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Full text of "Schnetz Alemannenland ZGO 1921"

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Tumbült. 


die in den Schriften des Vereins für Geschichte des Bodensees 
und seiner Umgebung. Heft 29 (1900) erschienen sind. In Meister 
Jakob Ruß entdeckte Roder den Verfertiger der prächtigen Holz¬ 
schnitzereien im Rathaussaale zu Überlingen (diese Zeitschrift 
N.F. 2), auch zur Baugeschichte des Münsters und zur Geschichte 
der Juden daselbst (ebd. N.F. 14 und 28), ferner zur Geschichte 
der Stadt während der Reformationszeit (Freiburger Diözesanarchiv 
N.F. 16 (1915), sowie zu der Belagerung Überlingens durch die 
Schweden (Schriften des Vereins für die Geschichte des Bodensees 
und seiner Umgebung. Heft 40 (1911) lieferte er wertvolle Bei¬ 
träge. 

Erwähne ich noch den »Bericht über die Niederlage der 
Klettgauer Bauern bei Lottstetten« (diese Zeitschrift N.F. 2), sowie 
den Aufsatz über die Schlosskaplanei Küssenberg und die St. Anna- 
kapelle zu Dangstetten (Freiburger Diözesanarchiv N.F. 4), so ist 
der Kreis der literarisch-wissenschaftlichen Arbeiten Roders um¬ 
schrieben. 

Als Bezirkspfleger der Badischen Historischen Kommission war 
Roder von 1886—1895 für den II. Bezirk und von 1895 ab für 
den I. Bezirk tätig. Im Jahre 1916 legte er dieses Ehrenamt 
wegen zunehmender Kränklichkeit nieder. 

Es war für Roder selbstverständlich, dass er seit seiner 
Übersiedelung nach Überlingen an den Tagungen des Bodensee¬ 
geschichtsvereins regen Anteil nahm. Vom Jahre 1902 ab ge¬ 
hörte er dem Ausschuss dieses Vereins an, seit 1906 waltete er 
als Vizepräsident und erster Sekretär desselben, während das Amt 
des Präsidenten Hofrat Schützinger inne hatte, dem er um nur 
wenige Monate später im Tode folgen sollte. 

Seine letztwilligen Verfügungen bedenken in hochherziger Weise 
die beiden Städte, denen seine amtliche Tätigkeit vorwiegend an¬ 
gehört hat: Die Villinger Manuskripte gehen in den Besitz dieser 
Stadt über, während die reichhaltige Bibliothek Eigentum von 
Überlingen wird. 

Roder war eine kraftvolle, auf sich selbst gestellte, urwüchsige 
Persönlichkeit, ein Mann aus einem Guss, der an dem als richtig 
Erkannten unbeugsam festhielt und äusseren Einflüssen wenig zu¬ 
gänglich war, genug, ein Alamanne von echtem Schrot und Korn. 
So wird sein Charakterbild uns allen, die wir mit ihm zusammen 
gearbeitet haben, in der Seele haften bleiben. 


Miszellen. 


Zur Beschreibung des Alamannenlandes beim Geo¬ 
graphen von Ravenna. — Der um 700 lebende sog. Geograph von 
Ravenna (= Rav.)*) ist besonders auch für die Kenntnis der Früh¬ 
zeit der Alamannen wichtig, da uns die »civitates« (Siedelungen), 
die er von ihrem Lande auf zählt, wertvolle Schlüsse zu ziehen 
erlauben, die geeignet sind in eine der dunkelsten Perioden der 
Geschichte dieses Stammes Licht zu bringen. Leider ist jedoch 
der Text der Kosmographie in schlechtem Zustande auf uns ge¬ 
kommen, so dass sehr viele Stellen unklar geblieben sind. Nach 

Aufhellung der Überlieferungsgeschichte des Werkes und der in 
Frage kommenden paläographischen Besonderheiten 2 ) vermögen wir 
indessen nunmehr verschiedene loci desperati zu enträtseln oder 
zum mindesten ein bestimmteres Urteil über sie zu gewinnen. Nach¬ 
dem ich in der Abhandlung »Die rechtsrheinischen Alamannenorte 
des Geographen von Ravenna« (Arch. hist. Ver. Unterfranken u. 
Aschaff. LX, 1 ff., zit.: AU, in dieser Zeitschrift besprochen von 
A. Hund N. F. XXXV, S. 462 f.) bereits einen viel umstrittenen, 

mit Augusta nova 3 ) beginnenden Passus der Beschreibung des 

Alamannenlandes kritisch untersucht habe, möchte ich im folgenden 
einio-e weitere — das oberrheinische Gebiet betreffende — Stellen 

Ö 

des Rav. behandeln. 

