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Full text of "Nord Und Sued 1900 Bd 092"

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2Iorb mb Süb. 


€ in* ö * u t f cf? * Znonatsfdjrift. 


Jjerausgegeben 

ÜOIt 

Paul Ctnfcau. 


^wetunbneunjtgjier Banb. 

Ulit ben portrait» oon: 

Diceabmiral Klfreb Girpi%, Knut §amfun, rDilijelm Doerpfflb. 



3 ßre£Iau 

Sd)lefifd)e Sudjbtacf erei, Kuttft. nnb Dtrlaois>2Inftalt 
v. 5. Sdjottlaeitber. 



3ntjalt bes 92. Bartbes. 

Januar — tfefiruat — JEärs. 

1900. 

- -<«— 

Seite 

IDanöa uon Bartels in Blündjen. 

Don einer Königin, bie fdjon lange geworben. €in OTärdjen ber 

Seit 27 : 

2 TI. Beerei in fjirfdjberg. 

(Säuren tylft Wären 232 38 { 

ZHfreb Berger in Breslau. 

fyimfetir 227 

f^einrid} Brömfe in (Eujfyauen. 

(Duelle nnb IDeg bes pt^ilofopt^ifdjen Denfens. <£in Beitrag 3ur 

pfydjologie ber ptylofopfjie 259 

Paul €lsner in litten. 

IDiltielm Doerpfelb 293 

Cuötrng #tlö in ZTTain5. 

Hedjtsetnljeit 95 

Cubang (Beiger in Berlin. 

Briefe oon 3 uftinus Kerner an Darutjagen oon €nfe b\ 

3 ulius (Befellfyofen in Breslau. 

Der fategorifdje 3 mperatio I02 

3 ofef (Blafer in Breslau. 

Knut bjamfun \ 98 

2 Ibolf Kofyut in Berlin. 

£ubn>tg Bellßab unb Darnljagen oon <Ettfe. Itlit urtgebrucf ten Briefen. 2 \ 2 
€mft Kuhnert in Königsberg. 

§anbenoefen in Klterttjum unb (Segemoart 527 

©uy 6 e Blaupaffant. 

(Sefdjtoäfc ber Straße. Ueberfe^t oon Sigmar lTlef]ring*Bcrlin ... ^02 



3nljalt b cs 92. Banbcs. 

Bapalis in Berlin. 

(Eilte jtarfe beutfdje flotte 

3 . Hoper in ZTTainj. 

Das (Seheimnifj, ein bebeutfames religiofes unb et^ifd^es IHomcnt. 363 

$eliy P^ilippi in Berlin. 

Der golbene Käfig. Sdfaufpicl in rier Kcten (39 

2TTil Biester in Ceipjig. 

§eitgeijt unb Stenographie 33 7 

21. Bogalla pon Bieberftein in Breslau. 

Streiflichter auf bie Kriegführung in Sübafrifa 2(6 

S). SdjmibbBimpler in (Böttingen. 

Kugenärjtliche Betrachtungen im (Ehester 8( 

fjelene Spoboba in Stuttgart. 

Der gro§e unb ber Keine Kbam. €ine Zahlung ( 

2Ttargherita Craube=2Tlengarini in Xom. 

IHoberne Ziehung : . 350 

geleite ^impel in Breslau. 

Heinrich non Kleiji unb bie ^rau 506 

Bibliographie \3( 267 305 

Bibliographifche Hotten (35 270 <*(o 

Ueberfidjt ber michtigften geitfchriftensKuffätje non €rnji lüeilanb*£übed. . . 27 <* *(3 


mit ben portraits ron: 

Diceabmiral Klfreb (Etrpit}, Knut Ejamfun unb IDilhelm Doerpfelb, rabirt 
non 3oh fl nn £inbner in münchen. 




Zlorb nnb Süb. 


(Eine b e u t f dj e 


ZTtonatsfdjrift. 


tjerausgegeben 


von 

Paul Cirtbau. 


XCII. 8anb. — 3anuar J900. — Ejeft 27^. 

ftnit einem portrait in Habirun^t üiceabmiral Ulfreb Hirpifl.) 



25re£Iau 

Sdfleftfdje 8ud?brucF erei, Knnft'Unb Derlags«21nftalt 
v. S. Sdjottlaenber. 





Dev grofe unb bet fleine 2l6am. 

(£rjäEjIung 

oon 

Helene ^bofiaba. 

_____ — Stuttgart. — 

B EKvetn {(einen ©djlojjberrn ©ar(oS non ©inntbat jagte baS ©auern= 
llwü ^ ^am »®antit ®u e3 nur weifst. Reine 2lnbere 

a(S meine SJiutter bat ©icb am Seben ermatten. ©er Später 
bat mir’S erjagt, ©u ^ätteft ®ir an meiner fDhttter ©ruft wie an einer 
üMbquette ©efunbbeit angetrunfen." 

SarloS lief erregt ju feinem „Diamale" unb erfnnbigte ftdj, ob es 
benn roabr fei, baß if)n grau SBäc^te gefunb gemalt habe. 

„ga, baS b®t fte. ©ie mar ©eine Sftttnte nnb bat ©i<b järtli# 
geliebt," ermiberte bte ©räfin. 

„2Bo ift fte benn?" ■ forfdfjte Gar(oS ungebutbig unb fügte binju: 
Jatm idj ibr roaS Siebes fagen?" 

„Romm mit auf ben griebbof. 3$ will ©ir QofefaS ©rab zeigen. 
Sert erinnere ®i<b an bie ©Ute unb banfe ibr." 

Sei biefen SBorten erblaßte baS Rinb. gurdf)tfant fcfjmiegte es fidj 
«n bie 3J?utter unb ffüfterte, feine Rinberfrau 9ianni habe ifint erjöbft, eS 
fei naditfalt im ©rabeSlödfile, unb wenn ©inen ber «Senfenmann ba hinunter: 
jielje, tomme man nie roteber heraus. 

„gürdjte ®i<f) nidbt, es warfen ©turnen auf gofefaS ©rab, bie nur 
angenehm buften," ermiberte bie ©raftn. 

„®ie bob’ i<$ gern," meinte ber Rteine, „®u C»aft ja gejagt, ÜDlama, 
b#6 ©turnen ebenfo (eben wie mir. Rönnen ©(unten au<tb meinen?" 
plmiberte er weiter, als fte ben 2Beg na<b ber (änblidjen ©egräbnijjftätte 

1 * 




£?elette Stoboba in Stuttgart. 


2 

eiufdblugen. • Diefer führte an Jütten notbet, burcb Söiefen, roetdbe blühten 
urtb frifdf» oon Dbau toaren. Gin Bauernjunge ging bett ©räftidjfeiten nad). 

Garlol minfte: „ftotnm mit, 2lbatn, tnir befugen Deine Btutter." 

„Da liegt fie," fagte biefer unb roiel auf ein ^otjfreuj, um roelcbe I 
fi<b Clematil raufte. Gl trug bie gnfdfirift, bie ein nainer Dichter rer* 
fafjt bat: 

„3ofefa Söächle bat ausgerungen, 

Sbre Seele bat ftdb jum fjimmel flcidnuuitgen, 

Sie lacht nicht tnebr, Re t»eint nicht mehr, 

2)ie Srbe fei ihrem Seih nicht fdiloer." 

2lm ©rabe faltete ber Heine ©taf bie £änbe unb fagte mit Hnblicber • 
gnnigfeit: „g<h banfe Dir, grau Bächle, für meine ©efunbbeit." 

Dann roenbete er fid) an feine Blutter mit ber Bitte: „Sieb bodj bem 
2lbam eine neue fjofe." 

Damit mar bie greuobfcbaft ätoifcben ben beiben Sitaben gefdjloffen, 
unb all Garlol 2lbam mittbeilte, el ärgere iEjn, menn fidb bie Dorfjungen 
in ben Bart einfd)leicben, um Bogelnefter $u piünbern, oerfpracb ibm ber 
Heine Bäd)le, er tnerbe ben gaunfdilupfern aufpaffen unb fie nertreiben. 
Die Sttufforberung, in bal Schloß einjutreten, roiel ber Bauemfnabe jurücf. 

Gr blieb am Gingang mie angerourselt ftefjen. 

,,©o fomnte bodi!" brängte Carlo». 

. „Bein, ich fd)äme midi not bem $errn Santmerbiener." 

„Dummcrte, mal fann er Dir benn tl;un?" 

„Blieb aulladhen, roeit ich fo febäbig aulfebe," ermiberte ber Burfdbe 
trofcig unb tief baoon. Gr pirfdjte in ben nädjften Dagen im ?ßarl umber, 
froeb btuter einem Baum beroor, all Carlol mie einft ©ott im Burabiefe 
rief: „2lbain, roo bift Du?" unb jeigte einen ©totf, auf beffen ©pifce ein 
Dobtenfdjäbel fdpoanHe. 

Carlol erbleichte bei biefetn Sfablicf. „3Bo fjaft Du bal gefunben?" 
fragte er bebenb. 

„gm 2Balb auf ben Bäumen roäcbft fo mal nicht. 3<b b a &’ ben 
Dobtenfopf im Beittbaul geholt. SBenn bie Bogetbiebe fonttnen, fpring’ icb 
aul meinem Berfted beroor unb fdnoing’ ben ©cbäbel. Dann laufen fie 
9lHe baoon." 

Die ©ingoöget im gräflichen Barl mürben nirfjt mehr oon ber Bauern* 
jugenb beläftigt, aber bie ©perlinge im Dorfe maren ihre! Sebenl nid^t fidfier. 

grau Sätbe Bädhle, 2lbaml ©tiefmutter, meinte: „Gl ift jamnter* 
fdhab, menn biefe bummen ©pafeen oon einfältigen Satten oerjebrt merben, 
bie fi<b gar einbilben, el feien ftiegenbe gelbmäufe. 3<b fann fie felbft für 
meinen Sodjtopf braudien, fie finb ba unfd)äblicber all auf bem Sirfcben* 
b&um." v 

©ie fing bie gredjtinge mit Seimruthen unb rechnete für jebe geftoblene ^ 
Srifche einen Sperling all ©dbabenerfab- 



Der groge unb ber FI c ine 2Ibam. 


3 


GatloS, ber feinen greuitb einmal befugte, faf;, ruie fiel) bie gefangenen 
©hiere, es waren aud) ©roffeht unb 3eifige babei, in ©obeSangft ah- 
quälten, ©r bradj in frönen aus unb bat: „befreie fie, Slbant!" 

®aS war nun freilich feine leichte Slrbeit, bocl) würbe fie mit Sift 
unb 2luSbauet »ollbradjt. ©er fleine Sädjte erflärte, er fei gerne bereit, 
feiner Stiefmutter einen Streich ju fpielcn. Gr serbradj aud; bie 2eint= 
rutfeen unb warf fie in’S geuer. 2llS er an betnfelben 2lbenb baf)eim fein 
3tadhtmahl begehrte, fragte ihn bie gefränfte Hausfrau: „2Bo ift ber Sotf; 
»ogel, ber in ber Dteifigfjütte neben ben Seiinruthen war?" 

„3<h h Q b’ ifjtt baootifliegen laffen," erwiberte Slbatn nid;t ol;ne 
Sdmbenfreube." 

„®ann flieg* ®u nur auch! ©el;' ju ben Sparen, bie ihr 33rob auf 
ber Straffe finben, unb fdjlafe mit ben Schwalben auf bent ftirdjthurm." 
®ie Grjürnte fdjfug ben ßnaben unb oerfd;lofe ihm baS §auS. 

Gr ftanb braufeen unb rief empört: „Schäme ©ich, böfe grau! 
9$ werb* eä bem jungen $errn fagen, wie graufam ®u bift!". 

©r lief bem Schlöffe ju. 2luS GarloS’ tjiminet fatn ein Sidhtfdjein. 
$inaufgehen unb um einen ©etter Suppe bitten, wäre baS iNädjftliegenbe 
gewefen. Sein greunb hätte ihm fid>er biefe Sitte erfüllt. @r fdjritt 
jögernb bie Stufen jum portal hinauf, liefe feine ^oljpantoffeln am Gin* 
gang beS Kaufes ftehen unb ging blofefüfeig über bie Steinfliefen. 

„23aS fudhfi ®u hier?" fragte ihn ein ©iener. 

„®en Keinen £errn," erwiberte baS Sauernfinb. 

„Sietteidjt auch ©twaS 5 utn Ginftecfen?" fd;crjte ber Sdhwarjbefracfte. 
„Sch bin fein ©ieb, idf bin fein greuttb," fdhluchjte 3lbaut tiefoerlefct. 
„®u bift un»erfd)ämt. ©el;’ heim!" befahl ber SDiitleiblofe. 

9lbam »erliefe baS Sdilofe. Sein Keines ^erj enthielt fo »iel ©roll 
unb 4jafe, als eS nur faffen fonnte. ©r weinte. 2£o follte er benn bie 
Macht »erbringen? Siettcicfet war in bem fjochsewölbten, warmen Statt, 
welcher abfeits »om Sdjloffe ftanb, ein Serftecf ju finben. ©r wagte es 
hineinjufdhlöpfen. ©ort ftanben prädhtige SMblutpferbe, bie frafeen ge= 
mächlidj ihren ßafer, fd)üttelten bie fdjöiten 9Jtäf)nen unb fümnterten fid; 
nidfet um Sdhwalben, ©orfföter unb armfelige Sauernjungen, bie bei ihnen 
ein Unterfommen fuchtcn. @S war ja £eu genug ba, um fid) bis in ben 
fjalS hiweinjuwühlen. Sori, ber Meufunblänber, ber hier lag, begrüfete ben 
Spielfameraben feines ßerm mit Sd;weifwebeln unb geftattete, bafe er fid) 
neben ihm lagerte. So fchlief 2lbam ein. 

311S ber Jtutüher am anberen ÜDJorgen bem jungen ©rafeit melbete, 
er habe ben Keinen Sächle »on feiner Stiefmutter ganj verprügelt im 
&eu liegenb gefunben, fagte GarloS: „Sring ihn fd;nett her, bamit er mit 
mir frühftüde." 

3luf SBunfdh ber ©räfin würbe Slbaitt gemafd;eit unb mit einem Mitjug 
ihres Sohnes befleibet. ©ann führte ihn GarloS in’S Speifejimmer an 



^ Jjelene Scoboba in Stuttgart. 

einen rei<hgebedteu Tifch, wo er füh fiärfen unb feine 2lf>entcuer erjählett 
füllte. 

©r lobte ben goftfreunblidjen &unb unb fagte: „Gr bat mich nicht fo 
barfcb bebanbelt wie ber Wiener im Schloß. Qm Schlaf E)a6 ich fogar 
meinen Ropf auf fein weites QeH gelegt, unb baS bat er audb gegeben 
taffen." 

„Stauer SotU" rief Garlos unb fügte binju: „Ter ift beffer als unfer 
Qobamt." 

2lbam nicfte juftimmenb, er weigerte ’'icb, }U Qrau Rätlje jurüdjulebten. 
2lud> ber Qwang in ber Torfßhute mißfiel ibnt. ©r jog es oot, toie ein 
Söget im Sdjloßparf betumjufcbwärmen unb fdjtief SladitS bei feinem Qreunbe, 
bem Seufunblänbet Sori. 

„So fann es nicht weitergeben, liebes Rinb," fagte eines Tages bie 
©räfin mit ihrer weichen Stimme ju 2lbatn. „Tu fpiefft immer mit meinem 
©ohne, lerne auch mit ibm." Sie wies bem Keinen Sädile eine Stube im 
Scßioß an, unb er unb ©arloS befanten jufammen Unterricht. Qm Teutfcben 
machte ber Sauernfttabe rafche Qortfdjritte, im Qranjöfifcben unb ©nglifcben 
fam er etwas langfanter uorwärts, unb gegen bie lateinische unb griechifche 
Sprache »erhielt er ficb fiarf ablebnenb. fßipin ber Rurje intereffirte ib« 
ebenfalls nicht, unb baS 2luSwenbiglernen ber Schlachten, £eiratben unb 
Seifebungen »ergebener Tbronberren fanb et böcbft überflfifftg. dagegen 
gefielen ihm bie ©eograpbieftunben. 2Benn er Sanbfarten anfab, fo würbe 
feine Steifeluft rege. Gr wollte ficb bie gelben, braunen unb fchwarjen 

Sölfer in ber Sähe befeben unb fo frei fein wie bie Stffen im Urwalb. 

GineS Tages oerfcßwanb 2lbam aus bem Schlöffe, unb halb barauf 
erhielten bie ©räfin unb ihr Sohn Sriefe aus Hamburg oon Sächle. ©r 
banfte barin in beglichen SBorten für alle SBobltbaten, bie er oon ihnen 
empfangen, unb fchrieb: „Qch habe nun als SJtatrofe 2lnfteHung auf einem 
Segelfdjiff gefunben. TaS Qabt 3 eug bat brei 9)tajte, bie höbet finb als 
ber Äirchtburm oon Sinntbat. ©S gehört einem Hamburger Raufberm. 
borgen tritt es bie Steife um bie SBett an. Qch freue mich auf bie See» 

luft, bie fet»r gefunb fein foH. Sie tbäte Tir auch gut, ©arloS. Qch 

taffe ben Sori grüben, unb gieb Teinent Steitpferb Tbörle »orn auf ben 
weihen Stafenfled einen Ruh oon mir." 

„Ter 2lbam ift hoch ein ßauptferl," bemerlte ©arloS, „unb es ift 
rübrenb oon ihm, baß er noch an bie Tbiere benft." 

Ter junge ©raf wuchs fhtanf unb fcbrnal wie eine Rappel in bie 
£öbe. Gr batte bie ebenmäßige ©eftalt, bie weihe Stimme unb baS feine, 
ein wenig neroöfe Säbeln oon feiner SJtutter erhalten, nicht aber bie Sdjeu 
oor temperamentoollen Sßferben, welche fie befaß. @r nahm beim Steiten 
&inberniffe, unb wenn bie Tbiere feinem SBiilen nicht gehorchten unb ben 
Sprung rerweigerten, jüchtigte er fie mit ber Steitpeitfhe. 

„Qh will meine fßferbe gut erjieben," erflärte er feiner beforgten SJtutter. 



Der große nn& ber fleiue 2lbam. 


5 


„Das wollte Dein Sater auch," erwiberte fie mit umflorter Stimme. 

„Gr wollte ein fRaffepferb jum ©ehorjant jwingen unb ift babei um’S 
£eben gefommen. £(jiere fefcen, roie 3Jtenfcben, bem ,3roang SBiberftanb 
entgegen." 

„Sie finb aber nicht jo gemein unb graufam, roie fo niete iDienfdten, 
unb werben jutraulich, wenn man ihnen ein wenig Siebe jeigt. Das tjaft 
Du mir felbft einmal gejagt, 3Jtüttercf)en." 

„Sleibe Ggoift, GattoS, wenn Du Dfjiere erjiehft, mtb liebe fie mit 
Soriid)t," meinte bie ÜJiutter. 

Der junge ©raf biente ein paar ^a^re in einem GaoaHerieregiment, 
quittirte bann unb übernahm bie 29eroirtl)fd)aftung feiner ©üter. Gr tljat 
eS nicht aus ^Pflichteifer, fonbern weil er fid) fyreube baoon oerfprad). 
konnte eS etwas Schöneres geben als feine auSgebefmten Söätbcr, roeldte fid) 
über runbe Sergföpfe hinjogen. Der Sinnbad), welcher oom ©ebirg Ijerab; 
flog unb fid) non Dhal ju Dljal fdjlängelte, war ein fröfjlidier SBeggefeUe. 
Dian muhte ihn liebgeroinnen. 2lud) mit ben Säumen im 2Balb tonnte 
man ftdf» fidjerer anfreunben als mit Saccaratfpielern, meinte GatloS. 

Gr ftreifte tagelang im $od)walb nrnher unb freute fid) ber Gidien, 
»eiche mit bem 3llter wiberftanbsfräftiger würben. -Dlutter -Natur hat fie 
ba beffer bebadjt als bie tölenfdjen. Grblicfte er einen Stauboogel ho<h in ber 
Suft, fdhofj er ihn ftdjer herab. Das harmlofe, freunblich änqenbe 9iel)wilt> 
lieh er taufen, baS follten feine Säger erlegen. Dorfe war GarloS 
ebenjo beliebt wie SoriS’ Sohn, ber ein DaglöljnerSfinb, weites in ben 
S<hlofjteidj gefallen war, gefehlt herauSfifdjte. Der junge -Jleufunblänbcr 
roar fehr juthunlid), aber juroeilen noch etwas täppifcf». 9ln einem Sontmer= 
abenb begleitete er feinen £errn jum Si'albe. 9iid)t weit baoon, wo ber 
Sinnbach ein breites SBeljr bilbete, war baS SBaffer auch tief genug jutn 
Schwimmen. Gin fchmaler 2Beg, meift nur uon SBalbarbeitern benübt, lief 
ein paar -Dieter baoon entfernt an ÜBiefen entlang. GarloS tauchte mit 
einem Äopffprung in ben Sadj. SoriS blieb am Sanb unb befdhüfetc mit 
ber feierlichen -Dliene eines Sttrdjimanbriten bie Alleiber feines $erm. Da 
tarn bem Schroimmenben im Sßaffer bie Suft an, mit bem SßürbeooHen 
am Ufer ju fpielen. Gr nahm oom ©runbe beS SBafferS einen Jtiefelftein 
unb fchleuberte ihn mit bem Dtuf: „Sdjön apportiren!" über bie Sßiefe. 

Der £unb legte fich ben 33efef)l feines £errn auf feine eigene SBeife 
ptedht. Gr fd)leppte bie Alteiber in'S SBaffer hinein, ein Stüd nach bem 
nnberen unb lieh ne teiber oon bem raf<h ftiegenben Sinnbad) fort- 
treiben. 

Snjroifdjen würben auf bem 2Bege einige Surften fichtbar, wcldje 
oom SBalbe heimfehrten. Sie hatten bort Sruchhot} gefammelt, blieben 
flehen, lachten unb taufdjten Semerfungen aus. 9tur einer aus bem Greife 
fprang jur $itfe herbei. Sein gebräuntes ©efidjt, ber blonbe Sd)nurrbart 
unb ber jtnnliche SJlunb mit ben bleitbenb weiften 3äh«en burften fd)on 



6 


fjelene 5»oboba in Stuttgart. 


mandtent Ü)iäbd)en gefallen haben. Gr grüßte fjöflidfj beti ©rafen unb 
meinte: „GS ift bodj eine recht ungemütliche Sage für ben £errn. ©arf 
ich mit troctenen ftleibern nushelfen? SJtein blauer Seinettanjug, ben icfj 
auf bem Seibe trage, fteljt ju ©ienften." 

„SSie iberbet $fjr Gudi bann behelfen?" fragte GarloS. 

„3ch tarnt ja aus bem <Satf, in meinem ich Plje im Salb gefamntelt 
hab’, ein 3lotl)f(eib, madhen. brauche bloS mit meinem 2)teffer jmei Södber 
hineinfdjlifjen," meinte ber Siftbolb (ächelnb. 

©efagt, getljan. 

GarloS banfte feinem 'Jtothhelfer unb fragte: „2Benn mich mein ©e« 
bäcfitnib nicht täufd)t, fo bift X>u fein Ülnberer als ber 5lbam Sädftle." 

„Sarooht, ber bin ich." 

„Setter! ©u h ft ft ®i<h träft ig unb feljr ju ©einem Sortljeil ent« 
nudelt," fagte ber junge ©raf unb fügte fdjerjenb hinju: „Sift ®u nur 
beshalb heimgefoinmeit, um iftilje 51t fammeln?" 

„©eShalb nun eben nidht. 3d) mar 3)tatrofe auf einem amerifanifdhen 
Segelfchiff. 2luf ber SRüdreife non 33rafiliett hab’ i<h in Hamburg angenehm 
gelebt unb meinen ©ehatt oerpufct. s Jiun muh i<h h^r aber bod) auch 
nodh roaS 511m Seihen haben. Seim 2Birth im fräuftfcheii $of befoinnt’ 
ich feinen GrebU unb feinen greitifdjj. ®a badht’ ich mir: £otta! ©eh in 
ben Salb unb pflüde Äalbfleifch. ®ie ©teilt« unb ftuhpilje fdhmeden bodj 
faft ebenfo roie meiheS $[eiidj. ©ie hab’ idh gefamtnelt unb trollte fie heut 
jutn atadjteffen tierjehren." 

„Saffe ©ein Äalbfleifdh nur auf ber äöiefe liegen, ©u bift mein ©oft," 
entfdhieb GarloS. 

2lbam begleitete ben ©rafen junt ©djloffe. ©ort nmrbe ihm ©elegen« 
heit geboten, in ein folibes ©eroanb 31t fdhlüpfen, unb beim Slbenbeffen ftanb 
eine glafche uortrefflidjen Seines neben feinem ©ebed. 

„&at ©ir ber ©eemannSberuf gefallen?" fragte GarloS feinen ^ugenb« 
freuub, inbent er ftdj bequem auf bem groben ©inan im Gfjfaal auSftredte. 

„aJteiftentheilS," erroiberte Sädhle biplomatifdh. 

3)tit biefer Slntroort gab ftdh GarloS nidht jufriebeit. ,,©aS Sehen auf 
einem ©egelfdfjiff tnuh bodj recht eintönig fein?" meinte er. 

„®aran benft man nidit, roentt man jiranjigmal am ©ag über 
©opp tnuh." 

„Ueber ©opp?" 

„3ia, ben Saft hinaufflettern, ber 42 3)teter ho<h ift. Ginntal im 
Souat muh man ihn einölen, ©ann muh man mit ber einen £>aitb 
anftreidhen unb mit ber anberen fidh feftl;atten. Säht man loS, fo fällt 
man tief herab unb gleicht in’S SDteer hinein." 

„9ie<f>t angenehm." 

„3dh hab’ einen fleinen eitglifdhen Satrofen hinunterfalten fehen. Gr hat 
noch ,fare weil 4 gerufen unb ift fofort gefunfen, weil er nidht fdhnnmmen fonnte." 



Der große unb ber fletne 2lba'm. 


c 


„2Bar feine 3)tögli<hfeit, ihn ju retten?" 

„©in ©ampffdiiff fann ftoppen, aber ein ©egelfchiff niefit, baS in 
ooKern ©ang ift. GS überholt ja felbft ben beften Schwimmer. 2?erun= 
gtütft man auf £>of)er ©ee, fo hilft fein DtettungSgiirtet unb fein ®auer* 
ichtoimtnen, man ennübet unb finft unter. 

2tuf bie $rage beS ©rafen, ob bie SDlatrofen auf betu ©d)iffe nid)t 
aud) sufammen gefungen unb getankt hätten, erwiderte 33äcf)[e: 

„2Boht fdjon — aber i<h bin au<h gern für tni<h allein gemefeu, 
oorne am ©chiffsfiel, unb fjab’ weit auf baS enblofe SBaffer hinaus gefeiten 
unb mir babei gebaut : 2JJan wünfd)t fich bie ©efeUfdjaft oon 2ßenfdjeu 
nicht, roenn man bas SJieet betrachtet, baS immer einfain unb ein ©tücf 
einiges Sehen ift. Unfer Äapitän auf bem amerifanifdjen <Sdjiff, wo ich 
juletst mar, behauptete jwar, nicht baS ©aljmaffer, fonbetn bie ©ognac- 
flaidje fei bie eigentliche SebenSqueße. Qn Slugenbliden ber ©efahr hot er 
Ft4 ftets betrunfen, angeblich um feine Sternen ju ftärfen. Gutem foldjen 
SRenf^en mußten mir -Btatrofen nun bedingungslos gehorchen, ba er uns 
fonft mit ©ehaltSabjügen ober gar mit bem Stenoloer bebrohte. i3dj h°b’ 
biefe ^Rohheiten fatt befommen unb befdjtojj, heintjufehren." 

„Um für immer hier ju bleiben?" 

„3«h möchte toohl. Sin ©ifer unb SlrbeitSlujt foß es nicht fehlen, 
roenn mir ber $err ©raf einen SBertrauenSpofien geben wollten?" 

„iDti bift roohl 3temli«h fpradjgewanbt?" 

„$>aS ©nglifdie unb gtatijöfifcbe, baS ich früher bei Shnen lernte, 
hat mir auf meinen Steifen gute ®ienfte geleiftet. Slujjerbem fann ich noch 
ein wenig ^talienifd) unb ©panifch." 

„SBenn ich trar eine paffenbe Stellung für ®i<h frei hätte," meinte 
Carlos überlegenb. 

„3$ wü|te wohl, wie ©ie mid) oerwenben fönnten," erwiberte Slbam. 
„3dj hub’ im ®orf gehört, bah ©ie einen ßutfeher fuchen. 3<h melbe mich 
für biefe ©teile, £err ©raf." 

„$u? Slber ©u fönnteft hoch etwas SeffereS werben als ßutfeher?" 
rief ©arloS turnt ®i»an auffpringenb. 

Slbam erhob fich ebenfalls unb rechte feinen Körper, bem bie Gr« 
nährung mit £artbrob, ßülfeitfrüchten, Gonfetuenfleifd) unb ©eeluft fein* 
}u ftatten gefontmen mar. 

Stuf bie fyrage beS ©rafen erwiberte er »ormurfSuofl: „©djötie unb 
eble Pferde ju pflegen, ift baS nicht eine angenehme 33efd)äftigung?" 

(SarloS reichte ihm bie fianb. „$Du hüfl recht, Slbam," fagte er, 
„®u bift ber SRann, ben ich oraudje." 

S3ä<hle erhielt bie Äutfdjerftefle nebft einem guten ©eljalt. SBenn er 
einmal heiraten würbe, fo befäme er für ftch unb feine gantilte eine 
größere SBohttung eingeräumt, erflärte ber ©raf juoorfommenb. 



8 f|e(ene 5r>oboi>a in Stuttgart. 

Saratifbin meinte 2lbam ladjenb: „di ja, beitotbStuftig wär’ id) wohl 
fdjon. &ab id) erft ein £eim uitb ein SGBeib, fo bin id) beffer baran, als 
nnfer Kapitän." 

„SaS Ungetfjüm mit bet dognacflafdbe?" 

„'Nein, bet tnar Nnterifaner unb burfte feine grau mit an 33orb 
nehmen. Ser beutle mufete fein 3DJannräufd)lein, wie er fein 2öeib 
nannte, in Hamburg laffen. ds ift ihm nicht treu geblieben." 

„Ser Kapitän l)ätte ber betroffenen bodj perjciben fönnen. Gilt 
gehltritt, ber in ber Seibenfcfeaft gefdnefjt, bariiber fönnte ein SÖtann uietteicfet 
bodj bwroegfeijen." 

„Su tjaft roobt NMeib mit fd)önen Ntagbalenen?" meinte davloS 
lädielnb. 

„35?oflf idf tjeuc^eltT, fo würbe idj fagen Nein," erwiberte Sädjle, „idb 
weife auch, wie pornebme Seute in folgen gatten bjartbefn. Sie grau wirb 
nerftofeen, unb ber Nebenbuhler uor bie fßiftole geforbert. Ser gefränfte 
©bemann benft nicht baran, baff bie untreue ©attin uietteid)t bodj eine 
gute Nlutter gewefen ift, unb bie Kinber muffen fie entbehren, ©ie ift 
aber nidjt ju erfefeen, bas hob’ on wir felber erfahren." 

„grau Käthe famt ihre Kirfdien nidbt mehr not ben ©verfingen be= 
fcfeüfeen. ©ie liegt auf bem Kirchhof/ fagte datloS, ber an 23äd)leS offener 
2trt ftdj ju geben ©efatten fanb. — 

2Benn ber ©raf nadj bem ©pajierritt aus bem ©attel ftteg, führte 
er juweilen feinen „©taatSgaul", wie 2lbam baS ebfe 3ud)tpferb, bie ©tute 
grepa nannte, felbft atn 3ügel , n ben ©tatt. 

j&ier glänjten an ben SBänben bunte Sßorjettanfliefen, wie in ben 
Stuben ber boUänbifdjen 33ürgerSfrauen. GarloS bvebte an einem SJletalk 
bahn, unb Duettroaffer fprubelte in ein Werfen hinein, wefdieS ftdh «eben 
ber gutterfrippe befanb. Sann fam 9fbam mit grottirtüdbem unb anberen 
Soilettegegenftänben für bie Körperpflege ber Same grepa. Ser ©raf nahm 
inbeffen jwanglos auf einer $aferfifte ißlnfe, unb &err unb Siener unterhielten 
fidb, darfoS, ber SBeltmann, mit 2lbant, bem welterfabrenen Naturburfdjen. 

„drsäble pon ben grauen," fagte eines SageS ber ©raf, als 23ädf»tc 
mit berebter $unge bie digentbümlidjfeiten ber Sropen fdhilberte. 

„ds giebt bort fdhöne Söeiber, bie hoben mir gut gefallen," erwiberte 
ber ©ef ragte unb erjagte in naioer Steife: „Sie IReftijenmäbdhen finb 
febr fdhlanf unb geben bis 3 ur #üfte unbefleibet. ©ie fcfeämen fidb nidbt, 
weil fie eS nidbt für nötbig holten. Sie jierlidjen Gbinefinnen finb bis 
auf ihre, nerfrüppelten güfee recht nette Käfer, unb unter ben fdjwarjs 
haarigen ©panierinnen, bie mir im ©cebab juriefen: „2ldj, wie weife Sein 
Nücfen ift!" hött’ idb mir recht gern eine greunbin erwählt." 

darlos lächelte unb rief ermunternb: „Nur immer frifdh bie ttBaferbeit 
reben." 



Der groge unb ber fletne 21bam. 


9 


„Sobt fdtion. ©ie Seebunbe beuteln auch ni<f»t, roenn fic in’S Saffer 
untertaueben, um fi<b 2Bei6dE»en p ^oleit. Serb’ eS bem $etm ©rafen 
rnetben, bis tdjj baS für mich paffenbe gefunben bab’," erftärte Slbarn. 

©S bauerte nicht tauge, fo tfjeitte er feinem &errn mit, er bube gar 
einen ^fibfd^en Schub gefapert. 

„Setter! ©aS ging fdfjnelt!" rief ber junge ©raf. 

„Seidfje ifl es benn non ben Jungfrauen im ©orfe?" 

,,0ar fo groft mar bie StuSroabt eben ni<bt," meinte Slbant, „ber 
.perr ©raf roiffen ja, baff bei unS in ber Stbön niete Jungfrauen mit 
tebigen Kinbent berumtaufen. ©aS ift non jefjer fo geroefen. Sir finb 
ftarf — bie grauen finb fcbroad). 2lrm finb mir t)ier Sitte pfammen, unb 
wenn nicht baS bisdben Siebe märe, roaS Ejätte man bann oom Seben? 
Stur ©agtobn, Kartoffeln, 6id)orienbriii)e unb ben ©ob — baS ift 5U 
wenig," entfdfjieb 2lbam unb fügte ^inju: ,>So fomrnt e», baff man einem 
iauberen Säbel ben gebltritt oor ber ©f)e nerjeit)t unb baS raterlofe Kittb, 
baS an iljt bängt, nicht nerftöfet." 

„#aft ®u ©einer ©wählten auch ©troaS p nerjeiben?" fragte ©artoS 
tbeilnebmenb. 

„Jdb ^ab’ ©lüdf! ©ie Stetbet ift roie ein Sitienftenget. «Sie bringt 
nur ein gutes £erj mit in bie ©be." 

„©ratutire," fagte ©artoS b er Jftdj. 

„Sir möchten audb halb ^eiratben," meinte Slbnm. 

„#ab’ StidbtS bagegen. Jdb fontme p ©einer fjocbjeit," erftärte ber 
junge ©raf. 

* * 

* 

Slbam butte Stetbet bei einem Sdbüfcenfeft juerft bemerft, als ein 
flamerab mit bem ginger auf fie beutete unb ibm prief: „Schau nur, 
wie btonb bie ift!" Jbr fytteZ $aar gtänjte in fjetausfotbembet Seife, 
wenn bie Sonne barauf fdbien. Junge Sdjiiben jupften an bem btonben 
^aarbufdb unb meinten fdjerjenb, baS junge ©ing in ber meinen Safd)= 
bloufe märe fo freunblidb roie eine Kornblume, bie man am getbrain pftüdt, 
um fie in’S Knopfloch 31t ftecfen. 

Stetbet erhielt non ber Sännerroett in Sinntbat mandbe Seroeife beS 
3&>btroottenS. ©ing fte über bie ©orfftrafee, taugten bie Säuern, bie über 
ein Ddjfengefpann p »erfügen butten, mit ber fßeitfcbe nadb ihr. ©aS 
war eine etroaS ber be, aber entfdjiebene Seife, einem bübfdjen granfem 
mäbcben ben $of p machen. Slucb Einträge pm Steltbicbein fehlten nicht, 
iuobbem tonnten einige Slttroeibernafen, roetdbe im ©orf 'nach Ktatfch herum= 
fpürten, lange feine Spur »on einem Siebhaber an Stetbet entberfen. ©aS 
jcbien ben Sinntbater grauen rätbfelbaft, unb fie erftärten, bie ©odfiter 
eines oerarmten Säuern fönne froh fein, roenn ficb irgetibroo ein Sdbneibertein 
iinbe, roetdbeS Srob, Suttermitch unb ©bebett mit ihr tbeifen rootte. 2ltS 



10 


£je(eue Soobo&a in Stuttgart. 


fie beim Sdjüfcenfeft ben Slugenbtid erfpätjten, in welchem fRethel bett 
bloitben. Jtopf, ber non ©ans unb äBeingenujj ein wenig erf)ifet war, juthun* 
lief) an StbamS (Seniler lehnte, triumpljirten fie: „2lt>a , fo fieht bet 
Verführer auS!" 

Säcf)te befafs, wie bie meiften (Seeleute, ein teid)t erregbares ^erj, 
meldje3 nadj Siebesbeute immer hungrig mar. ©r nahm ein gelbes £aar= 
ringet non SRethet ämifchen feine .gähne unb fragte: „2Bie oftmals bift ©u 
fdfton untreu gemefen?" 

„guerft muh id> bodf» einen Schab haben," erftärte fie unb fah ihn 
mit ihren btauen 2 lugen freunbtief) an. 

„ga, baS muht ®u," pflichtete er bei, inbem er ihre &anb in bie 
feinige nahm unb fie lange — Ülufpafferinnen behaupteten, ben ganzen 2 lbenb 
— brüdte unb fefthiett. 

®ie fReinerträgniffe beS gefteS roaren für 2lbam Sachte, bie er beim 
SßreiSfdhiefjen auf ber 2Biefe gewann, unb fRetljetS Äüffe, bie fie ihm ohne 
Sefimten gab, mit ber teibenfdhaftlichen Serfidljerung : „gür Sich fönnt’ idh 
SttleS thun." 

2lbam mar entjüdt non biefer 2lufridhtigfeit. 2tehntidheS hatte ihm 
ein gefteS ÜRäbchen in gapan oerbolmetfdjen taffen. Sie meinte, bie Siebe 
fei feine Sünbe unb märe roie bie Sonne nothwenbig jum Sehen. 

„©arurn lode nur, fRettjeldjen!" 

gut Sorübergehen härte Sädfjte im ©orf ©ieS unb geneS. SoSnidet 
fragten ihn, ob er fidfj aud) fdfjort baS Jlteine angefefjen habe, baS immer 
an fRcthetS 9?odfatten hänge, ©r mürbe roth unb menbete ben Spöttern 
bie Sreitfeite feines fRüdenS ju. ©amt faufte er in einem ber Äramtäben 
ber £auptftrafje ein paar ©efdhenfe unb ging bamit ju feinem Siebten. 
©iefeS mar gerabe mit Satatpftüden befchäftigt, unb baneben frabbelte 
©twaS auf bem Soben herum, baS nicht oiet höher mar als ein auS; 
gemadhfeneS Ärautbtatt. Sachte märe faft barüber geftofpert. 

„2BaS ift baS?" fragte er oott Verliebtheit unb Unrnuth- 

„®aS SRargrette," ermiberte 9tethet fröhtid) unb unbefangen. 

„©eine Sdjrcefter?" 

„■Rein. Vieiner greunbht ihr Äinb. 2Bir haben jufammen in ber 
Stabt gebient, ©amt ift meine 3Rutter franf geworben, unb idh fottf heim, 
©ermeit ift meine gute greunbin im Spital geftorben unb hat mich ge= 
beten, idh ntödjt’ baS arme SBaifenmäbte, baS fo unoerfehenS 5 m: 2Belt ge= 
fommett ift, bodh ein wenig bemuttern, geh h ft b’ es in meinem Storb mit 
heimgenommen, unb ats bie Sinnthaler fein ©efdjvei hörten, fagten fie: 
,©a fommt eine aus bem Sünbenpfuht jurüd 1 ". 

„2Bar baS nicht un»orficf)ttg non ®ir?" 

„Sollt’ idh oieüeidjt baS bischen 2lrmfetigfeit auf bem Strajjenpflafter 
liegen taffen? gemanb hat fidfj bodh barum annehmen müffen. g<h bin 



Det grofje unb ber fleine 2lbam. H 

ieine $atf)in. @3 ^et§t SJtargaretbe 2 Beinti<h, unb ber £err Pfarrer bat 
feinen £auffd»ein. Stur weif? man ben Stamen ttotit Sater nicht." 

„ 2 Ber forgt benn für baS Äinb?" 

„g<b uerbiene mir burcb Stäben Gütiges. iDarnit fann ich es fdion 
füttern." 

„2BaS fott aber aus bem SJtargaretle werben, wenn ®n in bie 
©be tritt ft?" 

„®ann tritt es eben mit mir ein." 

„Dbo, ba hob’ i<b auch noch ein 3Bort mitjureben," rief 2 Ibam -unb 
umfcfjlang feinen ©djafe. 

2 lls er einmal bem Pfarrer begegnete, ermähnte er, baff er roobl 
balb mit ber Stetbet als oertobteS ißaar in baS $ir<hengebet ein* 
gefditoffen . roerben mürbe. 

„©ie bat ein gutes, leichtfinnigeS $erj, baS immer fdbenfen möchte," 
meinte ber Pfarrer, „an bem armen, oerfriippelten Äinb ihrer greunbin 
tbut fte ein ©otteSroerl @o eine jungfräuliche SJtutter gefällt mir." 

SCro^bem erging eS bem Söäc^le nicht anberS als fo manchem 
Saglöbner auf bem ©inntbaler ©tunb. 3ln feiner Gewählten buig 
ein uaterlofeS Äinb, roel<beS in ben neuen .fjauSbatt aufgenommen- 
werben follte. 

©r rooffte es irgenbroo in ftoft unb Unterftanb geben. Stber Stetbet 

erflärte, es müffe in ihrer fßflege bleiben, grembe Seute mürben baS 
bitflofe ftritypele »ernadjläffigen ober es am ©nbe gar fdjlagen, be= 
fürchtete fte. 

aJZargretle mar uerroacbfen unb babei jart jurn , 3 e rbre<ben. SBeitn 
es meinte ober lachte, bitbeten feine Stauen jroei ©ummbeitsbogen, als ob 
üe fidb munberten über baS fieben mit feinem bissen ©dimer} unb greube. 
Seine Slugen roareit grob unb glänjenb roie bie eines Sb^reS unb fabelt 
Setbel unoermanbt an, menn fie [ich non Slbam füffen lieb- 

®aS mar bem feurigen Siebbaber unbequem, unb' er äujjerte ju feiner- 
Siebften: „g<h bitt’ ®ich, breb’ bod) baS fleine Sudele herum- ©S foll 
lieber auf bie ©alatbeete im ©arten, als auf uns feben." 

„$omm, mein ©otbigeS," fagte bie roeid)bet}iqc Sffegemutter ju bem 
fiinbe, fefcte es in bie ©onne unb gab ihm Slunten }um ©piefen. 

©ineS £ageS fanb Süchte feine Sraut »er}meifelt, faffungStoS. 
Stargrette lag an einer Sungenentjünbung im ©terben. ©S mehrte fi<h 
mit geballten gäuftchen gegen ben £ob. ®iefer fiegte aber bo<h, unb 
Sietbel bemühte fid), bie Keinen, »erhallten ginger ju ftreden, um bie 
pänbe, mie es ©itte mar, auf ber Sruft ju falten, ©ie betrauerte bas 
ftinb aufrichtig. Slbam fucbte fie 511 tröfien unb meinte, baS SJtargretle 
fei ja nur jum Xraurigfein auf ber SBelt, nur fo eine $anb»otf Glenb 
geroefen. 

„geh bub’ eS barum bo<h gern gehabt," fdiludijte Stet bei. 



\2 


fjclctic Süoboba in Stuttgart. 


2113 fid) 23äd;le im ©orf nad) ©raujeugen untfab, erKärten feine 
Sfameraben: „©ieSmat f»aft ©u ©lücf. gefet fommft ©u bodb nod) um 
baS lebige Äinb herum." 

* * 

* 

SRetljcI war mit einer Srautfrone gefcfjmücft unb lächelte oerfdjäntt, als 
GarloS eine fernere ©elbfpenbe in ifrreti Sdjub legte, bet iljr, nadj einer 
«Sitte beS ©orfeS, oom gufe geftreift mürbe. 

„gür bie 2luSfteuer beS Keinen 2lbam," flüfterte ber ©raf bem jungen 
©jjentann ju, als er feine ©at>e in ben £od;seitSpantoffel ^ineinlegte. 

$£(ein=2lbam mürbe erroartet, fam aber nid)t. Statt feiner erfdjien 
nadb 3al>reSfrift ein 2)täb<ben, mefdjeS ein ^ßaar runbe, blaue Slugen auf* 
fdilug, mit benen es jtill unb freunbtidj gebertnann anfab, audb bie neu* 
gierige ^auSfafee, roeldje auf bie SBiege f prang, um ba bequemer öefannt* 
fd^aft mit bem Äinbe ju fdjliefien. ®ie kleine mürbe Coa Ctifabettja ge* 
tauft unb CoelieS genannt. Sie meinte nur, roenn fie fid) rcd&t oer* 
taffen füllte, ©ann fam oftmals ber Söater, nahm fte ungefdfiidft unb 
järtlidf) auf feinen 2lrm unb tröftete: „Slidjt meinen, CoelieSdjen! ©u bift 
uns auch roillfommen. ©er Keine 2tbam mirb halt fpäter feine 2Iuf= 
martung machen." 

Carlos erfunbigte ücf), mie es bem „Seelömen" in feinem ^auSftanb 
gefalle. Cr fragte tfjeilnabmSuoll nadb ber t)übfd)en, jungen grau, bie 
immer fo fadste", menn er il)r begegnete. 

„gdj bin jufrieben," ermiberte 2tbam, „aber meine grau ijt es 
itid)t ganj." 

„9lidbt ganj'd Sie ^at eine f;eHe, faubere SSoljnung, einen ©arten, 
ein nettes Stinb unb einen prächtigen ©atten. 35>id fie benn mehr?" 

„ga, fte mtd mehr non mir, fie möchte mich ganj allein für fid) 
haben. So ein 2£eib benft immer nur an fidj. gd) mufi bocb auch an 
meine $ferbe benfen. ®aS finb ja meine ^flegeKnber. SRenfd&enliebe 
unb ©biertiebe, baS Ijat ganj gut neben einanber ißlafe." 

2tbam mar jroar aufridjtig, baS fagte er aber bodb üftiemanbent, bajj 
er fein fiodmeiberte, mie er Stetljel nannte, über 2ldeS gern batte. Sein 
$erj fd)lug ein paar ÜDial fdfuteller, als it)m ber ©raf eines ©ageS anfünbigte: 
„CS reijt mich, in einen Urmalb birteittgufetjen. begleite mid) babin. 
Mr merben fo bequem mie möglich reifen, ©afür toerbe icb als 33oHbtut= 
cgoift fd)on forgen." 

„3m Urmatb ift DladjtS ein fjeiltofer Särrn. ©a mirb bet tfjetr ©raf 
feinen ungeftörten Sdjlaf finbcn," manbte SBädjte ein. 

„Untfo beffer, bann roerbe id) madjenb baS Uttgeroöbnlid)C unb 
^ricfetnbe einer ©ropennadjt auSfoften, bie ©u fo oerlocfenb gefdbilbert 
baft. Äaunft ®u ©idb non ©einer grau nicf)t trennen, fo reife idf» allein." 

„©er Sofbat folgt feiner gähne unb icb bem §erm ©rafen, ber mir 
fd)ou fo oiet mobt getbait bat," erflärte 23ächte. 



Per grofje unb bet {(eine Ubam. 


13 


Sie ©räfin, weldhe faft fo [tili unb wunfdfjtoS lebte, wie bie Sluuten, 
bie fte pflegte, nahm mit oornehmer ©eiaffenbeit oon ihrem Sohne 3t&- 
fdbieb. SRethet geberbete ftdb rote eine Serjweifetnbe, als fte fid& oon 2tbam 
trennen follte. @ng gefdhmiegt an ihren ©atten, befchwor fie ihn, hoch bei 
ihr $u bleiben. 

„3$ mufe mit bem ©rafen gehn," fagte er, „ich bin es ihm unb 
feiner ÜJtutter fdhulbig." 

@S lautete roie eine Slnftage unb entbehrte nicht ber Stomif, als 
StetEtel barauf fdhtudhjenb erroiberte: „Sie haben Sir baS Sdbönthun mit 
ben Shieren angelernt. Su ^aft Sich mehr mit ben Sierbeinigen be= 
fdjäftigt, als mit mir." 

„Su bift ungerecht," oerwieS er fie, „i<b habe Sich unb ©oelieScfeen 
nidjt oernadhtäffigt. Sie frönen Sßferbe, bie Su nicht leiben fannft, haben 
mir ju meiner Stellung oerhotfen." 

@r brüdtte bie teibenfcfeaftlidh ©rregte feft an feine Sruft: „Su bteibft 
b«b meine Siebfte!" unb fuhr fi<h mit ber £anb über bie SKugen, als er 
bas breijährige ©oetieSchen füfete, meldjeS fdhmeidhelnb „Saterle!" rief. 

* * 

* 

©arloS liefe feine weichlichen ©eroohnheiten ju &aufe. 6t fühlte liefe 
fehr mahl auf Steifen, erfrifdjt unb angeregt oon ben roedhfelnben ©inbrüclen, 
bie er empfing. 3« feiner lebhaften SL'eife intereffirte er fidh für 3lHeS, 
unb es unterhielten ihn auch bie brottigen Settterfungen SHbamS. Seibe bc- 
fudjten in gnbien einige bubbhiftifdhe Sempel, in benen oiele ©öfeen auf= 
gefteHt waren. Stuf ben köpfen berfelben nifteten Sögel. 

„So [eben alfo bie geubalherren beS bubbhiftif<ben Rimmels aus!" 
meinte SarloS. 

„Schauen Sie nur, $err ©raf," rief Sachte, „bie Sögel, bie auf 
ben Häuptern ber biefen Steinfiguren bodEen, haben ja feine Religion. Sie 
benehmen jtcb ba ganj ungenirt, unb Stiemanb fümntert fidh barum." 

„Sic bubbhiftifdhen ©ötter finb eben nadhfichtig unb gebulbig," er- 
roiberte ber ©raf. 

©r fanb audh feine greube an Siaturfcfjönfjeiten unb bunten SolfS= 
litten. Sie beiben SBcltreifenben famen u. SH. nadb ©hina unb gapau. 
Sbam, baS grofee Jtinb, ntadhte mit Sorliebe oergleidienbe Stubien in Se= 
jug anf Sheemäbdhen unb jeigte für biefen Smeig ber Sölferfunbe eine be- 
fonbere SJtetgung. 

SSIS er mit ©atloS. bie StinoS befudhte, meinte er ladfeenb: „SaS ift 
mal fomifdh, bafe bie grauen hier geriet an bie Sruft legen!" 

©in Solntetfdher, ben ber ©raf gemietet hatte, bemerfte: SaS tfeuen 
fte, wenn bie gerfelntutter oon einem Sären jerriffen wirb unb jroar, weit 
fte gern Sdhweinefleifdh effen. Sie £eute hier haben nterfwürbige Sräudfie. 
Sie oerehren ben Sären ats 2Mbgott, gönnen ihm aber ben geraubten 



H Irdene rroboba in rtuttgatt. 

Sraten nicht. Seuor fie ihn erfdljlagen, weil er ihnen Schweine wegfrijjt, 
halten fie, wenn er ftißtiäit, eine Strafprebigt. (Sr möge ifjneji hoch »er; 
jeitjen, wenn fie ihm ben 3tppetit nad) Schmeinefleifdf) auStrciben, allein 
biefeS fdfjmetfe ihnen auch gut, uitb er ijabe fürwahr fein SRed^t, eS ihnen 
5 U rauben. $ft ber SBalbonfel jur Strecfe gebracht, fo galten ne ii)m eine 
Seidhenrebe, in welcher fie bem Sobten uterfwürbigerweife flarmachen wollen, 
bafj fie ihn eigentlich nidfit umgebradjt Ratten, weil er ja uom Saunt ge; 
fallen märe. Somit wollen fie ber Särenuermanbtfchaft ben Slnlafs jur 
Stutracfje nennen. 

(Sin gelbhäutigeS, jierlicbeS 2linoSmäb<hen batte befonbereS ©efaHen an 
3lbam gefunben. (Sä lief iijrn nach, unb er »erflanb bie Sprache feiner 
ianften, bunflen Slugen redit gut. (Sr füfjte ben Keinen „Zitronenfalter", 
ber ifjn fortioätjrenb umflatterte, unb erwiberte, als ibtt ZarfoS fragte, nrie 
oft er noch feinet ©attin bie Sreue lodern werbe: „2Bir ^ranfen haben 
halt ein leid)t erregbares Sfut." 

SiefeS gcrieth wäbtenb ber Steife nodh öfters in SBallung. 2ludfj in 
Italien, wenn $unbe unb (Sfel »on Sanbleuten gefdhlagen würben, weil 
„fie feine (Sbriften finb". 

* * 

* 

3llS (SarloS nad) jwei fahren mit Slbant heitngefehrt war, fanb bie 
©räfin, b aff ihr Sohn vortrefflich auSfefje. 

„3MeS beim Sllten?" fragte er, inbent er feine SOiutter umannte. 

Su wirft in $auS unb ©arten SllleS fo wieberfinben, wie Su es gern 
haft," erwiberte fie unb fügte l)inju: „Sein brauet Sicner Sädf)le wirb 
»on einer Seränberung überrafcf)t fein." 

3lbam fudite, mit ©cfchcnfen für fyrau unb ftinb belaben, fein ephcu; 
uinfponnenes &äuSd)en auf. (Sr war beim (Sinfaufen mehr auf baS ©länjenbe 
als auf baS 9iühliche bebadht gewcfen unb wollte feine ©attin fo »erlodenb 
gefdjmücft fehen, wie eine arabifdje Sänjerin. Seinem Södjterdjen bradhte 
er mandheS außergewöhnliche Spielzeug mit. Unter Sfoberein dhineiifdhe 
Suppen. Sie flapperten in feiner fReifetafdhe, als er feine SBohnung 
betrat. 

(SnelieSchen iprang ihm entgegen, utnfdhlaitg mit ihren 3lrmen feine 
.dnie unb jwitfcherte: 

„Saterle, wir haben ein Srii — — — Su " 

(Sr briicfte bie Steine ftünnifdh an feine Stuft. 3l(S er fid) an feinem 
fchönen flinbe fatt gefügt hatte, fragte er: „3ft bie UJhitter baljeim?" 

Sie Keine (SoetieS wifdjte fid) ben fDJunb unb rief: „SJir haben ein 
Sriiberle — Subele befommen!" 

„(Si, wie einem baS GwelieSdjen Säten aufbiitben fannl" 

„’S ift fein Sär, ’S ift ein Sriiberle — Subele. Sd)au nur!" Sie 
bafd^te nach fei«« &anb unb bvängte ihn in baS 3nnmer hinein. 



Det grojje unb bet Heine Zlbam. \5 

2Ba^rf)aftig! ©a ftanb bie folibe $auSwiege, unb barinnen tag ein 
Säugling warnt unb weidh gebettet. 

„©ine fc^öne 33cf<3^erung," brummte 33äc^te. „SBo bat benn bie gute 
SKutter ba« 3'8 euner ^ n b aufgetefen?" 

©netie« brüefte ibr feine« Stumpfnäschen an ben Stanb ber SBiege 
unb nerfidberte: „@3 gebärt wirftidb uns." 

„Unfimt! ®u weifet e« nidbt, ©täfele, bafe bie 3Jlutter fdjjon einmal 
ein Sßftegefinb aufgepäppett bat, ba« armfetige SDtargrette, ba« hernadb ge; 
fiorben ift. ©er ©taatslerl in ber SBiege wirb fo wa« Slebnlidbe« fein." 

Slbam leerte feine 9teifetaf<be au«. ©ie für 9tetbet beftimmten ©e; 
febenfe legte er auf ihren Stäbtifcb unb bedte fie mit einem ©ueb }u, um 
ihre Steugierbe ju reijen. ©ie dbineftfdben puppen tarnen in ben Befife ber 
Keinen ©oelieS, bie febr batb eine Stenberung an ihnen oornahm. ©ie 
fdbnitt ihnen mit einer @<beere bie langen bünnen 3öpfe ab, bie fie »er; 
ädbttidb 9tattenfdbroän}e nannte. 

äbam ging in ben ©arten unb entfernte Unfraut non ben paar 
Blumen, we l<be fy.tr neben Äüdbenpflanjen blühten. ®a winfte tfem bie 
grau be« ©obtengräber«, bie nahebei wohnte, ©ie tröftete jtdb febr oft 
mit ©cfenapStrinfen, wooon fie eine raube Stauboogetfümme befam. 

„$ab’ ®ir insgeheim wa« ju fagen," rief jte. 

„SJJag geheim bleiben," brummte SJädjte. 

®a« ©utenweib winfte no<b heftiger: „’« ift non wegen ber Sietbet!" 
9hm fprang Stbam über oerfebiebene &inberniffe, bie ihn non ber 
Sitten trennten, in ben 9ta<fjbar«garten hinein. 

„©ottft e« non mir wijfen," fagte fie, „fonft erjäbtt ©ir*« ba« ©ratfeb; 
weib bie Äatbrin nebenan." 

„Beeile ©ich'." 

„©er ©efered wirb ©ir noch febnett genug in bie ©lieber fahren. 5Diit 
ber Stetbet ift wa« fefeief gegangen, ©ie hat at« nertaffene ©trohwfttwe 
niet geweint, ftch bann nur einmal bei einer ©anjmufif getröftet, unb ba 
war ba« Unglütf fdjon gefebefen." 

„SBetdje« Ungtücf?" 

„©« ift eigenttid) erft fpäter loSgebrodben, wie fie mit nieten Steue; 
tferänen ba« Bühle geboren hat. ©ie wottf mit ihm in’« SBaffer gehn. 
SBir haben fie getröftet unb gefagt: ,£iit’ ©idj, 9tetf>et, teg’ ju einer ©ünb 
nicht eine jweite brauf. SBie e« ber tiehe ©ott beftimmt hat, fo mufe e« 
fotnmen. ©ieStnat ift’« bie oerfeferte Drbnung. ©a« tebige 5tinb hat fidj 
nerfpätet unb ptafet jefet in bie ©he ’rein, ©er 2lbam wirb ftdj wobt nicht 
undhrifttidher benehmen at« fonft bie SJtannSteut fyer iU • • • 

©ie ©obtengräberin hätte gerne nodh tanger gerebet, aber Bädhte unter; 
bradfe fee ungeftüm. 

„2Bo ift fte?" fragte er hodfjroth oor ©rfegung. 

„©ie ift fortgetaufen. ©ie fdhämt ftdb halt gar fo febr." 

«Ort unb eab. xcn. 274. 


•2 



*6 


Ejelenc Sooboba tu Stuttgart 


„Sie fott fiel) nur auSfcfeänten," rief 2lbam jotmg mtb ging grollenb 
nadfe föaufe. ©r roar ftarf aufgebracht unb hatte nidht übel Suft, bas frembe 
Kinb roie eine falfdfee äJtünje auf bie ©tr afee ju werfen. 

2118 er bas SBohnjimmer betrat nnb in bie SBiege fdfeaute, beten 
jappelnber Spalt ihm fo uiel Kummer bereitete, judtte es in feinen muSlel- 
ftarfen 2lrnten. ©in ©riff — unb ber 33eroeiS non SRethelS Untreue wäre 
nemidSjtet ... 

®ie Heine ©oelieS ftanb auf einem Sdhemel baneben nnb rief: „Sefct 
bin idh um einen Kopf f)öt)er unb fann ba8 Srüberle beffer befdhüfeen." 

„äßet follt’ ihm benn ma8 tiiun?" fragte 2lbam mit judEenbem ©efedfet. 

„®ie Ka|e lauert immer, ob fie nidht auf’8 33üble fptingen fann," 
erroiberte bie Kleine. Sie ftedte ihren fleinen rofigen 3ri9epnger jrotfdhen 
bie Sippen be8 Säuglings. ®a8 roar ihm befeaglidh, er fdfmuHte, unb fie 
bemerfte: 

„®a8 Sdhafeefinb feat fo niel junger." 

„®as Sdhafeefinb," 2lbam betonte biefeS 2Bort mit bitterem ^umor, 
„wirb roof)l roaS jum ©dhlucEen hoben roollen. 2Bir werben es füttern 
tnüffen, bamit es nidht »erhungert." 

„2lcb ja, bitte," rief ©oelieS unb flatfdhte noll greube in ihre 
©rübdEjenhänbe. 2lbam bife bie 3äljne aufeinander. ©r ging in ben Stall, 
roo bie „Sdhecf" ftanb, fireichefte fie unb fagte: „äßenn bie -Kutter banon 
läuft, mufet ®u fKilch hergeben." 

®ie Kuh tiefe fttft willig mellen, bocfe ber ungefdhicfte Säugling nahm 
bie 9Jlitd)flafcfee nicht an. Säcfele mufete ihm bie glüffigfeit faft tropfenroeis 
in ben Sdfjlunb giefeen. ®a8 roar ein mühfameS ©efdhäft. ©r tollbradhte 
e8 jähneftiirfdhenb unb fludjenb mehrmals am ®ag unb audh nodfj ein 
paarmal in ber 9tad)t. Um bie ÜKittagSftunbe trat eines ®age8 ber Pfarrer 
herein nnb fah ber Fütterung ju. 

„3<f) erinnere midh," fagte er, „bafe 3iethet biefelbe 3Jlühe mit ihrem 
armen fßflegefinb hatte. Sie mufete ber -Kargretie Nahrung einflöfeen 
roie einem ^Bögelchen, bas aus bem 9ieft gefallen ift." 

„Sie ift audh nicht beffer roie alle 2lnberen," rief Elbam bitter. 

„’S ift freilich EteiHoö, roie bie 2lrmuth hier bie Seute leidhtfinnig madfet. 
2lber uergefet nidht, bie Bethel hat fdjon oft beroiefen, bafe fie eigentlidh 
bodh gut ift." 

„®a8 ift wohl auch fo ein 33eroeiS ihrer ©üte," meinte 23ädf)te unb 
blidlte geringfcfeäfeig auf baS SBabp h er ab, baS auf feinen Knieen lag. 
,,©S empört midh am meiften," fügte er binju, „bafe fee bie Kinber oerlaffen 
hat, um ihrem Siebhaber nadhjulaufen." 

„®aS hat fie nidjt gethan," roanbte ber ipfarrer ein, „benn bet 
Surfdhe hat ftch fd>on tängft aus bem Staub gemalt. Sie mufe irgenbroo 
oieHeidht an einem benadhbarten Drt einen Sdhlupfroinfel aufgefudht haben." 



IXet große unb ber (leine Ubatn. l? 

©eitbent 3ß>am bteS mußte, bUcfte er nun öfters nach Stet^ctS 3täb- 
tifdf) bin, auf welchem bic ©efchenfe für fie tagen. 

Sie fam nicht, aber bie ©obtengräberin wollte feßen, ob baS SBidfel- 
fmb noch „febig" fei. 

„Semüß’ ©ich nicht, es ftrampelt mit ßfinben unb güßen," be- 
merfte Slbam. 

„^jafi ©ich an ©ein Unglücf gewöhnt?" 

„63 fennt müh fdßon unb lacht muß an/ 

„2Beit ©u ihm fein gutter in’3 SHäule hineinftreidfjft, wie früher bem 
Steßfiile, bem bie 'JJtutter weggefdßoffen war. ©ie8mal iffs aber bod> 
etwas anberS." 

„©ieSmat ift’S halt ein 3Jtenf<benfif}te." 

gn einer unruhigen Stacht fchien es bem Stbam, als ob fuß eine ©e; 
halt braunen uor bem genfter bewegte. 6r winfte unb rief: „Komm* 
herein!" 

2118 er näßer jufaß, war es nur ber ©chatten beS ^Birnbaumes. 

„3ft fie eine treue ÜDtutter, fo fehrt fte halb jurüdf," badete 33äcble, 
wenn er ben ©äugling wimmern hörte. 

©amt erinnerte er fi<h an rührenbe aSotfSfagen, in welchen oerfiorbene 
SJtütter aus bem ©tabe tommen unb ihre oerlaffenen Äinber warten unb 
pflegen, bis ber £aßn in ber erften SJtorgenflunbe fräht. 

StbenbS würbe bie ^auSthür oon SIbam nicht oerfcßtoffen. 

©S mochten acht ©age oergangen fein, feitbem er feine grau oermißte, 
©er gelbßüter, ber bie ©egenb burchftteifte, hotte feine ©pur oon ihr 
entbecft. 

Stun faß bie Heine ©oetieS beim grühftücf, jupfte SBrob, tranf 3Jttl<h 
unb rief plößlicß jauch jettb : „£eut Stacht ift bie ÜJtutter an meinem 
Bettle gewefen." 

„$aft oon ihr geträumt?" fragte Slbam mit weicher ©timme. 

„©ie ifl wirflidh bagewefen," erwiberte bas Kinb unb fügte ßinju: 
„©ie hot mir auch was in'S Dhr gefagt." 

„2BaS bemt?" 

„©ag’ bem Sßaterte: oerjeiß’ ber armen SJhitter!" 

©ie Heine ©oelieS, bie Hug unb lebhaft war, hatte ben Auftrag nicht 
oetgeffen. ©ie erjagte: ,,©ie fDtutter hat mir einen bidfeu ©cßmafc gegeben, 
baoon bin ich aufgewacht, ©ie ift auch jum Brüberfe gegangen unb hot 
ihm fdßön gethan." 

„gft fie auch bei mir gewefen?" fragte Slbarn. 

,,©u haft gefdhnardht unb hofi bie 33tutter nicht gefeßn," berichtete bie 
Kleine wahrheitsgetreu. 

SBemt fidh Stethel StadßtS hereinfdhleicht, um ifjreÄinber an bieSruft 
ju brücfen, fo foff fte auch am ©ag ihre Pflichten an ihnen erfüllen, 
meinte 'SBädjle. 


2 * 



\S 


£jelcne Sooboba in Stuttgait. 


(?r (tiiisrte auf ibr Stouuuen. 

m er im ßettbunfet ber SKonbn«# ifere ©eftolt erfmtnte fltng « 
f r ... un x rief* °tefet bat ba§ fftadftroanbeln em @nbe, ®u bleibft ba. 

TOI« nwmmmmm Mett «e beiiammen unb fpta4«n «* 
gebämpSet Stimme. SBenn Bbam in bei Sttegung lautet amtbe, bat 
Seife ba3 @oette3le wa<f)t fonjt auf. 

Sie" teile lein H4t an|(tnben toegen iftret oenoeinten Busen. 

®le Sonne toitb no4 halb genug lommen," meinte fie, „bann lannft 
tmmbern, tote icf) Dcttüci^rtoft <ni§fd)flu. , , ^ 

4 Stt W mit nur, me ba« ®u » benn ben.m 9 ettmben? 
gtidjt fo weit Don fiter, borteu bruben tm 
"gw ber fiuft allein wirft ®u niefit gelebt feaben? 

"S bet mU U> «4t fall semotben 9t «mW« Mj «eb > «f»» 
beete;, ©n W * t *X>» mit an* tatofietn gebeult, bie «ob i4 mtt 

-* SrÄÄÄt 9 ebV W*» 

®„ bleib« mit ibm ba,” beftimmte Wtffc. „34 6«b’ mi4 
. " . ' uneebten Suben geioöfint, i(m (4iet n°4 net bem Suugertob 

«* “ b «C i in efeenet Sätet i(n «4t für «4 oetiangt, io mi« t« 
ita “t mi4 besten, unb et io« »ament n«4 «it Bbam Sodann ge. 
tauft werben. Äannft ifen §«unöt rufen. 

©raufeen roifperte ber ©ontmermorgen. mar fiifel tm gunmer, 

“ b S 2« M ta”w. te 'sil4e, m«4' Seuet, Sartft.«," fegte Btom nnb 
ioigte^ Tab« na4- «•-«■. fie «»4 ■*«* (tagen. • nagte 

Serbe lauerte nnb Soll ent|ünbete tmgte et «e 

föuuen." , ,. 9 „ 

ftafe ®u ben Stert arg gern gehabt ^ 

"Sein," erwiberte fie, „er feat mid) mttnefemen motten, t<$ feab aber 
«4t £ äUen roir un8 au ä) gerieben, gefeeiratfeet W er 

©icf) bod) nidit." 



De» große unb bet Heine 21bam. 19 

„Gr Ijatt’S geroöttt. Gr braucht’ eine ftattlidbe ^au, bat er gefagt, 
ich foflf mit ihm geb’n." 

„©er Ijeittofe ©Klingel! 311« ob man nur fo im ßanbumbreben 
eine §rau toegftfd)cn förotte, bie einem 2tnberen gehört." 

„Gr ^at ben Srief gelefen an ©einen greunb unb bot mir feil 
auch gejeigt. ©u ^aft brin gefdjrieben: 3<h bin febr fibel auf ber Steife 
unb hob’ auch manche« ^übfd^c grauenjimmer erroifdit. ©ie ©heemäbdben 
ftnb hier febr freunbttdj. ©ie flauen fd^ön gepult au« ben genftern 
betau« . . ." 

„©o, ba« bat er getefen unb ficb }u Stuften gemacht ?" fragte 2lbam erregt. 

„3a," erroiberte Sletbel, „er bat mir eingeblafen: ©djau, mie ber 
3lbam ©ir treu ift! Gr futfdiirt in ber SSelt herum unb fcharmujirt mit 
^beemäbdben. 5tann fcßon fein, er bringt fo ein Slnbängfel au« 3apan 
mit. SBenn er eine ©eliebte bot/ fo bift ©u überfliifltg." 

„’« ift wahr, ich hob' manche ©etegenbeit jum Mffen benäftt, weil 
id> halt leben«luftig bin." 

„3<h hob’ mich gegvämt, »weit ich fo »erlaffen mar." 

„©a bat ©idb ber fdjamlofe Sßidbt tröften motten, ©ei treu unb aufs 
richtig! SEBie bat er 1 « angeftettt?" 

„fjratf nicht, e« fönnt’ ©ir leib tbun." 

„3<b muß Sitte« roiffen — " 

„SBenn er mich angefeben bat, mar mir’«, al« ob feine Slugen fo 
funfein tbäten, mie bei ©ir. ©r bat mich »on hinten gepaeft, mie id) am 
fränfifeben #of jum genfter hinein in ben ©anjfaal gegueft bab’: 2Bir 
müffen einen ©djottifeben jufammentanjen, bat er gefagt, unb bat mich 
berumgeroirbelt, baß mir freier £ören unb ©eben »ergangen ift. G« bat 
mich bann febr gebiirfiet. 3<h mottt’ nicht, bab er ben SBein für mich 5®blt. 

. „3Ba« ©u »erjebrft, fommt auf meine Stecbnung," bat er gefagt. 

„Profit! Äannft ©ir einbilben, e« märe ber Slbam, ber jeftt neben ©ir 
; fiftt unb ©ir jutrinft."; 

3<h hob’ fo »iel $eimmeb gehabt nad) ©ir. Gr bat mich gefußt 
unb gefagt: „Äannft ©ir noch mal einbilben, e« büffelt ©ich ber Slbam 
, ab. 3<h bin fein ©tettoertreter." 

„©ie ©anjmufif ... Der 2Bein ... idb roeiß nimmer . . . mein 
Slut bat fo getobt. 2lm anberen Siorgen bab’ ich bitterlidb gemeint. Sieb 
©ott, ’« ift ja boch nicht ber Slbam geroeft, ber mich im Slrm gehalten 
bat, ’« ift ein frember SJtann geroeft." 

Sachte fühlte fich »on biefer naben Seichte beroegt unb faft ein roenig 
belufügt. Gr roottte noch miffen, ob feine $rau »on bem SWenfchen ©elb 
angenommen hätte. 

„Stein," erroiberte Stetbel, „er bat mir für ba« Äinb roeldbe« jus 
febieben motten. 3<b bab’ aber gefagt: ©er Slbam fdbidft mir fdbon, ma« 
ich brauch’." 



20 


geleite Spoboba tu Stuttgart. 


„63 jucft müh, meinem ©teEfoertreter orbentlich bie SWeinung ju fageu . 
2Bo ifl er bemt?" 

„gn’S Slnterifa. ©r fctjreibt mit jefct nimmer, weil er auf alle feine 
föriefe leine 9tntroort gefriegt bat." 

2lbam lachte unb pfiff bie SMobie eines malfdien Siebes. ,,©ing' 
mit, Slethet!" rief er übermüttjig. 

,M ®u, wir ifl nicf)t fo junt Singen!" 

„Slber mir. 3<h freue mich, bah ©u bem Rerl nicht nach Slmerifa 
gefolgt bift. 

geh glaub’, bah ©u mir boch anhänglich geblieben bift." 

,,©a8 ifl roaljr, 2lbam! g<h hob’ jeben Stugenblid an ©ich gebadet." 
„g<h mag ©id> auch noch. Stethel!" 

©ie flieh «new roilben greubenfdjrei aus. 

„gefct roafd) ©ir ©einen ©iiwarjbeermunb, ©u SSalbfrau, unb lamm' 
©ir ©eine gelbe SJtähne," fagte 9lbant, welcher ber Reinen ©oelieS beim 
©troachen jurief: „&eut’ früh ift baS 3Jiama(e bei mir geroefen." 

@r fab, wie baS Äinb glücffelig am £atfe ber -Kutter bwg. ©aS 
entfcfiäbigte ibn für manche bittere ©tunbe. @r ertrug auch ben Slnblid, 
Stethet um ben ©äugling bemüht ju feben. ©eitbem er ihn pflegte, 
lannte er jebe gatte in feinem ©efidjt unb fanb, bah er mit feinem 
breiten, f<hma|enben 3Jiunb einem jungen ©eeljunb jiemlid) ähnlich febe. 

gnbejfen öffnete bie ©obtengräberin einige nmrmftichige ©büren im 
©orfe mit ben;2Borten: „2lufgepaf?t! ©ie SRetbel ift beimgefommen!" 

©in paar gute greunbe liefen herbei, um nach bem Siechten ju febetu 
©ie munberten fich, bah man in ber Jtutfcberroobnung nicht baS ©eräufdj 
»om ÄleibevauSflopfen hörte. 3US fie in baS Stimmet traten, fafj baS 
©hepaar beim grübftücf, unb jcbeS non ihnen hielt ein Äinb auf ben 
Änieen. 

„ßerrjeb! ®a fifcen fie wie bie heilige gamilie aus Slajareth." 

„@8 fehlen nur noch bie frommen ©biere, bie mitbeten, unb ber 
©eHerfdjein, bann märe baS Jtrippenbilb beifammen." 

„©er ©etlerfchein müht aber fo grofj fein toie eine ©alatfchüffel, 
bamit er um bem 2lbam feinen ©chäbel paft." 

„Mächte, ©u foHteft Stäbroater gofeph heifeen." 

„Dber auch heiliger ©fei!" 

„SJtuht ©einem SBeib bie gucbtrutbe geigen." 

„5tomm in’S SBirthShauS, lanufl ©ich mit ’nem ©üffte tröften." 
„föängt ©ir ©ein 2Beib ’nen iöuben an, fo fannji ©u ©ir feil tooljl 
’nen Slaufch anljängen." 

©o hörte man bie rufticaten -Kenfchenfreunbe roirr butcheinanberrufen. 
Slethel gitterte unb uerfroch ft<h hinter bem Dfen. 

„Sßarfch, ghr Äläffer! geh brauch ©ure Stathfcfiläge nicht," |rief 3lbam, 
paefte bie ©röfier unb fdjob fie jur ©hür hinaus. 



De» gtojje unb bet Meine übam. 2 \ 

Stun berührte Um eine Heine $anb, unb (SoelieShen pfterte: „©djou 
nur, ’S -Dtutterl weint." 

„®ie ^tumpfädfe!" grollte abant. „Romm fyet, Stethel," tagte er 
freunblidj, „oerfteef ®ih nicht, bemalte ben Äopf oben. Romm’ ju mir, ih 
roiU bie ®orfföter fd^on jum ©djweigen jwingen." 


®er ©raf bewies feine ®^ei(nabme für Bäcfle, beffen Familie fih um 
einen Ropf oermehrt hotte, inbem er feinen ©ehalt ert»öt>te. 

Sföe oormals faj» er nah bem Seiten im ©toll auf ber gutterfifte 
unb beobachtete, roie ftdj 2lbam um bie golbbraune grepa bemühte. 

6r lobte ihn wegen feiner Umficht unb 9tuf)e. 3Jtan merte ihm nicht 
«n, baff er not Rudern ber #elb in einer gamilientragöbie gewefen. @r wolle 
ihm, )war nicht aus Ueberjeugung, aber hoch ju feiner Beruhigung feigen, 
bafe We begriffe über grauentreue in nieten Säubern, wie 2lbam ja aus 
eigener älnfdjauuttg wiffe, fehr terf «hieben feien. 

3fn afien unb afrifa wohnen Bölferflämme , welche eS für eine 
Schanbe erflären, wenn ihre grauen non ga|t freunblidj) aufgenommenen 
Sremben oerfhntäf)t werben. 

Sieger fagen: „©tiehlft ®u bie grau eines anberen, fo ifl eS gut, 
wirb aber ®eine grau geflößten, fo ift es fdjlecht." 

„©eil wohl," niefte Bähte unb wenbete ein: 

„®er £err ©raf finb mehr für baS ©pafjmahen, mein graule ift aber 
feine afrifanerin." 

„©ie ift ein gelb* unb Sßiefeitfinb." 

„2h ©ott ia, eS ift ein bummeS, gutes, herjigeS SBeiberl, unb ih 
hob* eS fo gemäht, wie ber alte ©iSbär, ben wir wo in einem 3^f)icrgarten 
gefehn hoben. 6r war blinb unb ift fidf» immer mit ben Pfoten über bie 
Sagen gefahren, als müfjf er fih ba was wegwifdfjen. $f)ränen hob’ ih 
an ihm feine gefehn. ®a war er in feinem Unglücf mehr £etb als ih. 
3h hab’ mir auh bie äugen gewifht, trodfen finb fie aber niht geblieben, 
ü* Hub übergefloffen wie bei ’nem alten SBeib. Unb warum? 2Beit mir 
fer gammet oom ©oelieSle, baS nah feiner Btutter gefhrieen hot, in’S 
4erj ’reingefahren ift." 

„Stun wirb fih ber h^fhe Blonbfopf beruhigt hoben?" fragte 
Garlos. 

„ga, nun fchfäft er wie normals an ber Bruft ber STOutter ein unb 
"•eint, bafj er auf einem gtaumtiffen liegt. Unb wenn er niht weit 
tawm was Hopfen hört, fragt ber ©heim: 

»Sttutterle, feaft en Ueljrte hinter’m ÜDtieber, baS fo tieft? 1 
»Stein, mein Rinble, baS ift mein $er},‘ antwortet bie Stethel. 
darauf baS SoelieSte: 

>®aS brauhft ®u jum Siebhaben?' 



22 


geleite Spoboba in Stuttgart. 

»Sowohl, jum Siebljaben,“ nidt bie SJtutter. 

,2Ben fiafl ©u bcnn lieb?‘ ©aS Äinb möd)t’ (Sinem bie ©eel’ aus 
bem Seih fragen. 

>® a § Materie unb baS @oetieSte,‘ antwortet bie Stetbel unb 
ftodt 

,Unb baS 33riiberle=23ubele,‘ ruft baS Äinb bittenb, baS an bem 
aitberen Äinb feine greub’ bat unb meint, es fei wie ein ©ngel oom 
Fimmel betuntergefallen, $n ©otteS tarnen mu§ man ben ©d)lingel halt 
gern buben, wenn man fo eine $ürfpre<herin ^at mie mein ©ödjterle," 
fibfob Slbam, inbem er binjufügte, bajj er ftdF» fo aufrichtig auSgefprodben 
habe, baran fei ber £err ©raf mit feiner freundlichen ©beilnabnte fchulb. 
©r roerbe SädbleS $anblungSwetfe nicht gut beiden, allein roenn au«b bas, 
was man fo ©bre unb ©itelfeit nennt, einen ©tob burcb ben Stebenbublev 
befommen hätte, baS &erj fei bo<b ganj geblieben, unb er müfjte heucheln, 
wenn er fagen wollte, er hätte bie Stetbet nimmer gern, ©ie wäre ja 
immer gleich gut gegen ihn gewefen. 

«S<h &itt’ um ©ntfdjulbigung, wenn ich mi<b not bem $erm ©rafen 
fo blojj jeige," fagte Slbant, wäbrenb ein Säbeln in feinen 9Wunb= 
winfeln fajj. 

©arloS gab ihm jurüd, es müffe wohl fo fein, bafj 33ä<blcä herj 
urgefunb unb gut geblieben fei. 

* * 

* 

3fn bem Keinen Stbönborfe ©inntbal Räderten noch (Erinnerungen an 
uralte ©agen fort, ©ie flüfterten in ben SBälbem unb in ben Jütten am 
$erbfeuer. ©ie Seute fannten im ©bal eine ,©ra<henroiefe‘, mit ,©runj* 
löchern' unb »Seuerfrötenlödjern'. ©ie fdbufen mit lebenbiger ©ittbilbungS; 
haft SJtärdbenbracben, welche faft fo auSfaben wie oorwelttidbe Äammfaurier. 
Sticht nur bie beibnifdbe Seit, auch baS SJtittelalter batte feine ©agenfcfjleier 
über bie ©egenb gebreitet, ©ie hafteten an bem 93afaltfelfen, auf 

welchem angeblich baS Srrfraut wuchs. ©ie flatterten um eine SBalbquelle, 
aus welcher, wie münbliche Uebertieferungen erjäblten, nach ben Jtreujjügen 
bas Jtameel einer morgenlänbifhen sjsrinjeffin getrunlen habe, ©ie ©ürfen= 
frau fei aus bem heiligen Sanbe bergefommen, um ihren treulofen ©eliebten, 
ben ©rafen oon ^enneberg, in bem Slugenblide wieberjufinben, als er mit 
einem fränfifhen gräulein ^ochjeit hielt. 

2Ber nun aus bem SJrunnen trinfe, fönne bie fchöne Rkinjeffin 
erlöfen. 

©ine gute SBefannte ber Stböner war aud) bas Sßopanjweible ober bie 
ißöbelsträgerin, welche Heine ©eifter unb Äobolbe in ben ©ad ftecfte. 

2Benn man bie fteinalte Srau genau betrachtete, fab man feine einjigc 
Stunjel in ihrem @eud)t. ©ie war jung, fchön unb ftrofcenb oon Sehen, 

©ie lachte unb fiifjte gern, war auch sum Steden immer aufgelegt. 



De* große unb ber Meine 2lbam. 


23 


Scfiafcgräber hörten ihr ©efidjer, wenn ite auf ber Sdhafweibe, wo früher 
ein ©urmerfelb war, beim ©raben oerroftete ßufeifen ftatt golbner 9JJünjen 
auö ber Erbe wühlten. 

©aS Sopanjweible fab im ©ebädjtniffe ber Sütnfhaler fo feft wie ber 
alte SJtarl- unb Dpferftein im ©hiingenwalbe, aus beffen dünnen einft Slut 
herabflob. 9htn trug er einen 9JtooSbart unb oermitt erte im ©eftrüpp. 
9ieue (Sitten unb SteligionSgebräudhe haben bie alten oerbrängt, uidE»t aber 
bie ißöbelSträgerin, welche ein ©rbftüct beS munteren, leichtlebigen unb gut= 
herjigen ffranfenoolfeS geblieben ift. Erinnerungen an alte Sagen tarnen 
immer wieber, wie alljährlich bie Slumen auf ben Sßiefen. 

deshalb fagte ber Pfarrer non Sinnthal mit einem na<^fi<^tigen 
Sächeln: „Sßie’S h a Ü fo geh*! ®ie ©inen glauben ju niet unb bie 2lnberen 
ju wenig." 

©a gab es einen Saum in bem obengenannten SBatbe, welcher ©eih* 
Eiche hieb- ©eine 2lefle redten ft<h in bet ©ide non jungen Suchen nach 
allen Seiten hin. @ie waren fnorrig unb wulftig. Qn bem narbigen 
Stamme gähnte ein tiefes £od). ©iefen taufenbjährigen Eichenueteran 
fchäfcten bie Sinntfjaler als guten greunb unb glaubten, bah in ihm eine 
wunberwirfenbe Straft wohne. 2ßemt man ein Keines Stinb bem Saum 
,an’S §erp lege', inbem man baSfelbe in ben hof)len Eichenleib hineinhalte, 
fo mühten Seihten unb Seelchen beS ÜJtenfdhenftnbeS gebeüjen, gefunb unb 
fräftig werben. ©aS war bie Sichtfeite ber Saumfage, ber aber auch eine 
©chattenfeite nicht fehlte. Eine Sdjwarjelfe, fo würbe geglaubt, oerlange 
ein Stinb als Dpfergabe, um Stranfheiten oon bem ©orfe abjumenben, reiche 
Ernten aus bem Soben heroorjulotfen unb Sünberfeelen aus bem Fegefeuer 
ju erlöfen. $n fdhlimmen 3eiten, fo glaubten bie Sinnthaler, höbe bie 
©eih*Eid)e mit ihrent weitoffenen ^ohlraum junger nach einem unf^ulbigen 
Stinblein. 

2Hs oor mehr als hunbert fahren eine Slatternepibetnie in ber ©egenb 
häufte unb ganje Familien bahinraffte, warf eine oerjweifelte ÜJtutter ihr lefcteS 
©elbftüdf in bie 2llmofenbü<hfe neben bem ©aufattar unb ihren Säugling 
in ben hofflen Saum hinein- 9JJan höre fein Stimmern, wenn ber SBalb 
raufcht, unb werbe es fo lange oemehmen, bis bie 9)tcnfdhen 2lUe weife unb 
gut geworben finb, oerfidhem bie Sthöner. 

28aS ber SKutter gefdhah? Sie würbe auf bem 2Bürjburger ©otnplafc 
als $epe oerbrannt unb ihre 2lfdf»e in ben 9Jtain geftreut. 9Jtit ihrer £im= 
ridhtung ift bie ftattlidhe 3 a hi non 900 Sranbopfern jur Ehre ber heiligen 
Jungfrau erreicht worben. 

Db bet Säugling im Eichenbaum beS ©hüngenmalbeS noch immer 
flagt unb weint? ©ie Seute, nicht nur bie alten, auch hie jungen, be= 
haupten ,3a‘. 

Eines ©ageS, als noch ber 9la<hfommer im ©hal lag, fagte SRetljel 
jum groben 9lbam: „3$ hött’ auch eine Sitf." 



24 


geleite Spoboba in f tuttgart, 


„So bitt’ holt, 2Beiberle." 

„©« wär* mit ein Anliegen, bafe mein SünbenKnb in bie De i^6i(§e 
hineinguden tbät’." 

„Sfefet fdhwäfe nicht non einem Sünbenfinb, e« fami nodb redht brau 
werben." 

„SMnfl Du?" 

„©« lann aber auch böf’ werben, ©freien tljut’« fcbon fo wie ein«, 
ba« feinen Stopf burdbfefcen will." 

„©« muß in ben ©eib=23au(f> hinein unb halb," entfdbieb Stet^et. 

„SBenn’« Dich beruhigt, fo madben wir nächften Sonntag einen Süchbe* 
Spajiergang in ben 2Batb ^ittau«, bamit Dein 2lu«gefcbau wieber fyett 
wirb," fagte 2lbam, ber mit feiner breiten &anb über 3tetbef« ©efidfjt 
fu^r, al« wollte er bie Stauer, bie auf bemfeiben tag, binwegwifeben. 

33is jurn nächften Sonntag waren noch fecb« Dage, unb an jebem 
hörte man ba« bette Sauten be« Sterbeglödlein«. 6« würben oiele Sttnber* 
färge auf ben $riebljof hinauSgetragen. Die Schule war gefdjloffen, benn 
ba« Sdbarlacbfieber frodb faft in jebe Sehmljütte hinein unb tiefe Süden in 
ber Äinberfdbaar jurüd. 

Sietbet jitterte um ihren Siebling, bie Keine ©oelie«. ^eben -morgen 
fab fie ängfttkb nadb, ob fidj nidbt rotbe Rieden auf bem „Srüftele" jeigten. 
„Herrgott, ftraf midf nicht!" ftöbnte fie. Sftr Schlaf würbe unruhig unb 
oon ferneren träumen betaftet. 2Benn jie Slachmittag« ein paar -DKnuten 
am 9täbtifcb fafe, fprang fie plöfclidb auf, oon quätenben ©ebanfen gefdbeudbt. 
Sie fudbte ii)r Stinb, welche« auf ber Dorfftrafee fpielte, unb trug e« in 
ba« $au« hinein. Sliemanb foHte ba« S<hä|le holen! $bre Unruhe 
fleigerte fidb, al« bie Dobtengräberin oerfidberte, bie -Diatefijfeucbe warte 
nidbt auf offene Spüren, jie fdfetüpfe fetbft burdh Sdbtfiffetlödber herein. 

3n ber Dämmerung fanten einige Sladbbarinnen unb jammerten 
Jtetbet oor: „©eftern ifl ein« begraben worben unb beut wieber, unb wer 
wirb morgen in ba« Keine, frifdb aufgewühlte ©rabeälödbte gelegt? Die 
Stäujte fdbreien jebe Sladbt. Die Straden (Siaben) frädbjen unb fliegen bi« 
an bie Käufer hin. Da« fßopanjweibte läuft audb wieber herum mit 
einem grofeen Sad, um bie Stinber fortjutragen." 

„ßerrjeffe«!" SRethel bebedte ihr ©efidbt mit ben Rauben. 

SSer hotte juerft gefagt, bafe bie Deih=@idhe wie ein offene« ©rab 
barauf warte, ein Dpferfinb aufjunehmen? Die grauen flüfierten unb 
raunten: 

„68 war* aber bodb eine grofee Sünb’I" 

„2Bie man’« nimmt. Der liebe ©ott hot feinen Sohn bodb audb für 
Siele geopfert." 

„Die 3Jhitter, bie’« thut, fommt an’« ©eridbt." 

„Unb wirb um ’nen Stopf fürjer gemacht." 

„68 wirb feine fierben wollen." 



Det gtoge tttib ber fleine 2lbam. 25 

„Saturn benn nicht? geh fterb’ ja bodj mit, wenn mein Goeliesle am 
Scfjarladj ftirbt." 

„®ie Sietbet ift 'mal ©ne. ®ie tbät’S." 

„®aS ißopanjweible würb’ oor ihr baoottlaufen, nnb bie Äinber 
träten bableiben." 

„gefct wollen mit ein SSaterunjer beten unb brei SM jagen: Unb 
erlöfe uns oon allem Uebell Unb brei SM ben Slofenfranj burdf) bie 
ginger laufen taffen . . ." 

Slbam trat herein unb fdieudite bie „Stracfenroeiber" auf. ®ie 
fürebteten ft<b oor ber ®unfelbeit ber ©orfftrnjje unb jogen in gefdfloffener 
beerbe oon bannen. 

Sietbel in berfelben Stacht bie weif? unb rotf» geftreiften Storbäitge 
beS Himmelbettes auSeinanberjog, flüfterte fie ibrent SJianne mit erregten 
•Xugen 3 u: „GS ift mir jo, als ob «b ben Hannöt wegtbun foUt. GS ift 
bodj nicht ®ein Äinb, 9lbam. ®a$ quält mi<b jo. Gr jebaut jo fremb aus." 

„Sie halt ein gtalienerfinb auSjdjaut." 

„®ie Seut* buben gejagt, ®u fönnteft mich oor ©eridjt oerftagen unb 
®id| oon mir jdjeiben taffen. So müßt’ eS nach bem ©ejej} fein." 

„GS mufi nicht fein. ®u bift mir lieber als baS ©efets." 

„2lber ber 33ub? . . ." 

„®er ift 'mal ba unb bleibt ba. Gr ijt ja auch ®eüt ßinb. 3<b 
werb’ ihn fd^on emäbren fönnen unb noch ein paar anbere baju." 

®er Sonntag, ben Stetbet mit fieberhafter Ungebulb erwartet batte, 
fiel auf ben erften September. 3n bem engen Jhate, burdf wel<beS ber 
bitte Sinnbadb rafdj babinfliefjt, waren bie SJlorgen* unb Slbenbftunben 
fdjon recht feifdh- 2tuf ben Siefen gitterte ®bau unb tropfte auch oon ben 
Säumen berab. ®aS gab ein luftiges ©tigern, wenn bie Siebet ficb jenften 
unb bie Sonne ooQ betabfdjien. 

®er Pfarrer, welcher blumenreiche SluSbrücfe liebte, oerglich bamt baS 
„Simttljäle" mit einem geöffneten 3uwelenfäflchen. 

Sie baS GoelieSchen Heiner war, wollte [eS bie bunten ®bauperten 
pflflcfeu. Slun wufjte baS ftinb, bah fte gerabefo gerfliefeen wie Spänen. 

„Sarum weinft ®u benn, SÄutterte," fragte es Sonntag früh, als 
Sietbel ftbwermfithig am genfter jaft unb bie Haube im Sdioofee) faltete. 

„GS ftnb halt Sorgen, Äinble." 

„Slber warum benn? Sir gehn ja bo<h heut in ben Salb . ." 

„3a ... ja ... wir gehn in ben Salb . . ." 

„®er ißater bat gejagt, wir nehmen Seelen mit unb SSutter [unb 
Ääf unb baS 93rüberle 33ubete." 

„®aS bat noch 3eit . . ." 

„®aS werben wir gleich haben. So jagt ber SBater immer," er= 
uwberte GoelieSchen fchelmijcb, Hetterte auf einen Stuhl, hatte bie SSorrätlje 
aus bem Sdjranl unb paefte fie mit gefdiäftiger Gite in einen Jtorb biuein. 



26 


fielen* Suobo&a in Stuttgart. 


„©u bift wirtlich ein gefdjidte3 .§au3ineierte," fagtc SRet^cC unb 
tadelte ein wenig. 

9iacE) bem SUHttageffen meinte 2lbam, man rnüffe fi<b nun auf ben 
SBeg machen. 

91(3 Sä<ble3 bur<h eine ©eitengaffe be8 ®orfe3 jagen, ftanb Se*nanb 
hinter einer ©bfo, winfte unb rief: „©riif? ©ott, heilige Samilie!" 

Setbel mürbe glutbrotb unb jog rafdj bie Sorbänge beS Äinbermagen3 
ju; fie wollte ba3 fdjmarje Äöpfdfien, me(<be3 barinnen lag, »erfteden. 3fm 
2Balbe atfjmete fie freier auf. 

„9l<b, ba8 tbut wohl," fagte (te, al8 ein lauwarmer Dftwinb an ihrer 
©time uorüberftrid). 

®ie £roeige ber Säume bewegten fid) leife. &elle ©djmetterlinge 
freujten ben Söeg, unb ©id^ta^en fletterten munter umber. @3 fprangen 
au<b Quettbädje wie nerirrte Jiinber burdj ben balbbunflen ^ocbwalb. 
©oelie3d)en jubelte, wenn 3lbain ©teine in ba3 plätfdjembe 9Baffer warf, 
batnit fte wie eine Sadjftetje barüber fefcen fönne. ©in großer Safaltblod, 
welker ber „wilbe SBeibftein" Ijicfe, biente al3 ©ifdj. $ier würbe bie 
Qaufe eingenommen. 

Siegel ermunterte fid) unb nahm ©heil an bem fröhlichen, au3= 
gelaffenen Treiben ihres 3Jtamte3 unb ber Keinen ©oelie3, mürbe bann 
aber füll unb wie in ftd) nerfunfen, al3 fie bei ber ®eil^@i<be 
anlangte. 

©er mächtige Saum warf einen breiten, non bellen Sidjtpunften burdb* 
flodjtenen ©hatten auf ben 2Balbboben. 

„©in bifjle bler im 9Jloo3 binboden," bat Sietbel. 

„Sßäbtenb fid) 9(batn an ihrer ©eite nieberliefj unb ©oelie3 nadj 
Seeren au3lugte, fing fie nadb einer SGßeile an: „Seht jammern uiele ßWütter 
um ihre ftinber brunten im ©orf. S<b bab’ fo 3lngft, ber ©harladj fönnt 
au<b ba8 ©nelieSje paden." 

„9Birf ©eine 9tagfl in ba3 ©ihenlod) hinein," rietb Slbam. 

„Sn bie ©eifcßi <be Ijinein ? ©ie will wa3 9lnbere8, bie miß ein 
itinb haben." 

„©laub’ bod) ben Unftnn nidjt." 

„©<bau bocb bin, ber Saum ftebt f<bier fo ba wie ein hungriger 
Settier." 

„©u baft einen Swang im Äopf, anne3 2Beib." 

„®en Swang baten in ©inntbal Siele, ©eit, ba3 Sod) im 5E)eit>= 
Saudb ift feljr tief?" 

„©3 bat’3 nod) feiner au3gemeffen." 

„Sor bunbert Sab*, wie bie fhwarjen IJfedfe fo im ©orf gehäuft 
haben, bat eine ÜJtutter ihr Äinb geopfert, [wie e8 au<b in ber Sibel ftebt, 
bafe Slbraham bereit war, feinen ©oljn Sfaaf ju opfern," fagte fRetbel unb 
ahmte in gefdjidter Sßeife ben ©onfall be3 Pfarrers na<b. 



Der große unb ber Meine 21b am. 


27 


„©a$ ift ein heiBofer 2B>erglaube," wiberfprach Sädile unb fügte binju: 
„6$ wirb fi<h feine SJlutter in <Sinntf»aE fänbeit, bie ihr Äinb bergiebt." 

„©er liebe ©ott wiü’S, ba& ich mein ©ünbenfinb opfern tbu, bamit 
ba$ ©»elieSie gefunb bleibt," faßte Sietbet, inbem fie fi<h erhob. 

©ie hielt ben Keinen 2tbam auf ben 2trmen unb fdbritt bem Saume $u. 
Sachte fprang mit einem Stucf in bie £öbe, rifj baS Äinb an ftdj unb 
hielt es mit ben SBorten: „Äfeiner ©eehunb, iefct ntufj ich bie Sorfebung 
für ©ich fpieten, fofljt gefunb bleiben unb bunbert Qatir ott werben!" in 
bie &öbtmig t>er ©eib=6iche hinein. ©amt fchob er ben SBagen, in welchem 
ber fdhroarjhaarige Äopf beS Keinen 3tbam neben bem btonben feiner ©chwefter 
(SoetieS ruhte, mit Kräftiger &anb bem ©orfe ju. 

„Sei ®ir ift es im Äopf nidit richtig, graute," rief er Stethel an, 
welche wie im Sladbtwanbel nebenher ging. 

©ie fraBte mit »erjweifelter ©eberbe bie $änbe in einanber unb Kagte: 
„63 wirb fdion no<b bie 3«t fommen, wo ©u ©eine ©üte bitter bereuft." 

6r fdjüttelte ben btonben Shmbfopf unb fagte: ,,©u bift boct) eine 
gute SJlutter? ßaft ©ich früher wie eine güdjfin ©ag unb Sladft im 
'ffiatb herumgetrieben, um Staats ju ©einen Äinbern ju f (bleichen. gebt 
roiHfl ©u ben armen Suben im hohlen (Siebenfach »erhungern taffen. £aft 
Du ihn benn nicht gern?" ‘ 

„Unfer Äinb hob’ i<b lieber," erKärte fie. 

SttS ftdh am barauffotgenben 3l6enb wieber eine fßroceffion »on SBeibem 
in Sewegung fefcte, um mit Siethel bie ©euche wegjubeten, »erfperrte ihnen 
S5bam2 breite ©eftatt ben 2Beg. ©ie fragten ihn, warum er fo „hopotatfdfig" 
auf ber ©bürfcbwetle flehe. 3tbam erwiberte, er woBe eine -Blauer gegen 
abergläubige ©ummheiten fein. 

©ie grauen »erfudjten ihn auf bie ©eite ju fliehen, ba er aber nicht 
nxmfte noch wich, trabten fie »on bannen, um ihre Stnbadfjt in einem 
anberen &aufe ju »errichten. 

„2Bir hoben ©eine grau tröften woBen, unb ©u hoft eä »erhinbert, 
^tumpfad!" rief ihm beim Stbjug bie ©obtengräberin mit ihrer Slaubooget 
jtimrne nach. 

„@eht heim, gljr Siappelföpfe! SBerb’ bie Siethel f<hon felber tröften," 
gab Säcbte jurücf. 

SBenn fein 2Beib am geierabenb »erbüfiert in einem SBinfet ber 
Stube fajj, legte er feine 3rtt)er auf ben ©ifch, rief baS ©oelieächen herbei 
unb fang Sieber, bie er mit ben näfelnben ©önen ber „SBehmuthfchadftel" 
begleitete, ©o nannte nämlich Sädjle bie 3itf>er. ©ein itinb fdimiegte 
ich on ihn unb »erfuchte mit feinem helfen Slmfelftimmcben bie Sieber nach 5 
»fingen. Sietbet »erhielt ficb fo ftiB babei, bah 9lbatn fte öfters anrief: 
„graule, bift ®u ba?" 

„2Bo wetb’ id) benn fein?" erwiberte fie mit umflorter Stimme. 



'28 £?eUtte 5t>oboba in Stuttgart. 

2ttt ihrem ©eburtätage im 9 tooeinber legte et neben bie B^ber eine 
ruitblidbe SBeinflafcbe auf ben ©ifdj. 

. „®en Socfsbeutel wollen mir auf ©eine ©efunbbeit trinfen, ba 3 @»e= 
lie8le friegt audj ’nen gingerbut oott," rief er fröhlich unb gojj ben berjts 
fteingelben Branfenwein in Secber ein, bie er beim ißreigfdfnejjen gewonnen 
batte. 

@t leerte ben feinen auf einen 3 U 3/ umfaßte SUetbel unb wollte fie 
im 2 BaljerfcJ)titt berumwirbeln, Sie machte fab oon ifan I08. 

„B<b tanj’ mein Sebtag nimmer," erflärte fie. 

„Beb b«b’ boef) früher eine luftige Brau gehabt V" 

„SBirft ©ich fafa au eine 2lnbere gewöhnen infiffen." 

„Bum ©rübfalblafeit war’ nip ba, mein id), ber oerflipte ©(barlad) 
hat fidt) über bie beffifdje ©renje gemacht, ba§ ©oelieäle ifi gef unb geblieben, 
jebt ift bo<b 21 lieg gut." 

„2lein," wiberfprad) fie, „ber Sub’ ift bö§. 3 $ erfdirecP immer, 
wenn er ©ir mit feinen Krallen in’8 ©efid)t ’neinfabrt." 

„ 21 — ba! ©a§ thut er nur junt Spielen," meinte ber grofje 3 lbam 
gutmütig, „e8 fallt’ halt itob fo ein Kampfbahn fomnten, wie er einer ifi." 

©iefer SBunfdj ging ni<bt in ©rfüllung. ©8 famen im Saufe ber 
Bahre no<b jwei Stäbchen auf bie SBelt, ba§ „Katbrinje" unb ba£ 
„©ortheje". Sie hatten blaue 2lugen, unb non ben runben Slonbföpfen 
war einer fa bell wie ber anbere. ©a 3 feien ec^te 2lbämle8, meinten bie 
©eoatterinnen, wel<be über baS Seben ber Bamilie Söäd^le genau Such 
führten. Sie fanben, baß ber fleine 2 lbam in biefen Krei§ ebenfaroenig 
hineiupaffe, wie ein fdjwarjer fyled auf ein weifjeS 2ütartud). 

Gr füllte bie Kutfdjerwobnung mit Särm unb Seben, fnallte mit feiner 
3 ßeibnadjt 8 peitfd)c, ließ fein böljernel BPferbd^en übet bie ©iele faufen unb 
fablug e8, wenn e§ umfiel. 

„©aule ©feie fein!" brummte er babei jomig. 

„&annöt ©feie fein, weil er feinen ©aul nicf)t gefdndt lenlen fann," 
beinerfte Sädjle. 

■Jtun wollte ber Kleine ftatt be 3 fteifen £oljpferbe8 ben feifien Kater 
„Summer" einfpannen. ©iefer bulbete aber auf feinem biden Bell feinen 
3ügel, fdjüttelte ihn ab, unb al8 ber fleine 2lbam ihn troßbem in ben 
Seberrienten bineinjwängen wollte, fragte er beffen ^ättbfaen blutig. 

3 ur Strafe würbe ber biefe Kater oon £>annöt über Jben ©ifd) unb 
über Stühle hinweg jum offenen genfter binau8gepeitf<bt. 

„Söarurn fablägft ®u ben Summer?" fragte Sädjle, welcher jum 
Se8perbrot fam, ba8 erregte Kinb. 

„@r ift fo butnm unb läjjt fid) nicht onfdjirren," antwortete biefas. 

„Sei ©u gefdjeibt. ©er Summer will nur Kater unb fein ißferb 

fein." 

,,©r will bö8 fein, ©r bat mich gefragt." 



Der große uttb ber fletne 2 Ibam. 


29 


„SBeil Du ihn nicht fatermäfeig bebanbelt fyaft. 6r will oon ®ir ge= 
ftreübelt unb hinter ben Dferen getraut werben. ©u mufet ihn lieb buben, 
bann roirb et ©ein guter greunb fein." 

w ®Kt bet fßeitfdbe liebtyaben'?" fragte ber ©<helm unb tiefe bie ©<hnur 
luftig tanjen. 

„■Nein, ohne fßeitfdbe," erroiberte 33ädf)le unb fperrte biefetbe in ben 
©dbraitf ein mit bertt Semerfen: 

„®u barfft ©biere nW&t fdjtagen. ©ei gut gegen fie, bann werben 
fte ®ir 9U<bt8 tljun." 

®a8 Sürfdbcben beamtete biefen 3tatfe. @3 roat geteEyrig, aber juweilen 
auch iäfynnnig wie ein wilbeS Steffcfyett. 

©ent Keinen 3tbam fd&ien an ber ©unjt feinet <Pflegeoater3, ben er 
„Zerrte" nannte, (ein itofenamen, ben bie Sttjöner ftatt Säterdben ober 
©rofeoäterdben gebrauten) mehr ju liegen, als an ber feiner 2Rutter, bie 
et fdberjweife 3Rufe! rief, inbent er baS SriiUen ber „©<becE" nacbabmte. 

©r butte eine oerfdbmibte 3lrt, bem Sädble jwifdben bie Seine ju Wecken, 
io bafe biefer itjn bemerfen ober gar über ifyn ftotpern mufete. Dann fyob 
et iEyn in bie $öbe mit ben SBorten: Kefet fannft fliegen! worauf ber 
Steine belle Subelrufe auSftiefe. 

©r war immer hungrig unb fuchte beim Zerrte na<b Srob* unb Säfe- 
teften, juroeiten auch nach „Rreujerle", bie er in beffen fjofentafeben fanb. 
Die nafem er an ft<h, um ft(b bafiir ©feroaaren ju taufen. 

„Da« ftibifet ja! gieb ihm eine ©ahe!" rief Stetbel ihrem SJtanne 51 t, 
wenn fie baS gingerfpiet beS SinbeS bemerfte. 

„©er wirb mal ©afdbenfünftler," ladöte Sädfte unb fdfylug ben Snaben 
nidtf, ber ifem auf ©<britt unb ©ritt nadjlief. 

©er Keine 2lbam hingegen fanb es nüfelidf), fein jüngeres ©dbwefterdben 
mit einer SBeibenrutbe jn ftreidbeln, bamit es fdfjreie. ©r mar offenbar 
jtotj barauf, bafe er bie SJtadbt befafe, Kammertöne aus einem menfdblidben 
SBefen berauSjulocfen. ©oelieS, welche bereits ein oerftänbigeS $uu3* 
mütterdhen mar, fprang jur ftitfe herbei, nahm baS weineube Stinb in bie 
Ärme unb erKärte bem Keinen 2lbam: ,,©u barfft baS Sdhroefterte nidht 
plagen!" 

„K<b barf. ©aS sperrte hat gefagt, idh foll ©biere nicht fdhtagen. 
DaS ©ortbeje ift fein ©hier," erwiberte ber ftnabe trofeig. 

„’S ift ein arin’S 2ßürmle unb hat ©ir geroife nij gethan." 

„es bat meinen ©ummiball genommen, unb wie idh ben buben wollt’, 
hat’S nadh meinem ©dhopf gelangt, brum bab’ idh’S geftraft." 

„®u bift mal einer! Darf man ©idh benn gar nit anrühren?" 
„Du barfft midb anrühren," erttärte ber Keine 2lbam gnäbig, ber 
mit eoelieS in einer ©tube fdhlief unb oon ihr gepflegt tourbe. 

er mar ihr anhänglich unb wollte audh „©hierteS" gern haben, um 
oiele gute unb gefällige greunbe j U gewinnen, wie baS &errle fagte. ©arum 



30 


Helene Spoboba in Stuttgart. 


madjte er einen Serfud, ben roUben Kater ju oerföhnen, ber not if)in mit 
erregt judenbent ©dwanje baoonlief. 

2TIs Summer im ©raSgarten in ber ©omte faß unb fdläfrig blinjelte, 
fprang ißn ber Heine 2lbam an, padte mit ungefdjufter Äinberljanb bas 
geftreifte $ett unb mar feßr empört, als fein SiebeSwerben mit Stauden 
unb auSgeftredter Tratte erwibert nmrbe. Gr beHagte fid barüber bei 
feinem ißflegenater, unb biefer rietf) ißm baS ©hier ju füttern, bamit es 
banfbar unb anhänglid werbe. 

©er Knabe fdleppte ein ©cf)üffe(df>en mit 9Md in ben J&of. ©er 
Kater fam, tranf, fdledte fidb ben Sart unb roenbete banad feinem SBolfl* 
thäter ben Bütten, um mit iüfternen 2lugen bie Sewegungen einer ©paffen* 
gefellfdaft ju beobadten. 

„ffiiüft nip non mir wiffen," rief ber Heine 3lbam unb ftampfte mit 
bem §uß. 

©er Kater faß unb hörte nur bie Sögel, bie mit ©efdjrei jroifden 
bem ©adie beS KutfderbaufeS unb einem Sirnbaume t)in* unb iierflogen, 
für fjannöt fjatte er feinen Slicf übrig. ®a geriet biefer in heftigen 
3om unb gab bem breiten Süicfen beS unbanfbaren Katers einen fräftigen 
Fußtritt. 

„©er Summer ift ein falfdjer gteunb," erflärte ber Heine 2lbam, 
als er non Sädife aufgeforbert nmrbe, ben „SartfjanS" rüdfidtsooller 
ju behanbein. 

„&at er ©idj beleibigt?" fragte ber große 2tbam mit gutmütigem 
©pott. 

„$d h«b ihm Diiid) jum ©aufen gegeben, unb er hot fo gethan, als 
ob er mit gar nit fehen tat." 

„Jöenn ®u ein 3J?äuSte warft, hött’ er ©id gewiß nidt überfehn." 

„®ann hött’ er mid gefangen unb mir ben Kopf abgebiffen. ©o 
madt er’S audj bei ben SögeleS. ©er Summer ift ein fdtedter Kerl, id 
werf ihn tobt." 

,/JZidt fo wilb," warnte 2lbam. 

GineS ©ageS fam ber 9JiülIerburfde ju Sädjleö unb bemerHe ladenb, 
er bringe ihnen eine ©rauerfabne in’S $auS. 

„®en Saig fauft Gud ber GiSfelbS ©dntul ab, unb baS gett fönnt* 
3hr in ber ülpothefe anbringen," rief ber ©dtingel. 

Gr trug eine ©tange, non beren ©piße eine Katerleide fdlaft unb 
triefenb herabhing. 

®ie höbe er foeben bei ber ©dleufe aufgefifdt, beridtete er unb 
fügte hinju: 

„Gr fdaut jeßt nimmer fo bürgenneiftertid) aufgeblafen- aus, ’S ift 
aber wirf(id) Guer Summer. ®ie ©eoatterin will ihm bie SWadrebe holten. 
Gr beutete auf bie ©obtengräberin, weide herbeigefommen war, um ifrre 
Seugierbe im Sadbarhaufe ju befriebigen. 



Der große unb ber Meine 2lbam. 31 

Sie jioinferte mit beti Silugen unb meinte, ber Säd)te f>af>e if>r ja 
l'4on manchmal mit einem Schlurf wohtgetljan, fie wolle ficf) ftärfen unb 
bann Stilen, wa« fie wiffe, erjähten. 

' SSbam brachte SBein. ©er Stütterburfdje hätte um einen fotdjen 
Iropfen am liebften ieben ©ag einen Kater au« bem Sinnbach gefifdjt. 
©ie ©obtengräberin neigte fi<^ ebenfalt« biefer Slnfidft ju. @f>e fie tränt, 
oerbeugte fie ft<h breimal »or bem Starienbilbe, ba« in einem SBinfct be« 
Simmer« au« einem Sucfe«baumfran 5 tjeroorfat). Sun wollte fie mal to«; 
legen, rief fie mit funfetnben Stugen. 

„Guer $annöt ift aud) babeigeroefen," begann fie. „Gr unb nod) ein 
paar Suben höben ben Kater im Sinnbad) haben motten. ©a« fjat bem 
jjerrn Summer nirf)t besagt. Gr hat fein Sebtag lieber SUlitd) at« SBaffer 
gefdbtecft- £ab’ mir oft gebaut, bie Säd)te« muffen roa« übrig haben! 
©er Kater fpajiert mit ’nem Säuchte rum, at« mär er 4?odjroürben bei- 
den: ?franji«lanerprior nom Kreujberg broben unb tt)ät eine Sierbrauerei 
> beit&en. 9tdj roie fdjab’ um alt bie fdjöne Stild), mit ber ftd) ber Kater 
, »ie gähn’ au«gefpütt hat!" 

„©obtengräberin, thu’ hoch nicht fo, at« ob ©u eine iDiitdjtrinferin 
i roärft, f»aft fie ©ir fcfeon lang abgewohnt," roarf 3lbam bajnnfdjen. 

„■Bon ber SJutterbruft feer, ba« mar bie lebte, bie fie gefdjmedt hat," 
meinte ber Stülterburfche (adjenb uub fügte nicht ohne ©utmütfeigfeit feinju: 
„üttte SBeiber meinen halt/ bafe fie mieber jung merben, roenn fie Beben«; 
roajfer fchlucfen." 

i „SBart ©u! Safe auf, bafe ©ir ©ein Sdjafe bi« jur Kirchweih treu 
I bteibt," brohte bie Sranntweintrinferin. 

„Stach’ weiter! £at ber ^annßt ben Kater in’« SBaffer geworfen?" 
| brängte Setfeel, welche nor Grregung unb Unmut!; jitterte. 
i „Steine ewige Seligfeit mö<ht ich wegen einer Unwahrheit nit oer« 
■ tubwebetn," erwiberte bie ©efragte, „wenn ich recht gefeljn hab’, fo war’« 
i lein Sub, ber bem ©hier ben lebten Stofe oerfebt hat, wie’« noch ntat 
an’« Sanb fchwincmen wollt! ©er £ofbauer« ©mit unb noch ein paar 
Ütnbere haben mitgeholfen. 

„SBa« macht 3hr benn borten, Shr &altobri!" hab’ ich ihnen über"« 
iiaiier ’nüber jugerufen. 

„2Sür haben ben Sachte« Summer," hohen fie mir 'rüber gefdjrieit. 
i „©er Sinnhach ift bod) fein Kafeenbad), 3hr Schlinget!" 

„Steffer, ©abet, Söffetftiet, atte SBeiber fdjwäfeen riet," hohen fie mir 
at« Antwort »orgejobelt. 

Sach ’net SBeit fugett wa« mit ’nem Sdjwanj unb tüer Spfoten an 
, meiner Sßerfon oorhei, fo g’icfeminb, bafe ich nur noch hob’ freien fönnen: 
| rfbje! Summer, jefet hift geweft!" 

» „©ott fei ©auf!" fagt bie Scfeneiber« Sie«, bie bahei war. „ffefet 
i fann er ft<h nimmer in meinen ©arten einfdifeidjen unb mein ©eftüget ftefeten!" 

«Olt. Mi* ©ub. XOT. 274. ’i 

f 



32 


tfelene Sooboba in Stuttgart. 


„gefet, Siel, feit manu ftaft ©u beun ©efeiigetl" 

„©eitet fo niete Spaten ba finb, bie braudfe’ id) für meine ©uppen." 
„©eit, Sädfee, ba gucffe! ©ein Summer mar ein ©urdjtriebener, unb 
©ein Sub," bie ©obtengräberin roanbte fi<fe an atetfeet, „ift ein SBitber, 
ber fict) nir gefallen täfjt. 3teu(idj mal ift er bei mir im ©arten geroeft 
unb fietjt im Stegenfafe eine Siene jappetn. ©r fifd^t fie beraub, weit fein 
.fjerrte gefagt bot, man foH ©feiere freunbtid) befeanbetn unb, mann fie in 
9totfe ftnb, ihnen audj helfen. 

©er £annöt ruft: ,,©ag £onigfräu(eiu trag’ ich jefet in meiner bohlen 
&anb biö jum Stumenbeet." 

ÜJtit bent ttjut er f<bon einen mitben ©cfrei unb jammert: ,,©a8 um 
banfbare Sieb bot mich geflogen !" 

„Safe eg fortftiegen," ratb’ i<b i^tn. 

„9iein," fagt er, „jefet Ijab’g tobt gebrücft, batnit’g nimmer ftedben 
fann." 

„Son wem bot er benn bag feibige Stut? Son ber Jictfeet ein bifete, 
— nont 2tbam nit. ©a mufe fcbon roet anbetg bran fdjutb fein," fefetofe 
bie ©obtengräberin, teerte iljr ©tag big auf bie 9Jagelprobe, futjr fub mit 
ber $anb über ben roelfen 9Jiunb, oerbeugte fid) oor bem 3Jtarienbilb unb 
ging, um neuefte 9iad)rid)ten burdb bag ©orf ju tragen. 

©er SRütterburfdje moiite bie ©cfeteufe an ber 9J?übte fc^Iiefeen unb 
feinen ©<feafe beim 2Bafferfcfeöpfeu am ©innbadb treffen. 

„Slbje, grau Sachte," fagte er, „ber Summer liegt neben ber &«ug; 
ftaffet, aber lebig roirb er nimmer." 

ketfeel meinte fo heftig, bafe ifjr Körper ooit frampffeaften Seroeguttgen 
erfdfeüttert mürbe. 

„£ab ©i nit, graute, ’S ift bo<b nur ein Kater gemefen," fucfete 
2tbam fee 5 « tröften. 

„©eil mofet, aber ber fjanuöt ift ein roitber gtatienerbub’, ich mag 
nip mehr oon ihm miffen," fdjtudijte fee. 

„©ann mufe ich mofet ein guteg 2Bort für ifen entlegen," meinte 
Säcfele unb fügte binju: „gcfe fag’g grab feeraug, id) mag ben brottigen, 
anfeünglicfeen Kerl gern (eiben, eg tfeät mir mag fefeten, menn er nimmer 
im .foaug mär." 

Stetfeet roifdjte fecfe bie ©ferätien aug ben Singen unb enoiberte mit 
geprefeter ©timnte: 

„2JJir bangt jeben ©ag, mag roirb ber Sub’ feeut anftetteu. ©g 
gnätt und), er tonnt fid) auf feinen Sater ’raugroadifen, ber feat and) bie 
3tugen fo roitb anfgeriffen, menn er im gähjorn mar, mie ber ^annöt. 
Safe auf, Stbam! ©er liebe ©ott feraft ntid) burdi ifeit unb ©id) mit." 

„©aoon ift mir bigfecr noch 9iid)tg befannt gcmorben," meinte 
9lbam. 



Der grofje unb bei fleine Zlbam. 


33 


Siun mürbe Me ®t)ür Saftig aufgeriffett. ©in fcfjöne^ Kinb mit 
bunlien Sfogen uttb paaren, roel<f»es lebhaft rote ein ©idjfalcfjen mar, 
fprang herein. 

„©a baft, Kerrie," fogte &annöt mit ungetrübter, froher SJtiene unb 
hielt 9lbam eine ^attboott Stabenfebern bin, bie er jur Steinigung feiner 
©abafSpfeifen befonberS fdbäfete. 

Säd)fe nahm bie Gebern mit einem rooblroollenben Säcbcln, ftrid) mit 
benfelben über bie meinen, rotben Kinberroangen unb rief: „So fcfjaut ein 
böfeS ©eroiffen au£!" 

&annöt ging ju feiner ÜJtutter, bie ben Kopf jur Seite roanbte unb 
nä) mit ber $anb über baS ©efidit fuhr, als wollte fie ein $nfect oer= 
f<beu<ben. ©r fümmerte ftcb um biefe abroeifenbe Seroegung nidfit unb bat, 
fie möge ibm ein paar bunte Sappen geben, er unb feine Kameraben 
wollten ffabnen barauS madjen für einen Bittgang. 

3m Sommer jogen juroeilen iproceffionen burd) baS Sinntbal, um 
für ba£ ©ebeiben ber ffelbfrücbte ju beten. 

®ie $eit ber ^Bittgänge fei noch nicht gefommen, meinte Sädjle. 

„®o<b," bebarrte ber Kleine, „wir roollen ben Summer begraben unb 
ben lieben ©ott bitten, baff er ibm ein Stähle im £bierbimmel oerfchafft." 

Stetbet rief ^efttg : ,,©u follft nicht läftern, ber liebe ©ott bot feinen 
Tbierbimmel." 

©er Knabe oerjog ben SJtunb junt SBeineu. 

,,©a3 ^etrrfe bot’S bocb gefagt," erroiberte er. 

„33 roabr, 2lbam?" $rau Sädjte roarf ihrem ©atten einen erftaunten 
»lief ju. 

„Sta ja," erroiberte biefer, „i<b bo&’ bett §annöt mal bamit be= 
rubigt, roie mir jufammen im 2Balb berumgebummeft finb unb er mi<b fo 
traurig gefragt bot, ob audh bie lieben Keinen Söget fterben unb roo fie 
alle binfommen. ©er merft fid) 2lHe3 unb oergifst nip." 

Stetbel roollte über ba3 oerbängnifrooHe Katerbab no<b ©enaueS roiffen. 

©er Heine 2lbam leugnete nicht, bafj er bie „böfe Krafcbürfte" im 
Sinnbad) tüd)tig eingetunft habe unb fich freue, baß fie ganj tobt fei unb 
ihm 9tid)t3 mehr ju leib tbun fönne. So, ba3 roäre nun ba3 ©eftänbnifj, 
bajj er ber SJHffetbäter fei unb ba3 ©hier mit Slbfidht getöbtet habe, braufte 
Stetbel auf unb erhob bie föanb jum Sdjtag. 

9lbam hielt ihren 2lrm feft mit bem Senterfen: „2lufrid)tigfeit oerbient 
nidht Strafe. ©uef boch ba3 SJtännle an, fo fd)aut bodh fein SJtiffetbäter 
auS. ®a3 ift boch nur ein .Kinb, baS fpielen will." 

„Sflücf ©ir im ©arten ein paar Slunten für ©uren Sittgang. ®ic 
SJtutter roirb’3 ertauben," rief er bem Kleinen nach, roelcher rafd; baooitlief. 
Sietbet fanf erf<böpft auf einen Stuhl. ®ie ©rregung höbe fie tüdüig 
burdhgefdhüttelt, flagte fie, unb Sorroürfe, ob fte ben Suben richtig be= 
banble, wirbelten nur fo um fte herum, ©aran fei StidjtS ju änbem, fie 

3 * 



Ejelene Suobofca in Stuttgart. 


3* 

fönne iidß nicht jwingen, biefeS Stinb ju lieben, baS eigentlich bod^ nur au« 
Sßerfe^en jur SBelt gefoinmen fei. ®ie Sßmeigung werbe mit ben ^aßren 
immer ftärfer. SBenn fic ben Keinen fdjwarjen Stopf anfeße, ber ißt fo 
beweglich erfdjeine wie bei einer Streujotter, bann fürste fte immer, es 
lauere etroaS Unheimliches baßinter. gür fie hätte baS Stinb etwas 316; 
ftoßenbeS. 

„ffiir Slnbere nicht," beinerfte ©ädßle. 

„©odß, bod)," erwiberte Sietßel, „er bot im ©orf au<b ffeinbe." 

Unb er hotte fte in ber ©bat, unb jwar in Sdjulbubenfreifen. ©er 
Heine Slbant war ein febr enipfinbti(f)e§ Stinb, baS fid) für eine jebe Unbill, 
bie ibm angetban würbe, fofort ©enugtbuung »erfdjaffte. ©o tarn es, 
baß er mit feinen ©djulfameraben oft in einen horten Stampf gerietb- 

©iefe riefen ibm fpötttfdß nach: ,,©u bift ein StuducfSfinb! ©er 
©alg oon einem italienifcßen ^apeimacber!" 

$annöt nerftanb jwar biefe ©efcßimpfung nidbt ganj, allein er abnte, 
baß eine tiefe ©eleibigung barin ftße. Er ging feine Singreifer inutbig an 
unb fdbopfbeutelte fie tüdbtig. ©anadß fühlte er fuß einigermaßen befriebigt. 

©aß $amtöt audb freunbfdjaftlidber ©efüßle fähig war, bewies feine 
Slnbänglidbfeit an ben ©dbloßbmtb ©ori. ©iefer ließ fidb bie ©dfjerje unb 
Siebfofungen beS Keinen Slbant gern gefallen unb begrüßte ißn bei jebem 
©efudße im Stalle, wo ©ori fein £eubett hotte, mit wobtwollenbem ©dbweif; 
webeln. ©a war bodß mal Einer, ber ißn nidbt befdbimpfte unb nidbt 
bie Straße nadß ihm auSfiredte. 

©en geinb ju fdblagen unb ben greunb in ©efaßr ju vertßeibigen, 
erfdbien bent Keinen Slbant felbftoerftänblicß. Er ftanb audb für ©ori eines 
©ageS ein, als einige ©djulbuben fidb mit einer Sdbaffdbeere einfanben, um 
baS fdböne $eß beS SieufunbfänberS ju ftußen. 

©ori fnurrte fie an, unb Slbant forberte fie auf, non ihrem Vorhaben 
abpfteßen. 

Sie ladbten ißn aus unb woßten ihn mit einem Stoß p ©oben 
werfen. 

©a jog .fjannöt rafdb fein SJteffer aus ber ©afdße unb bebroßte bamit 
bie bummen jungen, bie feinen eblen greunb wie ein gemeines ©d)af 
fdßeeren woßten. 

Slls bie mutßwißigen grifeure baS SJieffer in SlbantS ßanb faßen, 
fdßidtten fie fidß jur ©egenweßr an. Einige hoben Steine auf, unb Einer 
fdßwang bie ©cßaffdßeete. Stun wäre jweifeßoS etwas ©affettbubenblut 
gefloffen. 

©a fallt ber ©raf, bei beffen Slnblidf floß bie fantpfluftige ©orf; 
jugenb. 

&annöt erjäßlte ißin entrüftet, was feine ©egner norßatten. 

„ES fdßeint ja, baß ®u ben ©ori redßt gern ßaft?" fragte EarloS. 

„Spab’ icß aucß, weil er inidß lieb ßat," erwiberte baS Äinb. 



Z> er große unb bet Meine 2Ibam. 


35 


@S folgte bem ©rafen, ber es 311 einem gmbifj in baS ©djlojj ein« 
lub, unb unterhielt biefen unterwegs mit feinem munteren ©cplauber, 
roährenb Sori mit ber SBürbe eines fßatriarchen nebenher ging. 

©eit bem Streite um beS SteufunblänberS SBotte tarn ber Heine 2lbam 
häufiger in baS Schlojj. 

©r trippelte ohne Scheu unb ungehinbert in baS ^errenjimmev bes 
©rafen unb gab feine broiligen ©infälle jum Seften. 

©raf GartoS bemerfte ju Sächle: 

„©er Keine Seehunb ift ja ein fehr frifdjer unb felbftftänbiger Surfcbe, 
aus bem fann noch ©twaS werben." 

„gef» mein’S auch," erroiberte 2 lbam, „aber bie Stetbel fiet)t in ihm 
immer nur ein ©eufele." 

* * 

* 

grau Söäcfite glaubte ihren Fehltritt nicht beffer fiihnen ju fönnen, aiS 
butch eine ftreng religiöfe ©rjiehung ihres „Sünbenfinbes". ®a fie ben 
ßannöt, wie ber galt Summer bewies, für rachfüchtig hielt, fo fu<hte fie 
bie Sehre oon ber geinbeSliebe in fein junges $erj ju fenfen. 

„SBenn ©ir geutanb etwas SöfeS anthut," fagte fie, „fo barfft ©u’S 
ihm nicht oergelten. ©otteS £anb wirb ihn fchon felber ftrafen." 

©er Heine 2 lbam oerlangte eine genaue Sefdjreibung biefer wunber« 
thätigen &anb. 

„gft fie auch recht grofj unb breit?" fragte er. „Unb fann fie jwölf 
Schulbuben auf einmal beim Schopf pacfen?" 

„©ewifj unb noch »iel mehr," beruhigte ihn grau Sädhle. 

„©ann ift mir’S fchon recht," oerfidierte ber Keine 2lbatn unb warf 
am Samftag 2lbenb feinen frifchgewafdjenen Kopf junt ©infchlafen mit 
einer muthwilligen ©eberbe auf bas KattunRffen. 

Sierunbjwanjig Stunben fpäter lag er mit oerbunbenem Sdjäbel unb 
mit Jöunbfteber ju Sett. 

grau Sädjle empfing Seileibsbefuche, jumeift oon grauen, bie fie mit 
gragen beftürmten unb in ber ©rregung bie 4 ?änbe jufammenfchtugen. 

gebe theilneljmenbe Sefannte — unb es gab beren Siele — wollte 
wiffen, wie bas Unglücf gefchehen fei unb ob ber Surf che fidj in SebenS« 
gefaljr befinbe. 

„®aS nicht," erwiberte Stethel, „ber ©octor meint, bem ßannöt feine 
abgeriffene Kopfhaut wirb wieber anheilen. 2 ln ’nem fßferbebifj braucht 
man nicht eben ju fterben. @r hot bie SBunbe jugenäht. geh bin feiner 
umgefatlen, wie mir ber £annöt blutig in’S ^auS ’reintaumelt. ,gefus 
SJtaria, wer hot ©ich benn fo jugerichtet?' frag’ ich ü>n. 

,©er böfe SEBotan hot mir fo wefj gethon,* fagt ber Sub’ unb ballt 
bie gäufte. 

„®abei fchnappt er nach Suft, wie er'S immer thut, wenn er fich recht 
oerjiirnt. 



36 


- Helene SooBoba in Stuttgart. 


„Tann wirft er fid^ auf ben ©oben unb weint not Scbmerjen. TaS 
bat wieber mir web getban. 

„98ie er bann mit Gffigroaffer gewafdben unb mit ’neni fauberen Slittet 
im 93ett war, frag’ icfj ilm: 

,&aft ben jungen Gaul »om Deren Grafen ein bißle genecft, baf» er 
fo wilb geworben ift‘?‘ 

, Stein/ fagt er, ,ber ÜBotan bat fo fre&gierig fein gutter getaut unb 
[jat baS Deu, baS bodft in ber Strippe liegen foltt’, überallbin auf ben 
Soben uerftreut. geh gel/ in feinen Stanb ’nein unb fag’ : „Tarfft Tein 
Butter nit jertrampetn, nimm’S in’Ä SJtaul unb lab Tir*S gut fcbmecfen, 
Sßotante," beb’ ibm baS Deu auf unb balt’S Ujm bin* Ta pacft er midb 
mit feinen gähnen am Stopf unb lagt midb erft los, wie idb geter URorbi» 
gefdbrieen bab’.‘ 

„So bat mifs ber Danuöt genau tjergäblt," fügte grau 33äcf)le binju. 

„Stein, fo waS! Dat benn ber D err Graf nodb mehr fo böfe, un= 
banfbare unb blifcbumme Gaul’ in feinem «Stall fteb’n, bie ’nem Stinb feine 
.topfbaut für Den batten unb wegbeifjett?" fragte eine ber grauen. 

„Uufere Sßferbe finb nidbt buntm!" begehrte Stetbel auf, „mein 
großer Slbam fagt immer, fie finb uiel gefctjeiter als bie Torftrottel, bie 
auf jwei 33einen berumlaufen. Ter SBotan bat oieUeicbt gemeint, ber 
Dannöt woHf ibm fein £eu toegfteffen, btunt bat er jugebiffen." 

„SeH wobl. TöS fann er gemeint haben," pflidbteten bie Geuatterinnen 
bei, weldbe grau 33ädE)(e3 DberweiSbeit bei ber Seurtbeilung non gräflichen 
Sßferben nöllig anerfannten. 

Stadb bem SIbenbläuten oerliegen fie baS DauS. 3tetgel verbrachte 
bie -Rächte am Sette ihres fieberfranfen ÄinbeS. Gs wollte immerfort 
trinfen unb flehte, bie SRutter möge ihm bod) bie fpifcen Stäget, bie jidb 
in feinen topf einbobrten, entfernen. Tie Silberbräbte, mit benen ber 
Slrjt bie äBunbe pgenäbt batte, verarfadbten bem Beinen Slbam peinliche 
Sdbmerjen, bie fidb fteigerten, je unruhiger er fidb bin unb her bewegte. 

Sietbet etnpfanb SJtitleib mit bem gequätten tinbe, baS in feinen 
gieberpbantafien mit SBotan fämpfte. 

Ter Beine Slbam genas unb unterbiett fidb in fotgenber SBeife mit Gott : 

„Siebes Derrte im Dimmel, Tu mußt ben fdiänbtidben 2Botan ftrafen. 
Gr bat ntidb fo äerbiffen. Tie SRutter fagt, idb foll für meine geinbe 
beten unb fie audb nodb lieben. TaS ift bodb »erfcbrt. gdb fann ben 
böfen Gaul nidbt gern haben, ber uornen beifit unb hinten auSfdbtägt. Unb 
antbun fann id) ihm aud) SticbtS, weil idb noch ju Bein bin. 2öenn id) 
grob wär, tt;ät ich it;u tobtfcfjiegert. Sieber Gott, bie SRutter fagt. Tu 
fannft ftreid)eln, aber auch ftrafen. 2luS Teiner redbten Danb fommt bie 
Sonne, aus Teiner liitfen ber Sliß. 3)Jit bem baft Tu mal ben Sdbäfer 
granj mit feiner Scbafbeerbe am treujberg erfdblagen, weißt, ba wo jeßt 
baS SJtartert mit bem SttuttcrgotteSbilb ftegt." 



Der große unb ber fleitte llbam. 


37 


„Tie Seut’ fagen, ber gratis W ein gans guter ßert geroeft unb bat 
Sliemanb wag gettjart. Ter SBotan ift bög, ben mußt Tu erfragen." 

3flg ftdj in ben nädjften Tagen ein febwereg ©ewitter über bag Sinn= 
tßat entlud, jeigte ber Keine Slbam eine große greube, bie feine SDhttter 
faft befremdete. 

„(Seit, wenn ber 33tiß wo einfdjlägt, bann giebfg ein fdjöneg geuer?" 
fragte er fie. 

„(Sott behüt ung baoor," enniberte 9ietE)e[. 

(Sewattige Tomterfcbtäge erfdjütterten bie Suft. Tie genfter ber 
.(tutfdjeräroobnung bebten unb Kirrten. Tag Äatbrinje unb bag Tortbeje 
[tiefen ein gammergefdirei aug unb »erbrochen fi<b bitter bem Äieiberrecben. 

Ter Keine Slbam tadfite. Gr bewunderte bag fdjöne geuerwerf am 
&immel unb wartete immerfort barauf, baß ber liebe (Sott feine ftrafenbe 
©and aug ber ©ewitterwotfe beraugftreden unb mit einem Söiigftrai)! ben (Statt 
anjünben werbe, in weitem SBotan fein rudjiofeg Tafein triftete. 

Gr wartete nergebeng. 9?un entfdfjto^ er fid), bag feiber su tijun, wag 
©ott ber ©eredite augjufübren oerfäumte. 

Gr nahm eine Sdiaditet günbbötjer unb fro<b su einer geit, ba SBotan 
altein s« -Saufe unb 33äd)Ie mit bem ©rafen auggefabren war, auf einer 
Beiter in bie gutterfammer oberhalb beg Statleg. Gr sünbete einige Streidj* 
bölser an unb warf fie in bag $eu, in weldjem bie gtammen halb gierig 
berumledten. 

SRafdb unb nidjt ohne Sefriebigung entfernte fi<b ber Keine Slbam 
unb fleitte fid» in ber Siäbe beg Stalleg auf, um bie Gntwidlung beg Straf* 
geridjteg absuwarten. Gg brauste nicht »iet geit, unb fdtjon fab ßannöt 
aug bem Tacße bie gtamme beraugsüngetn. Gr fd^fug in ber greube über 
fein gelungeneg SBerf ein paarmal in bie ^änbe unb ftarrte mit giänjenben 
äugen in bie glamtnen, bie rafdb um fuß griffen. 

9tun tiefen bie Torfbewobnei herbei unb riefen rafd) bie geuerwebr. 
Tiefe fant mit einer Spriße unb begann eifrig bie Böfdjarbeit. 

Ter Keine Stbam murmelte in ficb biuein : „Ten Statt fotten fie nur 
töfdben, aber ber SBotan fotl »erbrennen." 

Gin geuerwebrmann rüttelte an ber »erfcbtoffeneti Tbiir. 

„Sinb fßferbe brinnen?" fragte er ben ©ärtnerburfdben, ber am 
Siettunggwerf mitbatf. 

„ffiicbt baß tdb wüßte,"- erwiberte biefer, „bie gobten ftnb auf der 
©eg, unb bie »ier großen bat ber ©err ©raf »or einer Stunbe jur 
Spasierfabrt einfpannen taffen." 

Ter Keine Stbam lachte ftitt »or ficb blu. Gr wußte genau, baß 
SBotan mit feinen SKterggenoffen auf bie SBeibe geführt worben wäre, wenn 
er fi<b artiger gegen fie benommen hätte. SBeit er aber bie ebten Äinber 
ber Stute grepa biß unb fdjlug, blieb er allein in feinem &olsgebäufe surücf. 



38 


geleite Sooboba in Stuttgart. 


Das Dacfgebätfe beS ©talteS, ber non anberen ©ebäuben getrennt 
fjittter einer Jyidjtemuanb ftanb, fnifierte unb fradfite. 

iptöfelicfe tiefe fi<f> aus betn inneren beS StaumeS ein langanfealtenbe» 
-Eiebern nernefemen. 

Gin ©ebrei beS GittfefeenS »on nieten Dorfbemobitern roar bie 9tnt* 
mort barauf. 

„Giner ift brinnen unb nerbrenni!" 

„Sie £feür mufe mit bem Seit eingefdblagen tnerben." 

„£alt! Da fontntt ber Sädjtc unb bringt ben ©dblüffet," fefirie es 
aus bem ©emirr non (Stimmen. 

Bit bentfelben 2 lugenbti<f fufer ber ©raf mit feinem Wiener im rafenben 
©atopp burdi bie Ginfafert beS ißarleS an ber Sditoferampe nor. ©ie 
batten bas fyeuer non ber Sanbftrafee aus gefeben. 

Sädjte fprang nom Socf unb rannte ju bem brennenben ©ebäube. 

„Der SBotan mufe gerettet tnerben," rief er feudfeenb unb fdfetofe bie 
©tatttbür auf. 

Diditer Qualm feblug ifjut in’S ©eitdjt. 

„SBotan!" 

Das ißferb ftampfte unb roieberte. Gr töfte bas Dfeier non ber Äette, 
baS mit einem ©afe in’S greie fprang. 

Gs tnar unnerfefet. 

2lbam rourbe non einem nieberftürjenben Satten auf ben Stopf getroffen 
unb fiel btutenb ju Soben. 

geuerioeferteute trugen ben ©ebroernertefeten in feine SBobnung. Der 
Slrjt, ber fofort jur ©teile mar, erftärte, menfdblidbe Stunft nermöge ^icr 
StidjtS inebr, er tönne bem Sranett nnr SinberungSmittet jur Setäubung 
feiner ©dutierjen geben. 

„Der Sater ftirbt!" feferie Stetbet taut auffcfetudbjenb ben Äinbertt ju. 

Die 3)2äbd)en brängten fi<b an baS Sett beS SaterS b eran - @»eties= 
dien als erfte. ©ie faltete bie £änbe unb meinte bitterlich. Statbarindben 
unb Dorotbeedben tbaten bas gleidbc, obroobl fie nidbt redbt roufeten, tnas 
hier eigentlich norging. 

Der fleine Slbant jeboefe batte bie SBorte ber SJtutter nerftanben. Gr 
marf fidi auf ben Soben, fdjtudjjte, fdbtug mit ben Rauften auf bie Diele 
unb rief »erjmeiflungSooll: 

„Sieber ©ott, jo fdbmäfe bod)! SBarutn ftirbt benn jefet mein gutes 
.fjerrle .... unb ber böfe Eotan bleibt tebig?" 

„©efeaff ben Suben hinaus, er ift 511 ungeberbig," fagte Stetbet jur 
Dobtengräberin, bie b^beigeeilt mar. 

Die Dienfteifrige motlte ben Surfdben jur ©eite fdjieben. 

Siidbte aber bat mit fdiroerer Bunge: „Der Rannet foll audb ju mir 
tommen." 



Der große unb ber fleine 21bam. 39 

©aS Äinb jdhlid) mit gefenftein Stopfe herbei uitb fauerte fidj oor beut 
Sette nieber. 

SarloS fam, gefolgt oon einem ©iener, ber @h<tntpagnerflaf<hen trug, 
©er ©raf goß ben ©dmumroein in ein SBafferglaS unb löfdjte bamit ben 
©urft, ber ben ©terbenben quälte. 

©amt brücfte er ißm bie £anb. 

„Sertaß ©icf) auf midi, alter greunb, idi roerbe für ©eine grau unb 
©eine Äinber forgen." 

„2ludi für ben ba?" braute Bäcßle mftßfant ßeroor unb beutete auf 
ben fleinen 2lbatn, beffen Körperchen oon fratnpfhaftem ©d)tud)jen er= 
fdjüttert mürbe. 

„gür ben fdjon gar, bas ift ja mein guter greunb!" ermiberte 
ber ©raf. 

grüß in ber SRorgenbäntmerung hatte ber große 2lbam ausgelitten unb 
ieinen Selb mie in rnoßligem Behagen geftredt. 

„3lls mottt' er nodj einmal fein Sehen anfangen, fo jung unb fdjön 
liegt er ba," fdjludjjte Bethel, mäßrenb fie bent ©obten bie ßaare über bie 
Stirne ftrid). 

A ©ell rnoßl, jeßt ift er fdmn broben unb macht feinen ^sud^&e^'Spajicrs 
gang im Fimmel," meinte eine ber Barbarinnen, bie jur Seichenroadie 
gefomnten mar. 

©raußen fdßien freunblidi bie ©onne. ©er ©innbad) raufdhte 
munter mie immer, unb in ben Blättern beS Birnbaumes oor bent &aufe 
fpielte luftig ber SWorgenroinb. 




(Eine ftarfe beutfcfje 

Pon 

JBabaUtj. 

— Setliit. — 



9lad) best ©tanbe gegeMoartiger Dinge in ber 
grofeen SBelt tfl fiir Dcutfe&fonb bie bcffere Sccgeltimg 
fo nötljtg tote bas liebe ®rot. Die 3r?age ift für 
Deutfchlanb eine SebenSfrage. 8flr* ®tot — fitrS 
Beben aber mag man toohl auch ettoab thun uub 
Schtoierigfeiten babei nicht achten. 

Öricbrid) ß i fl. 

||er grofce beutle aSolfSwirtl), beffen SBorte wir an bie ©pifce 
biefer feiten geftellt ^o6ert, hat bie Anfänge einet beutfdfien 
ÄriegSftotte, bie 1848 baS Parlament in bet ißaulsfirche ju 
granffurt fdjuf, nicf)t mehr erlebt. 2lber eS ift ihm audfj ber fdhlimme ©ag 
erfpart geblieben, an bent £annibal $ifdjer ben befdheibenen Seftanb an 
heutigen KriegSfdfnffen öffentlich an ben SJfeiflbietenben »erfteigerte. ©ine ftarfe 
4janb übernahm jeboch baS ©rbe, baS ber SBunbeStag achtlos weggegeben. 
3lm 17. ©ecembet 1854 legte ißrinj 3Ibal6ert »on iBreufjen beut Könige 
eine ©enff<f>rift »or, worin er jut 2lufredf)terhaltung ber Unabfjangigfeit 
ifireu&enS auf ben ÜJteeren unb jur 9Jtef»rung feiner ©eeintereffen bie Gr* 
richtung einer Kriegsmarine forberte unter SßoranfteHung beS ©eficbtSpunfteS, 
bafe eine ©eentadht, bie fein rangirteS ©efecfit mit SluSfidfjt auf Grfolg 
burcbfüf)rcn fönne, fetbft in ben europäifdhen ©ewaffern feinerlei 33ebeutung 
}U beanspruchen habe. 3f m ^inblicf auf bie in ^Betracht fommenben gegneri* 
fchen flotten htelt ber ißrinj 9 Sinienjdijiffc, 3 Fregatten, 6 Goruetten, 
3 2t»ifo3, 36 Stanonenfchaluppen unb 6 Kanonenjollen für erforberlidh. 

©iefe ©enffdhrift ift beShalb fo bemerfenSwerth, weil fie faft genau 
biefelben ©efidfitSpunfte bereits »or mehr als 40 fahren auffteHte, bie auch 


l 


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J 


£ine (teufe öeutfefee flotte. 


41 


jefct wiebet bie gorberuitgen für eine Perftärfuitg bev glotte befeerrfefeett. 
2lber bainalg war eg bie Regierung, bie fief) freute, mit folcfe umfajfettben 
Plänen not bie Pollgoertretung gu treten, wäfereitb ber älbgeorbnete $arfort 
alg Sßortfüferer ber Süden in ber gweiten Kammer 1859 auSrief: „Scfe 
halte bafür, bie Gfete beg Sanbeg ift für unfere Slfaritie oerpfänbet!" 
3m Polle mar eben nah bie (Erinnerung lebenbig, bafe bie Paubfdjiffe 
afrilanifcher Gorfaren big in bie Oftfee oorgebrungen waren, bafe bie ßanfa* 
ftäbte bi« in bie breifeiger Safere burefe Oributgafelungen für ihren 4janbel 
Sicherheit non ben Parbareglen erlaufen mufeten unb bafe Sorb patinerfton 
int Parlamente erllärt featte, Gnglatib werbe lurgerfeanb bie unter ber 
fcbwargstotfesgolbenen fylagge faferenben ftrieggfefeiffe alg Piraten befeanbelit. 
Sdjon bie Schaffung einer befefeeibenen preufeifefeen SJtarine oerbot bie 
SEieberlefer fotefeer nationaler Oemütfeigungen. 

Pereitg um bie SDtitte ber 60 er 3 fl h te / «tö mit ber (Erwerbung 
Schlcgroig^olfteing ber herrliche £afen non 5iiel in ben Pefife preufeeng 
gu bem fdjon früfeer erworbenen SBilfeelmgfeaoen gelomtnen war, legte bie 
Regierung bem Sanbtage einen plan jur (Erweiterung ber ftrieggflotte nor, 
beffen 3^1 bie ^erftetlung einer Seemacht gweiten Pangeg war. Pei ber 
Perfeanblung barüber äufeerte ©raf Pigntarcf am 1. Suni 1865, leine 
Stage feabe wofet bie öffentliche Meinung in Oeutfcfelanb in ben lefeten 
jwanjig Saferen fo einftiinmig intereffirt wie gevabe bie $lottenfrage; bie 
Pereine, bie preffe, bie Sanbtage hätten iferen Spmpatfeien bafür 2lugbrud 
gegeben, befonberg wären bie liberalen Parteien tfeätig gewefen. Gr 
fcfelofe mit einer SBarnung, bafe jefet bie parteileibenfchaft nicht serftöreu 
möge, wag ber ©emeinfinn forbere. 316er erft 1867 würbe ein neuer unb 
gwar wefentlicfe größerer Slottengrünbunggptan nom Sanbtage bewilligt, 
beffen abermalige Grweüerung im Safere 1873 ber Gntwicflung ber Äriegg* 
marine beg neuen beutfefeen PeWfeeg gunäd)ft bie Pafenen oorfefereiben follte. 

Oamalg fefeon, oor 25 Söferen alfo, wo Oeutfcfelanb im Pollbenfe beg 
butefe unocrgleidjlidje SBaffentfeaten beg Sanbfeeereg errungenen Dtufemeg unb 
3lnfefeeng ftanb, wo unfere Seeintereffen, ^panbel unb Scfeifffafert, noch oer* 
feältnifeinäfeig gering waren, wo wir leine überfeeifefeen Scfeufegebiete featten 
unb bie Politif ber ©rofemächte auf bem Poben beg alten Guropag, wie 
feit Saferfeunberten, it<h abfpielte, feielt bie 3tei(fegregierung eine Ärieggffotte 
non 23 Sütienfcfeiffen unb 20 itreugern gut SBaferung ber Seegettung 
Oeutfcfelanbg für notfewenbig. Unb ber 9teid)gtag nerfagte biefem plane 
feine Suftimmung nicht. Pig in bie 80er S a fe r « feinein erfolgte auefe ber 2lug« 
bau ber fytotte nach biefen ©runbgügen. Oamt aber laut ein SBanbel, 
ber enblicfe rapibe gutn Perfall fiiferte. 'Oie SJlotine gum glottengefefe non 
1897 fagten barüber: „Oag beutfehe Poll ftefet ber Ofeatfadje gegenüber, 
bafe bie Ärieggmarine gur 3«t in ben wiefetigften Sdjiffgflaffen weniger 
Sdjiffe befifet alg in ben früheren S a h re n. Gg fällt bieg uinfomefer in’g 
©ewiefet, afg bie meiften anberen Seemäcfete in ben lefeten 10 S^feten ifere 



42 


tlacalis in 33 crltit. 


■Karinen erheblich »erftärft haben." Statt ber früher »orßanbenen 14 hätte 
1897 bie Karine bei einer Kobilntadjung nur 7 friegSbraudibate £inien= 
fdjiffe jur Verfügung gehabt. ©ie ScßiffSlifte »on 1882 wies an großen 
Kreu$ern 11 brauchbare Fregatten auf, bie Sifte non 1897 feinen einjigen, 
ntan mußte als 9tu§f>ütfe einige ältere, als Sinienfdjiffe nicht mehr »erroenb; 
bare ©anser heransießen. 

2Bie btefer SBanbet »on ©egeifterung ju Sauljeit nnb Jötberftanb ftd) »oll- 
jogen f)at, baS ifi mit furjen Sßorten fdjroer &u fagen. Regierungen unb 
Parteien tragen beibe bie Sdjulb, bie ©rfteren, weil fie es an Klarheit unb 
©ntfcßloffenheit beS SBitlenS fehlen ließen, bie Slnberen, meil fte ben Kanne: 
forberungen oft genug »erftänbnißloS gegenüberftanben. ®>er tiefere ®runb 
aber mar hoch roohl ber, baß baS beutfdje SBolf, feine Staatsmänner roie 
bie Kaffen, baS ^eraufjieben einer neuen 3eit mit neuen geioaltigen 2luf= 
gaben nicht früh genug erfannt hat. 9Iuf bent feften ©oben beS (Kontinents 
hatte baS fianbßeer bie großen Schlachten gefeßtagen, aus benen baS beutfdje 
Reich einig unb mächtig heroommdjS; bie flotte hatte nur wenig ©ßeil on 
ben RußmeSthaten gehabt. Kan fühlte fich „gefättigt", mau badjte an* 
fänglich faum an eine ©otitif, bie über bie ©renjen beS fyeftlanbeS hinaus; 
führte, unb als bie ©reigniffe gleichwohl ©eutfcßlanb in bie Anfänge einer 
Ueberfee=©olitif brängten, betrat man nur jögernb biefe ©ahnen. 2Rittler= 
weite aber »olljog fuß mit rafeßen Schritten ein 23edjfet in ber ©onfteüation: 
2ln bie Stelle ber ©uropamäeßte traten bie 2Beltmä<hte, ber Kampf um 
ben 2Beltmarft unb bie äBeltßerrfdjaft begann, unb ©eutfdjlanb fonnte hier 
nidjt thatenloS bei Seite fteßen, wenn es nicht rußmfoS abbanfen wollte. 

©S iß eine ßiftorifdje ®ßat, baß Kaifer ©ilßelm II. juerft biefen 
SBanbet ber Seiten erfannt unb weiten ©liefs bie unerläßlichen Folgerungen 
barauS gesogen hat. Schon feine erften RegierungSßanblungcn (befunbeten 
bas lebhafteste Fntereffe, bie wärmfte Fürforge für bie Kriegsflotte. Un= 
aufhörlich war fein ©rängen, Kaßnen, ©reiben, baß ber ©reijaef in 
unfere Fauft gehöre, baß unfere 3ufuitft auf bem Söaffer liege, baß wir 
baS größere ©eutfdjlanb, welches beutfdjer Fleiß unb beutfdje ©etriebfatin 
feit jenfeits ber Keere aufgebaut haben, feft an bie Heimat angliebern 
müßten. ®ie erfte F r »cht feiner ©etnüßungen ift baS Ftottengefeß »om 
10. Slpril 1898, baS einen SoHbeftanb ber Kriegsmarine gefebtieß feftlegte, 
bie 3eit feiner Streichung normirte unb feine bauernbe ©rßaltung fidjerte. 
®ie ^cöße beS SodbeftaitbcS fiberfeßritt nur mäßig bie »om Fettem 
grünbungSptan 1873 in ÜluSfidjt genommene: bie beutfdje ReicßSmarine 
follte fünftig aus 19 Sinienfcßiffen, 8 Küftenpansern, 12 großen unb 
30 fleiiten Kreisern, fowie ben uötßigen ©orpebobooten, Sdjulfcßiffen ic. 
befteßen. ©iefen ©eftanb wollte man bis sunt 30. Rcärj 1904 erreidien. 
Für feine ©rßaltung bient bie gefcßlidie ©eftintmung beS ©rfaßeS »ou 
Sinienfdjiffen nach 25, »on großen unb Reinen Kteusern nad; 20 ober 
15 Fahren bnrdj Reubauten. 



€inc jtarfe bentfdje .flotte. 


*3 


Das glottengefefc wirb bis auf ben heutigen Dag na<h feiner wahren 
öebeutung nodj in weiten Greifen ber ©eoölferang »erfannt. ©ein Kern 
liegt in bem großen ftaatSredjtlidjen ©runbfab, baff bie Kriegsmarine ebenfo 
wie bie anberen ReicbSinfHtutionen, wie baS ^eer, baS Quftijroefen, bie 
SociafoerfidjeruTtg, bie ©eroerbeotbnung, ReidjSpoft unb Telegraph, einer 
gefe|lichen fguitbirung bebürfe, bamit fie nirfjt ©cbroanfungen unb Streitig^ 
feiten übet ihre Gyiftenj unterliege. glottengrünbungSptäne, Dentf Triften, 
©erfpted)ungen butten, roie mir gefeben haben, bie bauembe Sicherung ber 
glatte auf einer beftiinmten @>be nicht erreichen fönnen. hierfür nmrbe 
nun bie ftärffte in einem ©erfaffungSftaate uorbanbene ©inbung »or= 
geid)tagen unb angenommen, baS burcb übereinftimntenben ©efcbluh non 
SunbeSratl) unb Reichstag beroirfte ©efeb. ©egen biefen ^auptjinecf treten 
bie übrigen ©eftimmungen beS gfottengefebeS praftifch in ben &intergrunb: 
bie £öbe beS ©ottöeftanbeS roie bie ©emeffung ber ©aufrift finb 3™ed= 
mähigfeitsfragen, bie man nach ben Umftänben oerfchieben beantroorten 
lann. Rtafjgebenb roaren bie bamals, baS b e 'Bt im ©ommer 1897 bei 
2tuSatbeitung beS ©ntrourfeS norbanbeneu ©eeintereffen DeutfdjlanbS, bie 
bamalige politifche Sage unb bie SeiftungSfäbigfeit nnferer ©dnffsbauinbuftrie; 
änberten fid) biefe ©orauSfejjungen, fo muhten fi<h auch bie Folgerungen 
änbern. Dagegen liegt roieber in bem ©rfabparagrapben ein ©rincip: feine 
Durchführung oerbinbert, bah bie Kriegsflotte jemals unter eine geroiffe, ge= 
fefelich feftgelegte £öbe iinft. 

Diefer mit bem tarnen beS ©taatSfecretairS 9lbmiralS Dirpifc*) ner« 
bunbene ©efebentrourf fanb mit einigen Rtobifi cationen bie 3 ll ftimtnutig 
beS Reichstages. 216er fchon bamals rourben 3rorifel laut, ob ber geforberte 
Sollbeftanb auch wirtlich ben politifdjen nnb roirtbfcbaftlicben 3lnforberungen 
auf bie Dauer genügen fönne. ©ertreter ber oerbünbeten Regierungen 
machten fein $eljl barauS, bah ber iplan nur baS Rünimum beS burdiauS 
‘Jlotbroenbigen barftelle; roar bie neue gflotte hoch fautn ftärfer als bie be= 
reits 1873 in 9luSfi<ht genommene! Unb roie butte fid) bie Söelt unb 
Deutfchlanbs ©tellung in ihr feitbcm reränbert. Rtan but fi<h 1897/98 


*) ©nige Eingaben über ben SebeuSIauf beB StaatBfecretairS im SHeid)Smariite=2lmf, 
bcfien S3Ub biefe# fjeft jiert, mögen hier fßlab ftnbeu: Sllfreb Xirpiö, geb. 19. 21pril 1849 tu 
ffüftrin etls Sohn eines hoffen SlidjterS, trat 1 865 als Sabett in bie pmifitfcfie SDlaritte, hmrbe 
1869 Lieutenant, 1872 Oberleutenant, 1875 Sapitänlentenant. Sion 1874—1876 ge= 
hörte er ber 3Warine=9lfabemie, 1879—80 ber Stbuciralität an, in bie er nach feiner 
1881 erfolgten Beförberung jum Sorbettenfapitän mieber einberufen nmrbe, bis er 
1886 jum 3nfpector beS ÜorpebomefenS ernannt nmrbe. 1888 jum ftapitdtt jur Sec 
beförbert, tonrbe ihm bie Leitung beS Stabes ber Dftfeeftation in beit 3“hrcn 1890—92 
übertragen, 1892—95 aber bie beS Stabes beS ObercommanboS ber ÜJtariue. 1895 
tourbe er ®ontre»3lbmiraf, unb 1896/97 führte er baS Somntanbo beS SreujergefchtoaberS 
in Di ta fielt, bis er am 4. 3uni 1897 an bie Spttjc ber 9teichBmariite»Bem)aItung geftelft 
nmrbe. 9lm 28. SOtärj 1898 erfolgte feine Oritemumg turn preitbifcfien StaatSminifter. 
9fm 5. Xccember 1899 nmrbe Xirbib jum 93ice=?fbmiral beförbert. 



ITaoaüs in Berlin. 


44 

eben vorftChtig bamit begnügt, nur bie 58erfäumniffe tanger Sabre einiger« 
mafeen nadpholen. Bubem ift ber 33eftanb nach feinem ©efeditSroerthe 
nodb fdiroäCher als nad) feiner Bohl; benn unter ben ©ChlachtfChijfen werben 
5 ^anserfdjiffe geführt, bie bem ©tanbe ber heutigen fEedjnif nicht mehr 
vottentfpredjen. ©enug, wollten bie verbünbeten ^Regierungen vor jwei 
Satjren 3lngefufit2 ber noch jögemben SBotfSftimmung fidler gehen unb fidh 
mit bem aJiinimum behelfen, fo war bodj SRietnanb im 3toeifel, bajjfpäter 
eine namhafte Sßerftärfuitg bet Kriegsflotte geforbert werben würbe. 2>ie 
33aufrift, baS ©epennat, läuft mit bem GtatSjalp: 1903/04 ab. ®aS wäre 
nach allgemeiner Annahme ber fpätefte Hennin für eine neue SRarinevorlage 
gewefen. GS ift audh gar nicht ju beftreiten, bajj bie SRarineverwaltung 
unbedingt ben SBunfd) unb ben SBitteit gehabt h“t, biefe Beit einjuhalten; 
eine bahingehenbe Grflärung beS ©taatSfecretairS, bie im Suuuar 1899 er; 
folgte, ift vollfommen aufrichtig unb torjal. Slber bie ®inge ftnb mächtiger 
als bie -JRenfChen, unb ber ®ang ber SBeltereigniffe fümmert fidh ui<ht um 
Slbfichten unb SBorfätje ber Ginjelnen. 2Benn jefct eine neue Slottenforberung 
vorbereitet unb im Anfang beS 3 a h re S 1900 bem Reichstag vorgelegt 
wirb, fo ftnb in ber £f)<tt fdjwerwiegenbe ©rünbe für baS 2lbweid»en vom 
urfprünglidjcn ^Programm mafsgebenb. 

Unb biefe ©rünbe liegen, foroeit fie ben SHuSfdjlag gegeben hüben, auf 
bem ©ebiete ber auswärtigen 2 ßolitif! 

2Bohl finb auch unfete materiellen ©eeintereffen beifpieHoS gewachfen 
unb bebürfen für ihr 23lühen unb ©ebeihen beS ftarfen ©chufceS, ben nur 
bie gfotte gewahren !ann. 5Der beutfehe ©eeljanbel mag gegenwärtig einen 
29erth von 6 — 7000 Millionen jährlich befi^en. darunter beftnben fich 
an 2 SRitliarben Ginfuhrwaaren, bie für bie Grnähmng unb bie SebenS« 
haltung unfereS Zolles bei beffen überaus rafchem SöachSthum jur Beit 
noch unentbehrlich finb, unb für etwa 1 V 2 2 )Hlliarben Siohftoffe, bie wir 
für bie £l)ötigfeit unferer Subuftrie brancficn, ba fie im Snlattbe nicht ober 
nicht in gemigenber 2 Renge hcrgefteHt werben. 33ejahlt werben biefe Gin« 
fuhrmaffen mit bem Grport von Grjeugniffen beS ©ewerbefleifjeS unb ber 
Sanbwirthfchaft, für beren Verbrauch ber innere URarft nicht auSreicht. 
Sieben biefem wadjfenben 2luSlanbShanbel, ber nur von bem engtifdjen über« 
troffen wirb, fommen bie in fremben Säubern, in Slmerifa, 2lfien, 2lfrifa 
unb 2luftrotien angelegten, hoho Stufen tragenben Gapitalien in 33etrad)t, 
bie von Sadjfeunetn auf 15 — 18 2Ritliarbcn gcfd)äpt werben. Unfere 
•tfanbelSflotte ift bie jmeite ber SSelt, fie hat fidh im lebten SSierteljahrhunbert 
an SranSportfäbigfeit mehr als verbreifaCht, ihr SBerth wirb auf 5 — 600 
Millionen angenommen, fie jäfjlt bie größten unb fchncllften ©Chiffe in 
ihren 9teil)en. ©cutfdie Sanbsleute fitsen 51 t Sautcnben unb Behutaufenben 
an allen Küften, in allen ^afenpläben ber Grbe, ihr pfeift, ihre 9luSbauer 
unb ©ewanbtheit fchaffen ber beutfdien S'tbnftric immer neue Slbfabgebiete. 
Unb URiHioncu bewahren jenfeits ber '33 leere, auch wenn fie Bürger ber 



(Eine jlarfc beutfdje flotte. 


^5 


neuen Jpeimat geworben, bent alten Vaterlanbe in Spraye, 2trt unb 0e= 
fittung bie Dreue. 2lu<h Re gilt es ju fdjüßen unter ben gittidjen beS 
SteicßSablerS! 

Die ©efcfitdjte lehrt, baß bie wirthfdjaftlicbe SluSbeßnung eines SanbeS 
über ben Grbbaß nur bann uon bauernbein Veftanb ift, wenn hinter itjr 
bie wirf(icße Vtadft fteljt. Von Karthago bis ju Portugal, 4?ottaitb «üb 
Spanien bat fi<h btefe barte Wahrheit bewährt. 3Ka<^t über bie ©renjen 
beS geftfanbeS hinaus fann aber nur bie Kriegsflotte gewähren. Die Sttus- 
gaben für bie Vfarine ftetlen ftch baßer geroiff ermaßen als eine Verfi<herungS= 
Prämie für bie in ben Seeintereffen enthaltenen Wertße bar. Diefet 
Scßubaufroanb ift aber in Deutßhlanb beutjutage nodj erheblich geringer 
als in allen anberen -äJtäditen mit großem Seeßanbel unb auSgebreiteter 
Schifffahrt; er beträgt bei uns wenig über 2 ^ßrocent beS Seeßanbels, wäßrenb 
Gnglanb SV 2 , granfteid) 574 , bereinigte Staaten »on Storbanterifa 672 % 
an Sdjubaufroanb im gaßre 1898 hatten. Daju fommen noch unfere 
Golonien, bie an Umfang unb Werth, babur<h aber aud; an Sebeutung 
für ben ©egner warfen. 3 U ben alten Schuhgebieten in Weft* unb Dft= 
afrifa unb 3tuftralien ftnb feit Erfaß beS gtottengefeßeS baS ©ebiet uon 
Kiautfdjou, bie ÜJlarianen unb Karolinen fowie Samoa ^tnsitgetrctcrt ; 
enbüd) ift ber beutfehe ®h c ^ 15011 VemSuinea in 9ieid)Suerwaltung über« 
gegangen. 3 1 °ar fann es als ftcher gelten, baß, wenn einmal um bie 
icßicffalsßhwere Gntfcßeibung gefämpft wirb, baS Soos ber Kolonien ebenfo 
wie bie 3ufunft unfereS SeehanbelS nicht in Ginjelfdjlägen in ber gerne, 
fonbern in bem düngen um ben Sieg in ben beutfdjen ‘BJeeten fällt. Slber 
für bie Vertretung unferer Seeintereffen im SluSlanb jur griebenSjeit 
brauchen wir bei ihrer ftänbigen gunahme eine wachfenbe gaßl wehrhafter, 
Sichtung gebietenber KriegSfchiffe in ben fremben SJieeren, bamit bie beutfehe 
ffteicßsflagge über Sehen unb ©ut ber 9ieicf)Sangel)örigen gegen Ungebühr 
unb Vergewaltigung fi<h fdjtrmenb breite. 

Doch in afl’ biefen ©rünben liegt nidjt ber innerfte Kern ber 9 iotl> 
wenbigfeit einer ftarfen glotte für Deutfcßlanb. Wir fteßen mitten in ber 
UebergangSjeit uon ber gefttanbSpolitif jur Weltpolitif. Der Umfchwung 
ift im festen Viertel beS gaßrßunbertS eingeleitet, juerft leife, uon ben 
Ültaffen faum beinerft, in ben lebten gaßren aber ift bie Gntwidlung riefig 
fortgefeßritten. Die wahren ©roßntächte werben Weltmächte ober ftnb es 
ießon. Unb jwar wirb biefe Weltpolitif gerabe in iljren entfeßeibenben 
Dßaten nicht uon ben Gabinetten, fonbern uon ben Völfem felbft geforbert, 
bie mit elementarem Drange in’S Weite unb ©roße geben. „Imperialismus" 
heißt baS für biefe Grfdjeinung neu geprägte Wort, unb fein gnßalt bc= 
herrfeßt gegenwärtig bie WeltconfteHation. ©roßbritannieu wirb 51 t einem 
Greater Britain uon unermeßlicher SluSbeßitung. SRußtanb fdjiebt fid) um 
abläfftg immer weiter über Slfien uor. Die Vereinigten Staaten treten 
nadj ber Siieberwerfung Spaniens urptöbtidj in bie -Heiße ber welt= 



46 


llapalis in Berlin. 


beftimmenben SRädbte. Sranfteidb baut ficb ein riefigeS Golonialreid) in 
Slfrifa unb Slfiett auf. 3apan erfdbeint als ftarfe ©eentadbt mit üUjnen 
Plänen im fernen Dften. ©ie Grbe roirb neu geteilt: ©er fdbroarje @rb* 
tbeil, Slfrifa, get)t in bie .ßcinbe »on Gnglänbem, ©eutfdben unb Sranjofen 
über; eS ift nur eine Stage ber 3 e *t wann bie Sßortugiefen aus itjm »er* 
fdfmnnben. 3n Dftafien ftoßen bie ©rofjmädfjte in bem SUcfenreidbe ®E»ina 
fdion jufammen, Stufjlaub unb Gnglanb audb in ißerfien, Slfgbaniftan, 
an ben Storbgrenjen SnbienS. ©er Kampf um ©übamerifa bat faum be* 
gönnen, aber ber mirtbfdbaftli<fje SBettberoerb ber ©eutfdben, Gnglänber unb 
SRorbamerifaner um biefen Gontinent roirb audfj polüifcbe folgen buben. 

Ueberatt feben mir ein ©tofsen unb ©rängen, ein Stampfen unb 
Düngen um ben DJtarft unb bie ÜDIadfit. ©eutfdbtanb fann Ijier nidbt bei 
Seite fteben. 2J?an bat unfer Sßatertanb bie Kinberftube unb bie ©dbuiftube 
ber SBett genannt. Sange genug buben mir frembeit Sänbern über See 
DRiHionen unb Millionen ihrer beften Siirger geliefert, beutfcEje SSiffenfdbaft, 
beutfdbe Stunft, beutfdbe 2(rt buben bie SSett befruchtet. 2lber unfer 93olfS» 
tbum but baburdb feine ©tätfung erfahren, mir ftnb nur Gutturbünger ge» 
mefen. Setjt aber ift bie 3eit »orbei, too ber Gine baS Sanb, ber 2lnbere 
baS SBaffer nahm unb ber ©eutfcbe fidE) ben grauen Fimmel ber ©beorie 
»orbebiett: Sßir wollen, na<b bem fraftuoHen SBort beS ©rafen SBüloro, baS 
er bet Station aus ber ©eele fpradb, audb unferen ^ßlab an ber ©onne! 
2Bir müffen ihn haben für bie riefig annmdbfenben SSolfStnaffen, bie fidb 
in 60 — 70 fahren »erboppetn, für unfere gefieberte Gmäbrung, bie bie 
beintifdbe Sanbroirtbfcbaft beute nidbt »oll befdbajft, für ben ftätigen 33ejug 
»on Diobfioffen, bie unfer ©eroerbefteifj braucht, für bie SluSfubr »on 
SBaarenerjeugniffen, mit benen mir unferen Import bejahten. 2ßir müffen 
ben iptafe an ber ©onne aber audb buben, weit baS beutfdbe 9tei<b nidbt 
aus ber SReibe ber Mächte, bie baS ©dbidfal ber 2Belt entfdbeiben, fdbtoinben 
barf, roeü mir ein tbeureS, mit f oftbarem 23lut errungenes Grbtbeil an 
SRubnt unb 2lnfeben ju hüten buhen, weil mir unfere grofje Gutturmiffion 
im eignen Flamen erfüllen wollen. 

©ie ©rünbung beS beutfdben DieidieS mar bie Aufgabe unferer Sßäter. 
Dbne ein ftarfes §eer märe fie nidbt gelungen, trob aller ©ebnfudbt ber 
Sßölfcr unb aller ftunjl ber ©taatSmänuer. ©ie Seftigung ©eutfdblanbs 
als einer 2ßeltmad)t ift bie gemaltige Aufgabe, bie unfer unb unfrer ©ohne 
harrt. 2Bir braudben baju eine grobe, ftarfe Slotte: Dbne ihren ©dbu|, 
ohne biefe SBaffe fteben mir in ben SBeltEjänbeln roebrtoS. Unb am lebten 
Gnbe ber ©inge entfebeibet immer miebet bie SJtadbt unb nur bie 
2) Jacht! 

©ie anberen ©rofjftaaten, bie biefen Flamen mirflidb »erbienen, buhen 
bie 23ebeutung ber flotte als SBerfjeug einer jtarfen auSmärtigen ißolitif 
mobl begriffen. Gnglanb, Sranfreidb, DJufjlanb, Jiorbamerifa, audb $apun 
»ermebren ihre Kriegsmarinen unahläffig. ©aS eitgliftbe ^lottenhubciet für 



<£tne ftatfe beutfdje flotte. 4? 

1899 überftieg 500 Millionen SDfarf, fvranfreicb, beffen $cer nod) me{jr 
ald bad beutfdje fofiet, roanbte für bie SDlarine 224 -üJMionen auf, bie 
größte Dtilitärmadjt bet 2Belt Oiufjlanb flieg mit ben 2ludgaben für bie 
flotte auf 190 Millionen SDlarf, 9lorbamerifa, beffen 9J?arinebubget im 
ßriegdialjre 1898 bid ju 475 ^Mionen auffdmellte, begnügte füb für 1899 
mit einem Soranfdjlag tion 200 UMionen, forbert aber 312 Millionen für 
1900. Sieben biefen Summen ftanb bet beutfdje Flottenetat für 1899 mit 
133 Millionen feljr befdjeiben ba. Fn ben lebten jroci Sauren, alfo feit 
bem glottengefeb, Rotten mir eine Steigerung bcd Subgetd um 25 SÖtilhonen, 
Stuglanb eine folcbe unt 52, Storbamerifa um runb 60, y-ranfteicb um 31, 
unb Englanb um runb 80 SRillionen. ©iefen 2lufroenbungeu entsprechen 
bie Seftänbe bet nerfdjiebenen flotten: ©rohbritannien I;at (fertig ober im 
Sau) 69 £inienf<f)iffe unb 217 Sfreujer, fytanfteid) 40 Stnienfcbiffe unb 
98 Äreujer, 9lorbamerifa jur 3eit 17 Sinienfcbiffe unb 70 ßreujer, ner» 
mehrt aber feine Sd)lad)tflotte in ben nädjften Sorten erbeblidj, fRufjfanb 
24 Sinienfdiiffe unb 48 Äreujer, unb mir ©eutfdje ftefjen mit 14 2inien= 
fdb'tffen unb 38 ftreujern an allerlebter Stelle. 9iad) bem ©efcditdroertl) 
bet Sinienfdjiffe fornmen mit erft an 6., nach bem Seftanbe unfeter großen 
ßreujer an 5. Stelle, mäljrenb mir noch not jmölf Fuhren fofort hinter 
Gnglanb unb granfreidj ben britten 5ßlab unter ben Seemädjten entnahmen. 
2?ad aber Ueberlegenjfeit im Seefriege bebeutet, b ad buben bie Sdjladiten 
not Sanite unb San F Q go gelehrt; $afd)ciba unb ÜJJadfat buben ben 
fytanjofen fdion im ^rieben gejeigt, road ihnen ton ber englifdjen gflotte 
im ©mftfaHe brohen mürbe, unb alle fvreube über ben glitdlidjen 2ludgang 
fann und ©eutfcfien nicht bie Erinnerung an bie Sitterfeit nehmen, bie mir 
empfanben, ald englifche unb amerifanifcbe ©rannten über beutfdien Käufern 
unb Sfinnjungen in Samoa planten . . . 

„22ehrhaftigfeit jur See ift eine Sebendbebingung für ben Staat, ber 
gebeihen unb nidit blos ein gebulbeted ©afein friften miH." ©ied SEBort 
bed erflen ^ohenjoHern=2lbmira[§, bed grinsen Slbalbert, muh bad beutfdje 
Soll heut jur ©rfenntnifj führen, bah mir mit bem 9iothbehelf, ben bad 
fxlottengefeh nom 10. 3lpril 1898 und fd^affen moUte, nicht audfommen, 
fonbem bah mir eine ftarfe ßriegdmarine hüben ntüffen, bie und and» ben 
großen Seeinäd)ten gegenüber bie ©bunce eined Sieged gemährt. 9iad) ben 
halbamtlichen SJtittbeilungen erachten bie Fachmänner hierfür eine Flotte 
non 40 2inienfd>iffen, 20 groben unb etroa 40 ffeinen ilreujern für aud= 
reidjenb. ©ad märe, menn bad neue, im Fuhre 1900 bem 9teid)dtage 
5 ugehenbe ©efefc roirflidh biefen Nahmen feftfefet, bie Serboppelung bed 
Flottenbeflanbed, roie er nor jroei Fuhren befdjloffen morben ift. 2)tan 
muh über babei in Setradjt sieben, bah junädhft nur ein britted ©efdhmaber 
non 10 Sinienfdjiffen (1 ©ommanbofdjiff, 8 Frontfdjiffe unb 1 Sieferne« 
fdjiff) unb 3ubehör non ßreujem ju bauen ift, unb sroar in ber 3eit bid 1910. 
©erm bann merben ohnehin bie 8 Äüjienpanjerfdüffe ber „Siegfrieb"»$llaffe 

JJorb unk Süb. XCII. 274. 4 



ZTaoalis in Berlin. 


48 

nadf» bent ©efefc reif jum ©rfat?, unb es fann beute fdfjon feinem Reifet 
unterliegen, baff bie für fie eintretenben Neubauten »otlroertbige ©djiad&t* 
fdfiffe fein merben. ©amit märe bann bas 4. ©efdhroabet geroonnen, unb 
mir hätten etwa bis jum galjre 1917 bie beiben ©oppefgefdSjmaber als bie 
grobe glotte, bie mir braunen, bie nach ber lteberjeugung ber gadbmännet 
aber auch unfcren ,3 ro e<Jen genügt, ©aneben inüfste tiodb bie 3°hl unb 
©röfje unferer ©diiffe für ben SluSlanbbienft entfpredjenb bem 2BadhSthum 
unfereS ©eehanbels unb unferer Kolonien »ermehrt merben. 

©ies ift ber neue glottenplan in feinen £auptjügen! $ft man »on 
feiner SRotljroenbigfeit im ^inblicf auf bie potitifcfje Sage überäeugt unb ju 
feiner ©urdhfübrung entfcffloffen, fo mirb man aud) bereit fein, ifjn möglidjft 
balo in bie Sßirtlidjfeit umjufeben. ©er bagegen erhobene Einroanb, baff 
erft ber 2lbtauf beS im jetzigen glottengefefce enthaltenen Sepennates 
abgeroartet merben tnüffe, ba hiermit ^Regierung unb 9teid)Stag fid) 
„gebunben" hätten, ift bod) ganj unftid)haltig.- ©aS glottengefefc ift roie 
jebeS anbere ©efe(j, eS ift ber übereinftimmenbe SBtllenSauSbrudf non 
SunbeSratl) unb dieidiStag unb fann atlejeit geänbert merben, menn biefe 
beiben gefebgebenben gactoren fid) auf ein neues giri einigen. gn jeber 
9ieid)StagSfeffion merben ©efefje auf ©runb ber gemachten Erfahrungen unb 
ben 3lnforberungen ber 3eit gern äff ergänjt, geänbert unb ausgebaut, unb 
oerfaffungSredjtiich fieht eS mit ber -Biarine nicht anberS. 2Bir glauben, 
es mirb ben »erbünbeten ^Regierungen nicht leicht gefallen fein, fidh ju bet 
neuen glottenoorlage ju entfdjtiefjen; aber mir glauben aud), baff fie, mie gefagt, 
fel)t fd)roerroicgenbe ©riinbe für ihr Vorgehen hoben. Eine unlängft erfdjienene, 
offenbar »on eingeroeihter £anb »erfaßte 33rofd)üre beutet biefe ©rünbe roie 
folgt an: „^ßolitifdf fällt »or 2Wem entfdjeibenb in bie SBagfdjale bie 
©hatfadhe: ge eher mir anfangen, befto el)er »erfügt ©eutfdfflanb fiber bie 
große flotte, bie uns bitter notb thut. ginanjiell: Sßollen mir fie ohne 
Ueberftürjung bauen, fo bebeutet ber frühjeitige beginn gleichmäßige 
gahreSbubgetS mit mäßiger Ulnfpannung ber ginanjen. ©ecffnifdh feßen 
mir eine ftätige ©idjerung ber Seiftungen ber gnbuftrie. ©ocialpotitifcf): 
Sßahrung ber 9lrbeiterintereffen. Allgemein »olf Sroirthfdfjaftlidh: 
33erminberung ber Krifengefaßr. fbtarineperfonell: ©emäßrleiftung einer 
fpftematifdhen |>eranfd)utung ber SDtfannfdfaften unb 2luSbilbung eines erft- 
flaffigen DffoierScorpS. Eine 2luffd)iebung aber führt ju einer ungefunb* 
fprunghaften Entmicfeluitg unb ungeorbneten ginanjgebaljrung; es entftehen 
ungefunbe 3uftänbe auf ben Sßerften, unb bie militärifdfie SeiftungSfähigfeit 
unferer glotte mirb jeßn gaßre fpäter, alfo 1914/15 nidht »iel mehr als bie 
.fjälfte ber Kraft betragen, bie mir im anberen gälte bann fd)on in 
unferer Schladitflotte unb für ben 2tuSlanbSbienjl jur Verfügung hoben 
muffen." 

SBir miiffen unS mit biefen änbeutungen begnügen, bie, fo fnapp fie 
finb, gleidhmohl roeite SluSbticfe in 2Rßglid)f eiten unb fRothmenbigfeiten er* 



<£ttte ftarfe beutfdje flotte. 49 

öffnen. Sßenn oom ^afyre 1901 an, auf ©runb eines im Qaßre 1900 
angenommenen ©efeßeS, bet S3au bet großen beutfdjen flotte beginnt, fo 
fönnen mir bie ©eroißßeit haben, baf? unfere SdßiffSbau^nbußrie bet 
großen Aufgabe oöttig getoadßfen iß unb baß an ßunberttaufenb Arbeiter 
bamit ftänbige unb loßttenbe 23efd)äftigung haben. Der Strang jut 
'TOarine iß jeßt fdjon fo bebeutenb, baß bet DfnsierSerfaß, bie Sluffüttung 
beS tecßnifcßen SßerfonalS unb bet Bemannung oottfontmen gefiebert finb. 
ffireitidß foftet eine große glottc (Selb, oiel (Selb. 2lbet finb mit im beutfdßen 
Steidje roirfüdß fo arm, baß mit nießt bejoßien fönnen, roaS mir 311 m £eben 
brauiben? Der SBoßtftanb ift feit gefjn fahren fo geftiegen, bie ©innaßmen 
non Steiöß unb Staat fo geroadjfen, baß mir bie £>eereSreform non 1898 
unb bie glottenoermeßrung non 1898 oßne einen Pfennig neue Steuern 
aus ben laufenben -Bütteln unb ben öbtidben Slnteißen beeten formten. 9)tit 
bem Steigen ber SBeoötferungösaßl beben fieß audb bie SteicßSeinnaßmen 
au» ben 3ötten unb fBerbtaucßSabgaben. Steidße Duetten beS S3olfSoermögenS 
unb 33olfSeinfommenS ßnb für baS öffentliche SBoßl nocß fauin erfdßloffen. 
©ngtanb unb fytanfreidß geben für £eet unb flotte fomie StaatSfcßulb 
bebeutenb nteßr aus als Deutfcßlanö, nämlich Deutfdßanb 18 72 2Dtf., 
fyranfreidß 41 Sftf. unb ©nglanb 33 SDtf. Dabei übertrifß an £öße beS 
BotfSeinfommenS nur nod» ©roßbritannien baS beutfdje SReicß, granfreid) 
feßon nidßt meßr. 3 ur 3 e *t betragen in Deutfdjlanb bie Stufroenbungen für 
bie SDtarine pro Stopf ber SSeoölferung 2 ®?f. 45 Sßf., roenn bie geplante 
'Berftärfung angenommen mirb, ßeigen bie SluSgaben im $aßre 1903 auf 
3 SDtf. 20 $ßf. unb 1911 auf 3 .ittif. 75 Sßf. — baS natürliche SBadßS* 
tßum ber Setrölferung berüdfießtigt. Sottte baS beutfdje SSolf, baS ßcut 
fdßon aüjäßrlidß runb 3000 SJüttionen, alfo 50 — 60 -Btf. pro Stopf, für 
33ier, SdßnapS, Sßein unb Dabaf auSgiebt, roirfiidj nidßt im Stanbe fein, 
jäßrlidß 1 5Dtf. pro Äopf meßr für beS SteidjeS Stotßburft, eine ftarfe Jyfotte, 
ju ßeuern? 3 u bem hatten mir baran feft, baß bie im $(ottengefeß ent* 
ßaltene Stlaufel, roonadß etmaige für bie fDtarine notßroenbige neue Steuern 
nicht bie ärmeren SSeoölferungSfdßidßten treßen bürfen, mit oerftärfter Ära ft 
auch in baS fommenbe ftlottengefeß iibergeßen muß. 

fjürß BiSmard ßat itt feinen „©ebanfen unb Garnierungen" getagt, 
baß bie beutfdje glotte feit 1848 einer ber ©ebanfen gemefen, an beten 
freuet ßdß bie beutfdßen GinßeitSbeftrebungen entjünbet unb oerfammelt 
hätten. Slucß jeßt ßat bie glotte eine große nationale Slttfgabe 3 U erfütten, 
nnb ße erroeift ßeute abennais ißre e^ießerifdte Straft. Der befreienbe 
.§audj ber Seeluft meßt bureß bie £anbe, unb es beginnt, um abermals 
ein Söort ^riebridß SiftS anjufüßten, ftdt 5 U beroäßren: „3n ber See 
neßmen bie Stationen ftärfenbe SBäbev, erfrifdßen ße ißre ©liebmaßen, be- 
leben fie ißren ©eift unb machen ißn empfänglich für große Dinge, ge* 
roößnen ße ißt förperlicßeS unb geiftigeS Singe, in meite fernen 31 t feßen, 
roafdßen ße ßdß jenen Sßßilifterunratß oom Seibe, ber allem SJationatteben, 

4 * 



50 


Basalts in Berlin. 


allem iftationalauffdjnmng fo fjinbertic^ ift. £a3 Saljwaffer ift für bie 
Stationen eine (angft erprobte Sanacee. . . ®ie flagge ifl bie See= 
frone auf bem Raupte ber Nationen. 9Jlan fefee ber beutfdjen 
Nation biefe Ärone auf, unb bas Uebrige roirb fid^ finben!" 2Bir 
oertrauen auf ben gefunben Sinn unfereS Solfeä, bafj auefj baS neue 
glottengefefe einen jinneSeinigen 9ieid;Stag finbe unb baS neue 3 aljrf)unbert 
mit bem Sefenntnif? ber Station beginne: 2 Bir moUen unb f ölten unferen 
2 tntf|eit nehmen an ber Seberrfdjung beä ©rbfreifeS burd) bie 
roeifie Staffel 2>aju aber brauchen mit eine ftarfe flotte. 2lm 18. Dctober, 
bem ^atjrtage ber SSölterfcf)fad)t 311 Seipjig, rief nadj bem Stapellauf be£ 
Sinienfdnffeä „ftaifer Starl ber ©rofee" 2 Bilf)elm II. oom Statbboufe ju 
Hamburg ber Nation ju: „Sitter nottj ift uns eine ftarfe beutfdje 
$lotte!" S)ie Slntroort beS SolfeS fann nid)t artberS lauten al£: Sffiit fiub 
jur Stelle — 


Imperium et Liberias ! 




Briefe t>on 3uftinus ferner artDarnfyagen von <£nfe. 

ZTCitgetheilt unb erläutert 

OOII 

ICubtuig Zeiget. 

— Berlin. — 

ift ein mertwürbtger greunbfchaftsbunb, non bem in ben nach* 
folgenben Sötättem bie 9 tebe lein foll. ©oethe hot einmal ge; 
fagt: „^reunbfeijaft fann ficb bto§ praftifd) etjeugen, prafttfdj 
'Sauet gewinnen. -Weigung, ja fogar Siebe hilft Silles nidits jur ^reunb-- 
fchoft. Sie wahre, tfjätige probuctioe beftebt barin, baff wir gleiten 
Schritt im Seben halten, bnb er meine Broecfe billigt, ich bie feinigen, 
unb bah wir f° unoerrüeft jufammen fortgeben, wie auch fonft bie Sifferenj 
unierer Senf; unb SebenSweife fein möge." 3iach biefem 2lu8fpru<he waren 
QuftinuS ferner (1786—1862) unb S. 31. SSamhagen »on Gnfe, 
(1785—1858) feine gteunbe. Senn bie Sifferenj ihrer Slnfichten war 
311 groh, als bah fie gleichen Schritt im Seben hotten fonnten; bur<h Siebe 
unb Neigung, nicht aber burch eigentlich probuctiue $reunbfchaft waren unb 
blieben fie miteinanber »etbunben. 

Sie waren fo jiemlich in Ment t>etfcf)icben. 

$ufiinug ferner war ein Sinter. Mehrere feiner 23aHaben, einjehte 
feiner Srinf; unb SfiaturKeber finb noch heute populär. Gr wuhte bie Sieöe 
in fdjönfter SEBeife ju uerflären, ißoefie ju »erberrlidhen unb in immer 
neuen SBenbungen ben Schmers als treibenbe Äraft wirtlicher Sichtfunft 
ju oerfünben. Gr pries feine ©önnet unb Jteunbe, bie groben 3Jtänner 
ber 33orjeit unb bie .ifunftler ber ©egenwart, 33atertanb unb Sieligion. 
Gr wuhte über [ich unb 9Inbete ju fdierjen, ohne burch biefen Scherj ju 
oerlefcen. Gr ift in feinem Sichten nicht immer bebeutenb unb erfreulich, 
aber meift originell, fdfjon weil er oiel ju wenig mit fremben ober auch 
einheimifdjen ÜRuftem befannt ift. - 


52 


fubroig (Seiger in Berlin. 


ätornftagen ift fein Dichter. Die ©ebidjte uitb Stählungen, »oit 
benen bie elfteren in feiner 3 üngtingS 3 eit, bie testeten im Anfänge feinet 
SJtanneSalterS erfreuen, beweifen bieS beuttidfj. Sie finb correct unb an- 
ftänbig, aber ohne eigene ©rfinbung unb haben auch in ben ©efüljten mehr 
©onoentionelleS als SelbftftänbigeS. 

2113 Dieter befaß Sterner jmei ©igenfebaften, bie, ohne butchauS mit 
bem 2 Befen früherer ^ßoeten »erfnüpft 311 fein, boch man^em unter ihnen 
eignen: Schwärmerei unb 2Ifmeigung gegen ©elefjrfamfeit. 

Sterner mar ein Schwärmer, Bombagen ein nüchterner 33erftanbe3= 
tnenfcf). Diefer hielt fiefj an bie SB3irtlid)feit, fetter glaubte fcfion in feiner 
Stinbheit ©eifter unb ©efpenfter 3 U feilen, fdirieb manchem begnabeten 
SBefen bie gäfpgfeit 311 , aus mtbebeutenben 3ufätligfeiten bie 3uf*mft 5 « 
erratljen, baS ©efdjicf 5 U »erfünben, unb focht in ben lebten Saljrsehnten 
feines SebenS als Herausgeber inagifdjer 23Iätter manchen Stampf mit 
litterarifhen ©egnern aus, bie an feine ©eiftertfieorie nicht glauben wollten. 

ferner war fein ©elehrter. Die fremblänbifhe Sitteratur mar ihnt 
»öllig »erfhloffen; bie ©efdiidite, fo weit fie nicht etwa feine aHemädbfte 
Heimat betraf, intereffirte ihn nicht. Das ©innige, was ihn locfte, mar 
bie 33olf3litteratur, unb fie oieHeidit gerabe aus bem ©runbe, weil fie un= 
gefchichtfidh mar, b. I)., weil fie in »ergangenen 3 eiten bie 2 lnf<hauungen 
ber ©egenwart wieberfpiegette, — alfo nicht ben $ortf<hritt ber eigenen 
3eit, fonbern baS SBieberaufleben »ergangener $been 3 U lehren fchien. 
SBarnhagen bagegen war ein ©elehrter. Die fremben Sprachen waren ihm 
burdj Steifen, Umgang, Stubien »ertraut. ©r befafj einen auSgebilbeten 
gefchichtü^en Sinn, ja liebte es gerabe 3 U, biejenigen $eiten auftufuchen 
unb baiguftellen, wetdie ber, in ber er lebte, am nteiften entgegengefefet 
waren. 22 enn er aud) bie itolfslitteratur nid)t gerabe »erabfeheute, fo 30 g 
er ihr bie Stunfilitteratur£bei Leitern »or. 

33eibe waren 2fteotcüter gewefen. SBährenb aber 2>arnhagen fehr früh 
baS Stubium aufgab, — nid)t etwa, weil er »om Serufe beS SlrjteS unb 
ber 9)i'ebicin gering bachte, fonbern weil er in jenen 3eiten feine Straft 
anberS 3 U betätigen wiinfdite, — blieb ferner seitlebenS, felbfi in ben 
fahren fehr gefdiwiiditer ©efunbheit, 2 lr 3 t; nicht aus befonbeter Vorliebe, 
fonbern tljeifs aus 'Unfäfiigfeit, 'einen auberen 23eruf einsunehmen, theils 
aus einer gewiffen Drägheit, obglcid) er »on ber SBiffenfhaft, ber er be- 
ftönbig biente, unb ber Stuuft, bie er 31 t üben hotte, feineSwegS groß bad)te. 

DiefeS SöeharrungSoermögen, baS Stieben an ber einmal eingenommenen 
Scholle, gehört 311 SternerS ©igenthümlidifeiten. 2ln§cr einer 23i(bungS- 
reife, bie ihn nach Hamburg, Berlin unb 21'ieu braute, in feinet $ugenb, 
unb einem SSerwanbtenbefuh in feinem Sitter, ber ihn gleichfalls nach» 
Hamburg führte, unternahm er nie eine größere ffahrt unb überhaupt 
feine, bie ihn aus bem eigentlichen Dentfd)(aub herausgeführt hätte, trat baber 
aud) ben greunben, welche es für notbwenbig fanben, 3 U ihrer wiffenfehaft; 



Briefe poii 3nßitras Kerner an Darnfyagen non €nfe. 53 

ficken SuSbilbung frembeSänber aufjufu^ett, 5 . 33 . Ußlanb unb au<h$Barnhagen, 
bie fyranfreid) 5 Ut Stätte ihres StrebenS machten, mit SebEjaftigfeit entgegen. 

SCber ferner mar nicht nur ein Schwabe, burch feinen auSgebitbeten ißro= 
trinjialiSmuS unb burdO fein geftfleben an ber Heimat, fonbern auch burch fein 
33ehagen an fübbeutfcher ©emütßlidhfeit. 2Bie ihm ber Stoppen 2Bein troß aller 
'-Nüchternheit SebenSbebfirfniß unb baS 2lt)eetrin!en 33arnhagenS eine feltfame 
nid^t nadbaf)inung§n)ertE)e ©ercohnheit war, fo erfcßien ifjnt überhaupt manches 
Storbbeutfdße in ©ebaßren, Spraye unb Sitte, als fremb unb unangenehm. 

ferner flammte aus einer . Söeamtenfamilie, hatte feine Sfugenb an 
Keinen Drten 5 ugebradht unb lebte gröfetentfjeil^, aud) roährenb feines 
3JlanneS= unb ©reifenalterS, in einem 2anbftäbtdf)en. ©r haßte bie großen 
Stabte, in beren ©ebränge er fidj nicht hineinfinben fonnte, unb hotte 
lieh im Umgang mit 33auern jmar nichts 33äurif<h«©emeineS — aber baS 
Säffige, gormlofe, baS fdßon in feiner dtatur, auch in feinem förpertidßen 
Umfang begrünbet mar, noch meßr emgemöhnt. 3?arnßagen bagegen, aud 
einer großen (Stabt ftammenb, fühlte fidjj nur in Stabten mol)l. ©r ent 5 
ftammte einem alten StbelSgefcßlecht unb erreichte es, baff ber 2lbelStitel, 
ber in »ergangenen Beden »on feiner Familie aufgegeben worben war, ihm 
roieber erneuert rourbe. ©r mar ein höflicher 3)tann, ber auf feine duffere 
©rfeßeinung SBertß legte unb ben formen ihre 33cbeutung sumaß. 6« ift 
nichts cßarafteriftifcher, als 33riefe beibet Sorrefponbenten 5 U »ergleidßen: 
Sei Äerner fdßlechteS ober gewöhnliches Rapier, ungefüge Schriftjeic^eir, 
nicht feiten ttnfauberfeiten, wie fte bem 6 egegnen, ber fdljnell fchreibt unb 
auf baS 3lusfehen feiner SBriefe nicht achtet. S3ei SBamhagen bagegen wohl« 
geglättetes tßapier, feine $orm ber 33ogen, jiertiche, fauhere, regelmäßige, 
bnreh leinen, auch nicht ben geringften Rieden »erunftaltete Schrift. 3Ran 
tönnte aus bem Slusfeßen ber 33riefe allein ben formlofen gemütßlicheu 
Sanbboctor unb ben förmlichen Diplomaten erfennen. 310er biefer ©egen« 
faß ift nidht nur ein äußerlicher, »ielmeljr geigt er fidß auch in bem SBefen 
beiber ffreunbe. Äemer poltert feine ÜDieinung ßetauS; er ift impulfi» in 
feinen ©efüßlen, er legt ebenfo wenig SBertß auf ben kuSbrucf feiner ©e« 
banfen wie auf bie äußere gönn feines Schreibens. 33arnhagen bagegen 
iß, außer in feiner frühen $ugenb unb in feinem fpäten klter, mehr 
jnrüdhaltenb unb läßt fuß nur, wenn er feßr gereijt wirb, somig gel)en. 
3 ft er aber einmal erjürnt, fo bleibt er es unb will fidh weber burdh 
©tünbe nodh burdh freunblicßeS 33itten »on feinem 3 0tn abbringen taffen ; 
Kerner, ber gerabe in feiner leichten Grregbarfeit, bie er nicht bäinpfen 
will, häufiger 5 U BornauSbriicfien fommt, »ergißt fie fdbneti; wie er baS 
htftige SBort bereut, fo thut er aud) 2llleS, um ben Seleibigten gu »erföhnen, 
ihn bie &ränfung »ergeffen ju machen. 

©ine berartig feinbUdhe Stimmung jwifdhett ben greunben, SBamhagenS 
Sdhawn auf feinem Stanbpunft unb Kerners 33emühen, bie Differenj 
auSsugleidhen, jeigte fidh namentlich in ^Religion unb ißolitif. 



5* 


£ubn>tg (Seiger in Berlin. 


2>abei aber tritt etroaS Unerwartetes ein. SBätjrenb man annebmen 
follte, baß Kerner infolge feiner Stellung unb ©eroöbnung öemofratifd) 
gefinnt, ©arnbagen bagegen fcboti burd) feine Sanieren jum Ariftofraten 
präbeftinirt fei, jeigt fid; gerabe baS Umgefefjrte. Kerner ift conferoatiu, 
©arnbagen liberal. ®er Seßtere ual)in an bent Kriege non 1813 £beiß 
ebenfo raie er 1805 gefäntpft batte. ®er Grftere brachte eS jebod) nur ju 
lauen ^5 r e i £) ei t ö gefangen unb ju feiner UreifjeitSttjat. Stur einmal in ben 
mürttembergifdien ©erfaffungSfätnpfen, auf bie noch unten juriidjufommen 
ift, fdfnuärmte Kerner für bie ftaatsbiirgcrlicben Stedite beS ©otfeS unb 
brauste fdjarfe ©Sorte roiber beit König unb einige feiner SRätbe, freilich 
noch ftärfere gegen bie altmürttembergifclje ©artei, bie für jicb baS ©räbicat 
ber fyreibeitSroäcbter am ernftlicbften in Anfprucb nahm. 

Stacbbcm er aber burdb freie ©Sorte, bie er im ©efpräd), in ©riefen 
unb ©ebid)ten geäußert . batte, in feiner Stube geftört, oietteidit fogar auch 
ernfilicb in feiner Stellung bebrobt mar, börte er auf, ficb mit praftifeber 
©olitif abjugeben, fo bajj man biefen Stiidjug nicht bloS als eine seitliche, 
foitbern auch als eine caufale fsolgc ber gefdjebenen ober ermatteten Uni 
bilben betradjten fann. Seitbem mar Kerner in inneren unb äußeren 
politiieben Angelegenheiten entroeber ftumm, ober menn er baS ©Sort ergriff, 
ftanb er burdjauS auf ber Seite ber fogenannten conferoatioen ©artei. (Sitten 
fcheinbaren ©Siberfprud) bagegen föitnte man in feiner ©egeifterung für bie 
©riechen unb in feiner ©aftfreunbfebaft gegen bie ©ölen erblidfen. ®od) ift ber 
©Hberfprucb roirflid) nur fdjeinbar. ®ie ©egeifterung für bie ©riechen batte 
ihre ©Surjeln mehr in ber diriftlidjen anti-türfifchen Ueberjeugung unb in 
ber Steigung junt Altertbum, als bereu ©ertreter bie 3teu-@riecben freilich fc^r 
mit Unrecht galten, als in einem roirflichen ^ntereffe für politifche Freiheit. 

(Sbenfo mie fie ^iug auch bie Schwärmerei für bie „eblen ©ölen" 
mit bem romantifchen £ange für alles $rembe jufamnten, unb eS mar 
geroifj mehr Sötenfcblidjfeit unb eine geroiffe patriard)alifd)e SiebenSroürbig= 
feit, bie Kerner oeranlaftte, flüchtige ©ölen bei fief) aufjunebmen, als bie 
mirfliche Sbeilnabme an ben politifdjen greibeitsfämpfen ber Station. 3« 
ben- sroei fällen aber, in benen es ftcE» um mirfliche Aufftänbe in Sachen 
ber Freiheit banbeit, bei ber ftulßSteoolution bes SalpeS 1830 unb ber 
gebruar* unb 9Jtärj=Stei)olution im Qabre 1848 oerleugnete Kerner bie 
Sache ber Freiheit burdjauS. Gr hielt bie Aufftänbe für unberechtigt, oer= 
benlichte bie Unterbrüder unb fab bie fdjlimmften folgen für feine Heimat 
unb für ganj ©»eutfdjlanb oorauS. 

©ietleidjt mürbe feine (Srregung über bie SDtärjtage nod) burdb feine 
Abneigung gegen ©erlin unb norbbeutfd)eS SBefen beftärft; bie ganje Art, 
in ber er biefe geinbfebaft jum AuSbrucf brachte, mar fo, ba§ ©ambagen 
ernftlich ergrimmte unb bem alten greunbe ben gebbebanbfdbub binwarf. 

And) in religiöfer ©e.tfebung berrfebte jrolfdjen ©eiben ein grober 
©egenfafc. Kerner, ber ©roteftant, mar eine gläubige Statur unb, mie 



Briefe roit 3 u f t * n «s Kerner an Parnljagen ron €nfe. 


55 


manche proteftantifdje dtonianüfer, nidjt frei uon fatßolifcßen Neigungen. 
Sarnßagen, ber Statßolif, war troß feiner romautiicßen SSergangenßeit, nieU 
leidet gerate burdß feinen langen Aufenthalt in SÖertin, möglicßerrocife au<ß 
burd) feine näßen Sejießungen 311 jübifdßen Streifen, ber Aufflärung jugeneigt. 
Gr roar fein dteligionSfeinb, aud) fein cpnifdjer «Spötter, fonbern ein 
©feptifer, burdßauS roeltlid) in feinen ©efinnungen. ©aßer mußte ißtn 
febeS Auftreten gegen pofitioe dieligion roittfommen fein, mochte eS ficß im 
proteftantifcßen Säger jeigen, rote ©. g. Strauß’ fritifcEje Arbeiten, ober aus 
fatßolüdjem Saget ßeroorgeßeit, roie bie Silbung beS ©eutfdj=5tatßoliciSmuS. 
Strauß, ber als HeimatSgenoffe unb burd) perfönlicße Sejicßungen ju ben 
intimen beS SternerßaufeS jäßlte, unb ber burcb feine liebenSroürbigen 
biograpßifcßen Säuberungen mit am meiften baju beitrug, StemerS SBertß* 
fcßäßung 31 t oerallgemeinern, rourbe je länger befto mehr ferner unipmpatßifd), 
ja feiner Scßriften roegen gerabeju oerßaßt, fo baß fetbft in feiner Gße=2tnge= 
legenßeit ferner auf Seiten ber grau ftanb; Sarnßagen bagegen galt Strauß 
als Serfünber geroaltiger gbeen unb als dtepräfentant einer neuen 3 eit. 

©roß aller biefer jum ^£>eit feßr ftarfen, bem inneren dßefen Seiber 
entftammenben ©egenfäße glaubten Sterner unb Sarnßagcn, ber Grftere 
freiließ meßr als ber Seßtere, faft ein ßalbeS gaßrßunbert (1809—1858) 
greunbe ju fein, dtadjbetn Sarnßagen 1850 fid) fcßmollenb jnrörfgejogen 
ßatte, unternahm ber faft erblinbete ferner ein förmlidjeS SiebeSroerben um 
ben oerlorenen greunb. Gc fc^icfte ißm bie auSfiißrlidjften Schreiben unb 
ließ außer feinen eigenen »ielen Jßorte aud) bie Grinnerung an gemeinfame 
greunbe, felbft Gpßeublätter non bem ©rabe Heimgegangener für fid) fpredßen. 

®ie ©rünbe, baß troß ber tiefgeßenben ©ifferenjen beibe ÜDtänner 
menigfienS äußerlid) fo lange jufammen roanbelten, liegen außer in bem 
eben ermähnten unoertilgbaren in Sterner rubenben SiebeSfonbS ßaupt* 
fädßlidj in jenem gugenbbuft ber dtomantif, ber Seibe in ißrer güngtingS- 
*eit gemeinfam angeroeßt ßatte, befonbetS aber in bem großen Ginbrud, 
ben diofa dJtaria, SarnßagenS Sdjroefter, auf Sterner oentacßt batte, unb 
ber aud) baS geftßalten an bem Sruber beförderte. 

Son einem biefer beiben Momente, ber fdjroäbifdjen dtomantif, 
muß mit einigen dßorten bie diebe fein, roirflicß nur mit einigen Söorten, 
ba biefe Ausführungen bie ©renjeu einer furjen Ginleitung nidjt über- 
fdßreiten follen. 

®ie fdjroäbifcße dtomantif fnüpft an bie ältere dtomantif, bie mit bem 
dtamen ber Srüfcet Spiegel bejeicßnet ift, eng an. Sie unterfcßeibet ßdj 
roefentlicß oon ißr baburcß, baß Re bas Scßroärnterifcße in ben Sorbergrunb 
ftettt, baS ©eutfdje meßr betont als baS AuSlänbifcße unb baS ©riedfentßum, 
unb baß bie jungen ßier oereinigten dJtänner in fleinbi'irgerlidjen Greifen 
leben unb oerroeiten, oßne baß fie burdj jenes ^tmmelftürmcrif^e in ber 
5ßßilofopßie unb bie SBiberfeßlicßfeit gegen baS eroige dJtoralprincip aud) 
wir amtäßernb jenen nadßjueifern fudjen. 



56 


£ubwig (Seiger in Berlin. 


®aS Houpt jener fc^roäbijcfjert Dlomantit mar Subroig U^tanb, 3m 
herein mit Äerner u. 31. begrünbete er 1807 in Tübingen ein Ijonbfhrift; 
liheS Soumal „®aS Sonntagsblatt", in bem bie jungen ®id)ter gegen bie 
JUaffifer gront mailten, als beren bouptfäd)lid)fteS Organ baS im Gotta’; 
f<ben Serlage erfdjienene „3)iorgeubtatt" galt. 

Gin paar Sähe aus einem 3lrtife( UblanbS über baS fRomantifhe in 
jenem „Sonntagsblatt" finb and) für bie 3lnfhauungen ftemerS recht 
harafteriftifdj. «Sie lauten:' 

„®ieS mpftifhe Grfheinen unfereS tiefften ©emütbeS im Silbe, bieS 
Sinnen beS Unenblidjen in ben Slnfhauungen ift baS $Romantifd)e . . . ®aS 
Gbriftentljum trat auf mit erhabenen Cebrmorten aus bem Dteidj ber Uri; 
enbtidbfeit. $u biefen SBorten tarnen bie Silber: baS Rreuj, ber Äelcb . . . 
benn bie ©egenb ift romantifcb, wo ©eiltet manbeln." 

®ie ©ejinnungen biefer jungen <ccbule werben in ber fürjlid) er« 
fdjtenenen Sriefjammlung „SuftinuS ferner unb feine greunbe", 2. Sbe., 
Stuttgart 1897, burdj niete Seiträge beleuchtet. 

■Namentlich bie frönen Sriefe UblanbS unb JtemerS finb hierfür be; 
fonberS mistig. 

