befürchten ist, 
steht Mergal in erster Reihe. — Auch 
Touton bezeichnet Mergal als ein 
empfehlenswertes Präparat, besonders 
in den Fällen, wo Inunktiohskuren nicht 


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309 


durchführbar sind. Touton lässt täg¬ 
lich 6 bis 8 Kapseln nehmen bezw. 300 
bis 350 Stück für jede Kur. 

O. Hesse- Utrecht: Der Einfluss 
des Tannalbins auf die Verdauungs¬ 
bewegungen bei experimentell er¬ 
zeugten Durchfällen. 

Versuche, die Autor über die Verdau¬ 
ungsbewegungen bei Katzen anstellte, 
ergaben folgende Resultate: 

Auf Tiere ohne Durchfall hat Tannal- 
bin keinen wesentlichen Einfluss.. 

Der Milchdurchfall wird durch Tan- 
nalbin nicht gestopft. Die Entleerungen 
sind nicht verzögert und nicht deutlich 
eingedickt. 

Der Rizinusöldurchfall wird nicht 
oder nur in seltensten Fällen gestopft. 

Bei Koloquintendurchfällen bewirkt 
Tannalbin eine geringe Konsistenzver¬ 
änderung der Fäzes, verzögert die Ent¬ 
leerung aber nur in der Minderzahl der 
Fälle. — Der Nachdurchfall nach Kolo¬ 
quinten wird durch Tannalbin in der 
Mehrzahl der Fälle gestopft. Die An¬ 
griffspunkte der Koloquintenwirkung 
und der Stopfwirkung des Tannalbins 
liegen in diesem Falle beide im Dick¬ 
darm. 

Das Zustandekommen der Sennawir- 
kung wird durch Tannalbin nicht ver¬ 
hindert. 

Der Durchfall nach Fütterung mit 
Brot und Pferdeorganen wird durch 
fortgesetzte T annalbingaben gestopft, 
das heisst, die Entleerungen werden 
fest, aber nicht sicher verzögert. Auch 
hier greift Tannalbin hauptsächlich am 
Kolon an. 

Bei der Stopfwirkung des Tannalbins 
auf den Koloquinten- und Pferdeorgan¬ 
brotdurchfall lässt sich im Röntgenver¬ 
such nur eine auffallend geringe Verän¬ 
derung im Ablauf der Verdauungsbe¬ 
wegungen feststellen. Der Wirkungs¬ 
mechanismus des Tannalbins wird da¬ 
her, wie von vornherein wahrscheinlich 
ist, auf der Beeinflussung der Schleim¬ 
haut ( Entzündung. Resorption, Sekre¬ 
tion) durch das Adstringen beruhen. 
(Archiv f. d. ges. Physiologie, Bd. 151, 
S. 394.) 


Gynäkologie und Geburtshilfe. 

H. L. Coopman - Amsterdam: 

Ueber konservierende und operative 

Behandlung chronischer Adnexer¬ 
krankungen. 

Coopman stellt die nachfolgen¬ 
den Sätze auf: 

1. Adnexerkrankungen sollten im 
weitesten Masse konservativ behan¬ 
delt werden. 

2. Führt diese Behandlung nicht 
zum Ziel, so soll zunächst vaginal 
durch Punktion, Kolpotomie eine Hei¬ 
lung angestrebt werden. 

3. Tritt wiederholt Rezidiv auf, so 
soll man abdominell operieren, wo¬ 
möglich mit Zurücklassung eines Ova- 
rialrestes. Die Entfernung des Uterus 
soll nur im äussersten Falle 'ange¬ 
schlossen werden, um den Frauen die 
psychische Beruhigung, dass sie men¬ 
struieren, nicht zu rauben. 

4. In vielen (alten) Fällen, wo man 
Eiter vermutet, ist in den „Geschwül¬ 
sten 4 * nur noch seröse, sterile, höchsten 
Kolibazillen enthaltende Flüssigkeit. 

5. Die Appendix, weil fast immer in 
Mitleidenschaft gezogen, soll stets 
entfernt werden. Diese Indikation 
rechtfertigt schon an und für sich das 
abdominelle Verfahren. (Zbl. f. Gvn. 
1915 Nr. 16.) 

W. S t o e c k e 1: Die extraperitoneale 

Tubenverlegung als Methode der 

Sterilisierung. 

Die von S t o e c k e 1 angegebene 
Methode besteht in Freilegung des 
Leistenkanals wie bei der Alexan¬ 
der-Adam s’schen Operation mit 
Eröffnung des Peritoneums, in dem 
Herausleiten der Tuben aus dem Lei¬ 
stenkanal und ihrer extraperitonealen 
Einbettung zwischen Bauchdeckenmus¬ 
kulatur und vorderer Bauchdecken¬ 
faszie. (Zbl. f. Gyn. 1915 No. 11.) 

A. Döderlein - München: Zur 

Strahlenbehandlung des Krebses. 

Es steht nunmehr fest, dass Radium 
und Mesothorium die Karzinomzelle 
zerstören, also eine elektive Wirkung 
auf das Karzinom ausüben, wobei je¬ 
doch nicht gesagt werden soll, dass die 


Original ffom 

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310 


New Yorker Medizini3Che Monatsschrift. 


gesunde Zelle unter keinen Umstän¬ 
den davon ergriffen werdene, sondern 
nur, dass die Karzinomzelle leichter, 
frühzeitiger und intensiver reagiert als 
die gesunde. Die Aufgabe der Aus¬ 
bildung der Technik ist, den richtigen 
Mittelweg zu finden, dass unter Scho¬ 
nung der gesunden Gewebe nur die 
kranken angegriffen werden. Es kann 
heute als feststehend betrachtet wer¬ 
den, dass die Erfolge in der Strahlen¬ 
behandlung des Karzinoms von keiner 
anderen palliativen Behandlung auch 
nur entfernt erreicht werden können, 
und D. glaubt, später den zahlenmässi- 
gen Beweis erbringen zu können, dass 
mit der ausschliesslichen Strahlenthe¬ 
rapie günstigere Dauerheilresultate er¬ 
zielt werden können als mit der ope¬ 
rativen. (Zbl. f. Gyn. 1915 Nr. 12.) 

E. E b e 1 e r - Köln: Üeber Menstru¬ 
ationsverhältnisse nach gynäkologi¬ 
schen Operationen. 

So wenig konstant zum Teil das 
Auftreten der ersten Menstruation 
nach gynäkologischen Operationen ist, 
so wenig einheitlich erscheint vorder¬ 
hand noch seine Aetiologie zu sein. 
Zwar ist hinsichtlich der Genese der 
uterinen Blutungen im Lichte der 
Kenntnis der inneren Sekretion die 
jetzt meist vertretene Ansicht die, 
dass ein vom Ovarium produzierter, in 
die Blutbahn gegebener Stoff, ein Hor¬ 
mon, die menstruellen Veränderungen 
hervorruft; doch lassen sich alle Men¬ 
struationsstörungen durch das von 
F r a e n k e 1 gefundene Zeitgesetz der 
Ovulation und durch die Linden- 
t h a l’sche Hypothese erklären ; es 
spielen aber auch die Theorien ande¬ 
rer Autoren, deren E. in seiner Arbeit 
Erwähnung tut, für gewisse Fälle 
zweifellos eine ebenso massgebende 
Rolle. (Zbl. f. Gyn. 1915 Nr. 8 u. 9.) 

P. Zweifel- Leipzig: Ueber das 

untere Uterinsegment. 

Zweifel befindet sich in Ueber- 
einstimmung mit Veit (vergl. De¬ 
zember-Nummer 1914 d. Monatsschr.) 
und stellt die bis jetzt unbestritten an¬ 
genommenen Grundsätze bezüglich 
des unteres Unterinsegmentes, die 


eher zu einer Verständigung über die 
noch angefochtenen führen, zusam¬ 
men, wie folgt: 

1. Es ist darüber Einstimmigkeit 
erzielt, dass bei der nulliparen Frau 
das untere Uterinsegment schon vor¬ 
gebildet ist, und zwar dahin, dass das¬ 
selbe über dem durch die Querfalten 
makroskopisch erkennbaren Zervikal¬ 
kanal beginnt, eine leichte Längsstrei¬ 
fung der Schleimhaut zeigt und Drü¬ 
sen trägt, welche allen Eigenschaften 
nach zur Korpusschleimhaut gehören. 
Weil dieser Teil bei den Nulliparen 
am engsten ist, hat er von verschiede¬ 
nen Autoren den Namen „Isthmus“ 
erhalten. 