I. Bodungo. 

S. 231 zählt Rav. die am Rhein gelegenen alamannischen 
Städte flussaufwärts vorschreitend von Gormetia (= Worms) bis 
Bracantia (= Bregenz) auf. Dabei nennt er zwischen Constantia 
(= Konstanz) und Arbore felix (= Arbon) die Orte Rugium (Z. 16) 


*) Herausgeg. von Pinder u. Parthey, Berlin 1860 (zitiert: PP). — 2 ) In 
meinen »Untersuchungen zum Geographen von Ravenna« (zitiert: U), Progr. 
Wilhelmsgymnasium-München 1919. — Hier findet der Leser auch Näheres 
über den Rav. selbst und besonders über den Inhalt seines Werkes. — 3 ) Wenn 
Hund 1. c. in »nova« den Namen einer eigenen Stadt sehen möchte, so über¬ 
sieht er u. a. meinen in AU S. 39^ A.-2» gelieferten Nachweis, dass eine solche 
Namensform dem Sprachgebrauch des Rav. zuwiderläuft. 






































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Miszellen. 


und Bodungo (Z. 17). Ihre Stellung in der Namenliste weist sie 
der Bodenseegegend zu, doch sind sie noch nicht überzeugend 
gedeutet. Zur Erklärung des Wortes Bodungo zog Cuno (Vor- 
gesch. Roms (1878), S. 130) den von Plinius überlieferten Namen 
des Po aBodincus« heran (ebenso Holder, Altcelt. Sprachschatz) 
und glaubte, dass der Name des Bodensees von den Deutschen 
aus Bodungo verstümmelt sei. Buck, Oberd. Flurnamen, erinnerte 
an Bodengo bei Chiavenna. Miedei (Bl. f. Gymn.-Schulw., 1916, 
'S. 259) identifizierte den fraglichen Namen mit Bottikhofen s. 
ö. Konstanz, das er auf eine ältere Form *Bodincon zurückführen 
wollte (wo bleibt -hofen?). Lejean (Bull. soc. geogr., 1856, S. 201) 
setzte die Ravennatische civitas dem bekannten zur Zeit der Karo¬ 
linger als königliche Pfalz auftretenden Orte Bodman am Nord¬ 
westende des Überlingersees gleich (ao 759 apud Potamum, 912 
Potamis, zwei antikisierte Formen; 839 Bodoma, 1252 Bodeme, 
13. Jh. Bodemen), konnte indessen, wenn ihm auch Jacobs (Gallia 
ab an. Rav. descr. 1858, S. 32) folgte, im allgemeinen nicht über¬ 
zeugen. Wir haben aber jetzt ein Mittel in der Hand die beiden 
Namen zur Deckung zu bringen. In U (S. 58 f.) habe ich gezeigt, 
dass »Mauru^ani« (PP 28, 3, cf. 213, 5) aus »Marco^ani» hervor¬ 
gegangen sein muss und zwar dadurch, dass kapitales M in NG 
verlesen wurde 1 ). Der gleiche Fehler (des Rav. selbst!) liegt meiner 
Ansicht nach in Bodungo vor, das also auf Bodumo zurückgeht. 
Für die Richtigkeit unserer Erklärung spricht auch die gewonnene 
Form Bodumo selbst, da sie, abgesehen von der lateinischen En¬ 
dung 2 ), echt germanisches Gepräge zeigt: als ursprünglich ist nämlich 
Bodm- (=■ Boden, Grund) anzusetzen; urgermanisches auslauten¬ 
des ?n nach Konsonant entwickelte sich zunächst zu um. Wenn 
also in der zweiten Silbe unseres Namens 11 an Stelle des späteren 
0, a steht, so stimmt das ganz mit der historischen Grammatik 
überein. Wir haben jetzt die früheste Form für den Namen des 
Ortes Bodman gefunden, die um mehr als 200 Jahre älter als die 
jSt, die bisher für die älteste galt. 