3n biefen ÄteiS jugenblidjer ©enoffen trat Sambagen im Sabre 1809, 
unb trob aller ©egenfäülicbfeit feines 2BefenS bilbete ficb jroifhen ibm unb 
ben beiben genannten Häuptern ber fdjmäbifhen Sdbule eine innige ffreunb« 
fhaft heraus. 2ßäl)renb nun aber bie Sriefe SambagenS an Äerner, 
beren Originale im Äemerbaufe ju SBeiitSberg ficb befinben, in ber ge; 
nannten Sammlung abgebrueft finb, mürben bie Slntroorten StemerS unb 
bie rieten Sriefe, in benen er fid) an Sarnbagen manbte, abfihtlicb ober 
unabfidjtlid) »on ben Herausgebern übergangen. ®et eigentlidje Heraus; 
gebet ber Sammlung, ber 80 jährige Sohn beS ©icbterS ®beobalb ferner 
tonnte reiht wobt eben feines hoben SltterS wegen bie teilte ÜJtühe freuen, 
nach bem Serbleib ber Sriefe feines SaterS an Sambogen ju fragen, unb 
nießeidjt bot feine fyeftfefmng beS UmfangS unb Schotts ber ganjen 
Sammlung auch ben eigentlichen Searbeiter beS SBerfeS Gruft ÜJtüHer ge; 
binbert, fernere Stritte ju tbun. freilich ift baburdi bem ©anjen ein 
ungemem mertbuoßer Sbeit »orentbalten worben, ber in ffolgenbent nah 
feinen Hoiiptftücten mitgetljeilt werben foll. 

Son ben 78 Sriefeu unb SiHeten Werners an Sambogen finb tyex 
uerbältuifjmäjjig wenige barjubieten. 

®aS erfte Stiid beS SriefmedbfelS ift ein Srief ftemerS, wenige ®age 
nah bet 3lbreife SarnbagenS aus Tübingen gefhtieben. 

Gbarafteriftifh in biefem Sriefe unb in einigen ber folgenben ift ber fecte 
Humor ÄernerS, ber es bem fpäteren, mit ben Serbältniffen im Ginjetnen 
niht fo »ertrauten Sefer oft fhwer, wenn nicht unmöglich macht, baS Ginjelne 
Sit »erfteben unb Sehers unb Gruft ju fonbem. ®a§ bie Sorgänge beS gleich 
folgenben SriefeS faft lauter Grfinbungen finb, »erftebt fih aßerbingS »on felbft- 



Briefe non 3uftinus Kerner an Pampagen non (Enfe. 57 

Tübingen bet) ©otta, 4. (1809). 

Biebfter Sambagen! 

SSerat Sie einiges in meinem ©riefe nicpt üerftepen fönneu, fo fcpreiben 6 ie es 
bem Bärmen ju, bet mirfltcp im §aufe ^crrfcfet. Sott Sbrer Dibreife an nepmlicp ftrömt 
es mit Beuten aus ber ©tabt uitb ber benad)tbarten ©egenb, bte alle touttberSpalber 3hr 
3rimner beferen unb bie $apicrfd)nipfel auf bem ©oben unb fo gebt eS üon morgens bifc 
in bie Diacpt ptnetn fort, ©rabe über üon ber 23anb, too bie Tintenflecfen ftcf) prüfen* 
tieren, tourbe ein ©tanb für ben hoben SIbel, ©otta unb bie $rofefforen errichtet. 3 m 
„Dürfen" ftrömt eS üott fjrember, bie fcpoit 3—4 Tage üergebenS ficb herauf ju preffen 
üerfudpteit. Dille DJitftpäufen mürben um baS §auS herum Don bem Solfe platt getreten 
unb an ben Tporen beS i^aufeS mie üor 3brem 3nnmer holten ©djiuirren unb Banbreutcr 
mit langen Satan cierftangen 23ad)e, um Tob unb DJiorbfcplag unter ber 2)ieitge 31 t Per* 
hinbem. ©S ift einzig in ber ^iftorie. Den föafelmeper hört ich foebeit gan* mörberifch 
an bem Tpor fdjreien, er mitt umfonft eittgetaffen merben, bemt er behauptet, ©ie fepen 
ihm noch toaS f^ulbig geblieben, ©ein föüuSlein ift ihm nachgefpruugeit unb er fucpt eS 
nun üergebenS unter ber DJienge, eS toid eS fein DJienfcp bemerft hoben. 

3hre Tpeebüdrfe marf td) geftern üon einem ©d)augerüft herab feierlich unter baS 
Sott aus. Da ich fte mit Sapierfcpnipfelit auS ^ rem Zimmer füttte, fo mar bie ©r* 
martung rings auf baS &öcpfte gefpannt. Drepmal [teilte ich midj, als memt ich fte iept 
aus meinen Jpänben moltte fahren taffen unb brepmal fdjoü bie ganje DJtenge auf ben 
Soben. ©üblich fuhr bie Tpeebüdrfe mit einem ©cpmeif üon Sapterfcpnipcln, einem 
Kometen üergteichbar, burch ben ßuftraum unb nun mar ganj Tübingen ein ©chnappcr. 
Siet ©albterer, ein ©ottaift unb 3 3uben mürben erbrücft unb jrortep erhielt eine 
JQuetfcpung am hinteren gufe. 

3ch üerfuchte heute üermittetft ein Saar alter Unterhofen unb einer Stille 3hr Sitb 
nadföumachen unb ftettte eS auf einem ©djaugerüft an baS genfter. — SklcpeS ©cfcprei, 

©ebränge unb cinbeifjenbeS Dtafcpauenü O §immet! — SergebenS mollte ©onje 

ber fchon 4 Tage in 3hrem 3üumer üon ber Stenge eingefchtoffen gehalten mirb unb 
ücrgebenS fidh htnanSgupreffen fucht, (inctufiüe mirb ihm baS ©ffen burch eine hohe Stange 
gum Sfcnfter pineingereicpt) üergebenS moltte ©ons burdh eine lange Diebe, mo er mit 
DlrifioppaneS gröfcpen anfing, bem Solfe begreiflich machen, bafe bieS nicht ber mapre 
Sampagen fep, er mürbe üon bem 3ubelgefcprei: „Siüat ber fierr ©auptmann üon Sarn= 
pageit! Der ©apiertünftter! Der ©eftcpterfcpneiber! „übertaubt". 

Der auSgefchnittene ©tripelmeper, ben ©ie mir jurücfliefjen, mürbe, mie icp foeben 
pöre, heute üon einem Kaminfeger in beS DtocpbarS Kamin üorgefunben, mopin er bepm 
DlnStoerfen fottberbarer DBetfe üom SBinbe getrieben mürbe. 3hre Tifcpe pat Sinber an 
©otta, ber fie in Serlag nehmen mirb, um rafenbeS ©elo üerfauft. ©cpon mirb am 
erften Sogen beS großen TtfcpeS gebrucft. Die fteinen Tifcpe merben in Tafcpenformat 
erfcheinen. Die Buft itt Sprem 3intmer mirb üon Kielnteper djemifdj unterfucpt, unb 
man ift fepr gefpannt auf bie Diebe, bie er barüber hotten mirb gu melcper fjeierlicpfeit 
baS „DJtorgenblatt" unter Dtnfüpruitg SaggefenS eingetaben ift. 

Beben ©ie mopl, id) mufj fcpliefcen, eilenbS, ber Tumult mirb gar gu tod, unb id) 
rnufe meinen ©ruber auffucpen, ber ats ©ourier üon bem König hierher gcfcpicft mürbe, 
meit in ©tuttgart bie ©age gept, es fep plößlicp ein §eer Dürfen in ber ©tabt erfd)ieiten, 
toaS aber nur baS tolle Dtufcn „Siüat ber ©eftcpterfcpneiber!" u. f. m. 

3u Siebe ber 3 hrc 

Kerner. 

3ur ©rflärung ber ©iujetpeiten im uorftepenben S3rief fei baran er* 
innert, bafe Sarnhagen, übrigens auch feine ©dpefter, Dtofa SJfaria, eine 
6efonbere Stunft im $papierauSfd)neiben befafc, fo ba& ferner nodh Satyr* 
jehnte fpäter für feine ©nfetin biefe Kunft beS alten greunbeS in Dtnfprudty 



58 


£ubu>tg (Seiger in Berlin. 


nahm. — 3>on tBatuhageng norbbeutfdjcr ©ewohnbeü beg ©heetrinfeng int 
©egenfafe 511 beut äßeingenuft ber idmiätufdien fyreunbe mar fd)on oben bie 
Diebe. — ^afelmeijer war ein Antiquar in Tübingen, bet auch fonft in 
Wernerg Briefen eine Diode fpielt unb bet auch SBatnhageng litterarifdje 
SBebütfniffe befriebigte. — .2. oon [froriep (1779 — 1847) fann nicht 
ju Wernerg oertranterem Streife gehört haben, ba er in bem gebrueften 
[Briefmedjiel nicht erfdieint. Gr wirb Igor vertnutfjtid) nur alg ein be= 
fannter ober al» bet befanutefte bnmaiige 2 lrjt genannt, ©ein Dlame ifi 
Sitteraturfreunben befonberg baburd) oertraut, baf; er feit 1816 in DBeimar 
im ©oethefreife lebte. [Bor biefem Sßeimarer Aufenthalt mar et in 
Tübingen, bann in Stuttgart, mo er buvd) feine wiffenfcbaftlichen Seiftungen 
unb feine praftifdic ©fätiqfeit einen h m, orragenben ißlah einnahm. 

©tripelmcper tonnte, menn er nicht etioa, roie toahrfdieinlid), blog 
ein ©efdjöpf ber Weruer’fchen üßhantafie, etioa mit bem Tübinger Ghemifug 
©taubenmeper ibentificirt werben. — Garl SPhitipp Gon}, ber 
ftugenbfreunb ©ebiderg, 1762 — 1827, gehört fdion burch fein Alter einer 
früheren Dlühtung an. Aber auch burdi feine ganje Anlage war er mehr 
bem GlafficiSmuS ergeben. Gr war ein unbebingter Verehrer Wlopftocfg, 
ein begeifterter Sobrebner beg ©ricdicnthumg, bem er burd) feine au§= 
gebreitete philologifche ©hätigfeit oenoanbt war. ©rofc feiner tlaffifdhen 
Dlicbtung [teilte er fich inbeffen ben ^imijcrcn nicht feinblich gegenüber. 
UBcnn er baher auch, wie fdiou aug unferem Briefe unb bem folgenben 
heroorgeljt, unb wie [ich aug Wernerg [Roman „Dleifefdjatten" jeigt, mo 
Gonj als ©olbfafan erfdieint, gelcgcutlid) oon Werner oerfpottet würbe, fo 
follte er bodi, wie .Werner 1837 ooit [Barnhagen wünfd)te, oon biefem in 
feinen „©tenfwürbigfeiten" gefdjont werben. — ©er 33ruber Werner», Wart 
©heobalb, ber in bem ©chtufjpaffug beg Sfriefeg erwähnt wirb, — 
gewif; ift biefe gan}e ©teile fdicrjhaft }u nehmen, — fpielte aderbingg in 
bem Sßürttemberger Dlegierunggwefen eine bebeutenbe Diode. ^m ©egenfab 
}u ©eorg Werner, bem früh oerftorbenen Dleoolutionär, brachte er es 
51 t hohen fahren. Gr ftarb im $ahrc 1840. 

©er ©ob biefeg eng i 5 erbitnbencn würbe oon Quftinug in oielen 33erfen 
unb rühreuben fßrofaworten betlagt. Watl Werner war urfprünglidj DRUitär, 
aoancirte big }unt ©eneral unb }eid;nete fid) in ben Dlapoleonifchen Wriegen, in 
beuen er alg HBürttemberger unter fran}ö[ifdjer flagge bienen muhte, in 
manchen ©djlachten aug. 3 ut Qahre 1816 würbe er württembergifcher 
DRiniftcr unb nahm big }u feinem ©obe eine hodjangefehene ©tedung ein. 

©tiefem [Briefe folgen eine An}ahl ©eiftergefdjidjten, bie mit ben 
HBorten beginnen: „Auf folgenbem SBlättdjen ftnb feine Sügen!" unb beren 
©emeinfameg bariit be[tel)t, baf; ber ©ob ein}etner ffJerfonen ben juin 
©terben 93eftimmten felbft ober nahen Angehörigen burch wunberhare 
3eid)cn ober burch Grfcheinungen oorhet oerfimbigt wirb. Gg bürfte faum 
nöthig fein, biefe ein}etnen ©efchichten mitjutheilen. 


» 

I 



Briefe Dort 3 u ftimts Kerner an Damfyacjen Dort <£nfe. 


59 


©en ßrjäljtungen folgt eine Keine ^umortftifcfje 9tadfifdjrift, in ber 
Äernet beridßtet, baß fein 2 luffa|$ übev bie Staultrominel, jenes ^uftrument, 
baß er fo funftreidb zu fpielen mußte, in 9ir. 59 beS „fDtorgenblatteS" 
aufgenommen worben fei. 

@r fließt mit bem f&etSdjen : „&a 6 en Sie neue ©apeten unb Seute, 
bie fein reben?" 

©ewiß bejießen fidfj biefc 28orte auf bie ©infadßßeit ber 3immet:2lu3= 
ftattung in Tübingen, über bie fidfj Sßamßagen befiagt ßaben mag, unb 
auf ben fübbeutfeßen ©ialect, ben ber 9torbbeutfcße uielleicßt 51 t tabeln fidß 
erfüßnte. 'JBenig fpäter als ferner batte audß Savnßagen gefeßrieben. 

Sein 35rief aus Sajfel, 10. ’JTOärj 1809, beginnt mit ben 2Borten: „Sei 
itidjt nermunbert, mein geliebter gfreunb, baß icß ©idj mit ©u anrebe." 

@r ßatte in biefem SBrief feiner Seßnfudßt unb Siebe, feiner ©rinnerung 
an bie gemeinfam oerlebte $eit unb feiner Hoffnung 2luSbrucE gegeben, 
ben ^reunb in Hamburg wieberjufeßen, wo SBarnßagen eine zweite Heimat 
gefunben ßatte unb wo ferner mit befonberer Hoffnung auf bie ißm burd) 
ieinen öruber ©eorg jugefagte Unterftüßung feine mebicinifdien Stenntniffe 
praftifd) oermeßren wollte. 2 lngeregt burd) 3 >arnßagenS fßertraulidßfeit, 
bebiente fief) aueß ferner in feinem gteießfotgenben 'Briefe beS freunbfdinft; 
ließen ®u. ©aß in biefem Sdßriftftüd Center wtcberuin feiner reidjen 
ißbantafie bie 3 dget fdßießen läßt, oerfteßt fidß oon felbft. Db überßaupt 
ein 3n>tefpalt jwifdßen Gotta unb ben Seinen ftattgefunben ßat, ift meßr 
als jroeifelßaft. ©er SQrief, in beni bauon bie Siebe ift, ift jwar unbatirt, 
geßört aber fidßer, wie audß aus einer Bewertung BarnßagenS auf bem 
Originale ju fdßließen ift, in baS fyrüßjaßr, jebenfattS 3lpril 1809, benn 
am Anfang bes 93iai madßte fidß ferner auf feine Hamburger Steife. 

fiiebfter föauptmann! 

Meinen ©rief auf ©ifenbtecß gefeßrieben wirft Tu, befter $jauptmaun, nebft bem 
feilten ©riefe erßatten ßaben. Tein ©rieffein ift bet) mir unb wirb, wie icß ßeffe, halb 
mit mir in bem tapezierten Hamburg eintreffen. ©8 feßeint, baß Xu in %) Sein 9laucß= 
fcßWalbenfeben ebenfo fortfeßeft wie in Tübingen, beim icß ßöre boit bortfjer fein Mort 
Bon Sir. Sein Stoff er ift ben Sottaiften übergeben unb Bott benen noeß mit einer öaut 
überzogen worben. @r fam noeß grabe redjt, beim bie (Sottaiften ßaben fieß gegen ißren 
Meifter empört unb icß ßabe baju mit ber Maultrommel bie ©turmglocfe gefeßfagett. 
®8 war einjig, biefe ©eßlaeßt in ber ftiftorie. Srelmal fcßiittelte Siiefe Gotta feine 
SugenpaHifaben (fpanifeße Stugenreuter SlrieteS, ©ocfSßauer) unb brei Mal trat ber SRecfar 
au8 feinen Ufern, Gonz würbe habet) Bon bem Sritcf ber Suft fammt feinem ©artenßaufe, 
in bem er fieß gerabe befanb, in eine ferne ©ittöbe beB ©cßmarzwatbeS entfüßrt, wo er 
mm nacß neueren fRacßricßten a!8 ein ©inftebler (eben unb ben ©äutnen StevbeuSlangtneile 
tnaeßen fott. 3eß fpraeß Bor ein paar Sagen fo einen ©aurn, ber fieß auä Verzweiflung 
au8 ber SBurzel riß unb eilenbS ben ÜRecfar ßerabfcßiuamm. ©eine ffröfeße unb Slmeifen 
unb anbete älusmanberer auB berfelbigen ©egenb faßen auf ißm. Slbcr oßne ©fpaß. 

®änt ©e au feßon gßört baß bat ffioß an Sßoltpa in bar fRafe ßat? Se8 Sing 
ift boeß Berfluadjt 8’ Morgenblatt faeßt itecßS beroobn aber 8’ift getniaß woßr. Menu 
her ©oltjp a romantifdj Wär ober fo a ©algamänttle ober a Sllrauntourzel ! 

Ober wenn ber Gotta ben fßolppa in ©teinbrud tßat am Morgabtatt beyfega unb ber §öf 



60 


Cubung (Seiger in Berlin. 


(ber 2lu8ljöcfer) ober ber 33öttiger ihn befcbreiba tbät. SSenttS a romatttifcb 3to^gli war, 
baS am ber Brentano ober ber ©örreS amol tiftiga 28eiS applicirt! aber a Stuablgapfle! 
’S war bod) närrifcb! Ober geibts int griachifdja au fo was! Ober iftS a ffuaß tont 
ana iteita SßerSart! a $8ielfuaS Cöratfleifdi (Mmbaurn, 33acfbef). 

2TIS Xu fortwarft, ba 'habe icf) unb Ublanb nod) ä la karl innerhalb ad^t Xagen ein 
jdiergbafteS Stitgfpiel oerfertigt, baS „Xer 33ar" bdßt 9iod) einmal befucfjte idj auf 
meiner Steife Oon Xübittgcn hierher bie Stabt ber Sieber, bi« wohin mit (fo toabrfdjehdtdb 
für mid)) Ublaitb, ber treue 3Ji amt, begleitete. Xafelbft fanb td) einen 83olfSromait bor, 
ber gang edjt ift unb oon bem idi toenigftenS ttocb nie ein Sßort börte itod) fab. Xer 
Xitel ift: „SHiefertgefdiidjte ober furgweilige unb nüfclicbe ^iftorie Oom konig (Sginbarb 
aus Sööbmett, toic er beS kaiferS Otto Xodjter habe aus bem ktofter bringen laffen 2 c. 
item toie bte groben liefen bann bieß köntgteicb überfallen unb WaS für tounberfame 
Streite mit ihnen öorgegangeit, aud) oon ben Stümpfen ber Witter oon Xannenbaum unb 
oom Sorbeerblatt, unb toie ber Dritter 3uliuS ficb bie königliche Tochter gu einem elje= 
lieben (Gemahl erworben. 5HIeS nü^lidj unb lebrreid) befebrieben oon Seopolb Siebtem, 
gebürtig gu Sambadh in Dber-Defterreuh." 

Unb biefer Vornan ift für gang original eingig itt ber £iftorie. 3cb habe 2&ifdb= 
bauer, ba er fid) uidjt in Xuplo oorfiitbet, üertproeben, ihn Wteber gurüdgufenben, bamit 
er ihn neu auflegeit föitnte, toie ich mit bem SßoutuS tfiat unb fo famt ich ihn alfo Xtr 
nid)t mitbriitgeit. 

3cb fab oor einigen 2öod):it baS erfte Wlal in meinem Seben djineftfdje Statten, 
worüber ich gang eittgüdt [war], Xa Xu fo eilt großer 5luSfd)neiber bift, fo Ehmteft Xu 
mir Wohl (welche) machen. Xamt Will ich berumgieben unb komöbicit auffübren. 

3d) hätte folgenbc romaittifdje Figuren nötbig: (Sitt $aar ungeheure Slugenbrauen, 
einen (Sotta, einen 3tuerg, einen §anbwerfspurfcben, einen liefen, einen Stegenfenten, bitf, 
ein (paar §uttbe mit beweglichen Sdiioängett, eilt perfonifigirteS 9Jtorgenblatt, einen 
3Korgenblättter im Sdjlafrocf mit betoeglicbem 3toW an ber Sfacbtmüfce, bret) ^tonnen, 
ein altbeutfdjeS Jfrättlem, eine .§ed)fe, üier Xeufel mit beWeglicbm 3mtgen unb Schwängen, 
einen Soweit, einen romantifeben Xicbter, bürr, foitnenblumenftengelartig, einen ©ärtner, 
einen Schäfer, eine Schäferin, einen 3ifleutter, einen 3äger, einen Quacffalber ober 
Ob^enargt. Xtefe bitte ich Xicb boeb mir auSgufdmeiben unb biefe Figuren langen fdioit 
gtt 12 berfebiebenen komöbicit. 3<b fehe Xid) halb. 2lbje. Xetn] 

3uft. kemer. 

3utn 33erftänbniß bcS oorfteljenben Briefes ift ntattd^erlei ju bemetfen. 
®ie greube ketnerS an bem neu gefunbenen 33olfSbud) „(&dnl)örb von 
83öl)men" war fo groß, bafc fie it>n oeranlaßte, ein ©tüd ber SBorrebe unb 
ein langes ©tüd aus bem 33uc^e felbft bem ^reunbe mitgutfieilen unb mit 
einer 3ei$nung j U begleiten. 

@S märe wenig angebracht, ibrn in biefem ^Beginnen gu folgen, ba ber 
33olfSroman neuerbingS, mie rnidj 3- Stolte belehrt, mehrfach, j. 83. in 
SJtarbadiS SMfSbücöem, 33anb 7, abgebmeft morben ift. 

gteifdjhauer, ber aud; biefen 3toman erneuern follte, toie er ben non 
kemer mieber aufgefunbenen Driginalroman ^ßontnS abgebmdt ^atte, mar 
83nd)l)änMer nnb 33ud)brucfer in Steutlingen. 

®ie f leine fdjraäbifdje ©iateftftcllc, bie bem 33riefe angeffigt ift, rietet 
fi($ bauptfädjtidj gegen ben alten 3Soß in £eibetberg, ber feinem 3^ fingen 
bie 5Romanti!er in einem im „5)torgenblatt" abgebrudten ©onett unb in 
mandien ntünblicben unb fdjrif tlidjen 2leußerungen Suft gemalt ^atte. 3m 


Briefe Don ^ufeinus Kerner an Darntjagen non <£nfe. 


6 { 


©egenfafe ju tlpn, beffen heftige ÜRecenfion ber Sammlung, „©eS Knaben 
ffiunberhorn" tfjm eine gel)arnifd)te 2lntroort 2ImitnS jujog, ftanben bie 
fdjmäbifcfjen g-reunbe ferner unb llblanb fdjon feit 1807 mit 2lrnim in 
freunbfd)aftlid)er 33e$telntng (ngl. Steig I. S. 362 flg.). £öcl unb 
33öttiger, bie als gelehrte Grflärer angerufen mürben, maren beibe eifrige 
•Kitarüeüer beS „HJlorgenfelatteS". 23efannter ift ber Sefetgenamtte, ber als 
3lrd)äologe eines bebeutenben 2lnfeljenS fid) erfreute, als litterarifdjer 5Rit; 
arbeüer einer grofien Stnjatd SBlätter fid) niete SJtänner »erpflidbtete, bod) 
aud) mannen ©egner gegen fid) aufrief. Sßeniger befannt mar 3 . ®. ,§öd, 
3urift, berfelbe, ber 1819 D6er=3uftijrat[) in Gllroangen mürbe unb in 

Teufels Sd)riftftelter=2erifon als -Mitarbeiter non litterarifdjen 3eitfd>riften 
angeführt matb. ©erabe bamats 1808—1810 neröffeuttidite er im „Morgen* 
blatt" nielfad^e Stubien über gefdiidjtlicbe, naturmiffenfdjaftlidie unb litte* 
rarifdje ©egenftänbe. — ©afe ber alte 33ofe fid) megen eines fPolppen in ber 
Dtafe operiren liefe, berichtete ferner an Uffeanb, 22. 2lpril 1809, mit bem 
3nfafe, „mört liefe, maS id) in ben „SReifefcfeatten" (einer ©icfetung ßernerS, 
in ber mancfee 3 e Ogenoffen nerfpottet roerben, 2'ofe als. ber alte Siebter 

©amon) erfdjeinen liefe, ofene eS ju miffen." ©er 23är mar ein gemeinfam 
non Ufelanb unb ferner gebicfeteteS ffJoffenfpiel. „©er 33är lauft noefe milb," 
melbete Ufelanb am 11. 2lprit 1809, mäfjrenb Äerner fefeon am 1. 3)tai 
1810 mittfeeilen fonnte: „©er 23är fdjeint ßarl MaperS SBeifall niefet ju 
haben. Gr fagte, eS fei $u roenig ilomifcfeeS brin." 2lm 1. Mai begann 

ftemer feine Hamburger Steife. 33om 24. ift in ber neuen Sammlung 

fein erfter SBrief aus Hamburg batirt. Ginige 2Bocfeen fpäter bürfte bet 
junäefeft mitgetfeeilte 33 rief gefeferieben fein, ber einen längeren 2lufentbalt 
in Hamburg norausfefet. Man mirb alfo nicht fehl gehen, menn man 
baS unbatirte Schreiben bem $uni 1809 jumeift. 

©er ©rief lautet: 

Siebfter SSarnhagen! 

©trifeetmeper tobt! — 3 cf) in (Qamlmrg. — Xu in Berlin. 

So traf id) ©ich nimmer allhier an! unb fo fdtoit märe eS bod) gemefen, menn toir 
un8 in einem tapejierten 3immer mieber umarmt, an einem runben ©ifd) unS burcf' bie 
Sritten angefeljen nnb miteinanber ©hee getränten hätten. . . . 

33ei ©einer Sdjmefter liefe id) mid) fefethiu meibeit, üc mar aber nidjt p £>atiS. 
3* fam ben anbem ©ag. Xa fanbte fee mir einen fdjmäbiidjen jpanbmerfsburfchen, (ben 
fee, mie ich nachher erfuhr, bitrd) langes «Nachfragen au&funbfchaftete unb ber fech fdtoit 
20 3ufer allhier aufhält) als ©ottmetfefeer entgegen, fee felbft ftunb im föintergrunbe. ©et 
XeUmepcher [teilte fech auf eine ©heemafchine in bie Mitte unb fo fotuiten mir uns Oer» 
mittelft biefeS fjanbtoerfSbnrfcben fo jiemlid) berftänblid) madien. 9lud) nidjt etnen SSrief 
uon Xir habe ich angetroffen, ©reulofer 'Kann, meineibiger .fjauptmann unb Äapitan. 
Xie fdjone 3ungfer ipouin notabene hat mit mir bie diene gemacht, fee müfete Xir nad), 
e8 ift tntiefclid), fee ift mahnfennig unb feiirmt burch alte ©affen mit einem DteüfeSanäeiger 
in ben fcänben, ©ich aufpfuchen. 

©en Steanber habe ich fennen gelernt, er ift aber gar fefeeu. ffeunge fenne idi 
auch M *>b fdj% ich fehr. ©onft fah td) and) feinen SWenfdjen, ber ben 5|Jerrücfenmacfier 
(Sonrabi ober SBinberS älteften Sohn iiberfteige, ob ich gleich fdjon biele in ©npeten 



62 


£ubn?ig (Seiger in öerlin. 


fbredien f)örte. Der alte (Sbeltitg ift ein ©entifd) t>on beut alten SBerrürfcnmacher (Sonrabi 
unb beut ISptgvamntet §aug. (Sr zeigte miv bie ^3 ibliottjet. Der junge Dr. (Sbelütg aber 
ift ein ©emtfd) bon feinem Dttcle (alfo hont ^erriicfeitmacber (Sonrabi uttb £aug) unb betn 
Dr. Milbiger in g-reiburg. (Sr pumpt halbe Dage laug buvd) fein 2kcuum laues SSaffer 
uitb eJrofdjlad) — unb fiitbct fid) 31 t meinem Üeibtuefen gar oft unb lang bet) meinem 
$ ruber ein. 

Söoit Ul)laitb fjöve id) nicht*. (Sin odwtteiifpiel (ein djiitefifdjeS) huhe id) berfertigt 
34 mödite eS Dir mittheileu foulten ! ©ebt 3f)r fein 3ouritaf ober toaS heraus, fo totU 
id) es Dir baju feitbeit. (SS märe maS, tuorauf ber alte (Sbeltug feine ^errüefe [teilen 
fönitte. 3d) bitte Did), bafe Du biefeit alten (Sbdiitg nun ftatt Stripelmeber in beit 
Vornan eiitriicfeit läf$t. 2 öie id) es bei meinem dititefifcben Debatten mache, mo 5 . 58. 
plöfcli 4 aus einem 0 d)t!bfued)t in effigie nnb (Sbaraftcr ein Sßrofeffor ber Slftrortontie 
hevborgcf)t, fo mürbe idj gerabesu, ohne lauge 51 t fageit lute unb mar um, aus Strtfcek 
nteber ben (Sbeling herborgebcit laffen. — 34 befchäftige mich mtit fefjr mit ber praftifcheu 
2ftebicitt, mo 3 U id) hier alle ©elegenheit finbe, uub Du gingft nad) Ditbingeit, fic bort gu 
fudjeitü! 

2lit Deiner 04wefter ftitbe teb ein grofjeS SSohigefaÜen, unb menn id) auch fprecheit 
föunte, möchte id) fie öfters befud)eit. 

fontme hierher! SßariS iti'tfet Dich in fHiicfftcht ber 9Mkin nichts, Hamburg alles I 
$¥omme, id) bitte Didj! — föauptinann, ©efidjterfdpteiber, 0tri&elift! ftornm. 

©ott fegite Did) unb empfehle mich ad Seinen greunben unb ber 9M>emoL Sebi 
(Suitgfer £ebi) tnSbefonbere .... 

©egeben 3 U Hamburg an einem Dage 
Da id) mar ol)u 0d)merg uub Silage. 

3?on ben in biefern Briefe gefdjjitberten ^5erfön(id)feiten heborf bie fd&erj- 
fjafte ©rwäfjnung ber fdfjon genannten ©djwefter ^arnljagenS feiner weiteren 
©rroä^nnng. (33gl. nt. „Widder nnb grauen", Berlin 1899, 208—225.) 

SKudfj baran braucht nur erinnert ju werben, bafe -äJJabemoifeße £em bie 6e* 
fannte Stofiet ift, ber 2Samt)agen fdion bamais freunbfe^aft tic^fl ergeben 
war, wenn er fid) aud) erft einige gafjre fpäter mit üjr üerfjeiratijete. 

2ludf) non btei 3lnbern in unferem Briefe genannten ^erfonen foH nur 
fürs bie 9lebe fein. 

•Jteanber ift ber fpäter fo berühmt geworbene $ird&enbiftorifer, beffen 
romantifdje ^ugenbgeit $arnl)agen in feinen „5Denfwiirbigfeiten" fo anmutbig 
gefdjilbert bat. ®amats lebte er, naebbent er baS Hamburger ©pmnaftum 
mit glänjenbem ©rfolge befugt unb nad) feinem liebertritt jum ßbriftenttiunt 
in £aUe unb ©öttingen ^3l;ifofopI;ie unb Dfyeologie fiubirt ^atte, in &am* 
bürg als ^riuatgelebrter, fxebefte aber fcfwn im &erbft 1810 nad) Reibet 
berg über, wo er feine gfänsenbe .?aufbaf)n als afabemifdfjer feerer begann. 
— 3tod) mehr als Dteanber gehörte D. SRunge bent Greife ber 
9lomantifer an. ©r war 1777 geboren unb ftarb fdjon ein ^afyc 
na<f)betu unfer 33rief getrieben war, am 2. ©ecember 1810, nadjbem er 
feit 1804 in Hamburg feinen ftänbigen 2lufentf)alt genommen fyatte. ©r 
war ber mdgerübrnte fötaler jener romantifd^en grühjeit unb ftanb au<$ 
mit ©oetlje in SSerbinbung, beffen 2M)lwoHen er fidf) befonberS burefj fein 
gnteveffe an ber garbenleljre erworben ^atte. — dagegen haben bie beiben 
Slnberen, ©bclittg, 5?ater nnb 0of)n, mit ber 9lomantif 9tidf)tS gu t^nn. 



Briefe ron Kerner an Parnfjagen ron €nfe. 63 

Set jüngere Sbeling fpielte fpäter in KemerS Se6en eine äietnltcfj 
traurige Stoße, inbem er fteß an beffen 2lutograpt)en »erging unb baburdj in 
iefir übfe Sage gerietfj. ©efannter toar bet ©ater, ©ijriftopE) ©aniet ©be= 
Kn?}, 1741 — 1817, ber feit bem $af)re 1769 als Seiner an ber ifjanbetSs 
Stfabemie in Hamburg' lebte unb fpäter am afabemifcfjen ©pmnafiunt 
unb als Seiter ber S8ibliotl>ef tßätig mar. @r mar ein fcljr »ielfeitiger 
Sdjyftßeller, beffen mufifroiffenfefjaftiiebe Arbeiten ebenfo roie feine geo= 
grapßifcßen unb ßanbelSgefdjiäjtlicfien Sammlungen bainalS fef>r gerätst 
mürben. 

©on Hamburg auS begab ft<ß Kerner naeß Söien. $n ber 3n>ifd)en5 
jeit batte er ©erlin befueßt, baS inbeffen auf itjn feinen fonberltcßen ©inbruef 
gemalt ju haben feßeint. 2luf ber SBiener Steife blieb er längere 3 ß tt in 
ffreiftabt in ©ößmen, roo fein ©ruber Karl als ©eneratquartiermeifter in 
©arnifon lag. ©eit Stooember 1809 lebte er in SBien. ©ein 3 roe ^ niar 
aueß hier, bie SKebicin praftifiß ju treiben. 2Cber er mußte bie in ibm 
lebenbe bicßtertßße Steigung febr ftarf befämpfen, befonberS au<b ber Suft 
entgegentretett, nur als Sinter tbätig ju fein, ©er SBiener Slufentßalt 
bauerte jiemlidj lange. @r ift bureß bie neuerbingS gebmeften Briefe 
Kerners an Ußlanb einigermaßen befannt. 

SJUt ©arnßagen erneuerte fub bie alte fyreunbfißaft babureß, baß au<ß 
biefer in SBien lebte, freilich nicht mehr als junger Slrjt, fonbern als 
Cffijier; nrie treu ber ffreunb ihm roäßrenb einer Kranfßeit beigeftanben, 
berichtete Kerner an Ußlanb. 

Slnfang fyebruar 1810 »erließ ©arnßagen 23ien, um nach ©rag ju 
geben. ©on bort aus fdjrieb er am 10. fyebruar unb erfunbigte fidj u. 31. 
audb nach fjtiebriiß ©cßlegels ©orlefungen. 3luf biefen ©rief ift ber fofgenbe 
bie Statt» ort: 

3<h habe fein ©ofipapier. 

Sefter §anptmann. 

aSBten am i. Sag kr ©<hlcgeffd;eu S>orlefmtgen. 

Sehr. 19, 1810. 

Sani für Seine lieben feilen. $ier bie Slntibaggefenia in ©roteft. llhtanb bat 
io güiulicf) unrecht nidjt, ich bab e8 Sir ja gleich gefaßt. 3d) hob inbeffen ein paar 
Seiten foto furg unb nitf)t jornig bem 3uIiuS für Bran gefaitbt. (3uliw8 lächert mich, 
bafc er fcfjreibt, er fet) Iängft lein 3«b mehr, mie tnenn fich baS nur fo Wie ein febmujige» 
ÜWaul abuwfchen liehe.) ilhlanbS bramatifchcS Fragment ift io übel nicht nnto noch ba-j 
befte, Inas ich bramatifcheä non ihm las. ©toll ift gaitj cmfier fich wegen einer gelungenen 
poetiidhen ©Zählung, bie er machte. @r will fte mitfdncfen. @r wirb aber immer toller, 
bamm hief? i<h ihn jeßt ©toller. GhamiffoS Seilen an mid) ftttb ganj gewiß in einem 
jRauicfj »an greuk okr 2Bein gefeßrieben ... Sie !8raut boit OJieifina läßt recht gut, 
mir hat mich geftört, baß ber SJaumamt kn Son 'Dianuel unb ber .txifenlnit beit Son 
Gefar machte, ober hat i«h’8 nicht recht gefehen — e3 fam mir fo oor, ich hatte meine 
Brille wrqeffett. 3nbeffen würben »iet herrliche ©tiiefe anfgeführt, 3. ®. im ffinkttinb 
iptelen SBefbtnattn (ber Knabe im ©umpernicfcD, Cchfcitljeimer, Bmimann, Korn, 2Jlab. 
Korn, Krüger, alfo bie heften ©chaufpieler. @8 ift herrlich! a3aumamt macht ba audi 
eigenen 23iß. @r wirb al8 SBilbfchüß bon Sägern »erfolgt unb hatte bodi feinen £afen 
5torb nnb ©Sb. XCII. 274. 5 



£ubtoig (Seiger in Berlin. 


6 « 

an ber Jylinte. £a fpandit er: ad) liebe &cmt, feht hoch, eS ift ja !ein Kapaun anber 
fyiiittc — unb bieS Kapaun fpricht er rein göttlich aus. 

$>er neue Sßumpernicfel (¥ump*5amilie) ift auSitehmenb fchlecht. S)en SBteneru 
ift übrigens oft ©elegenheit in ihm gegeben, pch felbft gu beflatfdhen. ©S fommt als 
®ccoration bie SBaftep, baS SRaturaliencabinet, ber ©trcuS, ber engl. Deuter auf bem 
Krater Por. — $a& Stücf gerfäßt aber gang, man !ann nichts barüber fagen, c& bat 
feiner mie im 1. Sßumpemicfel eine beftimmte 9Me. $er 3)octor macht ^icr ben Skiter 
<£untpS. ^afeitbut geigt fidj übrigens and) hier trefflid). ©r nahm bafi'rr 7000 fL ein. 
SDa fann ©tot! lang fdfjreibeu, bis er fo Diel gemimtt. 

$ie äBtener finb toß megen ber fteurath. Napoleon ift nun ein ©ott, man 
betet für ifpt in ben fttrehen, bie ^efiegung ift ©emittn, pe betrauten iefet mit ©nt* 
gitefen bie Ruinen üoit SBten. 3)ip ift Wahrheit unb SSahrheit ift, bap eS fein fabereS 
23olf giebt als baS im fämmtl. Defterreid). $>ie gerriebenen (Steine ber geftungSmerfe 
ftrenen bie ftaufteute gum fügen 2lngebenfen au btefen göttlichen Sflarat in ihren 3immcrn 
als 23obeitfanb, auch fanbelit fie bie ^Briefe bamit unb mifcheu ihn unter ben Sttarocco. 
öeipt 3>idj Seine SSunbe nimmer? 

Schlegel hat ein giml. Slubitorium, bieie graueitgimmer. 2>ie alte gliep frift 
barin brab geringe. Stoß fagt, bap er einen neuen 2Beg eingefchlagen habe (nehml. 
Spiegel) id) Perftef) es nid)t unb ift mir bip gteidh, ba id) auper ber ©efdhidbte beS 
SMfer OctabianitS unb SßactuS noch nichts gerichtliches laS. §ente toar bie erftc S3or= 
lefung, bod) peng er nicht loie Spefle (Uhlaitbs ©ropoater) mit ben 2ttenf<hen bor Slbam 
an (an meldjer $eriobe {euer (in veritä) ein bößigeS 3ahr laS). 3<h bitte 3)idj herglich 
mir bod) bie berfprocheiten böhmifchen SSolfSbüdjer unb lieber gu fenben, ich toerbe pe 
fchon enträthfeln unb finb fie mir immer merth, menn ich Pe auch nicht berftehe. 3<b 
ftoßte Stoß deinen S3xief lefeit laffen, er ift aber ja gu itidjtS gu bringen. ©S ift ent* 
fefelich mit bem ßttenfdjen. 

3) er ©ginharb toirb als böhntifd)e ©cfdjidfjte in Sßrag toohl gu pnben fein mtb 
2BigelatS bom SRabe. 

£ie föeifefdjatten toerben iefct halb geenbigt fepit, meil ich bie ßuft bagu berloren unb 
gern iuaS anbcreS anpenge, 3 d) fehe ein, bap ich nothtoenbig frembe tarnen ben JDerteru 
geben ntup, bie ja hoch nicht bie finb, bie i<h befdjreibe zc. Sonberbar aber ift es bann, 
menn Nürnberg allein bleibt. ©S nntp fd)on fo fetjit. 

ßftabme. Schlegel hat mit mir ausgemacht, mit mir, ihrem HJtomt unb ber ©olbfehmibt 
auf ben Slpoßofaat gu gehn, ben pe noch nicht gefehn hat. 3<h freue mich barauf. 

3n ©ßmüfc merbeit auch ^olfSromaite gebrueft. 

3d) habe uid)t fiuft etmaS abgufd)reiben, fonft mürbe id) SMr aus ben ßteifefchatteit 
feinen Xraum Poit lebeubig gemorbeneit 2£irthSfd)iIbern, bie in effigie in ben Strapen 
umhergieitgeit nnb ehtaitber gum Kampfe auffudhten, abfdjreiben. 

Titele hat mir fdioit lange nid)t gefdjrieben, id) meip nicht luaS baS ift unb ich 
habe immer iobeSangft. Sie fann nicht gu Sttofa; benn bip mag ich jefct nimmer, toetl 
fie hoch franf ift itnb mohl unheilbar. ©S märe SSahnpnit, pe fo meit fortgufenben. 
dagegen merb id) pe gu ihrem trüber in kauften bringen. £aS miß fie auch, «8 ift 
6 Stunbeit oon ßubm. 

Stoß ift jefct £angmetfter. (2luf ©hre, in Wahrheit.) ©r giebt mehreren 
■JRabdfjen bep £of Unterricht im langen uub madjt mir immer bie pas por mit feiner 
bümteit tibia uub fibula, bap mich eine Slngft anmanbelt. 

Statt mit 3)ir gehe ich nun öfters mit einem mürtentbergifdhen ÜDtäbdjen tu ben 
©rghergog ftarl unb fpeife fie in SdjtßerS Nahmen, meit fie bon -ütarbad) ftnb. JH. 
burfte es aber nidjt miffeu, fonft mürbe es ihr angft. 2ld), eS ift fo ein liebes SHnb. ©S 
fd)rieb : „©eftern Sibeitb erhielt ich ben Mng, loeldhe greube 3)u mir bamit machteft, fann 
ich ®ir nidit befchreibeit. ©s mar mir fdioit lange nicht fo mohl mie biefen Slbenb, ich 
fd)lief fo fröhlid) eilt, ©r fontrnt mm nimmer pon meinem ginger, immer ruft er mir 



Briefe loott 3uftinus Kerner an Damfyagen oon <£nfe. 65 

iencn frönen Sa g tn ’8 ©ebä4tnife (Stc^alm). 34 möchte oft nun an Sein §crg finfeit 
unb Sir für alte Spänen, bie Su mit gabft, bauten. SSamhagen hat Std) bielteid)t 

nun öerlaffen, ba toirft Su ein einfameS ßeben haben, Wenn nicht bie ÜDZäbdjen 

1)od) nein, gelt eS batf mir nicht bange fetjn — "! — 83et) ©ott, Bombagen, wenn biefeS 
Räbchen geftotben ift — Weife ich mit mir nidjtö mehr aitjufangen, bann hot mid) nur 
ber SeufetI — >34 fann mir aber ben ©ebanten nicht einmal beulen — 3efu8, Welche 
fitere mär um mich, Wie entfefctich, Su, — e8 Ware fein §tmmel mehr über mir, feine 
©rbe mehr unter mir e8 gienge über alte Sräume! 

Sie Briefe, bie mich angeben, bie ich Sir hier fenbe, bitt idj Si4 bod) h^Itch 
aläbalb wieber retour 31 t feitben, weit id) fte haben möchte. 

©atttfen ift gar gemein — er ift entfefetidj geizig, ohne 9Jtofe unb bod) geh ich immer 
mit ihm um. Affing ift ein trefflicher AZenfd), aber feelenfranf unb befemegen fdjmach- 

©8 fomrnt ht bie 0 chattenbriefe noch eine Art Aoman ober Aobelte, bereit 0toff id) 
%>n habe, ba e 8 aber au 8 Briefen mitunter befteht, famt man eg mol nicht hobelte nennen. 

34 umarme Si4 bon fierjen. 04 reibe bo 4 algbatb wieber. 

3 n ©Wigfeit 

Sein 3. ©. ferner. 

SSien geenbtgt'Sienftagg am 2 . Sage ber 0djtegeTfd)en JBortefungen. 

Sßiett, 27. Aiärs 1810. 

Snbefe hat fi 4 nf 4 t 8 neue 8 ereignet, als bafe bem 0 tott ber junger ein ßieb auf 
%boleoit eingegeben, ©r tiefe es tote gefto 4 en abfdjreibeit unb bur 4 trrt mit ihm in grofe 
gotio, wie mit einer S 3 atancirftange bie 0 trafeeit. detto hat fidj ereignet, bafe bag 
Matchen bon §eitbronn tut Sljeater an ber 2öieit aufgeführt iourbe, too Sßebritto baS 
tätchcn — ©ott mie h^rrti 4 fbielte, auch ©runer hielt fi 4 gut. ©8 täfet recht brau. 
Sie 04 teget täfet Si4 grüßen unb fie fame ni4t gen Sßrag. 04 leget hat mag red)t 
mattes auf bie #o 4 jeit gebichtet, eiu ©armen. 

Sie mannigfachen, im norfiehenben Srief berührten Angelegenheiten 
unb Sßerfonen oerbienen eine ausführliche 3)efpre<hung. 

3unä<hft @<hlegels ©ebidjt unb bie non SBarnhagen angebeuteten $or* 
lefungen. 

®aS ©ebicht ©Riegels führt ben Sitet „28ünfche bei ber Abreife 
3hrer -äJZajeftät ber Äaiferin non gtanfreich". 33ei ©oebefe ift eS nicht er* 
wähnt, obwohl ein ©eparatbrud banon ejriftirt haben mufe. ©et ©ipetbauer, 
ein SBiener 33otfSf<hriftfietler, will eS feinem SBetter fdjtden unb meint, eS 
roerbe biefem gefallen, „weit eS fo natürlich getrieben ift". 

griebrtch ©djlegelS hift° r if ( h e SSorlefungen über neuere ©efdjichte fanbeu 
nom 19. Februar wöchentlich jtneimal ©ienStag unb ©onnabenb ftatt. ©aS 
Programm baju ift in StaidjS Ausgabe beS ©riefwechfets ber ©orothea, 
I 411 abgebrudt. ©orothea berichtete am 14. SJiärj I, 417, bafe „bie 
SSorlefungen aufeerorbenttichen ©eifaH ftnben unb bieS mit Siecht", unb be- 
richtete am 30. SJiai: „®ie ©ortefuitg ift gli'tdlich unb ehrennotl beenbet." 
(®af. I, 418). Auch ^riebridj <Sdf>reget theitte mit, bafe ihn bie ©or^ 
lefungen feto: befchäfttgt, jugteich aber auch aufeerorbenttich angeftrengt 
Ratten, unb fügte hi^3 u (au S3oiffer6e 30. SJZärj 1810, ©ulpij ©oiffer6e 
I, 78): „©S tnar mir hoch bei bem Anfang etwas bange, ba ich an ätnanjig 
ßerjoginnen unb gürftinnen auf ber ßifte hatte. Qnbeffen ift ber ©ruft, 
ber hier unter bem erften ©taube herrfefjt, fetten unb gewife fehr achtungS^ 

5* 



66 


£nbn?tg (Seiger in Berlin. 


mertf). Unter benen, bie bi« sule^t autßielten unb nie festen, war audß 
ber ^erjog non SBürttemberg, 33ruber bet Königt, unb bie junge gürjirn 
Sitten ftein. Qd) l>atte 162 Subfcribenten außer ben F^ibidett." 

Sie Sßortefungen nmrben halb barauf gebrudt. Fftre ©igentfjümlid>-. 
feit beftanb barin, baß iie adet Fransßfifdje branbinarften, alfo aud) bie 
großen ©eutfdßen, bie franjöiij^e Spmpatßien gehabt Ratten, 3 . 33. fyriebtridb 
ben ©roßen, unb alt beutfdj nur bat nerßerrtid)ten, bat non feiner 
franjoßfdien F re 'beittregung erfüllt iuar. So mürben biefe 33ortefungen 
3 ugteid) 3 U einer grunbfäßtidjen 33crbaminung bet ©eiftet bet franjößfeben 
Deuotution. ©ine foteße Sluffaffung, aderbingt ßod# einfeüig unb fur^ 
fidjtig, mar jebenfadt befonbert (fiarafteriftifdf) für jene 3 ^it erbitterter 
Kämpfe. SBäbrenb freilich in ben &ßrfctten eine fo roeit gefleigertc 
Franjofenfeinbfdjaft geprebigt mürbe, marb auf ben ©affen ber ©ntßuftat* 
mut für Fronfreid) laut. Dtag audj bie 3lrt unb SBeife, roie ferner bie 
2 lutbrüdje biefet ©ntßufiatmut barfteüt, fibertrieben fein, fidßer ift et, baß 
bat ©ntsüd'en ber SBiener über bie franjöfifd^e ^ciratß unb bamit über 
bie Franjofen felbft redjt groß mar. ®at gefjt 3 . 33. aut (Qofepß fRidjtert) 
„33riefe bet jungen ©ipelbauert an feinen jjjerm 33ettern in Krafau" 1810 
bernor. ®er Derfaffer ift feljr gut öfterreidiißb geitnnt, jubilirt über bie 
Düdfeßr bet 33atert, b. ß. bet Kaifert F ran 3'> freltidj bettagt er fidj, 
$eft II, S. 40 barüber, baß ißtn fein tpanbrnerf gelegt fei unb er Didjtt 
nieijr fdßreiben bürfe. @r metbet, baß bie Dadirüßt non bem am 7. Februar 
in iparit gefdiloffenen ©ßebünbniß in ber SBiener 3 ei 0 *ng mit folgenben 
dSorten nerfünbigt mürbe: 

„iDiefem großen 33unbe ßulbigen Diidionen. $n ißnt feßen bie Sßötfer 
©uropat bat Unterpfanb bet ^rieben«, nad; nun erlofdienem Kampf bie 
Segnungen ber gufunft." 2UIe Feftliddeiten, non bem ©in 3 ug bet ©roß* 
botfdjaftert in SBien bit 3 ur Stnfunft ber ‘ipringeffin in iparit, bie Fdu* 
minationen, 33äde, SSobitßätigfeittftiftungen ber Kaufteute, merben aut* 
füßrlidb unb mit fiditlidiem 33eßagen gefeßitbert. 

®aß ein roaßrer F^nbentaumet in SBien über bie £eiratß ßerrfÄte, 
metbet aud) einer ber fransöfifdßen ^auptuntcrbänbler (ngt. SBertßeimer, 
„®ie £>eiratß ber ^eqogin Dtarie Souife", im Stnßin für ßfterreidjifdie 
©efdndjte, 33b. 64, 1882, S. 527 fg.). „Dtan fdßrocirmt jjefet," fo be* 
rietet berfelbe, „für bie F rart ä°f ett , mie man bitßer für beren ©egner ge* 
fdnuarmt ßatte unb übertrug ben £>aß, ben man nod) untängft gegen fte genäßrt, 
auf bie Muffen unb Preußen! ©in ruffifeßer Diplomat fagte gerabesu, 
baß man bie F ra, 1 5 0 K n nergöttere. Diarfdjad 33ertßier enbtid) mußte 
feinem £errn 3 U berieten: „T’at 33otf ift im ^Delirium feiner ?Jreube . . . 
Dian fanu fidj feine Sßorftedung non ißrem ©ntßufiatmut rnadßen." 

5 Troß ber potitifdjen 3tufregung mar 3 ßien bamalt mie ßeute im 
eminenten Sinne eine Sßeaterftabt. Unter ben aufgefüßrten Stüden nennt 
uitfer 33erid)terftattcr Scßider’fcße Oranten, ein fotdjet non ^einridß non 



Briefe oon 3 u frt nus Kerner an Üarnfjagen oon €nfe. 


67 


Steift unb SolfSbramen. 2SaS bie erfteren betrifft, fo geben über fic 31 m 
fchon angeführte jeitgenöffifd^c Quellen 3 eu 3 n if3 ; ®er GKpelbauer 
conjtetirt bie Aufführung Scljitler’fcher Stüde in Sßien im gahre 1810. 
3 m gebruar rnelbet er, bah in ben «ergangenen SDionaten bie „Stäuber" 
oft mehrmals in einer 2Bo<he gegeben roorben feien. III, 43 wirb benterft, 
bah bie Stüde Schillers ein befonbereS ©lüd malten; oon ber erften Auf* 
führung ber „Staut oon -Steffi na" roirb aber etroas roegroerfenb gefagt: 
bah eS an fernen ©ecorationen, fDtufif unb fchönen ftleibent nid^t gefehlt 
habe. Sei Crroähnung einer Aufführung beS ,,©on Carlos", „baS ber gott» 
fetige Autor für gefdjeibte Seute junt Sefen gefdjrieben hat," roirb gefagt 
ein ©efd)i<f)t 3 funbiger habe fi<h geärgert, bah ^rinjeffin Cboli, bie bloS ein 
Auge gehabt, mit sroei Augen auf bem ©heater geftanben hätte, griebridj 
Schlegel aber berichtet in feinem oben angeführten Sriefe an 
33oiffer6e: „2Sie romantifd» mir hier gefinnt, fönnen Sie fchon barauS fehen, 
bah roir aufjer „SJtacbeth" unb „Sraut oon Ateffina" auch ben ganjen 
allheilen Cgmont oon ©oethe unb biefer ©age auch ben ©eil geben". 
„®ie Sraut oon füteffina"' rourbe, roie 3t. g. Amolb mir mittheilt, am 
3. gebruar unb am 14. SDtärj 1810 im Surgtheater, am 5. gebruar unb 
am 16. gebruar oon ben Surgfdjaufpielern im Äämtner ©fjeater gegeben. 
$ie Sefefcung roar folgenbe: 

gfabetla — -ötabame SBeifcenthurn, -Btanuel — Sorn, Cäfar — 
Soberroetn, Seatrice — ©He. Abainbetger, ©iego — Siodj, Chorführer — 
Stodmann unb Sange. 

lieber bie beoorftehenbe Aufführung beS „Jtätfjchen oon &eiIbronn" 
hanbelt Steift in einem Sriefe an CoHin, ootn 28. guni 1810, ben ©ridj 
Sd^mibt in einem Separatabbrud jum 24. guni 1890 herausgegeben hat, 
unb in bem eS hei&t: 

„Gbenfo lebhaft intereffirt mich baS Äätt)<hen oon ^eilbronn, bas Sie 
bie ©üte hatten, für bie Sühne ju bearbeiten. gn bemfelben fchon er« 
wähnten Sriefe fdjrieben Sie, bie Stollen feien auSgetheilt unb Ades jur 
Aufführung bereit gft es aufgeführt? Ober nicht? Unb roirb es noch 
werben?" 

®ie erfte Aufführung biefeS ©tamaS fanb am 17. s Utärj ftatt. ©rüner 
fpielte ben SBetter 00 m Strahl, -Btabame ißebrillo baS Sätbdjen. 

®ie übrigen oon ferner genannten Stüde erfreuten bie SSiener geroih 
mehr als biefe flaffifdien SBerfe, roie man fdron aus ber grojfen 3 ahl ihrer 
Aufführungen erfennen fann. ®ie gamilie ißuntpemidel, ein mufilalifdjeS 
Quoblibet für ben Carneoal in brei Aufjügen oon Matthäus Stegmager, 
rourbe im ©heater an ber SBien in ber 3eit «ont 13. gebruat bis jum 
29. Sötärj nicht weniger als jroaitjig SDtat aufgeführt unb baS fchon ältere, 
bas oon feiner 3ugfraft eingebüht hatte, „StodpiS ißumpernidel" im 9)tär$ 
bteintal roieberholt. 



68 


Stiftung (Seiger in Berlin. 


£a-5 Stücf „Sag giitbelfinb" ift com ©rafen Brüht unb mürbe am 
15. fyebtuat juerft aufgefüEjrt. Hebet bag oben angeführte Stücf „SRodjug 
Bumpemicfet" fdbrieb ferner ooß Begeiferung an Ufßanb • bereitg am 
1. Januar 1810. „£)er greunb mürbe rein tobt oot Sachen bleiben," 
meinte Kerner. 

3m 3t polt of aal fanben nach beg ©ipelbauerg 3Jtittheilung bie grofsen 
Stebouten unb anberen $eftlidbfeiten ftatt. 2lu<h ber Kaifer beehrte ihn mit 
feinem SBefudje. 

2tudh oon biefem ©aal fanbte Kerner feinem Ulilanb eine begeifterte 
Schilberung. „6t ift einzig, er ift ungeheuer. 92ut ihm ju Siebe faßte 
inan, bei ©ott, nach 2Bien reifen." 

Unter ben oon Kerner ermähnten ^Serfoneu toeifj man über ben 9trjt 
Gaßifen fo gut mie Bühtg. — 3uthig mar ein berühmter unb fehr gelehrter 
Dtann, ber eg nicht oerbient, in fo bornirter SBeife, mie eg bur<b Kerner 
gefleht, c^arafterifirt $u roerbeit. ©r mar 1788 geboren unb ftarb 1862. 
Damatg, 1810, mochte er fi<h burcf) bie ßJUtherauggabe beg „Baterlänbifchem 
•Btufeuntg" befannt unb oerbient. Später mirfte er atg SEtrjt unb bur<h 
feine humanen Begebungen in Hamburg unb Söertin ©rojfag unb errnatb 
fiih namentlich burdh bie Berbefferung beg ©efängnifjroefeng in ißreu^en 
grofje Berbienfte. Bon 1843 big ju feinem SEobe (ebte er mieber in 
Hamburg unb genoß attgemeinfte Sichtung unb Verehrung. 3n einem ber 
jahtreidhen ihm gemibnteten IMroIoge mürbe er atg einer ber reinften, 
ebetften unb uneigennüfcigften unb aufopfernbften ©haraftere gefeiert. 

©ine anbere tperfönlidfifeit, bie in ben 'Briefen Kernerg aug SBien 
eine 9ioEe fpiett, unb bie auch in ben gebrueften ©ocumenten ber fyreunbe 
öfter oorfontmt, ift 3ofeph Subroig Stoll, 1778 — 1815. ©r hatte burdh 
'JJapoteong ©naben bei beffen Stnroefenheit in Sßien eine Keine ißenfion be= 
fomrnen uttb junt ®anf bafür mit grofeem ©iferben mädfjtigflen 2J?onar<hen 
befungen, menn audh biefer ©ifer fidh moht nicht in ber lächerlichen SBeife 
äußerte, mie Kerner barfteflt. ©r gehörte ju ben ®id£)tern, oon benen 
bie .ßeitgenoffen oiet hatten, ohne bah er ben Grmartungen entfpradjj. 
freilich ftarb er auch 5 lt früh, um äße Hoffnungen ju oermirftichen, bie matt 
auf ihn gefaßt hatte. T’ie oon ihm im Berein mit Seo oon Sedfenborff 
herauggegebene geitfdljrift „Brometheug", bie infolge ber Krieggunruhen nicht 
(ange beftanb, brachte ben erften ©ruef oon ©oetßeg „Banbora". Seine- 
felbftflänbigen bidhterifdhen Arbeiten, bie fogar in einer Sammlung 1811 
oeröffentlicht mürben, oermögen ung fein flareg Bitb feineg fünftlerifahetr 
Könneng ju gemähten. 

Unter ben Betfanen, bie Kerner anführt, ift feine Braut Bifele roofl 
bie midhtigfte, unb bie 2lrt, in ber er über fie fahreibt, ift befonberg rührend 
©r mar mit bem guten -Btäbdhen feit 1807 oertobt unb fonnte fie erft 
6 3at;re fpäter, 1813, heimführen. ®af er bei feiner Kräftigen fugenb; 
liehen Statur ber ffarnmeitenben nicht abfoiute ^reue hielt, mie er auch in 



Briefe oon 3n|iiiius Kerner an Parntia^en von <£nfe. 


69 


biefem ©riefe befennt, wirb man ifjm fdjroerlich oetargen. Das SDläbchen 
roar fränflid). Diefe Kränflidileit unb »ieHeidht aud) iFire bei aller ©ilbungS; 
fäftigfeit unentroicfelte geiftige ©ilbung hatte Kerner auf ben ©ebanfen ge; 
bracht, fie ju feiner neu gewonnenen greunbin 9iofa SOiarta nach Hamburg 
ju fchiden, ein ©lan, ber jeboch burd) ben leibenben 3 ll ltanb ber ©raut 
unmöglid) gemacht nnirbe. 3ftre Briefe, bie entroeber nicht erhalten ober 
nicht gebrucft finb, milffen rührenb geraefen fein. Die in unferen ©riefen 
mitgetfteilte ©teile ift bie einzige ©robe, bie bisher befannt ift. Der JUng, 
auf ben fte it<h bejieht, roar ber, ben ferner, roie er an Uhlanb am 
8. Januar 1810 fchrieb, jur Erinnerung an baS erfte 3 u f aniluen treffen 
mit ber ©eliebten auf ber ©urg Adbatm machen lieh mit ber ^nfdjrift 
„Siebe, Streue, ©laube". Die ©riefe ber Siifelc charafterifirt ferner feinen 
©etreueften gegenüber einmal mit ben ©Sorten: 

„©amftagen hält bie ©riefe non Stifete an mich für baS ^öchfte an 
objectiuer ©oefie, roaS er je gelefen. Er meinte barob einen ganjen ©Jorgen 
roie ein Kinb. Unb er hot ©echt. Sie mürben ben atterfdjönften, nainftcn 
lieblidhften Vornan geben." 

9la<hbem Kerner bie Abfiditen, bie ihm ben Aufenthalt in SBien noth= 
roenbig gemacht hotten, fo jiemlich auSgefübtt hotte, »erlieft er bie öfter; 
reichliche Kaiferftabt, ber er in feinem ©ebidjt „An bem ©tepbansthurm" 
fo merfroürbige poetifche ^gulbigungen barbrachte, ©djoti im April 1810 
roar er nach einet faum einjährigen Abwesenheit, ber bei SBeitem längften 
feines ganjen SebenS, roieber in feiner fchroäbifdjen Heimat. Er madjte 
bie lefcten Vorbereitungen $u feinem Erattten, baS er im ©oinmer 1810 
beftanb, unb begann feine ntebicinifche Dhätigfeit juerft in bem Keinen 
©täbtchen Dürrmen}, bann in SBUbbab, baS er recht eigentlich entbedte unb 
ju Ehren brachte, feit Anfang 1812 in iiSeljbeim. 

Jür feine poetifche Entroidelung unb für ben ©eginn feiner ©opularität 
waren biefe erften 3ohrc nach feiner Siüdfeör in bie Heimat ungemein 
fruchtbar. Die „©djattenfpiele" würben »eröffentlicht, ber erfte poetifche 
Almanacft erfchien, in bem bie jungen f^roäbifdjen Stomantifer mit ihren 
fyreunben »ereint auftraten. 

3n ber 3eit ber ©efreiungSfriege fam es ju mandjen fdjriftlichen unb 
persönlichen ©erührungen jroifchen unferen beiben Jreunbcn. ©lieben eine 
3eit lang bie Aachridhten ans, fo fuchte Kerner »oit »erfchiebenen ©eiten 
her foldje ju erlangen, ©amhagen roar ein gefdjäftter ©Jitarbeiter an ben 
poetifcftcn ©ammlungen ber fdjroäbifdjen greunbe. Aber ein roirflidjeS ©Jit; 
einanberleben, roie es bie 3ahre 1809 bis 11 geäeigt hatten, war ge= 
fchrounben, feitbem bie greunbe getrennt lebten. 

DaS ©djidfal beiber ©Jänner hotte fi»h geänbert. Kerner hotte ge; 
heirathet. ©amhagen, ber gleichfalls feinen SebenSbunb mit Diaftel ge; 
fdjloffen hatte, roar in bie biplontatifdie Earricre übergegangen unb prenftifdjer 
©efchäftsträger in Karlsruhe. 



70 


£ubmig (Seiner in Berlin. 


s ßoit Karlsruhe aus muß sßarnljagen einen uns nicht befannten Srief 
gefchrieben haben. Sluf ihn antwortete Kerner $olgenbeS: 

Kerner an Varufjagen. 

15. 3Mrg 1816. 

©o haft Su ntich hoch toieber mit lieben greunbeStoorten erquieft! Unb toie theuer 
ift mir 2lUeS bon Sir!!! ©eitbem id) Sic h als £auptmamx unb geheime politifche 
2ßerfon bem Kutfdjer Vinber borftellte, (unb er mir gar toohl glaubte, toeil ber 9tatur= 
ntenfeh ben fünftigen ^auptmann unb ©efdjäftsträger in Sir gum Voraus fah bielleicht 
in bem ©runbe beS ©lafeS, aus bem Su tranfeft) hat Sich baS ©chicffal, ein ©chiff 
im toeiteit 2öeltmecr, an Seifen unb fdjönen ©ilanben, burd) ©türme unb tobenbe SBogen, 
unb toieber am frtjftaUhellen ©piegel, burd) ben bicl bunte ©eftaltungen herauffchauten, 
getrieben, toährenb eS mich, ein 9ftühlrab im befchräuften Kretfe, etoig im Sorfbach um- 
herfdjtoaitg. Sefjtoegeit fann ich nichts SluffaUeubeS boit meinem ßebeit fagen. ©in 
paar SBiefettblumen höbe ich tooijl in meinem Umfchtoung aufgefangen, ©in blühenbeS, 
liebe» Kittb habe idh, eine SHofa üftarta, unb ein 2£eib, beffeit ©emüth Su aus feinen 
Briefen an mich aus früherer 3 e ^ fennft. dennoch ift StUe» red)t anberS in mir ge* 
toorben, ich bin (ehr alt, fehr lebenSfatt unb gleichgiltig geworben: 

„©in 3)tühlrab ift gefprungeit 
Sie ßiebe hat ein ©nb\"*) 

3d) hörte biefeS ßieb gum erften 9Me fingen üou ©djiffem, als ich auf bem 
Viertoalbftätter=©ee fuhr. ©S fommt mir jefet gerabe burch baS 9Jiühlrab fo im ©inn. 
Unb Su fehlft mir auch. ©etoi&! 2£ie toohUhdtig toirfte einft Seine ÜRähe auf mich!! 
©S ftrömte bon Sir etwas toie turnt Sttaguet in’S ©ifen auf mich über, 9hm, nachbent 
ich mid) boto Sir trennte, fonnte aud) ich fo ein 3ahr lang noch magnetifirt bleiben. 
9todj unb nach aber mich bie Kraft unb nun bin ich ein totes ©ifen ober bietmefjr erfaltete 
©djlacfe. ®o gehts üDtanchen, überhaupt mancher ^Sflauge, ia man fteht’S an ben Sßftongeu 
am beutlidjftenü 

3<h bin hier als CberamtSargt angefteflt, too ich fdjon gu effett habe, beStoegen 
auch fehr bief toerbe unb gtoet ©ongen im ©etoidjt halte. Von meinem Sreiben aber mag 
id) nid)tS fagen. 

2luf eine neue uns gleichfalls ni<f)t befannte Senbung SBam&agenS, 
mit ber biefer feine ©ebichte gefd)i dt haben tnufe, antwortete Kerner mit 
greube über biefe neue ©rfcheinung golgenbeS: 

17. 3uli 1816. 

3d) habe manche als alte ^reititbc begrübt, bet beren ©eburt ich mar, g. 2?. baS 
au Vofc, mehrere aubere 2leltere traf ich auch oeränbert an, toaS mir fte aber ftentb macht, 
anbete aber fanb id) nicht aufgenommen, toaS mir leib that. SMS ©aitge aber möchte 
id) immer auf bem bergen tragen, im ©efiihl, tafe ber Sid)ter mein greunb ift. 

23on nun an hüben bie Briefe gänjlich ihre perfönlidje Intimität ein. 
Sab Kerner mit ber fo anberS gearteten 3iahel feine inneren Sejiehungen 
hatte, fann man fich benfen. 2lu<h s ßarnhagenS perfönlidje ©igenfehaften 
würben ihm fremb. Ser glatte «goftnann würbe bem bieberen Sanbmann 
auf bie Sauer entfrembet. 2ßoht fotnmen noch hie unb ba liebfofenbe 

*) KernerS ©itat, toie mir 3- 23olte freuttblid) angiebt, ift eine ©trophe (nicht ber 
2litfang) eines in bieleit Variationen feit fcent 16. Saltohunbert befteheubeu Siebes bom 
2ftüljlrab (©rf=Vohme, £ieberbutf) 2, 234, 9?r. 419 a— e); am nadjften für ©rf*Vöhnte 
lag bcS Knaten Vhmberhorn. 1, 113=1, 97, ed. Vtrlinger=©receIiuS. „Sa Proben auf 
jenem Verge" ©trophe 4: „SaS 9iab baS ift gebroden, bie ßiebe bie hat ein ©nb" 



Briefe ron ^uftinus Keiner an Darntjaaen coit <£nfe. 

AuSbrüdfe oor, ©ebnfudbts=33erficberungen, audb anerfennenbe SBörtc über 
SambagenS ©rjäbtungen, bie als gebiegett urtb mcifler^aft djarafterifirt 
werben. fDer Autor wirb j. 33. aufgeforbert, ein ganjeS ©efamerone ju 
^reiben. 

An bie ©teile beS ißerföntidben tritt im $nljalt ber 33riefe mehr bas 
Allgemeine, befonberS wagt fidb, was »orber ganj nnbefannt unb überhaupt 
febr merfwürbig ifi, baS ipolitifcbe beroor. $Die ißolitif, mit ber fidb ferner 
befdbäftigte, ift freilich feiner ganzen Qnbioibualität nach nid&t bie europäifdje, 
nidbt einmal bie beutfdbe, fonbem fpecieH bie württembergifdbe. 3 um Sßer= 
ftänbnifj ber bi« c in 33etra<f>t fommenben Serbältniffe ift nur fur$ an 
gotgenbeS ju erinnern: König Sriebrid) non SBürttemberg batte am 15. Januar 
1815 in einem -üRanifeft oerfünbet, baff er feinem SBolfe eine fRepräfentatiu- 
Serfaffung geben wolle. ©ine neue ©tänbe-.Serfammlung mar gewählt 
worben, ber bie oom König jugebadjte 33erfaffung uorgetegt würbe, ©ie 
warb aber non biefer oerroorfen, ba fie alle früheren Sötififtänbe, befonberS 
bie brüdfenben ©teuem, fanctiontrte. Aacb langen Serbanbtungen würben 
bie ©tänbe nertagt, SBangenbeim jum SDtinifter berufen. ÜJiitten in ben 
jeben Augenblicf ben 33tudb brobenben 33erbanbtungen ftarb griebricb I. 
Sein 9tadbfolger, äBilbelm I., non beftem SBitten befeelt, unb ein einfadbet 
Atann gegenüber ber tprannifdjen unb toftfpieligen Sehens* unb SRegierungS* 
weife feines Vorgängers, fonnte fein 33olf ebenfo wenig befriebigen, wenn 
audb einige Parteien ihm entgegen famen. üttait gelangte ju feinet ©inigung. 
Saber würben am 4. $uni 1817 bie ©tänbe aufgelöft. 5Det König griff 
ju feinen ©ewaltmafjregeln, fonbem fudbte bureb »erftänbige ©inridbtungeu 
bem Volt bie ©egnungen ber 33erfaffung jujufübren. Aber im inneren 
würben biefe. 33emübungen uielfad) jerftört. SBangenbeim fonnte ficb nidbt 
halten, an feine ©teile fant SDtauctair unb ber aus weftfätifdber 3eit her be* 
rüdbtigte »on SRatdbuS, bie eine neue grobe ©rbitterung im Sanbe betworriefen. 

SWmäbtidb trat einige fRube ein, obwohl bie unbebingten Anhänger beS 
guten alten SRec^teS fidb lange nicht fügten. 3m 3ufamntenbange mit ben 
reactionären ©trömungen unb Stimmungen würben bann einzelne ©ewaltmafj* 
regeln becretirt, befonberS würbe bie Freiheit ber ißreffe, bie in ben erften 
fahren einen hohe« ©rab erreidbt batte, befebränft. 

3BaS Kerners fpecietle politifdje ©teHung anlangt, fo taffen fidb be= 
fonberS einige ©injelbeiten betoorbeben. ©r war gegen eine Abetsfammer, 
er beurtbeilte bie Intentionen beS Königs, audb fdbon beS alten, befonberS 
aber beS jungen SBilbelnt I. burcbauS günftig unb perborreScirte baber nidbt 
burdbauS ihre neue Serfaffung. Gr trat lebhaft gegen bie ©dbreier auf, 
bie bloS baS gute alte fRedbt wollten unb ben neuen Sortierungen feinerlei 
3ugeftänbniffe malten, ©r war nidbt eigentlidb ein praftifdber ^ßolitifer, 
aber über Sieles gut unterrichtet baburdb, baft er als ein unabhängiger 
Alaun Sübtung mit ben DppofitionSmännern unb baff er burdb Sers 
roanbte nabe Serbinbung mit ben IRegierenben batte. 



72 £u&n>ig (Seiger in Berlin. 

2öaS bie ©rfteren betrifft, fo twt et mit Ächter, einem ber tjaupt- 
fäcfjlic^ften DppofitionSmänner, uertraut. ©on ben (enteren ftanb SSangen- 
beitn üjm perföntief) ttaf)e, menn ficE) audfj ton ber jtoifc&en ©eiben geführten 
(Sorrefponbenj nur toenig ©rudjjftüdfe erljatten ju t)aben fdf»einen. ©or* 
iieijmtidb aber itmrbe er burdf) feinen fdjon früher ermähnten ©ruber Karl, 
ber »on 1816 an eine $eit taug Seiter ber inneren Slngetegentjeiten 
SBürttembergS mar, »ortrefftidfj unterrichtet, ©ielteidfjt waren eS auch biefe 
©ejiefjungen, bie unteren $uftinuS aus einer übten Sage, bie ifmt broljte, 
befreiten. SBenn er nämlich auch fein ©olitifer mar, fo fjatte er bodfj burdh 
eine geroiffe pftitantEjropifd^e ?Ct)iitigfeit für bie ©auern feines SBofjnorteS baS 
Dtifitrauen mancher führet enoeeft unb burdh einjetne Stuffä&e, bie er in 
jroei batnals erfdjeinenben potitifdhen ßeitfdjriften oeröffentlichte, bem „©ottS« 
freunb aus ©dfiroaben" unb betn „SBürttembergifdfjen ©otfSfreunb", bie 2luf= 
merffamleit untiebfam auf fid) geteuft. ©eionberS lebhaft mar er gegen 
bie neue ©eftimmung eingetreten, baff bie ^Sfttjfici nidht mehr tont Staate 
angefteHt, fonbern burdh bie SlmtSterfammluugen geroähtt iterben füllten. 
3ludh fonft lag ÜDiandjeS gegen ihn tor. ®aton giebt ein ©rief Kunbe, ben 
er an ©arntmgen fcfjrieb unb ber, ttenn audh etwas übertrieben, bie ©es 
fiirdhtungen fdhilbert, benen fich Kerner tjingab. 

29. September 1819. 

Seine Senbuttg nach Dorb=2Imerifa fielet mir audj Derbächtig aus. ERan mtH Sich 
eben toeg haben. 

3dj habe mit Str ein ähnliches Sdjidfal. Sie ©arthet, bie iegt burdj ganj Seuifdj* 
Iaitb fiegenb betriebt, bie ber g-inftcrlinge, hat mich auch beim König berbädjtig gemacht 
Sap tarn ein (jkbiciit, baS id) für bie Dehringer auf Kehler bidjtete, in toeldjem, freilich 
etmaS tühn, ton golbborbirten Knechten bie Siebe ift. 'Dian [teilte mich beSWegen 
unter Sluffidjt ber geheimen D einet!!! Unb bem Diinifteriiim fod bie SBeifung gegeben fein, 
mich auf eine niebere ärgtlidje Stelle i urücfpDerfthen. SieS ermarte ich nun. 63 ift 
auch möglich, bah man ©riefe Don mir an Sich, befoubers in ben lefcten Seiten auffing 
unb eröffnete. 68 folt eben SllleS burdjauS rücfwärtö, auch bei uttS. 

3m 5-aIl man mich trofc bcs ÜSerfaffungSöertrageS ohne Urtljeil unb Siecht burdj 
Kabinetöorbre juruef. ober abfefcte, fo ift e3 mir nmnöglid), mehr im Sanbe p bleiben. 
68 lann auch hier p £anb ohne eigentliche SSefoIbung fein Slrjt mehr auStommen, benn 
bie Verarmung wirb immer fdjauerboHer. 3n biefem [yalle mürbe id) mich für Siorb» 
atnerifa entfeheiben unb Sich auf’s inftänbigfte bitten, p betoerfftetligen, bah nnr bie 
Steife pfammen machen fönnten. Dlein Diifcle oerläjjt mich nicht unb meine Stinber 
werben e8 fchon anshalten. 

63 ift hier nicfjtS mehr p Berlieren. Dian taten feinem ffreunbe mehr trauen — 
mau hat auch feinen mehr. — 3dj möchte Sir Diele* ich mödjte Sir mit Sljräneit 
fdjreiben . . . Süutoorte toomöglid) unb abreffire ben ©rief an ben §errn 81mtSgerieht2= 
actuar Sfifaff p 2öein3berg. 

®aS ©ebidjt, uon bem in »orftebenbem ©riefe bie Siebe ift, fann idj 
nidf)t nadjtoeifen, motjt aber ein attbereS aus bem Stnfang beS SatjreS 1819, 
bem Kerner bie Sßorte ooranftedte, er t;abe geträumt, bafj Keller biefeS 
©ebidjt aus bem ©ngtifdben überfefet f)abe. $Da ju KernerS ©igenfdfiaften 
bie ©orftdjt nidfit gehörte, fo märe es benfbar, bajj audh biefeS ©ebietjt, 
fetbft wenn man nicht an eine Ceffnuug feiner ©riefe beult, ben regierenben 



Briefe oon 3 n ftiuus Kerner an Darnfjagen non <2nfe. 


75 


fireifen befannt geworben war unb wibrigeS 9luffef;ert gemalt ^ätte. 
Xiefeä ©ebidjt lautet: 

©erntaitia. 

ßanb, too ficb ©erge ftolj gen $tmmel beben, 

3n fipp’ger $ülle alte SSälber mögen, 

Xte Xf)äler ^e(t bon Soffen finb burdftogen, 

©olbä^ren rauften, £iigel ftef/n mit Sieben. 

ßanb, bent Sftatur fo mannen 6d)mucf gegeben, 

Xen anbent fte ftiefmiitterltc^ entzogen. 

23eb, um baS Xbeuerfte warbft Xu betrogen, 

Um freie Bürger, um ©rittanias £eben. 

SBie geben Xeine 0öbne tief sunt üHafeit 
(Gebeugt, als fetter 6taatSlafeten ©ferbc 
Unb tragen 0ättel, 3üfld unb ©ebiffe. 

©ermania! in Meinet 0öf)ite üflafen 

©lieg febwadj ber Freiheit Obern ©ott beim Serben, 

0tarf nur in Xeine ©erge, Xbäier, gflüffe! 

Qm Uebrigen ^aben ÄenterS politifdje ©ebidjte, bie für feine ßanbS' 
leute unb für bie, bie fidj für ^rooinäialgefdjtcbte intereffiren, grofee ©e? 
beutung befifcen, für weitere Greife befonbereS ^ntereffe baburdj, ba& auch 
in ihnen non bent fjerjtidj geliebten 3ugenbfreunbe Ubtanb uielfadj bie 
Siebe ift. ift befannt unb non ferner in einem fe^r frönen ©ebidjt 
gefdjilbert, baß eine ©ntfrembung jwifdjen ©eiben eintrat unb bafc burch 
UhlanbS ®i<htung ber Triebe jwif^en ben innig ©erbunbenen wieber l;er* 
geftetlt würbe. 2)er eigentlich in potitifdjen 2lnfi<f)ten beruhenbe ©runb 
ber 3n)ietrad)t unb bie theilweife erfolgte ©erföhnung wirb bur<h jroei 
©riefe Kar, bie atö einjige ©roben biefer politischen ^Darlegungen folgen 
Sollen. 

28. Februar 17. 

Snjmtfcben bat ficb ereignet, baft icb mit uuferen ßanbftänben faft in einen offent* 
lieben ftampf fant unb befonberS Ublanb baburdj ettoaS betrübte. 0ie berlaitgten nämlich, 
bafe in 3nfunft nicht ber 0taat, fonbern bie Slmfenerfammümgen, b. b. bie @dntltfjeij3en 
unb 6cbrciber, bie ©bbfict ermaßen foflten, woraus uttfäglicbeS Unheil entfpräitge unb 
man ber ©Müfiir biefer meiftenS entfefclicb bummen Sttenidjen anheimgefiellt märe. XieS 
§u oerbinbem, berfajjte icb eine ©orftellung an ben ©eheimen s Jiat, bie mehrere ©erste 
Unterzeichneten unb mu&te alfo fomit als ©egner ber ßaubftänbe erfdjeinen. Xiefc erfläreu 
3eben, ber nicht burcbauS all ihren Meinungen hulbigt, für einen ©egner beS ©effereit, 
ber ©olfSfreiheit, beS ©aterlanbcS u. f. m. ftürglid) lieft it$ nun and) einen fleiiteu 
©uffafc über biefe tont ihnen angeforberte ©efefcung ber ©hbHcate burd) bie SBahfen ber 
Ämtäberfammlungen bruefen, ber notbweubig ffitt unb ba fpifcig mürbe nnb mir ttod) 
mehr Seiitbe in ber ©erfamntimtg biefer ^eiligen gustehen mirb. Xa ber ßönig offenbar 
ungemein human unb billig benfen mirb unb ©effereS geben Will als man früher 
hatte, fo febe tdj nicht ein, toarum man eS nicht amtehmeu fattn, nur besmegen weil es 
nicht ehemals ba mar. Xaritt ift aber fein üftenfd) hartnaefiger als Ublanb unb aitd> 
3)toper. Xiefe haben ficb in bie ßaubftänbe eigentlich berbiffen unb rönnen ihre Firnis 
baefen ju nichts ©nberent mehr bewegen. Ublanb biebtet autb ni#S SlnbereS mehr, als 
ßoblicber auf bie ßaubftäube unb auf bie alte ©erfaffung nnb Streitlieber auf Die, bie 



fnbipii) (geiget in Berlin. 


<4 

anberer 'Dieimtng fiub. 23on jebcm SluSläitber, ber anberer ä'feimmg ift, g. SS. SBangen* 
{jeirn, fagt er, er habe eben für unfer 2?ol£ fein ^erj unb nimmt aisbann teine weiteren 
©riinbe »on ifjm an. 

* * * 

20. £ecember 1817. 

. . . ©twas näher bin icf) nun mit Uljlanb and) mieber gefomtnen: id) habe nmnlicfj 
ifjm Dori) einige ,>jcileit an micf) abgenötbigt. 3d) fanbte gut SJermittelung meine SÄifele 
unb bie Meine Dtofa Sütaria an ibit. Dlad) ber SluSfage biefer foU er rafenb bartnäcfig 
fein. (Sr erMärt 3eben, ber biefem Mbnig einen 3>ienfteib geleiftet bot, für einen 58er = 
rätber am ßanb unb tbat einen hoben g-Iucb, fo lange bie alte Serfaffung nicht burdj* 
aus bergeftellt fei, feinen CTienft anjunebmen. Seine ^artnädigfeit, bie freilich ou<b 
gauj in feinem ('barafter liegt, wäre nicht fo Weit gebieben, Wäre er nicht in eine 
tfamüie geraden, bie ba8 alte a?erfaffung8wefen gur ©aricatur übertreibt, in eine 
ffamtlie reicher Saufleute unb SßarticulierS in Stuttgart. Sie bcifsnt 5ßiftoriu8, ffeuerlin, 
(Jonrabi, ©Ibe u. f. w., finb alle oerfchwägert unb wie ein Äidjfeljobi mit bem alten 
SÜSefen berwachfen. STiefe haben ben Ublanb in ihre SDiitte gebannt, er Wohnt nun auch 
gattj in bem $aufe beS ©inen unb foU eine Tochter beS fßiftoriuS, bie ben SBalbecf 
einmal öffentlich mit einem Lorbeer umwanb, jur ©attin erhalten: 25ie8 wäre für ihn 
fofern gut, als bas SJiäbdien fehl reidj ift unb bann hätte er atterbtngS nie nöthig, 
einen ®ienfteib gu Ieiften. 

Sein 35rauer[piel wirb er 3)ir iitjwifdien geidiilbert haben. ©8 ift herrlich, Wie 
Stiles Bott ihm! Schabe, bafj e8 nicht aud) theatralifche SSirfung macht ©r geigt, 
bah er auch hier 3Jteifter ift. 

®iefer politifche Äampf unb bie ©efaljr, bie Sterner fetbft lief, hatten 
für ihn jebettfaHä bie SBirfung, bah et fich feitbem für fein ganjeS Seben 
»on ber ^ßolttif jurüefjog. 

®ie perfönlichen Begegnungen ber greunbe, fowohl BamljagenS, ber 
feit 1819 faft ohne Unterbrechung in Berlin lebte, als be! 2tffing’fchen 
Ehepaares, baS mit feinen Siinbern in behaglichem BHrfenS* unb greunbeS* 
freife bauernb in Hamburg (ebte, mit ÄernerS waren mährenb ber ganjen 
3eit ihrer freimbfdjaftiidjen Berbinbnngen überaus feiten. Äanten fie uor, 
fo trugen fie, wie es in ber Dtatur ber «Sache tag, einen wefentlidj anberen 
©harafter an fich/ «lä ber ®h e 'l ber gemeinfam »erlebten gugenbjeit. 
®amats waren frifdje Burfchen jufammengetroffen, bie in ihrer gugenb, 
ihrem Stubium, ihren poetifchen Siebhabereien ein genteinfameS Banb fahen; 
am Slnfang ber breifjiger gatjre waren bie Betheitigten, 2Jtänner unb 
grauen, ben günfjigen nahe, »on mancher Schwärmerei geheilt, burch 
SebenSnoth unb manche! fchwere Seib «ernichtet. ©ine jwanjigiährige 
perfönlicije Trennung »erfchieben gearteter 2Jlenf<hen wirft nicht fetten auf 
bie greunbfehaft gerabeju jerftörenb, fetbft wenn ein regelmäßiger Brief* 
wechfet über 3eit unb Drt einigermaßen hwweghilft. 3« unferem gatte 
fehlt aber auch baS tefetere Hilfsmittel faft »oUftänbig. ftommt cS bann jum 
Sßieberfehen, fo prallen nicht feiten gerabe bie öegenfäße heftig aufeinanber, 
unb ftatt ber erträumten 25ieber»ereinigung tritt bauernbe ©ntfrembung ein. 

©anj fo fchlitnm erging es ferner mit feinen greunben nicht, weil 
er eben troß mancher fdjroffen Seiten eine $u conciliaitte, liebebebürftige, 
tit ber Bergangenheit fchwelgenbe 9fatur war. ©ine gewiffe Bcrbinbung 



Briefe ron 3 u P' nns Kenter an Pantfyacjen ron (Eiife. 


75 


hoffe ©uftao Sdpoab f)er>jeftellt, ber ehtjige unter ben näheren gemein* 
famert greunben, ber nach bem -Horben reifte unb feitbem mit StfimgS 
in Söerbinbung blieb. $n einem feiner Briefe an 2Iffing pom 10. ®e= 
cember 1831 fommt eine intereffante Stotij »or, bie folgenbermafjen 
lautet: 

„Ufjtatib unb Sferntr ßtüüen @ie, 3cner aus Tübingen, Ido er angebetet non ber 
3ugenb öoH ©egen wirft, biefer aus SBeinSberg, Wo er ©efpeitfter fiefjt, aber and) bittet 
imb Bott ßebenSfraft tbätig ift.* 

9ludj ein 3ufammentreffen, ttur ein emsiges, ba SSarnbagen mäbrenb 
feiner Stuttgarter Steife 1819 nirfit nach SßeinSberg fam, mit bem 
2Barnhagen’fd)en 5paare ift bejeugt. freilich Eann man fidj baS Staturfinb 
9ti!ele ferner in echter Harmonie mit Stabei sufammenbenfen, bie trog 
ihrer ßerjenSgüte eine Sttrt überrerfeinerter ©ulturmenfcb mar. ®er ^Bericht, 
ben mir über biefen 23efu<b beS fßaareS in SEBeinSberg unb bie ©rmiberung 
but<b bie Ütemer’föe fjamitie in 23aben=23aben beugen (ogt. SJtarie 
Stietbainmer, ÄemerS ^ugcnbliebe'', S. 169 fg.), ift baber jiemlidj 
farblos. ©ine 3eit biefeS SBefudjeS ift jmar nidjt angegeben, ba aber bie 
beiben älteften JUnber mitgenommen mürben — ein britteS jüngeres blieb, 
eben weil eS no<b ju Kein mar, ju $auS — fo barf angenommen merben, 
baß ber SBefudh MfangS ber 30 er 3abre ftattfanb. 

SJtit bem j®obe JStabetS beginnt für 23arnbagen eine neue ißeriobe. 
Seine S<briftftefferei besieht fid> im 25?efentli<ben auf bie SBeremigte. @r 
fammelt ihre SBriefe, bie an fie genuteten Sdiriftfiüde, ihre 2lufseidjnungen 
unb Stotijen, fd^itbert bie ifSerfonen aus ihrem Umgänge unb betreibt 
fein eigenes Sehen, baS in SHomenten befdjeibener 3urüdha(tnng ihm 
nur als eine ©rgänjung ju bem ihrigen, als ein ©mporflimmen ju ihrer 
$öbe erfdrien. 

3n biefen ^Beitreibungen, bei ben ©enfmürbigfeiten beS eigenen Sehens, 
bie ron 1837 an erfcbienen, rooHte unb muhte SBambagen aud) ber mit 
ferner »erlebten 3 e *t gebenfen. 2lm 18. September 1837 fragte er bei 
ferner an, ob er in einem Stüde feiner Süenfroürbigfeiten, baS -ötunbt in 
feiner 3eitfdEjrift „Zodiacus“ bruden molle, ihn fchitbem bürfe. 

„3<b erjähfe ®eine ©efpenftergefdjidjte, ben 3 U & bafj ®eine SJtutter 
Schuppen an ®ir fudhte." 2Int Sdjluffe beSfelben 33riefeS bief? eS: „3d> 
gebe mit Men febr glimpflich um, aufjer mit SBaggefen unb Sons, bie nicht 
gut megfommen." 

Mf biefe Anfrage antroortete ferner in betn folgenben SBriefe, ber 
fchon beSmegen überaus djarafteriftifd) ift, rceil in ihm ber Sdjreiber einem 
Saien unb StidhtgefinnungSgenoffen gegenüber feinen ©eifterglauben rertbeibigt. 
GtroaS berber als in unferem SBriefe äufjerte fi<b ferner über bie 9Irt oon 
'BambagenS Säuberungen in einem SBriefe an Sophie Schmäh, 25. Sep* 
tember, in bem er fomobl SSarnbagenS ©emeinfdiaft mit SJtunbt, als feine 
3)arfMung ©bamiffoS befrittelte. ®er mefentlidhe Tbed biefeS SBriefeS lautete: 



76 itubtoig (Seiger in Berlin. 

Kerner an ©arithagen. 

23. ©eptanber 1837. 

teilte Xeufmürbigfeiten 31 t Iefen, erlebe ich ffe noch, toirb mich fehr freuen. ©ott 
deiner Xreue bin td) oerftchert, ba& Xu müh in ihnen fo aufführen mir ft, baß baä 
fßnblicunt nicht meint, Xu liebe ft mich nicht mehr. 3<h rühmte mich gu fehr gegen 
©iele deiner greunbfehaft unb rühme unb freue mich ihrer noch täglich unb toünfche nicht, 
baß man glauben fönne, e& feie bamit nie uiel gemefen ober jefct nicht» mehr. Xie» toeifc 
id) nun baß Xu nicht tfjuft, unb fo fannft Xu deinen ©d)erg toohl auSlaffen. Xu 
fdhreibft bon einer ©eiftergefdjichte in Tübingen. Sch erinnere mich nicht, toa» ba» mar. 
Xamal» glaubte ich an ©eifter grabe fo feie Xu iefct. Xa» heifet, id) fürchtete fte 
unb glaubte nidjt baratt. Sefet bin ich bon ihrer ©jifteng fo fehr überzeugt, toie Xu 
ettoa üon bem SSorhanbenfeiit magnetifcher ©ole ober anberer tieferer SfaturmahTheiten 
unb ba» nicht auf bem 2Sege be» bloßen ©lauben» foitbem eingig auf bem Sßege ber (Sr* 
-fahrung unb Dtoturforfdjung. 223er nidjt auf biefem 2 Sege geht, fommt allcrbtng® hier 
gu feiner Uebergeugung. Xie mciften g. ©. toie Xu unb ÜNengel toollen eben nidjt» 
babon unb ba fann man nicht» bagegen fagen. 23a» liegt baran, ioenn ich unb noch 
hunbert unb taufenb Slnbere bebaubten mürben, e» gäbe fein Slmerifa? ©icle Xaufenbe 
fdjrieeu au d) gu ©olumbu» Seiten über ben 223abnfiun fold^er ©eljauptung. Xa» thut nicht» 
— bie Seit bringt alle» an beit Xag unb tuirb mich nach meinem Xobe recht* 
fertigen. Xie ©chuppen betreffend fo föunte ba» megen meiner ergählt toerben, aber 
bie ©ietät für meine ©Item erfordert, baß ich &üh bitte, biefen ©cherg ihrer toegen toeg* 
gulaffen ober fo fd)oneitb für fte al» möglich gu fteßen. ©» muß auch auf einem 3 rrthum 
meiner ober meiner SJtutter beruhen, ba ich im ©eptember 'geboren bin unb man int 
3anuat alfo nicht in 1 » 223affer fommt. Xa» mürbe 'man nachrechnen, ftühre bagegen 
lieber au, (toa» id) auch in Xeiuetn Xübiitger Xagebudj aufgegeid)net la»,) baß ich Xalö s 
lichter mit bloßen Ringern angerührt unb fehr gern auf bem ©oben gefeffen feie, ma» 
mir noch nachgeht — Xem Gong thue nicht» an. ©r ioar ein gu guter Stteufch. 

Xem hier au»gefpro<henen Sßunfdje genügte ©arnhagen nic^t uottfomnten, 
menigften» mürbe in ben fpäteren ©ud)au»gaben ber „Xeufmürbigfeiten" 
"bie ®ef$idjte mit ben ©puppen bod) gebrurft. 2tud) Song mürbe einiger- 
maßen mitgenommen. 

3eigt unfer ©rief ba» bei ferner übrige ©djmelgen in alten @r* 
innerungen, fo fomnten bod) einige beim Stbbrucf übergangene ©teilen in 
bem ©riefe nor, bie eine giemlidje ©ntfrembung erfennen laffen, g. ©. eine, 
in ber [ich ferner über ©arnhagen» ©rgählung beflagt, bie er burdj SRofa 
SJtaria erfahren Ijabe, baß er, ferner, einem ^eben alle SBriefe uorgeige. 

©rft am 12. 3Jcärg 1842 manbte iidj ©arnßagen mieber an ferner. 
Xie» ©djreiben ift ein 9J?uth* unb Xr oftbrief in Kerner» ©einüth»noth unb 
feiner 9Ingft, ba» 9lugentid)t gu uerlieren, ein ©rief, in bem ©arnhagen» 
2eben»freube unb ©d)affen»luft, bie erfreuliche ©rinnerung an alle» gemeinfam 
©rlebte gunt 2Iu»brud fommt. Xroßbem mürben gemiffe Xtfferengen, bie 
gmifdien ©eiben aufgetaud)t maren, nicht oerfdmnegen. Namentlich trat be» 
©djreiber» große Xheitnaljme für X. g. ©trauß, ben Xßeologen unb ben 
9ttcnfd)en, beutlid; heroor, mäljrenb Kerner, mie bereit» ermähnt, obmohl fehr 
gut mit jenem befannt, non beiu Xbeofogen 9iidjt» miffen moUte, ien SJtenfchen 
nidjt nöHig anerfannte, in feinen ©heftreitigfeiten g. ©. ihm Unrecht gab. 

9luf biefen ©rief ift folgenbe» ©Äreiben Kerner» bie 91ntmort: 


! 



— Briefe von Juftinus Kerner an Dörnhagen ron €nfe. 77 

ferner ait ©arnbagen. 

^3. Marg 18^2. 

Du bracbteft burdj Deinen Heben ©rief in bie Drühe meinet ßebenS einen fetten 
Sotmenfcbcm! Sieb! 34 Hebe Dich ja bis gum Dobe imtigft ! £ange mirb eS freilich 
mit uns ©eiben nidjt mehr halten, mir formen nicht fo gar alt merbeit, mir futb nicht 
baju gefebaffen, unb memt man DotfenbS mie ich bas £icbt ber Singen üerliert unb eS 
Sittern fonft fo trübe unb bange burcb’S gange £eben gu Mutb ift mie mir! Meine 
Slugen fiitb gut Operation noch nicht reif, aber erbärmlich gemtg gum Sehen unb hoch 
raufe tefe Dag unb Stacht als Slrgt Dienfte tbun unb barf SticbtS tbun, maS bie Slugeit 
noch erhalten tonnte . . . Straufe, beffen Du gebenfft, befuebt mich noch immer alljährlich, 
unb fitrglüb mar ich auch bei ihm in Stuttgart Seine religiöfen Slnfidjten bringen mich 
toeiter nicht Don ihm, benn mir ftnb alle gleich febeufetiebe Uncbrifteu unb Sünber. Sr 
inteiefjtrt ftcb auch febr für Sßoefte, Magnetismus u. f. m. Sr fchrieb förmlich eine Ober. 
3n biefem Sommer (Vergangenem Sommer] mar ich in München, mo ich ben Sdjetting 
baS erfte Mal fab unb fprad). 34 meine, bafe nur bie ©büofopbie bie rechte feie, bie 
ftcb auch ;mebr auf bie Statur grünbet, auf baS innere £eben unb Slhnen ber Menfdjcu, 
nidfet bloS auf fein ©ebimleben. Die ©bilofophien ber alten ©bilafoPbeu unb ßebrer futb 
mir ba immer noch bie mabreten, g. ©. ©latoS. — 3n Münzen lernte ich auch beit 
Siemens ©rentano tennen, einen gang fonberbarsbamonifebeu poetifeben Menfchen, 
ber mir Diele greube machte. Slucb ©örreS Dergmigte mich unb mein herrlicher Schubert. 
Der Äronpring unterhielt ftcb mit mir lange über ©eiftererfcheinungeit unb Magnetismus. 
Buch bie berftorbene Königin SBittme, bie mir mebrereS attS [biefett Greifen, aus ihrem 
eigenen £eben ergäbt, namentlich fo lange fie in bem alten Schlöffe gu ©apreuth mar, 
loo ihr felbft öfter bie mcifee grau erfebien. Du glaubft au alle biefe Dinge noch nicht 
unb fie flitb fo mahr, mie bie Srgäblurtg Don Slmerifa. 

Diecf mar Dorigen Sommer auch bei mir uitb ich bei ihm in ßeilbronn, mohin er 
mente gange gamtlte einlub. Sr mar fehr freuitblidh, befonberS meil er meinte, ich fei ihm 
fehtbfnb gemorben, meil fein §umor meinen ©eifterglaubeit in einigen Stobelleit benufete, 
unb meil er nun erftaunt mar, bafe bieS gar nicht ber gall mar unb ich ihm nötigenfalls 
bie gortfefeung einer folcben StoDeHe bei all meinem Sief pect für ©elfter unb bem ©lanhen 
<m foldje fdjretben mürbe. 

Die in bem oorftebenben Schreiben ermähnten 5ßerfönlitf)feiten (non 
Straufe toar fd^on oorber bie SRebe) Sdjetting, ©rentano, ©örreS, ©djubert, 
ber Staturpbtlofopb, ber Äronprinj oon ©atjern, b. b- ber fpätere Stönig 
Maximilian ftnb ju befannt, als bafe im ©tngelnen oon ihnen gerebet toerben 
ntüfete. Sludj biefer ©rief ift übrigens beStoegen ebarafteriftifdj, meil er 
ben ©egenfafe gtoifdEjen ben $reunben in geifiigen, um nicht ju fagen ©etfier^ 
hingen. Har barlegt. 

3n ben mannigfachen Dtfferengen, welche bie Intimität gefiört, ja gu 
oemichten gebro^t batten, famen in ber testen Seit noch bie politifebett. 
Die Stellung beiber Männer gur Sleootution mar, mie oben auSgefüfjrt 
mürbe, eine grunboerfdnebene, unb beibe Männer rnaren trofe ifereS SllterS 
heftig genug, um ben fie bebertfdjenben ©egenfafe lebhaft auSgubrüden. 
Die ©egeifterung ©ambagenS für bie ©rfeebung oon 1848 tritt g. ©. in 
feinem ©riefe ootn 25. Märg 1848 beroor. ferner machte aus feiner 
entgegengefefeten Stimmung burdjauS fein £cf)l. ©ei feiner Sieife nach 
SJorbbeutfcblanb oermieb er ©erlin, unb gar manche Sleufeerungen feiner 
geinbfdjaft gegen alles reoolutionäre ©ebahren mögen ©arnbagen gu 



78 


£ubmig (Seiger in Berlin. 


Dljren geEontmen fein. ®aljer äußerte et fid) in einem Briefe oom 
21. ©cptembcr 1849, einem ©anfbriefe auf Kerner? „Silberbud) au? 
meiner Knabenjeit" ungemein füfil, gar ttitftt im Sone bet früheren Gotte; 
fpoitbenj. Gin folcfe fii^feS Serfjältnij} war nidjt nad) .lernet? ©inn unb 

befonber? bie SBorte jene? Srtefe?: „bie neuefte 3 e O trennt un?," cer; 
anlafjte Kerner ju folgcnber rüf)renben Seritdjerung (1850). 

„Ol) Sitter, Su fdiriebft jiilcjjt befonber« curio« an mich. 2J!td) trennte bie 3rit 
nidjt bon Sir, toie mid) bcr Xob bon Sir nicht trennen wirb. 3d) lebe ntcfjt in ber 
tßolitil, nur in ber Statur. Sie SPotitif ift be« Seufcl« SSerf redjt« unb Iinf«. Safte 
Sir Sein £>erj bodj aud) nicht bon ihr fo entnehmen, bafe Sn if)r ju Siebe greunbt 
baran« treiben willft. Su brinßft mid) aber nidjt aus ibm. 

©elbft biefe 2lu?einanberfe£ung mar nidjt im ©taube, Samfeagen? 
©roll ju rernidjten. Sieltnefjr gab fie iljm Seranlaffung ju folgenben 
fcfrr heftigen Steuerungen, 9. ©eptember 1850: 

„SJteine Sßolitit bat nidjt« botn Senfe!, fte Weife bon feinem SEortbruch, SJteineib 
unb Serratb, bon feiner bo«baften SHadic nad) Borbergcfongcncr Feigheit, meine SPolitif 
ift eine gottbefreunbete, eine, bie fid) ber Slrmen unb hieb rieften annimmt, nicht ben 
Sletdien unb 2J!äd)tigcit bulbigt; bie loffe Su mir migefdjolten!" 

Tannt fdjien Sambagen bie Jebenebejiefjungen »eilig abgebrochen ju 
haben. $n einiger Serbinburg blieb er mit Quftinu?’ ©ofen, ©beobalb 
Kerner, einem Slnfjänger ber neuen S^triditung, ton bem bet Sätet am 
23. 3uli 1848 getrieben hatte: „dagegen lieferte idj einen ©oljn ber 
SBelt, welcher e? mit ber rotfecn Sepublif unb Herrn ^edet hält." 

2ln ifen fdjrieb er am 22. Souembcr 1853 folgenbe Ijerbe 3^^, 
bie fidb in Slbfdjrift unter ben Rerrer^apieren be? Sambcgcn’fdjen Sacb-- 
laffe? finben. Sadjbem er nämlich geäußert, bajj er in bem lebten an 
ben Sater gerichteten Srief feine Hoffnungen unb Sefümmentiffe au?gebrücft 
habe, fuhr er fort: 

„SU« id) Sbren Sater fettnen lernte, bndjte er auch fo. Sefet , freilich uidjt meferl 
3d tritt feinem dJictifdictt feine Senfart borfefereiben. 3d> ebre bie reblidje Ueberjeugnng 
in jeber ©eftalt. Slber e« giebt gebäffige lleberfcbreitungcn, bie id) nicht ertrage. SSenn 
idi eine Steife nach Schwaben machte, fo würbe id) SSeinSberg hoch öermeiben muffen." 

9Iber Kerner feiett biefe Gntfrembung non bem fo lange Serbunbenen 
unb fo innig ©eliebten nicht au?. 2(1? er 1855 in SabewSaben mar, 
fanbte er ein Slatt uont ©rabe Subroig Sobert?, bc? Sruber? ber Safeei, 
unb fdjrieb baju bie folgenben ergreifenben 3eilen :' 

„Sou Sübingen an bi« jefet unb immeTbar trug unb trage id) Sieb treu in 
meinem tperaen unb crlofcben in mir and) alle (vretibert, mein halbe« Sebenälidjt unb 
mein Slugenlicbt, erlofd) in mir bocb nidjt bie Siebe, unb au« Sacht unb ©ram grüfet 
unb fegnet Sidi am (Snbe biefe« Sabre« unb Wohl am hübe feine« Seben« Sein alter 
(Vremtb 3. Sfemer. 

Stuf biefen Slppctl fonnte Sarttfeagen niefet fdjweigen. 2lm neununb; 
jiuanygftcn ©ecentber 1855 antwortete er, freilid) genteffener al? Kerner. 
G? Elingt reifet fühl, wenn er fefereibt: 

„lltifere alte Siebe faitn nicht bergliihett: felbft unter ber Stfdje, bie ftd) bariiber 
gefegt haben mochte, mufete fte fich wohl bewahrt wiffen." 



Briefe rott 3»pwras Kerner an Darnfyagen oon €nfe. 


79 


©eitbem würben nodf) bis 1857 mehrere 33riefe gewedhfett. 216er fte 
entbehren beS eigentlich perfönlidhen unmittelbaren ^ntereffeS, ein Mangel, 
ber in Kerners Briefen fdjjon baburdEj fi<ht6ar wirb, bafc er feiner völligen 
Slinbljcit wegen nicht mehr felbfi fd&rieb, fonbem bictirte unb bödhftenS 
ein paar 3*i$en barunter frifcelte, bie feinen tarnen oorftetten follten. 

9loch einmal ganj am ©djlufc, in betn testen 33rtefe, ber non ferner 
an S3arnhagen gefdhrieben würbe, erlangt ein etwas ^eräli<herer £on. SBiet* 
leicht glaubte Kerner nicht oötlig an baS, was er fdfjrieb, nielleicht meinte 
er, bafc er non SBarnljagen nerfannt fei. @S ift baS fd&on einmal gelernt* 
jeid^nete Suiten um bie greunbfdfjaft beS feit SClterd her SSerbunbenen, wenn 
er \fyn am 18. 3uni 1857 ein „2ln ©eroiffe" ü6erfd£jriebeneS ©ebi<ht (auf 
einem gebrutften SBlatte) jufenbete unb non ben Werfen bemerfte: „bie 
aber nicht an £)idfj gerietet finb, weil ich wobt fühle, b afc ®u mich nicht 
mifenerfianben faft trofe ®ei neS früheren -äJtibbehagenS an SSerfen auf ben 
non mir audb nidbt mifclannten 9iabe$fy." 

2)aS jum ©dhlufe erwähnte ©ebidht an Slabetslp fleht in ben üblichen 
Auswahlen Remer’fdher ©ebichte nicht, ebenfo wenig baS ©ebidjjt „Sin ©e* 
roiffc", baS nur in ber wenig nerbreiteten unb jefct fdhon fetten geworbenen 
Sammlung „SBinterbtüthen", Stuttgart 1859*), ju ftnben ift. ®a es 
überaus charafteriftifch für ben ©idhter ift, fo mag es hier folgen. 3 ur 
©rflärung genüge bie 33emerfung, bafc unter ben am Slnfang erwähnten 
jwei 5D?enfd^en wohl bie Könige non SSapem unb SBürttemberg ju nerftehen 
ftnb. ®aS ©ebidht fetbft tautet: 

* 3 toei SWenfdjen h ab’ ich in mein $crj genommen, 

£)ie mich in ihr £ers nahmen — als ich bltttb, 

Unb nur burd) 3nfaü ift e& fo gelontmen, 

$afj biefe 3*nri zugleich auch Könige ftnb. 

9ftd)t Witt ich ihre tarnen eud) ^ier nennen, 

Still trag’ ich ße in meinem Serben warm, 

2 ) odj würbet ihr fo gut, wie ich, fte lennen, 

Unb fte nidbt lieben, Wärt ihr — liebearm! 

3h* hattet bann bie Siebe nie gefefjeit, 

$)er gleich ift König, Bettler, arm unb reich, 

$ie Siebe, bie mit Königen fann gehen, 

$)ie Sonne füffet unb ben SSurnt gugleidj, 

3) ie Siebe, bie mir (Bott trug in mein Beben, 

5)ie mich geführt tn ©iitten unb ptm Xhron, 

(Bar ©ruß unb Kuf$ bem 23iebermann gegeben, 

SSar er ein Königs* ober 23auernfohn. 


*) $ie angeführte Sammlung „Sßtfnterblüthen" 1859 ift ebenfo wie bie Sammlung 
„Sefcte Sieber*, Stuttgart 1854 fo fetten, ba& 3 . fd. beibe nicht in ber Königlichen ©iblio* 
thel in 83etfin üorhanben ßnb. SluS biefen beiben Sammlungen enthalten bie üblichen 
3ujamntenfteIIungen Kenter’fcher (Bebidjte, wie fte feit bem Xobe beS Sßoeten häufiger 
5 . 83. Stuttgart 1876 unb 86 beröffentticht worben ftnb, nur eine Auswahl nicht immer 
ber dharatteriftif^en Sieber, ©ine Wirtlich üoUftänbige Sammlung ber Kemer’fchen Storit 
Ware fehr erWünfcht 

»orb tmb ©üb. xcn. 274. 


6 



80 


£u&mig (Seiger in Berlin. 


23cfrag* baS SBalbgebtrg ob uuf’rem $f)a(e, 

2Bo irr getobt ein armer Satternfdjmarnt, 

2Ser bie ©etroffenen bom iölttjeSftrafjle 

£eS 9tid)terS — fcfji'ujenb nahm in feinen 2irm? 

2Ber bat in jenen bangen irren Xageit, 

2US UitbanfSruf gut tfönigäfjalle brang, 

$ie fcarfe in ben milbeit Sturm getragen, 

$>ie £iebe, fitebe, alte üiebe fang? 

Sftidjt maS baS 2Jiitleib mir gebot, mid) fröne ! 

$cr Xtfd) anf meinem X^urme fteff gur i8eid)t’, 

2Bie oft an ifjnt fdjmergöolle ^olenföbne 
@id) tranfen ihre fdjmereit bergen leidjt. 

2Bie id) einft mar, bin id) bis beut, iftt Sieben, 

Unb trägt mein £>erg audj feinen 23ürgerfrang, 

3ft mir bie freie offne Stirn geblieben, 

$ie &anb, bie nid)t gefpielt gum irren Xaitg! — 

S)ie Sßolitif trieb in mir fdjmadje Xriebe 
©ebeibt nicht in poctifdjer -ftatur. 

©ebulbigt bah* id) eingtg nur — ber Siebe — 

2öar fd)ulbboII id) — berflagt bei ©ott mtd) nur! 

SSarnhagen fiarb am 10. Dctober 1858. ®er ihn übertebenbe greunb 
mar barnals ni d)t mehr frifch genug, um feine ©mpfinbungen lebhaft au£* 
jubrüden, fo bafc in bem gebrudten Sriefroechfel gerabe biefer $ahre bic an 
ferner gerichteten Briefe bie non ihm getriebenen bei SBeitem überragen. 
3ub em mar au<h baS ©efdjlecht, baS mit Kerner unb Sßamhagen groß gemorben 
mar, faft nöUiq oerfchnmnben, oielletcht mit Ausnahme beS 33eiben gemeinfatn 
uerbunbenen ttljlanb. 2lber es jeugt bod) auch febr für baS ©djroinben jeber 
Intimität jmifdjen ben alten greunben, ba& in bem gebrudten S3riefmedrfel 
. 33arnhagenS SRame feit 1842 überhaupt nicht mehr begegnet unb bie eütjtge 
©rmähnung feines DiamenS, bie na<h feinem $obe gedieht, nicht in einem 
SBriefe KemerS, fonbern in bem ®an!fdjreiben erfolgte, baS Submiffa Slffing 
am 14. -Jtooember als 2lntmort auf eine ^hrilnahmebegeuguitg oon ftufHnuS 
an biefen richtet (So gerrann allmählich auch biefeS fo innig begonnene 
SBerhäftnife. 2lber baS 2IuSeinanbergehen jener fo oerfchiebenen 9Jtenf<hen 
ju betrachten ift intereffant genug unb namentlich ber ßinblid auf bie ge* 
meinfam oerlebte Ougenbjeit oon größter SBebeutung. 





^lugmär^tlidje Betrachtungen im Center. 

Pon 

— (Sötttngen. — 

c Sorhang geht in bie £>ö[je! ©u rooUteft noch eben baS 
Serfonenoerjeühniß beS Stüdes burchmuftern: unmöglich! ©iefe 
©unfelbeit um ©ich herum, nur bie Sühne in heller Beleuchtung. 
3a, warum benn? 2BaS b®t beim biefe in ben lebten 3^xhrjehnten in 
©eutfehfanb eingeführte SKobe für einen Swed? ©aß fie nicht gerabe junt 
Seiten ber Slugen erbaut würbe, ift wohl einem $eben fd^on burch bie 
unangenehme ©mpftnbung ffar geworben, bie ihn trifft, wenn er plöfclid) 
aus bem ©unfein in’S $eHe ober aus bem gellen in’S ©unfte fontmt. 
©ie 2lugen müffen ftth er ft für bie roedjfetnbe Beleuchtung „abaptiren", — 
wie man bieS wiffenfdjaftlich auSbrüdt. 3 m Anfänge finft hierbei auch 
bie Seßfchärfe; erft allmählich hebt fie fleh wieber: je größer ber Unterfcßieb 
war, um fo tangfamer tritt bie Slbaption ein, um fo unbequemer. 2Bie 
t>iel Seit »ergeht bodh, wenn man aus einem fonnenbeftrablten Staunte in 
ein finftereS Srmmer tritt, ehe man bie ©egenftänbe barin erlernten fann! 
Sticht nur bie centrale Seßfchärfe leibet, auch bie periphere wirb »erringert 
unb bas ©ejtcfjtsfelb verengt; wir erfennen bie feitwärts non bem an* 
gefehenen ©egenftanb befinbtidien Dbjecte bei SEeitem nicht mehr in ber fonft 
möglichen ©ntfeniung. Um eine größere SDtenge Sicht einjulaffen, erweitert 
ft<h alebamt bie Pupille. Bleiben wir länger im ©unfein, fo fchärft iid) 
unfer Sehen immer mehr; ©efangene, bie 3®h*e hinburch in finfteren 
Äerfem gefeffen hoben, füllen eine ganj ungewöhnliche Seßfchärfe bei biefer 
geringen Beleuchtung erlangen. Umgefehrt oerengt fi<h bie ißupille, wenn 
wir aus bem ©unflen plö^ticfi in’S £eHe treten, um bie Sichtfülle ab« 

6 * 




82 


5djmibt-Htmpler in «Söttingeu. 


jublenben. Auch t)ier roirb crft langfam tutebet ein ruhiges unb fdjarfeS 
©eben ermöglicht: öfter tritt babei „Biüdenfeben" (mouches volantes) 
auf: Keine Binge, Blättchen, ftäbcben werben roabrgenommen. 

derartigem AbaptionS«B?cd)fel unb mir nun im dbeater beftänbig 
auSgefeßt; nidjt allein wenn ber 3 u f £ h au eutaunt beim Beginn ber Bor« 
ftetlung ober nach bem Aufbören ber Raufen ftarf uevbunfelt roirb. denn 
roobt Biemanb blicft roäbrenb beS ganjen 3tcteS unentwegt auf bie Bübne, 
felbft nicht bei febt intereffanten Borfübrungen; roieuiel mehr tritt baS Be= 
bürfniß bei langweiligen ©eenen beruor, einmal ben SBEidE berumfehroeifen 
ju laffen. Aber bann oerfagt bie ©eßfraft in bem dunfetraum; bie Aöap« 
tion für bie Dbjecte unb ©ubjecte im 3ufdjauerraum bauert um fo länger. 
Je greller bie Bübnenbeleuditung roar. 3e weiter surüd ber 3uf<hauer fitst, 
um fo unbequemer ift unter fot<hen Berbättniffen fein ©eben, ba er erft burdb 
einen langen bunflen Baum auf bie beleuchtete Bühne blicft, er roirb um fo 
eljer uerfuebt fein, EtroaS in bem uor ibm liegenben 3uf<hauerraum ju erfennen. 

Audi ber dbeaterjcttel, ber uietteicht gleich im Anfang ber Aufführung 
no<h mit Anftrengung bei einer mäßig berabqefeßten Beleuchtung gelefen 
werben fonnte, roirb Jeßt ganj unleferlidb, ba baS Auge überblenbet ift 
unb fich in $olge beffen langfamer abaptirt. Biele beutfebe Bühnen fuchen 
unä atterbingS biefen ftatnpf mit bem dljeaterjcttel ganj ju erfparen, inbem 
fie gleich beim Aufrollen beS BorbangeS Alles in 3iacht einbüllen! 

Bo<h ein weiterer Umftanb fomntt binju, ber gegen biefe Berbunflung 
beS dbeaterS fpricht. Sßäbrenb bie Bütte beS Augen bin tergrunbeS, bie 
©teile beS centralen ©ebenS unb ihre nächftc Umgebung uon bem Bühnen« 
bilbe grell beleuchtet ift, ftnb bie peripheren ?Partieen beS AugenbintergrunbeS 
bunfel unb jroar in um fo gröberer AuSbeßnung, je entfernter man fi<h uon 
ber ©eene befinbet, ba aus bem 3nf<hnuerraum fein Sicht auf fie faßt. 
Bietteidit fönnte man meinen, baff bierburch bie ©ebfehärfe für bie bette 
Bühne fich befonberS fteigere, unb fo einen geroiffen Bortbeil für baS ©eben 
auS ber getabelten Einrichtung berteiten. dem ift aber nicht fo. Bei ber 
Btehrjabl gefunber Augen roirb, wie mich Berfuche gelehrt haben, burch eine 
mäßige Beleudituitg ber Peripherie ber Beßbaut gerabe bie ©ebf<härfe für 
baS centrale ©eben, atfo für baS birect Angefchaute uennebrt. 

©o fann ich benn feinen einzigen optifcfcpbuftologifcben ober augenärjt« 
liehen ©runb finben, ber biefe übermäßige Berbunfetung bes dbeaterraumeS 
ju rechtfertigen uermag: im ©egentbeil fpricht Alles gegen biefe jeßt fo be- 
liebte Btobe. 

Bietteicbt aber fpieleit pipdjofoqifcbe Bfomente babei eine Botte? 3<h 
roeiß nicßt, ob baS BerbunfelungSfpftem uon Bapreutß, roo es in böchfter 
Boten j burebgefübrt roirb, ausgegangen ift: bann fönnte man afferbingS 
glauben, baß ber 3 u börer auf biefe 2Beife „im Bu'angSoetfabren" uer« 
anlaßt roerben fottte, feine Aufmerffamfeit einjig unb allein auf bie Auf« 
füßrung ju lenfen. gür mandie 3ufd;auer unb 3 ll ?)örer feßeint baS dunfel 



2Jugenät3 tlicfje Betrachtungen im (Ei(catet. 83 

«IlerbingS ju bem »ollen ©enufj einer SBagner’fchen Oper erforberlidj jii 
fein, ©o lefe i<h j. 33., bah 33ernf)arbine ©chutjesSmibt in ihren „Variier 
2heater=2E6enbe" (Ueber Sanb unb fDleer 1898 91c. 43) bebauert, baft in 
ber ißarifer Dper bei ber SDIeifte r fang er -2luffü E»ru ng ber 3 u f<hauerraum 
roährenb bet SSorfteHung ebenfo hell beleuchtet bleibt wie währenb ber $aufe. 
„yür 2Bagner3 Dpcrn, bie ein ganjeä Ohr, einen ganzen $8erflanb unb ein 
ganäeä ^ers erforbem, wirb i)}ari§ roofjt niemals 9J?i'md)en*) ober 93apreuth 
erreichen. ®ie Ejef)re, atEjemfoS laufchcnbe SBeiheftimmung fann nicht 33oben 
gewinnen; ei ift feine 2lnlage ba ju jener Eingabe, bie fich ben feeten= 
erfdjüttemben SEönen am liebften iin ©djutse ber ©unfetheit entgegenbrängt, 
weit fie 9lid)t3 fehen ntag aufeer ben Vorgängen auf ber 33ühne; bie tief 
in’S 2Jteer beS Stange*! finfen will ..." 

2Ber eben „tief in’3 2Jleer bei Stange! finfen" will, ber mag bie 
SEugen überhaupt fchtiefjen: aläbann ift er am atierbeften befähigt ju hören; 
will er fich aber gteidjjeitig auch bie Vorgänge auf ber 33üf)ne nicht entgehen 
taffen, fo lieht er, wie auägeführt, beffer, wenn feine abfotute SDunfeltieit im 
3ufchauerrautne Ejerrfcfit. $Dah aber berartige fid) ganj »erfenfenbe unb bem 
Sunftgenufj hiagebenbe ©emüther überhaupt burch anbere ftditbare Gr= 
fdjeinungen abgewogen werben Knuten, h' e B e bodj an ber ©tärfe ihrer 
Sunftempfinbungen unbefcheibene 3'ueifet hegen! immerhin bleibt ei auf= 
fatlenb, bah man nicht »iel eher an ben Orten, wo man nur hört, ba! 
beifit in ben Goncertfälen bie tßerbunfetung eingeführt hat; ober fürchtet 
man, bafj ©inne!einbrücfe, wetdje ba? Ohr allein treffen, nicht für alle 3u- 
hörer genügen, um fie wach ju halten? 

2lber ei hanbelt fich auch garnidjt immer im Theater um Opern ober gar 
SEagner’fhe Opern. 3Mfommen unoerftänblich bleibt fotdjer 3'oang, wenn 
un! ©chwanfe unb fßoffen »orgeführt werben; felbft wirtlichen Sun ft werten 
gegenüber halte ich berartige 9Jla|nahmen jur befferen Goncentration ber ©e= 
banfen unb Gmpfinbungen für unberechtigt. ®ie Theater finb nicht für 
fdjulpfliditige Sinber, bei benen man in ben Staffen bie ffenfterfd) eiben un= 
bur<hii<htig macht, bamit fie nicht auf bie Strafe fehen. £)ie Grwadhfenen 
gehen burcfifdEjnittlich ju ihrem Vergnügen — welcher 2lrt bie-3 auch fei — 
hin, einige wenige auch jur nothwenbigen Grhöhung ihrer Silbung, ober 
jur Slufbefferung ihres Gharafterl. 2Bie weit fie nun ben Vorgängen auf 
ber 23üf)ne ihre ^beilnabme fchenfcn wollen, ift jebenfaUS ihre eigene 2lm 
gelegenheit. SEBenn fie ei uorjieben, ba! fßublicum gelegentlich ju muftern, 
ba ihnen hier manche ißerfönlidjfeiten iutereffanter »orfommen als bie 39ühnen* 
fünftter unb Sünftterinnen, fo mögen fte ei tfiun: ber Sheaterbirector barf fie 
biefeS Vergnügen! nicht burch 33erbunfetung be! 3uf<hauerraunte3 berauben. 


*) Nebenbei fei bemerft, baß ich gerabe in SDlüitcfien bei einer fffeftborftedung be8 
Sobengtht im September B. 3. bie Slerbunfelnng tnäfjrenb be8 Stetes nur raüfeig unb 
bnrchauS angemeffen fanb. 



84 £j. Sdjmib t'KimpIer in (Böttingen. 

$u Italien, ii )0 bie Sogen gleichseitig bem gefetligen S8erfeE»r bienen, 
mürbe man gegen ein fotcßeS Dbfcurantenmefen lebhafte Verroaßrung ein* 
legen; ebenfo in granfretdj. „9Jießr Siebt"! rootlen mir mit ©oetße rufen; 
er mar ein folßer Sichtfreunb, baß er 1814 fdßreibt: „Sßüßte nidßt, roa§ 
fie SBcffcreS erfinben fönnten, als baß bie Siebter ohne fßußen brennten." 

MerbingS fpart baS 2lu3brehen ber ©a3* unb eleftrifcßen .fjäbne 
Siemlid) oiel ©elb; foüte bie§ and) mitfpreeßen unb meQeicßt barin ber ©runb 
liegen, baß bie ungefunbe Viobe fo fcbnelle Verbreitung gefunben bat? 

Untere ftorberung gebt nun babin, baß, menn audj bei offener ©eene eine 
mäßige ^erabfeßung ber Vcleudftung im 3ufcßauerraum sugeftanben merben 
bann, jeber Vlaß bod) fo belichtet ift, um einem normalen 2luge ju er* 
möglichen, ben 2ßeatersettet ober ba§ Sejtbudß minbeftenS in 40 cm @nt* 
femung ju lefen. Vei biefer $eHigfeit merben alle ^erfonen unb ©euchter 
im ffcßeater roenigftenS fo beleuchtet, baß auch ber einigermaßen jufrieben 
fein fann, bet gelegentlich feinen Vlid im 3uf<hauerraum umßerfcßroeifen laßt. 
Vor SCClem merben bie 2lugen bann nicht burch ju craffen Si(htme<hfel gereist. — 

Sleßnticß uermerflid) erfdjeint bie ßodjgrabige Verbunfetung ber Vüßne, 
roie fie biSroeilen in 2tbenb* unb Vadftfcenen beliebt ift. 2Jtan muß un* 
miHfürlich babei an einseine Vilber ber leßtjährigen $unft*2tusftettungen 
benfen, bie in Vraun unb ©dßmars gemalt, eigentlich 9licßt3 erfennen ließen 
unb nur als Veyirbilb mit bem VJotto: „2So ift bie Äaß?" ben Vefcßauer 
intereffiren fonnten. 2ludj bie fdjöne fehmarsgetünebte Vilbfläcße mit ber 
Unterfdßrift: „Sfampf ber Sieger im fCnnnel" taueßt in ber ©rinnerung 
beS finnenben Vefcßauerä auf. 

SBenn bie ginftemiß auf ber Vüßne, mie nicht fetten, fo groß ift, 
baß bie ©djaufpielet ober ©änger garnidjt ober nur alä fchmarje 
©(hatten erfennbar fmb, fo brausten fte überhaupt nicht su erfeßeinen unb 
fönnten einfach bildet ben ©ouliffen fpredßen ober fingen. @3 fiele bann 
roenigftenS ba§ ßöchft unbequeme ©eßen unb ©ueßen na<ß tßnen fort, baä 
bie äugen übermäßig anftrengt unb ben 3 u f<houer gans tterröS ma<hen 
fann. — „Siur bei guter Veleußtung arbeiten unb feßen" fagen mir 2lHen, 
bie ißr 2lugenlicßt erhalten mollen: im Theater aber mirb uns sugemutßet, 
in manchen ©tüden oft Viertelftunben lang bie im ginftern mirfenben 
©djaufpieler su »erfolgen. 3«, roarum benn biefe Dual? um ba§ ©piet 
ber 2Birflid)feit su nähern? darauf fönnen mir im ftntereffe unferer Slugen 
unb Sternen gern »ersießten: ba$ Sieben in Verfen, bie langen SDlonologe 
ber ©terbenben unb bie fchmetternben 2lrien ber Unglüdlicßen unb Ver* 
Smeifelten fommen aueß nießt in ber Sßirflicßfeit uor. 

£)a mit alfo Vieles auf ber Vüßne hören, roaS mir fonft — oft su 
unferer ©enugthuung! — nießt su hören befommen, fo fei man auch be* 
Sttglid) be3 ©eßenä nießt fo überaus realiftifdß unb beleuchte bie ©eene 
roenigftenS fo, baß man bie Jfiinftler erfennen unb ißr Vüencnfpiel »er* 
folgen fann. $ie Siacßtfcene in ben SWeifterfingem, Sßeile be£ erfteu 



21ugenär3tlid?e Setrad^tun^en tm (Efyeater. 


85 


SlcteS bet SBatfüre, bie SBalbfcene in ben luftigen Sßeibern unb niete nnbere 
werben aber in manchen Sweatern faft abfolut unficfitbar gefpiett! — 

3m fdjärfften ©egenfafc ju biefer ©unfetheit treffen mir oft bei SBaHet« 
feenen eine fo grelle eteftrifche S3eteu<htung, b aß man orbentlidj Singen- 
febmerjen befommt unb fortblicfen muff. SJian bebenfe, baft ber flammen» 
bogen eines einjigen eteftrifchen ftohtenlicljteS etwa 5000 — 10 000 üRormat* 
ferjen entfpricht. ©ieS „Slitjumel" ift and) ungefunb, befonberS werben bie 
SarfteHer, benen ber SWefTey beS Siebtes birect auf baS ©eficht geworfen 
wirb, barunter leiben. ÜRir finb fdbon »or fahren, als biefe SJiethobe in 
Slufnabme fam, mancherlei Stagen oorgebradjt worben, in benen wirtliche 
SlugenerPranlungen barauf jurüefgeführt würben, ©in befannter ©cßaufpieler 
beS früheren aSictor ia=3T^eatc rS in Söerlin brachte feinen beginnenben grauen 
Staat bamit in Verbinbung; ob mit Stecht, feßeint atlerbingS jweifelßaft. 
es ift jwar fchon feit langer $eit befannt, baß geuerarbeüer t)crßältmß= 
mäßig häufig in jugenblicßem Sitter an Staar erfranfen, befonberS ift eS 
bei ben ©laSbläfern fichergeftellt, baff ihre Slrbeit nach biefer Stiftung hiu 
fdjäblichen ©influß übt. Sei ihnen finbet man oft, baff ein Sluge befonberS 
unb frühjeitig rom ©taar befallen wirb, unb jwar baSjenige, welches ber 
(feuerftatnme am nächften fteht. ©och bürfte hier oietleicht mehr als bie Sicht- 
wirtung ber glüßenben SRaffe bie flraßtenbe SfPärme anjufchulbigen fein. 

SBoßl aber bewirft übermäßiger unb greller Sidjteinfail öfter anberS; 
artige Slugen-Slffectionen, bie fleh burch Sidfitfdjeu, 2)iüöenfeben, frampfhafteS 
Schließen ber Siber, SßupiCenoerengung unb remtehrten Slutjufluß su ben 
äußeren unb inneren Slugentßeilen ju erfennen geben: jeboch nur fetten ent* 
fteht ein bauember Stachtßeil J)ierburcf) . Gs haubett fich um ähnliche 3 U = 
ftänbe, wie iie bei bem Stufentßalt auf hohen, feßneebebeeften S3ergen not* 
tommen unb bie als ©chneeblinbßeit befannt finb. 

Sei bem birecten längeren föhteinblicfen in eine fehr ftarfe SichtqueHe, 
fann eS jeood) ju einer wirtlichen Verbrennung ber centralen Sleßßout 5 
(Sehhaut^)partieen fomnten, in fyofge beren bann ein centraler ©unfelflecf 
(Sfotom) entfteht: bie baoon bebeefte ©teile fällt entweber ganj aus, ober 
es wirb ber fiyirte Sßunft wie burch einen ©djteier gefehen. 

©ehr häufig finbet man biefe Grfranfung nach einer ©onnenftnftemiß, 
wenn biefetbe ohne bunfleS ©las rerfofgt würbe, unb bie teuchtenben ©heile 
ber ©onnenfeheibe längere 3eit angefehen würben. 3 U m i r fam einmal 
ein ©orffchuHeßrer, ber auf biefe SBeife nicht nur fetbft einen ©unfelflecf 
erworben, fonbern ihn auch uoch bei einer -Reihe feiner Schüler reranlaßt 
hotte, inbem er fie ju emfiger ^Beobachtung beS feltenen StaturereigniffeS 
anfpornte, ohne babei bie nöthigen Vorfichtsmaßregeln (bunfle ©täfer) am 
juwenben. 3 um ©lücf pflegen biefe glecfe fich im Saufe ber 3eit wieber 
ju lichten, fo baß noch eine äuSreichenbe ©eßßhärfe erreicht wirb. 

S&tdj nach bem ©eben in eleftrifcheS Sicht fönnen ©unfelflecfe entftehen: 
fo beobachtete bieS ein Sßiener Slugenarjt bei einem ©chuftergefetlen, ber 



86 


f}. Sdjmibt* Himpler in döttingen. 


lange 3eit in eine an bet ®ecfe eines GirfuS angebrachte eleftrlfdje ©onne ge; 
ftarrt hatte, ©etbft weniger intenfive Sichtquellen wirten gelegentlich 
fdjäblidb. ®er berühmte, jet?t verftorbene ißrofeffor 3lrlt bejdhreibt j. 33. 
eine fdhwere 2 lugenentjünbung mit itadhfolgenber ©ehfdhwädhe bei einem 
SSfdhlerleljrling, ber als „ 3 aungaft" einem feenhaften Gatouffel in bem 
SBalbftein’fdhen ißalais in ^rag, baS in bengalifdjer Veleudhtung prangte, 
äugefdhaut batte. ®er gunge batte burd) eine ©palte ber umfchliefjenben 
33rettermanb geblidt; wegen auf tretenber ©dhmerjen tonnte er nicht einmal 
bis jum Gnbc bes ©dhaufpiels feine 9ieugierbe befriebigen. &ier bürfte 
auch ber norber als fdjäblich betonte Gontraft ber baS 9luge peripber um; 
gebenben $Duntel()eit mit ber überftarten centralen 33eteudf)tung eine SRolle 
gefpielt haben; wenigftenS ift nicht anjunehmen, baf; bie in bem geftraum 
felbft 33efinblichen ähnliche golgen banontrugen. 

betreffs ©thäbigungeit ber ©ehfraft burch reflectirteS Sicht finb audh 
verfcfjiebene 33eobad)tungen mitgetheilt worben: fo würbe ein SDläbdhen 
fcbwa<bfi<btig, baS beim 33aben lange $eit auf bie vom SBaffer reflectirten 
©onnenftrafjlen bliette. GS wirb audh angegeben, bafj bie ©träfe ber 
„33lenbung", wie fie bei ben Sllten geübt würbe, oft nur barin befianb. 
ba|j man bem Verbrecher ein gliihenbeS -DMallbedfen bidht vor bie 3lugen 
hielt: man nannte bieS „abacinare“ von bacino (33ecfcn). 9ta<b biefer 
Vrocebur trat nicht volle Vlinbheit ein; es blieb nodb ein gewiffer Sicht = 
fdhimmer. ÜlHerbingS ift es jweifelhaft, ob hier nidht auch vorjugSweife 
bie ftrahlenbe 2Bärme bie .Jjauptfdjulb trug unb etwa burdh eine Gnt= 
jünbung unb Trübung ber Hornhaut bie ©ehfchwäche bebingte. 

Gine anbere 2lrt ber Vlenbung, als fte in ber vorher erwähnten 
SBeife burdh bie grelle ^Beleuchtung ber 33ühne Künftler unb publicum trifft, 
war früher burdh bie in ber 2Jlitte beS guftbaueraumeS 0 f t jicmlidh tief 
herabhängenben Kronleuchter gegeben: bie Vefudher ber hötjerett unb hödhftcrt 
9tänge, — bie im gewöhnlichen Sehen biefen SRangftufen befanntlich nidht 
anäugehören pflegen, — hatten befonberS barunter ju leiben. 2Bie idh aus 
eigener gugenberfahrung weih, mären früher im 33erliner Opernhaus in 
golge beffen einjelne SJßtä^e beS erhabenen DtprnpS ganj unbrauchbar, 
gefct finb bie flammen wot)l überall auSreichenb gebedft unb genügenb 
hoch angebracht, um nidht ju ftören. — 

®a bie Gntfemung ber einjelnen ißlätse von ber Vithne burchfdhnittlich 
■peinlich grojj ift, fo finb bie güfehnuer barauf hingewiefen, fi<h ber gernröhre 
(Dperngucfer) ju bebienen. 2 Benn wir gar bie 9 liefen;£heater in Italien 
berücffichtigen, 3 . 33. bie ©cala in 9 )iailattb unb ©an Garlo in Neapel, 
ober bie in Sonbon unb nach bem Sonboner 33 eifpiel auch in 33er(in unb 
Hamburg eingerichteten ©chanbithnen, wo noch ein ju ©dhiffSmanövem be- 
nutzter Sßafferftrom swifchen 33iihne unb 9ßat<iuet liegt, — fo erfdheinen in 
ber ^h°t vielen 33efudhcm bie Tarfteller als Siliputaner, was befonberS 
bei 33aHetauffiihrungen einen großen ©euufjverluft bebeuten foff. 



2lugenär3 tlid&e.öetradjtungen im (Theater. 87 

Unfere geroöbnlidhen Dperngutfer bieten teiber nur eine mäßige 2luS= 
hilfe, ba fie meift ju roenig oergrößern. 

©ie Venußung ftärferer Vergrößerung im ©bcater aber bat bie Um 
bequemlidhfeit, baß bas ©efüfitSfelb babei ju feßr oerfleinert roirb. ©ie übtidje 
Vergrößerung ber Dperngläfer fdjroanft etraa jroifdjen l 1 /,— 3fatfi. ©ie 
©oppctgernröbre, roie fie bei ber 2trtitlerie unb 2)!arine angeroanbt merben, 
haben ungefähr 5 — 7 fadje Vergrößerung; ein als unübertrefflich non einer 
optifdhen $abrif empfohlenes 9Jtarine;©oppel;$ernrobr (©ßalattoffop) mit 
7 maliger Vergrößerung (einfach in 9)ief|tng) foftet bereits 68 iDtarf. Schon 
biefe SBertbangabe geigt, baß bie üblichen Dperngläfer, beren Preis fidh burd) 
bie SluSftattung (©tfenbein, Perlmutter 2 c.) noch erhöbt, feine allju ftarfe 
Vergrößerung unb feine beruorragenbe optifdhe ©paetheit haben fönnen. 

©ie Vergrößerung läßt fidh am heften ä double Tue beftimmen. 3 U 
bem 3roede btidft man — oorauSgefeßt, baß man mit beiben 2lugen gut 
nebt, — mit bem rechten 2luge beifpielSioeife burd) bas Unfe 9tobr beS 
CpemgutferS nach einer in entfpredienber Gntfemung befinblidjen -Blauer, 
welche aus gleich großen übereinanber beftnblidjen Steinen jufammengefügt 
ift, unb [teilt burd) Schrauben baS ©laS genau unb fefjarf ein. Siebt man 
nun biefetbe Stelle gleichseitig mit bem freien linfen 2luge an, fo erhält man 
©oppelbilber: eines geigt bie natürliche ©röße ber Steine, baS anbere bie 
mit bem regten 2luge burd) ben Dpemgucfer gef ebenen oergrößerten Steine. 
2Rit leister 3Jii't^e fann man biefe beiben Vilber übereinanber unb jur 
©eefung bringen unb jöl)lt bann, mie niete ber mit freiem 2luge gefehenen 
Steine — ber £öbe ober Vreite nach — in einen nergrößert gefehenen 
gehen; biefe gaßl giebt bie Vergrößerung beS DpernglafeS. Qm 3111= 
gemeinen wirb man bei biefem Verfudje finben, baß biefelbe geringer ift, 
als man oermutbet — unb öfter auch, als ber Verfäufer angegeben hat. 

©ie Vergrößerung ift baburd) bebingt, baß mir größere Vilber auf 
unferer Peßßaut erhalten, $ierbur<h entftebt für ein optifdpnaineS ©emütl) 
bie ©äufdjung, baß baS Slngefcßaute fidh näher hefinbet. ©S ift baS fehr 
oerftänblidfj, ba unfere Sdjäßuitg ber ©röße eines DbjecteS eine burd) bie 
©rfahrung ermorbene ift; leßtere uerfagt aber beim Vlicf burdh ein Vet; 
größerungSgtaS. 

©ie ©rößemScbäßung feßt fidh jufammen auS ber ©röße beS VitbeS, 
bas [ich non bem ©egenftanbe — roie in einer pbotograpbifdjen Camera 
obscura — auf ber Peßbaut unfereS 2luqeS entroirft, unb aus ber ©nt; 
femurtg, in ber fidh leßterer momentan hefinbet. So ift eS oerftänblid), 
baß $emanb, ber fieß aus ber Gntfernung uns nähert unb beffen 9ieß; 
hautbilb bemnadh immer größer roirb, uns nidbt als eine im lebhafteren 
2ßadhStbum begriffene Perfönlidhfeit erfcheint: bie ©rfahrung bat uns eben 
gelehrt, baß baSfelbe Object, je näher es uns ift, um fo größere Veßßaut; 
bilber liefert. Veim Sehen burdh ben Dpemgucfer befontmen roir nun 
größere Peßbautbilber non entfernten perfonen; barauS fdEjtießen roir irr; 



88 Sdjmibt * Himpler in (Söttincjeit. 

t^iim(id) gemäß unterer fonftigen ©rfahrung, bafj biete Scrfonen uni näher 
fjerangerütft ftttb. 

ge nieniger gemanb mit biefett optifdjen gnftrutnenten umgebt, um 
fo gewaltiger tritt bie iEäufdjung beroor. 

®ie Dperngucfer finb bie in ein ^artbtid^eS gorrnat unb bie für bal 
Sehen mit beiben Slugen erforöerliche Serboppelung gebrauten „hottänbifdjen 
gernrohre", bie ©nbe bei XVI. gahrbunbertl non bem ^oüänber 3a<h<trial 
ganten erfunben fein fotten. ©alilei, Srofeffor bet Stathematif in ißabua, 
ber hievon hörte, conftruirte 1609 eine! in ber gornt, wie wir el jeßt 
noch befißen. 

©ein erftel gernrohr oergrößerte breimal; fpäter baute er ein 
foldhel, bal 30 mal oergrößerte, unb entbecfte bamit bie Trabanten bei 
gupiterl. ®utch Sermeibung ber chrontatifchen garbeu*2Iblenfüng mürben 
bie Sinfen bann oerbeffert. SMhrenb bie Silber, meldhe oon einfachen 
glachlinfen entworfen werben, farbige Stäuber jeigen, fann burcb eine ent« 
fpredfenbe 3 u f aminen t e fe UTt 3 ber Sötten aul oerfcfjiebenen ©lalforten 
(©romn* unb glintglal) biefer Uebelftanb gehoben werben. @3 ijt bei ber 
2lu3roal)l eine! paffenben Dpernglafe! auch hierauf ju achten. 

®al ©alilei'fdie gernrohr befteht im Srincip aul einer ©onoeplinfe, 
bie bem angefehenen Object jugewanbt ift (Dbjectio), unb einer ©oncao* 
linfe, bie bem Sluge jugefehrt ift (Dcular). Sott ber ©onocylinfe würbe 
ein umgefehrte! oerfleinertel SUb bei Dbjectel entworfen werben, gerabe 
wie el bal Dbjectio bei photograptjifchen Slpparatel tljut. ©h e jebodj bie 
fo äufammengebrodjenen, conoergirenben Strahlen fich ju biefent Silbe oer- 
einigen fönnen, fallen fte auf bie jerftreuenbe ©oncaolinfe bei Dcularl. 
®urdf) beren 3crftreuunglfraft werben fie wieber auleinanbergebrodjen unb 
jwar fo, bah fie fcheinbar aul berfelben Sichtung, in ber jte in bal Dbjectio 
eintreten. Jommen, aber oon einem näher gelegenen fünfte. ©I entfielt 
hierbuvch ein aufrechte! oergrößerte! Silb bei Dbjectel, bal wir atlbann 
fehen. ge fcbwäijet bal ©onoep. Db jectioglal jufammenbricht unb je ftärfer 
bal Dcular=©oncaoglal jerftreut, unt fo bebeutenber wirb bie Sergröfcerung; 
fie entspricht bem Serljältnih ber Srennweite bei Dbjectio! ju ber bei 
Dcularl. 

©in großer Sorjug bei ©alilei’fchen gernrohrel liegt in feiner Sicht* 
ftärfe. iDa e! feine Slenbe enthält, welche bie peripheren Strahlen aul* 
fcfjlieht, fo fallen — bei fcßtoäiheren Sergröherungen, unt bie el jt<h beim 
Dperngucfer hanbelt, — ftetl fooiel Sichtftrahlen in bal Sluge, bah fie bie 
ganje ißupiKe bei Seobadhterl aulfüllen; felbfi eine gröbere glädje, all 
bie menfchlidjc Snpifle einnimmt, würbe noch oon ihnen bebecft. 

2>iel bietet nach ber Sichtung hin einen befonberen Sortheit, bah bie 
Dperngucfer, welche eine unoeränbertiche feitliche ©iftanj ber beiben Söhre 
oon einanber haben, hoch für eine größere Seihe oon Sßerfonen paffenb jtnb, 
troßbetn bie Singen ber ©injelnen oerfchieben weit oon einanber abftehen. 



21 ugettdr 3 tlidje Betrachtungen im (Efjeater. 


89 


63 fei beifpieCroeife bei tperrn 2t. bie 6ntfentung ber SRitte bet Pupille 
beibet 2tugen ton einanber 62 mm, bei Sernt 33. nur 60 mm. stimmt 
nun 21. mit 62 mm pupittenbiftanj einen Dperngutfer tor bie 2lugen, bet, 
wie ich bei einem fogenannten SilipukDperngudfer gemeffen, 60 mm ®iftanj 
non 2RUte ju SRitte ber 7 mm im queren ©urdjmeffer großen Dcutargläfer 
jeigt, — fo fann et nicht butcb bie SJiitte feljen, fonbern blicft burdh einen 
3ßuntt, ber für iebeä 2tuge 1 mm nach au3wärt! tont 6entrum be3 
Dcular! fällt; 33. mit 60 mm pupiüenbiftans wirb hingegen grabe burdj bie 
2Ritte fehen. £at nun 2t. eine pupillenmeite ton etwa 5 mm, eine jteinlid) 
ungewöhnliche SBeite, — fo mürbe beunodj bie Pupille ganj beleuchtet 
werben, ba bie Hälfte ber Pupille (2 mm breit), meiere nach aujjen 
oon ber SRitte be! 7 mm breiten Dcular! liegt, bod) nod) ganj in ba! 
©ebiet be!felben fällt. 2Ran fleht au! biefeni 33eifpie(e abev fdEjan, baß 
unter ungünfligen Serljältniffen ber pupillenbiftanj ju bem 2lbftanbe ber 
Ocutare ein Sertuft an ßidfjteinfalt entftehen fann. ®ie! trifft natürlich 
um fo eher ju, je fteiner bie Dculare finb. 2ßenn ctma 3emanb mit 
69 mm fßupillenbiftanj — unb berartige 6ntfernungen fommen tor — obigen 
ßiliput benüfcen rooHte, fo mürbe fein Pupülem6entrum feberfeit! 4 Vs mm 
oon bem Sentrum be! Dcular! liegen. Sei ber burchfcfinittlidhen Pupillen* 
weite oon 3 mm aber liegt al!bann nur Vs mm ber 5fßu p illenbreite hinter 
bem Dcular unb erhält Sicht. 3e größer ba! Dcular ift, um fo weniger 
wirb biefer Uebelftanb hwoortreten. 63 trifft ba3 für bie gewöhnlidjen 
Dpentguefer mit etwa 20 mm Dcular*S)urdhmeffer ju. ®iefe größeren 
Dpemguder, bei benen auch ba3 Dbjectio gröjjer ift, hoben noch ben weiteren 
Porttjeil, bafj ber fRautn, ben man überfieht, mit anberen 2Borten ba8 ©e= 
fi<ht!felb, ein größerer ift. Unter ionft gleiten Serfältniffen ift festere! 
nämlich proportional ber Dbfectioöffnung. 2lber bie nieblichen SÜiput! finb 
fo überau3 bequem beim fEran!portiren unb fo leicht beim galten! 

■Roch eine anbere unliebfame SBirfung für Pupillen, beren 6entrunt 
nidfjt bem Sentrum be3 Dcular! entspricht, liegt barin, bafj bie burdh ben 
9tanb ber ©läfer fallenben «Strahlen weniger beut liehe, mehr farbige unb 
auch tühtfdhwächere Silber geben. 

©elbft eine birecte Ueberanftrengung unb Scfcibigung ber 2tugen fann 
bie 3-olge baoon fein, bafj bie ®iftanj ber Dculare oon ber ®iftanj ber 
Sttugen be3 Senufeer! in erheblicher SBeife abroeidjt. Sieht man nämtidh 
fef»r peripher burdh ba3 Dcular, fo wirfen bie in bemfelben befinblidhen 
ftarfen Soncatgläfer gleidfjjeitig wie priemen, beren breite Safis ber 
Peripherie b. h- bem 5Ranbe be3 Dcutar3 jugefehrt ift; burdfjfallenbe Sicht* 
ftrahlen werben burdh biefe prümenmirfung nach ber Peripherie hin ab; 
gelenft. 3n ffolge beffen fallen biefelbeit bei gerabe gerichteten 2lugen nicht 
auf ben ÜRittelpunft ber ©ehh«ut (gelben glecf), fonbern peripher baoon. 
Um ba8 Silb nun auf bie Stelle be3 fdjärfften Sehen! ju bringen, tnüffen 
bie 2tugen eine entfpredfjenbe corrigirenbe 2tblenfung machen. ®ie! erfrobert 



90 


Sdjmibt » Himpler in (SSttingen. 


bann eine abnorme Slnftrengnng ber ülugenmuSfeln unb fann balb ju itn- 
angcneßmen Empfinbungen, Sdjmerjen, Serfcßroomtnenfeßen, ja fogar 
©oppettfeßen ne6eneittanber liegenber 93itber Slntaß geben. 9iedjt oft ift 
bieä ber ©runb, baß bie Senußung ber Dpernguder auf bie ©auer nicht 
»ertragen wirb. Qft aber »ieffeicßt fogar ba§ eine Stoßr etroaS ßößerfteßenb 
als ba§ anbere, fobaß ein 2luge burcß bie untere Hälfte be8 DcularS blicEt, 
roäßrenb baS anbere etwa burcß bie ÜUtitte ließt, fo entfteßen übereinanber* 
tiegenbe ©oppetbilber ber aitgefeßenen Objecte: biefe laffen fidft, wenn iErte 
©iftanj einigermaßen groß ift, überhaupt nicht burcß eine corrigirenbe 
Slugenablenfung ober mit anberen Söorten burcß „Schielen" toieber ju einem 
Silbe »ereinen, roaS bei feitlicf} nebeneinanber liegenben, aßerbings mit oft 
fühlbarer 2Inftrengung, im ^ntereffe beS SinfadjfeßenS »on felbft ein* 
jutreten pflegt. 

ift baßer bei bet 2Baßl ber Dpernguder barauf ju achten, baß 
bie Dculare ber jßupitlenbiftan} beS SenußerS roenigfienS einigermaßen 
entsprechen. 

Sei größeren ©oppelfcmroßren ift eine Einrichtung getroffen, bie 
Dcularbiftanj feitlicß »erfcßieben ju fönnen; bei ben geroößnticßen Dpern* 
guciern aber fehlt fie. — 

@3 finben hcß noch anbere Ursachen, um ben ©cbraudß ber Dpernguder 
unbequem unb felbft augenfcßübtidß ju machen. So roirb ba8 Snftrument 
nicht immer ber Slugenbredjung entfprechenb eingeftellt, baS he® au£= 
eiitanbergefcßraubt. MerbingS nürb auch bei »erfdhiebenem 2lu8f<hrauben 
nod; ein fdßarfeS Seßen ju ermöglichen fein, aber bie hefte Sage ift bie, 
too bei fcßarfen Silbern baS Dcular unb Dbjecti» bie größte Entfernung 
»on einanber haben; in biefer Stellung ift baS Sluge füf feinen gempunft 
eingeftellt; bie Slccommobatiou, welche für baS SJtaßefeßen erforberlidß ift, 
rußt »oUftänbig. Schraubt man ben Dpernguder meßr ein, fo roirb eine 
läftige 9lccommobation§-2lnftrenqung nöthiq. 3e weiter baS Dbject entfernt 
ift, um fo meßr roirb ficß Dbjecti» unb Dcular jum ©eutlidjfeßen aucß für 
ben Stormalficßtigen näßent müffen. fvür einen Äurjüdjtigen ift ein naßeS 
Dbject fcßon relati» weit, beSßalb muß biefer ben Dpernguder fiets meßr 
ineinanber fcßieben. Sei ftärferer Äurjitcßtigfeit aber fann er mit bem 
geroößnlicßen DpentglaS troß ftärffter 2litnäßerung be8 DcularS unb Db* 
jectioS bocß biSroeilen nicht fcßarf feßen. ©ann muß ber ÜDtpop noch feine 
corrigirenbe SriHe auffeßen, ober ficß einen Dpernguder anfcßaffen, ber ein 
ftärfereS EoncanglaS als Dcular ßat 

Qcß feße natürlich »orauS, baß audß ber ilurjficßtige ben ©rieb ßat, 
möglichft »iel ju feßen. Sei Einjetnen feßlt berfelbe atlerbingS. ^ntereffant 
Rnb bie Senterfungen ©ufta» fyreptag-3 (Erinnerungen aus meinem Sehen. 
1887) barüber, ber fidj als Sfurjfidjtiger „oßne Sritte burcß bie SBelt fcßlug". 
„©ie Sefcßroerben," fcfjreibt er, „melden biefer 3Jlangel in größerer ©efett= 
fcßaft bereitet, fucßte ich ju überroinben unb ging arglos an 3Jtancßem »or* 



2lttgenä*3tltd}e Betrachtungen im (Theater. 9J 

über, was einen fdßärferen Veobadßter beunruhigen fonnte. ©ie greube an 
Vlüthenpradbt unb Schmucf bet Kleiber, on merfwürbigen ©eftcßtern unb 
grauenfdjönbeit, ben ftraßlenben 23licE, ben ßolben ©rufe aus bet gerne 
mußte idj oft entbehren, wäßrenb 2lnbere fidj baran freuten. 3Iber ba bie 
Seele fi<h befjenb in bie Stängel ber Sinne entrichtet, entroicfelte ficß fdßon 
früh in mir ein gutes Verftänbniß folcfjer SebenSäußerungen, bie in meine 
Sehweite famen, unb ein fcljneEeS 2lßnen »on Bietern, was mir nicht beutlicß 
nmrbe; bie geringere 3 a hi ber Ülnfcßauungen geftattet, bie empfangenen 
ruhiger unb »ielleidht inniger jn »erarbeiten. gebenfaES mar ber Verluft 
jebodh größer als ber ©eroinn. " 

gür Obermann, ber feine SKccominobationSfraft für bie Etäße nicfjt un« 
nöthig anflrengen toiü, toirb es fidh unter allen ttmftänben empfehlen, ben 
Dpemgucfer möglidhft fo weit auSeinanber zu fdhrauben, t»ie es baS beut« 
liehe Sehen beS betrachteten ©egenjtanbeS nur eben nodh erlaubt. ®aS ge- 
fdhieht aber, roie bie ©rfaßrung lehrt, burdjauS nidht immer, unb liegt 
hierin oft ber ©runb für bie häufig beflagte 2lugenanftrengung im ©ßeater. 

Seltener ift es, baß unregelmäßige Vredßung beS 2lugeS (2lftigmatiS= 
ntuS; beifpielStoeife, wenn im fenfrecfjten Vteribian beS 2tugeS bie Strahlen 
ftärfet gebrodhen werben, als im horizontalen) bie Venußung beS Dperm 
glafeS läftig madht. ^ier werben cplitibrifdhe ©läfer mit bem Dcular »er« 
bunben ober als Vrifle »orgefeßt helfen. — 

®ie ©oppekgemroßre unb mit ihnen auch bie Dpemgucfer hoben in 
neuefter 3eit unter Senußung gewiffer »on ^elmholß unb »on fßorro (1849) 
aufgefiellter fßrincipien eine anbere unb »erbefferte gorm erhalten. 

2HS fDtängel ber ©alilei’fcßen ©onfiruction muß man betrachten, baß 
baS ©eiidßtSfelb, baS man mit bem Dpemgucfer überblicft, »erhältnißmäßig 
befdfjränft ift unb befonberS bei ber Vergrößerung fidh ftorf einengt, unb 
baß weiter, wie fdßon erwähnt, bie fteEigfeit beS VilbeS nach bem Staube 
hin erheblich abnimmt. 

©aS ^elmhotß’fche fßrincip ermöglicht einen größeren 3ß»ftanb ber Db* 
jectioe »on einanber; baburdh wirb baS ©eficßtsfelb größer unb gleichseitig 
ber ©inbruef beS ©efeßenen förperlidßer; er bejeidfmete baßer fein gnftrument, 
ba eS ähnlich wie ein Stereojfop baS plaftifdhe Sehen erhöhte, als 
„©eleftereoffop". @S befteßt aus jroei horizontal mit ben Dcular=Deffnuugen 
neben einanber gelegten terreftrifdßen gernröhren, ©iefe hoben befanntlicß 
als Dbjecti» — ebenfo wie baS ©alitei’fdhe gemroßr — ©onueplinfen, als 
Dculare aber — im ©egenfaß zum ©alilei’fößen — eine 2lrt -Dtifroffop, 
baS Reifet, ein Stiftern »on ©onoeplinfen, woburdß baS »om Dbjecti» ent 
worfene umgefehrte 23ilb wieberaufgerießtet wirb. 2ln baS Dbjecti» beiber 
gerarößre — baS eine liegt rechts, baS anbere linfs — ift ein fdßräg nadß 
»om gerichteter, ebner (planer)Spiegel unter einem SBinfet »on 45° angebracht; 
bie »on bem beobachteten ©egenftanbe fommenben Straßlen faEen auf ben 
Spiegel unb werben »on biefern, in horizontale Eticßtung gebracht, in bie 



92 


SdjmtM * Himplcr tn (Söttiugen. 


Dbjectioe ber yevnrolite geworfen. ben Dcular-Deffnungen befinbet 
lief) wieber je ein fc^väot gefteHter Spiegel, roelcfjet* bie in horizontaler 
Pichtung anf iljn fallenben Strahlen nach hinten reflectirt, wo ft<h bie 
Dculargläfcr unb bie Gingen beS SeobacbterS beftnben. 

PorroS Grfinbunq behebt iid> barauf, bng burch wieberbolte Spiegelung, 
bie in bent Fnftrumente felbft angebracht ift, baS oon bem Dbjectio entworfene 
umgelelirte Silb wieber in ein anfredjteS oerwanbelt werben !ann. 

galten wir beifpietSweife bie linle £>anb {entrecht — bie ^anbfläcf'e 
unä jugewanbt, ben ©aurnen nach oben, — ror uns unb betrauten ifre 
Silb in einem wagerecf)t barunter befinblidjen Spiegel, fo ifl oben unb 
unten umgewcchfelt: ber ©aumen liegt unten, ber Heine Ringer oben; aber 
rechts unb lints finb gleichgerichtet. Stellen wir jefct ben Spiegel {entrecht 
hinter bie £>anb, fo bleibt oben unb unten in bem Spiegelbilb gleich, aber 
bie gingerfpiben ftef;en in bemfelben linls, bie .^anbrnurjel rechts. „Rechter 
&anb, linier ^»anb — 3l(IeS oertaufd)t!" 

©ur<b bie Vorlegung zweier folcber Spiegel läfjt fidj alfo eine »öHige 
Umfebrung für oben unb unten, fowie für rechts unb UnfS erreichen. 2ln 
Stelle ber einfachen Spiegel fann man beqnemer totatbredbenbe ©laS=priSmen 
benufeen, bie man bann gleichseitig mit ben jur Sergröberung erforderlichen 
Gonoeplinfen combinirt. ©ie bur<b bie erwähnte Spiegelung erreichte 
2Bieberaufri<btung beS oorn Dbjectio entworfenen umgetehrten SilbeS ge* 
ftattet es, an Stelle beS eben erwähnten terreitrifchen Fernrohres baS 
aftronomifche (.iteplcr’fbe) ju oerwenben. Sei letzterem werben bie oom 
Dbjectio (GonoepglaS) entworfenen umgelehrten Silber als folcbe burch bäS 
Dcutar (ebenfalls ein GonoepglaS) gleicbfam wie mit einer Supe betrachtet. 
Plan hat hierbei ben Sortheil, bah ohne eine fo grobe Sänge beS Qn* 
ftrumenteS, wie fie bei bem terreftrifdjen F«™rol)t erforberlich war, bo<h 
bie Sorjüge biefer ©täfer gegenüber bem ©alilei’f^en, gröberes ©efichtsfelb 
unb beffere Seleudjtung ber Peripherie ber Silber, ju ©age treten. 

©urch befonbere Gonftruction ber fpiegelnben unb btechenben ©las* 
Prismen ift es ben Finnen Gavl $eib in Fena unb ber optifdjen Pnftalt 
oon G. p. ©oerj in SerlimSchöneberg gelungen, nach biefem Princip 
©oppel=Fetnrof)re in fehr hanblicher Fotnt, oon nur geringer Sänge unb ben 
üblichen Dperngucfern ähnlich, herjuftellen. ©oerj benennt fie ©rieber*SinocleS. 
©ie 3eib’f<be Fabril hat bei ihren Fnftrumenten (Felbftecher) noch befonbereS 
©ewicht barauf gelegt, bie ©ifianz ber Dbjectioe oon einanber möglichft ju 
oergröbetn. Sieben ber Sergröberung beS ©eficbtsfelbes wirb hierburch auch 
ber Ginbrucl beS körperlichen, bie piafticität erheblich oermehrt. 

2Us ©heaterglaS empfiehlt 3eib (Profpect 1898) einen oierfach oer* 
gröbemben Felbftecher (Preis 180 Plart, ©ewicht 350 ©ramm): bei biefem 
ift burch ein 2luSeinanberrüden ber Dbjectioe eine gröbere piafticität er* 
reicht, währenb baS eigentliche £elmbotb’f<h e princip in ben „9ielief=Fernrohren" 
oertreten ift, bie mit 8 fachet Sergröberung beginnen, aber fowof)t wegen biefer 



Zlugenä^tlicije Betrachtungen im £ßeater. 9^ 

ftarfen Vergrößerung, bic ein Heines ©efißtlfelb jur golge ßat, all auß ißrer 
ffonn wegen für bal fEßeater nißt braußbar ftnb. 

©oerj erflärt fein i£rieber*Vinode 9it. 10 mit 3faßer Vergrößerung 
(125 ÜJtoxf) all befonberl für bal STCjeater geeignet. Sie gleißjeitig über* 
blidbare gläße (bal ©efißtlfelb) ift ßier 7 mal (linear 2,2 etroa) fo groß, 
als bei einem geroößnlißen Dpernguder berfelben Vergrößerung. Vei 
leßterem beträgt bal fßeinbare ©efißtlfelb bei 3faßer Vergrößerung 
ca. 18° (alfo bal wirfliße " = 6 °); bei bem £rieber*Vinocle 40°. ®ie 
Erweiterung bei ©efißtlfelbel ift bemnaß bei ben neu*conftruirten ©täfern 
eine red^t merftiße. 

2ßenn man ftß jebod) einmal ben Einfluß nergegemoärtigt, ben bie 
Entfernung unferel ^Slaßeä non bet Vüßne aulübt auf bie ©röße ber 
9 JeßßautbÜber, bie mir t>on ben Dbjectcn ber ©eene erbalten, unb auf bal 
©efißtlfelb, fo erfemten mir leidet, baß eine gute Vfaßroaßt ben Dpertt* 
guder für benjenigen burßaul entbeßrliß machen fann, ber nidjt gerabe 511 
befonberl eingeßenben ®etailftubien neigt. 

Vei boppelter Entfernung non einem ©egenftanb finb nätnlidj 
bie Uießßautbilber, linear gemeffen, ßalb fo groß, ©iße iß alfo beifpietl* 
weife etwa in ber VUtte bei ißarquetl, fo roirb bei einem großen ÜEßeater 
berjenige 3 u fßauer, ber auf ber erften Vanf fißt, bie nor ben Sampen 
fteßenben ©ßaufpieler faß boppdt fo groß feßen, all icß. ®amit iß fie 
äßntiß feßarf, wie er, erfenne, muß icß fßon einen Dpernguder mit 
2 faßer Vergrößerung gebraußen, unb ein im erften ober jweiten Vang 
©ißenber bebarf etroa einer 3* ober 4 faßen Vergrößerung. 

®abei ßat ber mit unberoaffneteni 2 luge ©eßenbe bann immer nod) 
ben Vortßeil bei erßebliß größeren ©efißtlfelbel. ©alfelbe beträgt bei* 
fpiellroeife in ßorijontaler Vißtnng ca. 140°. SDetße Einfßränfung leßterel 
beim ©ebrauß ber übltßen Dpernguder erfährt, ßaben roir eben mitgetßeilt: 
bei 3faßer Vergrößerung beträgt el nur noß 6 °. 

®ie neuen Qnftrumente mit roeiterem ©efißtlfelb ßaben aber gegen* 
über unferen alten Dperngudern einen erßebtißen Vaßtßeil, ber auß im 
fCßeater ßeroortritt: fie nerfßluden meßr Sißt. ©elbft bei gut beleußteter 
Scene fann man biel beobaßten, meßr noß im ßalbbunfel. VieHeißt er* 
fßeint biel Vtanßem bei ben non uni angefeinbeten ©unfelfcenen all ein 
Vortßeil, ba unter Umjlänben mit ißnen überhaupt gar nißtl meßr er* 
tannt werben fann unb fomit att’ bie läfiigen unb aufregenben ©ebner* 
fuße bei „3ufßauerl", ber ßier feinen Vamen nur roie lucus a non 
lucendo ßat, enbgiltig aufßören. 

®er große Vorjug hingegen, ber befonberl ben geiß’fßen ^nftrumenten, 
fpeciett ben Velief=gernroßren jufommt, bie Erßößung bei plaftifßen ©eßenl, 
roelße für weite Entfernungen unb im freien non außerorbentlißem 
Vußen ift, — ßat bejügtiß ber Vorgänge auf ber Vüßne nur wenig Ve* 
beutung, fönnte fogar bie ^Hufion etwal ftören, wenn baburß §u genau 



£}. Sdjmibt * Himpler in (ßötttngcn. 


9^ 

bic gemalte ßouliffentanbjcE)aft »on ben »orftebenben Objecten abgegrenjt 
mürbe. 34 finbe aHerbingS rtid^t, bafj fi<b b^ r baä 3eifi’fdie lEbeaterglaS 
mejentlicfi »om geroöbnlidjett Dpernguder beim ©ebrau<b im Sweater untere 
fdjeibet: bei beibeit bebalten gefdjidt auägefübrte @ouliffen=2ftalereienbie erftrebte 
Äörperlidifeit. @3 ift faft jo, als ob unfere SP^antajie abfidjtlid) b^ r bie 
SCäufdiung unterftüfse in bem bunflen ©mpfinben, bafj fte überbauet bei 
Mem, roa3 in baS ©ebiet bet ftunft fällt, eine Hauptrolle ju fpielen habe, 
roäbrenb in ber trodenen SBiffenfdjaft bie rceniger luftige 23erftanb$tbätigfeit 
allein ^errfd^t. SBicHetd^t ift tefetcre fdjon in unferen augenärjtlidjen Se= 
traditungen, bie im S:^eater, ber Eje^rcrt Stätte bet Äunfl, (td) unä auf- 
brängten, für SJtandjen, ber audj im Sefen nur frob genießen mill, in ab* 
fcbrecfenber gönn beroorgetreten. SSieHeicbt mürbe ®iberot no<b einmal 
auSrufen: 

On disserte, on anime, on sent peu, on raisonne beaucoup, 
on mesure tout au niveau scrupuleux de la logique, de la mbthode 
et meme de la veritö: et que voulez-vous que des arts qui ont 
tous pour base l’exagöration et le mensonge deviennent parmi des 
hommes saus cesse occupös de rbalitös et ennemis par 6 tat des 
fantömes de rimaginatiou, que leur souffle fait disparaitre? 





^ecfjtseinfjeit. 

Ton 

ICubtnfg jfulb. 

— ITtatnj. — 

|o märe benn enblidj ber 5£ag gefommen, an mefdbem beS neuen 
dieübeS felbft gegebenes dfedjt für bie ©efammtheit ber beutföen 
©tämme in Kraft tritt, fo fiat benn enblidj bie ©tunbe ge* 
fdjlagen, non ber an bie SRedjtSserfpIitterunq unb SHedbtSnerfdiiebenbeit in 
©eutfdfjlanb ber ,§auptfa<be nadj ber föergangen^eit angebört, roafirlid^ ein 
grofcer Moment in ber ©efdjnhte beS beutftfen SSoIfeS, ein SJtoment, ben 
ju ben tniditigften ber potitifdjen unb geiftigen ©ntroicfelung ber ©eutfdjen 
ju regnen, ber ^iftorifer feinen 2 tnfianb nehmen tnirb. ©rei ^lafirjebnte 
finb nerftridben, feitbem unter bem ©onner ber Kanonen non ©ranelotte 
unb ©eban bie 3 roietradjt unb ber £>afj ber beutfcfjen ©tämme unter unb 
gegeneinanber auf ben ©efilben SothringenS unb ber Champagne für immer 
begraben mürbe, brei 3 af)rjefjnte ernftefter, angefirengtefier airbeit mufjte 
baS neue Sfieicf» feinem inneren SluSbau roibmen, ju meinem neben ber 
Sicherung feiner SBefjrfjaftigfeit bie ©Raffung eines gemeinfamen SRedfjteS 
cor adern gehörte. 3 fefct, mo mir ben ©ag erlebt haben, ber bie SPeft* 
tnarf unter baS gleiche 5Re<f)t ftedt, mie bie Dftmarf, heute, roo eine neue 
3tera in ber nielhunbertjährigen ©ntroicfelung ber beutfdften ©tämme be* 
ginnt, heute barf es jugeftanben merben, bah ber £inbernijfe, roelche bem 
3ujtanbefommen ber 9?ed(jtSeinheit entgegenftanben, fo niete maren, bah 
banger 3weifel oft genug fidb gleich einem beängftigenben Slip auch auf bie 
SBruft beSjenigen herabfenfte, melier bie unerfd&ütterlidbe Ueberjeugung befifct, 
bafe bas beutfdbe 33of{ noch roeit banon entfernt ift, 3 U ben altemben 



96 


£nbu?tg fulb in OTatti3. 


Söffern gerechnet werben ju bürfen, bie jid> bamit begnügen »cm ber &öf)c 
ihrer (Erfolge ^erab auf bie Vergangenheit rüdwärtg ju bliden, non bet 
gufunft aber wenig oberStiditg mehr ju erwarten haben. $n ungleich höherem 
ÜBtahe wie in granfteidi, muhte in ©eutfdilanb bie einheitliche (Eobification 
auf &inberniffe ftohen, einmal mit Slfidfidjt auf bie faunt ju überfehenbe 
9 te<bt 3 üerfd)iebenbeit unb 5 R ed^t 83er f p ti tterunci unb fobann im ßinblid barauf, 
bah nicht wie in fyranfreidj bie (Einführung eineg Stedjtg im ©efolge einer 
Slenolution erfolgte, bei welcher ber alte Staat unb bie alte ©efeflfdjaft 
mit elementarer ©ernalt jertrümmert würben, fonbem im Verlaufe ber un= 
gehörten (Entwirfelung beg beutfdhen ©taateg, wobei nicht nur ber 
gefd>id)tlidien Ueberlieferung, fonbem auch ben (Eigenthümlichfeiten beutfdjen 
©tammeglebeng SJedjnuttg ju tragen war. ^ierju !am nod), bah wir ung 
gerabe in ben fahren, welche bem neuen Siecht gewibmet waren, in einer 
Ueberganggperiobe befanben unb jwar in einer fo bebeutunggooHen lieber: 
ganggperiobe, wie he melleidfjt higher noch nidjt ju nerjei^nen war. ©er 
Uebergang ©eutfdjlanbg aug einem Slgriculturftaat 311 bem 3weitgröhten 
^nbuftrieftaat, bejfen SBettbewerb auf allen -Dleeren unb in allen Sänbern 
beg (ErbbaUg ben erhaunten Völfem jeigt, weffen bie feit ^ahrhunberten 
angefammelte unb aufgefpeidherte Slrbeitgfraft unb 3tntettigenj fähig ift, 
muhte mit Slothwenbigfeit wirthfehaftliche ©egenfäfce wachrufen, beren 33 e= 
einfluffung bie ©efefegebung big 3U einem gewiffen ©rabe unterlag, ja 
unterliegen muhte, weil bie ©räger biefer ©egenfäfce bie ftärfften politifchen 
Parteien bilben, ohne beren SPiitwirfung etnheitlicheg Siecht nicht ju 
©tanbe fontmen fonnte. Volitifdie, confeffioneHe unb fociale 3 Jleinungg= 
nerfdhiebenheiten, bie (Ergebniffe nerfdjiebener Sßeltanfdjauungen nerfd)ärften 
bie Sage. 2 llg ber grohe König unb Slapoteon I. ben oon ihnen ht-- 
herrfchten Staaten einheitliche ©efehbüdjet gaben, hatten fie eg unnergleidj* 
lieh leidster alg ber ©efehgeber beg neuen Sleidjeg; bie einfacheren 93 er» 
fjältnijfe ber bamaligen 3eit erforberten nicht bag Semühen beg ©efefcgeberg, 
bie nerfchiebenm, einaitber fcharf gegenüberftehenben, wirthfdjaftlichen unb 
fonftigen Qntereffengegenfäbe nach SJlöglidjfeit gleichmähig 3U berfidjidjtigen; 
auherbem brauste im .Spalter beg Sübfolutigmug ber SJlonard) nur 3U 
becretiren, bie Verathung eineg ©efehbudjeg burdi eine nielhunbertföpftge 
Verfammiung non Volfgnertretem mit ihren unnermeibtidjen ©efährbungen 
ber einheitlichen ©tjftematif unb beg einheitlichen Vaueg fam nicht in 
3 ?rage. 2 Benn trofe biefer ©chwierigfeiten innerhalb eineg Vierteljahrhunbertg 
bie Stedbtgeinheit 3U ©tanbe fam, fo ift bieg nicht nur ein SBeweig bafür, 
bah biefetbe unbebingt nothwenbig war, fonbem auch ein Veweig ber 
gerabeju erftaunlichen $ähigfeit unb SEBiUengfraft, welche bag beutfdje Voll 
bei ber Vehanblung biefer grage an ben ©ag gelegt hat. 211g bag ©efehbud) 
mit überwältigenber 2Dtehrheit non bem Sleid)gtage angenommen würbe, 
hegte man allenthalben bie (Erwartung, bah bag neue Siecht bie Sledjtg* 
wiffenfdjaft 31t einer reichen ^fjätigfeit anfpomen unb anregen werbe; 



Hedjtsetntjeit. 


9- 


unb biefe Grroartung ift nicht nur nicht getäufht, fonbern fie ift fogar 
noh in etheblichflem SDtaße übertroffen worben. Gin wahrer Feuereifer 
bat fi<h ber beutfdien Furiften bemächtigt, um bie Borfhriften be§ neuen 
©efefees roiffenfdjafttidj bi« ju ben lebten Gonfequenjen ju nerfolgen, ben 
Fbeen beS ©efefcgeberS geregt ju roerben unb bie Sörürfe sroifhen 2ßiffen= 
fdjaft unb fßrajiS ju fcbiagen, oljne roeidje bie fpraris jur hanbroerfg= 
mäßigen Routine ober junt öbeften, geiftiofen Siahihwägen non Bor= 
entfdjeümngen, bie SBiffenfc^aft aber ju einer bent Seben fremben, auf 
hoben ©teljen in ber BegriffSroelt einherftoljirenben Xoctrin mürbe, bie mit 
ber üßett ber 2Birfiid)feit feine Berbinbung mehr bat unb beähulb auch 
mit Steht non ihr noDftänbig unbeachtet gelaffen roirb. SBiffenfhaft unb 
fßrayis miiffen fi<h gegenfeitig befragten, roenn Seibe auf ber $öhe ihrer 
Aufgaben fteben wollen, bie $rayis muß roiffenfhaftlih unb bie SBiffem 
f<baft praftifh fein. SaS Bürgerliche ©efefcbucb roirb ben innigften Gontact 
jroifhen SBiffenfhaft unb $rapiS berftellen, benn un&efhabet feines praftU 
fcben GbarafterS ift eS ein roiffenfhaftlidjeS SBerf Ijödbi'ter Sebeutung unb 
roirb baber aud) bentjenigen ein Sud) mit fiebert Siegeln bleiben, welcher 
ber äßiffenfcbaft ohne Berflänbniß gegenüberftel;t. Sie juriftifhe Sitteratur 
bat bereits unter bem Ginfluß beS GrlaffeS beS Sürgerlidjen ©efefcbucheS 
einen neuen ungeahnten Sluffhnmng genommen, unb begrünbete Hoffnung 
beftebt, baß fie eine Slüthejeif im Saufe beS nähften SJtenfhenatterS er* 
leben roirb, welche an bie Sage ber flaffifdjen Furiften StomS erinnern 
roirb, an bie SBirffamfeit SapinianS unb UlpianS. 

Slber nicht nur bie $uriften haben ben größten Gifer entfaltet, um 
ben Slnfprüchen ju genügen, welche bas neue Steht an fie ftellt, auch bie 
3ti<htiuriften haben es nicht an Bemühungen fehlen taffen, fich mit bem 
Inhalte ber neuen ©afcungen nertrant ju mähen. F n Stoßen, mittleren 
unb fleinen ©täbten finb Borträge unb Borlefungen für bie Angehörigen 
ber nerfhiebenen Berufe »eranftaltet roorben, um fie mit benjenigen Be* 
ftintmungen befannt ju mähen, welche für ihre F«tereffen am roihtigften 
finb. Gin intereffanteS, auch für ben Bölferpfphotogen intereffantes 
Shaufpiel roar in biefer föinficht in ben lebten Fahren ju beobadjten; 
bie roeiteften Greife beS BolfeS »erabfäumten feine Gelegenheit, fih über 
baS neue Sieht ju unterrichten, ber in unferen Sagen fo ftarf entroidelte 
BilbungStrieb, ber nicht am roenigften bie mit Stückgütern niht gefegneten 
Schichten ber Benölferung beherrfht, äußerte fih beut neuen ©efefcbuh 
gegenüber in feiner ganjen, Bielen leiber immer noh uerborgenen Fülle unb 
ftrafte bie falfhen Propheten Siegen, bie in ihrer unbelehrbaren ©elbftgefäßig= 
feit niht mübe würben, roieber unb roieber ju nerfihern, baß bie SNehrheit 
beS BotfeS mit ©leihgiltigfeit bem Fnfrafttreten beS ©efeßbuheS entgegen^ 
fehe. Seutfhlanb ift niht mehr ba§ Sanb ber Sichter, wohl aber noh 
bas Sanb ber Senfer — ©ott fei Sauf, baß bem noh fo ift, — unb 
bafür hat bie Borbereitung ber Ginbürgerung bei Sürgertihen ©efehbudjeS 



98 


Snbmtg Julfc in Ulatn^. 


nicht ben ffhwäcbßen Beweis erbrod^t. Dfme jebe Uebertreibung barf 
beSßalb auch bic Behauptung aufgeftellt werben, baß weber bei bem S" s 
frafttreten beS ißreußifchen Sanbredjts, riodE) bei ber ©infüßrung beS Code 
civil Saitb unb Bolf hierfür fo gut oorbereitet waren, wie bieS gegen* 
über bem 3infrafttreten beS Bürgerlidjen ©efeßbucßeS S)eutf<hlanbS ber 
Statt iß. 

SWed^täein^eitl &at uns baS Bürgerliche ©efeßbucß mit feinen @r* 
gänjungSgefeßen in SBirflidjfeit bie tttechtSeinßeit gebraut, für bie ®eutf<h* 
lanbS befte ttttänner ißr ganjeS Rennen unb Rönnen einfeßten? ©ilt 
wirflidj im XX. Säculum gleiches Stecht non ben rebenbepßanjten bügeln 
ber ttRofelufer bis ju ben wogenben ©etreibefeibem beS mit Sötut ge* 
bünften SanbeS ber Stitter nom ©eutfdien Drben ? Unb roenn im SHtmarfen* 
tanbe ber fturm* unb wetterfefte £üter ber Storbmarf ben Schuß beS 
StidßerS anruft, unterließt er ba gleichem Stecht wie ber Bajunare im alten 
©ßiemgau? Seiber fann biefe Stage nur mit Borbeßalt befaßt werben; 
atterbingS ift bie StedjtSeinßeit nicht fo auSgebeßnt mie in S^ufr^ unb 
anberen Sänbertt ftrafffter Gentralifation; nicht unerheblich ift baS ©ebiet, 
auf weitem bie SanbeSgefeßgebung nach wie nor noch juftänbig ift, unb bie 
im Saufe ber beiben faßten Sabre in ben einjelnen BunbeSftaaten ertaffenen 
SluSfübrungSgefeße bemeifen jur ©enüge, baß auf wichtigen ©ebieten beS 
BctfeßrS* unb äBirtßfcbaftSfabenS in Preußen audß femerbin noch ein 
anbereS Stecht gilt, bernt in Sadjfen, Baijern unb Sßürttemberg. 2>ic 
StechtSeinßeit ift fornit noch feineSwegS eine allen Slnforbcrmtgen genügenbe, 
unb eine SBeiterentwicflung beS SuftanbeS, ben wir jeßt erreicht hüben, 
barf baßer nicht außer SUdßt gelaffen werben. SBoßl bürfen wir uns beffen 
freuen, was wir haben, aber unbefcßabet biefer Stoube müffen wir an 
bem Ausbau ber StechtSeinßeit auf ben ©ebieten arbeiten, auf welchen bie 
einheitliche Drbnung ber StehtSoerßciltniffe oßne ©cßäbigung ber betreffenben 
Berßättniffe möglich ift; benn nicht jebeS ©ebiet .wirthfdßaftlicßer Berßält* 
niffe eignet ließ in einem Sanbe wie ©eutfcßtanb für bie einheitliche 
Drbnung; eine fdjablonenßafte Regelung oßne Stüdßdjt auf wirtßfchaftlicße 
Berfcßiebenbeiten iß ftets non nachtßeiligen Solgen begleitet gewefen, unb 
bie gfrage iß ßeute nod» eine offene, ob bie franjofifcße ©efeßgebung nicht 
beffer getßan hätte, hier unb bort für bie oerfcßiebenen Steile SranfreidßS 
aud) ein nerfcßiebeneS Stecht fortbefteßen ju laffen! Sit Sranfreicß giebt es 
auSgejeicfmete SJtänner, Suriften unb BolfSwirtße, welche weit baoon ent* 
fernt ßnb, in ben Berbacßt ju geratßen, ßcß romantifdjen Schrullen ßin* 
äugeben, unb bocß feine Bebenfen tragen, biefe Stage jum Sßeil ju 
befaßen, unb bie hierin enthaltene Sehre fottte non benjenigen beachtet 
werben, welche mit einer gemiffen ©eringfchäßung oon ber burcß baS 
Bürgerliche ©efeßbucß »erwirflichten StecßtSeinbeit fpredien, weil biefelbe nicht 
attentßalben fo weit geßt, wie es woßl möglich unb auch wünfcßenSmertb 
gewefen wäre. 



Kedjtseinlieit. 


99 


SaS ©ärgerliche ©efehbudj bringt uns aber nicht nur ein roeitereS, bie 
beutfdjen Stämme umfdjlingenbeS unb einigenbeS ©anb, fonbem aud» ein 
nationales unb moberneS 9 ted)t; nad) langen, langen Kämpfen, nach enb- 
lofen SJtühen unb Arbeiten buben mit es fd^liefelicf) erreicht, baß in beutfdfien 
Sanben roeber baS Stecht StomS noch baS Sted)t beS frangöufdjen Imperators 
gilt, mit beffen fortbauember ©eltung ftets bie Erinnerung an bie 
KbmadjooHe Sluftöfung beS alten SteidjS unb bie girembberrfchaft in Seutfch* 
lanb oetbunben mar. SaS neue Steid) lebt im neuen ^ahrhunbert unter 
feinem eigenen Stecht, unter betn Stationalgefefc, bie gorberung, roelcbe oor 
trielen ^abrifwnberten oon ben unter bem Seiten beS ©unbfdjuh gegen 
feubale ttebermacht um ein beffereS 800S fämpfenben Säuern erhoben 
mürbe, bie gorberuttg ber ©efeitigung beS fremben Stechts, fie ift nunmehr 
ooll unb gang erfüllt Ein fetbftberoufjteS, feine phpfifdje unb intettectueHe 
©tärfe fennenbeS Soll wirb jxd) niemals auf bie Sauer barnit gufrieben 
geben, bafi ein ihm gegen feinen Sßillen in Seilen politischer @<hroäd)e 
aufgegroungeneS Stecht bei ihm in ©eltung fteht. SJtit bem Elugenblid, in 
welkem in ber Spiegelgalerie beS roi soleil baS neue SteidjSgebäube er- 
richtet mürbe, mar baS Sdjidfal beS fremben Stechts baher auch beitegelt 
nnb es (onnte ftch nur nodi barum hanbeln bie fjrift gu beftimmen, 
roährenb welcher baSfelbe nodh gebulbet mürbe. Ser Erwartung unfereS 
StationaliiätSberouhtfeinS ift es nicht in tefcter Sinie gu bauten, roenn biefe 
grift eine türgere mar, als uielfach geglaubt mürbe. Es muff nicht nur in 
nationakpolitifdjer, fonbent auch in ethifcher &inftd)t als ein grober ©eroinn 
begeidhnet merben, bah mit ber ©efeitigung ber fremben Siechte ber fo oft 
wahrnehmbare SBiberfprudi oerfdjroinbet, ber groifchen ben fittlidhen 2ln- 
fchauungen unfereS ©olfes unb gahlreichen ©eftimmungen jener ©efefee be= 
ftanb. ©Jie oft hat ber plutofratifdje Sharafter beS römifchen Stechts, baS 
für bie fociale Elufgabe beS Staates nidht baS geringfte ©erfiänbnib geigt, 
fonbern lebiglich ben 3sitereffen ber beati possidentes gugefchnitten ift, 
bas fittliche Empfinben in Seutfdhlanb r erlebt? Unb roie häufig ift bei 
ber Elnroenbung beS code civil bie Kluft in ihrer gangen ©röfje gu 
Sage getreten, burd) roelche bie Slnfdjauungen beS fchlachtengeroaltigen 
SittatorS in michtigen fragen oon ben Slnficbten beS beutfehen ©otfs ge= 
trennt merben, bie feiner Stedjtsübergeugung, bie feinem fittlidjen Empfinben 
entfprechen? Es bebarf nicht ber Einführung gahtreicher ©eifpiele, um 
biefen Unterfchieb beutUch Ijcroorju^eben,, erinnern mir uns nur baran, 
baß baS römifdje Stecht fnh nicht freute, ben Sah aufguftetten, eS fei er= 
laubt, einanber beim Kaufe unb Verläufe gu überoortheilen, roährenb baS 
©ärgerliche ©efe^buch eS unterlagt, non einem Stecht lebiglich gum Staben 
eines Slnberen ©ebraudj gu machen. 3 TOß i 2Beltanf<hauungen, bie burdj feine 
©rüde nerbunbett finb, flehen ftch h^r entgegen, bort bie antife auf ber 
fhroffften unb rüdftchtslofeften SluSbilbung beS ^nbioibuatiSmuS beruhenbe, 
hier bie mobeme, baS gefellfdjafttidie SNotnent beS StechtS betonenbe, bort 



100 


Subroig (fulb in XTta i n 3. 


bie fdjarfe ©rennung beS BechtS uon ber Btoral, f|ier bie ©ur<h» 
bringung beS Bedits mit ben unbestrittenen f^orberungen ber gefeit 
fdjaftlichen Gtßif, welche es für absolut unjuläfftg erffären, uon 
ben unter Staatlichem Schuß fießenben Siebten einen ©ebraudj ju 
machen, ber nadj ber heutigen 9luffaffung ein unftttlidjer ijt. ©er 
Sittliche nnb culturelic ftortfdjvitt, ber hierin enthalten ift, ergiebt ftd) 
non fetbft. 

ißeffimiftifdje ©iftorifer haben roieberßolt fd^on bie Behauptung auf» 
gefteEt, baß baS neue Sahrßunbert, roie überhaupt bie 3 u &roft bem 
©lauentßum gehöre; bie romanischen Böller forooßl roie bie germanifdten 
hätten ihren ßöhepunft längft überschritten, roährenb bie ©tauen noch uofl» 
foinnten jugenbfrifdj feien uitb baher in fitrjer 3eit jene abtöfen roürben. 
Ohne auf biefe gefdnchtSphilofophifdic Betrachtung näher eingehen jn wollen, 
bürfen roir root)t bewerten, baß bei einem Botte, baS folche Seiftungen aufs 
juroeifen hat wie baS beutfche in biefen lebten 3ahr jeßnten , auch baS 
fdjärffte Stuge feine Beiden feftjuftellen uermag, welche für baS lieber: 
f<ßreiten ber GntroidtungShöhe angeführt werben tonnten. Stur empor* 
ftrebenbe Stationen finb berfetben fähig, nur fraftftroßenben Bötfern ift es 
möglidj, baS ganje BedjtS» unb B'irtßfcßaftSteben auf neue rechtliche ©runb« 
lagen $u ftetlen; ob anbere Bötfer ber germanischen Bace bereits in bie 
ißeriobe beS ©reifenalterS eingetreten finb, bleibe babingefteilt, baS ge» 
einte beutfche Bott hat baS ©urcßfcßnittSalter beS BötferlebenS nod) nicht 
erreicht, es beroegt üch noch mit jielberoußter ©ntfchloffenßeit nach ber ©pifee 
bes Bergs, unb bie -Bett barf noch Seiftungen auf ben uerfcßiebenften ©e* 
bieten beS cultureEen SebenS uon ihm erwarten, welche ßinter ben bis» 
herigen nicht jurüdbleiben. 

GS ift eine ber inhattreichften GntroidlungSperioben ber Btenfä)» 
heit, ber wir mit ber BtitternachtSftunbe beS lebten ©agS beS 3ah re S 
1899 Sebewoht gefagt haben; ntädjtige Beicße finb im Saufe beSfetben 
entftanben unb untergegangen, baS BationalitätSprincip hat fi<h 9lner» 
fennung uerfdiafft, unb ft arte, lebensfähige unb lebenSfräftige ©taaten 
finb unter feinem Ginfluß begrünbet worben, bie ftch auf bie ©efdntfe 
ber Belt einen entfcßeibenbeu Ginflnß jn uerfcßaffen wußten, ©er 
Beginn biefes 3 a h r hunbert3 bot bem beutfchen Bolle bie trübften 9lus» 
ficht en; unfähig, auch nur feine ©renjen ju Schüßen unb frembe Gin» unb 
Uebergriffe mit geroaffneter .ftattb abjuroeßren, war baS alte Beich baßin ge» 
fotnmen, uon ben anberen ©taaten als gute Beute betradjtet ju werben. Bie 
anbers tritt baS beutfche Bolf in baS jwanjigfte Qaßrßunbert ein? ißotitifcb 
geeinigt, ju Sanb unb ju Baffer wehrfähig, in aEen Sänbem geachtet unb 
gefürchtet, in ungeahntem mirthfdmftlichen 3luffd)wung begriffen, unabläfng 
bemüht, feine Kräfte $u entwicfeln unb an bem gortfdjritt ber Btenfdiheit 
nütjuaröeiten, begrüßt es baS neue Qahrßunbert unter bem 3 e i<h en ber 
BecßtSeinßeit, uofl beS fidieren ©taubeuS, baß ißm biefeS Schwer errungene 



Hedjtseintieit. 


10 1 

@ut ni<fit wieber geraubt werben fantt. 9Jtöge auf ber ©runbtage be§ 
neuen unb jeitgemäjjen 3tecf)t3 eine neue 2tera wirtbfd&aftlid&er unb geiftiger 
Stütze beginnen, bas 9?ecf>t8gefüt)t immer mef)t erftarfen, bie SRed&tS* 
ii<£)ert(eit ficf) immer weiter auSbefjnen unb befeftigen, möge ber beutfdfje 
Staat unter ber &errfcfiaft be3 SBürgertidjen ©efefebudjs t>ofI unb ganj 
werben, waä er in mand&en «fünften noch nid^t ift, ein9tedjt3ftaat; bem 
beutfd&en SJolfe möge aber fein gütiger ©eniuä geftatten, unter bem neuen 
Siedet bie uerbeifeungöuolle @ntwicf(ung ber lebten Sabrjefinte ungeftört 
fortjnfelen. 


In Aeternum! 




Der fategortfcfye 3mperatto. 

tTooelle 


pon 



3uliu£ d^efellgofen. 

— Breslau. *— 

|ic Unterhaltung mar fdion feit einer ©tunbe eine oiel ernftere 
unb tiefere gemefen, als fic fonft non fröhlichen ßneipgenoffen 
heim Stbenbtrunf gepflogen wirb. 3)lan mar einmal oon ber 
Sehanblung ber DageSneuigf eiten, oom leisten Politiken Disput abgefommen 
unb unoerfehenS auf baS ©ebiet ber Sftotalpbilofophie gelangt, unb ba 
f (hieben fi<b halb jwei fjauptparteien non einanber: bie alten, welche bie 
Sßelt in ben hergebrachten ßeilSfäfcen erhalten unb auf ben bewährten ©e* 
teifen weiter rollen laffen wollten, unb bie jungen, metd&e als fecle ©türmet 
unb Steuerer bisher unbefannten ©efidjtSpunften unb neuen SOtapimen 33e= 
achtung unb ©eltung ju oerfdhaffen beftrebt waren. 

es warb herüber unb hinüber geftritten, bie DiScuffton würbe immer 
hifciger, unb oon SiühtS war natürlich weniger bie Siebe, als oon einer 
©inigung. 

91(8 jefjt eine furje ißaufe eintrat, nahm einer baS SBort, ber bisher 
oöllig ftuntm bagefeffen unb nur finfter oor ft<h h'ugefrfiaut hatte, es war 
ber fjiftorienmaler grih 2Bä<hter, beu Sille als einen ©onberling fannten, 
ber aber trofebeni bei ^ebermann beliebt war, weit er, wenn er einmal 
feine rebfelige ©tunbe hatte, ein gar fibeler ©efelle fein unb eine ganje 
Dafelrunbe trefflich unterhalten fonnte. 

Sille fpi|ten barum, als er fich mit einem oemehmtichen „Sla, meine 
Herren!" jum Sieben anfdhidte, bie Ohren, benn bie ungewohnte Unter* 
haltung behagte oielen f<hon lange nicht mehr, unb bie SluSfidjt auf eine 
feffetnbe ©rjählung loar ihnen oiel lieber. 



Der .fategorifdje 3™peratit>. 


103 


Slber jur Serwunberung 2lHer bub er bie erwartete ©efdjidjte noch 
nicfet an, als allgemeine ©title eingetreten war; 2ßäd)ter oerfanf oietmebr 
anfdbeinenb ganj unmotioirt in finftereS ©innen, ©r jog bie ©tim frauS 
unb ftarrte oor ficfe bin; fein ©ebabren machte ben ©tnbrucf, als ob er 
erft eine peinliche ©rinnerung nieöerjufämpfen bube, ©nblicb erhob er ben 
Slidf wieber, flaute betauSforbernb um ficb unb rief: 

„2UleS 9Roratifiren ift bodb bto§ müfeigeS ©erebe, gerabe gut genug 
jur Unterhaltung in ber SBeinlaune. :3m entfdbeibenben 2lugenblicf febrt 
ficb bodb fein SRenfdb baran, was ihm in ber Kinberlefere all ©ut unb 
Söfe uorgefteHt worben ift. Unb idb nenne baS »ernünftig. s Jtur muß man 
ftdb confequent bleiben unb nidbt etwa hinterher in tbränenfeliger ©timmung 
bereuen unb bettagen, was man ber SDloral jum £rofe aus eigener Kraft 
getban bot. ®er ©rfolg allein entfcbeibet. SfBaS mir unb Slnberen jum 
©Uten auSfcblägt, baS ift gut, unb wenn idb auch bamit jebnmal gegen bie 
©ebote ber SDtoral unb gegen bie ftaattidben ©efefee oerftofeen habe. 

©dbaut midb nur nidbt Sttte mit fo entfefetem Kopffcbütteln an. Sßerft 
bodb einen Slicf auf bie SBettgefdbidbte, wenn 3b 1 ' mir allein nidbt glauben 
wollt. SBieoiel Sorfdbriften ber 3JtoraI, wieoiet Paragraphen beS non ihm 
felber aufgeftellten ©trafgefefeeS ^at wobt ber grofee Napoleon umgangen, 
oerlebt, mit gn&en getreten? Unb bodb log bie SBett oor ihm im ©taube 
unb fdbaute ju ihm empor wie ju einer ©ottbeit, beoor fein ©lüdf, beoor 
ber ©rfolg ihn oertiefe. 

®er hotte bie ÜDiadbt in ben $änben, feiner eignen 9J?oral ©eltung 
ju oerfdbaffen in feiner ©onnenböbe. Sei uns aber, bie wir im ©taube 
beS bürgerlichen SebenS babinfriedben, ift es afierbingS fcbwieriger, aber 
wenn man fein ©lüdf am ©dbopfe ju faffen weife, gefjt’S audb. giir uns 
giebt e$ beSbalb nur ein ©ebot unb baS tautet: „Safe SDidb nidbt 
erwifdben!" 

3Kir fiel ba, als idb ©udb oorbtn fo fromm unb ftug reben hörte, eine 
alte ©efcfjidbte ein. SDtögt 3b r f' e böten, fo will idb fte jur SHuftration 
meiner praftifchen Sßbtlofopbie erjäbten." 

S5a oon allen ©eiten lebhafte ^uftimmung erfolgte, fuhr ber Sprecher 
fogteidb in ben ©rjäblerton fatlenb fort: 

„5Der £elb meiner ©efdbidbte ift ein Kunftgenoffe oon mir; febr be* 
gabter SWenfch oon feeroorfiedbenber ©igenart. $er 9tame tbut 9tt<htS jur 
©adfee, nennen wir ihn furjroeg Robert. 

©r war unter feinem glänjenben ©teme geboren, unb an feiner Sßiege 
batte feine gütige ffee geitanben. ©ein Sater, ber einen Keinen Sarbier- 
laben in einer fdbmufeigen Sorftabtgaffe bejafe, war ein befdbränfter Kopf 
ohne alle böbeten 3«tentionen, ein nüchterner Kleinbürger unb babei ber 
eigenftnnigfie £au3tprann, ben man ftcb benfen fann. 

®er 3unge befudbte bie SolfSfcbute, unb als er mit oierjebn 3 a b ren 
confirmirt worben war, eröffnete ihm ber £err Papa, bafe er nun ju ihm 



3ulius (Sefelltjofen in Breslau. 

felbft in bie Sebre treten unb gleich Ujm p einem tüchtigen Sarbier fidf 
aulbilben werbe. 2Biberfpru<b gab’l ba niefit, obgtewf» fcbon ber Sebrer in 
ben festen Schuljahren anf bie feltene Begabung bei Änabeit aufmetffant 
geworben war unb bem Sitten feine moralifcbe Pflicht, feinem ©ohne eine 
bösere Slulbilbung p Db e 'f werben ju laffen, oor Stugen gerüeft hotte. 
@o mußte ber arme Stöbert, ber fcbon bamatl ben ©eniul im Sufen 
füllte unb beiße ©ebnfudit nach einem ifjm noch biebt oerfdbleierten 3iete 
empfanb, bal ©ebaumbeefen 5ur .fjattb nehmen, um oorerft bie Äunben 
feine! Saterl funftgered)t einfeifen p lernen. 

Stur wer fefbft in fofcfi einem brücfenben goebe gefeufjt bat, wirb bem 
Sinnen naebfübten fönnen, in welcher büfteren Stimmung er bie gaßre 
feiner erften gugenb oerbraebt bat. Sartpußer p fein, im grauen ©inertei 
bei fteinbiirgerli<ben Sehens p oegetiren mit ber felig--unfe(igen Slßnung 
im &erjen, baß bie fjotb fdjon erwachte ftünftlerfeele nur ber greibeü be* 
bürfe, um ftolj tf»re ©diwingeu p entfaften, — id) fage ©u<b, bal ift eine 
Dual, oon ber gl)t ©u<b feine SorfteHung machen fönnt. 

©pater, ail ber arme 33 urf<be fein $anbwerf gehörig begriffen batte, 
burfte er oftmall ftatt bei Saterl in reiche Käufer geben, um bie »oraebme 
Äunbfdbaft babeim p rafiren. Dal waren feine glüdlicbfien, aber auch 
feine unglüdlicbfien ©tunbeit. 

Unter all bem Somfort, mit bem bie begüterten ftcb bal Dafein p »er« 
fdbönen wiffen, erblidte er bort pm erften SJtate in feinem Sehen wirtliche 
ftunftwerfe, unb fein gärtglicE) ungefcbultel Stuge oermoebte feßr halb Silber, 
bie oon Äünftlerbanb berrübrten, oon Delbrudßbmierereien unb anberent 
wertblofen Sffilunber p unterfebeiben. 

©in ©eefiüd, bal in bem ©abinet einel Stegierunglratbel hing, er* 
regte perlt feine Slufmerffamfeit. SBilbbranbenbe SBogen an einem fyjorb 
ber norwegifeben ßüfte, biifter umwötfter ©ewitterbintmel, auf hohem gelfen* 
ftranbe ein einjetner, 00m ©türm gekaufter gübtenbaum, an beffen ©tamm 
ein f<bre<fenlblei<bel 2£ei6 fidi Hämmerte, um ber SButb ber entfeffelten 
Staturgewalten nicht ju erliegen, — bal ©nfemble madjte einen tiefen 
©inbrudF auf feine empfängliche junge Äünftterfeele; feine bisher nodj 
fdblummembe fß&ontafie begann ficb 311 regen, unb lange oerfolgte bie 
büftere Stimmung, bie ber Äünftler feinem Silbe einpbandben oerftanben, 
ißn bil in feine nächtlichen Dräume. 

jperoftrat, ber aul einem SDtaueroerfted mit halb bämißbem, halb 
oerjüdtem ©eficbtSauSbrud bie oon ihm entfachte geuerlbrunft anfebaute, 
grell beleuchtet oon rotbem glantmenfcbetn, — bal war bal jweite ©tiid, 
beffen ffinftlerifdjer Räuber ihn beftridte. Dal pr große oerjerrte Sintiiß 
war meifterbaft beraulgearbeitet, unb obwohl ber arme Sarbiergefelle feine 
Slbnung oon bem unlauteren SJiotio bei Sranbftifterl oon ©pbeful batte, 
fo fatn feine Sermutbung barüber ber 25 ?abrt>eit bodb jiemlicb nabe. 





5er fa tegor ifdje 3 m P c * a t*®- 


105 


©aS 33üb gehörte einem ^ßrofeffor, auf beffert ©rfcheinen er eines 
©ageS in bent 3 lntmer eine halbe ©tunbe märten muhte. ©a uerfenfte 
er fich fo tief in baS 2tnf<hauen beS ÄünftroerfeS, bah er ben ©intritt beS 
Hausherrn überhörte unb erft burcfj bie fpöttifchen aßorte: „@i, ei, inan 
treibt roof)I gar ftunftjtubien, SOtonfieur $igaro?" aufgefd^recft mürbe. @r* 
rötbenb fdjicfte er fich an, feine fßftidjt ju tljun, unb fdiroeigenb oerab* 
idjiebete er fich bann oon bem ©elehrten, ber übrigens roeitere ©bailnahme 
nic^t oerrieth unb oertnutfjlich bei ifirn oiet eher ftumpfftnnig gaffenbe 
ateugier, als unberouften fünfilerifdien ©rang uorauSfeijen mochte. 

3 n ben barauf folgenben ©agen fühlte er fich unglüdflicljer benn je 
juuor, unb es bauerte lange, bis er ben ©djmerz oerroinben tonnte, ben 
ihm ber harmlofe ©pott beS fßrofeffors oerurf ad) t hotte, ©ennodj oer* 
mochte er fid) feine SRechenfcbaft über biefe ungewöhnliche ©mpfinblidjfeit 
ju geben, oerfudjte es moht auch faum. 3htr 50 g er fich feitbem noch 
oiet ängjilichet oon aller ©efeUfchaft jurücf unb warb fo fdjeu unb fchweig* 
fam, bah ber 33ater ihn für oertiebt hielt unb ihn barob in feiner plump* 
humoriftifthen SBeife bei jeber paffenbett unb unpaffenben Gelegenheit auf* 
jujiehen begann. 

3n 3Birflid)leit aber hatte SHoöert noch nie ein Sßeib mit begehrenbent 
3luge angefd&aut. ®ie eine ungefüllte ©ehnfudit nach bem ihm felber nod) 
nicht flar bemühten ©twas erfüllte feine ©eele fo auSfd,liehli<h, bah für 
eine anbere Seibenfdiaft barin fein 9iaum übrig blieb. 

©0 oergingen ihm bie 3 al)re ( n geifitöbtenbem ©inerlei, unb es fam 
bie 3eit heran, ba bet ©taat feine fßerfon für ben HeereSbienft in SBefcfjlag 
nahm. @r mürbe in ein Infanterieregiment eingeftellt unb, fobalb er aus* 
gebilbet mar, jum Sajarethbienft commanbirt, weil fein aSater ihn bereits 
jum Heilgehilfen auSgebitbet hotte. 

3hm mar 3lDeS recht; £uft am £'e 6 en unb SSefriebigung für feinen 
inneren unauSgefprodhenen ©rang fanb er hier mie bort nicht, unb ob er 
im Sarbierlaben bie Jtunben bebiente, ober im Kranfenfaale 33 anbagen 
anlegte unb ben Jeibenben ihre Slrjenei reichte, baS mar im ©runbe 
einerlei. 

©in ©uteS aber hotte bie 33eränberung hoch für ihn: er mar ber 
engherzigen 3luffi<ht feines 3SaterS enthoben, unb wenn er nur im ©ienfie 
feine Sßflicbt tbat, fo fümmerte fich 9tiemanb barunt, roaS er in feinen 
freien ©tunben anfing. 

SRa<h unb nach athmete er roirflich ein wenig auf unb begann mit 
etwas freierem 9luge um iidj ju bliden. 3 u>or bie ©efettfdjaft feiner 
ßameraben mieb er faft mit einer gemiffen 2 lengftlichfeit. 3 h re plumpe 
2 trt fich ju geben 0 erlebte fein unberouht fefjr feines äfthetifdieS ©effiljl, 
unb ihre meijl ziemlich rohen 3lmüfementS miberten ihn an; bafür begann 
er aus eigenem Slntriebe, erft ungeroih taftenb, bann mit immer gröberer 
Sicherheit SBefriebigung für feinen überaus regen ©d>önheitsfmn zu fudhen. 



106 3» , 'us (Sef ellljofen in Breslau. 

©ie jablreidjen Saubenfmäler bet Stabt aus bet Seit bet ©otit unb 
bet ffrübtenaiffance, baS 9Jhrfeum bet bilbenben fünfte unb bie Scham 
fenftet bet Äunftbanblungen mit ihrem fletig med&felnben Qn^alt bienten 
feinem, wenn and) nidjt fpftematifdjen, fo bod^ mit gliUjenbem ©ifer be= 
triebenen Selbftftubium als Seljrmtttet, unb ich fage @u<h: feiten hat ein 
Spület, bem bie befte Anleitung ju Xtyil mürbe, fo rapibe gortfdbritte 
gemacht, mie biefer ganj allein auf feinen richtigen $nftinct anqewiefene 
einfame Sonberling. 

Stuf einem biefer Stubiengänge begegnete ihm ein Slbenteuer, baS mit 
einem 2Jlale and) anbere ©mpfinbungen in feiner Seele erroeefte, bie bei 
ibm bisher in tiefem Sd)lummet gelegen batten. 

@r hatte eine fattjolifdEte Kirche befugt, bie in einer Seitencapelle eine 
Copie ber fogenannten „9la<ht" non Correggio beherbergt, jenes lieblichen 
Silbes mit ber innig anijeimelnben ÜDMrdjenftitnmung, auf bem bie Wirten 
baS J^efuSfinb anbeten, gebeimnifjnoll beleuchtet non bem £idjte ber 2Belt, 
bas non biefem auSgef)t. DHetnanb batte ihn baranf aufntetffam gemalt, 
ba§ baS Söilb ju ben beften SBerfen eines ber größten SMfter aller Seite* 1 
gehört, unb bod) batte ihn fdbon beim erften 2Inf<bauen berfelbe ^eilige 
Stauer burebriefett, mie fpäter, als er, ein auSgebilbeter 9Mer, nor bem 
Originale in ber ©reSbener ©alerie ftanb. 