2. Wenn eine Schwangerschaft ein- 
tritt, so bildet sich aus der Schleim¬ 
haut des Isthmus eine Dezidua, und 
nach Ablauf der ersten beiden Monate 
beginnt sich auch diese engere Stelle 
des Kanals zu erweitern und wird im 
Fortschreiten der Schwangerschaft all¬ 
mählich zur Bergung des Eies mitver¬ 
braucht. 

3. Der Zervikalkanal, welcher im¬ 
mer an der Querfältelung und an den 
buchtigen Drüsen scharf von der De¬ 
zidua zu-unterscheiden ist, bleibt be¬ 
sonders bei Erstgebärenden bis zum 
Beginn von Wehen erhalten und ver¬ 
längert sich ein wenig. Die Stelle 
über dem Zervikalkanal nimmt am 
Ende der Schwangerschaft den Kopf 
des Kindes auf und wird zu einer 
Halbkugel erweitert. Die Wand wird 
verdünnt und ist dazu besonders be¬ 
fähigt, weil daselbst die Muskulatur 
lamellär angeordnet, nicht allseitig 
verflochten ist, wie die des Corpus 
uteri. Das ist das untere Uterin- oder 
besser das untere Korpussegment. 

4. Beginnen die Wehen, so wird na¬ 
türlicherweise dieses Segment zuerst 
höher, über die Fruchtblase und das 
Kind zurückgezogen. Es kann da¬ 
durch eine auffällige Verdünnung ein- 
treten, ehe die Fortwirkung der Re¬ 
traktion zur Erweiterung des Mutter¬ 
mundes geführt hat. Tritt in diesem 
ersten Stadium, also am Ende der 
Schwangerschaft oder im ersten An¬ 
fang der Geburt der Tod plötzlich ein, 
so wird über dem vollkommen erhal¬ 
tenen Zervikalkanal das untere Kor- 


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pussegment um der Totenstarre willen 
nach der Entnahme des Kindes aus 
der unentbundenen Frau weit und ver¬ 
dünnt erscheinen und daher den Ein¬ 
druck erwecken, dass es schlaff blieb. 

5. Da sich bei einer- länger hinzie¬ 
henden Agonie regelmässig Zusam¬ 
menziehungen der Gebärmutter ein¬ 
stellen, werden viele Leichenpräparate 
eine von oben her begonnene Erweite¬ 
rung des Zervikalkanals zeigen. 

6. Geht die Geburt weiter bis zur 
vollen Eröffnung des äusseren Mutter¬ 
mundes und rückt das Kind in dem 
Geburtskanal weiter vor, so beginnt 
auch das untere Korpussegment, da es 
ebenfalls muskulös ist, sich zu kontra¬ 
hieren. 

7. Nach der normalen Geburt und 
der Ausstossung der Plazenta ist das 
untere Korpussegment kontrahaiert 
und der Kontraktionsring fällt mit 
dem Orificium internum uteri zusam¬ 
men. Wäre diese Kontraktionsfähig¬ 
keit des unteren Korpussegments nicht 
vorhanden, so müsste jede Frau mit 
Placenta praevia verbluten. 

8. Ebenso wie beim normalen Ute¬ 
rus die gesunde Muskulatur in Aus¬ 
nahmefällen versagen und Frauen we¬ 
gen Atonia Uteri verbluten können, ist 
dies bei Placenta praevia möglich. 
Noch viel mehr ändert natürlich eine 
Uterusruptur die Kontraktionen; 
wenn in solchen Fällen ein schlaff ge¬ 
bliebenes unteres Korpussegment 
selbst noch nach dem Ablauf der Ge¬ 
burt gefunden wurde, ist das leicht er¬ 
klärlich, rechtfertigt jedoch nicht, aus 
einzelnen solchen Befunden den allge¬ 
meingültigen Schluss zu ziehen, dass 
das untere Korpussegment post par¬ 
tum immer und ungefähr ebenso lan¬ 
ge schlaff bleibe wie die Cervix uteri. 
(Zbl. f. Gyn. 1914 Nr. 44.) 

M. Hofmeier: Zur Frage der aus¬ 
schliesslichen # Strahlenbehandlung 

operierbarer Uteruskarzinome. 

H o f m e i e r berichtet über einen 
für einen operativen Erfolg sehr gün¬ 
stig liegenden Fall von Portiokarzi¬ 
nom, bei welchem durch einen sechs¬ 
wöchigen Versuch, die Krankheit 
durch Radium allein zu heilen, ein 
höchst unliebsames Fortschreiten des 


Krankheitsprozesses in die Tiefe be¬ 
obachtet worden und dann nach der 
scheinbar immer noch sehr günstigen 
Operation bereits in den nächsten vier 
Wochen ein Beckenbindegewebsrezi- 
div gefolgt, wie man es sonst in sol¬ 
chen Fällen in dieser Schnelligkeit 
kaum zu sehen bekommt. H. will aus 
dieser Einzelbeobachtung keinen zu 
allgemeinen Schluss ziehen, allein er 
hält dadurch doch für bewiesen, dass 
durch die bis jetzt vorliegenden Er¬ 
fahrungen die Frage nicht gelöst ist, 
ob auch alle operablen Fälle von Ute¬ 
ruskarzinom nur noch radiotherapeu¬ 
tisch in Angriff zu nehmen seien. Mag 
in dem angeführten Fall auch eine be¬ 
sondere Ursache des Misserfolges vor¬ 
liegen, wie Alter der Patientin, Art 
des Karzinoms usw., so liegt doch je¬ 
denfalls ein grober Misserfolg vor, der 
ernstlich zu denken gibt. H. ist dahei 
der Ansicht, dass man nach wie vor 
operable Fälle so ausgiebig wie mög¬ 
lich und zugleich so wenig gefährlich 
wie möglich, d. h. mit der weniger.ge¬ 
fährlichen vaginalen Operation, be¬ 
handelt und dann noch einer radio¬ 
therapeutischen Nachbehandlung un¬ 
terzieht. (Zbl. f. Gyn. 1915 Nr. 1.) 

H. Fehling: Operative und Strah¬ 
lenbehandlung bei gutartigen und 
bösartigen Geschwülsten der Gebär¬ 
mutter. 

Die Strahlenbehandlung hat grosse 
Vorteile, aber auch ihre Kontraindika¬ 
tionen. F. ist heute noch nicht der 
Ansicht, dass die Chancen der opera¬ 
tiven und Strahlenbehandlung annä¬ 
hernd die gleichen sind. Die Radium- 
und Mesothoriumbehandlung hält F. 
für schonender und angenehmer als 
die Röntgenbehandlung, aber für zwei¬ 
fellos gefährlicher. Mit der Strahlen¬ 
behandlung können therapeutisch ek¬ 
latante Erfolge erzielt werden, wie mit 
kleinem anderen Verfahren. Es wur¬ 
den manche Zervix- und Scheidenkar¬ 
zinome so zur Rückbildung gebracht, 
dass später auch bei Exzision und mi¬ 
kroskopischer Untersuchung von einer 
Neubildung nichts mehr gefunden 
wurde. Dennoch vertritt F. vorläufig 
noch die Ansicht, dass die gutoperab¬ 
len Fälle so bald wie möglich operiert 

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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


werden sollten. Immerhin ist für die 
mit gut- und bösartigen Gebärmutter¬ 
geschwülsten behafteten Frauen eine 
Aera der unblutigen Behandlung an¬ 
gebrochen, an deren Ausbau jeder 
Arzt mithelfen sollte. (M. m. \Y. 1914 
Xr. 49.) 

Chirurgie. 

VY. Gross: Zur Behandlung der 
Rippenbrüche. 