II. Rugium 

ist nun zwischen Konstanz und Bodman zu suchen, weshalb schon 
aus diesem Grunde das von Porcheron ao 1688 vorgeschlagene 
Zug (alt Tugium) ausser Spiel bleiben muß. Reichard verlegt den 


J ) Besonders dann leicht möglich, wenn sich rechts neben dem oberen 
Ende des letzten — etwas konkaven — Abstrich des M der strichförmige 
Ansatzpunkt etwa eines A oder ein Stückchen einer Flusslinie befand, was als 
oberster Teil eines G aufgefasst werden konnte. — 2 ) Nehmen wir an, dass 
das auslautende 0 aus e verlesen ist, so erhalten wir eine rein germanische 
Form. Doch ist eine Änderung nicht unbedingt nötig. 


Miszellen. 


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Ort nach Reichenbach südlich Konstanz (soll wohl heissen: Ricken¬ 
bach); Miedei 259 stimmt für Kurzrickenbach. Ganz haltlos ist 
Lejean’s (200) Beiziehung von Romanshorn oder des Volkes der 
Rugusci, wofür er ohne Grund auch Rugii schreibt, sein Änderungs¬ 
vorschlag »Augia« (= Sintleozesavia = Insel Reichenau) aber hat 
keine paläographische Wahrscheinlichkeit. Nicht verständlich ist mir 
Jacobs, wenn er S. 32 — zögernd — »Raggen nicht weit vom 
Bodensee bei Tettnang« nennt; meint er (Langen)argen ? 

Wie man sieht, ist man von einer auch nur halbwegs an¬ 
nehmbaren Erklärung weit entfernt. Nach meiner Ansicht ist 
B rugium zu schreiben (Ausfall des kapitalen B vor kapitalem R 
wegen Ähnlichkeit mit letzterem Buchstaben; so auch S. 227, 8 
Bodorecas für Bodo^recas, 431, 2 ifavonia vermutlich für AVavo- 
nia(cum)). Ich sehe darin den germanischen (= gotischen) Dat. 
Plur. Hrugjöm oder Dat. sing. Hrugjön zu germ. *brugjö(n) = ahd. 
oberdeutsch brucca »Brücke«. Wenn der Rav. die gotische Form 
mit einfachem g statt der westgermanischen mitt gg (altsächs. und 
afränk. Dat. PI. *bruggiom; statt -om ist auch -um [on, un] mög¬ 
lich) bietet, so lässt sich das vorzüglich mit seiner Angabe ver¬ 
einigen, dass sein Gewährsmann ein Gote war, wenn man nicht 
.vorzieht, die Setzung des einfachen g dem Rav. selbst zuzuschreiben, 
der die Geminaten auch sonst öfters nicht beachtet. Was ist 
nun aber für ein Ort mit einer »Brücke« (bez. »Brücken«) gemeint ? 
Führte etwa vom späteren Petershausen eine Schiffbrücke nach 
Konstanz? Ich neige dazu, dass *brugio in einem anderen Sinne 
gebraucht ist. Es muss nämlich ursprünglich Bretterboden bedeutet 
haben. Darauf lassen mundartlich bayerische etc. Verwendungen des 
Wortes schliessen; cf. auch Schweiz, briigi »Bretterfussboden im Stall« 
von ahd. *biugi; im anord. und ndd. heisst es »Landungsplatz, 
Hafendamm.« Hievon ausgehend kämen wir dazu, an einen am 
See gelegenen Landungs- bezw. Überfahrtsplatz zu denken, 
wo irgend ein Bodenbelag zur Sicherung gegen Versumpfung, 
für die Lagerung von Waren etwa, gemacht war. Ich glaube, kein 
anderer solcher Platz könnte beim Rav. gemeint sein als Staad 
(ahd. stad Strand, Überfahrtsstelle), wovon O. Ammon, Das älteste 
Konstanz, Sehr. Ver. f. Gesch. d. Bodensees 13, S. 130 sagt: »Ganz 
nahe bei Konstanz zweigt von der Wollmatinger Strasse eine solche 
nach . . . Staad . . ab. Auch dies ist eine Urverbindung. . . Bei 
Staad war im Mittelalter der Einschiffungsplatz für die Überfahrt 
nach Meersburg. . . Vielleicht war es schon in der Urzeit so, dass 
dort der Einbaum abstiess, wenn man zu den jenseitigen Genossen 
gelangen wollte«. 