■äJtan fage mir nicht, baff bie s JJJad)t beS tnabren ©eniuS auch bie 
blöben kröpfe jur SBerounbetrung jroingt. 3<h fenne SBiele, bie fi<h für 
boebgebilbete Seute halten, unb benen bod) fold) ein 33ilb nidE»t anberS er« 
fdieint, als bie erfte befte bunte Schmiererei irgenb eines obfeuren garben« 
fünberS. ©ie SBanbbecorationen in taufenben non „guten Stuben", ober 
meinetwegen „Salons" unferer fogenannten gebilbeten Sürgertlaffe finb 
beutlich rebenbe 33eroeife für meine ^Behauptung. ©ie Spraye beS mähten 
©eniuS nerftebt Äeiner, ber nidjt menigftenS ein günflein non ihm im Sufen 
trägt, unb baS finb — ©ott fei’S geflagt! — red^t SBenige! 

©och nerjeibt bie 2lbfcbweifung! SRobert alfo batte in ftnmmer, an« 
betenber Serounberung nor ber Sopie beS llMfterroerfeS geftanben unb 
manbelte nun mie träuntenb burdh bie Straffen, no<b immer erfüllt non 
bem bitnmlifdhen Sidjte, baS non bem SefuSfinbe in feine empfänglich« 
Seele gefallen mar. 

©es üBegeS nicht aditenb, fchritt er immer weitet unb weiter unb ge« 
langte fo f<blieffli<b an’S ©nbe ber Stabt, wo ftcb unmittelbar an bie lebten 
Käufer ber weitläufige, fdfjön angelegte fßavf anfdjliefft. 

©ie ©änge jwifcbeit ben b°h en Saumgruppen, 9tafenfCäd^en unb 
nieberen Sufchpartieen waren augenblidtich nöHig unbelebt, ba es ben ©ag 
über geregnet hatte unb auch i e fct noch fchroarje SBolfen am Fimmel 
ftanben. ©em einfamen Spajiergänger war baS gerabe recht, benn niel 
tnenfdjlidje Staffage pflegt $ebem ben 9taturgenuff ju nerieiben, ber nicht 
fo obetflädjlicb angelegt ift, wie bie MtagSgefeUfhaft. 



De* fategorifd;e 107 

Stöbert liefe fi<h auf einer jiemlüh abgelegenen Sanf unter einer bofeen, 
breitäftigen Sinbe nieber, um in feiner Seele bie innige Stimmung gan? 
auSKingen ju laffen, in bie ihn baS 2tnfdjauen beS niunberbaren ftunft» 
wertes oerfefet batte. Sange faß er bort unbeweglich unb batte bie Um» 
gebung unb fein öbeS, unbefriebigteS Dafein völlig oergeffen. 

$ßlöfelt<b Hang ein f<hlu<hjenber Saut an fein Dfer; es mar wie baS 
teife ©einen einer Srauenftimme, unb afä er btnborcfete, oemabm er beutlicfe 
bie ©orte: 

„D ©ott, o ©ott, o mein ©ott!" 

©r ging ben Sauten na<b, unb als er bä« nädjfle ©efträuefe um« 
ichritten batte, bot ftch feinem Slicf ein eigentümlich rüf)renbeS 35ifb bar, 
baS üjn im Slugenblid an bie Stelle bannte. 9luf einer Sanf fab, wie in 
plöfelich aufwaHenbem Sdjtner} liingefunfen, ein junget, febr bübfebes 
SJtäbchen; ber breite ©artenbnt tag neben ibv, unb baS reiche blonbe §aar, 
baS ber feerrfdjenben SJtobe jum Drob in feine ftrifur gejwängt, fonft roobt 
in ftönen ©eßenlinien über ben -Waden feerabfUefeen motte, ^ittg jefet 
wirr über bie linfe Schulter nach tiorn, was bem oom heftigen ©einen ge» 
rötbeten ©efidjtchen einen fafl oerjweifelten SluSbrud oerlieh. 

Sn ber Slitnabme, bafe baS arme $inb oon einem törperlidhen Seiben 
befallen fei, trat Stöbert nun heran, ©r pflegte in feinen Daften allerlei 
mit fit ju führen, was ju ’rafefeem Samariterbienft erforberlich ift, unb bot 
baber mit fchlidjten ©orten ber Dame feine ,§ilfe an. 

Sie fdjraf bei bem Schaß feiner Stimme empor, unb im erften 
Slugenblide batte es ben Slnfdfjein, als ob fie auffpringen unb eiligft ent» 
fliehen wollte. SCber ber mitleibige ©eftcfitSauSbrud beS in ehrerbietiger 
Haltung ror ihr ftebenben Solbaten fehlen fte ju befänftigen unb ihr Ser» 
trauen einjufeöfeen. Sie blieb ruhig fifeen unb toarf nur mit einer 

anmutigen Äopfbewegung ihr £aat juriid, um ben rafefe aufgenommenen 
£ut barauf ju fefeen. . Dann fagte fte jtoar freunblicfe, aber bodj entfdjieben 
ablebnenb: 

„S<h baute Sbaen; mir toar nur einen 2lugenblid nicht toohl, aber 
eS ift bereits oorüber." 

Stöbert fühlte, bafe er nun hier StidjtS mehr ju tljun habe, unb roanbte 
ftch beSfealb mit einem ftummen ©rufee ab, um feiner ©ege ju geben. Da 
aber fchien ihr boch einjufatten, bafe feine freunbliche .fjilfsbereitfcfeaft auch 
eines freunblicfeen DanfeS wertb fei. 

Sie erhob ftch unb fagte: „Stebmen Sie meinen aufrichtigen Danf für 
Sb*e Dbeilnabme!" Unb als er ftch auf biefe wenigen ©orte mit 
freubigem ©eficbt wieber ju ihr wanbte, fuhr fte rafch fort: „S<h bin 
Sbuen wohl eine ©rflärung für mein feltfameS Senebmen fdjulbig. Stein, 
(ebnen Sie nicht ob, ich bitte! ©S ift wirtlich nicht bloS ein Slct ber 
§öfli<bfeit, ben ich bamit erfüllen will; ich weife, bie 2lu3fptacfee wirb mir 
wohlthun." 



\08 


Julius <8efelll)ofen in Breslau. 


©er roibet (Smarten fo Ijerjti^ Slngerebete tonnte natiirlidE) nidbt 
umhin, ihrer Slufforberung golge ju leiften. @r trat an ihre linfe ©eite 
unb f^ritt in rejpectuoüer ©ntfemung neben it»r her, als fte ben gerounbenen 
SiieSroeg entlang ju promeniren begann. ©3 »ergingen wobt Jtoei SJHnuten, 
ehe üe ihre Siebe wieder aufnabm. 

„(Sie müffen micfe fiir ein recht finbifdbeS ©efdböpf gebalten feaben," 
fagte fie, „als Sie mid) an einem öffentlichen üßege laut weinenb fanben, 
aber glauben Sie mir, i<b bin fonft ein tapferes 3 Jläb<f»en, baS fidb nicht 
fo leicht »out ©efütjl übermannen läfet. Siur ganj im Stillen mufj idb mtdb 
manchmal auSmeinen; unb ba idb bei bein brobenben SBetter ju biefer ©tunbe 
hier SJiemanbent ju begegnen hoffte, habe idb midb auf einen Stugenbtidf in 
ben $arf geflüdbtet. 

3$ roobne bei meinem Dnfel, bem ©irector ber ^rrenanftalt, benn 
idf) habe Sßater unb SRutter fdbon früher »erloren. 

SBenn Sie b^r ben 2 Beg »erfolgen bis an’S ©nbe beS fßarfeS, feben 
Sie brühen jenfeits ber Sanbftrafee bie Slnftalt liegen. Stber baS btaudbe 
idb Shtien ja nicht ju erjagen, baS merben Sie allein fdbon toiffen. 

©odb Sie buben geroife feine atljnung, rooS baS für eine entfefelidbe 
Stätte ift. ©äglidb umgeben ju fein »on SRenfcfeen, bie eine SEBeile ganj 
»ernünftig reben unb banbeln , bann aber plöfelidb anfangen, »emrirrt ju 
merben, fürchterliche Sieben ju führen, ober fidb gar auf bie ©rbe ju werfen 

unb be^bredbenb ju ftöbnen — adb, idb fage Sbnen, baS ift graufig. ©enn 

Sie müffen rciffen, baff bie ßranfen bei uns nur im SiotbfaHe eingefperrt 
merben, fonft aber frei in $auS unb ©arten umbergeben unb mitein- 
anber »erfebren bürfen. 

©ie Slnftalt ift, mie Sie »on aufeen feben fönnen, nidbt ein einziges 
grofeeS unheimliches ©ebäube, fonbern ein förmliches ©orf »on »iefen Keinen 
Villen unb Räuschen, bie mitten in bem weitläufigen ©artenareal liegen. 
Slttr ift baS ©auje »on einer hoben SJtauer umjogen. 23 on Stuben mag es 

bem grentben redbt freunblidb erfdbeinen, aber jenfeits ber ÜDtauer, ba ift 

es oft fdbauerlidb, felbft für ben, ber ficfe an milbe fcbrecElicbe Scenen fdbon 
gewöhnt bot. 

©a hoben mir 3. 8. jefet ein junges SMbdben bei unS, etwa in 
meinem Sllter, ein liebes, be^igeS ©efdböpf, baS in fyolge einer boffnungS^ 
lofen Siebe tieffinnig geworben ift. 3 ltS fie ju uns gebracht würbe, führte 
fie mol)! 3uroeilen wirre Sieben, meinte auch »iet, mar aber bodb bann 
mitunter raieber gan3 sugänglid) unb liefe fiel) in ihrer rübrenben ©rauet 
»on mir freunblicb jufpreeben. 3$ mufete mich näinlidb auf DnfelS SBunfch 
ihrer ganj befonberS annebmen. 

3tcf) mar, wenn fie mir fo ftill jubörtc unb fidb billig »on mir lieb« 
fofen unb beruhigen tiefe, ftets boffnungSfreubig geftimmt, benn idb meinte 
nicht anberS, als bafe mir fie halb bem Sehen würben wiebergeben fönnen. 
Slbet biefer 3uftanb bauerte nur wenige SBocben; jefet bot fie ihren SJerftanb 



Der fategorifdje 3 m P**<*tit>. 109 

oöüig oertoren. Sie fdßeint Slidßt? meßr ju Ijörcn, Stießt? ju begreifen. 
SBenn id> ßunbenlang bei ißt gefeffen unb ifjr, in bie tiefen, unueränbert 
frönen Säugen fdßauenb, liebeootl jugefprocßen habe, bann gebt e? wobt wie 
ein Seudßten über ibr ©eßdßt; i<b meine, nun bat fie midj enblidb oerftanben 
unb wirb ihrem gepreßten $erjen burcß eine freunbfdbaftlidße 3 lu?fpradße 
£uft machen — ba fängt fie plößlidß an 51 t jäßlen: ein?, jwei, brei, oier, 
jäßtt monoton bi? ßunbert, bi? taufenb u. f. ro. unb ßört nicht eher auf, 
at? bi? ihr bie Stimme oerfagt. Dber fte bridßt plößUcb ab unb fcßlägt 
ein betjjerreißenbe? gettenbe? Sadßen auf, um gieidb nadbßer in einen 
tetbargifcben 3 ußanb ju oerßnfeit, au? bcm fie bann mehrere ©age lang 
nicht aufjurfitteln ift. , 3 $ fürdbte, Cnfet hält fie für unheilbar, obgleich 
er fidb in feiner fcßweigfamen 9lrt barüber nidbt äußert. 

©eben ©ie, ba? ift graujtg, fotdb’ ein fdßöne?, blübenbe? ©efdßöpf um 
fidb ju hoben unb täglich auf? Sieue erfennen ju müffen, baß bein Körper 
bie ©eele entriffen iß, baß er nur nodb oegetirt unb babei bodb anfcbeinenb 
jufeßenb? geheißt. Stach einem berartigen 9lu?brudb fühle idb midb immer 
jum ©terben ungtücflidb unb barf bodb Siiemanbem mein .fjerj au?fcbfitten. 
®a bleibt mir nidbt? Sänbere? übrig, al? mich in einen oerborgenen SBinfel 
ju ßücßten unb midb redbt au?juweinen. ©ie haben midb Ejent babei über» 
rafißt. Unb nun werben ©ie midb bodb audb nidbt mehr für finbifcf) halten, 
nidbt maßt?" 

Stöbert war feiner ©rwiberung fähig, fo tief batte ihn ihre fdblidbte 
©rjäßlung ergriffen; er blieb nur fteben unb faßte ißre $anb, um fie 
warnt unb lange ju brüdfen. ©ann feßten SBeibe feßweigenb ben 2 Beg bi? 
jur Slnßalt fort. SBor bem ©höre wanbte bie junge ©ante ißm ißr ganje? 
Sintiiß ju unb fagte, inbetn fie ißm jeßt freiwillig bie $anb reidbte: 

„£aben ©ie nodbmal? Ijerälidßen ©anf für 3 b re greunbliißfeit unb 
leben ©ie woßl." 

©ann wollte ße bie £anb jurücfjieben; er aber hielt bie feinen ginger 
nodb einen Slugenbücf feft unb fagte bittenb: „SBoHen ©ie mir nicht wenigften? 
Sbren tarnen nennen?" 

„ 3 <b helfe® Glara £erbecf," — erwiberte fie unbefangen unb ohne jebe 
Ziererei. „SJtein feliger SBater war ber ältere Sruber be? ©anität?rath? 
&erbecf, in beffen £aufe idb jeßt lebe. Unb ©ie?" 

Stöbert nannte auch feinen Staaten, bann jog fie leife ißre £anb au? 
ber feinen, nidfte ihm nodb ein SJlal freunbliiß ju unb brücfte beßenbe auf 
ben ftnopf be? eleftrifdßen Säutewerf?, worauf bie Spforte, waßrfdbeinlidl) 
oermittet? eine? in ber Sportierloge [in Bewegung gefeßten 9Jte<hani?mu?, 
ßdß öffnete unb nadß ißrem ©intritt wieber fdt)loß. 

Stöbert ftanb allein unb blidte nadßbenflich auf bie ßoße Umfaffung?» 
mauer, hinter ber nur bie ©acßfirße einiger Raufer jwifdben ßoßen Saub» 
bäumen heroorfdbauten. 2ln biefer ©teile wohnte ba? menfdßliihe Ungfücf 
in feiner fürdbterlidbften ©eftalt. ^ßre ergreifenbe ©dßitberung be? einen 



ffO 3 uI > us ©efelltjoftn in Sreslan. 

Salles Hang noA immer in ieinem Obre naA, unb tief bewegt glaubte er 
ifjr leifeS SAlucfejen ju »emebmen, roie es ihn »orbin im ©tabtparf aus 
feinem ©innen emporgefdfiredt hatte. 

9taAbenfliA unb traurig geftimnit, trat er enbüA ben Stüdweg an. 
3fe m war ijeut junt erften SMe oom Jammer ber 3JtenfAb«t eine Ahnung 
aufgegangen, ben er bisher im GgoiSmuS beS nafoen StaturmenfAen über 
bem eignen gar nidbt beachtet fjatte, unb jum erften SMe fragte er RA, 
ob er ein 9teAt habe, mit feinem Loofe unjufrieben ju fein. 

Slber biefe Stimmung mar nicht non Sauer. Sie mar aus einer 
plöfeliAen ©rfAüttemng ber Seele beroorgegangen unb »erfAmanb roieber, 
je mehr bie (Erinnerung an bie ergreifenben SJtittbeilungen beS jungen 
SJtäbAenS in ihm erblafete. Sagegen blieb ihm baS 33ilb ber Grjäfeterin 
felbft immer lebenbig t>or Augen, unb oft überrafAte er RA mitten in ber 
(Erfüllung feiner SienftpfliAten bei bem SBunfAe, fie roieberjufeben. 

Sem 3uftanbe feinet mie im SAlummer liegenben SBefenS entfpreAenb 
mürbe er RA übrigens über bie Statur feiner ©efübte niAt Kar. 2Bie er 
RA bisher in ftiHem Sehnen naA einem nur unflar entpfunbenen hoben 
3iele, naA einem feine ihm felbft noA niAt oöHig beroufeten geiRigen ©oben 
in AnfpruA nebmenben Lebensinhalt oerjehrt batte, fo erfüllte jefet eine 
unauSgefproAene, uneittgeftanbene Steigung für baS liebliAe SJtäbcfeen fein 
■Öerj, unb biefe jroiefaAe ungefüllte SehnfuAt liefe ihm jtoar bie Umgebung, 
in ber er ju leben oerurt heilt mar, noA ober unb in noA metanAolifAerem 
SiAte erfAeinen, gemährte aber boA auf ber anberen ©eite feinem Leben 
wieber einen gemiffen Steij, eine Art mehtnüthiger Sefriebigung, rooburA 
bie in feinem 33lnte fAlummernben LeibenfAaften gehinbert mürben, ju er» 
roaAen unb bie Äräfte unb ffähigfeitcn beS Leibes unb ber ©eele in 
SfeätigEeit ju fefeen. 

3n fotAem traumhaften 3uftanbe manbelt manAer bebeutenbe SJtenfA 
burA baS Ginerlei beS Alltagslebens, bis irgenb ein äufeerliAeS Greignife 
ihn jäh emporrüttelt unb ifetn mit blifeähnliAer GrleuAtung ben 2öeg zeigt, 
ber naA feinem ungefannten 3wle hinführt, unb ben feine fAlafenben 
Singen bisher niAt eittbedten. 

S3ei SJtanAeni aud) lommt bieS Greignife ju fpät, bei SJtanAem bleibt 
eS ganj auS, unb ©ott mag roiffen, mieoiel ungenufeteS ©enie auf Grben 
oerlifAt, ofene RA felbft junt Seroufetiein gefommen ju fein. 

Stöbert mar einer ber SBenigen, beren Grroedung unb GrleuAtung eine 
höhere SDtaAt befAloffen hatte. 

SBieber mar ihm einige 3eit in bumpfem Sabinlebett »ergangen, 
©eine SienftpfüAt mar längft abioloirt, aber er batte am ©Atufe berfelben 
capituürt unb mar als Unteroffizier beim ©anitätScorpS »erblieben, benn 
eS mar ifem »öHig gleiAgiltig, mo er fein eintöniges ©eroerbe auSübte, unb 
beim SJtilitär hatte er RA in feinem bisherigen Leben »erbältnifemäfeig noch 



Der fategorifdje 3mperattu. \\\ 

am roobtften gefüllt, weil bort bei pünfttic^cr Sflnbterfüllung bie freie 3eit 
ib«t niemals oerfürjt ober fonftroie oerleibet mürbe. 

©er als ©b®f beS ©arnifonlajareths fungirenbe DberftabSarjt mar 
iljnt ganj befonberS gemogen, meil berfelbe ni<ä)t bloS feine 3«nerläffigfeit 
im ©ienft fdjäfcte, fonbern im längeren SBerfeEjr audj motjl gemertt batte, 
baß ber ftille Sajaretljgebilfe mit ber ftets leife oerbiifterten Atiene geiftig 
über SeineSgteidjen ^inauöragte unb in #olge angeborenen ©actcS bcffere 
üJtanieren jeigte, als bie Anberen. 

©ineS ©ageS blieb ber mobtroollenbe Sorgefeßte nach einem Stunbgange 
burdb baS Sajaretb, bei bem Robert ibn batte begleiten muffen, auf bem 
Gorribor nod) einen Augenblicf flehen unb fagte, fein bnnfleS Auge roll 
©beilnabme auf ibn rid^tenb : 

„Apropos, Unterofnjier, es ift mir beut eine Sltittheilung gemacht 
roorben, bei ber id£» gleidj an Sie benfen mußte. ©er ©irector ber biefigen 
Srioatirrenanfialt, SanitätSratb £erbed, fud)t einen energifdjen unb gefdbicften 
2Bärter. 2Bie roär’S, roenn Sie fidj ju bem 5ßoften mefbeten? ©r ift 
freilich anftrengenb unb febr oerantroortungSoott, trägt aber aud) febr an« 
ftänbigen Sohn ein. Seine SJtilitär fömten Sie nie fo oiel erreichen, unb 
bis sur ©rlangung beS ©ioiloerforgungfdjeineS müffen Sie noch eine lange 
Steiße oon fahren bienen, ©ort aber haben Sie Anroartfdjaft, gut be< 
folbeter Dberroärter ju merben, unb jroar, roenn Sie fi<b gualificiren, in 
abfebbarer 3«t. Unb als fotdjer ftnb Sie penfionSberecbtigt. Ueberlegen 
Sie fidj bie Sadje, unb fagen Sie mir morgen Sefdjeib. Steiner roarmejt 
Gmpfeblung fönnen Sie ficber fein. 2lbieu!" 

Stöbert mar aufs freubigfte überrafebt. ©ine folcbe faft oäterlicbe 
fyürforge batte er oon bem meift für} angebunbenen Sorgefeßten nidbt er- 
märtet, unb eS fiberfam ibn beSbalb faft roie Stübrung bei bem freunb= 
lieben, oon überaus großem 2BobhootIen jeugenben Anerbieten, umfontebr, 
als er, ber jurfidgejogene, faft menfebenfebeue Sonberling, bergleidjen fonft 
no<b non Stiemanbem erfahren batte. 

Unb nun gar ber Sorfdjlag felbft! $n lebenbiger fyrifdje ftanb fofort 
baS Silb beS lieblichen SJtäbdjenS oor feinem geiftigen Auge, als ber Sor= 
gefeßte ben ©irector ber Anftalt nannte, an beren ©bor er bantals ihre 
£anb einen Augenblid in ber feinen gebalten batte. 3b r «lieber }it be= 
gegnen, ißr beflänbig nabe ju fein, fie oft, oieHeidjt tägtidj ju feßen, — 
baS febien ibm ein unenblicßeS, unoerbienteS ©lüd, unb er mürbe auf bie 
ißropofttion eingegangen fein, auch roenn bamit feine Serbefferung feiner 
materiellen Sage oerfnüpft geroefen märe. 

$reubig gab er am nädjften SJtorgen in biefem Sinne feine ©rflärung 
ab, unb feßon StadimittagS ftanb er mit einem ©mpfebfungSfcbreiben beS 
DberftabSarjteS oor bem SanitätSratb $erbed in beffen Spredhjimmer; 
nach einer furjen Unterrebung hatte er feine Aufteilung in ber ©afdje, unb 

51crb mib Sflb. XCII. 274 . 8 



3ulius (Scfcllljofen in Breslau. 

fd^on nad) wenigen 2 £od)eit warb itjnt non ber SRiUtävbeljörbe bie Grtaub= 
nife erteilt, nod) »or Slblauf feirteS GapitulationSjahreS auSjutreten. 

©o warb er burd) bie ©unft beS 3ofottS wenigftenS in einer Stidjtung 
feiner unauSgefprodjenen ©ehnfudjt gefördert, unb jum erften SRale in 
feinem Sehen begann fein £erj ber 3u!nnft mit einer getroffen £offnungS= 
freubigfeit entgegenjufcblagen. 

SBirflidj fdjien fein ©efdjicf fortan freunblidjer fi<^ geftatten ju motten, 
©irector 4?erbed jeigte fid) als ein G!)ef, ber jmar ftreng auf pünftlidjfie 
Grfüttung ber ®ienftpflid)ten feiner Ülngeftettten hielt, bafür aber auch ihre 
®ienfte fefiv gut Ijonorirte unb im Uebrigen fteunblidj, beinahe cottegialifdi 
mit ihnen »erfehrte. ©ie Obliegenheiten beS jahlreidjen SBärterperfonalS 
roaren fcfjroierig unb angreifenb, bod) batte $ebet aud) auSreid)enb freie 
3 eit, um fid) ju erholen unb fid) mit feinen eigenen Stngelegenheiten 511 
befdjaftigen. 

©ienftlidj hatte fidj ber an mititärifc^e ©iSciplin gewöhnte neue SBärter 
fehr halb oortrefjiidj eingerichtet, unb als er ben erften freien ©ag hotte, 
fafj er, ftatt auSjugehen, mit einem bisher nod) nie gefühlten SJeljagen in 
feinem netten 3 i' nm erdjen, beffen fünfter auf ben ©arten ber grauem 
abtheilung hinauSfcbauten, unb badjte barüber nach, nne ftdh fein fürbere? 
Sehen geftalten mürbe, unb in welcher Sßeife er am heften an ber h«h ; 
erfehnten 3?eroottfotnmnung feiner 33tlbung arbeiten fönnte. 

Gr ftügte bie ©tim auf bie £anb unb fdjlofj, tjolb ü 6 er baS fyenfter; 
brett gelehnt, bie Slugen, um fich ganj ber ihn mohlig erfüttenben ©rautm 
feligfeit 5 U überlaffen. 

33on einem fnftematifdien ©tubienplane hotte er natürlich feine 2fljnung, 
aber baS Gine mar ihm flar, bah er fid) in erfter Sinie um bie eble Äunft 
ber üttalerei befüntmern muffte, bie oon jeher einen geheimnijjtoffen, be- 
ftridfenben ttteij auf ihn auSgeübt hotte. 2 lm liebften hotte er ft<h gleich 
fetber Farben unb fßinfet angefdjafft, um flott brauf |lo3 ju malen, maS 
feinen geiftigen Singen sroar bunfet unb ohne fdfarfe Gonturen oorfchroebte, 
aber offenbar nur auf baS befehlenbe 2Bort feines ttBittenS horrte, um feft- 
gebannt fid) ju fläreit unb ju oerbichten. Qnbefj fühlte er nur ju beutlidi, 
bap ihm jebt noch bie 3ouberformel fehlte, um feinen fiinftlerifchen SBitten 
ju entfeffetn. ©ein ©enie empfanb unbewufjt bie Stothroenbigfeit, erft bie 
©diranfe ber ©echnif ju überminben, unb feine Stathlofigfeit in biefer 5Be- 
jichung mar ber ©d)atten, ber auf feine behagliche ©timmung fiel. 

3Bähreirb er fich alfo gtübelitb über bie fyenfterbrüftung lehnte, fddug 
plöplid) ein munterer Saut an fein Ohr, ber f oglei<h in feiner ©eele 
füfje Griunerungen medte. Gine SJ'äbdienftiinme rief aus bem ©arten ju 
ihm herauf: „@inb ©ie es benn wirflid), fern Stöbert, ober täufchen mich 
meine fonft fo fcharfen Singen? Stein, nein, ©ie finb’S — unb hoben 
mich noch gamid)t begrübt, obgleich ©ie fdion länger als eine SBodje bei 
uns meilen. ©elfen ©ie, baS ift garnicht hübfdj non Qhnen!" 



Der fatcgoi-ifdje 3 m P erc, t' t '- 113 

6 t hotte fidh gleidj bei bett etilen SBorten erhoben unb beugte fich nun 
refpectootl grüjjenb junt genfter hinaus, währenb 6 (ara, ihren breiten 
©artenhut in ber $nnb hin* unb ^ericfjroertfenb, fotrtfuEjr : 

„ 2 ßenn Sie geit t»abcn r bütfen Sie einen Üiugenblicf ju mir ^crunter= 
fontmen; idfj bin augenblidtidh ganj allein im grauengarten, unb oor mer 
Uhr bürfen bie Äranfen nicht etfeheinen, weit ihnen bie Sonnenhitze in 
ber -DtittagSftunbe f (haben fönnte. Sie brauchen fein fo bebenflidhe 3 ®eftd)t 
ju machen, — idj weifz fefjon, bah gbnen baS betreten ber ©amen* 
promenaben unterfagt ift, aber unter biefen Umftänben fönnen Sie’S auf 
meine SSerantroortung fdhon risfiren." 

Stöbert muffte fpäter felbft nid)t mehr, wie er in ben ©arten hinab* 
gefommen mar, aber nach wenigen Minuten fchritt er an 6lärd&en3 ©eite 
über bie fauber gehaltenen StieSmege bahin. 

63 war ihm, als wanbeite er im ©raume burdj ben ©arten ber 
©eiigen, unb eine lange SBeile oermochte er fein SBort hßroorjubringen. 
©ie hatte ihm jur SBegrüfjung unbefangen bie £>anb gereift, bie er mit 
einer iinfifdjen Bewegung jum ÜDtunbe führen wollte, aber bod) nicht ju füffen 
wagte, unb nun fiberliefj er fiel) in tieffter ^Befangenheit ihrer gührung, 
ohne oorerft eine grage an fte ju wagen. Sie bagegen war garnidht im 
minbeften oeriegen, fonbern eröffnete im heiterften ©one bie Unterhaltung. 

„Sehen Sie," fagte ne, „fo trifft man fidh im Sehen immer wieber, 
nadhbem man fidh einmal begegnet ift. SBiffen Sie noch, wie Sie mich 
im Stabtparf überrafdhten? gd) war bamals noch ein redht finbifdheS 
©ing, — fo am öffentlichen SBege fidh feinen ©efühlen ju überlaffen! geh 
habe mich nachträglich furchtbar oor ghnen gefdiämt. 6 rmähnen Sie nur 
Dnfel gegenüber baoon um ©ottes willen nie 6tma3; er würbe fdhöne 
9lugen madhen." 

Sie 50 g bei biefen SBorten bie 2lugenbrauen finfter jufatnmen unb 
ftridh fidh mit ©aumen unb geigefinger ber rechten £>omb haftig über baS 
Sinn, eine ©efte, bie Stöbert fdfion an bein Sanitätsrath wahrgenommen 
hatte, wenn berfefbe in erregter Stimmung war. 

©ie wohlgelungene ßopie nötljigte ihm unwittfürlidh ein Sächetn ab, 
unb baS brachte ihn feiner munteren ^Begleiterin im Stugenbtidf näher. 
6 r wagte e§ fdhon, fte etwa# länger oott ber Seite anjufehen unb in ge* 
wöhnlidhem Unterha(tungSton ju fragen: „©er $err ©irector finb wohl 
fehr ftreng?" 

„ 6 i behüte! ©er £err SanitätSrath finb ein finbguter alter $err, 
befonberS gegen ben SBilbfang oon 9tid)te, belieben aber fidh einjubilben, 
bafe fiödhftbiefelben ben 6 inbrud eines furchtbaren ©prannen madhen, wenn 
fte ein finftereS ©efidht sieben unb bie Slugen tollen; fie werben aber oon 
$ö<hftihrer 9Ji<hte gewöhnlich ausgelacht unb begnügen fidh bann bamit, 
etwas oon einem „nichtsnutzigen fleinen Söalge" in ben iBart ju brummen 
unb bie ©ünberin fanft in’S Ohrläppchen ju fueifen." . 


s* 



Julius <Scf cllt)ofcn in Btcslan. 


m 


Robert fjatte, freunblicb angemutbet unb bod) mit [eifern Äopffdbütteln 
bem ©eplauber jugeljört. Gr erfannte in bent übermütigen, non grobfinn 
nnb SebenSluft fprübenben SHäbdien baS traurige Äinb non batnalS nicht 
roieber, baS nur unter ©bränen ilpu wehmütig jugelächelt batte, als eS 
if)iu junt 9l6f<hiebe bie $anb reifte. So batte er Clara jeitber im ©e» 
bädbtnifj behalten, unb ein gut ©b c if feiner uneingeftanbenen Neigung 3 U 
ifjr mar -Dtitleib geroefen. 

©r tonnte nidjt umbin, feinem Sefrentben SluSbrud ju nerfeiben, unb 
fragte fie beSbalb mit etwas 3 ögember Stimme, was aus ihrer unglüd» 
liehen fyreunbin geinorben fei, um berentroißen fie bamals fo trofiloS ge» 
wefen. ®a mar mit einem SDtale aller ^robfinn aus ihrem ©efidjt ner» 
fdjrounben, unb traurig ben 33 lid fenfenb, fagte fie: „Sie haben Stecht, 
baff Sie micf) baran erinnern; biefeö arme Wefen war inbirect bie 35er* 
antaffung ju unferer 33efanntfdbaft, unb id) hätte baber bei unferer erfien 
Wieberbegegnung feiner gleid) gebenfen ntüffen. 2lber Sie bürfen mich 
barum nid)t falfd) beurtbeilen. $<h bin nicht fo oberflächlich/ wie Sie jefct 
oieüeidjt glauben mögen, ©He Beit, bie alle Wunben heilt, hat meinen 

Schmerj gelinbert. ©5aS arme SJtcibdjen ifi nämlich längfi bur<h ben ©ob 

non feinem Seihen erlöft. Unb wenn ich baran jurüdbente, mie ihr Seih 
noch negetirte, ja anfcheinenb fogar recht gut gebieb, als ihre Seele bereits 
geftorben mar, ba möchte ich mich beinahe übet baS uötlige Crlöfchen biefeS 
Sehens freuen. Seitbem habe ich mich nie roieber fo eng an eine Äranfe 
attachiren mögen, unb Citfel hätte es auch nie roieber jugelaffen, benn er 
meinte, ich hätte nach bem ©obe beS unglüdlichen ÄinbeS ganj fo aus» 
gefehen, als ob auch i<h bem ©rübfinn oerfallen wollte, ©ottlob, baS ift 
jefct überrounben! 3 <h mache mich auch jefet noch nach Kräften in ber 
■Mnftalt nüjjlich/ aber ich befümntere mich nur noch utn wirtbfchaftliche 2 ln* 
gelegenbeiten; bie pflege ber ßranfen überlaffe ich ben Sterjten unb 

Wärterinnen oom gach- Silber fprechen roir nicht weiter non mir! Cr* 

jäblen Sie mit lieber, roaS Sie an biefe Stätte beS UngliidS geführt hat. 
3 $ meine boch, ein gefunber unb tüchtiger SDtann müfjte eine anbere 33e» 
fdbäftigung ber erfchütternben ©bätigfeit in biefem §aufe norjieben?" 

Stöbert feufjte bei biefer grage tief auf, aber eS war mehr ein 
Seufjer ber Erleichterung. Empfanb er es bo<h wie ein roirftidbeS @lüd, 
hier einmal einer mitf&hlenben Seele fein gat^eS $erj auSfchütten unb non 
feinet Sebnfudjt nad) einem ihm felbft nod) unflaren inhaltnoHeren Sehen 
9luSbrud nerieiben ju fönnen. 

So bub er benn non feiner Äinbbeit an ju erjählen unb fdjilberte 
mit fd)lid}teu Worten fein ereignijjlofeS Sehen, unb aus jebem feiner Sähe 
flang beutlich bie Scbroermutb beS ©efangenen heraus, ber an eine [Befreiung 
noch gar uidit ju beiden gewagt bat. 

Was Clara bei feiner SDtittbeilung im ginnerften empfanb, war nidbt 
gleich s u erfennen. Sie hörte ihm jroar mit großer 2lufmerffamfeit ju. 



— Der fatcgortfdje 3 m P eta t>*>- 115 

imb in ihren beroegüdien gügen war baS '9Jtitgefü^t nicht ju rerfennen, 
bennod) aber fam feiner ber ben weiften SJtenfchen in fofc^en gätlen ge* 
läufigen inbattiofen ©roftfprüdje über ifjre Sippen, als er geenbet fjatte. 
Sie blicfte »ielmebr eine SBeile ftumm gu 23oben unb fprach bann reife, 
mehr für fidj, als gu ibtn: „Gntfagen, entfagen unb immer entfagen, — 
ber Siefrain in biefem armen Sehen!", 

Stöbert flaute fte barob erftaunt t>on ber Seite an. ©iefer efegifd;e 
©on wollte roieber gu itjrer muntern, faft mutljroitiigen 2 lrt »on »orbin 
gar nid^t paffen. ©aS SRäbchen warb ihm, ber noch wenig fDfenfeben* 
fenntnife befafe, mehr unb mehr gum Stätbfel. 

fßlötstich «ber roanbte fie if»nt roieber ibr ©eud)t mit bem fdjetmifdjen 
Säbeln, baS ibr bei ber Begrüfeung fo gut geftanben, »oll 51 t unb fagte 
gang unoermittelt: „25>iffen Sie, was baS Stliigfte ifi? Std) um gar nicht» 
fümmem; fidj alles Unerreichbare aus bem Sinn fragen unb it<b an ber 
Sonne, bie ja bodj aud) auf ben Glenbeften bemieberfdieint, freuen, fo gut 
eS eben geben roiM ®aS ift, roie Dnfel ftch auSbrücft, praftifche 5ßbilo* 
fophie. ©amit wollen mir uns für beute 2 lbieu fagen, benn bie Sefper* 
glocte roirb gleich läuten, unb bann bürfen Sie fidj auf ber ©amen* 
promenabe nicht mehr feben laffen. 2 luf 23ieberfeben!" 

Sie hotte leicht feine fjanb berührt, unb beoor er fich auf eine 2lnt* 
roort befinnen fonnte, roar fie hinter bem Springengebüfeh beS nädjften 
BoSquetS »erfchrounben. Äopffcfeüttefnb »erliefe er ben ©arten unb feljrte 
auf fein 3 lutmer gurücf, um ben Steft feiner freien 3 ät mit eifriger 
Seetüre auSgufüllen. Gr hotte fid) ein encpflopäbifcbeS Sßerf »erfchafft, um 
»orerft roenigfienS einen Ueberblicf gu gewinnen über 2lHeS bas, roaS er 
nad> unb nach fich angueignen feft entfehloffen roar. 2 tber es wollte beut 
mit bem Sefen burd)auS nid)t »orroärtS geben; er tnufete fdiier jeben Safe 
groei bis brei SJlal burdjgefeen, ehe er ben Sinn begriff. Seufgenb fdrob 
er enblidb baS Such gurücf; eS wollte ihn bebünfen, als ob ihm noch immer 
baS rechte Serftänbnife für bie Stubien fehlte, ©ennod) mad)te ihn biefe 
»ermeintliche Grfenntnife im 2lugetiblicf gar nicht unglüdlid), benn bie 
©runbftimmung feiner Seele roar beiter: Gin lieblidjeS ÜNäbcbengeitcbt, 
umrahmt »on aufgelegtem Slonbfeaar, fdjroebte ihm beftänbig »or 2 lugen, 
unb bie SBorte: „Sinb Sie eS benn wirtlich, $err Stöbert?" Hangen ifpu 
melobifch int Cb». 

®ie Grfcheinung geleitete ihn bis in feine nädjtlidjcn ©räume, unb 
am nächften ©age ging er freubiger benn je an bie GrfiiHung feiner 
febweren SfH^ten. 

GS »erging eine 3teil;e »on ©agen, an benen fein ©ienft ilpn feine 
3 eit liefe, einen Slid in ben grauengarten gu werfen, gefebroeige benn 
feinen gufe feiuein gu fefeen; audb feine ©ebanfen burfte er nicht bafein ab* 
feferoeifen laffen, benn bie Beobachtung unb SSartung ber Äranfen erforberte 
ftets bie gefpanntefte 2lufmerffamfcit, unb nur 211’enbS, wenn er ftch tnübe 



\\6 3ulius (Sefellfyofeu in Breslau. 

unb abgefpannt über fein 33udj ju beugen nerfuchte, umwehte i^n immer 
unb immer wieber wie ©eifterhauch bie ©rinnerung an baS ^otbe Äinb, 
beffeit eigentliches ©Jefen er itidjt }U etgriinben uermochte, unb baS fi<h eben 
barum täglich tiefer in fein &er$ bineinftai)!. 

©rft in ber foigenbeu 2i>oche fiatte er wieber einen freien Siadfjtnittag ; 
roll banger ©rwartuug unb jagenber Hoffnung ftanb er an feinem genfier 
unb flaute hinab auf bie 9tafenp(ät}e unb ©änge bes ©artend, bie wie 
immer um biefe ©tunbe völlig nereinfamt waren. Silber feine ©ebulb 
umrbe auf feine barte ißrobe gcftellt, benn fdjon nad) Verlauf einer Viertel: 
ftunbe fnirfdjte unten ber itieS bes ÜBegeS, unb jwifdben ben grünenben 
2}üf<hen näherte fidj bie Ijeifeerfehnte fdjlanfe ©eftalt bem ißla|e unter 
feinem genfter. 

„Sta, fomnten ©ie immer, &err Stöbert," — fagte fie fchon non 
äßeitem mit einem fd)elmifd)en 2lufblicf, — „ein ©tünbchen haben wir 
jum ißlaubern 3eit, unb i<h will über ©tandheS mit 3baen reben. 3$ 
habe über 3h re ©tittheilungen nadjgebadtf unb meine nun, ba ift viel ju 
überlegen." 

2US er bann an ihrer ©eite promenirte, fuhr fie fort: „S)aS mit 
fdjrer ©ehufudht nadh Stmft unb SBiffenfdfjaft will mir nicht aus bem 
Äopfe. 3ch habe lange barüber nachgebadbt unb habe mir norgenommen, 
einmal ernftlidh mit Shnen barüber ju reben." 

©r wanbte ihr mit einem wehmütigen Sädjeln fein ©eficht $u unb 
judte fdhweigenb mit ben 2ldfjfeln, als wollte er fagen: „2BaS hilft baS 
Stehen l Reifen fannft ®u mir ja hoch nicht, gutes ©täbdhen." 

©ie aber fdjien non biefer ©eberbenfpradhe gar StidjtS ju bemerfen, benn 
fie fuhr in bemfelbcn mütterlidjen ©öunertone fort: „©eben ©ie, ich weiß 
bauon auch nicht viel. 3h bin jwar in einer höheren ©ödjterfchule unb 
nachher fogar uod) in einem ©reSbeiter ißenfionat gewefen, aber ich habe 
bisher übet fo ernfte fragen noch niemals nachgebadbt. 2US ©ie mit 
neulih 3hr Öerj ausfdjiitteten, ba war mein erfter ©ebanfe: „dgiet fannft 
©u rathen unb helfen!" ©emt wir waren ja, wie ich meinte, red)t grünb= 
lieh in ber Äunftgefdhd)te unterridjtet worben, hatten unter ber gütjrung 
non madame la directrice oftmals bie Galerie befud)t unb mit geiftreidfer 
Seidjtigfeit über alles ©tägliche plaubern gelernt. Stadfjbft aber, wie ich am 
feiert wollte, Shnen meine Weisheit jum Söeften ju geben, ba merfte ich, 
bah ih nöllig rathloS war. Unb baS preßte mir förmlich, baS £erj sufantinen. 

©eitbent habe idj in 3hrem $ntereffe CnfelS ganje 39i6liotEjeE bur<h ; 
ftöbert, was wirflich eine fdjtetfliche 2lrbeit war. SSiel flüger bin ich 
baburdj niht geworben, aber fo niel ift mir bodh jefet flat, baf; ©ie es 
ohne Anleitung wohl faunt ju ©trnaS bringen fönnen." 

„©feinen ©ie wirflich?" erwiberte Stöbert »erjagt unb lieh ben ftopf 
hängen. 3 n feinen 2lugen ftanb Clara fo hoch über ihm an ©eift unb 
23ilbung, bah ib re 2lufi<ht für il;u bie 23ebeutung eines DrafelS hatte. 



Der fategoriftße 3 m P c * at * 0 * H" 

„ 3 a ja/' — fußr fie mit roicßtiger Betonung fort, — „e3 ift 3 U jeber 
Setßätigung be3 ©elftes Gtroa3 notßroenbig, ba3 man Sßeorie nennt, ober 
unter ttmftänben aueß Sedßnif, unb ba3 rnaeßt einem »iele 33iüf)e unb fßlage, 
benn ba3 gerabe ift e3, roa3 einem nidE)t uermöge ber glüdtidien 5Ratur= 
antage gegeben ift, fonbern road man im ©dßroeiße feines 2 tngeficE)tS nad) unb 
nadj erlernen muß. 3 cß roeiß felbft ein Sieb baoon ju fingen. 3 dj fjatte immer 
Snft unb Siebe für frembe ©praßen, unb e§ fiel mir ganj teidfit, franjoiifcf) 
unb englifcß fpredßen 31 t fernen; aber ba mar fo oiet unauäfteßlfaßer Äram, ben 
man fidß müßfam einprägen unb begatten mußte: unregelmäßige 3Lter6en , 
gramntatifdße Siegeln u. f. ro., baß einem ba3 ©pradßftubium faßr batb »er» 
leibet mürbe, eße man nodß baju fam, bie ßüb faßen Südjer in ber fretnben 
©pradße ganj ju tefen unb ju »erfaßen. 

Seßen ©ie, ©ie 2 lermfter, fo roirb’3 Sßiten audj geben, benn oßne* 
Secßnif giebt e3 feine SJtalerei; bie teibige Secßnif ift bie unerläßtieße ©es 
btngung, im ©pradjftubium roie in ber SJtalerei." 

Stöbert nidte juftimmenb mit beut Äopfe. Sine 9tßnung oon bem, 
roa3 fie ba fagte, mar ißm faßon tängft aufgegangen, unb feine mit Gifer 
betriebene Seetüre ßatte ißm biefe Slßnung meßr unb meßr beftätigt. 3a 
traurigem ©dßroeigen faßritt er nun neben feiner Segleiterin ßer; baß aud) 
fie ißm feinen befferen Sroft fagen fonnte, raubte ißm fdßier allen Sebent 
mutß, unb bumpfe Siefignation begann roieber feine ganjc ©eete ju erfüllen, 
mie eßebem, ba er nodß gar nidfa ju ßoffen gemagt unb nur unfair em= 
pfunbett ßatte, baß ba3 Seßen für ißn eine ©träfe fei, roenn e3 ißm nidßt 
gelinge, eine geroiffe £>öße ju erflininien, oon mo er freier unb roeiter au3= 
bliden fönne, als in bem engen ff reife, ba ba3 ©djidfal ißn ßatte 311 t 
22 e(t fomtnen taffen. 

Clara bemerfte feine Setftimntung, unb ba fie raoßl füßlte, baß fie 
bureß ißre SBorte roefentlicß baju beigetragen, fo glaubte fie fieß »erpflidßtet, 
ißn nad) fträften 3 U tröften unb aufjußeitern. Sie Siefe feiner feßmerj; 
»ollen Gmpfinbung fonnte fie freilidß nießt begreifen, aber mit roeiblicßem 
fyeingefüßl traf fie boeß ben ridßtigen Son, um ißn menigftcmJ im Singen- 
blid bie Sittentiß »ergeffen 3 U madßeit, bie ißm nadß fuvjent ^offnung^ 
raufdße ben ©efeßtnad am S5afein »öllig 311 »ergäüen broßte. 

©ie begann unbefangen 3 U plaubent, at3 ßätte gar feine ernfte grage 
fie eben befcßäftigt, fpraitg oon einem Sßema auf’3 anbere über unb mar 
plößlidß mitten in ißrett fUnbßeitäerinnerungen brin, bie fie mit allerliebfter 
SJtunterfeit aufsufrifaßen mußte, fobaß ißr feßroeigenber 3 ußörer ißr untuill- 
fürlidß folgen mußte unb nad) unb nad) in bie 3 lfofion »erfaßt mürbe, a[3 
ßabe er felbft »on Anbeginn in ber ©pßäre gelebt, beren rocdjfelnbe Silber 
fie mit anmutßiger Sebenbigfeit feßilberte. 

25ie in einem fußen Sraunt »erloren, ßörte er fie »on ißrem Sater 
er 3 äßlen, ber ein namßafter 3 ngenieur gcroefen unb mit 23eib unb ftinb 
»on Sanb 31 t Sanb ge 3 ogen mar, um im Sluftrage »on ^Regierungen unb 



H8 3ulius <5c(eIll)ofeii in Sveslau. -* — 

^rioatgefetlfchaften ^rojecte für neue Gifenbahntinien ju entroerfen, ©treden; 
unb ©unnetbauten auSjufübren unb überall ber Gioilifation unb bcm 
internationalen 33er(efer neue SBege ju erfdjliefeen. ©eine ifJtiantafte warb 
mastig angeregt. Gr flaute fetter Sanb unb Seute, wie fie bamats ber 
(inblidien Seele beS aufgeioedten $)täbchenS fi<h eingeprägt Ratten unb nun 
uon il)t in roofelgetungenen ©(ijjen roiebergegeben mürben. 

Unb als bie Grjätjlerin bann auf traurige (Erinnerungen (am unb ben 
eutfefetidben Stbenb fdntberte, ba bie Seute ben Sater, ber in feinem Serufe 
oerungtübft mar, leblos tjercintrugen in baS rumänifcfee 2BirtfeShauS, roo 
er mit feiner fyamitie SBofenung genommen, — als jte übet bie 9tü<ffef)r 
ber SBittme unb SBaife nach ber Heimat berichtete unb uon ben trüben 
©agen fpradfj, bie nun in enbtofer Slette für fie ftch aneinanberreihten, ba 
. überwältigte ifjn baS ©efüf)l, unb er brüdte roatm unb innig ihre beiben 
£änbe, bie fie if)m unbefangen einen SttugenblicE übertiefe. 

3tuf biefe SBeife roar bie ©tunbe, bie bem feltfamen ißaare ju oer= 
ptaubern oergönnt mar, im £anbumbrefeen bafjin. 2lts baS ©lödflein auf bem 
(leinen £tjurnte beS ©irectorialgebäubeS bie 3eit ocrfünbete, ba bie weiblichen 
.(Iranfen ben ©arten befudjen follten, meinte Stöbert, ber 4jauSmeifter nmffe 
fid& roofel uerfefeen unb um eine ©tunbe $u früh geläutet haben. Gr (ehrte 
in fo froher Stimmung roie lange nicht, in fein 3i mm et jurücf, unb an 
biefent 9lbenbe blieb fein Sudfe auf bem ©ifdje jugeflappt liegen, roährenb 
er felber auf bem (leinen Seberfopfea fafe unb traumuerloren in meite 
fernen fdjaute. 

2lber es maren nidjt bie mehmuthbüfteren Silber uon ebebem, bie ihn 
jefet befdbäftigten. 

Siidjt uon unerreichbaren 3ielen, nicht uon einer SBirffamfeit auf beS 
SebenS ^götje träumte er, fonbern non einem ftitten ©Ificf in trauter 
^äusticfjfeit, unb roenn er fid)’S audfi nimmermehr eingeftanb, fo maren hoch 
GlärdjenS 3lugen bie ©terne, uon benen ber inilbe ©tan$ biefes ©litdeS 
auSging. 

©eit ber 3eit roar eS ftiHfdEjroeigenbe Ueberein(unft jroifchen ben Seiben, 
bafe er jebeSinal an feinem bienftfreien Siadjmittage fid; im ©arten einfteUte, 
roo fie if;n immer fcfion erroartete. Unb bann mürbe nach ^erjenStuft 
geptaubert; er berichtete uon feinen Grtebniffen im ©ienft; befonberS intern 
effante gälte eiitjelner Oranten mürben befprodjen, unb fie erjählte bieS unb 
jenes aus bem Seben ber ©tabt, aus ber OJefettigfcit unb aus beS DntelS 
^janfe; von feinen begrabenen 3ufunftSträutnen aber roar nie roieber 
bie Siebe. 

3n ber Siegel maren fie fröhlichen SOlutheS, junt Sachen unb ©dherjen 
aufgelegt unb recht eigentlich geftimmt, ben Slugenblid ju geniefeen. Slur 
manchmal überfam es fie roie ein plöfeticheS ©idtjbefinnen, mie ein auf 
btifeenbeS Seumfetfein, bafe bie harmlofe greube nicht eroig mähren (önne, 
bafe eine ©efafjr fich bafnnter berge, unb bafe eine rauhe Störung fie uns 


Der f dtcgorifdjc 3mperatip. 


U9 


cermuthet fdjrecfen werbe. [Dann erriet!) wohl eines inftinctio beS Slnberen 
©ebanfen unb würbe in gleichem SJtafte bacon ergriffen. [Dann gingen fie 
wof)l eine 2Beile fdjroeigenb neben einanber ber, eines oerftoijien auf bas 
Shtbere fd&auenb, bis ©iara uncermittelt aufladite unb mit einem 
glücRid» gefunbenen Sd)er}worte bie ©erftimmung löfte. 

einmal — es war fdfion fpät im #erbfte, unb baS com SBinb auf 
ben ÄieSweg jufamtnengewirbelte fable Saub mahnte emftlid) an bie ©er* 
gänglidjfeit alles ^frbifdben — fonnte and) baS fonft alljeit heitere &inb 
baS erlöfenbe 2Bort nicht fogleid) ftnbeit, unb wäbreitb hoch in ben Säften 
bie Stimme beS $erbftwinbeS unheimfid; Ragte unb bie Wetterfahne auf 
bem ©locfenthürmchen mifetönig fnarrenb fid) um unb um bretjte, ftanben 
bie beiben frifchen SJtenfchenfinber unter einer fdfier entblätterten Sinbe 
fdjmeigenb einanber gegenüber, unb es war ihnen fo ju SJtutlje, als ob fie 
nach einer furjen Stunbe harmlofen ©lücfeS 2(bfdjieb con einanber nehmen 
follten für baS ganje Sehen. 

„Schauen Sie," fagte enblidj Stöbert, beffen ©liefe [ich riid)t con ber 
Crrbe erhoben hatten, „bort blühen noch ©eilchen im Stafen; es finb wohl 
bie testen in biefem Qahre." 

Unb er büefte [ich, um bie ©lümdjen ju pflftcfen unb ju einem Reinen 
Strauhe p orbnen. 

„3a, ja," entgegnete fie mit gepreßter Stimme, „pflüefen Sie alle ab ; 
bie armen [Dinger würben fonft im Stadjtfrofte cerberben." 

Sie nahm mit banfenbem Äopfnicfen baS Sträufjdjen aus feiner £>anb 
entgegen unb fog tief athmenb ben füjjen ®uft ein, währenb fte Söeibe 
lanpfam weiter promenirten. 

Sie werben wohl im SBinter oftmals große ©alle befugen?" ihub 
Stöbert nach einer fangen ftummen ©aufe an. Gr wu|te eigentlich uidjt, 
wie er }u biefer grage tarn; er fühlte nur, baß er irgenb GtroaS reben 
muffte, um bie Sdjwere ber Situation ju brechen. 

„Stein!" erwiberte fie für}, faft hart; „mir finb foldje banale ©er* 
gnügungen in ben £ob }uwiber. ©alle unb begleichen tnag idh einmal 
gamicht leiben, fo unwirfdf) Dnfel auch jcbeSmal fdjilt, wenn fold) ein fo* 
genanntes ©ergnügen in Sicht ift unb idj midh gegen fein gutmütiges $u* 
reben eigenfinnig firäube." 

Stöbert fd&ante fie barob mit unoerhohlenent Grftaunen an. Stach feiner 
allerbingS }iemlidh unRaren ©orftellung beftanb baS Sehen ber [Damen aus 
ber romebmen ©efeUfdiaft nur aus eitel Sufibarfeiten, unb es fiel ihm fett 
erft plöfclich auf, bafj er Glara ja nur als fdjlkhteS S)täbd)en im einfachen 
$auSReibe fannte, unb bah fie baher mit bem ©ilbe, welches er [ich i>m< 
einer eleganten Safonbame gemacht hatte, eigentlich gamicht übereinftimmte. 

3hre Slntroort erfüllte ihn beSfjalb im ©runbe feiner Seele mit auf» 
rid)tiger greube, unb hoch mochte er ftd» bicS wieber nicht eingeftchen. 
©erwirrt blidte er }ur Seite unb ftotterte cerlegen: 



*20 


3ulius (Sefelltjofen in Breslau. 


„Serjeifeen ©ie, id) bncEite blo3, weil Sie — — fo ein oornefemeS 
Fräulein muß bod) " 

„2lfea," fagte Clara barauf pifirt, — „nun weife idj bod) wenigftenä, 
mit welken 3lugen ©ie mid) anfefjen. ©ie galten mich für eine gewöhnliche 
Zierpuppe, wie fie auf beit fßromenaben, in ben Concertfäten u. f. w. ju 
Sufeenben feerumlaufen. fRun ja, bie Herren in ber ©efedfcfeaft erwarten 
ja oon ben jungen Hiäbdjett nichts 2lnbere3, warum fotlten ©ie ba nid^t 
ebenfo beulen?" 

Sßieber entftanb barauf eine längere fpaufe, ba SRobert, burch ihren 
geregten Sott erfdjredt, betroffen fcfewieg unb wie ein ertappter -äJtiffetljäter 
fein tfjaupt feufte. s J!ad) einer SBeile fdjien ifer jebodj bie feerbe Butedrt* 
weifuttg leib geworben ju fein, benn fie bängte ficfe fcfeweigenb an feinen 
2lrm unb führte ihn, bie uuterbrod)ene fprontenabe fortfefeenb, ben fßarfweg 
entlang weiter, immer ben ©arten non einem Cnbe bis jum anberen 
butcfetneffenb. 

Cr liefe fid) leiten wie ein Jüinb unb machte in feinem ©djulbbewufet* 
fein auch leinen Serfucfe, bie Unterhaltung wieber anjnfnüpfen. 

Clara fafe Um wieberbolt mit einem erwartungSooüen SSlide, in bem 
eS faft wie eine ftnnune Sitte glänjte, non ber ©eite an; at» er aber 
gamidits banon bemerlte, prägte fid) wieber ein jorniger Stofe in ihren 
Bügen aus, unb wieber ging bie fdjmeigenbe fßromenabe ein paarmal im 
©arten auf unb ab. Cublicfe fd)ien es baS Heine gräutein bocf) fatt be= 
tommen ju haben, ©ie blieb entfdjloffen flehen unb fagte in ärgerlichem 
Sone: „SBenn ©ie mid) bis an’S Cnbe ber Sage fo bur<b ben ©arten 
fdjleppen wollen, fo erlauben ©ie wenigftenS, bdfe ich mich erft ein wenig 
auSrul)e; id) bin mübe geworben, unb unterfealtenb tft eS wirllich auch nicht." 

fRobert fuhr entfefet aus feinem trüben ©innen empor, aber feine 
ängftlidje Seforgnife, bafe er fid) unfcfeidlid) betragen habe, wich fofort, als 
er feiner ^Begleiterin in’S ©efid)t fal), aus bem jefet mit einem 2RaIe aller 
2Rifemutl) gefdbwunben war. 

Unb wie er fie fo mit betroffener 2Rietie anfehaute, ba bradh fie 
plöfelicfe in ein lautet, luftiges Sachen aus, fafete il)n an beiben fänden 
unb bretjte fid) mit ihm um uub um, wie bie Äinber, wenn fie „2RÜ hie* 
jiehen" fpielen. 

„SBiffen ©ie, bafe ©ie furchtbar lontifch auSfefeen, wenn ©ie foldfie 
2lugen machen?" fagte fie bann tief aufatfemenb, inbem fte ficfe oor ihn 
hinftetlte unb feinen ©eficbtsausbrucf ju copiren fuchte. 2lber gleich barauf 
würbe fie wieber emft unb fuhr mit einem halb unterdrücken ©eufjer fort: 
„3dj treibe ba fcfeon wieber meine hoffen unb bin hoch eigentlich garnicfet 
in ber ©timmung baju. Sie Stauer ber abfterbenben fRatur mad)t mir 
immer baS &erj fo fiferoer, unb wenn id) allein bin, ift mir oft fo bange, 
bafe icfe weinen mufe, ohne einen befiimmten ©runb bafiir ju haben, ©ie 
haben mid) gewife immer für einen muntern Sollfopf gehalten, ber gar feine 


Des fategosifdje 3 m P era *' r - 12\ 

(Sorgen uub Äümnierniffe fennt, aber ba haben Sie mich wirtlich fatfcb 
beurteilt. 34 h a be fdion fcfjvedlic^e ©eelenfätnpfe bur^jumacben gehabt, 
uub manchmal habe icf» mein ganjeS Seben nerroünf d)t, weil e3 mir in foldjeu 
trüben ©tunben fabe unb nuß(o3 erfd;eiitt, meü icf) leinen nernünftigen 
3mecf erfennen famt, unb weil e<3 mich anroibert, mich fo oon Dnfel 
unb £ante netroöhnen unb oerf)ätfrfje(n ju taffen, ohne emftlid) ©tron3 
3 u leiften. 

„2ldj, icf) merbe au3 tntr fefber nicht Hug!" fuhr fie nach einer $aufe 
fort: — „meine ©runbfUmmung ift tief traurig, aber bann pacft e3 mid) 
plöfclidj mieber mit unn)iberfteE)tid^er ©eroalt, unb icf) muß taut auflachen 
unb tollen wie ein auSgefaffeneä SUnb. 2 ldj, ich bin fo ungtüdticb, fo un* 
glüdlid), id) famt e3 garniert augfpredjen." 

Unb nun« begann fie wirtlich bitterlid) ju meinen unb febfud^te fo 
troftlo3 auf, baß 3tobert barauf ein tiefe3 2Bef) im £erjeit fünfte. ©r 
hätte fie fo gern beruhigt unb ißr tröftenb sugefprodjen, aber ibm oerfagten 
bie SBorte, unb jebcSmal, menn er anfangen roollte ju reben, batte er ba 3 
unbeftimmte ©efüßl, baß 2llle3, roaS er etma lagen lönnte, bem roeinenben 
Äinbe in bie Obren Hingen müßte roie fabe3 läftigeS ©efdjroäb. Unb bod) 
brängte e3 ibn mit elementarer ©eroalt, i()r beijufteben, ibr begreiftief) 31 t 
machen, baß er ihren Sdmterj nerftebe unb mit ibr fiibte roie ein Sater, 
roie ein 23 ruber, wie 

©eine ©ebanfen nerroirrten fidf), unb ebe er redbt wußte, roa3 er ge= 
tban, hielt er ba3 fd)lud) 3 cnbe 3Jiäbdf)en in feinen Strmen, brüdte ibr @e= 
fidjtcfjen an feine Söruft unb Hißte teife ben teidf)t gewellten ©djeitel. 

©ie mehrte ihm nidbt, foitbern lehnte fidf miibe an ihn, roie ein 3Unb, 
ba-3 am ^erjen ber 2Rutter feinen $arnt oergißt. 

Sa tönte plößlidh ba3 Sefpergtödlein ootn Sburme, ba3 ihnen bie 
©cbeibeftunbe mit graufamer ißünltlidjfeit oerfünbete. ©lata fdjraf bei ben 
illängen roie au3 einem tiefen Staunte empor; ein jähes 9iotb flammte in 
ihrem 2lntlifc auf, unb im näd)ften Slugenblicf fühlte Stöbert feinen £al» 
non 3 roei weichen 2lrmen umflatnmert, leibenfdjaftlicf) preßten ihre Sippen 
ficb auf bie - feinigen, bann hörte er nod) ein bebenbeS: ,, 2 eb’ roobl!" baS 
halblaut ihm in’S Dbr Hang, unb roie bie SBoge emporgebrauft, fo roar fie 
oerfdpounbeu. 21(3 er anfing, fid) auf fidb felbft 31 t befimten, flaitb er 
allein unter ber entblätterten Sittbe. 

3bttt fdjroinbelte ber $opf, roäbrenb e3 ihm im $erjen nor unsagbarer 
©eligfeit fdjier bange rourbe. ©3 roar ihm, a(3 ob er ptößlid) in eine 
ganj frembe SBelt oerfefct worben fei, unb wie [ein ©djlafroanbeinber ging 
er non bannen. 

Sen 9teft be3 Sage3 oerbradite er ftiH auf feinem 3> l ” n,e r- Gr 
fdjroamm in einem 2 Jteer non ffionne, unb bie ääogen ber ©lücffeligfeit 
fdjlugeti über feinem Raupte 3 ufammeu. Ohne baß feine fßbantafie fiel) 
fefte Silber au3 bem gefügigen Slaterial ber 3 »funft formte, leuchtete e3 



\22 


3ulius (Sefclltjof eit itt Breslau. 


bod» feinem geiftigen 2lnge entgegen wie eitel Sicht «nb Sonnenfehein, unb 
ihm bäumte, bafe fein SebenSfdfifflein itad) langer langer ^aljrt in bleiernem 
Dlebelgrau ber jQnfel ber Seligen jufieuere. 

* * 

* 

2lm nädjfteit ©age mar ber Diaufd) »erflogen unb feine Stimmung 
in’8 gerabe ©egentfeeil umgefd)lagen. ©en ®ag über hielt ihn ber ©ienft 
in beftänbiger Spannung unb liefe ifem feine 3eit jum ©rübetn unb 
©reinen, aber als bie 3 ß it ber Dtufee feeranfam unb er in feinem einfamen 
3immer<ben fidj felbff unb feinen ©ebanfen überlaffen mar, ba fain ber 
Sommer junt DluSbrud). 

©er arme Diobert fühlte fich roie ein Verbrecher, ber ein föftlidje» 
ftleinob geftoblen fjat unb nun »olt ©eroiffenSbiffen gefoltert roirb, aber hoch 
nidjt meife, roie er feine DJtiffetfeat füfenen fott. 

Gr hatte fre»cntli<h ben Seelenfrieben beS armen ÄinbeS geftört, unb 
Glara, hiugeriffcn »on ber ©eroalt beS 2lugenblidS, roar ihm in bie 2lnne 
gefunfeit. ©afe er auf biefem 2Bege nicht weitergehen burfte, roar ihm 
ganj flar. 9lber roie baS ©efchchene »ergeffen machen? 2Bie ihr roieber 
»or bie Singen treten? ®aS waren bie fragen, mit benen er fi<h fein 
£irn jermarterte, unb für bie er bod) feine Söfung finben fonnte. 

2Bie hatte er es nur wagen fönnen, feine &änbe ju fo unbefdjeibenem 
Verlangen auSjuftreden? Unb wie roar eS nur möglich geroefen, bafe fte, 
bie »ornchme ©ame, bem fdjlidjten unbeholfenen ©efellen eine fo unerhörte 
©unft bezeugte? ©eroife hatte er ihre Sinne burdf fein betragen »erroirrt, 
unb baS arme ^fiitb roar jefet in bittere Dieue ob folget Selbftoergeffenheit 
»erfunfen. Gr empfanb aufridfeig eine tiefe Scham über fein Verhalten unb 
roufete bod) nidit, roa§ er anfangcu foHte, um fein Vergehen roieber gut 
ju madjen. 

Diach langem 9iad)benfen unb nach fchnterjoollem Kampfe mit feinen 
gebieterifdj ihr 9ted)t behauptenben ©efül)len befdjlofe er, als ehrlicher SDtann 
»or bie ©eliebte Ijinjutreten unb ihr ben UeberfaU bemüthig abjubitten. 
Gr wollte il;r fageu, bafe er in einer augenblidlidien Verwirrung gehanbelt, 
bie ihm felber nod) jefct unoerftänblid) fei; bafe er aber wahrhaftig nie mehr 
wagen werbe, ihren äßeg 'ju freuten unb fie in fo unjiemlidier SCeife ju 
beunruhigen, ©ann, hoffte er, werbe fie ihm roofel noch einmal freunblich 
bie $anb reifen unb »crföhnt »on iljm fdieiben. 

©er Gntfdjlufe hatte ihm harte Ueberroinbung gefoftet, aber er erfüllte 
ihn bafiir and) mit bem tröftlidjen Vewufetfein recfjtfdgaffener ^Pflichterfüllung; 
fein ungeftiim ftopfenbeS £crj beruhigte fi<h barauf ' ein wenig, unb gegen 
Georgen fanf er enblicFi im Sdjlaf. 

®ie 2lu3füt)rung war ihm inbefe vorläufig unmöglich, ba ber ©ienft 
Um »erhinberte, Glara im ©arten aufjufuchen, unb fidi auf anberem 2Segc 
ihr ju nähern, fie innerhalb ber £iuiS(kbfeit ifjrc§ CheimS aufjufudjen, 


Der fategorifdje 3»»pcratio. 


123 


hätte er unter feinen Umftänben wagen mögen. $u fcfjriftUc^er 3)littheilung 
aber war er nie! ju ungewanbt, unb ba ifjrn biefe Art ber AuSfpradje 
überhaupt ni<f)t geläufig mar, nerfiet er aud) gar nid)t auf ben ©ebanfen. 

So muffle benn ber bebeutfame 2Cct, ber ihm wie eine mit Rarem 
Sewufflfein geplante unb befdjloffene Selbftpernidjtung erfdjten, auf feinen 
nädjjlen freien 9tadpnittag uertagt werben, ©aff fid) baran nod) etwas 
änbem fönne, war für tljn »eilig auSgefdiloffen. Gr war mit feinem Gnt« 
fd>(u& fertig unb füllte fid) 3JtanneS genug, tfjn auSjuffiljren. Unb bod> 
tarn es ganj — ganj anberS. ©aS Sd)idfal griff mit ftarfer $anb ein, 
unb im Augenblid war bie Situation oöHig »erfdioben. 

stöbert ging ben ©ag über umher, wie in einem tiefen Traume be« 
fangen, »errichtete aber troßbem mit gewohnter ^ßünftlidifeit feinen ©ienft. 
©egen Abenb, als er gerabe einen Äranfen, welker ber forgfältigften 
Sßartung beburfte, in feiner 3 ede ju Sette gebraut hatte, würbe er plötjlidj 
jum ©irector betrieben. 

Gin heftiger Scfjrecf burd)ful)r ihn, unb roährenb er ben Gorribor 
entlang ging. Hopfte ihm fein $erj jum 3 erfpringen, benn er glaubte nidfl 
anberS, als baff bie biScrete Scene im ©arten »on einem ÜJtifjgiinftigen 
belaufet unb »erratfjen worben fei. 

Gr befchlojj barum, alle Sdjulb auf ftch ju nehmen, was ja aud) im 
SBefenttidjen feiner bisherigen Attffaffung entfprad), unb fid) felbft als einen 
fdjamlofen SBüftling hiujuftellen, ber baS arme -Dtäbdien meudilingS über« 
fallen unb in feine »erlangenben Arme gefdjloffen habe. 

Sein heroifdjer Gntfdhlujj erwies fi<h als burdjauS überflüffig. ©er 
alte §err war aUerbingS augenfdjeinlid) in großer Grregung, empfing ihn 
jebodj überaus freunblidh unb nötigte ihn mit fanfter ©ewalt, fßtafc ju 
nehmen, was ihm in Anbetracht feiner bienenben Stellung beinahe pein« 
lieh war. 

„3$ habe emen fdjroierigen unb fehr oerantwortungSoollen Auftrag 
für Sie," — begann ber ©octor, mit neroöfet ßanbbewegung feinen Sart 
ftreidjenb; — „Sie fönnen mir burdj bie Ausführung jeigen, was Sie ju 
ieifien im Stanbe ftnb. Unb bafj id; gerabe Sie baju auSerfeljen habe, 
möge 3huen ein SerceiS meiner Bufriebenheit mit 3h*em bisherigen Ser« 
halten unb meines unbebingten Vertrauens fein." 

SRobert horchte hoch auf, ba bie Anrebe fo ganj anberS lautete, als 
er erwartet hatte, ©er ©irector fuhr lebhaft fort: 

„Vor einer Viertelftunbe hat man mir gemelbet, baß ber Äranfe oon 
3tr. 57 entwidjen ift. Sie wiffen ja, ber junge SJtann, ben Sie oertretungS« 
weife felbft eine furje 3eit beaufiidhtigt haben, Varon »on Sd)enf, ber 
einjige Sproß eines uornehmen unb fehr reichen Kaufes. Gr hat feine 
gludjt mit bewunbemSwerther Schlauheit bewerffteHigt, was man bei ©eifteS« 
tränten ni<ht feiten fhtbet. VtS jefct fehlt uns jebe Spur; i<b glaube aber 
aus »erfdnebenen GrwSgungen ©runb ju ber Annahme 51 t haben, baß er 



3itlius (SefeUtjofen in Srestau. 


ftcf) nad; SB. gewanbt feat, wo U)n aus feinem früheren Leben mannigfache 
SBejieljungen mit ber ©efetlfdjaft »erbinben. Sie feabe idj nun baju auS; 
erfefeen, bafe Sie feine Spur auffiufeen unb iljn jurüdbrhtgen. ©er Auf- 
trag erforbert uiel Umfidjt, ^(ugfjett unb ©ntfdiloffenfeeit, benn es ift ferner, 
hinter bie oft unglaublich feinen Sdjlidje eines Qrren ju tommen; unb if)m 
im geeigneten Söioment mit Erfolg entgegenjutreten, bringt oft grofee ©e= 
fa^r. SDtadjen Sie fidj ohne Säumen reifefertig, bafe Sie nodj ben -Jtadit: 
fc^neHjug benüfeen tonnen, £ier ^aben Sie ©elb; Sie brauchen bamü, 
menn’S 9totf» tfeut, feineSroegS ju fparen. Scfetimmften gaüs forbertt Sie 
audj telegrapfeifd) mehr. Unb nun ©ott befohlen! SDtadien Sie, bafe Sie 
nidjt uimerrid)teter Sache surüdfomnten. ÜMneS »erbinblid&en ©anfeS 
fönnen Sie »erfic^ert fein." 

©amit Ijatte fidj ber alte &err erhoben, reidjte ibnt ein mit SBaith 
noten gefülltes ©ouuert unb geleitete ibn, jur Eile brängenb, bis jur ©bür. 
inbem er nodj tjinjufügte : „©ine Legitimation, wenn Sie etwa bie §ilfe 
ber SBefeörben in SÜnfprudj nehmen muffen, liegt fjier bei." 

SRobert ftanb auf bem ©orribor einen 2lugenblid roie betäubt ftiH. 
©itie ioldje 2luSjeidjnung tiadj üerhältnifemäfeig fo furjer ©ienftjeit feätte er 
nie ermattet.. ®ie Dberwärter unb feine älteren ©ollegen mußten ibn ja 
barum beneiben. 2lber er rootlte ficf) auch bei Vertrauens roürbig jeigen, 
unb wenn ber fjrlüdjtling fid) nicht in ber £ölle fetbft »erborgen batte, fo 
wollte er ibn fdjon jurüdbringen, fofte es, was es wolle. 

Seine eigenen 2(ngelegenbeiten mußten natürlid) angefidits biefer emften 
S£flid)t jurüdftefeen. ©lara! ©inen 2lugenblid übertam ibn bei bem Se- 
balden an fie unb an feine Sdjulb ibr gegenüber ein ©efübt ber Unent= 
fdjloffenfeeit unb lnutblofen gagfjaftigfeit, aber im näcbften SJtoment fagte er 
ftd), bafe ibrn nüfets 2lnbereS übrig bliebe, als bie Süfene bis nad) feiner 
Stüdfeljr ju uerfdjieben. 

©r reifte alfo unnerjügtiefe ab unb befanb fiefe am nä<f»ften SDiorgen 
bei ©ageSanbrucfe in ber großen ^anbelSftabt SB., bereit märchenhafter 3ieidi- 
tbum unb oornebmeS Le6en ibnt aus einer SReifefdjilberung betannt war 
unb beSfjalb wäbreitb ber näd)tlid)en fyabrt lebhaft feine fß^antaftc befd)äftigt 
batte. ©S blieb if)tii jebod) febt feine ßät ju Beobachtungen unb Stubien, 
wie er fie für fein Leben gern gemacht hätte, benn fein spflidjtgefüfel liefe 
ifen ben $roed feiner Steife .nicht eine Secunbe aus ben 2lugen »erlieren. 
©eSljalb ttabnt er nur ein griibftüd int SBabnljofSreftaurant ju ftd) unb 
ging bann gfeidj mit Untfidd an bie 2luSfübntng feines fdiwierigeit Stuf 
itageS. Qu ber erftett SBud)bnnblung, bie ibnt auf feinem SIBege auffiel, 
taufte er fid) einen Spion ber Stabt, orientirtc fid) fdjnell unb fidjer, he- 
jeidjnete fid) barauf mit SKotbftift bie Raufer, in benen nach 2lngabe beS 
©irectorS Vefannte ober SBerwaubte beS Flüchtlings wohnten, unb begab 
fid) bann geraben STBegeS nadj ber Sfßotijeibirection, utn fid) ber tbatfräftigen 
llnterflüfeung ber SBehörbe für alle Fälle jn uerficbern. 


/ 


1 



Der fategortfdje 3 m P era ^°‘ 


i 25 


9?adj wenigen ©tunben fefeon wußte er beftimmt, baß 33aron £ dient 
in ber 3^at £agS junor in SB. angelangt war; nur wo er fidf) einlogirt 
batte, ließ fid) twr ber $anb nod) nicht herausbringen. SDarob machte fid) 
inbefe SRobert feine Sorge. Gr jagte fidfj, bafe ber $rre, bem baS jtrenge 
Internat in ber Slnftalt jebenfaUS überaus läjtig gewefen, feine Freiheit 
iweifeHoS baju benüßen werbe, feine früheren ©ewofenljeiten wieber aufjm 
nehmen unb baS Sehen in gierigen 3ügen ju geniefeen. 

Gin Sßotijeibeamter, mit bem er fief) rafdfj befprodjjen, hatte ihm uer= 
ratfeen, bafe in einem neuen am «Strome fidj entlang jiefeenben ©tabttljeile 
ein Keines nerfdjwiegeneS SIBeinreftaurant fidj befinbe, wo bie gotbene 
3ugenb non SB., bie ©ohne ber ©rofefaufleute, 9H)eber u. f. w., ihre Sehens 5 
luft auSjutoben beliebten. 

©ortfein wanbte fidj 9iobert in ber 3)tittagSftunbe, unb gleich beim 
Gintritt hotte er bie ©enugthuung, ju fefeen, bafe feine Gombinatlonen 
burdfjauS richtig gewefen waren. 

$n bem mit fybaritifdfjem SuyuS auSgeftatteten ©alon fafe eine ®e= 
fellfdhaft junger Herren jufammen, beten Unterhaltung überaus lebhaft unb 
augenfdheinüdfj fehr heiter war, benn bem Gintretenben fefjott ein IjomerifdbeS 
©elädjter entgegen, bas fidf) in furjen 3mifdfjenräumen immer wieberljolte. 
Ginige braHe £eben in faft olytnpifdjen Goftümen fteUten bie beliebte bunte 
SReifee her, inbem fie tljeils jwifefeen ben lebensluftigen 3ecE)ern, theils auf 
bereu SKtien fafeen, unb ben SBtittelpunK ber ©efeHfehaft bitbete ein junget 
ßerr, beffen wie ein SBritlantfeuenoerf hetoorfpntbelnber SEßiß bie Reiter? 
feit ber Uebrigen fo lebhaft entfeffelte. 

SRobert erfannte in ihm fofort ben, welchen er fudhte. Gr wollte 
ntöglidfjft wenig 2luffehen erregen unb abwarten, bis bie Herren aufbredhen 
würben, ober bis fonft eine günftige ©etegenfeeit fich böte. 2ttS er aber im 
entfernteften SEßinfet an einem Keinen SCifdhe fi<h niebertiefe unb eine ber 
Grebenjbamen fidfj anfefjidte, nach feinen SIBünfdjen ju fragen, wanbten fidj 
mehrere ©efidjjter nadh bem neuen Sttnfömmling um. 

©aburefe würbe audh ber gtüdfjtüng aufmerffant, fdjjaute nadh ber £f)ür 
hin unb erfannte auch ihn auf ben erften 33tid. 

®ie nun folgenbe ©eene fpiette fich mit 231ißeSfd)nelIe ab. ®er 
flüchtige $rre, weldher bis baljin fidf> ganj »ernünftig betragen hatte unb 
feinen geefegenoffen nur burdh feine tolle SüuSgelaffenheit aufgefallen war, 
würbe burdh ben SSfobtid beS SBärterS ju einem SHSuthauSbrudij angeftadhelt. 
Gr ergriff einen mit Gis gefüllten Gfeampagnerfübler, fdhleuberte ihn mit 
SBudht gegen ben nerljafeten Verfolger, ber bem SJBurf nur mit SDJülje aus= 
juweiefeen oermodhte, unb im nädfe'ten 2lugenb(itfe flogen red)tS unb linfs 
©tühle unb anbere ben 4?änbcn beS SRafenben erregbare ©egeitftänbe burdh 
baS 3immer. SBei ber baburdh hernorgerufeuen allgemeinen SBerwirrung er= 
reichte SBaron ©dhenf leidet bie SEtm*; bort fdhleuberte er einen iljm in ben 
SIBeg fommenben ßerrn mit foldier ©ewalt gegen SRobert, bafe biefer 



\26 


Julius (Sefcllljofen in Breslau. 


äurüdtaumelte, unb mar terfdjrounbeti, beoor noch ©iner ber 3lnroefenben 
ben ©ebanfeit faffeit fonnte, bafe hier ein fc^neUcS Vorgehen notfe* 
roenbig fei. 

Stöbert roar jeboch nur einen Slugettblid in Folge beS heftigen ©tofeeS 
perpiep geroefen, bann raffte er fidf) auf unb folgte bem Flüchtling auf bem 
Fufee, ohne fich um bie ängftlicheit SWufc unb Fragen ber 3utüdbleibenben 
im ntinbeften ju {Ammern. 

3113 er auf bie ©trafee hinaustrat, fab er Feiten gerabe noch um bie 
näcbfte ©de biegen; er nahm bie Verfolgung fofort mit ©nergie auf, unb 
Viertel für Viertel ging nun bie toilbe $agb burd) eine Steifje non ©tragen, 
bis ptöblidj im Fnnetn ber ©tabt ber Verfolgte in einem Haufe 
»erfchmanb. 

Stöbert mar ilpn fofort auf ben Fetfen unb erreichte ihn auch glüdlüfe 
im ißaterregefchofe, mo er gerabe burch eine grofee ©laStjjür in baS ©cfchäfts* 
local beS VanfhaufeS X u. ©omp. einbrang. 

Stöbert mar, eingebenf feiner ißftidjt, im Slugenblid jur ©teile, fonnte 
aber ben ÜBirrmarr unb baS Unheil, baS ber SBahnfinnige in feinem ©obs 
fuchtSanfatt anrid&tete, nicht mehr nerhinbern. 

©djenf mar hineingefiürjt, hatte ein auf ber breiten, grünen SCafel 
liegenbeS 3ähfbrett ergriffen unb begann bannt 3lüe3, roaS ihm im 2Begc 
mar, für} unb flein }U fdilagen. ©laSfcheiben flirrten, ^oljtheile fplitterten, 
Vanffdheine flogen burch bie Suft, unb ©olb= unb ©ilbermünjen Ringelten 
rings auf bem Voben herum. 

®a3 ©efdiäftSperfonal floh burch alle ©hüten, um fi<h uor ben 2ln« 
griffen beS Stafenben }u retten, unb nach fauni jroei SJtinuten fab fid; 
Stöbert mit bem ©obfiichtigen allein in bem Socal. 

SBohl roiffenb, mie er fich 51t »erhalten habe, padte er ben Varon mit 
feften Fäuften unb jroang ihn, mit ben Slugen feinem Vlid ju begegnen, 
©amt hatte er geroonneneS ©piel, benn oor bem befehlenben 3lugenblife beS 
gefunben SJtenfchen fanf bie lobernbe Seibenfchaft beS SSSahnftatiigcn in fich 
jufammen, unb mie ein eingefchfidjterteS Äinb liefe fich ber eben noch fo 
Fürchterliche auf einen ©tuljl nieberbrüden unb harrte mit gefenften Vliden 
hoffen, maS fein SJteifter mit ihm beginnen merbe. 

©er ftanb nur roenige ©ecunben überlegenb ftitt, aber biefc genügten, 
um feinem gaitjen Sehen eine entfcheibenbe VJenbung ju geben. 

©er Stofenbe hatte alle nid)t niet= unb nagelfeften ©egenftänbe, bie 
ihm in bie Haube gefomnten roareit, gegen bie VJänbe ober }u ben Fenfiem 
hinaus gefchleubert, unb ba bie Hinterfront beS HaufeS unmittelbar aus 
bem ©tronte emporftieg, maren niete rcerthnoHe ©inge ron ben SBellen ner^ 
fditungen morben; anbere lagen nod) auf bem Farben beS 3«anterS 
umher, nur bie breite Fläche beS griinbejogenen 3ähttifcheS mar mie 
«bgefegt. 



Der fategorifdje 3ntperatit>. 


127 


©in flüchtiger Slunbblid, ben Stöbert auf bie «Stätte ber Serwüftung 
toarf, tiefe ihn eine oerwirrettbe ©ntbedung machen, ©ans in ber ©de beS 
ben ganjen Staunt quer burdfefcfeneibenbett £ifd)eS, tjalö oerbedt burcfe ein 
barauf gefegtes Stehpult, tagen brei oerfiegette Seinenbeutel, beren jeber als 
2 (uffdferift bie 3 a hl 10000 trug. Sie mären ben Süden beS ^rren unb 
batnit feinen oemicfeterifcben Rauben entgangen. 

Stur bie $eit oon brei ^erjfcbtägen ftarrte Stöbert barauf fein, aber 
in biefer furjen Spanne f choffen ihm taufenb ©ebanfen burcfe fein jiebembeS 
£im. Sein ganjeS öbeä, unbefriebigteS ®afein, bie $offnungSlofigfeit 
feiner 3 u &mft/ baS furchtbare Sewufetfein, bie bisher nur geahnte 
fcfeöpferifdbe ftraft feines ©enieS niemals 511t Setfeätigung bringen ju tonnen, 
unb ber bittere Scfemerj feiner in ber ÄnoSpe f<hott bem Sobe geweihten 
Siebe — alle biefe ©mpfinbungen unb Silber erfüllten mit einem SJtate 
feine Seele; fein Stut wallte, unb eine unficfetbare ©ewatt padte ihn, 
beinahe törpertich fühlbar, um ihn »orwärts ju ftofeeit. 

©in Süd rings umher belehrte ihn, bafe aufeet bem 3rren fein 
lebenbeS SBefen jugegen war, unb biefer fafe fcfeeu in liefe jufammengefauert 
ba unb war in ein apatfeifdheS Srüten oerfunfen. Stöbert richtete liefe mit 
einem Stud auf, feine Sehnen ftrafften fidh, unb obwohl ihm bie Sinne 
beinahe traumhaft oerfcfeleiert waren, prägte liefe boefe unoerfennbar in feiner 
Gattung ein energifefeer unb feines Biels bewufeter SBilte aus. 

©ine teife SBenbung beS ßörperS, ein ©riff mit ber £anb, unb bie 
brei Seutet oerfefewanben in ben hinteren Xafdjen feines StodeS. 

®er ganje Sorgang hatte ftefe fo rafefe abgefpielt, bafe baburefe faum 
eine Unter bredjuitg in ber fyluefet ber ©reigniffe feeroorgebraefet worben war. 
Siun befafel Stöbert mit barfefeer Stimme bem foeben 51er Sotmäfeigfeit ge« 
jmungenen ©eifteSfranfen aufjuftehen unb mit ihm baS Bimmer 31t oer« 
taffen. SßiHenloS gehorchte ber Saron unb liefe fidh wie ein Jtinb 5unt 
Safenfeofe bringen, um mit feinem SBärter an ben Drt ber Trauer jurüd« 
jufeferen, bem er in einer Slufwatlung beS unbe3wingbaren gretheitsbranges 
entflohen war." — 

* * 

* 


$er ©rjäfeler machte feiet eine ißaufe, tränt fein oolleS ©laS mit 
einem B u 9 e l eer unb flaute fidfe mit einem ruhigen Süd im Streife feiner 
$öret um. ©S entftanb eine tiefe Stille, benn Süemanb modfete 5U einer 
Semerfung baS SBort nehmen, obwohl Sille mit grofeer Spannung ber @r« 
jäfelung gefolgt waren. ©S war unoertennbar, bafe bie tefete äöenbung 
berfetben einen peinlichen ©inbrud bei Sillen feintertaffen hatte. 

fffrife Sßäcfeter täufdfete fidfe auch barüber feinen Slugenblid, aber bie 
SBafernefemung fdfeien ifem nidfet unerwartet $u fommen, benn er fufer gleich 
mit einem ironifdjen, faft bitteren Sädfeeln fort: 

Stoib mb @iib. XCIL 271. 


9 



\28 


3ulias <SefcUt|ofen in Sicslau. 


,,3<f) fonttte es mir benfert , bafj $bt ob ber entfdjtoffenen ©bat 

meinet gelben Sure geehrten ^ßbatifdicrnafen rümpfen würbet, aber id) er* 
fudje (Sud), gefäüigft erft ben ©dblufe ber ©ef<bid)te ju hören, ber roabrtid) 
geeignet ift, Euer üorfcfjneües Urtbeil ju mobiftciren. 

Robert batte alfo 30000 SÖJarF entroenbet, — budbftäblidb geftotjteti, 
aber ein nennenSroertber ©djabe roar baburd) nidbt entftanben. Ter 

©irector ber 2lnftalt belobte ibn in ber fdjmeidielbafteften 25>eife ob feiner 
Umitdit unb ©ntfcbloffenbeit, oermöge beren eS gelungen roar, ben gefäbr= 
lidjeit Äranfen fo fcfmell in fiebere Dbbut ju bringen unb unabfebbareS 
Unheil ju oerbüten. ©er alte Baron ©dbent fptadj ibnt beSroegen gleidb* 
falls mit roarmen Sffiorten feinen ©auf aus unb beglidb tta<bber mit oor= 
nebmer ©teidjgiltigfeit ben Schaben, ben fein beftagenSroertber ©ofm in 
feinem ©obfudbtSanfall bei bem Sanfter angeridbtet batte, ©ie 9te<bnung roar 
bodb, benn eS befanben ft<b barauf audb bie brei mit ©otbftütfen gefüllten 

Beutet, oon benen Qebermann annabnt, bafe fie mit ben übrigen ©egen= 

ftänben jum genfter hinaus geflogen unb im ©djlamm beS tiefen ©tromeS 
oerfunfen feien; aber bem fteinreüben Sianne roar ber Serluft nidbt im 
©eringften fühlbar. ©r hätte, roie er fetbft fagte, fofort bie jebnfa^e 
©umme geopfert, roenn es jur Serbinbetung ber fäbrnifereidben giud^t feines 
©obneS notbroenbig gcroefen wäre. 

lieber bie ganje ©efdiidjte roud)S baib ©raS, unb roenn man fpäter 
hier unb ba roirf(id) nod) einmal baoon fpraef), fo gefd^al) eS immer nur mit 
ber größten Slnerfennung für ben mutbooHen jungen SBärter, bem es oiel= 
feidbt ju banfen roar, bafe bet arme Qrre ni<bt ein grauenootles ©nbe ge= 
funben batte. 

9?obert aber roar nad) feiner 9lüdfef)r oon S. im ©ienfte eifriger benn 
je juoor, unb fetbft an feinen freien -Jiadmtittagen oerliefe er niemals bie 
Station, in bet er befdbäftigt roar. ©o fam eS, bafe er ©lara nidbt 
roieber begegnete. 

■Jladb einigen SBodben erbat er feinen 2lbfd)ieb, unb ber ©irector mufete 
ibn geben laffen, fo leib eS ibm aud) tfjat. ©ine erflärenbe Begrünbung 
roar aus bem oerfdbloffenen jungen 9J?ann nidbt berauSjubefomtnen. 

©r oerfdjroanb, unb 9Iiemanb erfuhr, roobin er feine ©eferitte ge» 
tenft batte. 

31a<b fedbS fahren erfl tauchte er als ein ganj anberer SDlenfdb roieber 
in ber ©tabt auf. ©einem unennüblidben gteifee roar es gelungen, bie 
Rieben ber roiffenfdbaftlidben Sitbung in oerbältnifemäfeig febv furjer 3rit ju 
erftimtnen, unb bann batte er mit Feuereifer fiefe ber Äunft ergeben, für 
bie feine früh f<bon unberoufet empfunbene Begabung ilpt präbeflinirte. 

3n fßaläften, in Äunftgalerien unb in anberen öffentlichen ©ebäuben 
finb jefet bie 21'erfe feiner ßünftlcrtjanb ju finben, unb ©aufenbe unb 2C6er* 
taufenbe oon -Dlenfdjen erfreuen, erfrifdben unb erbeben ftdj an bem §oäy 
ftug feines ©eniuS. 


Der fategorifcfye 3 m P era *'°* 


129 


SMfjten fie, auf toelcEje SBeife eS ihm gelungen ift, biefen ©eniuS bie 
©Zwingen ju entfeffeln, bie SRefjrjaljl non ihnen würbe fpredjen: ©ott 
fegne biefen ©ieb, ber im redjten Slugenbticf eine SluSnaijme non bet 
blinben Siegel bet SRorat ju ftatuiren raubte. 

Unb wolltet 3f)t ihn felbft fragen, ob er feine ©hat bereut, 

ha! förnite id) Sud) nur in feine £cimftatt führen, bamit 3hr fä^et, wie 
fein ©lüdf, feine Clara, als Hausfrau an feinem $erbe maltet, mie fie mit 
igm in trautefter ©emeinfdjaft lebt, roie fie bie geljeitnften Siegungen feiner 
ftünftlerfeefe errätg unb ihnen mit beut feinen ^nftinct ber Siebe nadlpgehen 
weih; fönntet Bftr ih n fehen, roie er feine Sieben, jroei butch unb burd) ge- 
funbe blonbe Sßradhtferte, tjerjt unb mit ihnen fpielt, — 3hr roürbet eS ie- 
greifen, bah ber SJlann feine ©hat not fidf felbft ju redhtfertigen roeife! 

Unb nun, nadhbem ich ©ud) MeS ergäbt habe, nun frage id) (Such: 
Söer roirft ben erften Stein auf biefen ©ieb?" — » 

©er ©rjähler fdhroieg, unb barauf trat tiefes Sdhroeigen im 3i mmc * 
ein, fobafj man baS ©iefen ber fdjranfähnlidfjen Sßanbuhr trog beS biefen, 
eigenen ©ehäufeS beutlidf) hörte. 

©inige non ber ©afelrunbe fdjauten noch immer finfter nor ii<h nieber. 
Slnbere fdhienen burdh bie feurige Serebfamfeit bet legten Säge htngeriffen, 
aber fteiner mochte ftdh getrauen, auf bie hetauäforbembe grage eine 
Antwort gu geben. 

©a ridjtete fi<h plögtich ganj unerwartet ber alte Quftijratf) empor, 
ber Sieftor ber ©efeUfcfjaft, ber in feinen Seffel gurüefgefehnt, anfeijeinenb 
theilnahmloS ber Crgählung jugefjört hatte. Seine Stimme Hang fefjr 

ernfl, beinahe traurig, als er fpradf): 

„®en erften Stein haft ®u felbft geworfen, mein armer Bunge. Qd) 
lefe e« in ©einen Slugen, bah biefer Slobert bifl. ®u hafl uns ©eine 
eigne ©efdhidfite ergäbt, weil ©ir bie Saft nadhgerabe unerträglich rourbe. 
Strmer, armer fyrig! 28ie magfl ®u gefämpft haben, ob ®u baS ©es 
heimnifj mit ©einer $rau theilen follteft! 2BaS magft ©u gelitten haben, 
als ©u baS nicht über ©ich gewannft! Unb nun hat eS ©idfj im greunbeS= 
freife gepadt, bah ®u ©ich offenbaren muhte fl, als ber BufaH bie ©e* 
legenheit bagu gab. Uneingeftanbene Sdham oerfnnberte ©idh, gang offen 
gu fein, unb ©ein ©rog will ©ir bie lange mit hei&en Schmerjeit er- 
fehnte Sühne oereiteln. 

©u fträubfl ©ich nergeblidj gegen ben 3 ro ang bes ©otteS, ber in 
©einem Sufen feine Stimme erhebt. ©r allein ift eS, gegen ben ®u ©idh 
uerfünbigt hafl. ®aS ©ebot: ®u follft nicht hehlen! ift non feinem ©efeg* 
geber erfunben roorben; es ift fo alt, roie bie SJtenfcfjheit, unb SJJofeS auf 
Sinai lieh & fidfj nur non berfelben Stimme bictiren, bie ©ir befohlen 
hat, ©ein ©eroiffen enblidh ju erteidhtern. ®u magft ©eine ©hat mit 
nodh fo blenbenbet Serebfamfeit rechtfertigen, fie wirb auf ©einer Seele 
laften, bis ©u fie geföhnt haft. Unb ift ©ein ©rog fo hartnäefig, bah er 

9 * 



\30 


Julius <Sefelü)ofen in Sreslan. 


jtdj jefet noch bagegen aufbäumt, fo bedeute @in«: 3)tit welcher ©tim 
wiltft ©u ©eine Jtinber lebten, bafe fie fremde« (Sigentbum .ju 
ebren haben, wenn ©u fetbft ©icb biefeS Unrecht« fchulbig 
weifet?" 

©amit ftanb bet alte £ert auf unb uerliefe, ohne ein weitere« SBort 
ju fpredjeit, ba« 3i mn,er / iubem er junt 2CbfdE»ieb nur fhtmm mit bem ehr* 
würbigen weifeen $aupt nidEte. 

©en 3urüdfbleibenben n>ar cg / batten fie einen ©eher fpredben 
bören, unb grife Sßädjter, ber bei ben lefeten SBorten de« Sitten jäbling« 
erblafet war, wanfte ftumrn unb ohne ©rufe binau«. 

* * 

* 

gn ber nächften geit war bie ©tabt um eine fenfationaüe ©efefeiefete 
reifer, ©er berühmte 9Mer grife SBäcfeter butte fi<h fetbft ber Staat«* 
anwattfefeaft wegen eine« oor oieten gaferen begangenen grofeen ©iebftabt« 
gejtettt, war aber babin befdjieben worben, bafe bie ©trafoerfotgung tängft 
oerjäbrt fei. 

©ie garna wollte wijfen, er fei barob tieffinnig geworben unb habe 
einen ©elbftmorboerfuch gemacht, unb nur bie Sefdjwörung feinet brauen, 
in unwanbetbarer ©reue ju ihm battenben grau habe ihn »or ber 33er* 
nidbtung feine« ©afein« jurüdgebatten. 

2Ba« »on biefem ©erficht jutreffenb war, tiefe fiefe nicht ermitteln; 
nur fooiet war fidjjer, bafe er feine beiben im Sitter uon fteben unb neun 
gabren ftefeenben ©öfene batb nachher in eine ferne ©rjiebungSanftatt ge* 
fcfjidt featte unb feitbem ftefe nie wieber an einem öffentlichen Drte 
feben tiefe. 

6« hieß, bie Sereinfamung feine« Kaufes habe ihm alten 2eben«mutb 
unb alle ©<haffen«fraft geraubt; er rühre feinen Sßinfel mehr an, fonbern 
befefeäftige tiefe au«f<fetiefeti<h mit beni -©tubium ber SRetapfepfif. 33on 
feinem Unrecht überzeugt fei er aber trofe Stttebem nicht. 

Unb an biefem feetifefeen SonfUct werbe er noch ju ©runbe geben. 




3üuftrirt? Bibliographie. 


$vaftUen. ßanb 
unb £eute in 
etfjifcher, po!i = 
tifd&er u. bolfS= 
toirthfchaft* 
Iichcr^cgiehung 
uitb Entmicf= 
Iung.$on9ftorits 
Bamberg. jßctp= 
M, ©ermann 
Sieger. 

üftod) bor toenigen 
3abr^el)riteitlunr25ra» 
filien für beit Euro= 
]päer toohl nur burch 
feinen flangbollen 
kanten befannt, unb 
höcfjftenS bie ©ebil= 
beten famtten Nähere* 
aus toiffenfdjaftlicfien 
Sexten iiberbaS&utb 
unb feine (Sefdjidjte. 
Sßon beit ^emobuent 
fetbft aber unb ihrem 
ßebeit unb Treiben ift 
biSaurtöegentoartnur 
unüoüftänbige ®cnnt= 
nift borhanbeit. liefen 
Umftanb bebt berget* 
faffer beS borliegen* 
ben umfangreichen 
(359 @.) locrthboHeu 
Ser f es, inbembieEr^ 
lebniffe, 6tubien unb 
Erfahrungen eines 
^Dausigidhrigeit 3(uf= 
enthalteS in Sörafilieit 
niebergclegt falb, be= 
fonberS in ber 2}or= 
rebe hexbor, unb be= 
tont, bafe bei bem 
®ananctujerfäuferin, fteigenben ©anbelS* 

2lua: SW. üamberfl: w »rofUfen-. ßcipjfg, $ ermann Sieger. OerfehriÖrafilienS mit 



\32 


tlovb unb S üb. 


beit anbereit Nationen nähere Sluffchlüffe über bteS £anb iuobl aüfeitip ertrünfcftt fein toerben. 
Dev ©erfaffer ift habet ber Ueberzengung, baß ^örafUien früher ober fpdter bie HJltfftoit Zufällen 
wirb, baS £anb ber ©erfjeißung für Diele Sftilltonen Sftenfcßeit zu toerben, bie in bent über* 
Dölferteit ©uropa ein geeignetes Selb für ihre Xhätigfeit nicht mehr finben önnen. 3n 
19 (Satteln befjaitbelt ber SBerfaffer : „$en 6 taat $ernambuco, bie Slora unb Sauna, ett)no= 
logifdje 0 fizzeit, bie mittleren unb höheren 6 tä itbe, bie 3 utfer‘inbuftrie, bie gremben, bie 
©imuanberung, 35oIfS= unb 0taatStDirtbfchaft, ©aitoefabrten auf bem 0t. 3*ranciSco=Sluß 
unb breisebntoödjentlidhe ^Säuberung im Urtoalbe, $ara unb Amazonas, bie 0taaten 
©ahia, ©Spirito 0anto, ittio be 3aneiro, 0t N $aulo; bazu fontmen bie ©apitel: 
,,©harafteriftifche ©pifoben“ unb „(Sin ©bebrama" unb als 0d)lußcapitel: „$)aS $aifer= 
tl)trat fotoie ber ©ürgerfrieg unb bie iReorgaitifation". 2 Bie aus btefer Ueberficßt zu 
erfeheu, hat fid) ber ©erfaffer eine große Aufgabe geftellt, unb eS mag fchon jefet heimot* 



fttefeits&ofleinefUt. 

2tu« : W. ß a m 6 c r g : * ©rafUicit*. Seidig, ^ermann 3 ( e fl e r. 


gehoben toerben, baß er fie Vortrefflich, in geioaitbter unb anjiehenber Xarfteüung, bie baS 
Sntereffe beS ßefcrS Don Anfang bis 3 U ©ube gefeffelt hält, gelöft hat. 

©ei ber Jütte beS 0toffeS, bie baS 2öerf bietet, faitn hier nur auf ©mzelneS im 
2 (nfchluß att bie beigegebenen Qtluftrationgproben hiugetuiefen toerben. — 2 )er ©erfaffer 
hat feine föeife Don Southampton aus angctreten unb mar nach 16 tägiger S^hrt an bem 
öftlich am toeiteften Doriprhtgenben fünfte beS ©rafiliantfchen SeftlattbeS in Sßemambuco 
gelanbet. 2 )iefe Stabt, in ©raftlien allgemein Recife (Iftiff) genannt, fann ihrer fiage 
nach mit ©enebig einigermaßen oerglicben ioerbcn unb toirb auch Don ber bortigeu 
©ebölferung als baS brafiliauifche beliebig bezeichnet 2>ie 0tabt ift ein ©auptftapelplas 
für allerhanb SSaarett, namentlich für 3 ucfer uitb ©aumtooße. $te ©intoohner, in etilen 
erbenflichen Stobenabftufungen Dom tiefften Schtoarz burch ©raun unb ©elb bis zum 
Zarteften 28eiß, finb im Slllgemeinen heiteren SemperameutS unb ziemlich bebürfnißloS. 
Unter einem tropifcheit ©immel in inbtoibuetler Sreiheit lebeitb, hohen fie SUlcS, toaS baS 





SibUograpt^ifdje Hotten. \33 

Düfein erleichtert. Sitte tropifcfjeu ©etoädtfe, Bananen, (Soco»nüffe, Orangen gebeiben in 
üppigfter SSeife unb ftehrn maffenhaft 3 um Verlauf (f. Stbbilb.). Die Bernambucanex 
Ananas ift berühmt mtb fott bie bcftc ber ©rbe fein. Die Stabt Bernambuco ftefjt mit 
atten SBeUthcilen burd) $abel in Vetbinbung. Die Verfehrätoege im ßanbe finb noch 
mangelhaft, e& liegt aber ein ©ntttmrf oor, monach eine (ftfenbafjn Don St. nach S. gang 
Brafüien burchfehneiben unb bie bebentenbftert fchiffbareit fjtiiffe miteinanber in Verbinbung 
ie&eit fott* ^och diel be» 3ntereffanten ergäbt ber Söerfaffer öon Bernambuco, begüglid) 
beffen auf b ad Oriqinal oerioiefen toerbeit muß. De» Weiteren fei ©inige» au» bem 
Kapitel: „Slora unb Sauna" heroorgeboben. Stach einer furgen Betreibung be» Klimas 
toenbet ftcb bie Betrachtung gunächft ber Bffangentoelt gu. Die atmofpharifd)en Ver= 
hältniffe begünstigen bie Vegetation außcrorbentlich. pier feßießt Sittel mit 2ftad)t au» 
bem Boben heroor nnb erreicht für (Europa gang unbefanntc großartige Dimenfionen. 


eine# fcalbtnbUiniföen ©c&lffbauerÄ im korben. 

'ÄuS: aft, Samberg: „©rajUien". Seipjig, Hermann 

Die SJtannigfaltigfeit Der Bffawntoelt ift bebeutenb, unb gaßtto» finb bie Sruchtbäitme, 
fo baß ber Brafiltaner nicht einmal atte $rüd)te feine» ßaitbe» Jeimt 3« ber Dhiertoelt 
nehmen entfeßieben bie Vögel ben erften Slang etn, unb hier finb e» bie Kolibri», bie eine 
unbefcßreiblicße 3<irbenpra<ht entmideln. Oft fieht man an großen Bäumen Stiefenoogel= 
nefter, toie bie Slbbilbung geigt. 3ohfrei<h unb mannigfaltig ift auch ba» Sieich ber 
Schmetterlinge unb 3nfecten; boit ben leßteren fönneit einzelne Slrten oft recht läftig 
toerbeu. Unter ben Slmpßibien unb Säugetieren finb ebenfalls gablreicße Slrten oor* 
hanben. 

3u bem Kapitel: „(£thnoiogifcbe Stilen" sieht ber Verfaffer gunädjft bie 3nbianer 
in ben ftrei» feiner Betrachtung. Pier fcßilbert er ferner bie SBanbeningeit ber Snbianer, 
bie halb citttioirten nieberen VolfSflaffen, ben ßbarafter, bie Sitten, ÜJtoral unb bie 
giebutig. Die Staffenmifchung im nieberen Volfe ift fepr an»gebebnt. 3hte Stiebertaffungen 
(Dörfer) beftehen au» toeit gerftrenten pütten. (Sine folche piitte eine» halbinbianifdjen 
«xhiffbauer» geigt bie hier beigefügte Slbbilbung. — 3um Schluß fei noch ba» (Kapitel 



ttorb nnb Süb. 



über „fltio be Saneiro* berauggegriffen, bag ber 23erfaffer befonberg augfübrlicb bebanbelt 
bat, tüte eg mobl auch ber ©anptftabt beg £anbeg mit bem großartigen $afen atö 
fianbelgplaß erften langes aufommt ©g läßt ftcb biefe 6 tabt mit feiner beg europaifdjen 
Soittinentg Dergleichen. Sobalb man bie Sütftabt oerläßt, ift man ton ber großartigen 
SMur umgeben. ©ans fjertorragenb ift ber botanifdje ©arten — ein mabreg S$radjt= 
ftiicf ber Statur. Xer üerfügbare s Jiaum verbietet, auf bie febr intereffante 0d)ilberung, 
bie ber 5 $erfaffer oon 9tio be 3 atteiro enttoirft, naher einjugeben. Xie SBeoolferung, beit 
§aitbel unb SBerfebr, bie ©ebäube, bie 0 taatg* unb toifienfdjaftlidben Snftitute, bie Snbuftrie, 
bie 0 d)ulen, Sfunft unb ßitteratur, bag Militär, bte Skrmaltung, bie Beamten unb 
ftaufleute merbeu beg Näheren befprodjert. föio bc 3 atteiro bat üerfdjiebene größere 


£ötjere flricgSfdjule in 9lto be Saneiro. 

?tuo: 'J)i. Samberg: „Srafilien". Scipjig, ^ermann 3 i c fl c r. 

fßrad)tbautcu aufamoeifen, tuic 3 . 53. ben Sßalaft beg ^käfibenten, bie 9}tinifterien, bie 

t anbelgs unb ©ffecteit*53örfe, bag nationale Jöanfinftitut, bie 0taatgbrucferei unb Oon 
irefcen bie Ganbclaria. 5>on anbernt öffentlichen ©ebäuben ift bte höhere ^rieggfdjule 
(f. Slbbtlb.) eimäbneitgtoertb. Xie lebten ©apitel beg Serfeg bebattbeln ben 0 titr§ 
beg Siaifcrtbumeg unb ben öiirgerfrieg. 

Xag burd) eine große Strahl bortrefflidjer Slbbilbungeu (10 Xafclit in §eltograbürc, 
82 Xafeltt in Slutotppie unb 1 Starte 001 t 23rafiliett) oorsüglicb auggeftattete 2öerf ift 
ingbefonbere allen ©oloitialfrcunben unb Slugiuanberent, benen eg toertboolle ßebrett giebt, 
beg SBciteren jebem gebtlbclen fiefer, ber für frembe Räuber unb frentbeg 53 olfgtbum 
Sntcreffe bat, auf’g SBärmfte 31 t empfehlen. K. 



Sibliograpfyifdje ttotigen. 


^ 35 


Bibüograp^tfd]c Zotigen. 


Jtfittftfcv * flNonogvophicti. Sit Ver= 
binbung mit Slnberen fjerauSgcgcben 
Don % $ na cf fuß. Vietefelb, Söcl= 

hagen & SUaftng. Vanb XXXY. bi« 
XXXIX. 

3n btefern Dortrefflidjen 0arnmelmerfc, 
baS mm fd)on gu einer ftattlichen s Jteihe 
Don Väitben gebieheit ift, gieren in bunter 
3*>lge bie $iinftlergeftaiteu alter unb neuer 
3eit an uns Dorbei. $)ie lebten §efte, bie 
an ffteichhaltigfeit unb Sftaimigfaltigfeit beS 
3nhaltS ben früheren fehteSmegS nachftehen, 
bringen 9ftonograpf)ien über bie trüber 
Van Epcf, über Eaitooa, Viitturichto, 
Etebharbt unb Sftenbing. 

$en Vegrünbem ber itieberlänbifd)eit 
Malerei, bie — faft bent (Benins Römers 
Dergirichbar — mit einem 2Me auftaucheu 
unb gleich in ihrem Shntftfadje himmelhoch 
2ltteS übertreffen, maS bis bahin gefdiaffen 
morben ift, bem Vrüberpaarc ber Van Et)d, 
hat ßttbmig .faemmerer eine grünbliche 
Monographie gemibrnet. Vielleicht beinahe 
eine attgu grünDliche: beim mir finbeit barin 
ausführliche ftitfritifdje Erörterungen, beiten 
baS große Vubticum fcjhmeriich Diel 3nters 
effe entgegenbringen bürfte. Xod) waren 
fotdhe Slbftecher in bie geiehrte 9tüftfammer 
ber fömftforfcbung bei einem (Miete faum 
gu Dermeiben, auf bem toidjtige V^oblcme 
noch ihrer £öfung harren unb noch fo menig 
beftimmte SRefultate oortiegen. 3ebenfails 
hat ber Verfaffer baS Verbienft, Vieles gu* 
fammengetragen gu haben, maS für bie 
<£rfemttniß ber Van Etyffchen Sfrmft 
mefentlich ift. 

Um ihren großen Einfluß auf bie 
Malerei ihrer 3«t aufgtt.geigeit, mußten and) 
anbere, Don ben Vait Et)d abhängige 
0<höpfungen hcrangegogen merben. 0o 
gemährt ber Vanb ein Diel bunteres Vilb, 
als menn mir nur bie SBerfe ber Zünftler 
felbft gu feheit befommeit. Xa aber auch 
biefe eingeheitb befproeben unb gut abgebilDet 
merben, fo merbeit fomohl bie ßefer mit bem 
Vudje gufrieben fein, bie nur bie 2lbfid)t 
haben, bie SSerfe ber beiben großen alten 
2Mer fennen gu lernen, als auch £ie s 
jenigen, bie einmal einen Einblicf in bie 
3rrgäitge funftmiffenfchaftlicher Untere 
fueßungen befommen motten. 

®er nächfie Vanb, beffen £est bott 
3Ufreb ©ottfjolb 3flet)er herrührt, führt uns 
in eine gang anbere Söelt: er hanbett oon 
EanooaS ßeben unb SBerfen. ES ift ein 
iwiter 2öeg Don ber naturaliftifchen, auf 
baS rein Maler if che auSgehenben Äunft ber 


VaitEncf bis gu Der bcr5lntifefld) itähemben, 
oft iit’S Empfinbfame Derfattenbett gormen= 
gebuitg bcS VilbhauerS Antonio Eanoba. 
2Ser aber aud) au biefe 0d)öpfungen uns 
befangen hrrantritr, mirb fiel) mit ihnen 
befreuubeit föitnen, eine gang eigenartige 
^üuftlcrerfcheinuug fennen lernen unb bem 
Viographen, ber EanobaS £ebeitunb0treben 
mit itebeüotten unb lebeitbigen SSorten 
fd)ilbert, mit großem Vergnügen folgen. 

5lu<h bie folgenben Vänbe laffett eS an 
5lbmechfeluitg nicht fehlen, fie enthalten eilte 
befonberS reid) iliuftrirte Viographie Vintu* 
ricßtoS, beS rnerfmürbigen 3)taterS aus ber 
3eit ber italienifcheu Sttenaiffance, eine Dor= 
treffliche 0tubie Don 2lbotf föofeitberg über 
Ebuarb Don Eebßarbt, ben archaifirenben 
Vertreter ber neuen beutfdjen fircplichen 
Malerei, über beffen VeDeutung manche 
ßefer mit bem Verfaffer nicht gang einig 
fein biirften, uitb enbiieh eine Arbeit Don 
£ubmig Siäntmerer über §aitS Kernling, 
ber bicfelbeit Rebler unb Vorgüge eigen fiub, 
mic beSfelben VerfafferS Vucß über bie 
Van Epcf. 

Es mürbe gu meit führen, hier alle 
biefe Vänbe auSfüßrlid) gu befprecßeit. Xm 
gangen Unternehmen aber, baS uitS fchoit 
fo Diel bes 0d)öiteit gebradit hat, mi’mfchen 
mir aufcidjtig einen gcbeihlidjeu Fortgang. 
2luch für bie §efte, bie fiinftig erfcheitten 
fotten, ift uns Diel SutereffanteS Derfprocbeit, 
mit befoitberer D^eugierbe merbeit fichcrlid) 
bie angefüitbigteit "Dbitograph ien über 
moberite .Stünftler, mie .flinger unb 0tucf, 
er märtet. G. 

C>anSf(hatg mobcvitcv fluitft. V^ien, 
EefeUfdjaft für DerDielfältigeitbe ^uitft. 

2)iefeS ^erf, baS nun bottftäitbig Dor= 
liegt, führt nid)t mit Unrecht ben tarnen 
eines ©auSfchaljeS; bemt eS ift nicht nur 
burd) ben ungemöhnlidi billigen VveiS DolfS= 
thüntli^, foitbcrn aud) burd) bie Vornehmheit 
bcS (Gebotenen, nach bem 0ape, baß für bas 
Volf gerabe baS Vefte genug ift. SBährcnb 
fonft faft alte folche Veroffeittlidmitgeit Don 
2Biebergaben nach Sluitftmerfen auSfdiließttd) 
baS mechaitifche Verfahren aitmenben, bringen 
uitS bie hie* Dorliegenbcu 120 Vlätter ohne 
SluSnahme Don äitnftlerhaitb hergeftettte 
0tid)e unb ittabirungen nach Eemälbeit be= 
rübmter 3)Ieifter unb bagu nod) einige auS= 
erlefeitc Original rabiruitgen. 0d)oit babimb 
Derbicnt biefe 0ammlung Don ftunftbruefen 
Dar ben meiften ähnlichen ben Vorgug. Xk 
Durch ihr DerbienftDolleS SBirfen befannte 
Siener ©cfellfdiaft für DerDielfältigeitbe fiiutft 



*36 


Zlorb unb 5üb. 


hat aus ihrem 3d)ape unPerbraud)ler 
glatten bic heften auSgemählt uitb 311 biefer 
Pnblicatioit Permeubet, um fo bie 3 *rüd)te 
ihrer Thätigfeit meitcreu Greifen au gute 
fommen 311 laffcit; fic giebt bamtt 3 ugleidi 
ehte 5t rt Pon llcbcrbltcf über bie Okidiidite 
ber Malerei in beut lebten halben Sabr* 
bunbert 9Mer, toie 0chminb, 8 pipmeg 
uub Salbmütter, mie Pödliit, Jyeuerbad), 
S J Jiag, ttttafart uub fienbaeb, enblicö bie 
Sooernften, mie £iebcrmamt, libbe uub Tiibt 
fiub burd) fjerporragenbe uub für ihre Tunft 
beseichnenbe ©emälbe vertreten. Jyiir bie 
Portrefflidjfcit ber Siebergabe bürgen bie 
ÜRameu ber 0 ted)er uub ütabirer, unter 
betten mir nur llttger, fteebt, Piirfner, 
TrauSfopf unb Krüger befonberS beruor= 
beben. Tie 2lu$maf)t ber Munftiuerfe famt 
man glüdlid) nettneu, tueil bie Perjchiebenfteit 
^Richtungen beriidfidtfigt fittb uttb fo einem 
jeben Betrachter etmaS xRitfiebettbe* bar= 
geboten miib. Ter lebten Lieferung liegt 
ein Snhaltsoer^eidmift bei, baS biograpbifdje 
0 fi 33 cit über attc in betn Scrfe Pertreteticn 
Zünftler nttb bie nöthigfteu ©rläuteruugeit 
3 tt beit einzelnen Tafeln enthalt. 0. 
Uutcv’m Dothen Tveuj in Kamerun 
und Jona* Pon 3ohanna Situ ui. 
§eibelberg, ©Paugelifdier Verlag. 

Tie Perfafferitt , bie Tod)ter eines 
Pabcn’fdjen ©pport*3nbiiftrictteit uub l ? aub=' 
tagSabgeorbiteten, hatte, als 8 d)mefter beS 
Paterldubifcheu SyrauetispereinS für Traufen* 
pflege in ben Kolonien unter beut 8 d)tt§e 
beS rothen TreuaeS im 5luguft 189(5 bie 
Steife nad) 8iib=5lfrtfa angetreten uub mar 
mährettb smeier 3 ahre bort, ^uerft im 
Tranfcnpauie 311 Kamerun uub bann in 
Togo als Traitfenpflcgerin, tljätig gemefeu. 
3 hre bortigen ©rlebttiffe fdtilbert fic, [teilen* 
meife tagebuchtnafeig, einfad) uub fd)lid)t, 
aber aud) lebhaft uub recht intereffaut 
©auptfächlid) gilt ihre 0 d)ilberuug ben 
0 itteit unb ©ebräudieu ber bortigen ©itt= 
mohtter unb ihren als ftrau gejantmelten 
©rfahrtmgett. ©tit 3 elite feapitcl: „Pon ber 
Ütegerfprache" fomie „©itt .ftofpital" mit ber 
0 djilberung ber hauptfächlidiftcn in ben 
(Kolonien berrfd)enben Trautheiten bean* 
fprudjen ein nod) meitergeheubeS Qutcreffe. 
Tie Petfafferin hat felbft unter bett Süden 
beS TlimaS, mieberholt an ber ttttalaria ge* 
litten, fo ba& fcptie&lich ihre 5lblöfung nad) 
ämeijähriger 5lnmefettheit geboten crfdjieit. 
Sem Pud) ift ein ©deitmort Pott Toctor 
Thoma beigegebett. 0o ©djmereS bie Per* 
fafferin aud) burdjtebt hat, fo hat fie bod) 
liebe ©rinnerungett uub ben Tanf manches 
Patienten Pott bem bortigen 5lufenthalt 


mit in bie £eimat genommen. 3 m 0 d)lu&* 
mort fpricht bie Perfafferin ben Simjcb 
aus, bafe „bod) recht öieie SRübdhen, bereu 
geben fo nufe* unb thatenloS bahiugeht, unb 
bie itt ihrer PerufStfjätigfeit fleh ungTüdltcb 
fühlen, fid) ber .<! raufenpflege mibmen 
möchten, um hier einen fegenSreidjen 
Sirfung*freis, eine befriebigenbe gebeuS* 
auf gäbe unb einen mähren Peruf ju ftnben." 
Tas gut auSgeftattete, mit einigen 
hübfdjett Sttuftrationen unb einer Plan* 
3! Pon Sog o oerfebette Puch fei hiermit 
nid)t nur in colonialen Greifen, fottbern auch 
allgemein empfohlen. K. 


3u len Serfen, bie mir im Porigen 
£efte als ^eftgef diente empfohlen haben, 
feien noch bie folgettben hiugugefügt: 
SidjtötlfcStiidiett. Trei&ig ©eliogxapuren 
nach Slufitahmcn Pon 5llfreb ©nf e, 0tntt» 
gart, Union, Seutfdje 5>erlag8gcfellfd)aft. 

Sie Photographie, bie früher nur 
als franbmerf betrieben mürbe, bann ber 
Siffeufchaft nttb ber Tuitft als biettenbe 
5Jiagb fid) gefeilte, beginnt fid), nadjbcra fie 
fid) tedinifd) in ungeahnter Seife PerooCU 
fommitet, 311 einem feibftftänbigen 3 to^ige 
ber Timft 311 entmideln. $)it Photographie 
geht über ihre frühere 5lufgabe, ein 0 tücf 
Statur ober Sebett feftguhalten, htnauS; 
nid)t nur bas Object mitt fie uns Per= 
mitteln, fonbertt aud) baS 0ubject; fte ftrebt 
battad), mie bie Tuitft, bie 3 ola’fdhe?Jorberung 
3 U erfüllen: „ein 0 tüd Statur, gefeljcn bunh 
ein Temperament", 3 U bieten. Ter Photo= 
graph mitt ein 0tüd feiner Perfönlidöfett 
mit bem bargeftettten ©egenftanbe geben. 
SaS ber pbotographifepe 5lpparat, meitn ftd) 
eine Tünftlematur feiner bebient, heut jn 
leiftett permag, baPon legen bie porliegenbett 
prächtigen 5lufnahmen ©nfeS, — in benen 
uttS in ber Tfjat baS „photographifche Äunft* 
merf" entgegentritt — glangenbeS 3^flaiü 
ab. Selche 0timmung, melche farbige 
Sirfuttfl in ben ßanbfiaftSbilbern, mie 
„Pilla b’©fte", „0onntagSfrieben", „PJonbs 
nacht in fttoreng", meldje plaftifdie unb 
ßidjtmirfung in ben figürlichen Plättern. 
Pon bieten geben mir beujenigen, melche bie 
fd)lid)te Statur miebergeben, mie bie prächtige 
„©ngabiner Pänerin", ber lebenSPolle Topf 
beS „PetgamaSfen", Ä 3« ber Statur", por 
beit fünftlidt arraitgirten (Pacchantm) ben 
Por 3 itp. sllarpeit ber 3^jthnung unb 
malerifche Scidiheit Pereinigen ftch hier, mie 
in ben fianbfdjaften, mo bie auf Photo* 
graphien ftöreitben tobten 0 chatten fehlen 
unb bte ÜJiitteltöne unb Uebergänge, bie 


Bibliographie. 


\37 


buftigen fernen überrafdjenb toirfett. $ic 
bretfeig Blätter in eleganter 2Rappe (Preis 
20.00 SJtarf) bilben ein SSer! öon fjeroors 
ragenbem äSertfje, ba8 iebem Äimftfreunbe 
eine Quelle rek&en ©eituffeS bietet. 

2)ie Shmftanftalt Xrotoifcfd) u. 0of)it 
in Srtanff urt a. Q., toeldje ftd) bie farbige 
Üteprobuction bon 3Jteiftermer!cn ber flaffts 
(eben STtolerei gur Aufgabe geftellt, bat ihren 
erften tttuftrtrten ftatafoa fjerauSgegebeii, 
betn tott entnehmen, ba& tit biefem 3abce 
Raffael» ©iEtinifdje 9M)oiuta unb Valuta 
BecdjloS «Eilige Barbara" neu erfdjieneit 
ftnb. 2Bie bie Berlag&mftalt mittbeilt, bat 
bie ©erftelluug ber 0i£tina faft mev 3abre 
erforbert'; bei berfelben luar iebeö ©ilfö* 
mittel, amb bie Benufcung ber Photographie 
aiögefcbloffen: bie Platten nntrbcit mit ber 
§anb in treibe geacidjuet. 2lit3 bem 
Kataloge erftebt man, bafj bie £roiDit?fd)*fci)e 
Slnftalt ficb aueb ber Publication moberiter 
SBerfe ber Malerei gugeioanbt bat. $ie 
oortrefflidben farbigen s Jteprobuctioiten giueier 
Xtroler ©fjarafterföpfe üoit ftotfcfjenreiter 
[teilen ber £eiftung*fäl)igfeit ber Slnftalt 
ba8 befte 3tttflmfe ans. 

3m Perlage biefer 3eitfcörift erfdjieneit 
eine föeüje mertfjboller unb glängenb au3- 
geftatteter SBerfe, Don benen gtoei, bie 
"tteifeftilOtv aud perften, Jiufeftmt 


un& fcer Störtet“ bon Dr. ©. Zauber 
(mit 136 Sttwftrationen unb 2 QrienttrungS= 
tafeln, Pretö 10.00 9)tf.) fotoie bie nun 
in febr gefdpnacfüollent ©tnbanbe borliegen* 
beit, oon ^arl fiaitgbammer illuftrirten 
©ebidjte aus Italien : „Hu0 funutgev 
Seit“ bon ©brifta ©räfin ©iefftebt 
u. Sita ftreiin guPutIifc(Pr. 5 SRI) 
hier bereits etitgebeitber cbarafteriRrt toorben 
ftnb. — ftür ftreunbe ber Poefte, bie gu= 
gleich 'Bibliophilen ftitb unb an einer ftil* 
notlen, Cünftlerifcfjeu 2luSftattung beS BucbeS 
fjreube haben, feien bie „$eftid)te“ boit 
Ulbert Sftoffljacf, bie Sfran* §ein mit 
3eicbnungen nnb Originallithographien ge= 
fehmüeft, empfohlen. 

Pornehntlid) an grauen, bie ficb für 
bie „ftrauenfrage" intereffiren, toenbett ficb 
bie ©ebichte ooit Sohaitna SBoiff 
,/H<tmenlo£“ (Pr. 4.00 bie in 
gloeiter bercinberter Auflage, in origineller 
unb guglcidj gcfdjmadfooller 3luSgabe bor= 
liegen, ©in bei ber $>amen= uitb äNäbdien* 
toelt bereits beliebtes Bud), ber Montan 
„Oat&ev&Slettt“ uon© u f c m i a ö. 21 b 1 e r $ = 
felb=Balleftrem (Pr. 5.00 2R!.) mirb 
ficb in ber üi erteil Stuf läge, bie 
mit SHuftrationen t»oit Blanfa bou 
©ünbel gefdjmiicft ift, getuifc gafjlreicbc 
neue JSfreuitbiuueu ertoerben. 


Eingegangene BUcher. Besprechung nach Auswahl der Redaction Vorbehalten. 


Altdeutsch - lateinische Spielmanns- 
gedichte des 10. Jahrhunderts. Fit i Lieb- 
haber des deutschen Alterthums übeitiagen 
vou Moritz Heyne. Göttinnen. Franz Wunder. 

Baker, W. A., The Personality of Antichrist. 
St Leonards-On-Sea. Dauirl & C ». 

Bartsch, R., Worte zur Sache. Philosophische 
Erörterungen. Baud l. Allgemeines. GreilTen» 
berg i. Schl., Selbstverlag des Verfassers. 

Bennert, J. E., Der wilde Jäger von Rheindorf. 
Köln, J. G. Schmltz’sche Buchh. 

Bern, Maximilian, Ahoi! Deutsche Meeres- 
lyrik. FUr alle Freunde deutscher Seefahrt 
und der deutschen Flotte. Illust rirt von C. 
Schön. Berlin, Carl Slegismund. 

BJÖrnstjerne B)örnson, Die Neuvermählten. 
Zwei Acte. München, Albert Langen. 

Borinski. Dr. Karl, Das Theater. Sein Wesen, 
seine Geschichte, seine Meister. Mit 8 Bild- 
nissen. (Aus Natur und Geisteswelt. Samm- 
lung wissenschaftlicher gemeinverständlicher 
Darstellungen aus allen Gebieten des Wissens. 
11 Bändchen.) Leipzig, B. G. Tcubner. 

Brandes, Georg, Menschen und Werke. Essays. 
Dritte von Neuem durchgesehene und ver- 
mehrte Auflage. Mit einem Gruppenbild. 
Frankfurt &. M., Litterarische Anstalt (Hütten 
u. Loenlng.) 

Dauthendey, M. Reliquien. Zweite Auflage 
Minden, I. C. C. Bruns Verlag. 

Diohter und Darsteller. Herausgcgeben von 
Dr. Rudolph Lothar. I. Goethe. Von Georg 
Witkowski. IT. Das Wiener Burgtheater. Von 
Dr. Rudolf Lothar. Leipzig. E. A. Seemann. 


Domanig, Karl, Die Fremden. Ein Cultuibild. 
Zweite Aufl. Mit Zeichnungen von Albert 
Stolz. Stuttgart, J« sef Knth’sche Verlags- 
buchhandlung. 

Döbeli, Marie, Schlichte Weisen. Gedichte. 

Dritte venn.' Aull. Zürich, Caesar Schmidt. 
Duboo, Julius, Früh- und Abcudroth. Ge- 
dichte. Dresden. C. A. Kochs Verlagsbuch- 
handlung (PL Ehlers). 

Durch gans Italien. Sammlung von zwei- 
tausend Photogi aphien italienischer Ansichten, 
Volk-dypeu und Knn-'tschätze. Lfg. I. II. 
Venedig I. II. Brrlin, Werners Verlag, G. 
m. b. H. 

Eberstein, Alfred Freiherr von, Ce ber 

Ehre. Leipzig, Julius Werner. 

Ebhardt, Ferdinand, Der Genisenka ser. Eine 
epische Dichtung mit freier Benützung einer 
Sago aus dem Beiuer OlHuland. Zürich, 
Caesar Schmidt. 

Binarsson, Indridi, Schwert und Krummstab. 
Historisches Schauspiel ln fünf Aufzügen. 
Einzig autorisirte Eebertiagung aus dem 
Neu- Isländischen von M. phil. Carl Küchler. 
Berlin, E. Ebeiüng. 

Elze, Theodor, Venezianische Skizzen zu 
Shake.si>eare. München, Theodor Ackermann. 
Falke. Baronesse, Eibsiinde. Roman. Zweite 
Anfl. Dresden, Heinrich Minden. 

Falke, Gustav, Der Mann im Nebel. Roman. 

Hamburg, Alfred Janssen. 

— Mit d**m Leben. Neue Gedichte. Hambuig. 
Alfred Janssen. 



*38 


Horb uitb Süb, 


Fester, Richard, Machiavelli. (Politiker und 
Nationalökon >men. Eine Sammlung biogra- 
phischer System- und (Tiarakreischildeiungen 
herausg. von Cl. Sciim« »Iler und 0. llinlze. I.) 
Stuttgart Fr. FioinniHnns Verlag (E. Hauff)* 

FrtihlinKS-Bltithen. Eine Gabe filr die junge 
Miidchenwelt. Herausucgebeu von Beitha 
Clement. Nürnberg, Tlieo. Stioefers Kunst- 
verlag. 

G&ederts, Karl Theodor, Aus Fiitz Reuters 
jungen und alten Tauen. Neues Uber des 
Dichters Leben und Werden auf Grund un- 
gedruckter Briefe und Dichtungen. Mit 
Reuters Selbstporträt als Burschenschafter, 
aus den Berliner l’ntersuchiin-isacten. sowie 
zahlreichen Bildnissen und Ansichten, zum 
Tlieil nach Origiiialzeichnungen von Ludwig 
Pietsch, Theodor Schloepke und Fritz Reuter. 
Erster Band, dritte vermehrte Aullage. 
Wismar, HinstorlPsche llofbachhand.ung. 
Verlagsconto. 

G&uly, Alice Freiin von. Balladen u. Lieder. 
Berlin, Otto EJsner. 

Qeering 1 . Ag-nes, Die Figur des Kindes in der 
mittelhochdeutschen Dichtung. (Allhandlungen 
herausg. Von der Gesellschaft fiir deutsche 
Sprache in Zürich. IV.) Zürich. E. Speidel. 

Glas9napp. Gregor von, Essays. Kosmo- 
politische Studien zur Poesie, Philosophie u. 
Religio:i9gesehichte. Riga, Jonck & Poliewsky. 

Grant, Charles, Neapolitanisches Volksleben 
in vier Erzählungen. Autorisirte Ueber- 
setzung. Frei bürg i./B., Friedrich Ernst 
Fehsenfeid. 

Groller, Balduin, Die Tochter des Regiments 
und andere Novellen. Dresden, E. Pierson. 

H Icker, Clara, Thüringer Erzählungen. Bonn. 
Eduard Moos. 

Handel-Mazzetti, E. von, Meinrad llelm- 
pergers denkwürdiges .lahr. Eine Erziililung 
mit Originalzeichnung von Pmfe-sor I. Reich. 
Stutt-rart, Josef RothVehe Verlagshandluug. 

Hayneck, E. von, Laudkinder. Novellen. 
B »nn, Eduard Moos. 

Hecker, Dr. O , Neues deutsch-italienisches 
Wörterbuch aus der lebenden Sprache mit 
besonderer B •rllcksichti'iung des täglichen 
Verkehrs zusammengestellt und mit Aus- 
sprachehilfen versehen. Theil J : Italienisch- 
Deutsch. Braunschweiß. George Westermann. 

Henckell, Karl, Sonnenblumen. Zürich, Karl 
llenckell & Co. 

Hinter der Mauer. Beitläge zur Schulreform 
mit besondeicr Berücksichtigung des Gyin- 
nas'alunterriehts. Ein Buch für Vorzieher 
und Verbildete. Marburg. N. G. Elwert’sche 
Verlagsbuchhandlung. 

Holm, Korfiz, Arbeit. Schauspiel in drei 
Acten. München, Albert Langen. 

Holm, Kurt, Me ne Welt. Gedichte. 1888—90 
Berlin, s. Calvaiy & Co. 

Hopfen Otto Helmut Der Alcalde von Xeria. 
Ei Zählung. Dresden, Heinrich Minden. 

Hüter vom Haine, Die (Hocken aus dem 
Cheruskerwald. Elster Band. Aus Poesie 
und Liebe. Zweite Auflage. Leipzig. Cmn- 
missionsverlag der Dyk’schen Buchhandlung. 

Die Insel. Jlciausg. von Otto Julius Bierbaum. 
A. W. Ileymel und R. A. Schröder. 1. Jahr- 
gang No. 1. I. Quartal. Oct ober 1899. Berlin, 
Selmster & LoetHer. 

In validen versieh erunprsg’esetz Textaus- 

gabe mit Einleitung, Anmerkungen und Sach- 
register. Von einem praktischen Juristen. 
(Meyers Volksbücher No. 1218—1250.) Leipzig, 
Bibliogr. Institut. 

Jacobowski, Ludwig:, Aus deutscher Seele. 
Ein Hach Volkslieder. 1—5. Tausend. Minden 
i. Wcstf. I. C. C. Bruns Verlag. 


Kahle. Dr. B. Ein Sommer auf Island. Mit 
zahlreichen Illustrationen und einer Kalte 
von Island. Berlin, Ad. Bodenburg. 

Kaiser- und Kanslerbrlefe Briefwechsel 
zwischen Kaiser Wilhelm II. und Fürst Bi>- 
marck. Gesammelt und mit geschichtlichen 
Erläuterungen versehen von Julis. Penzler. 
Leipzig, Walther Fiedler. 

Karpeles, Gustav, Heinrich Heine. Aus 
seinem lieben und aus seiner Zeit. Leipzig, 
Adolf Titze. 

Klie, Anna, Victoria Erika. Eine Erzählung 
für die junge Mädchenwelt. Mit 4 farbigen 
Illustrationen von Carl Voss. Nürnberg, 
Theo. Stioefers Kunstverlag. 

Köhler, Heinrich, Auf .Schloss Friedenslieiin. 
Eine Erzählung für die deutsche Frauenwelt. 
2. Aull. Berlin, Georg Mimith. 

Kranes, Gustav Johannes, Rothenburger 
Mären. Di ei Novellen. Buchschmuck von 
Friedrich Krauss. Berlin, Georg Mmuth. 

Kronfeld, Dr. Moritz, Bilder-Atlas zur 
Ptlauzengecgraphie. Mit beschreibendem 
Text. Mit 210 Holzschnitten und Kupfer- 
ätzungen nach Photographieeu und nach 
Zeichnungen von Emst Heyn, Karl Oenike. 
O-kar Schulz, Olof Winkler u a. Leipzig, 
Bibliographisches Institut. 

Krücken, Oscar von, Budapest in Wort und 
Bild. Unter Mitwirkung der hervorragendsten 
ungarischen Celcbritüten. Schriftsteller und 
Künstler. Heft 1. 2. Berlin, Internationale 
allgemeine Verlagsgesellschaft m. b. 11. 

Kunstgeschichte in Bildern. Systematische 
Darstellung der Entwicklung der bildenden 
Kunst vom klassischen Aiteithmn bis zum 
Ende des 18. Jahrhundei ts Abtheilung IV: 
Die Kunst des 15. und 16. Jahrhunderts 
ausserhalb Italiens, bearbeitet von G. Dehio. 
k 4 Tafeln. Leipzig, E. A. Seemann. 

Kunststätten, Berühmte, Nr. 5. Paul Johannes 
Ree, Nürnberg. Entwicklung seiner Kunst 
bis zum Ausgange des 18 Jaln hundert*. Mit 
lOö Abbildungen. Leipzig, E. A. Seemann. 

Kügelgen, Wilhelm von, Jugenderinnerungen 
eines alten Mannes. Geschenknusgabe. Mit 
dem Bildnis* des Verfasseis und einem aus- 
führlichen Vor- und Nachwort. 2. Aull. 
Leipzig, Richard Wüpke. 

Künstler -Monographien. In Verbindung 
mit Andern herausg. von H. Knackfuss. 
XLI1. Stuck. Mit 157 Abbildungen nach 
Gemälden. Zeichnungen und Radirungen. 
Bielefeld. Velhagcn & Klasing. 

— XLIII. Giotto. M.t 158 Abbildungen nach 
Gemälden und Skulpturen. Bielefeld, Vel- 
liatren & Klasing. 

L&ng-enpusch, Dr. Emil» Grundriss zur Ge- 
schichte der Philosophie. Eister 1 heil, Ge- 
schichte der alten Philosophie und der Philo- 
sophie des Mittelalteis. Breslau, Eduaid 
Trewondt. 

Laurent Charles, Der König von Rom. Uebrr- 
tnuren von Oscar Mar. schall v. Biebci stein. 
Ali! Illustrationen. Leipzig, 11. Schmidt und 
U. Gi.nthcr. 

Leanders, Richard, Sämmtliche Werke. Lie- 
ferung 10. Leipzig. Breitkopf & Härtel. 

Leist, Arthur, Georgische Dichter. Neue, viel- 
fach \erm. Aufl. Dresden, 1% Pierson. 

Lemmermayer, Fritz, Im Labyrinthe des 
Lei »dis. Gedichte. Zweite Auflage. Grossen- 
hain, Baumei t & Runge. 

Lenburg:. Wolfgamr. Oberlehrer Müller. Mit 
Zeichnungen von Joseph Sattler. Berlin, Ge- 
brüder Paetel. 

Liebisch, Rudolf. Die Hochzeitsreise. Grossen- 
hain, Baumert und Rouge. 


Bibliographie. 


^ 39 


Lindenberg*, Paal, Um die Erde. In Wort u. 
Bild. Heft 12—19. Berlin, Ferd. DUinmlers 
Verlagsbuchhdlg. 

Llnrg, Hermann von, Meine Lebensreise. 
Autobiographie. (Zeitgenössische Selbst- 
biographien Band L) Berlin, Schuster lind 
LoefÜer. 

Lloyd« John Uri, Elidorhpa oder das Ende der 
Erde. Mit vielen Illusti ationon von .1. Augustus 
Knapp. Autorisiite deutsche Ausgabe. Band 
1 und 2. Leipzig, Wilhelm Friedrich. 

Kanon, Friedrich, Napoleon I. und die Flauen. 
Mit 49 Abbildungen und 2 Briefen in Fac- 
simile. Uebei tragen von Oscar Marseliall von 
Bieberstein. 6. Aufl. Leipzig, Heinrich 
Schmidt und Carl Günther. 

Mauthner, Frit«, Kraft. Roman. Dritte nen 
duichges. Aufl. Dresden, Heinrich Minden. 

Meissner, Frans Hermann, Das Künstler- 
buch. Eine kleine ausgewäblte Reihe von 
Künstlermonographieu. Band IV. Hans 
Thoraa. Berlin, Schitster & Loeffler. 

Mensel, E., Der Frankfurter Goethe. Fiank- 
furt a. M, Li tei arische Anstalt (Rütten & 
Loening.) 

Meyer, Rft"« Georg*, Eros und Psyche. Ein 
Gedicht. Zweite Auflage. Berlin , Karl 
Siegismund. 

Monographien snr Weltgeschichte. In Ver- 
bindung mit Anderen hei ausgegeben von 
Ed. Heyck. IX. Alexander der Grosse. Von 
Prof. Dr. Fr. Koepp. Mit einer Kunstbeilage 
und 85 Abbildungen. Bielefeld, Velhagen & 
Kla^iug. 

Mttller, Klara, Mit rothen Kressen. Ein Ge- 
dichtbuch. Zweite veriinderteAu flöge. Grossen- 
hain, Baumert & Ronge. 

Nioati, Le Dr. W., La Philosophie naturelle. 
Paris, V. Giard & E. Briere. 

Ho&ck, Dr. Friedrloh, Italienisches Skizzen- 
buch. Band 1 u. 2. Stuttgart, J. G. Cotta’- 
sche Buclih Nachf. 

Plauderstündchen. Eine Festgabe zur Unter- 
haltung und Belehrung für Knaben und 
Mädchen von 8—12 Jahren, herausgegeben v. 
Helene Binder. Ausgestattet mit zahlreichen 
Bildern in Farbendruck, Holzschnitt etc. 
Nürnberg, Theo. Stioefers Kunstverlag. 

Pock’e Alexander, Bilderbuch für die Jugend 
im Alter von 5—8 Jahren. 18 Farben- und 
18 Schwarzdruckbilder mit Texton gesammelt 
und gedichtet von Franz Bücking. Wien, 
Gesellschaft für vervielfältigende Kunst. 

Fötal, Eduard, Mitbürger. Neueste Skizzen- 
saramlung. Wien, R. Mohr. 

Frävost, Maroel, Auf Liebest ogen. Einzig 
autorisiite Uebersetzung aus dem Französi- 
schen von F. Gräün zu Reventlow. (Kleine 
Bibliothek Langen. Bd. XXI ) München, Alb. 
Langen. 

Beater, Otto, Ludwig Jacobowski. Werk, Ent- 
wicklung und Verhiiltniss zur Moderne. Berlin, 
S. Calvaiy & Co. 

B£e. Paal Johannes, Modem. Der rechte 
Weg zu künstlerischem Leben. Eine apolo- 
getische Studie. Leipzig, E. A. Seemann. 

Buettenauer, Benno, Maler-Poeten. (Ueber 
Kunst der Neuzeit. 3. Heft) Strassburg, 
I. H. Ed. Heit*. (Heitz & Mündel) 

Buppios. Otto, Der Pedlar. Roman aus dom 
amerikan. Leben. (Meyers Volksbücher 
No. 1239—42.) Leipzig, Bibliogr. Institut. 


Samarow, Gregor, Der Krone Domen. Histo- 
llscli - romantische Bilder aus dem Leben 
und Leiden der Kaiserin Elisabeth von 
Oesterreich. Erster Band. Heilbrunn a./X., 
Moderner Romanverlag G. in. b. H. 

Sohiefler, Gustav, Hamburgische Cultur- Auf- 
gaben. Hamburg, Alfred Janssen. 

Schmid, Christoph von, Rosa von Tannen- 
burg. Eine Geschichte des Alterthums für 
Eltern und Kinder. (Meyers Volksbücher 
No. 1234, 12:5.) Leipzig, Bibliogr. Institut. 

Schmidt, Bernhard. Die Insel Zakynthos. 
Erlebtes und Erforselites. Freiburg i./Br., 
Friedrich Emst Fehsenfeid. 

Schönbach, Anton K, Gesammelte Aufsätze 
zur neueren Litteratur in Doutschland, Oester- 
reich, Amerika. Graz, Leus< liner& Lubenskvs 
Univ.-Bli. 

— l'eber Lesen und Bildung. Sechste, staik 
erweiterte Auflage. Zolmtes bis zwölftes 
Tausend. Graz, Leuscliner & Lubenskvs 
Univ.-Bli. 

Schönthan, Paul von, Ernst bei Seite. 
Humoristisches und Ironisches. Wien, 
R. Mohr. 

Seiler, Paul, Brocken. Religiöse Gedichte. 
Grossenhain. Bamneit & Ronge. 

Siegrlerscbmiat, Hermann, Au< Licht und 
Leben. Gedichte. Berlin. R. Boll. 

Stangen, Fugen, Von der Lotosinsel. (Was 
mein Dämon singt.) Gedichte. Zürich, Caesar 
Schmidt. 

Tanera, E, Krieg und Frieden. Ernstes und 
Heiteres. Illusti irt von Ernst Zimmer. Berlin, 
Richard Eckstein Nachf. (H. Krüger.) 

Tann-Bergler, Ottokar, Pomeisl & Comp. 
Wienerisches. Wien, R. Mohr. 

T&nno, Wilhelm, Im Thurm. Ein Schauspiel 
in 5 Acten. Cleve. Druck und Conimissions- 
verlag der Koch'scnen Buchdruckern. 

Thumano, Paul, Für Mutter und Kind. Nürn- 
berg, Theo Stroefers Kunstverlag. 

Trtibner, Wilhelm, Die Verwirrung der Kunst - 
begriffe. Betrachtungen. Zweite vermehrte 
Auflage. Frankfurt a. M., Litiei arische An- 
stalt (Rütten & Loening.) 

VUliers, Cte. A. de, de L’iale-Adam« 
Histoircs souveia : nes. Brüssel, E. Detuan. 

Warner. Dr. Han», Coloniale Zeitschrift. 
1. Jahrgang No. 1. Leipzig, Bibliogiaphisches 
Institut. 

Wahle, Dr. Btchard, Kurze Eikliinrng der 
Ethik von Spinoza und Dai Stellung der de- 
linitiven Philosophie. Wien, Wilhelm Biau- 
mtiller. 

Walcker, Dr. Karl, Oesterreichs evangelische 
Bewegung und sein Staatsinter esse. Gott ngen, 
Franz Wunder. 

Wedeklnd, Frank, Die junge Welt. Komödie 
in drei Aufzügen und einem Voispiel. 
München, Albert Langen. 

— Der Liebest! ank. Schwank in 3 Aufzügen. 
München. Albeit Langen. 

Wiehert, Ernst, Richter und Dichter. E n 
Lebeusansweis. (Zeitgenössschc Sellistbio- 
giapliien Band. IL) PerUmSchusUir &Locffleiv 

Wiener, Oscar, Gedichte. Titellithogiaphie v. 
H. Steiner. Berlin, Schuster u. I> elller. 

Wilmar, Dr. Otto, Zum Verständnisse Goethes. 
Vorträge vor einem Kreise christlicher 
Freunde gehalttn. Fünfte Auflage. Mar- 
burg, N. G. Elwert’sche V T erlagsbuchhdlg. 


Bebigtrt unter Derantn>ortlicfcfe(t bcs Peraasgeber*. 

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Monatsschrift in dentsoh. und frans. Sprache für Handel, Industrie, Finanzen, Reise, Verkehr und 
Politik — zur Hebung 1 der Bestehungen zwischen Deutschland und den Ländern der 
Levante — sur Förderung des deutschen Exports nach dem Orient. Proben ummera 
gratis direct vom Herausgeber. Ppstzeitungsl. Nr. 5829. 


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5 .1 . i ar 1 ')' H 







I 



Xloxb unb Siib. 


(Eine ö e u t f dj e ZHonatsfcfjrift. 


£)erausgegeben 

ron 

Paul Ctrtbau. 


XCII. Sanb. — ^cbruar (900. — fieft 275. 

(mit einem Portrait in Babirung: Knut Pamfun.) 



55 te^Iau 

5d)(eftfd}e Bndjbrucf erei, Knttjl« unb I?erlags«2lnjia(t 
d. 5. Sdjottlaenber. 




Der golöette ßdfig. 

Scfyaufpiel in Dtec ilften. 

Pott 

f tlif PBilippl. 

— Berlin. — 

$ e r f o n e n : 

Die ,^xrjogin=2flutter. 

SÄ j *" ® fc 

©raf (Gregore bi Sölabreöcu. 

Äantmerberr bon ßuciuä. 

StnbreaS ©crberbing. 

3cit: Die ©egentoart. 

Ort ber Jpanblung: Der erfte, britte imb bierte Stet fpiefen auf bem ßuftfefttofe 
föofenbufd), ber gtueite bei SlitbreaS ©erberbing. 

Ctftet SCufäug. 

Die Sommerrefibeitä Stofenbufd). 

©ro&er Slococofaal in einem furfttid&en ßanbffb be» bongen Sahrhunbert». 3m £>intcrgrunbe gro&c 
mettgeöffnetc ©lafcthüre, hinter biefer eine reidb mit Otumen gefebmiidte 2er raff e. Öon biefer führt eine 
breite Freitreppe in ben uralten $arf, ber fi<b mit feinen im barofen ©efdjmad beb Porigen Fabtbunbert* 
toohigepftegten ©o»fet» unb berfdmittenen Reefen in toelte Ferne berüert. geller ©ommertag. 

91n einem Stabliffement linf» ftfct bie gefgogitttVltttter, eine bornehme, UebenStofirbigc Dame 
ttnfang ber ©edfoifl; ihr gange» SBefen athmet ftelterfeit unb £>ergen»güte; fle ift mit einer ©tldercl be* 
fthftftigt; ihr gegenüber fifct Cf« 6<t**rfcitt<t, ein fchöne* OTbcben bon 22—23 Fahren, fte lieft ftitt 
in einem Buche. Siecht» (auf ber anberen ©eite ber Bilhne) fffct in einem tiefen Fauteuil $ev}*<t C#c«f> 
«itftntg ber Biergig; fchöne ariftofratifche Srfcheinung; er ift mit liefen bon Örieffdjaften unb Leitungen 
befchöftigt. Sin SBeilcpctt tiefe ©tille. 

£erjogin (nä»renb n» weiter^*). £aft ©u einen 33rief non ©einer $rau? 

Serjog. 3fa! 

$erjogin. @el)t e« ipr unb bem jungen gut? 


(Stoa, feine Dodfter. 
©rfter ftamnterbiener. 
3tueiter ^ammerbtener. 
©in fteiner &nabe. 

©in fleineS 9ttabdf)en. 


IO 5 


^eltj pljilippi in Berlin. 


HO 


•gerjoiv ©0113 gut! Sie [äfft ©id) grüjjen! 

^ersogin. ©ante! gft fic nod) in Qnterlafen? 

^evjog. Sa! 216 er fic miß morgen nach Stigi Äaltbab überftebeln! 

(kleine $aine.) 

.perjogin. 2tf>! 2?ie baS {jiet roofjttfjut! ©iefe ^immlifdje Stofe! 
3 ft nie nad) meinem ©efdnnad gemcien, mich im Sommer in ben über- 
füllten SliefenbotetS 311 iangmeiien! ©inmat bot mich ©ein feliger $>ater mit 
in bie Schmei; gefdjleppt! ©initial unb nicht mieber! ©iefe oor ©emutf 
erfterbenben SSirtbe, biefe benoten Stetlner unb nun gor biefeS Spiefjrutbem 
toufen burdj baS goffeube publicum! Gntfefetidj! 3 <h habe deinem SSater 
bamals gefogt: „33ernl)arb, id) habe ©ich febr lieb, ober menn ©u mir 
baS nod) einntoi antbuft, loffe icb mid) non ©ir feheiben!" ©er ^reiS 
mor iljm boeb 311 tbeucr, unb bo bat er mid) bnbfcb bobeim geioffen! . . . 
©0 lobe id) mir mein ftitteS Siofenbufd)! aSierjig Sabre fomme icb üun bet! 
Suerft als 23 raut, bann als junge $rau, bann habe id) ben erften Sdjrei 
non ©ir hier gebürt . . . (in ferner Erinnerung) unb meid) ein Schrei! ©leid) 
wie ein StegimentScommanbeur jeigteft ©u ©einen ©intritt in bie SBeit au 
. . . unb nun bin icb jo gar als mürbige ©rofnnntter hier! Unb immer 
mieber fmbe id)’S febön! . . . (spoufe.) Siebe ©na (int*m fl« mr w« sanbarwt jeigt), 
mie t’inben Sie cigentiidi biefe garben3ufammcnftcltung? ©eniren Sie fidj 
nur nid)t: fcbeufjfidj, nicht mabr? 

©na (tadjetnb). StCfcrbingo . . . 

ß e r 3 0 g i n cmo. „Sltterbings" genügt mir! ©rennen mir’S mieber 
auf! Slber mal fetten mir an bie Stelle 'i csie »rmen b« e»a mo<« ber 

•tvr30fliu lene einige ©orfdjläge.) 

.perjog (in einer 3eiiimg ceienb, bann). 9 Jotürli<f>! ©aS fiub ja bie beliebten 
Sdjlagmorte ... bie nerfeblen niemals iljrc SBirfung ... bie föbern immer 
bie -Beenge! Jgöre nur . . . 

£>er;ogin (immer launig). ©bu’ mir ben einjigen ©efallen, mein Sohn, 
unb [ab mich mit ©einer leibigen ijßotitif ^ufrieben! StuS ber habe idj 
mir 62 Sabre nichts gemacht, unb eS mirb ©ir audj foum gelingen, mir 
jebt noch ein befonbereS Sütereffe bafiir eirtgufföüen! 

fjerjog. 2 lber ich bitte ©ich, hefte -Dtama, greiferr non SangSfetb. . . 
üerjogin. . . . ift ein Diann, ber eine febr [ongroeitige grau, 3mei 
impertinent böfdicbe ftiuber unb brei febr bübfdje 'Jtferbe bat! Stiles 3m 
gegeben! 2lber ob er in ben SteidjStag gercäbtt mirb ober . . . (mit einem 
wiet auf cf»«) . . . ober ein Stnberer . . . bas ift mir gan3 gleidjgittig! . . . 
SrVnn mir hier einen groben grünen SilecfS binehtfebten? . . . SRerriidt, 
aber oport, F)5cT)ft apart! . . . UebrigenS, ©na, haben Sie ben fprinjen 
niiht gefeben? 

Goa. Sieht! 

^er3ogin. SSnbridjeintidj beeft er mieber über feinen 33 ü<hern unb 
»erbirbt fidi mit afl feiner Stubirerei nod) bie Singen! Unb eS märe 


Per golbene Käfig. f 4 f 

fdljabe nnt biefe Stugcn ! ©emt fie finb fdjön! Siun, EeinSBunber! (8uf«j) 

©ie ftat er oon mir! 

^erjog (ärgerlich bit bimiKrftnb). Stein, bct-J gef)t JU weit ! (®t [hrin.jt 

auf unb gebt r af<$ um^tr.) SJtit foldben 2Baffen Eätupft tnatt nidbt! 2t(ä SangS* 
fetb feine Siebe beenbigt t»atte . . . 

^»erjogin . . . ba atmeten Sitte erleidjtert auf! ©aS hätte id) 
TOatjrfcf>etnli<f» audb gettian! ©entt er ift, unter uns gejagt, wirtlich uit* 
erlaubt langweilig! 

■Öerjog. . . . freilich bent rabuliftifchen SBortfd^tuatt beS bemoErati* 
f<$en ©egnerS ift er nidbt geraadjfen! 

^erjogin. Stdb, liebe ßoa, jefct möchte idj Sie bod) bitten, mit 
meine Brille ju boten! @S gel;t fonft wirtlich nidbt! Sie finben fie gereift 
nodb auf bem ©ifdb in ber Saube! (Sic tfopfr (*öa [ie&eboÜC bic ©aefen.) 

@Da (TOitte ab). 

Zweite Scene. 

^etjOgin (au» btm Jiä&Git&dxn eine Stille nebmenb unb fie auffegenb). ©ic TOitb 

fie lange fudjjen Eönnen! Slber baS wollte idb grabe! $d; habe baS SJtäbcben 
weggefdbieft, weit i<b nidbt will, baft in ihrem Söeifein unoerbinbtidbe SBorte 
über ihren Bater faHen. SJtein lieber Sohn, ®u roirft mir sugeben, baft 
ich ©idb berjlidb wenig genire! Slber bie 3ugeftänbniffe, bie ®u mir nun 
einmal gemadbt baft, bie müffen audb refpectirt roerben! 3<h höbe mir 
@oa ©erberbing als meine Borleferin erbeten, roeit idb fie fehr lieb habe! 
Unb wenn idb 3«nanben lieb habe, weift idb audb warum! Sie ift ein 
liebes, EtugeS unb geiftooHeS ©efdböpf! Stann mir audb fWiemanb uerbenfen, 
baft idb lieber ein Weiteres, fdböiteS junges üiäbdjen aus ber bürgerlidben 
©efeUfdhaft um midb habe, als fo eine oerbiffene alte Jungfer mit meinet* 
wegen 3000 Sllmen, bie nor lauter Bornehmthuerei fidb nicht bie Siafe ju 
wifdben traut! ©aft 6oaS Bater ©ein politifdber ©egner ift, geht mich 
gamidbts an! Unb baS empfinbet fie ganj ebenfo, fonft wäre fie nidbt 
hier! 2llS bie ©odjter eines wohthabenben SWanneS hat fte’S boch wahr* 
haftig nidbt nötbig unb Eönnte ihre 3 e ^ beffer anweitben, als einer alten 
$rau fdbtechte Stomane uorjutefen ! 2llfo idb mödbte ©idb bitten: mach’ 
mir baS junge SOtäbdben nidbt fdbeu! ©enn, wenn ©u fie mit ©einer 
ißotitifirerei aus bem £>aufe treibft ... . id) würbe baS feljr fdjmerjtich 
empjtnben! 

$erjog. Sei mir nidbt böfe, liebe SJtama, es war gewift ni<ht meine 
Slbfidbt, Fräulein ©erberbing ju uerletsen! Slber, mein ©ott, man Eann 
nidbt jebeS SBort auf bie SBagjdbale (egen! ©iefer Später Eann wirElidb audb 
ben Sangntüthigften in Stage bringen! 3d) habe ©einen SBunfdb erfüllt 
unb ®ir Fräulein ©erberbing als 33orleferin ober uieltnehr als ©eine 
ftänbige Begleiterin bewilligt, fotange wir im Sommer auf Siofenbufdb finb, 
trofcbem . . . 



^elij pt)ilippi in Berlin. 


H2 


£er jogin (munter). . . . trofcbem bie gute ©rdftn Mfeing über btefeit 
SBerftoff gegen baS Zeremoniell pflicpfchulbig in eine tiefe Cljnmacbt fiel. 
3<f) habe lange nicht fo gelacht wie bamatS! 

£erjog. . . . 3<h habe mich alfo ®ir ju Siebe bamit einuerftanben 
erflärt unb baburd) rooljt genügenb bemiefen, baff ich ißerfönlicheS non Sach* 
lidhem ju trennen roeifj! %a, ich will ®ir geftepn, ich batte babei fogar 
bie geheime Hoffnung, baff bie Stellung ber Xoc^ter non günfiigem unb 
beftimmenbem ZHnfluff auf ben Später fein mürbe . . . baff bie Sichtung, 
bie fie per geniefjt . . . 

#erjogin. Stein, nein! ©ompronüffe läfft ber nicht mit fid> 
fcpieffen! Unb nun gar burch Sentiments ! 

Jperjog. 316er ju bunt barf mir’S biefer #err bo<h nicht treiben! 
Stach biefer fulminanten Stebe, bie er ba geflem Slbenb noch gehalten hat, 
fott’S mich mnphaftig nicfjt munbern, menn heute nicht SangSfelb, fonbem 
&err SlnbreaS ©erherbinq geroapt mirb! Unb mit feinen 5BolfSbeglücfungS* 
ibeeen, bie nicht $anb unb nicht gujj haben, mit feinen großen SSBorten 
unb fchönen ißhrafen ift er mir in ber Seele oerhafjt! ©r ift . . . 

^erjogin. ... er ift ein bebeutenber SJtann unb ein ebter SJtenfch! 
3<h habe ihn nur einmal gesprochen! ©in SJtäbchen mie ©oa lann nur 
einen folgen SSater haben! ©aff er ®ir unbequem ift, baS !ann ich ®tr 
nicht uerbenfen . . . achten mufft ®u ihn trofc allebem! Unb menn ®u 
©ir bie -Küp nehmen roürbeft, einmal in baS £erj biefeSj SJtanneS ju 
flauen, mürbeft ®u ihn auch liebgeminnen. 

$erjog (ärgern« umfcr) .... unb i^u fd^lie^tidh noch unterthönigft 
bitten, mein SJtinifter ju merben! ®en Stamen ©erberbing an allen Straffen* 
eclen auf blutrotpn ^lafaten ju fepn, ift maphaftig nicht nach meinem 
©efchmacf! 

#erjogin. Unb SangSfelb baneben auf grasgrünen! ©S ift nur in 
ber garbe ein Unterfcpeb! 3« ber marftfcpeierifchen Slnpreifung ber 
©anbibaten auch nicht ber geringfte! (matirenb ber lebten ©or* ffeljt man Gua mit best 

^riitjeti Hrthur in lebhaftem (Äefpräd) burd) ben fßart tommen; bei ihrem Gintritt nimmt bie $er§ogüt 
fdjnell bie »rille ab unb berftetft fie toieber im Ärbeitdtörbdjeit.) 

Dritte Scene. 

©na. ©er Sßrinj, ben ich im ißarf traf, mar fo freunblicp mit mir 
nach ber 33riHe ju fuchen, aber . . . 

$er jogin . . . Sie haben fie nicht gefunben? SKerfmürbig, p><hft 
merfmürbig! 

ifSrinj 31rthur (junger Btann bon ungefähr 28 fahren, fhntf>athifch, lebhaft, in fommer« 
liebem önsug, auf feine SDhttter §utretenb unb ibr bie §anb fiiffenb). SBcife ©Ott, 9Jlama, XOCL$ 

für SlUotria ®u mieber mit ber getrieben paft! Seitbem ich geftera 

©einen ißubel mit ber 33riHe herumlaufen fah, traue ich ®ir SlUeS ju! Dber 
roiHft ©u uns gar einreben, bas gelehrige ©per hätte fie fleh felber 
oufgefep? 



Der golbeite Käfig. 


H3 

&erjogin «a® 33erfu4en wollte i4’3 eigentficf»! 2l6cr eS fd&ieu 

mir bodj ju gewogt! hätte mir ja allen ©rebit bei @u4 »erf4er}t! 

Dierte Scene. 

Äammerlierr non SltciuS (älterer $err Bon redits mit einigen papieren in ber .(xinb). 

ßerjog. 2BaS bringen (Sie mir, lieber SuciuS? 

SuciuS. ®aS SBabtrefultat, ^of»eit! 

^erjog (nimmt lebhaft bas (Papier unb wirft einen 9(id hinein, bann mit bem 3u|je aufs 
Üampfenb.) ©mpötenb! (Ce gebt erregt umher). 

ißritt}. ®arf man erfahren? 

SuciuS. &err ©erberbing ift mit einer Majorität non 4233 Stimmen 
gewählt worben! (fpaufe.) 

ßerjogin. Unb nun fommen Sie, liebe ©oa, wir wollen ben fyem 
litten Sommertag geniefjen! Unb bann muffen mir bodj enblidj in unferem 
Vornan oorroätts fommen! ©in armer junger 50iann, ber ein reiches 3Jtäb<hen 

UnglÜdlid) liebt . . . eS ift }U fdjön ! Slber (roübrenb fie (angfam mit PBa jut 3JiitleI= 

tbur gebt) wenn bie SBeiben fidh nitht Wegen, ©na, bann bürfett mir $iid»er 
non einem folthen Barbaren nitht mehr in’S &auS! SBenn fuh 3roei lieb 
haben, müffen jie jufammenfonimen! 3)aS ift im Seben fo, fo muh es 
auch in ben SBüdjem fein! SßenigftenS in benen, bie i<h lefe! (Sic ßeljt mit 

(£>a bie Xrebpc hinunter In ben $arf.) 

fünfte Scene. 

^erjog (ergreift nochmals bas ®(att unb Wirft es bann bin). 4000 Stimmen 
Majorität! Stuf eine folthe Stieberlage war ich nicht gef afft! SDfan ift ju 
t affig auf unferer Seite gewefen! Ober wiffen Sie irgenb einen anberen 
©runb? 

SuciuS. Steinen, Roheit! 

ißrin} («big). 34 ro 'll 3b nen ben ©runb fagen, #err non SuciuS. 
@S ift bie geiftige Ueberlegenheit beS £erm ©erberbing! 

&er$Og (bleibt einen 3Roment flnnetib flehen, bann). 34 erwarte ©reellen} ©eb= 
harb in einer Stunbe! 

SuciuS. ®er 3)ünifter ift bereits im SSorjimmer. 

^erjog (nach re$ts Borangebenb). Sitte, taffen Sie ©pcetlen} eintreten! 
SuciuS (folgt ibm). 

Sedjfte Scene. 

iß rin} (wenbet (ich narb bem ®arl, wäbrenb helfen tritt). 

©rfter Stammerbien er (Bon tints ein unb Überreicht ibm auf einer 6cbalc eine Starte). 

Der ßerr ©raf fragt, ob er bie ©hre hoben fann, non ©uer Roheit empfangen 
}u werben? 

ißr itt} (bie Satte tefenb, als ob er feinen Bugen nicht trauen bitrfe). ©raf ©tegOte bi 

ÜJtabreSCU? (Mit grober Sebbaftigleit.) 3ft 3ft Toirfli4 l)i«? 

©rfter Stammerbiener. 35er .öerr ©raf wartet im SSeftibül. 



^eltf pfjtlippt in Berlin. 


w 


iß r inj. 34 taffe ben ^erm ©rafen fofort bitten. 2 lber fo eiten Sie 

fidj bocf) ! 

Grfter ftammerbiener (Uns ab). 

Siebente Scene. 

ißtinj (gebt (e&baft iimfjet; man fiebt, ba& er Bon bem ÜBnnfdje erfüllt tft, ben Hngefiinbigten 
ȟicbcriufchen. 5?urje s 4$aufe). 

tötöf (Srcgore bi 3KöbrC^CU (ein eleganter 9)fann, ©nbe ber 3 &XM 3 & Intereflanter 
fiibtictjer Styrna im ©alonanjug, tu ber linfen Xfyirt). Satf T(J)? 

iß rin j (ibm beite $änbe entgegenftreefenb). Seien Sie inir roittfommen, lieber 
alter fyreunb, feien Sie mir betätig roittfommen! 

fDtabreäcu (febr angenehm berührt). 2 lucf) xi), mein ißrinj, freue muß »on 
Herjen! 

ißrinj. Saffen Sie fidj mal anfdjauen! ißoß ©aufenb, ftnb Sie 
nerb rannt! 3a freitief;, 3ßre Sonne ba unten brennt ßeißer, afe ßier in 

Unferm froftigen 3iorben ! (gorbert jum eiben auf, wäbrenb »elbe vls-ä-vts nehmen). 

iDtabreäcu. Unb fie brannte fo erbarmungslos, baß idj es oorjog, 
it;r ju entfließen, ©ie iDloSfitoS mürben au4 ju unoerfeßämt. 

iß r inj. üßoßin reifen Sie? 

iDtabreScu. 3 tad) einem engtifdßen Seebabe, unb auf meinem Üöegc 
burd; ©eutfdjtanb fonnte icß unmögtid) ßier üoriiber, oßne 3 ßnen bie £anb 
ju brüden! 

ißrinj (reiebt ibm bie $anb). 34 baute 3 ßueit! 

DWabreScu (betrautet tbn einen TOoment). Unb barf i4 eine Sitte mögen? 
Sind) 3ßnen fönnte nad; ben Ütnftrengungen beS ilöinterS eine Erßolung nid;t 
fdjaben! ©enn — ganj entre nous — (tacbenb) ein bisdjen blaß, Hoßeit, 
feßen Sie auS! Äontmen Sie mit nadß Srigßton! Sie finben bort bie 
befte Suft, baS befte Gffen, bie befte ©efetlfcßaft unb, roenn Sie motten, audß 
bie . . . fdßlecßtefte! 

iß rin j (mit einem furjen seufser). 34 bin nidt)t in ber Stimmung, 2M>reScu, 
unter frößtuße 9)tenf4en ju geßen! 

iDtabreScu (tacbo. 3 n / i®, fotcEie Stimmungen tenne i4! SBenn baS 
Sollet im Sommer beurlaubt ift, fängt man ©rillen! 

iß rin 5 . S 4 erjen Sie ni4t, ©regor! ©ie fetten ftnb längft oorüber! 

iDtabreScu (beiter), £oßo! 3ß Juan benn in ben menigen 3®ß tetl / in 
benen mir uns ni4t gefeßen ßaben, ein fo ernfter, roürbiger iDtann 
geroorben? 

ißrinj. 3a, alter greunb, bie f4önen Seiten, bie mir in Sonn unb 
Heibelberg «erlebt ßaben, finb unroieberbringtüß baßin! ©a ßatte man 
ben ftopf not! ron ©oüßeiten, aber au 4 coli oon ißlänen unb Hoffnungen, 
©ie ©otlßeiten ßat man fi4 im Saufe ber 3®ß re felber abgemößnt, unb bie 
Hoffnungen ... bie finb Einem abgemößnt morben! (®r gebt na*benai<b «mber. 

($anfe.) 



Der golberte Käfig. ^5 

SDJabrescu. ©eftatten ©ie, ^ßrinj 2trtE>ur, baß idb fo offen unb fo 
freunbfd^afttic^ mit 3 bnen fpredfe, roie früf>cr ( ? 

Sßrinj. ©preßen ©ie nur, Siabredcu, fpredjen ©ie nur! 
2 Kobre§cu. 2 llfo wohlan! 3b r e Serftimmung, gbte übte Saune . . , 
^ßrinj. ©d ift mehr als übte Saune! onimW). 6 $ ift tiefe ©raurigfeit ! 
ÜDlabredcu. 2 ltfo wenn idj ^tjuen einen ©efallen bamit ertoeifen 
fann, nennen wir’d tiefe ©raurigfeit! gebed Sing tjat feinen ©runb! 
„©ieftraurig" ift ein 3)tann in QJjrer ©tellung erfahrungsgemäß nur in 
jwei gälten! Gntweber er f;at ©cbulben . . . bad ift bei J^fjuen auS= 
gefditoffen . . . ober, wenn er ungtüdlidj oerliebt ift! (SPrina fcroteftirt fcbfjaft.) 
3 cb gebe gfinen ben guten SRatb, beüatljen ©ie fie, unb wenn ber ©rft« 
geborene ein 5 tnabe wirb, taufen ©ie ihn in banfbarer ©rinnerung an 
23onn, an ßeibetberg unb an ben untertbanigft Unterzeichneten: ©regor! 

ißrinj. SWein lieber greunb, ed giebt außer ©cbulben unb . . . 
Siebe audb nodj anbere ©inge, bie ©inetn bad Seben oerbittern fönnen! 

2 Rabrcdcu aa<wnt>). 3)lad)t 3 b n en »ietleicfjt bie bt»b e Sßolitif ju fdjaffen? 
23ie idb foeben unten im Drt erfuhr, leben ©ie ja augenblicflidb im fdjönften 
SBablfampf! 

ißrinj. ©er ift beenbigt! 2 lnbreaS ©erberbing ift geioäblt! 
3Jfabredcu. 3latürlidb ein 9tegierungdmann ? 

Ißrinj. ©in SBolfdmann! 

3Jlabredcu (ra<frt»b). ©iebt’d bad hier auch? . . . Unb ba fann idj 
mir benfen, baß bad im ©Stoffe ein wenig oerfdjnupft bat- allein ©ott, 
wenn’d weiter nichts ift! ©in ©türm in einem ©lafe SBaffer! ©a tollten 
©ie 'mal bei und ju tQaufe eine foldje SBablfdjladbt miterleben! ©a getjt’d 
ohne ©oldbftidbe unb dleooloetfcbüffe nicht fo leidjt ab! 2 llfo (na<$ timt at>= 
»eftrcnbcn seuegung be* ssrinj««) au<b bie ißolitif macht glpien fein ftopfjerbredjen ? 
2 (lfo wad fonft? 

ißrinj. Saffen wir bad! 

2 Jlabredcu. 3tein, ißrinj, nun poche id) auf mein 3le<bt ald alter 
greunb; jeßt müffen ©ie audj garbe befennen! 

ißrinj (smobrojcu* $onb erflreiftnb, teife). ©regor, idb . . ..bin ... ein un= 
glüdlidber 3Jienfd)! 

aKabredcu. ©ie? Gin tßrinj? 
gSrinj. ©ben weil idb ein ißrins bin! 

aJiabredcu. 2lber idb habe mir 3b r Seben fo abwedbdlungdreidb, fo 
anregenb gebadbt . . . 

fßrinj. 3)fein Seben? &ababa! 3Jtein Seben bewegt fict) wie bet 
ißenbel ber Ubr ba in einem Keinen ©ebäufe . . . tidf . . . tadf . . . 
tidf . . . ta<f . . . immer badfetbe! 3iur, baß bie Ul)t ba menigftend 511 
etwad bient, baß fte wenigftend ben 3)ienfdben äeigt, ob fie wieber eine 
©tunbe gut angewenbet ober oergeubet haben, wäbrenb idb! . . . o« wiiMr 
fieikenf^aft, o|ne laut ju toerben.) 2 (db, 3)labredcu, in meinem golbenen $äfig jterbe 



^elij Philipp« in Berlin. 


U6 

ich uot Sangeroeile! Unb ©ie roiffcn nicht, roaS baS Reifet, ftd^ »orfdjrifts* 
gentäfj langweilen müifen! iBerurtheilt fein burch Slang unb ©eburt §u 
einem t^atenfofen, nufclofen Seben. Dber glauben ©ie roirflich, eS fönnte 
mir genügen, 3al)t aus, 3af)v ein betraten ju brillen unb mein ffebcn 
auf ben ©yercitfelbern ju »erbringen? 

iütabreScu. $m! wats turjer ^auw ©o öffnen ©ie bocij ben &äftg, 
ißrinj! 

iß r in'j (feine $änbe teibenfcf aftlicfi auf SDiabrescn» Scfuitter Iegenb). 28emt i(f) baS 

fönnte, ©regor, roenn ich baS fönnte! 9iur ein 3iel, uur einen SebenS* 
jroeä! Slur nidjt bie ©age in bem öben ©inerlei bofiinbringen muffen, 
nur toiffen, rooju, für roen man lebt! 

•DlabreScu. $aben ©ie benn gar feinen ftreunb, gar feinen 93er* 
trauten, ber Sbnen biefen Jtüfig öffnen fann? 

ißrinj. ©u Heber £immel, bie paar SDtenfchen, bie mir hier nahe 
ftetjen, bie fönnen mir wahrhaftig auch nic^t jur ftreifjeit »erhelfen! 
iDtabreScu. ©ie ^erjogin ÜDtutter? 

ißrinj. ©ie ©üte fetbft! ©ie »ermittelt, fte befchroidjtigt! IDlehr 
fann auch fie nicht! 

2)labreScu. ©ie fprachen, ißrinj, »on ein paar SDtenfchen? ©arf 
ich fragen . . . 

ißriit j. Sttun erfchvecfen ©ie nur nid^t, iDtabreScu, unb fchaubent ©ie 
nidht! ®aS einzige £muS, in bem ich mich roirflich roohl fühle, ifi baS 
&auS »on 2lnbreaS ©erberbing! 

iDtabreScu. ®em SBolfSmann? 

ißrinj. ftaroohl, bem SßolfSmann! ©in herrlicher SDtenfch! ©er 
©iitjige, mit bem ju »erfehren mir ein wahrer ©enufj ifi, »on bem ich 
lernen fann unb immer nur lernen, bem ich mein föerj auSfcfjütten fann, 
wenn es ju fdjiuer ifi, ber mich »erfteht, ber mich bebauert unb ber mir 
ju helfen bereit märe, roenn es in feiner SDtacht flünbe! 

iDtabreScu. Ebenfalls fehr originell! Sich, i<h begreife! ©iefe eigen* 
artige unb, roie ich »orauSfefce, »on feiner ©eite auch uneigennüfcige 
greunbfcfjaft . . . 

iß r inj. 3°, weiß ber ßinttnel, uneigennützig ifi fie . . . 
iDtabreScu ... bie betrachtet man hier natürlich mit fcheeten Slugen! 
SDtan roill ©ie roohl äroingen, biefe $reunbf<f>aft aufjugeben? 

ißrittj (bitter). Vielleicht »erfucht man auch noch baS! cp«ufe.) 

iDtabreScu. 3ft föerr ©erberbing »erheirathet? 

ißrinj. ©r ifi SSittroer. 

iDtabreScu. ÄinberfoS? 

ißrinj. ©r hat eine ©ocljter! 

■DtabreScu. jpübfcb? 
iß r inj. ©ine ©<hönf)eit! 

iDtabreScu. Unb flug unb liebenSroürbig, roie ich »orauSfetse? 



Der 90 Iben e Käft^. 


H7 


(Prinj. baS ift fie! 

WabreScu oia<o fu«er spante), (prinj, lieben Sie etwa bie junge 
Dame ? 

(prinj. WabreScu, Sie fennett gräulein ©erberbittg ni<$t! $u einer 
Siebelei märe fie ein wenig ju fiolj/ unb fie ju lieben . . . (« menbet n* an 

WabreScu . . . wäre in Öftrer ©tedung unbanfbar! 2llja! i<ft oet= 
ftehe! Deswegen wollen Sie fort oon f»ier? Sie wollen ber ©efafjr ent= 
fließen? . . . «taufe.) Um fo beifer! (er pept ant.) (Prinj Slrthur, wenn es 
nun Oemanben gäbe, ber Oftnen biefen golbenen (täfig öffnen fönnte, würben 
(Sie benn auift Wuth unb Straft genug haben, 3 U fliegen? 

(Prinj. Da i<b ben Wuth beiifce, würbe eS mir wohl aucfj an ber 

.(traft ni(f)t fehlen! «Saufe, ttäljrtitl) wtfcptr SWobreScu einmaf aufs unb abflefp, bann bfeibt 
er fielen.) 

WabreScu. Wein ?ßrin§, fchenfen Sie mir jefct ein Wal einen 
Sugenblic! ©ehör! So ganj jufallig bin iift benn bo<ft ni<f»t hier. 0$ bin 
fogar in einer ganj beftimmten Ütbfifftt gefontmen. $a, noch mehr, mit 
einem Staftrag! 

(prinj (fept beitmmbert). WabreScu? Sie? 3ln mich? 2ln ben früheren 
UnioerfitätSfameraben ? 

WabreScu owintirt). 2ln Seine Roheit ben (ptinjen 2lrthur! Diefe 
Denffdjrift erfpart mir oiele Worte! will Sie nicht oorbereiten unb 

Oft« ©ebutb nidfit burdj lange (Einleitungen auf bie (probe fteden! Sitte, 

lefen Sie! (®r gtfjt nad) pintat auf bie lerraffe, febri bann foitflfam jurütf unb Meibt im Sinters 
grunb faßen, Marf ben (Sinbrucf ßritfenb, ben bie Qectitre auf ben ^rinjen maeßt.) 

tritt j (faßt flc^ mit ber ©djrift [einer Ärt Äctenftiid, aber uatiirndj bon elegantem Meußern] 
toor ben ®titteltifcß, er beginnt erft rußig, bann mit immer toaeßfenbem 3ntereffc $u Icf«t # bie Olätter 
fliegen in feiner £aitb; bamt mit großer ßebßaftigfeit). -DZidj f)ätte ttlCttt bttJU 

erleben? Widj? 

Wahr es cu. Die fyreube, bie Sie barüber empfinben, bietet mir bie 
©arantie, bafc wir uns oerfiänbigen werben! . . . Wein (ßrinj, feit betu 
(Srlöfdben ber Dgnaftie Soriano ift mein (Baterlanb ohne Oberhaupt ! (Ein 

Sdhiff ohne fjührer, ein Spielbad ber (Parteien! Wir [ftehen mitten in 
ben furdijtbarften Wirren! Unfer föhöneS, fvudbtbareS unb cutturfähigeS 
Sanb mufj ju ©runbe gehen, wenn nidht ein (Retter in ber (Roth fommt! 
Wir brauchen einen gnvften. Die Wänner, bie biefeS Sdfjriftftüdf unters 
jeifftnet haben, finb wahre ffreunbe beS SaterlanbS, fie repräfeutiren unfere 
»ornehmften äbelSgefdhledhter, unfere älteften (patricierfamilien! Unb unter 
ad’ ben (Eanbibaten, weldhe bei unferer Wahl in Setradfjt famen, waren 
Sie uns, (prinj (drthur, ber fpmpathifdhefte! 

(Prinj. 0<f)? WabreScu, idh? 

Wahr es cu. Sie finb, was wir brauchen föniten, oon oornehmer 

©eburt, oon reiffter, wiffenfdhaftlidher Silbung, ein fluger (topf, ein warmes 
•Öerj (mit sBa^bnui) unb waS mehr werth ift, als 2ldeS, ein (Ebtenmann! 



^elij ptjUippi in Berlin. 


H8 


s 4>rinj (in simien wrtortn). Sie i'tberraf4en mid^ . . . Sic »er* 
wirren tntd) ... 

2)ia breScu. 9Ji4t3 liegt mir ferner, als bie unbeljaglide Situation 
auSjunufcen, in ber Sie i'idj 3hrer eignen Sd^ilberung na4 befinben! Sie 
fönnen mir iefct leine bunbige 3 u iage machen; bie habe id) audj ni4t er* 
märtet! 34 wollte nur miffen, ob Sie im ißrincip einoerflanben ftnb 
2WeS Stnbere bann fpätec unb auSfüljrlidjer. prüfen Sie fiel)! . . . Sie 
finben in meinem Sßaterlanbe ben SebenSjmed, nach bem Sie fidj fernen. 
Sie finben ein reidjeS gelb jur 5iEȊtigfeit . . . id) roiH eS 3hnen nid)t 
uerl)e[;[en . . . 3hrer märtet bort ein Ijeijjer, oießeid)t erbitterter Kampf, 
aber (»öffentlich aud) Sofjn unb Sieg! 

ißrin j (swabrtscu* beibe $änb« trgreifenb). 34 banle 3hueu, mein lieber 
greunb, banle 3huen oon ganjern ’^erjen, ber Kampf foH mi4 ni4t 
(4recEen! ueibenfdjaftiid)) nur fort oon Ijier, hier lann i4 nicht mehr leben! 

■BtabreScu. iprinj 2lrthur, i4 habe 3huen nun ben S4lüffel in 
bie fjanb gegeben; öffnen müffen Sic ben Käfig felbft! Serathen Sie fi4 
junädbft mit bem $ersog . . . 

^ßrinj (bumpf). ÜUein 23t über! . . . 

■BtabreScu. 3«/ auf Sßiberftanb müffen Sie Ü4 natürti4 gefaßt 
mad)en, . . . fo leicht erringt man eine Krone nidjt! ... 34 gebe 3bnen 
aud) ju. Sie merben hier mattdeä Siebgemorbene aufgeben muffen, aber 
menn Sie baS 3iel cot 2lugen haben . . . 

ißrins (M aufriditetib. männn^). 34 werbe mit bem $erjog fpre4en unb 
jmar fofort! . . . (®r gebt auf unb ab.) Sie bleiben bo4 noch einige Sage hier? 
SDlabreScu. 34 ftehe gauj ju 3brer Verfügung! 
ißrinj. Sie finb mein ©aft! ((fr ninfleit.) 

2ld)te Scene. 

3meiter Kammerbiener (oon unti). 

^rinj. Ser £err ©raf SDiabreScu mivb einige Sage im S4loffe 
bleiben. 

Kammerbiener (mit Verbeugung ItnCi ab). 

Heunte Scene. 

SDtabreScu. Unb nun mieber ju profaif4en Singen! Sarf i4 na4 
ber hier übliden SageSeintheilung fragen? 

ifSrinj. 93ian lebt hier auf 9iofenbufd ©ott fei Sani jroangloS unb 
ohne jebeS (Zeremoniell! 

ÜJlabreScu. 2)ian binirt? 
ißrinj. Um fedä! 

BtabreScu. Sa habe i4 nidt mehr oiel 3eit jur Soilette, unb 
bann muff i4 aud noch Seiner Roheit, bem $erjog, meine Süufmartung 
madien! 



Der golfcene Käfig. 


H9 


i^cljntc Scene. 

Grfter ÄdtninetbietieT (tum reibts mit «inet rotten SDianpe, bi« er auf b«n ffliittettiiei) 
fegt, unb bamt red^S ob). 

(Elfte Scene. 

©rinj. ®ie ©lübe, ©tabreScu, fönnen (Sie fief; erfparen! ®cc 
H c ia°9 wirb, rote id) fetje, im 3lugenbticf Jjier fein. 

^mölfte Scene. 

$erjOg (bie $er}Oflin=SDhitter am arme fiibrenb, Born spart herauf). 

©tabreScu (tritt ifjm einige ©djrltte entgegen, macht eine ehrfurd)t3bolIe Söcrbeugimg, in ber 
er noch «inen SRomcnt berharrt. 

töerjog (ibm fe$r BerbinMi« bie $anb reicbenb). Sefjc id) red)t? ©tcf 

©tabreScu? gd» Reifee Sie roiHfommcn! 

©tabreScu. 4ö°beit, icf) bin überaus glüdlidj . . . 

Herjogin (.m Me «anb »um spnfr« «i*.*.) 2ld), mein fdjöner Sforoatf! ga, 
ja, füffen Sie audj nur einmal einer alten grau bie Hanb, bas fann 
gf)nen gar nichts fdjaben, Sie . . . Sie §erjen3rciuber! (man fl ruBt>irt 

ftd), bie ^ersoßln fcfct fidj, toäfjrenb bie Slnberen ftefjen bleiben. 

©tabreScu. S)arf i<h mir bie grage erlauben, roetn idb biefen intet = 
effanten 9tuf »erbanfe? 

Herjogin. ©Babtfd)etnlidj fidj felbft. gdj roeijj nidfit, jebeS UM, 
wenn id) Sie jejje, mufj icf) an Stridleitern, ©tonbfdjein, ©tanbolinen, 
falfdie ©arte unb (Sntfüfjrung benfen! 

UJlabreSCU (mit einem bejiebuitflSBottcn ®(i<f auf ben sprinjen). CQOf)Cif , eS giebt 

auch ©ntführungen ohne biefe Hilfsmittel! 

Herjogin. ©Senn Sie es als Sadroerftänbiger jagen, mu& id)’S 
gfjnen glauben! ga, ja. Sie feheti ganj fo aus, als ob Sie ba unten in 
gfjrer roilben Heimat furchtbare ©erheetungen anrichteten! Sinb glue 
grauen , . . ao<$«nb) ich meine natürlich nidjt gl) re . . . ftnb fie fdjön? 
©tabreScu (fein). ®ie beutfd»en grauen finb fchöner! 

Herzogin. Unb nnb fie gut? 

©tabreScu. ®ie beutfehen grauen ftnb beffer! 

Herjogin (jum $erjoo>. ©r hat in feiner SBilbnifj bie ©alanterie noch 
nicht »erlernt! 

Her jOg (ber mSprenb biefer Unterhaltung in Srieffcfjaften geblättert tjat). ©lein liebet 

©raf, roie lange roaren Sie nicht f)ier? 

©tabreScu. ®rei ga()re, H°heit! 

Herjog. Sie roerben im ©arf maitdie l)übfd)e neue Slnlage finben, 
namentlich beim djinefifdien ©amHon. ( 3 um sprinjen.) SÖiUft S>u ben ©rafen 
nicht ein wenig berumführen? 

©tinj (ber nadjbertflitb finnenb in ben spart fap, jerftreut). SBie öie TOÜnfdlCn, 

©regor! 

©lab res cu. ©emühen Sie fid) nid)t, mein ©rinj! 



*50 


Pfjiltppt in Berlin. 


^3rinj. Zeniten Sie beti 2ßeg? Sie föntten entroeber gleich linf« 
«bbiegen ober audj grabeau« geben! 

2Jtttbre«CU (btjitljunflS&ott mit einem ®li<l auf ben Otrjofl). ©onn meißle idf) ben 
lebten 2Beg. ©erabeau« geben, i^rinj Mtbur, führt immer am fdmeHfien 
unb fidjerften jurn ,3iel! «st t*rf*u8t M tief.) 

^erjogin. 2lbbio, mein fdjöner ©regore bi 9Jtabre«cu, beim ©iner 
müffen Sie einige öftrer pifanteften Abenteuer jurn Seften geben! 

9)iabre§CU (Bur* ben Part ab). 

©reijebnte Scene. 

£erjog (tum spnnjen). §aft ®u einen Slugenblid $eit für midj? 
ßjrinj. ©iefelbe fvtage moHte i<b an ©idb rieten, 
fterjogin. 2ldb, ba tuodt Qbr mi<b wobt gar wieber uertreiben ? 
Sßrinj. 9iein, 9)tama, idj bitte ©id| fogar, ju bleiben! 
ijerjog. Slrtbur, i<b muß ein paar SBorte mit ©ir fpredben. 3<b 
redbne babei auf ©eine Olüdfficbt unb auf ©eine Vernunft. 6« bonbeit 
fi<b um föerrn 9litbrea« ©erberbing. 

^rinj. ©a« baJ)te idb mir! 

^erjog. Um fo bejfer! ©a« erleidbtert mir bie ©adje! ... ®u 
mußt gerecht fein unb mir jugefteben, baß idb bisher ber feltfamen greunb* 
fdbaft jmifdben ©ir unb bem &erm rubig jugefdjaut bube unb baß idb ®idb 
in feiner Sßeife eingefdbränft b fl be. 2tber nadb bem lebten ÜBablgange, 
nadbbem, wie mir ber ütinifter foeben beridbtet, &err ©erberbing ßcb al« 
offener fteinb meiner Oiegierung gejeigt bot, mödbte idb ®idb bitten, ben 
SBerfebr mit biefem -Dlanne aufjugeben! 

^rinj. SSarum? @r ift ber größte J^nbuftrieUe unfere« Sanbe«, 
feine SBebereien genießen einen 28eltruf, über 4000 SJlenfdben »erbauten 
ibnt 93rob, bie ganje ©egenb ift burdb ibn, burdb feinen großartigen 
Untcrnebntung«geift ju ÜBoblftanb gefommen. Unb uor Ment: $err 

©erberbing ift ein ©bremnann! 9JUt einem ©btenmann befreunbet ju fein, 
ift mir ein 33orjug unb . . . (wammo wirb e« audb bleiben! 

&erjog. ©laubft ©n? (sturje paufe.) Unb wenn idb ®ir nun »er* 
bieten müßte, weiter mit ißm ju »erfebren? 

tpriitg. So TOiirbeft ©u tnidb in bie Ototßroenbigfeit »erfeßen, ©idb 
ju fragen, mit roeldtem Stecbte ©n ba« tßuft? 

ßerjog. ©ie grage flingt boeß ein wenig feltfam! Mer ba idb 
®ir bie 2lntmort nidbt fdbulbig bleiben will: mit bem SRedbte, ba« mir al« 
Oberhaupt ber fyamilie juftebt! 

&erjogin. SDlein lieber Sohn, entfdiulbigc, baß idb midb in ©uer 
©efprädb mifdbe! ©u b a ft wir hie ©odjter unb ißm ben Steter al« 
fjfreunbe biöfjer gelaßen, ©afür finb mir ©ir Seibe feßr banfbar gemefen. 
®u felbft aber Ijaft banoit ben größten 3tertbeil gehabt, benn ®u Ijoft 
bamit »or aller SBelt bewiefen, baß ©u ein bodbberjiger unb »orurtbeil«lofer 


Der golbette Käfig. 


\ 5 \ 

Politiker ©egnet bift ! ©rflärft ©u rtacf) bet Stiebertage, bie ®u heute er; 

litten f>aft/ ober, wenn baS beffer Hingt, nach bem ©iege, ben er errungen 

bat . . erflärft ©u plöfetich £erm ©erberbing in 2lcfjt unb Sann, fo jeigft 
®u bantit ju beuttich, baff ©u ®i<h über ihn ärgerft ober ihn gar 
haffeft! Unb — nimm mir’S ni<bt übel — baS märe ©einer nicht 
rnürbig! 

^erjog. Siebfte SJtama, es fällt mir hoch mabrbaftig ni<f)t ein, mich 
©ir ober Ülrtbur gegenüber als ©eSpot aufjufpielen! 3<b beriicfiicbtige 
©ure 2Bünf<be, roo ich uur immer fann, meil i<b ©u<h lieb tjabe, roeil i<b 

©u<h gegenüber nur ©olm unb Sruber fein will. 9lber meine Stellung 

verbietet mir manchmal, uur nad) meinem -öerjen ju banbeln! Slrthur, 
baS mufft ©u einfeben, unb fann ich ©ir einmal einen Söunfdj nicht er- 
füllen, fo mufft ©u ©i<b bem eben fügen! ®as ift ©eine ißffoht! 

Srinj. 9Jteine Sflnh*? 3<h h a & e bisher immer geglaubt, baff 

Sfli<bten auch Siebte gegenüber ftehen! 

&erjog. 2flja! ©a fommen ja bie beliebten Sjß^rafen aus ben 93er= 
fantmlungen beS £etrn ©erberbing antnarfdiirt! 

Sriuj. $<b muff ©i<b fjöftidbft bitten, ben SDtann ni<bt in unfer 
©efprädh ju jteheu! 

töerjogin. 3lber Äinber, Äinber! ©ab bie attenfdfen bei fdjledjtem 
SBetter griesgrämig roerben, bas begreife ich. 216er fdhaut bo<h 'mal 
hinaus, roie herrlich heute bie ©onne lacht! 

Srinj (unbeirrt). Unb toillft ©u mir oietteidjt fagen, met<he SRed^te ich 
hier beftfce? 

$erjog «äf«*, aber beftimmo. ©ie ©ir jufomnien! 

Srinj (ergrimmt). ^arooht, bie mir jufommen! -Dtir fotnmt ju, ein 
unthätiges unb finnlofeS Sehen ju führen, baS mich anefelt, mir fommt es 
ju, Überall burdh ©tanbeSoorurtheile eingeengt ju fein unb ben 2lermfteit 
ju beneiben, roeil er roenigftenS arbeiten fann, roaS er roitt, unb leben, roie 
er mag! (süsniw.) ttJlein fWecfjt ift es, mein unantaftbareS tttecfjt, mich ju 
beugen unb ju fdjroeigen! («ufbraufcnb.) 2lber meine ^flidfjt gegen mich felbji 
ift eS, mich bagegen ju ro ehren, roeil ich noch SebenSfraft genug in mir 
fühl® unb roeil ich hier nicht erfticfen roitt! 

ßerjog. 3Boju baS 3ltteS? 

fßrinj. ©o fann es nicht roeiter mit mir geben! 3<h muff ©troaS 
haben, baS mich befriebigt, baS mich erfüllt, baS mir baS Sehen tcbenS* 
roerth macht, fonft . . . roeifj es ©ott . . . 

fjerjog. ©onft? 

Sriuj. . . . ntüffen roir uns trennen! 

ßerjogin (erwnxten). Slrthur, bift ®u oon ©innen? 

(^3aufc.) 

JOQ (geljt auf ben $rin$en §u, iljn einen Kugenblicf an, bann tegt er Ujm bic .$aitb 

«uf bie gujuBer unb fbricf« gütig), ©ei fein ©hör! Verlange nichts Unmögliches! 



32 


^clij ptjilippi in Berlin. 


3 d) fann ©ir beim beften ©illen feine ©fßitigfeit unb feine größeren 
'■Rechte einräumen! 3<h fenne ©eine guten Gigenfdiaften, ©einen ©brgeij, 
©ein ernfteS (Streben, 2lber in unferem fteinen StaatSförper ifi nicht 
ißlaß genug für 3 wci! §ier fann nur eine £>anb bie ßüget führen! 3 dE) 
fann mir ja auch ben ©rnnb ©einer plötstidjen Un 3 ufriebenfjeit benfen. 
So lange meine ©he finberloS mar, l)“ft ©u gehofft, bo<h noch ein 2RaI 
an meinen ißlaß treten unb ©ich fo bethätigen ju fönnen. 3 $ mache ©ir 
wahrhaftig feinen Rorrourf, weit eS menfcfilich unb begreiflich ifi! 3 efct 
ift ©ir burdj bie ©eburt beS ©rbprinjen auch biefe Hoffnung ge« 
raubt . . . 

ißtilt} (Drotefiirt rebfjaft). 

$ er 30 g. . . . unb nun haberft ©u mit ben SSerljältniffen! . . . Sei 
vernünftig, Slrthur, unb betreibe ©id)! 

iß r inj. 3ft baS ©ein ietdeS 2ßort in biefer Sache? 

.ÖerjOg. 3 a! (Sturje !paufe.) 

'ßrin} (ficf) niiimiiid) oufrid>teitb). So habe id) ©ir ©ttvaS mit }u theilen ! 
©raf -üRabreScu ift hier ats Stbgefanbter unb fiat mir bie Ärone feines 
SanbeS angeboten! 

$er}og. Unb? 

iß rin}. Unb ich h a & c utid) bereit erftärt, fie angenehmen! 

^cerjogin (entfett). 2 lrtljur! 

$er}og. 3 unge, bift ©u toll? 

ißrin}. 3 ch bitte ©ich, mich jefct ruhig an}uhören! ©ir motten, 
bädjte id), eine $rage, bie über mein gan}eS Seben entfeheibet, nicht mit 
ein paar allgemeinen Lebensarten ober gar beleibigenben ©orten abtljun! 

. . . 3<h bin fein ißhantaft, ich verlange vom Sdgdfal nichts Unmögliches, 
aber ich braud)e ein fiebenSjiel, fonft gehe ich 5 U ©runbe! ©u fannft 
mir fein aubereS £eben bieten, habere mich wenigftenS nicht ... ich 
bitte ©ich inftänbigft barum . . . baS giel }U erreichen, wenn eS [ich mir 
einmal bietet! 

(Qerjogin (mit jittembet stimme). 3Reht Sol)n . . . mein geliebter Sohn 
. . . maS toittft ©u bemt? 

'ßrin}. ©aS ©lüdf ! 

jperjogin. ©aS glaubft ©u bort }U finben? 

•Öer^og (Bote ®itrb<). ©ort roal)rhaftig nicht! ©of)l aber nur 
heißen .ftmnpf unb bittere ©nttäufchungen , ober vielleicht nod) . . . 
SdilimntereS! 

■Ü e r o g i n (bie vanbe Bor’s ©eM fd)Caflcnb). Um ©ott eSnüllen ! 

^erjog. Unb roenn ©u ©ir nun, mein junger 'ißrin} 3^ ar,, ^e bei 
biefcm Tvlug }ur Sonne bie fylügel verbrennft? 3<h fpiefe nicht gerne 
Rorfehung, aber . . . ©id) bavor }U ftfmfcen, ift meine ‘ßflidjt! 

^3 r i it } (ittgrimmig). Sage hoch lieber: ©ein Recht! our eerjoain) SßaS 
habe id) hier }u verlieren: Lichts ! ©aS fann i<h bort geroinnen: 3ltteS! 



Der golbene Käfig. 


*53 


Slufcer ben paar Kllenföben, bie idh tieb habe, aufeer ©ir, ©erberbing unb 
Fräulein 6ua .... wer wirb midi Iper oermiffen? ... Qm günftigften 
Qaße oielleid&t nod) bie Hoflieferanten! 

Herjog. Unb mich Bergißt ©u gartj? . . . Klrthur, ich ^abe ©icf) 
iieb! Qd) will ©ich nidht einer nebelhaften Qufunft entgegengehen fehen! 
Qdfj fenne biefeS Sanb! Qdfj bin auf meinen ©tubienreifen oft unb 
lange bagewefen! ©o wtlb wie bie Statur finb aud) bie SWenfdien! 
Unjugängltdj finb fie jeber Gultur unb feinbfelig jeber Steuerung! Unb 
ba wotttefl ©u, ein unerfahrener junger KJlenfdh, Drbnung fcfjaffen ? 
Ueberlaffe bas einer Qauft, bie fefter jujugreifen gewöhnt unb fähig ift! 

((* t gebt umfjet.) 

Hetjogin. Klrttfur, fontm’ mal ju mir! Klein, ganj nahe! cai« giebt 

ifjm bie $anb unb bann in riiljrenber beättiitgenber 3ärtli(l)teit.) ©f)U' eS ni(f)t ! Saß ©idlj 

nicht umgarnen! Qdfj bin eine oiel 3 U einfache Qrau unb fann midj mit 
©ir nicht in ein SBortgefedfjt eintaffen! ©hu’ eS nicht! Qd; fühle, ©u 
wiirbeft ©einem Ungliicf entgegengehen unb orjm teue unb innig jufiuftemb) bas 
überlebte i<h nidht! . . . SBitlft ©u ©ir ba Sorbeerert unb Klußm er= 
ringen? ©laube mir’S, mein Qunge, baS finb gefährliche unb eitle ©inge! 

(Sie nimmt feinen Siopf in beibe ijäiibe unb fügt ifnt auf bie Stirn mit beiger 3ärtticftfeit.) ©1)11* 

eS nidht! «saufe.) 

Herjog. 2Bie lange bleibt KJlabreScu hier? 

$tinj. ßinige ©age! 

Herjog. H a ft bu ihm fdhon eine bittbenbe Qufage gemadht? 
ijjrinj. Klein! Qdfj fagte ihm, baß idh mit ©ir fpredhen wollte! 
Herzog. Um fo beffer! ©ann braudjjft ©u nichts ju wiberrufen! 
©enn auf meine ©inwilligung fannft ©u niemals redhnen! 

Herzogin aeife). ©ott fei ©anf! 

ißrinj. 2öir wollen fehen! . . . Unb ferner will ich auch nodfj Herrn 
©erberbing um feinen Kiath fragen! 

Herjog. Herrn ©erberbing? 

^rinj. ©u fennft baS Sanb aus flüchtigen Sefucfjen oon uor 
25 Qahren! Herr ©erberbing fennt es bis auf ben heutigen ©ag unb 
grünbtidh! ©eine ©efdfjäftSoerbinbungeu nadj betn Orient finb weit oer= 
jweigt unb reichen bis in bie entlegenften KBinfel beS SanbeS. ©r iji ein 

uiel ju fluger Kaufmann, als baß er fidh gerabe biefeS Sanb junt Haupt» 

abfaßgebiet auSgefudht hätte, wenn es gar fo fdhtimm barunt beftellt 

wäre! . . . 33on ihm erfahre idh, was idh wiffen will! . . . 6r ift mein 

Qreunb, unb ron feinem Urtheil werbe idh meinen ©ntfdhluß abhängig 
machen! 

Herjog. ©hu', was ©u wiHft (»otr eutwe.) Klur erlaube ich mir, ©ir 
;u bemerfen, bah es glücflidherweife noch KJlittel giebt, einen jungen ©rauf» 
gänger oor ©horljeiten ju bewahren! cer gebt ut>gaft wsm ob.) 

?l«tb unb Siib. XCn. 373. 


11 



^clij pfjilippt in Berlin. 


154 


Dierjefynfe Scene. 

Werjogill (in banjjer Sorge). 9BaS fott baS werben ? (tfitrje ißüufe.) 

Gun (non tinM). Fd) wollte .Roheit fragen, ob oielleidit nodt oor bettt 
Sinet eine fleine ^roinenabe angenehm märe? 

Werjoghi. Feh banfe, liebes $Unb, eS ift ju bunfet geworben! 

Goa (lacht). 2lber .Roheit irren! SaS SBetter ift ja ganj herrlich ! 
Werjogin (acht naa tmf* ; ba c<oo ihr Mm toiav Stein, begleiten Sie mich 
mcf)t! . . . Fd) will jet<t ein wenig mit mir allein fein! (an tiefem Pmft f«r 
na.) Sen febönen ©lomafen tonnte id) wahrhaftig geoiertheilt fe^en! (Sinw 

laitöfam in ©ebanfett Vertieft ab.) 


^i'mfjebnte Scene. 

Goa (nein bet .(jenofliit fopffaiittelnb nach, bann). 2BaS fehlt FhreC fDtlltteV? 00 

habe id) fie nod) nie gefehett? 

Sßviit) (icictjt). 9ttd)t3, 3Ud)tS! Giite fleine ‘üicinungSoerfdhiebenbeit 
äioifdjen meinem Sruber unb mir! 

Goa (einfach). Unb bie macht bie Werjogin io beforgt? Sa* müjfen 
bod) fd)on Singe ganj eigener 9lrt fein, bie eine fo frohe Statur fo oer-- 
ftimmen! ißrinj 9lrtf)ur, mir fennen uns bod) wahrhaftig genau genug . . . 
es ift Fhrc Pflicht, mir ben ©runb mit juthcilen ! . . . SBielleidht gelingt es, 
mir, mit ein paar heiteren SBorten Fhrer SRutter bie gute Saune roieber- 
jugeben! 

fßrinj ((a*t). Stein, nein, Fräulein Goa! . . . Sh** ^»ülfe werbe 
id) erft in Slnfpntdj nehmen, wenn ich gantidjt mehr ein nodh aus weife! . . . 
(stur« sßaufe.) SaS fehlte nun nodh grabe, bafe Sie audh eine ernfte SDticne 

auf fetjen ! . . . (JKihrenb bieier Sorte tritt) 


Sechzehnte Scene. 

SJtobreSCU (in Otefenfaaftitoifette Bon (inf* «in unb beobachtet, unbemertt Bon iBeiben, 
im ftiittergrimbe ba3 ©efpräd)). 

fßrins (fortfahrenb). GS flcibet Sie nämlidh gar niefet! . . . ©ie müffen 
immer auSfcfeen, wie ein heller, fonntger Frühlingstag! 

Goa (heiter). ÜBarutn mufe idh beim baS? 

ißrtnj (toarn). SBeil ©ie jung finb unb fd)ön unb glücf lief)! SeSmegen 
haben wir ©ie ja bodh Stile hier fo lieb, weil ©ie nur Weiterleit unb Froh 5 
finn um fidj oerbreiten! 

Goa daat). ©ie tl)un ja wahrhaftig fo, ißriuj, als ob idh ein weih* 
lieber Glown wäre, ber mit feinen ©päfeen bie Wofgefettfdhaft erheitert! 

fßriitä anftifl). Gin Glowit nid)t, aber ein liebenStoürbiger Kobolb! . . . 
(tsrnfter.) 2l<h, liebe Goa, ©ie wiffen ganj gut, wie idh baS meine! Safe 
©ie mit all’ Fhrer Suftigfeit bodh ein tiefer ernfter SDtenfch itnb, ber mehr 
nad)bcnft unb wärmer empfinbet, als all’ bie SDtarionetten um nüdh herum! 


Der golbetie Käfig. 


\55 


Goa «eitet), ißrin}, Gomplimente finb bocfi biSfjer jroifdjen unä nid^t 
Wöbe getoefen . . . (s«a[«aft o$ne iebe flotaterie.) SBollen Sie tnidj günftig 
ftimmen? Söollen Sie etroaS »on mir? 

ißrins (ernfti. 3a, Goa, idj will etwas »on 3f)iten! ... Sie müffen 
mir etwas oecfprecfjen 1 

Goa (tfja etftaimt anieiunb). 3eßt werben Sie ja watjrtjaftig galt} feierlich ? 

ißrinj. Sie muffen mir »etfpredien, meine Wutter nidjt ju »erlaffen, 
fo lange fic lebt! 

Goa (bticft «n einen Bioment forfdjenö an). 2ld)! icf) oerftelje! ®er £erjog fitljlt 
fid) burd) meinen 2 $ater gefränft; er überträgt biefen ,£>af 3 aud) auf bie 
Stodjter unb »erlangt, baß Qlpre 3JJutter tnidj nid)t ntel)r empfängt! . . . 

(Sanjiam unb gebanfenuol.) ^a, ja . . . fo litU^tjC CS fOUtllten! 

ijirinj. Sie irren! ©tauben Sie’S mit auf mein 2Bort! 2lber bitte, 
fragen Sie mid) je|t nidjt nad) mehr! 

Goa. Unb muff idj mich bamit »ortäufig jufrieben gebend 

ißrinj. 3$ bitte Sie barurn! 

Goa («nt Me eai» reidtenb). 3d) »erfpredje 3bnen, idj werbe 3b re Wutter 
nidit »erlaffen! 

ifJrinj («re $anb botteub unb He feft anblltfenb). SßaS aud) immer fontinen 
mag? (Sturje fpoufe.) 

Goa (ernfi unb bebeututtflsBoO). 2BaS audj immer fontmen mag! (Sie mad&t fidj 
toi.) 2 lber nun muß id) mid) eiten! Wein hinter eri»artet micfj! 

ißrinj. Unb nod) eine grage, Goa! 2 ßann fann idj Qftren Söater 
rootjl fpredjen? 

Goa. Sie toiffen, ^ßriuj 2Irttjur, bag Sie il)nt jeberjeit f)erjlid)ft 
roiHfommen finb ! 

s J5rinj. 2t(fo auf SBieberfeljen! <er m «r bie $anb.) 2luf balbigeS 
3ßieberfebcn! 

Goa (Ilnfi ab). 

Siebjeljnte Scene. 

ißrinj (Ni umbrebeub bemertt 9 ftabtt«u). 211), WabreScu, Sie l)ier? 

WabreScu (Borfommen». 9tun, ?ßrinj, finb mir fdjott einen Sdjritt 
»orroärtS gefontttten? 

ißrinj. $d> habe (jerftreut) mit meinem 23ruber gefprodjen unb natürlich 
ben beftigften SBiberftanb gefunben. 

Wahres cu. EDaS mar ja 511 ermatten! 