Gross gebraucht einen einfachen 
HeftpHasterverband, welcher in der 
Form eines Längsstreifen von Heft¬ 
pflaster unterhalb der Bruchstelle be¬ 
ginnt und dann über die entgegenge¬ 
setzte Schulter zieht. Besteht starke 
Schwellung und grosse Schmerzhaftig¬ 
keit, legt er zur Stütze der Bruch¬ 
stücke zwei Heftpflasterstreifen in der 
angegebenen Richtung unter Freilas¬ 
sung der gebrochenen Stelle parallel. 
Der Streifen, welcher sich über die 
Schulter zieht, muss unter Druck zu¬ 
erst unterhalb der Bruchstelle gelegt 
werden; dann führt man unter steti¬ 
gem Zug den Streifen über die Schul¬ 
ter und befestigt ihn handbreit weit 
auf der entgegengesetzten Seite (Brust 
oder Rücken). Quer auf die Stelle des 
Rippenbruches legt G. die bekannten, 
dachziegelförmig sich deckenden Heft¬ 
pflasterstreifen über den Beginn des 
zuletzt erwähnten Streifens, um diesen 
zu befestigen. Einen weiteren Strei¬ 
fen legt man zu diesem Zweck in que- 
red Richtung über das Ende. G. emp¬ 
fiehlt diesen ausserordentlich brauch¬ 
baren Verband auch bei Nachbehand¬ 
lung von schmerzhaften Verwachsun¬ 
gen in dem Brustfellraum oder Neu¬ 
ralgien nach der Heilung solcher Brü¬ 
che oder gleichartiger Erkrankungen. 
(D. Med W. 1915 Nr. 12.) 

A d o 1 f Schmidt, Halle a. S.: 

Ueber Lungenschüsse. 

Aus den von Schmidt mitgeteil¬ 
ten Erfahrungen ergibt sich, dass man 
mit dem Transport von Lungen¬ 
schüssen vorsichtig verfahren und lie¬ 
ber die mit grösseren Ausschuss¬ 
öffnungen und Rippenverletzungen 
verbundenen in den Feld- respektive 
Etappenlazaretten zurückbehalten soll. 


Die frühzeitig einsetzende Verklebung 
der Pleurawunde soll durch Ruhe 
möglichst gefördert werden. Weiter¬ 
hin sind die Schussöffnungen sorg¬ 
fältig zu verbinden und beim Auftre¬ 
ten von stärkeren Fieberbewegungen 
ohne Rücksicht auf den Lungenbefund 
zu erweitern und eventuell zu drainie- 
ren. Dagegen braucht man über leich¬ 
te Fieberbewegungen und über das 
Auftreten von tympanitischem Schall 
an der Thoraxoberfläche sich nicht zu 
ängstigen. Gegen Probepunktionen 
besteht keinerlei Bedenken. (D. med. 
Wo. 1914 Xr. 44.) 

Walther Pöppelmann: Bis 

zum 20. Oktober behandelte Dum- 

Dum-Verletzungen aus dem gegen¬ 
wärtigen Kriege. 

Pöppelmann gibt die mit Ab¬ 
bildungen erläuterten Krankenge¬ 
schichten dreier Fälle von Dum-Dum- 
Verwundungen, die im Vereinslazarett 
in Coefeld (Westfalen) behandelt wur¬ 
den. Alle drei Verwundungen stamm¬ 
ten aus derselben Gegend des grossen 
Schlachtfeldes in Frankreich. Alle 
drei Leute geben übereinstimmend an, 
dass Engländer ihnen gegenüber ge¬ 
legen hätten. Alle drei sagen ferner, 
dass Dum-Dum-Geschosse von ihnen 
sowohl auf dem Schlachtfelde, als auch 
in den Taschen verwundeter und ge¬ 
fallener Feinde gefunden wurden. In 
einem der berichteten Fälle glückte es, 
ein solches Geschoss in natura und in 
situ in die Hand zu bekommen. (D. 
med. W. 1914 Nr. 45.) 

Professor Riedel- Jena: Verletzun¬ 
gen durch Dum-Dum-Geschosse. 

Riedel gibt die nach der Natur 
gezeichneten Masse von Ein- und 
Ausschuss bei Dum-Dum-Verletzun- 
gen bekannt. Die grossen Ausschuss¬ 
wunden glichen durchaus denjenigen, 
die man im Hochgebirge bei Gemsen 
sieht, die auf 300 bis 400 m geschossen 
sind, weil der Jäger aus Humanität 
mit Dum-Dum schiesst. R. hat keinen 
Zweifel, dass die Verletzten von Ku¬ 
geln mit Bleikopf getroffen wurden. 
Sie standen Engländern gegenüber. 
(D. med. W. 1914 Nr. 4s.) 


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Professor M. Kirschner: Bemer¬ 
kungen über die Wirkung der regel¬ 
rechten Infanteriegeschosse und der 
Dumdumgeschosse auf den mensch¬ 
lichen Körper. 

1. Der einzige eindeutige Beweis 
dafür, dass eine Wunde durch ein 
Dumdumgeschoss herbeigeführt wur¬ 
de, ist die Auffindung des Projektils in 
einem so wenig deformierten Zustan¬ 
de, dass sich noch absolut sicher fest¬ 
stellen lässt, dass an seinem vorderen 
Ende die Geschlossenheit des Stahl¬ 
mantels bereits vor dem Abfeuern der 
Patrone absichtlich unterbrochen war. 

2. Ausgedehnte Gewebszerstörun¬ 
gen, im besonderen grosse, zerfetzte 
Ein- und Ausschussöffnungen bewei¬ 
sen an sich nicht die Verwendung ei¬ 
nes Dumdumgeschosses, sie kommen 
vielmehr auch bei Benutzung regulä¬ 
rer Infanteriegeschosse vor. Und zwar 
können sie, wenn es sich um reine 
Weichteilwunden handelt, entstanden 
sein durch Querschläger, durch Ein¬ 
dringen eines Fremdkörpers oder 
durch Eindringen von Explosionsga¬ 
sen. Sind Knochen mitbeteiligt, so 
kann es sich um die schulmässige 


Sprengwirung der regelrechten Ge¬ 
schosse in der Nahzone handeln. 

3. Auch das Vorhandensein eines 
deformierten Stahlmantels in der 
Wunde oder der Austritt von Blei aus 
dem Stahlmantel erbringen an sich 
nicht den Beweis für ein Dumdumge¬ 
schoss, da auch die regulären Mantel¬ 
geschosse sowohl vor dem Eintritt in 
den menschlichen Körper durch Rico- 
chettieren als auch im menschlichen 
Körper durch Aufprallen auf einen 
kräftigen Knochen derartig verunstal¬ 
tet werden können. 

4. Nur die Mantelgeschosse können 
unter derartigen Umständen beim 
Auftreffen auf einen Knochen die be¬ 
nachbarten Weichteile durch Austritt 
des Bleikernes verletzen. Bei dem 
französischen Vollgeschoss ist das 
ausgeschlossen. 

5. Trifft ein Dumdumgeschoss nur 
Weichteile, so wirkt es genau wie ein 
reguläres Infanterieprojektil. Seine 
spezifische, zerstörende Wirkung kann 
nur beim Auftreffen auf einen Kno¬ 
chen einsetzten. 

6. Vollgeschosse, wie die regulären 
französischen Infanteriegeschosse, las¬ 
sen sich nicht zu Dumdumgeschossen 
umarbeiten. (M. med. W. 1914 Nr. 
52.) 


Feuilleton 

Aerzte als Märtyrer. 