III. Rizinis = Risenburg. 

Durch den Nachweis, dass das -s aus einem missverstandenen 
Abkürzungszeichen für -bürg hervorgegangen ist, sowie durch Be¬ 
achtung des Zusammenhangs, in welchem Rav. die Siedelungen 















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Miszellen. 


von Augusta nova an aufzählt, gelingt es, Rizinis zu identifizieren 
und zwar mit Risenburg, jetzt Flurname in der badischen Ge¬ 
meinde Dauchingen; das Nähere s. AU, S. 44 ff.*). Zu meinen 
dortigen Ausführungen möchte ich hier einige Ergänzungen fügen. 
Das Bestimmungswort ist leicht als ein Adjektiv auf -in zu erkennen 
und zwar von ahd. hris— Reis, Reisig (cf. risach »arbustum« = Strauch¬ 
werk 2 ). Das germanische li vor r blieb in lateinischen Schriften 
unbeachtet, wie es z. B. auch von dem Goten Jordanes Get. 14, 79 
Mommsen: »Valaravans« für got. »Vala-hrabns« nicht geschrieben 
wurde. Bestätigt wird meine Etymologie durch die Tatsache, dass 
das i in dem jetzigen Flurnamen Risenburg 8 ) lang ist und der 
dortigen Mundart zufolge einem alten i (= neuhochdeutsch-schrift¬ 
deutsch ei) entspricht. Wir haben uns unter der Riziniburg wohl 
eine Volksburg vorzustellen, die durch einen Strauchverhau 


*) Die Besprechung meiner Abhandlung von Hund krankt vor allem 
daran, dass sie die Hauptsache übersieht, nämlich die aus Paläographie und 
Linguistik genommenen Beweismomente. Wegen Raummangel will ich nur 
auf zwei Punkte kurz aufmerksam machen. 1. Es gilt vor der Identifikation 
den entstellten Namen ihre ursprüngliche Gestalt wiederzugeben. Nun 
zeigen die 3 Namen auf -s (Rizinis, Ascis, Uburzis) deutlich germanisches 
Gepräge, mit Ausnahme dieses Endungs-s; hierin den Aufgang eines lateinischen 
Lokativ Plural zu erblicken, verbietet Rizin-, das sich unschwer als Adjektiv 
auf -in kundgibt (selbst wenn man dieses Wort als Personennamen auffassen wollte, 
wäre natürlich auch nicht an einen Lokativ Plural zu denken). Die einzig 
mögliche Erklärung für das -s ist die, dass es ein missverstandenes Abkürzungs¬ 
zeichen und zwar in unseren deutschen Namen für das germanische Grund¬ 
wort -bürg ist. In schönstem Einklang mit dieser Deutung steht der Umstand, 
dass die Quelle des Rav. seiner Angabe nach ein Germane (Gote) war). Der 
deutsche Charakter der 3 Namen nun, der durch Einsetzung des -bürg voll¬ 
ständig wird, ist ein untrüglicher Beweis dafür, dass die gewonnenen Formen 
die echten und ursprünglichen sind. Wer diesem Satz nicht beistimmt, 
soll zeigen, welchen anderen Schluss man aus dem deutschen Gepräge der 3 
Namen ziehen kann oder muss; ich fordere dazu auf. — An diesen 3 Namen 
ist also nicht mehr zu deuteln und zu rütteln, so wenig wie wenn man aus 
dem Gebiete des altbayerischen Stammes die Namen Salziburg, Wazzarburg, 
Niuwenburg vor sich hätte. Bezüglich »Turigoberga« s. meine Bemerkunge^n 
in Berl. phil. Woch. 1921 S. 382 Punkt IV. — 2. Das Studium des Rav. er¬ 
gibt, dass er, in der Regel wenigstens, in der Aufzählung gewisse Methoden 
befolgt (s. einschlägige Bemerkungen U 29, 48, AU 40, 43 u., 72 A.; ferner 
meine Abhandlung: Arabien beim Geographen von Ravenna: Philologus N. 