Grfter ftammerbiener (Bon «««). ^joljeit, es ift feroirt! <<* r weibt an 

ber/geöffneten £ljür flehen.) 

^ßrinj (toiU nad) red}tÄ geben). 

WabreScu. s f5rinj 2lrtl)ur, nod) ein 'JBort! (seife.) können Sie bie 
ÜBabrbeit immer »ertragen? 

2 ßrinj. 3 mtner! 


11* 



*56 


iJclij pijtlippt in Berlin. 


3JlabreScu (neun iijnt, iti(e). Seit £erjog, mein $rinj, für Ate iA niAü 
fonbem . . . 

iß r inj. ©onbern? 

dlfabreScu (leife, mir Poller Sicherheit) . . . ionbern gräuleht Goa ©erberb ing! 
iß rin j (ifjn (urj oitfeficnb, bonn mnuiain). 9)tabre3cu, ©ie iinb non ©innen! 

(SDlit einer ^aubbetoegung nach recht».) Sarf iA bitten? 

(isJälireitb bie '-öciben midi rcdfts neben, fällt idjned ber Sorbang.) 


Stneiter Süufjttg. 

Sei Slnbrcfl'J Öerberbing. 

Stiohnlich eingerichtete» 3immer, ohne prätcnfiöfe ©leganj, ober auch ohne lebe phiftftröfc Spießbürgerlich^ 
feit. Umfangreiche ©ibliothef, einige gute Silber unb Statuen; 3)iöbel nicht nach ber neueften 3J?ob e. 
(*in geöffnete« ^ianino. ßinf» eine ibiir, ln ber SWitte eine Shiir, Poit bei einige Stufen in einen toohi- 
gepflegten Vorgarten führen. Sieben ber £hür ein große®, reich mit Blumen befehle» fünfter, burdj toeldje» 
man auf eine heitere fonnige 2>orf|traße fieht. 3m ©orbergrunbe recht» ein grober Schreibtifch mit Dielen 
Brieffchaften unb ben üblichen Utenfilien ; in einem bequemen Siehnftuhl bor bem Schreibtifch Pit ttnbrc«« 
•erberbing, Anfang ber ftiinfjig; fchöner geiftig bebeutenber .stopf mit langem blonben Bollbart, fein 
SSefen ein bischen berb, aber Poll tiefer (fmpfinbung. $r trägt einen bequemen $au»rod; er rancht unb 

lieft eine 3eitung; im ©orgarten fieht man ttba in hellem Sommerfleib Blumen begießen. 

<Erfte Scene. 

Goa (im öartcio. $ft baS wieber ein fAöner Sag! 92iAt ein 2Bö(fAen 
am ,'öimmet unb bie Suft fo fiar unb ruljip! 

2lnbrea§ (am ©(>««« w. SBieoiel ©rab feaben mir benn? 

Goa. 2 OV 2 . 

ÜlitbreaS. 2ltfo ’ne SBombenfiifee! 2lber pofe’ ma( auf, mir betommen 
heute noA eiu ©eroitter. GS fteeft mir in ben ÄnoAen! 

Goa. 8H&, feine SRebe baoou! Sie Sßettergläfer ftepen fepr hodf)! (««tu 

$aufe, bann entfernter Särm pon ber Stra&e, ber nach unb nach näher fommt.) 

9lnbreaS. SßaS giebt’S benn ba? 

Goa. Sie ©Aule ift auS! Siefe Siangen! 2Bie fie fiA balgen unb 
fAreien! 

91nbrcaS. Stinber finb feine ^eilige! 2l(S Sn fo’n JtnirpS warft, 
feaft Su noA fiel mefjr ©pectafel gemaAt! SaS eingige -Kittel, SiA ftitt 
ju friegen, mar ÄuAeit, furAtbar oiel ÜuAen! 

Goa (facfienb Bon auften burd) bie »turnen ben Sto»r ftedenb, fo baft fie ganj eingcra^mt Ban 
Blumen ift). Unb trüget? 

SlnbreaS (beiter). 92ee, baS oerfing bei Sir niAt lange! Shtbcre 
.ftinbet plärren natürliA, menu fie orbenttiA burAgematft werben: weifet 
Su, was Su getfean feaft? 2ßaS Su jefet ttjufl: Su fjaft gelaAt, immer: 
fort gelaAt! 

Goa. Sa fiefeft Su: KaAfnAt lag batnalS fAon meinem eblen 
Gliarafter ganj fern! 

SlnbreaS. £at fiA was mit eblem Gliarafter! Unb weifet Su, 
warum iA fAliefeliA aufgefjört feabe, SiA burAjubtäuen? 


Der golbette Käfig. 


*57 


©oa. 6$ würbe müfj ungemein intereffiren! 

2fnbrea#. 2Beil t<b immer eiet früher mübe würbe, af# Su! (d« 

£ärm ift ie$t ganj nabe.) 

Zweite Scene. 

SdjutKnber (fetf)** bi* acf)tiäbrige 3ungeu unb SHübcften toic ein ©&erling*fdnoarm 
neben (Stoa am 3fenfter; fi« tadjen »mb fdjreien bur^einanber). ’XßCf, .^6rV ßctberbitig! 

&err ©erberbing! 

Slnbrea# (nas #on feinem suta» am). SBotft 3(;r wolji Tufjig fein, oer* 
ftud^te 9tacfer! 

©in fieiner ^uttge. $err ©erberbing. Sie haben un§ fdfjoti feit 
oier Sagen Jeine Blonbfon# mehr gefdjenft! 

2fnbrea# (aufite$enb). ©rften# beißt e# nicht Blonbfon#, fonbem 
Bonbon#. . . . 

Ser f feine $unge. ©# beißt bodj Bfottbfon#, ba§ fagt ber ©onbitor 

and)! (Die Stinber taefjett unb (Stoa mit innert.) 

2lnbrea# (an'» «enfter tommenb). So ein ^ofentnaß! Unb jweiten# betteft 
man nicht! 3Jtan wartet, bi# man’ wa# befotnmt! 

©in Keine# 3Rä beben. Sa fönnten wir bei Qbnen aber fange 
warten! 

(fetter 3nbet, in ben 2inbreaä fdjlieBitd) miteinftimmt.) 

2lnbrea#. Sdbau’ bocf; bie Reine Jtrabbe! SBem gebörft Su $ier= 
affe benn? 

Sa# Keine 9Jtäb<ben (ia<$t au* »oiiem $atfe). Sie finb ja mein Sauf* 
patbe, .fjerr ©erberbing! unb b«ben mir ’nen fübernen Becher gefdjenft; ber 
bat f<f»on ’ne ganj große Beute. 2Jtein Bater ift bodb ber SBeberineifter 
Sunb! Unb üb beiße 2lnna ©milie Sunb, unb üb bin a<bt Qabre, unb mein 
©eburtätag ift . . . 

2Inbrea#. s Jta, febon gut, fdjon gut! Sonfl erjäfjft fie un# noch 
ißre ganje £eben#gef<bicbte! 

©oa. Su lieber ©ott! Sie £eben!gcf<$i<bte! 

2fnbrea# (an ©»> ei«« um« ftmaiiättidxnb). 2ftfo ba! ©ieb’ ber Baitbe 
’wa#, bamit man fie lo# wirb! 

©Oa (Wrt&cilt bie Bonton« unter bem griS&ten (tu bei an bie Stinber, bie fie bau affen Seiten 
umbrängen unb bie §äitbe an&ftreden.) 

SSnbrea# (in bie litte greifenb, giebt bem deinen TOäbtfcen einen Bonbon.) Sa! Sa# 

Iriegft Su nur, weif Sein Bater ein braoer 3)tann ift! SBiUft Su aud) 
mal brao werben? 

Sa# Keine SJtäbcben. SJiein! 

2lnbrea#. 3a, fdiocfi^werenotb, warum benn nidjt? 

Sa# ffeine -Dtäbdjen (treuffenig). Ungejogen fein ift oiet luftiger! 
2lnbrea# (ta^t mit et» fferjti«). Unb nun tttarfd) oorwärt#! (unter tomem 

Shtbel „abieu, §err ©erberbing/ 1 „abieu, $err ©erberbing," ftßr§en bie 6djuUinber fort.) 

Sa# ffeine Sßfäbdjen (mft won etwa* weiter). Sie brauchen feine 'Bange 
ju haben, $err ©erberbing; morgen fomtnen wir wieber! 



158 


<fdij pt)ilippi in Berlin. 


Dritte Scene. 

SlnbreaS (wm beiter juriid). 33erjidjte auf ba$ Vergnügen, gräulein 
2tnna Ginilie Suttb! tXer Cärm wrfiert fidj.) 

Gua (tritt burd) bie ffllittetiljür eilt.) 

21nbreaS (fegt ftd) toieber an ben gdireibtifd)). 91a, btC fjiittetl lütt ttlfo glÜtt* 

lieh gemacht! 

Gua (reicht). SDiit ein paar Bonbons! 3a, baä ift baö ©lud bcr 
3ugenb, baß fie leicht ju beliebigen ift! 

2lnbrea£. Unb wie fange bauert’s? 3 e h u 3ahre herum, unb fie 
feaffen ficfe unb neunten fiel) ganj anbere 58onbon§ gegenfeitig tueg, unb bie 
gaitje $errlicfeteit ift jurn Teufel! 

Gua (anmntbiB). Unb lieben fidh audj! 

2lnbreaä (iobiar). 3“/ ganj recht! 33i3 Re ficf) tuieber baffen! (spanft.) 
UebrigenS, Sari foH um brei Ufr anfpannen! 3<h mufe in bie Stabt. 
2Siüft ®u mit? Äannft ®ir bei ber fDlobiftin ’ne neue ^afene laufen! 

Gua. 3<b habe ja genug Kleiber! 

2fnbrea§. ©ott bewahre mich! SBetch’ beängftigenbe Vefcfeeibenheit ! 

Gu a (jöfleritb). ißapo . . . 

2fubrea3. 91a, ma§ giebt’3? 

Gua. 3ft e§ benn ganj unbebingt nöthig, bafe ®u heute in bie 
Stabt fäf)rft? 

3lnbrea3 (immer her 8 iicfi). Sehr geiftroEe g-rage! Sonft würbe icfe’S 
hoch nicht thun! 

Gua. ißrinj 2lrtf)ur woflte ®i<h befudjen! 

SlnbreaS. 2BaS wiff er benn? 

Gua. ®a3 weife ich niefjt. 

Slnbrea'S. 2lcf>, ich lann mir föboit beulen! ®a wirb bie Sitanei 
begehen wegen geftern! $ann’3 ben ^errfchaften auch gar näht uerargen, 
wenn fie uon bent SBafjlrefuttat nidRt grabe fonberfidh entjiidt finb! 2L'al)r- 
fdjeinlich hat ber 9ßrinj ben eferenuoEen Auftrag übernommen, mir Vor- 
würfe ju machen unb begleichen 3 eu ö3 mehr! 

Gua. ®u lennft ihn bod)! SDaju würbe er fi<h bod) wahrhaftig 
nicht berget eu! ®enn er fteht hoch auf deiner Seite! 

2lnbrea3. 3°/ mein Sinb, baä freut mi<h auch, mi<h ron einem 
fo ehrenwert feen unb Ifugen 9)!enid;en uerfianben ju feilen! Unb um fo 
höhet fchöhe id>’§, als er fi<h bodh in einer ganj befonberS uerjwidten 
Situation befinbet! Sold;e 2lnerlennung ma<ht ben Satnpf lieb unb werth ! 
. . . (Jhtrje ipauie.) 2Idj fo, i<h etitfinnc mid), er wirb wegen be§ 9lnlauf3 
ber beiben 91appen mit mir fprechen woflen! SDie fted)en ihm fdhon lange 
in bie Singen! 91a, baä hat ja audj bis morgen 3 e tt! 

Gua. 91ein, um eine Äleinigfeit hanbelt e§ fiih wohl laum . . . 

2lnbrea3. 2Bie fo? 2 gat er ®ir benn 2lnbeutungen gemacht? 



Der golbene Kdftg. J59 

60 a. Gr bat mich in einem ungewöhnlich ernften, beinahe feierlichen 
©on, feine Dtutter niemals ju neriaffen! 

2lnbrea§. Sonberbar! ltnb ®u? 

Goa. habe 3 « gefagt! 

Slnbreaä (um&et 8 «$enb). allein gutes Gochen, ba fjaft ®u, glaube ich, 
mehr oerfprodjen, als ®u halten fannft! 3 $ toeifj, id) weif?, man ift bort 
oiel ju oornehm — benn oornchm finb fie Sille, baS muff man anerfennen 
— um ®ir getoiffermafjen ben Stuhl oor bie ©hür 3 U f eisen! Slber ®u 
felbft wirft ®idj fchliefftidj unbehaglich fühlen! Unb be3 wegen rathe id) 
©ir: gehe bei 3 e ^ en • ® u erfparft ®ir baburd) oietteidit eine Gnttäufd)itng! 

Goa. 33on att’ ben guten Sehren, bie ©u mir gegeben habe 
ich mir eine befonber» gemerft: man muß fein SSort halten! 

StnbreaS. Qa, ba fjaft ©u Siecht! Sein SBort muß man hatten! 
©hu’, roaS ®u roiHft! nerlaffe mich ganj auf ©einen gefunben aJtenfcfem 
oerftanb unb ©ein ©actgefühl! 

üierte Scene. 

Sßtrinj (fommt burcf) beu Storgarten nnb bleibt, ben §ut Cüfttnb, in bet 2f)üre 

Störe ich? 

SlnbreaS (Sott -gierjCi ±feit). DtientalS! (Cr aefjt bem SJriiijen entgegen.) 

ißrinj (tritt ein). ©Uten ©ag, mein lieber £err ©erherbing! 

SlnbreaS (tpin bie ®anb reictienb). 2BiHfommen! 

ifJrinj (reicht ß#a bie $anb unb fliebt i!jr ein paar 9to(en). ’©ag, liebe» f^täuleiu 

Goa! ©ie habe ich» im ißarf geftöhlen! Gin ©lücf, bah midj ber Sdiloff* 
gärtner nidjt enoif<ht hat! 

Goa (einfa<$ unb poa Mnmutp). £ er 3 ti<fiften ©anf! 

9lnbrea3. aSerroöhnen Sie mir bodj baä 3Jläbet nidjt fo! oim S um 
si$en eintabenb.) SBolIen Sie ’toaS trinfen? 

fßrinj. Rein übler SBoridflag! 

SlnbreaS. Sllfo Goa! 'paar glafdjen 3 !ljeinn)eiu, ober noch beffer, ooit 
bem ©almatiner! ©er erfrifdit unb begeiftert jugteidj! 

Goa (linteab). 

fünfte Scene. 

SlnbreaS. $a, glaub’ 8 ! ©er 2Beg oont Sd)lojj hierher IjafS bei 
foldjer .fjifce in fid)! #ätt’ ja fdjon längft ’ne Slllee oon SlEajien ober 
Äaftanien — oon irgenb fo etwa», toa§ fdfjneU roächfl — anlegen laffen; 
aber (ta<frnb) baä flieg auf ju grojje Sdjioierigfeiten bei ber Sdjtofjuer; 
roattung. Unb nach langem Spin* unb ^erf ehr eiben befam idj enblid) ben 
33efdjeib: „©anfenb abgelehnt toegen glurbefdiäbigung." ©er ©runb lag 
toohl tiefer! ÜJtan fafete bort roohl bie 2 IHee jfpmbolifd) auf unb mollte 
feinen graben 2Beg jtoifdjen hier unb bort! («urje $auie.) ’ne Gigarre gefällig? 

iß r inj. ©anfe fefir. 



*60 


^elij pljf lippi in Berlin. 


AnbreaS. Aber taffen Sie midi, bitte, weiter rauben ! ©ine nichts* 
würbige Angewohnheit, aber id) fann nicht ptaubern, nidjt juf)ören, wenn 
id) nid)t ben ©timmftengel jroifdjen ben Sippen habe. 

Seifte Scene. 

©na (tritt üoit linf* eilt, auf einem Xl)eebrett eine fttafcfr SBein mtb ein paar ©fäfer). 

AnbreaS. Ab, ba fommt ja aud) ber Settermeifter! (»«brtnb et» ba* 

'Brett auf ben lifd) freit, ber jmifdien Wnbteaä unb bem fßrinjen ftebt.) ©ine (Vlafdie ? Jyitr 

jwei trinfbare, auSgeroadjfene Atänner? 3«/ 9)läbel, was fällt ©ir benn ein? 

93rinj aadjt). Saffen Sie nur, fyräulein ©na, ich weife ja, 3b r Seiler 
ift gut affortirt! 

Goa. Sie entfdjutbigen mid), ^ßrinj Arthur! aber id) . . . 

AnbreaS (tußigt. 9Jtad)’ feine langen 9iebenSarten! ®u bift jefet feier 
uott einer unglaubtidjen Ueberflüffigfeit! 

98 1 inj (febr rebbaft). Auf 2BieberfeI)n! Auf SBieberfefeu! 

©Ott (finfi ab). 

Siebente Scene. 

3ln breaä (bat einjefiiäntt). tpeoft! 

93rin$. 3br SBofetfein, £err ©erberbiitg! 

AttbreaS. $antofer ©ropfen! ©en habe idj ntir »orige* 

3at)r, als id) baS lebte 9)tat ba unten war, mitgebradjt. . . . ©ut abge= 
lagert? 2öie? 

98rinj. @r fdjeint fefer feurig ju fein? 

AnbreaS. Unter ber Sonne fein SBunber! ©aä ganje ©rbreidj 

fodjt unb brobett ba ja förmtid)! (Cu (ebnt ficb bequem in feinen Sebnftubt, btn er Urb 
Dom Sdjreibtiftb berangeriicft bat, juriid unb MSft bebagfitb grobe SBoffen in bie Stift.) 9tUn, ^?riUJ 

3t rtfjur, wa3 giebt’S fonft? 

98rinj. #err ©erberbing, haben Sic einen Augenblicf 3ett für utich? 
AnbreaS. $dj mufe in bie Stabt. $n einer Stunbe. Aber bie 
gehört Qfmen! 

9? r inj. ©ine Angelegenheit ganj ungewöhnlicher Art führt mid) heute 
ju 3hnen ! 

AnbreaS. So ift’S recht! 3iur immer gleidj jur Sadje! Söenn bic 
9)lenfdjen nur wüfeten, wieoiet 3eit fee nüt langen ©inleitungen uertröbeln! 
Alfo bavf id) bitten? 

9?rinj. Sdj weife. Sie finb mein greunb . . . 

AnbreaS obm bie $anb reichet*). 33on ganjem ^erjeit! 

9ßrinj. 3cfe brauche 3hren 9iatfj! 

AnbreaS. Verfügen Sie über mid)! 

tprinj. ©ntfinnen Sie ficb beS ©rafen 5DlabreScu? 

AnbreaS. 9J?abre§cu, ÜJlabreScu? 2Bar ba§ nidfet ein junger 
s Stenfdj mit fold;ein bilbfeübfdjen 9iattenfängergefid)t? ©er mal »or paar 
fahren hier war? SDiit bem Sie jufantmen ftubirt h^en ? 


Der golbeue Käfig. 


\ 6 \ 


Brins. ©anj redjt: t»cr)ett>e! 2llfo roirflidj oljne fange Ginteitung! Gr 
ift Ijiet unb f>at mir in biefer $enff4rift, bie Sie uieOfeid^t nadjfjer genau 
butcblefen roollen, ben Syrern feinem SanbeS angeboten! 

SlnbteaS (aufmerftam jubortftenb, bann beitet). Sdjau, idtau ! 9iid)t mehr Ullb 
nidjt weniger als einen £bron? (&>«.) ipo^taufenb, ber $err ift niefjt 
fnauferig! (ma&renb et in bet Schrift blättert.) Unb Sic, mein junger fyreunb, 
haben fitf bem fi^roarjen ®eibet rool)l mit $aut unb paaren uerfcf) rieben? 
9fidjt roabr ? 

Brins. 34 wollte meinen Gntfdjluß non 3f)nen abhängig maefjen! 

2lnbrea8. Bon mir? Sßarum benn grabe non mir? 

Brins. SBBeit Sie baS Sanb (ennen! 2Beil Sie mir 2luff4luß geben 
fömten über alles ißünfcfjenäroertfje, furj, rocit icf) 3brer fdjarfen Beoba4tungS» 
gäbe unb 3brem weiten Blicf oertraue! 

SlnbreaS. £u ®iel Gbre, Brins 2lrtbur, }u eiet Gfjre! 

ijßrin j. £err ©erberbing, benot Sie fpredien, f)öten Sie midj an! 
(3n flto&et Bo^fenbet ffrreamm.) Sie fennen mid), Sie toiffen, bafi mi4 wafjr= 
Saftig nid)t Gitelfeit unb ©roßmannSfudit »erführen! Sie fennen bie 
©rünbe am beften ! ©enn Sie waren ber Ginsige, ben idj roirfltä) einen Blirf in 
mein 3nnereS bube tf)un taffen! 34 brau4e ein Qid, um ni4t unterju= 
geben in biefer entfefefüfjen ^errlidjfeit ! 34 fann fo ni4t meiterfeben ! 
Begreifen Sie benn ni4t, mein lieber alter greunb, roie unglücfli4 i4 
bin: ich b«be feine Bfü4t }u erfüllen, ja, i4 habe ni4t einmal eine 
Sorge! Können Sie rnir’S nerbenfen, baß mir BtabreScu roie ein Better 
in ber 9iotf) erf4eint? 

2tnbrea§ (ber itjm mit geiuanmefter auimerfiamfeit jugebött bat, galt) rubifl). O ja! 

Begreifen fann i4’3 f4on, baß Sie R4 berauSfebnen, baß 3bnen bie 
Statiftenrotte ni4t mehr genügt, unb baß Sie R4 irgenb ein SebenSjiel 
roünf4en! . . . 2tber . . beoor mir in bie Betails eingeljen: motten Sie 
ni4t »orber lieber bod) mit bem £ersog fpre4en? 

Br inj. 34 b°be es bereits getban. 

SlnbreaS. Unb barf i4 roiffen, roaS er ju biefem . . . biefern 
originellen Bfane fagt? 

Brinj. Gr fagte: Bein! (tpaufe.) 

ülnbreaS (fitbt ibtt einen furjen SKamtitt an, bann nibifl). GS t^Ut mit b®rjti4 

leib, mein lieber junger greunb. Sie aus 3b ren Fimmeln reißen }u 
müffen . . . 

Br ins (erwnxfen). 2ßaS fagen Sie? 

BnbreaS. ... aber i4 bin beute baS erfte Btal in meinem Seben 
in ber Sage, bem -öerjog Bedjt geben su müffen! 

Brins (ouffbtinctnb). ^err ©erberbing? 

BnbreaS. 3«/ Brins 2lrtbur, roenn Sie mi4 na4 meiner Biehtung 
fragen, fo fage i4 au4: nein! aus ebrti4fter Ueberseugung: nein! 2ßeil 
i4 Sie ni4t einem Bbantont na4rennen fefjen roiff, bei bem Sie 3bre 3ngenb, 



\62 


<$elir pl>Uippt in Berlin. 


3l;re 6 eftc Kraft, oielleidbt fogar Qbr Sehen vertieren würben! . . • Sie 
berufen fief) auf mein Urtbeil, weil id) bag Sanb fenne? ©eroiß fenne idj 
eg, ich fenne and) bag Sßolf ! $n früheren fahren fanb faft 9llleg, wag 
meine SBebftütjfe probucirten, bort feinen SlbfatJ. ©ann habe ich bie 93er* 
binbungen bortfjin eingefdjränft unb werbe fie bei ber erften befteu ©elegen* 
beit ganj aufgeben. Unb mit gutem ©runb! 'Dian muß bie Dfjcen ju 
fteif Ijatten, unb fdjlicßlidb wirb man troß aller 93orfidbt boeb betrogen! 
Gs ift ein nidjtäroürbigeS 33anbitengcfinbel ohne Segriffe oon Stecht unb 
Gl)re! ©ie SJtänner bobgierig unb bem ©runf ergeben nnb bie SSeiber 
fcblebbt unb verworfen! 2 tber nidbt allein bie Dtänner unb bie grauen . . 
©ott bewahre . . . aud) bie Herren unb bie ©amen! Stur mit bem Unter* 
fdjieb, baß iid) bie SJtänner an ffufel beraufefjen nnb bie Herren au 
Champagner! ©roß aller feiner Schönheiten unb trob aller ^ruebtbarfeit 
muß bag Sanb an feinem 93olf ju ©runbe geben! Stein, ifSrinj Slrtbur, 
bag Sanb b«t feine ßufuitft, unb Sie bort auch nidbt! m i^er.) ©taub’g 
gern, baß SJtabrcgcu — bet madjt gewiß ’ne Slugnabtne unb ift ein an* 
ftäitbiger SJtenfdb, fonft wäre er ja nidbt 3 b* fyreunb — glaub’g fdbon, baß 
ber guerft an Sie gebaebt bat! Gin junger 93 rin} aug fo altem föaufe, 
bag mächtige oerwauhtfebafttidje 93e}iebungen bat ... ja, bag fönnte ben 
^errfdbaften ba unten freilich fo paffen! 23iffett Sie, wag aug Sftnen ba 
würbe? Gntweber würben Sie oon efjrgeigigen Strebern ntißbraudjt unb 
conoenirenben gallg geopfert, ober Sie würben oon ben tollen 9 Beibem 
ruinirt! Unb 511 bem Ginen wie ju bem Slnberen finb Sie wahrhaftig 
5 U fdbabe! 

5prin 5 (uugtftüm). fteß fann Sb'ten nidbt Sllleg fo fagen, aber'idb muß 
fort oon hier ... mir brennt ber 33oben unter ben güßen! . . . Unb 
bann, oergeffen Sie nicht, eg fehlt mir nicht an gutem SSitlen unb un* 
ermüblidber Slugbauer! Unb ba meine ich, müßte eg bodb gelingen, etwag 
ju förbern unb oieUeicfjt SSleibenbeg ju fdbaffen! 

Slnbreag. ©aju jinb Sie aber nicht ber SJtann! Um bie SBilbniß 
ba urbar ju machen unb bag 93olf 311 t ©efittung unb jur Gultur 3 U 
jmingen . . . ©u lieber ©ott, baju gehört ein Slnberer, alg Sie! ©aju 
gehört ein Sd^lagetobt, ein Kerl, ber um fidb beißt unb haut, ber mit 
berfelben Stube ©obegurtßeile unterfdireibt, wie Sie 3bre SBilletboup an 
Keine ©änjerinnen! ©ag muß ein Dtenfcß fein oon Gifen, bem ©efaßren 
unb Kampf Sebeitgbebürfniß finb, ber oor feiner Stobbeit jurüdfebredt 
unb, wenn’g fein muß, auch oor feiner ©raufamfeit! Unb bag wollten Sie 
auf Sbre Sdbultem nehmen. Sie mit Sbrem weidben .freien [unb 3b ren 
feinen Sternen?! Slngeefelt unb angewibert oon all’ bem Sdbmuß würben 
Sie im heften gatl fcßließlidb bie Flinte in’g Korn werfen unb jurüdfommen, 
Serfcfjunben an Seib unb Seele! 

iß rin 3 (in bitterem wn). Unb fo wäre id) bemt woßl wieber um eine 
Hoffnung ärmer? 



Der goIDene Käfig. 


^ 63 


Slnbreaä (tcjt i^m bie $anb auf bic Sdiutter, bann t>oH SDMbe). Saß gOl'Obe id) 

3;^nen btefe Hoffnung rnu6en mußte . . . Sie fönnen mir’S glauben, fprins 
3lrtf)ur ... es tßut mir t>on ^erjen leib! Senn id) !)a6e Sie lieb raie 
meinen Sohn! («pnufe, et oetit mn&er.) 2öenn id) $f)nen nur fjclfen fönnte! 
22enn id) Sie nur ’rauSreißen lönnte uub Qljnen ein SebenSjiel jeigen. 
Damit Sie neuen Dcutl) befommen uub ßier nid)t ganj erftiefeu ! (<st macht 

(ditneiflcnb einen ©anq burct/i, ,'liuimcr, bann bleibt et ftetjen.) 2SaS id) ^fincn jeßt mißen 

rnerbe, mirb ^ßuen in ^l)rer augenblidliden Stimmung »erfludjt fpicfj* 
bürgerlich erfeßeinen. 9lber es ift baS dticßttoe: bleiben Sie im Sanbe uub 
nähren Sie fid) reblid)! 

fßrinj (betjweifea aufbtaufenb). 3arool)l, bleibe nur in Seinem golb’nen 
ftäfig unb jerre unb reiße an ben Stangen, bis Sir bie gftiget erlahmen ! 

(&v flurjt in tieffter 33<tt)Cflunfl in einen Seifet, Tange $aufe.) 

SlnbreaS (mitt*). $d) begreife .^ßre Erregung! SlfteS, maS fidj ba an 
Unjufriebenheit unb ©nttäufdjung in 3ßnen angefainmelt hat, fommt in 
biefer Stunbe jum SluSbrudj! 9lber ... Sie bürfen nicht ungerecht fein. 
Sie bürfen Sßrem 93ruber feine Vorwürfe madfen. $dj ßarmonire wahr; 
baftig mit bem^erjog nidjt. @r will nach rechts unb ich nach linfS, unb 
id) glaube, eS fehlt jetjt nicht mehr viel an einem tiefen gefunben £>affe 
non feiner Seite! SaS fann mich aber 9ltleS nicht bliitb machen! 2BaS 
Sie fo unglüdlich macht, bas ift nicht feine Sdjulb! SaS liegt nun ein- 
mal in ben SBerßältniffen! Unfet Staat ift nun einmal 31t flein für eine 
Stellung, bie Sie befriebigen fönnte! Sarum feien Sic oernfinftig unb 
befcheiben Sie ftef)! . 

ißrinj (toitt,). 2tlS ob id) ißn fpredjen hörte: „23efd;eibe Sief)! 23e= 
idjeibe Sich! ßrtöbte jeben SSunfcß, jebe Hoffnung in Sir! SBefcßeibe 
Si<fj! y/ 

2lnbreaS. ©ebulb! 9<h miH Sie nicht fortgehen taffen, ohne 3ßnen 
einen 2Beg ju jeigett, einen 2Beg ganj anberer Dichtung freilich, bet Sic 
aber sunt ©lüd führen fann! Sdjlagen Sie fid bie Sache aus bem Stopf ! 
Sie fönnen noch nicht giihrer fein, baS liegt nun einmal in Qßrem 2Befen, 
Sie bebürfen felber eines gührerö! 3d) fenne Sie gans genau: Sic 
brauchen eine garte unb bennodj fefte £anb, bie Sie leitet unb auf bie Sie 
fid) ftüfcen fönnen, menn’S 9JotIj tfjwt ! Unb barunt, ^prirtg 9(rtßur, ratlje 
ich heirathen Sie! ©el;en Sie auf bie Srautfdjau unb fuden 

Sie fidh in 3ßrer Sphäre eine ©efährtin! Sie finben in 3ßrer 2i>elt 
wahrhaftig fdöne, ftuge unb iiebenSwertße SUfäbrfjen genug!] 

ißrinj (außer fid,). jawohl ! 3n meiner SEelt! ©ine ©efährtin, bie 
man mir auSfucht, bie ich nicht fenne, bie mich nicht fennt! Unb baS 
rathen Sie mir, ©erberbing, unb Sie wollen mein $reunb fein? 

9lnbreaS. SBaßrfdeitdidj haben Sie ftch bisher nur mit fleiuen Siebe; 
leien begnügt, non beneu 3ßr nichts wußte! Ober . . . netjeiheit 
Sie mir bie $rage . . . hoben Sie feßon ’mal geliebt? 



^elir ptjtltppi in Berlin. 


m 


3$ titt} (roenbet fidj fc^mcißenb ab). 

2tnbrea3. $aben Sie fdöort geliebt? (stur* paufe.) 

fßrinj. 3ßaen will idß’3 fagen, ©erberbing: ja! unb . . . ich 
liebe nodß! 

2lnbrea§. Unb warum f>ciratf)eix Sie fie nidßt? 

ißrin} (fdjtoeigt). 

ülnbreaS. 2llfo oersicßten Sie! Sieben! Sieben! unb rcrjidßten! 
H5af) ! bann iffS noch nicht baS Sichtige! (®oa asantte.) Sieben muffen Sie 
fie, fo beiß, fo innig, fo über alle £inberniffe hinweg, fo roaä man rohrt* 
lieh lieben beißt! Unb fo muffen Sie wieber geliebt roerben! SMe grau, 
bie Sie fließ weißten, bie muß tbeilnebmen an 3b«n greuben unb Seiben, 
bie muß 3bnen 3 reun b unb Äamerab unb ©eliebte jugleidß fein! Unb 
in bem fixeren SBeroußtfein, gtiidlicß ju machen, roerben Sie auch gtüdlidj 
roerben! ®ann haben @j e e j n ^iei, einen SebenSjwedf! 3<h habe biefeS 
©lücf nur furj genoffen ... an ©ebanfen waoren) aber eS roar ein ©lücf ! 
<®btr unt) fcfiön.) Unb glauben Sie mir, fjkinj 2lrtßur, nicht Sußm unb Gßre 
unb nicht ©lanj, nicht Stacht . . . nichts . . . nichts auf ber ganjen weiten 
SBett !ommt ber Siebe eines SBeibeS gleich! (Panfe; ec Mt.) £aßaßa! Gin 
Stenfcß oon 28 3ahren, in 3hrer Sage, unb glaubt, baß fein Se6ettS* 
fdßiffchen fchon geftranbet ift! ®ie .fjauptfacße ift: roenn 3ßnen 'mal ©ne 
begegnet, bie Sie wirtlich aus ebrlichftem ßerjen ju lieben glauben, unb 
bie biefe Siebe uerbient . . . bann greifen Sie ju! Saffen Sie baS ©lücf 
nidbt an ff<h oorübergeßen, eS fommt gewöhnlich nicht wieber! . . . Unb 
wenn’S irgenbroo am Gnbe ein bischen hapern foHte . . . tommen Sie nur 
ju mir! 3<ß werbe 3ßnen gebulbig jußören unb, wenn Sie’S wünfchen, 
auch mit meinem Satß jur Seite fließen! 

ffJrins (ber mit immer tuadtfettber $beilna$me gefolgt ift, fie&t ©tr&crbtng burdßbringenb an, 

bann mit feftem (Jntfcf>iuffe). Unb wenn idß Sie audß um bie £ßat bitten würbe? 

SlnbreaS. SBüßte jroar nicht, wie baS bei einer foldßen 2lffaire 
jroifeßen uns SBeiben möglich wäre! 2tber . , . wenn Sie’S oertangen: 
auch mit ber f£ßat! 

fßrinj (M mifrid;tenb, mämiCidj unb feft cmfcwoiicn). ^et*r ©erberbing, idß banfe 
3ßnen! 2ln biefeS SBort werbe idß Sie oietteießt feßr halb erinnern! 

2lnbreaS c$m tad,«nb bro&enb). 2llfo mit bem aSerjidßt fdßeint’S bodß nodß 
nidßt fo ganj richtig ju fein! Sa, ’S mag fomnten, wie’S will, mich oer* 
Ueren Sie nidßt. Sßir bleiben gute fyreunbe attejeit! 

fßrinj (reidjt iijm bie $anb, in bie Stnbreaä tebl)aft einfd;(iigt). 

. Ucßte Scene. 

Goa (in ber linfen Xiiiit, mit ben SRofen im ®ürte(). 3 h muß Um GtttfdßulbigUOg 

bitten, aber idß muß jeßt fltören, Äarl wartet feßon feit einer fßierteifltunbe .. . 

SlnbreaS. Sitte SBetter, iflt’S benn fdßon fo fpät? 3a, weiß es ber 
£innnel, ba ßaben wir bie 3^it feßön oerplaubert! 2lbcr, ffrinj, jeßt geßt’S 



X>er golbene Käfig. 


165 


beim heften 2Meit nid)t länger, ich tu u f; in bie Stabt; ich tnufe bod) meinen 
Stählern bafilr banfen, baft fte mich io glänjeitb burdjgebradjt haben ! 

SBrinj (ergreift feine« $ut>. Qdj merbe Sie ein Stücf begleiten! 

Slnbteag. Sei Seihe nicht! Sebenfen Sie nur, roemt man Sie 
nach bem geftrigen ®age mit mir in einem SBagen fefien mürbe! £uljuh! 
$ag ©ejeter! . . . Unb überbieg, in ber Stimmung gehen Sie mir 
nicht roeg! Saffen Sie fidh nur non ber ba paar Motria normadjen! 
®ag 2Jtäbel f»at’S fdjon juroege gebraut, mich aug ben trübfeligften ©ebanfen 
ju reifjen! Sie brauchen nämlid; nicht ju glauben, baff Sie barauf ein 
'Monopol haben! ®ag geht anbereu Leuten manchmal aud» nicht beffer ! 

@t>a (6at i^m $ut nnb stod gebraut.) 9lbieu, Sapa! Unb noch eine hefj' 
liehe Sitte . . . 

2lnb reag. 91a, mag roirb benn ba mieber ©efdjeiteg ’raugfommen? 

©na. Sringe mir um $immclgmtl(en bas neue Mleib, non bem ®u 
fprachft, nicht mit! 

91 nb reag. SSarum benn nicht! 

©na. 9Beil ®u — nimm’ mir’g nicht übel — in ®amentoi(etten 
einen fdjauberhaften ©efdjmacf h n Ü '• 

9lnbreag Uatfit fx r^c idj unb tropft ihr auf bie sPacteit). 9lbieu, mein geliebter 
Keiner Sdjafgfopf! Mir fann’g recht fein, ®ir thu’ ich ’nen ©efallen, bie 
Mobiftin ärgere ich, unb mich foftet’g nidjtg! 9luf SSieberfehn, Sttnj 2lrthur, 
auf balbigeg 2Bieberfeljn (bereite in ber zinkt, unb Sie miffen, für Sie bin ich 

immer ju $aufe! (9Jtan fietjt ifm burd) ben Vorgarten geben, bort bfeibt er fteljeu, fiept nach 
IinfS, bie $anb bor bie Äugen palteitb, bann pfeift er.) ©Ott, i|t (Httcjcbtufclt, btefer 

fterl, biefer ttarf! a-int* ob.) 

Heunte Scene. 

© D tt (nod) am Jcnfter, toinft ihm in ber jlidjer 3reube ju). 9lbieU ! 9tbieU ! Sergi{> 
nidf)t ba§ SBieberfontmen! cssm brobenb.) Qm „fchroarjen 9lbler" foH bag Sier 
jeftt befonberg gut fein! . . . oumet.) Qft er nicht ein fdjöner Mann? 

^3rinj. ®ag roid ich meinen! 

©na. So ftrobenb non Jtraft! 

Srinj. Qa roirflich; eine gefunbe Seele in einem gefunben Körper! 

©na. Qeben ®ag muh ich ihn non -Neuem bemunbem! Denn feine 
$erjen§güte ift unerfchöpflich! Qdj glaube, ein Menfd) fönnte ihm Qurcht* 
bareg anthun: ihn ju haften, fo recht aug bem ©runbe beg föerjeng ihn 
ju hoffen, märe er hoch nicht im Stanbe! . . . o toterem, unbefangenem zon.) 
9llfo: Motria foll t<h Qhnen oormadjen? 9l[g ob man bag fo auf Gommanbo 
fönnte! 

St inj (tädncnb). Q«h »erlange eg auch flat nidjt, gräuleiit Gua! 

Goa (grift an 1 » piontno unb iiiirht e* ui i. So! ®ie Seruhiguitg miü ich 
Qhnen hoch oerfdjaffen, bah id) Qlmen Mchtg oorfpiele! ®a}U bin id) 
bodj ju rüdfichtSooll! 



\6b 


^elij ptjiUppi in Berlin. 


^Jriuj Uactin. 

Gott. 21 [|0 (inbtm fie ibn junt '2 iqch einiabct unb fidi tief in bit Scft eines bequemen Soppas 

btiwt) wa? bleibt übrig? 2Bir glaubern ! 2Bir unterhalten un?; ober 
rid^tiger: Sie Unterbalten ntic^l Grjählen ©ie nur, wa? Shnen gerabe 
einfällt! 2Jiir ift Sille? neu unb intereffant! . . . opaufe.) ©ie ftbweigen? 
. . . ©ut! G? ift jw«r eine eigene 2lrt ber Unterhaltung jwifdjen jroei 
jungen Seuten, aber . . . 

iprinj (betradjtct pe). 2Bie ©ie Shretn SJater ähneln! 

©na. ginben ©ie wirftid)? 

$Prinj. 9tidjt nur äu^erlidf)! 3 tt 3 brem ganjen Sßefen! Qn 3 b w 
2 lrt 3 U benfen unb ju f greifen! 

Goa (beitet), $d) trollte: e? wäre fo! Senn er benft unb fpridht 
gut! (spmife.) 3cb werbe übrigen? beit ©ebanfen nicht lo?: ©ie ntüffen ja 
gait 3 ungewöbnlid) ernfte Singe mit ibnt oerbanbelt haben, ja, ja, e? inujj 
ibn gans bcfonber? intereifirt haben • • • 
ifküts. SBorau? fd)ließen ©ie ba?? 

Gua (luftig). SMjt wahr, ba? crratben ©ie nidg ? 2lu? ber fylafd&e 
ba! Sie ift ja noch gan 3 ooll; ba? fomutt bei meinem 'Älter fonft ttidit 

fo leidbt OOl'! (sturje spaufe.) 

spring, ©ie ^a 6 en 9ted)t, fyräulein Goa, el waren ungewöbnlid) 

ernfte Singe! G? Ijanbelte fid) mit meine 3itfunft, unb ba bat ntir Shr 

SSater eine Hoffnung geraubt! 

Goa (fiebt ibn eine Stcunbe, ohne ba§ et es bemerft, uniicber an, bann etnft). SatlU föt 

er e? nach feiner Ueber 3 eugung ttjun miiffen! 

ißrin 3 . ©an 3 reibt! 3lber tninber traurig ift’? barum bo<b 

nid)t ! (Slurje SPaufe.) 

Goa. Um eine Hoffnung ftrtb ©ie ärmer? .... fegten ©ie bie 
fd>on lange? 

ifJrins. 9tein! 

Goa. Sann werben ©ie’? au<b fdjnetl wicber oerwinbeit! 

^ßrinj. G? ift fdiwer oerjidjten ntüffen, unb mein gan 3 e?Seben be= 
ftanb bi?ljer au? Söerjic^t! 

Goa. 3 Jtein ©ott, oerjidften ntüffen wir Sitte! $rgenb einen ftitten 
SJBunfdj, irgenb eine geheime Hoffnung hat bodj fchliefjlid) ^e^ oon un?! 
Um bie Hoffnungen, bie fo wie ©troljfeuer auffladem . . . um bie ift’? 
meifteu? nid)t fcbabe. 2lber anber?, wenn Ginent eine grobe Hoffnung, bie 
mau jahrelang gehegt hat, bie Ginent fo notbwenbig war jum Sehen, wie 
ba? Slthnten ... ja, wenn man fi«b non ber trennen mu& . . . i<b glaube 
freitid), ba? mufi fchon fdhwerer 311 ertragen fein! <»utje spauft.) 

^fJr inj. iterjeihen ©ie bie Stage, gräulein Goa, haben ©ie fdjott 
einmal eine foldje Hoffnung oerloren? 

Goa (tcbbaft obuxbrcnb). Stein, nein, id) bettle mir ba? nur fo! .... 
Halten ©ie mich nur ja nicht für fentintental, Sßrinj Slrthur! 3 <b baffe 


Del golbcne Käfig. 


K>7 

StidjtS mehr als fotfcfje ©cfühlSfeligfeit! ffiemt jum S3eifpiel in mit eine 
Hoffnung aufftiege, noch io fdiön unb oerführerifdj . . . genüg, ich fönnte 
in ©ebanfen eine 3^ tätig mit biefer Hoffnung Rieten, icö fönnte fie 
oietteicht fogar liebgeroimtcn . . . aber bann mürbe id) mich bocf) fragen, 
a6er nicht baS $erj — baS ift ja immer bumtn unb roeidj unb miß fi<f> 
felbft belügen — meinen föerftanb mürbe ich fragen: „Kann biefe Hoffnung 
jemals in Grfüttung geben?" Unb menn ber eigeufiitnige Kopf ba jagen 
mürbe: „Stein!"; mit Stumpf unb Stiel mürbe ich biefe Hoffnung auch 
au§ meinem $erjen reiben unb . . . ttjäte es noch fo meb! Klar niufj es 
not Sittern in mir fein, flar in Kopf unb §erj ! Tenn biefeS eroige Sebnen 
nach Unerfüllbarem quält unb ängftigt nur bie SJtenfchen unb »erbittert 
ihnen baS £eben! 

^Prinj (ift ifjr mit immer toacfjfenber Xljeitnaljnte gefolgt unb fieljt ftc erftaunt ait). 

Goa (ta^t m auf). 3a, Sie haben gan§ 9fect)t, mid) io erftaunt an- 
jnfel)en! Tenn eigentlich fprecbe ich bocb furchtbar rejpectsroibrig mit 
3hnen! 3<h, bie fitnple Goa ©erberbing, mit Seiner Roheit beut 'ptinjen 
Slrtbur! 

s prinj (beiter). TaS glauben Sie ja felber nicht, ^rautein Goa! 
2Beit Sie ganj genau roiffen, bah unfete fyreunbfcbaft 3tjnen baS Sledjt 
baju giebt! 

Goa (ibm bie $anb rei^enb, ganj einfatfi unb unbefangen). TaS tüat lieb OOtt 3bueit ! 

(ßurje spaufe.) Slber . . . aber ... ein bisdien erftaunt haben Sie midi bodj 
angefehen? 

fßrinj. 9H<ht erftaunt! Stur gefreut habe id) mi<h! ©eil bas, 
maS Sie ba fagten, beroeift, roie ehrlich unb tapfer Sie gegen fidj felbft 
finb! . . . Sie fönnten wahrhaftig manchen SJtamt mit biefem SJtutl) 
befdjämen! 

Goa (bütt m bie Df) reu JU ). Um ©otteSioitten feine Gomplintente! Sonft 
ftrafe ich Sie unb nenne Sie gleich: Roheit! . . . 3<h bin hoch feine ‘hrinjefim, 
nicht einmal eine &ofbame, ber Sie alle Tage roenigftenS eine Slrtigfeit 
fagen tnüffen! . . . UebrigenS, eine Grflärung finb Sie mir eigentlich bocfi 
noch fdjulbig! . . . Sie baten mid) geftern, bie &erjogin nie }u oetlaffen; 
Sie roiffen roahrfdjeinlidj gar nicht, roie feierlid) Sie babei auSfaljen! 

fßrinj (iitbt auf unb gebt umb«r). GS mar mir aud) recht feierlich ju SJtutl), 
unb nun möchten Sie, neugierige Goa, rooht bie ©riinbe roiffen? SJteiu 
©ott, ich h a &e jefet feine SBeranlaffung mehr. Sie 3{jnen oorjuenthalten! 
. . . SJteine SJtutter hat Sie feht lieb; id) glaubte geftern, baff ich oietteicht 
auf lange 3fü »an hiet fortgehen mürbe, unb ba wollte ich bie ©eroi&beit 
haben, bah Sie bei ihr bleiben! ... GS roäre mir baS bentbigenb geroefen! 
. . . Steut eS Sie, bah ©ie utir 3h r 9Bort gegeben haben? 

Goa. Stein! 

fßrinj (umb«r). Tie Situation hat fid) aber feit geftern oerfdilimmert. 
3<h feh e f<hon, roie eS fomrnen wirb unb fommen muh. Tie politifdien 



^elir Philipp» in Berlin. 


U>8 

©egenfäbe jwifdjen f)ier unb 9!ofenbui<h fyaben fic^ fo jugefpifet, bafj 
ein offener Vrud) unoermeiblid) wirb ... Sie waren nod) immer bet 
ftnmme unb gütige Vermittler jwifdjen beit feinbfic^en Sägern! Verloffen 
and» Sie uns, bann wirb ber Stampf auf beiben Seiten ohne fRücf ficht 
geführt werben, unb bann, ftrciitlein Goa, bann . . . ift’S um unfere . . . 
<yreunbfdjaft gefdjefieit! 

Goa (pal, ttwpreub er furad), bie SKofeit aus beut Otiirtel geuotmiKtt unb I5 b 1 fle burtp bie 
Ringer gleiten). 

Vrinj (uuiijer, bann bicibt er fteben). Mer abgefef)en oon atlebem . . . eS 
toar and) eigentlich unoerantroortlid) oon mir, 3 fmen ein foldieS Verfpredjen 
abjunöthigen! . . . Denn wie leicht föitnen Sie in bie Sage fommen, 3h r 
SSort äwrüdjuoeriaitgen! 

Goa. Qctst oerftei)e idj Sie wirtlich nicht! 3dj wüfjte nidjt . . . 
^Sring. DaS ift hoch, benfe idh, Fjergtic^ einfad)! Sie ftnb ein junges 
5Jiäbd)en . . . Sie finb . . . nun taffen Sie fidj’S nur wirflid) einmal 
ernftbaft fagen ... Sie finb fdf)ön unb liebenSwürbig unb ftug . . . 

Goa (trop rittigrr Setougrnpeit ipm [cfieinbar peilet brepenb). Roheit! 

'fJrinj . . . Sie finb fo recht gefchaffen, um glüdtidj ju machen . . . 
5 Bie fdjnell lotnint ba ein Vtann, ber Sie uns fortnimmt! Unb glauben 
Sie mir, Fräulein Goa ucife unb itpioer) ich würbe bannt ba» befte Dheil aus 
meinem Seben oerlieren! 

Goa (trop toatplenber Sefangenpeit berfuept fie imitier tt«p betn (Sefprätp eine peitere SBenbung 

»u geben). Mer, Vrms 2trt ljur, ith bitte Sie: baS ift ja gerabe baS Schöne 
in unferer ftreunbfdjaft, baf? wir Söetbe nur uneigennützig geben wollen, 
ohne je . . . 

V r i 1t J (üe aufepenb, tangfam). ©tauben Sie? (Sr ftept pinter ipr.) 

Goa (immer befangener). Mer jetzt nimmt unfer ©efprädj bo<h eine 
äßenbung, bie fi<h für jwei fo oernünftige -BJenfchen nicht fchidt! . . . 

Sßrinj cieife). s J!ein, Fräulein Goa, ith bin ganj in ber Stimmung, 
biefeS ©efprcith mit 3fmen fortjufefcen! . . . Stlar muh enblicf) auch in 
mir fein: in Stopf unb ^erj; 3d) wollte fort oon hier .... auf lange 

3 eit . . . Cer iPritpt, pinter ipr ftcpenb, teife fliifterub auf fie ein) . . . Oieüeidjt auf immer 

. . . weil ich baS Dafein hier, ben 3 töan Ür bie llnterbrüdung nicht länger 
ertragen fonnte .... aber ich wollte oor Ment fort (feitwiti<taftn<p) weil ich 
3h«en enblid) entfliehen wollte! Mer, ich fühle eS, ich fann nicht fort, 
beim . . . cganj leite) Goa, id) liehe Sie! 

©Dft (fdilägt ju Tobe entfjrocfcit bic .vninbe bor’s CJcftdit, fie bleibt Wie gebannt auf ifjrcm 
glatte fttjcti; tuäbrenb er weiter fpridjt, ^eigt fte, feines 2 öortc 8 mächtig, burd) nnwillfiirlicbe Bewegungen 
bic fie beberridicnbe furdjtbare Erregung an; halb f al tet fte, wie flefjenb bic £änbe, halb ftreeft fte bie 
Arme oon fidj, als wollte fie ftdj nur 2 BefjT feecn, fie fjält fi<$ bie Obren 511 , bis fie eitblid) ben $?opf auf 
bic iScfjne be» 2opba3 fegt unb mit gefdjloffeueu 21 ugen wie leblos fo Oerfjarrt, bi» er geenbet bat). 

(in beißer, immer gliibenbcrer £eibeuidiaft ibr jufliiftemb). Utn ©otteSroiDen, 

hören Sie mtd) jetzt an! Diefe Stunbe entfdbeibet über unfer ganjeS 
Seben! $a, Goa, id; liebe Sie, idh h a & e Sie geliebt oon ber erften 



Bet golbette Käfig. f69 

Stunbe an! ^unberte SJtale, taufenbe 3)?afe habe idj mit gefagt, bafi ja 
bodfj StidjtS barauS werben fann (&oa ©o(m> weil . . . weil ich ein ifjrinj bin 
unb ©ie bie Mochtet non Slnbreaä ©etberbing! 3 nmter wieber habe id) 
ini<h gefragt, 06 ©ie mehr ah? greunbfdfjaft für ntidE» empfinben? . . . 3 <h 
f»abe ©ie gemieben . ... ja, ich habe mir oft tagelang biefe Dual auf* 
erlegt . . . idj wollte mich prüfen, 06 ich oljne ©ie [eben fann! 3 $ habe 
mid) gegen ©ie unb gegen midi fetbjt gewehrt . . . ©ie haben ben furd)t= 
baren Stampf, ben ich feit beinahe jwei fahren fämpfe, nidjt bemerft! . . . 
3eßt follen ©ie mir tagen, ob er mit einem ©ieg ober mit einer Stiebet* 
läge enbigen wirb! . . . (txi&i 3 <h liebe ©ie! 3 <h bin au§ anberem $olje 
gefdjjnißt als ©ie! 3<h befi^e nidht bie Straft, eine fo große unb fdjöne 
Hoffnung, bie audf» mir fo notßwenbig ift, wie baS Slthnten, (auf fein «er» 
scigenb) ba heraugjureißen ! 34 > fann es nicht! Slber i<h will e§ jeßt au<h 
nidht mehr! 3 <h roitt nidht mehr! 3 cf) will nicht, baß biefeS ©ebnen un* 

erfüllt bleibt, ich will enblidh, ettblidh glücflich werben! (Unfleftiitn unb tu immer 
findierem tempo.) 3 <$ weiß MeS, was ©ie mir entgegnen werben, ich habe 
rnir’S ja £ag für £ag immer wieber unb wieber gefagt, baß bas SBaffer 
uiel ju tief wäre! Slber ©oa, ein 2Bort oon 3htten foH mir neuen SDtuth 
geben! 3 <h will bitten, fdfmteidheln, brohen, um mein 3 iel ju erreichen, unb 
wenn’S nicht anberS möglich ift, will ich ©ie mir erfämpfen! SUleS will 
ich aufgeben, all’ ben äußeren glitter, um ©ie ju erringen! ®enn ich 
weiß, es wäre baS ©lüd, nach bem idh mich gefehnt habe! SJtein ©tanb 
rerbammt mich ju einem tljatenlofen Sehen, ich wiß wenigftenS ^rieben in 
meinem 4 ?erjen haben! . . . 3 h? Später hat mir foeben gefagt: „Saffen 
Sie baS ©lüdf, wenn es fich 3h nen einmal bietet, nidht oorübergehen, es 
fommt oiefleidijt nie wieber!" on frammenbem ungeftüm.) Stun ift es enblidh, 
enblidh ba, baS große ©lüdf, idh f e h e eä leibhaftig oor mir! . . . wollen 
©ie . . . fönnen ©ie mich allein gehen laffen? . . . Sßerjeihen ©ie, ©oa, 
baß ich ©i« fo überfalle, baß ich Ohne« gar feine 3 ^it jum Sefinnen taffe, 
aber mein £erj ift jum 3 erfpringen ooH! omemb unb gtubenb.) 3 <h bettle um 
ein einjiges SBort . . . quälen unb martern ©ie mich nicht länger . . . 
wollen ©ie mir angehören? cei* über ne beugenb, reife unb bebenb.) . . . ober 
. . . Stein? 

©Oa (mit gefebtoffenen Äugen bnitpenb, ift feinei Jüorteä unb feiner '»auegung mistig). 

Sßrinj (immer beider, immer angfiooder). 3® Ober Stein? . . . (naefi furjer bSaufe 
beinahe berjiebteitb unb faitgfam). 3a • • • ober . . . Stein? 

6 »a (wie aus einem fügen Zraume gonj teife, nod) mit gefeMoffenen Äugen). 3 ^) . . . 
habe ©ie . . . lieb! (Sie febtägt bie Äugen fetig $u ihm auf, in tiefftcr 3nnigfeit.) U H t ä (] * 

lieh lieb! 

S^r inj (fubelt heruor). Gnblidf)! (<fr nimmt bir.ter ihr ftefienb ihren ffruf unb fügt He 
auf bie Stint unb bann leibenfcbaftlicb auf ben fflunb; trlUenioJ, ohne einen (taut überlägt fle fict: in 
heißer Seibenfcbaft feinem ffuife, wbbrenb ber 

SJotfjang 

(ebnen fiat). 


9torb unb «Ob. XCII. 275. 


12 



Uo 


^elij ptiilippi in 23e*ltn. 


^rittet 3tuf3U0. 

Scenerie be3 erften Stete®. 

€rfte Scene. 

Stammcrterr bon SuciuS unb ber erfte Stammerbiener. 

Suciu« (mu einem «otijf.u*). 'I'er SSortrag wirb wobt halb beenbigt fein 
. . . iefct ift es 3 inet Ufjr ... um oier llbr werben ftcb ©eine $obeit auf 
bie Qagb begeben . . . Sie finb gans orientirt, nidjt wahr? 

ft a mm er bien er. Qu ®efet)U Qm erften SBagen ber Dberjägermeifter 
mit bem ©rafen 9)tabre«cu ... im 3 wetten ©eine £of)eit mit ©einer 
jQof;ett bem ^Jrinjen Slrtbur . . . 

Suciu«. Stein, ba ift eine fteine Slenberung eingetreten . . . ©raf 
ÜDteinbarb wirb ben hoben $errjt begleiten unb Söaron Siebenftabt im SBagen 
beS $rin 3 en Slrtbur nebtnen! 

ftamnterbiener. ikrjeiben mir ber §err ©raf bie Qtage, bi« wann 
werben bie £errfcbaften wobt wieber hier fein? 

Suciu«. ®ie Siüdfebr ift für neun ttbr in2lu«fi<3bt genommen; in* 
beffen, ©ie wiffen ja, mein lieber SBennigftnbt, ba« f)ängt oont Qagbgtüct ab ! 

ftammevbiener Qbie Roheit! 

Zweite Scene. 

^erjogin (»Ort linf* auf bie lerraffe fommenb, fpridjt nad) tinW). Qd) barte Qbneit 

febr, liebfte ©räfin, bante tdelmal«! Slber gönnen ©ie ftdj jefet audb ein 
wenig Stube! Qn unfereit Qabren muff man mit ben Kräften ein bi«<ben 
bau«t)ötterifd) fein! 9Bir fönnen ja, wenn’« ein wenig f übler geworben ift, 
ben ©pajiergang fortieben ! (®« tommt in’* 3 immer.) 

Suciu« (berbeugt ftdj tief). 

^jerjogin. ©uten 2 "ag, lieber Suciu«! (SBä&renb fie m fe»t unb io« bet 
Äammerbiener bie fliffeit §ured,trücft.) ÜBiffen ©ie tnetteidjt, wo ifkinj Strtbur ift? 

Suciu«. ©eine £obeit waren unten im fDrt . . . idb glaube bei 
tfjerrn ©erberbing! 

ßersogin (für n*). 3t ba! • . . 2Bar ber Sßrinj lange unten? 

Suciu«. SMjrete Stunben! . . . Qefct finb fjobeit ttn ©cblofj beim 
©rafen 2 Jtabre«cu! 

ftamnterbiener. befehlen Roheit bie ißatiencefarten? 

^erjogin. Qdj bitte! (Sie neraMdiielxt mit einet feidten Sfopfbetoefluna ben fidi ber« 
beugenben) 

Suciu 3 (ber nach liitf« abgebt). 

Äammerbictter (bat bie $atiencefa\ten gebradt unb entfernt fid) bann, 2tciuS folgeitb). 

Dritte Scene. 

^eV 30 gin (beginnt eine Sfalieiice }u (egen, bann finnt fie, im ©bitte einbatienb. bor ilct> bin 
unb fd&ütteft nad)benflid) ben ftopf, bann beginnt fie bon Steuern). 

^ e r 5 0 (tritt bon red)« ein, ba bie ^erjogin it)n nidjt bemerft, tritt er teife bon hinten auf fie 
ju unb tegt feine $iinbe arf ihre SdnftcmX 9iUfl, 9JlCUU(l, 0Cl)t bü£ ©picl flUf? 



Der golbene Käfig. 


m 


ßerjogin. Stein, bic harten finb ju fdjtecfjt gentifdt! 
ßerjog «eiter). Dann mürbe icf) Dir rattert, Deiner ©eioofjnfjeit treu 
ju bleiben unb ein bilden nadjubelfen! 

&etjogin. 2Wj, oerfpotte mid nur! 3d bin fjeute mafjrljaftig nid)t 
in ber Stimmung! 

•Öerjog. Dfeo! Säfet Dir tuo£;I gar non bem jungen Strubelfopf bie 
gute Saune nerberben? Da« fehlte aucf) nod gerabe! . . . («egt umf)fr .) gv 
läfet übrigen« auf fid märten! . . . (Xa ne ibn trogenb anfiebt.) Di)! id badte. 
Du märeft be«roegeit hier? Gr tiefe midj bringeub um eine fofortige Unter; 
rebung bitten! 

.fcerjogin (beforgo. SBeifet Du, roa« er miß? 

&er§og. Da« ift nidit fcfemer ju errat feen! Gr feat ja jebenfafl« 
feinen greunb, ^errrt ©erberbing gefprodjen. Der tjat ifjm natürtidj ju* 
gerebet, feine pljantaftifden ißlane auäjufüferen, unb id feöre fdon, roie er 
mit grofeen SBorten unb noDtönenben tßferafen feinen SBilten bei mir er= 
trofeen miß! 

£er$ogin. Sei nidt feart mit ifpn! ... Gr ift nidt gtüdtid! 
ßerjog. Du tannft Did auf mid) neriaffen! 3d merbe nod ein* 
mal in aßer ©üte mit ifent fpreden! Stßerbing«, menn er bann nidt 
Drbre pariren miß, bann merbe id eben auf anbere 2trt mit Ujm fertig 
merben ntüffen! ... Da ift er fdon! 

Pierte Scene. 

ißrinj (burrf) bie Bülte, fiifst (einer Biuiter bie {xtitb, loiibrenb fufi bet) 

$er}0g (in einen ßeijuft u fj[ febt). 

ißrinj (jum $ecjofl). Gntfdulbige, bafe id Did habe märten taffen; 
aber es mar mir beim beften SBißen nidt etier mögtid! 

§erjog (freunbri*). #at nidt 3 ju jagen! «sr rimaeit.» 

fünfte Scene. 

Grfter Äammerbiener (#on nnw, treibt in btt tbure fteben). 

.fjerjog. 3d münfde, jefet nidt geftört ju merben! 

Äantnterbiener (fdifiebt reife bie Bülteitbiire unb bann tinfs ab i. 

Sedjfte Scene. 

ißrinj (gebt mehrere Blate buttb’« 3itnnter, bann fiebt er ben tjjerjog einen Bioment an unb 
(ebt bann (einen SSeg fort). 

^erjog. 2Bir haben fdöne« ^agbmetter! Die 2lu«fid)ten finb brißant! 
(Ättrje SJaufe.) ©raf SHabreäcu begleitet un« bod, nidt roafer? 
ißrinj «ebr jerftreutt. 9)iabre«cu? 3d glaube faunt! 

$erjog. 2Barum nidt? 

ißrinä. ®r miß feeut Slbenb fdon mieber abreifeu. 

.öerjog. So plöblid)? 

12* 



\72 


^elij ptjilippi in Berlin. 


2ßid)tige Depefhen rufen ihn ab! 

$erjog. Qn feine Heimat? 

<ßrinj (»erftreut), 3h weiß eS nicht! epauft.) 

£>erjog. Du fjaft mich ju fprec^en gewünfht? . . . i<b ftefje ju 
deiner Verfügung ! 

^Jrin g. $<b werbe mir in biefer Unterrebung alle etbenflihe SKüfje 
geben, meine 9tujje ju bewahren! 3h trete noch einmal mit uoHent 33er* 
trauen cor Dieb bin, ich will in Dir nur meinen briiberlicben fVreunb feiert I 
3lber icb bitte Dieb auh oon ßerjen, mah’3 mir nicht ju ferner! ©teile 
Dieb nicht auf beit ©tanbpunft, bafe icb Dir unbebingt gehorchen muff! 
3$ bitte Dieb: lieb’ in biefent 2Iugenblic£ in mir nur ben Wenfhen, ber 
fein ©lüd oon Dir erbittet! 

.eperjog. 3$ freue ntidb, Dich in fo oerföbntidjer unb »ernönftiger 
Stimmung ju feben! 3tuf biefe Weife werben mir uns au<b ohne laute 
Worte unb ohne 3?or würfe »erftänbigen! Warna wünfebt, biefer Unter* 
rebung beijuwobnen; icb t)offe. Du bift bamit einoerftanben? 

$rinj. ©ewij}! 

ßerjog. 3llfo bitte, was holt Du mir ju fagen? 

^ßrinj. Dafe icb mit faexm ©erberbing gefproeben l)(foe unb bafj icb 
nach biefer SluSfpradje auf ben $(an oerjidjte, WabreScuS Verbieten an* 
junebmen! 

^erjogin utifo. ©ott fei getobt! 

föerjog (ftcljt auf, Hebt ifm einen Moment burtfibrirtaenb an, bann), ©ine freubigere 

9ta<briht, ntein guter 3unge, bätteft Du mir wahrhaftig nicht bringen 
fönnen. Da hätte Deine greunbfhaft mit §erm ©erberbing bo<b etwas 
©ute§! Sllfo Der fjat’S oermoht, was mir nicht gelungen ift. Dich }u 
überjeugen, baß Deine ipiäne Suftfcfjföffer waren! 9lber ich bin nicht eifer* 
fücbtig auf ihn, im ©eqentbeil, ib bin ihm fogar febr banfbar! Der Wann, 
mit bem ich feit meiner Qugenb in $ebbe lebe, fheint Dich wirtlich ju 
lieben unb um Deine Bufunft beforgt ju fein! Das macht ihn mir — 
ich möchte beinahe fagen — etwas fgmpatbifcber! 2lber eS würbe mid> 
intereffiren, ju hören, welche ©rünbe er anfübtte! 

fßrinj. Diefetben wie Du! 3 n nur noh oiet nerflärfterem Wafje 
rietl; er tnir ab! 

£erjogin. ©ieb’ mir bie &anb, Slrtbur, Du bnfl wir eine fhwere 
Sorge vorn §erjen genommen! 

SPrinj. @r bot mich überjeugt, uotljtänbig überjeugt, bafj ich ba 
9lihts ju hoffen l;obe! 

föerjog (betrautet ifut fefiarf). DaS müffen ja atlerbingS fhwerwiegenbe 
©ri'mbe gewefen fein, bie Dih fo rafh überjeugen fonnten! Unb — ehr* 
lieb gefagt — Dein fo fhnetler SBerjiht ift mir ein flarer SeweiS, bah 
Du wobt cigentlih meljr aus Droß gegen mih ben $lan aufnabmfl unb 
mit Deinem $erjen gar nicht fo recht jbabei warft! 9tun gleihuiel, eS 



Der golbene Käfig. 


U3' 

ift gut fo ! Unb idfj werbe, oorauSgefet&t, ba& ©u SltidbtS bagegen Eiaft, 
J&errn ©erberbing meinen ©anf bur<b feine ©odbter abftatten [affen! (Sie 
fommt bodfj nadbber? 

■Öerjogin. 3cb erwarte fie in einer Stunbe! «saufe.) 

&erjog (ge&t U m&er). A6er ... (er «eitt rte&en) um mir bas initjutbeilen, 
beburfte es bo<b wahrhaftig nüf)t einer fo feierlichen ©inleitung! ©u 
appettirteft an meine btüberlidje ©eftnnung unb wottteft — wenn idE) mich 
reibt entfinne, waten baS ©eine SBorte — ©ir „©ein ©lücf non mir er* 
bitten?" banbeit fid) alfo wobl nid^t mehr um einen einjetnen gaU, 
fonbern um eine allgemeine Sßeränberung ©einer Stellung? 9!iä)t wahr? 

«Prinj a^weigt). 

^erjog (betraget ibn wieber unb gebt umijer). Qdb habe au<b feit geftem über 
©eine Sage nadbgebadbt. 3<b ntufj ©ir jugefteljen, bafj ich ©ir in mancher 
33ejiebung wohl nacbfühlen fann! ®ie Untfjätigfeit, jn ber ©u nun hier 
einmal nerbammt bift, unb bie i<b beim beften SBiHen nidfit änbern fann 
. . . bie bat ©idb pm ©raumer unb SDtetancbolifer gemacht! Arthur, (er 
xegt ibm bie «unb «uf bie ©buiter) idb glaube, i<b habe einen Ausweg gefunben! 3<h 
habe ©ir einen SBotfcfjlag p madben; idb hoffe/ er wirb ©ir greube bereiten! 
IJJtetn ifJlan fofil ©idb audb in ferne ©egenben führen, aber nidbt, um ©idb 
für eine nerlorene Sadbe p opfern, fonbern um ©ir felbft unb Hoffentlich 
audb bem Allgemeinen p bienen! Qdb werbe ©ir bie 2Jtittel pr Verfügung 
ftellen, eine wiffenfdbaftlidbe Gypebition ausprüften. ©u fannft ©ir felbft 
unter ben beften ©elebrten ©eine Begleiter «uSfuchen! jahrelang fannft 
®u ©idb in ber Sßelt umfdbauen! ®a8 wirb ©einen ©rang nadb ©bätig; 
feit befriebigen, ebenfo ©einen SEßiffenSburft, baS wirb ©einen 2Jtutb, ©eine 
Äräfte iiäblen, es wirb ©einen ©efidbtsfreis, ©eine SebenSanfdbauungen er= 
weitern, furj unb gut, ba ha ft ®u baS lang erfebnte 3^1/ ©üdbtigeS p 
leiften unb ©ir einen ebrennoHen tarnen ju madben, unb fo ©ott will, 
mein $unge, wirft ©u nadb jwei ober brei fahren prücEfotnmen als ein 
gefunber UWenfcfj, gefunb an Seib unb Seele! (er pep 16« an, &eü«.) warte, 
bafj ©u mir in bie Arme fticgft? 

ißrinj. gdb baute ©ir non $erjen! ©ein ^pian bat gewiß nie! 
^BerfübrerifdjeS an fidb, aber . . . 

J&erjog (ijn anfepenb, Cangfam). Aber . . . 

$rinj. ©eftem hätte idb ihn nodb mit greuben angenommen, honte 
fann idb es nidbt mehr! 

$erjog. fannft ®u es nidbt mehr? «iprt i&« Wr t*arf. paufe.) 
3db warte auf ©eine ©rftärung? . . . en»* raumg.) ®a fiehft ®u, 5Dtama, 
biefen wetterwenbifdben jungen! ^Begehrenswert!) erfdbeint ihm nur, woS 
er nidbt hat, fobalb er’S haben fann, hat’S ben 9teij für ihn nertoren! 

$rinj. ®u irrft! (&tmx «t6me»b.) SffiaS idb ©ir jeßt fagen will, ift 
. . . fdbwer . . . feljr fdbwer! . . . 



^eltj ptjiltppi in Berlin. 


£>etJOg (t>or ihm flennt», iljn Warf priifent>). $Öt’ mal, mein 3 lm ge, Ü$ will 

©ir bie «Sadje erleichtern ! ©iefe ftiHe SReftgnation, bic feit geftern ptöfelidfe. 
übet ©Wb gefommen ift, rnadjt tnicE) bocb cinigetmafeen ftufeig! ©eftern 
bift ®u entflammt für ben ißlan beS $emt ©rafen 2RabreScu, unb beute 
nerjiditeft ®u! 34 biete ©ir ©elegenbeit, ©i 4 wiffenf 4 aftli 4 }u betätigen, 
idb jeige ©ir ein 3'^/ un b ®u -oersidhteft! Dbne gfrage ^ält ©Wb atfa 
hier plöblidj ein ftärferer Magnet! . . . ((Sr geht finnenb umher, bann bfcibi er flehen.) 
34 brauche nicht weit ju fud>en! 3 n ©einen Qabven ift biefer ÜJiagnet 
immer eine grau! 

fßrinj (muttjifl). ga, eine grau! 

ijerjog. Unb barf ich midi na<b bent Sflamen biefer ©ante erlunbigen? 

Sßrinj. ®ie ©ame beifet ©ua ©erberbing! 

^erjogin (Mitf^ta). 2BaS fagft ©u? 

$erjog. 34 nerftebe noch nicht ben gufamtnenbang . . . 

ißrinj. 34 liebe gräulein ©erberbing, unb i 4 erbitte fie non ©ir 
ju meiner grau! 

&erjog (mit t>om *n* getroffen). 5öift ©u non ©innen? 

iß rin 5 . gebt, Oscar, ift ber Slugenblid gefommen, ino mir Seibe 
als Srüber unb als greunbe mit einanber fpre 4 en! jQßre midi jefct! idb 
flebe ©i 4 an! Son ©ir, ganj allein non ©ir wirb es abbängen, ob e£ 
bie leftte Unterrebung jroif4en uns ift, ob mir als greunbe ober als geinbe 
auSeinanber geben. 34 liebe gräulein ©erberbing! 34 täuf4e mi4 ni4t 
in meinem ©efübl, id) liebe fie! 34 bube lange genug gegen bie Serbält* 
niffe angefämpft unb mi4 ftiHf4weigenb ©einem 2BiHen untergeorbnetl 
SDtabreScuS 33orf4lag b«be i4 nur als einen Sorroanb gebraut, i4 b^e 
ihn gleichfalls als eine gügung betrachtet, enbliCh non bWt fortjufommen, 
um mein £er$ jur Stube S u bringen! 9lber na 4 bem mir gräulein ©erber* 
bing ibr gawort gegeben fjat, na4bem i4 enbliCh weih, bafe fie meine 
Stiebe erwibert, fomrne i4 offen unb ehrlich ju ©ir unb bitte ®i4 non 
$erjen, taff mi<b glücftiCh merben! 

$erjog. Sitte, fpriCh nur weiter! ©eftern erbateft ®u ©ir einen 
©bton, mit berfelben Gmpbafe erbitteft ©u ©ir beute ein gräulein ©erber* 
bing jur- grau, i 4 bin toabrbaftig neugierig, womit ®u mi 4 morgen 
übetraf 4 en wirft! 

ißrinj. DScar, bas ift nicht bet ®on, ben ©u mit nerfpra4ft unb 
ben id) erwarten barf! 

^erjog. ge&t wirb mir freilich StUeS flar! ©er ÜBolf im ©4afS* 
pelje bat ©ir nur non -DtabreScuS Stau abgeratben, weit es ihn in feiner 
Politiken Stellung nietleiCht fi&ett, ein prinjlWber ©dbwiegernater ju 
werben! 

«prinj. ftein 2Bort non ifem, er ift ein ©brenmann! ©r weife 
no 4 ni 4 ts non meinem Serlöbnife mit feiner ®o 4 ter, unb i 4 erfu 4 e 
©id», ihn nicht mit einem 2Borte ju nerbä4tigen; ober i4 neriaffe in 



U et golbette Käfig. f75 

biefem Ülugenbtid baS gimmer, unb ®u tjaft bann fe[ 6 ft bie golgen ju 
tragen! 

Herjog. ©laubft ®u, baff mtd) ©eine ©rohungeit Freden? 

Sßrinj. Unb ih erlläre ©ir hiermit, bafi id) oon meinem Vorhaben 
nicht abgehen werbe! Mag barauS werben, was will! 

Herjog. ©aS wirft ©u ©ir nieHeidjt bod) noch überlegen! 

ißrinj. Mas fannft ©u gegen baS Waberen einwenben? ©ajj fie 
bürgerlich ift! ©aS ju erlragen, übetlaffe mir! 

Herjog. Unb ©ich baran ju Ijinbern, wirft ®u gefäHigft mir 
überlaffen. 

^ßrinj. geh höbe feine Suft, einem biinben SBorurtfjeit mein ©lüd 
ju opfern: 28 gabre lang habe ich alle meine 2 Bünfd>e unb Hoffnungen 
biefem SBorurt^eit geopfert! Slber jefct ift’S genug! 23erlangft ®u oiefleidjt, 
ich follte mich bis an mein SebenSenbe wie eine Marionette hin* unb 
herjiehen taffen unb Gtjarafter, <ßerfön(ihfeit, mein ganjeS gh . . . 2 tHe» 
SllleS aufgeben für ein StiditS? . . . gh will enbtich aus biefem 
gotbenen Ääfig heraus, unb jefet bitte id» ©ich jurn lebten Mate: öffne 
ihn mir, fonft mache ich mich fetber frei! 

Herjog (jur Serbin). ®a hörfi ®u ja nun fetbft, wie witb unb um 
geberbig er forbert, wie ein Jtnabe, bem man fein ©pietjeug oerweigert! 
Mas fagft ®u ju feinem ungeheuerlichen Vorhaben? (mint spaufe.) 

Herjogin «tept auf). geh habe fo tange gefhwiegen! 2 tber ba ®u 
mich um meine Sfafiht fragft, will ich fie ©ir nicht oorenthalten! ®en 
©hritt, ben ©u fo „ungeheuerlich" nennft, ja, lieber ©olm, ich fann mir 
niht helfen, ben fann ich uur etwas ungewöhnlich finben! 

Herjog (auf* «eu&erfte bttroffm). Mas fagft ®u? 

Herjogin. Gr hat fein Herj wahrhaftig nicht an eine Unwürbige 
weggeworfen; ich fenne Goa ©erberbing, ich liebe fie, weil fie Hebens* 
werth ift! 

!ßrinj (f<$reit iubdnb auf tmb fiiirjt feiner Kutter in bie Ärme). Muttet! 

Mutter! (spaufe.) 

Her jo g (ergrimmt). 2lh! ®u täfet ©ich eben nach ecf;ter grauenart 
nur oon ©einem ©efühle leiten! 

Herjogin. SBeit ich utich unbebingt barauf oertaffen fann! gf»r 
Männer benft f Dörfer, wir grauen fühlen richtiger! ©eftern warft ®u 
im Steht, heute ift er im Steht! 3 h 0 ebe ©ir ju, bah babei oielteiht 
©hwierigfeiten ju überwinben finb, aber ihm bie Grfütlung feines HerjenS* 
wunfheS gteih als Unmöglich hinjuftelten, nein, mein Heber Sohn, ba fann 
ich beim beften Milten niht beipflihten! 

ffßrinj (in rafenbtr sffiutb). ga, unmöglich ift’S freilich niht! Gr will eS 
mir nur unmöglidh machen! Sieber mähte er mich ungtüdtih für mein 
ganjeS Sehen, nur, bamit feine Autorität niht ©haben leibet! 


\76 


^eltr pt^ilippi in Berlin. 


jperjog (mit 8 ro&et entmit). 2>ertafe midf jefet! Safe ®ir auf ber Qagb 
ben 2Binb unt ©einen feeifeen Äopf roefeen, bamit ®u roiebet jur 8e= 
fimtung foinmft. 

iJJrin} (in roitwm $«§, hinter 11 ) m ftcfytnb, it;m jufliiftemb). 2luf bet Qttgb? ©flS 

wäre roofet ber hefte 2luSroeg, wenn mir ba plöfelid) ein Unglfid juftofeen 
mürbe? 

^erjog (madfl eine »e rdcijttidie ^anbberoejunj.) 

ßerjogin. ©ei)! (»a ber switj nod) fiioanft.) ©eh’! Safe unS jefet allein! 

9ßrinj (in furdit barer G-rrejung liitfa ab.) 

Siebente Scene. 

$erjog («uf unb tt>. £>ätte id> baS ofenen fönnen, liebe SDiutter . . . 

^erjogin. ®u Ijätteft mid) in biefer Ülngelegenfeeit wahrhaftig nicht 
ju $i(fe rufen follen . . . 

$erjog (immer teb^aft umt»er). ©iefer roitbc, unbeugfame ®rofe! 

^erjogin. ©u mufet feine SBorte nicht auf bie SBagfdjale legen! 
Gin junger SDtenfdfe, ber liebt! ©er fagt teufet mefer, als er »erantroorten 
fann, unb als er roofet felber glaubt! GS feanbelt ficE) ja auefe fd^ticfelirf) 
nidjt nur um ein GerentonieH, ob er etma bei ber $oftafel ben ober jenen 
ipiafe einnimmt . . . eS fjanbelt fiefe bodE) um fein Sdfeidfal! Unb, ®u 
lieber ©ott, bafe er um fein ©lüdf fämpft . . . mer mollte ifem baS t*r= 
benfen ! 

$erjog. So »ertbeibige nur ©einen Siebling! Gr bat ®ir ja 
immer näher geftanben! 

^erjogin. ©afe es nicht fo ift, meifet ©u felber am heften! 3<fe 
liebe Gucfe Söeibe ganj gleufe! Slber baS tonnen mir uns boefe nidht oer- 
feefelen, bafe baS Sdjidfal ihn ein biSdfeen ftiefniütterlicfe befeanbelt f)at! 

$erjog. konnte idfe es etma änbern? 

fjerjogin. ©emife niefet! Slber man mufe 9ta<feficfet mit ihm üben, 
man mufe ihm Grfafe bieten! Unfer Stanb legt uns Pflichten auf! Ülfeer 
biefe Pflichten »erlangen hoch nidht unnüfee Opfer! Unb ein ganj un= 
nüfeeS Opfer märe es, roenn er auf baS 3Jiäbcfeen, baS er liebt unb baS 
— ich betone immer roieber — biefer Siebe mirflitfe mürbig ift, roenn er 
auf bie »erjidhten foUte! 9t ur um ber StaatSraifon roiUen, nur um ber 
©rabition roiden? (smt ebiet swet*.) ÜDlein lieber Sohn, nur ungern rühre 
idh on eine offene SBunbe, unb nur eine ÜDtutter barf es thun! Sdhau 
bodh in ©ein eigenes £>erj! (Ceifer.) 3ft es benn nicht genug, bafe ®u 
©idh ber ©rabition geopfert feoft, unb bafe ®u ein liebeleeres Sehen 
füferft? ®u fe«ft eS im Sittereffe ©eines SanbeS getfean, ®u feaft baS 
Opfer in ebler 2lbfi<fet gebradfet unb feaft aus tiefftem ^ßftidfetgefüfel ©eine 
perfönlicfeen SBünfdje betn allgemeinen 2Eofet untergeorbnet! 3<fe habe ©idfe 
bamalS — heute fann idfe’S ®ir ja eferlidfe fagen — i dj feabe ©idfe be= 
rounbert! ©ein Opfer feat genüfct! 2lber roarum audfe er? Soll er 



Det golbene Käfig. 


\77 


©ein ©efiidfat ttjeilen, nur um einer teeren gorm mitten? ©ir bot 
roenigftenS ©eine ©tettung, ©ein Slnfehen, bie 9Jlad)t, bie ©u ausüben 
fannjt, ©rfafc! 2Ber banft es ihm, menn er bas nufclofe Opfer bringt, 
wenn er ein UWäbdjen aufgeben muff, bas er liebt, unb eine grau heirathet, 
bie er nicht liebt? 2BiÜtft ©u bie SSerantroortung bafür auf ©idf nehmen? 

$erjog. 9Ber bietet mir benn bie ©arantie, bah er mit einem 
gräulein ©erberbing glücflich mürbe? 

fjerjogin. ©aS SJtäbdjen fetbft! äBenn fie auch bie ©odhter eines 
ttflanneS ift, ber einmal ein einfacher Söeber mar, an Stbet ber ©efinnung, an 
tiefer ©mpfinbung unb ©röfje beS GljarafterS fommt fie ben »ornehmften 
2Jiäb<hen aus unferen Greifen gleich! ®afj ©ich fei« $ptan juerft erfdjredt, 
idh fann’S ©it nidht oerbenfen! ©u fannft ©idf im Slugenblicf nicht »on 
alt bent geftgerour jetten toSmachen! Mur baS grentbe oerroirrt ©ich! 9iur 
bah ®u fein 23eifpiet in unferem §aufe »or 3tugen fiaft! 2tber roenn ©u 
barfiber nadibenfft, mein ©otjn, in alter Muhe, ohne #ah im $erjen gegen 
ihn unb ohne Siüdfidjt auf att bie müben 35? orte, bie er ba in feiner SSer- 
jroeiftung auSgeftofsen hat, roenn ©u barüber nad»benfft, fo mirft ©u mir 
9ied)t geben, baß fein SBurtfdh nur ein bissen ungeroöhntich, nicht um 
geheuerlidh ift! ©aju benfft ©u ja bodj ju frei, um baS ©chietfat ©eines 
einjigen 33ruber§ bem Stopffchütteln einiger Heiner SMenfdien ju opfern 1 
©ieb mir bie £anb, Oscar, ich »erlange jefct roahrhoftig fein garoort »on 
©ir, ich bitte ©ich nur, überlege ©ir’S! geh lüitt bem £imtnet banfen, 
menn ©u aus ehrtichfter Ueberjeugung ©einen ©egen giebft! gn ©einer 
$anb allein liegt eS, baS SJtäbchen unb ihn fehr glücflich ober fehr ungtüdtid) 
ju. madjen unb bann . . . auch mich ! «saufe.) 

fjerjog (lebhaft »roteiutenb). ©ie ©odjter »on 3lnbreaS ©erberbing . . . 
eS ift unmöglich, -Mutter ! 

■Öerjogin. ©S hanbelt fi<h hier nur um Goa ©erberbing, nicht um 
bie ©oehter beS 33olfSmanneS! 

fjerjog. ©aS ©ine täfft fich ober in biefetn gatte gamicht »out 
Stnberen trennen: 

fjerjogiu. 2l(S ©einen potitifchen ©egner magft ©u ihn ja hoffen, 
3llS SOienfchen muht ®u ihn achten! 

fjerjog. ©aju ftehft ®u ber gßotitif noch ju fern, um ju miffen, 
nrie er feit gahren alte meine iptäne burchfreuät, roie er mein Stnfehen }u 
untermühten fudit unb bah & ih'n teiber f<hon »ietfach gelungen ift! 

$er sogin. ®u hoft Siecht, ich »erftehe »on ber Sßolitif fjerjtidf» menig, 
aber fomel meih ich bo<h, bah grabe auf bem ©ebiete aus beit heftigften 
SBiberfachern bie beften greunbe roerben fönnen! 35?enn fie nur 23eibe ben 
nöthigen guten SBitten baju mitbringen! 

^erjog (ma$i eilten ®anj burtb'« 8‘ntmer, bann mll tebliafter ®efte). Mein, 2)tutter, 

eS ift unmöglich! geh bin fein unmoberner 9Jlenf<h, menn idh mich auch 
»on alten Ueberlieferungen nicht fo im föanbumbrehen toSreihen fann! 



178 Philipp* in Berlin. 

Slber wenn icf) au4 übet ben Unterfd^ieb ber ©eburt ^imoegfe^e, bie 
©o4ter biefeS Sttanne« barf unb wirb et nicht ju feiner grau machen! 
34 'höbe feine Suft, mich non bern jungen Herrchen in einen Gonflict hin« 
einhetsen ju taffen, beffen CSnbe idh garnidit abfehen fann! 34 uerfpüre 
feine Suft, idh höbe nid)t baS ©eroiffen baju, au« nermanbtf4aftti4en Sificf« 
fidhten meine Ueberjeugung ju opfern ober midj gar munbtobt madhen ju 
taffen! Siebente, SJlutter, in roetche Situation idh ha möglidhermelfe hinein« 
geraden mühte, ja, mit offenen Slugen bifleinrennen mürbe! Sei ber 
geringften Gonceffton, bie idh biefer ßeirattj ju Siebe madhen mürbe, tdh 
meifj e« ja, madhen müßte, mürbe man nid}t mehr unb mit 9?edht nidht 
mehr an midh glauben, ba« Vertrauen, ba« Stnfehen ba« idh genieße, Sitte« 
fönnte erfdhüttert metben, man mürbe mahrfdheinlidh annehmen, baff idh 
einen feigen Gompromih mit £errn ©erberbing unb feinet ißartei fdhlieffen 
mottte, unb ba ba« nidht fein fann unb nidht fein barf, bleibt’« babet: er 

mitb fie nidht l) eirat hen! (®r fcfmttett mit lebhaften Oenxgungen ben Hopf unb feg- (einen 
©ong bimt/4 3immet fort; enbt'4 Meibt er ücfxii.) 2Bie millft ©U ©idf) DOrläUpg lltit 

gräulein ©erberbing ftetten? 

^erjogin. Si« ©u ©idh entfchloffen hofl, merbe idh felbftoerftänblich 
Sitte« beim Sitten taffen! Sie mirb gteidh fommen! (spt»*«« unb lebhaft.) SBenn 
©u ©ir nur einmal bie 3?!ühe nehmen mottteft, mit ihr ein Stünbdhen 
ju plaubern! ©u fennft fie ja nidht! Slber glaube mir, e« tljut mohl, 
einen Stic! in b'tefe« £erj ju tt»un! 

£erjog «e&t feinen ©ang fort, feijr rebbaft). ©a bringft ©u midh ouf einen guten 
©ebanfen! 34 merbe mit ihr fpre4en unb jroar fofortl 34 brau4e ©ir 
mohl ni4t ju fagen, bah i4 ba« ©efühl ber jungen ©ame in feiner 
SBeife oerleßen merbe! ©u h a f* fo oft mir gegenüber ihre Klugheit unb 
ihren Serftanb gerühmt! Sajfen mir’« auf bie ißtobe anfommen! 34 
merbe in aller ©üte, fo Ijerjlich al« e« mir nur irgenb mögti4 ift, mit ihr 
fpre4en, i4 merbe Sitte« nermeiben, ma« ihr mehe thun fann! Slber i4 
merbe ihr flar ma4en, bah ba« meber ihm no4 ihr jum ©tücf gerei4en 
fann! Sie ift ein fluge« unb nerftänbige« 3Jtäb<fjen, unb be«megen mirb 
fie ®erji4ten! (®r nmgett.) 


2ld?fe Scene. 

Grfter Äammerbiener (non auf*). 

$erjog. 3®manb im Sorjimmer? 

Äammerbietier. 3h re ©jcettenj grau ©räfin Ulihing! 

^erjogin. Slh! ©ie gute ©räfin befielt auf ihrem S4ein! G« 
fehlen noch genau 23 SJtinuten an unferer täglichen ißromenabe! . . . 
Sagen Sie ber grau ©räfin, fie mö4te bie ©üte hoben, mi4 am $io«f 
ju erroarten! 

ßerjog. Sonft no4 gernanb? 


Per golbene Käfig. 


*79 


Jtammerbiener. $räu(ein ©etberbing ift foefen gefommen. 
^erjogin. Sitte, laffen ©ie baS ^räulein cintreten. 
Äammerbiener (tmr«ab). 

ITeunte Scene. 

ßerjog. ©u toiHft geben, SJtama? 

^terjogin. 3fa. 3d) tbueeS abfidfjttidf)! ©ie barf uid)t ben ©in» 
bruä fiabett, als ob hier ein feierlicher fjamilienconfeil ftattfinben fottte ! 
3<b werbe jie nodb empfangen unb midb bann entfernen. Unb, DScar, 
idj bitte ©idb nodb einmal: oergib feinen Stugenbtid, bafj idb baS SDtäbdben 
febr, febr lieb habe! 

£erjog. ©ei unbeforgt liebfte SJtanta; ©u ' braudjft bal toabrbaftig 
nidbt fo tragifdb ju nehmen. 3$ möchte eine 25?ette mit ©ir eingeben, 
bab bie ©ad)e in ber nädjften halben ©tunbe erlebigt ift! 

©oa (tun tinti, oljne §ut imb SlanteO. 

^erjogin (Reiter), ©uten ©ag, liebe ©oa! ©a$ b®ben ©ie beute 
fdbledbt getroffen! 2lu£ ber Sorlefung fann je( 5 t nichts werben! 3<b will 
mir nicht bie ltngnabe ber ©räfin üujteben, fonft fdjreibt fte wieber in ihr 
©agebudb: „3b*e Roheit geruhten beute ju meinem tiefften Sebauern ftatt 
ber oorgefdbriebenen ©tunbe nur 37 J /2 Minuten ju promeniren!" . . . 
Unb fiberbieS, ©oa, i<b bin böfe mit 3b«en, ganj böfe! 3<b habe nämlid) 
hinter $b r ent Stüdfen beute Stacht ben Stoman auSgelefen. ©3 ift fdbänblidb: 
fie friegen ftdb ja nicht! ©er arme ungtüdlicEje junge -Wann erfc^iefet fidb, 
unb baS oornebme 3D?äbdben . . . 

$erjog (tacbenb). ©türjt ftch wohl in’S SBaffer? 

£erjogin. 9to<f) oiel fdfjtimmer! ©ie beiratbet einen 2lnbem! 
&er$og ««iteo. ©ie ©reulofe! 

#erjogin. Stein, liebe ©oa, begleiten ©ie midb nidbt! Stuben ©ie 
ftdb nur ein wenig a'uS; Per fdbattenlofe 2Beg bat ©ie genug angeftrengt. 
©ie ftören Stiemanben! Sleiben ©ie nur hier unb feben ©ie jidb bie 
neuen ©tereoffopen bort an; bie finb beute SDtorgen angefommen. ©3 jinb 
pradbtoolle ©adben barunter! 3dj bin halb toieber ba, unb bann ptaubern 
wir nodb ein biSdben! mrd> bie amtte ab.) 

Zehnte Scene. 

©Oa (ftefit am anitt(l!if<b, nimmt ein SSilb imb iietjt in bab Stereoffop). 

jQerjOg (betraditet fie «Inen SKoment, bann tritt er an ben 2if$ imb betrautet ein ®itb, 

freunbtub). 2Ba3 finb benn ba3 für ejotifdbe ©egenben mit Halmen unb 
©acteen unb bem unroabrfdbeinlidb blauen SJteer? 

©oa. Roheit, e3 ift ein Heiner Ort in ©icilien; idb fenne ihn jufättig! 
fjerjog. 2lu3 eigener Slnfdbauung? 

©oa. $a! 

£etjog. ©aufenb, finb ©ie fcboit fo weit gereift? 


*80 


ifelij pfjilippt in Berlin. 


©ua. ^dfe war cot cier ^a^ren im Drietit. 

•Igetjog. 3dfe weife nidfet, ob man Sie baju beglücftoünfd^en. fann, 
bafe Sie fdion fo früfi all’ bie $errlidfefeit gefefeen feaben! Sie waren 
batnaB adfetjefen ^atjre, wenn idfe nid^t irre? %d) glaube, man ift in bem 
Sitter nodfe nidfet reif genug, um biefe gewaltigen ©inbrüde in fedfe aufju* 
neunten? 

6 ca. 3 m Sillgemeinen gewife nidfet! Slber e3 fornrnt ba wofei meiftens 
auf bie Begleitung an, bie ©inen aufnierffam madfet unb ©inen unterridfetet 
unb belehrt! 

tperjog. ©anj redfet ! Unb wer war benn $fer SJtentor, fjfräutein? 
©na. SJtein Batet, ^ofeeit ! («uw $aufe.) 

$erjog. Sinb Sie überhaupt eine greuitbin ber Statut? 

©ca. SDtefer aB eine $reunbin! 3<fe liebe bie Statur! Sie erfeebt 
midfe unb berufeigt nüdfe jugleidfe! 

£erjog. ©a müffen Sie fidj aber feiet nidfet gerabe fefer wofei 
füllten, gräutein ©erberbing: in unferer armfeligen, fo ftiefmütterlidfe be* 
badfeten ©egenb? 

©ca. ©ie liebe idfe cor SlUent, benn fie ift meine Heimat! 
föerjog (fein). Sllfo . . . trofe SlUent bodfe eine Heine Patriotin! 

©CO (iljit anfdjauertb unb Wrfte&enb, bamt ru(|ig). Qa ^jofeeit, 1 1 0 fe 21 Item eine 

Patriotin! (Pauft.) 

£>erjog (&»*»«). Slber parbon, idfe feabe Sie nodfe nidfet einmal ge* 
beten, iptafe ju nefenten! 

©ca (fejt fidö). 

^etjog (ifir gegenüber am itfcb). ©a feat bie ^erjoght waferfeaftig mieber 
iferen $äcfeer feier liegen laffen. Sta ja, baS Sitter madfet cergefelidfe! 

©ca (roii auffteben). ©eftatten £ofeeit, bafe idfe . . . 

$er$og. Stein, nein, laffen Sie nur, gräulein! ©ie ©räfin Ätifeing 
wirb fefeon ein fdfeattigeS ißlafedfeen im $arf auSgefudfet feaben! . . . 3<fe 
weife nidfet, bilbe idfe e<3 aB beforgter Sofen mir nur ein, ober finben Sie 
bie ^erjoght im lefeten Qafere audfe redfet gealtert? 

©ca. Sförperlidfe cießeidfet ein wenig, aber geiftig ift fie con be* 
jaubernber Sugenbfrifcfee! SJtir werben bie Stunben, bie idfe mit ifer cer* 
leben barf, immer uncergefelidfe bleiben! ©iefe fyrau fommt mir immer 
cor, wie . . . (Sie Ijatt tnne). 

£er jog. Spredfeen Sie nur, gräulein ©erberbing, fpredfeen Sie nur 
ganj ofene gene! 

©ca. . . . fee fommt mir immer cor wie ein SBalbquefi, ber Gebern, 
ber fiefe ifem näfeert, ©rfrifdfeung fpenbet! 3)tan nimmt immer etwas mit 
con iferen eblen unb guten ©ebanfen! 

£>er}og (betrautet f«, bamt). Qdfe fann Sfenen fagen, Fräulein ©erberbing, 
bafe biefe Spmpatfeie auf ©egenfeitigfeit berufet! ©enn bie £erjogin feat 
Sie fefer in ifer $erj gefdiloffen! 


Der golbette Käfig. 

Goa. ®a$ füE»fc id>, unb baS macht mich auch fefjr cifüdftd^ ! (spaufi, 

toä$«nb toel^er er fie tttx$ einmal betraget.) 

$erjog. fötein liebes Fräulein, ich halte Sie für ein fefir rer* 
nünftigeS äRäbchen! Sie finb, wenn ich Sie richtig beurteile, bei allem 
tiefen ©efühl feine fentimentale -Jtatur, unb Sie haben fidj baran gewöhnt 
ober finb auch oietteidjt baran gewöhnt worben, bie £>inge mit ruhiger 
Ueberlegung unb Harem Süd ju betrachten! Unb weil ich baS als fidler 
annehme, bin ich auch überzeugt, bah wir uns oerjiänbigen werben! 
<$aufc.> Sßrinj Slrthur hat mir oor einer Stunbe gefagt, bah er ©ie liebt, 
unb bah ©ie feine Steigung erwibern? 

Goa fließt raf« uuf, gatq einfa«, aber tote tieffier (JjnDfinbung). 3®/ Roheit, ich 

liebe ihn! 

$erjog. Gr will Sie ju feiner Frau machen unb hat mich ais 
Familienoberhaupt, wie es nun einmal bie ©efefee unfereS ßaufeS oor- 
fdireiben, um meine Ginwilligung gebeten! . . . 3d) bebaute eS auf baS 
ftieffte, wenn ich Shuen eine herbe Gnttäufdjung bereite! Slber ich muh 
eS thun! 3dj habe bem grinsen meine Ginwilligung oerfagt . . . glauben 
Sie eS mir, Fräulein ©erberbing . . . rerfagen muffen! 

Goa (gan) ra^ig unk ftft). Unb barf id) fragen, Roheit, was ber ißrinj 
erwiberte? 

$erjog. Gr hat mir geantwortet, bah er feinen SiMUen burchfefcen 
werbe! So ober fo! 

Goa. 2)aS wufjte id) ! 

$erjog. Unb Sie, Fräulein ©erberbing? 

Goa (einfach). Roheit, bie Antwort beS ^ßrinjen ift auch meine 2tnt= 
Wort! (CPaufc.) 

^erjog (Mt au« auf), ^a, mein oerehrteS Fräulein, baS würbe ja 
bie Sache aüerbingS erfdjweren, wenn ich mich nicht eben auf Shre Vernunft 
oerlajfen würbe! . . . ®afj Sie jefet in bem erften 2lugenblid fo urtheilen, 
noch fo ganj unter bem Sann feines ©efiänbniffeS ... baS hatte ich 
nicht anberS erwartet! ®aS ift begreiflich'- 2lber ich bin feft iiberäeugt, 
bah, wenn Sie mit fidj ju 9tat£)e gehen, wenn Sie erft alle bie -§inber= 
niffe fehen, bie Sh nen ben 2Beg ju Shrem 3^1 oerfperren, bah ©ie bann 
ruhiger barüber benfen unb fi<h befdjeiben werben! 

Goa. Stein, Roheit, ich liebe ihn! 

Sjerjog. Fräulein ©erberbing, ein tanger Stampf macht ntübe! 

Goa. Um fo glüdlidier macht nach langem Stampf ber Sieg! 

-Öerjog (gew um&er). -Btem oerehrteS Fräulein, auch id liebe meinen 
Sruber! 3dj anerfenne unb f<hät?e feine guten Gigenfchaften oon ^erjen! 
. . . fDtifjoerflehen Sie mich ja nicht . . . eS fällt mir auf mein 9£ort 
nidt ein, ihn gefUffentlidj oor Shuen herabjufeben . . . 

Goa. GS würbe Sfjuen auch nichts nähen, Roheit! 


*82 


^elt£ PfyUtppi in Berlin. 


.gerjog. Sie in Qhrer Siebe fehen nur bie blenbenben SBorjüge 
feinet SßefencS, id) fenne ihn länger unb fenne auch bie groben Schwächen ! 
G3 ift ein ungewöhnlich begabter Wienfd), ber x>on ^ugcnb an für alles 
Schöne empfänglich mar; aber er ift auch non jeher ein fchwanfeä Wohr 
gemefen, wanfetmüthig unb unentfditoffen, halb ©ieS, halb $eneä begeljrenb, 
immer fprunghaft in feinen Saunen unb Gntfdjlüffen, immer bereit, bie 
Sterr.e oont Fimmel herunter ju holen, unb wenn man ihm bie Seiter gab, 
hinaufjufteigen . . . bann war ihm bie Suft längft fdjon toieber uergangen ! 
©ewifj bin i<b überzeugt, baß er Sie jeßt liebt, innig unb non ganjern 
ßerjen! 3eßt! -Diein gräulein, roer bürgt 3ßnen bafür, baß biefeS 
©efühl Seftanb l)ot? 

Gua Mt«: iebes spatboi). ÜDteine Siebe! . . . Sie fönnen fich wohl benfen, 
Roheit, bafe bie nicht non heute unb geftern ftamint, bah i<h ntich nicht 
plötilich h a l>e oon feinen heilen SBorten beraufchen taffen! ... ®afj id) 
mich in ihn nertiebt l;abe? ©laubett Sie ja nicht, Roheit, bah i<h 
mich in ben ißrinjen nertiebt hübe, bah midh ber ©lanj, in bem er lebt, 
ober bie Stellung, bie er nun einmal in ber ÜBelt einnimmt, bah ntich 
bie nerlodt hoben! ©aju bin ich nicht baS fDJäbchen! ©aju Roheit, 
bin ich toirflicb ju neruünftig! $dj höbe ben üttenfdhen lieben gelernt, 
ben 2liann mit aU’ feinen Sugenben unb, menn Sie wollen, auch mit feinen 
Schwächen, unb ich liebe ihn, weil er fo ift, roie er ift! Unb Sie fönnen 
fich oudfj benfen, Roheit, als ich fühlte, bah nnb wie ich ihn Hebe, bah 
i<h ba — ich fchötne mich burchaus niefit, es einjug'eftehen, — bah id) 
manche 9iad)t burchmeint höbe! Söelchem Stäbchen ginge baS roohl anberS, 
ba§ feine Siebe nicht erwibert glaubt! 3<h h ft be bamals fdjwere feiten 
burchgemadjt . . . id) muhte baS 2lHe£ ganj allein tragen! $dj mar 
entfd)loffen, nicht mehr hierher ju fomnten, aber immer tuieber hohe ich mit 
bie Dual auferlegt um bet tgerjogin willen! . . . ©eit bitteren, beijjen 
Stampf gegen mich felbft habe id) burchgefämpft, fönnen Sie wirflidi glauben, 
Roheit, baß ich ben fleinen Stampf fürchten werbe, ber, wie es fchcint, 
mir hier beuorfteßt? 

£jerjog. 2lber gräulein ©erberbing. Sie muhten fid) hoch fagen, 
bah oll’ ihr Stampfen untfonft ift, bah id) meine GinmiQigung ju biefer 
23erbinbung nicht geben fann! .gaben Sie fid) baS wirtlich nicht gefagt? 

Gua. 9leiit! 

§er$og. Unb warum nichts 

Gua. 2i ! eil id) groß non 3hnen beichte, Roheit! 

A^erjog o>tm>im, nad) tutj« spaiife). 2lber Sie muhten boch bebenfen, 
bah ber Unterfd)ieb ber ©ebutt swifchen ihm unb 3(jnen . . . 

Gua. Qd) höbe nur gelernt, bie Wenfchen nach ihrem 2B erth S» 
f (haßen unb nidit nad) ihrer ©eburl! 

§erjog (fit erftaimt aitfeptnb). 2i?er tjot Sie bettn bas geleljtt, mein 
Aräuleiu? 


Per golbene Käfig. \83 

©tm (grofc). -iKein 33atcr, £ot)eit! ($aufc, in toelder m »<ibe einen SJioment 

anblicfen.) . 

$erjog. 3^»r 33orrourf, bafj i<b bie ÜJlettfcfjen int 2lßgemeinen nid)t 
nach t^tem SBertbe fcbäfce, trifft midj roafjrljaftig nidE»t! 216er fo fel;r i^ 
©ie auch perföntief) »erebre, unb nad) biefer Unterrebung roabrbafüg 
nic^t ntinber, in biefetn (falle mufj ich ben UnterfdEjieb ber Gieburt 
refpectiren! ©ie, mein »erebrteS ffräulein, finb e6en in anberen £ebenS= 
anfd)auungen aufgeroadifen . . . 

@»a. 3a, fjobeit, in »orurtbeilslofen! 

fjerjog. SOiein grau [ein! darüber fann i<f) mit Q^nen nicht 
f preßen . . . ba mürben bod) }u munbe fünfte berührt merben, ba 
mürben »ießeidit auch non meiner ©eite fiarte 2Borte über 3l>ren &errn 
S3ater faßen, unb bie miß icfj — ich ^«be mir baS feft oorgenommen — 
»ermeiben! ©ie diüdficbt auf ©ie »erbietet ntir . . . 

©oa. Roheit, für mich »erlange ich feine ßlücfficbt, für meinen 
iCater aßerbingS jebe! 

ßerjog. Unb jefct fomnten mir }ur fjauptfadje, tnein ffräulein: 
3br 23ater ift mein ffeinb! 

©oa. 9tein, er ift nur 3b* ©egner! 

4}erjog. ©r befämpft alle meine 33efirebungen, er burd)frcujt 
meine fßtäne ... er »erbittert mir baS Seben! 

©oa. Sßürben ©ie ibn fennen, Roheit, fo mie id) if)n fenne, ©ie 
mürben ibn ehren, ©ie müßten ibn fogar liebgeroinnen! 

•Öerjog a^rorf). ©o? ©tauben ©ie baS, mein gräulein? 

©oa («ro6 unb bmrei&tttb). Qa, Roheit, ©ie müßten ibn liebgeroinnen, 
benn er ift ein felbftlofer unb gütiger 3)!enf<b! 

^erjog. ©r bat an 3bnen einen mannen fettleibiger ! 

@»a. SBunbert ©ie baS, Roheit? 

•Öerjog. ©3 freut mich, bag ©ie baS »ierte ©ebot fo gut befolgen, 
unb bafj ©ie ibn mir gerabe gegenüber »ertbeibigen, jeigt, bafj es 3bnen 
auch an SJtutb ni<bt fehlt! 

©oa. 5Rein, Roheit, an bem fehlt eS mir jefct mabrbaftig roeniger, 
als je! 

ßerjog. 2Benn ich ©ie red^t »erftebe: ©ie rooflen alfo in offenen 
ftantpf mit mir treten? 

©oa. Jßenn ©ie midi baju jmingen: ja! oikufe.) 

fjetjOg (je$t burdj’S 3'uimer, bann fttiien bleibenb). ©a ftÜnbCU mit UllS alfo 

als geinbe gegenüber? ©ettn auf einen gutmißigen 2Jer$id)t fd)eiite ich nicht 
mehr rechnen ju fönnen? 

6»a. 9iein, Roheit, niemals! 

fjerjog. Siebenten ©ie roobl, Fräulein ©erberbing . . . 

©oa. 3<b bni> c 2iidbtS ju bebenfen! ($aufe.) 

•Öerjog. Unb roaS beabfichtigen ©ie, menn id) fragen barf, ju tbun? 


^elij pfjilippi in Berlin. 


|8^ 


6 na. 3$ roerbe $rinj Sßrthur bitten, fidh ber ^»erjogtn anjuoertrauen! 
•Öerjog. ®aS f;at et bereits getijan! Unb (fie hriifenb unb langfam) Tt 7 C 1 ttt 
meine fDlutter meinen ©tanbpunft nun theiten mürbe . . .? 

Gtltt (&itirti&rnb mit immer Batfifenber (Jmpffnbuitg). Sieiti, ifjo[)eit, rerjcifjen ©ie, 

baS glaube ich nicht: nie unb nimmer! 35aS mujj fie mir felbft fagen! 
fDaju liebt fie ihren ©ohn ju fefir! ©aju benft biefe fyrau ju grofi, als 
baff fte fein ©lücf fo leichten Jtaufs bahingeben mürbe! ®iefe §rau mit 
il»rem bellen iBerftanbe unb ihrem gütigen £erjen . . . bie faßte ficf> einem 
blinben Sßorurtt>eit beugen? ©ie muß unb fie roirb ben ffJrinjen unb mich 
verfielen ! . . . Qmm« gtü^enber.) Unb menn fie oießeidfjt bo<ff Jägern foffte 
. . . i<h miß fie bitten, fo fjeife, fo innig unb roerbe nicht mübe roerben, 
fie immer mieber unb mieber ju bitten, bis fte uns ihren ©egen giebt! 

^erjog (ber ihr mit toacbfenbrr Xheiliiafnne gefotgt ift, mit einer Bo ritt fl tn bernbWiebenben 

tBemegun«). fDfeitt gräulein, mir höben unS nun nichts mehr ju fagen! 

@Oa (flefit nac® linö, als fie beinahe an ber Zf)iir ift). 

$erjog (fotgt tor einige stritte), fjräulein ©erbcrbing . . . i<b banfe 
3hnen tro(j aflebetn! 2)enn ich höbe in biefer ©tunbe in ein ftarfeS unb 
muthigeS £erj blidett bürfen! 

Goa (ftefft bcfchämt bor ihm). 

&erjog. Unb noch eine frrage, Fräulein ©erberbing, toaS fagt benn 
Qhr ^err 33ater ju aflebem? 

Goa. Gr roeiß noch Nichts ! 

£erjog. Unb mann roerben ©ie es ihm fagen? 

Goa (mntbia). 2Benn bie 3eit gefommen ift, Roheit! 

#erjog o« ropffroütternb anfe&enb). ©o ft<her finb ©ie atfo 3h rer ©ocfie? 

Goa (ifjit onfcßoi’cnb, grofj unb frei). $Ct! (Sie macht eine tiefe ©erbeugung bor iljm, bie 
er cbebalereM evtoibert, unb gebt iiuf» ab.) 

&erjog (in Oebanfen langfam juriieffebrenb, bleibt an ben ÜJiitteltifcb gelernt in tiefem ©innen 

fteben, er blidt noch einmal nacb ber linfen £bür, bann bor ficb binmurmetnb). ©dfjßbc! (SBäljreitb 
er nach rechts gebt, fällt ber 

©orbang). 


©irrtet 2 fuf 3 ug. 

2>iefel be ©cenerle. 

<£rfte Scene. 

@t ft er Kammer bi euer (legt einige Beitungen unb ©rotfcitren auf ben 3Ritteltifcb, bann 
riieft er mit groBer Äceurateffe bie ©tftble suredjt. 2U8 er bemerft, ba& ein ftauteuil noch nicht gan| 
richtig ftefjt, tel)rt er nochmals juritef unb giebt ihm bie richtige ©tellung). 

^erjogin (bun« t>ie amtte, .M umfeijenb, teforao. ffräulein ©erberbing nicht 
mehr hi«‘- 

Stamnterbiener. ®aS ffräulein ift foeben fortgegangen. 

fterjogin (fitr m>. D meh! . . . ©eine Roheit? 

Stammerb teuer, ©eine Roheit haben bie ftagb abfagen lajfen unb 
finb im SlrbeitSjimmer! 


Dtr golbene Käfig. 


*85 


Serjogin (fowwütteinb; «ir fwo. 2>ie ^agb abfagen (affen? ®a3 fiat 
nidbts ®ute$ ju bebeuten! . . . 2ßie lange ift gräulein ©erberbing un= 
gefaxt fort? 

Jtammerbiener. 33iedeicE)t brei bis oier KJltnuten. 

Serjogin. Sat fie ben 2Beg burdj ben ffJarf genommen? 

Äammerbiener. 3« 93efe^Ü 

Serjogin. Seiden Sie ifir na<b, fofort! 3<b Iaffe gräulein ©erber= 
bing bitten, nidht erft nadb Saufe ju geben, fonbem fogleidh ju mir ju 
fommen! jpören Sie: fogleidh! 

Äammerbiener (wrabwiebet fi<$ burcs bi« anute>. 


^metle Scene. 

3i»eiter Äammerbiener o>on tm«, weibt an beriet (um- ®er ©raf 
SWabreScu bittet um.bie Gbte! 

Setjogin. ©raf KJtabreScu? 3<b (affe bitten! 

Äammerbiener (ab na<6 (inT«; fürs« tpauf«; M linft) 

SDJabreSCU (mit tiefer SBcrbeugung). 

^erjogin (empfängt mit ft«unb(ic$er £anbbeh>egung unb labet if»n jurn eigen ein). 

•DtabreScu. 3<b bin gefommen, um mid) bei 4?obeit ju oerabfdf)ieben! 

Serjogin. GS fdbeint 3h nen nidht fonberlicb auf iRofenbufdb bebagt 
ju haben, ©raf, benn eigentlich ftnb Sie nur gefommen, um roieber Sebe* 
roobt ju fagen? 

SRabreScu. Roheit, ich batte gehofft, langer bleiben ju fönnen! 

Setjogin (fein). Sieber ÜHabreScu, man treibt nicht hohe ißolitif in 
biefem füllen SBinfel! . . . ©eben Sie non hier roieber in 3b re Sümat 
jurütf? 

KJlabteScu. Klein, Roheit! 3e&t führt mich mein Söeg nodb weiter. 

Serjogin. ®urdb $eutfdhlanb? 

KJlabreScu. ®utdh Guropa! 

Serjogin. Sie fudben? 

KHabreScu. 2BaS i<b h' er feiber nidht gefunben habe! 

Serjogin. Sagen mir lieber: ©ott fei $anf! ... 34) roünfcfie 
3bnen guten Grfolg! 

ÜDtabreScu. 3ln bem jroeifle ich rticfrtf . . . 3$ finbe nidht überall 
fo mächtige ©egner, roie gräulein Goa ©erberbing! (St ergebt m.) 

Serjogin. 3a, ja. Sie batten Kledit : bie beutfchen grauen ffnb 
fdfiön unb . . . gut! (®ie «wt igm bie $anb jum *uffe.) Seben Sie niobl, mein 
liebet . . . nne nannte i<b Sie bod) immer? . . . a<b ja, mein fchöner 
Sloroaf, oerfübren Sie nidht ju »iele grauen in 3b*er Setmat, unb Sie 
fotlen immer roiHfommen fein auf Klofenbufdh «egt fein), felbft roenn Sie 
roieber einmal einen ^hron ju oergeben haben! (Sie i*rabf<gieb«t ifm feg» fein unb 

gnäbis; ex gebt na# ltnf», betbeugt fl# noch einmal tief unb llnfß ab.) 

»otb unb 6flb. XCIL 275. 


13 


*86 


e 1 ir ptiilippi in Berlin. 

Dritte Scene. 

•fterjogin (gebt tinrufjig nuf unb ab. fiebt nach ber Ubr, bann ju bem burcb bie Bütte ein« 
tretetiben erften flammerbiener ungebutbig). fabelt Sie ^tältfeitt ©erbetbing Tudft mehr 

getroffen? 

8. ammerbien er. Fräulein ©erberbing wirb im iDioment hier fein 

... (nach ber ZerraiTe fehenb.) Sie ift fcbon Unten Ott ber Sreppe . . . (Äurie 

bsaufe.) Sa ift bng fyföufeinl (emr* ab.) 

Dierte Scene. 

Gua (ratcß bunb bie rote). Roheit haben mich rufen taffen . . . 
^erjogin. Sitten taffen, unb ich banfe 3bnen, bafj Sie getommen 
finbl . . . Cbne uicte 21'orte: ei ift Fjier ein Strieg abgebrochen, liebe Goa, 
. . . tjier haben «Sie meine .£>anb . . . ich bin 3bve Serbiinbete! 

Goa (ftatrt fie wie geiftesabiuefenb an. bann Berfndjt fle ju fiammetn). Roheit ? . . . 
(ffnbticfi aufiautfijenb.) 3«h WUfjte ei ja! (Sie beugt fiel) über bet ®erjogin $anb.) 

£erjogin (abiwbmtb, wneto. fRufjig, ruhig! 3 u »t Rubeln hoben mir 
wahrhaftig noch leinen ©mnb unb auch leine 3*it! . . . Ser £er$og bat 
mit 3bnen gefprochen? 

Goa. 3a! 

• ^erjogin. 3<h brauche gar nicht weiter ju fragen . . . nicht einmal 
ein SBaffenfHUftanb? 

Goa. 9iein! 

^erjogin. 9llfo eine richtige ftrieggerflärung! Unb Sie? 

Goa. 3<h habe fie angenommen, Roheit! 

^»erjogin. Unb babei feben Sie fo ftrablenb au«, fo gtücflich? 

Goa. So gtücflich haben Sie mich in biefeni Stugenbticf gemalt! 

(fttirje fJJoufc.) 

£etjogin (gebt umber). Goa, üb bin eine ebenfo wenig fdjwärmerifch 
oerantagte Statur wie Sie, unb beg wegen oerfteben wir ung wobt auch fo 
gut! 2tu<b i«h habe Sie oon ^erjen lieb, unb ich begreife ben tprinjen. 
3$ wiH 3bnen unb ihm meinen Schub angebeiben Iaffen, fo weit ei in 
meinen Jträften ftetjt! 2Benn eg mir aber nun bo<b nicht getingen fottte, 
ben SBiberftanb ju brechen, wag bann! 

Goa «über). Sann werbe ich warten, Roheit! 
fgerjogin. tZßenn aber 3 n b r e barüber bingeben fottten, oietteidjt 
tauge 3ahre? 

Goa. Sann wirb mir bie Hoffnung bie 3eit oerlü^en! 
.jjerjogin. 2«enn Sie barüber alt unb grau werben fottten? 

Goa. Saun habe ich nicht umfonft gelebt! 3<h habe ihn geliebt! 
£erjogin. Unb glauben Sie wirtlich, Goa, baft bie Seibenfdjaft, 
mit ber Sie ihn jefet lieben, immer bteiben wirb? 

Goa. Sie Seibenfdmft oietleicht nicht, aber bie Siebe! Sie tennen 
mich genau, Roheit, ich bin wirtlich fein fcbwärmerifcheg 5D?äb<hen. 2lber 


Der golbene Käfig. 


\87 


. . . tadjen Sie ntidj nicht au« . . . eher glaube idfj: (in «infamer «omriictfeit 
unb fonniflet «euerfeit) et)« fönnte bie Sonne aufbören ju feinen, efje icf) aufs 
t)ören würbe, ifjn ju lieben! 

^erjogin (in tiefet »akrung). Sie oerbienen il)tt ! . . . kommen Sie 
bet, mein Äinb, unb geben Sie mir einen Jtuh! Stein, nid^t auf bie £anb! 

Stuf ben SJtunb! («* umarmt unb fiifjt (fba, bie fi$ tfjr toiHcnfo-3 ii&ertä&t unb eimnaC auf« 

(«stufst.) Kranen? Gin fo imtlbige« Käbdjen unb frönen? 

Goa (darf unk mutkig). tfl fd^ojt roieber worüber! @3 balle mich nur 
im Slugenblidf fo übermannt! waufe.) 

■Öerjogin. Unb jefct betht e« bjartbeln! . . . £at ber 5ßrinj fdjon 
mit Obrem Sater gefprodben? • 

Goa. Stein, £obeit, auf meine Sitte no<b nicht! 

Jßerjogin. ©ut, gut! ©eben Sie jefct nach $aufe, mein Äinb — 
idj habe mir’« wobl überlegt — unb bitten Sie Obren Sater, ju mir ju 
fommen! 

Goa (k&krt bstroifm). Keinen Sater? 

Ijerjogin. Oa! G« ift ber einzige Kenfdh, ber un« ^ier nodj 
helfen fann! Gr muh ben SBiberftanb be« -öerjog« bredhen! 

Goa ( 3 öjernb). $obeit toiffen, bah eine jahrelange Oeinbfdjaft . . . 

&erjogin. Od) rechne barauf, bah, wenn bie beiben Könner fidb 
fennen lernen — mag’« audb nodb ftürmifdb bergeben — fte fidb audb adbten 
lernen, unb bamit märe fdbon oiel gewonnen! . . . Sie fteben unfdblüffig, 
Goa? Sie jaubern jefct fdbon beim erften Schritt? ©tauben Sie etwa, 
bah Ohr Sater nidfit fommen wirb? 

. Goa (wwattteitb). Roheit! ich weih e« nicht! 

tperjogin (fein). Söenn Ohe £err Sater oietteidfjt audb ber -Kutter 
be« $er$og« D«cat feinen Sefudj machen will ... ber ®ame fann er bodh 
wohl bie Sitte faum abfdjlagen? 

Goa (bie einen JHoment unftkiiiffig baftaub, rid.let firfi auf, ftots unb entfdjtoffen). Od) tbue 

ihm Unredht, ju jweifetn! Sitte« fleinlidhe Slbredjnen liegt ihm fern! Od; 
bürge Ohne« bafür, Roheit, bah er fommt! Unb barf idh ihm Stidfjt« 
fagen? Stidf)t ein SBort oon bem ^ßrinjen unb mir? 

ßerjogin. Stein! Ueberlaffen Sie ba« nur mir! Unb nun geben 
Sie mit ©ott! Od) will in ber 3eit oerfudjen, ben ^erjog auf ben Ses 
fudh Obre« Sater« oorjubereiten! 

Göa (fiifet tijr bie $onb, alb fie jut SKittettkiire gebt, tritt ber $erjog Bon rec&ta ein; er er» 
tolbert c^et>aterc 8 C (5t?aS ©ctbeuflung). 


fünfte Scene. 

Goa (3JMte ab). 

£ er 50 g. ®ie junge ®ante fdheint jidj gar nicht oOn' hier trennen ju 
fönnen? 

ßerjogin. 0<b batte mit ihr nodh einige Serabrebungen 311 treffen! 

13* 



188 


<felij Philipp! in 3er(in. 


$erjog. Sag’ mal, Uebfte 2Rama, ®u confpirirft rnobt hinter meinem 
9lüden mit $täulein ©erberbing? 
ßerjogin (fein). 33ieffei<$t! 

^erjog. ©a» mürbe mir fefjr teib tbun! ©enn idj mürbe ©idb 
febr ungern be»a»ouiren! . . . 3d> fe&e mit Seftimmtbeit oorau», bafj bie 
junge ©ame ihre Sefudbe mit Ipute einfiellt! güt ©idb, 2ftama, tbut 
mir’» bwiti<b teib, aber idb fann’» beim beflen Sßiden nidbt änbern! («m* 
<Paufe, umSerBe^enb.) 3’» Uebrigen miß idb ®ir gern jugefieben, baff g-täulein 

©erberbing ... ab! (6r imteriri<$t M beim Unblief beb bringen, ber bon linf» eintritt.) 


Sedjfte Scene. 

$rinj. ®u bafi, roie icb böte, bie 3fagb abfagen taffen? 

&erjog. 3a! 

^ßrinj (in feinem ganjen Auftreten ruftig, männlich unb abgeflärt). Um fo lieber ift 

e» mir, bafs mir I)ier ©eiegenbeit geboten ift, mit ®ir ju fpredben . . . 
3<fj miß ganj furj fein! 3d> tnu& ©idb um ©ntfudbulbigung bitten! 3d> 
habe mid) »orbin — ba» füfjte icb — ^tnreigen taffen unb mandbe» SBort 
gefagt, ba» idb bebauere! ©a» roottte i<b ®ir nur fagen, beuor mir um» 
trennen! 

^erjogin. ©rennen? 

iß r inj. 3a, 9Jiama, ®u roirft bodb fetbft einfeben, bafj ^ter meine» 
Sleiben» nidbt tanger fein fann! ©er erfte ©türm, ber fo SJiele» in mir 
aufgemübtt bat, ift worüber! 3<b bin jefet rubig gemorben, i<b b fl be meinen 
©ntfdblufj gefaßt unb . . . 

#erjog. Unb barf idj rnidj, ohne neugierig ju fein, nadj ©einen 
©ntfdblüffen erfunbigen? 

?pr in j. ©orneit fie fidj auf bie Umgeftattung meine» äußeren 
Seben» bejieben, miß idb fie ®ir gerne geben! 34» werbe in bie 9tefibenj 
geben unb bort bi» Stnfang ©eptember bleiben! 

&erjog. Unb ©eine meiteren ©ntfdbtfiffe? ®u rnujjt mir f<bon 
meine SBißbegierbc »erjeiben! 

iß rin}. ®a ®u mir bie (Sinroißigung, gräutein ©erberbing ju 
meiner $rau }u machen, »ermeigert bafi, roerbe icb fie ob ne ©eine ©r= 
taubnijj beitatben. 

&er}og. ®a» märe jum minbeften neu! 

ißrin}. ®a» ift fein SBorrourf! . . . ®u ßättft e» »on ©einem 
©tanbpunft für eine uni'iberminbtidje ©dbanbe, gtdwtein ©erberbing in 
unfer £au» aufjunebmen ... 

■Öerjog. Uebertreibe nidbt mieber! 33on „©dbanbe" mar feine 3iebe! 

ißrin} . . . 3<b habe midb mit if»r fotibarifdb erftärt ... um jum 
3iet }U fonimen, bleibt mir atfo nidbt» istnbere» übrig, at» unfere ffamitie 
. . . }U »ertaffen! 

^erjogin (angft»oa). 2Ba» roißft ®u bamit fagen, Strtbur? 


Per golbette Käfig. 


189 


^ßrinj. ©af} ich als fßrioatmann {ebenfalls tue! gtiicfticfjec fein werbe, 
wie als Sßrinj 3trti)ur! Kaltenbronn ift mein aulfdjiiejjlidjea ijkiöateigen« 
thum, feine 9te»enuen bieten mir genug, wenn auch feineSwegS ju einem 
Iufurißfen, fo bo<h ganj be^agEid^en Sehen, ich werbe mich bort mit ber 
Sanbroirthfcijaft gruttbEicft befchäftigen unb enblid) bie Stube nnb baS ©lücf 
ftnben, nadj bem ich midfj gefeint habe, fo lange ich benfen fann! . . 
©ei unbeforgt, DScar, unfere SBege werben fi<h nicht mehr freujen! 3<b werbe 
©ir in feiner SQBeife Ungelegenbeiten bereiten! SJtein ^3Cafe an ber £of= 
tafel unb in ber £ofloge werben eben non jefct an leer bleiben! ©aS ift 
ber ganje Unterfdiieb! ©ie guten Steftbenjler werben ein wenig bie Köpfe 
fdbütteln, »ieHeidht aud> non Ungnabe unb Verbannung flüftem, unb na$ 
einem Sabre benft fein SJtenfcb mehr an mich! 

$erjogin. Unb ich, Arthur, ich? 

fJJrinj (innig). SDteine liebfte SJtutter! ©ir banfe ich non ganjem 
4jerjen für all’ bie Siebe, unb ©u weißt es, wie innig ich biefe Siebe er« 
wibete! ®u haft ja auch biefeS fötal ben beften SBitlen gehabt, mir ju 
meinem ©lücf ju nerhelfen! 2Bie ich febe, war’S nergeblich! 2Benn ©i<h 

©ein ^erj JU mir jiebt unb . . . (mit einet Stfte auf ben Serjog) es bie ... . 

Zeremonie erlaubt, ©u weiht: ©u wirft in Kaltenbronn mit offenen 2lrmen 
empfangen werben! («urje spaufe.) 

^erjogin (in tiefer «übrung). ©et)’ jefct unb erwarte mich in meinem 
©alon! 

fßrinj (tinf* ab). 

Siebente Scene. 

§erjog. 2BaS fagft ®u ju ber Tollheit? 2lber wahrhaftig, fo ge« 
fällt er mir fdjon beffer! . ©iefeS 3Jtal glaube ich wirflicb, bah es ihm 
©rnft ift! 

^erjogin. Unb was beabfidhtigft ®u, ju tbun! SBillft ®u ihn ge« 
währen [affen? 

fjerjog (wweigt). 

ßerjogin. ®u haft mit @oa ©erberbing gefprochen? 

$erjog. Unb ich bin ehrlich genug, ©ir ju geftehen, bah fte ben 
benfbar gflnfligften Sinbrucf auf mich gemadht hat! Keine ©pur non 
Kofetterie ober Sentimentalität, jebeS 2Bort unb jebe Gmpfinbung flugunb 
tapfer unb bodj echt weiblich ! ®u haft Stecht, fie fönnte wahrhaftig aus 
unferen Kreifen ftammen! ©in Heines grauen jimmer, not bem man ben 
4?ut jiehen muh! 

•Öetjogin. Unb trofc allebem haft ®u Stein gefügt? 

$erjog. fötit fernerem £erjen! . . . SBarum muh fie auch ©oa 
©erberbing heifjen! 

ßerjogin (w« unb tofitnb). Sßenn ©ich ber Stame fo genirt, baS 
fönnteft ®u ja änbem! 


(Jclij Pf)ilippt in Berlin. 


■ \90 


^jetjog (breftt fi<6 wnta um). 2Bie meittft ®u? 

^erjogin. SDlem liebet Sohn! Spielen mit uns boi) f)iet leine 
Äomöbie uor! ©aS SJtäbchen hat ©ich ja gewonnen! 3«/ in, fträube 
©ich nicht bagegen! ©S wäre auch unbenf6ar gewefen, bah fte auf einen 
9Jiann uon ©einem ©efchmacf unb ©einem ©efühl feinen ©inbrucf hotte 
machen foHen! 2BaS ©ich einjig unb allein noch »erroirrt, wogegen ©u 
©ich noch wehrft, baS ift nicht bie bürgerliche ©oa ©erberbing, fonbern eS 
ift bie ©achter »on 2lnbreaS ©erberbing! . . . 3ft eS fchon ein Verbrechen, 
ßinber für bie Siinben ihrer ©Item büßen ju laffen . . . mit welchem 
Siechte fie gar biifjen taffen, wo noch nicht einmal ein Schimmer »on 
Scfmtb epiftirt ! . . . ©aff ©u ber geborene Slriftofrat unb er ber geborene 
©emofrat? . . . ©aß er auf einem anberen politischen Stanbpunft fteht, 
wie ®u? . . . SJiein ©ott, es fomrnt bo<h nur auf bie ©efinnung an! 
3<h oerfteEje »on ißolitif ju wenig ... ich fann es nicht beurtbeilen, ob 
er nicht ©ir gegenüber fchon manchen ^rrthum begangen hot . . . an feiner 
©efinnung, an feiner innigften Ueberjeugung, für eine gute Sache ein= 
jutreten, höbe ich «och nie gejmeifett, hot noch Siiemanb gejweifelt! Sieh' 
©ir boef) biefen SJiann an! . . . Setradjte hoch fein Sehen! ... Sei aß' 
feiner faufmännifdhpn Segabung hot er es fogar uerfdmtäht, grojje Steidj* 
thürner für fi<h ju fammetn, nur um bie Sage feiner Arbeiter ju »erbeffera! 
Sie höngen an ihm mit fchwärmerifcher Verehrung! . . . geachtet unb ge= 
liebt ift er »on aller 2ßelt! ... ein ©htentnann »ont Scheitel bis jur 
Sohle! SDtein Sohn, folch’ ein SDiann trägt auch eine Ärone: bie Sürger* 
frone! (»ur* spaufe.) Unb ©u felbft follft ©ich überjeugen, bah i<h 9te<h* 
habe . . . $err ©erberbing wirb hierher fotnmen! 

$erjog (auffajwitt)). SßaS fagft ©u, 2Jtutter? 

$erjogin. ©taubft ©u, bah i<h ouf hotbem SBege flehen bleibe? 
©ah ich nicht meine Pflicht bis jum Sleuherften thue, um meinem jungen 
fein ©lücf *u retten, um ihn mir felbft ju retten? $cb weih, eine 2luS; 
föhnung wirb jwifchen ©ir unb ihm nicht möglich fein; benn auch er hot 
einen eifernen ©Billen ! ©ine SluSföhnung will ich jo nicht, nur eine 
9luSfpra<he, bie ©u<h menfehtich »ieHei^t näher rüdt! Unb wenn bie 
©egenfäfce auch noch fo aneinanberpraHen: ich will mich jefet enblich 'mal 
wieber eines braftifchen, aber gefunben SluSbmcfS bebienen: . . . es hört’S 
ja Sliemanb . . . reiht 6u<h meinetwegen bie Jtöpfe herunter . . . ©u 
wirft boch in eine ©Belt fefjen, bie ©ir bisher fremb war, eine anbere 
©Belt freilich, als bie, in ber wir leben, aber eine ©Belt, bie man refpectiren 
muh, wenn man nicht blinb burdj’S Sehen gehen witt! Unb ®u wirft 
bodh enblich ju ©ir unb, ba ®u ehrlich bift, auch ju mir fagen: „nur ein 
foldjer SJtann fann eine folche ©odhter haben! 

4?erjOg (in tiefem ©innen liefe Dor ; ut) (jinfpretfcnb). Soll icf) ©ir Wirfli<h 

folgen? . . . foUte ich ben groben Sprung wagen? 

ßerjogin «imtieenb). ®h u ’S ihm, thu’ eS mir unb ©ir felbft ju Siebe, 


Vet golbene Käfig. 


\ 9 \ 


bamit ®u» einmal fpäter ttiefit ju bereuen (jaft! Äein Kenfdj wirb glauben, 
baß ©u in biefe ^eiratß willigft, um einen Gomprotniß mit ©einem 
©egner ju fcf)Uefeen. ©aju !ennt man ©einen Gbarafter als ju unantaft= 
bar! Kan wirb nur ©eine Sorurtbeilslofigfeit unb ©eine ^oebbetjigfeit 
berounbent! 

$etjog (utii) unb min*). Kutter, i<b beneibe ©idj raa^rbjaftig um ©ein 
§erj unb ©einen Serftanb . . . 

&er jogin «<$nta unb innig). Seweife eä jefet, baß icf) ©ir ein gut Grb= 
tfieil baoon oermaebt habe, baß ®u . . . 

lldjte Scene. 

Grfter Äammerbiener (wm rint«, ou btt xwn fit^nbteiboib). $err 2lnbrea3 
©erberbing fragt, ob er bie Gbre haben fann, uon öftrer £>ol)eit empfangen 
ju werben? («urje gsauft.) 

§er jogin (in m &rm» mäht, teife unb («neco. 2 ßa§ roiHft ®u tbun? (9i«s 

leifer unb bringlufcr.) 2BaS miüft ®U tbun? (fturje spaufe, fit lei) tu iidj an (eine ©djiiTter, 

in bejtbingenbem crnft) Däcar, idb bin 62 3<b habe nidt»t mehr riet 

3eit . . . Sßiüft ®u mir bie (efcte Sitte nicht erfüllen? 

#etjog (bejtounjen). ©ir ju Siebe, -Kutter, wahrhaftig nur ©ir ju 
Siebe! 3<b will $ernt ©erberbing fpredien! 

^erjogin. ©ott fei ©an!! 3<b taffe &errn ©erberbing 

bitten! ($auft.) ÖReidjt ipm gtriUjrt bie $anb.) 

ßammetbiener (tinte ab; nach einer fnrjen $aufe öffnet er ©erberbing bie Styir unb 
fdjlie&t fie bann bon außen). 


Cefcte Scene. 

2lnbrea8 (im grod unb fepwarjer Srobotte, berixugt üd) fe(r pöjlid) not bec (jerjogin; alb 
et ben äerjog ficljt, Meibt er einen Moment, aber auch nur einen Moment, betroffen fteben, bann berbeugt 
er ficb bot ibm). 

j feinen ®ruß in bomebmfter 2öeife). 

£erjog ) 

#erjogin cnet nnt«. GS ift nidbt baä erftc Kat, £err ©erberbing, 
baß wir un£ feben? 

2lnbrea3. 3$ batte bereits cor einigen fahren bie (Sljre, Roheit! 
Gs banbeite ft<b bamalä um bie 2lrmen unfereä Drteä! 

föerjogin. «Sie waren fo gütig, mir regelmäßig bie Ke<benf<baft& 
berid^te jujufdjiden: ©ie haben ja ganj prächtige Kefultate erjielt, unb beä* 
wegen ftelle t<b 3b nen b eu t e jum gleiten 3wed bie hoppelte ©umme gern 
jur Verfügung! 

2lnbrea3. ©afür fage iib Roheit im Kamen ber Gmpfänger b er J : 
Haften ©anf! 

£erjogin (Matrsafo. 33) glaubte übrigens gamiebt, baß ©ie fo f cbneU 
meiner Gintabung ftolge teiften würben? 3<f> habe eä wobt auch baapt- 
fädjltcb ber liebenäwürbigen Vermittlerin ju banfen? 



^elij p fyilippt in 33edtn. 


192 


2lttbr ca 3. ©en 2Bun)J) einer ©ante erfüllt man immer! 

£»etjogtn (rem unb tactietnb). G« ift bodF) aber eigentlidb für Sie fjier 
nerbotene« ©ertain? 

2lnbrea«. ©er Salon 3fjrer Roheit ift immer neutrale« ©errain! 
£erjog. ©arf id) Sie bitten, iplafe 511 nehmen? 

2 lnbrea«. 34 baute &ol)eit, ich bin nidjt mübe! (Jtnrje «Mfe.) 
£>erjogin. 2Be«roegeit ich Sie ^bemüht habe, £err ©erberbing? 
6 « ift ein eigen ©ing! 6 « ^anbett fidt» um eine Slngelegenbeit, bie aud) 
Sie ganj befonber« intereffiren roitb! 

2lnbrea«. 9Jti4? 

&erjogin. .§err ©erberbing, icf) tueih, bah Sie mit bem Sßrinjen 
2 lrthur fet;r befreunbet ünb unb bah 3 b nen fein 2 Bot)l ganj befonber« am 
&erjen liegt . . . 

2lnbrea«. SBeih ©ott, ba« ift fo! 

§erjogin. ©er ^rinj will I)eiratben! 

2lnbrca« (&etjti<$ radjenb». 2BilI Ijeiratben? 2llfo bodb! ©ie Scbneib’ 
hätte i<h ihm eigentlich gar nicht jugetraut! Umfoinehr freut’« mi<h, bafj 
ich ihm geftern eine grofte Xborfjeit auSgerebet höbe! 

&erjog. 2Bofür id) 3bnen aud) febr banfbar bin! Sie höben tnir 
bantit febr in bie £äitbe gearbeitet! 

2lnbrea« (io»iao. ®a« er fte 2M in meinem Sehen, Roheit! 
£er}og (fein). 2)ian muh mit Ment bodb 'mal einen Anfang 
madbett! 

2lnbrea« (Seiten. So? 2Jiuh man ba«? (Burje Sßaufe, wäljrenb melier fte 
n<s einen sKoment onbiiden.) ÜJiit bem „ißerjicbt" f4ien mir bie Sadbe geftern 
gleidb nicht ridjtig! Mer bah er fo fcfmell meinen 9tath befolgen mürbe, 
ba« hätte idb bodb nicht geglaubt! 

£erjog. 3bren Statt)? 

2lnbrea«. 3 ö, Roheit! 211« ber iprinj geftern bei mir mar unb 
mir feine ein bi«dben febr pbantaftifäjen ißläne mit bem gürftcnthum ba 
unten entroidfette, ba höbe ich i£>nt gefagt: „gunger SDtann, &änbe meg! 
©a« ©efdbeibtefte, ma« Sie in 3b rer uutt einmal both recht beengten Sage 
tl)un föttnen: ^eiratfjen Sie! Zehnten Sie fidb eine grau, aber bie 
Nichtige non ed)tent Sdbrot unb Storni" ©a« mar feine 9teben«art, 
Roheit, um ihm etma über bie momentane Gnttäuf4ung megjuhelfen. 
©ott bemahre! ©a« mar meine lieber jeugung! 34 fenne ^ßrinj 

2lrthur, fenne ihn genauer, al« irgenb ein 9Jtenf4 auf ber ganjen 2Belt! 
2lu«gejei ebnete« ÜJiaterial, aber noch tti4t nerarbeitet, nodh nicht gef4liffen! 
©tauben Sie mir, Roheit, i4 höbe ihn non $erjen lieb! 3 n bem 
fdbtummern fo niet gute Steinte! ©ie mirb am ftdberften eine grau medfen, 
bie er liebt unb bie ihn liebt! ®a«, ma« no<h unfertig ift in feinem 
SBefen, ba« gahrige uttb Unftäte unb meinetroegen au4 gnconfequente . . . 
neriaffen fid) Roheit auf mich . . . ben muh nur eine gute unb fluge 



Per golbene Käfig. \93 

grau unter bie ginger friegen, bie macht aus ifjnt noch einen ganjen 
3Jtann! 9ta, meinen ©egen bat er! can^e paufe.) 

^erjogin. @r roirb auch eine gute unb ftuge grau befontmen, 
gbre @oa! 

SlnbreaS «ie wrftänbm&ci» aitfwmnb). 2 Bie meinen Roheit? 

£erjog. ga, &err ©erberbing, ber fßrinj liebt gbte Tochter, unb 
fte erroibert biefe Steigung! 

2lnbreaS (na« rutj« pouf«, gebeint). @o! £>as ift ja aufferorbentlidj 
intereffant! Unb meine ©oa bat „ja" gejagt, einfach „ja", obite mich &u 
fragen? 

£er jogin. gn fo bebeutungSuotten Gingen bat bodj fcbfiefjlich jeher 
9Jtenf<h bie freie 33eftimntung über fidj fetbft? 

2lnbreaS. ga, ja, im Sltlgemeinen fd>on! 

^erjog. #ert ©erberbing, ich freue mich aufrichtig, gbnen fagen ju 
fönnen, baff — icb mache bem S?ater ba roabrbaftig feine leeren Komplimente 
— bafj gb* gräulein Tochter aber Verehrung mertb ift ! g<h habe aus- 
führlich mit ibr gefprocben, unb icb begreife jefct bie grobe guneigung, welche 
bie fterjogin für gbre £od)ter hegt! 

2IrtbreaS. greut mich, Roheit, freut midi berjlidj! ga, ’S ift ein 
famofeS grauenjimmer! ®aS SDMbel ift aber aud) burd) eine gute ©dfule 
gegangen, burd) meine! . . . aSerjeifjen mir Roheit bie grage: Sie haben 
eingemilügt in biefe @f)e% 

£ er 30 g. gib roeifj, roaS ©ie bamit fagen motten, £err ©erberbing; 
©ie finb ein tuet ju erfahrener SDtann, ein nie! ju Rarer $opf, utn nicht 
ju miffen, bab bie @a<be jroifdjen bem ißrinjen unb gbrer iEodjter gar fo 
einfach bo<b nicht ift! geh roitt ganj offen mit gbnen fprechen. geh ehre 
unb achte ben Sürgerftanb roabrbaftig aus tiefftem ^erjen! 2 lber ich bin 
in geroiffen Uebertieferungen aufgeroachfen, in Srabitionen, bie feit meiner 
gugenb tief in mir wurjeln unb — ©ie roiffen baS fo gut roie ich — non 
beneu trennt man b<h ui<ht [eicht! gnbeffen, idj roitt ganj abfeben non 
ben nerfchiebenartigen fociaten Stellungen ber jungen Seute . . . baS 
eigenartige iöerbältnifj, baS ©ie nun einmal jroifchen uns 33eiben ge= 
fchaffen haben, bat meine ftärfften SJebettfeu erregt, unb es beburfte ber 
ganjen Söerebfamfeit ber ^erjogin, um biefe Sebenfen ju jerftreuen. ©ie 
liebt gbre Tochter unb gönnt bem ifkinjen uon ^erjen biefeS ©lüd! (mast 

einen ®ang, MtlM gebanfettboll fielen, batut mit ftarfem ffntfitujs.) Enfin! geh U)itt nicht 

flüger fein als biefe feltene grau unb erfläre mich bereit, in biefe ©be ju 
mittigen! 

$erjogin. 33raoo! Srauiffimo! ®afiir befomtnfi ®u nachbet einen 
©ytrafufj! 

& er 30 g. £ert ©erberbing, ich Reifee fomit gbr gräuleiu fEodjter in 
meiner gamilie toittfommen! cpüufe.) 



^clij Pfyilippt in 33erltn. 


194 

ainbreaS. &obeit, ih bin für biefe Gijre banfbat, nur bebaure ich, 
fie nicht amtebmcn ju fönnen! 

^erjogin wt gw<foeitig mit t*m .txrjogi. £err ©erberbing ! 

^crjog. 3h habe wohl nidjt recht oerftanben? 

SlnbreaS. ©eroifc; Roheit haben ganj redht »erftanben! ©ie hatten 
33ebenfen, ih habe fie auch, nur finb meine »iel fhwerwiegenber unb 
»iel berechtigter! 3$ ftehe grabe auf einem gegenfäfclihen ©tanbpunfte ! 
Unfere neridfiebenartigen politifhen 2lnfhauungen geniren mich gar nicht. 
Unferetn Kriege fehlt ja boch jebe per fön liehe ©pi^e, ’S ift ja boch nur 
ein Krieg um ^beale! ^o(itifd) fönnen mir uns grimmig befehben unb 
uni. menfdjlich barum boh achten! ©ie £auptfa<he bleibt boch, baff bei 
fo einem Kampfe etwas ©efheibteS h erQ uS fommt! ©er Schwächere bleibt 
auf ber ©trecfe, bas ift im Seben nicht anberS! ©afj Roheit »on mir 
»erlangen würben, ich foHte mit 9iücffi<ht auf biefe ßeirath am ©nbe meine 
politifhe Uebcrjeugung niilbern ober gar opfern, baS ift boch jwifhen 
jwei oernünftigen unb anftänbigen ÜDtännern auSgefhloffen! ©er Sine 
wirb’S nicht »erlangen, unb ber Slnbere wirb’S nicht gewähren! SJfeine 
33ebenfen finb ganj anberer 2lrt! ©aS ift bet Unterfchieb ber fociaten 
Stellungen! (»urj« Me.) 

^erjogin (Cä^einb). &err ©erberbing, 3h re Goa beiratbet boch eigentlich 
in eine ganj gute ganülie ? 

2lnbreaS. ©an} recht! 9t ur »erjeihen Roheit, bie Familie ift mir 
für meine ©odjter ju gut! 3h habe meine @»a erjogen, bie grau eines 
gutbürgerlichen ÜBtanneS ju werben, nicht aber, wie es in ben ^offalenbern 
heijjt, bie morganatifche ©emahlin eines ^rinjen! 

£erjog. ©ie finb ein ftoljer 9Jtann, $ert ©erberbing! 
ülnbreaS. ©laubten Roheit biefe! 9ted;t für fidE> allein in 2lnfpru<h 
nehmen ju fönnen? (su t>u<ren r«$ w» an. spaufe.) 

^erjogin (immer rein, itebenswürbig unb ptu«). 3lber £err ©erberbing, ghre 
®»a hat bodh nun einmal bie ÜDtarotte, ben Sßrinjen }U Ueben? 

SlnbreaS. Kann fein! ©in fDtäbel, baS liebt, benft nicht weit! Unb 
ba ift es meine Pflicht, für fie ju beiden! ©ie foU in ihrer ©phäre 
bleiben unb foH in ihrer ©phäre gfücflih werben! 

$erjog (»omepm, aber otme Schärfe). Stuf SEBiberftanb »on 3h rer ®cite 
waren bie $erjogin unb ich wahrhaftig nicht »orbereitet! 

&erjogin. 3°, ’S ift ju broHig! ©a hatte ih ©ie nun hierher 
gebeten, ©ie foHten ben £>erjog überrebeit, in bie ©he ju willigen, unb 
nun hat fid; baS 33ilb ganj »erfhoben! 2ld), 3hr 9Jiänner feib auh Sille 
gar ju eigenfinnig! 

SlnbreaS. 3a, es mag überrafhenb genug Hingen, aber es ift nun 
einmal fo! Roheit! Dft genug habe ih 3h r e ©ntfhtüffe niht billigen 
fönnen, ja, ih habe ©ie fogar offen befäntpfen mfiffen! SIber immer habe 
ih mich non $erjen gefreut, einem -Klanne »on fo lauterfter ©efinnung 


Per golbene Käfig. 


\95 


gegenüberftehen ju fönnen! üftachbem Sie fi<h über SJiancheS ^imt»eg nun 
einmal entfdjlojfen höben, in btefe ©he ju mittigen, meifj ich auch, bah Sie 
al§ »otnehmer Sttiann meiner 3To<^ter äuherli<h immer mit 2l<htung be* 
gegnen roerben . . . 

$er§ogin «euer). Unb ich etroa nicht? 3<h nidjt? 3$ roiff 3hnen 
jefct ein grofjeS ©eljeimnih annertrauen, £err ©erberbing, aber jagen Sie’S 
um ©otteSroiffen Siientanbem mieber, (reife unb btim«) ich habe erftaunlich 
menig latent ju einer böfen Schmiegermutter! 

SlnbreaS. 3lber §anb aufs &erj, innerlich merben Roheit fie boch 
immer als ©inbringling betrachten, ebenfo roirb fiel) meine ©na immer als 
©inbringling fühlen, unb baoor muh ich fie frühen! Sie ift nicht bie 
tttatur, um 25emfithigungen ju ertragen! 

£erjog. ©emfithigungen? 

3lnbreaS. 3a, ja, ganj unbeabficbtigte! 9lber baruni thun fie nicht 
ntinber mel|! 3<h höbe bisher ihre Keinen Sorgen mit ihr geteilt, unb 
©ott fei ®anf, ich höbe fie ihr noch immer abnehmen fönnen. SEBürbe fie 
bann ju mir fommen unb mir f lagen, ba fönnte ich ihr nicht helfen, 
unb bet Ülnbere, an ben fie fich noch menben fönnte, ihr SJtann, mürbe 
ben SSerhältniffen ebenfo machtlos gegenüberftehen! $<h meifj es . . . eine 
unfichtbare Schnur mürbe fie boch immer non ber ©efettfchaft trennen! 

Jfjerjog. $ert ©erberbing, ich glaube, mit einem SEBorte 3bre 93e= 
fürchtungen jerftreuen ju fönnen! Selb ftuerftänblich erhebe ich 3bre Tochter 
$ur Freifrau! 

■Öetjogin (in b« $änbe fcatf^enb). Unb meifjt $>u, roie fte beifjen muh? 
Storonin non Siofenbufch muh fie heihen ! ©na non fRofenbufch . . . es 

flingt reijenb! 

SlnbreaS. 9iein, ba liegt beS Rubels £ern! -Dteine Tochter erhebt 
man nicht! Qa Roheit! 3<h bin ein ftotjer ttJtann, roeit ich ein freier 
SDlann bin! Unb ich bin maljrhaftig ju rüdfichtSnott; ich mitt bem $errn 
Dberfthofmeifter unb ber abelsftoljen ©räfin Älifcing bei feber ^oftafel baS 
Stopf jerbtedjen erfparen, mo fie bie geborene ©erberbing ju placiren höben! 

£erjogin a>on wterfter ammu&). 9iun, mein lieber £err ©erberbing, für 
ben nicht ganj roafirfcheintichen $att, bah für 3h te ©ro an einem Trompeter* 
tifch gebedt merben foffte . . . hier meine £anb barauf, fie fott nicht allein 
biniren, ich merbe ihr ©efettfchaft teiften ! (spaufe.) 

£erjog. 4?err ©erberbing, mir mfiffen boch bie Sache jum SluStrag 
bringen, fo ober fo? SSürbe es fich nicht um baS Schidfal jroeier 3Renf<hen 
hanbetn, bie uns Seibe gleidj theuer ftnb — mahrhaftig, bie ßerjogin h at 
fRecht: (Leiter unb o^neiebe bie @ad)e fönnte auch mich beluftigen! ©ine 
»erfehrte SBelt! ®enn es ift boch recht originell, bah mir nun fchliehlich 
Sie um 3h re ©inmittigung bitten ntüffen! 

SlnbreaS (mit grofer ©arm«). 33etbenfen fönnen Sie mir’S nicht, Roheit! 
3<h liebe mein Sfinb! gür fie höbe ich ntein ganjeS Sehen geforgt! 3<h 



196 


Philipp« in Berlin. 


muff auch at3 gemiffenhafter SJiann für ihre 3 u f un ft forgen, uttb bie 3“* 
tunft, bic ©ie ihr bieten wollen, würbe nietteidit für jeben ütnberen un* 
ettbUcf) oiel 33erlocfenbe3 höben, ich fejje, trofc aller gütigen 33erfi<herungen 
3hret Roheit ber grau ^erjogin, bo<h immer noch mehr ©(hatten* als 
Sichtfeiten! 

Herzogin. Unb weil idh weiß, wie ©ie gljr Äinb lieben, fönneit 
©ie gar ni<ht „9iein" fagen! Stein, nein, ba ttüfct fein ©träuben! ®enn 
@oa mürbe unglücftich werben! 3ebenfaHS> mein lieber Harr ©erberbing, 
uiel unglüdflidher, als wenn es wirf lieh einem oerfdhrobenen Rammerhetrn 
ober einer fifeen gebliebenen alten ^ofbante einfallen foHte, bie junge grau 
über bie 2t<hfel anjufehen! Unb überbieS ift audh baS nicht fehr mahrfcljein* 
lidh, benn wer unter meinem ©chuße lebt, hat nichts ju fürdhten! . . . 
Herr ©erberbing, oerfeßen ©ie fi<h in bie Sage beS SJtäbdhenS, bie geht 
nun mit ftopfenbem Herjen mahrfdljeinlidh im ißarf auf unb ab unb wartet, 
was wir über ihr ©dfndfal entfdEjeioen werben! . . Saffen wifs bo<h auf 
bie ijßrobe anfommen, rufen wir fie bodh herauf! ®a wollen wir hören, 
ob fte 3hre Sebenfen tbeilt! SBiffen ©ie, was fie 3h ne u antworten würbe, 
wenn ©ie ihr jumuthen würben, auf ben 'Diann ju oerjidhten, ben fie 
liebt? 3<h benfe mir, fie würbe 3h nen einen herzhaften Ruh geben unb 
Shaen ladfjenb fagen: „SJtein liebfieS Sßäterdhen, baS fällt mit ja im ganjen 
Seben nidht ein! Unb ebenfo wenig will ich auf biefeS ißradhteremplar oon 
Schwiegermutter oerjidhten; idh habe meine 3Rutter früh oerloren, b ie grau 
ift bereit, mir biefen SJerluft ju erfefcen!" 3a, fo mürbe fie fpredfjen! 

SlnbreaS (ne anMitfeub, bann in tiefer Mufinmg). Hoheit, ©ie finb eine wahr* 
haft gütige grau! 

Herzogin «nter). ga, baS haben mir (out kn «erjog jeigenb) aufjer bem 
Sarbaren ba brüben fdhon fehr oiele Seute gefagt, unb fie hatten Sille 
Siecht! .... Unb um ghnen oon oornherein jeben 3n*ifd an ber 
©teflung ju rauben, bie 3h re @oa h^r einnehmen wirb; idh fei b ft werbe 
oor bem ganjen Joofftaate 3hre Mochtet jum Slltare führen! ©inb ©ie 
immer nodfj nicht jufrieben, ©ie Stimmerfatt? 

Herjog (ootc ©arme). 3h habe mich auch auf bie Hinterbeine ju fefcen 
oerfudht, aber an ber HerjenSgüte fdheitert jeber SBiberfprudf», unb ebenfo 
werben ©ie bie SBaffen ftredfen müffen! (er tritt auf t$n »u, notr ©arme.) Herr 
©erberbing, geben ©ie fi<h einen Studf . . . eS hanbelt jidfj um baS ©lüdf 
3hreS RinbeS! ... (®r b<ut i&m bie $anb ^n.) SBollen wir’S oerfudhen, in 

freunblidhem ©inoemehnten ju leben? (sturje spaufe.) 

SlnbreaS ciont tief in bie (fugen fefcnb). SltS SJtenfdhen oon Herjen gerne! 
Slber (bebeuinngsboo H°hett, ber Rampf unferer Ueberjeugungen bleibt bodh 
beftehen! 

Herjog. SBBenn es fein muh, auf weiteren frohen Rampf! 

SlnbreaS *in a erifTen unb betienb). $n ©otteS Starnen benn, bann fdhlage 

idh ein! (Sie reifen fl<b bie ©ünbe.) 


Der go’lbene Käfig. 


197 

$erjogin (iubetnb). @nb ti dEi habe idj fte 33eibe unter einem #ut! 

£erjog. Unb SJtama, fott idj ihm atfo jefet ben golbnen Ääfig 
öffnen? 

^erjogin «intei&enb). 2Ifju’ e<8, mein geliebter ©obn! Sin ber ©eite 
biefeS SMbdjenS gefjt er einer golbnen Freiheit unb einer golbnen ßu« 
funft entgegen! 

SlnbreaS (fitst bet $erjogln in tiefer Srgriffenbeit bie fiattb). 

4?erjogin. 3a, ja, mein lieber ßerr ©erberbing, es iji bodj man<h= 
mal ganj gut, wenn man ftd) ein buchen näher fennen lernt! . . «eim«*) 
Unb norf) eine §rage: wenn ©ie roieber einmal für ben Steid^tag 
canbibiren, werben ©ie roieber blutrote ißlacate mähten? 

SlnbteaS (ta$t &erjn$). 3®> Roheit, bas ift nun einmal meine Sieb« 
lingSfarbe! 

^etjogin (bw$t m f^rr^oft). 

föerjog («««eit). 

(Stfter Äammerbiener (#on «nt«). 

£er jog. 3<Jj laffe ©eine Roheit ben ijßrinjen unb Fräulein ©erber* 
bing fjier^erbitten! 

Äantmerbiener (ab). 

£erjogin (mobtaeiaai« nwen». Satonin @oa non JRofenbufd» («betau» neben»* 
toütbia «nbteo» juisttetnb) geborene ©erberbing, . . . (fötnunjetnb) es flingt! . . . 
es flingt! 

83 o r h a n fl. 




ßttut üjamfutt. 

Do« 

2ofef «ßlafer. 

— Breslau. — 

nn gute ©orte, bie mit furjer 33ejeicbnung einen SBegtiff bar* 
fteHen, baS Unglücf haben, non MerweltSobren aufgeborcbt ju 
werben, wenn fte bann non ben Unberufenen mehr als non ben 
paar berufenen gebanfentoS bergeplappert werben, fontmen fte in SJerruf. 
Unb baS wobt febr mit Siecht, benn „Stttewelt" pflegt eben nicht baS 33e= 
bfirfniß ju empfinben, hinter ben ©orten etwas benfen ju möjfen. Drob= 
bern ernftbafte Seute nun nadbgerabe barüber ju lächeln beginnen, möchte 
idj baS ©ort „mobemer 3Jlenf<b" gern einen frönen ^Begriff nennen. ©s 
briicft fcbarf genug allerlei aus, wenn man wirtlich biftorifdb ben „mobemen 
3)lenfcben" nicht als ©rrungenfcijaft ber Socialbemofratie ober beS eleftrifcben 
Siebtes etwa, fonbern als ©egenfaß jum „Sienaiffancenienfdjen" rerfteben 
will. Darauf greifen wir feelenrubig jur ©eneatogie beS Begriffes „ntoberner 
SJlenfcb" um bunbert unb etliche Jährchen äutücf. Sollte nicht ©ertl)er 
ber 2luSgang8punft fein unb ©oetbeS ftarfeS ^ugenbrnerf nicht wirtlich bie 
erfte SBerbicbtung beS mobernen ©enfehen bilben — cum grano salis 
wobfuerftanben? 3« ben 125 fahren, bie feitbetn mit fcbnellen gliigetn 
über bie ©eit geraubt finb, bat biefer ©ertber nun einige beträchtliche 
feetifebe ©ompücationen erfahren, ©r ift juerft ju ftant in bie Schute ge= 
gangen, unb feiner ©rfenntnifjfebnfucht tönte f»ier ein troftlofeS Slibit ent* 
gegen. 2)tan foHte baS nicht gering anfebfagen: Äurj nach bet rationaliftifeben 
■Öochflutb, mit ber bie ©eit überfebüttet würbe, führte ihn Äant wieber 
in bie bunflen Sinne ber SJietapbpfif. Dann fam Schopenhauer, bem bie 
groj5jügig=bi<btetif<be ^Potenj gegeben war, baS ©ettbilb feines großen SebrerS 
ju nollenben. Unb Darwin fam, eine barte Schule für ben mobemen 



i 



Knut 


199 


SRenfcßen. 33on hier ju bctt neuen unb bodj icßon alten ßweifeln unb jur 
Grfenntniß, baß eS wieber einmal nichts mit ber 2Bijfenf<haft fei, ift fein 
großer Stritt. ®a8 arme, jerquätte Seelchen, ba3 gern ft cf) mächtige, 
ewigbauernbe SBelten jimmem möchte, fcffwanft blaß wnb frantpfig fjitt unb 
her. Qn ifjnt quillt unter ber testen unb ftärfften Seßnfucht eine taufenb* 
blumige gütle Stiegefehenen, Unerhörten; in biefem fhwanfen Sfeptifer 
brobelt ein GßaoS, rcährenb er an Ment jweifelt unb oerjweifelt. SSBiU 
fidj enblid) bie neue SBeft aus feinem GßaoS gebären? ©ie neue Sonne, 
ber feit Sahrjehnten alle ©eifter entgegenfcßreien — ober auch nur ent* 
gegen toimmetn? 

©aS brücft nur baS 2Bort „moberner SDtenfch" aus, unb iu ber 
mobemen SUteratur foUte man bie ©ocumente feiner tiefen Gonflicte fucßen. 
©ie ffranjofen, troß 33artös unb ©enoffen, waren bieStnal nicht iu ben erften 
Steißen su festen; bie ©aHier flehen allerbingS nie in ben erften ^leihen, wenn 
es ftd) um ©ößenbämmerangen ßanbelt. ©iefe fchwierigen ©efchäfte überlaffen 
fte immer noch ber germanifdfen Stoffe, ber bie mobeme Gultur bie Stoße ber 
ipfabfucherin unb fßfabfinberin anoertraut ju haben fcheint. Unb nicht ©eutfcße 
toaren bieStnal oornan auf bem ißlan, fonbern Storroeger, bie ber alten 3Mt 
bie tiefften ©chtoanenlieber fingen foUten, ben ©eift ihrer 3^it ju erlöfen. 

Qbfen, ®jörnfon, ©erborg: baS finb, benfe ich, heut fdßon fibeeninhalte 
geworben; Stomen, beren ooffer Älang allein in ber mobemen Seele wie 
mit geheimnißootter Sßünfchelruthe bie tiefften Schächte unter einem Äratnpf 
beS heßften GrfdßauemS öffnet. Unb nun foUte man fich baran gewöhnen, 
ganj bießt neben biefen brei Sliefen enblich einen SSierten ju feßen, ber fich 
fonberbar atterbingS iu biefer hohen ©efettfehaft ausnimmt. Gin fcßlanfeS, 
leichtes Kerlchen; in ber feltfamften, bunteften ©rad)t ber Sßett; agil, baß 
es in feiner faft teuflifchen Seßenbigfeit ein (eifes ©rauen einflößt. Gin 
SlßaSoer, ber bie Sßelt taufenbfach burcßpilgert hat, bem es plößlidß einfällt, 
bie unraftcotten ©lieber an einen ber Urtiefen in StorwegenS geheimniß* 
feßwangeren SBätbem $u lehnen. Seine tiefften SBunben leugnet er mit 
höhnifdßen fffrafen, unb er lieht mit einem 2>?ate bem heibnifd^en SBalbgott 
ähnlich, wenn er uncermittelt eine unfefeinbare SUöte fjeroorsieht, bie er 
irgenbwo am SEBege fanb, unb wenn er ihr Sieber entlodft ooll oon einer 
fo queffenben Süße unb fchmerjlicheu ©rauer, baß bie SBelt tnählicf) aufhorcht 
unb athcmloS laufet unb ihm jurufen möchte: „2Per bift ©u, Seltfamer? 
3Bie fanbefl ®u fo leicht in ©einen Siebern bie fiiße Sdfjmerjlichfeit, bie fo 
lange fdßon in unferen Seelen bunfel auffcfilucfgte unb bod) nicht Sßege 
fanb, üeft aus ju weinen?" 

©refer Vierte ift Änut -föamfun. 


$amfun ifl baS in 2Pirf ließ feit, was uns über bie Herren 33arröS, 
^upsmans fritifloS auSgefdfjwäfct würbe: Gin Grlöfer beS mobernen ©eifteS. 



200 


3ofef (Slafer in Sreslau. 


2Betn er feine Seele mitjjetf)eift bat, will lagen: 955er feine Stopfungen 
!ennt, ift non taufenb guälenben Wlpbrüden befreit, beffen äugen glänjen 
wie nat einer Offenbarung. Unb baS gange ©ebeimniß ift bei ihm, wie 
bei jebetn SMfünftler, nur, baß ißm ein ©ott gegeben bat ju fagen, roaS 
er (eibet. SJergtiten mit ibm, bebeutet uns ba§ Oidjten §auptmann8 
etwa nur baS Stammeln eines armfetigen, ftmerjbebrüdten ÄinbeS. Julius 
&art, beffen Schaffen bie SDeutften übrigens ein wenig mebt 2tufmerffam= 
teit ftenfen füllten, tappt, roenn man ibn gegen fjjamfun ftettt, nur müb* 
fam unb ftwißenb einbet, wie Einer, ber ftöbnenb unter taufenb Stmerjen 
feine tiefen Stätte öffnen will unb baS SEieffte nitt beben fann, roäbrenb 
er nat ber 3auberformel ringt. Sieben all biefen fteutenben unb SUngen* 
ben ftrabft £amfun wie ein (eittbeftmingter ©öttertiebling, ber mit 
jauberifter SDtübelofigfeit bie ftwerften Store nt entließen läßt unb im 
©efüble beS nimmer oerftegbareu Duetts ungeahnte Stäbe lätelnb über 
bie 2Mt ftreut. 

2Ber fritiftoS ben erften, ftüttigen Einbrucf ausbrüden mötte, ben 
er non biefern ®itter empfangen bat, roirb unfehlbar bas Sßräbicat „fettfam" 
bafür finben. So reagirt ber auf preußifte Uniformirtbeit unb Drbnung 
breffirte Bourgeois auf biefe ißerfönlitfeit, bie fit auf jeber Seite ganj 
unoerfennbar ihm entgegenftettt. Unb baS ift gewiffermaßen SHerfmal, 

weit eben jebe ißerfönlitfeit mehr ober weniger „fettfam" ift, benn baS 
beißt natüriit nitts mehr, a(S anberS wie alle Wnberen, tief geftieben in 
feinem eigenftcn SBefen befonberS oom SPßilifterium. 

Unb bot ift wirflit StroaS in biefer ^erfönlitfeit ober in ihren 
Weiterungen, baS fetbft fcßarfe Prüfer ber See(e ftußig maten fann: Ein 
feelifteS Phänomen, wie es in fo ftarf ausgeprägter 3ntenfität fit faum 
oorber fton geäußert bat; man fann es wobt ein „feelifteS graßenftneiben" 
nennen. 9Wan fottte fit aber SDtübe geben, baS ju oerfteben, unb baS SBer* 
fteben erfteint mir nidit einmal fonbertit ftmer. S5enfe man fit nur 
einen SJtenften, beffen 33ruft jerriffen ift oon tieffien Stmerjen, ber bie 
Sippen jufammenpreßt, um feine Dual nitt ben taufenb ©leitgiltigen gu 
oerratben. Er weiß genau, baß fie ihn neugierig unb im bejien $att ein 
wenig mittcibig anftarren würben, um unbewegt unb ihrer eigenen Stube 
froh, weiter ju wanbem unb ju fingen. Wbet feine Stmerjen finb fo un* 
gebeuertid), baß wiber feinen Sßitten nt ftöbnenbe Streie oon feinen 
Sippen ringen unb biefe, beiße Shränen über baS gudenbe ©efitt ftürjen. 
fteßt bat bie 955ett 3eit, baS SBilb ber Dual ju betratten, unb will wieber 
meitermanbern. S)ie Staut ermatt in bem 3erriffenen, ein bämonifter 
Drang, bie Eaitaitten ju bupiren, bie eben fein DieffteS nadt gefeben haben. 
Er beginnt milbe Eaprioleit ju fd)lagen, oerjerrt fein ©efidjt ju nüften 
©rimaffen, rerfud)t ein böbnifteS Äitern unb ftteitt bann, oor fit fetbft 
auSfpcienb, in ben gebeimften SBinfet. DaS ift ber Wriftofrat, bet ju ftol} 
ift, fit gar bemitleibet ju fel;en; ein o.’rroirrter, jerguälter Slbet . . . 



Knut tfamfun. 


20 \ 

©ine feltfame SIriftofratie in 2Birfli<hfeit, bcr biefer ©idfjter jugehört; 
unb bocfi nieHeidjt bie ed&tefte. -Dtan muß wiffen, wie ließ fein Seben ge< 
fialtet h fl t, um ju begreifen, wie eigenartig bie wirrften gäben fidj bar» 
nwnifch in einanber gefdjlungen haben mögen. £ier finb bie nadften ©aten, 
ganj äußerlich: 

S5m 4. Sfaguft 1860 nmrbe er als Soßn einfadjer Säuern in ©ub= 
branbsbalen (Süb s 9lorwegen) geboren. 2tuf bem Keinen Bauernhof, ben 
bie ©Item oier gaßre nach feiner ©eburt im nörblichften Norwegen er« 
warben, ©erbrachte er bie erfte Kinberjeit. $at nicht bort oielleicht bie 
SRittemacbtSfonne in bie finbtidje Seele bitteingefpuft? . . . 3eßn Sabre 
aft, fam er ju einem Dnfel, ber ibm „wenig ©ffen unb nie! Schläge" gab, 
unb oierjeßn gaßre att, fam er in einen Keinen Saben feiner ©eburtsftabt, 
wo er oermuthtich geringe unb gudfer oerfaufte. ©in raftlofer SBanber* 
trieb mo<bte ibn erfaßt haben; ein gabt fpäter begann er burdj SRorwegen 
ju jieben, als &auftrer, SotfSfchullehrer unb Kanjlift. 9teunjebn gabre alt, 
ging er nach Kopenhagen, um feine erfte ©icßtung ju pubticiren. „9)tein 
©idßterwerf würbe refüfirt," fdßreibt er mir in feinem rfißrenb fcfjlidfjten 
©on. @r würbe als Arbeiter an ben öffentlichen 2Begearbeiten angefteUt 
unb ging nach Slmerifa, wo er als garmer, ©omtnis unb fßriefter fidb 
burdbfdßlug, bis ihn eine fdfjwere Sungenfranfßeit befiel. aßoßlthätige 
ÜJlenfdhen fdjafften ihn nach Norwegen juriicf, bamit er auf beintifdjer ßrbe 
fterbe. gn Norwegen würbe er plöfelid^ wieber gefunb; ießt begann er mit 
ber geber unb oerbiente bamit fo oiel, bag er am junger beinahe ju 
Örunbe ging, ©r ging abermals nadb Slmerifa unb würbe bieSmat g3ferbe= 
ba bnfdjaffner; fcßließlid) fam er nadb ©uropa jurücf, in Kopenhagen würbe 
er ein paar fritifdbe äibßanblungen los unb — hungerte, ©amals fdbrieb 
er feinen fRomait „junger", ber, juerft in fleinetn SluSfcßnitt gebrudft, 2luf= 
fehen erregte, ©nblofe SBanberungen: jwifdßen Kopenhagen, Norwegen, 
©eutfdblanb unb ißaris bilbeten bie fofgenben gabre; bajwifdben fdbrieb er 
feine Bücher. gebt lebt er mit notwegifdbem StaatSftipenbium in ßelfingforS. 

SW&t Bücher*) liegen oor mir; jie erjäbten 9lUeS, waS fidb Jtoifdhen 
biefen äußerlichen SebenSbaten in einer [ungemein fcßwittgungSreichen unb 
tiefen Äünftlerfeele abgefpielt hat, ein treuer Spiegel bes Schöpfers, gn 
biefen acht Bänben ift ein Singen unb Klingen; fedbs SRotnane, oon benen 
oier eigentlich nur ©ebidßte finb. ©ebidjte aber oon einer Kraft bes 
SfhpthmuS unb oon einer SebenSfüHe, wie man fie heut nur bei ein paar 
©anjtiefen finbet. 


*) Sämmtlicf) bei Silber t Sangen, SDliincbcn, in gejcfjmacföoller Stusftattung er» 
f (bienen. ©b- ©lj* $etne hat ihnen feine beften ©mhbecfel gejeichneb ©ie Ueberfefcung 
hat pim größten Xheil grau SRarta Oon SSortb mit einer geinfühligteit beforgt, bie 
biefen Büchern ben ganzen intimen 3anber einer Birtnofen ©pracfibeherrfdjung unb Sprach“ 
funft nicht fcßulbig geblieben ift. 

Raik mb Sfflb. XCII. 275. 


14 



202 


3ofef ©lafer in Steslau. 


Sffier fein crfteö Sud) „junger" fennt, toirb eS nie »ergeffen. 63 be= 
ginnt ganj fd)(id)t unb rührenb: „63 roar bamals, als ich in ©hriftiania 
berumging unb hungerte, in jener feltfamen Stabt, bie deiner »erläfft, ehe 
fte ihn gejeichnet hat . . ." ®aS ift ber Slccorb, auf beit biefeS rounber« 
fame Sud) gefttmmt ift; niemals fdmnngt ein fatfdier £on mit, wenn biefe 
leife, roe^müttjige SMoöie fingt . . . ©r bat nicht einen Dere in ber 
£af<he unb hungert tageiang. ©ajmifchen trägt er fidj mit planen ju 
großen 2Berfen, ju epochalen SUiIjanblungen : „lieber baS Serbredieit ber 
gufunft" unb anberen; Stücf für Stücf sehn fronen, bie er »on bcn 
Stebactionen ju befommen lticfjt jroeifett. Cf», roelche ^dufionen fteden in 
bem Sterl! SSährenb er nach jroeitägigem gaften um bie ©arfüdje herum« 
ftreidjt, (acht um ihn bie 2Belt in ber golbenften fftühlingSfonne. Unb er 
fdjäntt fi<h, bah er fofdier fßradit gegenüber noch ©ebanfen an’S 6 ffcn hat. 
©r »erfefct bei bitterftem groft feine lebte fffiefte, um fidj Srob ju faufen; 
bafür befommt er ein unb eine hafbe ßroue. $ür bie halbe lauft er baS 
Stotbbürftigfle, bie ganje fcbenft er einem Settfer unb ttmnbert fi<h nicht, 
roenn ber ihn für einen »erfleibeten Saron hält . . . Stein! baS, toaS ich 
hier »on bem Sud) ju erjäblen »erfuche, fann feinen Segriff »ou bem 
3RenfcEjen geben, ber barin lebt. Ciefer SJtenfdj, ber ben Ieifeflen StimmungS« 
regungen folgt, ber eine föftfidje 3artheit ber Seele befifct unb monatelang 
hungentb unb frierenb burdj bie Straffen irrt, fühlt über fid» einen un« 
geheuren SSeltroiHen, ber nichts ift als eine himmlifdje ©üte gegen alle 
©efchöpfe. SßoHte man etwa gar feine göttliche ©fite bejroeifeln, nur weil 
es ihm, bem lächerlich Keinen Sltom, junt Serhungern fd)led)t geht? Sßäbrenb 
er burdjnäfjt unb burchfroren im SBalbe campireu muh, hört er ' n ben 
nächtigen £öf)en bie Symphonien ber rodenben Sßelten über f«h, ber 
Sterne, bie einen ©efang intoniren . . . Unb feine Seele ift gefüllt »on 
ftummer ©otteSoerehrung! . . . Stoch niemals hat ber fßantheiSmuS einen 
reineren, bemütljigeren SluSbmcf gefnnben. 3Q3er bie feltene Seele biefeS 
SJtenfdjcn fo »erftanben hat, begreift jeyt auch, marum all’ bie unenbliche 
Dual, bie ben Söafmfinn fdjon herangerufen hat, ihm nicht einmal einen 
brufttiefen Schrei ber ©mpörung herauSpreffen fann. tfjat et baS Siecht, 
wegen feines SiSdjenS junger unb 6 (enb fth gegen bie SBett ju empören? 
Sollte er etroa in focialiftifdje Serfammtungen laufen unb ben Sefifcenben 
blutige Stäche fchroören? Stein, baju finb bie ßnedjte ba, bie nurflidjen 
SariaS. ©r, ber König, ber Slriftofrat, mag fdjon ben ©eru<h biefer ©Hauen 
nicht leiben, ©r l;aht feinen SJtenfdjen, unb „niemals ift in feinen ©e« 
banfen ein fyitnfen »on SoSheit ober -BUgt rauen ober Sitterfeit". So ift 
ber SJtenfd) befchaffen, ber uns fein erfdjüttembeS ^ungerlieb fingt, gotteS« 
fiirchtig unb »on finblid; riihrenber Steinbeit ber Seele. Tarum ift in 
biefem Suche nicht fo [jer^erreifsenb, roaS er leibet, als »ielmehr, wie er 
leibet. Unb 5 U biefer Offenbarung feiner geheimften SerfönlidjEeitSreije 
fleht ihm bie grohe Kunft unmittelbarfier ©eftaltungSgabe $ur Seite, mit 


Knut Ejamfun. 


205 


einer Sdjmiegfamfeit unb SluSfagungSfäljigleit, rote ne in ber dßeltlitteratur 
fid>erlich einjig bafteht. 9HemalS fd^ien bie Äunft ber ©eftaltung unb 2luS= 
fagung beS uerbihteteit ©rlebniffeS bei irgenb einem Stünftler unberouffter, 
unb niemals roar fte fo rafftnirt jäh unb babei bo<h fpielerifd) leicht roie 
bei &atnfun. $ttr jeben Äünftler unb Sfvhologen muff biefe berounberuugS« 
roürbige ©abe als ein ffinftlerifheS Sßtjänomen erften SRangeS gelten, unb 
bie Seetenforfdier aller 3eiten unb 3onen müffen biefen feltfamen fdorroeger 
rote ein $abeltl)iet betrauten, benn Äeinem roar es je fo unenblidf teidjt 
geworben, feine Seele fo ganj reftloä IjerauSjufcftäfen. SBeiff man nicht 
non bett Dualen beS fünftlerifcff Sdjaffenben, ber — fo tief unb iroH baS 
Sieb ihm auch aus ber ©ruft bricht — immer noch in uerjelfrenb unfrudjt= 
barem Semüffen einen testen Sobenfaff in ber Seele fütjtt, beffen bmtfie 
Unberoegtheit allem ©eftaltungSroiden fpottet? ®iefeS Seffte, ©ieffte feine# 
.öerjenS fingt föamfun aber h er au3, baff ade Sßelt roie erlöft unb mit 
freiem 2ttf)men ju ihm auffchaut. 

Saturn auch bie rein arüftifhe — alfo roefentlid) äußerliche — ©nt; 
roicfelung aller Drgane für bie fettenften Intimitäten ber Sprache unb ©edmif. 
4?ier ift bie Spraye in ber ^Cljat ein Snftrument, bas mit routiberooH ab« 
getönten Sdccorben ber jarteften Seelenftimmung geffotdjt. 

Unb alles, baS in biefem erften Suche aus feiner ©iefe ßerauffaitg, 
roeig er noch einmal ju uerbidften, »oder, orgelmächtig; biefe ©tebtung heißt 
„San". 2Bel<h ein Such! &aben jemals fhon bie Satur fo gelebt, bie 
SBälber fo geraufht unb baS ÜJteer fo gefungen? ®aS ift nicht ber 
SantheiSmuS ©oetheS, ber baS geheimfte Schaffe« ber 9iatur belaufdien 
roitl, nicht SbedepS, ber bie Sßelt in mächtigen 9tl)t)t£)men um bie 2IbehGreatnr 
freifen läßt, ©in füßer Triebe unb ber reinfte, nainfte ©teichflang mit 
allem Setebten, baS ift #amfunS 9taturgefüt)l. „2IdeS läßt fidf mit tnir 
ein, rermifht fi<h mit mir; ich liebe 9ldcS. 3h hebe einen 3weig auf, feine 
bürftige fftinbe macht ©inbrucE auf mih, 2>iitleiö burdfjiefft mein ^erj." 
^ier in biefer bemüthigen, finblihen ©befürcht erfennt man aber baS ©nbe 
feines 2lriftofratiSmuS. @r fühlt fich nicht roie ©ffedei) als Diittelpunft 
ber SJelt, fonbern ift banfbar unb gotteSfürhtig, als ein oerfeffroinbenber 
2ltom an ihr ©heil }u haben. 2Benn er fo gottoerlaffen burdf ben grühÜng 
ftreicht ober in feiner einfamen &iltte lauert, fingt feine nolle Seele bemüthige 
©anfgebete, baff er begnabet ift, all bie S r °d)t 5 U fefjcn unb in ftd) auf« 
junehmen. Unb baS fDieer liegt ftill unb glatt, ber |>immel offen unb rein. 
,,©r ftarrt in biefeS flare 3Jteer, unb eS ift, als läge er »on Slugeficht ju 
3lngefid)t bem ©runbe ber SGßelt gegenüber, als flopfte fein fjerj fo innig 
biefem reinen ©runbe entgegen, als fei es bort babeint." So ift fein Such 
ein einjiger, oodtöniger ©»anfhpmnuS an ben Sater alles Sebenbigen, unb 
ooH unenblidjen ©lücfeS geht er adern Setebten entgegen roie einer, ungeheuren 
©emeinfdfaft non Srftbern. 

®aS ift bet naiue 9Jtenfh, beffen lebte 3iele ffnb, mit ber göttlichen 

14 * 


204 


3ofef cSlafer in Breslau. 


Urfraft feincö SßefenS 3^iefc gu verbinben. Unb gang feltfam ift eS, rote 
febeittbar gang unvermittelt bicht neben feinem Sehen bie ©onfticte ber 
mobemen ©eele, beS unenblid) Gomptidrten, Verfeinerten unb Gulturreifen, 
fi(b abfpielen. 3ngleich fefct ber erotifetje £on ein, unb neben bem £ojjelieb 
feines rührenben, naiven ©ottgefühlä ober 9taturgefühl$ fchroingt auf gUtemben 
©aiten bie fühefte unb fchmerglichfte SiebeSmelobie mit. VeibeS gleich 
mächtig unb innig ineinanber gerooben. ®iefe flaffenben, feltfamen 2Biber= 
fprüdhe in feiner ©eele entfpredjen bem gleich feltfamen Dualismus feiner 
©eburt einerfeits unb feines gerriffenen, culturverberbten SebenSgangeS auf 
ber anberen ©eite, ©eltfam unb aller gbrmel fpottenb, bleibt nur bie reiche 
unb tiefe 5?finftlerf<haft unb -Btorbibität in bem ©ohne einfacher Säuern. 
®aS trufcige 33lut ber ©Item aber verleugnet lief) nicht fo völlig in ihm. 
3m „9tebacteur Spnge" unb in „9leue ©rbe" ift eö ber ftarmadige, be* 
bingungSloS fRedjt heifchenbe Sauerntrofc, ber fi<h gegen bie Schlechten unb 
©emeinen bäumt. — 

2Bie von einem 3 a uberftabe entfejfelt, bricht im „Van" bie groette 
5Eiefe feines 3BefenS, bie ©rotif, herauf, [unb ber ©trom ift fo voll unb 
ftarf, bah er mählich gang von ihm Vefife nimmt, ©rotif ift ein enges 
Jßort, es beeft nicht bie Söeiten, in bie fiel) bie Verblutungen ber Siebe bei 
.fjatnfun behnen; bas ift fdfjon burch feine perfönliche Sluffaffung bebingt. 
$ier erft lebt ber gange, ntoberne Gulturmenfdj, ber fi<h gegen baS 2Beib 
roehrt, von bem er tragifch nicht loSlommen fann, baS ihn mit ffammernben 
Slrmen in baS fiifse Verberben giebt. Sticht etroa roie bei unferetn tiefften 
©rotifer, VrgpbngetuSfi, ber fanatifch bunfle §a§, ber bie öimmel anflagt 
für bie furchtbare ©abe beS blutfaugenben SßdbeS, eigentlich nur eines 
höllifchen, morbenben VampijrS in ber blaffen SJtaSfe f<hroa<her Sßeiblicbfeit! 
©ein ©ang ift von anberer 9lrt unb ungleich füher. ©in einiges, unfruchtbar 
peinvoHeS ©viel von ©efchtecht mit ©efchlecht, ein füfc'fchmerglicheS 3 ue inanber 
unb ein ftöhnenbeS Voneinanber. Sacht er nicht, ber frei unb lebig in ber 
SBelt herutnfehroeift, feines SefifceS an Veidjthum fber ©eele, ben er von 
einer hohen Gultur mühelos ererbt hat? ©r roächft fo hoch, bah er freien 
2lugeS mit ©ott gu reben roagen barf. 3ft er nicht ein ßerrfcfjer? Unb 
nun geigt ©broarba ihm ihre (Keinen, fedjSgebnjährigen gühchen, unb ihr 
glühenber SOtunb plappert ein paar Sßorte gu ihm. 3n biefem Ülugenblicf 
fühlt er etwas an feinem bergen rühren, roie ein flüchtig, freunbtich ©rühen. 
tiefer Reiche, ^rcie beugt fi<h willenlos vor bem braunen ©tranbfinbe. 
©r fteht voller ©emuth vor ihr, ein ©efeffetter, Vefiegter. ©r bäumt ficfe 
gegen biefeS SiichtS, baS ihn groingt. ftein roilbeS Säumen, fonbem ein 
feltfames $in= unb £ergerren. Dber er fügt fich gebulbig unb faugt ben 
fühen ©chtnerg roollüftig in fich hinein; biefe eigentümliche SBoHuft am 
©chmerge ift fo ftarf unb fo brängenb, bah feine gange ©rotif fdhliehlich 
barauf hinausläuft, ftch felbft unb baS Stäbchen unabläffig gu peinigen. 
Unb baS ift eigentlich nichts 2lnbereS roie bie furcht vor ber ©innlichfeit. 


Kirnt tjamfun. 


205 


bie in ihrer ewiggleidhen Monotonie bie größte unb fiiRefte Siebe fo gemein 
macht, wie bie oiebifdhe 33runft eines SUpRanS. DI) nein, nein! ®aS ift 
nicht feine Siebe, bie wiberwärtig mit fchlaffen Steroen in ben grauenben 
borgen blinselt. S)tan beamte bie bejeichnenbe ©pifobe mit 3)Iajali im 
„junget", ©eine Siebe ift hungrig, trauembsffiR, unb fo fingt fic ihre 
bitteren ©eRnfuchtSlieber ober ihre füR oerlangenben SJtärdhen. Äennt Sbt 
nicht baS SJtärdhen oon Liberi! unb Sielin? Sinn, ber Sieutenant ©(ahn 
träumt baS SJtärdhen in einer mi(ben ©ommernacht, einer -Kocht, in ber ficR 
fein 33lut oor ©anffagung gegen ad bie weichen Sfifte unb ^errlichfeitcn in 
feinen Slbern beugt. @3 ift bie ©efchidjte, als Sfelin eben fecRSjebn ^ahre 
roar unb ba fie ben jungen ©unbaS jum erften SJtale fah; fie, beS SebenS 
©eliebte . . . 

Sul, lut! ©ine ©timme fpridfjt, es ift, als ob bas ©iebengeftirn in 
meinem Slute fingt, baS ift ftfelinS ©timme. 

©dhlaf, fchlaf! Sh miß ®ir erzählen oon meiner Siebe, roährenb ©u 
fdRläfft, unb ich miß ®ir erjäblen oon meiner erften Stacht. S<h jaRlte 
fedhSjehn ^ahre, es mar Senjjeit, unb taue Söinbe wehten. ©unbaS fam. 
©r war wie ber 2lar, ber braufenb baherfam . . . 

2lm Slbenb nach bem Sagen ging idh unb fah nach ihm im ©arten 
unb hatte groRe 2lngft, bah i<h Um Rüben würbe. S<h fptaef) leife feinen 
Flamen oor mich hm unb hatte groRe Slngft, baR er ihn hören fönne. ©a 
tritt er beroor aus ben SüfcRen unb flüftert: £eut Stacht ©chlag eins. 
aBorauf er oerfchwinbet. 

$eute 9tadfjt ©chlag eins, fage idh bei mir, was meint er bantit? 
Sch oerftehe nichts, ©r meinte wohl, er würbe heut Stacht ©chlag eins 
auf bie Steife gehen; aber was fümmert es mich, ob er reift. 

®a gefdhab es, baR ich oergaft, meine ©bür ju oerriegeln . . . 

©chlag eins tritt er ein. 

„ÜBar meine ©bür nicht oerriegelt?" frage ich- 

„Sh wiß Re juriegeln," antwortet er. 

Unb er fdRlieRt bie ©hür unb riegelt uns ein. 

Sh b<*tte ülngft oor bem Särm feiner großen ©tiefel. ,,2Becf meine 
SJtagb nidht!" fagte ich. S<h hatte auch Slngft oor bem fradfjienben ©tuhl 
unb fagte: „Stein, nein! ©efe ©ich nicht auf jenen ©tuhl, er fradht! — 
©arf idh bei ®ir auf ber Stubhant fi(jen?" fragte er. — " „Sa, fugte i<h- 
Slbet baS fagte ich nur, weil ber ©tuhl trachte. 2Bir faRen auf ber Stub* 
banf. Sh rüdtte oon ihm fort, er rüdte mir nach- Sh fah ju 33oben. — 
„®idh friert!" fagte er unb nahm meine $anb. „2Bie ©idh friert!" unb 
legte ben Sinn um mich. 

SJtir würbe warm in feinem Slrm. 2Bir Rhen fo eine Sßeile. ©in 
£abn trabt. 

„•©örft ©u," fagte er, „ein £«bu hat getrübt, halb ift es SWorgen." 



206 


3ofef (Slafer in Breslau. 


Unb er rührte midi an unb mailte mich baburcg »erjagt. 

„Sßenn ®u nur ganj fielet bift, bag ber ^afin gefragt gat," 
gammelte ich. 

Unb ich fcglog meine Slugen not igm. . . 

SBägrenb beg £ageg roanbelte Sfelin herum wie im Sraum. Unb 
als bie Stacht roieber fomntt, fomntt ©unbag, unb ge lägt ign ein unb 
fdjiebt fetbft ben Stiegel »or, igm biefen Reinen ®ienft ju erroeifen. Sie 
mug bie Stugen »or Siebe fließen unb birgt jtdj an feiner Sruft. ©r 
taufet auf ben ^agnenfegrei, unb fie fagt bärtig: 

„Stein, roie fannft ®u glauben, bafe eg roieber #abnenfdjrei war. 
®a fräbte niegtg." 

©r fügte mich auf bie 33ruft. 

@g roar nur ein £ugn, bag gefrägt gat, foßte rc^ im lebten 
Slugenblicf. 

„2Sart ein roeitig, id) will bie £fjür nerriegeln," fagte er unb wollte 
fid) erbeben. 

3<b hielt ibn jurücf unb flüfterte: 

„Sie ift »erriegett . . ." 

®ag ift bie ©efd>id)te Qfelütg, bie 3UIe liebte, einer f<broerbliitig=norbif<b 
fügen SSenug. Unb fie foU, benfe ich, bie erl)ebli<be ©igenart ibreg ®id;terg 
bocumentiren. SIE bie Sügigfeit beg Ungenoffenen, fegnfüdjtig ©rroarteten 
fingt in igr unb ein tiefeg Schamgefühl »or einanbet, bag nicht ber ©ine ben 
Slnberen naeft fäge. Sollte bag nicht ein SJterfmal ber ©rotif aller ©ulturboben 
fein, bie Sdiam unb guregt ber ©efcglechter »or einanber, bie fcglieglich 
bo<b nidjtg gegen ben ^nftinct augridgten föimen? Unb foUte biefe ©rotif 
nicht »on icbmetjliih tiefer £ragif fein, bie ben gödggen SJtenfdjen bag 
Dgnmadjtgefügl in bem eroigen ftampf beg ©ottägnlidgen mit beut £gier« 
ähnlichen prebigt? Dbnmacht nennt ber moberne ©rotif er begbalb bag, 
roag bem Stenaiffancemenfchen bie unermeglidje greube am Sluggeniegen unb 
Slugleben roar. $n biefen triumpbirten alle Seibenfchaften, hier roar ein 
eroigbeitereg Äraftaugftrönten, in jenen fd^affen ge bie bitterften ©ongicte 
unb bie tiefften 3roeif®l- — SRug ich 6ei biefer ©elegengeit roieberboten, 
bag bie ©egenfäge jroifchen „mobern" unb „Stenaiffance" für mich auch 
augerbatb ber ©rotif »otbanben finb? — 

SRan foUte lieg baruin güten, in ben SRärd>cn beg „SJJobernen" bie 
Staioetät ju fuchen. ©ine Seele, bie jroifegen äBunfcg unb ^Realität, jroifchen 
eigener Scibenfchaft unb falter Umwelt, taufenb intünfte ©ongicte burcg= 
gefämpft unb taufenb Stafnnementg burchfoftet bat, fann beim heften SBiüen 
nicht bie nahien Unroirftichfeiten erträumen. 2Bag bennoch nai», primiti» 
unb märchenhaft augfiegt, ift eine rafgnirte ®elicatege. 3<g »tag bamit 
nicht bie SJtärcgenroelt beg .jjerrn .gauptmann »ertheibigen, benn in igr lebt 
feine moberne Seele igre raffinirt=primiti»en gabeln aug; gier fpuft »ieUeicgt 
nur noch ein Steftdgen germanifeger SRärdgenfreube in unerquidlicger SSers 



Knut f}amfun. 


207 


berbtbeit. geh weine oorjüglicb bie fyabelioetten Waeterlindg unb £atnfung, 
bie man fo oerfteben follte. Tegljatb ift bag War dien von Tiberif unb 
3felin, bag eine ber fünften, tnobemen Sqrigmen bitbet, für .fjamfun fo 
ungeheuer bejeidinenb. Tie erotiicfie Tragif Hingt in feltfamen, altcrfeinften 
9Jit)flerien, bie weiter triditg finb a(g ein ewiger Kampf jwifdjen ben ©e* 
fdjlecbtern, aber fein blutiger Kampf, fonbern ein ftummeg, oerjweifelteg 
£in unb 4 ?cr. ©in bittereg Siebeglieb, bag non bem qualooU unerbitt* 
licken Verbluten fingt, ©g ift ein ungeheuerer xrots, eine inftinctioe gurd)t 
cor bem ©efc^tec^t, bie alle liefen aufmüblt, big ber jerquälte Btenfcb 
jüternb unb ohnmächtig eg gefebeben (affen muß, wie ihn biefe füfee Ber* 
niebtung oerbirbt. Tiefer gofjann hülfen 9lagel, ber einen fnallgelben 2ln= 
jug trägt, ftdb benimmt, baß tbn bie feelenggute Bourgeoifie itt’g Tollljaug 
fperren möchte, ift gamidit fo feltfam. ©r f'ämpft einfach ehrlich an gegen 
ben fußen blonbjöpfigen Teufel Tagnp, ber beinahe augfiebt wie bie 
ftbmädbtige ©roßmanngtodjter ©boarba. Gr fd^lägt bie auggefuditeften 
©apriolen, lügt fte an unb geftebt ihr im felbeit 2 lugenblid, baß er fie 
fredj belogen bube. Gr oerwirrt unb beleibigt fte, er oerfpridit einer 
weißhaarigen alten Jungfrau bie ©he, wie ©(ahn ficb gegen ©boarba ber 
winjig Reinen gflßdben Goag, ber grau beg ©dpniebeg, freut unb ißrer 
weißen ©lieber, um in ber nächften -Dtinute ficb felbft oor tiefem Gfel ju 
oerabfbbeuen. Unb barein mifefit fid) feine qlübenbrotbe ©ebam; biefer 
feinfte 9Renf<b muß bulben, baß man in feine nadte, febambafte Seele feße. 
Tarum werben feine ©apriolen nobb wilber unb grotegfer, feine Brutalität 
muß ßelfenb einfpringen, feine Saunen wedifeln rafdjer, unb fein ©innen 
unb brachten ift glüßenb barauf geriditet, bie 2Belt unb Ta gut) nicht ju- 
leßt 5 U büpiren. 

Unb all biefe Tragif ftefjt nicht auf hohem Kothurn einher, fie fcheint 
eine fcblidite Mtaggfadje ju fein, wie 9iagel uttg bie ©chleier oott ben Wpfterien 
ber tiefften Unbewußtbeit, ber fpfycbe hebt unb bennodj oor ©<ham bebt 
unb nicht aufbören mag, fidb hinter ben feltfamften SDtagfen ju oerfteden. 
©o bilben bie „ÜJtpfterien" bie granbiofe Berbicßtung beg geinften unb 2lb= 
fonberlibbften, bag ftch in bem mobernen ©rotifer regt, ein furditbareg 
Kampflieb, bag in ftetig leifen 2 lccorben oorüberfinqt unb niemalg ju 
mutbentflammtem Bruftfcßrei anfchwillt. ©g ift nicht fchwer ju begreifen, 
baß ft<b biefer rafilofe Kämpfer einmal ermübet fühlen mag, jum &in» 
ftnfen ermattet burdb bie ©migfeit beg Kampfeg unb §anbelng. Unb 
eine ©eßnfucbt mag aug feineg ^erjeng Tiefe beroorbrechen, bie nach 
grieben unb SRube fcßluchjt. Gin rübrenbeg $eimoerlangen beg lebenglang 
grjenben, ein berj^erbrebbenbeg ©ebet um ein ftitleg, beimlicßeg ©liid, bag 
nodi) fo Hein fein mag. Bielleiiht fo ein füß-berußigenbeg ©lütf, wie ber 
än.nfte Tagelöhner eg in ben geierftunben um bag oerfüßrerifch trauliche 
©u.mmen ber ^Petroleumlampe erleben batf, bag wäre biefeg Grfd)öpften 
unb' Kampßuüben ßeimlichfte ©eßnfucßt. @r muß mit leeren £änben im 


208 


3«fef cSlafer in Sreslan. 


frofligen $erbfta6enb, non Kälte burd)fdjauert, . flehen unb jufehen, wie alle 
bie Siirger baS ^eiterfte ©lüd befitieit, bie ooße frieblidje Sattheit ber 
Seele unb bes SeibeS. ®aS ift ber 9?oman „9leue Grbe", in bent bie 
Sollte oerfinft, unb baS reine ©lud tiefen griebenS enblitf) in baS ^erj 
beS cinfadien Kaufmannes £iebemann einsiebt, ber mit reinen £änben ftd) 
an feinen tuüfjfam eroberten £erb feben barf, inbeß bie fdmtufjige Sitteraten: 
meute ß<h braußen ehrlos oerfauft unb einanber in ben Kotf) fdjleift. 

fDiefeS Sud) ift 9iicf)tS weiter als eine Serberrlicbung ber Sourgeoifie, 
in ber man in biefent gaße nur bas Symbol bes griebenS unb bes 2luS= 
gleiches jwifdjen Seibenfdfaft unb 2Birßid)feit feigen fofl, benn £amfun foß 
bamit nid^t etroa bie bobenlofe gladjbeit unb Sornirtfjeit unterfteßt werben, 
ber mir, b. I). bie beutfehe Sitteratur eine Serberrlidjung ber Sourgeoifie 
»erbanfen. 3$ meine bamit bas troftlofe 3Jta<hwerE „£>ie Kameraben" bes 
$errn Subroig $ulba, bem aßerbingS 9li<htS naher liegen mag als bie blöb* 
bourgeoife SDberfläcblidjfeit unb Diicbts ferner als bie tiefen ©ebeimniffe bet 
fünftlerifdj ernftl)aft Diingenben. Sei ßamfun ift baS 3Kotio flar genug: 
Gin fdiludtjenbeS Sehnfucßtlieb nach Kinberfrieben, nach ©leicbmaß: taufenb 
oerborgene Duellen ftrömen hier jufamnten. ©emiß foß nicht überfeßen 
bleiben, baß es fftefignation ift, bie il)n bie ferneren ÜBaffen ftreden 
läßt, unb eine fraftentfleibete ÜRübigfeü, bie nach ^rieben meint — um 
jeben fßreis. 

®ie feelifcße Gntroidelung fdjritt alfo aßmäßtich unb in ihrem 3 Us 
famtuenhange flar »orroärtS. Unb barum ift fein lefet erfdjieneneS Such 
roirflid) ein 2lbfd)luß biefer »orläufigen Gntmidetung: „Sictoria, bie ©efcf)id)te 
einer Siebe." &ier feiert feine Stilfunft ben ßödiften Triumph, unb bie 
Siebhaftigfeit feiner fußen, tragifdjen SBeife fcßtuchst hier auf, fo tief unb 
»ofl roie nie in einem Sudfe ber heutigen ©ichtung. fDiefeS Such ift jeßt 
ooße 3 4 Qaßre in beutfdjer Sprache erfebienen, unb es iß faum beachtet worben. 
Gin böfeS 3eugniß für bie beutfehe $ur<hfd)nittsfritif. ©3 hat noch feinen 
fritifchen Sefer gefunben, ber $u erfennen oerftanben hat, welche löftlicßften 
Slüthen ber fDiditer in biefen rührenb febtießten Kran} gewunben hat. Unb 
bodj miß es mir fcheineit, als müßte bicfeS Sieb im erlefenen Ghore bet 
Gwigfeitgefänge erflingen unb nimmer oergeffen werben, ©iefer bünne 
Sanb, in bem fHidjtS gefebießt außer ben ©efebeßniffen ber SiebcStragöbie 
Swifdien bem reidjen Schloßfräulein unb bem armen ÜJtüflerSfoßne, fpmnt 
bie Seele in fiißefte SBebmutß. fDtan mag über biefer ©efeßießte einer 
Siebe mit glühenben SBangen bie 2Belt oergeffen, wie einft als jehnjäbriger 
Sengel man über ben ritterlichen dtomanen ber ©artentaube bie 2Belt ner* 
gaß, eingewiegt in phantaftifdje träume, bie jwifchen SiebeSglüd unb Siebes-- 
leib penbelten. So muß fteß biefer lebte Vornan ^antfunS bie ftißen ®e- 
nießer fangen. — §ier finb bie Kämpfe ber Seele auSgefämpft, was erft 
als wehes ©ebet in bie grüßtingSlüfte geftammelt mar, biefe tieffte griebens-- 
feßnfueßt, biefe raffinirte furcht oor 3lttent, was hanbelt, fämpft unb fchreit. 



Knut £}amfnn. 


209 


baS hat fuf) Ejier baS lodenbe $bol erfonnen. Sin roefunütljiger Drautu 
of>ne Seibenfdhaften, in raffinirt füllen,, rounberooH harmonifet) ineinanber 
roebenben Dönen ein hwftingenbeS, bcrsjetreifjenbeS Sieb, bas ift gamfunS 
Such „Sictoria". Qft nicht ber STitcl fcfion eine melandjotifche Ironie? 
Sictoria, bie Siegbringenbe! . . . 

gat baS nicht fcfion taufenbmal in Suren gerjen gelungen? . . . . 
Uitb er, ber Sohn beS 3ftütlerS, liebt oon Qugenb an bie fdjlanfe, blaffe 
Dodjter beS reichen ©d^lo^errn. Sr muß ft<h ju ÄnedhteSbienften ^ergeben, 
ben gepulsten Äameraben ben billigen ganblatiger abgeben, weil ihre fanften 
9(ugen ihn bitten. Sr Reifet Johannes unb fie Victoria. Unb er liebt 
mit all’ feiner ftarfen (Seele, unb fein fräftiger Körper ift glüdlidi, fi<^ oor 
ihrer blaffen Ridjtigfeit ju beugen. Dod) ißapa fpridit fein SBörtlein mit; 
er f)at einen Neffen, ber oon altem 2lbel ift, bie reidhgefütfte Uniform ber 
SuSerroäljlten iw Reiche trägt. Dem roiU et feine Doditer oermählen. 
Denn Ißapa hat ein bischen arg geroirthfehaftet; bie Dodjter foU ben reichen 
Setter nehmen. Unb Sictoria ift einoerftanben. Johannes aber, ber Sohn 
beS HÖJüllerS, ift oon ©ott mit hoher ©nabe bebadht; er ift ein Dichter unb 
ein Sänger. 2luS feiner Sruft quellen bie fdhmerjlidhften Sieber, ein Duell 
rothen gerjbluteS , ber hwnieberftrömt nnb befdjeiben p ben fffifcdhen 
SictoriaS im Sanbe oerüefert. 

Salb weift fein blutenbeS gerj bie ftuntmen Dualen nicht ju tragen, 
unb er Hämmert mit fehnenben lärmen fidh an bie blüfjenbe Unfdjulb einer 
Reinen, bie ihm ber Fimmel in bie 2lrme führt. 2BaS oerfdhtägt’S? Sin 
Ülnbeter fommt; fie gleitet ju ihm hinüber, bie leiste fonnige .gelle feinet 
Sehens. Sr mag 100 hl babei gut Sieber fingen fönnen. Doch SSunber 
gefdhehen; ber Bräutigam SictoriaS wirb erfdhoffen; fie ift frei unb roiU fidh 
ju ihm flüchten. DaS ift ber fftud) feiner Siebe, er muh fie ftehen laffen. 
Sßictoria erfährt um feine Verlobung, unb biefe blaffe, heilige Dulberin 
mufe fterben .... 

„gaben Sie jdtnalS, fe— mals gefeiten, baft ein ÜJtann biejenige bc= 
lommen hat, bie er haben fotlte? Sine Sage erjäljlt oon einem SJtanne, 
ben ©ott in ber SBeife erhörte, baft er feine erfte unb einjige Siebe befam. 
3lber eine grofte gerrlidhfeit entftanb nidjt barauS für ihn. SßeShatb nidht? 
roerben Sie roieber fragen, nnb fehen Sie, idh antroorte Qhnen! Run, aus 
einem einfachen ©runbe, weil fie gleich barauf ftarb, — gleich barauf, 
hören Sie. ga, ha, ha, augenhlidiidj barauf. So geht es immer." Das 
erjählt ber an ber Siebe ju ©runbe gefoinntenc gauSleftrer bem jungen 
Dichter. 

IDlan fotlte fidh moljt hüten, biefes Sud) gering ju f (haften, benn 
niemals quoll fein Sehnfudjttieb fo ftarf, unb niemals barg feine Stimme 
fo innigen 3auber. Unb fo einfach ift bas Südjlein nicht, roie eS auf ben 
erften Süd fdheinen will. SS bebeutet benn auch nichts anbereS als bas 
hödhfte Raffinement, baS roehe, oerträumte Sieb eines ÜWenfdhen, beffen Seele 



2\0 


'3°fcf (Slafer in Breslau. 


bie Brutalität ber Umwelt bie »erjweifeltften Stampfweifen entlocft hat, bis 
il)re fdjwingenbe, unenblidje reiche ©enfibilität fich f<heu in ben feiten 
Cfenwinfel bergen mufete. 2BaS ift natürlicher, als baß nach bfefen SBanb= 
lungen in ber ©eefe feines gelben ber dichter ber „SJtpfterien" ftch oor 
ben winften, läfenenbften ©onflicten abwenben mufete, um uns biefeS 
heilige ewige Sieb in ebelftilifirter ©mfadhljeit ju fingen! Söer genauer 
binfiefet, erfennt leicht, bafe bie einfach fdieineitbe ©eefe beS 2JtüHerfofeneS 
fcfeliefelich non einer unenblidj fenfiblen SJtorbibität ift, bie alle bie taufenb 
Kämpfe in ihren 2)tpfterien erlebt hat, ber alle intimften Schauer ber 
inobernen Unraft nid)t erfpart geroefen finb. Unb feine SiebeSgefdjidjte ift 
in SBahrheit bie ewige ©efdjichte ber ©efdjledjter unb jugleidi noll tnobemer 
©ehnfiichte non unnergleid)li»h h°h cm poetifdjen SBetthe. Äeine ptiilofopljU 
fd)eu s Jtef(erionen fpufen barein, bie ihm bie eigentlichfte Berbühtung freujen 
wie bei feinem großen SatibSmann 3bfen. -Dtan benfe an beffen ätefignationS* 
bidjtungen „Baumeifter ©olnefe" obev ben wunberoolfen „3of) n ©abriet 
Borfmann", benen ber fpeculatine, ewig bohrenbe ©eift nicht bie füfee 
asohlthat läßt, ihre fchwermüthige ©rfemttnife in Sieber p formen. 