Unter dieser Ueberschrift bringt die 
Wiener Aerztliche Standeszeitung (Nr. 
17/18) von Dr. H. Grün einen Protest 
der Aerzte gegen die sogenannten Kul- 
tumationen, den wir hier wörtlich wie¬ 
dergeben, weil er sicherlich den Beifall 
nicht nur der österreichischen sondern 
auch der deutschen Kollegen finden 
dürfte: 

„Der Krieg ist ein guter Lehrmeister; 
er bringt uns eine Reihe von Erfahrun¬ 
gen, von denen wir mehr als überrascht 
sind, und er klärt uns über den Kultur¬ 
grad mancher Völker auf, die wir bis zu 
den letzten Ereignissen mit einer gewis¬ 
sen Hochachtung betrachtet hatten. — 


„Aber die Lehren, die uns der Krieg 
bringt, sind nicht zum wenigsten auf 
Kosten der Aerzte Deutschlands und 
Oesterreichs gewonnen. In uns glüht 
die Empörung gegen die Art und Weise, 
wie manche Nationen, die sich auf die 
Grösse der bei ihnen blühenden Kultur 
bisher soviel zugute taten, den Krieg ge¬ 
gen die Aerzte auffassen, und wir pro¬ 
testieren in feierlichem Ernste gegen die 
entmenschten Verräter an der Mensch¬ 
lichkeit, gegen die ruchlosen Schänder 
der Kultur, gegen die ehrlosen Men¬ 
schen, die mit dem Worte der Humani¬ 
tät nackten Betrug treiben. 

„Wir Aerzte sind im allgemeinen 


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New \ orker Medizinische Monatsschrift. 


keine Politiker, und lassen die Gründe, 
die zum Kriege zwischen Oesterreich- 
L ngarn und Deutschland gegen die ver¬ 
bündeten Serben. Russen, Franzosen, 
Engländer, Japaner, Belgier führten, 
unerörtert. obwohl wir als Staatsbürger 
unser Vaterland und unsere Verbünde¬ 
ten nicht bloss aus Pflicht, sondern aus 
innerster Ueberzeugung als in einem ge¬ 
rechten Kampfe befindlich betrachten. 

„Und wie wir das Recht haben, unse¬ 
res Vaterlandes Gründe für gerecht zu 
halten, so billigen wir den Gegnern un¬ 
seres Vaterlandes, darunter auch den 
Aerzten, das Recht zu, ihrem Staate treu 
und begeistert zu dienen, und ihre Ge¬ 
gengründe für richtig zu halten. 

„Aber wenn wir in dem jetzigen 
Kampfe die Erfahrung machen, dass 
diejenigen, die das Wort von der Hu¬ 
manität stets im Munde führen, gerade 
das Gegenteil in die Praxis umsetzen, 
und wenn wir wahrnehmen müssen, dass 
die Völker, von denen sich manche in 
übertriebener Eitelkeit als „Grande Na¬ 
tion'* betrachten, im Namen der Freiheit 
den Krieg führen wollen, in der Wirk¬ 
lichkeit sich aber als Barbaren erweisen, 
so müssen wir am meisten betroffenen 
Aerzte die vielen rühmlichen Taten der 
edlen Nationen feststellen und für die 
Zukunft zum dauernden Andenken dem 
Grabe der Vergessenheit entreissen. 

„Wir wollen nicht von den Frankti¬ 
reurkämpfen sprechen, nicht von den 
heimtückischen Komitatschis, nicht von 
anderen Schändlichkeiten gegen ehrlich 
kämpfende Soldaten, die selbstlos ihre 
Pflicht erfüllen, nicht von den Diebstäh¬ 
len, Plünderungen, Beraubungen der 
bürgerlichen Bevölkerung, die doch un¬ 
schuldig und wehrlos ist, nicht von an¬ 
deren Dingen, die ein trauriges Bild der 
Zivilisationsverteidiger geben, wir wol¬ 
len von der zum erstenmale aufgetauch¬ 
ten Verletzung internationaler Konven¬ 
tionen, insbesondere der Genfer Kon¬ 
ventionen sprechen, die sich auf das Sa¬ 
nitätspersonal, insbesonders auf die 
Aerzte beziehen. 

„In den Kämpfen gegen unsere Fein¬ 
de wurde das Rote Kreuz, das heisst es 
wurden diejenigen beschossen, die sich 
in treuer Pflichterfüllung der Verwun¬ 
deten annehmen, die sich der Leiden der 


schmerzerfüllten Kämpfer erbarmen, 
gleichgiltig ob die Opfer ihrer Pflicht 
Freunde oder Feinde sind. Die Sanitäts¬ 
soldaten. die Verwundetenträger, die 
Aerzte, die sich naturgemäss nicht auf 
Angriffe von Feinden vorbereiten konn¬ 
ten. wurden in feiger Weise von den 
feindlichen Truppen angegriffen, Sani¬ 
tätszüge wurden beschädigt, und zahl¬ 
reiche Aerzte fielen als Opfer ihrer 
Pflicht! Man lese die Verlustliste in 
Deutschland und in Oesterreich und 
eine flammende Empörung muss sich ge¬ 
gen die feigen Kulturschänder ent¬ 
wickeln. Es ist fürwahr eine Ironie, 
dass die Franzosen, Belgier und Eng¬ 
länder, welche von uns bisher als hohe 
Kulturträger gewertet wurden, sich noch 
viel niederträchtiger erwiesen haben als 
die Russen und Serben, obwohl auch 
diese sich genug an niedrigen Handlun¬ 
gen gegen die Aerzte leisten. 

„Uns sind Fälle bekannt, wo Aerzte 
während des Verbindens von Feinden 
niedergeschossen oder niedergestochen 
wurden, wir wissen von Schüssen aus 
dem Hinterhalt auf Samariter, die ihren 
Freunden und Feinden zugleich geltende 
Tätigkeit ausübten, und wir wissen von 
L'eberfällen auf Spitäler und Lazarette, 
bei welchen Kranke und Aerzte als Op¬ 
fer der Inhumanität fielen. 

„Wir sagten bisher, dass die Franzo¬ 
sen feinfühlende und geistig hochstehen¬ 
de Menschen seien, aber die Bestie im 
Menschen, die Bestie in den Franzosen 
äussert sich in diesem Kriege in uner¬ 
hörter Weise; man sprach mit Hochach¬ 
tung von dem stolzen Albion, welches 
sich jetzt in so wenig ,gentleman-mässi- 
ger* Weise aufführt, im Gegenteil, wel¬ 
ches mit dem gemeinen Vorgehen gegen 
die Zivilgefangenen in den Zeltlagern 
und die Aerzte direkt einen Sport treibt. 

„Will man, wenn man von dep Na-* 
tionen mit der Patent-Zivilisation solche 
niedrigen Handlungen erlebt, von den 
moskowitischen Heeresmassen Kultur 
verlangen, will man von den meuchel¬ 
mörderischen Serben Humanität fordern 
oder will man von den undankbaren 
Asiaten Herzensregungen von Mitleid 
voraussetzen? 

„Oesterreich und Deutschland haben 
sich an die internationalen Regeln be- 

Qrigiraal from 

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züglich des Roten Kreuzes gehalten, sie 
haben allüberall eine direkt noble 
Kampfweise entfaltet. Sie haben Aerz- 
te, die gefangen wurden, freigegeben, 
weil die Samariterpflicht von ihnen als 
eine heilige, unantastbare Aufgabe be¬ 
trachtet wird. Was sehen wir aber? 

„Zahlreiche Aerzte sind verwundet 
und gefallen, und noch mehr Aerzte sind 
kriegsgefangen! Diese Gefangenschaft 
ist ein Zeichen der Barbarei, eine ge¬ 
hässige und niedrige Massregelung der¬ 
jenigen, die ihre Hilfe Freunden und 
Feinden geleistet haben! Die Aerzte 
werden mit krassester Verletzung aller 
Tradition, mit Verletzung alles göttli¬ 
chen und menschlichen Rechtes gefan¬ 
gen gesetzt und verbleiben in der Haft 
gehässiger Gegner. Was hat es für ei¬ 
nen Sinn, dass man diese grausamen 
Massregeln trifft, dass man aus den 
Aerzten Märtyrer ihrer Pflicht macht? 

„Sträubt sich gegen eine derartige 
Auffassung eines Kreiges nicht auch das 
ärztliche Gefühl der Aerzte in den soge¬ 
nannten Kultumationen? Warum pro¬ 
testiert kein Arzt in England, Frank¬ 
reich, Belgien, Russland, Japan oder 
Serbien gegen die Zerreissung geheilig¬ 
ter internationaler Rechte? 