NXXI S. 380 ff.). Die Tatsache nun, dass meine Gleichsetzungen eine planmäs- 
sige und wohl verständliche Anordnung der civitates erkennen lassen, ist allein schon 

eine gewichtige Stütze für die Richtigkeit meiner Deutungen. _ *) Zu diesem 

Adjektiv *hrisin vgl. steinin, irdin etc., bes. auch boumin und Boumineburg. — 
8 ) In Urkunden vom Beginn des 19. Jahrhunderts nach Mitteilung des Herrn 
Pfarrers Glanz in Dauchingen auch Reisenburg geschrieben. 


Miszellen. 


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geschützt war, ähnlich wie die Bebbanburh mit einer Hecke (Saxon 
Chronicle zum Jahr 547). Das i nach n, wofür streng grammatisch 
a zu erwarten wäre, ist vielleicht ähnlich zu beurteilen wie i in 
Alimannorum (PP 233, 4) als Ausdruck eines durch vulgäre Senkung 
aus a enstandenen a oder es ist bloss ein Kopistenschreibfehler: das 
alte a bestand aus zwei c-Strichen, wovon der eine infolge des 
vorausgehenden m leicht übersehen werden konnte, worauf der 
andere als i gedeutet wurde (cf. PP 83, 7 Rifis st. Rafis, 138, 12 
licus st. lacus 28, 2 A bitria st. batria etc.). 

Der Gote Athanarid. 

Der gotische »philosophus«, dem Rav. bei der Beschreibung 
des Alamannenlandes hauptsächlich folgt, heisst Athanarid (oder 
Ait(h)anarid, einmal -rit 1 ) nicht Anarid, wie man vielfach lesen 
kann. Letztere Form ist durch Irrtum der Abschreiber entstanden; 
da nämlich das alte a zwei c-Strichen und at 3 c-Strichen ähnlich 
sah, fiel an 5 Stellen (226, 195 2 29 > 13 • 2 3 °> 11 » 2 4 - 6 . *5 > 2 9 o> 12 )> 
an denen dem Namen mehrere c-Striche vorausgehen, das at aus, 
während 230, 6 at in ut verlesen wurde (U 52). Als Nebenquelle 
nennt Rav. den Eldebaldus. Man hat diese gotischen Gelehrten 
für eine Fiktion des Rav. erklärt. Dagegen sprechen indessen 

1. schon die Namen. Besonders der Name »Athanarid« sieht 
nicht so aus, als ob er aus den Fingern gesogen wäre: er ist tadellos 
germanisch, trotzdem er sonst nirgends mehr vorkommt. 

2. Ein Germane (Gote) spricht an mehreren Stellen aus dem 
überlieferten Text. Zunächst ist ub in Uburzis gotische Schreibung 
für w (Schnetz, Herk. d. Namens Würzburg, 16; AU 65). 

3. In dem Adjektiv Rmensis (226, 10; 233, 14; 229, 8 f.) 
muss das i aus der deutschen Sprache herrühren; vgl. ahd. Rin, 
dagegen gall. Renos, lat. Rhenus) 2 ). 

4. Die Verwendung eines Abkürzungszeichens für das deut- 
sehe -bürg verrät den Germanen. 

5. Über die Bretagne hat sich Rav. bei Eldebald (als Haupt¬ 
quelle) und Athanarid informiert. Dieses Land nennt er nun 
»Britania in paludibus« (295, 7 f.). Lejean 1 . c. 248 findet trotz 
seines Hinweises auf die Sümpfe von Brive und la Briere im 
äussersten Südosten der Bretagne die Bezeichnung des Ra 1 *!. doch 
»recht befremdend für ein sehr welliges Land, das nur wenig 
Ebenen und noch weniger Sümpfe hat«. Richtig erkannte Holder 
<s. v. Aremorica), dass »in paludibus« den alten Namen Aremonca 3 ) 