©o barf man in ber 5Ctjat, ohne nerfleinernben fJiebenfinn, bie ©rotif 
als baS brängenbe ©lement in £>amfunS Sichtung anfehen. 9JJan wotte 
ihn etwa nicht für einen Sichter non SiebeSgefdjichten banatfe hatten, wie 
es in unferer gebenebeieten SRomantitteratur beten eine Segion giebt. Senn, 
was ich hier mit ©rotif bejeidmen miß, untfpannt eine ganje 2Belt, unb 
wer fehen mag, weife, bafe eS nicht eine 2Belt non geftem ift, bie fich uns 
hier aufthut. ©eine Bücher werben, ba Sichter nun einmal — bewufet 
ober unbewufet — bie eigene 3eit in fich fpiegeln, einmal non aufeerorbent* 
lieber culturbiftorifdjer Bebeutung fein. v Ji!irgenb in einer mobemen Ber= 
fönlichfeit liegen bie mobemen erotifefeen ©onflicte tiefer blofegelegt, unb 
nirgenb haben bie ©änger mobemer Sragif fo innige, bannenbe füJtelobien 
fingen fönnen. ©in grofeeS, weltumfpannenbeS Sfeema feerrfdjt feier bin- 
burd): SBie fi<h ber götttidjfte BJenfdj, ber bem 2tU baS harmonifdje ©leid)- 
mafe ablaufcfet unb beffen Bruft in einem Sltfeemjuge fich bewegt mit ben 
grofeen Brüften ber 5tatur, wie biefer Bienfeh plö|licfe non ben unnerftänb* 
lichften Qnftincten, bie ihm bie peinliche ©riitnerung ber Shieroerroanbtfchaft 
aufnötljigt, überwältigt wirb, unb wie feine ftotje ^öfee nor biefen bumpfen 
©ewatten in ben ©taub finft. 2Bie er fich unter taufenb 3udungen wehrt 
unb ;bo<h bie ganje ©üfee biefeS rafttofen 3 u einanberwollenS auSfoftet 
unb wie feine befte Äraft fich nerjehrt. ©nblicfe wie er morbibe unb 
feinnernig ift, alle bie complicirten ©enfationen aufjufpüren unb tief genug, 
jebe ©injelerfcfeeinung als winjigeS unb bodh wunbernott mit bem 2UI ner= 
webteS Sheilchen ber grofeen, tiefgütigen göttlichen SBelt ju betrachten. 

SaS alfo ift bie SBett, bie uns $amfun auftfeat. 3Ran begreift, 
warum niefet — wie bei ©trinbberg — ber ©ocialiSmuS in biefe Sßett fein 
nerwirrcnbeS ©efchrei tjineintönen taffen tonnte, warum nicht — wie bei 


Knut fjamfun. 


2U 


©arborg — bie ftir<$e Äraft genug üben burfte, ben 3)iüben in ihren 
Schooh }U betten, tiefer Siontantifer, ber bem Sieaten ferner ftef)t als 
Giner, lebt feine ißerföntichfeit in einer bämntrigen, füßburdibufteten gäbet 
roelt auä, in ber bie Fimmel nid)t oom fleinen Seben beS ©emeinmenfcb’ 
ti^eit begrenjt finb; in einer 2 öelt coli unoergleidjlidsein 3 auber unb 
IReij. Äein ntoberner 'Dichter, nicht ÜHaeterlincf, nicht Slnbere, heben ber 
mobemen Seele fo rounberootl tiefe Senfationeu abgelaufcht, unb eine un< 
enbliche gülle niegefannter Sdjauer be3 Urgebeimnihoollen, bis heut nodfj 
Unau3fagbaren, muffte er in feine Sieber 31 t bannen. SBenn e<3 roafir 
ift, bah man in oerjiueifelten Stunben, nad) Grlöfung fiebernb, Seelen 
fudjt, bie ihre Sdfme^en ber 2t?elt 311 m cgeile oerbichteten, fo roirb man 
fidjer erft erföft ahnten, wenn man in feiner 28e(t fid) tiebenb heimifdf 
macht. Senn baä ift ba§ Werfmat beS editen SiditerS, baß feine perföm 
lidifien, aHereigenften Sieije unb liefen sugleidi bie tppifdfe a?erbichtung 
feiner 3 e 't bebeuten. G3 ift betrübenb, baff man in Seutfdjlanb ^amfuit 
noch lange nicht giebt, roaä ihm gebührt, baß feine Sichtungen nur feiten 
noch wie ein intimfter unb geheimfter greunb 3 ur Seele fpredjen. 

©3 follte ba» SBeftreben biefeS SluffafceS geroefen fein, 311 t Grroedung 
beS gntereffeS unb 33er ftänbniffe^ für bie foftbare Äunfl £atitfun3 bei 311 = 
fieuern. greilicb wirb fie immer nur Ganiar fiir ba3 SSolf bleiben, aber 
alle Wobernfühlenben ftehcn hier oor einer unabweisbaren Pflicht. Ser 
Siebter ift heute 40 gahre alt, unb nad) einer unerhört jerftörten gitgenb, 
nadj langen fahren bitterfter Sorgen unb fürchterlichfter Kämpfe barf er 
fdjon auf ein SebenSroerf berabfehen,' baS ber gansen 9Belt Sichtung unb 
Siebe abnöthigen muh- Unb banad) biirftet ja aud) beS fdheueften Zünftlers 
Seele. .fjamfun freilich, ber einfame Sage in ben finnifdjen Sänbern oer- 
lebt unb uitä nod) tnandjeS föftlidfe Socument feiner reichen Seele hoffentlid) 
fchenfen roirb, möchte in rübrenber Söefdheiben^eit alle ^ulbigungen ablehnen. 
Wan follte aber nie oergeffen, bah Guropa an biefent halbgebrochenen Sehen 
fo gut roie 2Ule3 gut 3 umad)en hat. ©eht Cjin, left ihn! Sann roerbet 3hr 
ihn lieben unb mit freubigerglän 3 enben Slugen erlernten, bah nie einen 
greunb befeffen habt, ber tiefer unb oerroonbter unb erlöfenber 3 U Gucb 
gefprodien hat. 





Subtmg 2Mftaf> unö Darnfyagen von <£nfe. 

2 Ttit ungebrucften Sriefen. 

Don 

SCbolf ftofjut. 

— Berlin. — 

||erfunfen unb oergeffen — ba3 ift beS ©ängerS glud)! 2 öer 
fennt ihn nodt), beit eiitft fo gelefenen, fruchtbaren IRomanfcbrifts 
ftetler unb ©rjä^Ier, beffen gefammelte ©dbriften 24 biefteibige 
Sänbe auStnadben! . . . Unb bodb hätte Subwig 9iett ftab ein beffcreS 
Soo3 oerbient. ©dbon ber Umftanb, baß er faft oierjig $af)re binburcf) in 
einem großen Serlitter Statte unentwegt bie mufifatifd^e Äritif übte, Ächtern 
ju Siebe unb Äeinem ju Seibe, unb itn joumaliftifdben SDienft feine Äräfte 
auf rieb, oerbient ganj befonbers mit 2 tnerfennung genannt ju werben. 
®urdj feine fdbarfe ffeber hat er fo manchen StageSgöfcen, jroie 3 . 33. ben 
muftfgeroaltigen fRitter ©aSparo ©pontini, geftürjt, unb alle Seyationen 
unb Serfolgungen, welche ihm in .fjülle unb Sülle ju Xbeit würben, tonnten 
ihn nicht oeranlaffen, feine ehrliche Steinung (tu wedhfeln unb fein unbeftedb- 
lidbeS Urtheil ju fälfdhen. 

Durdt) feine ©teilung fowohl, wie feine überaus oerjmeigte Iitterarifch' 
pubticiftifdhe ^hatigfeit ftanb er mit ben nambafteften Sßerfönlidifeiten SerlinS 
in ber erften ^ahrhutrberthälfte in regem Serfebr. 

3n erfter Sinie war eö Sarnbagen ooit 6 nfe, ein ihm congenialer 
©eift, mit bem er fleißig correfponbirte. 

®ie h‘CT Juni erften Stal gebrueften Sriefe SReüftabS an Sambagen, 
welche fidh in ber §anbf<hriftem 2 lbtbeilung ber Äöniglidben Sibliothef in 


Cnbtpig Hellftab unb Darn^agctt oott €nfe. 


2\3 


Serlitt 6efinben urtb mir jur Verfügung gefiettt mürben, finb ein fefjr mefent- 
lieber Seitrag jur Seurtijeilung be£ ßfjarafter^ be3 intereffanten unb tuerf- 
murbigen ©cbrtftftellerS. 

i. 


Berlin, 2. Secember 1828. 

Hoehberehrter Herr ßegationSrath ! 

68 tfjut mir fcfct faft leib, bafj ich in bem Satt gemefen bin, nicht 3hnen, fonbern 
einer achtungSmerthen ©adje meinen S)ienft gu leiften, moburd) eigentlich mir ber mabre 
3)ienft gefcheben; ba ich int Segriff bin, 3biten eine Sitte borgutragen, möchte es faft fo 
erfebeinen, als mottt* ich auf mein gufäUigeS Eintoirfen babei einen SSerth legen. 3lm 
nädjften Sfreitag toirb ©err bon $ oltei ein bon mir berfafeteS Xrauerfpiel: „Srang bon 
©iefingen 44 lefen; td^ trage eS nicht, ©ie eingulaben, biefer Sorlefung beigumobnen; ba& e8 
mir aber bon ungemeinem SSerth märe, menn biefe Slrbeit 3&re Xheilnabme fo toeit erregt, 
bafe ©i e ftch entfehliefcen, fie aitgubören, ba& eS mir noch oiel mehr merth märe, menn 
©ie fie angdjört hätten unb eS nicht bereuten — baS barf ich mohl nicht erft berfichem. 
Slber noch einmal — ich möge eS nid)t, ©ie eingulaben, erfülle aber, inbem ich bie bei= 
folgenbe S?arte gu überfenben fo frei bin, memgftenS meine Pflicht, bie mir eine Eigenliebe 
befjerer &rt aufgulegen fdheint. Stoch einmal bitte ich aber aufrichtig unb bringenb, 
bafe ©ie ftch fa burch feine Dtücfficht gu einem Opfer beftimmen laffen mögen. 

Sttit ber auSgegeichnetften Hochachtung 

3hr ergebenftev 
ß. Diellftab. 


II. 

Serlin, 29. Sufi 1838. 

Hochberehrter Herr ßegationSrathi 

3n biefen Xagen ift mir bon ttnbefannter ©eite: „$aS Such ber Erinnerung 4 ' (au 
Btahel, bie berühmte ©attin SarnfjagenS) gugetommen. ©o fern ich ber 3bnen fo theuren 
Serftorbcnen geftanben, fo mei& ich bod) Sttemanb aitberS, burch ben ich biefeS ben 
Sreunben getoibmete Statfmal erhalten fömtte, als ©ie felbft, unb ich mufs eS auf bie 
©efabr hin, für annta&enb gehalten gu merben, barauf toagen, 3htten meinen $anf auf* 
richtigft. abguftatten. 

©chon früher mürbe ich baS gethan haben, aber burch meine ©tettung gu fehr 
baran gemöljnt, Siichergufenbungen, bie für mich ohne alles 3ntereffe ftnb, nur beSfjalb 
gu erhalten, bamit ich eine 5Ingeige berfelben beranlaffe, bin ich gumeilen fo itachläffig, bie 
badete einige Sage uneröffnet gu laffen. £ieS begegnete mir auch hier, mo id) eine 
Etobe ermartete, auf bie ich freilich nicht hoffen burfte. Entfchulbigen ©ie baher meine 
Serfpätung. 

ttJtft hochachtungSbotter Ergebenheit 

ß. Dtellftab. 


m. 

Serliit, 30. 2ftärg 1844. 

Hoäjberebrter Herr ßegationSrathi 

Sergetbeit ©ie meinen berfpäteten $anf für bie neue, attgiehenbe ©abe, bie ich 3hter 
©üte toetbanfe; hoch ich mottte einiger 2) to&en ioenigftenS barin heiutifch getoorbeit fein, 
bebor ich mir erlaubte, 3huen gu fagen, mie angenehm mir 3br ehrenbeS ©efebenf ge« 
mefen. ©erabe Sfcith (über melcben Sarnhagen ein Söerf gefdjrieben) mar eine Serjön* 
lichteit, bie müh fetS mächtig angegogen, unb bie ©chlacht oon H^ürch hat mir auch 
fchon Hnfofj gegeben, mich auf meine SSeifc mit ihr etmaS näher gu befchäftigen — in 
einer Stooette. 

®a§ ber ßaie, ber blofee ßiebhaber Shrer ©chriften unb ©egenftänbe, mit benen ©ie 
fleh aus tiefgefühltem unb erfülltem Semf befchäftigen, es mögt, ber Sklt barübev 



Ubolf Kobitt in Berlin. 


2 ^ 

einige Borte gu faßen, bie ihre Slufmerffamfeit auf baB Stoch lenfen mochten, ift eine 
Unart, bie Sie meiner langen ©ewobnbeit fdfjon nad)fel)en miiffen. 

§od)achtungBüott unb ergebenft bet* ^rige 

2 . SWlftab. 


IV. 


Berlin, 26. Sunt 1845. 

hochgeehrter rr ßegatümSratf)! 

Sitte 3f>re Butbmaßuugcn ftiib nur gu begriinbet 3>aB betlicgeitbe ©enfur * 
fd)itittcben giebt 3bneu beit $eleg in bie haitb. Bir beabfidbtigen nun eine (Eingabe 
an baS Dbercenfurs©erid)t gu machen, über bte ich jebod) mit herrn Sufti^rat^ ßeffing 
Stücffbradje nehmen muß. Sie werben bod} nicht entgegen fein? 

3d) batte nod) eine gweite Stelle, bie Slertbeibigung föelb’B, auB 3b*em höchft 
intereffanten S3ud), baS id) nun gang unb mit gefehltem Slittbeil gelefen, abbrucfen motten, 
aber i<h begWeifle febr, baS 3nWrimatur gu erhalten. 

Bit üorgüglicbfter $ochad)tung 

3br ergebenfteT 

ß. SHellftab. 


V. 


Berlin, 81. $>ecember 1845. 

^ocbgeebrter §err ßegationBratb! 

Seit längerer 3 e it fdjoit faft nte & r gleicbßiltig gegen bie äußeren Erfolge, 
welche bie aus meinen Sbeett entfpriugenben Slrbeiten haben, wäcbft in eben bem Baße 
mir Bertb unb Bidjtigfeit beB mabrbaften UrtbeilB, bei* bemühten ömbftnbnng, bie burch 
meine Skrfudjc ergeugt werben. Beleb* hoben SBertb baber baB, was Sie mir über mein 
Stoch fageit, für mid) haben muß, wie mir babureß ßuft unb Straft gu neuen Arbeiten 
geftärft werben, mögen Sie felbft ermeffen. 

3cb Weiß febr Wobt, meid)’ bebeutenben Stbgug in ber 3§eraufd)lagung Sbrer gütigen 
©efinuung gegen mid) ich madjen muß; anbcrerfeitB oerebre [ich 3bre Wahrhaftige 
Meinung gu febr, unb barf ihr gu ficbereB Vertrauen febenfen, alB baß ich nicht ein 
wahrhaftes ©litcf unb ein ficbereB Sefißtbum tu beit feilen fcbäfcen müßte, bie Sie mir 
fo überaus moblwottenb gefanbt. 

Nehmen Sie meine JJreube barüber als beit beften ^beil meineB StanfeB an. 

$aß 3h« BeibnachtStage burd) einen fo itabegebenben S3erluft getrübt ftnb, erfüllt 
mich mit iunerftem Slutheil. Slucb ich finbe mich fdjon guWeilen baratt erinnert baß 
jebeB ßebett gitweileit eine $eriobe erreid)t, in ber man bloS ab blühen ftebt loetl man 
ben frifd)eit SlufWucßS utuber nicht mehr alB fich gttgebörig gu betrachten bermag. Bohl 
bem, ber eben fo öiele innere §etlqnelleu finbet, als ficb 3bnen eröffnen! 

$aß 3bneu biefetbeu gu 3brem unb unferent 93efteu noch lange unb redlich 
fließen mögen, ift mein Bunfd) gum neuen 3ahr. 

Bit üorgitglicher §od)achtung 

3b* ergebener 

2 . Mellftab. 


VI. 

Berlin, 12. Dctobcr 1847. 

5>od)geebrter £err ©eh. ßegationBratb ! 

©eftatten Sie mir für beit SlugenblidC, 3h»^n meinen aufrichtigften $>anf für 3b*e 
neue 3ufenbiutg gu fageu, oon ber ich mir, wie oon Sittern, Was Sie ber Belt an tttterari* 
fdien ©rgeugitiffen bieten, bie größte greube nerfbrecheu barf. 

3ugleicb erfüllt mich 3b* raftlofer, wirtlicher ftleiß mit ©rftaunen; meine ger* 
Witterte Xbätigfeit ift nur eine fdjeiitbare. 


Cubroig Hellftab unb Darnhagen von <£ttfe. 2\5 

34 fy)ffe, für bcrt lebten 9teft an ßebenSiahren no4 eilte anbete 2lrt be« £hun« 
üben 31t ßnneu unb bann, toemt nicht früher, halte *4 ba« mir felbft gegebene 23er* 
1 bre 4 en, bie Biographie unb (Sharafterifiif meine« JreunbeS (Barnpagen), in betn t4 noch 
immer, trofc aller eingetroffenen ßeben«erfahrungen, einen ber aufeerorbentlichften 3Jtenf4en 
in Beziehung auf feine !ünftlertf4e unb geiftige Drganifatton überhaupt fepe, gu f4reibeit. 

3)o4 gerabe biefe« Sßerf bebarf, bei meiner SBeife, ber 3eit, ber Steife, ber @amm=» 
Iuitg — unb non attebem habe i4 iefct faft fo toenig al« ni4t$. 

SD^it oorjüglicher §ocpa4tung 

3hr 

öerehrung«öoII ergebener 
fi. SfteUftab. 



Streiflichter auf bie Kriegführung in Sübafrifa. 

Üon 

25. ßogalla hon 3ßiefietftein. 

— Breslau. — 

oht nie hat fidh bie friegerifdhe SeiftungSfähigfeit eines Keinen, 
iebigtief) Siehjudfjt unb 2lcfer6au treibenben, jebeS namhaften 
regulären ßeereSfentS entbehrenben SolfSfiammeS in fo über- 
rafdhenber unb glänjenber SBeife bocumentirt roie biejenige ber Suren im 
jefcigen Stieg mit ©nglanb. Sicht nur bafs bie Seroaffnung aller 23ehr* 
fähigen »om Jüngling bis }um ©reife non ihnen tfjatfäd()lidE), bis auf bie 
unerläfelidhfte geringe Seamtenjahl in ber ßeimat, ohne jebe 2luSnahme 
unb mit weit auSgebefjnteren SttterSgrenjen roie in jebem anberen fianbe 
mit allgemeiner 2Bef)rpflidf)t, burdhgeführt rourbe, fonbern bie Sorbereitungen 
jum Stiege erfolgten bem ju erroartenben ©egner auch berart »erborgen 
unb mit foldher ©adhfenntnifj unb ftntenfität, bafj fidh ber ßödhftfomman* 
birenbe ber englifdhen 2lrmee, Sorb SBoljeteg, mehrere SBodhen nadh 9luSbru<h 
beS SriegeS ju bem befdhämenben ©ingeftänbnifs genöthigt fah, man habe 
bie ©tärfe unb SeiftungSfähigfeit beS ©egnerS »öllig unterfdjäht. 

2Bot)l hatte bereits ber £ran3»aat*Srieg »on 1880/81, in roeldhem / 
bie englifdhen Gruppen ber SriegStiidhtigfeit ber Suren »öHig unterlagen, 
biefelbe fdjjon in glänjenbem £idfjte erfdheinen taffen, allein, bajj fidh bie j 

friegerifdije SeiftungSfähigfeit ber Suren in einem berartigen ÜRafie entfalten | 

roiitbe, roie bieS im heutigen Sriege bis jeßt namenttidh in Satal ber galt ; 

war, hatte Siemanb geglaubt. I 

®ie ©nglänber unterfdhäfeten nidht nur l bie 3af)t ihrer ©egner uotO 
ftänbig, inbem fie biefelbe auf 30 000, haften 8 40000 -Kann »etan- 
fdhlagten, roährenb biefelbe nadh Angabe ©eneral QoubertS heute bereits ( 

50 000, nadh ©dfjäfcung Slnbeter 60 000 ÜJlann beträgt, fonbern fie hatten ( 




Streiflichter auf Me Kriegführung in Sübafrifa. 2\7 


auch feine 2 lfinung banon, öaft ber ©egner fid^ mit einem bent irrigen be* 
trädbtlich überlegenen gelbgefchüfc-Dtateriaf nerfeben f>abe, welches mehrere 
Kilometer roeiter trägt als baS ihrige, unb, waS im fübafrifanifthen ©e* 
länbe befonberS wichtig ift, ©ranaten unb ShrapndS, nicht bloS @^raptic(§, 
toie baS englifche gelbgeidjüfc, nerwenbet, fowie aus jahtreichen HJtarinu unb 
9lorbenfelb* unb jum Xbeii aus ben mobernflen Scbnettfeuergefcbüften, bie 
ben ©nglänbern mit SluSnahme einiger 2Karinegeid)üt:e fehlen, beftebt, unb 
bafj ber ©egner sugleidj über fdfwereS SelagerungSmaterial nerfügte, welches 
er nicht nur erft bei Sabpfmith, fonbern non Anfang beS gelbjugeS an, 
fdjon bei ©tencoe=$unbee in jwei 40 ißfünbern mit beftent Grfolg jur Ser* 
tnenbung im offenen gelblampfe brachte, unb bamit jutn erften 30lale 
ein nöllig neues bei ben 9lrmeen beS ©ontinents jmar not« 
bereitetes, jeboch noch nicht jur 2 lnwenbung gelangtes Sltoment in 
bem heutigen ^elbfrieg tbatiäcbtich einfübrte. £er Sefdjieftung ber 
beiben 40 Sfünber ber Suren nom 3>mpate Serge unb ber Strafte nach 
GbarleStoron her gegenüber fab fi<h baS englifcfte £ruppencorpS ©eneral 
9)uleS non 4 SataiHonen, 3 Satterien unb 1 ©anallerie«9tegiment, in einer 
Stärfe non 5000 STfann, 5 U auSmeidfienbetn £>in= unb &ermarf<he jwifchen 
®unbee unb ©lencoe genötigt, unb bie napoleonifdbe Sortierung, im Kriege, 
wenn möglich, mit einer neuen 2 Baffe unb neuer £aftif auf* 
ju treten, würbe non ben Suren, fei cS berouftt, ober in ©rfennung 
geroiffer unbeftreitbarer Schwächen ihrer Organifation unb Streitfräfte für 
bie Offenftne, bem taftifd) gefchulten regulär organifirten ©egner gegen« 
über, infiinctin befolgt, ©ine nortreffliche Schulung, allerbingS nur im 
Reinen Stiege, bei ben ^abrjebnte fgnburd) non ben Suren geführten 
Sümpfen gegen bie Saffern erworben, beren räuberifthe ©infälle fi<h bis in 
bie neuefte 3 ^it erftreeften, erfeftte ben Suren in nielet ^infidjt bie metl)obifche 
SriegSauSbilbung einer regulären 2ltmee unb befähigte fie ju ben heften 
Sdjieftteiftungen fowie gefdbidtefter ©elänbebenufcung unb nerlieb ihnen bie 
befonbere ©igenthümlichfeit ihrer Sriegfüftrung, beren ©runbprincipien in 
gröftter Sorjtcht in ben Operationen, Senorjugung bitrd) l£errainbefd)affen* 
heit unb fünftliche Sefeftigungen ftarfer ©efenfiuftellungen, unb für ben 
Angriff in bet oötligen ©infreifung beS ©egiterS }U iftn erbriiefenber Um» 
faffung, fowie in ntöglichfler Schonung ber eigenen, bei ber fchwacben Se« 
nölferung boppett roertbuoHen unb unerfefttidjen 9)Jenfd;en leben im ©efeeftt 
beftehen. fDiefe ©runbfäfte bilben in taltifcber wie ftrategifeber $infi<ht ein 
gleich gefunbeS gunbament un b finb lebiglidh, was baS 3lngriffSoerfabren be« 
trifft, nur bei numetifther Ueberlegenbcit ober ber ber Sewaffnung burd)fübrbar. 

Obgleich am 2 Jtajuba»Setge 1881 empfinbfidfj belehrt, fuhr ber 
englifche ®ünfel fort, bie b<>b eit friegerifdien Gigenfthaften beS ©egnerS aber« 
mals nöllig gering ;u achten, unb jerfplitterte bie englifche £eerfübrung ihre 
ohnehin numerifch weit über hoppelt fo fchwacben Sräfte wie bie beS ©egnerS, 
in 9tatal burch bie Einnahme ber weit norgefdjobenen ifolirten, non um* 

?lorb unk Siib. ICII. 275 . 15 



2*8 


21 . Hogalla 0011 Bieberftem in Breslau. 


liegenben ßölfen bis auf 5 km unb baruntet bominirten «Stellung non 
©lencoe*Dunbee, mit Slüdfidjt' auf bie burcfe bie 3 u f u h r aus Jnbien ent* 
behrticfje Koljlenförberung ber SJKnen »on Dunbee, unb fdjritt, nadfbem 
baS GotpS ©eneral 2)uteS mit fnapper Siotl) einet Kataftrophe entgangen 
unb nach flucfetähntichem Siücfjug in »ötliger Kampfunfähigfeit bei Sabp* 
fmith eingetroffen mar, jur Sertheibigung biefer non mastigen Slnhöljen be : 
herrfchten, feineSmegS ftarfen Stellung. 

Obgleich Sabpfmith feit nier fahren ein engtifd^eS Saget unb einige 
taufenb SJtann Sefafeung enthielt unb baS britifdje 5Dtilitär*Gentrum unb 
ben für ben Krieg auserfehenen Stüfepunft unb Depotplafe mit großen 
SJtunitionS* unb ißtoniantnorrätben im nörblidben Stotal bilbete, rourbe 
englifdjerfeits »erabfäumt, bie bie Stellung bominirenben &öben beS 
SombarbS^KopS unb 3fuubulroana*SergeS zc. ju befeftigen unb mit etwa 
3—4 ferneren Batterien ju artniren, bie genügt hätten, Sabpfmith gegen 
jeben Angriff bet 5öuteu ju fidjern. Stilein offenbar hielt es englifcherfeits 
Siiemanb für möglich, bafi bie Suren mit fdjwerem ©efdfüfc im gelbe auf* 
treten fönnten, unb unterliefe ntan es, obgleich eine fpätere Offenfine burdj 
baS fcfewierige ©ebirgStanb JtatalS auf Pretoria, namentlich als bie bortige 
JnnafionSabficht ber Suren fidj auSgefprodjen hatte, als au^gefd^toffen gelten 
mufete, fogar ben wichtigen Tunnel non SaingS Sied redjtjeitig grünblich JU 
fprengen unb baburcfe ben gefammten Stachfdmb ber Suren feljr ju er* 
jchmeren unb biejeitigen an fchroerem ©efdjüfc minbeftenS fehr ju nerjfgem, 
nietleicht unmöglich ju inanen. SRan lebte englifcherfeits in bem ffiahne, 
bafe bie Suren*Slrmee fiih mit ben regulären Streitfräften beS englifchen 
&eereS, bei nicht ju grofeer Inferiorität berfelben an Bäht/ im ftampf in 
offener J-elbfdjlacbt einfach nicht tneffen fönne, unb baS englifdje Jntetfigenj* 
Departement war noch ganj furje Beit »or Seginn beS Kriege« aufeer* 
orbentlidj mangelhaft über bie Lüftungen, KriegSbereitfchaft unb Stärfe 
ber Suren unterrichtet. Obgleich äatflreidhe britifdhe Cffijiere fich in ben 
lefcten Jahren unter irgenb einem Sorroanb in DrattSoaal aufhielten, ner* 
mochte feiner berfelben feine ^Regierung über bie fRüftungen beS SanbeS, 
mit bem binnen furj ober lang ber Krieg berorftanb, ju informiren. Unter 
ben Singen uon nieten Daufenbeit non englifchen Untertanen mürben bie 
Sefeftigungen non Johannesburg errietet, unb ungeachtet beffen erfuhr 
man in Sonbon nicht bie genaue Slrmirung berfelben, obgleich bie für fie 
beftimmten ©efdiüfce in Delagoa Sai unb Durban gelanbet mürben unb 
es bähet nicht fdjmierig mar, ihr JabrifationSlanb, Galiber unb balliftifchen 
Seiftungen in Grfahrung ju bringen. Offenbar gelang es ben Suren, roie 
©eneral Joubert in feinem befamtten Sriefe berichtet, bie englifchen Kunb* 
fchafter über bas Sorhanbenfein ihres neuen vortrefflichen 3lrtiHerie*ÜRaterialS 
völlig ju täufdjen, fie nur einige oeraltefe ©efdmfce fehen ju taffen unb 
einen SRunitionSuorratt), ber auf einen boppelt fo grofeen mie ber im Kriege 
uon 1870 beutfdjerfeits uerbrauchte angegeben mirb, in ihr Sanb ju fchnffen. 



Streiflichter auf bie Kriegführung in Sübafrifa. 219 

©rft fcfrr fpät fam man im engtifdjen Ärieglminifterium su ber Gr= 
fenntnife, baß el ju biefem Kriege über 70 000 ÜJianti bebärfe, allein bie 
politifche 3lction bei Gabinet# entfpradj nicht ber »öllig mangelnben Striegl= 
bereitfdiaft ber ©treitfräfte unb uottjog fid), gefiüßt auf gaitj mtjutreffenbe 
Seriicherungen bei Krieglamtel betreffenb bie rafdje 3)lobitmacl)ung ber 
Gruppen, oiel ju fchneff, fo bafj bie politifdh aggreffit» norgehenbe üBetb 
madf)t ©nglanb ber militärifch angreifenben ber beiben Meinen 9iepubtifen 
gegenüber, fid) in bie befdjämenbe unb fatale Situation terfeßt fal), ber 
nur etwa 250 000 Stöpfe jäljlenben SuteroSeoölferung gegenüber in ber 
Zwangslage ber Defenfine ben ftrieg beginnen ju müjfen. 

Dal fchroerfättige SRfiftung#- unb fötobtlmadjunglfpftem ©nglanbl für 
größere (Solonialfriege roar jebod) ben Suren fehr too()l befannt, unb ber 
Zeitpunft, in meinem fte ihr Ultimatum [teilten, bähet gut gewählt, benn 
fie nerfügten permöge ihrer fdilagfertigen Drganifation über bie fofortige 
Ärieglbereitfdjaft pon minbeftenl 30 — 40000 SJtann, aufjerorbenttiche 
©änefjfertigfeit unb Seroeglicbieit ihrer berittenen Infanterie, mobemfte 33e= 
waffnung berfelben, wie ermähnt, eine beffer beroaffnete Slrtitlerie unb baher 
in jenem Zeitpunft eine roeit überlegene ©treitinad)t mie bie bei ©egnerl. 

Zbt fßlan, ben gelbjug in bem ihrer gedjtroeife befonberl günftigen 
©ebirgllanbe 9latall fofort ju beginnen unb bie ©nglänber in’l 3Jteer ju 
treiben, roar eine Zeit lang auch, roal feinen jroeiten unb roidjtigften Dljeil 
betraf, pottfontmen bur<h führbar, allein hier perfah el, roie el fdjeint, bie 
Diplomatie in ^Pretoria unb rechnete auf bie ©infdiränfung ber gorberungen 
ber ©nglänber, anfiatt ben günftigften Sötoment ihrer pöttigen ©chroädje $u 
benußen, all bie inbifdhe Srigabe pon 5000 SDtann noch nidjt in ÜRatal 
eingetroffen roar, unb batnall bie Dffenfipe mit ganj anberer Slulftcht auf 
Grfolg ju ergreifen, roie bie# einige Sffiodjen fpäter gefchaf). ©eneral 
Zfoubert mürbe im erfieren gatte ooraulftdhtlidj bal 2lufgeben pon £abi)= 
fmith erjroungen, ©ftcourt unb fpietermarißburg genommen unb bie 
Druppen ©eneral SBhitel na<h Durban unter ben (Schuß ihrer ©djiffl* 
gefdhüße getrieben, oietteidjt biefe# felbft eingenommen hüben. Den ßngtänbem 
ober fiel allbann bie äufjerft fchroierige Aufgabe ju, bal ber Sertljeibigung 
befonberl günflige Serglanb ganj Utatall jurüdjuerobem, eine Aufgabe, bte, 
einem ©egner roie bie Suren gegenüber, ber bort 2 Sahnlinien für feinen 
Uiatbfdjub jur Serfügung hatte unb überbiel porn Sanbe felbft leben fonnte 
imb, roie bemerft, ein ber Sertheibigung unb feiner eigentümlichen Jtrieg; 
führung äufjerft günftigel ©elänbe porfanb, aufjerorbentlidj fdfroierig roar. 
Die ©ngfänber begingen aber, in weiterer Unterfdfjäßung bei ©egnerl, ben 
fehler, obgleich fie ftdj bi# jum ©intreffen bei ju mobilifirenben 2lrmee= 
wrps auf bie Defenfipe perroiefen fahen unb ihnen bie Suren mehrere 
^-'wben Zeit liehen, ihre ^auptoperationllinie in 9iatal, bie ©ifenbaßn nach 
abpfmith, nicht burdj bie 2lnlage nerfchanjter ©tüßpunfte ju fiebern nnb 
1 kw nndhftgen glujjübetgängen bei Dugela unb SDtooirioer ftarfe hoppelte 

15 * 



220 21. Hogalla Don Bieberftetn in Breslau. 

Srüdenfopfbefeftigungen anjulegen utib ju beferen. Sßre einjige roefenttichere 
richtige SDtaßregel beftaitb barin, baß fie Sabpfmitß rocnigftenS julänglidj 
befeftigten unb auf mehrere IDionate mit affen StriegStorrätßen terfahen, 
foroie baß es ihnen noch in jroölfter Stunbe gelang, einige fernere aRarine* 
gefchüße bortbin ju fc^affen, bie, wenn fie ctroa in ber Slnjabt ton jroötf 
bort tiertreten waren, bie ©inßhtießung unb Sefdjießung oorauSftcbtlid) un= 
möglich gema<bt haben mürben. 

®ie ©inmarfdjoperationen ber Suren toffjogen fieß ftrategifd) oofffomtnen 
ridhtig unb mürben, roenn für beibe ffiepublifen nur auf bie einjige unb 
noch baju im Sßeften unterbotene Sahnlinie ton ^arrpfmith, mie manche 
forbern, terroiefen, mit großen Sdhroierigleiten ju fätnpfen gehabt hoben. 
Sie erfolgten concentrifd) gegen bie beiben .fjauptftüßpunfte ber ©nglänber 
©lenco&Sunbee unb Sabpfmith. 3Ittein es gtiidte ben Suren ni<ht, mie 
»on ihnen beabftcfjtigt mar, ba§ terhältnißmäßig fcßroache ©orpS ©eneral 
9)ule8 ju umjingefn unb bei ©unbee gefangen ju nehmen, ba foroofft bie 
©olomte ©raSmuS beim erften Angriff auf 'Dunbee nidEit toffjäßlig eintraf 
unb nicht redjtjeitig genügenbe Streit Eräfte beS IjauptcorpS in ben Dtüden 
©enerat 9)u(e3 birigirt mürben. Mch bie nidht eintretenbe Unterftüßung 
beS ifolirt bei ©lanbätaagte gegen Uebermadjt fämpfenben GorpS Dberft 
Schiets erroieS (ich als ein fehler ber Suren. 

immerhin gelang eS ©eneral $oubert, ohne beträchtliche Sertufte 
Sabpfmith am 29. Dctober ju umringen unb feine taftißhe Ueberlegenßeit 
über baS ©orpS ©enerat 2£l)tteS in bem Stampfe tom 30. Dctober glänjenb 
ju bocumentiren, beffen MSgang baSfetbe ton ba ab an Sabpfmitß feffelte. 
©elänge eS ©eneral SBßite, moju nach ber fftieberlage ©eneral SufferS am 
Sugela afferbingS feljr wenig Msficßt torßanben ift, fich bort bisS ju ber 
fel)t jroeifelhaften Sefreiung burdj baS injroißhen perftärfte ©ntfaßcorpS 
ju hotten, fo hätte er afferbingS feine politifdh unb militärifch wichtige 
Mfgabe, ben 9torben 9?atalS nidht röffig preiSjugeben, erfüllt. Mein 
biefelbe mar unter ganj anberer SlctionSfreißcit gebacht mie bie ihm »er* 
bliebene äußerft geringe, bie burd) bie enge Ginfchtießung ber Suren unb 
ihr ßeranfüßren ton SetagerungSgeßhüß auf baS Minimum gelegentlicher 
Keiner Msfciffe befdjränft mürbe, unb ihnen fogar baS Sorbringen auf 
Sietermaripburg unb nad) bem 2)fooiriter unb beffen roeibe* unb beerben* 
reichetu Stale jur Seitreibung ton ^rotiant unb gourage geftattete. Sern 
hier febodj fühlbar merbenben Sorgeheit beträchtlicher Streitfräfte beS 
englifdjen GntfaßcorpS gegenüber faß fid) ©enerat $oubert genöthigt, hinter 
ben Sugcla^iuß jurüdjugehen, um nidit etwa in einen nachtheiligen Stampf 
tor betufelben terroidelt ju werben, unb jugleich mit ben eigenen Streife 
fräßen ben ©egner in bie Stellung am Xugela ju jieheit. £ier an bem 
jur 3eit nur nod) eine furtbare Stelle aufmeifenben Sugeta-gtuß, beffen 
©ifenbaßn* mib gußgäitgerbrüde bei ©olenfo heute jerftört, unb beffen 
ftarfe SertljeibigungSfteffung burdj ben Stampf am 15. Secember ermiefen 


Streif tidjter anf tcte Kriegführung in Sübafrifa. 22 \ 

ifl, mit bcm ftarfcn Paffirbarfeitshinbemiß beS £ugela in ber gront, bem 
Ä(ips3fü»cr unb bem SCugeta auf ben glanfen, unb im ÜKorben an ben 
9BirfungSberei<h ber SelagerungSbatterien von Sabpfmitß gelernt, muß fich 
binnen Äußern, falls ©eneral 33uHer mit ber 5. SDivijton unb einer 
Slnjabf SelagerungSgefchüfce genügenbe Serftärlungen für bie SBicberßolung 
feines SorftoßeS erhalten hat, ber EntfcßeibungSfampf um ben Entlaß Sabp« 
fmitßS vottjießen, unb viele föertjältniffe f preßen babei ju ©unften ber Suren. 

9lu<h auf bem roefttichen unb {üblichen StriegSfdjauplaß mar baS Sor* 
geben ber Suren planvoll unb jielberoußt. Serennung ber Hauptftüßpunfte 
beS ©egnerS: StimberleqS unb SDlafefingS, foroie bie Unterbrechung bet 
Saßnverbinbung nörbli<h unb füblidj beiber Stabte mit Sapftabt, unb bie 
Sefißergreifung ber bajroifcßen fiegenben ©ebiete, foroie baS Sorbringen 
in’S nörblidje Eaplanb auf SurgerSborp, Sterfftrom, GoleSberg unb -Jtaauro« 
Port unb bie gerftörung ber roiditigften Eifettbaßn« unb Dranjeflrombrücfen 
bejto. beren Sorbereitung, waren hier geboten, um forooßl ben Englänbern 
bie geplante Dffenfive möglicßi’t ju erfdhtveren, wie jugleicß namhafte Streit« 
frafte ber hollänbifdjen Gap * Gotoniften ju fid) herüber ju jießen. Mer« 
bingS machte fich hier vor llimberlep unb 'JJtafeftng wie auch vor Sabpfmitß 
eine bebeutenbe 2ücfe in ber StriegStüditigfeit ber Suren empfinblich be« 
mertbar, biejenige, baß ihnen bie Straft, eine fpftematifche Selagerung mit 
parallelen unb Saufgräben, unb biefelbe, in Ermangelung einer genfigenben 
©efchiihjahl mit einer jroeiten unb brüten Slrtitlerie =2lufftetlung burcßsu« 
führen, abgeht. Mein bie ferneren Ulieberlagen Sorb SMßuenS bei 
2RagerSfontein am 11. ©ecember unb biejenige ©eneral SuHerS am 
15. gleichen biefen 9la<htheil roieber aus unb fdieinen beibe piäße ju gatte 
bringen ju fotten. 

$>ie Sruppenführung ber Englänber hat ftch in beiben Stümpfen 
foroie namentlich bei bem gefdjeiterten UeberfaH von Stormberg auf einer 
feßr niebrigen Stufe erroiefen, unb, ungeachtet beS ihr befannten mit 
Hinterhalten operirenben GharafterS ber Kriegführung ber Suren, bie 
Gruppen nicht vor ben empftnblicEjften unb verluftreichften Uebertafchungen 
ju fdjüßen gemußt. gn allen brei gälten unb auch beim erften Stampf 
am ttJtobberfluß fehlte eS foroohl an ber unbebingt er forber liehen genauen 
9tecognoScirung beS ©etänbcS roie an ber Gntfenbung genügenber Sor« 
truppen jur Sicherung, gmmer beutlicher fteHte eS fid) heraus, baß ber 
gefammte britifdje HeereSorganiSntuS nicht auf ber Höhe ber geit fteht, 
baß bie Gruppen, verroöhnt burch leichte Erfolge gegen roilbe Sölferftämme, 
leine genügenbe MSbilbung in gelbmanövern gegen nach ntobernen ®efettftv« 
grunbfäßen verfahrenbe ©egner, roie bie Suren, befißen, baß fie ferner 
■über eine jroar quantitativ überlegene, jeboch qualitativ feßr mittber« 
roerthige gelbartitlerie verfügen, bie nur ben Sßrapnel« unb nicht ben ganj 
unerfefclühen ©ranatfehuß beftßt. UeberbieS roar baS burch bie Sefeßung 
langer SerbinbungSlinien abforbirte englifdhe GjpebitionScorpS ju fcßroach. 



222 21. Sogalla oon Bieberjtein in Breslau. 

um ben Suren auf bem Sdiladjtfelbe mit numerifdjer Ueberlegenheit 
entgegentreten su fönnen. Tiefelbe mar aber gegenüber oon 9tatur fehr 
ftarfen, bitrd) bie Äunft noch oerftärften befeftigten Stellungen, bie burdj 
oortrefflidj fdjiefjenbe mit 9tepetitgeroel}ten bewaffnete Sdjüfcen foroie eine 
3lnjat)l S<hnellfeuergefd)üt3batterien unb jaljlreicbe 9Jlapimgefdjübe utib 
Atapiingeroebre oertfjeibtgt finb, unbebingt geboten. 

TaS Äampfprincip ber Suren befielt lebiglidj barin, in ber SBirfung 
ihrer Sdjufjwaffen in ber toftifcfjcn Tefenfioe, unb jroar in ftarfen, be* 
feftigten Stellungen, unb nicht in ber taftifchen Dffenftoe, eS fei benn fie 
befänben fidj, wie am 30. Dctober, in ftarfer Uebermad)t, unb in ber 
3)tanöorirfäbigfeit, mit ber fie ihre oielfadj feE»r auSgebeljnten Stellungen 
ju befefeen oermögen, ihre ©rfolge ju fudjen, um fid) bei ber UnerfefclW&feit 
ihres SJenfdjenmaterialS feinen nicht roieber gut ju ntadjenben Serluften aus* 
jufefeen. ferner aber namentlich barin, ihre S db ie ^Überlegenheit jur ©eltung 
511 bringen, inbem fie ben ©egner auf wirffamfte Schufpoeite beranfommen 
laffen. Ta aber bie ©nglänber genöthigt finb, fie anjugreifen unb ju 
fdilagen, um ihnen baS ©efeb su biedren, fo bebarf eS unter biefett Um* 
ftänben baju ftarfer numerischer Ueberlegenheit, unb jroar fomoht 
jum Sturm auf bie feften Stellungen ber Suren, wie namentlich ober, 
um bur<h Untfaffung ober Umgehung biefer Stellungen in ben glanfen 
unb Sebrohung ihrer Serbinbungen ben ©egner jum Dffenfiofampf ju 
nötigen unb baburd) annähernb gleiten ©efechtSoerbältniffen ju unter* 
werfen, in benen ben Gngtänbern ihre größere Sdjulung im Atanöoriren 
ber berittenen SBaffen unb ihre fDiehrjahl an Artillerie bie taftifche Ueber* 
Iegenheit ju oerfchaffeu oermag. TaS, was ben ©nglänbem aber oor 
Allem fehlt, ift eine an 3ahl bem ©egner bebeutenb überlegene gut 
fdjiefjenbe Infanterie, eine Truppengattung, oon ber fi<h heut inSüb* 
Afrifa mieber ber ©runbfafc beftätigt, bafi fie bie &auptioaffe ber $eere 
bilbet. TaS SBort Napoleons I.: „Tie englifdje Infanterie ift bie 
befte ber 2ßelt, sum©lücf giebt eS ni d^t oiele," trifft heute offenbar 
in feinem erften Tbeil feineSwegS mehr ju, unb man bürfte ftd) in 
©nglanb fehr tauften, wenn man bie numerifche unb auch bie qualitatioe 
Schwäche ber englifdjen Infanterie — wir erinnern an bie 9. Srigabe £orb 
■üJtethuenS am üliobberflufj, bie gefangenen Gompngnien ©atacreS unb bie 
SataiHone Sorb SBhiteS bei -JJidolfonS 9tef — burdf» Serftärfung ber Artillerie 
unb ©aoatlerie genügenb auSgleidjen ju fönnen glaubt. 3a felbft bie beiben 
SelagerungSparfS, oon benen ber eine bereits eingetroffen ift, werben biefen 
fDJattgel nidjt ju compeitfiren oermögen. 

Allein nicht nur bie numerifche Inferiorität ber englifdjen Infanterie 
ift es, bie ber ber berittenen, oortrefflidj fchiefsenben ber Suren im Serein 
mit ihrer Seweglid)feit ein fo grofjeS Uebergewicht oerleiht, fonbern nament* 
lieh auch bie fehlerhafte ©efedjts* unb geuergefecbtSweife beS englifdien 
gufjootfs. ©ine Infanterie, bie nicht im forgfältig gesielten unb ab* 



Streiflichter auf bie Kriegführung in Sübafrifa. 223 

gegebenen Einjelfeuer ber ©dhüfcenlinie, fonbern in bet ©aloe gefcf)(offener 
3«ge unb Eompagnien ben ©dhroerpuitft be« ^euergefecfitä erfennt, rote 
bie« ber britifdbe ^ödhftfommanbirenbe Sorb Sßolfelet) in feinen untängft 
oeroffentlidhten Qnftructionen roieberholt betont, unb bie bähet noch über= 
micgenb in gefcßl offenen Sinien, faft roie ju 3citen SBetlington« fäntpft, 
befinbet fiel) felbfloerftänblidf) in aufgelöfter Drbnung hinter oortrefflidhen 
bedungen liegenben, oorjüglidf) fcljießenben, mit tauchlofetn puloer feuernben 
©cßühen gegenüber, wie bie Suren, in außerorbentlichem xKad^theit, ba fie 
ihnen beftänbig fdhntf marfirte große 3iele bietet, roährenb ber ©egner faft 
üößig unfidhtbat unb baher untreffbar ift. Gafjer rühren audh bie ftarfen 
©efedf)t«oerlufte ber Englänber unb bie äußerft geringen ber Suren. (Sine 
berartige Gaftif reicht gegen fdhledtft fdjiefeenbe, oorjug«roeife mit ber btanfen 
SBaffe fämpfenbe roilbe Sö(ferfdf;aften au«, jebocfj nidht im Entfernteften 
gegen eine für ba« f^uergefedfit oorjüglidjj oeranfagte unb für baSfelbe unb 
bie ©elänbebenußung burdh bie »ie(e Ersehnte hiuburdf» geführten Kriege 
mit ben Gaffern oortrefftidh gefchutte SJtitijinfanterie. 

Gie ecfatanten Stieberlagen ber heften Gruppen ber Englänber unb 
ihrer für bie Eommanboftetlen befonber« au«gefucf)ten ©enerale höben baher 
audh in fjadhfreifen um fo mehr außerorbent(icf) überrafdht, al« bie englifthen 
Gruppenführer burdh bie Erfahrungen über bie Äampftueife ber Suren bei 
Sticolfon« Sief unb Sabpfmith, foroie in ber ©dhladht am SJtobberfluß unb 
neuerbing« bei ©tormberg, genügenb belehrt fein fonnten, um nicht ohne 
bie forgfältigfte »orherige 3iecogno«cirung ber oon ihnen gewählten ©dhladht* 
felber ihre Gruppen gegen oöttige Hinterhalte bilbenbe, oerbeefte Schüßen* 
graben unb ©tadhetbraht=ninberniffe oorjufchtefen. 

Ga« ganj au« ber tnobenten ©efedht«taltif geftridfjene, oon ben Suren 
gefdhidft oerroerthete SJJoment be« Hinterhalt« unb jroar auf bem ©dhladht* 
felbe felbft, mußte bie britifdhen Gruppenfühter boppelt oorftdhtig madhen. 
©enügenbe Eaoatlerie unb irreguläre Leiter, foroie SuftbaHon« unb eleftrifdhe 
©dheinroerfer ftanben ihnen jur Mfflärung bei Gage unb namentlidh audh 
jur SBahrnehntung ber Anlage biefer ©dfmßengrähen unb oerbeeften Stuf* 
ftetlungen audh bei Stacht ju ©ebote, unb jur Sefeitigung ber ©tadhelbraht* 
jäune bei 9Jtager«fontein gehörte bie in allen Slrmeen jur Serfügung 
ftehenbe 9lu«rüftung mit Grahtfdheeren unb bie SJtitroirfung oon Spionier* 
unb fonftigen Slrbeiterabtheilungen. Giefe« Hinberniß aber roar in 3ln* 
betratet bet Ehtfriebung oieler ©runbftücfe in ©üb=2lfrifa mit bemfelben 
bei ben Suren ju erwarten. Mein bie englifdhen Grupp enco mmanbeure 
unterließen fogar bei 3Jtager«fontein unb audh am Gugela bie Sicherung 
ihrer oorgehenben Gruppen burdh genügenb weit oorgefanbte Infanterie* 
Patrouillen, gefdhroeige benn burdh foldhe ber Eaoallerie unb biejenige ihrer 
Artillerie am Gugetafluß burdh ba« ganj unerläßliche gurüdljalien ber 
Satterien au« bem roirffamen ifftfanterie^euerhereiefj be« ©egner«. Ger* 
artige unau«gefeßte fchroere Stieberlagen roie bie, roeldfje bie Englänber oon 



22 \ 2t. Hogalla pon 33i ebetftein in Sceslau. 

ben reinen ÜStitijfchaaren ber Suren Ijcut erlitten, mußten fdfiarfe ftritif 
herauSforbern. 

®ie englifdlje Heeresleitung tjat, barüber ift beute baS fadhtnännifdbe 
Urtheil atterfeitö einig, burdj bie oon Slnfaitg an fehlerhafte 3erfplitterung 
ihrer Kräfte gegen ben Hanptgrunbfafc ber itriegSführung: Ser» 
einigung möglidhft ftarfer Streitfräfte jur Schlacht auf bem ent» 
fdjeibenben ÄriegSfdjanplats, |d;iuer gefehlt. ©S muffte ja ben ©ng= 
länbern fehr roünfdhenSioerth erfcheinen, baff man Äimberlep entfette unb ben 
Sterben ber ©apcolonie cor roeitecer ftnoafion ber Suren unb Erhebung ber 
bortigen Ijollänbifdjen ©lemente fieberte, barunter aber litt bie entfdjeibenbe 
Slction auf bem HauptfriegSfcbauplab in Statal auf bas ©tnpfinbticbfte. ®enn 
hätte man bort am 15. ©ecember noch 2 Srigaben unb fedhs Satterien 
unb einige 6aoalIerie»9iegimenter nebft S°nton»Xrain mehr ju einem 
fräftigen Sorftojj unb Srücfettfcblag in ber rechten ober Knfen plante ber 
ifJofition ber Suren am Sugela jur Serfügung gehabt, fo oermodjten bie 
Suren biefem Flanfenangriff, ohne ihre Frontlinie etnpfinblidh ju fd)it)äd)en, 
feine geniigenben Streitfräfte gegenüber ju fteHen. 

Slls ber ©runbfeljler ber Slnfdjauung ber englischen Heerfübrung fteflt 
fidh heute bar, bafj man burdjroeg mit Stepetirgeroehren bewaffnete unb mit 
ScbneUfeuergefcbüben oon überlegener SBirfung genügenb auSgerüftete, um 
ihre SolfSepiftenj fämpfenbe fDtilijfchaaren, bie fidh überall in oon Statur 
fehr ftarfen unb überbieS fünftlidb befeftigten Stellungen poftirten unb n<h 
bamit bie ootlfte SluSnutjung ber SBirfung ihres 2Waffen»9tepetirfeuerS unb 
ihrer Sdjiefjfertigfeit fidherten, mit numerifdh etwa gleich ftarfen 
Kräften unb nur numerifdh überlegener, jebodh an @<h ufjtoirfung 
inferiorer Slrtillerie mit reinen Frontalangriffen ju über* 
roättigen gebenft. Stur baburdh, bafj man burdfj Umgehung ober Um» 
faffung in Flanfe unb Stücfen, unter gleichseitiger Sefdhäftigung mit ge» 
nügenb ftarfen Straften in ber Front, biefelben aus ihren oerfchanjten 
Stellungen heraus unb jum Singriff jwingt, ber bann unter ihnen nadh» 
tljeiligen Serhältniffen burdhgeführt werben muß, ift es möglich, bie aus» 
fidhtslofen unb Hefatontben oon Opfern erforbemben Frontalangriffe ju oer» 
meiben. ®aju aber bebarf man ftarfer numerifdher Ueberlegenheit, bie ben 
©nglänberit bisher fehlt. 

Selbft bie in Folge ihrer Sttehrjaht bei SJtagerfontein weit überlegene 
Slrtiüeriewirfung ber Satterien Sorb SJtethuenS mar, trofe SJtarinegefdnifcen 
unb Stjbbitgranaten, nicht im Staube, bie SBiberftanbSfähigfeit ber in oöHig 
gebeeften Stellungen oerborgenen Suren ju erfdhüttem. ©enn es beburfte 
baju einer Seobadfjtung ber ©efdjofjroirfung, bie bei einem auf mehrere Stilo» 
meter abgegebenen ©efebübfeuer hödhft fcfjwierig, faft unmöglich ift, unb 
ferner gegenüber einer Stellung oon gegen 3 A beutfdhe 3)tei(en Sänge, oieler 
f£aufenber oon ©efdjoffen unb oielftünbiger Fourrwirfung audh am SWorgen 
beS 11. ®eccmber. UeberbieS ift bie englifdhe ^elbartiUerie, bie nur über bie 


— Streiflichter auf bie Kriegführung in Sübafrifa. 225 

Shrapnel«2Birfung oerfiigt unb baljer feine gute SBirfung gegen Siele hinter 
bedungen fiat, rote roieberholt bemerft, an unb für fi<h eine minberroertfjige. 

Ohne mit ftarfer nunterifdhet Ueberlegenbeit unb mit anberer 
Secljtroeife an ben Ijeut nodf) gehaltenen $auptabfdhnitten am Süugela unb 
am -Dtobberfluh auf }U treten, bürfte bie englifdlje ^eerfüljrung baljer 

auch ferner feine ©rfolge erjielen, felbft wenn eS ihr gelänge, rechtjeitig 
beibe 33eIagerung3parfS an jene Slbfdfmitte hefanjUjiehen. 

Mein bie fehr fdhroierige Aufbringung biefer ftarfen numerifdheit lieber« 
legenheit, ber fange Seetransport, ber enorme Aufroanb an Srain unb 
SCranSportbienftperfonal fd&liehen ben redfitjeitigen Gntfafc SabpfmithS unb 
ßimberlepS, ganj abgefehen oon bemjenigen VtafefingS, faft mit ©eroifjljeit 
aus, unb ber neuemannte £ödhftcommanbirenbe für Süb«Afrifa, Sorb gteberk 
SfobertS, früher in gleicher Stellung in Qnbien unb bisher in biefer Stellung 
in $rfanb, bem heroorragenbe Seiftungen in ben inbifdhen gelbäügen unb 
in Afghaniftan unb Abeffinien jur Seite ftehen, würbe offenbar gut thun, 
mit bem ganjen roeitfchichtigen gelbjugSplan ©eneral VutlerS ju brechen, 
faffs bieS heute noch möglich ift, unb alle uerfügbaren Kräfte auf bie 
thtterftfifcung Sorb ÜWetbuenS jur Ueberroältigung ber Streitfrage ber 
©eneräle ©ronje, SßrinSloo unb SDetarep, unb jroar roeit weniger jum @nt« 
fafce ÄimbertepS, roie jum Vorbringen in ben britifdhen Operationen roeit 
gfinftigeren Dranje^reiftaat, fei es oon Gapftabt ober Gaft Sonbon aus, 
unter Anfdfjluh beS SWefteS ber Gruppen ©atacres, ju concentriren. 5Rut 
in bem f^alle, bah Sabpfmitf), roie oerlautet, nodh für 1 SOlonat oerprooiantirt 
fein füllte, fo bah fehr beträchtliche Verftärfungen, roie 5 . 33. 2 ber in 
ber Sanbung unb im Transport begriffenen ©ioifionen bort noch recht« 
jettig aufjutreten oermöchten, erfdfjiene eS angejeigt, bas $auptgeroidjt aucfi 
ferner nodh auf 9latal ju legen, um biefen fdfjroierigen ÄriegSfdhauplafe febodh, 
falls Sabpfmith injroifdhen fällt, ober roiber alles Grroarten noch entfept 
roerben füllte, barauf mit ben bort irgenb entbehrlichen Kräften fchteunigft 
;u oerlaffen unb nur rein befenfto mit geringen Streitfräften, geftüfet auf 
baS injroifdjen ju befefiigenbe ®urban, ju oertheibigen. 

$n biefern GhaoS oerfahrener unb unglücflidfjer Situationen ift Sorb 
SRobertS befiimmt, Drbnung unb eine roenigftenS in ihren ftrateqifdjen Sielen 
flare Sage ju fdfiaffen, allein nach bem füngften GabinetSbefchlufj roerben 
ihm baju in Gtntangelung befferer nur aus allen 2 Bettgegenben jufamnten« 
gewürfelte, fehr heterogene, jum Slljeil minberroerthige lEruppenelemente jur 
Verfügung geheilt, Snjroifdhen aber wirb fidh ©eneral 33uller, an Artillerie 
unb überhaupt gewaltig gefdhroädht, oorauSfidhtlidh ber Dffenftoe ©eneral 
SoubertS ju erroehren hohen, worauf bereits beffen Vorgehen in beibcn ^laufen 
VuHerS am VlaaurofranS=9lioer unb am ®oom«Äop hinbeutet. Voraus« 
Idfjtlidh wirb eine allgemeine Dffenftoe ber Vuren auf allen brei ÄriegSfdfjau« 
pläfcen unb ber SaH ÄintberlepS, SDlafefingS unb SabpfmithS bie unmittelbare 
^olge ber fdhroeren unb felbftoerfdhulbeten Viebertagen ber ©nglänber fein. 


226 


21. Hogalla von Bieberfiein in Breslau. 


©5 erforbem ferner bie burdb bie aufftänbifdfjen ©aplanbberoolmer be* 
brohten rücfwärtigen SBafmoerbinbungen einen gewaltigen Schuß* unb ©tappen« 
apparat, ber mit bent weiteren Untfid&greifen beS 2lufftanbeS beftänbig an* 
fdhwetlen muff, fo bafc es fdjoit fjeute als auSgefc^Ioffen gelten fann, ba& 
bie angeorbnete gornürung unb 2lbfenbung ber 6 . unb 7. Sioiiion nach 
Süb*2lfrifa für bie bortigen ©efechts* unb fonfligen Aufgaben ber englifd>en 
Kriegführung auSreidben mirb. gür bie erfteren aber fd^einen audfj bie 
minberwertfjigen ÜJtiUjbntaiCIone unb bie aus öden fiänbern bet Sßelt ju* 
fammengewürfelten unb improoinrten ^freiwilligen* unb ©olonialtruppen, 
mit wenig 2luSnal)tnen, feljr meitig geeignet, fonbern übermiegenb nur für 
ben ©tappen*, 2lufflärungS* unb SidjerungSbienft. Somit aber märe ©nglanb 
am Gnbe feiner ßeiftungSfähigfeit an im 3JtutterIanbe entbehrlichen Gruppen 
angelangt, eS fei benn, feine fDiilijen, oon benen es 130000 2Wann auf 
bent Rapier befißt, mürben auf ©runb freiroittigen 2lngebotS ober befonberen 
©efeßeS, außer ben bereits baju beftimmten 16 23ataittonen in weitem 
Umfange, jum Sienft im 2luSlanbe oerpflichtet, unb man griffe, ein in 2ln* 
betracht ber in £$nbien brohenben ^ungerSnoti» boppett gefährlicher Stritt, 
jur &etansiel)ung ftarfer inbifdber ©ontingente. 3 ur 3 eit ftnb bie @ng* 
länber {ebenfalls noch an allen fünften beS $riegStf>eaterS, namentlich in 
9latal, ju fcftwadh, um auf Grfotg redlmen 5 U fönnen. Sie aDerbingS beute 
febr fdbwierige Sttenberung beS ganjen verfehlten, bie Kräfte jerfplitternben 
bisherigen gelbjugSplanS ©eneral 23uHerS unb ein 9tad&f<hub oon minbeftcnS 
70 000 ÜDJann erfcßeinen bringenb geboten, unb man wirb ftch erinnern 
müffen, bah bie Spanier auf ©uba nicht weniger als 170 000 9Jtann er* 
folgioS oerwanbten, unb bie Defterreicher in 33oSnien einer noch größeren 
2lnjahl jur ©robwung biefeS fianbeS beburften. 

Unterfchäßung beS ©egnerS unb ganj unentfdhulbbare völlige Unfennt* 
nifj feiner StriegSleiftungSfähigfeit, fowie ein SDlobilmad&ungSfpftem unb eine 
KriegSbereitfdhaft, bie mit ber 2lction feiner Sßolitif nidht im minbeften 
Schritt hielten, unb bie $errf<b* unb $abfud£)t ber ntafegebenben Streife ber 
©eoölferung haben ©nglanb biefen Krieg aufgebürbet, beffen gewaltige 
Opfer an SDienfchenteben unb ©elb ju bent eoentueH ju erjietenben hoch ft 
unfidhern fWefultate nur bann im SBerhältnifc geftanben haben würben, wenn 
ben beiben fRepublifen bie auSgefprodhene Slbiidht unb ißläne, ein felbft* 
ftänbigeS Stfrifanberreich }u grünben unb ©nglanb bie ©ap-.Golonie unb 
9iatal ju entreißen, nadhjuweifen gewefen wäre. SieS ift jeboch nidht ber 
fyatt, unb wirb biefer 2 lbucht erft heute burdb bie SRieberlagen ber ©ng* 
länber 2Sorfdhub geleiftet. Set Süitfel ©nglanbs erhält baher heute bie 
mit 3le<ht oerbiente Strafe für feine £errf<hfudbt, Sänbergier unb militärifdhe 
Slinbheit mit ben enonnen Opfern eines Krieges oon oor ber §anb unab* 
fehbarer Sauer unb hödhft jweifelhaftem 2luSgange. 



fjeimfefjr. 

Pon 

SClfteb UßetgEt. 

— Breslau. — 


I. 

2 lus bet; Hadjt ber Unbefannttieit, 

Uns bem <8ros ber I}erbentttiere 
IPar idj plätjlidj aufgeftiegen 
gn bem (Bipfel ber Beriiitmtfieit. 

Pott beit KIpen bis 3ur Horbfee 
Hollte meines Hamens Klang, 

Penn idj t^atte brurfen laffen 
IHeine lyrif dfen (Sebidjte. 

fjunbert lyrifdje (ßebidjte 
3« bem feinen (ßolbfdjnittbänbdjen: 
Ijunbert Säuglinge in einem 
$ i nbel f inberinjti tut. 

Unb bie Brujt noö ßodjgefüye 
Keift’ id} in bie ttieure Heimat, 

IPo ber tPebjfottl fdjnurrt unb taufenb 
Proletarier fludjenb fdfmtgen, 

IPo ber prog ben leeren Sdjäbel 
3 n ben fetten Harfen mirft 
Unb mit überlegnem £ädjeln 
Kuf ben rollen (Selbfdjtanf blirft. 


I fjerrlidj i|t es, in ber ^rembe 
I <£in berühmter mann 3U fein, 

Podj geehrt 3U tuerben in ber 
fjeimat ift bas KflertjSdjjte. 

fjier, ja tjier rnill idj geehrt fein, 
IPo idf Kird} 1 unb Sdjule fdjmän3te, 
IPo idf barfug eing umtferlief, 

IPo icfy Kirfdf’ unb pflaume jtalfl, 

IPo man mir bie Saat 3um €blen, 
(Buten in bie Seele ftreute, 

IPo bie immer fendjte Hafe 
3dj am ^arfenärmel pufcte, 

IPo idj frofdj unb Kröte aufblies, 
IPo idf ben Kat’dfismus lernte 
Unb ben Binalbint las, 
ffier mill idj jeftt £orbeern ernten 1 

II. 

Kn ben Seiten ber (Ltjauffee 
Bliitften fdfäne Kirfdjenbäume. 

Pon bes tfödffien Baumes Spitje 
Sang ein (Ebelfinf mir 3U: 


228 


Hlfreb Berger in Breslau. 


„Die gefammte ^infenfebaft 
Diefer (ßegenb fanbte midj, 

Didj, College, 3U begrüßen! 

(Tirili, idj grüße Dtd? ! 

Komm 3U uns, bem Dolf ber £üftel 
Kann Dir einen Saubrer nennen 
3 n bes IDalbes tieffter mitte, 

Diefer mirb Dir ^lügel fraßen. 

Drunten märten Deiner (Qualen, 
Hngeborne, felbftgefdjaffne, 

Kennjt ja fdjon bie allertollfte, 

Die bie ITlenfdjen „liebe" nennen. 

Unfer bjer3 iß leidet mie unfre 
Sdjmingen, otjne (Treu’ unb Hrgmotjn. 
(Dßne (Trauung mirb geliebt, 

(Dfyte Sdjeibung fortgeflattert. 

Komm 3U uns, im blauen Baume 
Sinb mir unbebingte fjerrfdjer, 
Sdjmeifen burdj ben fel’gen Ketzer 
^Jrei mit liebgefdjmellten Brüften. 

Tjofye 

(Treibt uns gan3 allein 3um Singen, 
Unb fein bjonoraruerlangen 
tDie <£udj arme (Tintenflerer. 

(Jolge mir, auf jenem Baume 
(Tßront bie ßobe Sangselite. 

Unf’re bejten ^Jinfenbidjter 
Bringen Dir ein Stänbdjen bar." 

Huf ben unter’n Heßen faßen 
Bodf bie jungen gitfdjerlinge, 

Hißen auf bie gelben Schnäbel, 
IHadjtcn audj ben größten £ärm. 

TDofjlgenäbrte tDürbenfänger 
tDeiter oben blieften fdjläfrig, 
tDeil bie maßgefdjmellte £eber 
Sdjmung unb pfymtaße erbrüeft. 

Hber Hlle flauten eblen 
Stores aufmärts 3U ben IDolfen, 

IDie im Dollbemußtfein ißrer 
Heberirb’fcben Sangesfenbung. 


(Traurig faß ein junger Sänger, 

Kläger mie ein ^feßprolog. 

Bus ben ruppig fraufen ^ebern 
£ugte fdjeu bas bünne Köpften. 

lyrifdj ßng er an 3U fingen. 

Sanft unb fäufelnb, adf, mie eine 
Sdjminbfudjtfranfe ^löte, bie 
Bus bem (etjten £odje pfeift: 

„Durdj bas mübe Sommerraufdjen 
Sießt perfdjlafnes (ßeigenflingen, 

Durdj perfdjlaf’nes (ßeigenflingen 
gietft ein mübes Sommerranfdjen. 

Durdj perfdjlaf'nes Sommer flingen 
Sietjt ein mübes (ßeigenraufdjen. 

Durdj bas mübe Sommergeigen 
giefjt unb raufet perfdjlafnes Klingen." 

Ciner nadj bem anbern marf ftdj 
3 n bie Brnft unb fang fein Solo. 
(Taufenbmal gefäuter Urbrei 
Hiefeite auf midj fyernieber. 

Hdf, bas maren TDeifen oßne 
Seele, (Töne oßne fyx$en, 

ITTatt unb glatt unb ansgeflügelt, 
eitler Dilettantenframl 

„lebet motß, e&feit Sänger, 

Diefer fdjönen Stunbe merb’ idj 
nimmermehr pergeffen, leiber 
Bin idf anbermeit pergeben. 

IDmtfdfe €udj pon gan3em fje^en, 

ITlög’ ein Fritifcb milber Kater 
<£ud* mit feinen Krallen rupfen. 

Daß bas Singen <£udj perginge, — 

lieber tiodj, ein ßol3er Hbler 
Stieße ans ben IDolfen nieber, 

^egte €udj pon Rinnen mit ben 
Sturmesfdjmingen bes (ßenies. 

mittelmäßigfeit, Dein Barne 
£äßt bas ^er3 in §orn erbeben. 

Könnt’ id? Didj 3U Kotß sertreten, 

Sn bem Kotfj, bem Du entßammßl" 


heimfetir. 

III. 


229 


hin 30 Ufr, ber heißgeliebten, 

ITleinem fügen, golb'nen mäbell 
„(Sretlje," flingt’s in jebem pulsfdjlag, 
„(Srettje," raufdjt es burdj bie Ubem. 

Tor bem Uuge fdjwimmen Sonnen, 

IPie geblenbet remple idj 

2 luf ber Straße an ben Pfarrer, 

Daß er unwirfdj in fidj fnurrt. 

tja, mm bieg’ idj um bie <£cfe! 

EDo ber Dorfbadj ftcb pom EDefjre 
Stürmt mit milbem £uftgeplätfdjer, 
Stetst bas Sdjldßlein meiner Königin. 

Oben in bem erften Stotfe, 

Domfieraus, bort liegen ja bie 
ifenßer bes ^amilien3tmmers. 
holbe Sdjatten fall td? fiufdjeit. 

„(Sleidj wirb jte lierab bie (treppe 
Unb mit ^reubenfdjrei in meine 
Urme ftfi^en, 0, bie Süße!" — 

Selig öffnet* idj bie h aus Hö r « 

Droben hört’ idj (Eljüren fragen, 
hörte idj IjajFges ^flüßern. 

Stille bann — wie falte Ulittung 
Ueberfdjauert es bas h er 3 * 

Selbß bie biefe Ködjin Unna 
mit ben rotten Dollmonbbacfen, 
mit ben f leinen ^erfelaugen 
Unb ben fdjmafcenb Pollen Sippen, 

Die midi freunblidj, plump pertraulidi 
Sonß begrüßte, fdjien peränbert. 

Schielte nur fo pon ber Seite 
Dorwurfspoll unb fdjlug bie (Oiür 3U. 

„Donnerwetter, was foll bas fein?" 
Klopfe an bie crße (Ojüre, 

Klopfe an bie 3weite, britte; 

€nblidj flingt es brin: „herein!" 

Dor mir ließt mein Sdjwiegerpater, 
Stellt mein gufunftsfdjwiegerpater, 
Sicht midi ßnßer, ernft unb traurig, 
Stellt midi lange fdjweigenb an. 


„fyxx, mein herr, ich muß midi tpunbem. 
Daß nadi UQebem Sie wagen, 

Diefes h aus nodj 3U betreten, 

Unb ba3u am lichten (tage. 

Sd)amrotli mäc^t’ id? für Sie werben, 
Sdiamrotll wie bes Budjes €inbanb, 

Das Sie jüngji uns überfanbten. 

3dj ßab’s waßrlid) ni<ht gelefen. 

Derfe machen, (Sott, bas fommt ja 
Schließlich por, ich fabe felber 
Uuf ber penne gar nicht übel 
<Einß gebichtet, muß ich fagen. 

Uber bas ftnb Kinbereien, 

(Eines mannes gan3 unwürbig, 

(Eines manns ba3u, ben ich 
mir 3um Sdiwiegerfolin erforen. 

herr, was benfen Sie, ich bin 
(Eine attgefeß’ne ^irtna! 

Stelle in ber Seinenbrancße 
<Ein3ig ba in ber propin3. 

Unb pon 3atir 3U 3 a ß r erweitert 
mein (Sefdiäft ftd?, neue Kunben 
hab’ tch täglich ab3ufert’gen. 

(Slan3enb ift bie (Eonjunctur. 

Ulles bas fiel 3ßnen 9 an 3 oon 
Selber einftens 3U als meinem 
Sdjwiegerfolin unb Socius. 

Dodi Sie liaben es perfdier3t. 

^Jeßlt es mir an Sinn für Kunji? 

Zimt, ich benfe, nein! Sie wißen, 
Nebenan in golbnem Halmen 
hängen echte ©elgemälbe. 

Unb wenn bie Saifon begonnen, 

Satiren wir bie meiften ZDocßcn 
ZIacß ber E^auptftabt in bie ©per, 

EDenn man Zxicßarb EDagner giebt. 

Scßlangenmenfcßcn, euer f reff er, 
Degenfdilucfer, Ufrobaten 
Saffe icß mir nodi gefallen, 

Denn ba liegt ein §wecf barin. 



230 


Sllfreb Berger in Breslau. 


Doch bie hunarigjle ber Künjle 

Sitten (Ernftes 3U betreiben 

Unb (Sebichte bruefen laßen, 

f}err, mein l^err, bas nenn’ ich EDahnftnn. 

Sott bas geug benn 3enxanb faufen, 
0ber gar womöglich lefen? 

Dod? id? fdjmeige, mir ift's flar, 

^ür's (Sefdjäft firib Sie verloren. 

Unf're tDege trennen ftd?. 
leben Sie nun wohl, i<h will 
(Erofc bes Dorgefalfnen 3h n en 
ITteine Sichtung nicht verfagen." 

Spradj’s, verbeugte ftdj, verfdjmanb 
Durch bie Seitenthür; i<h blieb 
^iinf minuten angemur3elt 
Stehn unb jlarrte ftumm in's Blaue. 

langfam fd^ritt id? bann hinaus, 

Stuf ber (Ereppe mitte traf ich 
(Sretfje. Sie erfdjraf, verfärbte 
Sich unb bliefte fdjeu 3U Boben. 

„(Srethe, l^örjt Du, noch ein EDortl 
3 ft Dein Efer3 . . .?" Sie hört mich nicht. 
Unb mit abgewanbtem Slntlitj 
Ejufdjt fte fd?neü an mir vorüber. 

Dodj mir fiel es jefct wie Schuppen 
Don ben Singen: „Sllter <£fel, 
fjatteft tvieber eine (Sans 3um 
Sdjivane ibealiftrt." 

Slus bem Sluge, bumme (Ethane! 

Hotte rücfwärts, mifche Did? 

HTeinem Blute, gieb ihm fa^'ge 
Schärfe 3U gefunbem Raffen! 

IY. 

3 n bas elterliche Stübchen 
Crat ich ein. mit leifem Sluffdjrei 
^iel mir um ben 3als bie mutter, 

Hüftte mich unb fchmieg unb meinte. 

mit bem Blicfe tieffter Sorge 
mufterte fte meine giige, 

XDottte reben, hoch be3tvang fich. 

Slber eitblid? fprad? fie alfo: 


„ 3 unge, 3 u n9e, welche Schanbel 
Unfer unbefdjoltner Harne! 

Sitte leute fragen uns: 

EDar bas wirf lieh auch 3fa Sohn?" 

Bi ft Du etwa franf geworben? 

0 fo bleibe h»**r ich will 
Dich verpflegen, will Dir Suppe, 

(Ehee unb lieblingsfpeifen fochen. 

Sluf bem Schranfe fleht vom Dater 
Hoch ein altes Banbmnrmmittel, 
(Segen (S lieberreißen audj 
Hod? ein Bücbschen weiße Salbe. 

Silles, Silles fottft Du haben. 

Sich, man opfert gern fein le&tes 
^ür bie Kinber, wenn fie and? 
manchmal vielen Kummer machen." 

Dater framte in ber <£cfe. 
heftig fliegen (Eabafmolfen. 

Unb wie fernes Donnergrollen 
Drang fein Knurren her 3U mir: 

„Dummer 3 u nge, Harrenspoffen, 
^ofuspofus, ^fajen, murnpitj, 

(Eagebieberei verfluchte, 

mit ber geit noch gan3 mefdjugge!" 

(Eraurig faß ich aM f bem alten 
Sopha, bas ich einjl als Knabe 
Hur befteigen burfte, wenn ich 
mafern unb bergleichcn hatte. 

(Eraurig b lieft' ich auf ben alten 
^ausrath: Sdjranf, (Eommobe, Stühle, 
Spiegel, Silles noch wie einft, 

Hur ich felber war ein Slnbrer. 

Sluf bie Brujl mit (Eentnerfchwere 
legte fich's. 3^? *ang nach Slthem. 
Dor ben Slugeii brehte fidf’s, 

Unb ich ftür3te aus bem gimmer. 

V. 

(Eraurig fcblich id? burch bie grünen, 
Buntbnrchwirfteit, buft’gen gelber; 
lerchenjubel brang 3um 0hre, 

Slber nidjt 3um franfen Eje^en. 



^eimfehr. 


231 


Hdj, Hatur, bie treue, gute, 

Die mir immer £abung reichte, 

3 eben Swift ber Seele löfte, 

Sab mich h^f* 05 trübe <*n. 

Dnbemugt unb bölbge3ogett — 

Durch bes EDalbes Dämmerfchweigen 
(Trug ber nimmermübe <£uß 
midj hinauf 3um Bergesgipfel. 

EDolfen webten um bie fjöhen, 
f^olbe weifte Dunftgejtalten, 

Unb ber letzte Sonttengrnß 
Brannte wejtlich noch am Ejimmel. 

Schauemb in ben (Eannenwipfeln 
Bebte leis bie EDinbesharfe, 

3 n bem (Erlenbufdj am ^elsbadj 
flötete bie Droffel leife. 

manchmal Knacfen in ben gweigen — 
Scheues fdjnelles ^lügelfchlagen, — 
trautes Curteltaubengirren -• 
fje^enspodfen in ber Stille. 

EDeldjes Bannen in ben (Eamten 
3 n ber Dämmrung Schleierhülle? 

Unb im £jet3en welches Schauern l 
3 ft es £eben ober (Eob? 

3 « ben thaubenefcten Hafen 
Drücf ich meine ^Jieberwange. 
Uhnungsfchwer wie (Seijternähe 
Hiefeit es burch bas (Beblüt. 

IDie ein Blifel EDo tarn er her? 

Dor mir fteht mit einem male 
meine (Söttin, — meiner (Eräume, 
IHeines £ebens b^chfter (Eraum. 

IDeiß unb rofig glüht ber £eib, 

Um bie Schulter wallt bas (Solbhaar. 
Horneitbunfle Sd?icf falsaugen 
£euchten tief in meine Seele. 

IX) ie befdjwörenb ober fegnenb 
Ejebt fte über mich bie fjänbe. 

Unb mit erbenfrember Stimme 
EDehen ihre EDorte h^ 


„Dir wirb ftets mein ^Jeuerfuß 
Düfter im (Semüthe flammen, 

EDirft in feltnen ZDonnen fchwelgen 
Unb ein ßrbenfrembling bleiben. 

IDirjt Dich ewig fehnen, — ftreben 
Hach bem Blauen, Unerreichten, 

Hach ben Sternen greifen unb bas 
Deildjen ungefehn jertreten. 

Sdjleuberft non Dir bas (Erreichte. 
<Srcn3enlofer EDünfdje wilbe 
IDirbelfluth entreißt Dich 
Deiner mütterlichen (Erbe. 

Hie wirft Du im Selb jtpergejf eit 
Dich in trunFner ^Jreube wiegen, 

Dor Dir mit mebufenaugen 
£icgt bas <San5e anfgefchloffen. 

EDenn bas flammenbftc <Ent3Ücfen 
£eib unb Seele Dir burchfchauert, 
iJühlft Du 3wifdjen Hers unb musfei 
Buch bie £eichenwürmer nagen. 

(Eäglid}, ftünblich wirft Du blicfen, 

©b ftd? nicht am Ejor^onte 
(Eine Sonnenpforte öffne 
3n ein h^h’^s rein’res £eben. 

(Srübelnb fpürft Du, Deines IDefens 
CEieffte Schadete 3U rrgrütiben. 

^eme Quellen härft Du raufchen. 

Doch rergeblidj ijt Dein Schürfen. 

tiefer fteigft Du, immer frember 
EDirb am (Enbe Dir Dein EDefen. 

^aß unb £iebe, (Erb' unb Ejimmel, 
EDirft Dich felbft in Dir perlicren. 

3n ber lebten ber minuten 
(EÖnt bas Haufdjen immer näher, 
plötjlidj reißt ber Dorhang, por Dir 
£iegt bie Bläue ausgegojfen. 

3n bas unbewußt erfehnte 
EDeite meer bes wahren £ebens 
EDirft Du ohne ^urdjt unb Sdjme^en 
£ächelnb bann h^übergleiten." 





(Bäfjren fyilft flärm. 

Eon 

M- SSeerel. 

— Jjirfdjberg. — 

ommerjienrath ©itelroein feierte bie ^o^jeit feiner ©odhter ©rna 
mit bem Amtsrichter Dr. jur. ©bewarb ©rnft, unb ber ©tan} 
beS $efleS entfpradh ber gefellfdjaftlidjen (Steilung, ben Sehens* 
geroobnfjeiten unb bem Sleidhthum beS ©aftge6erS. ©er »erwöhntefte gern* 
fd&mecfer mufjte [ich non ber 3 a ^ 2lrt unb ^ufammenftellung ber Speifen 
befriebigt erftären, unb bie Bortrefftidhfeit ber Sffieine fpiegelte jt<h mieber 
in ber auSgelaffenen Stimmung ber geftgenoffen. ben ungejählten 
©ifdbreben freilich mar »on ber feinen Blume beS Safitte, »on ben ebleu 
©elftem beS Steinberger ©abinet unb »on bem pricfetnben Schaume ber 
veuve Cliquot wenig ju bewerten; (te waren platt unb triuial wie bie 
weiften berartigen Sieben. ©ent ©injigen in ber ©efefffdbaft, ber vielleicht 
geiftreich unb gebanfenuott ju fpredhen »ermodbt hätte, bem Bräutigam, war 
burdf» baS ©ebot ber Sitte Schweigen auferlegt. — ©er ©ommerjienrath 
batte es fi<h nidbt nehmen taffen, ben ©oaft beS ©ageS, ben auf baS junge 
ißaar auSjubringen, beffen ©liidf ihm nach menfdblicbem ©rmejfen gefiebert 
erfdfiien — er erfcfiraf faft, als er babei unmiHfürlid), wahrenb bie Siechte 
baS ©las erhob, mit ber Sinfen bie ©afdfje berührte, welche ben ©elbbeutel 
barg, ©er Bruber beS ©ommerjtenraths tranf auf baS 2Bohl ber SJhitter 
beS Bräutigams, ber ©eheimräthin ©ruft, unb ber Bruber ber ©eheimräthin 
©mft auf baS 28ohl bet gamilie ©itelwein, unb fo ging eS fort, bis bie lebten 
Sieben unb barunter auch ber »on einem alten ^unggefetlen auSgebradbte, 
an bebenflidhen SBenbungen reiche ©rinffprudh auf bie ©amen unnerftanben 
in bem nicht mehr jurüdfjubämmenben allgemeinen ©eräufdh »erhallten. — 
©en ©ifchreben entfpradhen bie fyefigefänge. ®ie flagge einer 
glänjenben AuSftattung mufjte eine ftarf minberwerthige SSaare bedien. 




(Säuren Ijilft flären. 


233 


Slußer bem bei folcßer ©elegenßeit geroöhnlicß ©efagten [icfjanbettcn fie mit 
mübeooHetu 2lufroanb non ©eßerj urtb 2Biß roi<ßtige Segebenßeiten aus bem 
Sehen beS gefeierten Haares unb oerriethen, wie ber Bräutigam bei einer 
SJtenfur bie ©pifee feines linfen Ohrläppchens eingebüßt habe, unb bei einer 
Äaßnpartie beinahe in’S SBaffer gefallen fei, wie bie Braut fidb als ©cßul; 
mäbeßen ein Äleib mit Stinte begoffen unb bei einem ÜWaSfenbaH eine @[fen= 
fönigin bargefleHt hebe, nub ähnliche bebeutungSoolle ©reigniffe mehr. — 
freilich ganj fo glatt unb harmlos, mie eS banaeß hätte feinen 
müffen, roar baS Sehen ber Seiten nicht oerloufen ; aber bie jene Sieber 
gebietet, mußten baS nicht, ober menn fie eS mußten, burften fie nichts 
baoon fingen unb fagen. @S hatte ba nicht allju lange Seit not bem 
heutigen £age eine recht ernfle unb fchmere Stunbe gegeben, als bie ©eßeim; 
rätlnn — eine imponirenbe ©rfeßeinung non hoher ©eftalt, mit ooHein 
©ilberßaar unb fcharfem, ftrengem Slicf — ihrem ©ohn auScinanbergefefct, 
rnie bie für feine Slusbilbung gebraßten großen unb ferner laftenben Opfer 
ihm bie Pflicht auferlegten, bereinft für feine ©ßroeftern ju forgen, mie er 
aus ben befßeibenen ©rträgen feines 2lmteS baS niemals ju thun im ©tanbe 
fein mürbe, unb baß eS beSßalb für ihn eine 9iotf)menbigfeit fei, an eine 
reiche &eiratb }U benfen, baß fie ißm bie Tochter beS ©ommerjienratb ©ite(; 
mein ganj befonberS empfehlen Eönne, melche neben ihrem Vermögen liebenS; 
roürbige ©igenfßaften genug befäße, um einen -Kann ju beglüefen, unb baß 
fee ooilen ©runb ju ber Annahme ju haben glaube, feine SBerbung bürfe 
einer fremtblißen Aufnahme geroiß fein. — ©berbarb juefte unter ben 
ÜBortett ber UJiutter jufainmen, unb eS mar ihm, als ob plöfclißet fjagcu 
fchlag bie reiche, oerljeißungSoolle Slutbenpraßt feiner Sugettbträume uev' 
Hißte. „3lber 3Wama!" rief er unb ftarrte erregt in baS ruhige, {einerlei 
Seroegung perratbenbe 2lntliß ber 3Rutter. „26aS ift ®ir? £aft 3)u 
anbere 2Bünfße? 3ft S)ein $erj nicht mehr frei?" ©r mußte felbft faum, 
maS auf bie Kar gejMten fyragen erroibern. ©orgtoS roar er bisher burß’S 
Sehen gefchtenbert; fDJanchertei hatte fein jugenbroarmeS, leichtempfängliches 
©emüth beroegt; auch ein lebhafteres ^jntereffe hatte roohl ab unb ju fein 
•§erj erfaßt, ohne baß eS fi<h inbeß ju feft auf ein beftimmtcS 3iel ge= 
richteten Sßünfßen oerbißtet hätte. 2luß mar eS nicht baS, maS ißn fo 
mädhtig erregte. 2lß! nur ganj anberS hatte er ficß’S gebaeßt, mie er ber; 
einft über fein ©ßidfal entfeßeiben rootlte. Diur aus innevftem ßerjenS; 
brange mollte er roäßien, wollte ber ©rmäßlten feine ganje ©eelc entgegen; 
bringen ju einem reich unb ßarmonifcß auSjugeftaltenben Sehen. Unb mie 
ßoeß gefteHt maren feine 2lnfprüße unb feine UBünfße! ©rna ©itelmein — 
fie roar leiblich ßübfcß, fie mar freunbliß unb harmlos. @r hatte moßl 
manchmal gern mit ißt getanjt unb Sallgefpräße mit ißr geführt, leißt, 
glißemb unb merthloS roie ber erfte hefte ©otiHonorben. ©ie näher fennen 
ju lernen, hatte ihm niemals ber 9Jtüße gelohnt; ftanb boeß ihre etmaS ober; 
fläcßlicße, eitle 2lrt meit hinter bem jurütf, maS ißm als Inbegriff roeib; 
«ort m* srib. xai. 275. iß 



234 


ITT. Beeret iit fjtrfdjberg. 


lieber Zoüfommenbeit uor ber Seele fdjroebte. Unb biefeS im innerften 
.§eiligt()um feines ßerjenS tbronenbe Qbeal foüte et umftürjen mit eigner, 
freutet §cmb? Unb wofür? Zerlaufen foHte er fein wärmfteS £erjblut, 
fein tiefftes, beiligfteS Ginpfinben für f altes, efteS, gteißenbeS ©olb! Sein 
©efüßl bäumte fidf) auf bagegen, unb in untren, abgebrochenen Säßen fagte 
er bas SllleS ber SOiutter, bie er liebte unb uerebrte, unb bie er beut jum 
elften -Deal in feinem Sehen nicht »erftanb. — 

die ©ebeimrätbin bette ibn rußig an unb legte bann befänftigenb 
bie fjattb auf feinen Scheitel. „©uteS, tbörichteS ftinb!" fpraeß fie, unb 
es flang wie ein ©emifch uon SBebtnutb unb Zitterfeit. „©uteS, tböridjteS 
Jfltiub! 3Joch fo ooll »on ben SBufionen ber Qugenb, du, ber du mitten 
im praftifeßen Sehen ftebft? &aft du im Gruft an bie SBirflidfifeit biefer 
fchimmerubeu Suftgebilbe geglaubt V fjaft du jemals gewähnt, baS entfte, 

falte unb barte Sehen löfe bie Zerbeißungen ein, bie ber Sngenb trügerifche 
Sihwärmgeifter bem leichtgläubigen ^etjett uorgaufetn? 3e früher man 
fie begräbt, je fchärfer man ber 28irfli<hfeit in baS graue 9luge ftebt, befto 
leichter uerntag man bem Scßicffal baS ZiScßen GrbengliicJ abjuringen. 
■Verarbeite in Stuße, was ich dir gefagt habe — bie Gntfcßeibung brängt 
nicht — aber urtbeile mit bem nüchternen Zerftanbe, unb laß baS ©efüßl 
nicht mehr foerrfdjaft über fein Urtbeil gewinnen, als es nach echter Sehens* 
weisbeit $u beanfprueßen baS fRecbt bat !" — 

dergleichen ©efpräche wieberbotten fich in immer häufigerer fyolge. 
die ©ebeimrätbin uerftanb es, flug unb planmäßig auf baS ©emütb ißteS 
Sohnes einjuwirfen. Seinen angeblichen Zorfaß, überhaupt nicht unb am 
wenigften jeßt fchon ju beiratben, wußte fie Rar unb rußig ju befämpfen. 
Sein Zflidjtgefüßt, baS fie als feinen beroorragenbften Gßarafterpg fannte, 
rief fie immer wieber an für ihre unoerforgten dödßter. GrnaS Zopfige, 
ißre greuubfebaft mit feinen Schweftern, unb was fonft ißrem Zorßaben 
günftig war, ftrich fie wirffatn heraus, wo fich irgenb ein geeigneter Slnlaß 
bap faub. — Zon ber anberen Seite würbe bereitwiHtgft ©elegenbeit ju 
näherem Äennenlemen geboten, tarnen greunblicßfeiten unb Slufmetffam* 
feiten aller 3lrt ßinju, unb fo fdßritt benn eines f «honen dageS Gberßarb 
Gruft, um einen Qugenbtraum ärmer, aber einig mit fich unb feft entfdjloffen 
p bem anfangs für unmöglich ©ebattenen, in baS commetjtienrätblicße -ÖauS, 
um fich uon Grna Gitelwein unb ihren Gltern baS Qaroort p holen. 

9lud) bort batten uon uorforglicßer Glternßanb bem Zerlöbniffe erft bie 
2l>ege geebnet werben müffen, unb ber Äampf war, wenn auch aus anberen 
Wrttnbcn, uielleicht nicht minber heftig gewefeit als in bem geßeimrätblicben 
&aufe. Grna war feine fo tief angelegte Statur wie Gberßarb, unb fie 
würbe bem jungen, liebenSwürbigen unb geifloollen JlmtSricßter, gegen ben 
fie fonft 9iid)ts einproeitben fattb, uielleicht oßne uiele Umftänbe baS junge, 
munter fdjlogcnbe fperj geöffnet haben, wenn baSfelbe nicht bereits mit 
Ginguartierurg belegt gewefen wäre. Gin buchet, flotter GauaKerieoffijier 



(Säuren tjilft Flärert. 


235 


aus altem, »ornebmem $aufe, bet ab unb ju auf ben ©iteltoetn’fcben 
35äIIen unb fyeftmafelen als Stern erfter ©röfee glänjte, batte bauon Vefefe 
genommen, unb nicht bloS bie ©ocbter, fonbern auch bie ©(lern febmeicbelten 
fich mit bet Hoffnung, bereinft an bem Stammbaume beS ehrbaren Sürger* 
baufeS eine freiberrlicije tone erglänjen ju feben. SllS aber biefe Hoffnung 
wie eine Seifenblafe gerptaßte, als ber Gotnmergienratb aus fixerer $anb 
erfuhr, bafj bie Verlobung beS greiberrn mit einer reichen Goufinc beut= 
nädbft beoorftebe, ba galt es, biefem ©reigniffe möglicbft rafcb jutorgufomnten. 
So fanben bie kleine ber ©ebeimrätbin ©ruft einen wobt oorbereiteten 
Stoben — freilith junädbft nur bei ben cotnmerjienrätblichen ©Itent. ©enn 
©ma mar troß beS ©efübteS gefränfter ©itetfeit unb verwunbeten StotgeS 
bo<b nicht oberflächlich unb leichtfertig genug, um ihre ^ergenSwünfehe fo 
ohne SBeitereS gu roeihfein. Sie leifiete ernftbaften SBiberftanb. Slber 
fehliefelich feöblten auch hier bie fort unb fort faHenben tropfen »äterlidben 
SiatbeS unb mütterlichen Drängens ben nicht gerabe gu ben ©raniten ge« 
börenben Stein, unb fo oerfünbeten gegen ©nbe beS SBinterS feattliche Sin« 
geigen ben überrafchten greunben beS Kaufes bie Verlobung oon ©berbarb 
©mft unb ©rna ©itetwein. 

©er Vrautfeanb butte fie einanber genähert, butte Re beiberfeitig ihre 
guten ©igenfehuften fchäßen gelehrt, unb fo fchienett fie — gut g-reube ber 
©itern — fich mit bem Scffecffal auSgeföbnt unb allen R'atnpf, alle SBirr« 
nife glücilich überrounben gu hoben. Dber mar es noch ein Vacfeflang 
baoon, roaS mitten im $ubel beS gefteS in einem unberoachten Slugenblicfe 
bas Slntlife beS jungen ©atten recht ernft unb baS ber jungen mprten« 
gefchmüeften Jrau etwas abgefpannt unb bleicher als gewöhnlich erfcheinen 
tiefe? SB3o£»t nur ein fleineS, rafch gerfeatternbeS SBötfchen! ©enn als fee 
halb barauf nach aufgehobener ©afel Stau in Slrm läd&elitb unb grüfeenb 
bureb bie eingelnen froh belebten geftgruppen fchritten, hier einen toiS oon 
prächtig gepulten ©amen mitten in ihren fritifehen ©oilettenftubien ftörten, 
bort mit bem jungen Volfe, baS fidj längfe non ben fyeffeln ber ©ifefe* 
orbnung befreit butte unb ben Veginn beS ©angeS faum noch erwarten fonnte, 
fcherjten unb lachten unb fich felbft in bie ^errenjimmer wagten, wo in beS 
©igarrenbampfeS trüber Vebelattnofpbäre bie ©inen fich um einen guten ©ropfen 
gefchaart, bie Stnberen gu ben unuermeiblichen Sfatfarten gegriffen batten — 
ba hätte jeber ©injelite in ber ^eftgefellfcbaft barauf febwören mögen, es 
fei ein fcfeöneS, trefflich gu einanber paffenbeS glüdflidjeS ißaar. — 

©ine Stunbe fpäter fafeen ©berbarb unb ©rna in einem Goup6 erfter 
klaffe beS nach Süben gu rollenben ©ifenbabngugeS. ©r legte feinen 2tm 
um ihre ©aide unb gog fee näher gu fich heran. „Gnblich, enblich, liebe 
©rrta, finb wir mit uns allein; unb nun ein offenes, ehrliches SBort, baS 
beftimmenb wirfen möge für unfere gange 3ufunft! ©inen bidfen Strich 
burdb bie Vergangenheit! feine Vücfbticfe! feine Vefenntniffe! gür uns beginnt 
beut ein neues Seben — lafe’ uns treu gufammenbalten in $reub’ unb Seib’l 

16 * 



236 


!1T. Bccrel in £ 7 trfcfjbcrg. 


3 cf) ucripredbe, ©ir ein guter, treuer imb forgfanter ©atte 511 fein — nriUft 
audi ©u ollejeit maljr, treu unb gut ju mir fein? Serfprid) mir'S!" 

„gdj mill!" unb bie 9 tugen marin 311 ifntt auffdifagenb 06 feines treu* 
f;er3igen SSorteS, id)(ang iie bcibe Slrme um feinen $als. Gr ^tett fie feft 
an feiner Srufl; bann 60g er il)r ftöpfdbcn surüd, blidte ifjr nod) einmal 
red)t tief in bie ^cttfendilenben, non einem Stopfen roarmen frönen* 
tbaueS befeuchteten 3 tugen unb brüdte einen langen, Ijeifren Kuß auf ihre 
Sippen, ben fie in inniger Suft einfog unb miebergab. 

®aS junge fßaar mar uon feiner föocbjeitSreifc surüdgefebrt, unb bie 
unoemteibüdjen 2 lntrittSbcfucbe fianben beuor. Gberbarb fudite fie möglidbfi 
meit f)inau^3ufcf)ieben unb auf einen mögfidift Keinen ÄreiS ein3ufd)ränfen. 
Gr rooffte baS Schagen feiner jungen $äuslid)feit recht lange ungeftört 
genießen unb mar iiberbieS ein geinb jener fdiablonenbaften ©efeUigfeit, 
beren innere ^o^Ifjeit bei allem gleifjenbeit Schimmer er 3ur ©enüge fennen 
gelernt hatte. — 2 lnberS Gma. Sie fonnte eS faunt erroarten, ihren 
greunbinnen unb Sefannten bie .öerrlidjfeiten ihres reich unb mit feinem 
©efdbntad auSgeftatteten ^auSfialtS 3U erfdjliefen unb fidh an ihrer — roie 
fie annabnt — unausbleiblidien Semunberung 3U rceiben. Unb jene ©efell* 
fdiaften, über bie Gberbarb oft in auSgelaffener Saune fo boSljaft 3U 
fpotten muffte, maren bisher ihr SebenSelement geroefen. Reiter unb froh 
mar fie als junges fDfäbdjcn auf bem glatten Strome 3roifdjen ladjenben 
Ufern bal)ingefcbmommen unb fjatte ftd) fd)on langft barauf gefreut, ber* 
maleiuft als junge grau in bem bunten, luftigen ©reiben eine tonangebenbe 
Stellung einnebmen 3U fönncn. 3 b r ^»er^chen fdjlug böb er in ber froben 
Grroartung, mm enblicf) biejen SBunfd) erfüllt 3U fel)en. SBie hätte Gber* 
barb ihren Sitten 3U miberfteben uermod)t — in folcb junger Glje behält 
ein junges, liebreijenbeS brauchen immer ben Sieg! Qablreidje Sefucbe 
mürben gemalt unb erroibert, Ginlabung folgte auf Ginlabung, unb halb 
befanben fid) Grafts mitten in bem SBirbcl einer ©efelligfeit, bie Gberbarb 
fo oft ©emütf) uerfladjenb unb ueröbenb gefehlten b<dfe- 

Gr badete barüber noch gan3 fo mie fonft, fenfste oft im Stillen, mernt 
et ben bequemen £auSrod mit bem läftigen grad uertaufdben follte, unb 
febnte fid) uon ben raufdjenbeu geften in fein trautes fjeint unb ju ben 
gemütblidjen Stouberftunben feiner glitterroocben 3urüd, bie ibnt nur atlju 
rafdh entfdbmunben maren unb bereits in nebelgrauer gerne hinter ibnt 3U 
liegen fdjienen. ©en ®ag über nahm iljn fein 9 lmt in 2 lnfpru<b — baS 
böfe 2 lmt, mie eS Gtna nannte, ber eS mie grobnarbeit um fargen Sohn 
erfdjien, mabrenb er felbft einen hoben Söegriff uon bem iittlidjen gnbatt 
feines SerufeS hotte unb ben Slnforberungen beSfelben mit erafter fßflidbt* 
treue nadbfam. SSenn er bann erbolungSbebürftig aus feinem 2lrbeit8s 
jirnmer trat, faitb er mof)t Grna bereits feftlidh gefdbmüdft feiner bötrenb^ 
unb meitn er, uon ihrem Siebreh ent5iidt, fie 3U umarmen unb Kiffen ge* 
bacbte, midb fie i()m lacbenb auS, unt fidh bie jierlichen galten unb Spieen 



(Säfyren fjilft Flären. 


237 


ihres ÜlnjugcS nicht jerbrüden ju taffen. 2i>ieöerbolt hatte er bie 2lbfet)nung 
«inet erhaltenen Ginlabung ober bie äibfage einer bereits angenommenen uor- 
gefcfjtagen; aber bie fauerfüfje SKiene, mit ber fie (ich feinem Vorfdjlage 
fügen ju motten fdiien, betehrte ihn jur ©enüge, welches Opfer fie ihm 
brachte, welche Gntbefjrung er itjr bamit auferlegte, unb bie barauS 
«rwachfenbe Verftimmung beeinträchtigte bie greube beS VeifammenfeinS, 
wenn eS ihm roirftidh einmal gelungen roar, feinen 2ßiHen burdijufefcen. 
Sie roar bei attebem lieb unb gut unb tjerjtidt» ju ihm, nur bah ihr Sinn ben 
wahren gteuben beS Kaufes oöitig oerfdjloffen fchien, unb baß er in feinem 
ftrengen Grnft bisher nicht »erftanben hatte, ben Schtiiffet bafiir ju finben. 

„SRein lieber ©her!" rief fie ihm fo manches 2 Rat ju, inbem fie ftdfj 
über ihn neigte unb ihm 33art unb Haupthaar ftreidfjctte, „mein lieber Gber, 
fei fein iphUifter! Saß uns nidjt £auSunfen werben! Slodj finb roir 
jung — laß uns baS Sehen geniejjen!" 

Unb bann feßte fie fich rooht an ben gliigel unb fchinetterte ilim mit ihrem 
gutgefchutten Sopran „9loch finb bie Sage ber Stofen" fdjelmifd) entgegen. 

„Unb baS nennft ®u SebeitSgenuß?" fragte er, iljr ernft unb tief 
tn’S 9tuge bliefenb. 

« 3 e iß e mit befferen, roenn 3)u fannft!" 

Gr fühlte fich unoerftanben unb fdjroieg. — 

2luf ben SEßinter folgte ber Sommer, ohne eine wefentlidje Vcränbetung 
fierbeijufiihren. 

®ie oon bent gefeEtfdjaftticfjen Treiben abgefpanuten Stemm ber 
jungen grau »erlangten nach bem SluSfprudfe beS &anSarjteS bringenb ben 
Vefuch eines SlurorteS. Gberharb benußte feine gerien, fie bahin 51 t 
begleiten, unb fnüpfte manche ftiUe Hoffnung an biefe Steife. 2lber auch 
hier trat ber ihm über 2lHeS roerthe Slaturgenuß für fie in jroeite, ber oon 
bem Sßabeteben fo oft unjertrennlidhe SBttbel ber Vergnügungen in erfte 
Steiße, unb fie lehrten in ihr &eim jutücf, roie fie baSfelbe oertaffen hatten. — 

Gin paar gaßre oergingen, ohne bah fi<h @twaS ereignete, was fie 
einanber näher gebraut hätte, git ihrer gegcnfeüigcn iuuorfommenben, 
aufmerffamen greunblichfeit boten fie bem oberflädjlidjen Vlide baS 33itb 
einer glüdlidjen Gfje; aber innerlich waren fie einanber fremb unb fdjritten 
neben, nicht mit einanber bahin. Gberharb hatte fein Verftänbnifj für bie 
ihm nur als feidjte DberflächlidiEcit erfdjeinenbe leichtlebige, jugcnbfrifdje 
©enußfreubigfeit feiner grau, unb biefe wieber feines für ben fie inürrifdj 
büntenben feßroeigfamen Grnft ihres SfiamteS. Sie war ißm wirtlich gut, 
unb fie hätte ihm manchmal um ben $als fallen unb ihn bitten mögen, 
fie bodj recht lieb ju haben uub froh ur, b Reiter mit ißr ju fein, wie es 
ihrer beiberfeitigen gugenb gejiente. 316er fte fdieute fid) oor ihm unb 
fürchtete, oon ihm für tl)örid)t unb fiitbifdj gehalten 3 U werben. Unb er 
wieberum oerjidßtete mehr unb mehr auf jeben Vetfud), in Grna eine 
gröbere 5üiefe unb gnuerlicßfeit ju erwerfen, weil er biefe Verfudie für 



238 


IH. Bcercl in ^irfdjberg. 


auSfiditSloS hielt unb bamit aud) noch baS lefcte SBanb p jerreifjen 
fürchtete, baS fte Seibe wenigftenS ättherlid) jufammenfiielt. Unb er 
wünfhte, biefeS Söartb p ermatten — nicht bloS ber ©tenfdjen wegen, 
fonbern weit er trofc altebem unb «Hebern ©tna innig liebte, unb weil er 
t)on irgenb einem unberechenbaren ©reigniffe ber Bufunft eine feftere 
©d^iirjung biefcS iöanbes erhoffte. ®abei würbe er immer ernfter, fd»weig= 
fainer, in iidj abgcfchtoffener. — 

©S famen nod) anbere SBerliältniffe hwp, biefe Stimmung p nähren. 
®aS SSennögen, baS ihm ©rna pgebracht hotte, reichte uotlftänbig hin für 
bie SebenSführung, an bie fte uom ©Iternhaufe her gewöhnt war, unb bie 
fie ihrem eigenen ^»auShatte p ©runbe gelegt hotte. Silber es blieb ©6er= 
harb 9ti<htS übrig für bie 3 roe de, um berentwitten feine fDtutter biefe 
^eirath gewünfcht unb p Stanbe gebraut hotte- ©eine SDtutter, feine 
Schweftcm »etmodjte er nur auSreidjenb p unterftüfcen, wenn ©rna ihren 
foftfpietigen fiebewlgeroohnheiten einige ©infchränfung auferlegte. Sie ober 
für biefen 3wecf baruin p bitten, wiberftrebte feinem ©tot je; ja er »emüeb, 
was er ber Sache fetbft wegen gern gewollt hätte, nun erft recht, nur um 
nicht »on felbftfüdjtigen Seweggrünben geleitet p erfdjeinen. Unb ebenfo 
»erhielt er fidj ben ©einigen gegenüber fdjweigenb, wenn ilpt aud) baS 
^»erj babei blutete, bah er nicht in bem »on ihm fetbft gewünfditen 
SDtahe ihnen gegenüber feine Pflicht p erfüllen »erntochte. ©ie HJtutter 
ftarb ptöfclidj, unb mit bent tiefen Sdjmerje um ihren SBertuft mifdjte ftd) 
bie Sorge um baS CooS ber Sdjweftern. ©r war ihnen nach Kräften 
behilflich, itdj auf eigene $üjje p ficHen; aber StHeS, was et für fie tbat, 
erfchien ihm fdjntal unb farg im Vergleiche p bent, waS bie SDtutter wohl »on 
ihm erhofft hoben mochte, unb was er felbft fo gern für fie gethan hätte. — 

©rna nahm ben innigften 2lntbeil an bem ©dmtetje ihres ©atten unb 
fudite benfelben burch SBort unb £hat unb namentlich burch jene Keinen 
unb füllen, einem wunben ©emüthe fo wohlthuenben SiebeSbeweife nach 
9)töglid)feit p linbern. Silber auch baS führte p feinem »ollen gegenseitigen 
Sßerftänbnih, theils wegen ©berharbs fdiweigfamer Silrt, bie »on ber lebhaften 
©rna manchmal faft als gurücfweifung empfunben würbe, bann aber auch 
weil es smifchen Schwiegermutter unb Schwiegertochter niemals p einem 
recht horjlidien SBerhältniffe gefomnten war. ®ie ©eheimräthin war »iel p 
flug, um nicht p burdpchauen, bah ber »on ihr gefHfteten ©ho baS rechte 
©lücf fehle, unb bah fie felbft famntt ihren Pächtern unter ber »on ihrer 
Schwiegertochter gewählten SebenSführung p leiben habe, ©rna Ipi* 
wieberum hotte gerabep furcht »or ber geifUgen Ueberlegenheit unb bem 
ftrengen unb hetrfdjfüditigen 3Befen ihrer Schwiegermutter unb fudjte jeber 
©inmifdjung berfelben in ihre eigene f5äuStidifeit »on »omherein p begegnen, 
©aburd) hotte fi<h pnfchen Söeiben ein füljlereS, piar rüdhchtSooHeS, aber 
bod) mehr förmliches a?erwanbtf<hoftS=a?erhältnih herauSgebilbet. ®ie 2luf= 
faffung ber SDiutter war erft recht auf bie STödjter übergegangen, fo bah 


(Säuren Ijilft fläreit. 


239 


aud(j iefct ©rnaS t>on ber wahrften ©utniüthigfeit ihres HerjenS bictirtc 
Anerbietungen ©efaljr tiefen, nicht für ganj aufrichtig gehalten ju «erben. 
©0 fehr ite biefer Sßohlthaten bebnrft hätten, bie ©djroeftem oerhielten fich 
jurücfhattenb unb abtehnenb bagegen, unb baburdj wudfiS bie ©ntfrembung. 
3wifdhen beiben Parteien aber ftanb (S 6 ert;arb, beffeit wunbeS ©cntüth am 
meiften barunter $u leiben hatte. @r empfanb banfbar, was ©rna liebeoolt 
unb TOohtroottenb beabfidhtigt hatte, wollte unb tonnte bodh aber audh ihr 
gegenüber feine ©cfjtoeftern nicht oerleugnen. SaS führte 31 t ÜJUhoerftäut»« 
niffen unb Serflimtnungen unb oerhinberte jenes fidj ginben unb 3 ufammen= 
Hingen ber ©eelen, baS unter ber Ginwirfung eine» großen ©d)mer}e3 fonft 
tooht noch häufiger ju erfolgen pflegt als unter ber einer großen greube. — 
Sie Trauer oerbot bie gewohnten 3erftreuungen unb jiuang 31 t ftitlftcr 
3urü<fge:ogenheit. ©berharbS Serien würben bieSmal nicfjt in einem ge« 
räufchoollen Sabeorte, fonbern auf einem Sanbgute oerlebt, baS ©oinmerjien» 
vath ©itelwein fürs oorljer erworben hatte. Sie ©title unb 9tuhe, bie 
einförmige ©leidhmähigfeit beS lanbwirthidjaftlidjen SagemerfeS, baS swecf« 
lofe ©djlenbem burch 2Balb unb $etb thaten Gberharb auSnehmenö wotjl, 
währenb ©nta, nadhbem ber 9 teij ber Neuheit oerflogen war, fid) aflnuit ) 5 
lidh ju langweilen begann. Sa braditc ein unerwartetes ©rcigniß einige 
Abwechfelung in baS ©inerlei ihres SanbaufenthalteS. Gin ©eneralflabs« 
©omtnanbo war 31 t trigonometrif^en Senneffungen in jene ©egenb beorbert 
unb bem ßauptmann oon ©dfjrön mit feinen Seuten baS Herrenhaus oon 
Sudhau als ©tanbquartier angewiefen worben. 3)cit wie geteilten ©m* 
pfinbungen unb ©rwartungen man audh uon ©eiten ber ©dhlofebemolmer 
bem angefünbigten ©afte entgegengejehen haben mochte, fehr halb, nadjbeut 
er feinen ©injug gehalten, war unter fömmtlidjen iÖHtgliebern ber Jamilic 
Gitelwein-.Grnft nur eine ©timnte barüber, bah mit ihm ein angenehm bc« 
lebenbeS Glement in baS bisher ftiHe Haus eingefeljrt fei. Dt)ne über baS, 
waS ihm bereitwilligft gewährt würbe, hiuauS irgenb welche Anfprüdje 31 t 
erheben, ohne feinen SBirthen aud) nur bie geringfte ©ene aufjuerlegeit, 
ging ber Hauptmann eifrig ber Söfung ber ihm geftellten Aufgaben nach 
grübjeitig fdfion ritt er aus, lieh auf ben ihm geeignet fdheinenben Höhen 
feine trigonometrifdhen ipyramiben errichten, oiftrte unb mah unb oer« 
brachte nad) feiner Heimfehr oiete ©tunben auf feinem 3in«uer mit bem Gin« 
jeidhnen unb ^Berechnen ber gewonnenen 9tefultate. Grft jur Hauptmahlzeit 
beS SageS, bie nadfj weftlichen unb füblichen SJluftern auf 6 Uhr beS 9iad)« 
mittags oerlegt war, erfdjien er in bem fleinen $amilenfreifc unb oerftanb, 
in ber unbefangenften äöeife baS 9M)t iowie bie bemfelben fotgenben ©tunben 
gemütlichen SeifamtnenfeinS burdh anregenbe Unterhaltungen ju würjen. — 
Son hoher ©eftalt, mit ebenfo freunblidjent wie geiftooHem ©efichtS« 
auSbrucf, befah er neben ©idherheit beS Auftretens unb gewanbten gefett- 
fdhaftlidhen formen eine nidht gewöhnlidhe Silbung unb bie Jvertigfeit, in 
fdfilidhter, aber bodh feffetuber 3 iebe ©rlebteS ju erjäljlen unb Meinungen 



2^0 


ttt. £eerel in Ejirfdjberg. 


5U uertreteit. Sein Urteil roar bestimmt, aber rüdfid)tS»olI, immer ntilb, 
niemals abfpredjenb. Sßieroohl fein Sitter baS eierte Sahrjefjnt nod) nidjt 
überfdmtten, fjatte er bod) bereits nie! unb QntereffanteS erlebt, mar auf 
bem Schladjtfetbe »ont jungen gätinridj jutn Sieutenant auancirt unb batte 
fpciter an überfeeifdjeu ©ypebitionen tbeügenommen. 2l(S ibn nadj feiner 
&eimfefjr ber Zufall in eine fteinftäbtifct>e ©arnifon uerfdjtagen, batte er bie 
bortige 9)iufje 51t crnften Stubien benufct, bis man ibn in geregter 
Söürbigung feiner SeiftungSfäbigfeit aus ber Kruppe junt ©eneralftabe 
Ijeranjog. $Bon einer feitenen SSielfeüigfeit, «erftaub er es, fidj ebenfo ein* 
gebenb mit bem Gommeräienrath über SfationalöfonomifdjeS wie mit ber 
Gommerjieurätbin über Kheatergefdjidjten unb ben neueften ©otbaifcben 
■Öoffalenber 5U unterhalten, ©ma am Sliigel ju begleiten unb mit ihr über 
bie neueften ©rjeugniffe ber frönen Sitteratur ju plaubern unb enblid) mit 
©bewarb. bie roidjtigften politifdjeit unb fociaten KageSfragen ju erörtern, 
fo baff it)n Sieber »on ihnen gcrabe auf feinem eigenen SieblingSfelbe für ganj 
befotiberS bebeutenb tjiett. 9lm auffallenbften mar bie Umnmnbtung, bie ber 
■i>erfebr mit bem .ftauptmann bei ©bewarb beroorbradite. ©r roarb ge* 
fprädjiger, munterer — bie' ftarrc ©isfrufte ftrengen ©rnfteS fdjien ju 
fdjmeljen, unb barunter fam fo oiet frifdies, gefunbeS Beben ju Kage, ba$ 
Grna mit freubigem «Staunen auf ihren ©atten btidle, menn fie ihn als burcb* 
aus ebenbürtigen ©egner bem ^jauptiuann gegenübertreten unb mit ihm über 
fragen ftreiten fab, über bie nadjjubenfen ober gar fi<b ein Urtbeit 5u 
bitben, fie fetbft bisher niemals gemagt batte. ©berbarbS lebhaftes SluSfidb* 
berauSgcben mar ihr gerabeju neu, unb menn fie fi<b bann na<b beifeem Siebe* 
gefedjt in ihr Sdjlafjüinmev jurtidgejogen, banfte fie ihm roohl mit berjlidhent 
i?uffe bafür, bafe er ihr ©elegenbeit gegeben habe, auf ihn fiolj ju fein. — 

9)ian mar eines SlbenbS früher als geroöbnlidj eoin Kifdje aufgeftanben 
uitb batte, um fidj bes fchönen SomuterabenbS ju erfreuen, ben Siadjtifdi 
auf ber Kerraffe feroiren taffen, bie, an ber hinteren ©eite beS SdjloffeS 
gelegen, einen freunblicben SluSblid auf fbügefreiben, SBalb, Selber unb 
äSicfeu bot. ©iS ä la Sieffelrobe, etmaS leichtes ©ebäd unb rooblfrappirter 
.'öeibiied bilbeten bie materielle Unterlage für bie Stadjtifd^ißlauberei, bie 
halb in nollent ,3 u 3 e mar. Kie Gontmerjienrätbin mar micber einmal 
über BinbauS „3ug nach bem SBeften" geratben, ein Söudh, baS fie be* 
fonberS intereffirte, roeil fie einjelne fßerföntidjfciten ihrer Sefamttfdjaft unb 
bereit ©rlebniffe berauSjnerfennen glaubte, unb roeil fie Söetnerfungen barati 
fnüpfen fomtte, bie 5U ihren SiebtingSfätsen gehörten, uub bie auch beut 
jur ©rörterung 51t ftcKen, fie ficb nid)t uerfagen ntodjte. 

„SDlir ift biefe ntoberne 2luffaffung ber Herren Siomanbichter non ber 
©he, biefeS fid) fo leicht non einanber Böfen unb in anberer 2Beife micber 
jufammen paaren redfet unfpmpathifcb. ®S erinnert mich an bie früher fo 
beliebten 2lbflatfdi4ßofonaifen, bei beiten man aud) fo ohne SBeitereS aus 
einer ^ianb in bie aubere überging, unb bie mir ftets fehr roiberroärtig 


(Satiren tjilft fläreit. 


2 *\ 

gewesen finb. (Sine Ghe ift bocf; fein ftleibungSftiicf, baS ntan beliebig an= 
unb auS}ieht ober gar bei ©eite wirft unb es mit einem anberen oertaufcht, 
wenn eS Gütern nicht recht paffen will. £at man fidj gegenfeitig fein 
SBort nerpfänbet, fo ntuh man auch mit einanber auSljalten. aSorübergehenbe 
diffonan}en giebt eS auch in ber beften Ghe, unb wag man l)at, weih man, 
niemals aber, maS man befommt!" 

„‘öraoo ! braoo! $oft (Recht, liebes Stiitb," rief ber Gommerjienratb, 
inbem er ihre &anb ergriff unb järtlich füj?te. „9lur barin irrft du, bah 
du ba» für etwas SJtoberneS 3ä) fönnte dir aus ber 3eit meiner 

gugettb wirflidj erlebte ©Ejefd^eibungSgefd^idfiten erjählen, bie alle biefe Gr= 
bidjtungen weit hinter fidj taffen. Unb ich biirfte mich ja andj nur auf 
unfern 2lltmeifter ©oetfje berufen, ber wie fein 2lnberer bie ©efcllfdjaft 
feiner 3eit }u fdjilbern gemuht ^at, unb ber uns in feinen 2Bahloerwanbt= 
fdhaften nicht bloS derartiges erjählt, fottbern eS felbft als Gonfeguett} beS 
■JlaturgefefeeS, als (Statur noth menbigfeit erflärt unb »ertheibigt." 

„das nun bodj wohl nicht," warf Gberharb bajwifdjen, „benn bah 
©oethe felbft trofc aller fdhönen ©leidjniffe bie chemifdjeit ©efe|e nicht als 
für 2)tenfdjenfd;idfal mafigebenb angefeljen wijfen will, jeigt er uns am 
beften baburdj, bah jene anfdseinenb naturnothwenbigen SOerbinbungen in 
ber dljat nicht ju ©taube fommen, unb bah bie, bie in unwiberfie()licher 
3ln}ieljungSfraft ihnen }uftreben, }umeift baran }u ©runbe gehen, galt} wie 
auch fonft — im Sehen in golge ber Gollifion mit ber focialen Drbnung, 
in ber di<htung in golge ber poetifdjen ©ered)tigfcit." 

„Sagt, waS3h r wollt!" fprad)Grtta, nadtbem fie eine 2ßeile nadtbenfenb 
uor fich hin gefehen, „i<h holte nun einmal eine Ghe, bie ihren füttidien ©runb= 
bebingungen nid)t mehr entfpridst, für unfitttidj. Unb hot man erft biefe 
Ueberjeugung gewonnen, fo muh man auch beit (fftutlj hoben, eS offen auS}U; 
fpredjen unb bie $ette lieber }U jerreihen, als fte ein ganjeS langes Sehen 
lang fort}ufd)leppen unb fich ^erj unb ©eele non ihr wunb brüefen }u (affen, 
©ie lächeln, £err $auptinann£" fdjloh fie, ihn betroffen unb oerlebt anblideub. 

„(Beleihung, gnäbige grau! waljrlidj nidjt über ©ie," antwortete 
biefer erröthenb. „3# hohe 3h ren aUfeitigen 2luSeinattberfebungen mit 
dfseilnaljme }ugehört unb babei im ©tillen tnandie grage an midi ge; 
rietet; unb ba muhte idj plöblid) an baS äöort eines alten Sßerrn benfen, 
baS er mir in’S ©efidjt fcfjleuberte, als ich bei bent lebhaften ©treit über 
einen englischen (Roman baS barin gefdiilberte Verhalten einer -Mutter nicht 
recht lebenswahr fanb. ,©ie finb niemals Mutter gemefen! 1 rief er mir 
halb im ©djet}, holb aber auch in ootlem Grnft entgegen. 3dj bin nie; 
mals »erheirathet gewefen, unb idj meine bodj, bah mon über gewiffe 
gragen nur bann ganj oodgiltig urtheilen fann, wenn man wenigftenS 
ihre SorauSfefcungen einigennahen burdh eigene Erfahrung fennen gelernt 
hat. die dheoric ift hierbei eine }u ttnfidjere giihrerin. Silber GineS, 
gnäbige grau, ift mir in gh*« Sftebc aufgefallen : ©ie sprachen oott Mutt), 



2\2 


1TI. Beeret tn J 7 «tfd|berä. 


aber nur non beut actioeit äliutf), ber betten jerreifjt, — haben Sie au# 
an jenen anberen gebad)t, ber in bergteidjcn Raffen fi# erjl re#t ju be; 
mäbren hat, ben 9)tuth, ber ben vergifteten ^feiten unfi#tbarer, unfaßbarer 
ffeinbe fiegrei# Stanb galten, ber gegen ben Sannftrahl ber ©efettfdjaft, 
gegen ben ungreifbaren Sta#el ber Serleuntbung gewappnet fein muff? 
©tauben Sie einem atten Solbaten: eS ift leichter, mit £obeSoera#tung 
bent geinbe entgegenjuftüruten, als ruhig unb feft auf feinem ipia^e ju 
ftefjen, wäljrenb bie ©efdjoffe ringsum nieberhageln." 

„Sie haben fefjr 9 te#t, .§err Wauptmann," ftinunte ©berhatb bei, „unb 
in ber Siegel fehen biefe ®inge in ben Romanen fefjr ntel fd)öner unb poetifdjer 
aus, als wenn fte baS praltif#e Sehen in ganjer Utüdjternfjeit unb Wäfjti # 5 
feit in nuferen SlmtSftuben 511 t @rf#einung unb ©ntf#eibung bringt." 

„©enug! genug!" rief ber Gommerjienrath, „möge Slientanb uon unS 
fi# mit biefen fragen anberS als in ber Theorie 5 U befdjäftigen haben! 
Slber taffen Sie uns ju heiteren Stoffen übergehen! Saffen Sie ben 
Weibfiecf nicht warm werben, ijerr Wauptinann! Unb $>u, Grna, fieh, wie 
ber Fimmel fid) fd)on jum Sommerua#tSfeft in prächtigen Purpur fteibet!" 

„Waft wieber einmat Siecht, Sllter!" fpra# bie Gommer, üenräthin 
freubig juftiminenb, „baS fonunt non biefem 3ug na# bent SSeften! 9Jiein 
Sieffelrobe ift fafl gatt* jn Creme jertaufen." 

Sli#t immer hatte bie Unterhaltung einen fo emften Ghatafter, waS 
auch GrnaS heiterem, lebensluftigem Sinne fet)r wenig entfprochen haben würbe. 
2 Beit öfter würbe gefdjerjt, gelacht unb gefungen. 6 ma befag eine leibliche 
Stimme unb hatte eine gute S#ule gehabt, unb ber .fjaupttnann begleitete 
gut unb fang wohl au# felbft hübf#e SolfSlieber unb heitere S#naberhüpfeln, 
bie er gattj gef#idt ju impronifiren oerftanb. 3 n fo h^terer ©efeüigfeit 
verflog bie 3cit raf# unb angenehm, fo baß, als baS Gomntanbo beä 
WauptmannS ju Gnbe ging, ber 3lbf#ieb faft ein wehmütiger mar, unb 
baS SBiebetfehen in ber Wauptftabt aHerfeitS als felbftverfiänbli# galt. 

Salb barauf waren aud) Gberharbs Serien abgelaufen, unb freubig 
geftanb er fi#, bah et befriebigter, als ba er fein Wehn oerlaffen, in baS- 
fclbe jurüdfehre. 9ii#t hloS, bah er eine Bedang frei uon Slctenftaub 
unb ahfpannenber SenifSarbeit, in betn ©enufj ber freien Statur ©eift unb 
Körper erfrif#t unb gefräftigt hatte, — was ihm no# mehr galt, fein 
Serl)ältnih }u Grna war inniger, herjli#er geworben. $eneS unruhige ©e= 
feHfcfjaftStreiben, baS haften na# 3erftreuung unb Vergnügen, jene unauf; 
t)örli#cn 33efu#e, bie fi# jubringli# in jebeS trauli#e Seifatnmenfein 
mif#ten, jebe Unbefangenheit aufhohen unb mit ihrem Jilatf# jebe 2lrg* 
lofigfeit uergifteten, alles baS, was fo lange ftörenb unb entfrembenb jmif#en 
ihnen geftanben hatte, hier war eS weggefallen, föier gehörten fie mehr 
als je fi# felbft, hier war 3 eit unb Gelegenheit, einanber feelif# näher 
5 U treten. Gr hatte feine innige fyreube an GrnaS harmlofer, unbefangener 
Weiterleit unb erft re#t baran, bah trob f#einharer Cberfiä#li#feit ihre 



«Säuren hilft flätcn. 


2^3 


SlnfChaumtgen unb Urteile oft mehr ©mft unb ©iefe jeigten, als er ihr 
jemals jugetraut hotte. ©S mar if>m ttod^ nie fo ioof)[ in feiner ©he ge* 
roefeit, unb er hatte feinen fjeifjeren SBunfd), als bafj fidf biefelbe in 
gleitet Sßeife fortentmitfeln unb baff |ie cnblidj mit einem Segen beglüdt 
roerben möchte, ber bann fidjer ju bem uon ihm bisher fdjtnerjliCh rer* 
mifeten notlften ©inflange führen mürbe. — 

SKudj ©rna hatte mit greuben beobachtet, roie [ich ihr emfter, mürrifCher 
6ber unter bem ©influffe beS SanblebenS jum IiebenSmürbigen ©efetlfChafter, 
jum järtlidjen ©atten, ja manchmal faft bis jum feurigen Siebhaber ums 
geroanbelt, unb mit oollbereChtigter fChelmifdjer JMetterie fuChte fie ihn in 
biefer ihr fo fdjmeiChelhaften Stimmung ju erhalten. ©leiChmohl erregte 
eS ihr ein ungemein roohtthuenbeS ©efühl, als fie bie einfame, einförmige 
SommerfrifChe mieber mit bem geräufdjnoHen, bunten ©emühle ber £>aupt= 
ftabt nertaufChen fonnte. ©er burCh bie Straffen fluthenbe SKenfChenftrom, 
baS bienbenbe eteftriiChe SiCht, bie lodenbe 5ßradjt ber Säben, baS Stollen 
ber ©quipagen, baS kennen unb haften — fur$ alles baS, maS bem an 
groffftäbtifdieS ©reiben ©eroöhnten fo oft gerabeju als SebenSelement gilt, 
roirfte nach ber modjenlangen 2lbmefenbeit auf fie mit neuem pacfenbent 
Steij, fobafc ihr unter biefen ©inbrüCfen bie trübe ©unftatmofphäre immer; 
hin noCh athmenSmertfier erfChien als bie reine, flare Sanbluft in ntenfChen; 
armer fflur. ©berharb fChüttelte ben Stopf; ihm mar baS unoerftänblidj. 
©r fonnte fidj nur fChmer in baS Sttltgeroohntc finbeit unb fam jiCh mie ber 
Schmetterling oor, bem, nadjbem er frei unb froh in ©lumem unb ©tüthem 
praCht umhergefChroärmt, plumpe .§«nbe ben garbenftaub oon ben klügeln 
jiriChen, um ihn mit ijkpierftreifen an ein Srett ju fChmieben. 2lud) baS 
ging vorüber, roenige 2BoCE)en, unb man mar mieber im alten ©eteife. 

©er ©Unter mit feiner erhöhten ©efeüigfeit mar gefomnten, aber baS 
©rauerjahr mar noCh nidjt ju ©nbe unb ©rna beShalb immer noCh mehr 
als ihr lieb an’S &auS gebannt. Söefndje mürben jmar in reichlicher gnlfe 
gemalt unb empfangen; aber bie ©eridjte non heften, an benen fie nicht 
theilnehmen fonnte, unb bie fiCh in ber ©efdjreibung noCh nerfoCfenber auS= 
nahmen, als fie in Söirflidjfeit geroefen fein mochten, erregten ihren Unmuth. 
Sie mar teijbar unb oft in nerbriefflidjer Stimmung; aber fie mürbe biefelbe 
rafdjer unb leister überrounben hoben, menn ©berharb, mehr als je non 
2lmtSgefChäften in SlnfpruCh genommen, fie meniger allein gelaffen hätte. So 
aber behielt fie 3«t, fidf ju langroeilen unb ©rillen ju fangen, roährenb auCh 
ihn bie erhöhte ÜIrbeitSfaft oft abfpannte unb meniger unterhaltenb machte. — 
SllS ©rna eines ©ageS non einem ©efudje bei ihren ©Item, bei benen fie 
auch feine befonberS heitere Stimmung gefunben hotte, — ber ©ommetjien; 
rath mar an einem ©iChtanfatle erfranft — naCh Soaufe jurüdfehrte, mürbe 
ihr bie Starte beS £auptmann non SChrön übergeben, ber in ihrer Störoefen; 
heit ben ©etfud) gemacht hotte, bic SuCbauet ©efanntfcbaft ju erneuern. 
,,©aS märe bodj menigftenS ein SiChtblid," rief fie erfreut, unb überrafd)te 



HL Becrcl in fjirfdjberg. 


2<k\ 

uißt minber angenehm ifjren Satten, als fie ißm bei feiner £eimfcßr bie 
• Äarte beS £auptmanns triutnpßirenb entgegenßielt. Sem oerfeßlten Scfucße 
folgte feßr halb GberßarbS ©egenbefuß unb bie Ginlabung ju einem Seiler 
Suppe — wie man eupßemiftifß ju fagen liebt — „mit Stüdjißt auf bie 
Srauer ganz einfad) unb im engften gamilienfreife". Ser .fjauptmann fam, 
man begrüßte fid) ßerzliß, aß unb tranf, plauberte munter unb angeregt über 
ÜltleS unb GiuigcS, uitb naßbent ein paar Stunben unerwartet rafß oer* 
flogen roaren, geftanb man fid) gegenfeitig, baß man fie äußerft angeneßm 
oer()rad)t ßabe, unb baß eS unoerantroortliß märe, fid) ein fo ßannlofeS 23er; 
gnfigen nißt tnöglid)ft oft ju gönnen. So roarb ^auptmann oon Sßrön 
in furjer 4?auSfreunb im £aufe beS 3lmtSrißterS Gbetßarb Grnft. 

Me Setßeiligten ßatten ißre greube baran. Gberßarb mar ein oiel* 
feitig gebilbeter Wann, bem 9iißtS rneßr jutoiber mar, als bie bloße io* 
genannte gaßfimpelei, unb wenn er Sag für Sag Stunben lang angeftrengt 
über Sieten gefeffen, feßnte er fid) banaeß, auß einmal über fragen aus 
anberen ©ebieten geiftigen SebenS fid) mit einem gefreuten Wanne aus* 
zufpreßen, Weinungen, Urtbeile, Gtfaßtungen auSzutaufßen. Gr begegnete 
fid) barin mit bem ^auptntann, ber, non £aufe aus fein ftrammer 
Gommißfolbat, fid) fßon burß feinen ganzen SebenSgang bie Gmpfängliß* 
feit auß für anbere als militärifd)e ^ntereffen beroafjrt ßatte. 3ß*e 3lu* 
fid;ten, oft non ber lanbläufigen 9lnfd)auung weit abliegenb, ftimmten »iel= 
fad) untereinanber überein, maS fie untfomeßr einanber näßerte. So holten 
fie ficfi benn naß Seenbigung ber Sienftftunbcn gern ju gemeinfßaftlißcn 
Spaziergängen ab unb feßten rnoßl auß bie babei angefangene Unter* 
ßaltung in irgenb einer ipiauberecfe eines SBein* ober SierßaufeS fort. 
Unb wenn ber &auptntann bann Gberßarbs Sitten naßgab unb ißn in 
feine £>äuSlißfeit begleitete, ober wenn er ab unb zu aus eigenem Sfotriebe 
an bem Sßeetifd) beS befreunbeten GßepaareS erfßien, bann ßieß ißn Gma 
nidßt minber ßerzliß wilifommen als ißr geftrenger Gber. Wit einer roeib* 
ließen Slrbeit befd)äftigt, laufdßte fie bem ©efprädße ber Wänner, lenfte es 
gefßidt auf ©ebiete, bei benen fie ließ felbft mit leießtem ©eplauber be* 
tßeiligen fonnte, ober unterbraß es raoßl auß, menn es ißr gar ju emft 
unb langweilig würbe, inbem fie ben gliigel öffnete unb in Gigarrenbampf 
unb WeinungSftreit ßinein ein luftiges Sieb ertönen ließ, baS nur feiten 
feine äßirfung oerfeßlte. Sie Wänner faßten, unb fofort war ber £aupt* 
mann an ißrer Seite, um fie ju begleiten ober abzulöfen, fobaß bie emfteften 
Utebefämpfe in luftigen Sßnaberßüpferln unb 3°blent auSzuflingen pflegten. 
Salb ßatte man fiß au biefen intimen greunbfßaftSoerfeßr berartig gewößnt, 
baß an Menben, an benen baS Gßepaar mit ßß allein war, Gberßarb fßweig* 
famer, Grna launifßer erfßien als fonft, unb baß ber ^anptmann oft, 
wenn er allzu füll unb wortfarg unter feinen Äanteraben faß, im Sßerjc 
oou biefen gefragt würbe, ob er wieber einen SluSflug naß Slfrifa plane. 

2i'0 irgenb Wenfßcu ein ißarabieS erblüßt, wirb eS auß niemals an 


(Säuren fjtlft flärcn. 


2^5 


verbotenen 2lepfeln unb noch weniger an falfcßen Schlangen festen, bie mit 
ihnen ein böfeS «Spiel treiben. Tie häufigen Befucße be-3 ^auptmann non 
«Sdßrött in ber Familie ©rnft blieben nicht unbemerit. ßrnaS greunbinnen 

- — beeinflußt von berSBelt beS ßlatfdßeS, in ber fie lebten, — machten 

ihre fRanbgloffen baju unb verfäumten nicht, benfefben bei gelegentlichen 
Befudßen in fdfjerähaften Meiereien unb fleinen boihaften 2lnfpielungen 2luS* 

: bruef ju geben. 3lufangS lachte fein barübet — fie fannte ben großen 

„Saßrmarft ber Gitelfeiten" ju gut, um baoon überrafdfjt ju fein, unb fie 

- mar fi<h ißres reinen unb lauteren Sinnes durchaus bewußt. Sie hatte 

iich harm* unb arglos bei freunbfchaftlicßen BerfeßrS mit bein £auptmann 

r. erfreut, ber ihr unb ihrem ©atten nicht bloS angenehme gerftreuung, 

fonbern ©eift unb ©emiith erfrifeßenbe Befriebigung bot. fje häufiger aber 
jene ÜRabelfiicße fich wieberholten, unb je feiner unb fpißiger fie würben, 
r befto mehr oerlor fie ihre Unbefangenheit — fidh felbft unb bem Haupts 
mann gegenüber. SBährenb fie ihm fonft beim kommen unb ©eben ßerjlich 
. bie ^anb entgegenftreefte, that fie bieS jeßt oft nur jögernb unb verlegen, 

: erröthete woßl auch babei unb hotte meift erft eine gewiffe Scheu ju über* 

winben, eße fie in ben gewohnten munteren fßlauberton hineinfam. ©leich* 
jeitig mit biefer Befangenheit bem £auptmann gegenüber jeigte fich, wenn 
, fie mit fich allein war, in ihrem eignen £erjen eine feltfame, ihrem 

fonftigen, frohen, leichtlebigen Temperament burchauS wiberßrebenbe Unruhe. 
Sollten jene böfen jungen ffieeßt haben? SoEte ber &auptmann wirflicßr 
eine tiefere Neigung für fie empfinben? — Unb fie felbft? Sie war fich 
nicht ber fleinften Untreue gegen ihren ©alten bewußt, unb bo<h glaubte 
j;' fie manchmal mit Sdfjrecfen ju gewahren, baß ihr ber fmuptmann nicht 
( > gleicßgiltig, baß er ihr bo<h vieEeicht noch mehr als ein bloßer greunb fei. 
:r Sie verlangte nach ißm, wenn er fich einmal länger als gewöhnlich fern 
hielt, unb vermochte faum ihre lebhafte fjreube ju bergen, wenn er bann 
wiebet erfdßien. Ter Berfeßr mit ißm war ißt ju einer lieben ©ewohnheit 
geworben, auf bie fie nur fdjwer unb ungern wieber hätte verjidßten mögen. 
...v Tabei quälte fie ber ©ebanfe, baß ber .fiauptinann möglicher SBeife unter 
’. t bemfelben boshaften ©efdßwäß jn leiben habe wie fie felbft. — 

Tiefe Bermutßung war nicht ganj unjutreffenb. 3 ll >ar würbe 9iiemanb 
f. ih>n gegenüber gewagt haben, was fidh GrnaS greunbinnen ohne jebes Be* 
benfen gegen fie erlaubten; aber einzelne, wenn auch nur ganj leife an* 
flingenbe Bemerfungen feiner tameraben waren in ißrem eigentlichften 
Sinn nicht gut mißjuoerfteben. Ter ^auptmann war non viel ju ehren* 
,> werther ©efinnung, als baß er bie Buße unb ben 9iuf feiner greunbe auefr 
nur einen Slugenbliöf hätte gefäßrben mögen, fo fcbmerjUcß er es audh em* 
‘ JE ,< pfunben haben würbe, bie Begießungen ju ihnen abbrechen ju müffen. 
n ;i. SfobererfeitS wiberftrebte eS ißm, bem gewößnlichften, fei’S unverftänbigen, 
fei’S boSßaften Älatfcß fo viel Beacßtung 3 U feßenfen ober gar ein fo großes- 
iii- J u bringen. Unb wenn er fidß wirflicß einmal in jarter 9 lücfficßt* 


246 


nt. Beeret itt {Jirfdjberg. 


nannte ctroaS länger non bem befreunbeten £aufe ferngehalten hatte, fiiiji :e 
ihn ber Droh gegen ein gelegentlidj gefallene# 2üort, baS er nicht »elftere i, 
gefd^it>eige benn erroibent burfte, bann erfl red)t in baSfelbe jurilcf. — € o 
mar „ber grofje ©aleotto" auch &ier an ber 2lrbeit, mit jroingenber ©emc It 
baS berbeijufütjren, maS mit beftgetjeur^elter fittlidjer ©ntrfiftung ju w:= 
banunen, er bereit# in oottent 3^ n>ar. Unb roeit entpfmblidher nodj a S 
jene früheren, oft recht fdhmerjhaften Siabelftiche, rourbe ©rna baS gerabe; u 
unfieiintidie ©dhroeigen, baS nach unb nach an beren ©teile trat, unb bcS 
fie mit einer Sfolirfdhicht umgab, bie nicht ju burdibringeu, nid^t ju je r« 
reifen, unb ber gegenüber jebc 33ert^eibigung auSgefdhloffen mar. — 

*350# ©infadjfte unb Sfatürlidhfte märe geroefen, wenn fie »or biefen 
Sßibermärtigfeiten ba ©dhufc unb 3 u ft u< ht gefudfjt hätte, mo fie folche itt 
reidhftem 9Jtage ju finben mit Sicherheit erroarten burfte: bei ihrem Satten. 
3lber gerabe baoor empfanb fie eine uttüberroinblidhe ©djeu. ©berharb hatte 
nidht bie leifefte Sühnung non bem, maS grau unb greunb beunruhigte unb 
ben fyrieben feines Kaufes bebrohte, in bem er fi<h mehr benn je nwl}t unb 
behaglich fühlte, ©o graufam eS immerhin getnefen toäre, ihn aus biefer 
forglofen Stube aufjufdjeudjen, fo mar es bodh nicht baS, monor ©rna juriid- 
fdhreefte. Stein! es mar etroaS 3lnbereS. ©o grob auch bie $o<hadhtung 
mar, bie fie uor ©berharb hegte, fo innig bie Zuneigung, mit ber fie an 
ihm hing, — ihn in allen feinen SBefenSeigenthümlidhfeiten genau ju fennen, 
ihn in allen feinen SebenSauffaffungen genau ju uerftehen, baS getraute ne 
fidh immer noch nicht, ©o fehr fie feit bem ©ommer fich genähert hatten, 
fo fehr niel oertrauenSuotter fie felbft, fo fehr uiet mittheilfamer ©berharb 
gemorben mar, immer nod) lag in feinem ©mft, in feiner Slbgefdjloffenheit 
etroaS ihr grembeS, Unbegreifliche#, baS baS ootte in einanber 3lufgehen 1 
uerhinberte. Unb roenn fie ihm nun SRittheilung oon bem ma<hte, maS fidh 
friebenftörenb eiubrängte — fie nermodjte nidht uorauSjufehen, roeldhe ihr 
vielleicht noch unbefannten ©aiten feines SemütbeS fie bamit in ©chmingungen 
oerfe|en, fie jitterte banor, bah fie in bem ernften unb ftrengen ttJtann bie 
böfen ©eifter ber ©iferfudht meefen fönnte, bie, einmal entfeffelt, mehr nodh 
als jenes ©efChroäjj ihr unb fein ©lü<f untergraben mürben. — 

28ie berechtigt biefe gurdjt mar, fottte fidh halb ermeifen. 9Bo gäbe 
eS nidht thcilnehntenbe ©eelen, bie fidh um bie Ungelegen heiten beS lieben 
Sfädhften mehr ober lieber fiimmern als um ihre eignen, bie unter bem 
idjeinheiligen Vorgehen, füergemif} oerhüten ju motten, 3roietradht unb Um 
heil fäcn, unb bie, ftatt offen unb ehrlidjj ju hanbeln, eS oorjiehen, jene 
SiebeSmerfe ganj im Verborgenen ju thun! — ©iiteS DageS fanb ©berharb j 
auf feinem ©djjreibtifd) ein anonymes SBittet, baS nur bie SBorte enthielt: 
„Stidfjt ju forgloS! 3lugen auf! SBahren ©ie 3hre &auSehre! A @r rollte 
bas S3latt jmifcheu feinen Ringern jufammen, hielt es an eine brennenbe 
Sierje unb jiinbete fidh eine ©igarre bamit an. 311# er aber bann, ben 
Stopf in ben ßehnftuljl jurücfgelegt, ben narfotifcfien Dampf einfog unb in 


(Säuren fjtlft flären. 


2\7 


Stingen nach ber 3intmerbecfe jurüdblieS, rootlte ihm bic Gigarte nid;t 
recht tnunben — Ijatb oerraudht warf er fie bei ©eite unb unternahm einen 
{angen ©pajiergang. ®amit hielt er bie ©ad;e für abgetan — fein SBort 
fam über feine Sippen, unb ©idhts in feinem Seben fdjien ihm »eränbert. 
Slber bie geheimnib»oßen SDtahnungen roieberhotten fid) halb in biefer, halb 
in jener nicht mihjuoerftehenben gorm, unb aßmäl;lidb begann baS in ihnen 
enthaltene ©ift ju roirfen. Gberharb empfanb ein ihm bisher »öüig 
frembeS, eigenartig wiberroärtigeS ©efüfjt, baS er nidht loSwerben fonnte, 
fo energifcfj er au<h bagegen anjufämpfen rcrfuchte. GS ging ihm babei 
wie mit jenen mouckes volantes, bie man gliidlid) befeitigt glaubt, unb 
bie fi<h bocfj fofort «lieber bemerflich madjen, fobalb man feine Slufmerffanu 
feit auf fie rietet. Gr, ber, felbft offen unb ohne galfdh, 3lnbern gern 
unb roiltig »ertraute, fanb fid) mit einem 9Me non einem Slrgroohn, non 
einem ÜJtifjtrauen gequält, bas er für gemein unb mtmürbig hielt, baS er 
in ade liefen ber &öße oerroünfdhte, unb beffen er fid; bodh nidht 5 U er* 
wehren muhte. Oft mar er nahe baran, Grna jene Unglüdfsblätter »or= 
julegen. SBürbe er bodh fdfjon aus ber 2Xrt, roie fie biefetben aufnahm, 
SSahrheit unb Süge ju unter fdheiben nennodht hoben! 33alb aber fdhämte 
er ftd&, einjugeftehen ober auch nur ju nerrathen, bah jene namentofen 
Sßinfe nidht ohne Ginfluh auf ihn geblieben feien; halb «lieber fürchtete er, 
burdh eine SKuSfpradhe möglidher SBeife erft herbeijuführen, roaS jene Glenben 
bereits als geroih annabmen, unb in ben fdhfimmften 3lugenbliden marterte 
ihn bie fyurdfit, eine ©eroihheit ju erfahren, bie ihn nodh unglüdflidher 
inadhen fönnte als bie gegenmärtigen Smeifel. — 

2luS berfetben ©dheu aber unb aus berfelbcn furcht fonnte er fid; 
erft rcd;t nicht ju einer SluSeinanberfefcung mit bem ^auptmann ent- 
fdhliehen. durfte er baS bodh oud) um GmaS mißen nicht. ©0 befdhloh 
er bemt, nor ber £anb nur auftumerfen, ju beobachten unb erft bann ju 
teben unb ju hanbeln, wenn er fidfj rul;ig unb unbefangen ein Urtheil ge= 
bilbet hoben mürbe. 9iubig unb unbefangen! SBer, bem ber Slrgroohn 
feine trüben ©läfer oor’S Sluge hält, hätte jemals auch nur ruhig unb un* 
befangen ju fehen, gefdhroetge bemt ju urtheiten üermodjt! 3 ene finnner= 
roirrenbe Seibenfdhaft, bie Giferfudht, tobte burdh feine Slbern unb oerfefcte 
feine Sternen in eine Ueberreijung, bah er fab unb hörte, wo Stidhts 5 U 
fehen unb StidhtS ju hören mar, bah er ©liefen unb ©Sorten ©ebeutungen 
unterlegte, bie jte niemals hatten, bah f«h ib m ouf bie flarflen ©erhältniffe 
bunfle ©«hatten legten, aus ben bormlofeften Situationen bleiche ©efpenfter 
erfianben, unb bah er für ©dhulbberouhtfein hielt, roaS nur ©etrounberung 
unb Unruhe über fein fo feltfam unb unl;eimlidh neränberteS SEefen mar. 

®et ^auptmann erfannte juerft mit rtcherent ©lief, welcher Unholb in 
Gberharbs ©ernütf) fein SBefen treibe, unb entfdhloh fidh, ber ©adbe furj 
unb ohne uiet SBorte ein Gnbe ju machen. Unter bem ©orroanbe, bah 
eine gröbere Sfrbeit auf lange hinaus feine freie 3 eit nößig in Slnfprudi 


2^8 


m. 2$ecrel in Jjirfcfyberg. 


neunten würbe, bat er um (Srttfdiulbiguug, wenn er iidj in bie Ginfanifeit 
3urücf3öge, uttb brad) ben Serfeljr mit bet befreunbeten gfamilie »ollftänbig 
ab — nicht atme tief fdnnerjlidc Gmpfinbung. Gr fdiäßte Gberljarb febr 
hodj unb wußte, baß für feine edjt freunbfdjaftlidhe ©efinnung io roie für 
bie Sielfeitigfett feines SBiffenS unb bie Schärfe feines UrtfeeilS ihm ber 
Serfebr mit ben Äamcrabeit feinen Grfaß bieten würbe. Unb Gma — 
erft jeßt merfte er, wie febr er fte oermiffen würbe. Aber gerabe baS 
beftärfte ibn in feinem Gntfcßluffe; er wollte unb burfte an beni ehren« 
wertben greunbe nicht 311m gemeinen SBerrätbier werben. 

9iur barin irrte er, baß er mit feiner Gntfemnng alles Uebel be« 
feitigt unb ben ^rieben roit ehebem wicber bcrgefteüt wäbnte. GberbarbS 
nun einmal franfbaft erregte ^BFjarttofic fuhr fort in ihrer unfeligen 3 Irbeit, 
malte iljm fjeimlidjen Sriefroedpel unb geheime 3 U f enf ünf te ror unb 
liefe baS, was hinter feinem Aüdfen gefdjäbe, nod) weit fdjlimmer erfcbeinen 
als baS, was er mit eigenen Augen bemerft 3U hoben glaubte. Gin uns 
gliicflidjer 3 wfaU, bet Grna mit bent $auptmann auf ber Strafee 3Us 
fammengefübrt holte, io bafe Gberborb fie 001t bem fünfter einer Gonbitorei 
aus in lebhaftem ©efprädj mit einanber rorübergehen fab, beftärfte ihn in 
feinem Argwohn. Unb nicht ntinber GrnaS eigenes Verhalten. Sie, bic 
.^eitere, Sorglofe, fab bleüh unb abgehärmt aus unb liefe baS Stopften 
hängen. Sei bem fleinftcn ©eräufch fuhr fie fdjredhaft 3ufammen, unb 
ihre geröteten Augen jeugten non ftitt geweinten üSljränen. Sie wollte 
unb fonnte Aietnanb — felbft ihre Glten nicht — 3U Vertrauten ihres 
ÄumnterS madien. Sie rang unb fämpfte, erwog fein unb her unb wer* 
mochte feinen feften Gntfcblufe 5U faffen. Aur baS fühlte fte, bafe eS fo 
nicht lange weiter geben fönne — fie rnnfete 3U notier illarbeit mit fidb 
unb ihrem ©atten gelangen. 

Unb auch Gberbarb warb biefer 3 u ftonb unerträglich. Gr war 

fchärfer, fdjroffcv, aber audi reisbarer geworben. 3« feine Vhontafiegebitbe 
eingefponnen wie bie Spinne im Aeß, war er feft über3eugt, bafe es sum 
Sruche fommen tnitffe. An bem 3 ntfen feines £erjenS fpürte er, wie 
fdjmersbaft biefer Srucf) für ihn fein, wie triel ^erjenSfafern er mit jähem 
Aude jerreifeen würbe. Aber — wie oft mufete er an jene nbenblicbe 
Unterhaltung in Sudhau unb an GrnaS 25 ?orte benfett: „Seffer bie Äette 
tnuthig b reden als fie ein gan3eS Sehen lang fortfdhleppen!" Sollte fie 
bantals baS Äommenbe ßhon norgeahnt hoben? Unb wenn nun baS Uns 
oermeiblicfee gefdbehen ntüffe, bann — je früher befto beffer! Aur bie Vor; 
bereitung, bie Ausführung bebiirfe ber ruhigen Ueberiegung. 2 Bie aber 
war ruh’tge Ueberiegung möglich, wo bie Serbältniffe felbft, bie Klärung 
rertangten, immer wieber aufregenb unb nerwirrenb einwirften? Alfo fort! 
fort! ©ic Seiben fonnten in feiner Abwefenheit leicht unb rafdher mit ji<h 
in’S Aeine fommen, — unb er felbft — nun, er wolle fidf) wieberju* 
finben fuchen in ber Ginfamfeit unb an bem Suicn jener grofeen AHmutter, 


(Säljrcn tiilft flärett. 2<*9 

bei ber er noch ftets in ben SBirmiffen feines ßebens Sroft unb Jpilfe ge= 
funben habe: an bent Sufen ber gran madre natura. 

Schon längft war eS wieber Sommer geworben. Gr batte einen 
mebmröc&entßdjen Urlaub in ber Safdhe, unb nun galt es nur noch oon 
@rna 5ttbfd>teb ju nehmen — »ieUei#t für immer. — 

©aS Menbeffen mar beenbet; bie übrig gebliebenen Stefte unb bie 
balbgeleerten Seiler liefen erfennen, baff ihm nur mäfjig jugefprodhen 
worben mar. ©er Sljetfeffel ftanb auf ber Serieliuslampe, bereit flamme 
gelöfdht roar; bie ©beeglftfet waren noch jum Sl;eil gefüllt. Gin unflareS 
Tiämmerlicbt war über baS 3imtner gebreitet, ungeeignet ju beutlichem 
©rfemten, aber nicht bunfet genug jurn Gntjünben ber ßainpe. ©ie fünfter 
roaten geöffnet, um etwa« Menbfüijle hereinjulaffen; aber bie ßuft braunen 
mar ebenfo fdbwfil wie bie innen im gimtner. Unb fchwül wie bie ßuft 
mar bie Stimmung ber Seiben, bie fdjmeigenb neben einanber faßen, 
©berharb hotte ftdb eine Gigarre angejünbet; er bemühte fich, ruhig unb 
gleichgiftig ju erfcheinen, unb fonnte bodj nor t&erjflopfen faum fpredfjen. 
9iadhbem er einige Büge fltthon unb ben Stauch non fidj geblafen hatte, 
legte er bie Gigarre bei Seite unb begann, als ob es fich um etwas 
©eigentliches, UnwefentlidheS tjanble: „$<h gebenfe morgen ju oerreifen." 

„Mein?" fragte Gma, bie aufjuhorchen begann." 

„Mein." 

„Mf lange?" 

„Stuf einige SBodben." 

©aS Slut fdhojj ihr in’S MtUfc. „9BaS bebentet baS?" fam es faft tonlos 
non ihren Sippen. „2öaS fod es bebeuten?" „©u wittft mich allein taffen?" 

„ffürcfjteft ©u ©ich?" 

Sie war aufgeftanben. „Unb ©u, fürcßteft ©u ©ich nicht?" 

Gr fühlte, baß er erbleichte; fich Mt jufammennehmenb, griff er nach 
ber Gigarre unb erwiberte mit erzwungener Halte: „SBaS foll idh fürchten?" 

Sie hielt ftdh mit beiben Jßänben am Stanbe beS SifcfeS feft. „Qdh 
weiß nidht," fpradh fie leife wie in’S ßeere hinaus. Stach einer SBeile aber 
fefete fie lauter unb wärmer hinzu: „Shu’S nicht!" 

SEßar’S eine SBatnung? mar*S eine Sitte? 3h>n fchten’S eine SBamung, 
bie ihn in feinem unfeligett SPaßne beftärfte. — Gma hotte fich auf einen 
Stuhl abfeits beS SifdjeS gefefct, hielt beibe .fjänbe not’S 2lntlifc unb 
meinte. „2BaS ift gefdßehen?" begann fie enbHdh unter ©htänen, ba 
Gberharb fdhmieg unb mit ben gähnen feine Gigarre jerfaute. „SBaS habe 
idh Sit gethon? SBaS gfaubft, was argwöhnft ©u? Seit nielen SBodfien 
fdfjon oerftehe ich ©idh nicht mehr, fürchte ich mich nor ©ir, unb — bei 
meiner Seele Seligfeit! idh hin mir feiner Sdhulb bemüht!" 

Gs fam ihr aus tiefftem $erjen, es Hang fo wahr, fo fiberjeugenb, 
es hätte ihn überzeugen müffen, wenn er unbefangen gewefen wäre. Mer 
er war nicht unbefangen. $u tonge fdhon hotte baS ©ift in feinem 3'mtem 
mb e«b. xcn. m. 17 



250 


m. Beetei in ffirfcbbetg. 


gewühlt, fyitte all fein Tenfen unb Sinnen burchfeßi; bie 3«* einer 
Secunbe, bie Äraft eines SBorteS waren nidit auSreubenb, feine oerfperenbe 
©emalt p entfräften. 3Iber otme SBirfung blieben ihre Sporte nidit. flum 
erften SJlale flog ißm ber ©ebanfe burch’S $im, baß er ißr bodj uieBeicbt 
Unrecht getban haben fönne. @S mar wie ein Sliß, ber plößltd» aufs 
flammte unb ebenfo plößlicb roieber erfofdi, ber aber bod) genügt batte, für 
einen äugenblüf wenigften# baS Tunfet ju erhellen, ©in fdmwdier Sdtimmer 
banon jitterte noch in ihm nach; aber — nidit ber Stimmung be$ äugen» 
blirfs wollte er nadigeben. ©r wollte 3eü gewinnen, fidi p fammelw, p 
prüfen. Tie Steife — fie allein fonnte Stettung bringen aus bet 2$>itr* 
niß, fei’S nach ber einen, fei’S nach ber anberen Sliditung bin. 9fDeS bei 
wirbelte in eine# ©ebcmfenS Spanne in ibm burdheinanber; aber er batte 
ficb bodb pfammengerafft, unb fein Ton tlang etwa# weidier; „©run, feine 
äuSeinanberfeßungen beut! SBir finb SBeibe nidit rubig genug. Ta« ge» 
fprodiene SBort ifi wie ber abgeftfoffene fßfeil, ber nimmer jurficffeljirt. 
3<b reife morgen unb fiberlrffe Tidi für einige Sßodben Tir felbft p 
freiefter ©nt'diließung," er fpradj bie lebten 20 orte lanafam unb mit 
fiärferer Betonung. „2Benn idi wieberfomme, werbe idj eine ernfte ffrage 
an Ti dj fteHen, unb bann mag es flar werben pnfeben uns. 2Par, was 
in biefen lebten SBodhen jwifdhen uns ftanb, nur ein £audj, fo wirb er 
jerftattert fein; war es mehr — nun, an jenem Slbenb in Sucbau fjofl Tu 
felbft bie lebten ©onfequenjen gejogen." 

Sie war aufgefprungen; fie hatte, als er begann, ibm erwibem. Re batte 
in bem Ueberquellen ißreS fterjenS ihm in bie ärme fallen unb ßdj, wonach 
fiefid) fo lange gefeßnt, mit ibm ausfpredjen wollen. SRun aber — er alaubte 
fanft unb milbe gerebet p buben — ibr jeboeb erfdjien baS MeS fo folt, fo 
liebeleer. 3br Stolj flieg übermächtig in ibr auf, unb wenn es ibr ?eben 
gegolten. Re butte jebt fein 25>ort p ihrer Sertfjeibigung p fagen nerniocbt. 
Unb beburfte Re benn überbuupt einer Sertbeibigung? 2Bar e# nicht tief 
unter ihrer 28ürbe, anjufämpfen gegen erniebrigenben SSerbadit, ben Re nur 
abnte, ber ibr nidit eiumal faßbar gegenüber trat? SWit einer eiRgen Shilje 
fpradj Re: „3wei Tinge b«R Tu genannt, bie nicht wieberfebren; ber Äbalif 
aber nennt beren uier: baS gefprodjene 2öort, ber abgefeboffene fß*'eit baS 
vergangene Seben unb — bie unbenußte ©elegenbeit. Tu wirR biefe 
Stunbe bereuen — Seb’ wobl!" Unb hoch aufgeridbtet fdßritt Re pr Thür 
hinaus, wäbrenb er in einem 3 ra iefpalt mit fidj felbft prüdblieb, ber ibm 
noch unerträglicher erfchien als 2lHeS, was er bisher empfunben batte. — 
©berbarb flüchtete fich in bie Serge. 3” ber erhabenen ©infamfeit 
ber ^ochalpen hoffte er flaren SlidE ju gewinnen, hoffte er frei p werben 
»on bem Spuf, ber ihm baS fieben »erftörte. Ten früher oft unb gern 
geübten Sport wieber aufnefjmenb, fletterte er mit änfpannung aller Äraft 
feines 2BiHenS unb feiner SJtuSfeln über gelfenfdhroffen unb ©isfelber bis 
hinauf in bie Siegionen beS girnS, ließ fid) vom 2BetterRurm sftpufen 


(Säuren fyilft flären. 


25 \ 


unb fog in tiefen, tiefen 3 ügen bie reine, erfrif#enbe $o#gebirg«luft. aber 
wie fjüjter beni Kelter bie f#roarje Sorge, ber et auf flü#tigem Kenner 
ju enteilen, gebentt, ungefeben ft# auff#roingt, fo batte ©bewarb feine 
3roeifel unb feine gur#t in bie ©letfcfjer SDebe mit hinauf genommen, unb 
felbft wenn er ft# tobtmübe auf ba« Säger einer 9Upent»ötte nieberftredte, 
untf#rocbten #n no# im Traume jene ©elfter, mit benen er »ergeben« ju 
ringen, bie er »ergeben« ju bannen fu#te. 

Unb bo# — anbere ©eftalt batten fre feit jener abf#ieb«fcene an* 
genommen. 3 meifel unb gur#t waren gröfjer geworben, ni#t ber 3 roeifel 
an ©rna« £reue, aber ber greifet an feiner eigenen Unfeblbarfeit. gnmter 
wieber fiel ibm ©rna« Setbeuerung ein, bie feine ©ebanfen in anbere 
Sahnen brängte. Sollte, was er für unumftöfcli#e, faum no# eine« SBe- 
weife« bebftrftige SBabrbeit gebalten, bo# am ©nbe nur ©e f penfterglaube 
gewefen fein? 6 r bur#rofiblte, iräljrenb er auf einfamen Sergpfaben babin= 
f#ritt, in feiner ©rinnerung alle«, roa« ibm 5 U jenem ©tauben Seranlaffung 
gegeben; er jerfaferte mit peinigcnbem ©ifec ba« ©eroebe feine« argwöhn« 
»nb prüfte jeben einzelnen gaben auf feine $attbarfeit. Unb ba gab e« 
bann Stunben, in benen er Süden unb Kiffe in bem ©eroebe ju bemerfen 
glaubte, bie ibm früher entgang n waren, in benen fi# in bünnen Kebel* 
bunft auflöfen wollte, roa« ibm früher al« bi#te« SEBettergeroölf erftbienen 
war. gtrnig hätte er ft# biefer ©rfenntnifj freuen mögen, roenn Re — 
wie er bo# man#mal ju hoffen wagte — ft# al« beglfidenbe SBabrbeit 
erroieien. aber bamt »erf#roanb bie greube wieber unter einer qualoolleren, 
läbmenben gur#t. SDJenn er ©rna roirfli# Unre#t getban hoben foUte — 
formte Re ihm ba« jemal« »ergeben? &atte er ft# bamit ni#t für alle 
3ett ihre Siebe »erf#crjt? 2Bar e« ni#t »iellei#t gerabe ba«, roa« ihre 
bunflen 2 lbf#ieO«roorte batten fegen foHen? Sßor ßurjem no# hotte er ft# 
mit bem ©ebanfen einer Trennung »öHig »ertraut gema#t, unb biefe art 
ber Söfung war ihm ni#t al« bie f#limmfte erf#ienen. gebt aber er= 
f#raf er, unb roenn er nur an bie Kiöglidjfeit ba#te, fühlte er bi«ber 
ni#t gefanute feine gäben ft# fpannen, bie mit feinem gnnem feft »er« 
roa#fen fein muftten, unb beren 3etreiftung nur unter heftigen S#merjen 
mögli# roar. geht erft erfannte er, baff er ©rna bo# mehr liebte, al« 
er e« ft# felbft jemal« batte gefteben wollen, ja al« er e« ft# felbft jemal« 
berouftt geroefen war. Unter biefer ©rfenntiüft f#molj ber ftarre SCrob, in 
ben er ft# felbft bineingerebet, in eine roei#e, roebmütb’ge Stimmung, unb 
e« roarb ihm bang unb einfam unter ben falten, f#roeigfamen Kiefern 
bäuptent mit ihrem blenbenben S#nee unb ihrem roilb jerflüfteten ©i«. 
®r begann, R# ju Ktenftben, er b.gann, ft# in fein &eim jurüdjufebnen, 
unb batte bo# au# roieber gur#t »or biefem #eim, ba« nun »ielleftbt 
no# öber unb »erlaffener fein tonnte al« bie ©i«roüfte, bie #n umgab. 2 Bie 
<3 ju $aufe ftanb, muffte er ni#t. @r batte abfi#tli# roeber an ©ma 
uo# an fonft gemanb gef#rieben unö Kiemanb Ka#ri#t barüber gegeben, in 

17 * 



252 


m. 3eerel in ^trfdjberg. 


welchem ©rbenminfel er aufgufinben fei. Jefct aber umfreiften feine ©e= 
banfen mehr unb mehr ben fjeimifcfjen £erb; er empfanb eS faft als 
Jreube, baß fein Urlaub feinem ©nbe entgegenging, unb — gögemb gwar 
unb auf Umwegen — aber bodj oon, wenn auch noch fo uneingeftanbener, 
©efjnfuiit getrieben, trat er ben Stücfweg gur Heimat an. — 

(Erinnerungen aus ber 3«t ber Stubentenjahre batten ihn nach 33aben= 
33aben geführt. ©aS märchenhafte SßalbeSbunfet, ber .fjargbuft ber S<hroatg= 
walbtannen umfingen ihn roie einftmalS mit ihrem wohligen Sauber. 316er im 
©eroüßle ber SJlenfdhen empfanb er, mie fehr er gegen ehebem ein Shtberer 
geworben war. SBaSißm früher großes Vergnügen bereitet hatte: baS bunte 
©urdheinanbermogen feiertäglich geftimmter, gerfl reuun gSfücbtiger , freube* 
hafdhenber -äJtenfchen, baS Slemten unb Jahren, bas Schwaben unb Schergen, 
baS Siebein unb Spielen — jefct erregte es ihm Sdhwinbet. ©aS niele Sicht 
that ihm weh, bie raufdhenbe SJJufif fd&mergte fein Dbr, unb aus bem gerauft 
ooHen, witbelnben ©reiben 50g er fi<h gern auf fliHe, einfame $läfce gurücf.’ 

@S war um bie Seit beS Sonnenunterganges. @r faß auf einer 
33anf oor ber JtapeHe, bie trauembe (Eltern über ber Slfdhe ihres Sieblings 
errichtet haben. 3luf gegenüberliegenber fBergeShöße ragten aus bunftem 
ffialbeSgrün bie SHuinen beS alten SdfiloffeS empor. Seine Stimmung 
folgte nur gu gern bem (Einbrucf biefer Umgebung, .frier ein oom um 
erbittlidhen ©ob norgeitig gefnidlteS ©lücf, bort bie gefallenen ©rümmer 
einziger Fracht unb £errli<hfeit; bägu jenes ©effihl ber Sl'ebmutb, bas aus 
bem oerglühenben Slbenbrotß ß<h in’S fülle SWenfchenherg gu ergießen pflegt; 
unb um baS 3Jtaß 00H gu machen, tönte non fernher in langgegogenen 
ßörnertönen baS Sdheffel’fche ©rompeterlieb ,,23ef)üt’ ©idh ©ott" — Un= 
mißfürlidh fang er leife ben ©eyt baut — fein .frerg begann rafdher 51t 
fdhlagen, unb eine ©hräne wollte fidh über feine SBimpern brängen. 
Sdhwermüthig träumenb blicfte er in bie Jerne hinaus, ©in eigentümlicher 
SBohlgerudh umfing ihn plöhlidfj, ein SBoblgerucfj, ber ihn in eine längft 
netgangene, längft nergeffene Seit gurüctnerfeßte. ©S mar baS SieblingS-- 
patffim einer ©ame gemefen, bie er mit ber gangen ©luth erwachenber 
jugenb geliebt, an bie er feine erften Sßerfe gerichtet uub ber er mit 
heißen JünglingSfdhmergen entfagt hatte, als fie bie Jrau eines Slnberen 
mürbe, ©r blidfte fidh um unb fab eine ©ame in ©rauer leife an fidh 
»orüberfdfireiten. Sag eS in jener Jbeennerbinbung, lag eS in ber gefieigcrten 
Steigbarfeit feiner Sternen, bie ©eftalt erfdhien ihm befannt — wie non 
rafcß aufgucfenbem Sichte beleuchtet, trat ihm jene Suft= unb SeibenSgeit oor 
bie Seele. (Er hätte auffpringen, ber ©ame folgen mögen; aber — nur 
ein fleineS ©heildhen eines SlugenblicfS hatte baS Seudhten gebauert — 
ba hatte er mieber an ©rna benfen muffen, unb es war ihm wie Untreue 
erfdhienen — Untreue, er an ihr! 

SBie leicht man bocß in Jehl unb Jrrung geraden fann! @r fdhloß 
bie 3lugen unb fenfte baS Jfraupt — 


(Säuren tplft flären. 


253 


Mrrenbet fjuffdjlag unb ein gellenber SchrecfenSruf riffelt ijjn jäh au? 
feinem buntpfen Vrfiten empor. Gr fah in näd)fter Stähe ein fchaumbebedEteS, 
jidfj Ijoc^ auföäumenbeS Slofi, beffen Leiterin ft<h faum nodj im Sattei ju 
Ratten »ennodite. ®ie 3ügel entglitten ihren fdjtaff ^erabfallenben jfjänben, 
unb bleich unb ohnmächtig fanf fie feibft hintenüber. fDlit einem Sprung mar 
er jur Steile unb batte eben noch „Beit, bie Leiterin in feinen Slrmen auf ju= 
fangen, inbefj b aS febeu geworbene ©hier weit auSgreifenb »on bannen jagte. 

SBäbrenb aber bie SBewufttiofe ihn frampfbaft mit ihren 2irmen um= 
fdilang unb fi<h an ihn fchmiegte, als fönne fie feinen Schuh nicht mehr 
entbehren, fprang non hinten h e* eine ©ogge mit wiibem ©eheut a n ihm 
empor unb fdfjtug ihre fpifcen 3äfme ihm in Schenfei unb SttidEen. Gr hätte 
laut auffchreien mögen not Schmers unb mufjte fi<h non feiner Saft befreien, 
nur um ftdj beS wüthenben ©fjiereS s u erwehren, baS feine Herrin in ©efahr 
wähnte unb fie nor jeber fetnbiiehen ^Berührung fdmhen su müffen glaubte. 

SlUeS baS war baS Sßerf eines StugenblicfeS gewefen, unb nid;t länger 
währte eS, bafj bie Vemufjtlofe, bie er auf ben JEtieSboben niebergelegt, aus 
ihrer Dhnmacht erwarte unb, mit einem Vlide bie Sage überfehenb, ihrer 
©ogge ein herrifcbeS „Couche-toi, N6ron! Ici!“ gurief, bem baS ©hier 
mit wiberwiüigem Änurren gehorchte. 

Sie hatte fidh aufsuridhten gefugt, unb währenb fie mit ber Sinfen 
fi<h auf baS fpflaflet ftiifcte, ftreifte fie mit rafchem ©riff ben Steithanbfcbuh 
»on ihrer Stedten unb fprach, bie fdjtanfe, fein gebilbete |janb ihrem 
Sletter entgegenftredenb, mit einem tiefen SBoljllaut ber Stimme unb einer 
rübrenben Snnigfeit ber Betonung: 

„®anf, taufenb ©anf, !mein £err! 0, wie fann ich Shnen jemals 
nergelten, was Sie an mir gethan?" 

Gr wollte fidh ib r nähern; aber fein Schritt wanlte unb fein Stnttife 
warb bleich, unb jefct erft fah fie, baß Sötnt in nicht unbeträchtlicher üJtenge 
an feinen jerriffenen Äleibern herunterriefelte. 

„Um ©ott!" rief fie auffchrecfenb, „Sie finb »erwunbet — mein 
#unb — unb baS ift mein ©anf!" 

Unb als märe mit einem 2Me alle Schwäche »on ihr gewichen, 
fprang fie mit einem 9tude empor unb trat bidf)t an ihn heran. 

„Shren 2lrm! Sehnen Sie (ich feft an mich! Vielleicht geljt’S bis sur 
Kapelle. Unb bann — fort mit aller ©ene! — ich helfe 3fmen, bis 
anbere, beffere £ilfe fommt!" 

So wenige Schritte es waren, fie würben ihm fdfjmer. Stber bie 
©ante, bie ihre eigene gähmifj »öHig übermunben unb »ergeffen hatte, 
fdhlug mit ber Sinfen bie Schleppe ihres SleitfleibeS empor unb, mit ber 
Siechten ihn fräftig ftüfcenb, sog fie ihn »ormärts. ®ie ©hür ber ÄapeHe 
ftanb offen, ©er rumänifche ßirchenbiener trat heraus, grüßte ehrerbietigft 
unb wollte fpredfjen; aber ihm suoorfommenb, befahl fie: „Stafch! rafch! 
rufen Sie Slergte unb meine Seute! aber rafch! rafch!" 



25<* 


HL Beerel in fjirfdyberg. 


Uebcr bie ftapeüe hatte fiel) moljlthuenbes Dämmerlicht unb erfrifdjenbe 
Äö^Cc gebreitet. SluS ber Simpel leuchtete wie ein ©tem bie ber Erinnerung 
geroeiljte eroige glamtne. Eberfearb begann unficher auf feinen gfifeen ju 

fcferoanfen. Die Dame liefe jicfe, ibn feftbattenb, auf bie ©teinfliefen 
nieber unb lehnte ihren Stücfen an baS gufegeftell beS Denfmals, ba£ 
©eftalt unb 3üge be§ bafeingegangenen Jüngling« trägt. Sie legte 
©berharbs fjaupt in ihren ©dioofe, jog ein holzartiges SJteffer aus ihrem 
(Gürtel unb trennte mit Saftigen ©dbnitten bie bie SBunbe bebedenben 
Äleiber. Dann prefete fte ibr Dafdjentucb feft auf bie immer noch ftarf 
blutenbe ©teile, Eberbnrb fcfilug feine 53tide banlenb $u ibr auf. 6r 
fonnte nur noch feben, wie rounberbar fchön fte mar: bann iibetfam’ö ifen 
tote ein füfeeS, feligeS SUtroana. Die ©lieber löflen fid) in roobltbuenber 
©rfdilaffung, farbige, leucfetenbe Silber jogen an ben gefdjlojfenen Slugeit 
vorüber, in’S Dbr tönte eS oon fernher roie ©ingen unb ©locfengeläut, unb 
bie ©ebanfen fcljmanben ihm bahin wie ein uerrinnenber ©front. SBaS 
roeiter mit ifent gefdiah. er roufete es ttidfet. Stur auf Slugenblide war er 
roie aus tiefen träumen erroacht; ba mar eS ihm geroefen, als ob er 
fdjroebenb emporgetragen mürbe, bann mieber, als ob rceiche unb barte 
Ijänbe an ihm brücften unb flächen unb jerrten, als ob man ihn in fefte 
Sanbe fehtage unb an eine SBanb fette, unb bann mar mieber SlUeS mie 
in einem bitten, unbutcbbringlidjen Stebel »erfchrounben. — 

SllS er enblidh mieber }U Harem Seroufetfein fam, fanb er ft<h auf 
roeidjem, mit bem feinften, fauberften Sinnen überbedten Säger in einem 
mit ebler Vornehmheit auSgefiatteten Zimmer, beffen genfter, non mächtigen 
Sinben befehatlet, ben SluSblicf auf bie tannenbunflen ©chmarjmalbberge 
gemährten. Stuf bem Difchcfeen an feinem Sett ftanb in gefchliffener 
ÄrpftaHnafe ein ©traufe frifcher, blflfjenber Stofen, ©ine »leibliche fianb* 
arbeit, bie nabe bobei lag, liefe erfennen, bafe er nicht ohne Slufitcbt ge* 
blieben fei. 3e|t aber mar er allein, unb feine Slide, bie neugierig über 
bas 3i miner unb beffen behagliche SluSfcfemüdung bahinflogen, hafteten an 
ber gegenübetliegenben SBanb auf einer meifterbaft ausgeführten ßopie ber 
„Senetianerin" non ©aoolba. SllS er fich bem fchönen Silbe juroenben 
roollte, fühlte er fich in ber Semegung behinbert unb fafe, nach ber Itrfache 
biefer Sebinberung forfchenb, bafe er mumiengleich mit bidjten Sinbenlagen 
umroidelt mar. Siun erft hämmerte baS SorgefaHene allmählich mieber in 
ihm auf, unb er erinnerte fufe feiner Sermunbung unb aüeS beffen, roaS 
ifer »orangegangen mar. ©r fühlte ficb recht fd)road> unb matt, unb felbft 
biefeS Drbnen feiner Erinnerungen »erurfachte ihm Slnftrengung unb SKüfee, 
fobafe er halb mieber bie Slugen fchlofe unb fich jieHofen träumen übertiefe. 
Das Silb ber fchönen Stau, w j n feinen Sinnen gehalten unb bie ftch 
bann fo hilfreich über ihn geneigt hatte, bilbete licfetumfloffen, mie er eS 
julefct gefeljen, ben SJtittelpunft feiner träume. Slber bie Erinnerung hatte 
bie Büge beS SilbeS nicht fcharf genug feftjubalten »ermoefet, unb fo gefchah 


(Säuren tjilft flärett. 


255 


e$, baß fte ft<h ihm uttmerWicb in bie non ©rna verwattbeln wollten, bis 
enbtidj SlileS in nebelhaften Umriffen jerfloß. — 

SluS biefen Träumereien erwedte ihn bie lebenbige ©tfcheinung ber* 
jentgen, mit ber ft<h feine ©ebanfen beßhäftigten. ©ine tiolje grauengeftalt 
in ber gfille reifer gormen, baS fdfiöne unb ebel gebilbete SlntUb, beffen 
3üge ein flein wenig an bie ber „Senetianerin" erinnerten, non reichem, 
in «inen Änoten gefchfitjtetn, afdjblonbem &anr umrahmt, trat fte herein, 
nnb ihre tiefblauen Stugen mit freunblicßem SJlid auf ihn ridjtenb, fprach 
fle mit jenem SBohUaut ber Stimme, ber ihm wie baS erfle 'JJlal, fo auch 
jefet nrteber warm ju Dhr unb $erjen flang: 

„TaS war ein fefter Schlaf; möge er allen Scßmerj non ghnen ge= 
nommen haben, unb möge er gbnen bie ©enefung non SBunben bringen, 
bie Sie für mich unb burdh mich banongetragen haben!" Sie ftrecftc ihm 
ihre weiße, weiche £anb entgegen, bie er ergriff unb wie mit flüchtigem 
fauche mit feinen Sippen berührte, währenb fte fi<h auf bem Stuhl an 
feinem S3ett nieberließ. 

„Tonf gegen ©anf, meine gnäbige grau! Ueberfdjäben Sie meinen 
fteinen ©ienfl nicht, unb — möchte ich 3h ne a nicht lange läftig werben!" 
@r fprach leife unb langfam; benn er merfte, baß ihn baS Sprechen an= 
griff. 2lu<h unterbrach fte ihn rafch: 

„Säftig — wie fönnen Sie fo häßliche SBorte gebrauchen! Sie haben 
im waßrften Sinne beS SBorteS gijr 33lut für mich oergoffen, unb fo reich* 
lieh, baß, wie unfer guter $ofratß meint, nur ein flein wenig mehr Sie 
getübtet hoben mürbe. 2Bie mich baS feßmerjt, unb wie es mir als bie 
fteinfte meiner ©anfeSpflichten erfdheint. Sie menigftenS nach Äräften ju 
pflegen unb für gfjre rafche ©enefung Sorge ju tragen! 25?enit ber ©octor 
fomint, wirb er ghnen erjählen, warum er Sie gar fo feft hot einßhnüren 
unb gar fo flrenge befehle hot geben mfiffen." 

„Unb barf ich fragen, gnäbige grau, in welch’ gauberßhloß e { nc 
gütige gee mich geführt hat?" 

„aBelch’ franfhafte Slnßhauung!" antwortete fte mit fchwermfithigem 
Sächeln, „gütige gcen fchlagen nicht SBunben, fonbent fdjüben baoor, unb," 
fefcte fie mit leifein Seufjer ^iitju. „baS Schloß beS ©rafen Jpolm entbehrt 
roitWid) jeben gauberä." @r trollte ©twaS entgegnen; aber fie legte mit 
leicht nerftänblicßem SBinfe ben fcßlanfen geigefinger auf ihren Weinen, feft- 
geföhloffenen Sftunb. „Still! fliH! ber 9lrjt nerlangt, baß Sie fo wenig wie 
möglich fprechen. Stur eine gtage noch! ßaben Sie Singehörige, benen Sie 
Stachricht $u geben wünfehen? 3<h erbiete mich gern, ghr Secretär 
ju fein." 

©S jog wie ein Schatten übet ben eben noch Waren SJlid — er fann 
eine ÜEBeile nach. „Slein!" fprach er bann, „ich banfe gfmen beftenS, 
meine gnäbigfte grau ©räfin." ©r fchloß bie Slugen, um nicht ju oer* 
rathen, was in ihm norging, unb fprach bie lebten SBorte langfam unb 



256 H. Heerei in £?irfd}berg. 

jögernb, um bem Steifet SluSbrudf ju geben, ob er audb wirfüdb bie ©täftn 
&olnt oor ficb habe. 

35er ©räfiit war bas ©ne fo wenig entgangen roie baS Slnbere. Sie 
batte in ftidem SDtitgefübl ben bunflen ©(batten bemerft, ben ihre gbrage 
auf feinem Slntlifc beroorrief, unb um jenem groeifel ju begegnen, ermiberte 
fie: „2tudb mein ©etnabl bat baS Verfangen, gbnen feinen ®anf au3= 
jufpredben. ©ie bürfen feinen 33cfu<b noch im Saufe beS StageS erroarten. 
Stun aber," fuhr fie, als er batauf antworten wollte, fori unb erhob fidb, 
„haben ©ie nach ber Meinung beS SlrjteS fdbon nie! ju oiel gefprodbcit. 
gdb taffe ©ie wicber allein — langweilen ©ie fidb ni<bt gar ju febr! @S 
wiberfäbrt baS audb Slnberen manchmal in biefetn gauberfcblojj." 

©S war ein eigentbümlidbeS Sädbctn, mit bem fie biefe SBorte be= 
gleitete, unb als ©berbarb wieber mit fidb allein mar unb an biefeS 
Sädbeln jurüdbadite, fiel ihm baS 2Bort fJSaiHeronS ein: „Dft ift Soeben 
SJlutb; bie ^auen wiffen eS gar wobt, bie unter ihrer gröbtiebfeit fo 
fcbmerjlicbe ©ebeimniffe oerbergen, unb beren Sachen fo oft nur bie ©<bam= 
baftigfeit beS SßeinenS ift." 

gm Stbgeben wanbte fie ficb an ber 5El)ür nodb einmal nadb ihm um. 
„3ludb baS Sefen bat gbnen ber böfe ®octor oerboten. Sffienn es gbnen 
aber eine Heine gerftreuung gewähren Tollte, fidb ab unb ju etwas tnöglidbft 
wenig SlufregenbeS oorlefen ju laffen, erfläte i<b mich ju biefem ©amariter= 
bienft gern bereit." 

©be er noch geit batte ju antworten, war fie oerfdbwunben. 

©inige geit barauf, pünftlidb ju ber oon ber ©itte feftgefefcten 33efudbS* 
ftunbe lieb fidb burdb einen Wiener in ooHer Sioree ber ©raf unb Surggraf 
gabiatt oon ßolm^olmerobe bei ©berbarb anmelben. gn untabelbaftem 
©efeHjdbaftSanjug mit nidbt minber untabelbaften $öflingSmanieren erfdbien 
er als ein oomebmer ©aoalier, ber fidb bas 8ür äußerer unb innerer 
©tattlidbfeit ju geben fudbte, über beffen ©ebredilicbfeit aber alle SBerjüngungS = 
funft eines gewanbten SlammerbienerS nidbt biuwegsutäufdjen oermoebte. 
©ein Sitter audb nur annäbernb abjufdbäfcen, hielt ©berbarb beim erfien 
33licf für unmöglich; nur baS ©ine war flar, baff bie gabl feiner gabre 
bic ber ©räfiit um ein nidbt UnerbeblidbeS übertraf, gn ben oerbinblidbften, 
inbefj mehr Ueberfdbwänglidbfeit als $erjenSroärme jeigenben SBorten banfte 
er ©berbarö für bie mirffame $ilfe, bie er ber „mitunter etwas unoor* 
fidbtigen unb wagbalfigen" ©räfin gelice bei ihrem Unfälle geleiflet, be= 
bauerte bie in ihren gotgen fo beflagenSroertbe geinbfeligfeit beS fonjt wirf* 
lidb gut gejogenen unb burdbauS juoerläffigen Slero, bat ©berbarb, über 
Stiles ju oerfügen, was ju feinem SBoblbefinben unb ju feiner ßerfteflung 
für notbwenbig erachtet würbe, unb fdjloft feine wohl gefegte unb wobt 
oorbereitete Siebe mit bem SBunfdb, bafj ber bebauerlidbe groijcbenfaU 
bureb eine rafdbe unb oollftänbige ©enefung feine ©rlebigung finben 
möge. — 



(Säuren Ijilft fläreit. 


257 


©öerbarb füllte ltcfj bem langen, augenfcheinlich nur non bem ©efüljl 
conoentioneller Verpflichtung eingegebenen Wortfchmall gegenüber befangen; 
er berührte ibn unangenehm, ebenfo wie bas felbftberoufjte, felbftgefätlige, 
aßju ariftofratiiebe Wefen beS ©rafen ihm, bem f<hlicf)ten fßlebejer, gegen? 
über, ©ein ©tolj regte fich, unb fürj, faft fcharf tebnte er jeben ©anf 
ab, enttcbulbigte bie Stothroenbigfeit, bie ©aftfreunbfehaft beS gräftirfjen 
.fjaufeS in Anfprudj nehmen ju müffen, unb nerlpradfj, bieS nicht länger 
tfjun ju wollen, als jene Stothmenbigfeü burefjaus norläge. ©eine Slntwort 
erfdjien bem ©rafen gerabeju unhöflich unb oerwirrte ihn. ©r glaubte, 
bem fremben, ihm ganj unbefannten Wanne gegenüber mit ber benlbar 
liebenSroürbigften ßerabfaffung Alles gethan unb gefagt ju haben, was 
man in folgern gälte non ihm, bem ©rafen $olm*$olmerobe, felbft bei ben 
weitgehenbfien Anfpriicben nur immer erwarten unb oerlangen fönne. 3®/ 
es mar auf bringenben 2Bunf<h ber ©räfin noch mehr gefdjeljen, als er 
ionft wohl für nöthig gehalten hüben würbe, unb bah bie ©räfin bie ©orge 
für ben Verwunbeten nicht bloS ber ©ienerfchaft unb einer gebungenen 
bannberjigen ©chwefter überliefe, fonbem felbft mit übertriebener ^Peinlich* 
feit in bie $anb nahm, war — feiner Weinung nach — ©tmaS, baS 
weit über bie burch baS fatale ©reignifi gegebene Verpflichtung hinauf 
ging, ©tmaS, baS fi<fj nur mit ben romantifchen ©rillen ber ©räfin ent* 
fchulbigen lieh, unb woju er nur ungern feine ßufttmmung gab, baS aber 
um fo mehr non ber anberen ©eite ben ehrerbietigften ©anf oerbiente. 
Unb ftatt beffen biefe ffiffifante, abweifenbe Slntwort! Unb wer war benn 
eigentlich biefet frembe Wann, bet es noch gar nicht einmal für nöthig 
gefnnben hatte, ihm feinen ©tanb unb Slawen ju nennen? Wit eigen* 
ihümlicher, anfeheinenb gnäbigfter unb bodj oomehm herablaffenber Vetomwg 
fragte ber ©raf, inbern er fich erhob unb ben furjen £öfli<hfeitsbefuch jum 
2tbfd)Iufe brachte: „fönt, unb wen, hm, habe ich bie ©I jre, hnt, als ©aft in 
ben Wauern meines ©chloffeS ju fehen?" ©berharb nerftanb bie Abficht, 
bie in ber fonft fo natürlichen $rage lag, fef)t wohl, unb ein ganj leifeS 
Sächeln fpieite um feine Sippen, als er ermiberte: „3<h bin ber Amtsrichter 
Dr. juris ©berharb ©rnft aus Verlin unb bitte um gnäbigfte ©ntfchulbigung, 
bah beS $erm ©rafen aUju hulbnolle ©anfrebe mir nicht Seit gelaffen 
hat, mich J&ochbemfelben fo norjufteHen, wie bie ffarni beS gewöhnlichen 
AnflanbeS es nerlangt hätte." ©er ©raf war befriebigt. ©r fühlte bie 
Sronie aus ©berharbs Worten nicht heraus, unb ftolj auf ben errungenen 
©ieg, empfahl er fich mit granitätifcher Verbeugung. 

Unb bann fatn ber Arjt. Von ihm erfuhr ©berharb, bah feine 
Verwunbung, wenn fte auch nicht gerabe bebenflidh fei, hoch nicht $u leicht 
genommen werben bütfe, bah es fich nicht blos um einen flarfen Vlutner* 
luft hanble, ber nur febr allmählich wieber erfefet werben fönne, fonbern 
um nicht unerhebliche ©emebSjerreihungen, bie ber gröhten Stufe unb forg* 
famften pflege bebürften, wenn fte nicht ju gefährlichen ©iterfenfungen 



258 


ITT. Beete! in fftrfdfbcrg. 


führen Tollten. 2£odf>en würben »ergeben, ehe on bie ßeimreife ju benfett 
fei. So unangenehm unb nieberfchlagenb biefe HJJittbeilungen auch immer* 
bin feien, fügte ber Slrjt binju, fo halte er es bocij für tintiger, bern 
Stranfen »on »omberein flaren SZBein einjufebenfen, als ibn mit 33or* 
fpiegelungen btnjujieben, benen um fo unliebfamere ©nttäufd&unqen folgen 
müßten. 93ei »orfdfjriftSmäfjigem Verhalten fei jebe ©efabr auSgefdbloffen, 
aber ohne eine ernfte ©ebulbprobe gebe e$ nun einmal nicht ab. 

©bewarb füblte fidb bei biefen @r Öffnungen einer Dbnmacbt nabe — 
fo fdhwer trafen fte ibn. Stbcr er nahm bem Unnermeiblidben gegenüber 
all feine moraltfdbe Rraft jufontnten. ©r banfte bem Slrjt unb bat ibn, 
ein 3eugnife über feinen Suftanb unb bie ju feiner Sßieber'ierjlellung nötbige 
3eit an feinen 23orgefefcten einjufenben, unb ba er felbft nicE)t fdjteiben 
fönne, in feinem tarnen eine iBeriängerung feines Urlaubs ju erbitten. 
Unb bann — ber SJefudb beS ©rafen jitterte no<b in ibm nach — batte 
er noch bie eine grage ju [teilen, ob — er wolle feinen gütigen SBirtljen 
nidbt fo lange 3«ü b* n burdb Iäftig fallen — feine Aufnahme in ein gutes 
ÄranfenbauS nidbt ju ermöglidben fei $er 2lrjt gerietb biefer befUmmt 
geftellten grage gegenüber in $Berlcgenl;eit. ©r glaubte barauf ^ittioeifen. 
ju müffen, wie febr ber ©raf unb bie ©räfht, bie hiebet alles nur irgenb 
©rreidbbare für feine pflege getban, burdb foldben ©ntfchlufj feinerfeits »er« 
lebt werben würben. Db baS StranfenljauS feinen 2Bünfdfcen entipredbett 
würbe, wiffe er nidbt. ^ebenfalls fei bie Ueberfiebelung fdbwierig unb nicht 
ohne Steigerung ber Sehmerjen unb beS SBunbfieberS ju bewerffieHigen; 
furj, er fönne nur ratben, biefen ©ebanfen — »orerft wenigftenS — fallen 
ju laffen unb feft überjeugt ju fein, ba& ©berbarbS pflege nidbt als eine 
Saft, fonbern als eine willfommene ©elegenbeit etnpfunben werben würbe, 
einen fEbeit beS ®anfcS für feine ritterlidbe £bat, bie ibm fo fdbledbt ge* 
lohnt worben fei, abtragen ju fönnen. 

2lber gerabe bem wäre ©berbarb gern aus bem ®ege gegangen, 
©r batte fdbon »iel ju »iel Stonfeeworte für ©twaS, baS ibm als ganj 
fetbjtrerftänhlidb erfdbienen war, böten ntüffen, unb biefeS SÜKebnen unb 
3urüdEweifm war ibm wiberwärtig, nodb wibernärtiger aber ber ©eboufe, 
Seuten unbequem werben ju follen, bie fidfter ihren StanbeSgewobnbeiten 
getnäjj alles Störenbe, Unfdböne, Saftige aus ihrer 3Räbe mcglidbft fern ju 
halten fuebten. SlnbererfeitS mufjte er bie Ausführungen beS States als 
berechtigt onerfennen, unb fo fudbte er benn feinen Söürgerftclj mit ber 
feften Abfidjjt nieber.ufämpfen, ror ber &anb gebulbig auSjubalten, aber 
jeber Steuerung ariftofratifdben £odfjmutbS energifdb i£ro| ju bieten. £>ie 
Anftrengung beS Sprechens unb bie mit allen AuSeinanberfefwngen »er* 
bunbene ©emütbSbewegung batten ihn aber berartig angegriffen, bafc er, 
faum baft ber 3lrjt baS 3i n,mer rerlaffen, erfdböpft in bie Riffen jutfiä* 
fanf unb in einen tiefen, traumlofen Schlaf »erfxel. (@ 4 (uft folgt) 


Quelle unb IDeg bes )r^ilofo|r^ifcf?cn Denfens. 

£ht Beitrag 3UE Pfydjologie 6er Pfyilofopfyie. 

tfon 

2?rämfe. 

— dnrhaoen. — 

I IS# tft leicht, bie (ämtftehnug ber praftifchen SSiffenfchaften, ber 2flebicin, bet Xedjuif 
fgl u. %, §u begreifen. 25er gu erreidjenbe 3ü>ecf: baS mettfchliche lieben glücflicher 
unb angenehmer gu machen, tourbe Urfache ihrer ©eburt unb ©nttoicfelung. 3lber je mehr 
mir un$ bon bem praftifchen ©efichtspunfte, bon bem Brincip beS gu fteigerttbeu $afetnS= 
genuffeS entfernen, um fo mehr brängt ftch uns bie 3-rage auf: tooher bteS unettbliche 
Bemühen beS menfchltchen ©eifteS, ©eheimniffe gu ergriinben, bereu Sfenntuift unS feinen 
Xag längeren ßebenS, feine gröftere Bequemlichfeit, feine mit irbifchen ©lücfSgütem 
meßbare SSerthe berfdjafft? 2)ie theoretifche Befchäftigung, mir beS SßiffenS toegen 
unternommen, bie H r i ft o t e I e 3 als bie eines ©otteS toürbigfte unb barmn einzig 
toütbige begeidjnete, ift in ber Xbat felbft ein gröberes Sftäthfel als alle Probleme, bie gu 
löfen fic ftch bemüht — toernt man ben SReufchen nur als hanbelnbeS ober IcibeitbeS 
Sßefen betrachtet Bon biefem (Stanbpunfte hat flc nur SBerth, fofem fie bie praftifche 
25hätigteit bnreh bie bon ihr übermittelten flenntniffe förbert, fofem fie bie Stoffen gurn 
Kampfe um’S 2afetn jehmieben hilft. Sber man toürbe ber SSiffenfchaft loeber einen 
(gefallen ertoeifen, noch gerecht toerben, toottte man ftc mit biejent, öoit anberen X^dtig^ 
feitsfphären erborgten SJto&ftab meffen. 

2to8 Sßefen ber Sftronomie erfchöpft fich nicht barin, ter 97autif Xienfte gu leiften, 
bie ©hemie ift nicht nur ÜRittel gur chemifchen Xcdniif, bie Botanif nicht nur Wienerin 
ber Slrgnetfunbe, bie BhhBologie hat nicht ihren einigen 3toecf in ber ftörberuttg ber 
praftifchen SDiebicin. 

So toichtige Xienfte bie theoretifche ©rfernttnifj bem praftifchen Raubein gu leiften 
oermag unb fo toenig ihre Bebeutung oon biefem ©efichtspunfte aus unterfchciljt toerben 
barf, ebenfo toenig liegt in biefer Aufgabe ihr gangeS Sefen eingefchloffett ober begrünbet 
Suf bie ©efabr hm, rin bieffeidjt trioial erfchcinenbeS Beifpiel gu toählen, möchte ich bie 
theoretifche SMffenfdwft mit ber ©Ifter Dergleichen, bie beit 9iitig nimmt, um ihn gu 
haben: fb toill icne erfennen, um gu toiffen. $a3 23iffen ift fid) felbft 3^* & 

ba# fünftlcrifche ©eniefcen ift. 3ene praftifchen ©rgebitiffe für baS ßebett finb Begleit« 


260 f^eitirid} Brömfc in Cnj^areit. 

erftheimmgcn — tote etma bie fitttid): Sßerebdung 'burdj ein SSerf bcr ftunft ober 
ßitteratur. , 

23ei genauerer Ueberlegung ift nicht fdjloer gu erfemten, bah jene» $rindp b?» gu 
fteigernben $afem»genuffe», beffen ©ettung ftd) auf bie prattifdjm SBiffenfc^aften gu bc= 
fdiränfen fdjien, bei beit theoretifdjeu nid)t entfchminbet, mobl aber in gängig OeränbcTter 
ffornt auftrttt. ©oötel öefriebiguug jene bem ftorfcher burd) ba» Sforfdjen, ©nlbecfen unb 
©rfinben felbft bereiten mögen, fo liegt bod) ba», mag fie gu Oermirflichen fireben, aufeer= 
halb ihrer eigenen ©phare: fi e finb Mittel gum Stotd. dagegen finb bie theoretifdhen in 
erfter ßiittc ©elbftgmecf, uitb bcr gu fteigernbe ®afein»genuh liegt bei ihnen nicht in 
3ieleit aufeer ihrer ©phäre, foitberit beftebt in nichts Anbetern al» in ber ©ntmicflung bc» 
(Steiftet non einer geringeren gu einer höheren relatiom SBottfommenheit nnb bem bannt 
unmittelbar oerbuubeiieit ßuftgefühl: in ber gfreube an ber ©rfemttnih felbft. 

60 lange man nicht erfaunt unb aiterfannt hat, bah bie tbeoretifche SBiffenfdhaft 
©etöftpoecf ift, mifet man mit falfdjem 9Jiahftabe. 3 tt befonberem 2 Jtahe gilt ine» oon 
ber SSiffenfchaft, bie tfjeoretifd) mie feine anbere ift, iueil fte al» attgemehtfie gugleicb bie 
abftractefte ift: Oon ber $l)ilofopbte. 2 )a» hinbert fie feinc»meg», trofcbem reich an 
praftifd)en S^ebenergebniffen gu fein — man benfe an bie mannigfachen, burd) bie ©tljtf 
gebotenen Anregungen, an bie Sßäbagogif u. f. m. — benn gerabe al» aUgemehtfte üertnag 
fie bie ©umtne be» menfchlichen $>afein» mit mertfjootten ©rfenntniffen Oerfchiebenftev Art 
gu förbem unb gu bereichern. ©3 liegt hierin ebenfo menig ein SSiberftmnh, mie barin, 
bah ber 3Jtenfch ein fomohl gum SSiffen mie gum Raubein befähigte» SSefen ift, ebenfo 
meaig mie in bem Sftebeitetnanbermirfen thepretifcher unb praftifcher Söefd)5ftigung 
überhaupt 

SBeldje» ift bie Quelle ber SßhtlofoPhie, ba offenbar fein praftifdjcr SBemeggrunb gu 
ihr fuhrt? Uitfer 3aitalter ift metaphbftfmübe gemorben, nicht gum menigften be»halb, 
metl man bie Sßhilofopbte unb in erhöhtem 2 ftahe ibren $ent, bie attetapbofif, für eine 
gar gu unpraftifche SSiffenfchaft halt. 2 )te ^htlofophte hat fein Sntereffe baran, biefen 
©mmurf gu miberlegeit, aber fte mirb ftd) barnit Sfticht» oergeben, benn fie miff ba», toa» 
man nnbiiligermeife üoit ihr oerlangt, überhaupt nidht fein, ©te mürbe üon ihrer 
£öhe herabftttfen, mottte fie ftd) entgegenfommenb geigen unb ba» ©octfje’fche SBort 
oergeffeit: 

,,28a» ©ud) itid)t angehört, 

$a» müht 3 hr metben." 

©» hat nid)t ait Unfern gefehlt, bie fte in ber 2 hat gu einem Sfactor be» praltifcbeu 
ßebett» in bem ©time machen mottten, bah ihr 3 ’öerf uttb barmt ihr Sßefen praftifcher 
jftatur fein follteit. Seicht ber ©erhtgften einer, 29aco Oon Söerulam, mottte bie 5Phifo= 
fophte gu einer A3:ffeufd)aft geftalten, bie gleich ber S3ud)brncferfunft, gleich $ßul 0 er unb 
©ompah bie £errfd)aft be» Sftcnfcben über bie Dtatur gu erringen fudjen füllte : nicht al» 
2 öiffenfd)aft um be» SSiffen» mitten, fottbem al» ttftittel gu praftifdhen 3 toecfen. ©o grofc 
ber duften fein mag, beit fie unter Umftänbeu für biefe leiften fann, ebenfo fcl)r ntufi 
man ben grunbtegenben SSerth bicfer eiitfeitig utititariftifcheu ©rflärung — befonbex» für 
bie ttftetaphOftf — beftreiten. 

ifurg, bie'^hilofophic unterfchübet fidh üoit beit praftifchen SBiffenWafteit burch ihre 

burdjau» theoretifche ©runblage. Sunerhalb ber tbeoretifdjen aber ift ihre ©onbcrejifteng 
burd) bie ihr eigentümliche Xenbeng bebingt, bie allgemetnen über ben Xhatfachen unb 
©ngelgefehen ftehenbcit ©efefee gu ergriiitben. .^ierburch mirb fie immer Oor bem ©chicffal 
bemahrt bleiben, ba» man ihr mof)t artgebroht hat: Oon ben empirifdhen SSiffenfchaften 
al» angebltdh überfttifftg abforbirt gu merben. 

®tefe S9:merfungeit oorauggufchiden, erfd)teit nothmenbig, bamit oon Oornherein bet 
ber ftrage nach bem Uvfprung be» phtlofophifchen Stufen» bie Duette rein gehalten unb 
nicht burch frembe 3othaten au» bem (Miete ber praftifcheit ober ber übrigen tbeoretifeben 



(Quelle unb ZPeg bes philofophifdjen Qenfetis. 26V 

Biffenjäjaften getrübt toerbe. Scbaife Sonberung ber begriffe ift ©orbebingung aller 
toiffenfd)aftli<ben Unterfucbungen unb ©etoeife. 

@g ift felbftPerftänblicb, ba& bie philofopbiftbe ©nttoicfelung ber einzelnen nicht 
ibentifdb ift — toeber nach ihrem 3nhalt, noch nach ihrem Verlauf. Bag jebem folcher 
geiftigen ©roceffe gu ©runbe liegt, fei eg, bafe eg beioufet unb angbrücflich auggefprochett 
toirb, fei eg, bag eg iraplicite in ihnen enthalten ift, bie eg fichten unb in feine Elemente 
gu gerlegen, ift 3toecf ber öorliegeitben 3 e üen. 

3toei ©rimbfactoren ftnb eg, bie bie Bürgeln beg phitc fop^ifdjen Tenfeng bilben: 
bie ©ertounberung uitb ber 3 ^ c i f c I. ©eibe beburfen einiger ©rläuterungen. 

Sür bie naio Tenfenbeu — toobet ich mit „naip" feinen oerächtlichen ©ebenfinn 
perbinbe, fonbem nur ben ©egenfafc gurn rejlcctirenbeit teufen im Sluge habe — ift bie 
Slufeenmelt toie bag Subject, ber 2ftafro* trie ber 3Jiifrofogmog, ettoag in fid) Selbft* 
Perftänblüheg. ÜRur praftifdfje Probleme tauchen in ihrer Seele auf: eg gilt für fie, bie 
©errfebaft über bie 9totur gn erringen, gu behaupten unb auggubehnen. Tieg trat bie 
erfte Aufgabe, bie ficb beut menfcblicben l^efdjledjte barbot. 3)ian perfudjte ftch gleichfam 
ber ©epormunbung bureb bie Statur gu entgieben, ficb mit eigener ftraft unb ©e[djicflicb= 
feit pot ben Unbilben ber Bitterung bureb bag fdjiifcenbe Tacb gn fiebern, bie ©etoäffer 
mit felbft gebautem 3-Iog gu befahren, bag Seuer fclbft gu ergeugeit, mit Behr unb Baffen 
bie Statur unb ihre ©efchöpfe gu begtoingen: 5Uleg Stiftungen beg praftifcbeit ©anbelng, 
Stiftungen, benen toobt theoretifebe, aber alg folcbe faum betoujjte geiftige Tbätigfeit ihre 
©ilfe lieb, ohne inbeb felbft alg 3toecf aufgutreten. 

Probleme gang anbercr 2lrt ftnb eg, bie ficb erbeben, toenn allein bie Bifebegierbe, 
bag Verlangen nach Babrbeit, bie menfchlidje Seele erfüllt. @g muff ein tonnbetbareg 
(Sefubl getoefen fein, ba guerft bem benfenben 2Jienfcben bie Beit unb er felbft anfhbrten, 
ihm ettoag SelbftPetftäitblicheg gu fein, ba er guerft bie ihm Porfjer unbetoufet gebliebenen 
©efefce beg Beltaltg gu ahnen begann, ba er guerft hinter bem eingelnen, bem fcfjneU (£uts 
fliebenbeu taftenb bag Befen ber Tinge fpürte. So toarb er ftcb beg guöor Unbetonten 
betrübt, unb fein embereg ©efüljl fantt gunädjft bureb biefe neue ©tfahrung au^geloft 
fein alg bag ber ©ertounberung. Bag öorher ein Selbftöerftä nbli dbcg getoefen toar, toirb 
gum Bunber, aber nicht gu einem, bag bem Teufen ein ©alt gebietet, fonbem eg üiel= 
mehr gu immer neuen ©erfueben antreibt, bag fdjeinbar Unerflätlicbe gu erflären, bie 
©rengen, bie ficb rirggum erbeben trollen, gu überfchreiten, in’g £anb ber Babrbeit 
forfebenb eingubringen. 

@g toürbe ein 3rrthum fein, tooHte man mit biefem Gefühl beg Stauneng tag ber 
©etounberung Permengen, toie eg ettea Tegcarteg in ber Sicherung thut: „Benn ung 
bie erfte ^Begegnung trgenb eineg ©egenftanbeg überrafdjt nnb toir meinen, ba& er neu 
ober toeit Perfcbieben fei Pon bem, nag toir fennen, ober auch Pon bem, toag toir in ihm 
permutbeten, fo betoirft bieg, baj? toir ihn betoitnbern nnb pon ihm in ©rfiaunen gefefct 
toerben.* (Les passions de l’äme. Art. 53:) Tie ©etounberung ift nicht bagfelbe 
toie bie ©ertrunbemng, fonbem folgt eift unterf gegebenen ©erbältniffen aug ihr. 

Tieg ©rftaunen über febeinbar Unbegreiflidheg ift bag erfte ©lement beg pbilcfophi= 
feben Tenfeng — toie auch ©lato im „Trätet" bemerft, bafc ohne bie ©ertiunbmmg 
feiner gur ©bilofopbic gelange, — aber eg gefeilt ficb ihnt fogleicb ein gtoeiteg. ©ei bem 
©erfuch, bie Tinge gu erflären, toirb ber ©eift fofort, trenn er auf eigene Sauft fein 
Unternehmen beginnt, eine ©eute beg 3toeifelg. SRiemanb hat bieg beffer alg toteberum 
Tegcarteg Peranfchaulicbt, ber Pon ftcb felbft berichtet, toie feine Seele fcbliefelid) Pon 
einem 3Reer beg 3weifelg berart übertoältigt tourbe, bafe er barin gu petftnren glaubte, 
©g banbeit ficb hu* nicht nur um ben 3*wifel in ©etreff biefer ober Jener Thatfacbe, 
fonbem bamm, Dag ber ©eift an ben ©efefcen beg Tafeing, bie er eben gu erfaffeu 
meinte, fowic an ber Säbiflfeit beg eigenen Tenfeng, bag ihm früher bei gutem ©Mett 
Wahrheit perfprach uub mm feine Ohnmacht gu offenbaren febeint, irre toirb. 



262 


^etttrid} Srömfe in £n$f \aven. 