„Wir gedenken der internationalen 
medizinischen Kongresse, wo uns die 
gastgebenden Völker die wohltuenden 
Phrasen von der Zivilisation und Hu¬ 
manität vorsetzten, wobei besonders die 
deutschen und österreichischen Aerzte in 
den Himmel gehoben wurden! Falsch 
waren diese Phrasen, und die ,Grande 
Nation* Frankreichs möge sich schämen, 
ebenso wie der britische Dünkel, dem 
kein Kulturgrad im Vergleich zu seinem 
Lande zu hoch schien.— 

„Wir Aerzte Deutschlands und 
Oesterreichs können ohne Uebertrei- 
bung feststellen, dass wir auf den inter¬ 


nationalen Wissenschafts-Weltmärkten 
mehr boten als bekamen, und wir wer¬ 
den uns hüten, künftig diesen Kanniba¬ 
len der Humanität „zum Ausbeutungs¬ 
objekt zu dienen. Die deutsche und 
österreichische Wissenschaft wird nicht 
mehr eine Einkaufsquelle Japaner, Rus¬ 
sen, Serben, Franzosen und Engländer 
sein und wir werden den Verkehr mit 
Barbarenländern bis zur vollständigen 
Zivilisation möglichst einstellen. 

„Den Rekord an Unanständigkeit hat 
wohl Frankreich bis jetzt erreicht. Es 
hat eine Anzahl von deutshcn Aerzten 
lächerlichen Anklagen unterzogen, hat 
ihnen Pflichtverletzung und andere Ver¬ 
brechen vorgeworfen, deren wir nicht 
einmal französische Aerzte für fähig 
halten, obwohl sie Franzosen sind, und 
hat sie zu mehrjährigen Kerkerstrafen 
verurteilt.*) Wir sind über diese tücki¬ 
schen Meuchelmörder an der Ehre von 
deutschen Aerzten entrüstet, und hoffen, 
dass der Gott der Schlachten diese Nie¬ 
derträchtigkeiten mit einem gerechten 
Kriegsschicksale rächen wird. 

„Wir Aerzte werden aber durch diese 
Scheusslichkeiten keinen Schritt abwei¬ 
chen, unserem Vaterlande zu dienen, un¬ 
sere Hilfe den Hilfsbedürftigen angedei¬ 
hen zu lassen, auch nicht durch den Ge¬ 
danken erschüttert, dass uns der Tod 
oder die Kriegsgefangenschaft droht. 

„Und sollten auch zahlreiche Opfer 
von uns auf dem Wege liegen bleiben, 
auch hier gilt der Spruch: ,Oriatur ex 
nostris ossibus ultor!*“ 

Diesem Protest der österreichischen 
Aerzte wird sich jeder deutsche Arzt 
ohne Bedenken restlos anschliessen 
können. 


*) Inzwischen hat sich jedoch die französische 
Regierung eines Besseren besonnen, indem sie, Zei¬ 
tungsnachrichten nach, die Strafakten einem anderen 
Kriegsgericht zur Prüfung und nochmaligen Verhand¬ 
lung ubergeben hat. 


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Arzneireklame. 

Referiert von D r. v. Oe feie. 


Phosphagon.—The New York Phar- 
macal Association, Yonkers, N.Y.—Ein 
November-Zirkular (1912) als No. 1 
des Bandes 8 enthält zwischen Empfeh¬ 
lungen von Laktopeptin, Borolyptol, 
Haemaboloid, Kaskarapeptonoids, Li- 
quid-Peptonoids, lodopeptonoids auch 
einen Artikel „The Role of Phos- 
phorus,“ der Phosphagon als Phospho- 
protein empfiehlt. Man vergleiche da¬ 
zu meinen Artikel „Phosphoproteins in 
Diet“ im August im Medical Record. 
Ich hatte versucht, Aerzte und Unter¬ 
nehmer für vermehrte Verwendung 
amerikanischen Kaseins gegenüber 
dem Importe wesentlich teuerer euro¬ 
päischer Kaseinpräparate zu interessie¬ 
ren. Ich hatte an Dr. R a t h b u n und 
Dr. Jütte aus New York eine Reihe 
von Notizen als Grundlage für Samm¬ 
lung weiterer Notizen und zu weiterer 
wissenschaftlicher Ausarbeitung hin¬ 
über gegeben. Das Zusammenarbeiten 
mit den beiden Herren und einem ge¬ 
wissen Herrn Moss zerschlug sich 
wieder am Neujahr 1913. Um so mehr 
musste ich verwundert sein, im erwähn¬ 
ten Artikel „The Role of Phosphorus“ 
einer mir völlig unbekannten Firma 
meist wörtlich wiedergegeben mit Aus¬ 
lassungen und Einschiebungen einen 
italienischen Salat aus meinen Notizen 
über Kaseinpräparate in Händen von 
Dr. R a t h b u n und Dr. J ü 11 e zu fin¬ 
den. Ich habe dazu nichts zu bemer¬ 
ken, als dass manches bekömmliche 
und wertvolle Nahrungsmittel bei Ein¬ 
arbeitung in einen italienischen Salat 
Verdauungs - Störungen verursachen 
kann und dass ich die vorliegende Ver¬ 
wendung meiner Skizzen bedaure. 

Diovibumia. — Dios Chemical Co., 
St. Louis, Mo. —Dies wird in Zirkula¬ 
ren als Alterativ, Antispasmodikum 
und Anodynum empfohlen. Es enthält 
je 10 Prozent Extrakt von Viburnum 
prunifolium, Viburnum opulus, Diosco- 
rea villosa, Aletris farinosa, Helonias 
dioica, Mitchella repens, Caulophyllum 


thalictroides, Scutellaria lateriflora, 18 
Prozent Alkohol und etwas aromati¬ 
sches Elixir. In der europäischen Heil¬ 
kunde wird von den Bestandteilen fast 
nur Viburnum prunifolium benützt, 
eine Pflanze, die ich in lebenden Exem¬ 
plaren in herrlichem Blütenschmuck 
zuerst am Kissena See in Long Island 
sah. Viburnum Opulus ist in Europa 
als Zierpflanze weit verbreitet, aber 
nicht medizinisch verwendet. Die sämt¬ 
lichen Bestandteile sind Stoffe aus der 
altheimischen Indianer-Medizin. Wäh¬ 
rend Europa seit Alters neben seinen 
heimischen Arzneipflanzen asiatische 
Medikamente importierte, später aber 
reichlich südamerikanische Drogen be¬ 
vorzugte und auch afrikanische Neger- 
mittel aufnahm, sind von den nordame¬ 
rikanischen Drogen die meisten in Eu¬ 
ropa und damit auch in den wissen¬ 
schaftlichen Kreisen .Amerikas unbe¬ 
kannt geblieben. Es werden in Diovi- 
burnia durchweg Stoffe verwendet, die 
nicht in Vergessenheit geraten sollten, 
als ein Vermächtnis liebevoller Natur¬ 
beobachtung des roten Mannes. 

Riedel—Archiv.—J. D. Riedel, Ak¬ 
tiengesellschaft, Berlin. —Diese Firma 
ist den Lesern sicherlich bekannt. In 
der Dezember-Nummer findet sich ein 
Sammelreferat über die nicht operative 
Behandlung der Krebskrankheit. Dort 
wird immer noch Wassermann als der 
Einführer von Selen in die Krebsthera¬ 
pie genannt. Aber merkwürdigerweise 
von Heidelberg aus wird auch eine 
Kombination von Selen und Vanadium 
erwähnt, während dies ganz speziell 
New Yorker Arbeiten sind. Wenn Dr. 
B u 11 i n g e r sein Manuskript abge¬ 
liefert hätte und vor allem rechtzeitig 
abgeliefert hätte, wäre über Vanadium 
selenide schon Ausführlicheres im New 
York Medical Journal im Juni 1912 ge¬ 
druckt. Meine erste Empfehlung findet 
sich in der Neujahrsnummer der Phar¬ 
mazeutischen Zentralhalle 1912, also 
abgeliefert noch vor Wassermann’s er¬ 
ster Mitteilung. Die chemischen Ver- 


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317 


bindungen, die Vanadium und Selen 
gleichzeitig enthalten, sind von der 
Oefele Synthesis Company, d. h., durch 
Steinach schon in mehr als 20,000 
Tabletten verkauft worden, ein Beweis, 
dass unsere Arbeiten sicherlich nicht 
unbemerkt geblieben sind. Die Firma 
Riedel sollte für ihren Geschäftsbe¬ 
trieb in New York doch auch den wis¬ 


senschaftlichen Inhalt der medizini¬ 
schen Monatsschrift beachten. Sie 
könnte es auch. Denn die Firma an¬ 
nonciert in der Monatsschrift und zwar, 
wie wir wünschen, mit gutem Erfolge. 
Dafür erhält sie auch ein Exemplar der 
Monatsschrift und könnte dasselbe zum 
Studium an das Haupthaus in Berlin 
einsenden. 