!) Auf die Form Athanarzbfc bei Guido ist nichts zu geben, da Guido 
die Namen nicht selten eigenmächtig etwas verändert. — 2 ) Das Hauptwort da¬ 
gegen war dem Rav. in der herkömmlichen Form Renus geläufig, weshalb er es auch 
so schrieb. — 8 ) Diese Bezeichnung schloss freilich auch die spätere Normandie 
mit ein; aber Rav. scheint die Normandie ebenfalls in seine Britania mitein- 
bezogen zu haben, wie man aus seiner Nennung der Sigugna (296, 2), wohl 






















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Miszellen. 


wiedergibt. In dem keltischen Wort Aremorica (are [== bei, an] 
■+• * *inon [—Meer] Adjektivendung) nun kann are mit latein. in 
übersetzt werden. Dagegen entspricht palus nie und nimmer dem 
kelt. mori. Und doch wurde es durch letzteres veranlasst: der 
Gewährsmann des Rav. erblickte nämlich in mot(i) das germanische 
*mvra = Moor, Sumpf: eine unverkennbare Hindeutung auf seine 
germanische Abkunft. 

Die Sache liegt also so: Die Zweifel an der Richtigkeit der 
Angaben des Rav. sind nicht begründet. Sie sind es so wenig, 
dass wir vielmehr sogar aus den Punkten 2.-5., falls uns der 
Rav. nichts über die Heimat seiner Gewährsmänner mitgeteilt hätte, 
sch Hessen müssten, dass diese Germanen waren. 

kür die Zeit, wann Athanarid und Eldebald geschrieben haben, 
lässt sich ein terminus post quem gewinnen aus den Stellen 296^ 
4 ff., wo Rav. nach Athanarid das Land zwischen Garonne und 
Loire als Guasconia (und 299, 7 ff., wo er das Land zwischen 
Pyienäen und Garonne nach Eldebald als Spanoguasconia) 
bezeichnet. Alte und moderne Erklärer haben sich über diese 
Ausdrucksweise gewundert, da die Herrschaft der (zuerst anfangs 
der 8oiger Jahre des 6. Jahrhunders auf französischem Boden 
auftauchenden) Basken nie wesentlich über die Garonne hinaus¬ 
reichte. Nun hat aber Blade (Annal. de la Fac. des lettres de Bor¬ 
deaux [1891] 60, 128, 140, 138) darauf aufmerksam gemacht, 
dass das erste Herzogtum Aquitanien (bis zur Loire), das 
nach dem lode Dagoberts I. (638) errichtet wurde, von zeitgenös¬ 
sischen Schriftstellern nicht selten Vasconia genannt wurde, weil 
echte Vascones, solche also, die aus dem Herzogtum Vasconia 
südlich der Garonne stammten, als Soldaten in den Armeen der 
Hei zöge von Aquitanien dienten und die Kerntruppen bildeten. 
Wollten die Geschichtsschreiber Land und Leute der echten Vas¬ 
conia von dem Herzogtum Aquitanien unterscheiden, so sagten sie 
»Wascones, qui ultra Garonam commorantur« (ao 765), »Vuasconia 
ultra flumen Garonnam« (a° 769) 1 ). Auf Grund dieser Tatsachen 
identifiziert nun Blade die Guasconia des Rav. mit dem ersten 
Herzogtum Aquitania, seine Spanoguascönia mit dem Herzogtum 
Vasconia (seit 602). Wenn er aber meint, dass die Benennung 
dieser beiden Länder keine wesentlich frühere Zeit zur Voraus¬ 
setzung haben könne wie die der letzten Herzoge Aquitaniens, 
des Eudo, Hunald, Waifar (letzterer gestorben 768), weil für diese 
Zeit der erweiterte Gebrauch des Namens Vasconia zuerst (bei den 
Fortsetzern des Fredegar) nachweisbar ist (Blade, Revue de geogr. 
XXXI, 105), so ist dieser Schluss nicht zwingend; denn jener 


— Seine, schliessen möchte; oder er hat in der Gleichsetzung des alten mit 
dem modernen Namen eine Ungenauigkeit begangen, wie öfters. 