W\t biefetn allgemeinen 3& f ifd hfaiö t auf» ©ngfte ettoa» Stobere« gufammen, ba* 
fogar fern Borftabium gu fein unb ihn attgubahnen pflegt: Mißtrauen gegen bic übet* 
lieferten Änftcbten, mögen fte ftch auch auf noch fo bebeutenbe Slutoritätcn ftiifcen. 2Hei 
SJHfetrauen bat bei anfeerorbentlid) Dielen $hiIofopbcn eine entfcbeiDcnbe Stolle gefpiclt, 
mir finben e», theiltoeife bis gur qualooHen Bergtoeiffuttg gefteigert, in ben Sugenbjafaen 
SJcScarte»*, Baco», faft aller grefeen englifäen Bbilofophen be» 17. tmb 18. 
hunbert». Dbue ba» SÜMfetrauen gegen ba» Sllte teüibe }o bie ©Trichtung be» Stowen 
überhaupt uidjt möglich fein. ©8 bilbet eine toefentücbe ©rtmblage beT ©Dftome aller 
Seiten. ^fi^fogifdj ift feine ©ntftebung unfehmer gu begreifen: toic fönnten gegenüber 
bent 3tocifelnben ober gum 3&*ifd ©cueigten, ber nach fetbft erfannter SBabrbeit fhrebt, 
Xrabition imb Autorität ihre 9Jiad)t behaupten l ©ie gehören gu ben erften Pfeilern im 
morfcb gtoorbenen ©ebäube be» itaiuen Renten», bie gufammenftürgen. greilkh toerben 
fie in bem Stoubau immer toiebet ihren Blaß forbern unb erhalten. Beim ber Oe® 
erft nad) bem ©oethe’idje« 2Bort: 

,23a» $u ererbt Don deinen Tätern fjöft 
©rtoirb e», um e» gu beft&en!" 

felbft gu finben geftrebt, toa» Slnbere Dor ihm gefunben, fo toirb er fein Bert gerne burd> 
btefe betätigen unb förbera laffen. ^ber gimädift, auf ber 2tnfang»ftufe ber DhilofoPhi* 
fchen ©nttoicfelung fallen bie fceroeubilber, bamit ber S^eifel fouoerän henfeben tann. 

©rft biefer führt ba» B:rt, ba» bie Bertouitberuitg begonnen hatte, gu bem 3idc 
fort, bafc ber ©eift gerabe burch ben meifel an allgemeinen ©efefcen biefc genauer gu 
unterfuctcn betoogen toirb. 3um Bbilofophtren ift e» erforberlid), toie ©djopenbauer 
fagt, „bafe man Sitte» ba», toa» ftch Don felbft Derfteht, ftcö gum beutlichen Betoufetfein 
bringe, um e» al» Ubiern aufgufaffen." (Barerga unb ^aralipomena. II. ©ap. 1, § 8.) 
2)ie Belt, bie au» einem ©elbftD.Tftünblichen gum Bnnberbtren getoorben toar unb al» 
folche» toefentlich auf ba» ©efü')l eingetoirft halte, toirb gum Stäthfel, ba» in erftor ßinie 
ben Berftanb gum ©rübelit unb i'öfen aufforbert. 

Benige 3>enfenbe toeTben Don biefem 3u?eife( berfdjont, aber unter beneit, bie ihm 
Staunt geben, giebt e» toieberum nur Beittge, hie beu ttttuth gu ©ottfeguengen haben. 3)ie 
2)toiften, mttottttg über Die geiftige Arbeit, bie fte ftch fo felbft auferlegen, ober an einer 
befrübigenben ßöfung be» Stathfel» Dergtoeif.Iub, ober gu fdjtoad), um fte gu toagen, bleiben 
auf halbem Bege fteben ober lehren gum naioen Renten gurücf. ©8 lohnt ftch nicht ber 
SJiühe, bie Probleme be» Latein» gu ergrünben, e» toinft lein 3’d auf bem mühfamen 
Bege, alfo gurürf gu beu ftteifchtöpfen Slegppten», gu bem ferup 'Hofen Birten be» SW* 
tag», gu ben prattifdjen Slufgaben be» Wafern», bie leichteren ©ieg Derfprethenl 3 ,l ut 
ruftigen gortfehreiten gehört in erfter £inie eine tüchtige $oft» SJtnth angeficht» ber 
gfolgerungen, bie ftch Dietteicht ergeben, angeficht» eine» Dielleicht rem negatiben Stefultat», 
ba» alle Sbeale, religiöfe, toiffenfdjnftliche, fittliche, gu gerftöreit broht. 

Unb hoch ift biefer $omentoeg be» 3*ueif:l» ber eimtg mögliche im Steiche ber 
Sßhifofophte, benn auf ihm erft lernen toir bie Probleme in ihrer gangen ©ch'irfe erfaffen, 
auf ihm erft toeicht gang ba» unbefangene 3>enlen Dor ber 2Jiad)t ber Stefleiion. ©benfo 
geto® ift aber, toa» ^erbart lurg unb treffenb fagt: w 3?ber iü^tipe Anfänger in ber 
SShilafophic ift ©leptifer, aber e» ift auch ieber ©leptiler al» folcher Slnfünger/ 

©he toir ben Neubau be» SSiffen» unternehmen, mufe bie Berechtigung be» Bauen»: 
be» logifchen Genien» erlaimt unb anerlannt toerben. ©elingt e» ni^t, ba» 3)ciilen felbft 
al» gültig hinguftettett, fo finb toir atterbing» bei bem Bemühen, ba» öelträthfel gu löfen, 
unrettbar berloren. Sluch al» 5)e8caTtc8Tnit fenrnn berühmten @afce „Co^ito ergo 
Kum“ ba» erfte in ftch ©etoiffe au8gufpred)en meinte, mttfete er, um bie SSirtlidjteit ber 
©^ifteug gu erfchltefcen, bie Xhatfache be» 2)enlen» felbft al» gegeben, untotberleglicb unb 
unbetoei»bar Dorau»fe^n. Sltt ber unmittelbaren ©etoifchdt be» ftänbig fclbfterlebten 
eigenen pipehifdjett fieben» ift mit leinen 3ttwfel£mäcbten gu rütteln. 3M8 ienfen offen- 
bart ftd) aber fofort al» ettoa» ^ogifche», beffen 23efen c» ift, leinen inneren SStberfpruch 


— (Quelle unb IPeg bes phtlofopbtfdfen Denfens. 26$ 

g* tailbett: es mub nicht nur ferner ©jiftn*, fontem auch feiner logifchen ©iltfgfeit noch 
emerfannt teerten. Mt anberm ©orten: ber Xenfact als foldjer, *u bemia auch ber 
Reifet — als §anblung — felfcft gehört, ift baS ©eg bene, Feftftehentt, ©etoiffe, — man 
müfctc fonft an ber fchatfadje bcS 3toeifelnS toicter gtoeifeln. ©aS feinem ©ahrheits* 
geaalte nach uitRcher ift unb erforfdt fein null, ift ber T)enfinbalt. 2iefe Unter* 
Reibung, bie Pielfach unbeiüdfichtigt gelaffeu ift, ift ein hixhft toidtige» Moment in ter 
©nttoicfeluug ber neueren Sßüüofophic getoorben. Um ten $enfinhalt allein banbeit eS 
Reh bi«. 3« ihm gilt es, bas iolltoerthige Dom 3rrthum »U fonbem, fcamit man sur 
©ahrbeit gelange. 

@o leicht ausführbar bie fforterung flingt, baS SelbftPerftänbliche als Problem »ti 
erraffen, fo oertotcfelt pflegen bie ©ebanfcnpioceffe *u fein, bie gur flaren ©rfaffung bes 
Problems führen. ®iefe ift SBortebingung gut Pillen ©rfemttnib, — ich möchte fagen : 
fie ift fefbft febon bie halbe ©rfemttnib. 

©ie eS in einer fogenanitten eing?ff?ibeteit Aufgabe ber Rrithmetif gunüchft barauf 
anfommt, ten Stern ans ber Umhüllung berauSuticba'en, fo tritt auf pbilofopbifcbem ©e* 
biete merft bie For^nmg an uns heran, baS 3nfüH f ge, ©edjfetnte, baS auf ben be= 
fonberen Söebingungen tes ©nt?elfallS SBeruhenbe auSgnfcheiben, auf bem ©ege ter 2lb= 
ftractbn Pon allem Rcbenf ; . (blichen bie principiellcn Fragen als fo!d;e feftv ftellen. Unb 
toie bei ter raathematifchen eingeßeibeten Slnfgabe bie ©ntfleibung ber Frage rft ber 
toichtigere unb febteierigere Xhetl ter Rrteit ift, ähnlich ift auch in ber ^bilofcpbie ber 
©eg Pont ©tngelnen §ur Sfeftfteüuug tes principtellen Problems meift ein gröberer als 
ter Pon festerem m feiner üöiung. 

®urd) bie ^erausfchftlung ber ^rinctpieitfrage au» allen empirifchen füllen ift bie 
©ebanfenarbeit »efemlich g»förbert, rter noch fehlt eine nicht unbeträchtlicbe ©egftrecfe. 
5Dte meiften phtlofophifchen Probleme ft ib ter Rrt, bab fie in fid) aitbere bergen, ia, meift 
bei confeguentem $urd)benfen aUcT ©rünbe uab Folgerungen eine faft unenblidje 3 a W 
neuer fragen bieten. 3n iebem Problem Iäbt fid) eine beftimmte Reihenfolge pon 33e* 
bingungeit unb ©rgebniffen, eine burchaä’tgigc Slbtöngigfcit ter ©lieber oon einanber 
»eigen. TaS erfte ©ebot bd bem Unternehmen, burch baS fcheinbare Xicfid t ben Sßfab 
»ur ©rfemttnib gu bahnen, ift biefeS: bie Aufgabe richtig emgutheilen, fo bab nicht alle 
Fragen, bie baS Sßro&lem enthalt, in toirrem Turcheinantet, fontem in ber burch ihre 
gegeufeitige Abhängigkeit bebingtm Reihenfolge erlebigt teerben. So fieigett teir Pom 
Rieberen »um höheren auf, bis teir m ber Frage Jommen, bie ben ©cblnbfHit bilbet 

©S toüroe fehr umo : ff nfchaftIich fein, toollte man fii ben ©’g abfürgen unb auf 
Jete Frage, bie in uns auf a 'd)t, ohne biefe eutfte ©ebanfenarbeit bie Slntteort bereit 
halten. Fr?Ui<h hat ber ©eift, meift faum beumbt, bie Renten» auf eine teftimmtc 
Rntteort, aber biefe ©ntfeheibung ift, felbft toam ft- burchaus baS Richtige treffen mag, 
gu rechtfei t’:gen. TaS Renten barf nicht fogle ch bem Problem auf billige ©eife ent* 
fdppfen; baS ©egeutheil ift nothteenbig: baS Problem mub in unerbittlicher Strenge ge* 
fabt teerten. 

©runb unb ©efen {ebeS $rob r em8 ift ber innere ©tberfprudj einer ©r* 
fcheimmg, bie ©fgenübcrftellung gtoeier Urtheile, bi«* fid) gepenfeitig aufneben, Pon benen fich 
jebeS gu behaupten Perfucht unb hoch nur eines hefteten Jann. ©ögen teir rach bem Ur* 
grunbe ber ©eit, nach ber ©riftent unb 23efd affenbeit eines über bie ©ifcbeinnngSteelt 
fkh erbetenben Reiches ter Tinge (an Reh), nach ben ©efefcen &eS Rttlichen Gebens, nach 
tem ©*fen teS Schönm unb ber Sftinft fragen: ber ©ebaitfenproceb mub, um bie Stern* 
frage beS Problems gu erfennen, gu einem letjten ©ntmeber*Dber führen, ©an nennt 
ein foldjeS IepteS ©nttoeber*Dber tm praftifchen geben ein Dilemma, im philofephifchen 
3>enfen eine Rntinomie. 

darauf fommt Alle« an, in jebem Problem bie ihr gu ©runbe 
liegenbe Rntinomie »u begreifen: fo aeftalten fich fchlieblich alle Räthfel, 
bie baS ©eltall ftellt, »u einem Stiftern oon Rntinomieen, unb bie ©e* 


26^ EJeinridj 33römfe in <£u$paoen. 

fcpicpte bcr op ^te ift nichts Anber es als bic ©efcpicpte ihrer £öfung*= 
öerfudje. 

tiefer ©ebanfeitprocefi, um ben e8 fiep hier nur al8 pfpepotogifepen gacior jubelt 
ift mehrfach in ber ©efcpicpte ber ^Sptlofoppte auSbrücfücp auch gur $>arflellung be* 
ftimmter lehren benupt toorben. Sie [o manches Stüftgeug ber SßpÜDfoppfe bon ben 
©leaten peirrüprt r fo barf man ftc auch tooht al8 biejenigen bezeichnen, bie guerft in ber 
$)arflellung bie antinomifepe SJletpobe benupten. Sir finben fie al8 gern beitufcte Saffc 
im £ager ber ©oppiflen, al8 toirffameS XarftellungSnuttel in ©iatoS imftcrblidjen 
Serien. $a8 berithmtefle SÖeifoiel bilben bie bon ftant in feiner „ftritif ber Teilten 
Vernunft" aufgefteüteit Antittomieen. Sa8 er unb Anbere al8 gorra ber $)ialeftif gur 
Darlegung ihrer 3been antoanbten, ift Nichts toeiter al8 bie Aeprobuction eines mieptigen 
©liebes ber ppilofophifcpen ©ebanfenentmidfluitg überhaupt — 

$ie £ogif hat für ben äufeerften ©egenfap ben tarnen: contrabictorifcher. 
Siberfpruch eingeführt Senn bie gorfepung nicht bahin gefommen ift, folcpc ©egen* 
fäfce gu fijiren, hat fie ihr 3id — ioenigftenS metbobifcp — nicht erreicht 3ft man aber 
gu ihnen gelangt, fo mürbe e8 eine fcäufcpung fein, moüte man annehmen, bafe man über 
beibe ©eiten gu einem ©jperen, beibe ©ermittelnbcu oorbringen fönntc. Seim mirflicp 
bie lebten ©egenfäfce flar gefaxt finb, fo ift ein drittes nicht möglich. ®ettn ba8 eben ift 
ba8 Sefen jener, bafi fie fiep gegenfeitig ausfcpliefcen: memt ©ineS ift, fann baS Anbere 
nicht fein, unb menn ©ineS niept ift, tnufc ba8 Anbere fein. 3JHt ber ©efcuitg be8 ©inen 
ift bie Aufhebung bc8 Anberen oerfnüpft. 

3mar ift oft 4 in bcr ©efcpidjte ber ©pilofoppie ber ©erfitcp gemacht toorben, 
bie lebten ©egenfäfce gu überminben, inbem man beibe gu bereinigen ftd> bemühte. 
£>a8 gange ©treben £egel8 unb feiner ©djule mar hierauf gerichtet, aber ber beftehenbe 
Siberfpruch mar nicht meggublmeifen, unb fo mürbe biefer felbft gum Sefen ber SDiitge 
gemacht 

@8 ift gut, fiep folchen Ausführungen gegenüber ftets ber einfachem ©efeb° beS 
logifchen 2>cnfen8 bemuftt gu bleiben, um ben Serth jener richtig gu beurtheüen. Sieben 
gtoei ©epaupimtgen, bie fiep contrabictorifch auSfcpliefjen, ift eine britte unmöglich: tertium 
non datur. Senn bie ©ebauptung richtig ift, bafi bie Seit ber 3) fuge (an fiep) geitlicp 
ift, fo folgt barauS mit unumgänglicher Aotptoenbigfeit bie Uuricptigfeit ber ©epauptung, 
bafl bie ©sifteng ber Eilige (an fiep') aufier ober über ber 3cit fleht bafc mir biefe nur 
ben ©rfebeimmgen beigulegen haben. TaSfelbe gilt umgefehrt. 3ebe bermittelnbe 3mifcpen= 
anftept ift ein Unbing; bas ©itüueber=£)ber fann nicht gttm ©otoopkAlS auch merben. 3fl 
ermiefen, baS alles ©efcpepeit eine nothmenbige S?ette Oon Urfacpen unb Sirfungen bilbet, 
fo ift ein urfacplofeS ©efepepen — auep im pfhepifepen ßeben, alfo als Stil cnSfrei peit — 
unmöglich. Sill 3emaitb folcpe ©egenfäfce überbrüefen, baS ©ine tpun unb bas Anbere 
nicht laffen, fo fann es trofc peroorragenbfter bialeftifcper Sfnnfl nur auf .Soften bet 
Saprpeit gefepepen. 

AnbererfeitS tauepen bei allen Problemen ©egertfäfce auf, bie nicht oon biefer Art 
finb, niept bie ©lieber eines contrabictorifchcn SiberfprucpS bilben, fonbera auf bem 
Sege gu bin äuflerfleit Antinomien gleicpfam als ©orftationen angetroffen merben. 
Steberpolt begegnet uns in ber ©efcpicpte ber ©pilofoppie ber ©afc, bafl bie ©lüpcligfeit 
auf ber Xugeitb beruhe; mieberpolt mirb anbererfeits bie ©epauptung auSgefprocpcn, bafc 
bie ©lücfjeligfiit in bcr ßuft begrünbet fei. $ie beiben ©äfee finb, in biefer gorm aus* 
geforoepen, offenbar burep eine meite ^Iuft gefepieben, aber fie fcpliefien fiep nicht aus. Sanim 
follte niept bie ©liitffeligfeit auf gmei ober mehr ©ebingungen beruhen fönnen, marum foHen 
mir nur eine Urfadje auguitepmen berechtigt fein? ©epen mir nicht AepnlicpeS überall? 
Sirft nicht auf ben flhgenben ©feil gugleicp bie Straft; bie ipn entfenbet, unb bie An* 
giepungSfraft ber ©rbe? 3ene beiben ©äfce mären nur bann unoereinbar, meim uns 
3emanb nad)toiefe, bafi fie unter fiep in contrabictorifcpem Siberfpruch flänben, baf? 
Xugenb unb 5iuft fiep gegenfeitig auSfcpIiefienbe ©egriffe mären. — 



265 


(Quelle unb tPeg bes philofophif djen Penfens. 

(£3 fei eine Bemerfung ^ierp geftattet. 3e utebr toir uns bon ben abftracten 31>eeit 
entfernen unb su ben concreten Xfjcttfacfjen unb gorberungeit beS £eben3 f^erabftetfleu, um 
fo mehr toerbeit in ben Problemen folcbe Söiberfprücbe auftaueben, bie nur fdjeittbar un* 
iiberbrücfbar finb, benen bie (Sontrabiction, baS gegenteilige @id)auSfd)lief$en fehlt. Hierauf 
beruht eB, bafc bie 3tt>etge ber Bhilofobhfe, M mit biefeit Problemen befdjäfttgen, — 
üon (Einigen auch als „praftifd)e Sßhilofophie" begetchitet — alfo g. 23. bie (Sthtf, bie 
Sleftfjetif, im Sillgemeinen nicht bie ftrenge Slrt ber Beweisführung feniten, toie mir fte oon 
ben abftracten Erlegungen in ber ßogif, ber (Srfeuntni&theorie, ben grunblegenben (Sr* 
örterungen bet ÜRetaphbfif forbem. 3c mehr ber Söetoei^ auf bie (Sfcgenüberftellung ber 
contrabictorifdien ©egenfäfce, ftreuger Rutinomieett, hinausläuft, um fo mehr gewinnt er 
an föraft unb Klarheit. — 

E6 3ene8 gefebiebt, ift burcbauS itotbtoenbig bei ber 23ebanblmtg ber lebten Briit* 
cipien ber Bbilofopbie. 2Bir bleiben fonft im Gebiete ber 2Babrfd)einncbfeit3redbnuug 
fteben, toir forbem aber üßkfrrbeit. Rlle Berfudje, bie lebten groben fragen mit halben 
Slnttoorten su umgeben, baS 3« ntit bem Rein gu bereinigen, ntiiffen febeitem, benit 
nfrgeitbS ift toeuiger Raum für Halbheiten als in ber Rietapbhfif. — 

Einern gtoiefacbeit RUjtoerftäubniB rnödite idi begegnen. 2Beitn ber 2öeg beS philofoppi* 
feben EitfenS boit ber 2$ertounberung bi§ gur RuffteHung bon Rutinomieeu bejebrieben ift, 
fo erinnere, man ficb beB im Anfang ©efagten, bafe hiermit felbfiberftänblid) nicht behauptet 
toerben foll, bei jebem einzelnen bentenbeit Rienfdjett unb in jebem einzelnen ©ebaitfen* 
procefc bollgöge ftd> bie (Snttoicflung in genauer Reihenfolge nach biefem 6cbenta. Ees 
toäre ein 3rrthutn fonbergleidjen. Vielmehr finb es bie manuigfadpten Slitregungen bon 
Rufreit, bie berfchiebenften Beobachtungen in ber Ratur, an anbereu unb am eigenen 
0ubject, bie bon biefer ftänbig erneuten ©rfabruug beroorgerufenen (Manien fetten, 3been= 
affociationen aller möglichen 2lrt u. f. to., bie im einzelnen ^alle mittoirfenb auftreten. 
ES ßeben ift gu reich, um auf ein 6d)ema gebracht su toerbeit. Rlle biefe gdetoren im 
pfpdpfdjen ©efcbeljen föiuten nur in concreten Berhältniffen aufgefübrt ober toenigftenS 
aufgefpürt toerben. ($ttoaS RnbereS ift eB aber, bie begriffliche (fnttoicflung eines (M 
banfenS in feine grunblegenben Elemente, bie in allen fonft berfdjiebeneit Berbinbungen 
ihr (fEiftengrecbt forbem, gu gerlegen unb, auf biefer Rnalpfe aufbauenb, eine (Sfiggtrung 
beS pbilofopbtf^en EitfenS feiner Quelle nnb ©ntioicflung nach gu üerfueben. EeS foßte 
hier gefebeben. 

(Sin anbereS fWtfeberftänbnife, baS nicht leichter fein würbe, erblicfe ich in 0roIgenbem. 
9ttan fönnte auf ben (Manfen fommen, eS follte bie (frforfdpmg ber SBabrbeit nur auf 
Gegriffen, auf abftracten 3been beruhen. RidjtS toäre irrtbiimlicber. „2Bie bie Beritad)* 
Iäffigung ber (frfabrung ficb rächt, bariiber ift bie ipbilofopbie bureb ben Verlauf ihrer 
(Sefcbicbte gu fcbmerglicb belehrt toorbeit, als bafg erneute ^imueifung Roth tbäte." (ßofce, 
2Retapbhfif, 6. 4.) (SS ift ein toahreS 2Bort, baS 6cbopenbauer ausfprtcbt: „(Sine 
feltfame unb untoürbige Definition ber fßhilofophie, bie aber fogar noch ftant giebt, ift 
biefe, bah fte eine SSiffenfcbaft aus blofcen Gegriffen toäre. 3ft bod) baS gange (Sigenthum 
ber begriffe nichts 2lnbereS, als toaS barin niebergelegt toorbeit, naebbem man es ber an* 
fcbaulicben (Srfenntnib abgdborgt unb abgebettelt h^tte, biefer toirflid)en unb unerfchöpf« 
lieben Quelle aller (Sinftcbt. Eher läfet eine toahre ^hilofophie fid) nicht herauSfpinnen 
aus blofeen abftracten 23egriffen; fonbern muft gegriiubet fein auf Beobachtung unb (Sr= 
fabrung, fotoobl innere, als äußere. M (Barerga unb Eralipomena U. (Sap. I, § 9.) 

2lber bie Beobachtung unb Erfahrung allein Tmb gur toiffeitfcbaftlicben (Srfenntitifi 
unnüb, toenn ficb wicht baS Enten ihrer bemächtigt, gu ben emgelnen Xhatfacben — 
benn nur folcbe giebt unS bie (Srfabrung — bie allgemeinen ©efeije gu erforfcbeit, hinter 
ben ©rf^einungen — benn toiebemm nur folcbe giebt uns toenigftenS bie ändere Erfahrung 
— bie B3elt ber S)htge (an ficb) S« erfd)liefeen ficb bemüht. Unb biefe Operationen beS 
EntenS — mag man fte immerhin als Dialeftif bezeichnen, obtoohl ber übliche Reben* 
fUtu, ber ben Söorten fteßemoeife anhaftet, hier gang unb gar unberechtigt ift — 
Worb unb ©Ab. XCII. 275. 18 



266 Ifetnrtcß BrÖmfe in £tt£haoen. 

toerben immer nach ben einigen logifcßen ©efefeen urtb otterbings rein begrifflich »erfahren 
muffen. 

£te ©nttoidflung beS philofopßifcOn SDenfenS ift bis 311 bem fünfte »erfolgt toorbat, 
too ftdh aus bem 3ti*ifd ber ©eift gur gijirung »on Slntinomieen erhoben hat. Urber 
bie ©ntfeßetbung lägt fich nur im einzelnen gatte ©ttoaS feftftetten. $erat hier hört bie 
Sltteittherrfcßaft ber ßogif auf. S)ie lefcten ©egenfäfce ftnb nicht burch Iogifche Dotationen, 
burch bie Stecßnung mit Gegriffen gu übertotnben, fte entziehen fich bem attein geltenben 
6 pruch beS JßerftanbeS. SSom gefammten Seelenleben, »on ber Summe aller Einlagen, 
©efühle, Neigungen hängt bie lebte ©ntfeßeibung ob. Schon einmal ift uns auf bem 
©ntroicöungStoege beS pbilofophifcßen 3)enlenS ber SBitte begegnet: nicht nur Serftanb, 
fonbern moratifcher Sutß unb geiftige ©nergie gehören bagu, bie 3been bis gu ben 
äußerften, toenn auch unbequemen ©onfequengen bureßgubenfen. Sie ©emütß unb Sitte 
hier bie SkrftaubStfjätigfeit förbern, fo »erlangen fte jefct gurn gtoeiten Sale ihr Stecht: 
bieSraal als felbftftanbige gactoren ber philofophifcßen ©rlemttniß. 

So bie Iogifche SBegriffSbilbung unb «feßeibung ihr ©nbe erreicht hat, ba beginnt 
bie Sacht jener, ©benfo toie eS gu mißbilligen ift, toenn bie »erflanbSmäßigen Dotationen 
burch anbere gactoren beeinträchtigt toerben, toeil fte rein unb felbftftänbig erhalten toerben 
ntäffen, um ihre Arbeit befriebigenb gu leiften, ebenfo begreiflich tmb notßtoenbig ift es, 
baß fte ba, too fie an ißte ©rengen gelangen, anberen neben ftch $lafc machen. Db 
3emanb bem 3bealiSmuS ober bem SaterialiSmuS hulbigt, ob er einen leßten geiftigen 
Urgrunb beS SeinS annimmt ober bem Atheismus »erfättt, ob er bie ^Berechtigung beS 
$fticßtbegriffS anerlermt ober für ©errenmoral eintritt, biefe unb ähnliche gragen toerben 
im lebten ©runbe nicht »om SSerftanbe, fonbern »on ber gefammten Sßerfönlichleit, unb 
gtoar in erfter ßinie »om ©efüßt unb Sitten: »om ©ßarafter entfliehen. ©S 
barf bei ber toaßren SPhifofophie, „fo feßr auch ber Stopf oben gu bleiben hat, hoch nicht 
fo faltblütig bergeben, baß nicht am ©nbe ber gange Senfcß, mit föerg unb Stopf, gur 
Fiction läme unb burch unb burch erfchüttcrt toiirbe. SPhifofophie ift lein Sttgebra^empd. 
SBielmeßr hat SBaugenargue Stecht, inbem er fagt: „les grandes pensees viennent da 
coeur.“ (Schopenhauer, SParerga unb SParalipomena, II. ©ap. I, § 9.) 

2>er ©runb ßiefür liegt nicht fern. So baS ©rfiärlicße aufßört, hört bte Sou»er5ni» 
tät beS SSerftanbeS auf. 3ebe Siffenfcßaft gelangt an eine ©renge beS ^Begreiflichen, Ja, 
ber ©runb ttnb SBoben, auf bem alle unfere ©rlenntniffe unb Siffenfcßaften rußen, ift baS 
Unerüärticße.* (Schopenhauer, a. a. D. § 1.) Um bieS gu f affen ober beffer gu ahnen, 
müffen toir in bie tiefere Duette unfereS SefenS, bie toir als ©emütß begeießnen, hinab? 
tauchen. 

Unb too toir ht ber ©rforfeßung beS SefenS ber Seit ein „Ignorabimus“ gp 
entbeefen meinen, ohne baß unfere Shraft auSgureidjen feßeint eS aufgußeben, ba mögen toir 
uns mit bem herrlichen Sorte beS größten beutfdjen ©eifteS tröften: „XaS feßönfte ©lücf 
beS benlenben Senfcßen ift: baS ©rforfeßfieße erforfeßt gu haben uttb baS Unerfarfcßlicßc 
rußig gu »ereßren. - * 


3lluftrirte Bibliographie, 


$ic ttttgat’ifdje SonaU’SIvmee 1848/49. Von Slnatote Sacquant. Will $ oei 
Stbbllbungen. VreiS geh. 2Jif. 5.—; geh. Sf. 0.50. (VreStau, ©c^Ief tf d&c 
VertagS#2lnftaIt n. S. Schotttaenber.) 

Ser löexfaffex norliegenben SerfeS bat ben S^tyantt richtig erfaßt, nach Verlauf 
non fünf Secennicn, an ber Setibe beS ßabrhimbertö, bä {ewigen ©eneratiou bic höchster* 
effante ©pifobe aus bent NenolutionSiabTe 1848/49 — ben 8fetb§ug ber mtgarifeben 
Vrmee gegen bie öfter reiebtfebe — noraufübren. Veftanb bamalS ber flampf gtoifeben 
beiben Neicb&bülften, Cefterreicb unb Ungarn, febon feit nieten 3abwn, fo bulbigte man 
nunmebr, feit bem Särs 1848, in $eft ber Stnfcbanung, Jebe Reffet, bie Ungarn an 
Cefterreicb fnüpfte, abftreifen §n fonnen. Hauptfäcblicb toaren e& s»ei Sänner, ^offutb 
unb ©örgep, um bie ficb bie ©reigniffe beS 3abre8 1848/49 ht Ungarn brebten. Ser 
banacb ätnifeben Oefterreicb unb Ungarn auSgebrodjene ftrieg bat eine toabre fjlutb non 
Schriften hn (Befolge gehabt, fo baß es febtoer hält, in berfetben Sabrbeit unb Sichtung 
non einanber gu trennen. Nidjt ohne Veflommeubeit, fdjreibt ber SSerfaffer in ber (Sin** 
teitung, ift er baber cm bie Aufgabe fjerangetreten, in bem benftoürbigen Kriege beS 
3abre8 1848/49 ben gfußtapfen ber Sonau=2lrmee §u folgen, bie unter ben bamalS neu* 
gefebaffenen Honoebfcbaaren ben erften Vtafc einuabtn. Sußenb auf einem mit außer* 
orbentticbem greife unb Verftänbniß gefiebteten Cuetten=SateriaI unb in ber flriegS* 
gefehlte felbft gut betoanbert, ift ber Verfaffer norurtbeilsfrei unb im Streben nach 
Sabrbeit, toie man es nom (SefcbicbtSforfcber nertangt, ber ßöfung ber Aufgabe, bie er 
ficb geftettt, gerecht getoorben. Sieberbott führt er ©itate non Soltfe an, namentlich, 
fco es gilt, für bie §anblungen ©örgepS, beS ftübrerS ber Sonau*$lrmee, einjjntreten, 
ber als eine fdjarf ausgeprägte 3nbioibuatitdt immer ©liicf batte, toenn ibtn freie £anb 
getaffen toar unb er ^anbelit fonnte, toie er looltte. Sie es aber bezüglich biefer 
DperationSfreibeit bamalS in Ungarn ausfab, baS febilbert ber Verfaffer in ftarer, unbe* 
fangener Seife, ftoffutb batte eS fpdter felbft als einen großen 0fehler erfannt, in jebem 
nom (Glücf begünftigten (General einen Nebenbuhler erbliät gu haben. 2US eine grolge 
biefer Äurgftcbtigleit brachte ber mit fübnen Hoffnungen begonnene ^rieg gunäcbft nur 
negatine Nefultate. — Nach einer ©Ölleitung bebanbelt ber Verfaffer ben nngarifeben 
g?db§ug 1848/49 in brei Hauptftücfen, imb gtoar gunäebit bie Vbafen ber Vorbereitung 
nom 3tprit 1848 bis Sitte Secember beSfel ben 3abreS, aisbann ben Sinterfetb^ug nom 
15. Secember 1848 bis 22. Sai 1849 unb febtießtieb ben Sommerfclbaug nom 16. 3unt 
bis 10. 5tuguft 1849. 2luS bem jmeiten Hauptftücf toären bernorsubeben: Ser Sarfcb 
nach ben Vergftäbten unb bie ©reigniffe bafetbft, ferner bie «Schlacht non ftapotna unb 
ihre folgen in ber 3 ß it nom 26. Scbruar bis 8. Sär§ 1849, fomie fcbließlid) bte @r* 
ftürmung non Ofen 22. 9M 1849. 3m britten Hauptftürf finb befonberS ertoäbnenS* 
toertb: Ser Verluft ber Saagtinie 16. 3uni bis 11. 3uti 1849, ber 3nfammcnftoß 

18 * 


268 


ZTorb urtb Süb. 



&rtf>ur b. ©ör^d). 

tfu»: WnatoUSBacquant: „£ie unjarifdjc 3)onaus®rmce 1848/49." ©re&fau, ©djleflfdj* $ erlag** 
Hitftalt b. ©. ©djottlacnbcr. 


3Huftrirtc Bibliographie. 


269 



©örgeija Strafe. 

#u*: Sfnatole Söacquant: *2)ie ungartfdje 2)onaiu2frmee 1848 / 49 ." ©teÄlait, 6d)leftfd)e ® erlag®s?l nftal t t>. 6. Sc&ottlaenber. 


270 


Horb unb 5üb. 


tnit ben Stoffen 13. bis 19. 3ult 1849 unb bie Stotaftrophe 24. 3uli bis 10. Auguft 
1849. Dem britten §auptftiicf finb noch als toeitere ©apitel betgegeben: 3n ruffifcher 
©cfangenfchaft, ©jil unb §eitnfef)T unb bcr g-eberfrieg toibcr ©orgep. ©in toicrteS 
£>auptftüc! enthält bie Beiträge gut Ouettenfritif, beren Borgiigtichteit bereits oben er* 
toähnt mürbe, alsbaitn Anmerfungen unb gum ©chlnfi ein AamenS-Aegifter. — Die 
gange DarfteHung beS BerfafferS ift als eine [ehr intereffante unb toohl gelungene gu 
begegnen. Da biefclbe nicht Dom rein friegStoiffenfchaftlichen, fonbern auch bom politi* 
fcheu ©tanbpuntte aus erfolgt ift, fo finb jebeufallS aus biefem ©runbe Detailpläne 
unb OperationSftiggen, bie bas Sert nur erheblich oertheuert haben ioürben, nicht beigegeben. 
©S laffeu ftdh übrigens nach jeher einfachen $arte toon Ungant, toie fokhe jeber AtlaS 
enthält, bie Operationen leicht ücrfolgen. — Sttcht nur beut ütttlitar, fonbinm auch bem 
fiiftorifer unb Sebent, ber fich über biefe toidjtige unb boebintereffante ©pifobe beS SahteS 
1848/49 orientiren toill, fei bas gut auSgeftattete SSerf ^terburd^ toarm empfohlen. 

K. 


Bibliographie Hotigm. 


tteüev bic WciwliitUm in Prettftcn unb 
Dcutichlanb 1848/49. ©iftorifche 
©tubie bon Alfreb g-reiherr bon ©berftein. 
ßeipgig, 3ulhiS Akrner. 

©S ift ein nicht nur berechtigtes, foitbem 
auch banfbar anguerfeitnenbeS Unternehmen, 
ein fo nichtiges ©reignifc toie bie Stebolution 
im 3ahre 1848/49 in Preu&en unb 
Deutfchlanb nach Verlauf bon 50 3abren 
unb gerabe beim Beginn beS neuen 3abv= 
hunbertS ber gegmtoärtigen ©eneration bor 
klugen gu fuhren. Der Berfaffer hot fich 
biefer Aufgabe unterzogen unb in einem 
reichhaltigen SSerf (355 0.) nicht nur baS 
§iftorifd)e bargeftellt, fonbern, toie er felbft 
angiebt, barin auch „all fein teufen unb 
©tceben freimüthig geopfert 1 ', man möchte 
bhtgufügen nach bem ©prieptoort: „SSefc 
baS §eq boll ift, befj geht ber 9)hmb über". 
— ©S fei hierbei bortoeg herborgehoben, bafe 
je nach bem politifcheit ©taitbpunft beS 
ßeferS bie AuSlaffungen beS BerfafferS eine 
fehr berfchiebene Beurteilung toerbeit erfahren 
miiffen. 

Die Arbeit beS BerfafferS ift nämlich 
nicht bloS, toie er fie bezeichnet, eine 
piftorifche, fonbern eine focial=politifd)e ©tubie. 
Aus bem Xitel: „lieber bie Stebolution in 
Preufcen unb Deutfcplaub 1848/49" leitet 
ber Berfaffer bie Berechtigung per, an ge- 
eigneten ©teilen bis gur 3efctgeit Bemerhm= 
gen machen gu bürfen. ©r gieljt baher, 
je nadjbcm es ihm gtoecfgemafj erfcpelnt, bie 
berfchiebenartigften Xhemata in ben .treis 
ber Betrachtungen. ©S toäre bielleicht 
richtiger getoefeit, guuächft bie Stebolution 
1848/49 rein hiftorifch gu behanbeln unb 
bann alles SSeitere, toaS ber Berfaffer auf 
bem bergen hat, in einem ©apitel: „Die 
focialpolitifdje ©ntto tcfelung PreufjenS unb 
DeutfdjtanbS feit ber Aebolutioit bon 
1848/49 bis gur ©egentoart" 3 ufammen= 


gufaffen. Durch bie eingeflochtenen ©treif* 
lichter auf bie ©egen toart mufete biegufammen* 
hängenbe biftorifdje DarfteHung etnigerma&en 
beeinträchtigt toerben. Pach einer ©inleitung 
über ben Begriff ber Aebolution toerben in 
19 ©apiteln bie ÜUtörgbetoegung beS SahteS 
1848 in Preußen unb in ben beutfehen 
©taaten, bie beutfehe 9totionaI=BerfammIung 
gu granffurt a./3Jt., bie polnifchen Unruhen 
fotoie bie SSieiter $uftänbe bon 1848 ge= 
fcpilbert unb in ben ©apiteln 20 — 28 ber 
beutfehe Parlamentarismus, bie folgen ber 
Acbolution auf toirtpfcpaftlichem ©ebiete, bie 
grauenfrage unb bie Ürcpliche Betoegung 
bepanbclt. ©apitel 24 enthält als ©cpluft: 
„Allgemeine Betrachtungen". — Der Ber* 
faffer hat fich mit allen ©ebieten beS 
politifdjen ßebenS grünblicp bertraut gemacht, 
unb man erfennt auS feinen Darlegungen, 
bajg er als Stecht unb Pflicht erachtet, gu 
befeitnen, toaS er empfirbet, toenn er fiep 
auch betou&t ift, bamit nicht Sebermamt gu 
übergeugen, gumctl toenn man, toie er 
herborhebt (©. 74), gegen ben ©trom 
fchtoimmt. Der Berfaffer ftebt auf ftratg 
ebaitgelifd)=firchlichem ©tanbpunft, toaS bie 
gasreichen bon ihm citirten BibelfteHen be« 
loeifen; felbft in ber ©dhreibtoeife beobachtet 
er, toaS als nebenfächliche 9btig hoch hier 
ertoähut fein mag, bie toohT fonft m firch= 
liehen ©djriften übliche gorm, bei ©ott, 
©briftuS, ©err ben gtoeiten Budhftaben eben* 
falls groß gu fchreiben. — BefonbetS toirb 
griebrich SBilhelm IV. berherrlicht, beffen 
Bilb bem Bkrfe beigefügt ift. Manchmal 
führt ber Berfaffer eine giemlidh fdharfe 
©prache unb geht mit einzelnen Perfonen 
toie g. B. mit BiSmarcf unb ©pbd^ toenn 
er auch toieberum an berfchiebeneit ©teilen 
ihre Berbienfte anerfennt, gu fcharf in’S 
©eridjt ©S toäre gut getoefen, f^ier bem 
Unmuth toeniger braftifch ßuft gu machen 


33ib(iograpftifd}e Hotten. 


21 \ 


Sie $*ophegeiung (0. 109), bag bcr 
SenfmalSraufch für ©ternäre! uid)t Sah* 5 
gehnte bauern toirb, um in’S ©egentheil 
umgufchlagen, toährenb Eaprioi toeiter geehrt 
toerben toirb, toirb fich ebettfo toenig erfüllen, 
tote bie prop^ctifc^cn Sorte (0. 100), bag 
bie Seit nicht mehr lange auf fich toarten 
Iaffen toirb, too bie 2 23ätibe ©tSutarcfS 
„gebauten unb Erinnerungen" in bie ab« 
gelegeneren Sheile beS ©üdjcrfchranfeS toerben 
gefteßt toerben unb ber ©temarcf’fdie 9hil)m 
bon Sttonat gu 3flonat mehr abbrödeln toirb. 
Sie ßobpreifuitg ©iSntarcfS (0. 839) 
lägt fich bamit fdjlecht in Einflang bringen. 
Sie Sleugerung beS S3erfaffer^ (0. 99), 
„©iSmarcf fei burch ben Xrieb nach ©:lb« 
ertoerb bagu geführt toorben, feine ©ebaitfen 
unb Erinnermtgen niebergufchreibett ober gu 
biettren", bürfte als aus ber fiuft gegriffen 
üon ber £anb gu toeifen fein. UebrigenS 
foß boch ber £iftorifer, toie ber ©er* 
faffer (0. 829) heroorhebt, bie Safjr* 
heit beS ©efchefcnen möglichft objeetto 
barftetten. — 

ES ift nicht möglich, auf toeitere Eintel« 
heiten beS faleiboffopartigen SerfeS ein« 
gugehen. Ser Söerfaffer berührt bie gefammte 
^ßolttif oft üt recht angiefjenbec Seife, fobag 
man mit ßntereffe feinen 2luSlaffungen, 
namentlich in ben Eapiteln 20—24, folgt. 
3e nach beut politifchen 0taubpunft beS 
ßeferS toirb fo Manches, als bemfelben ent* 
fpredjenb, 2lnerfetmung finben. SaS gut 
auSgeftattete Such hat ber SSerfaffer ber 
preugifch*beutfchen Slrmee in treuer .f amerab« 
fchaft getoibmet K. 

Ser fHefonufathdlictSmuS. Sargefteßt 
Oon Dr. phil. Sofeph Füller. — 
2. Shei le. — 3arich, Eäfar 0cf>mibt. 

Ser burch feine Arbeiten über 3ean 
©aul fotoie über philofophifch« Shemata 
bereits befomtte geiftreiche SSerfaffer, Socent 
an ber Uniüerfitat Sürgburg, hat in bem 
öorftehenben Serf, toie er fidj beffen auch 
toohl betonet ift, einen fdjtoierigen Seg 
betreten, hat fid) aber in feinem EitthuftaS« 
mus für baS 0treben nach Sahrheit unb 
Jßicht nicht beirren Iaffen. 2US Reform* 
tatholif »erlangt er ooße ftreiheit unb 
Sulbung in aßen, namentlich philofophifdj 
fortfdhrittfichen 3been. SaS toohl Oiele 
Äatholüen fühlen, bag ber ftatboliciSmuS 
einer geitgemägen Reform briitgenb bebarf, 
baS fpricht ber ©erfaffer, toaS ihm hoch 
angurechneit ift, unumtounben aus. SaS 
Serf gerfäßt in 2 Sheile. 3>nt 1. Xheil, ber 
bereits in 2. Stuflage erfchienen ift, toerben 
bie apologetifchen ©ruttbf ragen: „©ibel, 
©laubcnSbefenntnig, UnfehCbarfrft" unb ba« 


nach bie toiffenfchaftfichen Reformen beS 
ftatholiciSmuS behanbeft, toobei auch ber 
©roteftantismuS beleuchtet toirb unb bie 
§iitberaiffe, bie einer ©erföhnnng im pro« 
teftantifdjen Säger im Sege ftehen, heroor* 
gehoben toerben. Sluf bie Eapitel, bie 
fpecieß ben ©lauben befjanbetn, toie folchen 
ber ©erfaffer oom fatholifchen 0tanbpunft 
aus oertritt, f amt nicht näher eingegangen 
toerben, ba hier lebiglich bie religiöse ©artei« 
fteßung entjd)eibenb ift. ES toare nur 
barauf bingutoeifett, bag, toenn ber ©erfaffer 
(0. 7) heroorpebt, bag bie abfolut toafjre 
ßteligion fich auch Oor bem SHichterftuhle 
beS ©erftanbes betoäfjren foß, benn boch 
Manches auch begüglich beS ©laubenS, im 
Jpinblicf auf bie geiftigen $ortfchritte ber 
Senfchheit, oon bem alten fatholifchen 
0tamme abgefchnitten toerben rnügte, ohne 
bag baburch baS Ehriftenthum als fotdjeS 
eine Einbuße erleiben tourbe. £>ier ftfct 
auch bie 0<htoierigfeit, mit bem frei 
forfchenben ©roteftantiSmuS eine lieberem« 
ftimmung gu erzielen. SaS ber ©erfaffer 
aber im öerföhniiehen 0imte fchreibt, oerbient 
Slnerfennung. — 3m 2. Sheile ftnb bie 
ßteformüorfchläge innerhalb ber Kirche er« 
örtert, im 0pecießen ftnb hier behanbelt: 
Ser «tleruS, Kirche unb Schule, ber 
politifdje tatholiciSmuS, ber 3nbej, bie 
reltgiöfen Orben, toobei ber 3riuitenorben 
eine eingehenbe 0chilberung erfahren hat. 
Ser SSerfaffer hat in Oielen fünften ben 
Sßagel auf ben ^opf getroffen, beeft rudf» 
ftchtSloS Schdben auf, unb toer nicht gang 
bem orthobojen ©tauben oerfaßen ift, mu§ 
ihm bestimmen. Er bemerft, bah that« 
fädfilich bie fatholifche Seit oon ber Sor« 
3 Üglichfeit ber Seiten nad) aßen 9H4 
tungen förmlich hOPnotifxrt ift, unb boch 
hält mit bem 5tuffteigen unb Einflug beS 
reftaurirten SriaitenorbenS ber 9t Übergang 
beS ^atholiciSmuS gang paraßelen 0chritt. 
(0. 119, Sh. 1.) 3n einem SluSblid am 
0djlug gieht ber SBerfaffer baS 5acit feiner 
Erörtenmgen bahin, bag nicht ber Austritt 
aus ber Kirche unb ber Slttfchlug an eine 
anbere IßeltgionSgenoffenfchaft baS Ergebnife 
ber Oteformbeftrcbung fein famt. 23om in 
fich geeinigten ^atholicismuS erhofft er bie 
Ißeligton ber 3ufunft. 9tterftoürbigertoeife 
geht ber SSerfaffcr nicht näher auf ben 2llt* 
fatholiciSmuS ein, in bem boch bereits oer- 
fchiebene Reformen burchgeführt ftnb. 0o 
flar ber S3erfaffer auch bie anguftrebenben 
Reformen bargelegt hat, fo befteht boch bie 
groge grage, toer biefelben oertoirflichen 
unb burchführen foß. S3on oben, alfo oom 
Sßapft, h^rab toirb ftcherlich IWichtS ge« 



272 


Horb unb S üb. 


fdjefjen, imb w aS foll man bpn unten per, 
non bei* ßaienwclt erwarten, wenn hier 
oon £och unb ‘Diebrig bie Ditcffepr ber 
3 efuiteit bedangt wirb unb baS Vorbringen 
beS politif d)eu Elements 311 m Daditpeil ber 
inneren Dliffion ber 8 'irdje int Vorbergrunbe 
[tef)t. — Tie ganze Arbeit b?S VerfafferS 
ift geiftreicfj unb gewaubt gcfcbriekit, unb 
man mufe, fcpon int §inblicf auf bie 
VJidjtigfeit ber behanbelteit Dtaterie, feinen 
DuSlaffungctt boit Eapitel zu (Sapitel mit 
fteigenbem Sntcreffe folgen. ©eine am 
©chlufj auSgefprodjette Hoffnung, bafc ein 
geeinigter föitholiciStnuS bie Religion ber 
3ufunft Werben unb ftcf) ber ©pritd) er« 
füllen mödjte: „ES wirb ein §irt nitb 
eine beerbe fein", biirfte fiep wohl aber, 
fo halb nicht, toabrfd)einlid) wohl aber 
überhaupt nicht erfüllen. Ter Verfaffer 
bat für bie Eebilbeteu aller Vefemttniffe 
fein 2 Berf gefcbrieben. liefen fei hiermit 
ba&felbe warm empfohlen. K. 

Sdldltiale 3citfc$rift» §erattSgegeben 
bon Dr. §ans23agtter. — Leipzig, 
V>iett, VibliographifdjeS Snftitut 

Tie borlicgettbe 3eitfd}rift fott bem 
Mangel eines gut geleiteten unb burdjauS 
unabhängigen ÖrgaitS auf colonialem Ee= 
biet abhelfen unb wirb fidjerlid) in erfter 
£inie allen Tenett toillfommen fein, benen 
bie 3 ) 2 ättgcl ber bisherigen colonialen 
treffe nicht entgangen fiub. ES Wirb 2luf= 
gäbe ber neuen 3 eitfd)rift fein, bem immer 
mehr im beutfdjeit Volfe erwacpenben Ver* 
ftänbnife für eine VMtpolitif Rechnung 31 t 
tragen. TaS einzelne §eft ber neuen 
3 eitfd)rift enthält einen colonialpolittfchen 
itötartifel, illnftrirte Drtifcl aus bem 
ßebeit beutfcher unb frember Eolouiallänber 
unb «Volta*, coloniale Utnfchau über bie 
ganze Erbe, VMtberfepr, 9ftariitenad)rid)ten, 
VermifdjteS , EoloniallaubWirtbfchaftIid)eS, 
(koloniale EitrStabelle, koloniale £itteratur. 
Test unb SUnftrationen beS erften §efteS 
fiub auerfeitueuSWertb. Ter DbomtemeutSs 
preis beträgt bei jährlid) 26 maligem Er= 
fcheincit pro «Quartal 2 2 )if. 50 Vf. K. 

Hefter 6hvc. Von Sllfreb Freiherr non 
Eberftciit. ßcipjig, SuliuS ferner. 

Ter im abgelaufenen 3ahrzebnt burdj 
eine Deipe bon ©djriften, tpeilS focial« 
politifchen, tpeilS f)iftorifd)en uttb fricgS* 
gefd)id)tlid)cn SnhaltS befamtt geworbene 
Verfaffer hat bereits im Söhre 1894 eine 
Arbeit „ über Ehre unb falfdte Ehrbegriffe" 
geliefert. 3n ber borliegetibctt Vrofchiire 
hat er jene Arbeit erweitert. Dad) einer 
Einleitung bepanbelt ber Verfaffer in zwei 


Eapitelit: „Tie Ehre unb beit Su^us.* 
2ftS ehemaliger Offizier zieht er in erfter 
ßinie baS preu&ifcp beutfepe Offi 3 ier*<lorp£ 
in ben .treiS feiner Vetraditung, menbet fiep 
aber auch an bie Diitglieber aller ge« 
bitbeten ©tänbe unb fdjlieBticp an bie 
ßanbmerfer unb Arbeiter. Ter Verfaffer 
liebt eS in bunten färben zu fd)ilbem imb 
je nach feinem momentanen Empftnben 
nach berfdiiebenen Dichtungen absufepmeifen, 
gleichfam in ber ©orge, als fömtte er bei 
ber glitte beS ©toffeS baS Eine ober ba& 
Slnbere überfeben. 2llS Veifpiel hierfür 
feien bie ©tiepmörter tu ber „Einleitung* 
angeführt: „©odalbemofratifche 3becn, Ehre 
beS preufcifch=beutid)en Offiziers, Dtommo* 
ttiSmuS unferer 3eit, djriftlicpe Arbeiters 
oereine, 3*rei^ügigfeitSgefeh, Gefahren ber 
3ugenb: „Vkib, SBeiit, ©piel", Dlfopolis* 
muS, Frauenbewegung, .^eufchheit ift bie 
Ehre ber Frau, Deinheit beS DtmtneS, ge* 
fdhlechtliche SluStoitchfe, ©piel, ©pielerprccefe 
in ^anttober unb ber ^armlofen, Ehre, 
Verorbtmngen über Ehrengerichte, Vilbuitg 
beS Offiziers nadh ber Veförberung ^um 
Offizier, je mehr Tienft, befto mehr Ehre, 
felbftbewuüter gebilbeter 2 J?ann — mili* 
tarifcher Eharafter, baS beutfehe DbelSblatt. 
Denufport, .trtegeruereine, ©portbereine, bie 
l^iebe bie einzige Diad)t." 

üDtan merft es bem Verfaffer an, ba§ 
er cS als feine ßftiffiou betrachtet, bie 
©chäben ber mobenten 3 eit aufjubeefen unb 
bie Dücffehr jur Eiitfadjheit gu prebigen. 
2BaS er hier fagt unb rüdffichtStoS enthüllt, 
ift fefjr bxihr unb beherzigenswert!). Ter 
ftreug religiöfe ©tanbpuuft beS Verfaffer^ 
tritt überaü herbor, Wie bieS fdjon bie 
mehrfa^eit biblifcheit Eitate erweifen. SWag 
bicS nun auch in einer nicht religiöfett 
©cfjrift Diandjem itidht burdjaus nothWenbig 
erfdieinen, fo ift bie Arbeit beS VcrfafferS 
jebenfaßS in erfter Sinie ber jüngeren 
Iteration nid)t nur beS DffiMer=EorpS, 
fottbem auch ber anbereu ©tanbe zur 
ßectüre uttb Vehergiguttg rcdjt 31 t empfehlen. 

K. 

Tev Sunfcv SBmier uon Vnmööaufeu* 

^iftorifcher Doman bon Diortö bott 
^aifenberg (9Jtoriö b. Verg. Ver* 
faffer ber üDiemoireit ber Varoneffe 
Eecile be Eourtot) Marburg, D. &. 
ElWert'fche Verlag Sbuchbanbluug. 

Tie Unfähigfeit mancher ©chriftfteller, 
ihren Eeftalten aufeerbem ber 3 eit ent* 
fpredjenbett EeWanbe auch Vlut unb £eben 
31 t geben, h«t ben hiftorifchen Doman mit 
Decht in fdhlechten Duf gebracht. Eine 
rühmliche SluSnahme bon folcher Vuppen* 


23ibliograpt|ifd?e Hotigen. 


273 


arbeit macht bic borliegenbe (Ergabluitg, 
bie, au» gamilienpaptereit urtb UrCunbeit 
fcböpfenb, eine lebenbtge ©djilberung per* 
bürgtet Xhatfachen gtebt unb lueitigcr ein 
Montan al» ein 2Jtemoirenmerf ift. Xie 
Vetbeiligung feine» ©eiben, be» beffifdjen 
Suitfer» Sßerner bon Vrun»haufen, an bem 
Kampfe (Englanb» gegen bie aufftänbi* 
fd)en norbamertfanifcben Kolonien giebt 
3D?ort^ b. Kaifeuberg ©elegenbcit, fette mit 
Unrecht in Vergeffenbeit geratenen Krieg»« 
traten beutfdjer Sanb»leute in (Erinnerung 
gu bringen unb einer geredeten 29ürbigung 
gu untergiehen. (Er geigt, bafc fchon bamal» 
(England tute jefet im Vurenfriege, feine 
eigene 2ftad)t fel)r über®, bie te» ©egiter» 
aber bebeutenb unterfebäfete. Xurch bie 
Unfafjigfeit feiner gelbherren folgte nad) 
ben 2lnfaitg» meift mit ©ilfe bcutfdjer 
Xapferfeit bei gfatbufd), Xicottberoga, 
©abbarton unb ©tißmater errungenen ©legen 
fpäter Slieberlage auf atieoerlage, toa» 
gunädjft gu ber fd)impflid)en Kapitulation 
be» ©eitcral» Vourgopne bei Saratoga imb 
fcbliefjUd) gu ber Umgingelung uitb lieber* 
gäbe ber gangen 2lrmee bet gjorftomit am 
19. October 1781 führte. Xa» ftolge 
Sllbion fab ficb gegmuitgert, im grieben gu 
SSerfailTe» bie Ünabbängtgfeit ber 18 ber- 
einigten Staaten 2lmerifa» aitguertenneu. 
Von ben 1776 für 20 ÜttiÜtonen Xbaler 
al» Kanonenfutter au (Englanb uerfauften 
12000 ©effen febrten im October 1782 
nur 8000 3flann nad) ber ©eimat guri'tcf. 
Xer Sefer geminnt nicht nur einen inter* 
effanten (Ehtblicf in jene benfmiirbigeu 
Kampfe, fonbern auch in ba» gefeßfcfcaftlidje 
Scben am ©ofe be» Sanbgrafeitgriebrid)»II. 
bon ©effen. 3n bem golbeneu Sabinen 
einer fpannenben, rübrenben unb treubergigen 
SiebeSgefcbichte erhält er ein flare», treue» 
23ilb ber 6pracbe, Xracbt unb 6itte ieiter 
3eit. Xa» neue Vud) b. K. » berbient, 
fomohl gu angenehmer Unterhaltung al» 
auch gu gefchichtlicher Velebruitg beften» 
empfohlen gu merben. N. 

SemljtctU Sage. 2teue ©ebiebte 
1896—98 bon Submig 3acobom»fi. 
2JHnben i. SBeftf., 3. K. K. Vrun» 
Verlag. 

gür bie reiche Iprifdje Begabung Submig 
3acoboto»fi» fprechen bereit» bie brei mehr 
ober minber guten ©ebicbtfammlungen: 
2lu» bemegten 0tunbeit, guufen unb 2lu» 
Xag unb Xraum. 2lber auch ohne biefe 
Vorgänger mürbe ba» borliegeitbe Vuch jebem 
berftänbigen Sefer geigen, ba& er feinen 
aieuling, fonbern einen gemanbten, echten, 


bielfettigen Xidjter bor fid) bat, ber alle 
Xöite rnahrer (Empfinbung boll unb rein 
miebergugebeit berfteht. ©eine neuen ©e= 
bid)te berrathen ba» fleißige ©tubium be» 
beutfdjen Volf»liebe» unb ber beften SDieifter. 
©ie enthalten biefelbe gefunbe Vocfie unb 
©emiitb»tiefe tote jene, finb iebod) frei bon 
2lnflängen unb atachabuumgeit. 2litd) 
fchmeichelt ficf) bie 2Jtef)rgabl biefer fleiitett 
Siefcer burd) innigen melobifcben Klang in 
Oh^ unb ©erg ein. 3- V.: w Xa» madjt 
bie ©ommemaebt fo fchioer: — Xie ©ebit* 
flicht fontmt unb fefct fid) her — llnb 
ftreidielt mir bie SBaitge. — 2Jiait hat fo 
mmtberlicben 0imt; — ilfiait loill mobin, 
meifc nid)t umhin, — Unb ftebt uitb gitcft 
ficb bange. — Vkmadj? Xie gacfel in ber 
©aitb, — 0o tueift bie ©ebnfucht toeit 
in’» Sa nb, — 2Bo taufenb V>ege müitben. 

— 2ld)! (Eilten möchte ich fchon gehn, 

— „Wach ©aufel" rnüBte briiber 
fteljit. — O ©erg, nun geh iljit fiitben!" 
Xer bejehränfte Oiaum macht e» leioer un* 
möglich, iebent einzelnen Xheile bc» au» 
14 Slbfchnitten beftebenbeu Subalt» =58er* 
geicbitiffc» gerecht gu merben. Vielleicht fpiegelt 
ba» ©ebidjt „0piel be» Nebelt»" am beften 
bie berfd)iebenartigeu 0timmungen uitfere» 
$oeteu mteber: w 3mifd)eit ©affen, gmifdjen 
Sieben — 0eltfam bin unb her getrieben, — 
©eutc boll bon 3ärtlichfeiten, — borgen 
fdnuertbereit guni ©treiten, — Xieien 
©änbebruef empfangen, — Scuem au» bem 
2öeg gegangen, — 3c(jt©an» Xampf in allen 
©affen, — 0päter gott* unb toeltberlaffen, 

— Sn ber fyrühe flaminentrunfen, — Slbenb» 
fraftlo» hinflefunfen, — Unb fo gtbijehen 
©immcl, ©ölle, — 2luf unb ab au s Jtab unb 
äöelle, — 3 ft mein Sehen angefrfjirxt. — 
2Bel)e, mie e» enbeit toirb I 4 * — Seib unb 
3-reub’ , ©enu6 unb (Entfagung, ©afe unb Siebe, 
3ubel unb 3antmer, SDIuüh unb Vergtueiflung, 
bie gange 0cala menfcblicher Seibenfd)aft 
flingt unb flagt au» biefen Siebern. 3- bat 
maitd;e trüben Xage erlebt, ba» erfahren 
mir u. 21. au» ben beioen ©ebichteit 
„Sramilie" unb „greunbe", um fo aner* 
fenuen»mertber ift e», bafc er feinem Suche 
feinen peffimiftijeben 3nhalt, fonbern ben 
Xitel „Seuditenbe Xage" unb foIgenbe»fchöne 
Vormort gab: *2ld), unfre leuebtenben Xage 
©längen mie emige 0terne. 211» Xroft für 
tünftige Klage ©li'thn fie au» golbener 
gerne. 9iid)t meinen, meil fie borüber! 
Sächeln, meil fie gemefen! Unbmetben bie 
Xage audb trüber, Unfere 0teme erlöfenl" 
9)iöge mit biefen leuebtenben Xagen auch 
ihm ber ©lücf»ftem aufgehen! N. 


274 


Horb unb 5üb. 


Eingegangene Bücher. Besprechung nach Auswahl der Redaction Vorbehalten. 


Aus ftremden Zungen. Zeitschrift für die 
moderne Erzählungslitteratur des Auslands. 
IX. Jahrgang. 1893. Heft 20, 21. Stuttgart, 
Deutsche Verlags-Anstalt. 

Birkmeyer, Dr. Karl, Die Reform des Urheber- 
rechtes. Kritische Bemerkungen zu dem 
im Reiclisjustizaint ausgear beiteten Entwurf 
eines Gesetzes betreffend das Urheberrecht 
an Werken der Litteratur und der Tonkunst. 
München, Theodor Ackermann. 

Bunge, Rudolf, Heimat und Fremde. Gedichte. 
Vierte veränderte und sehr vermehrte Aufl. 
Mit einem Anhang: Im Abendsonnenschein 
und dem Bilde des Dichters. Dresden, 
E. Pierson. 

Oomeille, Pierre, Clnna. Tragödie in fünf 
Aufzügen. Aus dem Franzos, von Friedrich 
Schieferdecker. (Meyers Volksbücher No. 
1246, 1247.) Leipzig/ Bibliogr. Institut. 
Dunerer, Prof. Dr. Hermann, Wider die 
Engländerei in der deutschen Sprache. Ein 
Vortrag gehalten auf der 11. Hauptver- 
sammlung des Allgemeinen Deutschen Sprach- 
vereins. Erweiterter Abdruck aus der Zeit- 
schrift des Allgemeinen Deutschen Sprach- 
vereins, 14. Jahrgang, Nr. 12. Berlin. Verlag 
des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins 
(F. Berggold). 

Fransos. Karl Emil, Heines Geburtstag. 

Berlin, Concordia Deutsche Verlags-Anstalt. 
Gospel, Auguste, Gedichte. Bautzen, 
Commissionsverlag v. Ed. RUhls Buchh. 
(Georg Thomas). 

Gogol, Nikolaj Wasslljewitsch, Erzählungen. 
Aus dem Russ. von Dr. H. Pykocinsky. 
(Meyers Volksbücher No. 1231— 1233 ) Leipzig, 
Bibliogr. Institut. 

Hebbel, Friedrich, Maria Magdalene. Ein 
bürgerliches Trauerspiel in drei Acten. 
(Meyers Volksbücher No. 1238.) Leipzig, 
Bibliogr. Institut. 

— Judith. Ein Traucrspief in fünf Acten. 
(Meyers Volksbücher No. 1236, 1237.) Leipzig, 
Bibliogr. Institut 


Jahrhundert, Das neunzehnte, in Bild- 
nissm. Mit Anderen herausg. von Karl 
Werckmelster. Lfg. 39, 40, 41. Berlin, Photo - 
graphische Gesellschaft. 

Kaisenberg, Moritz von, König Jöroma 
Napoleon. Ein Zeit- und Lebensbild nach 
Briefen 1) der Frau von Sothen in Kassel 
an meine Grossmutter, 2) des Reichserz- 
kanzlers von Dalberg an meinen Grossvater, 
3) und meines Vaters als Westfälischer 
Garde du Corps an seine Eltern, sowie 
anderen Familien aufzeichn tragen. Leipzig, 
Heinrich Schmidt & Carl Günther. 

Köster. Albert, Gottfried Keller. Sieben 
Vorlesungen. Leipzig, B. G. Teubner. 

Lazarus. Nahida Butt Sprüche von 
Lazarus. Commissionsverlag von Leipzig 
Eduard Heinrich Mayer. 

Lindenberg, Paul, Um die Erde in Wort und 
Bild II. Theil. Durch China, Japan, Honolulu 
und Nordamerika. Mit 2a5 Illustrationen. 
Berlin, Ferd. Dümmlers Verlagsbuchhandlung. 

Möller, Dr. Jos9f, Jean Paul-Studien, 
München, Dr. H. Lüneburg. 

Post, C. W. H. von der, Piet Uijs. Leiden 
und Kämpfe der Ansiedler in Natal. Eine 
Erzählung. Ins Deutsche übertragen von 
W. Helmbold. Hamburg, Verlagsanstalt 
und Druckerei Actien-Gesellschaft (vorm. 
J. F. Richter). 

Sterne. Carus, Werden und Vergehen. Vierte 
verb. Aufl. Heft 3—10. Berlin, Gebrüder 
Bornträger. 

Ti liier, Claude, Mein Onkel Benjamin. Roman. 
Aus dem Franzos, von Dr. A. Burkhart. 
(Meyers Volksbücher No. 1243—1245 ) Leipzig, 
Bibliogr. Institut 

Weltrioh, Richard, Friedrich Schiller, 

Gesch ichte seines Lebens und Charakteristik 
seiner Werke. Unter kritischem Nachweis 
der biographischen Quellen. Erster Band. 
Mit dem Bildn'ss der Danneckerischen 
Schillerbüste. Stuttgart J. G. Cotfca’sche 
Buchh. Nachf. G. m. b. H. 



von Ernst Weiland-Lübeck. 


Abkürzungen: B. u. W. = Bühne und Welt. — D. Be. = Deutsche Revue. — D. Bu. = Deutsche 
Rundschau. — D. W. — Deutsches Wochenblatt. — G. = Gesellschaft. — J. — Insel. - IL = 
Internationale Litteratur berichte. — Kr. = Kritik. — Ko. = Kunstwart. — Kultur. — L E. = Das 
litterarische Echo. — N. = Nation. — N. D. Bo. = Neue Deutsche Rundschau. — N. u. S. = 
Nord und Süd. — B. U. = Reelams Universum. — T. = Türmer. — V. Ä KL M. = Vel- 
liagen & Klasings Monatshefte. — W. Bu. = Wiener Rundschau. — Z. = Zukunft. — Z. £ B. = 

Zeitschrift für Bücherfreunde. 


Abbö GalianL Aus den Briefen des. Von 

W. Bley. J. L 1. 

Aoeorde Mozarts, Die. Von W. Pastor. 
W. Rn. in. 27. 

Afrika (Süd-), Von Th. Barth. N. 1900. 10. 

Agrarkrisis in Grossbritannien, Die. Von 

0. Stillich. Z. VIII. 5. 

Alters- und Invalidenversicherung» recht, 

Das. Von B. Hilse. Kr. XV. 3. 

Amerikanische Belletristik, Neuere. Von 
A. von Ende. L. E. IL 5. 

Amerikas Europäislrung. Von II. F. Urban, 

z. vm. li. 

Antiquariate» Die grossen deutschen: Das 

Baer’sche Antiquariat in Frankfurt a. M. 
Von R. Däscliner. Z. f. B. III. 9. 


Antisemitismus. Zionismus und Befbrm- 
judonthum. Von R. Lichtenstein. Kr. 182. 
Anzengruber, L, der Lehrer seines Volks. 

Von I. Lewinsky. D. Re. 1899. Dec. 
Aesthetik, Beiträge zu einer modernen. 
J. Meier-Graefe. J. L 1, 2, 3. 

Aesthetik und Geschichte des Bahmens, 

Zur. Von H. Marschall. R. U. 1900. & 
Auerstedt, die Sohlacht von. Eigenhändige 
Relation König Friedrich Wilhelms IIL Von 
P. Bailleu. D. Ru. 1899. Dec. 

Augenärztliohe Betrachtungen im 
Theater. Von H. Schmidt-Rimpler. N. u. S. 
1900. Jan. 


Bibliographie. 


275 


Bahr, Hermann. Von M. Messer. 0. XV. 
Dec. I. 

Berliner Theatern 1890/1900, Von den. 

V. Von H. H. Houben und H. Stümcke. 
B. u. W. II. 5. 

Boerenrepubliken Südafrikas, Die. Von 

W. Stoss. R. U. 1900. 5. 

Boeren-Were ln Transvaal, Auf einer. 

Von W. F. Krüger. V. u. Kl M. XIV. 4. 
Boeren und wir, Die. Von M. Ohnefalsch- 
Richter. T. II. 3. 

Buchdruck. Die Anfänge des B. in Russland. 

Von I. Norden. Z. f. B. III. 9. 

Baren, Die. Von E. Jung. V. u. Kl. M- XIV. 4. 

BCLhnenan Weisungen, Ueber. Von F. Gun- 
dolf. W. Ru. UI. 25. 

dannen, Die Auffassung der. Von Revel. 

B. u. W. II. 4. 

Chemie am Ende des Jahrhunderts, Die. 

Von J. Thilo. Z. VIII. 8. 

Cornelius, Peter. Von G. Giihler. Ku. XIII. 6. 
Crane, Walter. Von L. Grell. Kultur I. 2. 

Oaeohenthum, Neues vom. Von Rogers. 
Kr. 182. 

Diohtung und Blinderstube. Ku. XIII. 6. 
Drama. Das moderne französische Drama im 
Urtheil Emile Angiers. Von E. von Jagow. 
B. u. W. II. 6. 

Dreyfus-Soh wlndel, Der grosse. Von C. 

Bleibtreu. Kr. 182. 

Dittersdorf, Karl Ditters von. Zum Ge- 

däclitniss des Componisten. Von Paul Ertel. 
B. u. W. n. 4. 

Essays« Iitterarisohe. Von L. Jacobowski. 

G. XIV, Dec. II. 

Evangelienmoral, Die Bedeutung der. 

Von W. Bolin. N. 1900. 10. 

Flotte, Der Kampf um die. Von A. Dix 
und K. Jentsch. Z. VIII. 8. 

Flotte, Die. Z. VIII. 11. 

Flotte, Eine starke deutsche. Von Navalis. 
N. u. S. 1900. Jan. 

Franke - Sohievelbein , Gertrud. Von A. 

Geiger. L. E. n. 4. 

Französische Wirthsch&ftspolitik. Von 

J. Goldstein. Z. VUI. 11. 

Frauen. Ueber welche F. ist am meisten ge- 
schrieben worden? Von T. Kellen. Z. f. B. 
IU 9. 

Frauenarbeit und CulturideaL Von K. 

Frost. Z. VIH. 5. 

Frauenbewegung. Beaction in der. Von 

H. Dohm. Z. VIII. 7. 

Freytag und Treitschke im Briefwechsel. 

Von A. Bettelheim. N. 1900. 12. 

Galiani, ans den Briefen des Abbö. n. Von 

Fritz Bley. J. 2. 

Gailmeyer, Josefine. Von Uka Horovitz- 
Barnav. B. u. W. II. 5. 

Geibel, ÄsmnueL Begegnungen mit (Vom 
Schreibtisch und aus dem Atelier.) Von * * * 
V. u Kl. M. 1899. Nov. 

Gladstone als Bibliophile. Von J. G. Stephens 
Z. f. B. UI. 9. 

Gorkij, Maxim. Von N. Hoffmann, Z. VIII. 8. 
Goethe. Von R. A. Schröder. J. I. 1. 
Goethe. Unser Verhältnlss zu G. Von K. Muth. 
Kultur I. 2. 

Goethe als Pädagoge. Von 0. Wcndlandt 
Kr. XV. 3. 

Görree-Gesallsohaft inBom Das historische 
Institut der. Von St. Elises. Kultur 1. 2. 
Großes, Julius, „Fortunat 1 *. Von 0. Francke. 
b. u. w. n. 5 : 

Hamsun, Knut Von J. Glaser. N. u. S. 1900. 
Febr. 

Hausindustrie und ihre Regelung. Die. 

Von E. Francke. N. D. Ru. X. 12. 


Häc h els, E., ,Welträthsel\ Von J. Schlaf. 
W. Ru. III. 26. 

Heines Geburtstagsfeier, Zu. Von 

H. llüffer. D. Ru. 1899. Dec. 

Heine, Heinrich. (Der Dichter des ./Roman- 
zen^). Von R. M. Meyer. N. 1900. II. 
Helmerding, Carl. Von A. M. N. 1900. 12. 
Historisoh-modem. Von W. Kirchbach. 
B. u. W. II. f>. 

Hypnotismus und Magnetismua Von A. 

Kolb. W. Rn. III. 25. 

Hofhnann, Hans. Von E. Lange. L. R II. 5, 
Ibsen, H. Wenn wir Todteu erwachen. Von 
E Heilborn. N. 1900. 12. 

Irrenfürsorge am Ausgang des 19. Jahr- 
hunderts. Von E. Pelman. D. Re. 1899. 
Dec. 

Italienische Literaturgeschichte , Eine. 

Von R. Schneller. L E. II. 6. 

Japan. Spiele und Festlichkeiten der japani- 
schen Jugend. Von E. von Hesse- Wartogg. 
V. & Kl. M. XXIV. 4. 

Kadolzburg. Die. Von S. Frank. R. ü. 1900. 6. 
Kerner, Justtnus, an Varnhagen von 
Ense, Briefe von. Herausgegeben von 
Ludw. Geiger. N. u. S. 1900. Jan. 
,,Kinderzeche u , das Volksfestapiel zu 
Dinkelsbühl, Die Von L. Stark. B. u. W. 
II. 5. 

KI ahn, Gustav. Cyprien Barballe, übersetzt 
von 0. J. Bierbauin. J. 3. 

Konsumvereioe und Socialdemokratie. 

Von H. Strobel. Z. VIH. 6. 
Kulturphilosophie. Von L. Stein. Z. VIII. 12. 
Kunst ln der Schule. Von P. Schumann. 
Ku. XIII. 5. 

Lesedrama, Das fragmentarische. Von 

J. Hart. Ku. XIIL 3/4. 

Litteraturbilder aus Deutschen Einzel- 
gauen. 81 : Die Ost- und Westpreussen. 
Von E. Reichel. L. E. II. 5. 

Losreissung Nordamerikas von England, 
Die. Von F. von Hellen. V. & Kl. M. XIX. 4. 
Loyalist, Der letzte. Von W. Whitmann. 
G. XIV. Dec. I. 

Luther, Der neue. Von G. Cliristaller. Z. 
VIII. 5. 

Max, Gabriel. Von W. von Oettingen. T. II. 3. 

Marx, KarL Briefe an seine Kinder aus 
den Jahren 1981/82. N. D. Ru. X. 11. 
Mauthner, Fritz. Von G. Landauer. Z. 
VIII. 7. 

Milizsystem der Zukunft, Das. Von 

K. Bleibtreu. Z. VIII. 9. 

Mitarbeit. Ein Streit weiren der M. (Jules 
Sandeau u. Reguier.) Von J. Maehly. I. L. 
1899. 25. 

Monte Cassino. Von A. Ehrhard. K. I. 1/2. 
Musikalische Weihnachtsspiele. Von 

R. Batka. Ku. XIII. 5. 

Musikdrama. Ist ein modernes rea- 
listisches M. möglioh P Von G. Schjeldcrup. 
Ku. XIII. 3. 

Multatuli, Der deutsche. Von G. Landauer. 
G. 1899. Nov. II. 

Norwegische Nationaltheater in Christia- 
nia. Das. Von H. Wiers-Jenssen. B. u. W. 
II. 6. 

Novae epistolae obscurorum virorum. 

Eine klassische Spottschrift aus der Zelt der 
Frankfurter Nationalversammlung. Von E. 
Schwet8chke. Z. f. B. III. 7/8. 

Oberammergauem, Bei den. Von A. Holz- 
bock. V. n. Kl. M. 1899. Nov. 
Obotritenland. Eine Luftreise in das. Von 
P. Grabein. V. u. Kl. M. 1899 Nov. 
Ompteda, Georg Freiherr von. Von 
G. Borehardt. L. E. II. 6. 



276 


Zlorb unb 5üb, 


Oesterreichische Actien regulativ. Von 

F. Kleinwächter. Z. V I II. 1*2. 
Philippinische Frage, Die. Von F. Blumen- 
tritt. Z. Vlll. 7. 

Phöbua von Foix. Vom Leben und Sterben 
des Grafen Ph. • v. F. Von Clemens 
Brentano. J. I. 1. 

Photographie in natürlichen Farben. Von 

II. Klepp. R. U. 1900. t». 

Physiologie des Betens. Zur. Von A. von 

J.Ktenoode. W. Ru. 111. 25. 

Psalterium vom Jahre 1457, Die dritte 

Ausgabe des. Von F. A. Borovsky. Z. f. B 

III. 9. 

Quelle und Weg des philosophischen 
Denkens* Von 11. Brom.se. N. u. S. 
UM). Fehl*. 

Bing. Aus der Geschichte des Ringes. Von 

C. Bungait. V. u. Kl. M. XIV. 4. 
Rechtreinheit. Von L. Fuld. N. n. S. 1900. 
Jan. 

Rellstsab, Ludwig, u. Varnbagen von 
Ense. Von Ad. Kohut. N. u. S. RKX). 
Febr. 

Ruskin, John. Von B. Rlithnauer. N. 1900. 9. 

Saison, Die Münchener 1699/190C. Von 

A. Neisser. Kr. XV. 3. 

Samoa-Inseln. Die deutschen. Von 

\V. Stoss. R. l\ 1900. 8. 

Scheerbart P. Der galante Räuber oder die 
angenehme Manier. (Mit Zeichnung von 
Th. Th. Heine.) J. I. 1. 

Schillers „Räuber“ in den ersten Drucken 

nebst den wichtigsten Theaterzetteln. Von 
R. Genee. Z. f. B. Hl. 8. 

Schriftsteller. Die materielle nnd moralische 
Stellung der Sch. in Paris. Von C. Mauclair. 
W. Ru. III. 25. 

Schubarts Thoranc-Buch. Von K. Koetschau. 

Z. VIII. 0. 

Schweiz im neunzehnten Jahrhundert, 
Die. Von W. K. U. Nippold. Z. VIII. 0. 
Seelenbegriff in der neueren Philosophie, 
Der. Von V. Grimmicli. Kultur. I. 2. 
Sevillanische Poesie. Von J. Fastenmth. 
I. L. 1899. 25. 

Shakespeare. Einiges til>er S. nnd das gegen- 
wärtige Tlnatcr des Auslandes. Von M. 
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Technik, Das Zeitalter der. Von H. Lux. 
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Testament des Jahrhunderts, das. Von 

K. Eisner. N. D. Ru. X. 12. 

Theater. Was leistet das gegenwärtige deutsche 
Theater? Von B. Held. B. u. W. II. 4. 

— Das Grossheizogl. Iloftheater von Darmstadt. 
Von Dr. Ella Mensch. B. u. W. II. 4. 

Theaterschau, Deutsche. (Berlin, das 
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Todtentänze, Einiges über. Von J. Duboc. 
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Transvaal. Die Zukunft T. Von W. H. Ratti- 
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— Die Tiansvaalfiage \om deutsch« n Stand- 
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Vernarrte Princess, Die. Fabelspiel in 3 
Aufz. Von Otto J. Bierbaum. J. 2 u. 3. 
Völker sympathieen. (Zeitfiagcn). Von M. 

Noidau. D. Ke. 1899. D« j c. 

Washingtons Tod, Ein Jahrhundert nach. 

Von C, Nöller. T. II. 3. 

Weiblichkeit, Conventioneile. Von E. Key. 
N. D. Ru. X. 12. 

Welche Rolle spielt der Architect in der 
Entwickelung eines zeitgemässen 

StilsP Von H. van de Velde. W. Ru. 111.20. 
Whitman, Walt, Ein Gespräch mit. Von 

E. Goss« 4 . W. Ru. III. 20. 

Wiener Bühne. Steine an W. B. Von M. 

J«an de Ras. V. & Kl. M. 1899. Nov. 
Wiener Romantik. Von S. Lublin.-ki. L. E 
II. 4. 

Wiener Theatern* Von den, II. Von A. 

Lindner. B. u. W. II. 5. 

Wolf-Vereine, Hugo. Von E. Hellmer. W. 
Ru. III. 27. 

Zarathustra, Wer istP Von F. Hai tuiann. 
W. Ru. III. 27. 

1917. (Eine Utopie.) Z. VIII. 6. 


Kebight unter Terantroortlidjfeit bes Herausgebers. 

Sdjleflfdje Sud?brud>ret, Knifft* unb DerIags*2Jnftalt u. 5. Sd?ottIaenber, Breslau. 
Unberechtigter tladjbrucf aus bem 3nl?ült biefer geitfdpift nntetfagt. Ueberfefcungsredjt Dörbeijalten. 









C: i n c b c u t f cf] c 2 H o n a t ? f cb r i f t. 


f? c v a u £ j c a : b e n 


Paul Ci? 


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_ \ <r /-t vr / c S 


2Iorö mb Süb. 


€ine beutle m o n a ts f cf? rtf t 


fjerausgegfbert 


pon 

Paul Cinbau. 


XCII. Banb. — iHärj J900. — §«ft 276. 

(mit einem Portrait in Habirung: IDilfyelm B oerpfelb.) 



25reglau 

S^I*fifd)e 8nd(bturfetei, Kunfl» nnb Detlags-2ln(ialt 
o. 5. Sdjottlaenber. 






Pott einer Königin, bie fdjon lange geftorben. 

£in JTfärdjcn 6er «Jett. 

Don 

U&antia bon fJ&artelf». 

— münrfjen. — 

feit fafj triebet, ju reben, uttb ©egenroart fauerte laufdjenb. 

. „&inb, baS rrid)t alt wirb," fagte 3«t ju ©egenroart, „was 
fott ich rebett?" 

„2Birfli<beS," antwortete ©egenroart, „rebe SSirflübeS; es roirb bocb 
ju fD?ärd>en au* ©einem -Dhinbe, uttb idj liebe bie ®id)tung." 

,,©u liebft fie," fagte bie 3eit, «unb bältft ©eine Säugen gefdiloffen, 
roettn fie ®i<b Iebenb umflattert, ©u SBunberlidje. SBie foH idj’S reimen?" 

„2Jtrif) ärgern junger unb 9lotb bei ben 2Renf<ben auf Erben," flagte 
bie ©egenroart. 

,,®id) ärgert bie 9lotb, unb ©i<b ärgert bie Sattheit," fagte bie 3 e ü 
mit Säbeln. „®u bift, roie bie 9Jlenf<ben. 92otf) foH greifen, bie jefet 
fatt finb, unb Sattheit erfüllen bie Firmen, bafür roirfft ®u; benn ©leidjj 
beit roar niemals, fo lange bie 2Mt fiebt. SBenn aber am ©oben liegen, 
bie jefct jubeln, bann ärgert ©idj biefeS, unb ®u bilfft empor benen, bie 
®u nieberftiefceft." 

„2ldj, märe i<b roeife roie ®u," fagte ©egenroart «erjagt, „3n ©einem 
SRunbe flingt mein ©ageroerf roie ©Torheit." 

„SQBenn ®u roäreft roie i<b, fo roäreft ®u nidit ©egenroart," fagte bie 
3eit iädielnb unb bub an ju erjäblen: 

,,©S roar ein ftabrfmnbert unb ein ftalbes, ebe ber in bie SBelt fam, 
ber fid) bentübte, ben -äJlenfdjen Siebe ju lehren unb Erbarmen; ba roar 
ein Äönig in SRten, ber biejj 2tlepanber, mit bem 3unamen 33alaS; bent 
gehörte alles Sanb oom Euphrat bis na<b 3Iegt)pten, unb fein fReidjtbum 

19 * 



278 JDanba oon Sattels in CTünd)en. 

tote feine Stacht waten nnbefchröblidj. es war feiten bantalS, bah ein 
Äönig feine Krone oorn SSater erbte unb fein Sanb in 33ejt| nafjm, ohne j 

baff frembe gäufte banach gegriffen Ratten; ber aber bem SHeyanber bie 
$errfchaft über Sprien ftreitig gemalt batte, war einer mit Sfiamen j 

SDemetriuS gewefen unb batte nicht nacbgelaffen mit Streiten, bis bafi er 
erfragen lag auf bem fteinigen gelbe. ®ana<h erft faft Slleyanber SalaS 
feft auf feinem £bron in ber (griffen Stabt Slntiochia unb feierte gefie ! 

mit feiner Königin, bie war feböner als ber 3Jlonb unb bie Sterne unb ' 

biejs Cleopatra. 

ein rotbeS S<f)leierfleib trug fte, nacb ber SSJeife ihrer Heimat Sleggpten 
eng um ihren Seih gejogen, bah ib re braune $aut lieblich barauS fchimmerte, ; 
unb golbene Spangen um ihre güfje unb bie golbbraunen Slrme. ®ie 
äggptifche $aube lag über ihrem £aar unb oerbarg es unb lag biebt um 
ihre Stirn, in gleicher Sinie mit ben bunflen, ein wenig fchräg ftebenben 
Augenbrauen. $ie fchweren, großen 2lugenliber hielt fte meift gefenft über 
ben flammenben Stenten, barauS Stolj unb Klugheit leuchteten, benn fte 
war eine Tochter ber ißtolomäer. 2lber ob fte jwar ihre Augen gefenft 
hielt, um ihre ©ebanfen ju oetbergen, fo fonnte fte bo<h ©IneS nicht i 

binbent, nämlid) biefeS: bah ihre feinen SJafenftüget jitterten, wie bei einem j 

ebten Streitroh, wenn ©tmaS gefchab, baS ihr gemein fehlen, ber fßtolo* 
mäerin. @S wäre gut gewefen, wenn ber König, ihr ©emabl, Sichtung ge* 
geben hätte auf biefeS 3ei<h«t aufjiebenben Bornes. @r aber fchwelgte unb 
fab 3?i4its, als ihre Schönheit, bie ihn trunfener machte als SBein. SBenn 
er aber getarnten batte mit feinen greunben, bann war nichts ©bleS mehr 
an ihm, wie es einem Könige gejiemet, fonbern er mar wie eines Sf lauen , 

Sohn anjufeben. $>a begannen ©erüdite ju fchwirren in ber Suft, bah 
Aleyanber SataS, ber König oon Sprien, eines- gemeinen StanneS Sohn 
fei unb ein untergefdjobeneS Kinb unb beS SChroueS gänzlich unwerth, unb 
bie fiolje ißtolomäerin entfette fi<h über bie Staffen, bah ihr ©emabl nicht 
oon ben Königen ftammen follte. Aber fte oerbarg ihren Abfdjeu oor ihm 
unter ihren fchweren Augenlibem, unb es warb ihr leicht, benn ber. König 
fab nichts, als ihre Schönheit. 

Unb wenn ihm auch ©iner gefagt hätte, bah bie äggptifche Königin j 
oiel 33otfdiaft fanbte in bie Sartbe auf ben weichen, fdjmiegfamen fßappruS* 
rollen (beim fie liebte bie fgrifeben £b°'ttafeln nicht unb nannte fte roh 
unb böhlidj), was hätte es ben König gefümmert. 93ar nidjt ber f£hron 
oon Sprien fein, unb ber grohe König oon Aeggpten fein Schwiegeroater 
unb natürlicher SBunbesfreunb? Unb in Afien waren bie mädbtigfien gürfien 
feine SBunbeSgenoffen, baS mar gobbiel, bet gürft oon Arabien, unb über 
alle 2lnbern gonatifan, ber £aSmonäer, ber ©ruber oon gubaS StaffabäuS, 
ber ftotje gürft ber gaben. 

©egenwart lachte. 

„ätfaS lachft ©u?" fagte g^it 3« ©egenwart. 


i 


Don einer Königin, bie fdjon lange geworben. 279 

„3$ fadste, weil ©u oon ben ftuben fagteft," antwortete ©egenmart, 
„eS ift ©lobe bei uns, ju lachen, wenn man non ihnen rebet." 

Seit fchroieg. 

„©rabt bie SBauwerfe ber SRöntet auS, um ihrer ju la^en?" 
fragte fle bann. 

„9lein," mehrte ©egenmart, „mir beftaunen ihre Stunft." 

„Sacht 3h^ ber jerbrochenen ©riedjengötter, bie Sh* mit 9Mhe bem 
bunfein Schooh ber Grbe abringt?" 

„2BaS benfft ®u," fagte ©egenmart eifrig, „mir finb feine Barbaren, 
©iefe finb uns 3 eu 9 en ber hohen Gultur eines geftorbenen SBotfeS; eines 
SSolfeS, fdfjlimmer als geftorben, benn roenn auch feine testen Sprojfen 
noch athmen, fo ift bo<h ber ©eift tobt, ber fie grofs machte ju ihrer Seit." 

„®obt muh fein, maS ®u achten fotlfi, ftinb," fagte Seit finnenb. 
,,©aS ift ber Schlüffet ju ©einem ©enfen. ®u liebft unb achteft, maS 
ft<h non alten Seiten her erhalten hat, oorauSgefefct, bah es tobt fei. ®ie 
©efefee, nach benen bie 9iömer lebten, fcheinen ©ir meife, bie formen ihrer 
©ötter finb ©ir SSorbilb, ihre Schlachten unb ihre 9tieberlaffungen beS 
^riebenS erfüllen ©iih mit Staunen unb 2Wf>tung, benn baS 33olf ber 
Siömer ift tobt. — Gin 33otf aber, baS fidf» mit feinem ©ott unb bejfen 
Anbetung, mit feinen alten ©efefcen unb Sitten, mit feinem harten SBillen 
unb fogar mit ben Linien feines Slntli^eS aus bem ültterthum bis ju ©ir, 
©egenmart, erhalten hat, macht ©ich lachen. — ©ieS fdjeint mit reimlofer 
als Sieles, maS ich ©ich thttn fah." 

,,©u fdjmälft," fagte ©egenmart oerbriehlich, „nnb rooHteft erjählen. 
9lun bringft ®u ©ein 9Bär<hen nicht ju Gnbe, weil ber Subenfürft mich 
lachen machte. Sah ihn fort unb erjähte weiter non ber Königin mit ben 
jittemben Sdafenflügeln." 

„®aS geht nicht," fagte bie Seit. „®enn ber ©h ton oon Serien 
flanb auf ben Schultern beS gütften ber Qnben." 

„So rebe non ihm," fagte ©egenmart miberroittig. „3<h miß nicht 
mehr lachen." 

®a fuhr bie 3 e lt fort ju reben unb fprach: 

„Ueber eine ©eile, ba famen 93otf<haften jurn Äönig oon Stjrien, bie 
ihn jittem machten, ©er Sohn jenes ©entetrius, ben Sllepanber SBalaS 
«Schlagen hatte, fam oon Greta nach Sprien gejogen, um fein österliches 
Grbe jurücljuerobern. ®ie ©erüchte aber, bah 9t(epanber 33alaS eines ge= 
meinen 3WanneS Sohn fei unb fein SfönigSfinb, machten, bah baS SSolf 
uon ben Snfeln bem jungen ©emetriuS jnlief unb ihn junt Äönig oon 
©prien auSrief. 

Sllepanber SalaS aber fchroelgte ju 3lntio<hien unb lieh ben jungen 
Demetrius fommen, benn er oertraute auf Jonathan, ben Subenfürften, unb 
hielt ftch ficher, fotange Jonathan für ihn fämpfen mürbe. Unb gan§ 



280 


lüanba non Bartels in HTtind^en. 


9liien fah auf gonathan, unb Iadfite Stiemanb, ber feiner gebaute, jonbem 
es jitterte, ber ifjm feinb war. 

Unb ^onatljan flog wie ein ©turmroinb nadh goppe unb nahm es ein, 
für 9Uejanber 23alaS, unb gurdfjt ging »or ihm t)er unb ebnete feine SBege. 
Sa 50g beS jungen SemetriuS alter gelbhauptmann SlpolIoniuS, ber ben 
erften SemetriuS auf bent fteinigen gelbe ^atte fallen feljett, in ba$ 99ladh* 
fefb »or 9lSbob. SaS roar eine weite ©bene »oll ©taub unb ©onnenbranb. 

Unb gonatljan flettte feine Ärieger in eine feite 9Jtaffe jufammen unb 
ihre ©dhilbe wie bie ©djuppen eines Srachen. Sa fdhojfen bie Leiter beS 
2lpolIoniuS ben ganjen Sag auf bie guben unb griffen fie an mit ©djreien, 
unb bie ©onne brannte auf fie, unb ©dhaum flog »on ben roeitoffeneu 
SDtüulem ihrer Stoffe; aber gonathan unb bie ©einen flanben wie aus ©rj, 
bis jum 2lbenb. Sa !am ein sroelteS &eer ber guben, baS führte 
gonathanS 93 ruber ©imon, unb et griff bie ermübeten Steiter beS 3lpottoniuS 
an mit feiner Scbaar. Sa flohen fie in roüber $aft über bie flaubige 
©bene, ber finfenben ©onne entgegen unb retteten fidf» in bie iölauem »on 
2lSbob. 

2lber ©taub unb bie blenbenbe ©onne malten fie t»irt, ba| fie in 
einjelnen Reinen »erftreuten Raufen in bie ©tabt einbrangen, faft mit ben 
fiegenben guben jugleidb, benn gonathan mar wie ber ©türm »om ©ebirge 
hinter ihnen her; unb bie Seute »on SlSbob wußten nicht, i»er ba greunb 
ober geinb war unter betn tobenben ©etümmel unb mehrten ben ©intritt 
in ihre $öfe. Sa mogte ber fliehenbe ©djroarat in ben Sempel beS ©otteS 
Sagon. 9lber gonathan höhnte ben fjeibengott unb roarf geuer in ben Sempel 
unb »erbrannte 2llle,. bie fidf) bahin geflüchtet hatten, unb ihr SBimmem 
ftieg }U ben SBotfen mit betn Stauch unb ftarb mit biefem in ben ©luthen 
beS «Sonnenunterganges. 

Sana<h flog ber fiegreidje £elb nach Etalon; aber er brauchte fein 
©chroert nicht ju jiehen; ber Stuf feiner ftarfen £anb öffnete ihm bie 
Shore ber geftung, unb bie 93ürger »on 2lSfalon jogen ihm entgegen unb 
ergaben fidh ih m unb reiften ihm ©efdfjenfe für ein Südhein feines SWunbeS. 
SaS roar gonathan, ber gubenfürft, unb als er heünjog nadh gerufalem, 
ba blieb Schweigen unb SobeSfurdht hinter ihm, aber fein Sachen. 

Sllepattber 93alaS aber feierte bie ©iege gonathanS mit hctrrlidten 
gejien unb fpottete beS Setnetrius -Ricator unb roar forgloS unb fidher. @r 
fah nidht, baf? feine fdhöne Königin feinen gubel hatte für bie ©iegeSbot* 
fchaft; er fah nidht, wie ihre Stafenflüget gitterten, wenn einer unter ben 
gelbherren »on SemetriuS Slicator fpradh, bafj er fei roie ein junger 
©ott ber ©riedhen, ftolj unb fdfjön unb »om SGBirbel bis jur ©ohle ein 
©prof? »on föniglidhem ©tamme. ©r fah nur feiner Königin ©dhönheit, bie 
inadhte ihn blinb. 

2Bentt bie Königin fdhroeigfatn roar unb 2llepanber fie barum befragte, 
bann fagte fie, bafj fie ©ehnfudht habe nadh ihrem 23ater, unb ber Äönig 


Don einet Königin, bie fdjon lange geworben. 28f 

glaubte beut, roaS auf ihrem 9lngefidjt getrieben ftanb ; unb roat bocb 
falfcfee ©<hrift. 

®a fam ber Königin SSater non 2tegppten gesogen, mit Kriegern wie 
©anb am 2Reer unb mit Schiffen, bie nom ©tranb non ©grien bis an 
ben Jporijont baS 2Reer beberften, roie ein ©djroarm non roilben ©nten. 
Unb 33oten eilten nom König in Seggpten 31 t 'Demetrius SJicator unb non 
ber fdjönen Königin ju ihrem 83ater, unb abermals nom Sfeggpterfönig 
jogen 33oten ju Jonathan, bem Jubeitfürfeen, unb non Demetrius sunt 
jubenfürflen, unb niele SBoten, beren £erfunft -Riemanb fannte, waren 
plöfclich in ben ©täbten ber entfernteren fßrooinsen non ©grien unb 
prebigten Sttfatl non SSttepanber SBalaS, unb überall in ©grien ging bie 
fRebe, bafe er eines gemeinen 2RanneS ©ofen fei unb beS SferoneS gänjlid) 
unroerth, unb mar nie! Kommen unb ©eben in ©grien, faft, roie in eines 
KameeltreiberS Verberge. 

Unb bie fdfeöne Königin ging umher im ffßatafte su 9Xntio<3hia mit 
glühenben SBangen (aus greube über ben Sefud) ihres SBaterS natürlich), 
unb mit leudjtenben 2 fagen fah fie bie Soten fommen unb gehen, nadj 
benen ber König, ihr ©emahl, nienjats fragte, unb fie roar fcfeönet als je. 

®er König fah es, unb fie feinen ihm lieblicher, als ber funfelnbe 
SBein im golbenen SBed^er ; aber bie Königin brängte ihn oon fid), baff er 
fetter ginge unb bie ©täbte in ©Uicien fidt» surüdgeroänne, bie oon il;m 
abgefallen waren, unb fie fagte ihm, bafe man ihn feig nenne im Sanbe. 
Unb er fah ihre golbbraunen Slugenfterne flammen, roie bei einer jungen 
Söroin, bie in bie ©onne btieft. ®a ging er tallenb unb taumelnb mit 
feinen greunben nach ©ilicien. 

®ie fcfeöne Königin blieb allein su 2lntio<hia im fpalaft unb wartete, 
®er König oon Üleggpten aber, ihr ißater, nahm alle ©täbte ein, oon 
Jantnia, baS am SReere liegt, bie Küfte entlang bis hinauf nach ©eteucia, 
wenige ©tunben oon Slntiodpa, bet ^auptftabt. Unb alle ©täbte öffneten 
ihm ihre fEfeore unb empfingen ihn prädjtig, roie ÜKepanbet 33alaS biefcS 
befohlen hotte, unb ber König oon Slegppten liefe in jeglicher ©tabt eine 
reidjlicbe Sefafeung, wenn er roeiter jog. Jn ©eleucia ftiefe ®emetriuS 
SRicator sum König oon ülegppten mit allen ©ölbnern, bie er oon ben 
gtieefeifeben Jnfetn geworben hotte, unb bann sogen fee mitfammen gen 
Sfotiocfeia. 

®ie Königin sog ihnen entgegen oom fßalaft, unb ihr #ers bebte, benn 
fee wollte ben fdfjouen, ber ansufefeen fein fotlte roie ein ©ott ber ©riedjen. 
3Sor ihr gingen ihre ägpptifcfeen grauen, in biinne ©dreier gefleibet, 
unter benen ihre braunen ©efialten beutlicfe s u fe^en roaren unb bie 
fdfeimmemben ©ürtel um ihre lüften. Unb ©inige trugen auf ber Unten 
©chulter bie frummhalfige &arfe unb rührten bie oier ©aiten mit ber 
rechten $anb, unb ©inige bliefen bie lange glöte unb ©inige bie hoppelte 
glöte, unb bie Jungfrauen ber Königin, bie ansufefeen roaren roie Kinber, 



282 


rDanba von Bartels in ITtändjen. 


gingen in Leihen hinter ben grauen unb f^tugen Katfchenb bie §änbe 
jufamnten, nach ber Sorfdfjrift. 

®a fab bie fdjöne Königin ben ®emetriuS SRicator unb fanb, bah man 
roeniget non ihm gefagt hatte, als roaljr war, benn er festen ihr fdjöner als 
ein ©ott ber ©riedjen. 

©etnetrius SRicator aber mar nidfjt non ber Slrt ber Morgenlänber, bie 
ihre ©ebanfen netbergen unb Mifjtrauen jeigen, auch benen, bie fie „mein 
greunb" nennen. @r fam baher mit ©orglofigfeit unb ©elbftnertrauen, 
rebete, roaS er badjte, unb nerfchmäbte bie SRathgeber; er lachte, benn bie 
SBelt mar ibm roie lieblicher grüljling, unb roer ibn anfah, ber muffte 
fröhlich merben. 

Unb ba er bie fdjöne Königin fab, mar eS ihm angenehm, baff fie fo 
fdjön mar, unb bie Krone non ©prien fc^ien ihm lodfenb, unb bah ihr Sater 
ber mächtige König non 2legppten mar, beugte ihm nicht übel, unb ba 
nermäbfte er fidfj mit Cleopatra ju 3lntiocf)ia in ber ßauptftabt, unb 3Öej anber 
SalaS mar in ©iticien. 

2Bof)l maren Soten gefommen nach ©ilicien unb hotten bem Sllepanber 
SBataS berichtet, bah bet König non 2lcgppten Krieger gurüeftiefe in ben 
©täbten non ©prien, bie er burchjog. 9lber ber 5lönig tranf ben SBein, 
ber non ben griedjifdjen Unfein nach ©Uicien fam, unb glaubte ben SBoten 
niiht. ®ana<h famen 2lnbere, bie ihm fagten, bah ber König non 2legppten 
ftch mit ©emetriuS nereinigt hätte unb mit feinen ©ölbnem, ba lachte 
Stteyanbcr unb fanb ei roeife non feinem ©chmiegemater, baff er ben 
©emetriuS ficher hielt unter feinen £änben. ®ana<h aber fam bie britte 
SJotfchaft, baff bie fäiöne Königin beS ©emetriuS SBeib geroorben ju 
2lntiochia in ber ^auptfiabt. ®a glaubte ber König, unb er nergaft ben 
2Bein unb flog mie ber ©turmroinb jurücf nach ©prien unb fuchte ben 
König non 2legppten, ber ihm entgegenjog. Unb fie hotten eine graufante 
©chladht nom -Morgen bis jum 3lbenb, unb als bie ©onne fanf, ba lag ber 
König non Slegppten jum ©obe nerrounbet auf bem Sladjfelb unter ben 
Sielen, bie gleich ihm ju fterben gingen, aber beS Stleyanber $eer mar jer= 
ftreut in bie SBinbe, unb ber König floh hinweg ju 3abbiel, bem gürften 
ber Straber, ben er für feinen greunb hielt. 9lber 3obbiel mar flug unb 
erraog feine greunbfdjaft ju 2llepanber. Unb er fanb, bah «8 5C^orf>eit fei, 
einem König greunbfehaft ju halten, bem fo 2Beib, als Soli unb £eer treulos 
geroorben. ©a lieh et beS 9lte?anber SataS £aupt abhauen unb fanbte es 
bem tobtmunben 9legppter=König." 

©egenroart feufjte. 

„Söarum feufjeft ®u?" fragte bie 3 e it. 

„Mich bauert ber König, ben fein 2Betb unb fein Soll unb fein £eer 
unb fein greunb nerriethen," fagte ©egenroart unb btiefte mitleibig. 

„©r mar ein ©rüger," fagte 3eit ernfthaft. „@t hotte fo 2Beib als 
Sotf, fo $eer als greunb mit Unrecht in 5Befifc genommen. — geh aber 


Don einer Königin, bie fd(on lange geworben. 


283 


fennc Sieb, ©egenroart: mit Martert Sßorten bätteft Su gefdljolten, wenn 
bicfcr Sügner uitb trüget im fonnigen ®tanj ber SJtadbt fein Sehen mit 
frieblidbem Sobe befdbloffen: ba aber eintrat, roa« not Sit „33erge(tung" 
biefj, jerflie&eft Su in SDtitleib, Kinb ohne Senfen; Su reidfift ©eine 
£anb bem Unterliegenben, ohne ju fragen,, ob ©dfiulb ihn »um galten 
braute." 

©egenmatt fab »or fidb nieber. , 

„Stifts al« Sabel baft Su für mid)," fagte fie mürrifdfi. „gdb will 
Sein SJtärdben, idb miß nicht Seine 2Bei«beit." 

„SSißft Su SJtärdben ohne SCSeiätieit, fo b«§ midb fdjjroeigen," fagte 
3e»t fanft. „Senn SJtärdfjen ohne SBeisfieit ift Sein ©rieben, ©egem 
wart." 

„©o rebe," fagte ©egenroart. 

Sa begann bie Seit Steuern nnb fing an, roo fie »orbin geenbet 
batte, unb fpradfj: 

„Srei Sage, nadjbem ber König »on Slegppten ba« tobte #aupt be« 
Sllepanber Stola« gefeijen batte, ftarb er an feinen SBunben, unb ba« 
fprifdfie Sßolf etfdfjlug alte feine Krieger, bie er in bie ©täbte gelegt batte. 

Slber ber neue König, Semetriu« Sticator, hob feine ßanb auf, ba« 
Seben berer ju fdfjüben, bie ibm jum Sbron »erbolfen batten, unb lieb fie 
graufam fterben, na<b ber SBeli Sauf. 

Unb er tbat, roa« ibm einfiel, Ueble« unb Kluge«, roie e« bie Sage 
bradfjten, unb feine Königin roar fd^ön, roie ber SJtonb über bem SJteere, unb 
fie liebte ibn febr. Sa« Dberfte, ba« Semetriu« Sticator nötbig befanb ju 
tbun, roar, bafj er einen feften 33unb machte mit gonatban, bem gürften 
ber .gaben, benn er fab, baf gonatban treu roar unb tapfer. — Sie« roar 
eine grobe Klugbeit »on Semetriu«. 

Sanacb aber tbat er, roa« ibm übel au«ging; benn ba er fab, bab 
Siiemanb mehr fidb n)iber ibn fefcte, lieb et bie Krieger »on fidb, bie in 
©grien ibm fretroißig jugelaufen, unb wollte, bab fte beimgingen, ein gebet 
in feine ©tobt unb ihre ßantirung roieber treiben follten, roie ju»or. Sa« 
frembe KriegSoolf aber, ba« er »on ben gnfeln angenommen batte, bebiett 
er unb gab ihnen ©olb. ' 

Ser aber »on ©olb unb 23eute gelebt bat, miß nidbt mehr Körner in 
bie ©rbe ftreuen unb abroarten, bi« fie tangfam reifen, benn fein ©imt ift 
rafdb geworben jum gugreifen. Sarum roar ein SJturren in ©grien unb 
ein Staunen; unb Unjufriebenbeit roucl)« über Stadfit unb roarb grofi, unb 
bie Krieger gingen nidbt beim in ihre ©täbte, roie ber König geboten batte, 
fonbem fte blieben ju 2lntiocf)ta auf bem gelbe unb in ben 3Sorftäbten unb 
baufien in llebermutb. 

Sbre geuer glühten be« Stadbt« ring« um bie ©tabt, roie »on einem 
belagemben fjeere, unb bie auf einfamen §öfen roobnten, ring«ber 
um Slntiodbia, feufjten (aut, benn bie SSferbe ber entlaffenen ©ölbner 



28 -t 


lüanba von Bartel» in mfindjen. 


fragen itjr Sorn, unb Sßic^ unb ©dgafe gingen oerloren, unb bie SBeiber 
unb Suben beS Stoffes ijeifdgen mit ©rogungen, ignen ju geben, was 
ignen gefiel. 

33ranb ging auf unb lieb ber 9ladgt bie garten bet SRorgenrötge, unb 
iörüHen unb ©efdjrei fifieud^te ben ©dglaf aus beS SönigS äBogttung. @S 
mar fcglitnmer als Stieg. 

®a rouftte ©emetriuS ÜWicator feinen anberen 9iatg, als bag et ju 
gonatgan fanbte, bem dürften ber 3uben, unb lieg igm fagen, bag et 
wollte feine ftjrifdjen Krieger fortnegnten aus ber S3urg ju gerufalent unb 
ben gubeit alle ©gre unb allen SBort^eil fd^offen, ben ge wünfcgen 
mürben, wenn gonatgan igm wollte £Ufe fenbeti gegen baS abgefallene 
SriegSnolf. 

®a fanbte gonatgan bem ©emetrius breitaufenb auSerlefene Stieger. 
$ei, wie fie cinjogen in ülntiodgia, mit bligenben Reimen unb 
funfelnben £amifdgen! Unb bie abgefaHenen ©ötbner ganben in 
Suinpen am SBege unb blidten wie ©dgafale im ©onnenlidgt unb warteten 
auf bie Jladgt. 

Unb ba bie ©tabt fdglief, fdgoffen ge jufammen unb lasten ber 3uben, 
bie ben Sönig fcgügen follten, unb ge lasten beS SönigS, ber ^urd^t gatte, 
unb ge waren beS ©iegeS gewig, benn ba man bie 3«*$ berer fdgägte, bie 
jum 2tufftanb bereit waren, fagen ge, bag es bei gunbertunbjmanjigtaufenb 
■Dtann waren, gegen bie breitaufenb 2>uben. ©enn beS SönigS ftjrifcge 
Seibmacge mar nicgt ju tedgnen. 

©a aber ©ämmerung über ber ©rbe lag unb jene wunberlidge groge 
©tille, bie bem ermacgettben ©age norauf gegt, jog-eS wie wimmelnbeS 
©etgier gegen Slntiodgia. ©raue Raufen unb einseine 9Jtenfcgen unb wieber 
Raufen, in unfiäter ©efdgäftigfeit, wie 33ienen ogne SBeifel. ©tanben füll 
unb tiefen oormärts unb etlidge eilten surücf ju ben nertagenen feuern, 
unb bann wieber fdjwoll es an wie 2Bogen gegen bie ©teilen, ba bie ©göre 
waren in ber ©tabt SJtauer. Unb leifeS ©umfen, wie non grogen 9Jlücfen= 
fcgmännen, ftieg auf gegen bie 93urg, barin ber Sönig fdglief, unb wart 
maglidg lauter mit ber wadjfenben ©ageSgelle. 

®a aber ber SSädgter auf ber 3inne beS SönigSgaufeS auffdgaute, 
warb er gewagr, bag trübe Raufen anfdgwoUen an ben ©goren ber ©tabt, 
unb über eine SGBeile, bag bie ©göre gdg öffneten, leife unb ogneSnarren; 
unb bie Raufen ftrömten in bie ©tabt wie trübes äßaffer, baS ben ©amnt 
gebrodgen. Unb non allen ©goren nagmen fie ben Sßeg aufwärts gegen 
ben £üget p, ben beS SönigS SBurg frönte. ®a fam bem SEädgter auf 
ber 3inne broben ber ©ebanfe, bag biefeS ungewögnlidg unb wunberlidg, unb 
es fugt igm burcg ben ©inn, bag bie wadgenben Raufen nidgt banacg 
auSfägen, als ob ge fämen, um bem Sönige „£eil ignt" ju rufen. ®a 
ftieg er in’S &orn, unb 2llleS, was fdglief in beS SönigS $auS, warb madg, 
unb fie fammelten ficg im Surggof. 


Don einer Königin, bie fdjon lange geftorben. 


285 


Mer beS 2Bädf)terS föornruf brauste nicE»t hinjuhaHen bis an bie 
33erge, um fidj ein ®ctio ju roeefen, benn ehe bet Xon »erflungen roar, 
fam er juröcf aus ben ©traßen ber ©tabt wie Söroenbriilleu unb ©cfiafal» 
heulen, unb bie Raufen branbeten auf gegen bie £f)ove ber Königsburg, 
unb mit bröfmenben ©erlägen bonnerten fie „©inlaß". 

®a mar bie $urdjt groß im Vurghof, unb manches braune fprifeße 
Mitlifc mar gelb geworben mit Gütern. Unb fie hörten baS Reuten ber 
.'öunberttaufenb an ben Vurgthoren unb faßen breitaufenb 3uben ftd) in 
Vereitfdßaft fefcen gegen fo niete. ®aS bünfte ben ©t;retn attju ungleich, 
ob ber Quben £apferfeit groar großen fRußm hatte non ben ©<h(adf)ten bei 
3tSbob unb 3°PP e unb nieten anbeten. 

®er aber unoerjagt bfiefte unter ben Mieten, baS mar Demetrius 
SRicator. ®a gogen bie $uben aus ben £ßoren ber 33urg unb fielen in 
bie ©affen mit bem erfien ©trabt ber -üRorgenfonne. Unb immer bei 
breißig non ihnen mar einer, ber hielt in feiner tinfen £anb bas &orn 
„©chofar", baS mar nom SBibber genommen unb geglättet unb unten am 
©«baHtoch gebogen unb mit ©olb gegiert; baS btiefen fie ohne 2lufßören. 
®a gaben biefe &ötner einen teilben, geHenben Klang, unb bie ©onne 
glängte hell in ber 3Renge ber Jparnifdje, alfo bafj ihr ©<hein über bie 
3Rauern tief, wie jittembeS SBaffer. Unb bie $uben führten ihre ©cfjroerter, 
rote bie Schnitter thun im roogenben ÜRaiSfetb, unb erfdjlugen an ßunbert* 
taufenb 3Renf<hen in 2tntio<ßia, unb bie ©affen unb bie Käufer tagen »oll 
©rfdjlagener. ©anadj günbeten fie bie ©tabt an unb plünberten fte. 
roarb eS Men leib genug, baff fie oon ©emetrius 9licator abgefallen, unb 
fte flehten jum König, baff er bem SBürgen ©inßatt thäte unb gelobten 
©ehorfam. 

®a gogen bie $uben heim nach ^erufalent mit ihrer Veute unb roar 
fein Sachen hinter ihnen, aber oiel ©eufgen unb 2Bef)flagen. 

Demetrius aber glaubte in beS ©lücfeS 2Rantel gu fißen für alle 
3ufunft. ©r hielt ber Verfpredßungen feine, bie er ^onatßan gegeben 
hatte, unb hanbelte ttjßridjt. ®en er heute hochhiett, ben fttirgte er morgen 
unb machte ftch fteinbe ohne 3aßl unb baeßte nicht weiter, als bis guttt 
Menb eines jeben £ageS. Unb feiner frönen Königin Klugheit roar unter» 
gegangen in ihrer heißen Siebe gu ihm. 3)enn fte backte nur ©ineS : roie 
fte ihm gefallen wollte; barum fagte fie „ja" gu Mem, roaS er fie fragte. 
$a that ber König, was ihm einfiel, benn er roar ber Königin 3 U * 
ftimmung gewiß. 

Unb fchtimme 3eit fam über ©tjrien. Rechtlos war baS Volf unb 
bie dürften, benn baS Sßolf raubte unb gewann fich gu eigen, roaS ihm 
rooßlgefiel, unb bie dürften gogen mit ©hränen in bie Verbannung. Unb 
roer SReichtßum hatte bur<b feinet ^ßänbe Slrbeit, ber gitterte; ber aber 
fReichtßum hatte bureß ütaub, ber Iahte. Unb bie ba weife rebeten im 
fRatß ber ©täbte unb oon ben ©efefcen fpraeßen, bie bislang gegolten hatten. 



286 


IPanba von Sattels in tRän^en. 


bie ftarben graufamen £obeS. Unb bie itire häufte wiefen unb »om 
SJlorgenrotl) ber neuen SBeltorbnung brüllten, bie würben Stathgeber. 

Unb eä fomen Solche, benen bie fprifdje Krone roohlgeRel, unb recften 
if»re &änbe banacfj. Unb jogen mit Sölbnent in bie fianbe unb forberten 
ju leben für fi<h unb für ihre Krieger unb ben £rofi unb bie Sßferbe unb 
was Re bei fidE) batten. Unb für Demetrius Sticator roarb Sdjofi unb 
3inS mit $ärte geforbert, benn ber König brauste uiel, um ju rüfien 
roiber bie Ginbringlinge. 

®a erfchtug baS Söotf bie (Steuereinnehmer unb erfdjlug beS Königs 
.öauptleute, bie in bie Stabte famen, um junge Krieger ju werben, unb 
55emetriuS Stkator fafj betrübt ju Slntiod&ien in ber ^auptftabt unb batte 
nid)t ©olb noch $eer, feine Krone ju fdhfifeen. Siber er »erjagte nicht, 
fonbern badite auf einen SluSweg. 

2ln feine Königin backte er nicht. 

SHe fab in Kummer. 

3n bem Säutenbof fab fie, ber an ihre ©emädjer anfchlofj, unb fab 
wie ein 33ilb »on Stein auf bem marmornen Seffel mit ben Sßurpurfiffen. 
SBor ihren Singen blühten ägpptifche SBlutnen auf ho^cn Stielen, leife bewegt 
»om SBinb beS Sonnenunterganges ; bie hatte Sttepanber SBalaS holen taffen 
aus ihrer Heimat, um ihre Säugen ju erfreuen in ber fjrembe, benn er 
hatte fie fehr geliebt, feine Königin. Stber fie fab bie nirfenben Stumen 
nicht unb nicht bie finfenben Schatten. Sie fab auf ein Kinb, baS ben 
gelben Sanb, ben man »om SDteere hergetragen, in feinen &änben ballte 
unb wieber ausbreitete. ®aS war SeleucuS, beS SDentefriuS Sticator Sohn, 
unb auch ber ihre; unb hinter ben 33tumen, im Schatten beS Säulenganges 
ging ,eine jübifche SBärterin hin unb wieber, hin unb wieber, in faltigen, 
fdhleppenben Kleibern unb mit langen, fdjwarjen göpfen; bie trug auf 
ihren Sinnen ber fdjönen Königin unb beS ®emetriuS 'Jticator jüngften 
Sohn; ber war wenige SDtonbc alt unb hkf? 2lntio<huS. 

Unb bie Sßärterin fang mit leifen £önen ben Sang ihres SSölfeS: 

„SobRnget unfertn (Sott, ber geftritten für unS; ber' baS Stoff unb 
ben Steiter geftürjt in baS SDteer." 

$>a8 war beS fleinen KönigSfohneS SBiegentieb, unb er fdjlief babei 
unb bie Sdiatten beS Stbenbs faulen tiefer, unb war eine grojje Stille, ber 
baS halblaute Summen ber jübifchen fyrau feinen Slbbrudj that. 

Unb bie Königin fafj mit brennenben Stugen unb fah auf beS fleinen 
SeleucuS braune Ringer, bie im Sanbe wühlten, unb ihr 4jetj war 
fehr fdjroer. 

Sie gebachte GineS, ber um weniges älter war als biefe 93eiben, ein 
hilfSbebürftigeS Kinb noih. ®aS hatte fie geboren wie biefe Söeiben. Slber 
beffen 33ater war tobt unb lag nicht begraben in ben KönigSgräbent unb 
hatte Slteyanber 33alaS gehiejjen, unb er hatte fie fehr geliebt. 


Üon einer Königin, bie fdjon lange geftorben. 287 

Sie aber batte über bent neuen Sunbe oergeffen, bafe fte einen ©ofen 
batte, ber war 9tntiod)u8 gebeifeen, roie 3ener ba auf ben 2Irmen ber jübifd^en 
Sßärterin. .^efet aber mufete fie beS ÄinbeS gebenfen, tote fte im roofjligen 
©«batten fafe unb bie ägpptifefien 23lumen im Slbenbroittb nidten. ©enn 
e8 mar 33otf«baft gefomtnen, bafe Qener, ber feine £«inbe na<b ©prienS 
Ärone redte, ben Änaben mit fi<b feffeeppte burdj ©onnenbranb unb ©taub 
unb bie Äätte ber SWä«bte, unb in toetdje ©tabt er bineinjog, ba jeigte er 
ben Seuten beS Süiepanber 93alaS jungen Sobn unb fagte ihnen, bafe er 
©prienS Ärone gemimten roollte für baS Äinb. ©er Königin graute oor 
bem Äinbe, baS feine unfcbulbigen »gänbe na«b feiner HJiutter Ärone reden 
mufete, auf ben 33efeijl eines fremben -DtanneS E}in, ofene ju roiffen, roaS 
eS tfeat, unb fte fafe ^atfear, bie ©öttin ber 92acfet, über feinem unbefeüteten 
Seben ftefeen, unb eine grofee 2Ingft fatn über fie, unb bie fangen ©«batten 
befafleten ifer $etj. 

©a fafe fee, roie ber Heine ©eteucus beS ©anbeS mübe geroorben mar 
unter ber 3eit, unb roie er auffeanb unb mit Keinen, taumetnben ©«brüten 
jü ben ägpptifcben 33tumen mit ben langen ©tielen ging, fe<b aufredte unb 
tra«btete, eine batton ju brc«ben ; unb er ladfee baju. 

©a fam ein grofeer über bie Königin, fee roufete ni«bt, warum. 
Unb fee fdjtug baS Äinb, bafe es taut fdjrie, unb bie jübifebe $rau barg 
eS in ifereS ÄleibeS galten unb bra«bte bie Äinber oon binnen. 

©a roinfte bie Königin einer jungen ©flaoin, bie im ©«batten fafe 
unter ben ©äufen. Unb bie junge ©flaoin trat in bie funfefnbe 3Cbenbs 
fonne ju ben feofeen nidenben 33tumen unb fniete nieber unb ftettte bie 
grofee $arfe oor ifere Äniee unb fang baS Sieb an bie fenfenbe ©onne. 

Unb bie Königin ging mit fcftneUen ©«brüten auf unb a6 im ©«batten 
unter ben ©dulen; fie fab aus roie ein grofeer rotfer Raiter, ben bie ©onne 
ängftigt. 

©a aber bie junge ©flaoin an beS Siebes Gnbe fam: 

„S)u tdicibcn unter Sobgeiang im DJteer, 

Unb ©eine Söarle nimmt ®i«f> jubelnb auf — " 

ba roar bie Königin ftitt geroorben unb fafe auf bem ÜDtarmorfeffet mit ben 
ißurpurftjfen roie ein ©teinbilb. 


©emetriuS Sfeicator mufete fliehen, unb bie Königin blieb allein ju 
2lntio<fjia unb hütete bie Ärone oon ©tjrien für ©etnetriuS, unb ibr 9ln* 
gefttfet roar büfter. 

©ie ^afere aber, bie über baS Sanb jogen, roaren büfterer n«x^, als 
ber Äönigin Snttife, unb ©ob roar #errfd)er in 3lfien. 

Jonathan, ber gürfe ber ^uben, rourbe ermorbet, ba er ju oiet oer- 
traute, unb fein $amif«h ^ittg an bet ©äule über feinem ©rabe $u 9)?obin. 



288 


IPattba Don Bartels in münd?eti. 


Unb bes SUejanber JÖalaS junger Sofjn würbe ermorbet, benn ©iobotuS 
©rpphon, ber gelbberr, ber baS Kinb mit fid) geführt burdfj bie ©täbte 
uon (Serien, glaubte ft<f> ftarf genug ohne ihn. 

2lber beS KinbeS ©ob braute ihm fein ©lüdf, benn audj er jiarb 
graufanten ©obeS. Unb jebeS 9M, wenn ein £aupt fiel, roert^oott, wie 
eines non biefen, bann ftarben ^unberte äugleidh, bie es mit Reitern ge* 
galten. 

©emetriuS 9iicator aber lebte in greuben om -Öofe beS ißartherfönigS 
fj>htaateS unb gebadete mit Unmuth an ©prien, unb eS gefiel ihm wohl 
bei ben Northern, unb feine ^rö^fic^feit gewann beS fßartherfönigS ^erj, 
unb er gab bem ©emetriuS feine ©odhter 9thobogune jum SBeibe. Unb 
©emetriuS nahm fic, benn er tbat, was ihm bes ©ageS Saune fagte, unb 
badhte nid^t an bie gufunft. 

©ie petfifdfje Königstochter mar jung unb liebtidt» unb ohne Uebermaij 
non Krugbeit, recht wie ein 2Beib fein foff, unb war nicht nie! non ihr ju 
fagen. ©aS gefiel bem König ©emetriuS wohl 

©ie Krone non ©prien aber auf eines SBeibeS $aupt ju fehen, bönfte 
nielen Scannern non Uebel, unb mar unter benen, bie banadfj ihre $änbe 
rectten, Siner, ber hief? 2lntiodfjuS (ben nannte man mit 3unamen ©ibeteS, 
weil er ju ©iba erlogen war in fßantphplien), ber war beS ©emetriuS 
9iicator jüngerer S3ruber. Unb baS meifte 3Solf lief ihm ju. 

©ie fdfjöne Königin holte fo ©h f on als Krone non ©i;rien mit flarfen 
£>änben feftgehalten, fo lange fie an beS Demetrius SRicator 9?üdfehr badhte. 
©a fie aber non Ülhobogune hotte unb non ihres Königs fröhlichen ©agen, 
ba warb fie finfier, unb 3lHeS, was gut gemefen war in ihrem $erjen, baS 
ftarb. Unb wer fie anfah, ben wanbeite jjurdht an. 

Unb fie fanbte 33oten an ihres Königs 35ruber, 2lntiodfiuS ©ibeteS, 
unb lief; ihm fagen, bajj fie beS Krieges um ©prien überbrüffig fei unb 
baf? fte in ^rieben fidh in bie §errf<haft mit ihm theilen wollte, fo er ihr 
©emabt würbe. 

©a nahm 2lntio<huS ©ibeteS feines SruberS .'gauSfrau $um SBeibe, 
aber ihn wanbelte furcht an, als er ihr 2Intlifc fah, unb ein SBedjer mit 
®ein bünfte ihm lieblicher, als feine Königin. 3hr ober graute »or ihm. 

Unb fie warf einen £afj auf Sitte, bie um fie waren, unb »erlernte 
baS Sachen, beim baS Sehen hotte feine Same non feinem 2tntlifc fort* 
gesogen, oor ihren 2lugen, unb fie hotte fein fdbiefenbeS ©efidht gefehen; 
baS war fdhlimmer, als eine s Jta<ht ooK ängftlidher ©räume. 

©a man aber bem ©entetriuS anfagte, baf; feine fdhöne fprifche 
Königin feines 33ruberS 2Beib geworben, ftaunte er feht unb nerwunberte 
fidh über bie Mafien. $hre Siebe war fein gewefen für alle 3 f iten; fo 
badhte er; wie tonnte fie enben? $hre Klugheit war fein gewefen unb 

war gut genug, bas 9ieich ihm ju wahren, fo lange er fortbtieb; wie 
mocfite fie »erfdhenfen, waS fein war? 


Don einer Königin, bie fdjon lange geftorben. 289 

©a warb, roaS bent Könige wertlos geroefen $ahre bittburd, ba 
warb es erftrebenSroertl), weit ein Sfoberer battad gegriffen. Unb ©emetrius 
ntadjte fid) auf mit einem grofjen ^eer unb gebaute fo Seid als SEBeib 
bem Stüber abjujagen. 

Sljobogune aber nahm er mit fidj. ©aS mar nidjt weife, aber eS 
war dm angenehm. 

Unb ba er einjog in ©grien, tief bas Sott dm ju, benn eS liebte 
ben SBedfel. Unb beS Stübers £eet oerlieff feinen König unb lief bem 
©entetriuS ju. ©a ftarb SttntiodjuS ©ibeteS eines blutigen ©obeS, ba er 
mit wenig ©etreuen ftdj ber Uebermad)t erwehren wollte, unb Demetrius 
warb König oon ©grien." 

3eit fdwieg, benn fie batte lange gerebet. 

„©pric^ oon ber Königin," fagte ©egenwart. 

,,2Bef) ibt," fagte 3 e 't- „@ie war ärmer, als bie Settier auf beS 
Tempels ©tufen." 

,,©age, warum," fagte ©egenwart fdjarf, benn fie war ftotj auf ihre 
©ewobn^eit, bie 2Sorte ju wägen; „eS giebt nidt größere Sltmutl), als 
jene, bie ju betteln swingt Sluge in 2tuge." 

„es giebt," fagte 3eit noll SEUilbe. — „©ein Settter, ber ba bittet 
auf beS Tempels ©tufen, ift ein fteber, ber an feinem auSgeftredten Sinne 
oorüberwanbelt, eine Hoffnung, bie erfüllenb ober oerfagcnb if>m entflieht, 
um einer neuen Saum ju (affen, ©r fiebt nidt 3Jtenfden, er fiebt Sen 
bedungen, unb wenn ihm ©ötter unb ©ott geftorben, fo betet er ju Siitleib 
unb glaubt an WefeS." 

„Sßeiter," fagte ©egenwart ungebulbig. „3d oerftehe jegt, warum 
©u fagteft: „welje ber Königin oon ©grien, ©ie hatte ben ©tauben oen 
loten, ©pridh weiter." 

„Sin ihre ägoptifdjen ©ötter glaubte üe nidt mehr, benn fie hatte 
gefehen, ba| bie ©grer ju anberen ©öttem beteten unb auch ©rbörung 
fanben. 5?iebe hatte fid oon ihr gewenbet unb war £ajj geworben, unb 
bie 3af)( ihrer fyreunbe war wie Ebbe unb fyluth gewefen, je nach bem 
wadfenben ober abnehmenben Slonbe ihrer Sladt. 

3hr König, ber ihr erfdienen war wie ein ©ott ber ©rieden, war 
wieber König in ©grien, aber fie war nidt feine Königin, benn Sfjobogune 
war bei dm. 

©ie ©ohne, bie fie geboren, waren ihr furdtbar, benn fie fab, wie 
fie ihre finblidjen £änbe nad ber fOiutter Krone rcdten, gleid bem Keinen 
SHntioduS, ben ©iobotuS ©rgpbon, ber getbberr, gemorbet. 

3Beh ihr, fie war ärmer als bie Settier am SJiifttfjor ju Qerufalent. 
©enn bas ©injige, was ihr geblieben war oon Slllem, bas war ^af, unb 
es fam wie ein Sanfd über fie, bie Suft ju tobten. 

©a rief fie bie Steggpter, ihre SlutSoerwanbten, wie fie eS $u ihres 
erfien ©alten 3«t gethan, unb fie fah ben ©ob übet ©grien sieben unb 



2<J0 tPanba »oit Bartels in manchen. 

oernidjten junges unb 9llteS ; unb fic fat) bie Kädfite rotb überftraRlt turnt 
Sranbe ber ©täbte; fie fab bie SobnRätten jerRampft unb fab als 
Settier einberjiebett, bie auf ben $öfen gefeffen. Unb bie Raufen ber ©r= 
fcRlagenen lagen an ben SBegen, wenig bebecft t>on ©rbe, benn wer follte 
ber lobten gebenfen in ©prien in folgen Sagen. 

Sa warb ber Königin roobl, unb Re hielt bie Krone non ©prien mit 
eiferner gauft unb badfite nidjt ju raften, bis bamieberlagen 9IHe, bie ihr 
entgegen ftanben. 

3n ber ©bene bei SamaSfuS ftanb SemetriuS, unb bie 9tegppter 
Sogen ibm entgegen unb ftritten mit 9Jtacbt, unb mären ber Sobten unb Sob= 
munben unjäblige an jenem Sage. 9lm ©nbe aber unterlag beS SemetriuS 
&eer, unb er fiob gen SpruS, mo Kbobogune feiner harrte mit Sfengften. 

Sa badbte bie Königin non ©prien Sag unb 9iacfjt an ber Sßartberin 
ffreube über ihres Königs SBiebetfebr, unb bet ©ieg bei SamaSfuS mar 
it»r leib, unb fie mar obre Sob über ber gelbberren Klugheit, benn ihr 
4?aupt hielt nur einen ©ebanfen, ber madbte Re elenb: baS mar ber 
Sartberitt ©lücf. 

Unb fie badbte nur auf biefeS: roie Re es enben mödbte. 

Unb fanbte fDtenfdben aus nach SpruS um hoben Sob«, bie mußten 
bes Königs £eben nehmen unb ihn graufam ju fterben bringen nor beit 
Siügen feines jungen SBeibeS. 

©o ftarb SemetriuS; aber 3it;obogune rnuRte leben. 

Sa gebadbten Bene, bie ju ber Königin non ©prien hielten, eine 
fiuge Sbat ju »oübringen, roenn Re ben jungen ©eieucus, ihren ©oRn, 
mit fßurpur unb Krone fchmüdften. 9tber fte hielten ihre SlbRdfjt geheim, 
wegen ber ägpptifcben ©paRer im Sanbe, unb waren fo ieife, baR auch bie 
Königin UlidRS baoon erfuhr. 

Sie faR ju Slntiodiia auf ber Surg, ho<h über ben ÜJienfdhen, in bem 
©äulenRof, barinnen bie ägpptifdjen Slumen blühten, unb bie ©tunben 
fdiienen ihr lang. 

Sa hieR fie Sogen unb Pfeile bringen, um fidh }U üben. Unb ba 
fie ben erften Sfeü auf bie ©ebne (egte, fuchten ihre Slugen ein Biel. 

Unb neben bem ©ingang fab fie ein Silb fteben non fchroarjem ©tein. 
SaS mar an ©iiebem menfdfjlidb gebilbet, aber baS $aupt mar uom Sogei, 
mit frummem ©cRnabe! unb (feinen tüdifdhen Slugen, bie waren oon 
funfeinbem ©tein unb leuchteten in ber ©onne. Unb baS Silb mar eines 
ägpptifdien ©otteS Slbbilb, unb 9lieranber SataS hatte eS bort aufftelien 
(affen, feiner Königin 31er $reube. 

©ie aber hatte ben ©tauben uerioren an bie ©ötter ihrer Heimat, 
unb baS fd;roarje Sogelantlitj mar ihr ärgerlich, benn ihr anbeter Sohn, 
ber jünger mar als ©eleucuS, fab biefent Silbe ähnlich, barum nannte 
man ihn auRer mit feinem "Kamen „SlntiocRuS" nodh ^©rppoS", b. i. 
.fjabiditSnafe. SaS mar ber Königin juroiber. 


Pon einer Königin, bie fdjon lange geftorben. 


29 \ 


Unb fie fpannte be? Sogen? Sehne mit ftarfer .fcanb unb fanbte bcn 
«Pfeit auf be? ägpptifdben ©otte? bunfle? 2lbbilb unb traf ba? funfelnbe 
äuge, 2lber ber Stein roar f>nrt. Klirrenb, mit oerbogener Spifce fiel 
ber fßfeil auf bie farbigen Steine be? gufcboben?, unb unoerfefjrt leudjtete 
be? ägpptifd)en ©otte? funfelnbe? 9luge in ber Sonne. 

®a lief bunfle? fRotb be? Sorne? unter ber Königin brauner £aut 
ihr über $al? unb 2lntlib, unb fie fanbte einen fpfeil nach betn anbern 
uom Sogen, bie alle trafen. 2lher ber Stein roar hart, unb fein Klirren 
mar i£)r roie ^ofm, unb ihre £änbe begannen ju jittern. 

®a Hangen Stimmen non aufcen, roie in fröhlicher Unruhe, unb bie 
Königin laufchte unb hielt ben linfen fjiufj »orgefebt unb ben fpfeil auf ber 
hartgefpannten Sehne. 

Unb ber ©ingang neben be? ägpptifden ©otte? bunflent 9lbbilb roarb 
ooH »on Wenfcfjen, unb mit „Seit ihm" unb Sachen fdjoben fie Seleucu? 
uor fich het; ber fab fcheu auf bie Königin, unb fein finbtich &aupt beefte 
bie Krone oon Sprien, unb ber Purpur fdfjleppte lang um feine $üfje, unb 
fein Slntlib roar roie t>on einem ©otte ber ©riechen unb fdjien roie be? 
®emetriu? jugenbfdöne? 3lbbilb. 

®a weiteten fich ber Königin Slugenfterne, unb fie fab ba? Kinb 
unter feiner Wutter Krone lachen unb fab be? tobten ®emetriu? 2lbbilb, 
unb ihre bebenbe Rechte löfte be? Sogen? Sehne unb fanbte ben Sfeil in 
ihre? Sohne? £erj. 

®a ftarb et graufamen ®obe?, roie fein Sater. 

Unb bie Satire »ergingen, unb fie nahmen mit, roa? roelf roar in 
Sprien unb in ben anbern Säubern, unb (öfchten Kleinliche? au? ber 
Wenfdjen ©ebädjtnifj, ©rohe? aber hoben fie auf für mich, — " fagte bie 
Seit unb fdjroieg. 

„Sift ®u ju ©nbe?" fragte ©egenroart. 

„Mer ©inge ©nbe ift Sterben," fagte Sät emft. „2Bemt ®u ge= 
roobnt roäreft ju benfen, fo roäre ®ir’? funb." 

„6? roar »iel Sterben in ©einem Härchen unb bod) fein ©itbe," 
fagte ©egenroart. 

„®ie Königin ift meine? Wärdjen? Schott/' fagte Seit, „unb ber 
Königin ©ob ift meine? Warden? ©nbe." 

„So fpricb," fagte ©egenroart, „ich höre." 

®a bub bie Seit an unb rebete weiter: 

„®ie Königin hielt bie Krone oon Sprien, unb ihre Wacht roar grofj. 
2lber fie batte beffen nicht 2t<ht, benn ®obe?furd)t unb ©rauen hüteten ihr 
Säger, roenn fie fdjlief, unb geleiteten fie auf ihren SBegen im Sichte ber 
©age. Unb roenn fie be? 2lntio<hu? ©rppu? gebachte, ihre? Sohne?, fo 
fianb er por ihren ©ebanfen: anjufehen roie ba? bunfle Gbenbilb be? 
ägpptifden ©otte?, mit funfelnben, tücfifchen 2lugen »oller Klugheit, benen 
forglofe Kinberfrohheit niemal? ju eigen geroefen. 

«otb unb 6». XCII. 276. 


20 



292 iüanba »on Sattels in JTtüitdjen. 

Unb bie eitertben galjre madhten ihn junt SJfanne, unb baS S80Ö lief 
ihm ju unb hoffte einen neuen König in ihm 31t jtnben. ©a foh bie 
Königin abermals ben Sohn feine -fjanb reden nadh ber 2 Jhitter Krone, 
unb fie bad)te, wie fte ihn tobte. 

Unb mifdhte ben ©ob in föftlidhen Sßein non ben Jnfeln in funfein-, 
betn Sedjer unb ging ihm entgegen, wie fie bem ©emetriuS entgegen-- 
gegangen war, ben fie geliebt. Unb ihre grauen hielten bie Warfen auf 
bet tinfen Schulter unb rührten bie Saiten mit ber rechten &anb, unb 
einige non ihnen bliefen bie lange gißte unb einige bie hoppelte gißte, unb 
bie Jungfrauen ber Königin gingen 3U groeien unb fdhtugen flatfcßenb ihre 
^änbe 3ufammen. 

2 lber ber Königin SIntiife war gelb, unb ihre güße jitterten. 

Unb ba fte SlntiocfmS ©rppuS fah, erfchraf fie, benn er war wie non 
bunfelm Stein, an ©liebem menfdiüd) gebilbet, aber fein föaupt war nom 
23 oget. Unb fie gebaute ber SBilbfäule beS ägpptifdien ©otteS, baran ihre 
Pfeile frumm geworben, unb ba fie ihrem Sohn ben Sedjer bot unb 3U 
ihm rebete, warb ihr rotljer Htunb bläuüdit, unb ihre gähne fdhtugen an= 
einanber. 

©a fah fie beS ©rppuS flugheitfunfelnbe 2 lugen non ihrem Slntlifc ju 
betn Secher wanbera, unb er nahm baS ©efäß unb bot eS ihr bar. Unb 
feine £anb war feft, unb feine Stimme flang laut, ba er fagte: baß e$ 
bent Sohne nicht jieme 31t trinfen, ehe bie -Kutter getrunfen. 

©aS flang in ber Königin £aupt wie baS Klirren beS fcßwarjen 
Steines, baran ihre Pfeile frumm geworben, unb eine Sdhwädhe fam über 
fie, unb fie faßte ben Secfjer mit sittember $anb unb tranf ihn leer bis 
311m ©runbe. 

Unb tranf fid) ben ©ob. 

Unb bie Warfen fdhwiegen unb bie Sobgefänge, unb mar ein große» 
Schweigen. Unb ba man hinaufsog sur 33 urg, ba fangen bie grauen baS 
Klagelieb: 

,34 irre umbet nadj ®ir, um $id) ju flauen, tn ber ©eftalt ber fRai, 

Um ®id) ju febauen, um Tid) 31t fdjauen, ®u fdjöne ©eliebte.“ 

©aS flang büfter. 

2 tntio<f>u 3 ©rppuS aber warb König oon Sprien, unb ber Königin 
©ob warb beS -KärdjenS 6nbe." 

Unb geit flog oorüber. 



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IDüfalm Docrpfclö. 

Pon 

paul Clöiier. 

— 2ltt)en. — 

lg ba§ 3o<h ber türftfd&en ßerrfdfjaft nodj fdhroer auf ©rieten* 
fanb tag, war ber Strom ber fjiftorifdjen Äunbe oon 2tt^cn 
faft ganj oerfiegt, fobaft trofc ber Keifebefdhreibungen, bie jett« 
roeife bas über ^ellaS roaltenbe ®unfet erhellten, bie Stabt ber 9Narati>on* 
fäntpfet aus bem ^iitorif^en Serou&tfein ber SBelt ju fdfjminben begann. 
(Srft als in Süthens gcf<f)i<$tSlofe Stille ber SBaffenlämt beS {freiheitgfampfeS 
al§ SBecfruf beS neuen 2Jtorgen2 fyineintönte, mürbe baS ©afein ber heiligften 
©ulturftätte beS flafitfdfjen 3Ktertf)umä gleich [am neu entbedft. Unb mit 
ber nationalen SBiebergeburt ©riedhentanbs, mit ber 2luferftefiung 2lthenS aus 
ber Slfdhe ber gjahrhunberte, erroachte aud) bie Mitnahme ber ©ebilbeten 
für bie Dtuinenroett ©riedhenlanbs }u neuem Seben. 

Qefet erft begannen bie -Kittheilungen unb .Segnungen SDobroeÜg non 
ben geroaltigen Rieften bet cpflopifcljen -Kauern unb nom mtjfenifdhen ßömen* 
tfior fomie Stuarts unb KeoettS SBerf über 2ltljen ju mirlen. ^efct erft 
fanb bie mehrjährige S^ätigfeit ber internationalen ©efeHfdhaft, roeldhc bie 
Sculpturen beS SüthenatempelS auf 2legina unb beS StyolIotempelS ju 
Saffae entbedft hatte, ihre notte SBfirbigung. Unb roährenb bisher nur 
Italien ans ber güHe feiner antifen ßunftfdhäfce ben anberen 3SStfem reidfje 
©aben ber Belehrung unb beS ©enuffeS gefpenbet hatte, fing nun aud) 
©riedhenlanb an, ftdh an ber Arbeit ber ardfjäologtfdjjen SBiffenfdhaft ju 
betheiligen. 

@S mürbe in biefer grofjen nationalen Aufgabe mit jleigenbem 
©nthufiaSmuä oon ben ©eiehrten beS SJluSlanbeg unter flüht. ftranfrad) 



294 


paul €Isner in 2Itl)en. 


befafj fcbon feit ber ©litte ber oierjiger Bahre ein eigenes, ber erforfdbung 
ber griedbifdben Slunft gewibmeteS ^nftitut. S)ie preufeifebe Regierung batte 
wohl feit längerer Beit ihrer attjenifdfjen ©efanbtfdbaft einen tüdbtigen jungen 
aitertbumSforfdber beigegeben, ©o mar bem erften berfelben, a. oon helfen, 
©. SBacbSmutb unb biefem U. Nobler gefolgt. aufjerbem mar eS jur 
«Regel geworben, baf? bie ©tipenbiaten beS röntifdben BnftitutS einen Sbeil 
ihrer «Reifejeit in Sitten jubraebten. 

3lber ber Mangel eines feften anbalts ntadbte fidb mit ber Beit bodb 
fo empfinblidb bemertbar, bafj fidb ba§ Steutfdbe «Reidb, oor allem auf Sn* 
regung oon ©rnft ßurtiuS im B“bre 1874 jur ©rünbung eines beutfdben 
ardbäologifeben BnftitutS in atben entfdblofj. 

©o finb es atfo jebt gerabe 25 B«bre ber, feitbem biefe Bweiganftalt 
beS in ber ewigen ©tabt fdEjon feit 1829 befiebenben römifdben BnftitutS 
jur Drganifation unb Belebung beS ardbäologifdben SBedbfeloerfebrS jwifdben 
©riedbenlanb unb ber beutfdben Heimat in • feierlicher ©ifcung burdb feinen 
erften ©ecretär, ben auSaejeidbneten ardbäologen Dr. Dtto SüberS, gegen: 
wärtig ©eneralconful beS beutfdben «Reiches in atben, eröffnet würbe. «Berat 
eS ju bem grofjen auffdbwung, ben bie ©rforfebung ber griedbifdben aitertbümer 
in ben lebten Babrjebnten genommen, mit ben anberen nadb unb nadb in 
atben gegrünbeten £o<bfdbulen für junge aitertbumSforfdber in fo glönjenber 
SBeife beigetragen bat, fo ift bieS bauptfäcblidb baS ©erbienft oon SBilbelnt 
Doerpfelb, ber, fobalb er bie Bügel ber anftalt auf bie SDauer ergriffen 
batte, ibr jur fefteften ©tiifee unb böcbften Beerbe würbe. 

SBitbelm Steerpfelb erblirfte als ©obn eines beroorragenben, audb 
als päbagogifdber ©dbriftfteller rübmlidb befannt geworbenen ©dbulmanneS 
am 26. Stecentber 1853 in ©armen baS Sicht, baS feinem ©eilte SebenS- 
element geworben ift. Stenn bie SBabrbeit mit ihrem alles burdbbringenben 
Siebte ift ber bette ©tern, bem er bis auf ben heutigen Sag folgt. <5r 
ftubirte an ber tedbnifdbeu .fjocbfcbule in ©erlin unb begab fidb halb nadb 
abfcblu§ feiner ©tubienjabre nadb ©riedbenlanb, wo bie anfbedung DlpnrpiaS 
nadb blutigem ©ölferlrieg baS erfte griebenSwer! beS jungen Steutfdben 
«Reiches war. 

Babrbunberte btnburdb ^atte ber aipbeioS feine SBogen über ben 
heiligen ©oben ber aitis gewäljt, bie fo febr in ©ergeffenbeit geratben 
war, baf} bie erfte Starte DlpmpiaS oon ber $anb beS franjöftfdben ©ice= 
confuls Souis Bauocl in atben erft aus bem Bahre 1787 flammt. Ster 
©ebanfe, jene oerfunfene tperrlidbfeit burdb ben ©paten wieber an baS 
Sidbt beS SageS ju heben, ift oon Sßincfelmann ausgegangen. S)ann bat 
Bürft ©ücfler--5RuSfau eine auSgtabung beS atpbeioStbalcS in großartigem 
«Dtajjftabe geplant unb ben oerbienftooHen ardbäologen S. ©oft für feine 
©läne ju intereffiren gewußt, aber erft ©rnft ©urtiuS ift es befdbieben 
gemefen, jur ®urdbfül)rung ju bringen, was 28incfelmarat feinem ©aterlanbe 
als ©ermädbtnif} ijintertaffen I^atte. ailerbingS ntufjte abermals eine «Reibe 


IPiUjelm Doerpfelb. 


295 


uon fahren oerftreidjen, bis bie mancherlei udF» bem Unternehmen entgegen» 
fteUenben Sdjwierigfeiten gehoben waren, bis baS $>eutjd)e Bleich enblidh 
fein ibealeS Streben, ben ©eift ber gorfcßung, bte SJtadjt ber Sßiffenfchaft 
*u ftähten unb bie ßenntniß ber Sßorjeit ju nerooHftänbigen, oerwirflidhen 
tonnte. 

doerpfelb wirb ben Fortgang biefer ruhntreidhen ©rabungen t>om 
erjten Spatenftid& an mit bem wärmften Sntereffe begleitet fabelt unb bem 
im Sabre 1877 an ihn ergangenen eßrenooBen Bluf jur Sheitnahme au 
ber ©rforfdhung OtpmpiaS mit greuben gefolgt fein. ©3 war gewiß ein 
bebeutfanter SBenbepunft in feinem Seben, baS fortan einem ganj anberen 
JtreiS non Aufgaben fidh ju wibmen hatte. &ier, auf bem Boben biefeS 
ehemals mit ben foftbarften Sdhäfcen ber griechischen Äunft gefdhmfidften 
großen BlationalbeiligthumS ber ©riedhen, wo außer bem jauberbaften ©in» 
brudf ber lanbfdhaftlidhen Umgebung bie ©ernalt ber gefdhidhtlidhcn ©rinne» 
rungen auf Stritt unb Sritt ju feiner Seele fpradhen, erfdhaute er pnt 
erften SDtat bie BBunbermerfe beS flafnfchen Altertums, benen fein ©eniuS 
ungeahnte Auffcßlüffe entlocfen foBte. £ier warb ihm pm erften 9M 
(Gelegenheit, bie Straft feines unoergteidhlidjen Sdharfblicfs an ben aus» 
gegrabenen Baubenfmälem p erproben, &iet hat er als tedhnifdher unb 
ardbiteftonißber Seiter ber Ausgrabungen non 1877 bis p ihrem Abfdßluß 
im Sabre 1881 ben ©runb gelegt p feiner BJieifterfdhaft in ber Betrachtung 
ber alten Arcbiteftur. S n biefer 2Beltabgef<hiebenbeit hat fidh her ArdjUeft 
herangebilbet p jenem gewaltigen Bejwinger ber fdhwierigften Probleme 
ber AlterthumSwiffenfdhaft, um beren Söfung ber Scharffinn non Archäologen 
unb ^Philologen bisher erfolglos fidh bemüht hatte. 

©oerpfelb, ber nicht nur ein für ben Scbreibtifdb unb bie Stubirftube 
gefaulter $orfdber ift, fonbent auch eine auf praftifche Siele unb ^hätig= 
feit gerichtete Biatut befifct, machte fidh norurtheilsfrei unb unbefangen an 
bie Prüfung eines jeben, auch beS fdjeinbar geringfügigen Arcßitectut» 
jlücfeS, baS bem geweihten Boben DlpmptaS entftieg. Unb gerabe burdjj 
biefe gewiffenhaftefte Prüfung unb fdiärffte Stritif in jeber ©injelfrage, 
biefe peinlidhfte Unterfudfjung jeber Sinie, jebeS ®übeflocßS im Steine, hat 
er ber SBiffenfdhaft reichen ©ewinn p erringen gewußt! ®ur<h ihn haben 
wir überhaupt erft eine ftare BorfteBung non Dlpmpia gewinnen fönnen. 
®enn ber auSgcjeidhnete iptan beS otpmpifchen geftplaßeS ift fein SBetf. 
Unb bie genauen Aufnahmen ber Ardhitecturrefte DlpinpiaS, bie baS große 
2Berf über bie bortige ©rabungSthätigfeit beS ®eutfdjen Bleiches iBuftriren, 
ftnb pm großen ^C^etC baS ©rgebniß feines raftlofen SleißeS. So h°t 
®oerpfelb wahrhaft epodhemadhenb in Dlpmpia eingegriffen, unb für afle 
Seiten wirb fein Blame mit jener berühmten Stätte oerbunben fein. 

Staunt hatte ®oerpfelb hier ben Spaten aus ber £anb gelegt, als er 
fidh eine neue, bö<hft feffelnbe Aufgabe gefteBt fab. Schon lange hatten 
fidh Heinrich SchliemannS Blicfe unb SBünfdhe auf ben genialen Ardhitelten 



296 paui €lsner in ?ltt}en. 

gerietet, unb er fChäfete fid^ glfidliCfj, ihn für feine Ausgrabungen in 
®roja ju gemimten. 

©djliemann ^atte im Qahre 1868 pm erfien 3)iat ben Soben ber 
&roaS betreten unb baS alte ®roja juerft oberhalb beS ®orfeS Surna* 
bafd)i im ©famanberthal gefugt. Sr butte fidj aber halb ber näher am 
üDteer gelegenen ©teile ftiffarlif, ber SRuinenflätte ber gricd)tiCb=römifChen 
©tabt pgewanbt, beren beoorpgte Sage auf einem föügel am 

KreupngSpunlt jmeier fruchtbaren Sbenen, ihre großen, im Saufe ber 
3af|tbunberte angehäuften ©Chuttmaffen unb bie auffaUenbe Uebereinftimmung 
ber (anbfChaftlichen Söerhältniffe mit ben Angaben Römers eS »iel wafer» 
fdheinltdher machten, baß hier bie heilige SlioS Römers geftanben hotte, bie 
an'S SiCht p förbem er fiCh uom Qahr 1870 an mit grofeem Sifer am 
fChidte. 

®aS ©littf, baS biefetn unernüibliChen fyorfdjer bei allen feinen Unter* 
nehmungen in fo hohem ©rabe bolb mar, lädjelte ihm auCh hier- ©Chon 
feine erfte Sampagne erbrachte eine 9Jlenge oon altertümlicher ®opfmoare 
unb ©teingerätfe. 

Als er jroei Qahre fpäter einen breiten ®urChfChnitt quer burCh ben 
tilget ausführen tiefe, um fo bie barin fChlummentbe 33urg beS ißriamoS 
p entbeCten, mar er auf ben fogenannten „grofeen ®h u rm" geftofeen, ein 
grofeeS, aus fdjön behauenen 3Jtui<belfalffteinen erbautes Sollwert. 3m 
folgenben $ahr hotte er weftliCh »on biefem „grofeen ®h«rm" noCh ein oon 
ihm als „ffäifCheS" bejeiChneteS ®feor gefunben unb baneben SRauern, in 
benen er ben ißalaft beS ^ßriantoS erlernten ju bürfen glaubte, ba er bicfet 
babei ben grofeen ©diafc entbedt hotte. 

■JtaCh AbfChlufe ber britten Sampagne glaubte er baS ffäifChe ®hor, 
ben grofeen ®burm unb bie trofanifCEje Ringmauer Römers wirtlich 
gefunben unb bantit bie trojanifcfee grage enbgittig getöft p hoben. 

®a jog es ihn, nadjbem er injwifChen bie fabelhaft rei<feen Königs* 
gröber im Ämtern ber 33urg aufgebedt hatte, im £erbft 1878 abermals 
nad) SCroja, wo er in ber Siäfee feines ißriamoS*#aufeS no<h einige Heinere 
„©djäfee" entbecfte. 

©ehr roidjtig foHte feine im Sftärj 1879 beginnenbe fünfte Sampagne 
werben, für welche er bie Unterftüfeung oon 9tubolf SSirdjoro unb S. ®ur* 
nont gewonnen hotte. SS würben nun oon ihm auf bem $iffartif fieben 
übereinanber liegenbe ©Chidjten erfamtt unb als fieben ©täbte bejeidmet, 
unb jwar bie fünf unteren als prähiftorifcfee, bie höheren als hifiorifcfee. 
Sr glaubte in ber mittleren britten ©CEjiCht baS homerifChe ®roja ge» 
funben unb naCh Aufbedung ber ganzen SBeftEjälfte ber alten Sutg feinen 
Sugenbtraum oermirtliCfjt p hoben. 

®a waren 3 lu eifel waCh geworben, ob bie oon ihnt als SBofenräume 
beS Königs SjBriantoS angefehenen Jütten wirHiCh für bie heilige SlioS 
gelten bürften, bie bod> Corner als eine grofee, gut angebaute ©tabt mit 


UHlttelm Doerpfelb. 


297 


breiten ©troffen befungen ^atte. ®iefe 3 n>eifel hotten fdhliefjtidh Sdhlie* 
manna frönen ©tauben in ’8 SBanfen gebraut, unb waren bie SBeranlaffung 
ju einer neuen Campagne geworben, an ber jurn erften SDZat ®oerpfelb 
theilnaljm. 

9tac(j gewonnenem Ueberblid über bie ganje, ^ödjft complicirte Anlage, 
unterjog er, wie in Dlpmpia, Stauer für Stauer, (Stein um Stein feiner 
fritüdjen Setracfjtung unb muffte fo audj biefeS fjöchft fdjwierigen ©egen* 
ftanbea ber ardhäotogifd&en Unter fudhung Steiftet 51 t werben. ®ie »on ibm, 
im ©egenfafe ju ©dfjtiemanna plantofem 3)urdjwüf)ten be3 8oben3 nun 
fpflematifdh geteiteteu 3tuagrabungen erbrachten junädhft ben 33eweia, bah bie 
für bie Käufer ber Äönigaburg gehaltenen Jütten tfjatiädjlidj nur auf ben 
Krümmern einea witflidhen Äönigapalaftea flanben, ber mit »iel größerem 
Siedet für bie SBo^nung bea ßerrfdhera erfannt werben tonnte. ®oerpfelb3 
'öeharrlidhfeit aber war ea ferner audj gelungen, einen »orjüglidfjen ©runb- 
rif; ber Surg aufjuneljmen, waa bie türfifdfjen atuffidhtabehörben wegen ber 
■Jlätje ber mobernen geftungamerfe »on ^umfaleh lange nid^t batten ge* 
fiatten wollen. 

3ur 33er»olIftänbigung bea ©efatnmtplanea unb wegen ber 33er* 
teumbungen bea 3trtilleriebanptmanne3 a. ®. 6 . SBöttidfjer, ber behauptete, 
bah auf 4 ?iffarlif nur eine Seicbenoerbremtungaanftalt unb geuemefropole 
gefunbeu fei, erwiea fid) bie gortfefeung ber Arbeiten ata nothwenbig. 
®eahalb begab fi<b ®oerpfelb im ®ecember 1889 abermata nadh ^iffarlif, 
wo Söttidfjer in ©egenwart heroorragenber gadhgenoffen feine SBeleibigungen 
jurüdfnahm. ®aa 3tefuttat ber iidb hieran fdhlieffenben ©rabungen war 
»or aillem bie gefijMung t>on fieben Sdhidhten »on SBauwerfen oberhalb 
ber jweiten Sdfjidht, fo bah nach ber ßerftörung ber 33urg ber jweiten 
Sdhidfjt bia jur römifdhen 3 *it nodh fieben »erfdhiebene ainftebelungen nadh 
einanber auf bem &iffarlif= 4 }ügel beftanben hotten. 2 tuf bie »ont gela* 
hoben an geredhnete fedhate ©dhidht fiel fdhon bamala ein ganj unerwartetea 
£idjt burch bie barin aufgebedten 9tefte jroeier groben ©ebänbe unb ben 
glüdlidhen gunb mpfenifdher ®opfwaare, weldhe bie fedhfte Sdhidht ber 
mpfenifdhen Seit, ba 8 heiht ber jweiten $älfte bea jweiten gahrtaufenba 
»or Cljr. juwiefen. 

®ie fiöfung ber fdhon bamala »on ©dhliemann unb ®oerpfelb emftlidh 
erwogenen grage, ob nidht biefe fedhfte Sdhidht bie krümmer bea ßerrfdher* 
palaftea enthalte, brachte nadh Scjjliemanna leiber ju früh erfolgtem ®obe 
bie Campagne »on 1893, ju ber bie Sßittwe bea groben gorfdheta bie 
aWittel gefpenbet hotte. Unb ea tarnen benn audh wirflidh in ber fedjften 
Sdhidht bie 9tuinen einer mädfjtigen Surganlage ber mplettifdjen ißeriobe jum 
aSotfdjein, einer 23urg, bie mit Sidfjerheit für baa »on Corner befungene 
®roja erflärt werben burfte. 

3 hter burdhaua nothwenbigen »oHigen aiufbectung aber war bie am 
27. tlprü 1894 begimtenbe lefjte Campagne gewibmet, ju bereu 3lua* 



298 


paul <£lstter tn 2Itf}en. 


führwtg Äaifer SBilhelm nah einem Sortrag ©oerpfelbs 30000 SRarf 
bewilligt tiatte. ©teSmal war ein ArbeitSperfonal non 120 9Jlann, ju* 
meift ©riehen unb nur wenige dürfen, aufgeboten. Sie Ratten tßeilroeife 
noch unter «Schiemann gearbeitet unb führten bie ihnen non Renern bei* 
gelegten Planten Agamemnon, AhiHeuS, DbpffeuS nod) mit Stolj weiter, 
iöiit 3woerfi<^t begann ©oerpfelb, unterftiht non tüchtigen 3JtitarbeÜern, 
biefe abfhließenbe ©ampagne, bie benn aud) wirtlich bie Jtrone beS 
langjährigen Unternehmens bringen follte. 

©rft 2IUtte 3uK waten bie beiben Arbeitercolonieen, bie ben &ügel 
non Djten unb SBeften angriffen, bis an baS ^auptthor ber fedjften Surg 
gelangt. Unb ber Späten burfte nicht eher ruhen, bis baSfelbe frei gelegt, 
bis bie ganje Sinie feftgefteHt war. ©ieS trofc bes UMariafieberS, an 
bem niele Arbeiter unb felbft bie wiffenfdjaftlid^ert 35titglieber ber ©ppebition 
erfranften. B m &inblid auf baS gemeinfame hohe 3ief würben aber alle 
©dhwierigfeiten überwunben unb baS große 2Berf glüdlid) jum Biele geführt. 

9tun tag bie Surg ber mtjfenifhen ißeriobe, bereu Sorhanbenfein ©oerp= 
felb 1890 nur geahnt unb burd) feine Ausgrabungen non 1893 fidter er^ 
wiefen hatte, in bebeutenben Steften, mit gewaltigen Siingmauern, ftarfen 
. ©hören, jahtreihen Bnnenbauten unb frönen Stüfcmauern non oorpgliher 
Sauweife, im ftrahlenben ©lanj ber Sommerfonne nor Aller Augen. Unb 
wenn es auch Shliemann gelungen war, eine einjigartige, hoch wichtige 
SRuinenftätte pm Stubium ber älteften ©efhihte ber 3Jlenfhheit aus bem 
Sd)utt ber 3 a h r h lIn berte erftehen ju taffen, fo gebührt bod) ©oerpfelb unb 
feinen fDtttarbeitern ber jRuljm, bie non Corner befungenen dauern unb 
©hätwe ber Surg bes ißriamoS wirtlich gefunben ju haben, ©enn ein 
fettfames ©efhicf hatte gewollt, baß Shliemann bei feinen früheren 
©rabungen bie ftatttid)en Sauwerte ber fechften Scßidjt nicht gefunben unb 
wo er auf fie geftoßen war, ihre Sebeutung nicht ertannt hatte, ©ie 
jweite, bisher für baS homerifhe ©roja gcltenbe Sd)i<ht mußte nun einer 
älteren präßiftorifhen 3eit jugefhrieben werben, einer ißeriobe, aus ber 
wir in ©uropa unb Stleinafien fonft feine fo anfebnlidjen Ruinen beftfcen. 

9!achbem ©oerpfetb fo bie Surg beS SßriamoS, uni bie nach bes 
©ichterS SorfteHung Achill ben tobten $eftor gefchleift unb bie für UJtämter 
wie £erobot unb ©IpfpbibeS nur ben Älang einet Sage gehabt, in Haren 
Umriffeu aus bem Sdjoß ber ©rbe hatte auferftehen taffen, braute er 
auch erwünfdjteS Sid)t in bie ©atirung ber »erfhiebenen Schoten auf 
■Öiffatlif, bie fih bort wie an feinem anberen Drt ber 2Belt bis ju einer 
£öl)e oon fünfjeßn ÜUctem aufgethürmt hatten, ©ie erfle Scheint hat er 
jmifhen 3000—2500 als uralte Anfiebetungen angefefct, bie jweite, als 
prähiftorifdie Surg ben Bahren 2500—2000 jugefhrieben. ©ie britte bis 
fünfte Sdpdjt erhielt ihre djronologifche Abgrenjung burd) bie Bahre 2000 
bis 1500. ©ann fommt bie feeßfte Schicht, als baS homerifhe ©roja 
»on 1500 — 1000. ©ie fiebente Schicht enthielt oorgriechifche Anfieblungen, 


JX> t tt| c Im Doerpfelfc. 


299 


bie ungefähr in bie $eriobe 1000—500 gefegt werben bürfen. SBäbrenb 
ber folgenben 500 Fahre erhob fid& auf bem $üget als acE»te ©cEjidjt eine 
Meine gried&ifdhe Stabt, non ber unS ber ©eograph Strabo berietet, unb 
bie fidler ben Stauten Flion führte. Unb fcfjtiefeLid^ beftanb in ben erften 
500 fahren unferer 3eitrecf)nung oben über all’ ben anberen Stuinen als 
neunte Sdhidfjt ein großer {»eiliger Sejirf ber itifchen Athena, fowie eine 
flattlidhe AfropoliS ber römifdjen Stabt ^ytion. 

®oerpfelb, ber feine trojanifcfje Campagne oon 1893 fcbon in einer 
befonberen Arbeit bargeflellt fiat, ift gegenwärtig mit ber Verausgabe eines 
großen, jufarnmenfajfenben unb reich iHuftrirten SßerfeS über £roja be» 
fdjjäftigt, baS im SBertag oon 33artf> unb oon Vitft in Sitten im Sommer 
1900 erfdheinen wirb. 

Auch für feine Ausgrabungen in £irpS, wo er ben ftoljen Stellen 
ber Veroenjett nacbforfcfite, liierte ftc^ Sdblientann SoerpfelbS, burdj feine 
großen Crfolge bewährte Sacfifenntniß. So bat er im Frühling 1884 bie 
bortigen ©rabungen mit Schiemann gemeinfam, im folgenben Fahre fie 
aber allein geleitet unb abgefchlojfen. ®r bat auf ber 33urg oon iirpnS 
in ber ArgoliS, wobin bie Sage bie ©eburt beS VeralleS oerlegt, ben 
©runbriß eines ÄönigSpalafteS entbecft unb oermeffen unb ju SdiliemannS 
SBerl „SEirpS, ber prähiftorifche $atdft ber Könige oon SärpnS", Sleipjig 
1886, ben größten unb widjtigften 5Ct>eil geliefert. SBafjrenb er hier im 
fünften Gapitet über bie 33urg unb ihre ^Ringmauer, ben ißalaft auf ber 
Dberburg, bie Stejle einer älteren Anfieblung, über ^Baumaterialien unb 
3Banbmalerei lieh ausläßt, siebt er im fedjfien Gapitel mit ber ibm eigenen 
ßlarbeit unb feffetnben ©arfleHungSart einen Ueberblicf über feine 
©rabungen oon 1885, in bereu Verlauf bie großen Sdhuttmaffen, bie bei 
ber Freilegung ber Dberburg auf bie Abgänge ber SBurgfjügel geworfen 
worben waren, entfernt unb bie UtnfaffungSmauer ber Dberburg oon allen 
Seiten freigelegt würbe. 

Seit bem Abfdfiluß ber ©rabungen in Olympia hat ©oerpfelb Athen, 
für baS er bie wärmfte Anhänglidhfeit liegt, fi<b jur jweiten Veiatat er? 
foren. Vier hat er auch ben feften SJlittelpunft feines ®afeinS in einem 
Fantilienglttd gefunben, baS ibm aus feiner SSerbinbung mit ber ^odfjter 
beS 2BirMid&en ©efieimen DberbauratßS ißrofeffor Fnebridh Abler in Berlin 
erblüht. 

®em neu gegrünbeten athenifdljen Fnftitut batten bie ©rabungen 
SdbliemannS in SEroja unb ber griecbifcl) ardbäologifdben ©efetlfdbaft am 
Sübabbange ber Afropolis, oor Adern aber biejenigen beS S5eutfdben 
SteidbeS in Dlpmpia injwifdben teidbe ©elegenbeit gegeben, ben Stätbfetn 
ber Äunftgefdbidbte nacbjugeben. Unb es war natürlich, baß eS ©oerpfetb 
bauernb an fidb ju feffetn fucbte, beffen Slame fchon bamals ju ben maß* 
gebenbften unb geadbtetften auf bem ©ebiet ber Ardfjäologie gehört. Sladb* 
bem er baher oon 1881—1885 als ardbiteftonifdber Hilfsarbeiter am 



300 


pan! «Elsner in 2X 1 e n. 


gnftitut thätig geroefen roar, trat er als jroeiter ©ecretär an bie ©eite 
oon Utlrid) Rödler, jenes befannten, um bie ©ammlung attifdjer $n* 
fünften fo bocl) oerbienten ©elehrten. 2llS biefer im gahre 1886 einem 
Stufe an bie ^Berliner Unioerfttät als ißrofeffor für alte ©efdjidjte golge 
teiftete, mürbe nach einer furjen Verwaltung beS ©ecretariats burch Gugen 
ißeterfen ©oerpfelb ju feinem Stacbfolger ernannt, roäbrenb an feine ©teile 
einer ber tüchtigften ber jüngeren 2lrdjäologen, ber burch feine roiffenfdbaft* 
litten Seiftungen fdjon bamalS glänjenb ^eruorgetretene fßrofeffor Dr. ißaul 
aBolterS trat. 

@3 ifl berounbernSroerth, melden Sluffd&roung ®oerpfelb bem Qnftttut 
ju geben roufjte, nadibem er beffen allgemeine Seitung unb äufjere Vet* 
tretung übernommen hatte, unb mie eS ihm möglich mar, bie complicirtc 
gefdjäftlidie Verwaltung mit feiner fich non 3af)r p gatjr oielfeitiger ge* 
ftaltenben 3^£)ätigfeit glüdlid) p oereinigen, gür feine roiffenfdjaftlicben 
Arbeiten bleiben ihm eigentlich nur roenige Sommermonate übrig, bie et 
in feinem freunblidjen SanbhauS in bem Villenort Äephifia am gujje beS 
ißentelifon p oerleben pflegt. 

3lm ©eburtstage SBintfeltnannS, in bem bie ardjäologifche SBiffenfdjaft 
ihren Vegrünber oerehrt, beginnen bie alle oierjeljn iCage itcfj roieberljoten* 
ben öffentlichen ©ifjungen beS 3nftituts, in benen mit unfehlbarer Siegel* 
mäjjigEeit Doerpfelb gereiften Vertretern ber SBiffenfcbaft aller Stationen bie 
Stefultate feiner gorfdjungen in geljaltootlen Vorträgen barlegt. 

Stur im oerfloffenen gahre haben bie ©ifcungen am 9. ®ecember nicht er* 
öffnet merben tonnen, ©eit Sängern fd£>on hatten bie burch Vermächtniffe 
bebeutenb angeroachfenen ©c^ä^e ber oon ißrofeffor SCBolterS oerroalteten 
ignftitutsbibliothef bringenb eine Grmeiterung ber VibliothefSräume erheifdht. 
Unb biefern Siauntmangel roirb nun gegenwärtig abgeholfen burch ben 2ln* 
bau eines großen ©aaleS an baS gnftitutSgebäube, baS oor ßurjent für 
bie ©untnte oon 200000 Start in ben Vefi| beS SDeutfdjen SteidjeS über* 
gegangen ifl 

Gs roirb baburch pgleich auch hwreichenber ißtaft für baS überaus 
jahtreiche Stubitorium bei ben öffentlichen ©ifcungen gewonnen, für baS ber 
bisherige Vibliothefsfaal fuh ebenfalls als burchauS unjureichenb er* 
roiefen holte. 

Sille acht £age fammelt ferner SDoerpfelb einen ftreiS oon Jüngern 
bes SllterthumS auf ben Stuinenfeloern felbft um fich, um fie bort angendhtS 
ber antifen SJtonumente in baS lichte Steidj ber hedenifdjen Vaufunft ein* 
pfüljren. Gr oerfteht bieS in fo meifterhafter SBeife, unb ber oon ihm 
auSgetjeube Ginbrud pflegt feine guhörer fo tnädjtig p umfangen, ba§ jene 
auf ben &öhen ber SlfropoliS mit iDoerpfelb oerlebten ©tunben in 201er 
©eelen unoerroifchbare ©puren prüdtaffen. 

3m grüljling aber, „roenn ber gfiffos raufdjt unb bie neuaufgrünenbe 
£ljalflur jroifchen ben Öetwalbem bunt mit 2lnemonen fich fcbmüdt". 


IDütjetm Doerpfelb. 


30 \ 

fotnint eine Sfasaßl norbifdjer ©afie, roifTenSburfiige fßßilologen uitb 
Slrdhäologen nach 2lthen, um bort aus bem ftets lebenbig fprubelnben 
Sorn begeifteraber 2lnfd)auuttg ju feböpfen. 2ludß iEjnen mirb SDoerpfelb ein 
Seßrer uttb Sßegroeifer burd) bie erhabenen diuinenftätten ber ®enfntäler= 
weit im fßeloponneS unb beit Unfein beS Slegäifcßen SlteereS bis nach 
£roja hin. 

Unb inbem er, ber SDteifter feiner 2Biffenfcßaft, ißnen bort eine ganj 
neue SEBett erfdßtießt unb ißre Seelen mit ber (Sröße unb «gtobeit ber griec^i = 
feben Sautoerfe erfüllt, toeiß er ben 2tufentßalt auf bem flaffifcßeit ©oben 
für fie ju einem wahrhaft fruchtbringenden ;u machen. 

(Sr ift auch ein überaus eifriger -Dtitarbeiter an ben non fßrofeffor 
SBolterS rebigirten „-Dlittheifungen", bem feit 1876 erfdjeinenben Organ 
beS QnjUtutS. 3n biefem oeröffentlicßte er fjauptfädfjltcf) bie (Srgebniffe 
feiner gorfdjungen auf bet 2lfropoliS, an bereit noch ungelöjien fRätßfeln 
er feine ungewöhnliche Äraft auf baS Erfolgreich fte erprobte. 

©o mar eS bem älrtfiiteften befdjieben, bie pßilologifcß gefaulten 
2lr<häologen jutn SBerflänbnii beS Bauplans beS Parthenon ßinjuleiten. 
Unb toenn feine Snfidjten auch juerft auf lebhaften Sßiberfprucß in biefen 
Greifen fließen, fo haben fie fcßtießlid) boeß gefiegt unb (ängft allgemeine 
3uftimmung gefunben. (Sr erfpäßte, roaS SUiemanb oot ihm gefeßen hatte. 
@r befämpfte bie bisher flets otaßgebenb getoefene Sinnahme, baß ber 
fßartßenon auf ben Krümmern beS oon ben f|Serfern 480—479 jerftörten 
alten ättßenatempels erbaut worben fei, unb burfte bie ©enugtßuung erleben, 
bei ben jtoifdjen fpartßenon unb ©reditßeion fpater oon ihm oorgenommenen 
3luSgtabungen wirtlich bie 9tefte biefeS alten Tempels ju finben. ©r fjat 
bie uralten fogenannteu pelaSgifcßen 2Kauent, bie auf ber 23urg jum 33or= 
feßein !amen, maßgebenb unterfudßt unb tuar ein fteter Seobadjter aü ber 
$8afeu unb ©culpturen, bie aus bem oon ben perftfeßen gerftörungen auf 
ber SttropoÜS angerießteten ©dßutt wiebergemonneu mürben. Qßm »erbantt 
bie 2HtetthumSroiffenfdjaft bie fReconflruirung beS urfprünglicßen fpiattS ber 
fßroppläen, beren norböftlußer Flügel banaeß nie oollenbet morben mar, unb 
ferner bie enbgiltige Sefeitigung ber irrthümlidhen 2lnf<bauungett über bie 
griedjifdjen SJtaße, an benen bie ©elehrtenroelt bis baßin ßartnädig feft* 
gehalten hatte. 

Doerpfetb hat aber auch jur Söfung oielumftrittener topograpßifdßer 
Äernfragen in einfcßneibenbfler Sßeife butdj ben Späten beigetragen, un* 
beirrt burdß bie fdßarfe Dppofttion ßeroorragenber ©eleßrten. ©eine 
bebeutfamen ©rabungett beim Ülreiopag jur topograpßifcßen gipirung beS 
alten ©tabtmartteS haben bureß bie feßr waßrfcßeinlidje Slufbedung ber 
berühmten Stoa 23aftliS ißren oorläufigen Stbfdßluß gefunben unb toerben 
oon ber gtiedßifdj ardjäologifchen ©efeUfcßaft fortgefefct unb beenbet toerben. 

©inen unerfdßjöpflichen Stoff jur Debatte aber liefern feine jur 
Söfung ber ©nneafrunoSfrage in ber ©infenfung jmifdjen SÖropoliS, 



302 


Paul €lsncr in 2lttyen. 


Slreiopng unb ©npp feit 1894 unternommenen ©rabungen. SBäßrenb eg 
big oor Äurjein für eins ber größten Dogmen ber atßeniften Topographie 
galt, baß bie Duelle, meiere bie ©eiüftratiben ju einem neunmünbigen 
©rannen auggeftalteten, baß all bie ©ebäube unb Heiligtümer, bie alg 
ißr benatbart ermähnt mürben, am gliffog lagen, bat Doerpfelb burt 
feine ©rabungen ben ©eroeig gebracht, baß ber Stabtbrunnen ganj an 
entgegengefeßter Stelle gelegen bat. ©ämlit in nätfter ©äße ber öurg 
unb beg alten ©tarfteg, roo iljn aut ©aufaniag gefeßen. (Sr bat bamit 
einen roaßren Sturm beg äBiberfprutS , ja ber (Sntrüftung beraub 
befdbmoren. Slber er meiß ben immer neuen, gegen ißn in’g gelb 
geführten 3lrguntenten mit ber ftarfen SBaffe feineg burdjbringenben 
©erftanbeg roirffam ju begegnen. Unb menn eg ißm gelungen ift, feine 
©egner aug einer ©ofition nacß ber anberen ju treiben, fo nerbanft er 
bieg oor Slllem ben (Srgebniffen feiner ©rabungen felbft, bie Doerpfelb alg 
ben fräftigjien Hebel }ur ©rftütterung ber fjerrfdjenben ännaßme an= 
feßen fonnte. 

SBäßrenb näntlid) bie oon ber grietift = artciologiften ©efellftaft im 
gaßre 1893 am gliffog unternommenen ©rabungen nur jroei baffinartige 
©intiefungen, 9tetiefg unb artiteftonifte gragmentc erbradjten, legte 
Doerpfelb ein Spftem oon Stollen unb Kammern $ur Sammlung oon 
SBaffer, an ßunbert Tiefbrunnen unb eine große, aug bem fetften gaßr-- 
ßunbert ftammenbe SBafferleitung frei, bie in ein umfangreidjeg ©affin 
enbet. groar ift bag baneben liegenbe ©runnenßaug im Saufe ber gaßr: 
ßunberte jerflört roorben, aber in ben ©auten, bie fit an feiner Stelle 
erhoben,, fanben fit Steine beg alten ©runnenßaufeg oerbaut. Dag 
■Material biefer Steine ift ©orog unb ber barte gelbe ßalfftein oom 
Dorfe Äara am ^tjmettoä. Unb biefer leßtere ift bag (ßarafteriftifche 
“Material für bie unteren Tßeile ber ©auten aug ber Tprannenjeit. Die 
©roßartigfeit ber gan;en Anlage, bie ju ben Hingaben beg Tßufpbibeg 
unb ©aufaniag paffenbe Sage unb bemerfengroertbe cE>ronologifc^e Hlnjeiten 
beftätigen auf bag Ueberjeugenbfte, baß Doerpfelb in ber Tßat ben berühmten 
neunmünbigen Stabtbrannen an biefer Stelle natgeroiefen hat. Der 
©olemif, bie fit über biefe ßotiutereffante grage entfponnen hat, wirb 
jebenfaUg neuer Stoff jugefüßrt roerben burt eine jufammenfaffenbe 
Slrbeit, bie Doerpfelb nadf bem ©rfdjeinen feineg Trojaroerfg übet biefen 
©egenftanb ju fcßreiben gebenft. 

©on uicßt minber tiefgeßenber SBirfung erroieg fit fein im gaßre 
1896 bei ©artß unb oon &irft erfticneneg grunblegenbeg SBerf: „Dag 
grietifte Theater, ©eitrag jur ©eftitte beg Dionpfog-Theaterg in Sltßen 
unb anberer grietifte« Theater" oon SB. Doerpfelb unb ©. Steift, bag 
für bie Grfenntniß beg grietifte« Tßeaterg oon unftäßbarem SBertß ift. 

Dag Dponpfogtßeater in 2Itßen, biefer berühmtefle aller Äunfttempel, 
ift barin ber Slugganggpunft für eine ganj neue Srfenntniß oon ber 


IDilfyelm Doerpfelb. 


503 


®arflellungSart bet antifen Dramen geroorben. ®ie bort in früheren 
3to|rcn oeranftalteten 3luSgrabungen batten roobl ein Silb oon ber Drcheftra 
unb bem 3 u f<$auerraum ermöglicht, bie Hauptfrage nach ber ©eftalt beS 
SfenengebäubeS aber offen gelaffen. ®iefe roefentliChe £ücfe ift nun burd» 
baS SBerf oon ©oerpfelb nnb Steift oortrefflidh ausgefüllt roorben. 

3n golge einer mihoerflanbenen Slngabe beS römifchen 3lrc£)iteften 
Sßitruu batte fiel) bisher eine fälfdjliche Sorftellung oom gried)ifd)en SC^cater 
gebübet unb bauernb erhalten. ®oerpfelb bat nun ben 9iad;roeis geliefert, 
bah baS antife ®rama ben SChaufpieler neben ben Ghor in bie Crdieftra 
fteHte unb bah eine erhöhte Sühne für bie £ragöbie unb ßontöbie ber 
gtietbifchen 3 e *t noch nicht epiftiit habe. Grft in römifdjet 3eit ftnb bie 
erhöhten Sühnen erbaut roorben, auf benen man ii<b früher baS Spiel ber 
SChaufpieler backte unb bie aus römifeben Theatern Italiens unb aitberer 
Sänber befamit ftnb. 25oerpfelb roieS oor 3111cm barauf hin, bah feines 
ber aufgebeeften oorrömifdjen Theater eine Sühne enthält, unb bah eine 
foldhe bei bem auffteigenben 3»f<b«uertaum für baS antife Später ooll« 
fommen überftüffig fei. $enn baS gemeinfame Spiet oon Gljor unb 
©djaufpieter auf bem Slafc ber Drcheftra mit bem Sfenengebäube als 
.Jeintergrunb fei oon gröberer SoHfommenbeit als baS Sühnenfpiel ge« 
roefen. 

gür biefe üftadjroeife ftüfct fich 'Doerpfelb auf baS athenifdje Theater 
SgfurgS, baS aus einer $eit flammt, als nodh bie Dramen beS fünften 
QahrhunbertS in ber alten Spielroeife jur Sluffübrung gebracht rourben. 
<St l;at aber au<h roährenb bet $ahre 1882 — 1895 elf anberc Dheater« 
refte auf biefe grage hin roieber unb roieber unterfudjt unb fo bem Suche 
allein burdj baS barin gebotene SRaterial bleibenben SBertb gefiebert. $a, 
bie Saugefdfidjte unb Saubefchreibung biefer Theater, bie ihren ©lanj« 
punft erreicht in ber -Reconftruction ber gfront beS betfemftifchen Theaters, 
unb ber 3lbfchnitt, ber bie Ableitung beS römifdien DbeaterS aus bem 
grieehifeben behanbelt, ftempeln es ju einem gerabeju monumentalen SBerf. 

Doerpfelb fefcte aber feine Straft nicht allein an bie oon ihm perfönlidj 
unternommenen ©rabungen. 3bnt, ber gerabeju unentbehrlich, roo auch immer 
ber Spaten alte Slrdjitefturrefte aufbedt, finb alle in ben lebten 3abr* 
jehnten unternommenen 3luSgrabungen für ihre ftetige görberung burdj ihn 
oerpflichtet unb alle mit feinem Flamen oerfnüpft. Slls ber Qnfpector ber 
Sllterthfimer, $err IßbtlioS, int Aufträge ber grie<hif<h«archäologifChen ©efeH« 
fchaft eine ber berühmteften Gultftätten bet alten SBelt, ben Tempel ber 
Demeter Store in GleufiS, ausgrub, fonnte er bei ber 3lufnabme beS 
StanS oom alten SBeibetempet, auf bem je|t fo lichtooll jebe Sauperiobe 
heroortritt, feinen berufeneren S3eirath finben als Doerpfelb, bein mir bie 
ooDenbeten ißläne beS Tempels auf £ap Sunion in 3lttifa, beS alten 
borifchen Tempels am $uf?e oon Slfroforintb unb beS Tempels in Degea 
oerbanfen. 



paul <£lsrter in 21 1 c ti. 


30^ 

Audfj als ber ©eneralinfpector ber griedhifdljen Altertümer, $err 
StawabiaS feine grobe Ausgrabung beS Asflepieion in ©pibauroS untere 
nafjm, fieberte er fidj bie £ilfe SDoerpfetbS für bie Unterfudjung unb 2titS= 
grabung ber Sauwetfe unb namentlich beS roertfwollen S^aterS. 

An bie ®oerpfelb eigene Sicherheit in ©ntbecfung beS wahren &emS 
eines jeben Sauwerfs wanbte ficb bie atncrtfanifcbe ©dbule bei ihren Aus- 
grabungen in ©retria auf ber Qnfel ©uboea unb bei bent großen Unter» 
nehmen ber Aufbecfung ton Korinth. 

3n S'Iiera, wo Freiherr filier ton ©aert ringen ©rabungen unter» 
nommen bat, hoff et famerabfdbaftlidh bem Seiter ber ©rabungen, bie ©e» 
heimniffe ber bort gefunbenen jtuincn aufjuflären. 

©elbft ben ton ber franjöfifdjen ©dbule feit fahren betriebenen er» 
gebnifjreidben ©rabungen in SDelpbi ift fein 5tatb gelegentlich jugut ge» 
fomnten. 

3n feiner felbfttofen Siebe jur SBiffenfcbaft folgte ©oerpfelb bereit» 
willig bem Stufe Start £umannS, beS groben ©ntbecferS beS pergamenifdjen 
Altars, um ihm bei feinen Ausgrabungen in fßergamon, in dralles unb 
in Atagnefia am ÜJlöanber beijufteben, unb audh Dbnefatf<bs9ticbter nahm 
bei feinen auf Gppern unternommenen ©rabungen ®oerpfelb$ an Drt unb 
©teile ertbeilte 9tatbidbläge gerne an. 

^m 3abre 1896 batte er ber ©intabung mehrerer amerifanifdber 
Unioerfitäten ju Sorlefungen in beutfdher ©pradhe über terfdbiebene ©e» 
biete ber AltertbumSwiffenfdhaft golge geleifiet. ©r bat in 9tew»2)orf, 
3tbafa, 9tew $auen, ©ambribge, fßrinceton, ©bicago, iPb^abelphia unb 
Baltimore fowie an ben fpecieU bem gtauenftubium befUmmten Uni» 
terfitäten ifJougfeepfie unb Srpnn 3Racor über bie Ausgrabungen in fEtoja, 
Dlipnpia, £irps unb Atpfenä, über baS grie<f»ifd^e Sweater unb ben 
griecbifcben £entpelbau gefprodben. 3m 3«bre 1898 unternahm er ferner 
eine ©tubienreife nach Aegppten, beren wertbtolle ©rgebniffe er in Sor» 
trägen über bie ägtjptifdben Sauroerfe unb bie Sauweife ber fßpramiben 
barlegte. 

Sei foldben umfaffenben 3ie(en feiner gorfdhung fanb ©oerpfetb no<h 
3eit, für bie beutfdhe ©olonie in Athen mit mehreren gtomtben eine 
beutfcbe ©dhule ju grüitben unb ein eigenes ftattlicbeS ©dhulgebäube auf» 
jufitbren, nacbbem er bie baju nötigen Selber burdh Sammlungen auf» 
gebracht batte. 

Siete Archäologen unb Arcfjiteften folgen ben SBegen biefeS immer 
ftreitfertigen, im ®ienft ber SBabrbeit rafttoS forfdhenben Kämpfers, ber 
fiegreicb ton ©djladtjt ju ©dblacht eilt, bei feinem ftetS auf baS ©rojje 
unb Allgemeine gerichteten ©inn aber nie bie ©adhe, ber er Opposition 
madht, mit ber Scrfon tennedhfelt. Sßenn audh fein Sehen überreich 
an 9Jtübe unb Arbeit, Stampf unb ©treit gewefen ift, fo bat eS ihm 


EDiitjclm Doerpfelb. 305 

außer bem innerlichen Soßn hoch auch eine güHe äußerer Anerfennungen 
gebraut. 

$)en fdjon feit Saugern burdfj ben Sßrofeffortitet auSgeseiäjneten f^orfefjer 
haben nier Unioerfitäten, barunter bie ehrroürbige ^ocfifdfjute non Drforb, ju 
ihrem ©hrenboctor ernannt. 

@o fteht ®oerpfelb in ber Slütfje eines reichen munbernollen SebenS, 
unb hell erglänjt in ber ©efeßiehte ber Altert humsfunbe bie ©eftalt biefeS 
auSgejeidfjneten 3Jtanne3, beffen Sühütigfeit für bie arcEjäoiogtfcfje Sßelt ooU 
mahrhaft großartiger Anregungen ift, unb bem ein ©hrenplafc unter ihren 
baljnbredjenben unb pfabroeifenben ©elftem gebührt. 




fjdnrtcfy von fUctft unb bie Jrau*). 

Don 

Helene Efmpd. 

— Breslau. — 


3 ifl eine alte Sache, bafi man non manchem ÜJtann gar ju gern 
roiffen möchte, meid) eine grau er lieben fömtte, — noch baju, 
menn ber iOiann ein Siebter ift. ®enn anberS als ber ge« 
roöbuliche Sterbiidie liebt ber ©idjter, unb feine Siebe lebt in feinem SEßerfe. 
Unb mie nerbält fiel) ber ®id)termenf<b bem ©egenftanbe feiner Siebe gegen« 
über, mie ber ®i<bterfcböpfet 5 U feinem ©efdgöpf? SEBie weit geben bi« 
bie Schiebungen jufammen, mie roeit unb marum geben fte au<b aus* 
cinanber? Unb ma§ ift für baS Sleibenbe, baS SBerf, mafjgebenber — 
ber ©idjtermenfcb ober nicht nielmebr ber ©idjterfdiöpfer, aus beffen 
ißbantafie jartefte, fdiillcrnbfte gäben binüberroeben ju bem ©ebilbe, um 
beffen ©eftaltung feine Seele ringt? 

Sei Sefftng auch Igier fein SDunfel, fein groeifet: mie fein Serbättnifs 
ju ©ua ßönig mehr baS eines hoben fittlicben ©barafterS als baS einet 
liebeberaufdbten ®id)terfeele mar, fo finb bie grauengeftalten feiner ©idjtung 
mehr ber 2luSbrucf conftructioen SBoHenS als glübenben Schaffens« 
brangeS, unb mie feine ©ntilia feine Ophelia, fo ift feine SDtinna fein 
©reichen. 

©anj anberS bei ©oetfje: in biefeS ©ötterjünglingS Seele täfet bie £ocb* 
flutb ber Siebe alle bürgerlichen Sorau3fe|ungen, ©onfequenjen unb Ser* 


*) aScrfll. „9torb unb Siib", Jpeft 231: „.'öeiitrid) ton Steift unb bie ittomantif*, 
unb „Sftorb unb ©üb", .f'cft 261 : „veinrief) oon Steift unb bie beiben bon Sugen JBoIff 
ifjm äugefcljriebcnen 3»flenbluftipicte" Don berfelben SSerfafferin. 




Fjetnrid; von Kleijl unb bie frau. 


307 


pflidjtungen weit hinter mb; nie fdbweigt ber fategorißbe gmperati» feiner 
Äunftbeftimmung, ber in bent mtjftifd^en Sunfelgrunbe biefer Seele 
ruht, unb bem ^eren Verlangen geijor^enb, fpracb er: SBeib, was 
fjab’ i<b mit Sir ju fiiaffen? — legte feine ßanb an ben fßftug unb — 
blidtte nt<f)t jurücf. Sie SBerlaffenen noch muffen es iljm banfen: enthoben 
allen peinlichen ©rbenrefteS bat er fte, bie er geliebt, umgeartet bat er fie 
ju feligem ©efdjicf. SaS vergängliche unb unjulänglicbe ©leidjniß beS 
grauenlebenS, eS mar jutn unfterblidben ftunftereigniß geworben. 

SefftngS ©inbeit liegt in feinem ©barafter, bie ©oetbeS in feinem 
ißoetentbum; baS jeigt am beutlidjften U>r Sßerbältnife jur grau. 

2Bie aber, wenn ein ©barafter non Seffing’fcbet ©tärfe, ein SBerftanb 
non Sefftng’fc&er Schärfe jufammentrifft mit einer Sicbterbegabung, in ihrer 
Slrt grob mie bie eines ©oetbe? 

gn Heinrich non Meift ift 33eibeS aufeinanbergetroffen, unb hier liegt 
baS Stätbfel feiner problematifdien Slatur. 

Unb beS fßroblemeS fiöfung? 23enn itgenbroo, in ber größten S3e= 
jiebung, bie Äleift im Seben unb Siebten gewinnen fonnte, in ber 33e= 
jiebung jum SBeibe muß fie liegen. 

gn feiner Seoana nerficbert gean ißaul „bie Bräute, no<b geroiffer 
bie Bräutigame, baß fte nur »on liebenben ©Item liebenbe ßinber et= 
beiratben fönnen, unb baß befonberS ein baffenber [ober liebenber Bater 
Knbli^eS Raffen ober Sieben fortpftanje." ga, unb jwar für bie Sodbter 
ber Bater, bie SWutter für ben Sohn! 

2Bie vielmehr bie Sichtermutter, bie ben ©lanj ber eigenen Seele 
roeitergiebt an ben Sof)n! 

@o wirb man, wenn es ft<h um bie befonbere Begebung StleiftS jut 
grau banbeit, aus boppeltem ©runbe mit ber Biutter beginnen muffen. 

„Sie ganje ©mpfinbung meiner SDtutter fam über mich," — es ift 
baS einjige SBort, baS wir »on bem Sinter übet feine SRutter be= 
ft|en*). 

2lber bie baße BorfleHung »om SEßeibe, bie Äleift troß feiner berrifeben 
Statur innewobnte, baS berrlidbe SBilb einer SJlutter, baS er feiner ©dfiwefier 
Utrife, unb bann fo »iel leibenfcbaftlicber, fo »iel empfunbener noch ber 
Braut jeidßnet, foHten fie nicht, bewußt ober unbewußt, bem BUbe ber 
eigenen SKutter entfprungen fein? Unb jenes 2Bort! ©S iji baS berrlidbfte 
eines SobneS »on einer 3)lutter. „Sie ganje ©mpfinbung meiner SJtutter 
fam über müh unb machte mich wieber gut." Unb [fo reicht ber Seibern 
febaftlübe bem greunbe bie $anb jur Berföbnung. 

2lbet ©mpfinbung, ©efiibl ift mehr noch als $erjenSgüte, mehr als 
bie Siebe »on greunb ju grennb unb bie Siebe jum SBeibe. ©mpfinbung 
ifl bie firaft jur Siebe überhaupt: alles fjöcbfte, ^immlifheS wie grbifcheS, 


*) Sin 3tü&te »on Mienftern, ®reSben 1806. (SBüIoto 244.) 
»ort mb ©Ab. XCIL 276. 


21 



308 


tfelene §impel in Breslau. 


liegt in i(jr befditoffen: ber £dbenapoftel, bet ganfenift unb bet fram 
göfifd^e ©änger teilen fid) t)iet bie &anb*). 

©d>on im elften galjre mutbe ßleift, roahrfcheinlicb infolge »on feines 
Vaters ©obe, »on ber ÜJlutter getrennt, unb als er, rooljl mit 2uS- 
nahmen, fern »on il)r jurn fedjSjebnjährigen Jüngling ^erangeroaebfen 
mar, als eS fid) um feinen ©intritt in’S Sehen, um bie erften jungen ®e= 
jiet)ungen jum 2.1'eibe hanbelte, als er ber ÜButter nod) einmal beburft, er 
fie nod) einmal gefudft hätte, roie ba er ein Äinb mar, — ftarb guliane 
Ulrigue »on Stletft, geb. »on Vannroib, bie beS DberftroadfitmeifierS goadhim 
griebridh »on Jtfeift jroeite ©attin geroefen unb beS ©idjterS ÜButter ge* 
roorben mar. 

Verborgenen Vfaben nadfjjugehen, menn es fid) um Verlorenes banbeit, 
ift bitter unb fdjmer jooH, unb bodj, eS muff gefagt merben: anberS, roeniger 
unglüdlid) moljt hätte fid) bieS ungtüdftidhfie aller ©idbterleben unter bem 
©inftufj ber ÜButter geftattet. ©ie grau mit bem grojjen ©efüblSreidjthum, 
bie ©ante »on ÜBelt, fo barf man annefjmen, hätte ben Vejiebungen ÄleijiS 
jum SBeibe eine »emunftgemäfsere unb gliidbringenbere Stiftung gegeben, 
unb biefent järtlidjen üButterljerjen märe oieHeid£)t geglüdt, maS fonft (einem: 
ben gludh beS üBafjlofen, ber ftleift — nicht nur mit Vejug auf bie 
grauen — befaftete**), »on beS Sohnes $erjen ju nehmen, unb bie 
©idbterfrone märe ihm oieüeidjt nidht in ÜBabrbeit jur ©omenfrone ge* 
rnorben. 

©o<h eine ©dfjroefter hotte bie ÜButter bem ©ohne erjogen, bie fie 
jroar nicht ju erfefcen »ermochte, bie aber boch Äteift im Sehen nähet P 
ftehen beftimmt mar, als irgenb roer. ©aS mar Utrife, goadhim griebridb? 
©odfjter aus erfter ©he, brei gabre älter als Äleift. ©eine ÜButter hotte 
bie erften ©dritte beS StinbeS geleitet, unb mit inniger greube mag fie ei 
erfüllt hoben, mie fie baS ÜBäbchen heranroachfen fab: eigenthümlich itt 
ihrer ^Reinheit unb ©erabheit, nie ben edbten ülnftanb »erlefcenb unb boeb 
frei unb »orurtheilSloS, faum geneigt, ihr ©dfjiclfal an baS eines ©atten }u 
binben — eine ©manripirte ber »ornehmften 2trt am Anfang beS neuit= 
jefmten gahrhunberts. 

©<hon im ßinberfleibchen hatte Heinrich feine ©tieffdjtoefier Ulrife mehr 
geliebt als bie ganje übrige ©efdjmifterfdhaar; fo mürbe Ulrife bem Ver= 


*) ©te (Srfte ©piftel <St. Vauti an bie Sorintljet Xm. 1. 

Pascal, Pensees. „Les plus grandes pensees viennent du ooeur.“ 
Müsset, A la Malibran. Stancos. 

„Ce quo 1’homine ici-bas appelle le genie, 

C'est le besoin d’aimer; hors de lä tout est vain; 

Et puisque tot ou tard l’amour humain s’oublie, 

II est d'une grande ame et d’un heureux destin 
D’expirer com me toi pour un amour divin. 

**) $gL steift, ^ent^cftlca, 720. rf SSerfIud^t ba» §erä, ba» ftdft nidjt tnäfe’gen Fanit/ 


fjetnricf; non Kletjt unb bie ^rau. 


309 


fdjloffenen, geurigen bie ftüfcenbe grewtbin für’S Seben werben — mit bem 
ahnungS»olI*angft»olIen ©lid bei Mütter, bie fidf» »on ihren Kinbem weg 
jum Sterben roenben, mag ^Juliane Uirique io gehofft unb fo gebetet hoben. 

„©tüberdjen unb SChroeflerChen," in ©otb gefafet ruhen bie ©rimtn’» 
fd»en HKärchenfinber in unferem ©ebäChtniß; „Srüberdjen unb SChroefterdjen", 
Kleift unb Ultife — er, gehegt unb gepflegt »on ihr, wie baS ©rüberd>en 
im 9Jtfir<hen. Sebten aber nidht gliidfelig jufatnmen bis an ihr @nbe, benn 
im Seben geht’S anberS. Unb bod) — ein 9Jtärd)en ber ©orjeit fCheint’S, 
roaS ftdj ba oor nnS aufthut in ben ©riefen beS ©ruberS an bie Sdjroefter: 
fo titanenhaftes Gingen mit fidf, ber SEBelt, unb fo füfjer Kinberglanbe 
an eine Siebe, bie treu ift roie ber £ob — baS 3Jlärd)en »on ber Seele, 
bie tiefer roar als aKe Seelen ringsumher, fo baff bie liebenbfle Sd)t»eftern= 
feele felbft auf bie SEiefe biefeS ©runbeS nid)t ju bringen »ermo<hte. 

®ie bebeutungSooDen ©riefe*) beginnen mit bem 25. gebruar 1795, 
anberthalb gaf)te etroa nach bem SEobe ber 2Jtuttter; fte enben mit bem 
3Worgen »on KleiftS fCobeStage, am 21. 9io»ember 1811. 

Somit umf affen fte beinahe 17 gaffte: frohen 3JtutEjeS beginnt ber 
aidjtsebnjährige/ unb langfant legt ber ©ierunbbreifjigjährige bie gebet nieber. 
11 a dit. 

Siebenunbfünfjig ©tiefe finb eS: »on ungleicher Sänge, »erfafjt in 
ungleichen 3 ro iW cnr äumen unb mit brei Süden. 

®ie tängften ©riefe, in benen begeijlerte SREjetorif bie gebet treibt, 
liegen mehr am 2tnfang; im 2tHgemeinen fChreibt steift länger, roenn eS ihm 
»ergönnt ift, Utrife mit frohen ®ingen unterhalten ju fönnen, unb umgefehrt, 
einer ber fürjeften ©riefe ift ber le|te. 

SCuCh bie ©aufen jroifChen ben einjelnen ©riefen finb längere unb 
fördere: bem erften folgt nad) 4 3 A fahren ber jroeite; am reiChften ift baS 
gahr 1807 mit 7 ©riefen, ©ei einigen fehlen Saturn unb Ortsangabe. 
3roifd>en bem 5S|ten (23. 9lo». 1809) unb bem lefcten (21. 5Ro». 1811) 
finb nur brei ©riefe »orhanben, ber brittlefcte muff an »ortefcter Stelle ge» 
baCht roetben**), fobafj jroifchen ihm unb bem 2tbfd)iebsbriefe baS lebte 
Sßieberfehen mit Utrife, ber ©rud), liegt. 

Obgleich nun biefe ©riefe KleiflS über faft alle roiditigen ©orgänge 
feines SebenS (»on 1799 an) orientiren, fo finb bodj brei fChroerroiegenbe 
Süden »orhanben, »on benen bie längfte jroifchen bem ©riefe, batirt 
®ecember 1804, unb bem fotgenben, aus Königsberg, im fjerbft 1806***), 
liegt. ®iefeS lange, beinahe jroei gahte roährenbe SChroeigen Kleifts er» 


*) §einridß »on Steift Söriefe an feine Scfjmefter Utrite. JperauSgegeben »on 
Dr. 31. Soberftein. Berlin. Bertag »on K. tp. Sdjrotber. Hermann Saifer. Unter ben 
£inben 23. 1860. 

**) 3 . iöraljm, ^einricf) »on Steift, 33ertin. Slltgeraeiner Berein für 3>eutfdie 
Sitteratur. 1885. 3 . 379. 

***) 3. Soberftein, 3. 108. 

21 * 



3*0 


geleite §impel in Breslau. 


Hart ßdj aus bem tooE)[ SJtonate baueruben Aufenthalt UlrifeuS in ÄontgS- 
Berg*) unb aus bcr ferneren Verftimmung, rneicße bie aisbann bureß Ulrife 
herbeigefüßrte Trennung BetierrfdEite. AIS nad) biefer 9H<ßtung hin auf- 
Härenb bürfte fotgenbe (Stelle beS 43. SBriefeS (£>reSben, ben 25. Dctober 
1807) mitten: „3« bem 3Raße, als ber ©rfolg jefet meine Stritte recht* 
fertigt**), geht mir ein großer Stoff ju einer bie Vergangenheit erfiätenben 
©orrefponbenj auf, mit ber id) ®ir noch oerfcßulbet bin." 

Vor biefer 2ü<fe liegen jroei anbere: es fehlen aus einem äußeren 
©runbe Vericßte non ber erften 9ßarifer SReife, auf mdeßer bie Sdjroeftev 
ben Vruber begleitete unb ebenfo naturgemäß, aber aus einem inneren 
©runbe, Vericßte unmittelbar uon ber SBürjburger Steife: ber jung 
Verlobte ridjtet biefe Vriefe fämmtlicß an bie Vraut, roie auch Vriefe an bie 
Vraut bie erftgenannte Sücfe füllen. Unb als es aus ift mit ber Vraut; 
feßaft, ba feßen bie Vriefe an bie S<hroefter mieber ein. 

,,Ci-git mon coeur, “ baS 2Bort fönnte über ben Vriefen ÄleiftS an 
Ulrife ftefjen ; benn nirgenbs offenbart fuß biefeS £erj fo in feiner ganjen 
©röße mie hier. 

Scßon ber erfte Vrief (S. 4) entßält trofc aller ffreube auf baS ißm 
beoorfteßenbe Auancement jum Dfßjter, troß aller ißebanterie ben inßaltS; 
ferneren AuSfprudi: ,,©ebe uns ber Fimmel nur ^rieben, um bie 3«t/ bie 
mir ßier fo unmoralifdß tobten, mit menfcßenfreunblicßeren Saaten bejahten 
ju fönnen!" 

„©in freier, benfenber Stenfcß bleibt ba nießt fteßen, mo ber Zufall 
ißn ßinftößt" (S. 17), fo ßat fieß alfo ber große Äampf in ÄleiftS Serie 
entjünbet***), unb bie Scßroefter ift bie eine Serie, bie ißn oerfteßt. ÜJtag 
fte biefeS Vebürfniß naeß AuSfpracße immerhin eine Scßroäcße uon ißm 
nennen, aber große ©ntroürfe mit ferneren Aufopferungen auSjufüßren, 
oßne barauf Anfprucß ju machen, menigftenS uon einer Seele oerßanben 
ju roerben, ift eine £ugcnb, bie mir inoßl berounbem, aber ni<ßt oerlangen 
bürfen. 2Ber roeiß, ob SofrateS ober ©ßriftuS getßan ßaben mürben, roaS 
ße getßan, menn fie im Voraus gemußt hätten, baß feiner in ißrem Volfei*) 
ben Sinn ißreS £obeS uerfießen mürbe. 

2lucß ißn oerfteßen bie SRenfcßen nießt ; tote foHten ße? Seine 3iele 
ßnb nicht bie ißren. 

Aber Ulrife läcßett ißm Veifall, fie glaubt felbft na<ß ben be* 
recßtigtßen 3 ,u rifrin immer mieber an ißn, mie bie großartige ©nt* 
midlung feiner Serie in immer neuen oulfanifcßen Stößen oor ßdß geßt. 


*) ©crgl. ©rafjrn. ®. 135. 

**) ©eigl. 53 rief 44. „2BaS toare bod) loofjl in Königsberg auS mir geworben?“ 

***) Sou fjier ab ift ht bcr Tarftedmifl nndi 2ftöglid)feit ber Xejt ber ©riefe benü$t 
wenn aueö feiten unmittelbar unb baber oljne AnfitbrungSjeidjen. 
t) flleift fdjreibt: „unter ihren ©ölfern." (Soberftein ®. 7.) 



fjeittrid} oon Kleift nnb bie ,-fsan. 3H 

•wie er bet geuerfäule folgt, bie oor iEjm hinjieljt, ju immer neuen un- 
befangen 3ielen. 

«Sie fief)t itjn eine Staut gewinnen unb ba« ScEiolarenfleib abftreifen, 
ben SBanberftab nehmen unb gebeimnifwotl einem geheimnifjoollen ©ute 
nadE»gef)en r baä er in Söürjburg gefunben }u f)aben glaubt. 2luf bah er 
einen neuen Schafc Ejebe, begleitet fte ihn tcadj Sßati«; fie fiet)t ifjn in bie 
Gchweij jiehen, wo et ein Sauer werben will, unb um biefe« unb eine« 
noch laberen gieleö willen bie gewonnene Staut wieber oon fi<h weifen. 

Unb fte erlebt e«, bah Stleift ft<h felbft gefunben, unb bah er ein 
Siebter ift. 

3ft et wirflid) ein dichter, ein folc^er, ber ju fo oielen Strängen noch 
einen auf feine Familie herabringt, bamit ihrem Slawen ein Sl«& in ben 
Sternen nicht fehle? 

O, über bie Schwanfungen ber Stünftlerfeele! 

®er Anfang feine« ©ui«carb erregt bie Sewunberung aller SJtenfdjen, 
benen er baä ©ebidjt mittheüt. ID, 3efu«! bah er e« bo<b ootlenben fönnte! 
liefen einjigen Sßunfd) fotl ihm ber Fimmel erfüllen, unb bann mag er 
tbun, roa« er will. — 2lbet nad) einem ^albtaufenb hinter einanber folgenber 
SCage, bie Städjte ber meiften mit eingerechnet, ruft ihm bie heilige Schuß* 
göttin feiner Familie ju, bah e« genug fei; bie SSJufe fi'iht ihm gerührt 
ben Sch weih oon ber Stirn, unb er tritt oor 6inem jurücf, ber noch nicht 
ba ijt, unb beugt fi<h ein ^aljrtaufenb im Sorau« oor feinem ©eifte. ®enn 
ihm gab bie &8He feine h^en Talente, unb ber Fimmel, ber bem 
ajtenfcfjen ein gange« ober gar feine« fchenft, oerfagt ihm ben Sluhm, ba« 
gröhte oon ben ©ütem ber @rbe. Unb Stleift oerwirft feinen ©ui«carb, 
unb er oerbrennt ihn. 