Therapeutische und klinische Notizen. 


— Weitere Erfahrungen über Jodipin-Iti- 
jektionen. Dr. W. M y 1 i u s bestätigt die 
milde, gleichmässige, langsame Jodabspaltung 
aus dem injizierten, in den Fettdepots abge¬ 
lagerten Jodipin und das vollständige Fehlen 
von Jodismus. Die Injektion wird bei Bauch¬ 
lage der Patienten in die Gesässpartie ge¬ 
macht. am besten zwischen äusserem und 
mittlerem Drittel der Hinterbacke, Einstich 
in der Nähe direkt vorausgegangener Injek¬ 
tionsstellen ist zu vermeiden. Es genügt eine 
Spritze von 10 ccm Inhalt mit zirka 8 cm 
langer, reichlich weiter Nadel. Das Jodipin 
wird im kochenden Wasserbad gut erwärmt 
und sofort injiziert. Je wärmer es ist, desto 
leichter die Injektion. Die Haut wird mit 
Jodtinktur desinfiziert. Verfasser verfügt 
über zirka 100 klinisch und 200 ambulant mit 
Jodipin behandelte Fälle (3500 Injektionen) 
aus den letzten Jahren. In der Regel werden 
10 bis 12 Injektionen, entweder alle acht Tage 
oder zweimal wöchentlich gemacht je nach 
Schwere des Falles. Natürlich kann Behand¬ 
lung mit anderen Medikamenten, zum Beispiel 
Kombination mit Hg-Kuren nebenhergehen. 


Indikationen für Jodipinanwendung in der 
Augenheilkunde sind alle Krankheiten, bei 
denen Jod innerlich gegeben wird, unter an¬ 
derem Augenmuskellähmungen, auch nicht 
syphilitischen Ursprungs, Keratitis paren- 
chymätosa, Iritiden und Zyklitiden infolge 
von Allgemeinerkrankungen (Syphilis, Skro¬ 
fulöse, Stoffwechselkrankheiten) und nach* 
Kataraktoperation sowie sympathische Oph¬ 
thalmie; ferner Chorio-Retinitis exsudativa, 
Hämorrhagien der Retina, vor allem aber 
Optikusentzüudungen und Optikusatrophie. 
Kasuistische Mitteilungen über beachtens¬ 
werte Erfolge bei Chorioiditis, Glaskörper¬ 
blutungen, Neuritis optica, genuiner Optikus¬ 
atrophie, Akommodationslähmung und Oku¬ 
lomotoriuslähmung durch zentrales Gumma. 
M y 1 i u s will nicht nur seine Fachkollegen, 
sondern auch die praktischen Aerzte auf die 
Unentbehrlichkeit der subkutanen Anwen¬ 
dung des Jodipins hinweisen. Schmerzhaftig¬ 
keit der Injektionen ist nur einer mangelhaf¬ 
ten Technik zuzuschreiben. (Wochenschr. f. 
Therapie u. Hygiene des Auges Nr. 1, 1914.) 


Kleine Mitteilungen. 


— Bekämpfung des Flecktyphus. Seitens 
des Ministeriums des Innern ist zur Be¬ 
kämpfung des Fleckfiebers an die Regie¬ 
rungspräsidenten sowie an den Berliner 
Polizeipräsidenten folgender Erlass gerich¬ 
tet worden: 

„Das Fleckfieber ist in der russischen 
Armee aufgetreten und bedroht daher nicht 
nur unsere Streitkräfte im Osten, sondern 


es ist auch mit der Möglichkeit zu rechnen, 
dass es vom Kriegssschauplatz aus in 
Deutschland eingeschlfcppt wird. 

„Als fleckfieberverdächtig müssen Fälle 
von Erkrankungen angesehen werden, die 
nach wenig ausgesprochenen Vorläuferer- 
scheinungen (Lungenkatarrh, Kopfschmerz, 
Frösteln und Mattigkeit) mit Frost uftd 
schnell ansteigendem Fieber beginnen, 


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318 


New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


gleichmässig hohem Fieber, Roseola und 
Milzschwellung verlaufen und bald zu Stö¬ 
rungen des Bewusstseins (Benommenheit) 
führen. 

„Nach neueren Forschungen ist mit 
grosser Wahrscheinlichkeit anzunehmen, 
dass diese Krankheit nicht direkt von Per¬ 
son zu Person, sondern ausschliesslich 
durch Vermittelung von Läusen, hauptsäch¬ 
lich Kleiderläusen, die von Kranken auf 
den Gesunden überkriechen, übertragen 
wird. Darauf beruht die vielfach gemachte 
Erfahrung, dass die Krankheit sich in der 
vagabondierenden Bevölkerung und in un¬ 
sauber gehaltenen Wohnungen, z. B. niede¬ 
ren Herbergen (sog. Pennen), mit Vorliebe 
einnistet. Da die Läuseplage in Polen und 
Galizien sehr verbreitet ist, so müssen alle 
von dort zureisenden Personen als ansteck¬ 
ungsverdächtig erscheinen; es empfiehlt sich 
daher, Berührungen mit ihnen tunlichst zu 
vermeiden. 

„Fleckenfieberkranke und fleckfieberver¬ 
dächtige Personen sind unversüglich in ein 
mit Einrichtungen zur sicheren Absonde¬ 
rung versehenes Krankenhaus überzufüh¬ 
ren, sofort nach Aufnahme in dasselbe zu 
baden und, falls sie Läuse an sich haben, 
sorgfältig zu entlausen. 

„Die mit Fleckfieberkranken und Fleck¬ 
fieberverdächtigen in Wohnungsgemein¬ 
schaft befindlichen oder in nähere Berüh¬ 
rung gekommenen Personen sind ansteck¬ 
ungsverdächtig und daher erforderlichen¬ 
falls zu entlausen und sodann einer vier¬ 
zehntägigen Beobachtung zu unterwerfen. 

„Die Kleidungs- und'“Wäschestücke von 
Fleckfieberkranken und Fleckfieberverdäch- 
tigentigen sind zu entlausen. Dies ge¬ 
schieht entweder durch Behandlung mit 
strömendem Wasserdampf in Desinfektions¬ 
apparaten oder mit Dämpfen von schwefli¬ 
ger Säure. Letztere werden entweder durch 
Abbrennen von Faden- oder Stangen¬ 
schwefel in offenen Gefässen von Eisen¬ 
blech in den zu desinfizierenden Räumen 
selbst oder durch Einleiten von schwefliger 
Säure in dieselben von aussen her aus Bom¬ 
ben mit flüssiger schwefliger Säure, wie sie 
im Handel erhältlich sind, erzeugt. Erste- 
res Verfahren ist erheblich einfacher und 
billiger. Die Räume müssen vor der Ent¬ 
wickelung der schwefligen Säure ebenso 
sorgfältig gedichtet werden, wie bei der 
. Formalin-Desinfektion. 