*) Das hatte schon Oihenart festgestellt; teilweise auch J. G. v. Eck- 
hart, Comment. de reb. Franciae or. T, 368 u. 573, den Blade nicht nennt. 


Miszellen. 


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Name kann in dem in Rede stehenden Sinn schon früher an¬ 
gewendet worden sein. Athanarid und Eldebald können ältere 
Zeugen für jene Namen sein. Nur düs lässt sich konstatieren: sie 
müssen nach 638 geschrieben haben. 

Da die Darstellung des Alamannenlandes auf eine frühere 
Zeit weist (AU 15 ff.), so geht daraus hervor, dass Athanarid und 
ebenso Eldebald auf verschiedenartigen Quellen bezw. Informationen 
fussend ältere und jüngere Zustände miteinander kombiniert haben, 
wie es Rav. ja auch gemacht hat. 

München ._ Joseph Schnetz:. 


Die Leichenfeier des Kurfürsten Ludwig VI. von der 
Pfalz. — Der hier veröffentlichte Bericht befindet sich hand¬ 
schriftlich in einem Sammelbande der Staatsbibliothek zu Berlin 
(Sign.: Sf 47), der den Aufdruck: »Churpfältzisch-bayrische Leichen- 
Schriften« trägt. Das Buch, ein Pappband des 18. Jahrhunderts, 
enthält zum grössten Teile Leichenreden auf Angehörige des pfäl¬ 
zischen und pfalz-zweibrückischen Hauses aus den Jahren 1559 
— 1709. Den früheren Besitzer festzustellen ist mir nicht gelungen, 
auch nicht mit Hilfe des sehr schönen Exlibris 1 ). 

Kurfürst Ludwig kam 1576 zur Regierung, sein ganzes Han¬ 
deln war beherrscht von dem Versuch, den von seinem Vater in 
der Pfalz eingeführten Calvinismus wieder durch die reine Lehre 
Luthers zu verdrängen, ein Bestreben, das ohne Zweifel reinster 
innerer Frömmigkeit entsprang, demselben religiösen Eifer, mit dem 
er um das Zustandekommen der Concordienformel unaufhörlich 
bemüht war. Mögen ihn auch scharfmacherische Hofprediger in 
seiner Arbeit bestärkt haben, die Initiative lag ganz in ihm selbst. 
Was er in den Jahren seiner Regierung geschaffen, war nur von 
kurzer Dauer und sank nach seinem Tode, im Jahre 1583, zu¬ 
sammen. Johann Casimir, Ludwigs Bruder und Administrator, ver¬ 
halt rasch wieder dem Calvinismus zum Siege. Diese Sorge, dass 
die Feinde an der Arbeit seien, das Lebenswerk Ludwigs zu unter¬ 
graben und zu stürzen, klang schon leise durch in der Leichen¬ 
rede, die der Hofprediger Johann Schechsius auf den Verstorbenen 
hielt 2 ). Im grossen ganzen ist diese Leichenrede, die bei der 


i) Ein Stück, die Leichenrede Kirchners auf Ludwig VI. trägt eine 
handschr. Widmungsnotiz für Mag. Bonifacius Froben. — 2 ) Christliche Leich 
Predigt, dess durchleuchtigsten, Hochgebornen Fürsten und Herrn, Herrn Lud¬ 
wigen, Pfaltzgraffen bey Rhein . . . gehalten bey jhrer Ch. F. G. Begräbnuss 
zu Heydelberg in der Pfarr Kirch zum H. Geist den 23. Octob. Anno 1583. 
Durch, Ihrer Ch. F. G. Hoffprediger Johannem Schechsium. Sampt angeheffter 
Predigt, so bey Höchstermeldter Churfürstlicher Leich in der Schlossz Kirchen 
daselbsten gedachten Monatstag, Morgens umb acht Uhren gehalten. Durch 
Ihrer Ch. F. G. Hoffprediger Paulum Schechsium . • • Gedruckt zu Heydel¬ 

berg durch Johann Spies. M.D.LXXXIIII. 34 Bl. 4 0 . Vorh. in dem oben