®er Fimmel oerfagt ihm nicht ba« größte unter ben ©ütem ber ©rbe: 
ein torbeerbefränjter Sieger fteht er bann hoch oor Ultife, ein Sieger 
baju, ber nur in bie eigne Sruft ju greifen braucht, um fein Stecht einer 
2Belt gegenüber ju behaupten. — 

Ulrife ift bie Seele, in bie ber ringenbe Stleift bie feinige giefjt; bie 
grohe Helferin ift fte ihm in bem anberen Stampf, ber biefen ibealen be* 
gleitet oon Slnfang an, ber ihn oerfolgt wie ein unenblidj quälenber, oer* 
hängnihooHer Schatten: ber Stampf mit ber gemeinen Stoth be« Seben«. 
Sticht ©ott fonnte Stleift bienen unb bem SJtammon. £>en fdiafft Ulrife; 
bie forgt für be« Seben« Stafjrung unb Stothburft. 

3ft e« boch, al« ob bie geftriefte SBefte, roeldje bie Sd)wefter bem 
Siebzehnjährigen in bie SBintercampagne nachgefd)idt fyat, oorbilblich wäre 
für ihr gange« fernere« materielle« £hun bem Sruber gegenüber: Ulrife 
ift e«, bie ihn forttaufenb mit Strümpfen, &emben unb Ghemifette« oer* 
forgt, bie fte noch bagu mit eigenen lieben £änben oerfertigt hat. 

Unb wie Stleift um feine« höheren 3^3 willen entfehtoffen ift, fein 
Sermögen baran ju geben, wie er e« barangiebt, Stiicf für Stücf, 



3*2 


geleite Simpel in Breslau. 


ba tritt gleichseitig bie Schweflet mit bern ihren in bie ©dfjranfen, oor* 
ftrecfenb halb unb halb gebenb unb immer roieber gebenb: fie beforgt 
bem 33ruber ©elb ju ber ©ürsburger greife, fie beftreitet jum bei ©eitern 
größten ©ßeil bie Soften ber erjten ißarifer 9?eife, fie feßieft ihm eine große 
Summe ©elbeS nach ©h uw , bamit er ft<b in ber ©djroeij anfaufen fönne, 
unb fie giebt unb giebt weiter unb weiter. Studj fonft forgt fie auf jebe 
SGBeife : fie eilt nach Sern, um ben ferner ©rfranften gefunb ju Pflegen 
unb ißn bann nach ©eutfcßlanb juriief jufütjren ; fie bringt unb bringt in 
Steift, bie unbantbare SDtufe su uerlaffen unb ein 3tmt ansuneßmen; fie 
fucht bem 33 ruber bur<h ihre ©egenwart bie Ehrung eine« folgen su 
erleichtern, unb wenn er an feinem ©eßhäftStifcij über ben Sitten einer oer* 
wiefetten Streitfache fitst ober über einet algebraifdjen Aufgabe, unb er 
rebet mit Ulrife baoon, welche hinter ihm arbeitet, erfährt er, waS er burdj 
ftunbenlanges Srüten nicht herausgebracht haben würbe*). Ulrife oer= 
bautt Steift s u fo riet Slnberetn auch bie Befreiung aus ber fransöfifeßen 
SriegSgefangenfchaft**), unb bann giebt fte wieber ©elb her, befonbers 
SUtn „qJhöbuS". 

Unb als fie bas breißigfte ^aßr weit Übertritten hot, ba muß fte, 
bie Vornehme, Unabhängige, mit banger Sorge an bie eigene 3 u hmft 
beuten. Quälenb liegt fchon lange ber ©ebanfe auf Steifts Seele: ohne ihn 
würbe Ulrife unabhängig fein, unb fo muß fie es auch wieber bur<h ihn 
werben. 

freilich hat ft<h Sleift bis jeßt nach btefer Züchtung hin nur fparfant 
geäußert: taut eS ihm boch su, su glauben, baß Ulrife fotdje ©efühte bei 
ißtn oorauSfelte, unb was nüßt baS Sieben, wenn man bem Uebel nicht 
abhelfen fanntf 

®o<h jeßt wirb er bem Uebel abhetfen tonnen: er wirb bet Scfjweftet 
bie ißenfion, welche er non ber Sönigin Suife besieht, abtreten; benn 
er wirb halb jeher fremben Hilfe entbehren fönnen: geht 9flIeS gut, fo 
wirb ihm in ber $olge fein 2luSfontmen aus einer hoppelten Duelle su- 
fließen, einmal aus ber SchriftfteHerei unb bann aus bem 33u<bhanbel. 
So märe geforgt für 33eibe. 3umal wenn Ulrife fi<h entfcßlöffe, 3 U ihm 
SU sieben- 

®a nernihtet ber furchtbare Srieg alle feine Hoffnungen, unb baS 
ganse ©efcßäft beS ©ichtenS ift ihm gelegt, Oßrag, 17. Sfuli 1809). 

©ur<h ben ©ob ber Sönigin Suife nertiert er feine ißenfion, unb bie 
„33erlincr 2lbenbblätter", bie feit bem Dctober beS ^aßreS 1810 beS 
Herausgebers Seben friften foHten, gehen fchon im ®?ärs beS folgenben 
Jahres ein. 


*) «Siebe Sleift: „lieber bie atttnäblicbe 23erfertiguttg ber ©ebanfen beim Weben.* 
3oUing 4, 282, 83. 

**) S. ffoberftein, Hnßang 3, 162 u. 63. 


Ejeinrid; pon Kletjl unb bie jran. 


3(3 


2lber Hoffnung muff bei ben Sebenben fein, unb KleiftS Hoffnung in 
biefer fürchterlichen 9toth beS Sehens unb beS ©aterlanbeS ift Ulrife: fie 
ttritb Dberauffeljetin int Suifenftift roerben, unb „ifjr Slufent^alt in Berlin", 
oon roo auch Kleift „fi<b nidE»t fo batb ju entfernen gebenft", wirb ihm jur 
größten fyreube unb ©efriebigung gereichen. Unb — fie nerfagt. 

D, baff fie feine Briefe sur £anb genommen hätte! 

2ßie fcf»rieb er bodj au§ Gf»ä[onö am 14. $uli 1807? . . . „©iel* 
leicht erfährft ®u noch einmal in einer fdjönen ©tunbe, roaS ®u eigentlich 
auf bet Sffiett foUft . . . ©enn icE( fitste, bafj ®u mir bie greunbin bift, 
®u ©injige auf ber 9Bett! ©ergleiche mich nicht mit bem, roaS ich ©ir 
in Königsberg mar; . . . nichts ©anftereS unb SiebenSroürbigereS als ©ein 
©ruber, wenn er »ergniigt ift." 

Unb am 6. ©ecember 1806 aus Königsberg .... ,,©S liegt eine 
unföglidje Suft für mich barin, mir Unrecht non ©ir nergeben ju taffen; 
ber ©chmerj über mich toirb ganj überroältigt non ber §reube über 
©ich." 

Unb menn fte weiter geblättert unb roeiter gelefen hätte! 

•Jtein, Ulrife non Kleift ^at ihres ©ruberS ©riefe nicht jur &anb ge* 
nommen, ehe fie ben lebten non ber 9J!aurerftrafje 53 (11. 2lupft 1811), 
finnenb tnohl unb fchmerjbetoegt, unb bodfj fchon entfchloffen, beifeite gelegt. 

Unb fo nerfagt fie. 

®a roirb Kleift burch ein föniglicbeS 4?anbfdjreiben roieber' im fDtititär 
angefteHt, unb bie ©quipirung non ber ©dhroefter ju erbitten, fommt er 
felbft nach f^ranffurt (um ben 15. ©eptember 1811)*). 

Unb fte nerfagt noch einmal, fie, bie feine ©rlöferin roerben foHte. 
©emt baju ift UlrilenS SÖUb in KleiflS ©eele aHmähtich angeroachfen: 
nicht geachtet hat er ber mancherlei ©erftimmungen unb ,3erroürfniffe jroifdfjen 
ihr unb ihm, nergeffen alle Schwächen, alle 9)tängel, wie er fte in ben 
©riefen an bie ©raut beßagt**) — SlUeS nergeffen, nur bie Siebe mach! 

©ergeffen hat er, roie er ihr einft ihre weibliche $ilflofigfeit tnarnenb 
norgehalten: nicht einen 3®un, nicht einen elenben (Sraben fönne fte über* 
fdjreiten ohne $üfe eines aJiamteS unb rniU allein über bie ülbgrünbe unb 
über bie #öhen beS Sehens manbeln? 

©ine einjig nerehrte grau ift ihm bieS. 2Jtäb<hen getnorben, eine grau, 
ber er baS Knie beugt, ber er bie $anb füfjt uttb bie ©tim. Mithin 
hat Kleift ben SBtafjftab nerloren für baS, tnaS fDJenfdfien Siebe nennen, 
unb roie reich att<h fein Sehen an ©ittemifi ber ©rfaljrung geroefen, bamalS 
in granffurt ift ihm beS Sehens ©itterfteS geworben: fein £ahn hatte ge* 
fräht um jene SWittagSftunbe, unb boch roar eines großen 3Jtenf<hen ©eele 
»erratljen. 


*) 9tadj ©rahm @. 379. 

**) ©. ©ttbermamt 188, 191, 226, 229. SBql. auch Soberftein, Slufiang 1. 



geleite Simpel tn Breslau. 


3H 


®a fmft Ulrife oon pfeift »or beS ©idjterS Vlicf, bet einft gemeint, 
in ihren Slrnten allein fein Seben wütbig befdjliefeen ju fönnen, in bie 
weite $luth bet ÜJtenfcfeheit jurücf, unb non bet $öfee feinet großen 9fte« 
fignation fdEireibt et ihr ben testen SBrief. 

©enn er fann nicht fterben, ohne [ich auch mit iljr oerföfent ju haben. 
@o . . . . „möge ®ir bet .£>itnmel einen ©ob fchettfen, nur half» an gfreube 
unb unauSfprechlicber £eiterfeit bem meinigen gleich: bas ift bet herjlühfte 
unb innigfte SBunfcfe, ben ich für ©ich aufjubringen weife." 

9llfo bie harte ©cjjlufenote biefer oielftimmigen Spmphonie, bie fo 
jopfig eingefefet in fmnteicher ißebanterie unb überfchwcmglicfeer Sifeetorif, 
in bet es gejubelt unb gejaudjjt, geflagt unb geweint unb geftfirmt hat. 

,,©a haft an mit gethan, nicht was in Jträften einer ©djwefter, 
fonbetn in Kräften eines -iOienfcfeen ftanb, um mich ju retten: bie SBafw* 
heit ift, bafe mit auf ©rben nicht ju helfen war." 

®aS fteht auch in bem 2C6fdfeiebsbtiefe. 

©o war Jtteift auf ©rben nicht ju helfen, auch burch Ulrife nicht? 
©ine grage ift es, auf bie es feine Antwort giebt; fo beugen wir 
unS mit ©hrfurcht oor bem ©efdjefeenen, oor bet eifetnen Slotlnoenbigfeit 
— sub specie aeternitatis. 

©ocfe Ulrife? 

ßleifts lefcteS, unheilfchwangereS flehen hat fte mifehört, aufgehört 
hat fte ju lieben, ba Siebe am meiften Sloth that; nicht Sintigone war fte bem 
Sruber geworben unb nicht Qphigenia. ®aS ift bie furchtbare ©tagif in 
bem Seben biefer SlufopferungSootlen. Unb nun, wo fte nicht mehr lieben 
famt, ba fcfnefet eine beifee Stamme empor aus ihrem £erjen: $afe gegen 
ihn, bet fo wenig grofe an Stteift gefeanbelt, 4?afe gegen ©oetfee. ©S war 
baS $ö<hfte, was Ulrife bem Vruber noch anthun fonnte. SJlit Verachtung 
hat biefe grau einen ©oethe ju ftrafen gewagt, in ihrem $erjen hat fie 
ihm ben ßranj non ber Stirne geriffen unb über bie Sippen UtrifeS oon 
Äleift ift ber unfterbliche Stame nie mehr gefommen. Sludj ber Siame beS 
VruberS nicht. 

Slber an bem frühen ©rabe ßleifts fteht neben feinem 2Berf, wachenb 
unb warnenb unb unheiliger Siebe Schweigen gebietenb, bie Siebe ber 
Schweflet, wie heute an bem Slbgrunbe, in bem 3aratbuftra ii<h oerlor, 
©lifabeth $örfter»3iiebfcfee. 

Unb es oerftummen bie Sttäffer. — 

®ie Sdhwefter unb feine Siebfte, fein SSeib, auch an StleiftS ©rabe 
nicht? 

$n früheften fahren h at Äleift geliebt, früh bad;te er baran, ft<h ju 
nerheirathen, unb boch hat er jebe Steigung feines SebenS refultatloS im 
Sanbe oerlaufen laffen; er hat früh refignirt, unb boch hat er wieber 
unb wieber geliebt; fein SBeib war ihm fo werth, bafe er bebingungStoS 



fjetnridj oon Kleijl nnb bie <Jtau. 3^5 

fein Seben an baS ihre gebunben hätte, unb mit ber ^rau/bie ber eigne 
©ernahl ihm großmütig abtreten will, geht er freiwillig in ben £ob! 

SBelcßeS Siebesleben bei biefem feltfamen -Dtann, biefem großen ®i<hter! 
®em großen ^Dichter? Unb rermodite bodj nicht «Sonette ju fingen ju ©h ren 
feiner Siebften, oermochte bo<h nicht aus feinen großen Schmerjen Reine 
Sieber ju machen, Heine Sieber, mie 2leuglein teuchtenb, roie Sterne fchön? 

9tein, baS oermochte er nicht: mann hätte je felige Selbftoergeffenheit 
für Stleift bie Sonne ftiHe jiehn, für it;n ben Stugenblicf oerroeilen hei ßen? 
Unb nie hätte eS aus feiner Seele emporraufdfien fönnen, baS liebeStrunfene, 
baS ewige SBort: 

„J’aime et pour un baiser je donne mon g&iie.“*) 

Stein, auch um ben erfeßnteften, heUigften Stuß nicht märe ßleift fein 
©eniuS feit getoefen, unb nur bie 9toth beS SaterlanbeS oermochte es, feinem 
$erjen Sieber ju entlocfen. 

Souife oon SinferSborf **) hieß StteiftS erfle Siebe. Sie faß ihm tief 
im £erjen, benn als es aus mar mit bem furjen ©lücf, ba gab biefe un< 
gtücHidie Siebe bem allmählich reifenben ©ntfcßtuffe ÄleiflS, ben Solbaten* 
fianb ju oertaffen, fflttgel, unb aus bem eleganten Dffijier nmrbe ein 
grübetnber Stubent. Unb ats er fpäter — Stuguft 1800 — auf ber 
SBttrjbutger Steife in Sßotsbam bei SinfetSborfS oorüberfuhr, „ba roarb es 
ihm im Sufen fo marm" trofc ber in granffurt jurüdgelaffenen Staut. 
(S. Siebermann S. 36 u. 37.) 

2)reiunbjwanjig Sahre n»ar Äteift alt, ats er fidj oertobte; an übergroßer 
$ugenb fann es alfo nicht liegen, baß ein fnabenßafter, unangenehm 
pebantifdjer, päbagogif<h43>utmeifterti<her £on bie Sriefe ÄleiftS an feine 
Sraut***) ju ganj abfonbertichen Siebesbriefen ftempett. 2Bie jünbenb 
bagegen bie Sriefe ©oetßes, bie er über fein ber Söfung unaufhattfam 
entgegenbrängenbeS Serhättniß ju Stäthdjen Schönfopf an Seßrifch fchrieblt) 
SSetdfieS freuet, roetche ©iferfucht, welche wahnfinnige SiebeSteiben f cfiaft bei 
biefem ttchtjehn jährigen! 

Dber fottte lief) ber päbagogifche £on ber ftteifffchen Siebesbriefe etwa 
burch bie 9trt erflären, wie ber Stator feine Sraut gewonnen hntte, ba er 
in granffurt in ebetflem Eifer nach 9Jlenf<henfeeten fifdjte, — er, ber Sehrer 
bie Schülerin? 

*) Alfred de Müsset, La Nuit d’Aoüt. 

**) ßouife bon ßinferSborf. ^iograbbifcfa ße^ifon aller gelben", Berlin, 
^ritolb SBebcr 1789, führt ettoa an: 

3ob. 3 af. bon ßincferäborf, nriirttemljerötfdjer Offner, 1766 xit preufe. $ieitften, 
1779 ©eneralmajor, t 1788. ©eine ©emablin, eine geborene ü b n , ans Sftufclanb 
ftontmenb. — 2Ran barf toofjl bermutben, bafj ßouife ber Jöetben £od)ter ttrnr. 

***) föeinridj bon ^leiftS Briefe an feine S3raut Sfarl SBieberntann. 23reSlau, 
0. Sdjottfoenber 1884. 

f) 0. ©oetbe. 0etn ßeben unb feine 2Berte bon Dr. 2Ubert Jöielfcbobtöft). ©Tfter 
Söanb. üttüneben. Osfar 33ecf 1896. 0. 52 ff. 



3*6 


ffclene gtmpel in Breslau. 


©aß boc^ bic EBertEjerbriefe weniger uncergeßlidb wären, fte, bie wie 
ein Sieb au« ber Qugenbjeit im Df)t Kegen! 2Bar aber auch fein Schul« 
nteifter, ber SBertßer, wnb wäre er einer gewefen, nur Siebften «Sriefe 
hätte er feiner Siebften getrieben: nicht umfonft halten oor ber ganjen 
Sßelt erftaunten unb gebannten Süden Stöälarb unb £6loi'ie ihre Stein« 
prüfte gefprengt, unt wiebet $u wanbetn im Sichte ber Sonne unb ber 
Siebe — nicht gefehlten mehr unb nicht mehr oerad&tet. ©enn ber ihnen 
geboten alfo ju thun, ba« war ber ©enfer mit ben biamantnen Stiften in 
beit rätftfetoollen Efogen unb beut oon hinreißenbem Seben bebenben SJtunbe*), 
er, bem 3J?adE»t gegeben über bie &er$en ber 3)tenf<hen, Qean ^acqueä 
Siouffeau. Unb wenn er fein „Vitam impendere vero“ nidht über bie 
„Steue ^to'ife" feften wollte, ber Sefer feftt e« barüber: benn „bie ©mpfinbung 
erlifdfjt enblidh cinmat, aber eine gefüßloolle Seele bleibt ewig**)", unb in 
ben Sriefen St. tpreup’ unb Qulia«, bie ben Slüthenftaub ber Seelen, fowie 
bie Seibenfdhaft ber ^erjen herüber unb hinübertragen, ift ba« ©efüßl jur 
unterblieben fünftlerifdhen EBahrbeit geworben. 

©anj anberS bie Äleiftbriefe, unb bodh bürfte e« auch hier fteften, ba« 
ftolje „Vitam impendere vero“, nur im umgefebrten Sinne wie über ben 
Sriefen Stouffeau«: in ben Sriefen an feine Staut geigt fidj ftleift genau 
fo wie er ift, bie großartige SBabrbaftigfeit feiner Statur wirb burch fte 
offenbar — ty/tx nicht bie höhere SBahrfteit ber Äunft, fonbern hier bie ewig 
neue Sßahrfteit be« Sehen«, wie fte fi<b im EBerben eine« großen Äünftler« 
offenbart. So gehen Sturm unb ©rang gewaltig auch burdj biefe Qugenb« 
briefe, nur Sturm unb ©rang uredfjter Siebe nicht. 

Etat Einfang be« $al)re« 1800 hotte fi<h steift mit ©horlotte EBilhelmine 
non 3et tge, ber älteflen ©ocbter be« ©eneralmajor« ju jranffurt, nerlobt, 
unb alfo läßt ftch ber Serlobte in bem streiten Sriefe an bie Staut 
(30. SM 1800) nernehnten: ,,©ie medbfelfeitige Uebung in ber Seant* 
wortung gweifdEjafter fragen hat einen fo nielfeitigen Stuften für unfere 
Silbung, baß e« wohl ber SJtüße werth ift, bie Sache gang fo emfthaft ju 
nehmen, wie fte ift, unb ®ir eine Heine Einleitung ju leichteren unb groed« 
mäßigeren Gntfcßeibungengu geben." (S. 8.) @« mar im SM, unb bieStadhtigatt 
fang in ben Süfcßen! Unb weiter lefe man, wie eingeßenb Jtleift ber erft 
anoerlobten Sraut bie oon ihm aufgeworfene grage beantwortet: „SBetdber 
oon jwei ©(jeleuten, beren jeher feine Sßflidjten gegen ben anberen erfüllt, 
oerliert am meiften bei bem früheren ©obe be« anberen?" (S. 9.) — SJtart 
fieht, bie Sache läßt an ©rnftbaftigfeit nidht« gu wünfchen übrig, noch 
weniger an Staioetät. ©enn int 14. Sriefe (S. 122) beißt e«: „®aß ®u 
nicht wie ba« ©hier ben Äopf gur ©rbe neigft, fonbern aufrecht gebaut bift 
unb in ben Fimmel fehen fannft, worauf beutet ba« hin? — Seantworte 
mir einmal ba«!" 


*) Pastel de Quentin la Tour. Salon 1753. 
**) Nou veile Heloise. 


fjetttridf oon Kleifi unb bie <f»au. 


317 


„®u f»oft jwei Oßren utib bo<h nur einen 2Jtunb. 2J!it ben Obren 
foßft ®u hören, mit bem Sßlunbe foßft £>u reben. — .... fvrage 
einmal felbft, worauf bas bleutet, baß ®u ntebr Obren f»aft als 
•Btünber. — " ic. zc. 

Unb SBilbeltnine non genge, an bie Äleift fdirieb, mar 20 ^afjre alt, 
brei 3af> r e jünger nur als er. 

SBie anberS „ftubirt" St. $reuy mit 3ulia! 2Bie anberS, als 
SBUljelmine wobt geantwortet haben mag, bat baber audb $ulia geantwortet! 
„Unfere Seelen haben fid) fo ju fagen an allen fünften berührt, unb wir 
haben überall biefelbe Gobärenj etnpfunben." %a, obgleich bie jüngere an 
fahren, befifct fie bod; mehr Urtbeilsfraft als er, ber Seßrer, benn ber 
SBerftanb ber fyrau entwicfelt fidj fcßneßer als ber beS SDtanneS, fo wie eine 
fcßwanfe Sonnenblume rafdjer emporwcichft als eine Gieße. So etwa fcßreibt 
$ulia an St. ißreup. (33rief XI.) 

Unb SBUbelmine, bie (Sebulbige, Schwache, Unfelbftftänbige?*) 

•Jiocß mancherlei hat fie aus beS Bräutigams Briefen lernen müffen 
— was ein Panorama ift unb ein 2lnoma(on — unb noch mancherlei 
fragen hat fie bearbeitet, aßen 2Bünfd>en beS gebieterifd>=päbagogif<hen 
Verlobten in großer ^erjenSgüte Rechnung tragenb, auch ba noch, wo fi<h 
fein SBefen pr Sclbftberrlichleit fteigert. 

■Jiur „recht" ift eS (3. 24.), baß SBühelminc ihren Verlobten 
einem früheren Verehrer oorjieht: Äleift hat ißre Siebe p forbern, — wenn 
fte ihn nicht liebte, müßte fie ueracßtungSwürbig fein (S. 150) — 
ihre Siebe unb — ewigen ®anf. Ober „wirb er Unbanf bei betu -JMbchen 
finben, für beren ©lüct er fein Sehen wagte?" fo fcßreibt er (S. 77) 
räthfelooß genug aus SKiirjburg, wohin er hoch auch Gegangen war, um 
fein ©lud p finben. 

Sßo liegt nun bie geheime Queße, bie in bem SBerßältniß pr 33raut 
bei Äleift foldj päbagogifch angeßaudjte Selbftberrtid)feit p £age förbert? 

3n feiner ®oppelnatur: Äleift war ebenfo ber e<ßte 2J?ann mit bem 
unerbittlich fcharfen, richtigen 23licf für ficß unb Ülnbcre, ber Gbarafter, wie 
er ber große Äünftler war. Unb wäßrenb ber große SBerftanb ringenb unb 
unreif umhertappt in päbagogifdjem ^Bemühen, geht bie Äünftlernatur mit 
Äleift burcß, fteigert fein ßJtanneStbum unb treibt es ju ben lebten Gonfe* 
quenjen. So liegt ber Grfaß beS 9JiangelS in beut fDlangel felbft: wer 
bie Äunft fo liebt, baß fie ißn p erniebrigen »ertnag, ben wirb fie noch 
mehr erhöhen. ®enn biefeS ßöchflen UrfprungS ift bie ^errenmoral Äleifts 
bem 2Beibe gegenüber: fie ift nur ber ÜtuSbrud ber ibealen Selpfucht nach 
abfoluter Eingebung. -Mach bem SBoßfomtnenen burftet bie Äleift’fdhe Äünftler* 
feele, fie burftet hoppelt banadj, wenn es ftch um bas SSerhältniß hanbelt. 


*) 9 lad) ihrem eigenen JluSftirudj in bem ©riefe an eine ffrennbin. <3. b. 2lit= 
merfuttg anf ©eite 323. 



3(8 geleite §tmpel in Breslau. 

roe(clje« an fid) ba« Boßfommenfte ift: um bie ©je. Äleift giebt fid) nicht 
bem Sehen Ijin rote ©oethe, fo bajs et e« unberoufjt für bie Äunft au«= 
nüfcte, fonbem gleich Stiehfdhe foll fidf) ba« Sehen gefjordienb ihm ^ingeben : 
3beale foHctt SBirflidifeit roerbett. 

2lber bei biefer überreichen Statur bietet auch bet ©harafter noBen 
©rfafc füt feine 2lu«fd)reitungen. ©enn roa« ftetjt bet Äleift’idhen ©elbft * 
hcrrlidhfeit gegenübet? ©in berechtigte« ©elbftgefühl, ein ebler ©tolj. 
„SDtenfcfjen non unferer 2lrt foBten immer nur an bie 2Bett unb nie an 
fid> benfen*)." ©rflärenb, ergänjenb gehört biefe« SBort an Ulrife ju bem 
ftotjen SBort an SBilhelmine: „23in idh nicht ein ebler 3Jtenf<h, äBilftel* 
mine?" **) 

3a, er roar ein ebter SPtenfdh, ber ben SDiuth unb bie Gonfequenj 
hatte, ft<h barjufteUen, roie er empfanb. ©enn eine uraiberbrüefbare 
«luft tiegt hier jjroifcfien ©oethe, Schiller, Stouffeau unb Heinrich ton Äleifl 
@o roie er ju lieben glaubt, binbet er ft di), ja: fo jung er ift, fo um 
fidher er umljertaftet nach ber SBahl eine« 33erufe«, er fud)t fofort bie 
SDtittel jur ©he ju gewinnen, ©ein männlicher ©harafter gebot e« ihm 
fo, unb nur Seffing läfjt er n<h ln er Dergleichen. 

Unb roenn fein angeftrengte« 9Zad)benfen über bie SBahl eine« 33e= 
rufe«, feine Unternehmungen, fo füfm roie abenteuerlich, non ©rfolg gefrönt 
fein werben, bann wirb er mit ber 23raut ju einer gtüctfeligen ©Ije fdftreiten, 
bie ben ganjen 2Jtenf<hen erfüllen foB, ihn unb fie. ©enn roenn Äleift 
bie S3raut fo Boßfommen roie möglich roifl, fo ift e« im $inblicf auf ihren 
fünftigen SBeruf, ber roieberum ihr Sehen ju bem BoBfommenfien geftatten 
wirb. Unb in rounbernoBen, fehnfucf)t«reid)en unb bodh homerifdh einfachen 
93ilbern jeigt 'er ihr ba« ©lücf, ba« ihrer an feiner ©eite roartet. So 
fchrelbt er non ber SBürjburger Steife: ,,©ng, fagte ich, wäre ba« $äu«dfienV 
3a freilich, für Üljfembleen unb Stebouten. Slber für jroei SDtenfcfjen unb 
bie Siebe weit genug, weit hiulänglich genug." 

„3<fj nertor mich in meinen Träumereien. 3<h fah mir ba« gimmer 
au«, roo idh wohnen würbe, ein anbere«, roo jemanb Sfaber« wohnen 
würbe, ein britte«, roo roir SBeibe wohnen würben. 34 fah ein e BJtutter 
auf ber Treppe fi ben, ein Stinb fdhlummernb an ihrem 33ufen. 3 m Mittler* 
grunb fletterten Änaben an bem gelten unb fprangen non ©tein ju .Stein 
unb jaudhsten laut." (©. 52.) Unb bie ganj ähnliche, herrliche ©tefle 
au« bem jroötften S3rief (100, 101), bie fo beginnt: . . . „SD, roenn idh 
®ir nur einen Strahl oon bem geuer mittheilen fönnte, ba« in mir 
flammt!" Unb iiberaß — ob er au« bem genfter blieft ftunbenlang, 
ober bie Stabt (SBürjburg) betrachtet non aBen ©eiten, ober in jehn Äirdhen 
geht, — fieht er nur fie, SBilhelmine, mit ben ftinbem. Unb bann 


*) fioberftein. 3. 124. 

**) Söiebcrmann. Brief I, @. 2. 


^einridj non Kleiß unb bie $zau. 


319 


— nad)bem er roieberum ba« Söitb au«geführt mit ©tricfien, bie voll 
geiftigeren Ceben« fiitb al« bie be« 3Jiaterd : „D lege ben ©ebanlen wie 
einen biamantenen ©<hilb um ©eine Sruft: ich Bin ju einer SJlutter 
geboren! Qebet anbere ©ebanfe, jeber anbere SBunfch fahre juritct oon 
biefem unburdibtinglicben fjarnifd). 2Ba« fönnte ©ir fonft bie ©rbe für 
ein Siet bieten, ba« nicht oera<htung«roürbig märe? Sie hat Nicht«, roa« 
©ir einen SBertb» geben tann, roenn e« nicht bie Sitbung ebler 9Jtenf<hen 
ift . . . ®a« ift ba« ©injige, roa« ©ir bie ©rbe einft oerbanfen lann. 
©ehe nicht oon ihr, roenn fie fi<h fd)ämen müffte, ©ich nufclo« burch ein 
attenfdjenalter getragen ju hoben." — 9torblanb«luft, bie roeht, Jeufch 
unb Kar! 

2lu« höchfien ©eetenregionen ftammen fotche Sporte, ber reiche Mäbrucf 
eine« reicheren Sefifce«; aber bie Sorftellung, bie Steift unau«gefefct oon 
2Bilhetmine al« fünftiger SKutter mit fuh f»erumträgt, giebt ihrem Silbe 
einen eigentümlich tppifcben 3 U 9/ ber ba« perfönliche 2Jtoment burchau« 
nicht oott in ©rfcheinung treten läßt. Unb biefer Umftanb bilbet eine 
anbere ho<hwtereffante ©eite ber Steiftbriefe. 

2H« ein perfönlidje« SJtoment fann e« jroar erfteinen, bafj ber ©tolje 
©elb oon feiner Staut nimmt (beifpiellroeife ©. 174), ja, bafj er fie 
barum bittet, fo einfach unb fo frei, roie ein grand seigneur ben anbern; 
bo<h ift biefer Sug — wenn er auch gereift bei ber Seurtheilung oon Steift« 
Serbäitnifj ju SHlhetmine ermähnt roerben muß — ungleich weniger be* 
jeichnenb für biefe« Serhättnift al« oielmehr für Steift« oornehme ©efinnung 
überhaupt: einem Steift roar angeboren, roa« ein ©t. ipreuj*), ein Sßilhelm 
ÜWeifter**) erft ju lernen hotten. 

Unb roie Steift ba« ©elb geliehen, fo giebt er e« jurücf, mit ber ent* 
jücfenbften Nonchalance . . . ,,©ei für biefe ©efälligfeit beglich bebanft unb 
rechne auf mich in allen ähnlichen unb nicht ähnlichen gälten" (©. 136). Unb 
baju ba« Serfprechen, ba« in bcnt Nlunbe biefe« ÜJianne« fo rührenb flingt 
in feiner Naioetät: roa« SBithelmine für ihn aulgelegt, roirb er ihr feiner* 
jeit Me« erfefcen: ben ©inbanb jum SBaßenftein (©. 17) etroa ober ba« 
theure Sriefporto (©. 53) ober bie ©infaffung $u feinem Sortrait (©. 174). 

©och aulgefprodjener fperfönlidie« ift in bem Serhältnifj Sleift« ju 
Sülhelmine ju ftnben: fo tief ftedt ber ©ichter nicht in ber ffkbonterie. 
®a ift oor Mem bie oon ihm öfter« bebeutunglooH ermähnte 
bunKe ©artentaube bei Sengen« (beifpiellrofe. ©. 57, 62, 63***), ba 
ftnb bie mancherlei Mbenlen, bie er auf ber SSürjburger Neife mit itdt 


*) „Neue §elo'ife, Sörlef XV unb bie brei forgenben. 

**) „SBilbefat äjleifter, fiefjrjabre, viertes 23ucfi, erfteS ©apitet. — Siete Söorfen= 
gefdjiäjte in ,Sßeifter‘ bürfte ©oetfie, ebcnfo roie ba§ Sßfdnberfpiel rat „SSertfjer", betoufct 
ober unbenutzt ber „Neuen ij}«toije" entlehnt haben. 

***) SSgL auch Steift „Sie beiben Stuben, ©ine ffn6el nach Lafontaine", „ScS 
lieben SMäbdjen« ßaube". (3oHing, I. ©ebichte, €>. 28.) 



3 20 


feierte Simpel in Breslau. 


herumführt, baS blaue 33anb oor Ment, welkes baS -Dtäbdben ihm um 
beit linfen 9km gerounben fjat, unb baS am 4. September 1800 immer 
noch '(mol)! feit bent fpäten Slbcnb beS 13. 9luguft) unaufgelöft tote baS 
Sanb ihrer Siebe oerfnüpft ift. (S. 53.) 55a ift bie neue STaffe, bie 
steift roieberum ber Sraut jurücfgetaffen hat, bie mit ber auf ftnnbilbfidhe 
9lrt angebrachten ftnfchrift verfeljene lehrreiche Stoffe: „Vertrauen auf unb 
©inigleit unter uns!" (S. 48, nebft 9lnmfg. oon Siebermann.) gertter 
bie „^nftruction" (S. 25), bie ber Sräutigam für bie Staut aufjufchreiben 
für nöttjig befunben, unb enblich bie Äarte oon ISeutfdbtanb, auf ber fte ben 
9Beg bei? ffreunbeS oerfotgen fott. (S. 22, 41.) Steift er bo<h auch auf 
feiner fßoftfarte nach ffranffurt juriid (S. 42), fteHt fiel) UBilhelmine gattj 
lebhaft oor (S. 39), fogar baS bräunliche 9M in ber meidben SWitte beS 
regten 9lrmeS (S. 40), unb fu<ht fie unt ttttitternad&t in ihrem Säger auf, 
baS er nur einmal flüchtig gefeben hat, unb baS baher feine Sßhantafie 
nad) ih ter freieren 2Bittfür fich auSmalt (S. 42). 

Unb bodh, trofe beS feltfamen 3auberS, ber aus bem ©runbe ber 
.ttteift’fdhen Seele in biefe Sriefe auffteigt, ber bie bunfle ©artenlaube 
leudhtettb erfüllt, baS Säger ber Siebften fdhimmernb umfleibet unb fonnige 
Äinber anf grünen planen um feine ttfiabonna fpielen läfjt — toar 
©ilhelmine benn in ber fChat Stleifts üflabonna, bie ©ine, ©injige, bie 
feine ttJtabonna hätte werben fönnen, mar SBithelmine oon 3 ®nge eine anbere 
©oa Sönig? 

Stein, benn ftleifts Siehe ju SBilhelmine war mehr bem allgemeinen 
Sebiirfnifj 511 liehen entfprungen, als einem untoiberftehlidh füfcen Sieben 
jtoange gerabe biefem heftimmten Sßefen gegenüber: steift liebte bie Siebe 
mehr als bie ©eliebte, baher baS Unperfönlidhe, baS bennodh biefem Ser* 
l)ältni| anhaftet. 

9lm 16. 9luguft 1800 — unmittelbar nach ber erften Trennung oon 
ber Sraut, fdEfreibt Äleift an fie über bie Seetüre beS SBatlenftein, bie et 
fidh unterbeffen audh oornehmen toirb: .... „fCräume ©u nur mit fdfjönen 
Sorftettungen bie 3 p ü nuferer Trennung hinweg. 9ltteS, toaS 3Jtaj 
fßiccolomini fagt, möge, wenn eS einige SleljnlichEeit hat, für midh gelten, 
alles, toaS Khella fagt, fott, wenn es einige SHehntidhfeit hat, für SHdh 
gelten." 9teben biefe höljeme unb naioe 9lllgemeinheit halte man bie tiefe 
fütennungSflage pcrfönlichfter Siebe, wie St. ipreup fie an $ulia richtet : 
„ttJtan muh alles fliehen unb allein fein in ber ÜBelt, wenn man nicht bei 
Shnen fein fann." (Srief XVIII.) 

ftttan oergleiche ferner ben 30. Srief ÄleiftS mit bem 21. ber „Steuen 
■Öeloife". Seibe Siebhaber holen einen Srief ber ©etiebten oon ber ißoft, 
ftleift nach jehnroödhent lieber fßaufe. 

Äleift: . . . „$ein Srief unb bie paar 3 e 'k n oon ©atln unb 
Souifen haben mir aufjerorbentlidb oiete ffreube gemadht. . . . S5efto größer 


fjeirtrtd; con Kleijl nnb bie <fran. 321 

t»ar meine greube, als ich auf bet 3ßoft meine 2tbreffe unb ©eine #anb 
erfannte." 

St. ißreup etwa: . . . „©aufenbmat hätte ich fie Kiffen mögen, bie 
gebenebeiten Sd»riftsüge ©einer angebeteten jpanb." 

So hält fidj Seibenfdjaft bur<h Seibenfdjaft im ^[ug. 

Uebetaff fietjt St. fßreup 3ulia nicht nur gefdjntücft mit allen Steijen 
ebter -iJienfdjtuljfeit, fonbem jartefter unb eigenartiger Serfönlidjfeit. 

@anj anberS itleift. 3 roat ift feine Siebe mehr ber ^pt»antafie 
als bem $erjen entfprungen, aber eS ift merfwürbigerweife baS Siebet 
oerbättnif? felbft, baS „bie ewig 33ewegli<be" mit affen ffteijen auSftattet, unb 
nicht bie $erfon ber Staut. £ier ^at ffleift wohl *) wiebet ber unglücflidje 
Serftanb, ber affju fd^arfe Sticf (»gl. S. 154 unb S. 165) einen un* ' 
angenehmen Streif gefpieit. 

greilidj fdjteibt er an SBithelmine auf bem SBege nad) SBürsburg 
(Srief S. 50): ,,©u bifi mir noch einmal fo lieb geworben, feitbem 
ich um ©einetwiffen reife." ©ewifs, aber in einem anberen Sinne, als er 
felbft es meint: bie roadjfenbe Entfernung fefet feine Sfß^antafic in größere 
©bätigfeit. 2llS er aber wieber in Berlin unb. wie er glaubt, ber Ehe 
näher gerficft ift, ba ftefft aud) bie ipbantafie ihre feurige Arbeit ein, unb 
bebenftich uerle|enbe Steffen fdjleichen fi<h in bie kleift’fdjen Siebesbriefe. 

. . . „ein foldjer 33 rief" (»oll Seelenfdjönheit nämlich) fchreibt er am 
11. 3anuar 1801 aus 33erlin, „fage ich, wirft auf meine Siebe, wie ein 
Oettropfen auf bie uerlöfdjenbe flamme." (S. 138.) 

Unb weiter . . . „wenn jemals bie Erinnerung an ©ich in wir 
immer fälter unb fälter werben foffte, fo bin ich in meinem ^eitigftcn 
Innern überjeugt, bafj eS einzig ©eine Sdjulb fein würbe, nie bie meinige." 

Unb fo weiter, unb fo weiter. 

Qa, er, ber einfi mit ©lutbudjftaben bie SBorte nieberfchteiben 
foffte, „Staub lieber, als ein Sßeib fein, bas nicht reist**), fchrieb im Ser- 
iobungSjahre (S. 57) im ^inblicf auf bie „hödjft intereffant" gebilbeten 
Sfftäbdjen beS ErjgebirgeS an bie 33raut: 2Bahrli<h, wenn ich ©idj nicht 
hätte unb reich wäre, ich fagtc adieu ä toutes les beautbs des villes.“ 
Unb fpäter erft, als er aus SBütjburg jutrücE ift, ba vergleicht er gar 
manches 3Jtäbdjen mit ber Staut, ba ift gar manches in 33ertin, was er 
gegen fte hält, unb ernft macht ihn jebeS ffJtal biefe Sergleidjung; eben 
barum muh SBUhetmine ßleifts Qbeat in fich barsufteffen fudjen. (S. 139.) 

2lu<h in ihrer äußeren Erfdjeinung fommt fie biefem Qbeal noch nidfjt 
nahe genug: nicht als ob fie biefelbe oernadiläffigte, wie bie ©emfitbige 
aus feinem ©one entnommen ^at (S. 147), aber es fehlt eben etwas, 
etwas Unnennbares, baS fidj in ber Seele grünben muff, um fi<h ber Haltung, 


*) SBütoto 243. 

**) 5ffentfjefttea, 1253. 



322 


ffelene gimpel in 33reslan. 


ber ©eroegung mitjutbeilen (S. 148); augenfdjeinlid) ift eä bet ©Artet bet 
Stpbrobite, ben Ätcift an SBitbetmine oermiht. So4 biefer ©Artet fann 
erworben werben, unb fo lieft man im folgenben ©riefe (S. 159) . . . „34 
freue mi4 baranf, bah idf) Si4 nidjt wieber fennen werbe, wenn ich Sieb 
wieberfebe." 

SBann bat je ein Siebfjaber fo an feine Siebfte getrieben? Saffir 
ftubirt er aber au 4 ben „©mite" mit feiner ©raut*), unb nidjt bie 
„Steue ßbtoi'fe". 

Sllfo nicht nur ata jufmtftige SKutter feiner ftinber, überhaupt ata 
ein anbereS, nottfomntenerea SBefen, ata fie ift, atä ein erft in ber Sufunft 
beftehenbea SBefen fieljt unb liebt Äteift SBitbetmine. SBo bleibt ba bie 
©orftetlung einer ©injigen, ©wigen, unwieberbringtict) ju ©ertierenben? 

„34 füljle, baff ea mir notbwenbig ift, halb ein SBeib ju haben," 
(>S. 113) biefea ©efenntnifs ooltenba töjt ein 3nbit>ibuutn in bie Stil* 
gemeinbeit auf. 

Seine „©fli4t" erfüllte Äteift, inbem er an SBitbetmine f4rieb, (bei* 
fpietaweife (S. 43), er wirb an4 feine ,,©fti4t" erfüllen unb fie ni4t 
»erlaffen, fetbft wenn er iljr feine Siebe entjieben mühte (S. 139); er 
wünf4t SBitbetmine eine greunbin, bie ibt baa wäre, woa ©rofea ihm 
(S. 127). Unb bat benn baa quatuod ©erfönti4fte ber „gtoien" Seiben* 
f4aft, bie ©iferfu4t, jwif4en biefen ©eiben gefdjwebt? SBitbetmine war 
ni4t SJtignon, steift fein SBertber. ©r war au4 fein grauenfenner, fonbem 
ein beutf4er 3üngling wobt, wie bie @teim, bie Ätopjtocf if>n wollten, unb 
feine 3)ime. be SBarena war ibm Sebrmeifterin bet Siebe gewefen. — 

So finb bie ©riefe Äteifta an SBitbetmine oon 3ettge in atT ihrer 
Originalität ein unuergängli4e8 Senfmat non ber ©rohartigfeit ber ßteift* 
natur: wie fi4 »or ben Singen SBitbetminena, in bem SSerböttnih ju ihr, 
5 ur Siebe, ber SJiann entwicfelt unb ber Si4ter, wie ©eibe müeinanber 
ringen in un»erglei4li4er Äraft unb Urfprüngti4feit. „34 taffe Si4 
ni4t, ea fei benn, Su fegneft nti4." Ser Si4ter fiegt, aber für fein 
Äünfttertbum bat et bie SBeibe bea SJtannea empfangen. 

f£affo unb Slntonio, fo ringt Äteift mit Äteift, jmei Seelen in 
biefer ©ruft: 9)tanne8munf4: „Freiheit, ein eignea &au8 unb SBeib" 
(209) — unb Äiinftterbegebr: 9iubm, Unftetbli4feit! (Ser lebte ©rief. 
S. 237. 238.) 

„3mmer höher ttiuf? id) fteigcn, 

3mmer toeiter nrnfe ich fchaun." 

©in Seben ift ea, in bem ©rentanoa SBort fi4 ganj erfüllt: „0 
Stern unb ©turne, ©eift unb Äteib, Sieb’, Seib unb 3eit unb ©wigfeit!“ 

SBitbetmine aber war ni4t gcionnen, ben romantif4en gtug in’a hohe 
Unbefannte mit Äleift $u tbcilen; fie wollte, fie tonnte auf feine ©ebingung. 


*) m. J. ©cifp. XXIV. 178. 


^eittricfj 00,1 Kleift inib b t e $xan. 323 

eine „SauerSfrau" in ber Sdjmeis 511 merben, nidjt eiligeren; umfonft fjatte 
er ifjr non beut „Sieb feiner Siebe" geiproeben (©. 223): fie batte nicht ner= 
ftanben, ba§ er ein Sauer merben roottte, nur um ein ißoet fein 3 U föttitcn ; 
iie war nicht baS SSfeib, baS er gemeint. 

Unb fie hotte er in baS ©eroölbe führen motten, mo er fein Kinb, 
roie eine neftatifdje f^riefterin baS ihrige, feierlich aufberoabrt bei beut 
©chein ber Sampe? (©. 223.) 

©0 löft Kleift am 20. 9Jtai 1802 burch beit Srief non ber Sfariitfet 
bei ^h u w — . . . „Siebes SDiäbdjcn, fchreibe mir nicht mehr! geh habe 
feinen anberen 2 Bunf<h, als: halb 3 U fterben!" — thatfächlich ein Serljältnijj, 
bem er f<hon im gafjre norher burd) bie fßarifer Steife inftinctin 311 ent- 
rinnen beftrebt geroefen mar. 

©amals aber fluthete immer mieber särtlidje Seforgiüf;, innige Se= 
rounbentng aus ber feitfam gefpannten, emig unruhigen ©eeic 3 U ihr 3 ttrücf, 
ber „bie Siebe roenig non ihren greuben, boef) niel non ihrem Kummer 311 = 
getheiit hatte" (©. 176), 31 t ihr, ber er ant 9. 9lpril 1801 aus 
Serlitt ahnungSnott gefchrieben: „Siebe SBilhelntine! 2)?eine theure, meine 
eins ige grennbinn! g<h nehme 3lbfdhieb non ©ir! — 9tch, mir ift es, 
als märe es auf emig!" (©. 170.) — 

„3br Sergen, bie il)r liebt, ifjr loollt berreifeu? 

D taf?t eS in bie ncid.üe ©rotte fein!" 

fo überfehte steift int gahre 1806 in Königsberg nach bent SSieberfehen mit 
SBiihctniine*) bie fdjöne gahel SafoittaincS „Les deux pigeons“. Unb su 
grüf)lingSbeginn . beS gafjreS 1808 brachte ber fßhifofopbieprofeffor unb 9tad); 
fotger Kants auf bem KönigSberger Sehrftuht Krug feiner grau ^irofefforin 
SBüheintine, geb. non genge, baS gebruarheft beS ißhöbuS, ben Klei ft in 
©reSben herausgab, nach £>aufe unb übergab i(;r baS barin abgebrudte 
©ebidjt ,,©ie beibeu ©auben" mit ben äSorten: „©ieh, ba hat ©ir ©ein 
greunb noch etroaS gefuttgen**)." 

@0 laS fie bie gäbet, ba fie feine Sriefe nidjt mehr laS. Siele non 
ihnen hatte fie bei ihrer Serheiratfjung nerbrannt: fie fdjienen ihr alle in 
ber (jöchften Seibenfchaft gefchrieben, unb fie hatte fid) nicht bie Kraft 31 t* 
getraut, fie nicht mehr 31 t lefen. 9iur burch baS ^insufomtnen ber 
„golbenen Suife"***), ber fünftigen ©omina beS abligen gväuteinftifteS in 
Sinborof), mürben bie oorhanbenen nierunbbreijjig Sriefe gerettet. 


*) »gl. 2Si(b raubt 223 unb ©beopbil 3oUiitg, KleiftS nimmt! id;e SBerfe. ©rfter 
©fjeil. ©ebidjte. ©inleitung. 6. 

**) SB 0 it unb über fg c t it r t cf) non KI e i ft jum 24. 3»ui 1390 für 
Sieinfiolb Stö^ter, in ©ruef gegeben 001 t SS 0 1 f g a n g @ d) nt i b t <>p. 1. 23erliit. »erlag 
non ® r i cf) unb 23 a II t) Sdjmibt, 2HattI)äifircf)ftr. 8. — „23 i l ff e I m i n e Krug" 
g e b. b 0 it 3 e n g e , au eine g r e 11 it b i n. ß e i p 3 i g , ben 20. Sluguft 1823. 

***) S. ebenbajelbft. 
f) »tebermatm 211. 2tnmcrfung. 

Jlorb unk ©fib. XCH. 276. 


22 



32^ 


fjelene §impel in Breslan. 


Bicht PerföntidifteS hatte Steift an SBithelinine gefetjen unb geliebt, 
unb nid)t um ?|ßerfbnücf))te§ 311 ftnben unb 3U lieben, ^atte er fie 
gefaffen. 

Bidjt all 06 Sleift fpäter „geftorben wäre als fein $erj" (»gl. ben 
'-Brief an Sarofine »on Sdjliebcn, Paris, 18. guli 1801; Büloro S. 191), 
nicht als ob er nicht mehr geliebt hätte. 

2ltn Beginn ber BerlobungSjeit noch Suife »on SinferSborf in feinem 
.sjerjen unb beim BuSflingen beS BerljältniffeS bie „golbne Sdnoefter" unb 
Haroline »on Schlichen, an bie er einen Brief getrieben „warm roie ein 
.§e rj unb bolb i»ie ein ©ichtername" (»gl. Büloro S. 189), unb Henriette »01t 
Schieben, ein Btäbchen, ju bem er „einen frentben ÜJialer führen mürbe," 
bet „eine ©eutfche malen rooEte". (Büloro S. 192.) Beibe Sdjroeftem 
waren Steift fcljr theuer: er hatte fie „arm unb freunblid) unb gut gefunben". 
(Bieb. S. 186.) 3)lit Caroline jufammen rooEte Steift im jQa^re 1803 fterben, 
ba ihm fdjon bantalS ber ©ob ein geft fein foBte; ju Henriette fcheint er 
in fpäterer $eit in bem BerhältniB eines Berlobten geftanben ju haben. 

Unb auch auf bem ©elofea*gnfeli, »on bem aus er ben Stbfagebrief an 
aBilhelntine fchreibt, ift Sletft nicht aEein: „ein freunbliä)=liebtiä)cS SDGäbdjen, 
baS ficfj anSnimntt roie ihr Taufname, EEäbeli" (Sob. S. 74), führt ihm 
bie 2Birthfd>aft. 

©ann SBielanbS iüngfte, „fehr hübfdje" (Sob. 79) ©ödster, bie erft 
»ierjehnfährige Biaria Suife Charlotte, bie ihn im Anfang beS gaffreS 1803 
aus bem gafttidpen £aufe beS BaterS »etlrieb unb ihn beinahe roieber 
bahiu jurüdgesogett hätte: Iocft ihn bod) 2tfleS, roaS füfj ift. (floh. S. 84.) 1 

Unb einmal nodh fegt Steift feine ganje Perfönlidjfeit ein, um eine 
Üjattin ju gewinnen: bie Pflegetochter .Hörner«, Cntma Juliane Sunje, beren 
©efang „wirfiidj etroaS BorjüglidjeS" roar, „überhaupt ein liebes Ptäbdjen" 
(SömerS grau an grau SdiiEer). 

©och ber SiebeSfrühting »on 1808 roar furj: Steift roar ber 2llte ge^ 
blieben; abfoluteS StiBfdjroeigen, abfoluteS Bertrauen ju ihm aEein forberte 
er »on gulie. Seine gorbcrung rourbe nidpt erfüllt. 

2ludj bie »erheiratfpete grau ift in HleiftS Sehen getreten: bie 9talpel, 
bie nach feinem ©obe fo fd>öne äSorte fanb, unb feine Coufine Blarie »on 
©ualtieri, geh. »oit Steift, ©ie 3ärtlid)fte unb leibenfdpaftlidifte greuno» , 

fchaft »erbanb ihn mit 2Earie bis 3unt ©obe: fie, bie bie pentheftlea roie eine I 

Seherin aufgefajjt hatte (3°ltlag II. 280), fie nur hielt er für roürbig, | 

il;r bie ©riinbe feines ©obeS auScinanberjufetpen; bod) hatte er fie „gegen | 

eine atiberc greunbiit nertaufdtt", Slbotfine Sophie Henriette Bogel geh. Seber, j 

bie „itid)t bloS mit ihm leben", nein, bie mit ilpm fterben rooEte. gunt : 

groben ÜDtittag hatte er fie gefunben. 

„Unb baS ift ber grofpe Btittag, ba ber EEenfch auf ber Btitte feiner ' 

Bahn fteht" . . „unb feinen SBeg 311m 2lbenbe als feine hödifte Hoffnung , 

feiert: benu es ift ber B?eg 3U einem neuen EEorgen. 2ltSba roirb fidi 


fjeiitrid; »on K ( c t ft unb bie ;ftau. 


325 


ber Untergebenbe fetter fegnen, bafj er ein ^initbetgeljenber fei; unb bie ©onne 
feiner ©rfenntnifj ratrb ifmt im HJlittage ftebn*)." — 

2 lber audb um fjenriette nicht ^atte Stleift SBilbelnüne geiaffen: fie mar 
if)tn nur bie gncarnation ber großen Sunft, ber grofjen ißentfjefiiea, bie 
fein Seben »ernicbtete unb ibm Unfterblidbfeit brachte. 

Unb bodb gab eä am Grtbe beä gabrljunbertS ein Äleift ranbloerroanbteä 
2 Beib, ibm raabloerroanbt in ber Äraft beä ©efiifjls unb ber 5Ciefe beä 
©ebanfenS. Sa§ roar bie greunbin b’Ollembertä, bie ÜDiabemoifelle be 
SeSphtaffe, »on ber -Diarmontei (Mbmoires, tome II., pag. 118, 119) 
gefagt i)at „btonn ant composö de biensbance, de raison, de sagesse 
avec la tete la plus vive, l’äme la plus ardente et l’imagination la 
plus inflammable qui ait existb depuis Sappho.“ 

©ie ftarb in bem gab« »or ÄieifiS ©eburt. 3 bre Briefe**) wirb er nidjt 
gefannt buben. Silber bie ißentljejilea bat fie ibm »orempfmtben unb »orgebadjt : 
„Non, je ne sais pas comment on ne meurt point de la force 
de la pensbe.“ (Tome secood. 242.) — 

2 Bie ift aber baä SBBeib aus bem Sehen Steifte in fein Siebten über» 
gegangen, wie »erhält fi<b in ßleift ber Sidjtermenfdb ju bem Siebtem 
fdböpfer, roie bie grauen feiner Sichtung ju ben grauen feiner Siebe? 

Slnberä als bei Sefiing, anberS als bei ©oetbe unb recht feljr anberS 
als Hßaul Sourget in feinen „Nouveaux essais de psychologie con- 
temporaine***) »on bem 33erbältnifi ber Sidjter 31 t ihren grauengeftalten 
annimmt, gnbent er ftdb nämlicb in bem SIrtifel „Ivan Tourgubniew“ 
mit ben grauengeftalten biefeS SicbterS befdjäftigt, fteUt er im Allgemeinen 
— Surgeniero räumt er eine geraiffe ©onberftellung ein — bie Sbeorie 
auf, bafj ihre grauengeftalten baS iperfönlidjfte feien, roaS Siebter fdf»affert : 
je nach ben »on il)nen im Seben gemalten ©rfabrungen finb biefe grauen, 
bei ben Stomantifern @ngel ober Säntonen, beffer ober fdblecbtcr bei ben 
Anatptifem. ©rfabrung alfo ift baS fDtafjgebenbe nadb Sourget, gute ober 
feblecbte perfönlidbe ©rfabrung — baS ift in bürren 2Borten ber ©inn ber 
»erfübrerifdb geiftreidben ^ßlgrafe beS granjofen, ber eS nidjt liebt, bem SEBefen 
ber Singe auf ben ©runb ju geben. ©0 trägt er ber Statut beS SidbterS felbft 
nur in febr geringem 3)iaf?e ^Rechnung unb fauiit ber geniatifdben Intuition. 

9JUt feiner groben 2 luffaffung rairb 23ourget jebodj für einige gälte 
immer 9ted)t beljalten, aud) bei Äteift. Senn ift nidjt baS JEätbdben 
gebietet für gulie Äunje, unb ift Äunigunbe nidjt ebenfo ein 9(ct ber 
9 ta<be an Sora ©to<f? 

üJtebr: follte nicht baS jarte profil ber Suife »on SiitferSborf ftdb in 
bie ©dbroffenfteiner bineingeftoblen Ijaben, ber ielige ©djatten früljefter Siebe? 

*) 3amtbuftra. ©. 111. 

**) Lettres de Mademoiselle de Lespinasse. A Paris, Chez Leopold Collins 
Libraire, rue Git-le-Coeur, No. 4. 1809. 

***) Paris. Alphonse Lemerre. Editeur. Quatrieme Edition. 


22 * 



326 


ßeleitc Gimpel in Steslau. 


£at fiel; utcf)t baS gbeal einer 33raut, wie illcift fie int Seben begehrte, als 
Soni in feine Sidjtung geflüchtet, baS gbeal einer ©attin, wie baS Seben 
fie bent Sichter uerfagte, als Stechen, als SiSbetl;? 

3«, ihre grauengeftalten finb baS ^erfönlidjfte, was ^Dichter fchaffen, 
aber ber begriff beS „herfönlidjen" geht weit über ben „perfönlidjer 6t= 
fahrung" IjinauS: fdjranfenloS bewegt er fich »nie ber Segriff „ißerfönlitb» 
feit" felbft. ga, feine granengeftalten finb baS iperfönlicbfte, was Jtleift 
geraffen, aber baS „ißerfönlidifte" genommen eben in bem granbiofen 
Sinne biefer granbiofen ^erföttlicfjfeit. 

. 'Jiur ©oetfje fonnte ben gauft bitten; steift nur bie „ißenthefilea": 
fein „innerfteS 2Befen" ift in biefeS grauenbilb gegoffen, „ber ganje Schmerj 
juqleich unb ©lanj feiner Seele*), ltnb wie ißentljefilea fid) bie „Sljräne 
oom 2tuge wifdjt", als fie baS graufe 3Berf »otlbracht, fo weint ber Siebter 
unt ben Sob feiner Slntajonenfönigin. (Sine Shräne ift eS, „Sie in ber 
ÜJtenfdjen Prüfte fchteidjt, Unb alle geuerglocfen ber ©mpfinbung jiefjt, Unb 
gantmer rufet, bag baS ganje ©efd)te<ht, baS leicht beweglidje, beroor Stürjt 
aus ben 2lugen, unb in Seen gefammelt. Um bie 3tuine ihrer Seele weint 
. . . . (hentb- 2784 — 89). 2ld)ill jernffen, ber ©uiScarb oerbrannt, baS 
gbeal ber Vernichtung preisgegeben hier wie bort. Unb hier wie bort ber 
Kämpfer finfenb bem Unerreichten nadj. 

Unb neben ber 9ta<htigallgeborenen (ißentb. 2683), bie ben ©eliebten 
mit SRofen fränjt, blutig unb frifdjen ©rabbuft ftreuenb (Sßentfj. 2908. 10), 
baS ntijftifdje SSeib, baS gartefte, waS flieift gefdjaffen, bie gigur ber 
SUfmene, ber grau, bie beS ©otteS gewefen unb nun nicht länger beS 
Cannes fein fann. 2(ngei1)at6 ber menfdjtidjen SSejirie fteben biefc ©e* 
ftalten: Sonnenroffe geben burd) mit ihm noch, bem ißbantaftifdjen, unb 
führen ihn b oc h hinaus über bie gbeate feines SebenS. 

Slber oom fernften ginge (enft eine unfichtbare $anb jur @tbe jurüd. 
„■Noch ift eS bie SBelt, bie gebrechliche/ auf bie nur fern bie ©ötter nieber* 
fchau’n" (ipentf). 2854, 55), aber feft inmitten biefer gebrechlichen 9Bett, 
überlegen bent ÜDtanne an ®röfje ber Seele, fteben bie 9Mbd)engeftatten ber 
(Joe, ber s J!atalie, bebt fich im iöemufjtein ihrer Unfchulb bie üWarquife wie 
an ihrer eigenen &anb aus ber ganjen Siefe, in welche baS Sdjidfat fte 
herabgeftiirjt hatte, empor. (golling IV. 39). 

2Bie anberS biefe grauen als baS, waS steift im Seben fudfte unb 
begehrte! Sein ©eniuS war auch hier gröfjer als fein 9)tanneStbum, unb 
man barf wohl fagett, bajj biefer ©eniuS gerabe in biefen grauengeftalten 
fein gntimfteS, fein UrfprünglidhfteS offenbart, ober oielmehr oerrathen habe: 
er, bem im Seben ein fiätljcben nicht genug tt)un fonnte an Selbftentäujjerung 
unb Selbfterniebrigung, er war int Sichten eben boch ber Vruber ber 
Ulrife ron illeiu! 


*) Sin 'JJtarie üoit flleift. 3oÜiufl U. 280. 



^au&moefen in 2JItertfyum unb <J3egentt>art. 

Ton 

Crnft JfuFjnm. 

— Königsberg. — 


1. SiebeSjauber. 

23itnfd)clrutfjeii ftnb fjter; fw scigen am 3tamm nidjt bic 8d)iige ; 

9lur in bcr fiifjlcnben £>anb regt fict) baS maglfdje 9tei*. 

(3 o 1 1 1) e. 

eS SlriftoteleS (Sdirift oom (Staat ber Slthener, bie ©timiamben 
beS $eronbaS, beS Söafd>\}tibe§ (Siegeslieber t>at uns in einem 
Seitraum weniger 3at)re ber SBoben 9legt)ptenS geteuft; fie 
finb jebem greunbe beS ftaffifdien 2llterthumS befannt. ®aß wir aus 
bem ©lutterlanb ber bettenijlifdjen Gultur aud) ein ©efdjenf aus bem ®e* 
biet ber griedüichen <Sittengefd)iä)te ermatten haben, eine große Shtjahl 
griedjifdjer Sauberpappri, baoon ift bie ftenntniß nur in ganj Keine Greife 
gebntngen; unb bod) ift ber 2lufjd)luß, ben uns biefe ®ocumente Aber bie 
fpätere JteligiouSgefdjidjte bieten, für unfer Sßerftänbnifj beS ÜlltertljumS 
nicht weniger bebeutungSooll, als ber 33efih jener berühmten ©rjeugniffe ber 


grie<bifd>en ßitteratur. SOom antifen 3a«berwefen haben wir burdj biefe 
gunbe überhaupt erft eine SSorfteHung gewonnen; unfere bisherige Stennt= 
nife befdhräntte fich abgefehen oon ber achten ©flöge 23ergils unb bem jroeiten 


$bpH 2^h c °WtS, baS eine meifterhafte, bur<h feine unheimliche (Stimmung 
paefenbe (Sdjilberung eines SiebeSjauberS enthält, faft nur auf gelegentliche 
furje SWittheilungen, bie nicht ahnen liehen, bis ju welcher SluSbilbung es 
biefe ©adjtfeüe beS antifen SebenS gebracht hat. heute befi&en wir in 
biefen ißappri eine ganje Sauberbibliothef, fo reichhaltig, wie fie für feine 
anbere Seit eyiftirt. ®aS größte, über breitaufenb S e ^ en entljaltenbe 
3auberbu<h ift ©igenthum ber Sßarifer SJationalbibliothef, Heinere hefigen 
baS 33ritif<he ©iufeutn unb bie s 3ibliothefen oon Sepben unb 33erlin. <Sie 
fe|en fich aus einer 3Jlenge einzelner Sauberoorfcbriften jufammen, bie alle 
©ebiete beS SauberwefenS umfaffen unb ohne SBerbinbitng unb Drbnung 



328 


<Ernft Kuhnert in Königsberg. 


eine an bie attbere gereift ftnb; ganj für je inedfifeEn mit feßr ausführlichen, 
bie einen gewaltigen magißhen Apparat entfalten. Sfiebergefdjrieben ftnb 
bie uns erhaltenen ©pemplare im britten unb oierten Sabrbunbert unferer 
Seitredmung; baß fie {eine Originale ftnb, geftefjen fie fctber, inbem fie 916= 
weidjungen non einer autfjentifdEjen Sammlung gewiffenbaft uer&eidjnett. 
Unsäbligentat ftnb biefe Stiebet copirt unb ftets mit neuem Material be* 
reidjert worben, Prabitionen oon ^ahrtaufenben liegen in ihnen uer6orgen; 
neben ganj jungen SefcbwörungSformetn, bie bem auSgebilbetjien retigiöfen 
©pnfretiSmuS beS auSgebenben 2lltertbum§ ihre ©ntfteßung oerbanfen, 
finben mir febr altertbümlidje 3auberoorf<brifteit, bie auf bie erften 2ln* 
fange menfcblicber ßultur überhaupt jurüefweifen. 2lu8 biefetn reichen 
SJtaterial wollen mir unter ^injujiebung fonftiger alter Ueberlieferungen 
unb moberner parallelen einjelne große Kategorien ber antifen Suu&erprayiS 
ju erläutern unb bamit eine 2lrt Ueberfidjt über baS 3 au bertoefen über* 
jjaupt ju geben oerfueben. 

3aubern bebeutet auf eine pebeimnißooHe Sßeife auf ein lebenbeS 
Söefen ober auch auf einen teblofen ©egenfianb einen 3*®(tng auSüben. 
Pas gefdbiebt einmal burd) einen unmittelbaren ©influß: burd) einen 
Sauberfprudj, ein 2lmulet, ober ein ©enußmittel. äUittetbar swingt man 
burd» öanblungen fptbolifcher Statur, bie an einem ben ju Sannenben 
uertretenben ©egenfianb »orgenommen werben, in ber Siegel im Sinben, 
(Stechen ober Srennen biefeS PingeS befteben unb natürlicherweife ftets 
»on 3auberformetn begleitet ftnb, ba ja biefe erft ber 3^at Südbtuttg unb 
3iel antoeifen. 

Piefe Slrten beS 3 a uber§ faden ganj in baS ©ebiet ber SJtagie, ber 
uuerflärlidien, gebeimnißriotlen 9Jtad^t; in baS religiöfe ©ebiet fpielen bie 
©ötterbefchwörungen hinüber, bureb bie eine ©ottbeit gezwungen werben 
fott, bem Sannenben ju SBitlen ju fein; hier giebt bie SJtagie bie SJtittel 
an bie $anb, ©ötter unb Pämonen für feine beftimmten 3™ede fub 
bienfibat }U machen. 

Pie bem ©ebiet ber reinen SJtagie entftainmenben 3«nberbanbtungen 
finb in oft überrafebenber ©leidjartigfeit über bie ganje Sßelt uerbreitet 
unb febeinen auch seitlich an feine ©ren}c gebunbett; wie fte uor 3abr* 
taufenben übli<b waren, fo finb fte junt großen 5T^eil nodj beute, mitten 
unter uns im ©ange. «Sie beruhen auf allgemein menfddidjen 2lnfd)aiutngen, 
bie bem natürlichen SJlenfdben ftets unb überall eigen waren, eigen finb 
unb eigen bleiben werben. Per religiöfe Sauber ift natürlich nach ber 
©ulturftufe ber ihn auSübenben Sölfer fel)t oerfdjieben; bo<h feine urfprüng« 
lidiften formen werben wir auch als allgemeiner uerbreitet fennen lernen. 

©rreidjen wiH ber 2Jtenfdj burd) ben 3 au ber, was ihm überhaupt er* 
ftrebenc-wertb erfdieint, im ©uten tuie im Söfen: er miß bie 3 u funft er* 
fahren, wiH ©djäbe erwerben, feine ©egner bejwingen ober oernidften. 
SßeitauS ben bebeutenbften Umfang aber unb bie größte SluSbilbung b Q i 


ganberwefen in 2lltertfium unb (Segenwart. 329 

ber gauber ju SiebeSsweden erreicht, bcm wir batjec auch an erfter (Stelle 
unfere SHufmerffamfeit pwenben wollen. 

5ßrhtcipieH ift ber SiebeSjauber non beit anbereu Beeden bicnenbeit 
gauberübungen nid)t oerfhieben. ©er ©ebanfe beS gwangeS Hegt, wie 
fhon heroorgehoben, aller -Utagie ju ©runbe; oerfdfiieben ift nur ber gwed, 
je na<hbem man ben in feiner ©etoalt Stetjenben jur Siebe ober ju irgenb 
einem anberen ©ienft swingen ober feinen ßafs an ifjm auSlajfen, ihn 
fdjäbigen ober ju ©runbe richten miß. ©aber fefjren benn bei ben oer= 
fdjiebenen 2lrten beS gauberS im ©rohen unb ©anjen bie gleichen gormen 
roieber, bisweilen fogar bie gleichen gormeln, nur unterfchieben burch bie 
wenigen SEorte, bie bem gauber bie Dichtung anweifen. 

Son ber einfachen 2lrt beS gauberS, bem blofjen &erfagen eines 
gauberfpruchS, fteht unS, fo l)od) man feine ©eroalt auch fonft «nfhlug, 
für ben SiebeSjauber feine Ueberlieferung ju ©ebot; bem ungeftümen 
Sehnen beS Siebenben wirb baS blohe SEort nicht genügt haben. 2ludj 
Slmulete fcheint man ju biefem gtoed nur feiten angewanbt ju haben; üe 
pflegten mehr ber 2tbwebr fhäblidjen ©influffeS ju bienen, gnbeffen hören 
mir boh, bah ber Stein SeteniteS, bem gaSpiS ähnlich, feinem ©räger 
Siebe erwerbe; begleichen foU ein ginntäfelhen, auf bem mit eifernem 
©riffel beflimmte gauberworte eingerifct finb, wenn es ber Siebebebürftige, 
alles Unreinen ft<h enthaltenb, trägt, Siebe erwerbeitbe straft befifcen. 33e- 
fonbere ©ewatt wohnte beftiinmten ßomeroerfen inne; ganje Leihen sauber* 
fräftiger Sßerfe, benen man biefe SBebeutung abfotut nicht anfietjt, finben 
wir in ben gauberpappri oerjeicfmet. ©rei Sßerfe aus ber gliaS, bie 
ganj jufatnmenhangSloS aus ber ©olonie (564, 521, 572) herauSgeriffen 
in SoffettS Ueberfefcung lauten: 

Sptadj’ä unb teufte ben ®raben f)iuburd) bie ftampfeitbeit Stoffe . . . 

Uitb nod) jappetnb bie SKänuer in ftfjrecfertDoHer (frmorbuug . . . 
iE rauf euttoufcfien fie beiße ben bieten 2cf)iue:fi in bie ÜJteerftntt) . . . 

oerleihen bem, ber fie auf einem eifernen ©äfelhen bei fth trägt, einen 
wunberbaren Segen: entläuft er, fo wirb er niht gefunben; bie grau ober 
ber SJtann, ben er berührt, muh h B lieben; er ift unoermunbbat, wiber* 
fteht jebem gauber tc. greitih ftnb für jebe einseine biefer übernatürlichen 
SBirfungen noh befonbere Sorbereitungen erforberlih- 

Sluh beftimmten ipflanjen wirb eine Siebe oermittetnbe Kraft ju= 
gefhrieben, fo ber 2)iprrhe unb ber Staute; oermuthlih trug fie ber Siebe* 
bebürftige bei fth, wie es in granfen mit ber SEursel oont Siebflödel unb 
in fßofen mit bem Seifujj gefhieht, ober er berührte bie (Beliebte bantit, 
wie man eS in Söhnten mit bem StoSmarin unb ber 3Begwarte thut. 

gür wirffamer als biefe harmlofe 3lrt beS gauberS galt ber ©influfj 
»on ©enuhmitteln auf ben ÜDtenfdjen; oorjüglih bie SiebeStränfe waren ju 
aßen geiten beS flaffifhen 2llterthumS im ©ebrauh- <Sie umfaffen bie 
unfhulbigfien unb bie gefährlihften SRittel, bie bie SDtacht ber Staferei be* 



550 


<£ r ii ft Kttfjnei-t in Königsberg. 


fißen, roie Doib jagt; fteHentoeife fielen fie gerabeju in'« ©ebiet ber ©ift* 
tnifdjerei, unb fdion an« Dentofthene«’ 3eit fjören mir non ißroceffen, bie 
cm« biefenx Slntaß eniftanben. 2 )ian oerroerthetc baju at« jauberfräftig 
gettenbe ©egenftänbe, norjüglid» ßräuter, rote ba« in Slrfabien roachfenbe 
Äraut ^ippoinane«; ober man fcfjüttete eine geröftete unb ju ißuloer jer* 
riebene Gibechfe in ben SBein, ben man bem ©eliebten 51 t trinfen gab. 
ÜJian begnügte fidj roohl auch mit bem 33efpred)en eine« Drunfe«; eine 
foldje über einen SBedjer SBein gefprodjene formet lautet: Du bift SBein, 
Du bift nid)t 9£ein, fonbern ba« $nupt ber Stihena; Du bift SBein, Du 
bift nicht SBein, fonbern be« Dfiri« Gingeroeibe; wenn Du in ba« Qnnere 
ber 9t. 9t. fomtnft, fo foll fie mich lieben bie ganje 3«it ihre« Seben«. 
SBcfonbere SBirffamfeit ßhrieb man einer ©peife ober einem Drauf ju, ber 
etroa« non ber Sßerfon enthielt, bie Siebe erjroingen rooHte; nodj heute fteht 
bie« SDtittet in I)ödjfter Sichtung. SOtan mifdit bem ©eliebten junt S3eifpiel 
einen Dropfen 39 (ut in feinen Drunf ober giebt ißm einen 2 tpfet, ben man 
unter ber Sldjfel getragen, ju effen; baburd), baß etroa« non einem 9)tenfdjen 
in einen anberen üb ergebt, glaubt man eine unlösbare Skrbinbung beiber 
bergeftellt. Unerfdjöpftid) ift bie 3aht folcfier SJtittel; roaS alle« man ber 
tperfon, beren Siebe man erjroingen roollte, natürlich ohne baß fie etroa« 
baoon ahnte, beijubringen fuchte, fpottet jeber 33efdjreibung. 

Die bi«l;er ermähnten Slrten be« 3auber« beruhen auf bem ©lauben 
an eine unmittelbare Ginroirfung auf bie ißerfon be« ju S3annenben, mag 
fte au« ber gerne ober bureß eine förpetlidje ^Berührung ober Slffection 
ftattfinben; bie jroeite große Älaffe oon 3 aubergebraud)en grünbet fi<h auf 
bie Storfteftung, baß siuifcfjen bem SJienfdien unb beftimmten Dingen eine 
geheimnißoolle S3esiefjung herrfdje, fo baß eine an einem foldjen ©egenftanb 
ausgeübte £>anblung gleichseitig auf bie ißerfon roirfe. Urfpriinglid) mußte 
bie« bie ©teile be« 9)tenfd;en oertretenbe Gtroa« jroeifetlo« in engfter SSer= 
Innbung mit ißm fteßen; ein ©tüd oon feinem Körper roar ju foldjem 
3auber erforberlicfi, roie junt Seifpiel feine $aare ober 9täget. Da« ift 
eine Storftetlung, bie in ber ©egenroart noch ebenfo feft rourjelt, roie einft 
im Sitterthum unb bie über bie gefantmte ciuilifirte unb uncioilifirte SBelt 
oerbreitet ift. 33ei ben Slegeroötfern behercfdjt fie beren ganje« Seben in 
furdfibarfter SBeiie: fein $aar, feinen gingetnagel, nicht einen ©peiferefi 
mag ber Sieger liegen taffen ober fortroerfen, um nicht feinem geinb eine 
^anbßabe junt 3 aubcr bannt ju bieten; Me« roirb forgfättig oergraben 
ober oerbrannt. SSon ben cioilifirten Stationen ift biefe gurdjt früh über? 
rounben; nur im 2 tberglauben hat fie fortgelebt unb ift im 3 Q uber häufiger 
auSgenußt roorbett. ©elbft ein geßen oon be« SJtenfdjen Sileibung giebt 
©eroalt über ihn, roie im .Cnppohjto« be« Guripibe« ju tefen ftetjt ; fogar ba« 
oon ilpn betretene ©tüd Grbe, feine gußfpur, ein Mergtaube, ber befonber« 
auch *nx alten gttbien oerbreitet roar, roie er e« heute noch in Deutfihlanb 
ift. $n Stile«, toa« ber 9 )tenfdj berührt hat, in Stile«, roa« auf irgenb eine 


Sauberwefen in 2Utertf}um unb (Segcnroart. 33J 

SBcifc mit iljm jufamntenbängt, ift ein ©heil feinet Kraft übergegangen, 
bamit alfo fann man au<f) ©eroalt über ihn erlangen. gn befonberem 
■äJtafj gilt baS für ein Slbbilb beS -JJtenfcben, beffen grof;e Sebeutung im 
2Iltertfjum allgemein befamtt ift; will ber Hellene einer ©ottfjeit feinen 
©an! barbringen, fo roeibt er iljr ein 33ilb feiner ißerfon, gteidjfam fein 
anbereS 34; unb umgefeljrt, ftöjjt einem Silbe ein Unfall ju, fo gilt baS 
als böfe Sorbebeutung für ben ©arge »'teilten, ©iefer ©laube an bie 

2Bedf)fetbejieI)ung non SWenfd» unb Silb erfdjeint in ber antifen Sßelt be; 
fonberS ausgeprägt, ift aber feineSroegS auf fie bef4tänft; er begegnet uns 
ju aßen Beiten, im 3Jiittelalter mar unb no<f> fieute ift er befonberS bei 
ben romanifdjen Söffern nerbreitet. ©beiten tbut ibn bie ganje SBett; in 
3apan ift er ebenfo ju .jjaufe, wie im 9Ralapif4en 2tr<f)ipel unb in 
SKtnerifa; auf ibm beruht bie unüberroinbli4e S4eu nieler uncuttinirter 
Söffer, ficb malen ober photograpbiren ju taffen: fie glauben, ihre Seele 
gebe in baS Silb über unb roerbe fo in bie s J)ta4t eines anberen HJtenfcben 
gegeben. 

2tuS biefer 2lnf<bauung non ber gebeimnijjnoHen Sejielmng jroif4en 
beut 2Jtenf4en unb mit ibm jufaminenbängenben ©ingen bat fidj eine ganj 
eigne 2lrt beS BauberS, ber fogenannte ©ptupatbiejauber entroicfelt; unb 
biefe SDtetbobe, an einem beftimmten ©egenftanbe norjunebmen, roaS man 
einem 2Jtenf4en antbun wollte, bat ficb eine folcbe 9lnerfennung errungen, 
bafj man ben Kreis ber babei nerroenbbaren ©egenftanbe in’S Unenblicbe 
erroeitern fonnte: jeher beliebige ©egenftanb tnirb f4liejjti4 ju biefem 
Bauber nerroertbet, ohne bafj irgenb eine nähere Sejiebung jroifeben ibm 
unb bem ju Sannenben beftänbe. 3 n einem mecflenburgifcben Bauber 
finben mir einmal eine förntlidbe ©aufe eines ©biereS, baS bie Stelle beS 
ju Sannenben nertreten foHte, auf beffen 9tamen torgenommen; aber biefer 
galt ftebt nereinjelt ba. 2i?ir haben aus bem überlieferten 3)iateria( ju 
fdjtiefjen, bafj audj ohne einen folgen 2lct jeber beliebige ©egenftanb bei 
biefen Bauberbanblnngen nerroertbet roerben fonnte unb allein bureb bie an 
ihm norgenommene $anblung in Serbinbung mit ber Bauberformel feine 
9Ha4t über ben ju Sannenben gefebaffen galt. 

®ie fpmbolifcben Bauberbanblungen waren nerfdjiebener 2lrt, ent; 
fprecbenb ben feelifcben ober förpcrlidben Ginpfuibungen, bie bie Dual ber 
Siebe bernorruft; bie gebräucblidbften finb Sinben, Srennen unb Stegen, 
©ie Spmbolif beS SinbenS ift beim SiebeSjauber ol;ne Weiteres nerftänb; 
lidj. SBie baS SJtäbdben um ben diacfen beS ©eliebten ein aus nerftf>iebeu« 
farbigen gäben geflochtenes- Sanb fcblingt, unt bamit ihre fefte Bufammen* 
gebörigfeit ju fpmbolifiren, fo wirb in bem groben SiebeSjauber beS fßarifer 
ißappruS baS tljönerne 2lbbilb ber ju Sannenben mit einem gaben, in bem 
365 Knoten finb, umrounben (365 ift ber Bafilmertl) beS berühmten Bauber; 
worteS 2lbraj:aS); im jiebjebnten 3 n b r bunbert roanbte bie JRaitreffe beS 
gürften non Senofa, ro:e wir aus ben 2lcten beS 9?eapler BnquifitionS; 



332 


<2rnft Kufynert in Königsberg. 


tribunals erfahren, benfelben 3 au ^ er an, inbem fie ein äßadhsbilb beS ihr 
untreu geworbenen mit ©triefen utmoinben liefe. gn ber achten ©flöge 
©ergils trägt bic Bauberin baS ©itb ihres (Beliebten ©apfeniS brei ©tat 
um einen 2lltar unb binbet es bann mit gäben oerfchiebener garbe, unb 
Sibeofrit läfet feine Bauberin ihr Bauberräbdjen ebenfalls mit gäben umroief ein. 

häufiger als baS Sinben 6egegnet baS ©rennen eines ©egenftanbeS. 
9luS ^oraj ift bie ©efcfimörung ber Bauberinnen Gambia unb ©agana 
befannt, bie burdj ©erbrennen eines 2SacfeSbilbeS in einem abtrünnigen 
Siebhaber bas geuer ber Siebe roieber ju entfachen fudjen. ©aS ©leiche 
will bie fprifdie Bauberin erreichen, non ber uns Sudan in einem feiner 
£etärengeiprädje erjäljlt. ©ie forbert oon bem ihre &Ufe fuchenben 
itiäbdjen einen ©egenftanb, mit bem ber herbeijufefeaffenbe ©eiiebte in ©e= 
jieljung geftanben habe; fie erhält beffen ©djuhe unb hängt fie über einem 
©cfemefelfeuer auf. ©ei Sheofrit ftreut bie Bauberin 9)tehl in’S geuer mit 
bett SBorten: ich ftreue beS ©elphiS ftnodjen. darauf oerbrennt fie einen 
Sorbeerjweig; wie biefer fofort geuer fing, laut fnifterte unb ohne 2tfd)e 
oerbrannte (worin man eine gute ©orbebeutung faf)), fo, münfdjt fee, möge 
aud) beS ©elpfeiS Seih in ber glamme (ber Siebe) bahinfdjroinben. Unb 
weiter fingt fie: wie ich bieS ©tücf SßadjS fdjmelse, fo mag augenblicfS 
oon Siebe fdmteljen ©elphiS; mit beinfetben energifdjen ©ebanfen wirft fie 
fdhliefelidh und) einen geben oom ©tantel beS ©eliebten in’S geuer. 2luch 
ber 3auber mit einer fDtprrlje aus bem ©arifer ©appruS gehört hierher; 
auf einem Mjlenbecfen wirb bie ©flanke oerbrannt mit bem Bauberfprudj: 
wie idj ®idj hier oerbrenne, fo brenne ®u meiner ©eliebten ©eljirn, brenne 
iljr Gingeweibe, eutjieh’ ihr baS ©lut, bis fie ju mir fommt. ©rofee 
3artl)eit bem weiblichen ©efcfelecljt gegenüber oenäth biefc 3auberformel 
nicht; oiel freunblichcr muthet uns ba ber beutfdjc geuerjauber aus ^obem 
furt im ©öhmerwalb an, bei bem ein weifeeS mit oier 3aubernamen be : 
fcferiebeneS ©las an’S geuer gelegt wirb mit bem ©prudf: als Ijapfe baS 
©laS ift, als hapß fp ber 9t. nach mir 9t. 

®ie weitefte ©erbreitung beim ©pmpathiejauber aber hat baS ®urch= 
ftechen eines ©egenftanbeS gefunben. Doib fpridjt in feinem ©ebicht über 
bie Siebe oon ber ©ewohnfeeit ber 3auberinnen, einer gigur eine 9tabel 
in’S ^erj ju fiofeen. gn bem grofeen SiebeSjauber beS ©arifer ©appruS 
ift bie ©tatuette ber ju ©annenben nicht nur oon einer j weiten gigur mit 
bem ©«hwert burchftochen gebilbet, fonbern ber ©efdjroörenbe burchfticht 
währenb ber ©efdjwörung nod) weiter mit breijehn 9tabeln: mit einer baS 
©ehirn, mit sweien bie Cferen, mit jweien bie 2lugen unb fo fort, unb 
bei jebem ©tief) fagt er: id) burefebohre Sein ©ehirn, 9t. 9t., ©eine Dferen, 
©eine 9lugen u. f. w., bamit ®u an 9tiemanb benfft, als an mich allein. 
9la<h einem attberen gauberrecept werben einem aus ©alg ober 2SacbS 
geformten ^iinbehen bie 9lugen einer gtebermauS eingefefet, mit 9tabeln 
burchbobrt unb baju ber SBunfdj auegefprodjen, bie ©eiiebte möge ben 


gauberroefen in 2llterttium utib «Segenroart. 333 

©lanj ihrer Slugen oerlieren ober fdjlaflol bleiben, unb Niemanb anberl 
im «Sinn hoben all ben, ber biefen groatig oeranlahte. 

UeberaH finben fid) für biefen 3 Q uber Parallelen. 3m Mittelalter 
roar er weit oerbreitet; id& ermähne nur, bah man burdh 3 ei 'ftedhen oon 
SBadjlbilbern ftdh fogar an bal Seben bei Papftel Johanni XXII. wagte, 
wogegen oon bem Oberhaupt ber Jtiräje bann energiidje Maßregeln er* 
griffen mürben. 2lber audb heute noch ift biefer 3auber überall im ©e= 
brauch. ®ie Japanerin heftet ihrel treulofen ©eliebten Silb im Stempel* 
garten an einen Saum unb burdjboljrt el mit einem Nagel; in ber Ober* 
pfalj jünbet bal Mäbdjen um Mitternacht unter Sefdhroörungen eine Äerje 
an unb burdjfticfjt fie mit ben SBorten: id) fiedh’ bal £id(jt, ich ftedh’ bal 
Sicht, id) ftedh’ bal <eerj, bal id) liebe. 2Bie altertümlich biefer Sraudh 
ift, fönnen mir fdhon aul ber Perroenbung ber ßerje fdjjliehen, bie all 
altel Spmbol für bei Menfdjen Seben allgemein befannt ift. 2lu<h 
aul Gn glaub erfahren mir, bah ewige in ein Stücf StatglidEjt geftedte 
fabeln beroirfen, bah ber in ber gerne befinblidhe Siebhaber feine ©eliebte 
befudhen muh. 3u Sudfinghamfhire rcirb babei rote in ber Oberpfalj ein 
brennenbel Sidht oerroanbt, in bal jroei SJtabeln freujroei! hiueingebohrt 
werben, rooju bal Mäbdhen fingt: 

It is not this candle aloue I stick, 

But A. B’s heurt I mean to prick; 

Wliether he bo asleep or awake, 
l*d have him come to me and speak. 

2Benn bal Sidht bil auf bie fabeln heruntergebrannt ift, fo langt 
ber ©eliebte an. 

®ie gebräudhlidhften SIrten bei Sptpathiejauberl haben mir barnit 
fennen gelernt; baneben roaren noch anbere im ©ebraudh, roie j. 33. bal 
Sßerroifdhen unb Betreten ber guhfpur einer Nebenbuhlerin, bal in einem 
anbem fietärengefprädh Sucianl eine Hetäre ihrer greunbin räth- 3ludh 
bie im Sllterthum oerbreitete Sitte, ein eherne! Nab jurn 3roed bei 
Siebeljauberl ju breben, auf bal man ben Sogei gpnp, ben SBenbehall, 
ju binbett pflegte, gehört in biefen Äreil. SBäljrenb ber ganjen Sefdhroörung 
breht el bal Mäbdhen bei SCheofrit mit ben Porten: „gpnr, jieh mir ben 
Siebjten in mein föaul." Schon ju pinbarl 3 e ^ war el ein alter 
3auberbraudh, roie mir baraul entnehmen bürfen, bah er bie Siebeigöttin 
Nphrobite ihrem Sdfwfeling gafott, all er Sflebeal Siebe ju erringen 
trachtete, ein Näbdben mit bem SBenbehall geben läht. SDie Sebeutung 
bei Nabel erflärt Sheofrit! 3“uberin felber in ihrer Seidjroörung: roie bal 
Nab gebreht roirb, fo möge ftdh ®elpt>i! oor meiner Sphäre roinben. SDafj 
biefe Grflärutig bal Nedhte trifft, lehrt uni ein analoger SDiebeljauber au! 
Söhmen: Sinbet man ein oon einem ®ieb jurüdfgelaffenel Stücf (etroa ein 
SEudh) an ein Ntühtrab, fo hat ber SOieb, roenn bie! in Seroegung ift, feine 
Nuhe mehr unb muh rote toll umherlaufen. 



33^ <£rnft Kutjnert in Königsberg. 

<2ouie( über bie föiethoben beS StnupathtejauberS. 

©afj fidi bet Söefdfmjörenbe ni<f)t auf eine einzelne Z<wberhanbtung 
befdhränfen brauste, fonbern non einet Sßerbinbung mehrerer fidb eine traft* 
notiere SBirfung verfpradh, Ijaben tnir aus ©tjeofrits ZbplI fennen gelernt, 
nio bnS nertiebte fötäbdhen nid)t nur baS Zuuberrab breht, fonbern audh 
föfeht, 333act)§ unb Sorbeer in bie stammen wirft; bajj bei Zauberern unb 
Zauberinnen non SBeruf biefe fßroceburen einen befonberen Umfang an* 
nahmen, liegt in ber Statur ber Sache. Aber nicht nur im ©ebiete ber 
reinen föiagie bleiben biefe 3 au berbanbtungen, fonbern um ihre SBirffam* 
feit ju erhöhen, finben mir oft noch ©ottheiten unb ©amonen herbeigejogen, 
beren SBerwenbung im Siebessauber noch einer füllen 33etradf)tung ju unter* 
ziehen übrig bleibt. SBir erwarten gunädifi bie Siebesgottheiten hier ju 
fmben; unb fo fehen wir benn bei Sucian einen hpperboreifdhen Zauberer 
einen fleinen Gros auSfenben, um bie ©eliebte herbei juholen; unb in einem 
ZauberpappruS wirb bem Siebebebürftigen empfohlen, nadj Opferung eines 
JtudhenS je fieben fötal an lieben ©agen ju feiner ©eliebten, ber er babei 
bis auf beu ©runb ber Seele bticfen muff, ben ©eheimnamen ber Apbrobite 
Stepherieri auSjufprechen. Stuf bie Siebesgöttin geht audh eine an ihren 
Stern (bie StenuS) gerichtete 23efdhwötung, in ber ber ©öttin, falls fie fidj 
nicht willfährig jeigen follte, gebroht wirb, baf? fie ihren AboniS aus bem 
HabeS nie wieberfehen, fonbern ber Zauberer ihn mit geffetn bort binben 
werbe. Aber biefe fyälle bitben bie Ausnahme. ©ie rechten Zaubergottheiten, 
audh für ben Zauber ber Siebe, finb vielmehr bie fötächte ber ginftemijj; 
an ben ©ciflerfpuf ber Unterwelt wanbte fidh fafl auSfdhlie&tidh bieS licht* 
fcheue ©reiben, vor Allem an bie gefpcnftige Hefate, bie um SJtittemadht 
an ben ©reimegen ihr fföefen trieb, an Selene, fßluton, fßerfephone unb 
Rennes. ©o<h nur fetten wagte man bie gewaltigen ©ottheiten fettet 
heraufjubemühen; man erzwang non ihnen bie Senbung ihrer Untergebenen, 
ber ©obtenbämonen, unb norjügtid; citirte man bie Seelen ber ju früh 
33erftorbenen unb ber auf gewaltfame SBeife aus bem Sebeit ©efdfjiebenen. 
©er Grmorbeten Seelen finb ruhelos, groHenb ber fölenfdhheit; fie, bie burdh 
©ewalt unb Unrecht ein vorzeitiges ©nbe gefunben, glaubte man, wie 
©ertullian fagt, befonberS ju gewaltthätigem unb unredhtem Hanbetn 
geneigt; beSgleidjen bie Seelen ber jti früh fBerftorbenen, bie beS SebenS 
Ziel nidt)t erreicht, fein 2Beib unb feine Stinber befeffen hüben, bie ihnen 
tiadh bem ©ob hcroifdjje Verehrung augebeihen taffen fonnten. ©iefe Sin* 
fdhauung finben wir im Aberglauben überall verbreitet; non ben jauberifdfjen 
Gigenfchaften ber Hingerichteten unb ©ehenften, beS ©algenS u. f. w. ift 
man noch heute in gewiffen Schichten nnferer 33evölferung fefi überzeugt; 
unb bie 33orftellungen uon ber Zaubcrmadht ber ju früh 23erftorbenen hat 
baS Ghriftenthum nur in gefehlter 9'Beife ju ntobifteiren vermocht, inbem 
eS ben an fie gefnüpften Aberglauben auf bie ohne ©aufe geflorbenen 
ftinber befdhränfte, von betten ber pommerfdhe fßotfSglaube jutn 33eifpief 


5ctubetn>efen tn lUtertfjum uttb (Segenmart. 335 

noch heute meint, baß fic bem Sööfen gehören, Staats als grrlicfjter umher* 
Rupfen unb ben SBanberer in’S Sßaffer jietjcn, an bem fic bis jum jüugften 
Sag fierunrirren müffen. Siefe tobten Seelen ftanben bem 2)teni'cfjen feit 
Urjeiten als 3 au berbämonen am nächften ; tneifienS werben bafyer auch bie 
3auberf)anblungen an ©räberit oorgenommen. 2luf einem griebfjof fpielt 
bie fiorajifd^e ©efdjroörung; ©rabeSerbe unb ßitochen mären unumgängliche 
93eftanbtt)eile in bem Apparat eines antifen 3®ubererS unb haben ihre halb 
hilfreiche, halb fdhäbiiche SBirtung bis heute nicht eingebüßt. 

Ser 5ßerfehr mit ben unterirbifchen ©ewalten fanb entroeber fdjriftlich 
flatt, inbem man fleine ©leitäfelcfjen, bie neben ber ©efchmörung ben 
Sßunfdj beS ©annenben genau oerjeicfjnet enthielten, in bie @rbe fentte, 
nteifi in ein ©rab' ober in einen Brunnen, oon bem man annahm, baß er 
mit ber Unterroelt in ©erbinbung flehe; ober man citirte bie ©ottheiteu birect, 
toie mir einmaf fjefate unb bie eße= unb finberloS geftorbenen Heroen 
herbeigerufen finben, um ju Raupten eines SRäbdfjenS ju ftehen unb ihr ben 
füßen <Sc£)[af ju rauben, bis ne ben ©ephmörettben erhört, Bisweilen oer= 
einte man ©eibeS unb lieg ber Sitation bie Uebcrgabe eines SäfeldjeitS an 
einen Sobtenbämon oorauSgeßen. So ift es jum ©eifpiel in bem fchoit 
mehrfach herangejogenen SiebeSjauber beS ©arifer ©apijtuS ber galt; bem 
Sobtenbämon, ber bie ©eliebte hevbeiführen fott unb ber, wie ber Kriegs* 
gott gemaffnet, baS SRäbchen an ber Schulter mit bem Sdhwerte burdhbohrenb 
gebilbet ift, wirb nach Sonnenuntergang ein ©efchwörungStäfelchen mit biefen 
gigürefjen jufammengebunbeti in’S ©rab gelegt. Sie ©efchmörung ift ge« 
richtet an bie großen Unterweltsgötter, Sßluton, s f]er|’ephone, fjeroieS, 
2InubiS, an alle UntermeltSbämonen unb an bie ju früh nerftorbenen 
Seelen; fie 3lHe werben befeßworen, ftch bem Sämon biefeS ©rabeS ju 
gefellen, unb biefer Sämon, fei er männlich, fei er weiblich, fott fi<h 
erheben unb bie ©eliebte, wo fie auch fei, herbeiführen. „Sßuft Su baS," 
fährt ber ©efchwöreitbe fort, „fo witt ich ®ir fofort Seine 5Jtuhe mieber* 
geben; benn ich bin ©arbarabonai, ber leuchtenbe fjerr beS Rimmels, oor 
bem bie Sterne erblaffen." 

Siefe lefete ©efchmörung giebt uns jngleich an, worin beS 3 fl ubererS 
SJtadjt über bie ©ottßeiten ruhte; et ibentificirt fidj mit bem höchften ©ott, 
beffen Stamen er nennt, unb burdß bie furcht oor biefem jwingt er bie 
Stnberen jum ©ehotfam. Unb ben ßöchften ©ott felber jwingt er burch 
Stennung feines ©eheimnamenS; bie Jtenntniß biefeS SiainenS oerleiht 
3Ra<ht über ihn, biefer uralte ©laube ift halb mehr, halb minber beutlidj 
ausgeprägt in allen ^Religionen ju finben unb bilbet ein charafteriftifcheS 
SRerfinal beS religiöfen SpnfretiSmuS am ÜluSgang beS SHtertßumS. ©ans 
frembartig ttingenbe ©amen begegnen uns ba, oft im wahren Sinne beS 
9BorteS unauSfpredjlidj- 3hre ßtflärung wirb oieQeidfjt nie gelingen unb 
würbe auch feinen ©eminn bebeuten; wir ftnb hier wirtlich im ©e6iet beS 
grauenhaften, baS ein büftrer SBahnfinn feßuf. ftinblicß bagegen ntuthet 



336 


€rttft Kutjnert in Königsberg. 


uns eine anbere 2trt an, auf bie man biSroeiten einen ©ott }u beeiuftuffen 
fu^te; man nerleumbete ihm bie ju bannenbe fßerfon, legte ihr Schmähungen 
in ben SDlunb unb benuncirle fie als feine 33erädjterin; fo hoffte man 
ben ©ott ju ihrer Verfolgung anjuftacheln. Solche VerleumbungSjauber 
befißen mir jroei in ben Vappri, einen an Selene unb einen jtneiten 
an fieben ©ottfjeiten äugleid) (barunter Qao, Sabaoth, Abonai). Aber biefe 
Sauber galten als fe|r gefährlich, foroohl für ben Vannenben nrie ben ®e* 
bannten, unb es roirb auSbrücflich gerathen, fie nur in äufjerfier 9ioth an* 
juroenben unb ein Amulet bei ft<h ju tragen; Selene roenigftenS foll bie nicht 
genügenb ©eftcherten mit fi<h in bie Suft reihen unb fie bann auf bie ©rbe 
hinabftürien. 

Unfere Keine Sfijje umfafjt einen Seitraum non Sahrtaufenben : bie 
rein inagifdhen Souberb rauche unb ben ©lauben an bie Supermacht ber 
tobten Seelen, mit anberen SBorten bie ©runbjüge allen SouberroefenS, 
haben mir noch heute im SSoltSglauben ebenfo anerfannt gefunben roie im 
grauen Altertum. Afan E;at früher ben antifen Aberglauben roie auch bie 
antife Religion unb ÜDtpthologie aus bem Orient herleiten wollen; Affprien, 
fßerfien ober Aegppten follte feine Heimat fein. $n ber Stjat ftnb befonberS 
bie auSgebilbeten VefchroörungSfpfieme fpäterer Seit noH non fremben 
©lementen; aber bie ©runbjüge allen SöubergtaubenS, bie roir hier auf* 
gebecft hüben, ftnb fein ©igenthum non Aaffen ober gar Nationen, baS eine 
ber anberen entlehnt hoben müßte; biefe ©runbanfchauungen rourjeln im 
natürlichen 3Jtenf<hen aller Seiten unb Sauber unb roetben erft mit ihm aus 
ber 2Belt nerfchroinben. 



<§dtgeift unb Stenographie. 

Doit 

Mil ßfrfjter. 

— £eip3ig. — 

ebe ßpodfje ber ßulturgefdfjidfjte trägt tfjr befonbere», fpecififc^s 
eigentljümlidfie» ©epräge, metdfje» ben Gljarafter ber 3®W in 
feinen manntgfadjen ©efialtungSformen unb Söilburt gSfiabien 
jum lebenbigen 2lu»bru<f bringt. Unb jebe» ©ebiet bat feinen eigenen 
©eift, ber in 3lrt unb £enbenj ber ©efdjeiiniffe fidfj äufeert. ©o ift bie 
ganje ßntroidfiurtg öder ßinjelftrömungen mit bem roecbfeluollen Sauf be» 
gefammten Gulturleben» »erbunben, ba» 9lab ber 3eit, ba» uttabläffig ber 
unbejUmmten, finfteren 3ufunft entgegenrollt, webet fiörenb ober fjemtnenb, 
nodf) feinen geroofjnten ©ang burcfj ©egentenbenjen beeinfluffenb. Unb an 
biefem faufenben 33ebftul)I ber 3eit, ber bie Segebenljeiten ber ©egenroart 
ju einem gefd^id^ttidjen ©anjen oerfledjtet, bie tobten ©efdfjeljniffe ju einem 
leben»ooHen 33 üb ber ©efd^id)te uerbinbet, arbeitet unb wetteifert unents 
toegt bie gefammte ßulturmenfd&ljeit. 3bte ©eifte»ridf|tung, ifjre 9tuf= 
fajfung»roeife, il)r fittlid&e» güljlen unb Renten bilben gennffennafjen ben 
©runbton be» ©efd&id&tsbilbe», in bem ber fjarbenreicfitfjum be» ßultur* 
leben», bie SDJannigfaltigfeit be» SBerben» unb 2Badl)fen» ftä) roieberfpiegelt. 
Seeinflufit oon biefem naturnotfiroenbigen gortfd^reiten bilbet unb oeränbert 
fidfj ber jeroeil» oorlierrfdienbe 2lu»bruci ber tenberi ji ö^=geiftigen <Sdjaffen»= 
Üjätigfeit. 

Bitten bur<ij bie ereignifjoolle unb gefdfiefinifjreidfje SBeite be» ßultur= 
gebiete» jieljt fidt) roie ein rotier $aben ber ©runbjug in ber ßntroidflung 
ber ©dfirift unb ©tenograpfiie al» Präger be» geiftigen Seben». $n ifjrem 



538 


mil 2Sid)ter in Ceipjig. 


Sauf tritt nicht bic ruhige, gtei'chmäfiige äfafeinanberfolge einer geraben 
Sinie heroor, fonbern ber cbarafteriftifche 3icfjacfroeg, welcher mit bern Sin* 
brudh eiltet {eben 3eitalterS in weite, nach anberen, neuen ^Richtungen fidh 
neigenbe Guroen einbog. So waren bie Seränberungen in bem ^ifiorifdfien 
SBerbegauge ber Stenographie, welche fi<h in bem farbenreichen Silbe ihrer 
©efdfjichte mit fcheinbarer Stegelmäfcigfeit abtöfen, nicht ohne nachhaltigen 
Ginflufe auf ihren 3 I0 ecf aal» ihr Sßefen. SBähtenb jener in allen Gut; 
wicflungSphafen ein oeridhiebener: allgemeiner ober fpecieHer, befdhränfter 
ober »oHfommener, berufsmäßiger ober facultatioer war, fo hat fi<h bie 
Stenographie ebenfo besiiglidh ihres SBefenS in allen Stabien oorn inbi= 
oibuellen ÄurjungSoerfahren bis jum theoretifdh einfadhften Spftembau, 
non ber erhabenen Äunftleiftung bis ptu gewöhnlichen Schreiboetf obren 
bewegt. 

Unb gerabe jjefet befinbet fidh bie Gntwidllung ber Stenographie in 
einer bebeutungSootten UebergangSperiobe, beren erftes Stabium ben S3e= 
ginn eines neuen 3eitatterS in ber Gntwicflung ber Sdhreibfunft bebeutet. 
Sin ber Sßenbe zweier Gpodhen ftchenb, fdheibet fich bas SBerbenbe »om 
©eworbenen; neue öebanfen ringen beftänbig nadh SluSbrudf unb fudjen 
bie altehrwfirbigen Surgen ber gef<hicf)tlidhen Ueberlieferungen ju erftiirmen. 
Gine unwiberftehliche Steigung tritt in ben Sorbergrunb: ber .'gang pm 
fröhlichen Ueberwinben bes ^rabitionellen. SergebenS fudht fi<h bie Ser* 
gangenljeit als Sehrmeifterin aufjuwerfen, weil fie nicht bie SBege nah 
einem in 3ufunft winlenben 3W norjeidhnet. £aS ©efdfjehene hat auf* 
gehört norbitblich p fein, weil eS ben tobten Stoff nidht p neuem Seben 
erweefte; — weil eS ben gaben ber hiftorifdhen Gntwicflung nidht weiter 
ipann, barum tritt jelit am Sdheibewege eines taufenbjährigen SttodhfenS 
baS trennenbe, entjweienbe Glement um fo fdhärfer in bie Grfdfjeinung. 
hinter uns liegt bie Gpodfjfc ber Segriffs*, Silben* unb Sudhfiabenfdhrift, 
unb »or uns jieljt baS 3«talter ber Stenographie herauf. ®ie 3 e 'l beS 
fpmbolifdh*hiftorifdhen Schreibens fdheibet non unS, unb ber beS pfpdhologifdh* 
phpfiologifhen Schreibens gehen wir entgegen, gröber glidh bie 2hätig* 
feit bes Schreibens ber malenben, jeidhnenben ftunft, in 3 u laifft wirb fie 
bie ßunft ber Sehenbigfeit, ber ©efdbicflidbfeit in ber Seherrfdfjung beS 
flüchtigen ©ebanfenS fein. GhemalS fchrieb man mit bem SBerfjeug ber 
£anb, heut fdhreibt man mit ber Wacht bcS ©eifteS. ®aS ift baS natür* 
liehe GntwicflungSpriucip, welches bie Slnnäljerung ber Schrift an bie 
Sprache p oerwirflidjen fudht. ®enn bie 3®edfoeränberung ber fdhrift* 
liehen Slufjeicfnung muffte nothwenbigerweife eine 3ieugeftaltung beS Schrift* 
wefenS heraufbefchwören. Gljebem badhte man in bem 3erttempo, in bem 
man fdjreiben fonnte, mäjjrenb je^t gefchrieben werben muh mit ber 
Sebenbigfeit beS ©ebanfenflugeS; ber ©ebanfe, ber ©eift folgte früher ber 
Schrift, unb nun folgt bie Schrift bem ©ebanfen. So hat fi<h bie fleno* 
graphifche Schrift p einem Verfahren entwiefett, baS SRaum unb 3 e ^ 



geitgeiji nnb Stenographie. 


339 


übernrinbett hilft, um bem ©ebneten ober ©efprodjetten einen 6tei6enben 
2Bertf) ju fidjem. ®aS ift bie bebeutfamfie itirer Gigenfdfjaften: bic höhere 
unb bßdjfte SeiftungSfähigfeit. 216er fie ift banebeit audEj jugleidEj Sautfchrift. 
Sie »erjeidEjnet baS geiftige fßrobuct mit photograpbifdjer !£reue. 9Zid^t 
burdj fpmbolifche Figuren geben mir ben begriff roieber, audEj nicht burd; 
medhanifdjeS 3ufammenfiigen einjetner ©dhriftelemente ju SBortgruppen, 
roetdje bie ©anjheit beS SauteS jerftören unb feine ammenge^öri gf eit 

im ©dE»riftbüb nereitetn, fonbern mir fdfjreiben baS ©efammtbitb beS Sautet 
ober beS gebadeten begriffe« in feiner oerflüdjtigten ©eftatt: jeber Saut; 
complep oerförpert fidfj ju einem fchriftlicEjen ©anjen. dagegen ift unfere 
geroöhnlidE»e ©dE»rift noch attju meit bauon entfernt, bie fpradfjlichen Gr-- 
f cbeinungen ihrer Statur nach uerförpern ju fönnen; fie Ijat ben phonetifdf»en 
GE»arafter ber Spraye nidfjt nur nadj roillfürtidhmnnroibrigen ©runbfäheit 
analpfirt, fonbern itjn überhaupt in ein unpaffenbeS ©dhriftgeroanb gefleibet. 
®ie lautliche 93erfchiebenbeit unb üßannigfaltigfeit ift jroar burdj 93ud)= 
fiaben dfjarafterifirt roorben, raaS aber bebeutet biefe ©lieberung aitberS 
als eine geroaltfame UnterbrüdEung beS EPrincipS ber SpEjonetif, a(s eine 
©törung beS organifdhen 33erbinbenS unb ber gebanfenooHett ©anjheit ber 
Sautfpradfje. 

©tenographifdfj fdfjreiben bebeutet alfo in biefer SBejiehung nichts 
2lnbereS als bie 3SerbilblidEjung ber unfidttbaren Sauterfdheinungen. ®enn 
mir geben jefet hast, roaS mir burdh bie Sprache roaljrnehmen, roaS ber 
SSerftanb erjeugt, nicht burdf» bie Gigenart beS fdEjriftEichen Mittels, fonbern 
in ber Gigenart beS ©predjenS, EDenfenS mieber; fo fcfjreibeu mir alfo 
nicht mehr, raaS mir hören, fonbern roie mir fjörert, nid)t, roaS mir benfen, 
fonbern roie baS ©ebadjjte burdE» fd^rifttidje formen feftgefjatten roerben 
mufe. ®arin giebt fid» bie pfijdhologifcije GigenfdE»aft ber mobernen Äurj* 
fd»rift ju erfennen, roetdje fid) ihrem ganjen fffiefen nadfj an ben Saut« 
dEjarafter ber ©pradje anEefjnt. Unb roemt mir uns innerhalb ihres eigenen 
Haushaltes umfehen, ba begegnen mir einer SJtenge ftenographifdher 
SJtomente, bie aHefammt auf ben ©runbgebanfen ber öfonontifdhen 2luS= 
nufcung ber ©dfjriftmöglichleiten juriidEroeifen, bie aber anbererfeits audh 
bie SBefenSbefonberheiten ber Stenographie df»arafterifiren. EEonhöhe, ßlang* 
färbe unb ©tärfe ber Saute t) a öen ih re eigene Sebeutung in ber Steno« 
grapjjie erhalten, fie finb }u trägem einer ganjen Steilje organifdher 33er; 
binbungen beruht roorben. ©ie hüben geroiffennafjen bie ©runbpfeüer beS 
©pftembaueS ber mobernen Äurjfdhrift. Unb fo uerförpert fie ihrer 
2BefenSbefdf»affenheit nadj bie fpifcen ober fdjarfen Saute burdj fpitje ober 
fdharfe 3ei<hen, bie furjen burdh flüchtige, bie gebehnten burdh lange, bic 
harten burdj fefte, bie unfelbfiftänbigen burdj nebenfädhlidje, bie fchroadhen 
Saute burdh jarte 3eidhen, bie fogenannten ©dhleifer burdh elliptifdje formen 
unb bie liquibae burch gefällige Siunbungen, bie jufammentönenben Saute 
fdhliefjlidf» burdh dharafteriftifcf» oerbinbenbe ©arftellungSroeifen. Unb jfie 

«otb unb ®8b. XCII. 276. -ft 



3^0 


IKil Htdjtei: in Ceip 5 i 9 . 


uerförpert nod; mehr biefer Sauteigentbümtidbleiten. ©ort, wo bic Sprache 
in bie hohen, fetten Saute auitlingt, führt bic ftenographifdbe ©dbrift bie 
£anb bei ©dbreibenben über bie geroöhnlidje ©cljreiblinie hinaus, wo bai 
©efprodbene bagegen bumpf oerhattt, in einen tiefen ©on, in eine trübe 
©onfarbe übergebt, ba bewegt fie fid) nach ber ©iefe, um burdj biefe 
Stellung unterhalb ber Silbflädbe gleidbfam ben trüben ©on ju utarfiren, 
unb wenn fdjliefjlid) bai Äraftoolle, ©nergifd»e ber Sprache beroortritt, ba 
oerbilblidbt auch bie Äurjfdirift biefe» ÜJtoment burcf) bie gefügfeit ber 
©dbriftjüge, bureb bie Starte unb ben fräftigeren ©rudt ber Sejeidbnung. 
2 ÜT biefe unb noch mandb’ anbere SBefenibefonberbeiten ber mobernen ©teno= 
grapbie, weldbe fie 31 t einem fdjäjibaten fpradbmiffenfdbaftlidben Sitbungi= 
mittel emporbeben, machen fie audb jugteid^ 3 U einem tebeniooHen 2 lbbilb 
ber Spradje, ba§ eine funftooü burd£»bacE)te, pfpdjotogifdbe, nergeiftigte 
©dbreibmetbobe barfteHt. 2 tber anbererfeiti ift fie baburdb audb ju einem 
hochwichtigen gactor unfereS mobernen Gulturlebeni geworben, in bem bie 
gteidben SdbnelUgfeitiwirfungen bei eteftrifdben gunfeni auf allen S<baffeni= 
gebieten fühlbar nadb 3 ittern. 

* * 

* 

©urd) ben ©eift ber Seit bot bie Stenograph« ihre Sebeutung, ihren 
Inhalt unb bie ©enbenj iljrei Sßefeni erhalten. 2Bai war ei anberi ali 
ber Abealtimui jener Seit, weldbe bie antife Stenographie mit ihrer ebenfo 
altertbümlidben ©nftematit, mit ihrer ©beorie ohne fRücfgrat unb 
Änodbengeriift beroorbradjte? Unb biefer ibealiftifdje 3ug, weither in ber 
römifd)en ©adbpgrapbie unb ben ©dbnellfdbriften im Seitalter ber 
9tenaiffance alle theoretifdben ©efidjtipunfte überwucherte, biefei hinauf: 
fdbwingen in bie höheren ^Regionen ber fienographifdben 2luffajfung, muthet 
ei nidjt wie ein btojjei Aotmenfpiel, wie eine fünftterifebe Setbätigung 
an, bie non bem SRimbui bei ©cbeimnijjoolten umgeben ift? ©ie ©bätig» 
feit bei Stenographen mar ber freien fßbantafie, ber Anteiligen} unb 
geiftigen ÜRadjt übertaffen, ©ine allgemeine ©rmtblage, auf bie fidb ber 
Sau einer gleichmäßig georbneten Sehre hätte grünben fönnen, gab’i 
eigentlich nicht. Am ©runbe beburfte man einer foldben audb beglich 
wenig, ©ai ©dbriftibeal lag gan} wo anberi. SRidbt auf ben geebneten 
SBegen ber ©pftematif, fonbern auf ben hodbliegenben tjßfaben bei ßünftleri- 
fdieit, in ben SBipfeln bei inbioibueflen ©alentei, aifo in ber bödbfien 
Seiftungifähigfeit glaubte man bie SchriftooHfommenheit }u erblidten. So 
founte biefe ibeate Sluffaffung nur bai Streben geitigen, bie ftenograpbifcbe 
Sdirift fetbft biefent höheren , lebten Smecfe näherjubringen. Unb 
fpielt nicht gerabe biefei 9Jioment bie Hauptrolle in ber ftenographifeben 
Sewegung früherer Seiten ? 

2Befenioermanbt mit bem Abealiintui — unb baber audb mit allen 
Aafern mit biefetn in innigem Sufammenbang, in 33luti»erwanbtf<haft 
ftehenb — ift fein jüngerer Sruber: ber Spmboliimui. fRodb l>cutc 



^citgeift unb .Stenographie. 


3<U 

6iibet et bett 9lert> bet Jtutgfd)rift. SßenigftenS ift er bie ©eete iener 
Stiftung, bie man auf ftenographifchem ©ebiete als bie hiftorifche ober 
bie fpmbolifche begeichuet, weil fie bie unmittelbare SBeiterbilbung ber 
flenograpbifcben ©dfjrift nach ben ©efefcen ber &iflorie, nach gefdhidjtlichen 
Ueberliefermtgen ift. gn geroiffem ©inne fönnte man fie auch bie praftifcije 
nennen, ba fie, baS urfprüngtidje 3iel ber fiödfjfien ^otenj erftrebenb, in 
bem ©rabe ber praftifdjen Seiftungen % föeil fud&t. 3113 ein 3lu3läufer 
ber ©pradbe unb ©idfjtung — namentlich aud) ber Äunft bes 3JHttelatterS 
— hoi fi<h ber ©pmboliSmuS mit bem SBieberbeleben ber mobernen Äurg» 
fcfjrift aud) auf fienographifchent Voben niebergelaffen unb ift bort bis gum 
heutigen ©age tonangebenb gewefen. 6r fucht bie oorbilblidie 3luffaffung, 
welche fieh an feine gerfen heftet, burdh ben jjiftorifdben 2Berbegang auf» 
recht gu erhalten. Silber f<hon machen fich 3tngeichen gcttenb, nach benen 
bie moberne Sßiffenfchaft fich bemüht ihn aus bem gelbe gu fdj tagen; Sin» 
geilen, welche fogar auf ben möglichen ©ieg einer jungen, noch attju jungen 
Stidhtung über ihn hinbeuten. ©o<h anbererfeits muff man auch mit ber nahe» 
liegenben ÜDJöglidhfeit redhnen, bafj bie gufünftige ©ntroicftung oielleidht hoch 
eine grojje ©dhwenfung nadh bem Urfprünglichen gurücfmadben fönnte. ©enn 
wie ein rotfjer gaben gtebt fich bie fpmbolifdje ©arfteHungäweife burd) 
bie mit wiffenfdhaftlidjem Sladjbrud befdhleunigte Slufeinauberfolge ber 
mobernen Siurgfchriftbilbungen. ©ie fönnte als ber allein gangbare 2Beg er» 
fdheinen, ©hotnfter unb SBefen ber Stenographie in ihrer überlieferten Ve» 
beutung gut ©eltung gu bringen, wenn nicht bie ftenographifdje Sßiffenfdjaft 
ber jüngften Vergangenheit gefommen wäre unb ftdj ber ©ntwitflung unb bem 
gortfdhritte ber ©tenographie gegenüber als Sebmteifterin aufgeworfen hätte, 
©ent principe ber finnbilblichen Vegeichnung tnifjt fie nur einen prafti» 
fdhen SBerth bei, währenb Tie ihm jebe wiffenfdhaftlidhe Vebeutung abftreitet 
9lber mit Unrecht. Unb wenn eS für bie £lje°rie nur baS Valfengerfift 
barfiellt, welches bie einanber uerbiitbenben ©ebanfen bes ©pftembaueS 
trägt, fo ift es immerhin wichtig genug, um ihm neben ber hiftorifdjen 
Vebeutung auch einen wiffenfdhafttidhen SBerth gu fichem. 3lber es ift noch 
mehr. @8 bitbet oor Ment bie ©eete ber ^rapis. Von ihm hängt bie 
SeifiungSfähigfeit ber fienographifchen ©dhrift gu einem erheblichen Steile 
ab; benn ohne baSfelbe wirb fie nicht über ben ©rab ber fötittelrnäfsigfeit 
hinauSgubringen fein. ®a3 lehrt bie ©ef<hi<hte, baS lehrt bie ©egenwart, 
unb baS werben bie gufünftigen Verhältniffe mit nodh größerer Älarheit 
lehren, ©er ©pmboliSmuS fteHt alfo gewiffermajjen bie innere Verbinbung 
her, biefe beiben gactoren — ©beorie unb ifkopS — mit einanber gu 
Bereinigen, fie fich gegenteilig ergängen gu taffen. Unb baS ift jener hoch» 
wichtige Vorgug, ber bie 3lufgaben ber mobernen ©tenographie über ben 
©efidhtSpunft bes ©infeitigen, VioeHirenben hinaushebt. Vielleicht bleibt 
biefem Vorguge aud) in ber fiinftigen ©ntwicflung bie theoretif<h»roiffen* 
fchafttidhe Uebertegenfieit gefnhert. 


23* 



3^2 


mit Hidjter tn £eip 3 tg. 


©ine geraume 3eit 6efa§ ber Symbolismus bie 2lfleinherrf<haft auf 
ftenographifdhem ©ebiete, bis fie ihm, roahrfcljeinlid) infolge beS fHnfturmeS 
beS mobernen (Realismus, ber in unferem Zeitalter beS materiellen StrebenS 
überall baS Scepter fchmingt, burcb einen neuen ftenograpliifdjen ©eift 
ftreitig gemalt mürbe. ©iefer !am im (Ramen ber SBiffenfdhaft, tm 
©riumphe beS Ijiftorii^en, oorbitblidfjen UeberrounbenfeinS. Sebiglidj eines 
neuen (PrincipeS megen ^at er alle möglichen XEjatfac^en ber ®efdhi<hts= 
miffenfdliaft als Einlage gefefet, bodj nur auf beS ©tüdeS ©unft bin, baS 
(Spiel ju geminnen. 2lber biefer Einfaß mirb nöllig roett gemadjt burdh 
ben Slufroanb ber propaganbiftifdhen Kräfte, meldhe jur Ergänjung ber 
äußeren Erfolge geopfert merben. MerbingS fonnte bie SBiffenfdhaft bisher 
bie ladjjenbe Erbin nicf»t merben, meil ber ißt jugeführte neutrale Soben 
nidht fruchtbar genug mar, um ber SßrapiS, ber erften unb oberften S3e* 
bingung einer Stenographie, bie erforberlidje SRahrung ju ihrer SebenS« 
fähigfeit ju bieten. ©aS mar fojufagen ber fpringenbe ©rnnb ber fteno* 
graphifdien SBeroegung. Unb fo übte ber miffenfdjaftlidfje ©ebanfe jugletdj 
einen reformirenben, reoolutionären Einfluß auf bie Entroidelung aus; er 
mad)te bie Stenographie nidht nur populär, fonbem audh bemofratifdh — 
unb braute baburdh eine Spaltung in baS EntroidlungSprindp hinein. 
SBaS aber ift biefer populäre 3ug, biefeS ootfsthümliche Element anberS 
als baS natürliche (Beginnen, ben ©eift ber ftenographifdfjen Stoftrcbungen 
mit bem 3eit9eifte auSjuföhnen, roelcher bie SSeraUgemeinerungSibee gebar? 
greili<h mürben baburdh unauSföhnbare ©egenfäfce unoermeiblidh, weil bie 
praftifchen Erforbemiffe rein inbioibueller (Ratur maren unb nodj finb, bie 
fidh nid)t an feftftehenbe Regeln einer nioeHirenben Spftematif fetten (affen. 
®ie SBiffenfdhaft bagegen holt ihre Storoeife, ihre ST^atfad^en immer aus 
ber SBirflidjfeit, aus ber Statur, aus bem Sehen; fie barf baher ihre 
Snfteme audh nidht auf ben fdhmanfenben ©runb trabitioneller 3ufäIIigfeiten 
bauen, fonbem auf bie 33afiS felbftftänbiger gorfdjungSergebniffe, menn fie 
originell, reformatorifdh unb bahnbredjenb fein will. Unb mie im Steidhe beS 
©elftes ein immer ftärferer realiftifdjer 3 U 9 meht, fo fdheint er audh baS 
ftenographifdfje Sehen beeinflußt ju haben: an Stelle ber fmnbilblidhen 
•JRerfmale ift hier unb ba mieber baS ©reifbare, in felbftftänbigen formen 
ber budhftäblid^en Stojeicljnung ©argefteHte getreten. früher, als ber 
SpmboliStnuS noch nnurnfdhränfteS $eimatSredht befaß, beherrfdfite audh bie 
Spraye nodf» nöllig baS miffenfcfaftlidhe fßrincip, heute beherrfdjt baS miffen* 
fdhaftUdhe ^Princip bie Spradhe. 

(Rein äußerlidh betrautet, finben mir alfo ein inniges SSerhältniß 
jmifdhen Spradhe unb Schrift: jene fieUt geroiffermaßen baS Seetifdhe bar, 
biefe baS Seibhaftige, jene baS Sebenbige, biefe baS ©obte. $ft boch audh 
ihr gemeinfamer 3 tl 'ed ber gleidhe: bie 33erförperung beS ©ebadhten ober 
©efprodjcnen; bie Spradhe auf bem SBege ber lautlidhen SRittheilung ober 
ber hörbaren Sleußerung unb bie Sdhrift auf bem SBege ber SSerbliblidhung 



Seitgeiji unb Sit tiograpfyte. 


3^3 


burdf) 3«i^en ober Symbole. Aufgabe bet Söiffenfdhaft bürfte es baher 
wohl in erfter Sinie fein, Unterfudjungen baraufhin anjuftellen, wie beibe 
ihrem SBefen nadb einanber näher ju bringen fein mürben. Siebet mar 
biefe Serbinbung bod) nur eine blofje Serübruttg mit ben Stäuben, bie 
4?erjen bagegen blieben fi<h noch fern, diefeni ©rforbemifj h«t bie Sturj= 
fdhrift um fo meijt ^Rechnung }U tragen, als fie einen ^Ctjeü ber fpradj* 
liehen aSefenSbefonberjjeiten in fidh oereinigt: toeii fie Sautfdhrift fein fott. 
Sie hot bemnach auch eine auf miffenfd)aftlid)en ©runbfähen beruhenbe 
dheorie nöthig, um fie ben Sautgefefcen nid)t nur gleichartig, fonbent auch 
gleichwertig ju ma<hen. diefe Sebingung rnufs in ben Sorbergrunb ge* 
ftellt werben, weil bie Stenographie nicht bloS eine Schrift ift, bie es mit 
ben Sauteig enthüm lidjfeiteu an fidh ju thun hot, fonbern eine Schrift, beren 
theoretifdjea 3iel auf möglichfte fßotenjirung ber me<hanif<hen gertigfeit 
gerietet fein muß. SBiffenfdjaftlicher Hilfsmittel bebarf bie Stenographie 
baher lebiglich jur rationellen (Sintfieitung unb Sermenbmtg ber oorhanbenen 
Schriftelemente. 2Benn fie fobann ben ßfjorafter einer praftifdjen Äunft 
annimmt, baS hei&t wenn fie fidh ouf bie inbioibueHe £öhe berjenigen 
Seiftungen, welche baS dentpo beS Spredhenben bebingt unb beftitnmt, auf* 
fdhroingt, bann holt fie ihre Sehelfe aus ber Sprachroiffenfdhaft, ben ©efefcen 
ber ©rammatif unb Sogif. So ift eigentlich eine Stenographie, bie biefer 
jmiefpättigen Aufgabe genügen roiH, garnicht benfbar ohne 3 u bilf en ahme 
fpmbolifdher Sdhriftmittel, welche jurn fpradhlidifinnbilbtidhen SluSbrudf 
bienen. die Qgnorirung berfelben rnufj baher offenbar einen theoretifchen 
ober praftifdhen Mangel in ftenographifcher Sejiehung jur gofge hoben, 
demgegenüber will man nun jroar einen SluSgleid) fdhaffen burd) 2luS* 
geftaltuug ber Stenographie nadh pftjdhologifdhen unb phpftologifdben ©e= 
fidhtSpunften. doch was hoben biefe mit ihrer SBefenSbefcfiaffenheit, was 
mit ihrem SBefenSinhalt ju thun? fßfgdhologie unb ^Philologie fönnen 
höchftenS als SSerthmeffer bienen, um baS Scbriftbilb nadh lautlidjen ©e= 
fidhtSpunften rationell ju geftalten. auf Sermenbung bes Sdhriftmaterials 
lönnen fie ebenfo wenig (Sinflufj hoben, wie auf ben praftifdhen SBerth ber 
Schrift. 

So ift baS reatiflifdhe 2Jtoment, welches feinen Urfprung angeblich im 
wiffenfdhaftlidhen ©ebanfen hoben foH, namentlich in ben Spftemen ber 
neueren 3 e itpwiobe bejtimmt unb confeguent h ert) or getreten . diefe 
Sdhtiften ftreben in erfter Sinie bie Stüdffehr jur budhftäblichen SBiebergabe 
ber Spradjlaute an; bodh fie oerförpern fie meift nidht nach SGBefenS* 
befdhaffenheit, fonbern höchftenS nadh ihrem äußeren ©egenfeitigfeitSoerhältnifj. 
Unb fo ift es burdh biefen 3ug, ber ben retmtheoretifcfien ©efidhtSpunft in 
ben Sorbergrunb jteHte, gefommen, baß bie dheorie oor ber ^rapis bie 
Dberhanb gewann, denn in biefen Spftemen fdheinen fidh weh* ober 
weniger all’ jene Sebingungen ju oereinigen, welche bie moberae Rurj- 
fdhrift ihrer oielfältigen Slufgabe $u erfüllen hot. Sic fudhen fi<h baburdh 



Vfixi Hinter in £eip3ig. 


mehr ben gorberungen anjupaffen, reelle bie »eränberten Eulturformen 
an fie [teilen. Unb tnerfwürbig genug, je mehr fidfj bicfe Vebingungen 
erfüllen, befto mehr fdjeint fidh bie Äurjfdfirift ihrem (Snbjiele ju nähern, 
©emeingut aller Söebürftigen ju werben, um it»re hilfreiche £anb in allen 
fdhreibgefdhäftlidhen Erforbentiffen als allgemeines VerfehrSmittel bieten ju 
föntten. -Ulit biefer Swecfbeftimmung fudht man einen Trumpf aus- 
jufpielen gegen bie urfpriinglidje 2luffaffung beS ftenographifdhen SüBefenS; 
ber 9lufebarmadE)ungSgebanfe ber Stenographie im ©ienfte ber Mgemein* 
heit foU ihre »orbilbliche Vebeutung als 9tebejeidjenfunft aufwiegen. 2lber 
baS ©leidhgewidfjt ift freilidh nodh nidht gewonnen; bie moberne SEBiffenf^aft 
bemüht fi<fj jwar eifrig, bie hofften SBerthe ihrer Ergebniffe in bie eine 
äßagfdale 511 legen, aber ne fann fie nidht jum ©tnfen bringen, weil 
taufenb foldjer SBerthe nidjt mehr als einer einzigen praftifchen Seiftung 
gleichen. 

UebrigenS fdfieint es nadh ben gegenwärtigen Erfahrungen, als ob in 
biefer »eränberten 3tuffaffung ber ©djwerpunft ber ftenographifdhen Ent* 
widetung läge.. 2lIfo fteljt baS 2Befen ber ©tenographie in innigem 
3ufammenhange mit ber 3tidfjtung beS BeitgeifteS. 9lidht ber Einfluß eines 
bloßen BufalleS ift baljer auf ben gortfdfjritt auf ftenographifchem ©ebiete 
jemals beftimmenb gewefen, fonbem er hat ficf» ganj nadh ben Eonjuncturen 
ber Verfjältniffe ooUjogen, weldhe in ber Entwidlelung beS gefammten 
EulturlebenS officieH hernortraten. ©er ungeheure 2luffdf)mung beS geiftigen 
Sehens ift bie Duelle, weldjer ber ©ebanfe ber ftenographifdhen Ster* 
allgemeinerung entfprungen ift — baS Vebürfniß bie -äJtutter, weldhe baS 
iprincip einet neuen, populären ©fjeorie ber fturjfchrift gebar. 


Verfolgen wir nun ben gbeengang ber mobemen Äurjfchrifterfinber, 
ba finben wir gteidEjermafeen, baß fie in ihrem ©dhaffen 00m ©elfte ber 
Beit geleitet würben. ®en 93Ud auf baS »ergangene Kulturleben, in bem 
bie btfiorifdje Entwidelung ber ©tenographie wie ein rother gaben heroor* 
tritt, geridhtet, fonnten fie naturgemäß nidht bie weite Bufunft erfpähen, 
bie ihren Erfinbungen eine ungeahnte Vebeutung bringen foHte. ©ie 
fdjufen baljer 3unädjft wohl SBerfe für baS Vebürfniß ihrer £eit, aber 
bennodh Söerfe, bie ihre Erfinber weit überlebten. 2ßie überall aus bem 
Veralteten neues Selen blüht, fo waren audh bie ftenographifdjen 
©dhöpfungen nidht »ergänglidher 3tatur, fonbent hn&en m it ber SBenbe 
einer jeben neu heranbredjenben Veriobe ihre EntwidelungSfätjigfeit be* 
wiefen. ©0 ftrebte ©abelsberger, beffen genialer Sluffaffung »om SSefen 
ber ©tenographie bie fjiftorifcEje Vebeutung ju ©runbe lag, nadj bem 
^öljepimfte ber ftenographifdjen SeiftungSfähigfeit, bem ©ipfel ber 
fdirifttidjen Äiirje, benn er wollte baS ihm »orfdfjwebenbe gbeal burch ben 
JtiirjungSgebanfen feiner ©dhrift erreichen. SBenn iljm bieferhatb ber 


geitgeift uni) 5 tcnogvapl)ic. 


3^5 


93ormurf gemalt mirb, er fei ju fpruitgljaft über bie tfjeoretifcfjeit Unebem 
fetten feines SpftemS binmeggegaugen, um nur bem äußcrften S^le ber 
praftifcfien äMfommenfieit nätier ju foinmen, fo »erfennt man ben 
Gnbjrcecf feiner Grfinbung, ber junäcbft nur für bie böcfjfie fpotenj ber 
fdjriftiidjen ©arftellung beregnet war. Unb menn man f)eute ferner auf 
bie l)iftorifdje ^^atfa^c fidb beruft, er fjabe ben befiimmten, gleidmtäfjigen, 
mehr gemeffenen ©ang bcS Stjftematifcben, ber ftreng togifcEjen Sebre oer= 
nadjläffigt, fo liegt barin im ©runbe genommen gar fein fßormurf, fonbern 
e^er ein unberoufjt auSgefprocbeneS Sob, baS einmal fein GrfinbungStalent 
unb jum anberen feine biöEjere Slbfidjt, ein fünftlerifj^praftifdjen Sroedfen 
bienenbeS Äurjfcfjriftfpftem ju fdbaffen, unumrounben anerfennt. ©iefeS 
3ugeftänbnifj »on greunb unb geinb, non eigener 2lnbängerf<baft unb 
©pigonentbum, baS jugleicb bie befte Quittung über bie Ijiftorifdje Unan* 
fedbtbarfeit feiner fturjfdjriftibee ift, inirb in ber fünftigen Gntroidelung ber 
ftenograpbifdjen 23eftrebungen fcbroer in’S ©eroidjt fallen. Skr ^odjbau 
feines StunftroerfeS beburfte einer breiteren ©ruitblage, auf ber alle tbeoretü 
fc^en ©injelbeiten bis jum lebten ©liebe beS SiegelroerfeS fidb notbroenbig 
ergäben fonnten. SBenn ber fübne GrfinbungSgeift bie innere ©efebeS* 
inäbigfeit nerroarf, um ben glug in’S äBeite, nach bem Gnbäiete feiner 
©rfinbung ju roagen, fo gebt auch barauS Ijeroor, wie feljr er ben fleinlicben, 
beengenben Siüdficbten abbotb geioefen ift. Gr ftetlte eben baS föloment 
ber freien SBeberrfdijung über baS ©efeb einer neraffgemeinernben Spftematif, 
ben ibealen ©ebanfen über baS lüiffenfcEjaftlidje, forgfältig abroägenbe 
fßrincip. Gr löftc ben ©eift aus ben Stauben beengenber Sleufierlicbfciten 
unb machte Um jum freien Steberrfdjer ber (ebenbigen ipbantaiie. Unb fo 
bat er in feiner Siebejeidbenfunft ein SBerf gefdbaffen, baS nicht nur baljm 
bredbenb, originell, gebanfenreid) unb funftooll ift, fonbern baS jugleid) 
au<b jene GntroicflungSfäbigfeit befifet, bie itjm nermöge ber praftifeben 
Smetfmäfjigfeit feine bifiorifdje Sebeutung ju allen Seiten Tubern wirb, ein 
Driginalroerf, baS, auf einer breitangelegten ©runblage beruljenb, ber 
bebfirfnifjmäjjigen Gntmidfelung jeberjeit ben meiteften Spielraum geroäbren 
roirb. ©abelsberger mar eben bureb unb burdb ein fcf)öpferifcf;eS ©enie, 
baS fidb uidbt an engberjige ©efefce, an fteinlidje gor mein unb fefte 
Siegeln geroöljnt unb binbet. greüjeit unb Ungebunbenljcit, Sebenbigfeit 
unb organifdbe SSerbinbnngSfäbigfeit, roie fie bem 2Öefen bet Spraye eigen 
finb, baS roaren bie Seitmotioe feines SdbaffenS, bie ©runbgebanfeit feiner 
^beorie; — fo entfpracben aber audb bie praftifdfen ©efidbtSpunfte bem 
3n»ecfe unb Siele feiner ruhmreichen ©rftnbung. greilidb — er mar fein 
Spftematifer. Seine 2lrbeit gleicht ber eines erftnberifdben ©eifteS, nidbt 
ber eines orbnenben, fidbtenben ©elebrten. Gr mar nur ÜDteifter feiner 
Äunft, aber fein banbroerfSmäfiiger ^Dilettant. Seinem Sßtrfen unb 2Berfe 
ift ein eigenartiger Steij ber Originalität eigen, ber fein Scfjriftftjftem be= 
lebt mit ibealiftifdben ©ebanfen. 



516 


OTU Hidjtei- in £eip3 ig. 


teilt ^ahrjeffnt geht in’S Sanb. An feiner ©teile machen fich 
tüdjtige, eifrige S'^eoretifcr an’S SBerl. ©hrliche unb unehrliche Staturen, 
eigenartige «Reformer unb felbftlofe gorfcher, ©pigonen unb ehrwürbige 
Vertreter, anmafienbe ©rfittber unb aufopferungSfteubige felbftlofe görberer 
bemühen fidj weiter ju fdjaffen, wo er aufgehört butte. Angeblich arbeiten 
fie wobl Alle im Siamen ber SBijfenfchaft. ®em ftenographif<h«t gbealiSmuS 
machen fie baS gelb ftreitig, um eine neue Stidjtung in bie SBege ju 
leiten, bie jene ablöfen, überflügeln foHte. 25amit hat fich in ber ©nt* 
wicfelung ber ©tenograpbie eine SBanblung »olljogen, welche auf bie 
ftenographifchen ©efammtnerhaltniffe non fo aujjerorbenttich ftarfem unb 
nachhaltigem ©influfj gemefen ift, bafj ber burdj fie beraorgerufene 3 U S ber 
Sopularifirung namentlidj in 3 u fanft mddjtig in bie Grf<beinung treten 
wirb. Sticht bloS ben ttebergang aus ber einen in bie anbere ©poche be- 
tautet fie, fonbem fie dharafterifirt auch bie 2Benbe eines neuen Zeitalters 
in ber ©efdndjte ber ©tenographie. S3iS babin trat eigentlich nur baS 
tbeoretifdh=reformirenbe SJtoment bernor, bann aber begann baS bemofratifdj* 
popularifirenbe bie ftenograpbjifcfien Seftrebungen ju beberrfdjen. Unb fo 
nerbalf fie ber ©rfenntnifj jum ®ur<hbru<h, bafj ein breit angelegter ©nt* 
widelungSpfab ber Seraflgemeiuerung eine auSfidjtSooHe ißerfpectine er* 
öffnen ntiiffe. Aber wohin führen gewöhnlich bie mit wiffenfchaftüchen 
Argumenten gepflafterten SBege? ®ie SBeifpiele ber lebten Sergangenijeit 
haben uns freilich mit wenigen Ausnahmen gejeigt, bafj fie hinüber in 
bas ©ebiet beS tobten gormaliSmuS leiten, bem man burdj einen tbeoreti* 
fchen Aufpub einen glanjootten Anftrich ju geben fich bemüht. Unb biefeS 
beroufete ^ineingerathen in fpftematifdje ©efefcmäfjigfeiten hat nicht un* 
wefentlich baju beigetragen, baf? man baS Sorbilbliche aus, ben Aug'en' 
uerlor. ©o fudjte man baS Qbeale, SoMommene nicht mehr in ber &öf)e 
ftenographifcher Seiftungen, nicht in ber ©rreichung ber häuften fßotenj 
bur<h bie ©djrift an fich, fonbem auf ben ebenen Söegen einet regelrechten, 
beftimmten, wiffenfchaftüchen Stjeorie. Unb fo fam eS, bah ft<h eine neue, 
bie SBeiterentmitfelung ©abelsberger’fdjet 3b een in »eradgemeinernbem 
©itute anftrebenbe Stiftung bitbete, bie namentlich in ©tolje, ©chrep unb 
Selten, welche neuerbingS ihre ftenographifchen Seftrebungen burdj ©Raffung 
eines GinigungSfpftemS in genteinfame Sahnen tenften, ihre Sertreter ge* 
funben hat. 

^iflorifch betifeen biefe beiben tßauptriditungen baS Sorredjt: fie jinb 
bie cigentlidjen Präger beS ftenographifchen ©ebanfenS, ben fie burdj baS 
pou ihnen »ertretene fpmbolifdjc ißrincip in oodfommener 2Beife oerEörpern. 
©ie haben *war nicht baS auSfd>liefeli<he Sürgerrecht ju behaupten »er* 
mo<ht, aber fie geniejjen hoch wenigftenS eine propaganbiftifche SJladjt, bie 
ihnen in abfehbarer 3 u &mft bie auSfdjliefjliche £errfdjaft fichem wirb. 
®ann haben fie aber auch fdjon um beSwillen Anfpruch auf einen gewiffen 
Sorrang, weil in ihnen jene Sebiitgungen fich »ereinigen, benen eine 



gettgeift unb »tenograptjie. 


34(7 

brauchbare unb ooHfommene Äurjfcfirift in fpradhtidher unb graphifdljer 
4?infid>t entfprechen muß. ®iefe Sebingungen freilich würben ftets nadj 
eigenem, fubjectioem 2Jtaßflabe gemeffen, fobaß ftd) neue, beftänbig ent* 
gegengefefete ©ebanfen 33a^rt ju Bremen »erfudbten. Reformer fatnen, bie 
auf biametrater ©runblage ftenograpf)ifc^e Spfteme fdfjufeit, um bamit an* 
geblidb bie gorberungen bet gieid£»artigert unb gleichwertigen EDarftellung 
bet Spraye burdh bie Schrift auf ben ScEjilb ju erbeben, Sie haben 
baS fijmbolifdhe ^Princip über 33orb geworfen, bamit jie ben ©ebanfen ber 
budhftäblidfjen Schreibung »erroirflidhen fonnten. £)aS ift jeboch an ftch 
fein SSorjug ber ftenograpljifdhen 9Biffenfdfjaft, bie fidj gern mit biefer 
3b ee brüftet; benn im ©runbe genommen ift es nur bie 9iücffehr jur 
biftorifcben ©dbrift. Sßon biefem ©efidhtSpunfte aus gleidjt baher bie 
flenograpbifdhe SBiffenfdhaft einer Schlange, bie fidj in ben Scßwanj 
beifet. 3lber fo fe^r man ftch audh bemüht, bie Stößen ber Unjutänglidb* 
feit hinter bem ©eroanbe ber äußeren ftenographifdhen 3 orm ju »erbergen, 
fo ift barin bennodfj fein gortfdjritt im ©eifte ber Stenographie ju er* 
blicfen. Sn biefen Sgftemen befifcen mir alfo wieber eine Sudjftaben* 
fdfjrift mit ftenograpbifchem ©epräge. ®odh ihr SBefen hat fidf» ber Seele 
ber Stenographie entfrembet. Seopotb 9lrenbs, ber ehrlidHdjaffenbe, 
■roahrheitfudjenbe gorfdher ftenographifdher SBiffenfchaft, ift ihr Urheber. 
Seine ©ebanfen finb von bem neuerungSfüchtigen, aber bennod) praftifdhen, 
über ftenograpbifdhe 2^eorie mehr profaiidh, als roiffenfchaftlidj benfenben 
SDteifter StoHer in eine neue gorm gegoffen worben, bie er in ber ©nge 
feines eigenen, fubjectinen ©rfahrungsfreifes fdhuf. Stber bie 3orm mar 
nidht edht, fie befaß nicht bie $eftigfeit ber burdhprägten Originalität. 
3m gfeuer ber fjßrapis mar fie wiberftanbSunfähig, — bort jerbradh fie. 
Unb wie bie gorm jerfprang im prüfenben fproceffe ber praftifdjen 2ln* 
menbung, fo jerfloß ber Snßalt unter bem ©efidjtSpunfte ber obfectioen 
SBiffenfdhafttidhfeit. fDian rühmt wohl bie Sortrefflidhfeit ber SBeiter* 
entroidelung, aber »on 9lrenbS’fchem ©eifte ift barin herjlidb wenig ju oer* 
fpüren. Seine ©runbibee, ein Sleguinalent ber Spradhe ober — wie 
2(renbS felbft fagt — ein ©ebanfen*®aguerreotpp burch fein Sdjriftfpftem 
ju fd)affen, ift burdh ben ©inftuß feiner rein*fubjecti»en 2luffaffung, burdh 
ben Steij einer »otherrfdhenben unb baS fjiftorifdje fßrincip tgnorirenben 
fßopulariftrungStnethobe unterbriidft worben. Unb obenbrein haben bie 
widijtigften Momente ber Sautphpfiologie, bie man im lefcten $alle fo gern 
als rettenbe ©eficfjtSpunfte auSjuforbem pflegt, eine unjwecfmäßige 23er* 
wenbung gefunben. 

2)a gelangt eine entgegengefe|te ©rfenntniß jum ®urd)hrudh. ®ie 
ftenographifdhe- SBiffenfcßaft opfert ihr hifarifdheS ©rbe einem feimenben 
©ebanfen ju Siebe unb wirb — revolutionär. Sie h^t bie beftehenben 
©tunbfäfce auf unb fudht einen fefteren, neutralen, vielleicht audh freieren 
Soben ju gewinnen baburch, baß fie eine abfolute Umfehrung beS 3e'<hen* 



3^8 ITt i 1 Hinter itt £eip3ig. 

material» ber fteuographifdhen Sd;rift oornimmt. Socfj nicht etwa um 
ihrer fefbft willen, fonbern um oor allen Singen ber Stenographie eine 
größere, erioeiterte unb pgleich fruchtbarere GntwidelungSfphäre p er* 
fc^ticpen. 9Wein — unb ba$ würbe unb wirb noch jefct ont wenigften 
beamtet — baä SßadhSthum ber Stenographie ifi noch non anberen, 
höheren Sebingungen abhängig. 9Benn bie SßrajiS ihre gerechten 
gorberungen fteHt, geht bieTer jungen, trabition«entfagenben SBiffenfcfiaft 
müfammt ihrer jungfräulichen Sheorie ber fünftlidh erjeugte Soben unter 
ben güfien »erloren, bie ©runbtagen werben fchwanfenb, unb ber Sau, 
ben fie errichtet, gleicht einem Suftfchlof*. ghre ©rfinber, bie Srfiber non 
Äunomsfi unb bie mit ihnen fijmpathtfirenbe Sertreterfcbaar ftreben jwar 
mit bem felbftlofen Ülufroanbe ber fonfl überjeugenben gorfdjungärefultate 
ihrer roiffenfdhaftUchen Arbeiten barnadh, ben ftenographifchen ©ebanfen 
ber buchftäblichen Schreibung mit ber mobernen 2Biffenf<haft auSjuföhnen, 
aber ihre Schrift geht baburcb ber ^aupterforberniffe, ber ftenographifdjen 
ftürje unb Seiftungäfähigfeit, uerlnftig. Sa h at bie Stenographie auf» 
gehört praftifch p fein unb febrt nun, oott ber geraben ©ntwidetungS« 
linie abfdhwenfenb, in bie beengenben Schranfen theoretifdh*wiffenf<haftli<her 
©rwägungen prfidE ohne weiteren, freien 2lu3blicf. 

#ier trennen fidh bie beiben, fchäumeitb unb braufenb burdj ba£ 
ftenographifdie ©ebiet baljinflutbenben ^auptftrömungen: bie NidhPng ber 
oocal»fi)inbotifirenben unb bie ber oocal-f^reibeitben Spfieme. gebe hat 
ihren eigenen, befonberen, beftimmten Sauf. Sarurn ftören fie einanber 
auch nicht wefentlidlj. Breiten hat es ftdh fogar ereignet, baß ihre ©e« 
wäffer fi<h in einem glufjbett pfammengefunben hoben. Äleine, unfdhein» 
bare Slbjweigungcn Bereinigten fidh. 3JieiftenS freilidh war bie, 3Jiifd&ung 
eine ungefunbe, unerträgliche. Nur hier unb ba, wo bie ©lemente gegen« 
feitig in fi<h aufgingen, gleidhfam, als wären fie aus einem Stüct, um 
wieber p einem Ganzen, Ginheitltchen Bereinigt p werben, ohne bie 
©horafteroorpge ber Stenographie p beeinträchtigen, ba hat biefer gug 
bei Serbinbenben fein beffereS Sorredjt behauptet. Namentlich tritt er in 
ben Äur 3 fchriften oon gaulmann unb Dr. Sraunä unb ber jüngeren 
fßhonoftenographie heroor, wetdh’ lottere ba§ ©ewanb Stol}e«®abet8berger’i<her 
Spftembefonberheit trägt. Socl) baä finb nur SluSföhnungSoerfudhe, welche 
alä oermittetnbe gactoren erscheinen. Sie jeigen bie 2Kögü<hfeit einer 
UebergangSbrücfe, welche au§ bem einen Sanbe ber 2lnf<hauungen unb 
©egettfäfce in'S anbere führen foll. Unb wenn fie fo, ba8 Srennenbe aus« 
gleid)enb, einen Steg errichten über ben breiten Strom ber ©egentenbenjen: 

oielleidbt wagen e3 hoch Siefe ober gene, »on bem einen Ufer 

an’3 anbere hinüber p gelangen, ©at p leicht ift bas ihnen freilich nicht 
gemacht. Gin fdhmaler fpfab über ben fchäumenben ©ewäffern ber ©egen« 
fäfce — unb wer fiel) nicht auf bie feinen Salancirfünfte ber flenographi« 
fdjen fpoliti! oerftef)t, wie leid)t läuft er nicht Gefahr, fich in baS Surdh« 


gcitgeip unb Stenographie. 3^9 

einanber ber 2Men ju begeben. 2Bohin biefe «Strömungen ihren Steg 
nehmen, wiffen bie Stenigfien. Stein Seucljtthurm, fein Stegweifer jeigt 
ihn an. s Jiur ber Bug ber Beit tefjrt bie Stiftung, unb bie, fo ihn fügten 
unb oerftefjen, folgen ihm nach. B m SBucf» ber Vergangenheit sieben mir 
Sergteidfje, räthfelhafte unb bod) prophetifche, fjoffnungäbereditigenbe S8er= 
gleite mit bem ©efchehenben. Slber merfroürbig: bas 9lefuttat ift nichts 
SeftimmteS, nichts ©intjcitticfjeS, in Gontrafteu unb ©egenfäfcen töft fiä) 
baS glänsenbe föoffnungSbitb ber Brunft auf, unb Qeber jagt oieHeid^t 
mehr einem ißhautom als einem Bbeal nadfj, in beffen wirtlicher, praftif«her 
Dtüfclichfeit Beber eine Sefriebigung feines StrebenS fucfjt. Be weiter wir 
aber ben ©lief »orwärtS, ber geraben ©ntwicflungSlinie entlang in’S un* 
gewiffe Sanb ber Bufunft i^welfen taffen, befto mehr neigt bie Sinnahme 
ber SBirflichfeit ju, ba§ alle Strömungen fid& am ©nbe hoch weit genähert 
haben unb noch weiter sufammengeljen werben, ©ans anberS in ben erften 
ißhafen ber mobenten ©efdjidjte, wo bie gewaltigen SluSbiegungen in ber 
©ntwicflungSlinie fd^ärfet heroortreten, ihre £enbens, ihr Stefen unb ihren 
hiftorifdjen Sauf fennseichnenb unb beeinftuffenb. Befct fdieint nun bie 
©ntwidelung ber Stenographie an einem Stenbepunft fi<h su befinben. 
Unb nicht minber beutUdj tragen au$h bie lebten ©pochen ber Stenographie* 
gefehlte ihre eigene, burch ben ©runbsug ber culturellen Strömungen ge* 
färbte ©harafterijtif. ®er ©lans beS gegenwärtigen BahthunbertS hat 
feinen hellen SHberfcfjein in’S Sanb ber mobenten Stursf«hrift geworfen, ben 
Bbeenreidjthum ihrer großen 9J?eiftet* beleudfjtenb. SSoher befam benn bie 
Stenographie ihre SluSbreitungSfähigfeit? Stoher fog fte bie Nahrung su 
foldjem StaäjSthum? $)er Seift ber Beit ebnete ber fienographifdjen ©nt* 
wicfelung felbft bie ruhmreichen Sahnen, eben weil er ibentifdj ift mit bem 
ftenograpfjifchen Beitaeift. 




2TCoöerne (Erjiefjung. 

Don 

Jßtatggecita Cranüc^jBcngarini. 

— Kom. — 


ine oergleich enbe Betrachtung ber Stinbererjiehung in ben oer= 
fcfjiebenen tßerioben ber ©efchichte würbe eine gute ©rläuterung 
bcffen abgeben, was ntan „Seitgeift" nennt, ©ne foWje Bc= 
trachtung ift wichtig für bie ©rfenntnijj unferer ®en!weife, unferer 
Begebungen unb unferer Siete. 

©eit 3iouffeau ift eine 2lrt non ©rjiehungSwuth SJlobe geworben, 
beren heroorftedjenbfter S u 9 in bem Spange, fnfl möchte ich fagen, ber 
unaufhörlichen Berfolgung befteht, mit ber man bie Hinber peinigt, inbem 
man fie faum noch irgenb ©troaS aus eigener Snitiatioe thun läßt. 
9 iouf)eau fagte: „sitöt qu’il nait, emparez-vous de lui et ne le 
quittez plus qu’il ne eoit homme; vous ne röussirez jamais sans 
cela.“ Ünfere heutige ©rjiehungSrouth unterfcheibet fi<h jwat beträchtlich 
non berjenigen fRouffeauS, ift aber barum nicht weniger arg. aRoralifdj 
Ünb wir ihm infofern überlegen, als wir uns nicht mehr gepalten, um 


bas .ftinb noHlomtnen ju machen, ihm fo niele fallen ju pellen, wie er für 
nötbig hielt. 2 lber anbererfeits quälte Bouffeau bie Äinber bo<h niet 
weniger als wir, weil — fpredjen wir es nur aus, wenn eS auch nicht 
fdjön Hingt, — ju feiner Seit bie Jiinber nicht fo niel fofteten wie heute. 
ItnS foften fie ju niel in förperlicher, moralifcher unb wirthfchaftlidjer 
^inftcht. 28ir forgen uns fortbauemb um ihre ©rjtehung, um ihr SEBoht' 
ergehen, wir betrachten fie als höchft jerbrechliche ftoftbarfeiten, wir hatten 
fie nicht für etwas 51 t uns ©ebörigeS, fonbern für eine 2lrt non SBunber 
in Blenfdjengeftatt. ®aS 3lHeS finb offenbare 2tnjei<hen beS allgemeinen 
BerfalleS, bie in birecter Bejiehung ju ber Abnahme ber ©eburten flehen. — 


Ulobcriie (E^ie^ung. 


351 ' 


2 Benn man bebenft, bah bie ßinber ben jahtreidfjeren unb jugteidh beit 
conferoatineren ©heil beS ÜJlenfc^engefd^ted^tS btlben — benn it»r Sßefen 
erhält ftdj fo gut wie unoeränbert im Saufe ber ©efdhidhte ber Sßölter, unb 
bie 58erfdhiebenheiten ber Naffen unb Nationalitäten finb bei ihnen geringer 
als bei ben ©rroadhfenen — fo fotlte man glauben, bafj bie $tinber feiner 
befonberen gürforge bebürften. 2 tber gerabe bas ©egentfjeil ift ber gaH. 
®ie befonbere gürforge beginnt gleich bei ihrer ©eburt. 

II. 

©af? bie ßinber heutjutage mehr foften, als fte natürlicher unb »er* 
nünftiger SCBeife foften fottten, lägt [ich unfeiner beroeifen. Sie foften 
fo oiel, bah man fogar SBebenfen trägt, üe in bie SBelt ju fegen. ©ie 
Slbnahme ber ©eburten in gratdreief) j. 33. roirb tro (3 feines NeicfftbumS 
non Sielen lebiglid) auf roirthfebafttiche Nücffidbtcn jurücf geführt. ©odb ift 
bies roeber ber einjige Uebelftanb, nodh bie emsige Uriache, aus ber ber 
Nücfgang ber ©eburtSjiffer in einer begenerirenben Nation 3 U erflären ift. 
Statt fidj 3 ur Unjeit auf NtaltfjuS jit berufen, foHte man lieber biefe 
fdbroierige gtage non pfgd&ifdben unb pbgfiologifchen ©eitcfjtSpunften aus 
grünbliih unterfuchen. gn Norb=3tmerifa beifpielStneife roirb bie <£manci= 
pation ber grau als ©runb für bie Abnahme ber ©eburten angegeben. 

gn Gnglanb nermehrt fidh bie Senölferung allerbingS jut geit nodh 
im Ueberftujj; bagegen ift bort bereits ber ©ebraudfj etngeriffen, bie grau 
roäbrenb ber ©ntbinbung ju dhtoroformiren. tiefer ©ebrauch hot eine fo 
ftarfe ©enbens, fidb ju neraUgemeinern, bah fogar fchon geroiffe roertfroolle 
Sdfjafe bei ber entfpredhenben ©elegenheit ebenfalls chloroformirt roerben. 
©er ©runb ift barin ju finben, bah burdh übertriebene Serfeinerung bei 
ben (Eulturmenfdhen unb ebenfo burch übertriebene gudbtroabl bei ben ©gieren 
bie SBiberftanbSfähigfeit gegen Sdhmerj herabgefegt ober bie Gmpfinblicffeit 
für ©dhmerj gesteigert roirb — roas praftifdh auf baSfelbe hinausfommt. 

Nadh ber ©eburt entfteht fofort eine neue Sdjroierigfeit: baS Nähren, 
©ie SDUldb ber Stäbterinnen ift unjureidjenb, foroohl in ben bürgerlichen 
roie in ben arbeitenben klaffen, unjureidhenb an Dualität unb häufig audfj 
an Quantität. ©aS gebräuch li cf) ft e SluSfunftSmittel ift bie Ninrne nom 
Sanbe. ©iefe Sofung ber grage, bie non Nouffeau unb ben mobemen 
fPhttowthfopen fo eifrig befämpft roirb, ift immerhin nodh bie befte. ©rog 
feiner argen Sdhattenfeiten oerfdhafft baS Stmmenroefen ben Säuglingen in 
ber Stabt ein gröberes SBogibefinben unb ift jugleiä) ber Sanbbeoölferung 
fetber non Sortheil*). 


*) 3um befferen SBerftänbuifj für beutfdfje ßefet fei barauf bingewieien, baß in 
Italien bie Stmmen meift aus ben anftänbigften Sauernfamitien ftammen unb Dcrlieiratfjete 
grauen finb. ©ie müffen Stile Jung, frfjön unb ferngefunb fein unb werben bemgemaü 
auch gut bejahrt. Sie Stmmcnjeit bauert minbeftenS ein DoIicS 3ahr, manchmal Werben 



352 


ITtargtieriia (Eraube’IHengaruu in Hom, 


3$ tjabe in biefer fRidhtung !Kadjforfdjungett angefteHt unb gefunben, 
baß in ©örfern, in benen baS 2immentl;um eine einträgliche gnbuftrie bilbet, 
bie SSobtfjabenbeit ber Seoölferung größer ift als in benachbarten ©örfern, 
benen biefer ©werbSjweig fehlt. 3n bet Umgebung »on 9iont ftnb bie 
2lmntenbörfer zugleich biejenigett, aus benen fidh bie ÄünftlermobeHe 
recrutiren. ©aS beweift, baß, obwohl baS 2lmmenwefen' fdjjon lange ein: 
gewuselt ift, bie Staffe hoch nicht barunter gelitten That, unb baß bie 
Äinber berjenigen grauen, bie [ich als 2lmmen Derbingen, auch beffer ge* 
halten werben als in ben 9tadhbarbörfern. immerhin wirb ber ©rfafc ber 
aRutter burdh bie 2lmme ftets auf enge Greife befcf»rcinft bleiben, ©ie 
große 5DJehrjahl ber Stäbterinnen muß »telmehr auf anbere 2lu8funftSmittel 
bebaut fein unb entweber Specifica jur Sermeßrung unb Serbefferung ber 
eigenen 9JHl<h, ober ©faß ber ÜJluttermildh burdh mehr ober weniger ge* 
eignete Surrogate ju finben fudhen. ©aS ©tbref ultat aller foldher Serfudhe 
äußert ftdh, ganz abgefchen »on ber gefteigerten Seforgniß unb 2Rüße, bie 
fi<h bie Sftütter baburdh madhen, bei ben ftinbem in ©armfatarrhen, Seib- 
fdhmerjen unb all ben SDtebicamenten, bie fie im erften SebenSjaßr ju 
fcßludfen befotttmen unb burdh bie Tie für immer fdfjwädhlidh werben. 

3ugleidh mit ber gefteigerten ©npfinblicßfeit für förperlichen ©dhmerj 
nimmt audh bie pfpdhifdhe ©mpfinblichfeit zu. Um fidh baton ju überzeugen, 
braucht man nur ben Schmerz einer Säuerin ober einer jungen fräftigen 
grau beim Serlufte ihres ßinbeS mit bem fehr otel maßloferen Schmerze 
ju Dergleichen, bem eine Stäbterin, baS heißt eine fdhwädhlidhe unb meift 
weniger junge 2Jtutter, fafl erliegt; benn in unteren ©agen wirb es ja in 
ber Stabt immer gebräuchlicher, baß ©)en jwifdhen Seuten gefdhloffen 
werben, bie über bie erfte gugenb hinaus finb. ©ie frafttoferen ©tem 
haben auch fraftlofere ftinber, unb zwar nicht nur »ermöge ber ©egeneration 
ber 9iaffe, fonbern auch in golge ber gortfdhritte ber ^eilwiffenfdhaften, 
burdh bie es heute gelingt, kinber am Sehen }u erhalten, bie f<hon in 
ben erfien SebenSjahren hätten zu ©runbe gehen müffen. 

©ie moberne ©Ziehung ift bie grudht biefer übertriebenen Siebe unb 
biefer ängftlicßen Sorge für bie Äinber, bie immer mehr um ftdh greift, 
je mehr bie 3af)t ber ©eburten abnimmt unb bie Serfdhledhterung ber 
SMaffe fortfdhreitet. 

III. 

3um ©liicf giebt es eine ©zießungSfrage einzig unb allein in ber 
Stabt, ©ie Säuern hoben bis heute bie urfprünglidhe ©zießungSmethobe 
beibehalten, bie fo alt ift wie baS 9Jlenf<hengef<ble<ht; ihre Stffecte hoben 

bie SU über big pun tooüenbeten zweiten 3«bre genährt. Ss ift bie Stieget, baß bie Slmnte 
beim Stbgang ein (Mbgejdjenf öoit ntinbeftenS 150 Sire tmb eine öoUftänbige StuSfteuer 
an SSäfcße unb SlteibungSftiicfen erhält; wenn biefe grauen aus ihrem zweiten Slmmen* 
bienft heiintefjren, föuncn fie fich häufig fdjon ein Räuschen taufen. — Slnm. b. Ueberf. 



ITtobcrne <E r 3 i e tf u n g. 


353 


feinerlei Seränberungen erlitten, fo weit mir bie ©efdjidfjte ber menf<hli<hen 
Seibenfchaften ju überölicfen vermögen. 3h r eu Kinbern gebt es gut, roo 
ne gut ju effen befommen, unb fehlest, roo fie fcfimale Äoft £)abeit. 
^öffentlich wirb ihnen ber ©chulsroang fo juträglidj fein roie in ben 
Säubern, roo bie Säuern bie Sibel unb anbere nützliche unb lehrreiche 
Südjer tefen*). ©ie förperlidje Grjiehung auf bent Sanbe ift nicht ntinber 
einfach, ©ie Sauernjungen oerfteljen eS auf b«S Sorjüglichfte, fie ft<h 
fetber ju oerfchaffen, offne Sehrmeifter unb ohne ©enniS unb ©riefet. Sie 
finb noch nicht begenerirt unb roiffen baher weit beffer als roir, roaS ihnen 
wirtlich gut ift. ©er Sauer fühlt infiinctio, bah für ihn Kraft unb tim* 
ficht tiel wichtiger finb als Sehenbigteit unb ©iSciplin, bie mit an unferer 
Seroofität fdfjutb finb. 2Ber jemals geturnt ober epercirt hat, roirb fi<h 
erinnern, welche angefpannte SSißenStraft unb Slufmertfamteit erforberiieh 
ift, um baS Gommanbo prompt auSjuführen. ©ieS mögen foftbare Eigen* 
fdhaften für ben ©olbaten in Sftcih unb ©lieb fein, aber es ift fraglich, 
ob fie für ben Ginjelnen, ber in tänblicher Freiheit lebt, ebenfo roerth* 
00 H finb. 

©ah ber Sauer fi<h nicht beeilt, ift ihm ju feiner ©elbfterfialtung 
nöthig. 3<h erinnere mich, bah mich eines ©ageS ein beutfeher Shpftoioge 
fragte, roie eS nur möglich wäre, bah ber italienifche Sauer fo oiet Polenta 
oerbauen tönnte; meine Antwort war: „weil er orbentlich taut." SBer 
jemals einen Säuern beim Gffen beobachtet h“t, roirb mir Stecht geben. 
Er roäljt einen Siffen fo lange im UJtunbe herum, ehe er ihn hinunter* 
fchludt, bah ein ©täbter in berfetben 3eit ein ganjeS ©eriefit oerjehrt hut. 
3Jlit ber galjigfeit ju tauen geht bem ©täbter gleichseitig bie normale Ser* 
bauung oerloren. 


IV. 

©tabtfinber hüben wirtlich ein 21nrecf>t auf baS allgemeine -Mitgefühl. 
2Benn bie Äinber gtüdlich über bie erften SebenSjahre hinroeggebracht finb, 
wenn fie, mit Sebertfjran unb Eifen gepäppelt, anfangen follen etwas ju 
lernen, tommen fie in nieten fällen juerft in ben Kinbergarten. SSäre 
barunter ein wirtlicher ©arten su oerftehen, in welchem fie MeS thun 
fönnten, roaS fie wollten, nur fi<h nicht ben igals brechen, fo wäre er in 
ber ©hat eine oortrefftiche Einrichtung für alle Mütter, bie auf Slrbeit 
gehen, ©tatt beffen ift ber Kinbergarten eine Ginrichtung, bie nur baju 
ba ift, ber Qnbioibuatität 3 au m unb 3ügel anjulegen, bie Snitiatioe ein* 
jubämmen unb ber tinblichen Sh an tafie bie fftügel ju befchneiben. 


*) @3 mag baran erinnert werben, bnft es in Stalien bis jefct nodj bcionberS niete 
Stnatphabeten flieht, unb ba& biejenigen Stauern, bie beS ScfenS funbig finb, fefir feiten 
tüirElidj gute Sü^er in bie §änbe befommen, bcfonberS ba baS fiefen ber SJibel befand t= 
lieb bon ber fatbotifdjen Kirche nerboten ift. — 2lnm. b. Ueberf. 



35^ lllargt^crita {Eraube-lTtengartiti in Horn. 

Unt einen begriff non betn grröbel’fc^en ©pftem ju befommen, genügt 
es, einen 23lict in baS SufealtSoerjetcfenife eines ber nieten Wanbbüdfeer ju 
werfen, in benen feine SJletfeobe geteert ober erläutert wirb: 

®ie Äuget als Mittel jur ©rjiefeung ber ©inne. 

©ie Äuget als Mittel jur geiftigen Grjietiung. 

©ie Äuget als -Kittel jur moraltfdjen ©rjiefeung. 

©aS erfte ©pietjeug, bas probet bem Äinbe bietet, ifl ber S3aH. 
@r fott an geeigneter ©teile über ber SEBiege beS ÄinbeS aufgefeängt werben, 
um ifern gteidffam geiftige 9taferung ju geben, ©obatb fid) bie geiftigen 
Äräfte im Äinbe ju regen beginnen, fott audfe fcfeon feine Grjiefeung einfefeen, 
unb oon ba an barf es auch nicfet mefer einen einjigen 2lugenbticE un* 
befcfeäftigt bleiben. 

2Benn ber 3 a fe nro ed)fel beginnt, finb bie Äinber bereits eingefdjult. 
3<fe weife aus eigener ©rfafetung, bafe ein mittelmafeig begabter Änabe, 
ber ju ^aufe unterrichtet wirb unb täglich eine Unterridjtsftunbe feat, 
bequem in jroei Saferen baSfetbe erreichen fann, was bie grofee Keferjaljl 
bei täglid) oier ©cfeutftunben in fünf Saferen teiftet. 

S« biefen fünf Saferen gefdjiefet oon ©eiten ber Seferet 2ltteS, was 
möglicfe ift, um bem Äinbe feine natürliche Weiterleit unb feinen finbticfeen 
grofet'imt ju rauben; gleichseitig wirb burcfe ben uitgefunben 2lufentfealt in 
ber oerbraucfeten Suft ber ©dmlftufte feiner ßonftitution ber erfte ©tofe 
oerfefct. ©o oorbereitet fomrnt ber Unglüdiicfee auf baS ©pmnaitum, wo 
ein bidjteS 9iefe tfeeoretifcfeer unb praftifdjer Äenntniffe über fein unfcfeutbs* 
oolleS W a npt auSgefpannt wirb*). 

2Bie oiet aucfe an bem Scferptan ber feöfeeren ©lauten feerumgeänbert 
unb oerbeffert worben ift, wirb es bodj niemals ein togifcfeeS ©anje werben 
fönnen. ©er gefeter liegt in feinem Urfprung, in ber Ungleichheit ber 
UnterridstSmetfeoben in ben oerfdfiebenen Sefergegenftänben, in bem SBor^ 
urtfeeil, bafe ber ©pmnaiiatunterricfet ein tüdenlofeS SBitb aller wiffenf<feaft= 
Ucfeen Sticfetungen unfereS SatjrfeunbertS bieten müffe. 

©et erfte unb widjtigfte Unterrid^tSjweig unb bie flafjtfcfeen ©praßen; 
fo wie fie feeute gelehrt werben, finb fie ein ©rbtfeeit ber wiffenfcfeaftlicfeen 
Jtidjtung , bie in ber erften dgälfte biefeS S a fetfeunbertS Kobe mar. 
©amats fdjuf sBopp bie oergteidjenbe ©pracbforfdiung unb begrünbete 
bamit einen ber ebelften 3 roi; '3 e ber SBiffenfdjaft. ®ie fpäbogogif, beren 


*) 2Bie mau fieftt, ift bie (iüntfteilung in 6Iementar= unb fiebere ©cftulen in 3talieu 
ettoais anoevÄ al* bei im- 3 . — 2ßo int golgetcben oon Shtaften allein bie Siebe ift, batte 
man iidi gegenwärtig, baft in tfiom Heine SUiäbtften mit ben Änaben gufammen in bett 
gleichen ('innuiaiialflaifen fißen. ®ie8 gebt oorptglicft, ohne jegtiefte Störung ober ntorali« 
friien Scftabcn. 3» einer Stlaffe oon ettua 30 Äuaben nnb 5 SDläbcften befanb lieft J, SS. 
im Sobre 1807 ein SDtäbcften unter ben tuenigen Schülern, bie oftne Sjamen oerfeßt 
mürben. — Slucft bie Uniocrfitäten fteften in 3talien ben SJläbcften oftne weitere Jyormali» 
täten für Stubium unb ©jamina offen. — Slum. b. lieber). 



HToberite €r3ictjung. 355 

einige ©runbtage in ®eutf<hlanb bamals bie «Philologie war, bemächtigte 
Heb ihrer für ben Sehrplan ber ©pmnaRen: burdj bie „oergfeidfienbe 
grtedhtfche ©rammatif" non ©urtiuS ift in ©uropa ber Unterricht in ben 
Uafftfdjen Sprachen in einer SQBeife untergraben worben, bie nielleidht aar 
nidjt wieber gut ju madhen ift. 

Heutptage lernen bie Änaben bas lateinifdhe 21 SB 6, bas fie ni*t 
fennen, burdh ben Vergleich mit bem SanSfritalphabet, welches fie nie 
fennen lernen werben. 2luf biefe SEBeife nehmen fie bie ganje ©rammatil 
burd^, unb am @nbe fjabett fte 2lHe3 üergeffeit, rccit i^ncn bie natürliche 
©runblage alles SBiffenS, bie einjig wahre «Utnemotedhnif fehlt: SSorfteUungen 
bie beSwegen bleibenbe ©inbrfide im finbfidjen ©ehirn hintertaffen, weit 
Re auf bie ©inbilbungSfraft wirten. 3 $ fenne einen «JSrofeffor, ber bas 
©rternen einer ieben Sprache bamit ju beginnen oorfdhtägt, baß man auS* 
RhlieRlidh unb immer wieber einige ber fdjönften Sapitel aus ber 33ibet 
lieft- ®iefe SDfethobe, bem ©ehirn eine 2Jtaterie gfeichfam eiraumeißeln 
wie man SBudhßaben in ben Reifen meißelt, hat ben Sßortheil, baß bie 
Regeln, bie man aus bem 3ufammenhang beS SafceS lernt, nicht wieber 
»ergeffen werben. ®ie heute in bem Unterricht ber Haffifdhen Sprachen 
herrfdhenbe SRetRobe ift in bie Schuten nicht aus päbagogifdhen Stücffidhten 
eingeführt worben, fonbem nur aus Vorliebe für einen mobernen Sweia 
ber SBiffenfcRaft. ©eroiß ift bie uergteichenbe Spra<hforf<hung etwas Herr* 
lidheS, aber man hat Re falfdh unb am Unrechten Orte angewenbet 

2ludh ber Unterricht in ben «Raturwiffenfdhaften ift eine grudht ber 
jüngRen wiffenfchafttidhen 9Robe unb entfpridht nodh weniger als bie »er* 
gleidhenbe Spradbforfdhung ben gefunben ©runbfäfcen ber Sßäbagogif. 2Bie 
muR es in bem Stopfe beS armen Keinen jungen auSfeljen, ber gleidhjeitia 
Sautphpfiologie unb aRronomifdhe DrtSbeftimmungen treiben unb phpftfalifdfjen 
unb dhemifdhen ©jperimenten beiwohnen muß, nadhbem er fidh eben ben 
Stopf mit KafRfcher Seetüre uoügepfropft hat? ®iefe 2trt beS Unterrichts 
raubt bem ftnaben bie gähigfeit, mit naioer 23ewunberung ben Statur* 
erfdheinungen entgegenjutreten, bie ihm in einem 2llter erHärt unb jer» 
gliebert worben Rnb, in bem er Re weber erfaffen nodh »erarbeiten fann. 
Statt feine ^Beobachtungsgabe p werfen, Rümpfen wir Re (ünRlich ab. 
SdhtieRlidh Reht ber Stnabe ben ©jperimenten wieber unb mit immer wieber 
mfiben 2lugen ju, unb ftatt baR er neue 2lnregungen erhält, bleiben ihm @r* 
innerungen an jmar gefel;ene, aber nicht »erftanbene £Ratfachen, wahre 
Hühneraugen im ©ehirn, welche ihn Rumpf gegen neue ©inbrüde machen. 

©erabe fo, wie wir uns hüten, bie Sinne beS StinbeS p erregen, füllten 
wir uns hüten, fein ©ehirn mit gingen anjufülfen, für bie es nodh nicht reif iß 
®ie experimentellen SBiffenfchaften Rnb in ben Sehrpfan beS 
©pmnaRumS beShalb eingeführt worben, weit mir eine Vorliebe bafür 
haben, unb ebenfo haben wir bie befchreibenben SRaturmiffenfdhaften »er* 
nadhtäfRgt, weil fie uns heute weniger interefRren. Unb hoch Rnb gerabe 

Wo tb unb mb. XOT. 276. 24 



356 ITCargtierita (Eraube-nTenganiti in Hom. 

bie befdjreibenben 3laturroiffenfc&aften befonberS geeignet, bie jugenblichen 
Köpfe jur Veobadjtung anjuteiten unb bie Knaben jur Drbnung unb 
9Jiett)obe anjubatten. 

Qm ©efcbi<ht3unterri<ht tritt berfelbe Uebelflanb ju Sage, nämlich, 
baff mir unfere Seibenfdjaften in bie Schute hineintragen. ©er ©itm für 
©efdhidfte gebt immer mehr verloren, unb es roächft bie Unebrerbietigfeit 
gegen vergangene (Generationen. Unfere übertriebene ©elbftfchäfeung unb bet 
immer mehr um ftcb greifenbe Chauvinismus veranlag uns, unferen ©öhnen 
bie mobeme ©efdiidite früher als alles Stabere &u lehren, um ihnen eine 
©runblage für bie patriotifdje Verounberung unferer Vorfahren ju geben, 
©enfen mir an unfere eigene Kinbheit jurüd, fo müffen mir geliehen, bah 
bie Sljaten beS £erluleS unb bie Kreujjüge viel fpmpathif^er unb viel 
leister ju oerflehen maren, als bie mobeme politifche ©ef<hi<hte. 3Bie 
lönnen bie Kinber fidj über bie Vebeutung ber heutigen Vorgänge Stechern 
fchaft geben, roenn fie oon ber Vergangenheit nichts miffen? 9Bie föraten 
bie Knaben bie Sfaberen geregt beurtheilen, menn man fo früh ih re © 9 e m 
liebe roecft unb ihnen fagt, bah ihr Voll bie gröfjte Station fei, bie allen 
anberen fiets überlegen mar unb noch ift? 2lber es ift noch ein anbeter 
Uebelftanb babei: menn man nämlich bie mobeme ©efdjühte in ber Schute 
lehrt, muh fie naturgemäh ju einer ©efdjidjte ber politifdjen Parteien aus* 
arten, bie oon jeber oon ihnen verfdjieben erjählt mirb. 

3hm bleiben noch bie mobernen Sprachen, ©eroih ifl Stiemanb fo 
optimiftifch, anjunehmen, bah ein Knabe, ber bie ©hule abfoloirt h®t/ 
beS granäöftfdjen ober ©eutfdjen mächtig ifl Qn ©eutfchtanb fcheint es 
mit ben mobernen ©praßen auch nicht beffer beflellt ju fein, ©ne 
Vertinerin, bie ich um SluSfunft über eine ©ouoemante gebeten hatte, fdjrieb 
mir: „®aS junge Stäbchen hat bie höhere Södjterfchule burchgemacht; ®u 
fannfl ®ir atfo oorftellen, bah fie nicht orbentlicfj ^ranjöfifch lann." 

©ie Unterridhtömethobe ifl in ben oerfchiebenen ©egenflänben eine um 
gleiche. 3hr rein päbagogifcher Urfpmng tritt bei ben mobernen Sprachen 
flar ju Sage: für ben 9teft entftammt fie ber theoretifchen unb 
eyperimentellen SBiffenfdjaft. ©iefe Stethoben vereinigen fi<h in bem einen 
Gnbjroecf, ben Knaben oon ÜJtorgenS bis SSbenbs ju befdjäftigen unb ilpn 
nicht bie Beit ju taffe«, auf feine SBeife ju benfen ober gar ju hanbeln. 
Sßenn es fi<h um geborene Verbrecher banbeite, märe bie SJletljobe vielleicht 
oortrefflid); aber baS ift bodj ©ott fei ©anf nicht ber gaH, — man 
mühte benn bie ©bfünbe unter bie Verbrechen rechnen. ®ur<b bie fort» 
bauerabe Uebermachung unb baS unaufhörliche fterumfommanbiren, 
melcheS früh am borgen anfängt unb fpät am 316 enb mit ben Schul- 
aufgaben aufhört, entfteht als unausbleibliche fjfolge gänjUdje Dbflmction 
beS finblichen ©ehimS. 

2Benn ber Knabe baS ©pmnafium oerläht, ift er bereits jum Staune 
gemorben, noch ehe er fich ber Verantmortung gegen fi<h felbfl unb feine 


HTobeine (grjietjung. 


357 


SJlitmenfehen bewuftt ift, bie bas Sehen uon ihm forbert; fpät beginnen 
bie UnioerfitätSftubien, unb baher ergreift ber Jüngling auch erft fpät feinen 
Veruf. SBenn mir nicht bie traurigen folgen ber geiftigen Dbftruction oor 
Slugen Ratten, brausten mir uns über bie inobeme ©rjiehungSmethobe 
gamidjt fo ben Jtopf ju ^erbrechen. 3tber wir finb überzeugt, baf? ein 
ftarfeä ©ehirn unb eine eiferne VJiHenSfraft baju gehören, um [ich ben 
nötigen Schwung, bie nöt^ige gnitiatioe unb iinabhängigfeü bei einer fo 
falfchen unb gemaltfamen ©rjiehung ju bewahren, bie mit oier fahren im 
ft inbergarten beginnt unb ju neunjebn galjren mit bem ätöiturientenejamen 
abfchliefjt. 

Verminberung beS Umfangs ber Sehrpläne unb Vereinfachung beS 
Unterrichts in ben flaffifdjen Sprachen finb beute bie bringenbften Reformen, 
©in fßäbagoge, ber fiatt SleueS einjufütjren, nur bas Sitte befdjnitte, fönnte 
ber 2(tenf<hbeit eine ebenfo grobe 2ßoIjttl)at erweifen, wie bie größten ©e= 
fefcgeber alter Seiten: nämlich biejenigen, welche nicht ein neues ©efeß 
bictirt, fonbern ein oorjjanbeneS abgefhafft hoben. 

V. 

Unfere ©rjieljungSmethobe ift bie gleiche, bie in allen Sänbent ©uropaS 
gang unb gebe ift. 9tur bie ©nglänber hüben eine rühmliche SluSnabme : 
fie befdjäftigen ben ftnaben ^erjttdE» wenig, fte überbürben ihn in feiner 
2Bei)e, unb oor allen ®ingen, fte rauben ihm nicht feine gnitiatioe. 2tber 
auch bie ©nglänber fommen, freilich auf anberem SBege, ju einem fdjäb* 
liehen ©rjiebungSrefultat: jur ©ntfrembung beS ftnaben non feiner gamilie. 
Stoch Vouffeau bat biefen 2ßeg eingefhlagen: er rooHte bas ftinb oor ben 
giftigen ©inflüffen ber Stabt unb womöglich ber ganjen 9Jlenf<hbeü be* 
mähren, unb alfo entjog er es ber Familie. 3um ©lücf mar ju feiner 
Seit noch nicht fo oiel oon Vererbung bie Siebe, unb Sliemanb mar fich 
ihrer Vebeutung bewufct. 2Bir hingegen, bie wir fo oiel baoon fpredien, 
fönnen unmöglich ben 2Bunf<h haben, ben ohnehin fo bfinn geworbenen 
gaben ber Ambition gänjtidj abjureifjen, ber bie ftinbet mit ben ©Item 
oerfnüpft unb bie ©in^eitlicfifcit unferer ©ultur bebingt. ®urdj bie 
3ltmofphäre beS Kaufes übermitteln wir unferen ftinbem bie gamilien* 
trabition, wie wir ihnen burch unfer Vtut unfere förperlichen ©igenfdjaften 
unb gnftincte oererbt haben. 

gnbem wir unfere ftinber frentben -Menfchen anoertrauen, bie unfähig 
finb, ihre gnftincte ju oerftehen, unb nicht minber unfähig, bie gamilien* 
Überlieferungen ju würbigen, fpannen wir bie ftinber auf bas VrofrufteS« 
bett einer theoretifdjen ©rjiehung, bie nicht auf ben einzelnen gaH ju= 
gefchnitten ift, fonbern auf allgemeinen ©runbfäßen beruht, ©ine folche 
©rjiehung wirb um fo oerberblicher aus fallen, je inbioibueüer bas ftinb 
geartet ift, bem fte ju £heil wirb. 3lbgefehen oon bem wiffenfchaftlichen 
Unterricht, giebt es auf bem ganjen ©ebiet ber ©rjiehung feine einjige 

24* 



358 tftarglierita (Eraube-lTtengatini in Rom. 

ffrage, btc generell getöft werben fann, nicht einmal bie ftrage ber förper* 
litten gücßtigung. 

3$ habe niete 3ab re tititburcb geglaubt, baß biefe ffrage abgetban 
wäre, unb baß fein SBobimeinenber ben SDtutb haben mürbe, jie roieber am 
juregen, benn biefe 2lrt ju firafen erfdßien mir als etwa« BarbatifdbeS, als 
eine ©anctton ber brutalen ©ewatt. £eute bin ich anberer SMnung, banf 
einer äußerfi intelligenten jungen 3)ame, bie idb non flein auf fenne. 35a 
idb wußte, wie oft fte als Äinb fdbattenbe ©erläge erbalten hatte, unb bie 
GrjiebungSprincipien, unter benen fte groß geworben war, aus eigner 2ln* 
fdbauung lannie, fragte idb fie eines Sage«, was fte banon hielte, ©ie 
erwiberte mir mit beitiger Ueberjeugung: „SBenn idb irgenb etwa» bebauere, 
fo ift es, baß idb nicht genug Prügel befommen habe." 3$ fenne Stiemanben, 
ber eine fo auSerlefene Grjiebung genoffen bat, wie biefe 35ame, unb burdb 
jene Unterhaltung habe idb midb überzeugt, baß eS tbatfädblidb feinen gmeig 
ber moralifcßen Grjiebung giebt, für ben eine generelle ßöfung benfbar ift. 
gier jebeS menfdblidbe SBefen wäre eine befonbere GrjießungSart erforberlidb, 
oorausgefeßt, baß Grjiebung überhaupt nötbig ift; aber barüber fönnen 
nur bie Gltern entfdbeiben. 

3)aS 2Uumnat bringt ben febweren Uebelftanb mit ftdb, baß ber ©oßn 
einen Gltern entfrembet unb bem Ginfluß ber gamilienübetlieferung ent* 
jogen wirb. 3m Gottege müffen bie Änaben ültteS aus Büchern lernen, 
Sticßts aus eigner ober frember Grfabrung, unb baS bebingt eine 23er* 
minberung ber ©umme an SebenSweiSßeit, bie ber SJtenfdß ju erreidben 
oenttag. 3eber, ber einmal in einem Saboratoriunt ober einem ÄünfHeratelier 
gearbeitet, ober in irgenb einem Beruf geftanben bat, in meldbetn er mit 
2lnberen, bie if)m oorauS waren, bem gleichen giele juftrebte, ber begreift 
oßne aSeitereS ben ungeheuren SQJcrtb ber £rabition. 

2Boßl bem ©tödlichen, ber fdbon als Stinb einen oäterlidben greunb 
gefunben bat, jung genug, um auf alle feine noch finbtidben unb bodb fdbon 
ausgeprägten Steigungen unb 2Bünfdße ehtjugeßen, wohl bem, ber oon 
einem foldben SJtanne nid^t für ©elb, fonbem aus greunbfdßaft unterrichtet 
würbe, unb ber oor Sittern ohne ©eßeu unb Befangenheit alle bie fragen 
mit ißm befpredßen fonnte, bie ein ßinbergemütß bewegen! Stur wem bieS 
feltene ©lüdf ju SCßeil warb, oermag allein ben SBertß oöttig ju würbigen, 
ben bie £rabition für ein Äinb Fjat. 35enn geber, unb wäre er ein ©enie, 
unb wüßte er feinem fünftlerifdben unb wiffenfcßaftlidben Gmpftnben unb 
Äönnen noch fo gut StoSbrudE ju oerleiben, behält bodb im ©tunbe feines 
$erjenS einen ungeßobenen ©chaß oon Bwe, oon Beobachtungen unb Gr* 
faßrungeu, bie nur im münblidben Berfeßr ju £age fommen fönnen. 35er 
menfdßlicße ©eift bleibt feinem ÜBerfe immer überlegen. 35ieS ßeßre Ber* 
mädbtntß ift beut in ©efaßr oerloren ju geben, benn Stiemanb bat mehr 
bie 3^it, bem Stöberen jujußören, unb bie Äinber unb beranwadbfenben 
Jünglinge am atterroenigften. 


ITtoberne €r 3 teljUTig. 


359 


@0 lommt es, baß eS uns nid^t mehr gelingt, bie (Seelen unferer 
Äinber, bie bo<h auf bie unfrigen abgeftimmt finb, in bie gleichen 
©djittngungen ntit ben unfrigen 511 terfefcen; fo fommt ei, baß ße halb 
uid)t mehr ju fajfen unb ju begreifen im ©tanbe fein werben, was ihre 
SBäter ÄößlicheS im £erjen trugen. 


VI. 

$)ie Umgebung, in ber unfere Äinber auf warfen, ift jeglicher SErabi* 
tton feinbUdb unb nerßinbert bie grunblegenben gamiUenerinnerungen, in 
ihrem ©ebächtniß SBurjel ju ßhtagen. Bon Sitteraten, Sleßhetifem, ÄoSmo* 
politen, fürs, non allen ben Seuten, bie ßch beut mit ihrer eigenen 9 teur= 
aftbenie unb oorjeitigen Äahlljeit brüßen, wirb bariiber geftöbnt, baß bem 
mobernen Seben ein eigner Stil fehlt, wie ihn alle feiten gehört hoben. 
Um einen neuen ju ’erßnben ober ben terloren gegangenen wieber auf* 
jußnben, ßnb bie ; ftarlen ©eißer unter ihnen beftrebt, uns ton unferen 
©ünben ju reinigen unb jur urfprüngtidjen Einfachheit jurücfjuführen. Unb 
hoch hoben wir einen mobernen ©tit, bev ftar tor Silier Stugen liegt. Er 
regiert mtS Sille, er beherfdit unfere ©ebanfen, unfere £anblungen unb 
unfere SDtoben auf allen ©ebieten, er ift furchtbar in feinem Egoismus unb 
fleintidh unb tutgär wie biefer in allen feinen Steuerungen. Qi ift ber 
(Stil ber SJtiethSwohnung: SticfitS barf tiel pta|} fortnehmen, SticfßS barf 
fdhwer fein. SllleS muß auf leisten, billigen Umjug eingerichtet fein: 
UTtöbel, greunbfdhaften, Erinnerungen, Jtleiber unb ©eroohnheiten. SllleS 
muß nötigen ffalleS leicht eingepadt unb] über einanber geftapelt werben 
fönnen, um in Eile fortgefcljafß ju werben. 

Silur mit ©djaubem betraute ich bie SBänbe einer mobernen 
SBoßnung. Bom befcheibenften Haushalt an ftnbet man alles Erbenfßdje 
an bie SBänbe gehängt: Photographien, Bonbonnieren, $ädjer, ^anjlarten, 
orientalifdje Pantoffel unb bie entfefclidjften Buntbrude jeber Strt. Bielleicht 
nodj ßhlimmer ßelß ei in foldjen SBohnungen aus, beten Beßrer gebilbet 
unb reich genug finb, um bie SujuSgegenßänbe mit ©orgfatt ju wählen. 
2Bie aufregenb unb qualtoU ift ei, an ben SBänben eine« berartigen 
©alonS ben ©eißeSerjeugnifien aller ^fahrhunberte nachfagen ju müffen! 
SßetcheS ©urdjeinanber ton Sltöbeln aller ©tilarten, welche Slngft, baß ein 
©tuhl bem anberen gleiten fönnte! SOfan holte mir nicht ben englifdjen 
©til entgegen, ber unfere ßtettung fein follte. iDer ©tit eines ganjen BolfeS 
iß noch niemals ton einer überfeinerten SJtinberheit erfunben worben. ®aS 
ßheint man in Englanb fetbft bereits eingefeßen ju haben, wo man fdffon 
wieber anfängt, bem Louis quinze unb bem Empire nachjujagen. 

©ogar bie SBohnungen ber Slrmen machen biefe allgemeine SJtobe mit. 
„Billig unb fehlest" iß bie ®etife, bie an ber fcfiauberhaßen $äßli<hfeit 
ton SJlöbeln unb ©eräthen fchulb iß unb bie ehemalige fdjöne Einfachheit 
ber reinen Sinien terbrängt hot. Stuch frier firtbet man bie ©u<ht, bie 



360 IHarglierita Ctaube-UUngarini in Hom. 

2Sänbe ju fdjntücfen, ünb fei e« auch nur mit Garicaturen au« 2Sih* 
blättern, mit Kalenbem unb ähnlichem fpiunber, häufig fogar mit obfcönen 
©arftellungen, wie fie bie 23ilb<hen bev @trei<bhoIjfcf)ad)te[n liefern. 3n 
aHebem tritt ber mobeme ©efcljmacf am naioflen unb beutlicfjfien in bie 
Grfheinung. 2Ber ba« fogenannte £au« Sola bi Sftenjo« in Sftom fennt, 
roirb »erflehen, roa« ich meine. @3 ift ein £au« mit rohen flauem, mit 
einem Slrdjitra», ber au« nicht ju eiitanber paffenben ©tüden eine« riejtgen 
Tempel« jufammengefe|t ifl, unb mit erbärmlichen Keinen genflem, bie 
in pomphafter äüeife auSgefcfjmütft finb. Bebe« 9Jlal, wenn idj an biefem 
4jaufe mit feinen uncerftanbenen aibfidjten unb feiner impotenten Slnmaftung 
»orübergehe, giebt e« mir einen Stich in’« &erj, unb ich fage mir: ©a« 
ift unfer (Stil ! 

Bn folcfjer faleib off o partigen Umgebung roähft ba« arme Kinb auf. 
G« wirb in einer ÜJliethSroohnung geboren unb jieht wer roeijj wie oft um, 
elje e« noch recht begreift, roa« mit ihm »orgeht. 3JUt ber 23ohnung 
roehfett e« häufig audj bie Schute unb lernt auf biefe SBeife Sehrer unb 
Breunbe rote bie Kleiber roechfetn. Schlimmer noch, roenn ber 2?ater 
Beamter ift unb »on einem Gube Italien« nach bem anberen »erfefct roirb. 
3f<h entftnne mich eine« jefct oerflorbenen ffSräfecten, ber innerhalb »on jehu 
fahren beinahe ade fßräfecturen be« Königreich« nacheinander »erroaltet 
hat unb babei at« guter £aus»citer immer feine ganje gamilie mit üch 
herumfdjleppte. 

Gin Kittb , ba« in ber unaufhörlichen Unorbnung be« mobemen 
Seben« aufroächft, fann mental« Ginbriicfe »on fotcher Seftimmtheit erlangen 
roie ein Kinb, ba« jroifd&en ben gleichen ©eiiditern unb ben gleichen ©egen* 
ftänben in ein unb bemfetben $aufe groß roirb. Unb boch, roie beruhigenb 
roirfen in ber aufreibenben Saft be« Seben« bie fdjönen Grinnerungen au« 
ber Kinberjeit! SBie fönnte i<h jemat« meine ©rofjmutter »ergeffen, bie ich 
fo »iete Ballte hiuburch immer in bemfelben Gmpireftuhl mit feiner berben 
©hnifcerei unb feinem borbeauprothen fpiüfchbesug gefehen habe? Ketjero 
gerabe fafj fie ba. B« ihrem ©ibpllenantlifc leuchteten bie fchroarjen 
2lugen. Bhte Kleiber h att en fiel« ben gleichen Schnitt, ihre Umgebung 
blieb ftet« bie gleiche, jeher ©egenftonb in ihrem Bitnnter bilbete einen 
roefentlidjen Seflanbtheil ber Bamitienerinnerungen. SBeldje 3luhe überfommt 
mich, roenn ich an bie Stunben juriicfbenfe, bie ich bei ihr »erbracht habe! 
2ßelch milbe« Sicht flrahtte »on ber Dellampe au«, beren SJteffinggeftell 
nodh au« einer Beit flammte, in ber man »on ben ©efchmadflofigfeiten ber 
©aloanoplaftif nichts ahnte! Ba, ich erinnere mich fogar noch be« 
©efdpnad« geroiffer Heiner Kuchen, bie feit »ierjig Bahnen nach bemfelben 
9lecept im &aufe gebacfen rourben. 

2Ber hat benn heute in ber Stabt noch ben fDluth, ©rofjmutter ju 
fein? ®ie richtige, märhenerjählenbe ©rofjmutter? ®ie flberreijten unb 
neuraftheuifchen Stauen »on heute werben, roenn fie alt finb, mit ihrer 



HToberne ^rjictjung. 


36 \ 

jwecfloS geworbenen Unruhe ju einer Dual für ifjre gamilie. Slber man 
ntu§ auch geregt fein: bie Stbnabme ber GE)efd)Ue§ungen unb ber ©eburten 
macht bie Stolle einer ©rohmutter weniger begehreitSwerth als früher, ba 
audfj bie Ungejogenheit ber @nfet mit ihrer Sßidjtigfeit überhanb nimmt. 

VII. 

Stach ber ©rjiehung butcf) bie Schule, welche bem Jüngling jegliche 
^nitiatioe geraubt hat, fommt nun enblidj ber Slugenblicf heran, wo er 
fich ber SBelt gegeniibergefteHt fiebt, jener SEBett, mit ber er bisher niemals 
Seit gehabt hat in Sejieijung ju treten. 9)iit feinem obftruirten ©ehirn, 
ohne fejten £alt an ber gamilientrabition, mit bem unflaren ©efüljt oon 
ererbten gnftincten, Aber bie er lieh felber feine Stechenfchaft ju geben 
oermag, beginnt er nun enblidh fich felbft ju ftubiren unb oerliert oiel 3eit 
bamit, feine Umgebung oerftehen ju lernen. UeberaH in ben politifchen 
3eitfd(jriften, in ben gelefenflen Suchern über Eunft unb Sßiffenfchaft finbet 
er eine gewiffe Slnsahl oon gbeen unb Seitmotioen, bie oon Sillen befolgt 
werben unb au<h ihn roiberjtanbStoS in bie allgemeine Strömung hinein 5 
jiehen. StiemalS wie heute haben wenige hetrfcfjenbe gbeen fidh in bem 
SJtafje aller ©emüther bemächtigt, bafj man oon einer förmlichen Slnftectung 
fprechen Könnte, ©ie Stationen wie bie gnbioibuen ahmen einanber blinblingS 
nach. ©ie Staffenunterfchiebe oerwifdhen fi<h immer mehr, unb an ihre 
©teile tritt ber StachaljmungStrieb, unb bamit bie SJtobe, als getreuer 
©olmetfcher biefer ©emeinfamfeit aller europäifdEjeti ©enbenjen. ©er hohe 
©rab unferer (Smpfänglictjfeit für bicfe Slnftecfung unb bie Seictjtigfeit, mit 
ber bie 3 u <fungen ber mobemen SolfSfeele fich oon Station ju Station 
fortpffonjen, läßt fich offenbar nur aus einem Suftanbe oon Schwäche unb 
Schlaffheit erflären, in welchem fich heute bie ©injelnen fowohl wie bie 
Söffer befinben. ©er 3 u ftanb ber mobemen ©efellfchaft ift baS Spiegel« 
bitb ber heutigen gugenb, bie beim Sfasfcfjeiben aus bem fünftlichen Seben 
unferer Schulen unfähig ift, fidh einen eigenen 2Beg ju bahnen unb ein 
eigenes Sehen ju führen. Sticht jetwa aus GorpSgeift oerfallen wir in bie 
gehler ber Slnberen, fonbern oon ben nun einmal herrfchenben gbeen 
hppnotifirt fühlt jeber ©injelne wie bie ©efammtheit. 

©otftoi hat entbedft, baff in Stufjtanb ju oiel gegeffen, getrunfen unb 
geraudht wirb; unb wir, bie wir nie burclj Unmägigfeit gefünbigt haben, 
fdhlagen uns an bie S3ruft unb rufen: mea culpa. 

Unb was ift aus bem feufdfjen beutfchen SDtäbchen geworben, welches 
oor jwanjig fahren Stomane fdhrieb, bie meinetwegen lächerlich waren, 
aber in benen fich boch nichts Schlimmeres ereignete als bie ^eirath 
jwifchen einem moralifch überlegenen SJtanne unb einem romantifchen 
Sftäbdhen, weldheS überfpannt burdh bie SBälber irrenb oon einem „hohen 
Werten" träumte (bem Sorläufer beS Uebermenfdhen), um ihm fdfjliefjlich 
eine braoe unb für immer treue Hausfrau ju werben? &eute hingegen 



362 


irtatjljerita Craube-OTeitgarin« in Som. 


ift fie ooit ber tnobernen Stiftung angeftänfelt ttnb führt über ifyct ge* 
fdjlecfitlichen Stegungen S3u<h, genau fo wie fie es ehemals auf bem Sanbe 
über ihre kühner unb in ber Stabt über bie SBäfcije gethan bat. 

Unb warum ift ber ehemals fo gefunbe, biertrinfenbe norbifche Säugling 
jum büfteren Spmbotiften geworben, unb roarum bat er barin fo gelehrige 
Stadjabmer in feinen fübtänbifdjen SllterSgenojfen gefunben, bie hoch fo tue! 
geroifcter finb als er unb bisher eine fo !lare 33orpeHung ton bem wirf* 
lidjen Sehen batten? 

£eutjutage muff man ft<h mehr benn je ^Aten, oorfibergebenbe 
Symptome im 33ölferleben für ©baraftereigenthümlichfeiten einer Staffe ju 
halten. Auch in tergangenen @efchi<ht3epo<hen bat es begleichen Ueber* 
gänge gegeben; aber früher bauerte bie Umbitbung Sabrbunberte lang, imb 
es roat leichter, fich ü6er bie Sebeutung eines folgen StabiumS ju 
täufchen. .Ipeute genügt ein SJtenfdjenleben, um bei ein unb bemfetben 
SSolf mehrere folcher ?ß^afcn ju beobachten, ton benen jebe eine befonbere 
Seurtheilung erheifdjt. 

2)ie neurafthenifdhe Jttaffe ber ©ebilbeten fdheint am meiften tom 
JtoSmopolitismuS ergriffen ju fein. ®arum fehlt es heut an terfdjieben* 
artigen Sippen unter Stünftlem unb Schriftflellern. Unb bodh jtnb fie bei 
ihrer ©eringfdjähung ber Uebertieferungen unb bei ihrer SnbiScretion g^en 
baS eigne Sch in ber Sage, bie geheimften Siegungen unb tiefjlen Abgrfittbe 
ber Seele ju eittfdjteiern, ü6er welche frühere Sabrljunberte mit größerer 
3urücEl)altung gefdjroiegen haben. 

An Selb ft6 efenntnifT en ift fein SJtangel, aber wie fehr gleichen fie 
einanber! ®ie Unterfchiebe jroifd&en noch fo complicirten Snbitibualitäten 
ftnb längft nicht fo erheblich, wie fie erwartet hatten, unb baS Siefultat ift 
öbefte Sangeroeile, benn roaS fann es SangroeiligereS geben, als baS ©haoS? 
®ie wenigen wirflich großen Zünftler, welche weber Suft noch 3rit hatten, 
i hre eigenen patbologifdjen Steigungen ju preifen unb ihre eigenen Snfüncte 
ju jergliebem, erfcheinen uns als bie wahren ©enieS. Unter ben Senbenjen, 
bie heut ©uropa beherrfchen, ift tieHeicht bie lächerlichfte bie, Angeborenes 
lehren ju wollen. 2Bie gröbet bem neugeborenen ftinb ben ©ebrauch 
feiner &änb<hen lehrt unb es baran gewöhnt, feinen 33licf ju fiyiren, fo 
lehrt uns Sourget unb bie pfpchotogifdje Schule unfer eignes $erj fennen. 

©S giebt eine wilbe SBölferfcbaft, bie um ben ©aft ju ehren, ben 
SieiS torfaut unb ihm aisbann in ben SJtunb fchiebt. ®ieS ift bie 
äufjerfte ©renje, bis ju ber man bie Sefdjränfung ber perfönlichen Sni- 
tiatioe treiben fann, unb bieS ift baS ©injige, was unS noch, fehlt. SBenn 
wir unferen Steigungen in biefer &infi<ht ©eroalt anjuthun unb bie ©r- 
jiehung fo umjugeftalten oermöhten, baß bie junge ©eneration mit bem 
eigenen föirn ju benfen lernte, unb mit frifchem ©eift unb gefunben Sternen 
in baS Seben träte, wirb fie melleicht eines SlageS im Stanbe fein, bie 
©efeüfchaft auf eine gefünbere 93afis als heut ju ftellen. 



Das (ßeffottmtif, ein bebeutfames religiöfes unb 
otfjifdfos ZIToment. 

Don 

% J&obet. 

— inain3. — 

«©et löft mit baS uralte, qualboUe ftät&fef, 

©otübet fcfjott utandje Häupter gegrübett, 

Häupter in Xurbatt, ^ierognjpbenmüfcen unb ©awtt, 

Sirme, fdjttiöenbe ©etifdjen^äupter: 

SBa8 ift bet ©ettfd)? ©ober ift er gefommen? 

©obin gebt er? ©er mobnt bort oben über golbenen Sternen?" 

o täfjt &eine oerjweiflungSoott feinen Jüngling am SJteere feufjen 
unb ontroortet mit bem ihm eigenen ^>of)ne: ,,©n Starr wartet 
auf Slntmort?" $aum beginnt in bem SJtenfdjen baS 33emujjt* 
fein feines ®afeinS ju erwadjen, fo fängt er auch an über Urfadjen, 
3iele unb ftweefe feines ßebettS, über fein SBerben, SBadjfen unb 93er* 
geben, über bie fragen, ob SBemidjtung ober SBieberbelebung unb gort* 
bauer nach bem £obe, nadbsubenfen unb ju grübeln. ®ie aufmerffame 
33etra<htung ber Statur unb feiner Umgebung letjrt ihn ©ntjtehen unb 
SBelfen, 93tüf)en, Steifen unb gaulen, fcltfamen unb rounberbaren Stoff* 
wedjfel, auffattenbe unb ganj oerfdjiebenartige 93ermanblungSproceffe, man 
bente nur an Staupe, (Shrpfalibe unb Schmetterling, — unb fo fragt er 
fidf) oergleuhSmeife: 2Bie fleht eS mit ®ir? SBaS wirb aus S5ir? 

Stidjt motten wir uns mit bem Probleme beS UrfprungS beS 3Jtenf<hen* 
gefchledjteS heute befdjäftigen, — ob er baS oottenbetfle ©nbglieb einer 
ftette lebenbiger Organismen, ober in feiner ©genart ein befonbereS 
©attungSwefen, wir beginnen mit ber $CE)atfad)e: Cogito, ergo sum! 
2Benn auch biefer SluSfpruä) beS berühmten GarteiiuS fdjon längft als 
philofophifdher £rugfd)luf 3 erfannt worben, wollen wir uns nur heute mit 




3- tt 011 * 1 in IlTainj. 


36^ 

bem befaffen, was Religion unb SJtorat beni SJtenfdßen auf feine fragen 
nadß Biel unb BroedEen feines SebenS, nadß SBiebergeburt unb gortbauer 
in anberer 3Itt, nadß einem weifen Senfer aller SBelten unb oberften 
Stidßter unfeter Saaten auf ©rben als Söfung ber Stätßfel unb ©eßeint* 
niffe feines ®afeinS unb in ber Statur an bie $anb gegeben. 

©elingt es auf alle biefe fragen eine einigermaßen berubigenbe unb 
tröftlidße Slntwort ju geben, — fo ift bieS 3lHeS, was menfdßlidße SEBiffew 
fdßaft unb SJtenfdßenliebe in aufrichtiger gürforge für fein SBoßlergeßen 
unb SBoßlbefinben vermag, — ber ©laube unb ein bunfteS ©mpfinben 
in unferem Innern werben baS Uebrige tßun, — ungelöfle Stätßfel unb 
©eßeimniffe werben in unferem ßeben unb in ber -Katar befielen bleiben, 
— wie feßr fidß audß fdjarffutnige ©eleßrte unb wißbegierige gorfdßer atter 
Beiten bemüht, ben Sdßteier ju lüften, ftets wirb es wie ein fjauftifdßer 
SdßmerjenSfdßrei erflingen, was ber Sdßweijer SDidßtet unb ©eleßrte 2llbr. 
o. Malier auSgerufen: „Bn’S innere ber Statur bringt fein erfdßaffener 
©eift!" 

®aS fru<f»tlofe Streben fo oieler £aufenbe bat bis jefet bie Sterb* 
ließen nodß nidßt abgeßalten, auf ber 23aßn ber ©rfenntniß unoerbroffen 
weiter ju wanbem. SBinft bodß bie Hoffnung, ber SBaßrßeit näher ju 
fommen, unb ßat bodß baS Stingen nadß SBaßrßeit, wie Sefftng meint, 
meßr Steij als oßne 3 ra eifel ber 33efiß ber SBaßrßeit felbft. äfadß geben 
Steligion unb SJtoral für bie entmutfjigenbe £ßatfacße, baß ber SJtenfdß 
unfäßig ift, MeS, was er ju wiffen brennt, ju ergrünben, bie Slntwort, 
baß nur bei ©ott bie »olle SBaßrßeit ju finben, ia, baß bie ©rfenntniß 
ber Bufunft für ben SJtenfdßen oerßängnißooll unb oerberbenbringenb fei. 
©idßtung unb Sage ßaben ließ gleichfalls bamit befdßäftigt, biefe Beßre 
ju oeranfcßaulidßen. SJtan beute an baS Unglüdt ber jufunftfdßauenben 
Äaffanbra, man oergegenwärtige ftdß ben oorjeitig jerftörten Jüngling, ber 
gegen baS Verbot ber ©ottßeit oorroißtg unb freoentlidß ben Sdßleier beS 
SfilbniffeS ju Sai'S gelüftet. 