„Schweflige Säure in komprimierter 


Form wird z. B. von der Sauerstoff-Fabrik 
G. m. b. H., Berlin N. 39, Tegeler Strasse 
15, in Bomben von 50 kg Inhalt zu 32.50 
Mk. geliefert. Dazu kommt eine Leihge¬ 
bühr von 2 Mk. für die Bombe. Die An¬ 
wendung der schwefligen Säure findet in 
der Weise statt, dass auf die Bombe ein 
Schlauchansatzstück aufgesetzt und an die¬ 
ses ein Gummischlauch angesetzt und durch 
eine Oeffnung in der Wand oder der Tür 
des zu entlauasenden Raumes eingeleitet 
wird. Zur Erzielung der Wirkung ist eine 
Konzentration von 6 bis 8 vom Hundert 
des zu desinfizierenden Luftraums, d. h. et¬ 
wa 5 kg schweflige Säure für 100 cbm Raum 
erforderlich; eine Bombe reicht also zur 
Entlausung eines Raumes von 1000 cbm 
Inhalt aus. Damit die Säure aus der Bom¬ 
be gleichmässig entweicht, muss die Bombe 
in ein Gefäss mit warmen (40—50 Grad C.) 
Wasser gestellt und dieses durch wieder¬ 
holtes Nachgiessen von heissem Wasser 
auf erhöhter Temperatur erhalten werden. 

„Nach Einleitung der schwefligen Säure 
müssen behufs sicherer Abtötung der Läuse 
die zu desinfizierenden Räume noch min¬ 
destens vier Stunden lang geschlossen ge¬ 
halten werden. 

„Sehr bewährt hat sich auch ein Schwe¬ 
felkohlenstoffpräparat, welches von dem 
Apotheker Kaiser erfunden ist und von 
A. Schulz in Hamburg unter dem Namen 
Salfarkose in den Handel gebracht wird. 
Es ist eine leichtentzündliche Flüssigkeit, 
welche 90 Prozent Schwefelkohlenstoff, 10 
Prozent Wasser und Alkohol und etwas 
Formaldehyd und Senföl enthält und in of¬ 
fenen Wannen von Eisenblech verbrannt 
wird, wobei schweflige Säure frei wird. Er¬ 
forderlich sind 4 kg (3.35 Liter) für je 100 
cbm Luftraum. Die Salfarkose kostet 1.50 
Mk. für 1 kg. 

„Ebenso wirksam, aber viel billiger ist 
ein Gemisch von 90 Prozent Schwefelkoh¬ 
lenstoff mit je 5 Prozent Wasser und dena¬ 
turiertem Spiritus (Brennspiritus), von dem 
2 l / 2 kg für je 100 cbm Luftraum erforder¬ 
lich sind. 

„Zu entlausende Kleidungsstücke werden 
in dem Raume, in den die schweflige Säure 
eingeleitet wird, frei aufgehängt. 

„Personen, welche mit Kopf- und Filz¬ 
läusen behaftet sind, werden kahl gescho¬ 
ren und mit grauer Salbe eingerieben. 

„Aerzte, Krankenpflegepersonen, Dcsin- 


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New Yoeker Medizinische Monatsschrift. 


319 


fektoren, Wäscherinnen in Fleckfieber- 
lazaaretten haben, um sich vor Ansteckung 
zu schützen, in Fleckfieberlazaretten wasch¬ 
bare Ueberkleider, Gummischuhe und 
Gummihandschuhe zu tragen und sorgfältig 
darauf zu achten, dass die unteren Aermel- 
öffnungen an den Röcken und die unteren 
Beinkleidöffnungen zugebunden werden und 
so fest anliegen, dass keine Laus hinein¬ 
kriechen kann. Auch empfiehlt es sich, 
dass sie zu nahe Berührungen von Fleck¬ 
fieberkranken meiden und nach Beendigung 
ihres Tagesdienstes sich in warmem Bade 
gründlich abseifen. 

„Zu bemerken ist noch, dass starkriechen¬ 
de ätherische Oele, z. B. Senföl, Anisöl, den 
Läusen unangenehm sind, ebenso Naph¬ 
thalin.“ 

— Friedrich Löffler, der Entdecker 
des Diphtheriebazillus, ist am 9. d. Mts. nach 
schwerem Leiden dahingeschieden. Die deut¬ 
sche medizinische Wissenschaft und insbeson¬ 
dere die Bakteriologie haben durch sein Hin¬ 
scheiden einen schweren Verlust erlitten. 
Löffler war Assistent von Robert Koch 
und einer seiner ältesten Schüler. Besonders 
ist seine Mitwirkung am Ausbau der Bakte¬ 
riologie hervorzuheben. Den grössten Ruhm 
hat es sich durch die Entdeckung des Diph- 
teriebazillus erworben. Erst vor zwei Jahren 
war er zur Leitung des Instituts für Infek¬ 
tionskrankheiten berufen worden. 

— Der bekannte Tuberkuloseforscher Pro¬ 

fessor Doktor Georg Cornet ist in einem 
Berliner Krankenhause am Flecktyphus ge¬ 
storben, den er sich im Hamburger Russen¬ 
lager durch Infektion zugezogen hat. Cor¬ 
net war 1848 in Eichstaedt in Bayern gebo¬ 
ren, studierte in München und arbeitete bei 
Ziemssen: 1885 wurde er Assistent 

Brehme r’s in Görbersdorf und kam hierauf 
ins Institut Kocli's. Cornet war ein 
fruchtbarer Schriftsteller auf dem Gebiete 
der Tuberkuloseforschung. Während des 
Sommers übte Cornet ärztliche Praxis in 
Reichenhall aus, woselbst er als der berühm¬ 
teste und gesuchteste Arzt gegolten hat. 

— Röntgens 70. Geburtstag. Am 27. März 
beging Konrad v. Röntgen die Feier 
seines 70. Geburtstages. Im Dezember 1895 
hat Röntgen, dessen Name sich seither in 
der ganzen zivilisierten Welt mit unsterbli¬ 
chem Ruhm bedeckt hat, der Würzburger 


physikalischen Gesellschaft die erste Mittei¬ 
lung seiner epochalen Entdeckung gemacht, 
und von da an datiert ein nie geahnter Auf¬ 
schwung der medizinischen Wissenschaft. In 
zahlreichen Fällen wurde durch die X-Strah¬ 
len die Diagnose in richtige Bahnen gelenkt 
und in vielen anderen Fällen die Therapie 
durch diese segensreiche Entdeckung in 
staunenerregender Weise bereichert. Gerade 
jetzt, in der kriegerischen Zeit hat die Chirur¬ 
gie Gelegenheit, die ungeheuere Bedeutung 
der Röntgenstrahlen bei Aufsuchung der Ge¬ 
schosse vollauf zu würdigen und den Segen 
ihrer Wirkung dankend anzuerkennen. Um 
so mehr kann der geniale Mann die regste 
Teilnahme an seinem Wiegenfeste weit über 
die ärztlichen Kreise hinaus sicher sein. Möge 
ein gütiges Geschick dem grossen Gelehrten 
noch lange einen ungetrübten Lebensabend 
gönnen. Möge er noch viele Jahre sich des 
Segens seiner Entdeckung in stolzer Befriedi¬ 
gung freuen ! 

— Ein Kriegscliirurgen-Kongrcss hat auf 
Veranlassung von Exc. v. S c h j e r n i n g in 
Brüssel getagt. Derselbe war von mehr als 
1000 Militärärzten aus beiden Fronten fre¬ 
quentiert. Besonders eingehend wurden die 
Blutstillung, der Starrkrampf, die Bauch¬ 
schüsse, die Gelenkstümpfe und die Aneurys¬ 
men behandelt. In einem Schlusswort hob 
Exc. v. Schjerning den bedeutenden Ge¬ 
winn, den dieser Kongress der Kriegschirur¬ 
gie gebracht hat, hervor. 

— Mangel an Arzneimitteln in England. 
Die Preise der Arzneimittel steigen in Eng¬ 
land von Tag zu Tag. Namentlich tritt dies 
bei den Salizylpräparaten und anderen 
schmerzstillenden Mitteln hervor, die früher, 
vor der Verhängung der englischen Blockade, 
fast ganz aus Deutschland bezogen wurden. 
Wie das Londoner „Pharmaceutical Journal" 
meldet, drohen die Preise für diese Heilmittel 
„fast prohibitive Ziffern" zu erreichen. Sali¬ 
zylsäure, Natrium, Phenazetin und Antipyrin 
sind beinahe nicht mehr zu haben. 

— Grossfürst Nikolaus als Patient deutscher 
Aerzte. Es ist eine seltsame Fügung des 
Schicksals, dass gerade die „Barbaren" da 
helfend eingreifen müssen, wo die Kunst an¬ 
derer versagt. So verdankt auch das „Kultur¬ 
land" Russland nicht nur seine medizinische 
Kenntnisse, sondern auch praktischen Heil¬ 
erfolge zum nicht geringen Teile der deut- 


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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 



Listerine ist ein wirksames, ungiftiges Antiseptikum mit ganz bestimm¬ 
ten festgesetzten und gleichmässigen antiseptischen Eigenschaften und wird 
in einer Form hergestellt, die sich für den sofortigen Gebrauch eignet. 

Zusammengesetzt aus flüchtigen und nicht-flüchtigen Substanzen stellt 
das Listerine ein balsamisches Antiseptikum dar, das bei seiner Verwendung 
erfrischt und eine dauernde Wirkung ausübt. 

Listerine erweist sich als ganz besonders nützlich bei der Behandlung 
abnormaler Zustände der Schleimhäute und eignet sich in wunderbarer 
Weise für Waschungen, zum Gurgeln oder zu Duschen bei katarrhalischen 
Erkrankungen der Nase und des Rachens. 

In geeigneter Verdünnung kann das Listerine ausgiebig und fortge¬ 
setzt gebraucht werden entweder als Injektione oder als Spray in allen 
natürlichen Körperhöhlen. 

Bei innerlicher Anwendung unterdrückt das Listerine prompt die 
übermässige Gärung des Mageninhaltes. 

Bei der Behandlung der Sommerkrankheiten der Säuglinge und Kinder 
wird das Listerine überall in Dosen von 10 Tropfen bis zu einen Teelöffel 
verschrieben. 

Bei fieberhaften Zuständen gibt es kein Mundwasser, das dem Listerine 
gleichkommt; man gibt zwei bis drei Drachmen auf vier Unzen Wasser. 

"The Inkibitory Action of Listerine” (128 pages) may he had npon mpplication to »he m mm n fmctnrers. 

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I INHALT: 


Originalarbeiten. 

Das Abderhalden-Verfahren in patholo¬ 
gischer Hinsicht. Von Dr. Adolph 


Gehrmann, Chicago . 163 

Schmerzhafte Zufälle als Begleiterschei¬ 
nungen kleiner uterinaler Fibrome 
während der Schwangerschaft. Von 

Dr. Stavrides . 166 

Ueber die chirurgische Behandlung der 
malignen Tumoren des Dickdarms. 

Von Professor Raffaele Bastianelli in 

Rom . 171 

Saratoga Springs . 175 

Referate und Kritiken. 

Lehrbuch der Massage. Von Dr. med. 

A. Müller . 177 

Warum hassen uns die Völker? Von 
Dr. Magnus Hirschfeld in Berlin. 177 


Mitteilungen aus der neuesten Journal¬ 
literatur. 

Prof. O. Hoehne-Kiel: Ueber die Be¬ 
handlung retinierter Plazentarreste. .. 178 
J. Veit-Halle: Das untere Uterinseg¬ 
ment und seine praktische Bedeutung. 178 

Sitzungsberichte. 

Deutsche Medizinische Gesellschaft der 
Stadt New York. Sitzung vom 5. Ok¬ 


tober. 1914 . 179 

Sitzung vom 2. November 1914. 183 

Sitzung vom 7. Dezember 1914. 185 

Arzneireklame. Referiert von Dr. v. 
Oefele . 190 

Kleine Mitteilungen . 192 


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New Yorker Medizinische Monatsschrift. 


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Listcrine ist ein wirksames, ungiftiges Antiseptikum mit ganz bestimm¬ 
ten festgesetzten und gleichmässigen antiseptischen Eigenschaften und wird 
in einer Form hergestellt, die sich für den sofortigen Gebrauch eignet. 

Zusammengesetzt aus flüchtigen und nicht-flüchtigen Substanzen stellt 
das Listerine ein balsamisches Antiseptikum dar, das bei seiner Verwendung 
erfrischt und eine dauernde Wirkung ausübt. 

Listerine erweist sich als ganz besonders nützlich bei der Behandlung 
abnormaler Zustände der Schleimhäute und eignet sich in wunderbarer 
Weise für Waschungen, zum Gurgeln oder zu Duschen bei katarrhalischen 
Erkrankungen der Nase und des Rachens. 

In geeigneter Verdünnung kann das Listerine ausgiebig und fortge¬ 
setzt gebraucht werden entweder als Injektione oder als Spray in allen 
natürlichen Körperhöhlen. 

Bei innerlicher Anwendung unterdrückt das Listerine prompt die 
übermässige Gärung des Mageninhaltes. 

Bei der Behandlung der Sommerkrankheiten der Säuglinge und Kinder 
wird das Listerine überall in Dosen von 10 Tropfen bis zu einen Teelöffel 
verschrieben. 

Bei fieberhaften Zuständen gibt es kein Mundwasser, das dem Listerine 
gleichkommt; man gibt zwei bis drei Drachmen auf vier Unzen Wasser. 

“Ths Inkibitory Action of Listorino” (128 pagts) mmy b§ kad upon •ppHcaHon I# tho «Mmtfadurirv. 

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INHALT s 


Originalarbeiten . 

Klinische Gesichtspunkte zur Frage der 
intravenösen Vakzinetherapie bei Ty¬ 
phus. Von Professor Dr. R. Schmidt. 279 
Die Läuseplage in den Armeen vor vier¬ 
hundert Jahren. Von Dr. A. Rose... 284 
Erfahrungen über Zystitis im Kindes¬ 
alter. Von Professor Dr. Rudolf 

Fischl . 285 

Die Diagnose des Magen- und Duode¬ 
nalgeschwürs. Von F. de Quervain in 

Basel . 293 

Konservative Operation der Aneurysmen. 

Von Dr. G. Doberauer. 296 


Mitteilungen aus der neuesten Journal¬ 


literatur. 

Therapie und Arzneimittel. 

Teuton, Wiesbaden: Die jetzigen Heil¬ 
mittel der Syphilis. 308 

O. Hesse-Utrecht: Der Einfluss des 
Tannalbins auf die Verdauungsbewe¬ 
gung bei experimentell erzeugten 

Durchfällen . 309 

H. L. Coopman-Amsterdam: Ueber kon¬ 
servierende und operative Behandlung 

chronischer Adnexerkrankungen.309 

W. Stoeckel: Die extraperitoneale Tu¬ 
benverlegung als Methode der Sterili¬ 
sierung . 309 

A. Döderlein-München: Zur Strahlen¬ 
behandlung des Krebses. 309 


E. Ebeler-Köln: Ueber Menstruations¬ 
verhältnisse nach gynäkologischen 

Operationen . 310 

P. Zweifel-Leipzig: Ueber das untere 

Uterinsegment . 310 

M. Hofmeier: Zur Frage der ausschliess¬ 
lichen Strahlenbehandlung operierbarer 

Uteruskarzinome . 311 

H. Fehling: Operative und Strahlenbe¬ 
handlung bei gutartigen und bösarti¬ 
gen Geschwülsten der Gebärmutter... 311 

Chirurgie. 

W. Gross: Zur Behandlung der Rippen¬ 
brüche . 312 

Adolf Schmidt, Halle a. S.: Ueber 

Lungenschüsse . 312 

Walther Pöppelmann : Bis zum 20. Ok¬ 
tober behandelte Dum-Dum-Verletzun- 
gen ans dem gegenwärtigen Kriege... 312 
Professor Riedel-Jena: Verletzungen 

durch Dum-Dum-Geschosse. 312 

Professor M. Kirschner: Bemerkungen 
über die Wirkung der regelrechten 
Infanteriegeschosse und der Dumdum¬ 
geschosse auf den menschlichen Kör¬ 
per . 313 

Feuilleton: Aerzte als Märtyrer. 313 

Arzneireklame. Referiert von Dr. v. 

Oefele .. 316 

Therapeutische und klinische Notizen... 317 
Kleine Mitteilungen . 317 


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