Unb hiermit fommen wir jum eigentlidßen ftern unfereS £ßema3. 
Steligion unb SJtoral ßaben baS ©eßeimniß als fruchtbares SJtotio jur 
(Srjießung beS SJtenfdßen, jur ©rregung feiner Sßßantafie, jur SDiSciplin 
feines SBillenS benufct unb angewanbt; ©ultut unb Sitteratur oerbanfen 
ißm ißre wirfungSooHften SJtotioe, ißre fpannenbften SJtomente. 

®ieS aus einigen SBeifpielen ber antifen ©ultformen mit SluSblicfen 
auf bie mobeme Beit ju belegen, fei ber Broed unferer heutigen SEijje, 
bie weber Slnfprudß auf oollftänbige ©rfdßöpfung beS Stoffes, nodß auf 
enbgiliige Söfung ber gtage erßebt. 

Bunädßft berußt auf bem Steije beS ©eßeimniffeS baS SBefen aller 
SJtpfterien ober ©eßeimculte beS StttertßumS, bie 93ereßrung ber egpptifdßen 
©ottßeiten DfirtS unb BiiS, bie eleufinifdßen, orpßifdßen unb pptßagorei- 
fdßen SJtyfterien bei ben ©riedßen unb Stömern. 



Das <Set)eimni§, ein bebeutf. religiöfes u. Etlufcfccs ntoment. 365 

gtragt man ft<h junädift nach bem ©runbe, warum hier ber größeren 
SJtaffe abiidhttidt) Etwas oerbeimlid)t unb nur ben AuSerwäßtten ober Eim 
geweihten entfdhleiert wirb, fo fönnte man junädhft bem SBefen ber antifen 
Religion gemäß antworten: bamit ber nadf) ber Anfdhauung ber ©laubigen 
an bie SluSübnng heiliger ©ebräudje gefnüpfte Segen bem Staate um 
gefdjmälert erhalten bleibe, bamit fein fyrember ober gar Uebelmollenber fich 
benfetben aneigne ober bie ©ottfjeit abwenbig madhe. 3Jtan fonnte audb 
nodh eine anbere Stntwort finben. 3tadh bem ©tauben aller Eutturoölfer 
hat es ehebem eine Seit gegeben, wo bie ©ötter mit ben SDlenfdhen wie 
mit ShteSgleichen oerfehrteit, erft burdh ben Uebermuth unb greoetfinn ber 
©terblidben gingen biefe ber ©nabe beS innigen BerfehrS mit ben £immli* 
fdhen oertoren. ®odh ließen fie ihnen 5 um S’roft unb jur Hoffnung ber 
Annäherung bie Kenntniß gewtffer religiöser ©cbräucbe jurücf, an beren 
tgeilighaltung unb Beobachtung fie Segen unb £>eil fnüpften. 

$nbeffen befriebigen biefe 3lntworten auf bie fragen nach bem ©runb 
ber ©ntftehung ber -Dtpfterien nidht oöHig. ©etnt, wie wir wiffen, waren 
bie meifien ©eheimculte audh fremden jugänglitf), unb tnuß eben nur bas 
©efüfjl bei ber Einführung maßgebenb gewefen fein, ob ber Einjuweihenbe 
oermöge feiner Bilbung unb feines GtjarafterS audh würbig fei, in baS 
innerfte 3Befen ber ÜJtpfterien einjubringen. tJtatürlid; war ber EDrang unb 
bie ©ehnfudht ober audh bie Steugierbe ein ^auptfactor bei ben Be= 
mühungen, 3 ur Einweihung in ben ©eheimcult jugelaffen ju werben. 
Unb biefeS treibenbe 'Utotio ift fo att wie bie Bfenfdhbeit felbft unb 
wirb fo lange wirfen, als es 9Jtenfcben giebt. Kommt bann nodh baS Be 5 
bürfniß hinju, für ben oerloren gegangenen ©tauben Erfaß in einem 
©eheimbunb unb ©eheimcult ju fuchen, fo läßt fidh leicht bie SCbotfacbe 
erflären, baß foldhe SJtpfterien aUjeit Anhänger finben. ES liegt hier feljr 
nahe, an eine parallele mit ber mobernen greimauerei ju benfen, unb 
in ber SfyU mögen ^icr ntandherlei Berührung« punfte oorhanben fein, 
nadh 3Ulem ju fdhließen, was man überhaupt oon bem Einen unb bem 
.Anberen wiffen fann; ben Dteij beS ©eßeimniffeS haben fie ohne 3meifel 
gemein. 

SMe ältefien berartigen ©eheimbünbe unb SJtqfterien beS flaffifcßen 
AlterthumS gruppiren fuf) um ben Diamen beS mpthtfchen Sängers DrpheuS, 
bem eine 3Jtenge oon ©ebidhten unb bunfeln Drafelfprüctjen jugefichert 
wirb. 9Zatürlid& finb alle gefälfcht, unb ber 9Zame DrpheuS hat in ber 
griedjjifdben ßitteratur ähnlich behalten müffen, wie ber DfitanS in ber 
beutfdßen. Einer ber ältefien fogenannten Drphifer war ber am £>ofe ber 
^ififiratiben lebenbe Crafelfprudhbidhter DnomafritoS. 3Jtit ber Bett enö 
wiefette fidh eine fötmlidhe orphifdhe Rheologie, in ber orientalifdhe, wohl 
rneift egpptifdhe Einwirfungen unoerfennbar finb. ES ift barin oiel bie 
Siebe oon einer „angeborenen Sünbßaftigfeit beS aus ber Afdhe ber götter* 
feinblichen Titanen entfianbenen 2JtenfdhengefchledhtS, oon einem Kreislauf 



366 


3. Xlovex in lUain 3 . 


ber «Seelen burdj irbifc^e Seiber, in bie fie, gleidj wie in einen ßerfer, 
gebannt feien, um bie alte ©d>ulb ju büßen unb bann gereinigt auf ben 
©ternen beffere SBohnft&e ju erhalten, non ber ©träfe ber Ungereinigten 
unb non ber 9lotf»roenbigfeit einer Säuterung burd) religiöfe SBei^en unb 
Slnwenbung ber ©nabenmittel, roeldhe burdj Drpßeu« offenbart feien." S5ie 
Seliger biefer orphifdjen Offenbarungen bilbeten einen roeitoetjroeigten 
33unb, mit bem fic^ auch bie Ueberrefte ber au« ttnteritalien nertriebenen, 
geiftig nerrbanbten, ppthagoreifdjen ©enoffenfdjaft Bereinigten. 9tur fehlte 
bie in teuerer gepflegte politifeße £enbenj; bie orphifdje fannte nur eine 
religiöfe. ©S waren geroiffe rituelle unb agfetifdje ©ebräudje oorgefdjrieben, 
bie an unfere $aftengebete, ja j. 33. an 33egetariani«mu« unb Säger’fdje« 
SBollipftem ber Dieujeit erinnern, wie j. 33. bie ©nthaltung non animalifdher 
Stahrung unb non Söhnen unb ©infleibung ber lobten in linnene, itidjt 
in inollene ©ewänber. 33ei ber 3lufnahme neuer -Dtitglieber waren geroiffe 
Steinigungen unb 9tcligion«übungen torgefdirieben, in bereu fyorm ifjr 
©laube unb il;re Ueberliefenmg eingefleibet waren. 

33orroiegenb mögen fid) non biefem ©efjeimbunbe biejenigen angejogen 
gefüllt haben, welche bie trabitioneüe Sanbe«* unb 33olf«religion nicht 
mehr befriebigte. Erfreuten ftch nunmehr foldhe ©enoffenfdhaften auch bei 
benen einer gewiffen Sichtung unb Slnerfennung, bie ihre eigenen SEBege 
roanbelten, fo fehlt e§ hoch auch nicht an craffen 3lu«roüd)fen, an fdjrohtbeU 
haftem 9)tißbraudh orpf)ifdjen Samen«, um ben Unnerfianb unb bie ßeidhfc 
gläubigfeit ber großen Stenge au«jubeuten. 33on folgen „Drpheoteleflen" 
rebet j. 33. Pato in feiner berühmten ©cßrift: „Ueber ben ©taat". SDiefe 
©dbwinbter geben nor, non ben ©öttern bie Stadfit ju befifeen, burdj Opfer 
unb Sefdjroöruugen alle Serfdjulbungen, fogar non längft 33erftorbenen 
ju fühnen unb jwat mit Orgien. $a, fie gaben nor, Sefdjroörungen unb 
Samtfornteln ju befißen, ülnbere ’ju fdjäbigen. 3lnbererfeit« fdjrieben fie 
fid) bie Äunft ju, fdnoere Äranfheiten, wie 3Bahnfinn, heüen ju fönnen. 
©ine Hauptfurmetljobe beftanb in efftatifdjen SCänjen um ben ©tuhl be« 
Patienten herum; mitunter mußte er aber auch wohl felbft mittanjen. 
Siele biefer ©aufler gingen mit ihren Heilmitteln al« Haufirer herum, 
ober fie führten in corpore eine ©djauftellung ihrer Silber in Sfkocefftonen 
ober mit Slänjen auf, jergeißelten ober nerwunbeten fid) in heiliger Safere i 
unb fammelten bann ntilbe ©aben ju ©jjren ber phrpgifdhen ©otte«* 
mutter ©tjbele ein. ®ie Slnljänger leßterer nannte man fpecteH Stetragprten. 
311« ber erfte biefer ©aufler in 2lthen etwa um bie Siitte be« fünften 
^ahrhunbert« auftrat, warb er für einen StoMopf unb Serädhter ber Solfs* 
religion gehalten unb in ba« fogenannte Sarattjron („33erbre<herabgrunb") 
geworfen; bodj hierher empfanb man ©ewiffen«fcrupel unb fud)te fogar 
bie beleibigte ©ottljeit burdj ©infüljrung ihre« ©ulte« ju nerföhnen. 

Serroanbt mit ben orpfnfdheit waren bie 353eihen be« ©abajiu«, b. i. 
ein S3einame be« ©otte« ®ioupfo« ober Sacdju«. Um bie 3 e ‘t be« pelo- 


Das <Setteimitt§, ein bebentf. reltgtöfes u. ettyfdjes IHoment. 367 

ponnefifchen Krieges trat eine gemiffe SiinuS als «priefterin beS SabajiuS 
iit 2lthen auf, bic aber als 3 ftU berin unb ©iftmifdberin mit bem Sobe 
Beftraft rnarb. So<h erhielt fich fpäter fogar bie Kutter beS SlebnerS 
2tefcf)ineS als fabajifche Ißriefterin offne Anfechtung. 33on SemoftheneS ex- 
fahren wir benn auch etwas Näheres über biefe fabajifd^en 2Beiljen. Kan 
rieb jur Stachtjeit bte Stooijen mit Sehnt unb Äleie ein, hing ihnen ein 
Siebfell um unb gab Ihnen einen Sßeihetranf ju trinfen. hierauf fprang 
ber auf ber ©rbe fifeenbe ©ingemeihte auf unb rief: „Sem Uebel entrann 
i<h, baS Beffere gewann ich!" Am Sage oeranfialteten fie ißroceffionen, 
wobei jahme Schlangen herumgetragen würben. 3hre Sänje unb Ausrufe 
foUen befonbers ben alten SBeibem oiel ©pa§ gemacht haben, bie fidf 
burch allerlei ©aben, wie 33refceln unb fonftigeS Sacfroerf, erfenntlich seigten. 
lieber ihre Spmbolil ifl oiel gebeutelt worben. Sas SiehfeH galt für 
eine ttjpifche Sefleibung ber Sacdfianten; Sehnt unb $leie warb als 
fReinigungSmittel oerwanbt, unb bie (Schlangen foUen ein Spmbol ber ©r* 
haltung ber ©efunbheit fein. 33on ihrem Anfehen fpricht SemoftheneS 
nicht gerabe feht anerfennenb. SEBeit wichtiger unb bebeutungSooller waren 
aber bie höheren, unter bem fßrotectorat beS Staates ftehenben unb oon 
eigens baju berufenen ©ultbeamten ausgeübten Kpfterien. ^ier war 
audh bie Unoerbrüchlichfeit beS ©eheimniffeS eine weit ftrengere, ja, eine 
33erlefeung beSfelben warb als ©ottloftgfeit geahnbet. SSott ben heiligen 
©ebräuchen unb ben babei oorfommenben Slawen burfte feinem Unein* 
geweihten etwas oerrathen werben. Salier fommt es benn auch, baff wir 
wenig 3«r»erläfitgeS barüber wiffen. 

Sen größten Stuf unter ben Kpfterien beS AlterthumS genießen bie 
©leufinien. Sie galten ootjugSroeife für heilig unb gottgefällig, unb 
nach ihrem Kufter bilbeten fid) niete ähnliche ©eheimculte, gewiffermafjen 
giliaten oon ©leufiS, wie in iphltuS, Keffene, KegalopoliS u. a. Slatür= 
lieh genofj bie Kutteranfiatt baS bö<hfte Slrtfe^en. Sie ©ntftehung ber 
©leufinien reicht in ein unbeftimmbareS, graues Altertliunt jurücf. Stach 
einem homerifdjen ^jpmnuS foU bie ©öttin ©eres fetbft unter ber ©eftatt 
einer aus ßreta fommenben frrau ben ©ult geftiftet haben. S8efanntti<h 
irrte ©ereS nach ber ©ntführung ihrer Sodfter ißroferpina burch ben 
Untermettsgott lange trauemb umher unb oerbingte fich fchliefstich bei bem 
Könige ÄeleoS in ©leufiS als SBärterin feines JlinbeS. 3« ihrer tiefen 
Stauer fudjte eine 3Jfagb beS dürften, SlamenS 3ambe, fie burch ©<her£= 
reben aufjuheitern. Sen ihr anoertrauten Pflegling miH fie unfierblich 
machen; ne falbt ihn mit Ambrofta unb StadfjtS hält fie ihn über baS 
geuer. Sa aber betaufdjt fie einmal bie neugierige -Kutter, unb als fie 
baS fonbetbare Sreiben ber ©öttin gewahrt, fdjreit fie laut auf unb 
htnbert fo bie SBollenbung beS UnfterblichfeitSroerfeS. 

3ugteidh giebt fich ©eres ju ertennen, unb es wirb ihr ein Sempel 
geweiht. So<h fie fanbte KifjwachS über bie ©rbe, bis man ihr bie ge* 



368 


3« Hoücr in HTatn 3 . 


raubte Sodjter wiebergebe. Sßroferpina ifl aber bereits ©attin beS Unter* 
wettSgotteS, unb er will fie nicht entlaßen, ©a fommt auf ©inmifdßen 
beS 3 euS ei« Vergleich ju ©tanbe: einen S^eil beS SaßreS febrt bie 
©ntfübrte jur Dberwelt juriidE, ben auberen muß fie im Schattenreich oer« 
weilen. ©er HJtptbuS terfimtlicbt bas Seben beS ©aatfomS, baS auch 
einen ©b«t beS SaßreS, im 2Binter, im ©dßooß ber ©rbe ruht, im grüß* 
jabr aber auf ber Dberwelt auffproßt, grünt unb geheißt, bis eS roieber 
jur Unterwelt jurücf febrt; jugleidh fdjließt ber SDtptßuS aber auch ftnnreich 
ben SBecßfel jtoifdEicn Seben unb ©ob ein. Statürlich , bitbete ber Qnßatt 
biefer ©age mit mancherlei SluSfdjutüdungen ben Inbegriff ber eteunntfdjen 
©pmbolif. 

3 u Gultbeamten bei ben ©leufinien nmrben 2 lbfömmlinge beoorjugter 
SlbelSgefcßlecbter gewählt, wie bie ©umolpibcn unb Äerpfen. 2luS erfleren 
fiitrte man 3 . V. ben Hierophant, ben ^rieftet, bem eS oblag, ben ©in* 
geweihten bie geßeimnißooffen §eitigtbümer beS ©ults ju jeigen. 8luS bem 
©efcßlecht ber ßerpfen wählte man ben £erolb; ein britteS 2tmt war ber 
©abucßoS b. h- Sacfelträger. Unb fo gab es noch eine Steiße non SJtini* 
ftranten bei ben heiligen Honblungen. 

SBoHte 3etnanb in bie SDtpfterien eingeweibt werben, fo muhte er fuß 
eines bereits ©ingeweibten als Vermittler bebienen, beS fogenannten 
Hltpftagogen, ber ihn unterweifen muhte. $eber unbefcßoltene JpeDene lonnte 
jugetaffen werben; Varbaren waren auSgefcßtoffen. ©er Slufjuneßmenbe 
mußte (ich einer förmlichen Seichte unterwerfen. 

©ie ganje SQBeihe beftanb aus jwei, burcß ein ßatbeS Qaßr ton 
einanber getrennten feiern: ben Keinen ÜDtpfterien, etwa im SRonat 
gebruar, bem erften eigentlichen grüßlingSmonat beS ©fibenS, unb ben 
groben SJtpfterien im ©eptember jur 3 ß it ber ©rate. ©ie fleinen waren 
torjugSweife bem ftafdfoS (Vaccßus) geweiht, ber wahrfcheinlich für einen 
©oßn ber Sßroferpina galt; bemgemäß machte nermutblich bie bitbtidhe 
©arftellung ber ©eburt beS QafcßoS ben Hauptinhalt ber Siturgie aus. 
©ie fleinen SJtpfterien waren eine unerläßliche Vorbereitung ju ben großen; 
bie in erftere ©ingeweihten hießen 9Jipften — bann erft würben fie 
©popten, b. ß. ©cßouenbe. ©ie ©inweihung in bie großen SJtpfterien ge* 
fchaß aber fo: 

3nerft würbe eine feierliche Verfammtung aller Hüpften in ber 
©emälbeßaüe abgehalten, wobei bie gremben unb Unwürbigen förmlich 
auSgefcßtoffen würben. 2lm folgenben ©age fanb eine allgemeine Steinigung 
am HüeereSgeftabe ftatt. ©aran fcßtoffen fi<h Opfer, HfabacßtSübungen, 
Untätige u. bergt., worüber wir nichts ©enauereS wißen; bocß fcßeint in 
2ltßen ein ^feftjug nach GleuftS bie Hauptfeier eingeleitet ju hoben. 3 uer ft 
würbe baS Vilb beS SafcßoS feierlicßft eingehott unb auf ber ©traße nach 
©leufis ben bortigen beiben ©öttinnen GereS unb Sßroferpina jugefüßrt. 
©a ber 2Beg mer ©tunben betrug, fo faß man audh Viele ju SSagen, 


Das c&etjetmntfj. eilt bebeutf. teligiöfes u. etljifdjes UToment. 369 

namentlich grauen. Me 9Kt)flen mären feftlidj gefchmücft unb mit 
SWprthen befränjt; auch Uneingeweihte burften aufjer ber 3Rei^e folgen, unb 
fo Bewegte fi<h wohl eine uniiberfehBare, Btmtfdjillernbe SRenge non 
©aufenben an jenem ©age auf ber Ejeiltgen Straffe. Unterwegs machte 
ber Bug oft Stationen, befonberS an Heiligtümern. Dbwohl baS geft 
einen norwiegenb emflen ©harafter hatte, fehlte es hoch an Schergen unb 
SluSgelaffenljeit nicht, befonberS beim Uebergang über bie KephifuSbrücfe. 
giel ja bo<h auch bie geier in bie ©mtejeit, wo man ber greube über bie 
eingeheimfien fruchte SluSbrucf nerlteh. 

©en ©ipfel ber geier bilbete ohne gweifel bie $ulaffung ber SJtpften 
jum Innern beS SSeihetempelS. 2Bir firtb hierüber aber aus leicht 
begreiflichen ©rünben fdjlecht unterrichtet. Vielleicht bilbete ben Haupt* 
inhalt beS SEfcteS Per ©inweihung bie Nachahmung ber Seiben unb greuben 
ber ©öttin burch fpmbolifche Hnnbtungen, wie haften, bann bur<h Scheiß 1 
reben, erinnernb an jene gambe im Haufe beS dürften KeleoS, welche bie 
fafienbe unb trauembe ©eres burch Späfje erheiterte unb enblidj jur 
Sinnahme eines fiabetrunfeS bewog, ©emgentäfj nahmen auch bie SJtpften 
einen SDlifchtrunf ju jt<h, aus SBaffer unb 9Jiehl unb mit ißolei gewürgt, 
©abet fanb folgenber fpmbolifcijer ©ebrauch ftatt : man nahm etwas 
Speife aus einer Kifte, foftete bacon unb legte fie in einen $orb unb 
bann wieber in bie Jtifte. ©ie babei übliche formet, bie auch ben 
■Dlpften als ©tfemtungSgeichen biente, folt alfo gelautet haben: „geh 
faftete, ich tranf ben Kpfeon (3Jlif<f»tranl), ich nahm aus ber Stifte, ich 
foftete, ich legte in ben Korb unb aus bem Korbe in bie Stifte." 2BaS 
bieS bebeutet hoben mag, barüber fönnte man allerlei Vermuthungen an* 
ftetten. Vielleicht foHte es heiffen: ©er SDtenfd» entnimmt feine 9ial)ruug 
bem Schöffe ber ©rbe, oergehrt einen ©heil ünb »erwahrt ben 9teft in ber 
Steuer; aus biefer nimmt er wieber baS Saatforn, um es fchliefflich ber 
©rbe gurücfgugeben. 

2öie fchon ber 9tame „Hierophant" bebeutet, fo würben ben ©in* 
geweihten gewiffe heilige ©inge, wie ©ötterbilber unb Spmbole gegeigt, 
ihre Kräfte unb SBirfungen erläutert, alfo eine Slrt oon Steliquienfchau 
gewährt. 

©abei mochten SRuftf unb Voefie gu Hilfe genommen werben, um 
ben ©inbrucf gu uerftärfen. 9tach Slnbeutungen tonnen wir uns bie in er* 
wartungSooller Slnbadjt im ©unfein horrenbe SDtenge non ©läubigen, beren 
Sßhnntafie unb ©emfith burch allerlei auf bie Sinne wirfenbe SJiittel erregt 
war, lebhaft uorfteUen, wenn plötjlich ber Vorhang, ber fie oom Silier* 
heiligfien trennt, weggejogen wirb unb ihnen eine überirbifcfje Helle ent* 
gegenftrahlt; fic fchauen bie ißriefter im fefiltchen ©lange unb in ehrfurcht* 
gebietenber Haltung; ber Hierophant geigt ihnen bie Heiligtümer, unb 
gewaltig braufenbe ©höre ober fünftterifh ooUenbete Vorträge, oereint mit 
äußerem iffomp, wirfen auf ihre Sinne beraufdfenb unb in heilige Stauer 



370 


3. tlorer in ITlainj. 


oerfefcenb. $ierju tarnen, tote eS fdjeint, mimif<h*theatralif<he Borfteßungen, 
lebcnbe Bilber, welche bie SDtpthen ber ©ottljeiten, ihr Sßalten unb SBirfen 
»erfinnlichten. Stach einjelnen Anbeutungen bfirfen wir an SButtber* 
erfdjeinungen, ptöfetidEje Sidfjt* unb ginfternißeffecte, Stadjahmungen »on 
©öttem in ©eftatt unb ©timme, ja an alle SJHttel Ktnftlerifc^cn unb 
raffinirten ©inne« benfen, unt uns ein mögfidEift etgreifenbeS, erfchütternbe« 
unb in feinen SBirfungen nachhaltiges ©d^aufpiet cor bie Augen ju führen, 
darauf beuten auch ©puren »on 3Jtafdjinerien, bie man an ber ©teile beS 
ehemaligen SSeihetempelS gefunben haben will. 

Heber ben wohltätigen ©influß ber ©leufinien auf Steftgiofttät unb 
©ttttidfjleit fpred&en ftd^ uiele namhafte griedfifcfje (Dichter unb Genfer au«; 
namentlich ftärften fie ben ©tauben an bie Unfterbtidjfeit ber ©eele unb 
eine Bergeltung im genfeits, unb es mögen fi<h in Sitten nur wenige 
©ebilbete auSgefdjtoffen hoben, ©ooiel ift aber gewiß, baß bie ©leufinien 
in hohem Anfehen ftanben, unb baß ihre ©eringfehäfeung für einen freuet 
galt, wie benn befannt ift, baß man bem AlfibiabeS weniger ho<h ben 
Unfug mit bem Umfturj ber $ermenfäulen, als bie Berfpottung ber eleufini* 
feßen SRrjfterien anrechnete. (Daß aber heroorragenbe ©eifter, wie AlfibiabeS, 
nicht ganj befriebigt, wenn nicht gar enttäufeßt, fi<h oon ben ©eheimlehren 
wieber abwanbten, liegt eben in ber Unoottfommenheit aller menfdjtichen 
©inridjtungen unb in ber unoerbeffertichen ©<hwä<he beS 2ltenf<hengef<hlethteS 
überhaupt. Tout comme chez nous. ® er größere ßaufe glaubt im 
Befifee (olcßer ©nabenmittel unb SBeißen einen gewiffen Freibrief ober eine 
Art Ablaß für bie 3 u ^ un f* erlangt ju haben, über bem Aeußerlichen wirb 
bie innere Läuterung oergeffen, unb fo ficht ber aufmertfame Beobachter 
im ©roßen uub ©anjen biefelbe fünbige SJtenfcbhett mit all ihren an* 
geborenen ober anerjogenen ©<hwä<hen oor 9lugen; ber SJtenfdj bleibt eben 
immer ein 9Jtenfd>. 

AnbererfeitS war bas gnftitut ber ©leufinien bem SBedhfel ber Sin* 
fdjauungen, Beränberungen unb Steuerungen unterworfen. Berwanbte 
orpt)ifcf)c ©lemente, ber ©ott gafdjoS mit feinem ©ulte oerfdjmotj mit bem 
ber eleufinifcßen ©eres unb (ßroferpina. ®ie ©ntwicflung unb BerooII* 
fommnung ber fünfte (wirften auch f)l®r oerbeffernb unb oerebelnb ein. 
gerner f bie (ßhilofophie unb eitblich ber (DafeinSfampf gegen baS auf* 
lommenbe ©hriftenthum gab ben anfänglich groben unb (tunlichen formen 
eine höhere attegorifdje (Deutung. 

2iu<h angefehene Auswärtige pflegten (ich in bie ©teufinien einweifjen 
ju taffen, wie wir bieS j. B. oon ben römifchen ßaifern ßabrian unb 
SJtarc Aurel wiffen. 

(Daß auch anberwärts, wie in ?PhKuS unb SJtegalopoliS eleuftnifche 
©eheimculte gewefen, haben wir bereits erwähnt, ©benfo gab eS noch 
mancherlei ähnliche ©eheimculte, junt (Dßeil auSfcßließlich für SJtänner, jum 
2teil nur für grauen. (Doch wir befchäftigen uns nur mit foldjen, wo 


Das (Sefietmntfi, ein bebeutf. teltgiöfes u. ettjifcf^es ITToment. 37 \ 

eine cm beftimmte 23ebingungen gefnüpfte ©inroeibung ftattfanb, unb ba 
oerbienen allenfalls noch bie @amothrafifcf)en Sfipfterien unb bie ägpptifdjen 
Qffi^aJlpflcricn ©rroäbnung. 

SHe ©amothrafifihen aWtjfiericn nennt &erobot auch Orgien ber 
ftabiren; roer aber biefe „Äabiren" eigentlich waren, barüber finben roir 
bet ben alten 3lutoren bie roiberfpredjenbften 2lnftcf)ten. 3la<h ißinbar gab 
es einen Umtenfdhen ÄabeiroS, auf fiemnoS geboren. 3lnbere betrauten 
bte ftabiren, roie bie flureten unb ßorpbanten, als eine 3lrt bäntonifdjer 
SJiittelroefen im ©efolge höherer ©ottheiten. SBieber 2lubere wollen in 
ihnen felbjlftänbige 93olfSgötter erlernten, bie man in ben 3Rpfterien ge= 
feiert habe. 2luS ber 93erwanbti<haft beS SBorteS mit bettt femitifdhen 
„kabirim“, b. h- »bie ©rofjen unb ÜMcfitigen", barf wohl gefdf)[ offen 
roerben, baff eS urfprünglidh non ben fpbömjiern an bie ßüftenftäbte oer= 
pflanjte ©ottbeiten roaren, bie allmählich non einheimifdjen griedhifchen in 
bas SDunfet ber Serborgenbeit unb barnit jugleich in eine mijfteriöfe £eiligs 
feit gebrängt rourben. ®amit ftimmt, baff bie Äabiren befonberS als 33e= 
f<hä|er ber ©eefahrer galten. 2Jlit ber 3^1 fdhlichen fich eleufinifdje 
Elemente unb Deutungen audb in biefen ©ebeimcult ein. Heber bie 
eigentlichen ©eremonien ber famothrafifeben URpfterien roiffen roir noch 
n^eniger, wie über bie ©leufinien. 2Sir hören rooht fpecieH oon 9ieini= 
{jungen unb 3iäu<herungen; auch eine geroiffe Seifte fdbeint oon ben ©in= 
jutneihenben oerlangt roorben ju fein, fjßlutardb überliefert uns hierüber 
eine nette Slnelbote: ©in ©partaner fei einft oom fßriefter aufgeforbert 
worben, feine fdjlimmfte ^anblung ju beichten. 

„SRufj idh es ®ir befennen, ober ber ©ottheit?" fragte ber Slooije. 

„®er ©ottheit," autroortete ber fßriefter. 

„Sinn, bann tritt beifeite!" oerfefete ber Ülnbere, „idh miH es ber 
©ottljeit allein fagen." 

2BaS hierauf gefdbehen, barüber fdbroeigt ber 33eri<hterjtatter. 

SBir roiffen ferner, ba§ SRänner unb Leiber, ja, fogar Äinber ivl- 
gelaffen würben unb bie ©ingeroeihten purpurne 33inben um ben Seil» 
m etl/ DOr ©efahren jur ©ee ju f<hü|en. ©S gab übrigens Äabirero 
mpfterien auch anberSroo als in ©amothrafe. 

©«hliefelidh müffen roir nodh ber 3Tts*9Rpfterien gebenfen. 33ermutb ; 
m fanb ihre ©inführung in ©riedhenlanb erfl nach ©rünbung beS Sagibens 
teihs ftatt. $>as Söitb ber ©öttin fdheint hier oerfdhteiert ober überhaupt 
wir ben ißrieftem zugänglich geroefen ju fein. 2Iu<h ben Stritt in bas 
3mtere beS Tempels fonnte man fidh nur in golge einer göttlichen 5Se- 
tu > un 8 burdh Strautnoffetibarung erroirfen, unb hierüber hatten bie fßrtefter 
W entfdheiben. ©rfi bann roarb er in bie engere ©enoffenfehaft ber QfiS * 
e^net aufgenommen. ©troaS Näheres erfahren roir oon SlpulejuS in feinem 
PhantajUfdhen 3auberromau, genannt SRetamorphofen. ÜSoran ging ber 
©nroeihung ein 93ab, roohin ber SSeihepriefter unb mehrere ©ingeroeihte 

Worb ttnb 6ftb. XCIJ. 276. 25 



372 


3. ttoocr in mainj. 


ben -Hornsen geleiteten, hierauf erhielt berfelbe SBerhaltungSmaßregeln 
unb mußte fidj jefjn ©age lang jeber gteifdjnaljrung unb beS ©eines ent= 
galten. 2lm Sorabenb ber eigentlichen geier roarb er in’S Sfflerheiligfte 
beS Tempels geführt nnb ihm gegeigt unb oorgetragen, maS nur (5in= 
gemeine fannten. SlpulejuS erjähtt uns baoon, fooiel er barf, unb oudb 
baoon überläßt er uns ju glauben, maS uns beliebt. 

„3$ betrat," — fo erjählt er, — „baS ©ebiet beS £obeS," über= 
fdiritt bie ©chroelle ber fßroferpina, mürbe bur<h alle (Elemente hindurch 5 
geführt. ®ann jurüdgefehrt, fah id» um SUHttemad^t bie ©omte im haften 
©lanje, fah ©ötter beS Rimmels unb ber Untermelt gegenroärtig unb betete 
fie in nädffler 9Jäfje an." 

Hierauf betreibt er feine Äleibung: ein bunt geblümtes ©ernanb 
oon Spffus unb ein bis ju ben gerfen herabroallenber, mit ^htertilbcrn, 
als ®rad)en unb ©reifen, gefchmücfter SHantel, in ber Hanb hielt er eine 
gadel, auf bem Haupt trug er eine ffktmenlrone. ®attn fpridjt er oon 
einem geftmaßl nnb feierlidher Sorftellung oor ber ©enge. 

es laßt fi«h mohl amtehmen, baß hierbei ähnliche Zeremonien, tote 
bei ben eieuünien übtid) maren, unb baß gftS bie ©teile ber SDemeter 
(ZereS) oertrat; fie galt als bie im Fimmel unb auf erben unb in ber 
Unterroelt roaltenbe, über Seben unb £ob unb überhaupt über baS ©e= 
fdfid ber ©enfdjen gebietenbe ©ottheit. es fthehtt, baß immer nur 
einjelne, unb jrnar oermuthlidj nur «Reidje unb Somehme eingemeiht 
mürben; benn fdhon bie ßofien beS geftmahls, baS ber äufjuneljmenbe 
arrangirte, mosten namhaft fein. 

äußer ber 3ft8 mürben noch anbere ägrmtifdje ©ottheiten, mte DfiriS 
unb ©erapis, mitoerehrt. 

©ie äegppter befaßen auSgebilbete ©pthen über baS Seben unb 
©alten ihrer Hauptgötter DfiriS unb gfis unb ihren ©ohn Har (HotuS), 
beten mimifdjstheatratifdie ©arfieHung fid^erlid» einen Hauptinhalt ber 
freier ihrer ©pjierien bitbete. ©ie lauten ungefähr folgenbermaßen: 

DfiriS, ber ©oßlthäter beS 9Renfd»engefdhle<htS unb görbetet ber 
Zultur, überträgt, um auch anberen Söllern bie Segnungen feiner Sehren 
jufommen ju laffen, feinem Sruber ©et bie 3üget ber Regierung unb 
oerläßt äegppten auf einige 3 e ü- gnjroifcben befeftigt ftdh ©et in ber 
Herrfdjaft unb fdjafft fi<h einen ihm blinb ergebenen änhang. ®a oer= 
nimmt er plöfclidj oon ber unoerhofften SRfidlehr beS DftriS, unb eS Bangt 
ihm für fein «Regiment. Schnell feßmiebet er mit feinen Zreaturen einen 
rudflofen Sion gut Zrmorbung feines SruberS. 2Rit heudilerifdier greunb- 
lidjfeit läbt er DfiriS ju einem ©amftatjl ein, mobei er nad) e<ht ägpptifdher 
©itte einen toftbar oerjierten ©arg als ©efdjenf geroiffermaßen oerloofen 
laffen roitt. ©dion beginnt man ju würfeln, ba ruft ber falfdje ©et: 
„©odi rooju ein ©piel beS blinben 3 u f a ^ § , jumal menn es ©inen 
trifft, bem ber ©arg oietteidft noch nidjt einmal paßt? ©ollen mir baS 


Das <8et]eimnig, ein bebeutf. teligiofes u. etijifcfe es ITtoment. 375 

©efchenf nift lieber ©em jufommen laffen, ber auf baoon ©ebrauf 
mafen fann?" 

©er Porff lag fanb Seifall. 9tun hatte aber ©et bett ©arg geitau 
itaf ber Seibe«gröfee be« Dftri« anfertigen taffen, ftljm, als bern oor= 
nehmjlen ©ajt ftet)t ba« Sorrent ju, juerft in ben ©arg ju fteigen. 
Jtaum hat er bie probe begonnen, fo ff lagen bie ©piefegefeHen ben ©arg- 
becfel ju, unb Dfiri« mar lebenbig begraben, ©er ©arg warb in ben 
SHl geworfen, trieb aber in’« ©c^itf, wo ihn bie trauemb umfierirrenbe 
©attin naf langem ©ufen fanb, af)nung3ooll öffnete unb unter jammern 
ben räthefaft oerffrounbenen Dfiri« erfannte. Mein burf einen unglüdt« 
litten 3ufaU fanb auf ber falff e ©et ben im SEalbe geborgenen Seif nam 
feine« Pruber« wieber, jertfjeilte ihn graufam unb jerftreute bie einjetnen 
©tüdfe naf oerffiebenen Stiftungen. Stuf« Steue wanbert 3fi« umher, 
finbet enblif ba« fjaupt be« teuren ©atten unb naf 'langem ©ufen 
auf fafi alle übrigen ©liebmafeen be« oerftümmelten ßörper«. Um eine 
neue profanation 'ju oerhüten, liefe nun bie Königin mehrere fif genau 
entfprefenbe ©arge fertigen, unb biefc würben in ben ©empeln ber 
gröfeten ©täbte Slegppten« aufgefiellt; bof wufete Stiemanb reft, wo eigent* 
Iif ber Seif nam be« grofeen Dfiri« ruhte. ©ie Plutrafe aber übernahm 
ber tapfere ©ofen f?ar ($oru«), ber ben Ijeimtfidiffen ©et erfflug. 

Plan erfennt in biefer ©age ben Kreislauf eine« Pegetation«wef fei«, 
©a« pflanjenleben be« grfihling« (Dfiri«) erliegt ber oerfengenben ©luth 
be« £of fommer« (©et) unb erfleht auf’« Steue oerjüngt in feinem Staf = 
tommen (&ar). ©et wirb ägpptiff gerabeju „©ufe", b. i. ber Pöferoift, 
genannt unb mit bem grief iff en ©ämon be« ©lutwinbe« ©pphon ibenti* 
ficirt. 3ugleif liegen in biefer finnigen ©age Pejiehmtgen jum ©tauben 
nom ©obe, bem gortleben in ber Unterwelt, bem ©otte«gerift unb ber 
SBieberauferflefeung be« Seben«. ©rffeint bof Dfiri« auf oorjugSroeife 
at« ©obtenrif ter in ber Unterwelt, oereint mit ©erapi«, 2tnubi« unb 3fi«. 
©o tarn e«, bafe bie 3fi«=3Jtpfierien ber parallelen inanf erlei mit ben 
eleufmiffen an bie 4?anb gaben. Slber auf mit anberen al« mit fpeciell 
f f onifdfeen ©ottfeeiten würben bie ägpptiffen oerglifen. ©o finben wir 
in ber ©frift piutarf«: „Ueber Dfiri« unb Qfi«" bie ägpptifdfje ©öttin 
mit Palla« Sltfjene oerglifen unb erwähnt ein mtjfteriöfe«, oerffleierte« 
Pilb ju ©aö mit ber Slufff rift : „3f bin ba« 21H, Pergangenfeeit unb 
Sufunft, unb meinen ©f leier hat nof fein ©terbtif er gelüftet l" ©iefe« 
Pilb foHte überhaupt Piemanb fefjen aufeer ben Prieftem, ja in ba« 
innere be« ©empel« burften auf nur ©iefenigen treten, bie eine Pe= 
rufung baju burf eine ©raumoffenbarung nafweifen fonnten. 

Pefanntlif foH biefe Potij unferem ©filier ben ©toff ju feinem 
mpfleriöfen ©ebif te : ,,©a« oerffleierte Pilb ju ©ai«" gegeben haben, 
über beffen tieferen ©inn ftf bie Interpreten bi« heute oergeblif ben 
flopf jerbrofen hoben. 2Bir wollen oerfufen, auf einen Reinen Peitrag 



37<* 


3 . ttooer in ITtatnj. 


jur Söfung beS DtätbfetS ju geben. ^uitädhft muff ermähnt werben, baft 
nach SoybergerS Unterfuchungen neuerbin'gS ein SBerf non Sr. ®eciu3 
Oßrof. Dteinbolb: „®ie älteften bebräifhen -Dtpfterien") als Schillers eigettt* 
lidbe Duelle bejeidjnet roirb. Hier Reifet eS: 

Unter einer alten Silbfäule ber 3ÜS las man bie SBorte: „ 3 $ bin, 
roaS ba ift"; unb auf einer ^Spramtbc ju Sai'S fanb man bie uralte, 
merfroürbige ^fnfd^rift: „3<h bin SllleS, toaS ift, roaS mar unb roaS fein 
roirb; fein Sterblicher bat meinen Schleier aufgehoben," unb roeiterbin, 
im 3nnetn ! beS Stempels, geigte man ben ©injuroeibenben oerfcbiebene 
heilige ©erätbe, bie einen geheimen Sinn auSbrücften. darunter befanb 
fi<h eine Zeitige Sabe (ber fogenannte Sarg beS SerapiS), bie non ^rieflem 
ober befonberen Wienern, ben „SUftopboren" berumgetragen rourbe. Stur 
ber Hierophant burfte bie Sabe berühren unb öffnen, ©iner, ber bie 
Serroegenbeit gehabt, ben ®e<Jel aufjubeben, fei roabnfinnig geroorben. 
Schiller ermähnt felbft in einem Sluffafce: „$)ie Senbung fDtoftS" bie 
obengenannte Schrift »on Sr. ©eciuS unb baß er barauS „oerfchiebene 
3been unb ®aten" entlehnt. ®iefe entlehnten ®aten bot bemt auch 
' Sopberger in ber Steinholb’fchen Stf>rift entbeeft. ^Darnach roar jener 
Serroegene, ber bie Stifte öffnete (nach ißaufaniaS: Sintigone I, 8, c. 12) 
ein geroiffer ©uripiluS, ber burdj ben Slnblicf beS in ber Sabe ein* 
gefdjloffenen Sac<huS6übeS ben Serftanb nerlor. (Sergl. Seimbadh, 2luS* 
geroäbtte ^Dichtungen VI. p. 191 u. Sieboff.) 

SBaS alfo ift ber tiefe Sinn unteres gebeimnifrooUen ©ebichteS? ©in 
3üngling, ben ein ^cifeer SBiffenSburft quält, SllleS ju erfennen, befinbet 
fich mit feinem ebrroürbigen Sebrmeifter, bem Hierophanten, eines £ages 
in einet Dtotunbe cor einem nerfchteierten Silbe, baS er bis babin noch 
nicht gefeben. 2luf feine neugierige grage, roaS eS »erbüUe, erroibert ber 
Hierophant bebeutungSnolI: „®ie SBabrbeit." 

„SBie?" ruft Reiter, „nach SBabrbeit ftreb’ ich ja allein, unb biefe 
gerabe ift eS, bie man mir »erbüllt?" 

„®aS mache mit ber ©ottbeit aus!" »erfefct ber Hierophant. „Jlein 
Sterblicher," fagt fie, „rücft biefeu Schleier, bis ich felbft ihn bebe. 
Unb roer mit ungeroeibter, fchulbiger Honb ben heiligen, »erbotenen früher 
bebt, ber, — fpriebt bie ©ottbeit" — 

„3tun?" unterbrach ihn ungebulbig ber Jüngling. 

„®er fiebt bie SBabrbeit," »ollenbete mit Stacbbrucf ber Hierophant. 
3luf baS weitere erftaunte fragen beS 3ünglingS, ob benn bet 
Hierophant felöft nie ben Schleier gelüftet, antwortet biefer ernft mit 
„■Jtein". 

„Unb bodh trennt nur eine fo bünne Scheiberoanb uns »on ber 
SBabrbeit," erroibert mit roachfenbem ©rftaunen ber 3üngling. 

„Unb ein ©efeb!" fagt bebeutungSooH ber Hierophant, „ein ©efefe, 
baS man nicht ungeftraft »erlefct." 


Das <Sefyebnm§, ein bebeutf. relüjiöfes u. HToment. 375 

Sen Qüngting aber läßt bie Unruhe rticfit fchlafen, unb enbtidfj wagt 
er ben »erbotenen ©dreier beS Söitbeö ju lüften. 9?odj einmal fprict)t 

i 'i bie innere Stimme bagegen, jugleidj fchrecft ihn baS Schauerliche ber un« 

-*’« ^eimlid^en mitternächtigen Stille, baS gefpenfterhaft an ben SBänben 
fpielenbe fahle 2J?onbliä)t flöfet ifjm ein unüberwinblicheS ©rauen ein. 

: ©hrfurdfitgebietenb, niie bie ©ottfjeit feI6ft, blidft if»n baS mpfteriöfe, tief« 
r »erfdhleierte Silbnifj an. ©eine »erroegene Hanb, bie baS Sflerheiligfte 

berühren miß, jittert — „bobfi ich miß unb muß bie Sßafjrtieit flauen!" 

t ±- rief er enbtidE» entfdßoffen aus. 

\c:. „©cfiauen!" geflt it)in ein langes (Sd^o fpottenb na<h. 

SBarunt äfft ihn wohl baS 6<ho mit jenem „flauen?" 

©öfcinget meint, weit er etwas UnmögtißicS erftrebt, benn mit bem 
:l* 3luge flauen taffe ft<h bie SBafjrbeit eben nicht, fonbent nur mit bem 
v: 93erftanbe ertennen. 

i -r Hierzu bemerft fieimbach, bem mir beipftichten, b ab ber ^rrttjum beS 

r. Jünglings barin liege, bafe er „flauen" unb „befijsen" für ibentifd) batte. 

Sarüber mache ft<h alfo baS ©djo fcbeinbar luftig. 

; . r 9lun unb was fab ber Jüngling? Ser SReft ift ©dEjroeigen. Ser 

., r dichter weih es nicht ober miß fid) nicht näher erftären. 9iur aus ber 

. SBirfung beS ©efdhauten tonnen wir es erraten. 33efinnungSloS unb 

bleich fanb man ihn am fotgenben Sage am fßiebeftal beS 23ilbeS. „Sßas 
^ er aßba gefeben unb erfahren, bat feine 3unge nie befanrit." So<h feines 
SebenS §eiterfeit mar bahin, unb ein tiefer ©rant rif? ihn in ein frühes 
i.i, ©rab. 

a y „3Beh bem, ber ju ber Sßahrheit geht burch ©<hutb," bieS mar auf 

ungefiümeS fragen fein roarnungSooßer 3uruf, „fie wirb ihm nimmermehr 
erfreulich fein!" 

SieS foß uns ben Schlöffet jur Söfung beS ©ehcimniffeS geben; 
benn »or ein SRäthfel, »or ein fDtpfterium hat uns ber Siebter gefteflt. 

Jßenn es aud) nahe liegt, in beS SichterS eigenem Sehen nadh$u« 
forfdhen, roie benn ©oetbe befanntlid) aße feine ©rjeugniffe mehr ober 
* weniger ©elegenbeitSgebiebte unb SoSringungen »on feinen Sehe nS« 

erfahrungen nennt, fo läfet uns bod) hier ©dbißer im Stidj. ©efiinftett 
erfdheint uns roenigftenS, was Start ©rün »on beS Sichters phitofophifdhen 
©rlebniffen herausbeuteln miß, er habe burdh bas ©inbringen in bie 
ßant’fdhe ißhiiofophie ftdh gegen feinen Sidhterberuf »erfünbigt unb fei burdh 
Sähmung feines ©eniuS beftraft worben. Schon näher fdtjeint unS $off« 
meifter ber SBatjrheit $u fommen, wenn er bas Hauptgewicht auf baS 
Uebertreten eines SittengefefceS legt, baS unferer SBißbegierbe als ©dhranfe 
Qefefct fei. 

^ 3io<b einen ©dhritt weiter tfjut Heinrichs, wenn er fagt, bie ©dhulb 

beS Jünglings beftehe barin, bafj er fidh bie SBahrheit eigenmächtig er« 
, ringen woße, ba fidh biefe nur freiwillig gebe. Sehnlich betont Sünfeer, 


376 


3- Höre* in IHainj. 


bafi ber 2)teni<b bie ihm »on ber ©ottheit geftedten ©renjen bcr ©rfenntnifj 
nic^t fre»entlich überschreiten bürfe, fonbern er müffe abroarten, bis iljm 
bie ©ottheit felbft bie SBahrheit offenbare, ©benfo erblidt ©öfcinger in 
ber Scbulb baS £auptmoment beS UngtüdS, nicht aber in ber ©rfenntnif} 
ber Unmöglicbfeit, bie 2Baf)rf)eit p finben, ober int 23efifje berfetben; man 
fönne bie SBahrheit finben, meint ©öfcinger, Ujr SÖcfife mache auch nicht 
unbebingt unglüdlicij. $>och hierin fdheint ©öfcinger ber fonft beutlich aus* 
gefprodienen 3tnfic^t beS ®idf)terS p miberfprechen. So fagt Schiller 
}. 93. in ben „SBorten beS SBafjnS" non ber SBahrheit: 

„Sfften Schleier Ijcbr feine fterblidje $anb, 

2Bir fijimen nur ratfiat unb meinen.'' 

2lucb fehlt eS nicht an SBetegftetten, baft ber 33efife ber SBahrljeit um 
glüdlidh mache, mie in beS ®i<bterS erfdhüttembem ©emälbe non bem Um 
glüd ber attroiffenben ßaffanbra: 

„9tur ber Srrfljum ift ba8 fiebert, 

Unb baS SSiffen ift ber 2ob." 

SlebnlidE) erblidt auch Martert in ber norgerüdten ©rfenntnif}, ptttal 
tnenn ber 3Renf<h burch Sünbe, burch Uebertretung eines göttlichen ©eboteS 
p ifjr gelangt, ein Unzeit für ihn felbft. Siedet paffenb »ergleidfjt er 
bamit bie ©efchidfjte nom erften Sünbenfatte. 3lu<h ^ier mar eS bem 
erften SRenfdhenpaar »erboten, non ben grüßten ber ©rfenntnif} p effen, 
unb als bie liftige Sünbenfchlange ne mit ber SSerheijjung ber ©ott* 
ähnlichfeit unb beS SBiffenS non ©ut unb 93öfe nerlocft ftatte, mürben 
ilpten allerbingS bie Slugen aufgethan, aber fie erlannten nur p ihrer 33e= 
fdiämung, baf} fte nadt feien; baS ©efüht ber Scham enoädjjft ihnen pgleidh 
mit bem Seroufctfein ihrer Sünbe. 

2BaS aber fann ber Jüngling hinter bem Vorhang fo ©rauenhafte« 
gefehen höben, beffen 2lnblid ihn fo nieberfchmetterte, ihm alle ßebenSluft 
nergällte? ®ünfcer neigt ft<h ber 2lnft<ht p, er höbe eigentlich Nichts 
gefehen; in bem 3Jtomente, roo er ben Schleier lüftete, h fl be ihn ba« 
©efühl ber Sdhulb nemidhtet ®aS aber fann unmöglich in beS Jünglings 
lebten SBorten liegen: „2Beh ©em, ber p ber SBahrljeit geht burch Sdhulb, 
— fte roirb ihm nimmermehr erfreulich fein!" $ier ift bodh offenbar oon 
einer gefunbenen, wenngleich burch Sünbe geroonnenen SBahrheit bie Siebe, 
unb eben biefe burch Uebertretung eines göttlichen ©eboteS erlangte ©r* 
fetmtnifj ift feine erfreuliche. ©enfen mir unS eine meife ©ottheit, bie uns 
ein ©eheimntfj, eine SBahrheit abfidhtlicij »erfüllt, bie uns roamt, ben 
»erbotenen Schleier p lüften, bie unfern ©rfenntnif? geftedten ©renjen 
wahnroifeig ober »orjeitig ju überf (breiten. Renten mir uns auf ber anberen 
Seite einen in ber 93lüthe ber Qahre flehenben Jüngling »ott ibealen 
ßoffenS unb SebnenS, »oll ftoljen SetbfigefühlS auf bie Klarheit feine« 
33erflanbeS, hörrenb auf ben Sohn feines StingenS, bie ©rfenntnif} beS 
UrgrunbeS alles SeinS, SBerbenS unb Vergehens. 2BaS fann eine gütige 


Das (Setieimnifj, ein bebentf. religiöfes n. ettjifdjes ITloment. 377 

unb allweife 33orfebung entern fotzen 5D2enfd)en in biefem SiUer, 
mit biefem SiffenSburfte, abficbtlicb »erbüHen? — ©eine BuSunft? — 
©afj er fterben mufj? 2>afj er halb fterben mujj? — Unuerbofft? — 
Stuf eine fd&rediidje Seife? — ®afj all fein Sftngen umfonfi ift? ®afj 
olle feine fdjönften träume, fein ©tauben unb ©ebnen — bafj ©ott, Un* 
fterblidjfeit, Sieberfeben — ein Sahn, — bafj ^alt SUIeS Stifts ift, wie 
ber unglücfli<be Senau meint? — Stgenb eine traurige, erfdjüttembe 
Sabrbeit in ©eftatt eines trofllofen 33ilbeS mujj es bocb roobt gewefen 
fein, baS ber Jüngling ahnungslos, unoerbofft, unoorbereitet erbtidte, baS 
ibm bie SebenStuft oergäilte, ibn in ein frühes ©rab braute. 

©o »iet unb fo oft mir auch über baS SRätbfelbafte biefeS ©inneS 
nad)ba<btett, immer blieben unfere ©ebanfen haften an bem grauenhaften 
Silbe — bes SEobeS, ber Serwefung, ber Sergängticbfeit altes ^rbifdjen. 
5Critt ihm biefeS SUb mit feinem mebufenbaft oerjieinemben Stnbtid 
entgegen, tritt eS ihm unoorbereitet, plöfclid) in ben Seg, fo bafj er ficb 
befennen muff, er habe feine ©rfcbeinung burdj eigene ©djulb, burcb ©ünbe 
beraufbefcbtooren, bef^Ieunigt unb fi<b näher gerfidt, als es ihm bie 
©ottbeit offenbart hätte, offenbart »ieHeidjt unter tröftlicberer StuSfid^t, 
»orbereitet unb gefaxt, ihm ruhig in’S Sluge ju feben, nicht im Sewufjtfein 
ber ©d>utb unb ©trafroürbigfeit, fonbent im SluSblid auf ein bejfereS, 
reineres Seben in ber ßwigfeit — benfen mir uns eine foldje ©Uuation, 
unb idb glaube, mir werben ben ©inn ber lebten Sorte beffer »erflehen : 
„Seb bem, ber ju ber Sabrbeit gebt bur<b ©cbulb, fie wirb ihm nimmer* 
mehr erfreulich fein!" 

Sir wollen jur Unterjföfcung unferer Stuftet einen oieHeidbt unferen 
ßefera wenig befannten Stoman non £t)omaS SWoore: ,,The Epikurean“ 
beranjieben, beffen uns immer beim Sefen auf’s Sieue ergriffen 

bat. 3fn btübenbem ©tile unb mit reicher, üppiger fPbantafie fd^ilbert hier 
ber SSerfaffer bie ©d^idfate eines jungen ©riechen, eines SlnbängerS 
epüuräifcber SebenSweiSbeit, bem inmitten alt feiner fjreuben unb ©enfiffe 
immer baS jiarre S3ilb ber SSergänglid^Eeit, beS TobeS, tritt. 

Vergebens fucht er ihm ju entrinnen, eS »erfolgt ihn atterwärts. 
©ürftenb jugleich nach Seisbeit unb ©rfemttnifj fommt er in’S alte 
Sunberlanb ber üßpranüben. SDa wohnt er einft »oll SebenSluft unb um* 
ringt »on ©innengenüffen ber beraufchenbften Slrt, einem Sacdjanale bei, 
baS ihm bie fchönften 3Jiäb<hen SllejanbriaS bereitet. ®ie ganje ©efett* 
fchaft fdbwelgt in jugenblübem Uebermutb, im SMgefübl ber ®afeinSfreube. 
Stur eine »erbüHte weibliche ©eflalt fcheint tbeilnabmloS; fiumm läfjt fie 
©peifen unb ©etränte an fi<b »orübergeben; Stiemanb fcheint »on ihr 
Stotij ju nehmen; bo<b beS jungen ©rieten Steugier ift aufs Sleufjerfte 
gefpannt. ©r wenbet fidj beSbalb an eine feiner fdjönen Siachbarimten, ba 
wirb fie plöfclidb emft unb fUH. ®en Jüngling befrembet biefeS feltfame 
©ebeimnijs, bodj Sieberfang unb SBedjerflang fdjerjen fein Slachfinnen biüweg. 



378 


3. ZTot>er in OTainj. 


Särnteitb fefct fidf> baS Sanfett fort, unb als man fid^ trennt, nertäjjt audj 
unfer junger ©pifuräer am 9lrme feiner reijenben ÜRadhbarin baS fröljliöhe 
fyeft. ©iefe »ermifjt plöfcüdh ihre Saute, unb natürlich eilt unfer galanter 
SRitter jurn ©dfjauplafc ber Drgie jurüd. ©a frappirt ihn aufs Neue ber 
Nnblid jener »erfdileierten, weiblidfjen gigur, bie nodfj immer regungslos 
an ihrer alten ©teile fafj. Ntit geheimem ©dhauer näherte ftd) ber 
Jüngling ber »erfüllten ©eftalt, — h»& ben ©dhteler unb erblidte — ein 
©felett — eine fDiumie. ©iefer plöfclidfje, unerroartete 2tnblid inmitten 
all ber SebenSluft wirft fo erf<hüttemb auf ihn ein, baf? ihm alle greube 
am ©eniefjeu benommen ift. 

2Bir fönnen hier bie ferneren, ungemein fpannenben ©tlebniffe beS 
jungen ©pifuräers nicht weiter »erfolgen, wie er burch bie Sifl ägppKfdher 
fpriefter in’S innere einer ffpramibe gelodt unb in ihre -JRpfterien ein» 
geweiht wirb, wie er aber unbefriebigt »on biefer neuen Neligion, bie 
nur unter ©eheimnifjfränterei unb leerem ftomtelwefen ihre Hohlheit »er» 
bedt, an ber £anb einer jungen, fdjönen Negppterin entflieht, bie itdh feiner 
bebient, um ihren Sorfafc, ©hriftin $u werben, auSführen ju fönnen, wie 
baS Ntartprium biefer feiner ©eliebten ihn fdhtiefjlich au<h bem ©hrifien* 
thum jufiihrt, — uns war es nur um eine überrafefjenbe parallele jum 
„»erfdhleierten 23ilb ju ©ai'S" ju thun. 

©o<h enthält audh biefer Vornan beS ©pannenben unb ©ignificanten 
genug, was unfer £hema »on ber Sebeutung beS ©ebeimnijj »ollen in 
Neligion unb Sitteratur iHuftriren fönnte. ©ie 3Ra<f)t, bie baS 3Rpfterium 
auf bie ©iSciptin beS SBillenS, feine ©ebulb unb Unterwflrfigfeit in ge» 
fpannter ©rwartung einer »erfprodjenen Belohnung, ber ©rfüHung einer 
tröftlichen Serheijjung auSübt, ift ganj aufjerorbentlich. SefonberS gefällt 
fid; bie ffShantafie beS ©idjterS in feinem Vornan in ber Ausmalung jener 
fpmbolifdben Geremonien, woburd) ber junge ©rieche in ägpptifdje ^riefter» 
Weisheit unb Ntpfterien eingeführt werben foH. ©ie groben ber Kämpfe 
mit ben ©lementen beS Reiters, beS SBafferS unb ber Suft hoben auf* 

fallenbe gamilienähnlidjfeit mit ben Silbern, wie fie uns bie befannte 

5Ro,$art’fdf)e Dper: ,,©ie 3auberflöte" »orführt. Unb follten in biefer Dper 
nicht audh uerftedt unb »erfleibet fpmbotifdhe Vorgänge unb Sehren ent» 
halten fein, mit benen eine fßarallele mobemer ©eheimlehren naheliegt? 

©er Neij beS ©eljeimniffeS unb feine Sebeutung für bie religiöfe 
unb fittlidie ©rjiehung ift fo alt wie bie 3Renfd)heit unb ftirbt wohl audh 
erft mit ihr felbft aus. 

©in ©eheimnifj trennt »or aiUem bie ©ottheit »on ben ©terblidhen. 
Nid)t olpte ©träfe bleibt ber Verwegene, ber unbefonnene Neugierige, ber 
ben ©djfeier lüften, bie ©djranfe übertreten will. ©iefeS ©effihl, biefe 
Grfabrung befunbet fidh in taufenb ©agen unb 3Rär<hen. 9llS ©terblid&cr 

offenbart fidh 3 cug ber geliebten ©emele, um »on ihr erfannt, begriffen 

unb »erftanben ju werben, ©obalb er trofc feiner Sßamungen ihrem 


Das (Setjeimnig, ein bebeutf. religiöfes u. ettjifcbes ITtotuent. 379 


tböridbten Sßunfdb golge leiftet, fidb ifjr in feiner ganjen ©torie göttlicher 
■Dtajeftät ju jeigen, foftet eS ihr baS Seben. ©er StimbuS beS ©ebeint- 
niffeS umweht baS fünfte SJiärdben bes Altertums: Amor unb Ißfpdbe. 
©obalb ißfpdbe aus fretentlidber Steugier in baS ©ebeimnifj ton ber 4?er= 
funft i^re« ©atten bringen miß, jerftört fie ben 3 nu ber unb Ujr ©lüd. 
3« ein ©ebeimnif? büßt ber tont beiligen ©rat gefanbte göttliche Dritter 
Sobengrin feine ^»erfunft; fobalb ©Ifa tttiber bas Verbot ben ©dbleier 
lüften miß, nimmt ber gottgefanbte ©rlöfer Abfdbieb, unb mit ibm fdbwinbet 
©lüd unb SebenSfreube. Auf biefetn mpfteriöfcn ©tauben beruht ein 
großer 2^eil unferer fdbönften 33olfSfagen, ber ftem unfereS @lfen* unb 
StirenglaubenS. SSer fennt nidbt baS reijenbe 2J?ärdjen ton ber frönen 
SDtelufine? $at bodb fein 3auber atub ben jungen ©oetbe beftridt. 

©in tiefes ©ebeimnife bleibt, was Dbin in ber gewaltigen norbifdjen 
©age ton ber ©ötterbämmerung feinen geliebten ©obn halber auf bent 
©dbeiterbaufen in’S Dbr flüftert. 2BaS mag eS wohl geroefen fein? ®ie 
Sßerbeifeung ber Auferftebung? — ©in ©ebeintnifj bilbet ben Angelpunft 
unferer fdbönften SBolfSmärcben. 3<b erinnere an bie befannten ©rintm’* 
fdben: „®aS Sftarienfinb" unb „Stifter Blaubart" . ©in ©ebeimnifj liegt 
audb ber tieffinnigen iparjitalfage ju ©runbe, bis ber irrenbe unb fudjenbe 
Stitter es glüdlicb töft. ©ine große Stoße Spielt hierbei bas SJtoment bes 
„©dbroeigenS unb a3erf<bmeigenS", ttorüber Dr. ©. ©. £tenfe (2Bef)beinann, 
ißardbim, 1872) eine gebalttoße Abbanblung gefdbrieben bat. ©r terbreitet 
fidb barin befonberS über ben bödbften AuSbrud beS ©efübls, ber im „be* 
rebten" Schweigen liegt, — baS ©(fjulbbewufstfein, bie bödbfte Sufi, ber 
tieffte ©djmerj. STrefflidje S0eifpiele aus alten unb neuen Autoren citirt 
er, bie fidb nodb termebren ließen. f$ür unferen 3roed fommt es nur auf 
bie religiöfe unb fittlidbe Sebeutung an, bie baS Schweigen unb 33er* 
Schweigen bat. Unb ba ift es benn fjöc^ft fcltfam unb beadbtenSwertb, 
wie je nadb ber ©ituation baS ©dbweigen ober 9?erfdbweigen eine ju 
übenbe ©ugenb, eine aufertegte spflidfit, im anbern gaß als ein fittlidbeS 
©elict, als ein folgenfdbweteS Vergeben aufgefaßt wirb, £at ©urnemanj 
in ber Sßarjitalfage feinem ©dbüler baS ©cbweigen als eine rittertidbe 
©ugenb auferlegt, fo erweift fidb basfelbe beim AnblicE bes leibenben 
AmfortaS als IBerfünbigung unb wirb ihm als ftumpfe ©teidhgiltigfeit unb 
©efübdofigfeit ausgelegt. 23erfdbweigen eines ©ebeimniffeS bringt in beut* 
fcben ©agcn ©lüd unb ©egen, wabrenb AuSplaubern fie terfdhminben 
madht. ©ieS lehrt u. A. bie ©age tom getreuen ©dart, bie befanntlidb 
©oetbe in feiner Saßabe mit ber golbenen Sehre befdbließt: „AuSplaubern 
ift fdhäblidjj, terfdbweigen ifi gut." 

2Bie terbängnijstoß anbererfeits ba§ ©dbweigen unb baS ängftlidbe 
$üten eines ©ebeimniffeS werben fann, lehrt bie griedbifdje ©age tom 
DebipuS unb ©cbiflerS „Staut ton SJteffina". 

©in nabeliegenbeS terwanbteS SJtotio, ben ©barafter beS ©ebeimniffeS 



380 


3- ZToper in IHainj. 


ju wahren, ift bas ber Serfteibung. 2Bie oft mag bieS namentlich im 
Sufifpiel fo fruchtbare Ntotio auch }U religiöfen ßwedfen oerwanbt worben 
fein, um göttliche unb heilige ©rfdheinungen ju imitiren unb baburdh auf 
?ß^antafie unb ©tauben ju wirfen ! beruht bocfj auch ber ganje 2Bunber* 
glaube auf überlieferten, eingebilbeten ober oorgefpiegelten ©rfdheinungen, 
bie eben, weit fie bas ©ewoljnte unb Natürliche üb erfteigen, mit bem 
©Fleier b es ©ebeimnifjootten umflelbet fmb. Dft aber fdjeint auch bie 
Natur felbft in ihren zufälligen ober non ©ott gefanbten ©rfdheinungen 
mit ben ©eboten ber Neligion ober ben ^anblungen gottbegeifterter unb 
mit bem Nimbus ber £eitigfeit umfloffener Sßerfonen ju fpmpathiitren, fie 
ju unterftüfcen unb ben ©lauben an ihre göttliche ©enbung unb bie 2Baf)r* 
heit ihrer 2CuSfprü<he $u befräftigen. Ueber bie täglichen Sßunber unb 
©eheimniffe in ber Natur pflegt leiber ber abgeftumpfte ©inn beS Ntenfdfjen 
vielfach hinwegjugehen. 

SBie fehr audh unfere dhrifttidhe Neligion fidh ber SBunber unb ber 
©eheimniffe bemächtigt hat, bürfte einer fetts überflüffig erfdheinen nadhju* 
weifen, anbererfeüs greift es ju fehr in bas ©ebiet ber Geologie hinein, 
baS ju berühren uns bei unferem heutigen ©h® ma ferne lag. 3fi nidht 
bie Slttgegenwart ©otteS, bie SJtenfdhwerbuug Shtifti, feine ©oppetnatur 
als ©ott unb Ntenfdh, fein Dpfer unb ©rlöjnngSwerf, feine Stuferftehung 
unb Himmelfahrt, feine 33erroanblung in ©rot unb 2Bein im heiligen 
SlltarSfacrament, bie ©reieinigfeit ber ©ottheit, ift nicht bieS SttleS hol»® 8 
SBunber unb tiefes ©eheimnife. Unb unfere eigene Stuferftehung unb 
unfer bereinftigeS ^ortleben in ber ©wigfeit, fo fefi mir auch batan 
glauben mögen, — ift es nidht ein tiefes ©eheimnifi? 33on welch hoh®® 
fittlidher Sebeutung aber ber ©laube baran, baS gehalten an biefem 
©eheimnif? auf bie ©eftaltung unfereS ganjen Sehens unb auf unfer S3er* 
halten unferen 9Jiitmenfd&en gegenüber ift, — bebarf bieS unfereS Nach* 
weifeS? ©o finb wir alfo non SBunbern unb ©eheitmtiffen umgeben, unb 
auf SBunber unb ©eheimniffe fufjt unfere Neligion unb ift unfere Ntorat 
aufgebaut, ©inft aber, fo lehren uns Neligion unb ©laube, fo hofft audh 
unfer ©eredhtigfeitS; unb ©i Higf eitSgefühl, — fällt bie ©inbe non unferen 
Slugen, fdhauen wir bie Sßahrheit unoerhüttt unb ftehen uor bem Stntlifc 
ber geoffenbarten ©ottheit. 3*” ©obe, wenn fidh ber ©eift non ber oer* 
ftnjlemben unb h® m tnenben Hütte beS ÄörperS loSlöft, — fo Hingt ber 
tröftlidhe ©laube beS ©hriftenthumS, — bann wirb es licht unb flar nor 
unferen Slugen, bann wirb aller SBiffenSburft unb alles ©ebnen nach 
SBahrheit gefüllt; bann erfüllt fich, u)«S ©oethe, als ihn bie ©chatten beS 
©obeS umfchwebten, auSrief: „ÜWehr Sicht!" 






(Bdfyren ffilft flärett. 

Don 

JJÖ. S&eetel. 

— I)irfd)becg. — 

(Seeluft.) 

m anbereit borgen trat bie ©räfin ju ihm in’S 3immer iw 
fc^tic^ten, bunflen .fjausEteibe, an bent auch nicht ber fleinfte 
Schntucf eine ©pur ihrer beoorjugten gefettfdjaftlichen Stellung 
oerrietl). Sie roar f<hön; aber ein 3 U 9 meinen ©mfteS lag auf ihrem 
2tntli$, unb um ihre 3tugen fdjimmerte ein feuchter ©lanj, als ob barin 
eben erft frönen getrodnet roorben mären. Sie fefetc fich an fein 33ett, 
unb nadibent fie fidh nach feinem Sefinben erfunbigt, begann ne: 

„Sie haben baran gebaut, uns nertaffen ju motten — thun Sie baS 
nicht! 3^un Sie eS um meinetroegen nicht!" fügte fie leifer hinju, inbem 
fte feine £anb mit fanftem ®rude ergriff. 

„grau ©räfin!" 

„Saffen Sie, laffen Sie!" unterbrach fte ihn. „geh ahne, ich meifc 
— ja, ich roeifj 2ttteS — beffer, als Sie ei mir fagen Eönnten. 2tber — 
benfen Sie an nichts 3tnbere§, nehmen Sie auf nichts StnbereS 5Rüdf ficht, 
als baff Sie in meinem &aufe, in meiner pflege finb!" 

„grau ©räfin!" begann er non Steuern. 

„Still! Still! Eeine SBiberrebe! SSerfpredjen Sie mir, um maS ich 
Sie gebeten! geh oerfpreche 3h n en bagegen. Sie meinerfeits mit Eeinerlet 
Neugier quälen ju motten." 

Unb als ob Sie ben ifJaft für abgefdjloffen unb jeben ©infpruch für 
unmöglich hielt, fuhr fte mit oeränbertem, heiterem Xone fort: 

„$)arf ich ghtten etmaS SReuter lefen?" unb griff, ohne feine 3tnt= 
roort abjuroarten, nach ber „Stromtib", bie auf einem 9lebentif<hchen lag. 




382 


HL Beere! in fjirfdfberg. t 


3h l ' c Stimme war flangooll, unb fie tag gut; aud» behetrfdjte fte ootlftänbig i 

ben plattbeutfcheu ©ialeft. 2t6cr fo fef>r fte auch i^ce Slufmerffamfeit ju I 

concentrircn fudjte, fie mar bodh ni<f»t ganj bei ber Sache, unb aud) ©ber* 
fjarb war fein aufmerffamer 3“höter. Sßiet ju fefjr beschäftigte ihn bag 
geftem ©liebte unb bag 33efprodjette unb todte feine ©ebanfen auf 
^Pfabe, bie weit abtagen »on habermann unb SBräfig unb bem frieblidjen | 
ißaftorhaufe. 2ltg bie ©räfin ein ©apitet beenbet batte, fdjlofj fie bag 33udj , 

unb evt)ob fid). Gberljarb erfaßte mit beiben ^änben ihre Siechte unb I 

fpradj mit vor Schwäche teifer unb flanglofer Stimme: 

„fyrait ©räfin, ich uerfpredbe 3b nen / augjuharren, big ber 3trjt mir 
bag Steifen ertaubt." — ' 

3n 3fdbl ruft eine erjene ^pgiea ber (eibenben SJienfch^eit ju: 

2Ran nennt ba8 größte ©tiief auf örben, I 

Weitinb ju fein — 

34 fage nein! 

©in größ’reä ift: gefunb 511 werben! 

hvgica mag Stecht tmben; ber brohenbe ober erfolgte 33ertuft erhöht | 
bie 3'3erthid)ähung eiueg ©uteg. Stber jeneg ©tüdf beg ©efunbwerbeng fommt 
tneift erft jur ©eltung, wenn bag 3M wirftidh erreicht ift. ©er ©enefungg; 
procefj felbft pflegt fo langfam, fo allmählich, in fo wedhfetoolten Guroen 
ju oerlaufen, bah er oft lange Seit hirtburcf) jene ©tüdfgempfinbung gar nicht 
auffommeu lägt, fonbem ben Giranten, wenn nicht mit trüben ©ebanfen, 
fo bod) mit einem ©efüljt ber Sangenweile erfüllt, bie jwar, nach ber Ste 
hauptung erfahrener Slerjte, bie SBiebetherfteHung wefentlich förbem fott, 
bie aber higljcr nodh oon Sliemanbetn alg ©lüdt entpfunben worben ift. | 

3c mehr Gherharb in ftetig fortfdhreitenber ©enefung jene lethargifdhe 1 

Sd)wäd>e üherwanb unb feine Kräfte erftarfen fühlte, befto Iangfamer rannen ' 

ihm bie Stunben unb ©age in trübem Ginerlei baf)in, unb bie einjigen 
Sidjtpunfte waren eg, wenn bie ©räfin ihn befudjte, ihm uorlag unb in 
nie uernegenbent ©eplauber Grlebniffe unb ©ebanfen mit ihm augtaufdfjte. 
Sange vorher fdjon freuten fie fidb SBeibe auf biefe Stunben, unb lange, 1 
nadjbem fie verronnen, mirften fie anregenb nach unb gaben ihnen ju 
fimton unb ju benfen. SBie oft fcf)on — vor unb nach graneegea oon ■ 

Stimini — quollen aug ben Sßerfen ber ©id)ter neben fynfym ©ebanfen jj 

tiefe ©mpfiubungcn unbewußt in bie ^erjen ber Sefer unb höret hinüber! 

©g war nur ju natiirlid), bah, geförbert burd) bag tägliche trauliche 3 U - ! 

fammenfein unb burd) bie Stontantif ber ganjen Situation, auch in ihnen 
ein lebhaftereg gegenfeitigeg 3ntereffe fid) regte unb bie ©age fid) häuften, 

„an beiten fie nidjt weiter lafen". ©ie ©räfin berührte mit feinem SBorte 
ben SJlangel an Uehereinftimmung jwifdien it>r unb bem ©rafen, ber ihre 
©be ju einer liebeleeren, unglüdElidjen machte. 2lber eg beburfte feiner fdharfen 
SBc'obadhtungggabe, um ju erfennen, wie wenig bag warme, phantafie* uub 1 


(Säuren tyilft Fläreti. 


383 


gemütvolle SBefen ber ©räfin fi<h mit ber glatten, förmlichen Jpöftid^feit 
ihteä ©emahls oertrug, hinter ber fid) ©elbfifucft unb £erjenSfälte nur 
attju fidjtbar oerbargen. ©er unangenehme GinbrucE, ben Gberharb bei ber 
erften Begegnung mit bem ©tafen empfangen, fatte ft<b bei ben roenigen 
furjen Sefucben, bie jenem erften gefolgt waren, nur noch oerftärft. ^e 
größer aber baS SJtiffatlen, baS — wie meift in berartigen gälten — ein 
gegenfeitigeS war, unb je fdjärfer bie barauS entfpringenbe Abneigung, bei'to 
inniger würbe baS SJtitleib, baS Gberharb mit bem traurigen Soofe ber 
©räfin empfanb. ©iefe hinwieberunt, wiewotjl fie getreu ihrem iBerfpredjen 
feine neugierige grage geftedt, hatte bodh fehr wohl bemerft, baf Eberhard 
nicht blos an feinem Äörper, fonbern auch in feinem ©ernüthe entpfinblidhe 
SBunben trage, nnb es that ihr innig leib, für biefe nicht ebenfo Ejeilenb 
forgen 5 U fönnen wie für jene. ©aS SJtttleib aber ift ein gefährlicher 
Jtuppler, unb gerabe baS, wag fie einanber oerfdjwiegen unb bod) unbemuft 
oerriethen, brachte fie einanber näher. — 

Ebetfarb befanb ftdj in einem eigenthümtidhen SBiberftreit ber Em= 
pfinbungen. gn jenem ©raumbämmern, baS feiner Sermunbung gefolgt 
war, brehten fidh ad’ feine ipijantafiegebilbe um Erna, flogen feine ©ebanfen 
fort unb fort ju ihr; unb als er fidh allmählich ju erholen begann, be= 
fcfäftigte er fidh währenb feiner langfatn rinnenben SeibenSftunben in mehr 
unb mehr gefteigerter gärtlidhfeit mit ihr unb fab oon ©age ju ©age in 
gefpannter Erwartung minbeftenS einem Sriefe oon il)r entgegen, Gr 
felbft hatte ihr anfangs nicht fdjreiben gefonnt unb hatte ihr burdb 3lnbere 
nidht fdfjreiben gewollt; aber burdh baS StacburlaubSgefudi, baS ber Strjt 
mit ausführlichem Beugnif feinem Sorgefeften eingereicht hatte, muffte fie 
feiner SJteinung nach feinen Unfall erfahren haben unb hätte bo<h, wenn 
fie es irgenb noch gut mit it)in meinte, ju ihm eilen ober minbeftenS 
ihrer ©heilnahme in irgenb einer Steife 3luSbrucf geben müffen. ®af er 
fidh in feinen Ermattungen getäufdht fah, erregte in ihm baS ©efühl ber 
Sitterfeit — nun, ba er ihr hätte fcfreiben fönnen, wollte er es nicht mehr, 
©er ©ämon, ben er bereits ftegreid) niebergefämpft hatte, regte oon Steuern 
fein giftgefchmoHneS £aupt ; ber böfe Serbadjt, ber bereits oerblaft gewefen, 
erhob fidh non Steuern in häßlicher, brohenber ©eftalt. Unb mit ber feifen 
Siebe rang nun ein nidht minber helfet unb fdjarfer ©roh. Si'enn fie 
felbft baS SBanb jwifdhen ihnen jetriffen hatte, weshalb follte er noch an 
bemfelben fefth alten? 2 tuf was hatte er noch Stüdficht ju nehmen? Sffiarum 
follte er fidh nicht mit ganzem, oollem .fcerjen hingeben, wo ihm ©heilnahme, 
SßoflwoHen, Buneigung fo warm entgegenquollen? SBarum? — bie 2lnt= 
roort flang red)t oerfdhieben in ihm ju oerfdhiebenen ©tunben, je nadhbem 
bie Siebe ober ber ©rofc bie Dberbanb hatte. — 

SJttt einem SJlanne oon ©eift unb $erj, oon reichem SSiffen unb 
warmem ©ntpftnben fo jwangloS ju oerfehren, war ber ©räfin etwas SteueS 
imb Ungewohntes, @ie hatte ihre innige greube baran unb übertief ficf 



38<t 


tlT. Beeret in tfirfdjberg. 


biefer greube mit »oller Seele. SBarum auch nicht? 2BaS follte fte ;urü<& 
galten? Jene Reffet etwa, bie fte oEjne^iu f<f>on in allen ihren Seroegungen 
hemmte, unb bie fie tängft fdion ju jerreifeen gemünzt hätte? 3Rehr bemt 
je empfattb fie ihren feiner haften ©rud; benn bem ©rafen war bet lange 
3lufenthalt ©berharbs in feinem Schlöffe unb bie Sorge ber ©räfin um 
ihn ein 2lergemife, unb in falten hodintiithiget Sßeife, nicht ohne Seimifcijung 
»on giftigem Spott, gab er feinem Slerger SluSbrud. ©er ijßftidit — meinte 
er — unb ber romantifdjen Schwärmerei fei bo<h nun wohl mehr als 
©eniige gefaben. (Sr wünfhe nicht, bafe feine ©emaljtin ber immer be* 
reiten Sftebifance 2lnlafe gebe, ii<h mit ihr ju befdhäftigen. ©er Stranfe 
lönne jefct fehr roohl, wenn auch oieüeidjt mit einiger Slnftrengung, eine 
SReife »ertragen, unb habe bie Spflidjt, feinen Sßohlthätem nicht aUju lange 
läftig ju fallen. 2Benn er felbft bas nicht fühle, fo lönne man es ihm, 
bem ©rafen, nicht »erbenlen, menn er es fortan an beutlidjen SBinlen nicht 
fehlen lajfe. — SJiit ftoljer Stube unb Seftimmtheit entgegnete bie ©räfin: 
„©in SJlann, ber mit eigener ©efahr ein SJlenfchenleben gerettet, fei es 
auch nur baS ber ©räfin 4jotm, bebarf leineS folgen SBinleS. $err ©octor 
©rnft hat längft unfer £auS »erlaffen rootlen — ich «Hein habe ihn jurttcfc 
gehalten, ©r wirb reifen, fobalb ber Sttrjt ihm baS Steifen geftattet — 
nicht eher, folange ich es hebern tann. 3$ wenigflenS empfinbe ben 
©anl, ben ich ib m f<h u lbe, unb wenn nicht für unfere, fo bo<h für meine 
©hrenpflicht halte ich es, ihn nur geheilt »on Ejirtrten jiehen ju laffen — 
aller etwaigen Setleuntbung jum ©roh, über bie ich mich hoch erhaben weife." 
3hre SBangen glühten, unb ihr 2luge flammte, fo fehr fte Reh auch Jur 
Stube ju swingen fchien. 

„$m, £>m, gftau ©räfin! ein wenig SJtäfeigung, wenn ich bitten barf! 
etwas greife färben, bie Sie ba auftragen. 2ßaS $err ©rnft getban, ift 
immerhin recht löblich, aber boch nichts SefonbereS — bei einem ©a»atier 
felbftuerftänblich. SBunbere midh nicht, bafe es bem $errn bei uns gefällt 
©afe feine SBunben gar fo fdjlimm — lann mir’S nicht benlen. Äenne 
ben guten $ofratb, übertreibt gern ein bischen, namentlich wenn er glaubt, 
bamit gefällig ju fein," fprach ber ©raf, bie lebten SBorte mit einem boS= 
haften Sächeln begteitenb. ©ie ©räfin wollte auffahren; aber ihr ©emaht 
liefe fie nicht ju Sßorte lommen. „StiH, ftiH, ma chöre Comtesse F61iceJ 
Sin niemals eiferfüdjtig gewefen, wie ©u weifet, habe romantifehe fpban= 
taftereien niemals gejjinbert; aber bie ©hre meines gräflichen Kaufes, nicht 
baS Keinfte Stäubchen bulbe ich barauf. Sitte fi<h banach ju ridfetenl" 
Unb nach feiner fßürf<hbü<hfe gteifenb, fchritt er, ohne auf eine Antwort 
ju warten, 3 ur ©Ijür hinaus. — 

3n einet ©rregung, wie fie fte niemals »orher gelannt hatte, fuhr 
bie ©täfin empor unb burchmafe mit rafchen (Schritten baS ßintmer. Sie 
trat an’S genfter unb prefete ihre Reifee Stirn an bie lalten Scheiben, ©ie 
©hranen wollten ihr beroorftürjen; aber fte brüefte fte mit ihrem ©ulfee 


(Säften tjilft Hären. 


385 


geroaltfam guriicf, unb bann jeine Gnben frampfbaft um iErce Jgänbe fdjlingenb, 
rift fte es mitten entjroei. „Stein!" tief fte, „SBeinen ift geigbeit, unb 
feig finb alle biefe Opfer — einem Sbantome ju Siebe — unb für men! 
Stein! nein! nein! 3<h will baS ©lüd an mich reiften, wo ich eS fänbe 

— ifjm unb aller SEBett junt ©rofc! Unb wenn bie Sßogen über mir su- 
fammenfcblagen, was ffimmert’S midf!" — 

Gberbatb lag finnenb in feinem gimmer. ©eit einiger $eit fchon 
hatte er baS Sett oerlaffen bürfen, unb bie ©räfin batte für eine bequeme 
©baifelongue geforgt, auf ber fich’S behaglich ruben unb träumen lieft. Gr 
blidte hinaus auf bie finfenbe ©onne, bie tjjimmel unb Serge mit purpurn 
gtübenber glutb übergoft, unb auf bie Saubfronen, bie ficb mit leichtem 
berbfUi<bem Schimmer ju färben begannen. 2lu<h ihn überfam ein Jfjerbft* 
gefübi, fo baft er unroillfürlicb jufaminenfchauerte. „ßerbft? ©dfon?" 
fprach er leife nor ficb hin. „2BaS ift benn aus ben Serbeiftungen ©eines 
gugenbfrüblingS geworben? Unb roo ift benn ©ein ©omtner geblieben? 

Gin roenig ©onnenfchein unb bann Stifc unb SBetterfturm" Stein! 

nein! Gr wollte biefe trüben ©ebanfen nicht weiter fpinnen. gort bamit! 

— Gr jroang ficb, an ÜtnbereS ju benfen. Gin Silb trat ibm nor 

bie Grinnerung, baS er nor ein paar Saftren gefeben. „Stach ferneren 
©agen" batte es ber Künftter genannt. ©aS Silb war Kein unb an* 
fprud)Sto3 ; aber es war mit noUenbeter Kunfi unb fo recht mit bem föetjen 
gemalt. GS (teilte einen jungen StitterSmann in ber ©enefung non feineren 
SBunben bar. Gr batte fein franfes Sein auf einen ©dbemel auSgeftredt, 
unb (ich halb jurüdlebnenb, flaute er mit warmen, innigen Sliden auf 
feine ^Pflegerin, eine wunberlieblidje SRäbchengeftalt, bie über ein Such ge* 
beugt iftm mit Sorlefen bie $eit ju oertreiben fudbte. J&atte ber SJtaler 
norabnenb ibm fein eigenes ©djidfat nor Slugen geführt? Sich! ©ineS nur 
war anberS: was in ben Slugen beS jungen SRanneS unb auf ben SBangen 
beS jungen SJtäbchenS glübte, waren reine, feufche, non feinem Grbenbaucft 
getrübte $immelsflammen. Unb er? — ©aS ^erbflgefübl batte ihn weich 
gemacht — ©ie Siebe batte wieber SJtacht gewonnen über ben ©ro£, unb 
mit ber Siebe war auch bie ©reue wieber tebenbig geworben. Konnte, 
burfte er SlnbereS als ©anfbarfeit für baS fdjöne SBeib empfinben, non 
bem er rouftte, baft fie baS oerjeljrenbe geuer ber Seibenfchaft nur fchroer 
noch jurüdjubämmen nermochte, unb an beten ©lutbbaud) fi<h fein eigenes 
&erä 5 U entjünben begann? 

„Grna," fam es wie ein 4?auch non feinen Sippen. 2ßaS rouftte er 
non ibt? StidjtS! nichts! fie fdiroieg unb fdjroieg. Sollte fie roirflid) nichts 
non ihm roiffen? ober nichts non ibm wiffen wollen? .§atte fie fi<h non 
ihm loSgefagt, ft<h felbft auSgefdjieben aus feinem Seben für alle $eit? 

Siellei cftt, nielleicht Unb berechtigte ibn biefes Sietteidjt, ibt gegen* 

über ju be geben, weffen et fie felbft befchulbigt batte, unb — mit Unrecht 
oieHeicht? — wenn er ©eroiftbeit haben fönnte, frohe ©eroiftheit! SBenn 



386 


IH. 33eerel in ^trfdjberg. 


er fefthalten tonnte, rang ifjrn — melleicht nod» nicht für immer entflogen 
mar! 3SieHeicf)t, oießeicbt — ad), immer nur oielteirfit ! — 2Serlangenb 
ftrecfte er bie 2 lrnte aus nach einem Suftgebilbe, in bem fich, rote fo oft 
fdjon, ©mag 3 iigc »dt benen bcr ©räfin nerfc^moljen. — 

®ie ©räfin! 2Bar nicht aud) fie baS aöeib eines Snberen? GineS 
2lnberen, ber ifjnt Sd)ub unb 3 taft geboten, beffen ®ad) fid) gaftlid) über 
ihm roötbte? Stein! nein! ber ©räfin ®aft war et, nid)t ber beS ©rafen. 
2l(S fein ©aft hätte er tängft fdjon baS Schloff oertaffen. — 2ld)! hätte er’S 
bo<h getonnt! hätte er’S hoch gethan! — 2BeI<he Stüdftdrt fcfmlbete er bem 
©rafen, biefem hodjmüthigen, [jotjten ©efelten, ber fetbft Den Schah nicht 511 
roiirbigen oerftanb, ben ein blinbeS ©iüct ihm in ben Sd)ojj geworfen, ber 
bie quälte, bie er hätte gtiicflid) machen fotten unb bie es fo fefjr oerbiente, 
gtüctiid) 511 fein? — £aS £erj oerftefjt es fo gut, 5 U Überreben unb mit 
fErugfdjliiffen bie ^Berechtigung beffen nachjuroeifen, roonach es fehnenb oer= 
langt. 2 lber hinter ber (Schlange, bie ben oertocfenben 2lpfel reicht, fteht 
immer noch ber Gljerub mit bem flammenben Sd)roerte, oor bem baS 
Sügengefpinnft ber 33egierbe in’S StidjtS jerflattert. — 

Gberbarb roar fo fein mit fid) felbft unb mit feinem inneren Sängen 
befdjäftigt, bah et es überhörte, als nad) oergcblidjem Klopfen bie 21 )ür 
geöffnet rourbe, unb bah er erfdjredt auffuhr, als fich plöblid) eine weiche 
£anb auf feinen 2lrm legte unb eine noch weichere Stimme ihn fragte: 
„gn melden ©efilben ber Seligen waren Sie jefct?" 

„grau ©räfin!" 

„©räfin! ©räfin! unb immer biefe unfeKge ©räfin! getice heihe ich. 
35aS ift geroifj auch folch’ gütige gee geroefen, bie mir biefen Stamen in 
bie SBiege gelegt hat, um bod) wenigftenS etwas oon ©lüd in mein Sehen 
}U bringen!" 

Sie fpradh erregt unb mit einer ihr fonft fremben 33itterfeit. 

„2BaS ift glmen — liebe — gelice? ftommen Sie, laffen Sie unS 
etwas lefcn! es wirb uns auf anbere ©ebanfen bringen." 

„Stein! ich fann, ich will h eut nicht lefen!" unb an feinem Säger 
nieberfinfenb, lehnte fie ihre Stirn an feine Schulter, unb ein Strom beiher 
£[)ränen entftürjte ihren 2 lugen. 

Gberbarb lieh fie eine 2Beile gewähren. Gr brüdte ihr £aupt an 
feine Sruft unb einen Stuf) auf ihren Scheitel. Sein tperj flopfte heth 
unb ftürmifd). — 2lber in ber ^Dämmerung, bie fich über baS 3immer ju 
breiten begann, währenb braufjen bie lebten Surpurlichtroetten oerglühten, 
glaubte er ben Gherub mit bem gtammenfdpoerte ju fehen, ber ihm oorbin 
fd)on einmal erfdiienen roar — 

^en ernft begonnenen Äampf, er muhte ihn weiter fämpfen unb, fo 
fchroer and) baS Sängen, er wollte Sieger bleiben! — SJtit aller 5traft 
feines SBitlenS fich 5 U einem ruhigen £one jroingenb, ber wenig bem 
aBaUen feines heihen SluteS entfprod), begann er: 


<5ät)ten tj t lf t fläten. 


387 


„SJiuth, liebe ©räfin getice! SJtutfe! 3c heftiger mir an unferen Äetten 
rütteln, befio fdimerjhafter fdmeiben fie uns in’S gleifd). ®aS SBort eines 
alten Sßeifett fagt: ©S ijl ein Sroft int Unglüd, UnglücfSgefährten ju haben, 
©iefen einen, wenn au<h fcferoadjen, traurigen Sroft wenigftenS will id) 
3haen bringen. Soffen Sie mid) 3haen non meinem eigenen Sdjiclfal 
erjäfelen!" 

„Spähten Sie!" unb es Hang wie ein Seufjer ber ©nttäufdiung, ber 
Siefignation. 

Sie fdjob ein niebrigeS Sabouret herbei unb tiefe fid) barauf nieber, 
bie ©Henbogen aufgeftüfet unb baS Slntlife in bie £änbe gebrücft. 

„2luf ©liicf hatte ich gehofft," murmelte fie oor fid) hi«/ „unb 
ttticber foDl ich nur oon Unglüd hören — unb baS nennt man Seben!" 

©berfearb erfdjien es wie eine Rettung oor fi<h felbft unb toie eine 
Befreiung, enbli<h einmal oor einer toarm empfinbenben, befreunbeten 
Seele herunterfpredjen ju fönnen, was ihm biefe ganje lange Beit feinburdj 
baS ^erj bis jum Berfpringen erfüllte. Sangfam unb jögemb begann er 
oon feinem SBaterhaufe, oon feiner glücflidf»en Äinbheü ju berieten; aber 
mehr unb mehr tarn feine Siebe in gtufe bei ber Sdjilbetung feiner 
fröhlichen gugenbjeit, unb toie eine 23eid)te war es, als er rüdljalttoS unb 
ohne Sponung gegen fiCh felbft oon feiner SBerbung, oon bem Sonnen* 
fchein, oon bem Slebetgemölf unb enblicf» oon bem Sßetterfiurm feiner ©he 
erjäfelte. SJtit feinetn Sßorte, mit feiner SJemegung hatte if>n bie ©räfin 
unterbrochen. StegungStoS, einer Statue gleich hatte fie an ber Seite 
feines Sägers gefeffen — er hatte felbft nicht geioufet, ob fte überhaupt auf 
ihn höre. Slbet eS war ihm ein S3ebürfnife getoefen, feinen SBeridjt ju 
©nbe ju führen, unb mär’S auCh nur jur ^Rechtfertigung oor fid) felbft. 

Unbeweglich, baS Slntlife in bie 4?änbe geprefet, fafe fie auCh jefet noCh 
eine SBeile lang, naChbem er geenbet. SBar’S ihr boCh toie ein Steif auf bie 
Seele gefallen, wie ein falter, froftiger Steif, ber mit einem SJtale all baS 
Treiben unb SBlüfeen oernicfetete, baS im ©luthhauCh bet SeibenfChaft aUju 
geil emporgefChoffen toar. 3luS bem, toaS ©berhatb ihr erjäljlte, unb mehr 
nodj aus bem Sone, mit bem er es erjählte, als aus bem Bnfealte felbft 
hatte fie mit feinem, untrüglichem gnftinft herauSjufühlen gemufet, bafe all 
ber Born unb Stofe, in ben er fiCh feineingegrfibelt unb *gerebet hatte, 
moChte er’S felber miffen ober nicht, nichts SlnbereS als heifee Siebe ju feinem 
2Beü>e war, baS er oerloren ju haben glaubte unb boCh fefthalten wollte, 
boS er niCht fefthalten ju fönnen fürchtete unb bem fiCh bodj alle gfifelfäben 
unb gangarme feines ßerjenS — polppengleicfe — entgegenftredten. 3h r 
fcfjarfer 58licf fah noCh weiter; aber fie wollte jefet feine SluSemanberfefeung. 
©S war ju plöfeliCh über fie gefommen — fie mufete allein fein, mufete erfi 
mit fiCh felbet flar werben. So erhob fie fiCh — eine Slnbere, als bie fte 
gefommen mar. Bfete oorfeer fo weichen Bäö e toaren hart, fie felber war 
— fo fChien ifer’S — um gafere älter geworben, unb ihre fonft fo melobifChe 

9toA mb 6ilb. XCII. 276. 26 



388 ITC. Secrel «n Ejitf^berg. 

Stimme Rang rauf), alg fie ihm — nicht ofene einen gerben, faft feöfenenben 
AuSbrucf — jutief: 

JO 3br Herren bet Stopfung, roaS bfinft $Ejt @ucfe gtofe, imb mie 
feib 3fer fo Rein, fo Rein!" 

Sie fdjritt burdi bie ©feür unb liefe ©berfearb in einem 3uftenb 
nöHiger SSerblüffung jurüd. 

@r nerftanb nicht, mag gelben, unb batte nut noch ben einen beifeen 
ffiunfh*- fvort! fort! fort! — 

©ma befanb fidj in einer recht trüben ©emütfeSperfaffung, als fie am 
borgen nah ©berfearbs Abreife allein in bem ©rfer ifereg mit befeaglicfeer 
©obnlidjfeit reih auSgeftatteten Bnnnterg fafe. Me biefe fd&roellenben 
Sßolfter unb ©ifhhen unb ©tageren, alle biefe jierlühen Scübeldjen, biefe 
SBronjen unb Statuetten unb Aquarellen unb fßfianjengruppen unb rnas 
MeS ben 3taum beengte, um ifen ju einem recfet traulichen Souboir ju 
geftalten, — für fie mar bag AßeS feeut nicht porfeanben. Sie mar 

empört über bag ihr roiberfaferene Unrecht. $ätte ©berfearb in noch fo 
heftiger ©rregung, in einem Augbrucfe noch fo leibenfhafiliher ©iferfmht 
ihr bie fhroerften fijorrofirfe gemalt, fie mürbe fih nicht entfefct, nein! fie 
mürbe fih oießeiht barüber gefreut haben mie über ein Beidjen feiner 
Siebe ju ihr, mie über ein ©eroitter, baS enblidj bie lange, fdhmüle 
Spannung ju glüdlidier Söfung braute, fie mürbe ihm 9tebe gefianben unb 
feinen böfen Argroohn jerftreut haben, mürbe ihm um ben &alg gefallen 
fein unb fih mit ihm äuggeföfent haben, fo recht aus ooßern, ganjem 
£erjen. Aber biefe fßuhe, biefe eifige Äälte, mit ber er felbfi ben non ihr 
gebotenen ißerfudj einer Augfprahe, einer üSerfiänbigung furj non ber £anb 
roieS — baS mar eg, mag fie nicht oerjeifeen, mag fie nicht ertragen 
fonnte. 9Rufete er alg Sftiditer nicht miffen, bafe man üRiemanb nerbantmen 
bürfe, ohne ihn roenigfieng corher gehört ju haben? &atte fie baS nicht 
ju forbent, felbfi roenn fie fchulbig gemefen märe? Unb nun etfi, ba fie 
fidf feiner Scfeulb beroufet mar, ba fie felbfi in ©ebanfen nicht gefünbigt 
hatte. Setbfi in ©ebanfen nicht? — 91 ein! felbfi in ©ebanfen nicht! 
§atte fie nicht rafh unb fiegreiefe niebergefämpft, mag — eine furje Spanne 
nur — ihren Sinn ju oermirren brohte? Unb hätte eS fhlimmer fein 
fönnen, roenn fie bem nerlodenben 3 u 9 e nidit roiberfianben hätte? Sie 
bebauerte bag nicht; benn gerabe bafe fie fiefe fdjulbtog fühlte, bafe fie Un* 
reht litt, bag gab ihr Selbfioertrauen, bag gab ihr fefien £alt in biefer 

Sßirraife, bie fih boh enblih einmal löfen mufete. ©enn — fo febr 

fih auh ihr ©tolj unb ihr ganjeg ©enfen unb fühlen aufbäumte bei ber 
©rinnerung an bag, mag ihr oon ©berfiarb miberfahren mar, unb roaS fie 
alg eine ©rniebrigung empfanb — ber ©ebanfe, bafe nun mit bem feäfelichen 
Auftritte beg gefirigen Abenbg Meg aus fein fotlte jroifhen ifer unb ihrem 
©atten, ber ©ebanfe mar ihr unerträglich, ©bewarb mar franf, äugen- 


cSäßten ßilft flären. 


589 


fdfjeinlich fraitf; bag allein fonnte fein Sergeßen — nidjt entfdßulbigen — 
aber bodh milbem. Statt ißn jit oerbammen, ftatt ißm ben binbenben 
Süng jiolj oor bie gfiße ju werfen — beburfte er nicht meUeid^t beg 
SRitleibg? Stur eine abnorme, franfßafte ©emütijSoerfaffung fonnte ben 
fonft fo guten unb rüdfjidhtgoollen SJtann }U folgern Sorgeßen bejtimmen. 
Unb mußte er nicht enblidh mieber jur Sefimtung fommen? ju einem Karen 
Urtßeile über fie unb über ißt gegenfeitigeg Serßältniß ju einanber? 33iet= 
(eicht mar gerabe ber non ihm gewählte SBeg ber richtige. 28enn er erft 
mit ft<h allein mar, fern non ber gewohnten Umgebung, unb Sitten in Stuße 
überbenfen fonnte, mußte eg bann nicht batb Kar inerben in ißm? 3a 
gewiß — er würbe nicht lange fortbleiben; er mußte halb mieber ju ißt 
jurütffeßren — ein Stnberer, freier, geregter unb oietfeidht — audj jart- 
licßer. Unb bie Serjeißung, bie fie ihm gewähren wollte, foUte feine 
einjige Strafe fein! — 

3tber big baßin? 233ie foUte fie eg anfangen, allem ©erebe, allem 
Älatfdj, allen jubringlidßen fragen nach ®tunb, %\t\, £)auer non ©ber= 
ßarbg Steife aug bem 2Bege ju gehen — fragen, benen üe nicht augweidjen 
unb bie fie bodh, ohne ju lügen, nicht beantworten fonnte? Stiemanb, 
felbft ißre ©Item nicht fottten non bem ehelichen 3mift auch nur bag Sitter* 
geringfte erfahren. 

©ine Sfagrebe, eine ©rHärung ber plößlidßen Steife war (eicht gefunben. 
Unb regte ft<h auch &ei ben ©Item wohl ber Verbadßt, baß bie Sache nicht 
ganj fo harmlog fei, wie fie ©rna barjufteflen fuchte, fo beruhigte fte einerfeitg 
©mag anfdfjeinenbe Unbefangenheit; anbererfeitg waren fie niel ju weltflug, 
alg baß fie ohne Stotß eine unerbetene ©inmifchung hätten nerfuchen foHen. 
©ntweber fie glaubten wirKich, ober fte gaben ft<h ben Slnfcßein, ;u glauben, 
mag @ma ihnen erzählte, tiefer würbe bag Slugweidfjen unb Verleugnen, 
bag ©rfinben unb heucheln enblich fo jumiber, baß fte ben ©Item, bie 
bemnädjft wieber für einige 3 e ü auf ihr Sanbgut überjufiebeln gebauten, 
uorfcßlug, ißnen b orthin jur Vorbereitung ihrer Sittegiatur ooranjugeßen. — 

Unb nun war fie wieber in Sudhau, unb biegmal fo ganj allein unb 
oerlaffen. ®ie Grinnemngen an ben oorfäßrigen 2(uf enthalt traten ihr auf 
allen ÜBegen unb Stegen entgegen, unb fdhmerjlicß empfanb fie ben iw 
jwifdfjen eingetretenen SBanbet. Unb alg nun gar 2Bod(je um äBodfje oer* 
ging, ohne baß auch nur eine 3eile, oßne baß auch nur ein 2Bort non 
©berßarb an fie gelangte, ba fühlte fie jt<h, oon ben wedßfeloottften 
Stimmungen unb ©ebanfengängen erregt unb gepeinigt, mutß* unb rathlog 
unb naße baran ju oetjweifeln. ®abei fuchte fte immer noch nor ben iw 
gwifcßen eingetroffenen ©Item ju oerbergen, wag faum noch ju oerbergen 
mar, fah, wie biefe fidh um fie forgten, unb beantwortete bodh alle ihre 
fragen augweidfjenb unb im SBiberfprudj mit ber SBaßrheit. 2lu<h bag 
mürbe ißt halb berartig jur Sein, baß, wie fte aug ber Stabt auf g Sanb 
geflohen mar, fte jeßt unter bem Sormanbe, 9111 eg für ©berßarbg halb }U 

26 * 



390 


m. Seerel in £}irf<hberg. 


erwartenbe £eimfebr iierricfjten ju muffen, oont £anbe in bie Stabt, in 
ihr oereinfamteS §eim jurücfeilte, baS fie mit tiefem 2BeI; betrat, unb in 
bem fie unter einem Strome Reißer frönen jufammenbracfj. 

Schon unterwegs batte ®ma bin unb bet überlegt, roie fie obite eine 
birecte Anfrage om beften bie ®auer oon ©berbarbS Urlaub erfahren 
tonne. ®af? fie felber barüber nicht unterrichtet fei, mochte fte 9Hemanb 
oerratben. $abei tauften anbere fragen auf, benen fie nachgrübeln 
muffte, unb bie fie in Angft unb Sorge oerfepten. VMe fam es benn 
überhaupt, baff ihm ein fo langer Urlaub bewilligt worben war? Stuf 
welche Vegrünbung bin batte er ihn o erlangt unb erhalten? Dber foUte 
er ihn in ber Verftörung feines ©emütbeS eigenwillig Übertritten haben? 
Dber — fie wagte ben ©ebanfen nicht aus^ubenfen — follte ihm ein Uns 
glücf wiberfabren fein? ®ie Bettungen waren fo ooH oon Berichten über 
oerbängnijjoolle Slbftürje in ben Alpen, unb ihre erregte fßbantajie malte 
ihr Silber not, bie fte mit ©rauen erfüllten, bie fie aber mitten unter 
allen Schredntjfen immer roieber bas ©ine empfinben lieffen, wie fefjr fie 
trofc allebem unb allebem ©bewarb liebte, unb wie fte ben ©ebanfen nicht 
ju ertragen oermöchte, ihn ju oerlieren. 

Am erften Vormittage nach ihrer Anfunft in ber Stabt machte fte 
fi<h jtttemb unb jagenb mit bangem ^erjflopfen auf ben 2Beg nach bem 
©ericfitSgebäube. ®a, wäbrenb fte, ganj mit fnh felbft befdljäftigt, burch 
bie belebten Strafen babinfcbritt, begegnete ihr plöplicb, ben fie feit SKonaten 
nidtjt gefeben, &auptmann von Schrön. @r trat auf fte ju, unb ihr jum 
©rupe freunbfchaftlich bie $anb reidjenb, fragte er mit ernft tbeilnebmenber 
SJtiene: „2Bie lauten bie testen 9ta<hricbten oom .fjerm Amtsrichter? 
^öffentlich gut." ©nta würbe purpurrotb unb batte 3Jtübe, bie frönen 
jurüdjubalten. ©ein §auptntann gegenüber hätte fie nicht ju lügen oer= 
mocbt; aber fonnte fte ihm benn fagen, baff fie überhaupt feine Vachricht 
erhalten? ®ann aber — was bebeutete biefe mitleibSuoHe ÜJiiene? 
Vßelcher Sinn lag in feiner fyrage? ®er ^auptmann, ber ihre Erregung 
auf ©berbarbS Unfall bejog, ließ ihr jum Antworten gar nicht Bett, 
fonbem fuhr in berubigenbent £one fort: „9tun, hoffentlich wirb er oon 
feinen 2Bunben halb mieber genefen fein?" 

„VBunben? genefen?" Alles Vlut midi auS ©rnaS ©eftcht, unb framph 
baft erfaßte fie beS ßauptmannS Arm. „Um ©ott! — was bebeutet baS? 
ich weiß oon 9ii<htS!" 

®er ^auptmamt geriet!) in Verlegenheit, ©r fonnte nicht glauben, 
bah ©nta nicht aus erfter unb guoerläffigfter £>anb erfahren haben follte, 
was er felbft oon einem ©ollegen ©berbarbS auf ©runb beS eingegangenen 
ärjtlidjen AttefteS gehört batte, unb waS er ihr nun im SGBeit erfcfrteiten 
milbernb unb befcbnnchttgenb wieber erjäl)lte. 9lur bie Art ber Verlegung 
mar aus jenem Beugniffe ju erfeben gemefen. Ueber bie näheren Um* 
ftänbe, welche biefelbe tjerbeigefüfjrt batten, oerlautete VidjtS, unb gerabe 


(Säuren fyilft Hären. 


391 

barüber batte bet ßauptmann oon ©ma ©troaS ju erfahren gebaut» 216er 
baS ©ne ftanb feR, baß ©berljarb Idjon feit einiger Seit an SBunben, 
beren, wenn auch langfante, Teilung ber 2lrzt in ftcfjere StuSftd^t [teilte, in 
BabemBaben baniebetlag. — Sdjroeigenb, erregt, ein ganzes wogenbeS £eer 
«on ©ebanfen in ihrem Stopften umherroäljenb unb nad) feften StüR* 
punften ringenb, fd^ritt ©rna neben bem #auptmann bahin. 6nbli<h fd&ien 
Re ju einem ©ntfdjluffe gefommen ju fein, einen Slugenblid ftehen 
bfeibenb, fah Re mit ihrem bleidjen, abgehärmten ©eRdjtdjen ju bem 
^auptmann empor unb fpradj: „$err &auptmann, höben (Sie woRt ein 
SBiertelftiinbChen Seit für mich?" unb als biefer R<b juftimmenb oerbeugte, 
„barf i<h Sie bitten, tnidj in unfere SBoRnung ju begleiten? 3dj möchte 
gern ben 5iath eines treuen, aufrichtigen greunbeS hören." 

„Sie bürfen auf midi zählen, oerehrte grau," erwiberte ber £aupt* 
ntann feft unb beftimmt, unb fcRmeigenb gingen Re weiter. 

Me gtagen einer gleiRnerifdjen ©tifette, alle fRüCfRdjten einer Rhein* 
heiligen ©onoenienz mären in biefem 2lugenbliCfe für ©ma oerfchrounben. 
Sie muRte gemanb haben, mit bem Re fich auSfpredjen, mit bem Re über 
ihre ©ntfdjlieRungen fich berathen fonnte, unb Re muRte, baR Re feinen 
SuoerläfRgeren, ©ewiffenhafteren, 2lufridjtigeren unb UrtljeilSfähigeren zu 
finben permo<hte als ben ^auptmann. — Unb als Re nun in bem Reinen, 
traulichen Säumer einanber gegenüber faRen — ob auch wirfiidj oieHeidjt 
früher einmal auf Süugenb liefe heißere SBünfdje als trübe, oerwirrenbe 
Sftebel in ihrem ober in feinem ober in Seiber ßerjen aufgetaudjt fein 
mochten — bas mar oöHig auSgelöfCht unb oergeffen, unb Re hatten Seibe 
baS ihnen Sdiufc unb Sicherheit gebenbe ©efüljt, baR nur ein gntereffe 
fie feft oerbanb: bie reinfte, lauterfte greunbfdjaft ju einanber unb ju bem 
fernen, franfen greunbe. 

©er ßauptmann hörte aufmerffant ju, mährenb ©ma ihm treuherzig 
unb mit marmer ©mpRnbung erzählte, maS znnfdjen ©öerharb unb ihr fich 
ereignet hatte, unb wenn Re eS auCh mit feinem ©acte oermicb, auch nur 
anzubeuten, welche 3ioHe er felbft unbemuRt in biefem ©hebrama gefpielt 
hatte, fo warb es ihm bo<h nidit Rh wer, baS zu burd)Rhauen, unb bie 
©ewiRheit beS früher bereits ©eargwohnten erfüllte ihn mit Rhmerzlichem 
Bebauern. „SereRrte grau!" fpradj er zu ihr, nadjbem fie ihren Bericht 
beenbet, „iCh habe recht wohl oerftanben, was Sie oerfdjwiegen haben; unb 
wie eS mir innig leib thut, baR ich unabRchtlidj Störet SRreS griebenS 
geworben bin, fo oerfpredje ich SRnen, MeS zu tRun, was in meiner 
9Radjt fleht, um biefeS unfelige SJtiRoerftänbniR fo rafdj wie möglich z u 
befeitigen. SBenn Sie bamit einoerftanben Ritb, reife iCR noCh am heutigen 
ülbenb zu unferem greunbe unb berichte SRnen, wie id) ihn angetroffen 
habe, unb oon weichem ©rfolge mein Bemühen gewefen ift." 

„Unb ich? <2 oll iCh Riet müRig fi|en, wäRrenb iCh ihn bort franf 
unb ber pflege bebürftig weiR? Soll iCh, bie iCh höre, baR er oermunbet 



392 


in. Beetei in Qitfd;betg. 


ift, ohne Beranlaffung, 2lrt, Bebeutung feiner SBunben ju fennen, ofene ju I 
roiffen, roo unb rote er untergebradfjt ift, roer an feinem Säger fitst, ob 
ro^e ober gefdjicfte, gleidbgtltige ober tbeilnebmenbe $änbe feine SBunben 
oerbinben, unb roa« irgenb ju feiner Leitung, ju feiner pflege gefdbeben 
fönnte unb cieBeicbt niciit gef4iebt, foß üb mich f)icr mit qualcoBer Un= 
geroifebeit, mit ©dbre<fen«bitbem jermartem unb Slnberen ben fßlafe über« 
lajfen, auf ben müh — nidtjt bie BfK4t aBein, nein! idf) fdtiroöre ei 3bnen 
ju — ber SRuf be« eigenen ßerjen« bränqt? Stein! nein! nein! Steinen 
©ie nidjt, bafe idf) felbft nodfj beut ju ihm eiten tann unb barf unb mufe, fetb|t 
auf bie ©efafer bin," fefete fie fdbtudbjenb bbju, „bafe er mich oon fidb weift?" 

Qm Innern feine« $erjen« gab ihr ber &auptmann Stedfet; aber er i 
biett e« für feine tpftidbt, ihrem überroaBenben ©efüfel gegenüber mit 
mögtidbft nüdfiteraer ©rroägung auf aBe ©4roierigfeiten, aBe Bebenfen auf« 
merffam ju madben, bie fidb ber 2lu«fübrung ihre« Vorhaben« entgegen« 

fieBten. ©oBte fie in fotdber ®emütb«cerfaffung bie immerbin nicht ganj 

furje Steife aBein unternehmen? feine Begleitung anjubieten — fo 
bereitroiBig er e« getban hoben roürbe, — war es nidbt in bem oorliegen« i 
ben gaße gerabeju unbenfbar? 

„D fürchten ©ie Stiebt« für midb! bin ftarf, roenn eS fein mufe." 

„2Benn nun aber ba« SBieberfeben — non fidb weifen roürbe er ©ie triebt 
— ©berbarb aBju fefer aufregte, roenn bie Sluöeinanberfefeung, bie er felbft 
bi« auf feine ßeimfebr b fl tte oerf (hieben rooBen, unb bie bo<b nun unoer« | 

meiblidb fein roürbe, fdbäblidb auf feine Steroen, auf feine Jträfte, auf feine j 

Teilung roirfte?" ©rna tiefe traurig ba« ßöpfdben hängen, unb tbränenben ' 

Briete« fragte fie fteinlaut: „©oBte ba« roirflidb möglidb fein?" \ 

©ie roaren nodb mitten in biefen ©rroägungen, al« braufeen heftig bie , 

bringet gejogen roürbe, unb halb barauf ba« ©tubenmäbdben ihrer Rettin I 

ein foeben für fie abgegebene« Telegramm iiberreidbte. ©rna roarb non 
einem heftigen ©dbredfen erfafet; bleidb, mit gefdbtoffenen Sugen fanf fie in 
bie Jtiffen be« Stuhle« jurücf, unb ba« Blatt jitterte uneröffnet in ihren 
ßänben. „SJtutb! SJtutb!" rief ihr ber $auptmann auffptingenb ju, „ba, | 

rafdb einen ©dbludE frifdben SBaffer«! ©oB idb ba« Siegel löfen?" • . 

„Stein!" fptadb ©rna fidb aufridbtenb mit matter ©timme, „idb wiB I 

ben Äefdb leeren bi« auf bie Steige," unb mit'jittemben £änben öffnete fie 
ba« Blatt. ©S flimmerte ihr cor ben Blidten, unb fte oerftanb nidbt redbt, 
roa« fie la«, unb bodb ging ein Strahl ber Berflärung übet ihr Hntlifc, unb 
ein feudbtfdbimmember, feliger ©lattj leudbtete au« ihren Slugen. Saut auf« | 
fdbludbjenb, aber bie«mat cor greube, überreidbte fie bem Jpauptmann ba« Blatt, 
ba« nur bie SBorte enthielt: „3b r ©alte erwartet ©ie — ftommen ©ie I 
halb unb frofe! 34 oerbeifee 3bnen ©lüct. ©räfin gerice oon #olm." — | 

SB« bie ©räfin in jener ©ämmerfiunbe ©berbarb« 3*ntmer oerliefe, | 

roarb e« ihr ju eng in ben weiten £aBen ihre« ©4loffe« — bie Sßölbungen, 


<Sät|ren hilft f lätcn. 


393 


fo ho<h fonfit, bebrüdften if»r bcn Scheitel, bie 9Jlauent bellemmten ihr bie 
33rufl; Re »erlangte nadh freier Suft, nad) frifc^cr, erlöfenber ^Bewegung. 
Sie befahl, fdhleunigft ihren Schimmel ju fatteln. ®er Dfeitfnedfjt fdhüttette 
ben Stopf über biefen abenblidfjen 3titt, unb bie 3°f e , bie ihr baS SReitReib 
anjulegen hatte, lonnte nicht begreifen, baff ihre fonft fo gütige #errin 
heut fo ungebutbig, fo untmrfch war. 6rft als fie auf einfamen, non bem 
aufjteigenben 2Ronblidht geifterhaft beleuchteten Sßalbroegen in fdfjärffter 
©angart bahittjagte, als ber frifdje 39etghaudh ihr SBangen unb Schläfe 
fühlte unb Re iw tiefem, befcfjleunigtem 2ltfjmen ben ojonreidhen bannen* 
buft einfog, warb ihr leister unb freier um’S £erj. greitich — Drbnung 
in ihre ©ebanlen ju bringen, bie SBirbel ju bewältigen, bie if)r witb baS 
.feirn burdjbrauften, baS »ermodljte fie immer noch nicht. Unb fie wollte 
es auch nicht, ©rft austoben! «Sie fannte fi<h genau unb muffte, bafe 
fte bann erft ruhiger werben würbe. 2IIS fte enblicf» nach langem unb 
fcharfem SRitt auf fchweifetriefenbem fRofe mit gerötheten Sßangen ins Sdjlofe 
jurüdfehrte, fudhte fte fofort ihr 3iutmer auf unb liefe fi<h beim ©rafen 
entfdfjulbigen, wenn fie, ton 2Rigräne geplagt, h eut nidht im «Salon er» 
fdfeiene. ®er ©taf wunberte ftdh nidht unb »ermifete fte nidht. Gr lächelte 
fdhmunjelnb über bie SBirfung, bie fein heutiger SBinf augenfdheinlidh 
gehabt habe, unb liefe ftdh gorelle unb 5Rebt)ubn unb ben würjigen Lure de 
Saluce, bie man ihm fdhweigenb feroirte, nur um fo trefflicher munben. — 
SHe ©räftn hatte ben größten S^eil ber 9tadht ruhelos »erbracht. 
Grft gegen SRorgen war fte in einen feften tiefen Schlaf »erfaüen. 3llS 
fte bann aber ermadbte, als bie Sonne ftdh hell unb Kar über ihr 3iutmer 
ergofe, in alle SEBinlel hmeinleudhtete, unb 3lHeS ringsum, was in ber Stadht 
ihre erregten Sinne mit »erfdhwommetten, unheimlidhen ©eftalten geängftet 
hatte, in fdharfen, beutlidhen unb adh! fo nüdhternen Umriffen heroortreten 
liefe — ba mar audh »on ihr aller »erftörenbe Spuf gewidhen, unb »or 
bem hellen Siebte beS unter ftegreidhem Gingen erleudhtenb unb Härenb audh 
in ihre Seele bringenben SageS fcfiwanben bie gefpenftifdhen Sdhatten, bie 
in ber lebten 3®lt bort ihr feltfameS 2Befen getrieben. 2Bie ber 2lrme, 
SBerjmeifelnbe, um ben Dualen ber üRoth unb ber Sorge auf einen Slugenblict 
ju entfliehen, nach bem betäubenben geuergeift, fo hatte fie in ber Häglidhen 
Debe ihres Sehens nadb einem nidht minber beraufdfjenben Ironie gegriffen, 
ben ber 3ufaE ihr bot. 2tdh! unb ber 9taufd& war fo wonnig, fo fcfjön 
unb jeigte ihr fo »erlodenbe Silber, unb ber Storni war fo füfe, bafe fte 
bie Sippen nidht »on ihm ju laffen »ermodhte nnb ihn ju fdhlürfen gebadhte 
in »ollen, burftigen Bügen. Der 93edier warb ihr »om 3Runbe geriffen — 
unb jejjt, ba fie »om SRaufdhe erwadht war, begann fte ftdh barüber ju 
freuen, bafe leine bittere $efe ihr ben Storni »ergäHt, unb bafe, fo fehr Re 
audh uodh bie wüRe, nfidhtente Seere empfanb, bodh ber IRaufdh SRidfjtS jurüdf» 
gelaffen hatte, was auf längere 3eit hinaus ihr Sehen mit jerftörenber 
fReue hätte »ergiften lönnen. — 



39 * 


IH. Scerel in £}trf< fjberg. 


2lu<h mar itjr bereits im einfamen SRingen baS Heilmittel oor bie 
Seele getreten, baS fie jur rollen ©enefung führen fottte. ©in 2Bort ihres 
alten uerftorbenen greunbeS Durgbniero fiel % ein. Sie batte ben geifu 
sollen 2tlten oft bort oben in feiner Sßißa auf bem SBege nach ber 3)burg 
ju befudjt, unb eines 2lbenbS, als er mit ihr ptaubernb am Äaminfeuer 
fafj, fjatte er ihr — »ielleicht nicht obne beabfichtigte URaljnung — einen 
Safe uorgelefen, ben er in einer feiner Dichtungen niebergefdjrieben: „Das 
Seben ift fein Scherj unb fein Spiel, bas Seben ift auch fein ©enuh . . 
bas Seben ift eine fernere 2lrbeit. Entfagung, beftänbige Entfagung — 
baS ift fein geheimer Sinn, baS ift fein Siäthfelmort. 5ftic^t auf bie 33er* 
nrirflidbung feiner SieblingSgebanfen unb gbeale, mären fie noch fo erhaben, 
fonbern nur auf Erfüllung feiner Pflicht foH ber ÜRenfch bebadfet fein." 
„SRun, mobl benn! Entfagung unb Pflichterfüllung!" rief fie aus. „Hat 
mir baS Sc^icffal greuben unb Pflichten oerfagt, bie bem Seben anberer 
grauen SBertfe unb gnfealt geben, fo miß ich es lernen, mir neue Pflichten 
ju fcljaffen!" Unb um in ben mutfeig gefaxten Entfdfilüffen nicht ju er* 
lahmen, roottte fie halb an bie 2lrbeit geben. — 

Die erfte Pflicht, beren Erfüllung ihr geftem noch fehler, febr fchmer 
erfchienen märe, bie fie beut aber freubig auf fich nahm, mar bie 33eriöfenung 
EberharbS mit feiner grau. Sie muhte DlicbtS, als roaS Eberfenrb ihr 
geftern erjagt, ober roaS fie, oljne bah er es erjäfette, aus bem Done feiner 
SBorte entnommen batte. 0b fein 2lrgroobn begrünbet mar? fte glaubte 
es nicht; fcHiert er felber es boch faum noch ju glauben. Ernas Auftreten 
bei jener Sübfchiebsfcene — felbft nach feinem ^Bericht — fprach mehr für 
gefränfte Unfdjulb als für Sdjulbbemujjtfein. Stber fie muhte non ifem 
noch mefer erfahren, roenn fie hanbelnb eingteifen moHte. 9Jlit bem feften 
33orfafee, unter allen Umftänben ihren fchmererfämpften ©teichmutf) ju be* 
mähren, trat fie freunblidj grüfsenb in Eberharbs Biutmer. — 

Sie fanb ihn mit bem Bufammenpacfen feiner roenigen Habfeligfeiten 
befchäftigt, unb fein üluSfefjen uerrieth, mie fefer ifen biefe an fi<h unbe* 
beutenbe Strbeit angeftrengt hatte. 

„2BnS bebeutet baS?" fragte fte erftaunt. 

„Schon alljulange," entgegnete er in höflichem, aber burdjaus form* 
lichent Done, inbem er fich nieberfefete unb fich mit feinem Dafchentudb 
ben Schmcih »om Slntlife roifhte, „fdhott aßjulange, meine gnäbigfte grau 
©räftn, habe ich 3h« ©aftfreunbfcfiaft in 2lnfprudj genommen; es ift Beit, 
bah ich gehe. Die SReife mirb mir »ieHeidjt ein bischen fchmer roerben; 
aber ich meih, bah i<h fte ohne ©efaljr burchfüljren fann." 

„•Rein, nein, lieber Dodor! Sajfen Sie unS offen unb ehrlich mit ein* 
anber fprecfjen! Sie finb empfinblidb. Sie haben mir mein geftrigeS Senefemen 
übel genommen. Sie finb nicht flug aus mtr geroorben. geh »erbenfe eS 
gtpien nicht — habe ich mich hoch felbft nicht »erftanben. 2tber heut — 
hier meine Hanb — ich bitte Sie um 33erjeihung — taffen Sie alles 


(Säuren Ijilft flärett. 


395 


Störenbe, adeS Sterroirrenbe oergeffen, [offen (Sie uns gute greunbe fein, 
uidjt mehr, aber auch nicht roeniger — unb — (offen Sie uns nidjt im 
Unmutfie oon einanber fdjeiben! Sie fönnen noch nidjt reifen — (»oben 
•Sie botb felbft baS 3immer nod) nidjt oerlaffen fönnen. 3<b uerfpredje 
Offnen, Sie feinen 2tugenblicf länger jurüdbulten ju rooden, fobatb ber 
Slrjt gbnen baS Steifen geftottet. 2lber bis babin — nein! nein! unb 
abermals nein! 3<h bulbe feinen SBiberfprudj! Unb nun taffen Sie uns 
unfet ©efpräd) roieber aufnebmen! gdj fiabe Sie über SHeteS }u fragen, 
unb Sie müffen mir über SHeteS nod) SluSfunft geben — bann foden Sie 
mein Urtbeit bören — nidjt leibenfdjaftlnh wie geftem, fonbem rubig unb 
Rar — unb — glauben Sie nur — ein grauenauge fiebt in fotdben 
Gingen weiter unb fdjärfer als baS eines Sliannes, bern bie ©iferfucht 
überbieS ihre trüben ©läfet oorbält!" Sie butte rubig, unbefangen unb 
berjliijb unb beut roieber mit ihrer Karen, warmen, roobttönenben Stimme 
gefprodjen. Sie butte lange gerebet unb fi<h nicht unterbrechen laffen — 
fie roodte ihrer felbft erft roieber ganj fidjer fein, unb fie war es. Stein 
3Ton, feine SJeroegung oerrietb, was an überroadenber Seibenfcfeaft ooran= 
gegangen roar. Unb roäbrenb fie felbft ruhiger rourbe, roirfte fie auch be= 
-rufeigenb auf ©betbarb, bem ber SBobttaut unb nod) mehr ber roobltbuenbe 
3 nbalt ihrer 28orte wie Sttufif in bie Dbren Kang. SBobt oermoefete fie 
noch nhfd ade feine $roeifel ju jerftreuen, roobl bat er fidj noch eine S3e= 
benfjeit aus, um in feiner bebäebtig geroiffenbaften SSeife SldeS, was fie 
ihm gefagt, ju prüfen unb ficb äuredjtjutegen, ehe er bie oon ihr angebotene 
SSermitttung annabm. Slber in bie SJfauer, hinter ber er fi<h fo fange 
unb mit fo flarrem ©igenfimt oerfdjanst butte, roar SJrefdje gelegt, unb 
biefe tiefe ficb erweitern in ber 3 eit, bie ju bleiben er bodb fehliefetich ju= 
gefagt butte. güt bie ©räfin beburfte es feiner SJebenfjeit. 2JHt ficherem 
weiblichen %acte butte fie bie SBabrbeit berauSgefübtt, unb baS ©rfte, 
was fie tbat, nadjbem fie gehobenen ßaupteS ©berbarbS 3immer oertaffen, 
roar bie Slbfenbung jenes Telegramms an grau Amtsrichter ©mft, baS fie 
ju fchtennigfier £erfunft eintub. — 

3a, eS roar roeite 33ref<be gelegt in ©berbarbS eiferfücbtige ©riden, 
bie er faum noch $u behaupten oermochte. SBaS er in ber ©infamfeit 
ber fjodiatpen unb bann auf feinem Sdjmer 5 enS(ager fi<h oft teife felbet 
gefagt, butte bie ©räfin taut unb überjeugungSroarm ouSgefprochen. 
Unb roie freubig butte er ihren 33eroeggrünben getaufdit! Sticht beSbatb 
alfo hätte eS für ihn einer UeberlegungSfrift beburft. 2tber baS Anbere! 
3e gröfeer bie ©eroifebeit rourbe, bafe er ©rna Unrecht getban b «be, befto 
mehr roud)S auch bie gurd)t, bafe fie ihm baS nie oergeben fönne, unb 
bafe ihr Schweigen bet AuSbrud beS erfolgten SfrudjeS fei. SBaS bie 
©räfin für roabrfdjeintich erKärte, bafe fie oon feinem Unfade niefets er= 
fahren bube unb fidj fein gernbleiben fo beute roie er ihr Schweigen, hielt 
er für unmöglich. SBie roar bie SBafevbeit 51 t ermitteln? SBie tiefe ficb 



396 


IR. Beerel in ^irfd^berg. 


— wenn irgenb noch möglich — bet erfehnte SluSgleidj ^er beifügten? ©aS 
war es, worüber et grübelte. Sollte er fe<h birect an fte wenben, ober 
fotlte er bie ©räfin um ihre Vermittelung bitten? 3 U bem ©öfteren 
brängte ihn SBunfch unb Verlangen beS eigenen &erjenS, ju bem Sefeteren 
rietf) bic gurdjt oor einem SDUfeerfolge. ©arüber wollte er ft<h noch einmal 
mit ber ©räfin, bie feh ibm als warnte unb oerftänbige greunbin erroiefen, 
berat hen, e^e erfich feft entfliehen, ©r liefe fie um eine Unterrebung 
bitten — man melbete ihm, bafe fie ausgefahren fei, unb bafe man ihr 
feine Vitte halb nach ihrer 9fü<ffef)r auSrichten werbe. — 

®ie ©räfin war nach bem SBa^n^ofe gefahren, um ben anfcmmenbcn 
Bug ju erwarten. 22a8 fie bahin geführt hatte, war baS Verlangen, baS 
ben Keinen Vedfmer erfüllt, wenn er bie IJJrobe ju bem ihm aufgegebenen 
©yempel anftellt, um ju fehen, ob er ridjtig geregnet habe. $atte fie 
bei ber oorliegenben Aufgabe richtig gerechnet, bann mufete grau 9lmtSri<hter 
©ruft bem non Jtorben hetanfommenben Buge entfteigen — es war bet 
erfte, ben fie überhaupt ju erreichen oermo<hte, wenn fte fofort nadh @m* 
pfang ber ©epefdje abgereift war unb bie 9ta<ht ju $ilfe genommen hatte* 
2Rit mathematifdher ©ewifeheit liefe fich — wie aus ber Schnelligkeit beS 
©ifenbabnjugeS bie ihn treibenbe ©ampffraft — au« ber aufgemenbeten 
©ile bie Stärfe oon ©rnaS Siebe ermeffen. — 2Bar eS ber Triumph über 
baS nötige gacit ber ^Rechnung, ober war eS noch ein 9teft ber jählings 
gebämmten ©luth, was bie Sßangen ber ©räfin rötbete, unb ein eigen* 
tbümlicheS Säbeln — oielleicbt ein ißaiHeron’fcheS — über ihr fchöneS 
Slntlife gleiten tiefe, als eine etwas bleiche ©ame oon fcfelanler ©eftalt unb 
gefälligem Sleufeern in fchlichter, aber gefdimacfooHer fReifetoilette bem tarnen* 
coupö entflieg unb — nicht ohne eine gewiffe Verlegenheit — einen ®e* 
pädträger herbeiwinfte. 

„ftrau 2lmtSridjter ©mft?" fragte bie ©räfin, an fte hetantretenb, 
unb als bie ©ame bejahte, ftettte auch fee R<h ifet oor, lub fie ein, in 
ihrem 2Bagen ißlafc ju nehmen, unb befahl bem Wiener, für baS ©epäd 
Sorge ju tragen. Sßährenb bie beiben ©amen bem Schlöffe entgegenfuhren, 
benufcte bie ©räfin bie furjgemeffene Beit/ um @ma oon 3Wem ju unter* 
richten, was ihr ju wiffen nötJ>ig war. 

„Sie werben," fdjlofe fee, als ber SBagen bereits burch baS fßortai 
in ben Vorhof rollte, „Sie werben oermuthlicfe erft etwas auSruhen, ben 
IReifeftaub oon ben Kleibern fcfjütteln, oieHeicht etwas ©oitette machen 
wollen." — @S war wieber nur eine fjjrobe auf baS ©pempel, unb auch 
hier ftimmte bie ^Rechnung; benn grau '©rna erwiberte böfliä), aber 
beftimmt: 

„Verjeihung, grau ©räfin! StidjtS oon aHebem! 2ßo ifl baS Büunter 
meines ©atten?" — 

©betharb hatte baS SRoHen ber fRäber gehört, unb erwartete, als eS 
halb barauf bei ihm Köpfte, bie ©räfin eintreten ju fehen. 8ber was 


<9ät)cen Hären. 


397 


roar baS? Stieb ber nedfifd^e Äobotb roieber fein Spiel, bet ihm fo oft 
bie beiben ©rfdbehtungen, ©rnaS unb bie ber ©täfln, burdjeinanber gewirrt 
batte? Slein! bieSmal roar eS begtüdenbe 2ßirfli<bEeit. 

„©nta!" rief er, im BoQgefübl ber gteube ibr beibe Strme entgegen« 
ftredenb. 

„©berbarb!" flang es jroifdben Rubeln unb Sdbludhjen, unb in feliger 
Umarmung fetten fte fi<b innig umfdjlungen. — 

Seit unb Slaum »erfanfen not ihnen, unb baS alte Sprichwort be= 
roabrbeitete ft<b: Äeine Siebe ift gröber als bie roieberfebrenbe. Ser Sag 
roar längft p SRüfte gegangen — fie batten es nicht gemerft, bis enblidj 
ein Siener mit brennenber Sampe erfdbien unb jugleidb einen an ©berbarb 
abreffirten Brief überbradbte, ber gleichzeitig mit ©rna angelangt roar. 

„Bom ^auptmann," fagte ©berbarb, als er bie ^anbfdjrift erblidte. 
„2BaS meinfl Su," fuhr er lädbetnb fort, „ob i<b ibn ungelefen bem geuer 
überantworte?" 

„Stein ! Su bift es bem greunbe fdfjulbig, ju bören, roaS er Sir 

Jagt" 

©berbarb entfernte ben Umfdfilag unb las. 

„Ser ©ute!" fpradb er »oll inniger -Rührung, „aber er fagt mir 
nichts SleueS mehr," unb er jcblattg feinen Slrm um ©rnaS Staden unb 
brücfte einen feigen Äufj auf ihre Sippen. — 

©rna batte bie ©inlabung ber ©räfin, an ihrem SJtable tbeiljunebmen, 
böflidbft abgelebnt. Sie wollte bei ihrem ©atten bleiben, unb bie ©räfin 
forgte bafür, bafj baS 3'«tmer für fie fo wohnlich als möglich bergericbtet 
rourbe. Unb roäbrenb bie Beiben, bie ftcb felbft unb bie (ich gegenfeitig 
nriebergefunben, ftch fo unenblidb tuet unb immer nodb nidbt genug ju er« 
jäblen batten, faxten im Salon ber ©raf unb bie ©räfin fdbroeigenb bei 
einanber. Ser ©raf rauchte, im Fauteuil jurüdgetebnt, eine eble Havanna, 
unb blätterte, roäbrenb er ben Staudb mit ftdbtlidbem Behagen in bie Suft 
blieS, in ben mit ber lebten HJofl angefommenen Briefen unb Rettungen, 
bie »or ihm auSgebreitet tagen. Sie ©räfin batte ihren Seffet etwas 
weiter jurücfgef (hoben unb eine ^anbarbeit »orgenommen. Slber fie arbeitete 
nidbt — bie £änbe hingen fdblaff in ben Sdboofe hinab, unb bie Slugen 
blidten ftnnenb in unbeftimmte gerne. SaS Stotb auf ben SBangen 
war jefct nur ber SBiberfdbein bes bunfelrotben SampenfdbirmeS — fonft 
waten fie bleidb wie bie Sippen, in benen fidb mandbmal ein leifeS Buden 
»errietb. Sie fonft fo elaftifdbe ©eftalt ber fdbönen grau war in fi<b ju« 
fammengefunfen unb jeugte »on 3C6fpannung unb SJtübigfeit. ©S war bie 
Steaction auf bie feelifdbe ©rregung ber lebten SBodben unb Sage unb bie 
golge beS SluSbliclS in eine nun um fo über erfdbeinenbe Bufunft. Sie 
roar eine energifcbe grau unb roufete, bag fte auch bas überroinben roürbe; 
aber — baS ©nbjiet roar bodb nur ©ntfagung. — 



398 


m. Seerel in E}irfd)frerg. 


(Sie raffte ft cf) enbticfe jufammen uttb brach baS ©dbroeigen. 

„$tau Amtsrichter ©mft ift ^eute attgefommen." 

„$ab’S bereits gebärt — b«* — jebenfaHS, um ihren -Kamt ob* 
jubofen. greue mich, bafe biefe — b m — fatale Affaire enblid& einmal 
ju ©ube gebt. ©ergleicfeen wirb unbequem für beibe Steile. £m — 
pardon, gelice, wenn idb neutidb etwas fdfjarf geroefen! Siebe nun einmat 
biefeS Vermengen mit ber populace nicht." 
gelice war entfett über biefeS SBort. 

„§tn, AuSbrurf oietteidit etwas hart — n’importe! ©iefe Seute — 
bm, fonfi oietfeüfet ganj braue 3Jtenf<ben, paffen nun einmal nidfjt ju uns, 
ebenfo wenig wie wir ju ihnen, ßm, anbere Anfcfeauungen, anbere ©e= 
roobnbeiten, anberer ©efidhtsfreis — b m / liebe baS Vermengen nicht — am 
beften unter uns, ganj unter uns!" 

©ie ©rdfin fcfewieg — was foSte fte fagen, wo bis Anficfften fo weit 
auSeinanbergingen? 

Aacfe einiger 3«it begann ber ©raf wieber: 

„$m, weifet ©u, gelice, i<b meine, bafe genug fei« 5 unb feergebanft; 
rnödbte nicht gern wieber uon uorn anfangen, empfang ber grau — bann 
ber Abfdhieb u. f. w. — liebe bergleidhen nidht unb will ber (Sadbe aus bem 
2öege geben. |>m, werbe ein paar geilen fdfjreiben unb bebauem, bafe 
wichtige ©efdhäfte tnidh fdhleunigft abrufen. 3ft — b m — feine Süge. 
fetter egott labet mich bringenb jur eröffnung ber ©emSjagb nadh ©teier= 
marf ein. $m, ja, fo wirb’S geben!" 

Unb ba gelice nodh immer fdhwieg, griff er unwillig nadh bet Klinget 
unb befahl in feettifhcm ©one bem eintretenben Äammerbiener: 

„©barleS! 33erreife morgen früh mit ©dfmelljug — redjtjeitig werfen 
— baS ©epärf feeut fdhon in Drbnung bringen — »or Allem gagbjeug — 
uerftebt fidh für hohe gagb!" 

©barleS uerbeugte fidh flumm unb begab rufe an bie Ausführung ber 
erhaltenen befehle, wäbrenb ber ©raf fidh roieber bem ©tubium ber 
3«tungen juroanbte. ©ann fdhrieb er ein futjeS, förmlidheS, ein paar 
nidhtsfagenbe StebenSarten entbaltenbeS SSiHet an ,,©r. SBofelgeboren ben 
$errn Amtsrichter Dr. ©ruft", baS biefem im Saufe beS nächfien 3$ors 
mittags übergeben werben foHte, unb in ber $rübe beS SDtorgenS reifte 
er ab. — 

©rna machte ber ©räfin ihren Sefuch unb würbe uon ihr freunblidh 
aufgenommen; aber — allem nodh fo lebhaften ©anfgefübl jum ©rofc — 
fie fonnten nidht redjt warm miteinanber werben. ©8 ftanb etroaS jwifdhen 
ihnen; roaS es war, fam ihnen nicht ju uoHem Sewufetfein, aber fte uer- 
mohten eS bodh nicht ju bannen. 

©ie ©räfin batte baS Verlangen, allein ju fein, ©ie griff nadh ber 
'Biicfefe, fuhr in ben 25>atb hinaus unb liefe bie armen 9iefee entgelten, roaS 
ifer felber ben ^rieben ftörte. 


(Säuren fyilft Hären. 


399 


©rnaS Sage mar eine peinliche, erft redjt aber bie ©berharbs, ber 
überbies cor [einer grau PerfZmeigen muhte, maS er ifjr aufrichtigen 
£erjenS fo gern gebeiZtet hätte unb boZ mit 3iüdfi(^t auf bie ©räfin niZt 
beizten burfte. @t beftilrmte ben Arjt mit Sitten, feiner Abreife, bie er 
unter allen Umftänben am näZften ®age anjutreten gebähte, niZtS mehr 
im ben 2Beg ju [teilen. ®er Arjt fZüttelte einmal über baS anbere 
bebenfüZ baS ßaupt, erhob ©inmenbungen aller Art, hantirte mit Sßemt 
unb Aber unb Dbgleidj tc., muhte fiZ aber boch ben beftimmten ©rflärungen 
©berharbs gegenüber ju 3«fleftänbniffen »erftehen unb gab enbli<h — an* 
[<heinenb fZmeren £etjens — feine ©inroiHigung unter ber Sebingung, bah 
»or ber SiüdEehr in bie Heimat noZ einige $eit auf einer groifZenftation, 
fei es in SBilbbab ober in ber @Zmarjmalb=,gbt)ße Allerheiligen, 3taft ge« 
macht merbe. 

®er SBagen ftanb jur Abfahrt bereit, unb bie &änbe mürben jum 
AbfZieb gefdjüttelt. 

„StoZmalS märmften, innigften ®anf!" fpraZ bie ©räfin, als fie 
einen Augenblick lang mit ©berharb allein mar. „®aS Sehen, bas ©ie 
mir gerettet, hot mir bisher menig greube gebraut; aber idj nerfpreZe 
3Z nen / bah iZ oerfudjen miß, es fortan menigftenS für Anbere nubbar ju 
machen. Vetjeihen ©io off bas Seib, baS ich ghnen oerurfadht, unb benfen 
©ie freunblich an biefeS $auS jurüd unb freunbliZ — recht freunbliZ — 
au — gelice!" 

„Stein! nein, grau ©räfin! — nicht Sie mir — gfmen — immer 
unb aßejeit miß i<h bejfen eingebenf fein — ghnen hob’ i<h mehr als mein 
Sehen ju banfen. Sring’S ghnen felber ©lüd, roaS ©ie an mir getljan 
haben — ©lüd, recht oiet ©lüd!" 

Unb er fühte ihr marm unb herjlidj bie ^anb, mährenb ihr Spänen 
über bie SBangen roßten. 

@ma mar hmjußetreten. ®ie ©räfin überreizte ihr einen ©trauh 
herrliZ buftenber Stofen. 

„£aben ©ie ®anf, grau ©räfin, für biefe SlüthenpraZt unb mehr 
noZ für baS ©lüd, baS ©ie mir oerheihen unb roaljr gemaZt haben!" 

„Stun, mar’S ein ©lüd," ermiberte bie ©räfin, „fo begtüden ©ie auZ 
ihn — er rerbient’S — unb — " 

©ie trat biZt an fte h^an unb fagte ihr einige SBorte leife in’S Dh r - 

©ma erröthete unter HebliZem Säbeln unb fprang, ihre Verlegenheit 
ju bergen, rafZ in ben SBagen, mährenb ber ®iener ©berharb naZbalf. 
©in Sßin! ber ©räfin, unb bie ^ßferbe jogen an. 

„Auf SBieberfehen!" 

„Auf SBieberfehen!" 

®ie ®üZer flatterten in bet Suft — ber SBagen entfZmanb ben 
Sliden ber ©räfin. 



400 


ITC. 23eerel in fjirfdfberg. 


„Unb ba« nennt man Seben!" fprach fie tcifc not fich bin unb preßte 
bie £anb um ba« »on SCbränen befeuchtete ®udj. — 

„SBeißt ®u?" fprarf) ©ma, als fte in ber Haren, etfriföenben 
&erbflluft burch fonnenbeglänjte Sanbfchaft jnnfdben tannenbemalbeten iBergen 
babinfubren, „mir ift eS, als ob mir beut erfi unfere £o<hieitSreife an* 
träten, unb," fuhr fte fort, inbem fte ft<b järtlid) an ibn fdjmiegte, „beut 
iff« noch fdjöner als barnat«, wo mir, un« fetber noch fremb, in eine un* 
gemiffe 3ufunft htaauSfteuerten. ©rinnerft ®u ®i<h no<b jene« 3lbenbS 
unb wa« ich ®tr bantal« nerfpredjen mußte? #ier meine £anb baraüf, 
ich hohe SBort gehalten, unb beute leifte ich ®ir noch einmal freiwillig ben 
Schwur!" 

„Unb ich ®ir!" entgegnete ©berbarb, inbem er Tie warm an fein 
ßerj fdjloß. 

„3®/ ba« mußt ®u au<b," rief fte, nedifch fi<h feinen Sitmen ent* 
winbenb, „benn weißt ®u, mär’ ich auch nur bolb fo eiferffidjtig wie 
®u — bie fcßöne ©räfin hätte mir bodj ben Ifopf etwa« warm gemacht." 

3wei SBocßen fpäter langten fte — ©berbarb förperlüb unb geiflig 
oöHig genefen — in ihrem §eim an, ba« ihnen noch niemals ootber fo 
traut unb behaglich etfdhienen war wie jeßt. 

Gnta« ©Item, bie noch auf ihrem Sanbftfce weilten, butten, non ben 
©rlebnijfen ber ßinber fo weit wie nötbtg oerftänbigt, ein hetjlidhe« 33e* 
grüßungStelegramm gefenbet, unb auf bem ®if<be prangte ein Äorb ooH 
ber herrlichßen Slumen, ben ber hauptmann gefdjidt. 

„9BaS rneinft ®u," fprach ©berbarb, „möchten wir ihn nicht bitten, 
heut äbenb unfer ©aft ju fein?" 

©rtta brohte mit bem Ringer. 

„©« ifl mein ooHfter, aufrichtigfter ©raft." 

„®u guter, liebet ©ber!" unb fte legte ihre $änbe auf feine Schultern 
unb ftrecfte ihm ihr rouge« 9JIünbchen jum Äuffe entgegen. 

„Unb bie ©räfin?" fügte fte bann ßhetmifch lachenb hwju. — 

©in $abr war »ergangen — ein $abr inniger, beglichet ©enteinfcbaft 
jwifchen ©berbarb unb ©raa. 

Stuf Um* unb Irrwegen waren fte junt »otlften ©innerftänbniß 
gelangt. ®ie Siebe war eS, bie fte gelehrt butte, ftch gegenfeitig ju »er* 
fteben, unb ba üe fich wirtlich fudjten, butten fte ftch auch wirtlich 
gefunben. ©berbarb hotte freubig feine ^Berufsarbeit wieber aufgenommen; 
aber er ging nicht in ihr auf, fonbem warb erft recht anregenb unb an* 
geregt, fobalb er bie 2lcten au« ber £anb gelegt butte. Gr gab ftch 9Rühe, 
ftch unb feiner grau ba« traute -lieft — wie er fich auSbrücfte — recbt 
warm unb behag(icf) ju utadjen, ohne baß fte babei ju ^auSunten würben 
ober fid) abfdjloffen gegen ba«, ma« braußen be« 2luffuchen« werth war. 
©ma« ©Item, ber ^auptmann unb ein ganj Heiner Ärei« lieber greunbe 
waren oft unb gern gefehene ©äfte, unb mitten in trauliche« ©eplauber 


<SäI)ten fjtlft fläten. 

nrie in leibenfdliaftlicben fDMnungäftreit hinein fang ber .§auptmann au«* 
gelaff ener benn ie feine luftigen ©djnaberbüpfetn. 

©nta batte bie ^reuben be« Kaufes fennen unb fdSjäfcen gelernt unb 
uerjidjtete gern auf bie grofjen raufdbenben gefte, offne bie fte früher nidfjt 
leben ju fönnen »ermeinte. SOon ©ift unb ©eifer be« ftlatfdje« batte fte 
mehr als genug erfahren unb ntleb gern bie Stätten, wo er gebieb. 

Unb no<b etwa« botte fte »on ber großen ©efeHigleit fern gebalten, 
©er SBunfdb, ben ibr bie ©räftn beim 2tbfdjiebe teife in’« Dbr gepftert, 
mar in ©rfüUung gegangen. 

©8 follte beut ein Sobn getauft werben, unb bie ©räftn mar gebeten 
worben, fßatbin ju fein, ©ie batte ablebnen mliffen, weil fte ben ©rafen 
ni<bt »erlaffen wollte, ber in ffolge eine« ^agbunfall« auf ben ©ob lag; 
aber fie batte bem Keinen ffelip SSictor, wie er nadfi ibr unb bem #aupt* 
mann bie§, unb feinen ©Item bie wärmften ©egen«münf<be gefanbt. — 
©affir batte ©ma ihrem ©atten eine anbere Ueberrafdfjung bereitet: 
fte batte feine beiben ©dbweftem eingelaben uub führte fie ihm ftrablenben 
SlntlibeS ju, 'at« er ftcb eben jur geier ju rüfien begann. 

@8 mar ein Heiner, aber »on ©lfi<f unb $reube belebter Ärei«, ber 
nadb ber firdblidben £anbtung bie feftlidb gefdEimüdfte ©afel untfdblofj. 
©ommerjienratb ©itelmein hielt eine feiner fünften ©ifdbreben unb tranf 
auf ba« SBobl feine« erften ©nfel«, bem er bie fünwartfdbaft auf 33u<bau 
in bie SBiege legte. Unb bann erhob ftdfj ber $auptmann 



(Befdnr>ä£ öer Strafe. 

Pott 

<Öhip be JEiaupaffant. 

Ueberfe^t von Sigmar ZHefyring, öerlm. 


Sdjlenb’r id? 3 wt>etlen über’n Bouleratb, 

Damt hör’ i <h oft in fHflem (Stimm ein paar 
lUit 0rbensbänbd}en prtmfenbe (Sefialten 
Sidf ffif*ge 3 terten Eädjelns unterhalten. 


2lk\ Sie ba! 


l&tt €ine: 

$*er Slnbere: 
IDelch’ ein §nfaül 


Wtt dEine: 

ttnn roie geht’s ? 


^er Slnbere: 
So, fol Unb 3*l nen? 

l&tt €ine: 
Daniel 


3ßjer Slnbere: 

prädft’ges IDetterl 


®et «Eine: 

€in fdjötter Sommer wirb es, wenn es jtets 
So bleibt 

3&er Slnbere: 

0 ja. 

3&er €ine: 

3<h reife halb. — ’s ijl netter 

2Jnf meinem (Snt. 

Wtt Slnbere: 

3et$t fommt bie Heifeseit! 


(ßefdjwäfe ber Straße. 


^03 


!$zz *Etne: 

3a, ja. IKetn ^lieber ift nodj gar nidjt weit. 
Der trocf ne Boben madjt’s. Unb falte Hädfte. 


Wtz Sfnbere: 
Uprill — IDie j fclj’n bie pfirftye? 


Sie werben gut. 


Wtt €ine: 

3 <*? bädjte, 

3£er Sfnbere: 

Hidjts Heues? 

3£et <£tne: 

Hein. 


Die (öattin moty? 


S&er Sfnbere: 

’s ift grenlidj! 

T$zz €ine: 

€in bißdjen Schnupfen. 


l&zz Sfnbere: 

2ldjl 

Das liegt fo in ber £uft jefct. Salj’n Sie neulid} 
Das Stücf Pon IHadjin? 


Clne: 

3(t was bran? 


l&tt Sfnbere: 

Ha, — fdjwadjl 

€s ift nidjt flott im Stil unb roll Bombaftes, 

’s ift fein Sarboul Der fann’sl 
IBtt €lne: 

3a, ja, ber fann’sl 

3&er Sfnbere: 

IKadjin ift piel ju tief. <Jür Büdjer paßt es, 

Da fdjabet nidjt poet’fdjer <$irlefan 3 . 

Uflein bas Drama muß perftänblidj bleiben. 

®er €tne: 

3d? lobe mir $enillet. Der weiß jn f Treiben l 
Dodf Ijalt’ id? nidjts porn neuen tfunjtgefdjmier. 

Das piefe £efen will mir audj nidjt bienen, 

§um geitoertreib genügt bie Leitung mir. 

^er Sfnbere: 

Unb fdjone IDeiberl 

( Sie ner 3 ielj’n bie UTienen 

tüie 3^manb, ber fein £after fredj gefielt. ) 

3&er Sfnbere: 

Unb ein ITteim . . . 


«oA ltstb 6Äb. XCfl. 276. 


IBtt <£tne: 

3<fj f^alte auf Diätl 


27 



(Sn? be nXaupaffant. Deutfdf von Sigmar inelirlng*Berlin. 

3&er SEnbere: 

Die politif madft 3tjnen tto d} Dergnügen? 

€ine: 

3a woty! 3«i? i?ab' nodf immer mein Ittanbat. 

TOtt Änbete: 

Std? fo bem Dienft bes Staatsmofyls ein 3 ttfügen, 

3ft eine eble Sadje, in ber <D*at. 

EDir traben jetjt gebieg'ne Hebner fifeen 
3m Parlament. 

TOet Cine: 

(Sebieg’ne l gweifeüos ! 

^et SEnbtre: 

(Triers nnb <£ljangamier, — bie waren groß! 

EDas galten Sie t>on gola? 

^et €int: 

ttidjts als pfüßenl 

®et SEnbete: 

Unb wo man tynftety, giebt es Haub nnb HTorb. 

HTan tjSrt oon £ug unb (trug unb Hdnfefdjmieben. 

Keine UTorall Unb fein ^amüienf rieben! 

EDo foITs hinaus? 

^et «Cine: 

(Sott weiß! — Hun muß idf fort. 
l&tt SEnbew: 

EOotTn Sie ber werden (ßattin midj empfehlen l . 

Cine: 

DanfI Bitte, 3fyrer werten ^reunbin midf! 

Ubieu! 

l&tt SEnbere: 

Ubieu ! 

Unb fte entfernen fxdj. 

Unb priejter geben biefem D3If djen Seelen l 
Unb prebigen: UIT anberem (SewHrm 
geig’ ftdj ber JTtenfd} fdjon baburdj überlegen. 

Daß ftdj ert^ab’ne (Ertebe in itjm regen 
Unb eble Denfart ftegfjaft oorwärts ftürm’l 

Uüein fo lang bie EDelt nodj bangt am Ulten, 

EDirb bie Befd?ränftt|eit 3 äfye ftd? erhalten. 

Unb wenn man ETtenfd} unb Diefy 3 ur IDaty mtr jeigt, 

— Sdjmanf aud? mein Ejet3> — Demunft wirb fdjneü entfdjetben. 
ED er fragt nodj, ob fte üorjietf t>on ben beiben 
Den <£fel, ber ba lärmt, t>or bem, ber fdjwetgt?! 





3lluftrirte Bibliographie. 


$cinri$ äetoe. 2lu8 feinem fieben uub aus feiner 3«*t- ,25on ®uftoö 
ffiarpeleB. ßeipjig, S?erlag non Slbolf £ifce. .1899. 



$eittrld) feilte, ©ejeidjnet bon Xon# Sofyamtot 1837. 
HuS:-®. Äarpetc«: „fcetnrid) $eine*. ßttyjig, Hb. $ifce. 


2118 eine ©rgängung gu 
ben borhanbenen ßebenS* 
befdjretbungen be8 £ichter$, 
ber tote fein 2Inberer unter 
bent leibenfchaftlicben streite’ 
ber Parteien bat leiben unb 
für feine menfdjlichen 
©djtoädjen aut h mit einer 
©ittbufee an litterartfcfier 
Deputation bat bellen 
müffen, beffen poetifdje 
ßebenSfraft aber fein ge* 
bäffiger uub fein gerechter 
Xabel ttegiren unb aug= 
löfeben fann, bietet ber be= 
fannte £itterarbiftorifer, ber 
fid) bie §eineforfdjung gur 
ßebenSaufgabe geftellt, in 
bem borliegenbeit 23udje. 
Deben ber überaus billigen 
unb habet gut auSgeftatteten 
§eine=2lu8gabe, burd) toeldje 
bie £>eutfcbe 25erlag8=2lnftalt 
ben dichter ben toeiteften 
Greifen gugänglicb gemacht 
hat — ber befte unb fd^önfte 
©rfafc für ba8 bem ©dnger 
ber „ßoreleb" auf beutfdjem 
©oben noch berfagte „$)enf* 
mal" — ift ba8 Such bon 
tarpeleS bie fdjönfte litte* 
rarifcbe ©abe, toelche man 
ben üDanen be8 biefbefeh» 
beten Sßoeten gu feinem an» 
geblichen 100. ©eburtatagc 
getoeiht hat. „Dicht um 
ba$ SBüchergebränge gu ber* 


27 * 



Horb unb 5 üb. 


V)6 

meßren,* bemerft ÄarpeleS im ©ortoorte, „ßabe icß 2flleS, maS id) in beit lefcten 
gtoölf Saßreit gefcßrieben, in biefem ©ucße gefammelt, fonbern icß befolge bamit beu 
befthranten 3i°ccf, bem id) nunmeßr feit breißtg Saßren einen großen Xßeil meiner 
Lebensarbeit getoeifjt habe: bie (Sinficßt in bie menfdtftcße unb bidjterifdjc ©cbeutung feines 
gu forbem unb gu ßebett/ 3Mefe ©ntftcßung beS ©ucßeS macht ft<h tooßt fotntlfcß. 9flan 
empfängt fertiger ben (Sinbrud eine» öößig in fteß organifcß gefdtfoffaten, als öielmeßr 
eines bureß eine 3lneinanberreißung einer 2lngaßl urfbrünglicß felbftftänbiger Xßeile ent- 



£eliirid) Äjeine. 

ÄngeMicf) aejeiebnet Don 3- &. 2B. Xifc^beiit 1826 ober 1828. 
Uu8: (9. ÄarpeleS: „.§einrlc$ Seine". Seidig, »b. Xi*e. 


ßanbenen (Sangen. Ser ©erfaffer felbft bemerk baß, toaS er gu feßilbern berfueßt habe, 
„nur einzelne «Begießungen unb ©eficßtSpunfte feien, bon benen aus man baS Leben beS 
SicßterS betrachten fann unb muß." Liber fie feßeinen ißm mit Riecht als bie totcßtigfteu, 
„toeil man üon ber §öße aus, auf bie fte uns führen, eine freie ileberficßt getoinnt unb 
baS Söilb beS Cannes fo gleidjfam mit einem ©liefe überfeßauen fann". ©ßronologifcß 
fcßlteßen fteß übrigens felbftrerftänblicß bie etngelnen Slbfcßnitte eng aneinanber, fo baß 
ber äußere 3«f fl *nnienßang nießt feßlt, unb man feines Leben — naeßbem mir in einem 


3Huftrirte Bibliographie. 4(07 

einleitenbcn Kapitel bie ©enealogie ber gamilien ©eine unb fcan (Selbem femten gelernt 
— in feinem gangen ©erlauf ber folgen fann. ßarpeleS befchränft fich im ©Sef entliehen 
barauf, uns baB Sehen ©eines unb ben SRenfchen gu fchilbern, unb in ©erbinbung 
bamit bie (SntftehungSgefcbidjte unb bie ©Sirfuug feiner ©Serie. eine äftfjetifc&e ©Sürbigung 
beifelben unb einbringenbe ©harafteriftil beS Richters fiel nicht in ben Nahmen feiner 
Aufgabe; unb too er bie ©ebeutung unb poetifdje (Eigenart eingelner ©Serie, toie ber 
3ietfebilber r in pellcS Sicht gu feiert für gtoecfmäfjig halt, bebient er fich gern ber ©Sorte 
©nberer. ©Sar hoch auch innerhalb ber ©rengen Des ©rbeitSfelbeS. auf toeldjeS er in 
biefem ©Serie fich befchränft, noch fo unenblich biel gu tpun. @inb hoch, tote über ben 
©hnrafter beS dichter» fo manche fcfjtoanlenbe unb oergerrte Urtpeile gu prüfen unb gu 



Mrnalie £einc. (1830.) 

«u8: &. ff artete 8: „$clntid& Seine." ßeipjifl, «b. fci$e. 

berichtigen fiitb, aud) in 23ejug auf ba8 äußere £eben feines fo biele ju löfett, 

Srrtbümer aufpbeefen, £egenben gu gerftören. ©rft naebbem in biefer SegiebUKg bie 
größtmögliche SJlarbeit geßßaffen, toirb bie 3 p it gefommen fein, un8 ein toir!licbe8, ab= 
fcbließenoes SBilb biefeS Di<f)terleben8, bie §eiue=®iograpf)ie gu befeßeren. Die ßierju 
rtbtfjige fritifcf)=potemifd)c Vorarbeit bat JtarpeleS in bem oorliegenben SSerfe geleiftet, ba6 
Don feinem Spürfimt, feinem Sammeleifer, feiner uitermüblicben Slufmerffamfeit, bie ftd» 
nid)t8, ma8 ®egug auf feinen gelben bat. entgehen läßt, rühmliches 3<«0i«'6 ablegt. Die 
3toeifel beginnen für ben ®tograpben §etne8 befamttlicb gleich am Slnfang. Die ftrittige 



408 


ZTorb unb 5nb. 


grage, iit toelcbem 3c$xt ©eine geboren, bringt auch StarpeleS noch W Seiner fntfcheibuiis; 
obwohl er, nacfjbem er Sie midjtigften deugntfTe für unb gegen bie betben tn 3?rage 
fommenben Sabre angeführt, baS 3abr 1899 als baS für bie fjeier beS 100. @eburt$= 
tage» ©eine» allein in ©etradjt fommenbe bezeichnet. 3u bem non ftatl (Srnil fyrango» 
in ber „Xeutfcbeit Dichtung" (üorn 1. Xecember 1899) oeröffentlübten unb inztotfehen aö 
0ebaratabbruc!(öerlin, ©oncorbia S)eutfcbe^erIagS»2tnftalt) erschienenen $uffafe: „§eine8 
(Geburtstag", in toelcbem ber Sfcrfaffer mit getoichtigen ©rünben für. bas Sah* 1797 
eintritt, toar StatpeleS Stellung zu nehmen natürlich noch nicht in ber Sage. — Starplc« 
bat feinen @toff in Pier Abteilungen — „Sucher" — gegliebert: I. Aus ber Sugenbjeit 



$eine*$ertfmal im Hdjiffeton <n»f ftorfii. ©on 2. $affelviit. 
Äu8: ©. ÄaruclcB: *$cinrid> $etne". Sdpjlg, Hb. $ifce. 


II. ßebr= unb jfikmbcriahre. III. 3ni @jil. IV. £ie ^acbtoelt. XaS erfte ©ud& bietet, 
nachbem mir im erften Kapitel beSfelben in ben „Abnenfaal" eingefübrt toorbeit, bie 
(Sdjtlberung Pon beS Richters §eimat unb frinbbeit; bie (kbarafterifiif feiner ©djmefter 
Charlotte, bie burch eilt fch’öneS 93ilbtti& berfelben nach einer 3«d)uung Pon (SiHp öern* 
beim ergänzt toirb, unb bie amiifante ©efcbidjte ctiter 9JiWionenerbfchaft, toeldje bie ftamilie 
§ehte unb ihre Skrtoanbten lange in Atbem erhielt, bis fie toie fo manche anberc p 
aöaffcr mürbe. 3n bem Kapitel über ßbarlotte §eine („ßotteben") erfahren mir noch 
bie Pon ihr bem Serfaffer mitgetbeilte intereffante Xpatfacbe, b ab ber Dtabbi boit ©accharach 
urfprünglich fein Xorfo, fonbern ba& er üollenbet gemefen unb erft burch ben großen 



3Uujtrtrte Bibliographie. 

©amburger Branb oom 3aPte 1842 gum Fragment getoorben. 3« bem erften ©apitel 
(„Ikpriapre) beS gtoeiten BucpeS toerben über Seinem erften Aufenthalt in ©amburg, übet 
ben toir bis jept fo toenig toiffen, bie üorpanbenen Bacpricpten gufammengefteUt. 3« beu 
folgenben ©apiteln toerben ©eines Begehungen gu einem 6cpüler uub Protege 2$raunparbt, 
au ©robbe, gu BP* @pitta, bem Dichter non „Sßfalter unb ©arfe", unb bem ben 25er* 
mittler gtoifepen Btfben fpielenben Abolf 5ßctrrS # ben ©eine mit Vorliebe gum Opfer feiner 
3^ftificirungSluft unb feine» 28ifceS madjte, fein feinbfeltgeS Berpältitifc gu üttafemaitn 
— über ben Alejanber bon ©umbolbt gang anberS als ber non perfönlicpen DJtotioen unb 
Antipathien beehijlufjte ©eine geurtpeilt fotoie in bem ©apitel „aftündpen" baS gu 
bloten unb Döttmger, ber ©eine in ber „©öS" in peftigfter SBeife angegriffen, beleuchtet 
Dann toirb ein ©apitef ber ttalienifcpen Steife unb ©eines italienifcher Beifebefcpreibung 
geiüibraet. Bacpbem bann noep ©eines Aufenthalt in BotSbant unb auf ©elgolanb mit 
ben hierbei in Betracht fommenben Berfönlicpfeiten, bor Allem ^rieberife Bobert, bem 
Stieglifc’fcpen ©hepciGT, SSilhelmine €xpröber=Debrient gefchilbeit, toirb im 15. ©apitel baS 
greunbfcpaftSoerhältnife gtotfepen ©eine unb 3ntmermann gum erften 2Me im Hufammen* 
hange bargeftellt — 3ut britten Buch folgen toir bem Dichter in'S ©pL DiefeS 
©Stl ift, toie ftaipeleS in fdjarfer AuSeinaitberfepung mit Dreitfcpfe naeptoeift, 
fehteStoegS ein freitoiÜigeS getoefen, ferner loirb bie Behauptung, ©eine höbe fiep in 
^ranfreiep naturaliftren laffen, als haltlos gurüefgetoiefen unb bie entipreepenbe feierliche 
©rtlärung ©eines als untotberlegt unb aus inneren toie äußeren ©tünben glaub* 
toürbig begeiepnet 3« ber ftrage beS „gropmütpigen AlmofenS", boS bie fraugöfifepe 
Nation bem beutfepen Dichter gefpenbet, fuept StarpeleS alles Bebenflicpe fort gu 
biSputiren. Dafc ©eine feine geber nicht bertauft, bariit mag manftarpeleS gern beiftimmen; 
immerhin muß er fetbft gugeben, baß ber Berbadjt, baß ber Dichter für baS begaplt tourbe, 
toaS er niept feprieb, eine Seitlang niept unberechtigt toar; unb toenn er auch biefen 23er* 
baept als hinfällig bezeichnet, fo fann er boep ben ©inbruef niept bertoifepen, baß eine gum 
minbeften getoiffe geiftige Unfreiheit unb ©ebunbenpeit bie natürliche golge btefeS „AtmofenS" 
getoefen. 3n bem früheren päßliepen £icpte toirb biefeS 0tipenbiatenberpältniß ©eines 
peute bon borurtpeils* unb Ieibenfcpaft&toS prüfenben ©eiftern jeboep niept mepr aitgcfepen 
toerben. Bon bebeutenben Berfönlicpfeiten, berett Berpältntß gu ©eine in biefem Abfcpnitt 
ausführlich erörtert toerben, ftnb peroorgupebett bon Deutfcpen: ©pamiffo, ©ebbel, Bicparb 
SSagner, gerbinanb ßaffalle ; bon fjrangofen bie brei ©iftorifer Btignet, DpierS, ©uigot, 
ferner ©eorge 0anb, — pier ift ber Bericht ßaubeS über ben Befucp, ben er mit ©eine 
bei ber Dichterin maepte, intereffant unb toertpboU — SJiuffet, A. Dumas. 3n bem 
©apitel „Bon ber aflattaßengruft" ift baS pier mitgetpeilte ppilofoppifepe ©efprädj ©eines 
mit bem ipn befuepenben 0opn unb bem ©ttfel $icpteS, mit toelcpen ber traute Dichter 
fiep über 0eelenfortbauer unb beren Sufammenhaiig mit bem ©otteSgfauben unterhielt, 
toiepttg. — 3c ein ooflftänbigeS ©apitel toirb bem ©Ifaffer Alejanber 23eill, beffen 
„Souvenirs intimes de Henri Heine“ (1888) fritifcp beleuchtet toerben, unb ber rätpfel* 
ooflen, romanhaften Berfönlicpfett ber „Bfoucpe", oon ber ein teineStoegS berfüprerifcpeS 
Bilbniß peigefügt ift, getoibmet; toobei bie auf bie 2Jtoucpe begüglicpen Briefe 3JieißnerS 
beacptenStoertp ftnb. 3n einem attberen ©apitel giept bie Aeipe ber in geringerem 2Jia6e 
pier in 23etracpt fommenben Berfönlicpfeiten: 28. 3)Mer ü. ^önigStomter, ©einriep Born* 
fiein, Baganini, 3cnnp ßhtb, an uns oorüber. — Das feierte Buch enthält bie lange oer* 
fcpollen getoefene ©rabrebe, bie ©einriep £aube naep bem angeblichen Dobe ©eines im 
Auguft 1846 auf gefegt, ein ©apitel über bie „©eine^BortraitS" unb eines über bie 
Denfmalfrage. — 

28aS ber Berfaffer in feinem Bucpe an neuem Material gebracht, toaS er in ber 
Aufflärung oon 3rrtpümern, gälfepungen, itt ber 3urücftoeifung oon unbetoiefenen mtb 
unbegrünbäen Annahmen, bie tropbem faft bogmatifepe ©eltuug erlangt, geleiftet, berbient 
bie toärmfte Anerfennung. Unb toenn er au<p in ber toarmen 23egeifterung für feinen 
©eiben, opne für beffen menfcplicpe 6cptoäcpeit burcpauS blinb gu fein, bwp ipn überall gu 
entlüften, gu entfchulbigen allgu befliffen fein mag, fo ift eS boep eben biefe Begeifterung, 
aus ber allein ein Buch toie baS üorliegenbe perüorgepen fann. Bur bem liebeooUften 
©ifer ift g. B. bie ©erbeifepaffung biefes BilbermaterialS möglich getoefen. Auper ben 
gaplreicpen ©eine*25ilbniffen, oon benen baS nach bem ©emälbe oon SBorip Oppenheimer 
in ©eliograoüre als Ditelbilb baS 23ucp fcpmücft, finben toir in fötrpeleS’ 23u<p auch ein Bilb 
oon ©eines ©rofeoater ©ottfcpalf ban ©elbem (t 12. October 1795) unb SofeppS üan 
©elbem (t 25. April 1796), eines BruberS bon ©eines 3J2utter. 0ogar oon einem 



tTorb unb Sfib. 


4U> 

©ruber bon feines ©rofeüater, bem abenteuerluftigeu ©imon bau (Selbem bat ftarfceleS 
jtoei Socumente aus beffen 9teifetagebucb beigebradjt: „Amulett gegen ba$ Sieber* unb 
bie 9lbbilbung eiltet „©lobuS". Unter ben gablreicfeen ©ortraits fehlten natürlich auch 
nicht bie bon 2 lmalie unb Sftatbilbe §ehte: unb unter ben fechS ©eilagen fUü> nament* 
lieb bie brei banbfcferiftlicben Entwürfe bon Heinrich feilte toillfommen. — 

2lnSftattung unb Srud entfprechen bem Diufe, ben bte ©erlagShanblung ihren 
früheren ©ublicationeit berbanft. Ser Srucffeblertenfel bat ftd) erfreulicher 3arücfbaltung 
befliffen. — ©in paar Keine ©erf eben feien bezeichnet: ©. 37, 3- 2 u. 3 muß es an 
©teile bon „eins . . . baS, toelcbeS" — „einer . . . ber, toelcber* (auf ©tammbudtoerS 
bezogen) beifeen. Sluf ©. 76 muß es in bem „&eine*©itat" (©rabbeS ©otlanb betreffenb) 
ftatt „fiager" — „©agno" ber ©oefte beifeen. — 1 — . 


Btbliograpf}tfd?e Hotten. 


Sie einheitliche Ueheniauffaffung als 
Srunhlage für Mt foeiale Weit* 
gehurt» ©on & föeinbarbt, ©. S. 
m. Stuttgart unb ©afel, ßubolf 
©euft; ©. & ßenborff. 1899. 

Ser ©erfaffer toül eine neue, bon reli* 
giöfem (Seift getragene ©ocialetbif bieten, 
ju beren ©runblegung er umfangreiche 
metaphbfitebe unb religionSgefd)id)tlicbe 
©tubien anfteHt. Siefe bilben bett £>aupt* 
iitbalt beS ©krteS, bon bem ber ©erfaffer 
felbft fagt, bafe bie barin enttoicfelte ßebenS* 
auffaffung „für unfer gefammteS inneres 
unb äußeres Beben bextfelben llmfcbtouug 
berborrufen toill, toelcbeu StopernituS junädift 
nur in ber Slftronomie gebracht bat-" 29aS 
er borfdjlägt, ift für* SolgenbeS: „2ln bie 
©teile ber bualiftifchen, innerlich un= 
toabren, anti f * beibnif d^en unb mittelalterlid) 
ortboboEeu SÖeltanfcbauung mufe bie biblifefe* 
d)riftlid)e unb mobern*toiffeufd)aftlicfee, ein= 
beitlicbe ßebeitSauffaffung gefefct toerben, 
toeldje bon bem bribnifdien ©ötterbimmel 
unb bem fircblicfe überlieferten SeufeitS 
Nichts toeife, foitbem auf ©r beit baS Dteicfe 
©otteö ober bie §errfd)aft ber göttlichen 
sftatur* unb ©eifteSgefefce au bertoir fliehen 
fuefet.* Sie in biefem ©afee borgenommene 
©ruppirung ber ^eltanfcbanuugen biirfte 
trofc ber SluSfübrungen beS ©erfafferS febr 
anfed)tbar fein. SttSbefonbere toirb er ber 
ariecbifdjeit ©bilofopbie, bor 5lllem bem 
©latoniSntuS nicht gerecht, ben er tfjeiltoeife 
mit grimmigem £>affe befämpft. Oieinbarb 
bemüht fidj in erfter ßinie einen „ibealen 
2RoniSmuS unb SRonotbeiSmuS" als ridjtige 
SBeltanfcbauung *u ertoeifen : toie ber 
ÜJtoterialiSmuS toiffenfcbaftlid) unhaltbar ift, 
fo ift eS auch beffen „Ausgeburt", ber tut« 
perfönlicfee ©antbeiSmuS; nur ber bem 
menfdjUchen ©elbftbetoufetfein entfpreefeeube 
betoufetc unb coitfeqiteute ©nttoicfeluugS» 
gebaute fann bie äßahrbeit fein. Sie üftatur 
©otteS mufe fid) nach Oteinbarbt in gefefc* 


mäfeigem ©Serben bon ber Paffiben Materie 
*u bem in perfönlidjen Söefen gipfelnben 
Kosmos entmicfeln; bie ©Seit ift „bie ©elbft- 
bertoirflichuug beS perfönlicben 2luSftcbfeIbft= 
toerbens." ©on grofeer UeberjeugungSfraft 
finb bie SluSfübrungen über biefen ©ebanfen 
nicht; man oermifet bor Sittern eine ge= 
nügenbe ertenntnifetbeoretifche ©runblage. 
SBeit toertbbofler finb bie reIigionSgefcfeicf)t= 
lieben Slbfchnitte, in benen ber ©erfaffer 
ziemlich ausführlich bie toiefetigften ©ultur* 
religionen befpriebt. $ier finben fleh fo 
grünbliche unb anregenbe Unterfuchungen, 
bafe bentenbe ßefer bem ©uefe, mögm ftc 
feinem 3 nbalt fonft beiftimmm ober nicht, 
mand)e ©elcferung unb fjörberung berbanfen 
toerben. H. B. 

ttebcv familiäre drretthflege. ©on 
Dr. ^onrab 2 llt, Sirector unb ©hef= 
arjt ber ßaube&feeil* unb ©flegeanftalt 
Uchtfpringe (SHtmarf). — §aüe a. ©., 
©arl äRarbolb. 

SaS borliegenbe §eft 7/8 gehört 311 m 
II. ©anb ber bom ©erfaffer herausgegebenen 
©ammluitg gmanglofer 3lbbanblungm aus 
bem ©ebiete ber Serben* unb ©eifteStranf= 
beiten, ©ine georbnete unb öffentlid.e 
Srrenpflege begann mit bem 19. 3abr- 
bunbert, baS beSbalb in ber ©efchichte ber 
3rrenpflege als ein befonberS gefegnetes 
gepriefen locrben toirb. Sie ie^ige freie 
©cbanblung in ben mobemen beutichen 
3 nenanftalten ift 3 U einer großen ©olU 
tommenbeit gelangt, fo bafe bietburefe bie 
fogeitaitnte familiäre 3 *rcnpfeege ober turg* 
meg 3 *amilienpflege, toie fte in ©clgien unb 
©djottlanb febon feit langer 3 «t gebanb* 
habt toirb, bis jept in Seutfcfelanb noch 
nicht rcdjt bat ©oben getoinnen fönnen, 
unb hoch ift bie ?familiettpflege fo alt, toie 
bie ©eifteStrantbeit felbft. „Srrenärjtlich 
berfteht man lmter fjamiliettpflege nicht 
bie ©flege in ber eigenen Familie, fonbem 
bie Unterbringung eines ©eifteSfranfen 


Bibliograpfytfdje notigen. 


gegen angemeffene Vergütung in einer 
frcmben famiiie, toelcpe im Umgänge mit 
berartigen Sfranfen befonbere ©rfahritng 
nnb ©cfchicflichfeit befiel, meid* fid) ge* 
toiffermaßen berufsmäßig in ben SD ienft 
einer Slnftalt unb beS SmnargteS fteKi" 
$)er Sßerfaffer befjanbelt nach einer furgen 
Anleitung bie ©nttoicfelmtg unb ben Stanb 
ber familiären 3rrenbftege im SluSlanb fo* 
tote in $eutfd)lanb nnb erörtert gum Schluß 
bie gegen bie Weitere ©tnführung unb 2luS* 
Breitung ber familienpflege erhobenen Ve* 
beiden. S)er Verfaffer hält eS im &intoeiS 
auf bie gtoccfmäßige Vefjaublung unb 
billigere Verpflegung nirfjt nur im Sntereffe 
ber $franfen, fonbern auch ber (Steuerzahler 
geboten, bem genannten 3\mqt ber praftU 
fcljen Srrenförforge erhöhte Slufmerffamfeit 
unb Veachtung gugutoeitben, — eine 2luf* 
gäbe, bie bem neuen 3 afjrbuubert zufallen 
bärfte. 3US Anhang finb bie Vefthnmungen 
über bie Uchtfpringer familienpflege mit 
2 fßlanffiggen beige^eben. $en Schluß 
bilbet ein Vergeicpniß ber eintägigen 
Sitteratur. 3)ie Slbhanblung ift flar unb 
anregenb gefcßrieben unb recht IefenStoerth. 

K. 

Schmer t und ftvummftab* ftiftorifcßes 
Sdfjaufpiel in 5 2lufgiigen bon3ubrtbi 
©inarfon. 2luS bem $fteu*3Släubi* 
fchen bon ®arl £üd)ler. Verliu, 
©. ©bering. 

Sie SanfeSpfttdjt, bie .bie gefamntte 
©ermanentoelt ber altiSlänbifcpen Sitteratur, 
bie in bie 3<üt bon 1150—1400 fällt, ab* 
gutragen hat, erforbert, baß fid) bie feft* 
läitbifchen ©ermaneu auch mit ben neueren 
litterarifdjen ©rgeugniffeu beS flehten, auf 
toeltentlegener 3 nfä abgef djl off enen Volk 
djenS befdjäftigt. SDiefe ^fließt ift um fo 
angenehmer git erfüllen, toeitn fie, toie bei bem 
$rama ©inarfonS — bem erften bramatU 
fchen SSerfe 3$lanbs, baS in eine frembe 
Sprache übertragen toirb, — fich felbft 
reichlich belohnt 

freilich führt uns baS £>rama, baS 
Reh nt ber Ueberfefcung toie im Original* 
toerf tieft, in eine gang eigenartige, an* 
fänglich recht fottberbar anmuthenbe SSclt. 
m trägt uns auf mächtigem fyttttch in bas 
ferne 33lanb, berfefct uns in baS 3ahr 
1244 unb mitten in bie brutalen Kämpfe 
einzelner fich toütfjenb befehbenber dürften, 
beS SanbeS. Xhorolf, eine £agenfigur, 
toirb ermorbet, ein Spanne SblbeinS beS 
3nngen. fürchterliche Vlutradie foll ge= 
halten toerben, aber fein opfertoilligeS SSetb 
errettet ben bem £obe getoeihten fiirften 
Vranb. 


4U 

$a& $roma ftarrt bon OJtorb unb 
Vlut, manchmal fdjlägt eS burd) Rohheiten, 
bie in ber bargeftellten 3«* an ber $ageS* 
orbnng toaren, bem mobenteit ©mpfinben 
in’S ©efidjt. ©S ift aud) SlnfangS fchioer, 
fid) in ber SBirrniß ber frembfüngenben 
fd)toer auSgufpredjenben tarnen, ber Stenge 
ber auftretenben Verfonen zurecht zu Ritben. 
5lber trofc alle* unb allcbem toel)t aus bem 
2Berfe ein §audj beS gefuitben unb traft* 
botten Gebens, ber in ber 3 e ü beS SWbftU 
ciStnuS, beS SpmboliSmuS, ber feimterbig* 
feit unb ber „fußen äfläbel* hoppelt er= 
frifd)enb anmuthet. 

®ie ©haraftere finb mit betouuberungS* 
toürbiger 5hmft, mit fitappen, aber 5ltteS 
fagenben Strichen gezeichnet, bis bhtab zu 
ben fleinften Nebenfiguren. 3)aß fie aud) 
eigenartig fein muffen, ergiebt 3 «t uitb 
Ort ber ©aitblung zur ©enüge. Seiber 
geftattet ber tftaurn nidjt, Re einzeln t*tgu= 
Zählen. §erborgehoben feien nur bie beibeit 
frauengeftalten, bie fiirftin §elga, bie 
ftolge, herrfepeube, bie felbft aus ihrer Siebe 
ZU ^horolf unb aus ber Sucht, feinen £ob 
ZU rächen, lein £>ehl mad)t, unb bie fanfte 
fürftht 3 örun, bie heiß beit friebeit er* 
fehnt unb im Sutereffe ber Verfolgung 
bereit ift, fich für ihren ©atteu gu opfern. 
Sbieifterhaft ift auch ber Slufbau beS an 
gaublung reichen 2)ramaS. 3eber Slct 
toeift beöeutcitbe Momente auf, fo 3 . V. 
ber gtoeite, in bem ber uom ©hriftenthum 
üerjagte Dbiit bem Xhorolf ben nahen £ob 
berfünbet, ber britte, ba ber eben eingeläutete 
„©otteSfriebe" ben f ürfteu tolbein bor ber 
Uebermad)t feiner feinbe rettet, unb üor 
Slllern ber reich betoegte Sdhlußact. 

Seiber bürfte fich eine Vithne in ®eutfch- 
lanb zur Slufführuug beS bebeutenben 2BerfeS 
faum finben. £aS ift gu beflagen, aber 
nicht gu änberit. 2lber felbft als Vudj= 
brama ift „Scptoert unb ^rummftab" bon 
größter SSirfung. ©S geigt, baß au^ bie 
neusiSläubifd* ^Dramatif bollen Slnfprmh 
auf Vead)tung hat. L. S. 

®tne Seifeenfiftaft. Vornan bon ©pp. 
fünfte Auflage. Bresben, Heinrich 
Ntiuben. 

SDaS ift ein gang föftlidjeS Vuch. ©ine 
taufenbmal gehörte, faft raffinirt einfache 
©efchtdjte: 2 iUe f rau bott ©uelbre in jenes 
fritifdie Sllter tritt, bas alles föuifonnement 
unb alle fühle praftifche Ventunft berliert 
unb noch einmal, ein einziges 2 M mit 
frampfigem Vemüljen fich an bie 3ugettb 
Hämmert, ein 3 Jtal ben föftlichen freuben= 
bedier mit burftigen langen 3 ügen gu leeren, 
toie biefe fran natürlich barin untergeht, 



ttorb unb 5üb. 


*\2 

toetl ifjre Icfete ltitb erfte Siebe ©afjnfiun 
tft. Unb tote flein, tote erbärmlich fmb 
biefe hohlen Sftenfcfjen ber ©efeUfäaftl Xa8 
SWiebrigfte toiitbet in ihnen; biefe 2lbel8* 
menfchen flehen rein menfchiich unter bem 
9?uütJUiift. Unb bod)! 

Niemals hat ein etttyicfenber, fprüfiettber 
©eift mehr füfeen ©fjarme unb ©ragte auf 
folcbe Wtppefc gesoffen, niemals tändelte bie 
Seid)ttflfeit fo tounbcrüott einfach toie in 
biefent ©ud). Xie ©pp ift bie ibealfte 3tt* 
cantation beä grauzöfifdicn, lebenbig unb 
farbig toie ein fprühettbeä ftafetentoerf, Doll 
mühelofer ©legan* unb Vornehmheit, Doll 
naio begehrenber ©enußfitdit, niemals friDol, 
immer üon tängelnber Xrolerte, hufdjettben, 
zärtlichen ©etoeguitgen unb oft entgiiefenb 
!ecf, toeun fte behutfam bie eleganten 0chleier 
Dott ber fchmerglidtfteu ©unbe beeft. 

J. G-r. 

üelidfcte Dott £)8far ©ieiter. Xitel* 
iithographte bon 0tetner. ©erlin, 
(Schulter & Soeffler. 

Xa3 ©üdjletn ift Xetleb b. Siliencron 
in banfbarer Verehrung getoibmet. Ob e8 
toohl biefer liebeitötoürbige 3)leijter doc bem 
Xrucf gelefen haben mag? — ftaurnl 
@onft toütbc er jebenfalls an ben Verfaffer 
biefelben ©orte gerichtet haben, bie er „2ln 
meinen greunb, ben dichter* fchreibt; 
„flhtr für Xid) allein 1 aß Xetne „0ad)ett" 
oruden, Xagebücßer finb Xir bann, ©r* 
inneruugen Xeine Verfe; feufgenb magft 
Xu fte burdjblättern: Xaß bie 3ugenbtage 
Xtt fo eilig fdjtoanben. 216er — ©itelfeit, 
bie läßt ©uch nicht in 9luf)c, alle ©eit foll 
burchauS, foll unb muß erfahren, toelch ein 
„hehrer" 2Jtorb3ferl fold) ein Xtdfter ift." 


— Xie ©ebichte enthalten einiges §übfdje, 
g. ©. „©in Sonntag&Ueb" unb „Stein 
3Men", aber auch manches Unfertige, Un» 
Rare unb ©efdjmacflofe. 

©a$ benft ftdj ©err O. ©. unter 
„©eißer ßtebe", „©ctßer ©ottheit", „©eißeit 
©ünfehen"? - N. 

ffttö einem Ceben. ©ebidhte bonSHaji* 
milian Vern. grremblänbifche 0tnn* 
fpriiebe. Ötomanfragmente. ©erlitt, ©on* 
corbia Xeutfdje VerlagSanftalt. 

©ei ©üdjertt bon 2Jta£imilian ©ern tft 
man bor ieber nnangenebmen Ueberrafchung 
fnjjer. 27ton toeiß, baß biefer betoahrte, 
feinfühlenbe 0chriftftdler unb (Sammler 
nidjtS UnbebeuteiibeS unb UnfdjöneB beraub 
geben toirb. Sind) feine neue poettfehe ©abc 
beftätigt ben alten, guten Stuf. 0otoohl 
bie ©ebidjte als auch bie Stomanfragmente 
bieten ©erthbolleS unb fchlagen tiefe §ergeu§= 
töne an; bor Sittern aber enthalten bie frernb» 
länbifchen Sinnfprüche einen 0cfca& be* 
toährter SebenSloeiSheit. Xie reichhaltige 
(Sammlung umfaßt Uebertragungen aus 
17 0prachett unb fdjließt mit frauenfeinb* 
lidjen Sprüchen. Stur einige ©robeit: 
Spauifd): „©er’S ©lüd mdjt gu ent» 
pfangett berfteht, beflage fich nicht, toettn’S 
toeiter geht." — Stuffifch: „So ftolg bte 
©erge auch empor gum Fimmel ragen, bie 
©beiten finb’S bod), bie alle ©erge tragen." 

— Xänijd): „©ohl=geboren toiegt nicht 

fchtoer, toohl s ergogen fagt fdjott mehr, ©ohl* 
berheirathet ift biel. ©ohl=geftorben beißt: 
am 3ieli" — Slbefftttifcß: „0o unerfättlich 
toie ber ©uttfeh ift Stid)tS auf toeiter ©otteS* 
erbe; ben SJtagen füllt ein (Straußenei, bas 
Siuge feine Straußenheerbe." N. 


Eingegangene Bücher. Besprechung nach Auswahl der Redactlon Vorbehalten. 


Aua fremden Zungen. Zeitschrift für die 
moderne Erzählungslitteratur des Auslands. 
IX. Jahrgang. 1890. Heft 2*2-24. Stuttgart, 
Di • u tschc Ve rings - A n st alt. 

Bartels, Adolf, Die deutsche Dichtung der 
Gegenwart. Die Alten und die Jungen. 
Dritte verbessei te Auflage. Lei| zig, Eduard 
Avenarius. 

Birt, Theodor, Deutsche Wissenschaft im 
19. Jahrhundert. Eine Rede zur Jahrhundert- 
wende gehalten am 9. Januar 19u0 (Mar- 
bnrger akademische Reden 1900. Nr. 1.) 
Marburg, N. G. Elwert’.sehe Verlagsbuch- 
handlung. 

Blum, Hans, Lebenserinnerungen von Agnes 
Wallner. Berlin, Otto Elsner. 

Drachmann, Holger, Künstler-Herzen. Zwei 
Strandgeschiehten. Autorisirte Ueber- 
tia:ung aus dem Dänischen von M. phil. Carl 
Kiichler. (Bibliothek nordischer Meister-Er- 
zähler. Nr. 1.) Leipzig, (i. Miiller-Mann’sche 
Verlagsbuchhandlung. 


Fels, Gsell, Italien in 60 Tagen. (Meyers Reise- 
bllcher). Leipzig, Bibliographisches Institut 

Gutenberg-Büchlein. Zur fünfhundertjä Irrigen 
Gedächtnissfeier des Geburtstages Johann 
Gutenbrrgs am 24. Juni 1900, heraosgegeben 
von einem Mainzer Schulmann. Mit Abbil- 
dungen. Hannover, Carl Meyer (Gustav Pri'*rX 

Hebbels Werke. Herausgegeben von Dr. Karl 
Zeiss. Kritisch durebgesehene und erläuterte 
Ausgabe. 4 Bände. Leipzig, Bibliographi- 
sches Institut. 

Helmolt, Hans F., Weltgeschichte. Vierter 
Baud. Die Raudlündor des Mittelmecrs. 
Mit 8 Karten. 7 Farbendruektafeln und 
l.j schwarzen Beilagen. I>'ipzig, Bibiio- 
grapliiselies Institut 

Hofib, Friedrich van, Bunte Schmetterlinge. 
Lieder und Schwänke. Leipzig. Eduard 
Avenarius. 

Horneffer, Emst, Nietzsches Lehre von der 
ewigen Wiederkunft und deren bislieiige 
VerdlTentlieliniig. Leipzig, C. G. Naumann. 


Bibliographie. 


4*3 


Jahrhundert, das neunzehnte, in Bild- 
nissen. Mit Anderen herausgegeben von 
Karl WerckmeLster. Lfg. 42—45. Berlin, 
Photographische Gesellschaft. 

Jeremias, jJr. Alf red, Hölle und Paradies 
bei den Babyloniern. (Der alte Orient. 
1. Jahrgang. Heft 8.) Leipzig, J- C. Hin- 
richs’sche Buchhandlung. 

Jugendfürsorge, Die, Centralorgan für die 
gesummten Interessen der Jugendfürsorge 
mit besonderer Berücksichtigung der Walsen- 
pflege, der einschlägigen Gebiete des Armen- 
wesens, sowie der Fürsorge für die schulent- 
lassene Jugend. Mit Anderen herausgegeben 
von Franz Pagel. I. Jahrgang. 1900. Heft 1. 
Berlin, Nlcolai\sche Verlagsbuchhandlung. 

Juati, Ferdinand, Hessisches Trachtenbuch. 
1. Lieferung. Marburg, N. G. Elwert’sche 
Verlagbuchhandlung. 

KirchhofT, Theodor, Allerhaud Heiteres aus 
Callfornien. Leipzig, Eduard Avenarius. 

Koch, Julius. Im Frünglanz. Gedichte. Leip- 
zig, Eduard Avenarius. 

Kresse, Oskar, Hilfe für Alle! Ein Weg zur 
Erlösung aus den Fesseln der Noth. Berlin, 
John Schwerins Verlag. 

Krttcken, Oscar von, Budapest in Wort und 
Bild. Heft 8. 4. Berlin, Intel nationale all- 
gemeine Veilagsgesellschaft m. b. H. 

La Politica Actaal en Filipinaa. Manila. 
(Novlembre, 1899.) 

Leverkühn, August, Jugendgedichte. Leipzig, 
Eduard Avenarius. 

Lie, Jonas, Auf Irrwegen. Roman. Einzig 
au toi Lsirte Uebersetzung aus dem Dänischen 
von Mathilde Mann. München, Albert Langen. 

Lorenz, Carl, Das Schandmal. Ein ameiikani- 
sches Trauerspiel in fünf Acten. Berlin, 
Ernst Hofmann & Co. 

Lyon, Otto, Das Pathos der Resonanz. Eine 
Philosophie der modernen Kunst und des 
modernen Lebens. Leipzig, B. G. Tenbner. 

Menghini, Domenico, Centenario Heiniano. 
Parma/R. Pellegrini. 

Mielke, Hellmuth, Coeur-Dame. Novelle. 
(Goldschmidts Bibliothek für Haus und Reise. 
Band 84.) Berlin, Albert Goldschmidt. 

Xuret-Sanders enoyklopfldisohes W örter- 
buch der englischen und deutschen 
Sprache. Mit Angabe der Ausspiaclie nach 
dem Phonetischen System der Methode 
Toussaint- Langenscheidt. Grosse Ausgabe. 
Lfg. 14. Beilin, Langenseheidt’sche Verlags- 
buchhandlung. 


Muther, Richard, Geschichte der Malerei. 
Band 1. 2. (Sammlung Göschen) Leipzig, 
G. J. GöschenVche Verlagsbuchhandlung. 

Netto, £., Natur und Kunst oder der Schweine- 
hirt. Scherzspiel mit Gesang und Tanz^ ln 
einem Aufzuge unter ergebenster Ver- 
arbeitung des seligen Andersen. Giessen, 
J. Rickei’sche Verlagsbuchhandlung. 

Pro Finlandia, Berlin, Otto Mertz. 

Bocholl, Dr. Heinrich, Graf Hellmuth von 
Moltke. der Sehlachtendenker des deutschen 
Volkes in grosser Zeit. Ein Charakter- und 
Lebensbild zu dessen hundertjährigem 
Geburtstage am 26. October 1900. Mit 
zahlreichen Abbildungen. Hannover, Carl 
Meyer (Gustav Prior). 

Römer, Alexander, Leidenschaft. Novelle. 
(Goldsclirnidts Bibliothek für Haus und 
Rolse. Band &'h) Berlin, Albeit Gold- 
sehmidt. 

Schwabe, Toni, Ein Liebeslied. Ein Testa- 
ment. Leipzig, Wilhelm Friedrich. 

Schreyer, Hermann, William Shakespeare. 
Schauspiel in fünf Aufzügen. Nebst einem 
Anhang: Zur Shakespeare- Frage und einer 
Uebersicht ül>er die Abänderungen für die 
BühnenaulTührung. 2. Aull. Leipzig, Eduard 
Avenarius.br 

Schweiger, Dr. Laiarus, Philosophie der 
Geschichte, Völkerpsychologie und Sociokgie 
in ihren gegenseitigen Beziehungen. (Beiner 
Studien zur Philosophie und ihrer Geschichte 
Baud XVIII.) Bern, C. Stuizenegger. 

Singer, Hans Wolfgang, Allgemeines 
Kün^tler-Lexicon. Leben und Werke der 
beiüluntesten bildenden Künstler. Dritte 
umgearbeitete und bis auf die neueste Zeit 
ergänzte Auflage. Siebenter Halbbaud. 
Raab-Scotto. Frankfurt a. M., Literarische 
Anstalt RUtten & Loening. 

Streckfass, Adolf, Der tolle Hans. Criminal- 
Novelle. 8. Aufl. (GoldsehmidCs Bibliothek 
für Haus und Reise. Band 8.) Berlin, 
Albert Goldschmidt. 

TolstQj, Leo Graf, Auferstehung. Erste voll- 
ständige im Aufträge des Verfassers her- 
gestellte Uebersetzung von Wadim Tionin 
und Ilse Frapan. Dritte Auflage. Beilin, 
F. Fontane & Co. 


von Ernst Weiland-Ltibeck. 


Abkürzungen: B. tu W. = Bühne und Welt. — D. Re. = Deutsche Revue. — D.Ru. = Deutsche 
Rundschau. — G. = Gesellschaft. — J. = Insel. — I. L = Internationale Litteraturberichte. — 
Kr. = Kritik. — Ku. = Kunst wart. — Kultur. — L. E.= Das litterarische Echo — N. = Nation. 
— N. D. Ru. = Neue Deutsche Rundschau. — N. u. S. = Nord und Süd. — R. U. = Reclams 
Universum. — T. = Türmer. — V. & Kl. M. = Velhagen & Klasings Monatshefte. — W. Ru. 
= Wiener Rundschau. — Z. = Zukunft. — Z. f. B. = Zeitschrift für Bücherfreunde. — Zeit. 


Antike Humanität. Von K. Jentsch. Z. 

vm. 17. 

Bildung» Die neue. Von G. Kaibel. D. Re. 
1900. I. 


| Bismarck. Aus der Corresj ondenz des Grafen 
Friedrich zu Eulenburg mit dem Fürsten B. 
Von Horst Kohl. D. Ru. 1900. I. 

Bismarcks Vorfahren, Von W. Graebner. 
Z. VIII. 15. 



Horb uitb 5üb. 




Brandes, Johann Christian. Ein Schau - 
spielerleben im 18. Jahrli. Von M. Ewert. 
B. u. W. II. 8. 

Britanniens Demüthigung. Von W. T. Stead. 
Z. VIII. 16. 

Brüssel, die Hauptstadt Belgiens. Von 

A. Ruhemann. R. U. I960. 9. 
Bühnenvirtuosen. Von L. Barnay. D. Re. 
1900 . 1 . 

Bühnen werke, Deutsche. Von H. Weber- 

Lutkow. I. L. VII. 2. 

Bulss, Paul. Von M. Marsciialk. B. n. W. 
II. 8. 

Calderon de la Büros* Von G. Diereks. 
T. II. 4. 

Carducci Giosuö. Von "W. Kaehler. G. XVI. 
Jan. I. 

Chamberlain und der englische Imperia- 
lismus. Von S. Saenger. Z. VIII. 15. 
Deutsche Theater in Berlin, Das. Von 
J. Hart. B. ii. W. II. 7. 

Dirigenten, Moderne. Von A. Seidl. G. XVI. 
Jan. II. 

Doerpfeld. Wilh. Von P. Elsner. N. und S. 
19U0. März. 

Dumas, A., Vater und Maquet Von J. Maelilv. 
I. L. VI. 26. 

Erziehung, Moderne. Von M. Traube-Men- 
garini. N. u. 8. 1900. März. 

Farbe und Linie. Von A. Liudner. W. Ru. 
IV. 2. 

Feminismus und die Gesetzgebung, Der. 

Von L. Fuld. Kr. XV. 4. 

Foerster, Karl. Eine Episode aus seinem 
Leben. Von H. Rickert. D. Re. 1900. 1. 

Frauenlitteratur, Moderne. Von A. Pappritz. 

I. L. VI. 26. 

G-eheimniss, ein bedeutsames religiöses 
und ethisches Moment, Das. Von 

J. Nover. N. u. 8. 1900. März. 
Goethe-Schriften. V T on R. M. Meyer. L. E. II. 7. 
Goethes Faust in der französischen 

Kunst. Von A. Tille. V. & Kl. M. XIV. 5. 
Goethe-Sammlung , Heinrich Lemperts 
sen. und seine. Von J. Schnorrenberg. 
Z. f. B. III. 10. 

Haeckel, Ernst. Aus dem Leben und Werke 
E. H’s. Von W. Kölsche. N. D. Ru. XL 1. 
Häckel, E., und die Religionsfrage. Von 
H. von Gumppenberg. T. II. 4. 
Hauptmann, Gerhart, und sein Natura- 
lismus. Von R. Hamann. G. XVI. Jan. II. 
Helmerding, Karl. Von Pli. Stein. B. u. W. 
II. 8. 

Hugo, Viotor Bei. Von R. Waldmllller. 
L. E. II. 8. 

Hypnose. Thierische. Von M. Verwom. 
Z. VIII. 13. 

Ibsens, Henrik, Epilog. (Wenn wir Todlen 
erwachen.) Von H. St'imeke. B. u. W. II. 7. 

Jahrhundert, Das XIX., Politische TJeber- 
sicht über. Von E. Heysch. V. u. KL M. 
XIV. 5. 

Jahrhundert-Requiem. Vou E. Key. Zeit 
275. 

Jahrhundert, Das neue. Von A. Tille. 
Z. VIII. 13. 

Jahrhundert. Auf der Schwelle des neuen J. 
Von Th. Ziegler. N. D. Hu. XI. 1. 


Ibsens Epilog. Von L. Berg. L. E. 1L 8. 
Ibsen, IL, neues Drama „Wenn wir Todten 
erwachen 11 . Von E. Brausewetter. I. L. 
VII. 1. 

Ioh-Roman. Noch etwas vom. Von F. Spiel- 
hagen. L. E. n. 7. 

Kanada, Beiseskizzen aus. Von A. ForvL 
Z. VIII. 14. 

Kant und Darwin, Irrthümer gegen. Von 

Ritter. Kr. XV. 4. 

Keramik, Vorgeschichtliche. Von A. Reh- 
berg. R. U. 1900. 9. 

Lichtwark, Alfred. Vou E. KlossowskL 
Zeit 276. 

Lingg, Hermann. Von M. Greif. Z. VIA. 17. 
Litteratur des Thiergartenviertels, Dia. 

Von C. Bleibtreu. Kr. XV. 4. 

Lyrik, Romantische, vor 100 Jahren« 
Von L. Jacobowski. G. XVI. Jan. 1. 
Lyriker unserer Tage, Die. Von K. Breiig. 
Z. VIII. 17. 

Mächte, Die grossen. Ein Rückblick auf 
unser Jahrhundert. Von M. Lenz. D. Ru. 
1900. 4. 

Michelangelo in C. Ferdinand Meyers 
Gedichten. Von H. Moser. N. 1900. 14. 
Musik, Ein Vierteljahrhundert. Von 

E. Häuslich. D. Ru. 1900. 4. 

Nietzsches Krankheit Von E. Förster- 
Nietzsche. Z. VUI. 14. 

Nouhuys, W. G. Von R. Jacobsen. W. Ru. 
IV. 2. 

Pasteur, Erinnerungen an. Von J. Hericourt 

D. Re. 1900. 1. 

Petöfi, Alexander. Von B. Lazar. Z. VUI. 13. 
Rococo. Von R. Muther. N. D. Ru. XI. 1. 
Römische Verbrecherwelt Die. Von 
M. Gagliardi. Kr. XV. 4. 

Schiedsgericht des deutschen Bühnen- 
Vereins, Das. Von Feilsch. B. u. W. 
II. 7. 

Sevillanische Poesie. Von J. Fastenrath. 
I. L. VI. 25. 

Shakespeare. Einiges über 8. und das gegen- 
wärtige Theater des Auslandes. Von 
M. Mendbeliu 1. L. VI. 25. 

Sorma, Agnes, in Paris. Von B. Petzold. 
B. u. W. II. 8. 

Stenographie. Zeitgeist und Stenographie* 
Von Mil Richter. N. u. S. 1900. März. 
Verbotene Stücke. Von 0. Blnmenthal. D. 
Re. 1900. 1. 

Volksschauspiele. Die Meraner V. Von 
H. Herrnheiser. B. u. W. II. 8. 
Weihnachtsspiele, Schlesisohe. Von Prof. 

Vogt. B. u. W. II. 7. 

Whitman, Walt Von Knut Hamsun. 
G. XVI. Jan. 1. 

Wolf, Hugo. Von M. Graf. Z. VHL 16. 
Wolter, Charlotte. Toilettenkünstlerinnen auf 
der Bühne. II. Ch. W. Von S. Grilnvald- 
Zerkowitz. B. u. W. II. 7. 

Zauberwesen in Alterthum und Gegen- 
wart Von E. Kuhnert. N. u. S. 19U» 
März. 

Zimmern’sche Bibliothek, Die. Von R. Beer. 
Z. f. B. HI. 10. 


Bebigirt unter Derantroortlidjfeit bes Herausgebers. 

Sd?Ieftfd?e Budjbnnferei, Kunfl» uitb Derlags*2lnflalt d. 5. Sdjottlaettbet, Breslau. 
Unberechtigter Hacfjbrutf aus bern 3nljalt biefer §eltfdjrift unterlagt. Ueberfefeangsre$t DOrbeljalten. 




preis pro £)eft 2 JL, pro Quartal (3 ^efte) 6 M., 

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Julius (Befeüljofen in Breslau. 

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Bibliographie j3* 

OTorttj Camberg: „Braplien." Ceipjig, Hermann Sieger. 

Bibliographie Botten . J35 


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Ueberseeisehe Depots in den grosseren Städten aller Welttheile. 


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Das Beste Ofener Bitterwasser. 


Geheimrath Professor OSCAR LIEBREICH, Berlin, 

schreibt in ,, Therapeutischen Monatsheften Juni 189G. 

„ Ein derartig brauchbares Wasser ist 
„ Für längere Trinkeuren, 

„ Zur Regulirung des Stoffwechsels, 

„ Bei Fettleibigkeit, chronischen Obstipationen,. 

„ Bei Hämorrhoidalleiden 
„ Als besonders geeignet zu empfehlen. (( 


Professor Dr. LANCEREAUX, Paris, Mitglied der 

„ Acadcntie de Mcdeciue,“ erklärte am 4 Febr. 1899. 

,, Gerade dieses Wasser eignet sich am Besten 
„ Für die Behandlung chronischer Verstopfung, 
„Verdient eine Ausnahmestellung 
„in der hydrologischen Therapeutik.“ 


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Käuflich bei allen Apothekern, Drogisten und 
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Saubenoefen in Klterthum unb (Segenmart 327 

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Scitgeift unb Stenographie 337 

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IHobertie (Erjiehung 350 

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Pas (Seheimniß, ein bebeutfames religiöfes itnb ett|ifcfjes Moment 363 

Zit Beerel in f}irfcfyberg. 

(Säßren hilft Flären. (Schluß) 38 J 

(5uy be ZHaupaffant. 

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Bibliographie ^05 

(Bufiao Karpeles: „r?einricfj lieiue. Bus feinem Ceben unb aus feinet geit.* 

Ceipjig, Perlag pon Hbolf Ciße. 1899. 

Bibliographie ZTot^en 4^0 

neberftdjt ber michtigften SeitfchriftemKuffätjc oon (Srnft lDeilanb*£übe<f . . . . ^\3 

£}ier 3 u ein Portrait: IPilhelm Poerpfelb. 

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Das Beste Ofener Bitterwasser. y , 


Geheimrath Professor OSCAR LIEBREICH, Berlin, 

schreibt in, „ Therapeutischen Monatsheften,' 1 Juni 1896. 

„ Ein derartig brauchbares Wasser ist 
„ Für längere Trinkeuren, 

„ Zur Regulirung des Stoffwechsels, 

,, Bei Fettleibigkeit, chronischen Obstipationen, 

,, Bei Hämorrhoidalleiden 

,, Als besonders geeignet zu empfehlen.“ 


Professor Dr. LANCEREAUX, Paris, Mitglied der 

„ Aeademte de Mcdeeiue," erklärte am 4 Pe.br. 1899. 


,, Gerade dieses Wasser eignet sich am Besten 
,, Für die Behandlung chronischer Verstopfung, 
„Verdient eine Ausnahmestellung 
„in der hydrologischen Therapeutik.“ 


EIGENTHÜMERIN UND BRUNNENDIRECTION 

„APENTA“ ACTIEN -GESELLSCHAFT, BUDAPEST. 


Käuflich bei allen Apothekern, Drogisten und 
Mineralwasser-Händlern.